Henry James' andere Szene: Zum Dramatismus des modernen Romans [1. Aufl.] 9783839429310

Liaisons dangereuses between the modern novel and theatrical scene - this comparative study shows Henry James' scen

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Henry James' andere Szene: Zum Dramatismus des modernen Romans [1. Aufl.]
 9783839429310

Table of contents :
Inhalt
Dank
Einleitung
Romantheorie und Gattungsmotiv: Henry James’ ›scenic method‹
Szene des Romans: ›genos‹ und ›genesis‹
Szene und Familie: Theatralität und Psychoanalyse
Dramatismus/Dramatisierung (Deleuze): Eine Frage der Methode
LIAISONS DANGEREUSES: ROMANESKES VOR-AUGEN UND THEATRALE SZENE
Gründung: Erzählung und Episode
Prosa (Hegel)
Verlorene Ursprünge, disjunktive Methode (Lukács’ Hegel)
Plot-Struktur: Pursuit of happiness, homeland (Morettis Goethe)
Exkurs: Freuds Urszene und anderer Schauplatz
Ursprünge – Erzählung – Unbewusstes
Familien-Roman – Szene – Lektüre
Vor-Augen – Urszene – anderer Schauplatz
Theorie: Vor-Augen und szenischer Schauplatz
Gesichtspunkt, Rahmung (Blanckenburg)
Shakespeares Szenen: Verdopplung (Blanckenburgs Shakespeare)
Theater-Geist und Familien-Szene (Goethe)
FLIRTATION: SCENE OF SUCCESS(ION)
Denkfigur Flirtation: Daisy Miller
Im falschen Takt: Failing Success, Failing Succession
Urszene der Dramatisierung – Dramatisierung der Urszene
Daisies Anachronismus
Akte im Schatten und andere Schauplätze
(Mis-)Reading Daisy, (Un-)Doing Situations
Succès de scandale
Flirting Daisy: An wessen Adresse?
Versetzte Szene: Taking Place/Ways of Placement
Doing Things with Words
RELATION: SCENE OF FAMILIALITY
Denkfigur Relation: »the novel is history«
Transatlantic Flirtation
Unheimlich: Doppelgänger, Stellvertretung
Schauplatz: Fort/Da – Theaterraum, Echo-Raum
Nouvelle who? Hilda und Julie – Innocent a priori!
Impossible Separation: The Golden Bowl
Marriage Plot
Marriage: Schöpfung und Entdeckung
Making a Difference
Criticism: In dieser Welt
SEPARATION: SCENE OF KNOWLEDGE
Denkfigur Separation: Theater und Kritik
Diss(id)ente Perspektiven
Bilderkrankheit
Familien/Bild
Brechts Verfremdung, Artauds Double
(Aus-)Tausch/obligations: What Maisie Knew
Maisies Familie, James’ Ödipus
Kindheit: Inzest, Austausch
Schulden: What Maisie knew
»Schluss mit dem Gericht«
Schluss: Andere Szene
Literatur

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Sophie Witt Henry James’ andere Szene

Lettre

Sophie Witt (Dr. phil.) ist akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Westeuropäische Literaturen an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Ihre Forschungsbereiche sind germanistische, anglistische und hispanistische Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft, Kulturwissenschaft, Roman- und Gattungstheorie sowie Psychoanalyse.

Sophie Witt

Henry James’ andere Szene Zum Dramatismus des modernen Romans

Gedruckt mit der freundlichen Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Diese Arbeit wurde im Oktober 2013 als Dissertation an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) eingereicht und im Januar 2014 verteidigt. Die Dissertation wurde von Prof. Dr. Andrea Allerkamp und Prof. Dr. em. Anselm Haverkamp betreut und begutachtet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: M.C. Escher, Still Life with Spherical Mirror, 1934, Lithografie, 326mm x 286mm, © 2014. The M.C. Escher Company – The Netherlands. All rights reserved. www.mcescher.com Lektorat & Satz: Dr. Daniela Voss, www.publikationsreif.de Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2931-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2931-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Meiner Familie

»She never took the measure really of the scandal she produced.« HENRY JAMES / LETTERS 1875–1883 »Um dem Vorwurf zu entgehen, wir würden Wörter und Dinge überanstrengen, wollen wir vor allem lesen.« JACQUES DERRIDA / GRAMMATOLOGIE

Inhalt

Dank | 9 Einleitung | 11

Romantheorie und Gattungsmotiv: Henry James’ ›scenic method‹ | 11 Szene des Romans: ›genos‹ und ›genesis‹ | 25 Szene und Familie: Theatralität und Psychoanalyse | 33 Dramatismus/Dramatisierung (Deleuze): Eine Frage der Methode | 39 L IAISONS D ANGEREUSES : R OMANESKES V OR -A UGEN UND THEATRALE S ZENE | 45 Gründung: Erzählung und Episode | 47 Prosa (Hegel) | 47 Verlorene Ursprünge, disjunktive Methode (Lukács’ Hegel) | 52 Plot-Struktur: Pursuit of happiness, homeland (Morettis Goethe) | 62 Exkurs: Freuds Urszene und anderer Schauplatz | 73

Ursprünge – Erzählung – Unbewusstes | 73 Familien-Roman – Szene – Lektüre | 77 Vor-Augen – Urszene – anderer Schauplatz | 81 Theorie: Vor-Augen und szenischer Schauplatz | 87

Gesichtspunkt, Rahmung (Blanckenburg) | 87 Shakespeares Szenen: Verdopplung (Blanckenburgs Shakespeare) | 101 Theater-Geist und Familien-Szene (Goethe) | 108 F LIRTATION : S CENE OF S UCCESS ( ION ) | 121 Denkfigur Flirtation: Daisy Miller | 123 Im falschen Takt: Failing Success, Failing Succession | 131

Urszene der Dramatisierung – Dramatisierung der Urszene | 131 Daisies Anachronismus | 139 Akte im Schatten und andere Schauplätze | 141

(Mis-)Reading Daisy, (Un-)Doing Situations | 147 Succès de scandale | 147 Flirting Daisy: An wessen Adresse? | 154 Versetzte Szene: Taking Place/Ways of Placement | 157 Doing Things with Words | 161

R ELATION : S CENE OF F AMILIALITY | 173 Denkfigur Relation: »the novel is history« | 175 Transatlantic Flirtation | 181

Unheimlich: Doppelgänger, Stellvertretung | 181 Schauplatz: Fort/Da – Theaterraum, Echo-Raum | 196 Nouvelle who? Hilda und Julie – Innocent a priori! | 209 Impossible Separation: The Golden Bowl | 231

Marriage Plot | 231 Marriage: Schöpfung und Entdeckung | 233 Making a Difference | 240 Criticism: In dieser Welt | 246 S EPARATION : S CENE OF K NOWLEDGE | 259 Denkfigur Separation: Theater und Kritik | 261 Diss(id)ente Perspektiven | 265

Bilderkrankheit | 265 Familien/Bild | 272 Brechts Verfremdung, Artauds Double | 276 (Aus-)Tausch/obligations: What Maisie Knew | 289

Maisies Familie, James’ Ödipus | 289 Kindheit: Inzest, Austausch | 300 Schulden: What Maisie knew | 308 »Schluss mit dem Gericht« | 320 Schluss: Andere Szene | 325 Literatur | 345

Dank

Auch wenn das Schreiben eine zuweilen und notwendigerweise einsame Tätigkeit ist, geschah diese in meinem Fall nicht ohne die Unterstützung und das Vertrauen anderer. Herzlich bedanken dafür möchte ich mich bei meinen Betreuern Prof. Dr. em. Anselm Haverkamp und Prof. Dr. Andrea Allerkamp sowie bei Prof. Dr. Günther Heeg; bei den Mitgliedern der Promotionskommission, bei meinen KollegInnen am Lehrstuhl für Westeuropäische Literaturen und an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder); bei meinen MitstreiterInnen im DFG-Graduiertenkolleg »Lebensformen und Lebenswissen« und bei den Mitgliedern der Forschungskolloquien von Prof. Dr. Andrea Allerkamp an der Europa-Universität Viadrina und von Prof. Dr. Günther Heeg am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig. Für materielle Unterstützung danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Europa-Universität Viadrina; für kritische Nachfragen und konstruktive Diskussion all jenen, die diesen Prozess mit mir durchlebt haben – namentlich Carolin Blumenberg, Carolin Bohn, Micha Braun, Veronika Darian, Alexandra Heimes, Dirk Mende, Barbara Natalie Nagel, Matthias Preuß, Sebastian Schönbeck, Kathrin Thiele, Dirk Quadflieg und Erica Weitzman. Für ihr freundschaftliches und kluges Zutun danke ich ganz besonders Jeanne Bindernagel, Melanie Sehgal und Pablo Valdivia Orozco und nicht zuletzt für ihr gründliches Lektorat Daniela Voss. Von Herzen natürlich danke ich meinen Eltern für jedwede Förderung und für ihr bedingungsloses Vertrauen in mein Tun; und Antonia für geteiltes Denken und Schwesterlichkeit. Während des gesamten Projekts dabei war auch Noé, der mich hartnäckig nach meinem Buch gefragt und an die Bilder erinnert hat; und Joséphine kam rechtzeitig, den Abschluss zu beschleunigen. Für seine liebevolle Zugewandtheit, den lebendigen Ausgleich und seine Geduld danke ich von ganzem Herzen Matyas. Meiner Familie in Liebe ist dieses Buch gewidmet!

Einleitung »Die Frage der literarischen Gattung ist keine formale Frage: sie verschränkt sich mit dem Motiv des Gesetzes überhaupt, dem Motiv der Generation im natürlichen und symbolischen Sinn, des Generationsunterschieds, der sexuellen Differenz zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht (genre) […].« JACQUES DERRIDA / »DAS GESETZ DER GATTUNG«

R OMANTHEORIE UND G ATTUNGSMOTIV : H ENRY J AMES ’ › SCENIC METHOD ‹ »I realise – none too soon – that the scenic method is my absolute, my imperative, my only salvation«1, verzeichnet Henry James (1843–1916) über seinen Roman What Maisie Knew (1897). Dieses leidenschaftliche Bekenntnis zum Szenischen und dessen liaisons dangereuses mit dem modernen Roman sind Aufhänger dieses Buches. Dass die Romane des US-amerikanisch-britischen Romanciers und Kritikers die avancierteste Form einer szenischen Darstellung ausmachen, ist soweit Forschungskonsens und wurde von James selbst immer wieder betont.2 Doch worum geht es dabei? Nach dem Einsatz dieses Dramatis-

1

Henry James, The Complete Notebooks of Henry James, hg. von Leon Edel (New York: Oxford University Press, 1987), S. 167. [Hier und im Folgenden, wenn nicht anders angegeben, Hervorhebung im Original].

2

Für eine umfassende Bibliografie zu James siehe das Literaturverzeichnis dieses Buches. Im weiten Feld der Henry James Studies gibt es vor allem drei Monografien, die sich im engeren Sinn mit Theatralität auseinandersetzen und die hier von

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mus des Romans und nach der darin implizierten und verkomplizierten Dimension des Schauplatzes fragen die folgenden Lektüren. Ausgangspunkt war dabei die Beobachtung, dass es im Hinblick auf die kritischen Texte und die Romane selbst einen Bedarf an romantheoretischer Reflexion gibt und dass damit eine Theorie des Romans generiert wird, die in keinem der gängigen Zugriffe und Narrative des Romantheoretischen aufgeht: James’ Romantheorie ist nicht Entwicklungsgeschichte, nicht rein formalistische Theorie, nicht Theorie der Wirklichkeit oder der Moderne, nicht Anthropologie. Die hier vorliegende komparatistische Untersuchung liest die szenische Darstellung als Kristallisationspunkt einer mit dem späten 18. Jahrhundert einsetzenden Romangeschichte und -theorie, in der die theatrale Szene als Schauplatz der Konstituierung des Romanesken fungiert, als dessen instabile Gründungs-Szene. Inwiefern problematisiert dieses szenische Moment die Logik und den Status der geschichtlichen und theoretischen Fundierung des Romans? Denn nicht nur als Szene der Konstituierung erweist sich James’ Methode, sondern gleichzeitig als reflexives Moment, so dass der Romangattung eine für sie konstitutive und zugleich reflexive Theatralisierung zukommt. Gemeint ist damit nicht einfach eine Gattungsmischung, sondern eine theatrale Gattungsüberschreitung, eine dem modernen Roman eigene Reflexion auf die natürliche und symbolische Dimension der Gattung, die einen neuartigen – und genuin kulturwissenschaftlichen – Typus von Theorie und Wissen generiert. Die Einsatzstelle der szenischen Methode wird hier im späten 18. Jahrhundert verortet: innerhalb der ›theoretischen Erfindung‹ des Romans. Gemeint ist damit zum einen, dass Romantheorie als eigenständige Gattung erst im 17. und 18. Jahrhundert entsteht und sich damit ungleichzeitig zur Geschichte des Romans verhält. ›Roman‹ oder lingua romana sind zwar seit dem 13. Jahrhundert im Deutschen und der Romania gebräuchliche Bezeichnungen – und Abwertungen – für die Dichtung in der jeweiligen Volkssprache; Gegenstand der kritischen Betrachtung innerhalb einer theoretischen Gattung, die sich als Romantheorie versteht, wird er jedoch erst im 17. bzw. 18. Jahrhundert: mit Pierre Daniel Huets Traité de l’origine des romans (1670) bzw. Friedrich von

Bedeutung sind. Jedoch setzt sich die vorliegende Untersuchung auch von deren Begriff der Theatralität ab, wie noch zu sehen sein wird. Peter Brooks, The Melodramatic Imagination. Balzac, Henry James, Melodrama, and the Mode of Excess (New York: Columbia University Press, 1985); Joseph Litvak, Caught in the Act: Theatricality in the Nineteenth-Century English Novel (Berkeley: University of California Press, 1992); David Kurnick, Empty Houses: Theatrical Failure and the Novel (Princeton: Princeton University Press, 2012).

E INLEITUNG

| 13

Blanckenburgs Versuch über den Roman (1774). Und während im englischsprachigen Raum seit Daniel Defoe, Samuel Richardson und Henry Fielding zwar Romane geschrieben werden und die Autoren selbst sich auch von der Vorläufer-Gattung der romance abgrenzen, gilt erst Henry James’ »The Art of Fiction« (1884) als derjenige Text, der den Roman zum Gegenstand theoretischer Reflexion macht.3 Zwischen Roman und Theorie besteht damit eine Ungleichzeitigkeit: Während es Romane vor deren expliziter und programmatischer Theoretisierung gibt, gibt es sie seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr ohne Theorie.4 Gleichzeitig aber ist Romantheorie seit dem 18. Jahrhundert zwar ein vielfach bedachtes und diskutiertes, dabei aber unbestimmtes Phänomen. Denn zum einen fällt der Roman als literarische Gattung aus dem Rahmen der antiken Poetiken und Dichtungslehren des Mittelalters und der Renaissance, in denen er jeweils nicht vorkommt, zum anderen wird er seit dem 17. und 18. Jahrhundert selbst zum Ort seiner theoretischen, d.h. selbstreflexiven Verhandlung.5 Das heißt, dass der moderne Roman »als Gegenstand nur und sofort im Bereich einer Theorie [existiert]. Roman und Theorie sind Verbündete und Aneinandergekettete.«6 Das Verhältnis von Roman zur Theorie ist dabei durch die ›Neuheit‹ herausgefordert, die der englische Terminus novel und der spanische novela noch konzeptuell mitführen.7 Neuheit heißt, dass sich der Roman nicht einfach als eine Unterform des Epischen klassifizieren lässt, sondern, wie Rüdiger Campe festhält, eine Wende im Wissen der Literatur darstellt: »die Wende von den alt-

3

Vgl. Ian P. Watt, The Rise of the Novel (London: Chatto & Windus, 1957), S. 9f. Vgl. Leslie A. Fiedler, Love and Death in the American Novel, überarb. Aufl. (Illinois: Dalkey Archive Press, 1997), S. 41; Henry James, »The Art of Fiction«, in: ders., Literary Criticism: Essays on Literature, American Writers, English Writers, hg. von Leon Edel, Bd. 1, 2 Bde. (New York: Literary Classics of the United States, 1984), S. 44–65.

4

Vgl. zur »Angewiesenheit« des modernen Romans auf Theorie: Rüdiger Campe, »Form und Leben in der Theorie des Romans«, in: Armen Avanessian u.a. (Hg.), Vita Aesthetica. Szenarien ästhetischer Lebendigkeit (Zürich: diaphanes, 2009), S. 193–211, hier S. 193.

5

Vgl. zum selbstreflexiven Moment der Literatur: Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, 20. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008), S. 359ff.

6

Campe, »Theorie des Romans«, S. 195.

7

Vgl. zur Novität des modernen Romans: Walter L. Reed, »The Problem with a Poetics of the Novel«, in: NOVEL: A Forum on Fiction 9, Nr. 2 (Winter 1976), S. 101– 113, hier S. 103.

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europäischen artes und ihren rhetorischen schemata und poetologischen Formtypen, zu denen der Roman nicht zählte, zur Form der Literatur, die paradigmatisch Roman ist.«8 Theorie reagiert auf diesen neuen und unfundierten Status des Romans und stellt eine Weise der Theoretisierung dar, die sich von den Gattungslehren kategorisch unterscheidet. Wenn der moderne Roman als theoretische Erfindung des späten 18. Jahrhunderts bezeichnet werden kann, dann im Sinne der Konstituierung einer theoretischen Notwendigkeit, in der zugleich das Verhältnis von Konstitution und Reflexion zur Debatte steht. Denn die romantheoretische Reflexion produziert im Verhältnis zum Gegenstand einen theoretischen Überschuss. Statt sich von der gesicherten Warte kritischer Sprache auf ihren Gegenstand beziehen zu können, ist das Verhältnis von Romantheorie als einer theoretischen Reflexion und Roman als deren Gegenstand inkongruent, aber produktiv. Etwa Hundert Jahre später markiert der Fiktionsbegriff in James’ »The Art of Fiction« – im Sinne der fictions – diesen inkongruent-produktiven Bedarf an Theorie. Gemeint ist damit zweierlei: Der Roman scheint einen bestimmten Theoriebedarf zu haben – der Theorie zu bedürfen – und damit eine (selbst)-reflexive Dimension zu generieren, die ihren Schauplatz sowohl im Roman als auch außerhalb des Romans finden kann. Zweitens scheint der Roman Theorie zu artikulieren (zu geben), die als fiction mehr oder anderes ist als Poetik oder Norm des Literarischen: Romantheorie ist so nicht einfach Theorie einer literarischen Form, sondern geht immer über diese hinaus, tritt als Theorie des Lebens, der Geschichte, der Welt etc. auf. Die »Denkbarkeit der Roman-Theorie«9 ist damit nicht selbstverständlich gegeben, sondern Roman und/als Theorie reflektieren seit dem späten 18. Jahrhundert – und mit Henry James als einem vorläufigen Höhepunkt – auf die Verfahren und Methoden historischer Genese und systematischer Verortung. Romantheorie verändert die Logiken der (Be-)Gründung und damit den Schauplatz der Theorie. James’ Theorie verwirklicht gerade in der Verweigerung eines absteckbaren theoretischen Standpunkts und Diskurses eine (Meta-)Theorie der Theorie und des Geschichtsdenkens des modernen Romans. In James’ Texten wird deutlich, was Wolfgang Iser am Beispiel von James’ »The Figure in the Carpet« (1896) auf den Punkt bringt: »fiktionale Texte [antworten] zeitgenössischen Situationen, indem sie etwas hervortreiben, das von den geltenden Normen zwar bedingt ist, zugleich aber von ihnen nicht mehr gefasst werden

8

Campe, »Theorie des Romans«, S. 194.

9

Ebd., S. 196.

E INLEITUNG

| 15

kann.«10 Das bedeutet zum einen eine Nachträglichkeit innerhalb der Verlaufsform der Geschichte, die sich nicht einfach als zeitliches Danach, sondern als konstitutive Ungleichzeitigkeit, Anti-Linearität, Anti-Kausalität und generelle Inkongruenz von Ereignis und Wirkung manifestiert. Zum anderen ist mit der konstituierenden und zugleich fehlgehenden Dimension des Normativen eine für James’ Denken signifikante Dimension des Theoretischen angesprochen, die, so die hier entwickelte These, in Sigmund Freuds Psychoanalyse freigelegt wird: Denn Kern von Freuds revolutionärer ›Erfindung‹ des Unbewussten ist vor allem ein der Erkenntnis entzogener und entgegenstehender motivierender Grund, der dennoch ein Wissen generiert, wenn auch eines, das ›nicht weiß, dass es weiß‹11. Freud fasst diese Inkongruenz in Begriffen des Szenischen: Während die Urszene den Bedarf an quasi-geschichtlicher Fundierung und theoretischer Begründung markiert, ist es der andere Schauplatz des Unbewussten, der das Streben nach Begründung und Evidenz stets einer Bewegung der Versetzung aussetzt. Im Anschluss an Freud nennt Jacques Lacan die radikale Inkongruenz von Ereignis und Reflexion die »Dimension des Schauplatzes«: Sie ist durch die »Abspaltung von dem Ort […], an dem der Zuschauer ist«, gekennzeichnet und impliziert eine »radikale Unterscheidung zwischen der Welt und diesem Ort, an dem die Dinge, und wären es die Dinge der Welt, dazu gelangen, gesagt zu werden«.12 Diese »Dimension des Schauplatzes« verändert zwangsläufig den Status und Aggregatzustand von Theorie, in der sich diejenigen disjunktiven und dysfunktionalen Momente niederschlagen, von denen das Unbewusste zeugt: als Entzug von Deskription und Metasprache und als eine genuine Versetzung von Gegenstand und Reflexion.13 Romantheorie als jene meta-theoretische Reflexion auf den unsicheren theoretischen Status und Begründungszusammenhang darzustellen, ist das Anliegen des ersten Kapitels dieses Buches. Romantheorie eignet ein konstitutives SchiefGehen: in Georg Wilhelm Friedrich Hegels Prosa als Anti-Synthese schlechthin,

10

Wolfgang Iser, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, 2. Aufl. (München: UTB, 1983), S. 12.

11

Vgl. Lacans Definition des Unbewussten als »a knowledge that does not allow one to know one knows« (unveröffentlichter Vortrag, 19. Februar 1974); zitiert nach Shoshana Felman, The Literary Speech Act. Don Juan with J.L. Austin, or Seduction in Two Languages (Ithaca: Cornell University Press, 1983), S. 96 (Fußnote 23).

12

Jacques Lacan, Das Seminar. Buch X. Die Angst: 1962–1963, hg. von Jacques-Alain

13

Vgl. Jean Starobinski, Psychoanalyse und Literatur (Frankfurt am Main: Suhrkamp,

Miller (Wien: Turia + Kant, 2010), S. 48. 1990), S. 101.

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als Ausfall der dialektischen Methode und der in dieser gründenden Gattungsabfolge; als Störung der plot-Formung und der Fundierung in den Kategorien des Ursprünglichen bei Georg Lukács und in Franco Morettis Lektüren des Goethe’schen Bildungsromans; bei Friedrich von Blanckenburg als Ausfall der theoretischen Übersicht, als Reflexion auf den fehlenden oder unsicheren »Gesichtspunkt«, als Fehlgehen der Vermittlung zwischen Einzelfall und Allgemeinem, Ereignis und Struktur sowie als Markierung einer performativen Dimension der theoretischen Sprache; und schließlich bei Johann Wolfgang von Goethe als gespenstische Inkongruenz von Konstituierung und Reflexion, als Schief-Gehen von (Be-)Gründung und Überschreitung. Es ist diese Meta-Reflexion des Romantheoretischen, die sich am Theatertopos artikuliert: Anders als Jürgen Habermas’ Rekonstruktion eines »Strukturwandels der Öffentlichkeit« im späten 18. Jahrhundert behauptet, erweist sich der Theaterdiskurs nicht als überholt, und noch viel weniger als bloße Markierung eines ausgedienten Repräsentationsbegriffs. Privateigentum, bürgerliche Familie mit ihren patriarchalen Strukturen und ihrer Privat- und Intimsphäre, Subjektivität, individuelle Autonomie und kulturelle Literarizität sind die Konzepte, anhand derer sich die ›Erfindung‹ des Privaten und ein privatisierter Öffentlichkeitsbegriff bei Habermas formieren. Habermas entwickelt den Begriff der bürgerlichen Öffentlichkeit mit Blick auf Goethes Wilhelm Meisters Theatralische Sendung (entst. 1777–1785; Erstdruck 1911) als Negativfolie. So wie sich der Strukturwandel bei Habermas als eine Abkehr – oder Verdrängung – vom Darstellen, Rollenspielen und Verkörpern – als Abkehr vom Schein – lesen lässt, so wird dem in diesem Strukturwandel implizierten modernen Roman ein anti-mediales Moment zugeschrieben: Nicht nur handelt der Roman von dem Privaten und dem Verfall des Öffentlichen, sondern es wird ihm auch hinsichtlich seiner eigenen Medialität dieser Strukturwandel attestiert. Wenn sich dieser Wandel aber darin artikuliert, dass im Unterschied zu dem am InnerlichAuthentischen ausgerichteten bürgerlichen Konzept der Privatperson der öffentlich-feudale Edelmann ein Schauspieler ist und eine Rolle verkörpert, lässt sich daran ex negativo herausstellen, dass das Szenisch-Theatrale die mediale Dimension des romanesken Textes markiert und ausstellt. Besonders in der Lektüre von Blanckenburgs Versuch über den Roman und Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) erweist sich der Dramatismus des Romans als Reflexion dieser medialen Frage (Kapitel I); er artikuliert das Begehren nach einer dem Theater zugeschriebenen Simultaneität und Ko-Präsenz und fungiert damit zugleich und ex negativo als die Reflexion des Romans auf die Momente seiner schief-gehenden theoretischen Fundierung.

E INLEITUNG

| 17

Ausgehend von James’ szenischer Darstellung wird somit die Störung dieser gängigen Erzählung vom Verlust der theatralen Öffentlichkeit und der Herausbildung einer Sphäre des Bürgerlichen, die das psychologische Subjekt in seiner Privatheit in den Fokus rückt und paradigmatisch im Medium des modernen Romans artikuliert sein soll, ersichtlich; Störung mithin jener Lesart des modernen Romans als Teil der Säkularisierung im 18. Jahrhundert, in der die Theozentrik Gottes in die Autonomie und Rationalität des modernen Subjekts übersetzt wird: Moderne Autorschaft im Roman habe Anteil an der Selbstverständigung des Subjekts, die den Roman seit dem 18. Jahrhundert zum Erscheinungsraum »publikumbezogene[r] Privatheit« im Rahmen bürgerlicher Öffentlichkeit mache, so Habermas.14 Die ideologische Prämisse dieses Romanbegriffs besteht in der Annahme, die realistische Darstellung der Lebenswirklichkeit und Psychologie des modernen Subjekts fördere die Selbsterfahrung oder funktioniere im Roman und für den Leser als Selbstentdeckung in der Fremdentdeckung.15 Die Erzählung von dem mit dem späten 18. Jahrhundert einsetzenden Verfall der

14

Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 10. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006), S. 107ff.

15

Diese Linie findet ihren frühesten Vertreter innerhalb der französischen Romantheorie in Pierre Daniel Huets Traité de l’origine des romans (1670) und lässt sich bis ins 20. Jahrhundert nachzeichnen: Vgl. Pierre Daniel Huet, Traité de l’origine des romans, mit einem Nachwort von Hans Hinterhäuser; französischer und deutscher Faksimiledruck nach der Erstausgabe von 1670 und der Happelschen Übersetzung von 1682 (Stuttgart: Metzler, 1966). Für den germanistischen Kontext der Romantheorie vom 18. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts stellt Gerhart von Graevenitz das im »Zentrum der Romanpoetik stehende, übrigens ganz natürliche und selbstverständliche Interesse am Subjekt« heraus, so dass sich »[d]ie Setzung des Subjekts« als »allgemeinste Formel« der Romantheorie erweist. Gerhart von Graevenitz, Die Setzung des Subjekts. Untersuchungen zur Romantheorie (Tübingen: Niemeyer, 1973), S. 9 bzw. S. vii. Für den englischen Kontext kann exemplarisch Ian Watts Studie The Rise of the Novel (1957) genannt werden, die in Abgrenzung von den formalistischen Prämissen des New Criticism Romantheorie zum Anlass und Gegenstand nimmt, eine Geschichte der bürgerlichen Öffentlichkeit zu schreiben. Vgl. Ian P. Watt, The Rise of the Novel: Studies in Defoe, Richardson and Fielding, 2. Aufl. (Berkeley; Los Angeles: University of California Press, 2001), S. 206. Vgl. zur kritischen Lektüre dieser Prämissen Barbara Vinken, Unentrinnbare Neugierde. Die Weltverfallenheit des Romans. Richardsons Clarissa, Laclos’ Liaisons dangereuses (Freiburg: Rombach, 1991), bes. S. 9–27.

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theatralen Öffentlichkeit und dem Rückzug ins Private geht als Theorie des Romans einher mit der Festlegung der Romanform auf das Biografische, das Wilhelm Dilthey in seiner Goethe-Lektüre entfaltet,16 das sich als locus classicus bis ins 20. Jahrhundert fortsetzt17 und somit zum Paradigma des europäischen Romans gemacht wird.18 Der familiale oikos wird in dieser Lesart der Theorie des Romans zum Schauplatz des Subjektiven, des Privaten und des Biografischen19 – mithin zur Metapher für jene Darstellungsweise des Romans, in der »domestic life« und »private experience« aufeinander projizierbar werden.20 Diesen Aspekt der ›Privatisierung‹ unterstreicht auch Leslie Fiedler in seiner Lektüre der angloamerikanischen Literaturgeschichte, in der der Roman als ›Privatisierung‹ und ›Verinnerlichung‹ der medialen Anordnungen und Rezeptionsmodi gelesen wird: »The process that had begun with the move into an indoor, darkened theater reached its climax in the novel, that private theater in the innermost darkness of the individual mind.«21 Doch ausgehend von der Resistenz der theatralen Szene kommt auch dem familialen Schauplatz nicht nur jene Funktion der Privatisierung zu: Vielmehr, folgt man Jacques Derridas Feststellung, ist mit »dem Motiv der Generation im natürlichen und symbolischen Sinn, des Generationsunterschieds, der sexuellen Differenz zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht (genre)«22 die Dimension der Gattung verschränkt. Vor diesem Hintergrund untersucht meine

16

Vgl. Wilhelm Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing – Goethe – Novalis – Hölderlin. Vier Aufsätze (Leipzig: B.G. Teuber, 1906).

17

Exemplarisch können genannt werden: Clemens Lugowski, Die Form der Individualität im Roman, Nachdr. der Erstausgabe von 1932 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976); James Paul Hunter, The Reluctant Pilgrim: Defoe’s Emblematic Method and Quest for Form in »Robinson Crusoe« (Baltimore: Hopkins Press, 1966); John Joseph Richetti, Defoe’s Narratives: Situations and Structures (Oxford: Clarendon Press, 1975); Graevenitz, Setzung des Subjekts.

18

Vgl. Franco Moretti, The Way of the World: The Bildungsroman in European Culture, Neuaufl. (London: Verso, 2000); vgl. zur Kritik an der Reduktion des Lebensbegriffs auf das Biografische Campe, »Theorie des Romans«.

19

Vgl. Moretti, Bildungsroman; vgl. für den Viktorianischen Roman Charles Hatten, The End of Domesticity: Alienation from the Family in Dickens, Eliot, and James (Newark: University of Delaware Press, 2010).

20

Vgl. Watt, The Rise of the Novel, bes. S. 175.

21

Fiedler, American Novel, S. 44.

22

Jacques Derrida, »Das Gesetz der Gattung«, in: ders., Gestade (Wien: Passagen Verlag, 1994), S. 245–283, hier S. 273.

E INLEITUNG

| 19

Studie die Szene des Romans als die Frage nach der (literarischen) Gattung des Romans/im Roman und bestimmt den Zusammenhang zwischen Theater- und Familienszene aus diesem Motiv der Gattung. Die Überlegungen gehen dabei von der Feststellung Derridas aus, wonach »[d]ie Frage der literarischen Gattung […] keine formale Frage [ist]«23. Vielmehr wird in ihr der Status der geschichtlichen und theoretischen Fundierung verhandelt: In dem »Motiv der Generation im natürlichen und symbolischen Sinn« ist eine quasi-geschichtstheoretische Dimension artikuliert, in der es um Genealogie, Abfolge, Erbschaft, Herkunft geht. In synchroner Perspektive impliziert das »Motiv […] des Generationsunterschieds, der sexuellen Differenz zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht« die Operationen der Taxonomie, der Differenzierung und Identifizierung, der Systematisierung und Theoretisierung.24 Einen Zusammenhang zwischen der Theorie des Romans und der Frage nach dem Ursprung (origine) knüpft bereits Huets Traité de l’origine des romans und eröffnet somit eine diachrone Perspektive und die Frage der Genealogie, die für die nachfolgende Diskussion von Bedeutung sein wird. Dabei geht es um deutlich mehr als um den Anspruch auf historische Rekonstruktion einer Entstehungsgeschichte: Der Roman ist nicht nur das sich queer zu Gattung und Poetik verhaltende literarische Phänomen ohne klare Form und kategoriellen Status;25 insbesondere die Frage nach seinem (un-)rechtmäßigen Ursprung beschäftigt die Diskussion und wird anhand der Topoi der Unform und Unmoralität verhandelt: Der Roman gilt als Kind unbestimmter Herkunft und zweifelhafter Legitimität.26

23

Ebd.

24

Vgl. auch Sigrid Weigel u.a. (Hg.), Generation: Zur Genealogie des Konzepts – Konzepte von Genealogie (München: Fink, 2005), S. 7.

25

Vgl. Claudio Guillén, »Literature as System. Essays toward the Theory of Literary History«, in: Michael McKeon (Hg.), Theory of the Novel: a Historical Approach (Baltimore; London: The Johns Hopkins University Press, 2000), S. 34–50, hier S. 45; vgl. auch Reed, »The Problem with a Poetics of the Novel«, S. 102.

26

Die ›Bastardisierung‹ geht dabei vielfach von den Autoren selbst aus, die sich von den Romanen, die sie schreiben, auf vielfältige und phantasievolle Weise zu distanzieren wissen, wie der Vater, der den ›Bastard‹ nicht anerkennt. Seit Miguel de Cervantes’ Don Quijote de la Mancha (1605 /1615) sind Autorschaft und – prekäre – Vaterschaft verbunden, indem etwa Don Quijote als Stiefsohn des Herausgebers ausgewiesen wird. Miguel de Cervantes, El Ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha, Bd. 1 (Madrid: Cátedra, 2005), S. 95ff. Im 18. Jahrhundert manifestiert sich diese Geste der Distanzierung in den Vorworten fiktiver Herausgeber, welche die folgende Geschichte als wahre von der Lügenhaftigkeit romanesker Autorschaft

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Seitdem sind die Legitimität des Romans und die Logik seiner (Be-)Gründung bestimmende Themen. Diese geschichtstheoretische Dimension des Gattungsbegriffs des Romans figuriert für das späte 18. Jahrhundert innerhalb derjenigen diskursiv-methodologischen Problemstellung, die aus einer wissens- und disziplinengeschichtlichen Perspektive als Übergang von naturgeschichtlichen zu entwicklungsgeschichtlichen Modellen beschrieben werden kann, als Erfindung der Wissensform Geschichte als Entwicklungs- und Fortschrittsgeschichte und als Ablösung von naturgeschichtlichen Modellen der Gleichzeitigkeit und horizontalen Klassifikation.27 Statt der von Arthur Lovejoy untersuchten »Kette der Wesen«28, in der das Prinzip der Übergänge zwischen den verschiedenen Wesen ein quasi-räumliches Modell der Taxonomie vorstellt, basiert der wissensgeschichtliche Wandel auf der Verzeitlichung, die das quasi-räumliche Prinzip der Klassifizierung der Lebewesen in Arten und Gattungen ablöst und hinsichtlich der Frage nach dem Leben und der Ordnung des Lebendigen evolutionsgeschichtliche Modelle auf den Plan ruft, d.h. neue Gründungs- und Begründungslogiken und andere Weisen der Taxonomie – Logiken der Identität und der Differenz sowie Strategien für deren Ordnung. Entsprechend verhandelt die Romantheorie das auf die Frage nach dem Ursprung bezogene Gattungsproblem des Romans und begibt sich damit in eine geschichtstheoretische Perspektive, die nach dem Verhältnis von Verzeitlichung und klassifikatorisch-räumlicher Anordnung fragt. Im 18. Jahrhundert verbinden sich das Motiv einer produktiv sich erzeugenden und fortpflanzenden Natur und die ästhetische Idee der Vermischung der Gattungen im Denken Denis Diderots. Wie Elisabeth de Fontenaye zeigt, denkt Diderot die Natur als einen »›mécanisme extraordinaire et secret‹ d’une nature dont toutes les productions et les métamorphoses se résument peut-être à une seul acte qui ni finit pas«29. Natur imaginiert Diderot als »femme qui aime à se

abgrenzen und sich von der Urheberschaft des Texts distanzieren; so etwa in Daniel Defoes The Life and Adventures of Robinson Crusoe (1719), in Henry Fieldings The History of Tom Jones, a Foundling (1749) oder auch in Jean-Jacques Rousseaus Julie ou la Nouvelle Héloïse (1761). 27

Vgl. Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts (München: Carl Hanser, 1976).

28

Arthur O. Lovejoy, The Great Chain of Being: A Study of the History of an Idea

29

Elisabeth de Fontenay, Diderot ou le matérialisme enchanté (Paris: Grasset, 1973),

(Cambridge: Harvard University Press, 1936). S. 20.

E INLEITUNG

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travestir« und als »universelle copulation«.30 Dieses erzeugend-metamorphotische Prinzip verbindet Fontenaye in ihrer Lektüre mit Diderots »pratique excentrique et corrosive de l’alternance et du mélange des genres«31. Hier wird das Bedeutungsspektrum des Gattungsbegriffs signifikant erweitert: Zu dem auf das griechische genos zurückgehenden Begriffsarsenal ›Gattung‹, ›Geschlecht‹, ›Abstammung‹ kommt die Semantik der lateinischen generatio und griechischen genesis hinzu, die mit ›Schöpfung‹, ›Entstehung‹ und ›Zeugung‹ zu tun hat.32 Wenn mit dem Motiv der Gattung der Schauplatz einer Theorie des Romans benannt ist, dann hat das mit dieser Bewegung der Erzeugung – engendrement – zu tun, die Derrida als La loi du genre/The Law of Genre (1980) im Begriff der Gattung verortet. Mit dem Gesetz der Gattung ist der Aggregatzustand einer Theorie bezeichnet, die sich im Verhältnis zu ihrem Gegenstand nicht auf das Terrain des Deskriptiven, Konstativen, Neutralen zurückzuziehen vermag. Das Gesetzliche am Gesetz der Gattung ist die performative Hervorbringung des Gegenstandes und der Rede von diesem im Akt der Setzung. Dieses performative Moment aber infiltriert »im Herzen des Gesetzes selbst ein Gesetz der Unreinheit oder ein Prinzip der Kontamination«, ein »Gegen-Gesetz«, das als ›Anderes‹ ein »Unmöglichkeitsaxiom« ausmacht.33 Wenn sich dabei, wie Derrida schreibt, das Motiv der literarischen Gattung mit dem Motiv der »sexuellen Differenz zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht (genre), des Hymens zwischen beiden, dem Motiv einer beziehungslosen Beziehung zwischen beiden, einer Identität und einer Differenz zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen«34 verschränkt, dann spielt in den synchronen Operationen der Klassifizierung nicht nur das Moment der Identität und der Identifizierung eine Rolle, sondern auch dasjenige des Unterschieds und der Differenz. Anhand des Kurzschlusses zwischen den beiden im Französischen mit genre benannten Kategorien Gattung und Geschlecht lässt sich erahnen, dass es sich in der Taxonomie nicht um Differenzierungen handelt, die stabile Unterschiede generieren, die innerhalb oder zwischen Gattungen auftreten können. In der Figur der ›Identität und Differenz‹ ist nicht einfach ein Hybrides gedacht, das Verschiedenes mischt oder kreuzt und das gerne für die (unklare) Gattung

30

Zitiert nach ebd.

31

Ebd., S. 18.

32

Vgl. Ohad Parnes, Ulrike Vedder und Stefan Willer, Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008), S. 21–40.

33

Derrida, »Das Gesetz der Gattung«, S. 250.

34

Ebd., S. 273.

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des Romans bemüht wird;35 vielmehr geht es darin um eine inhärente Alterität, ein Anderes der Identität innerhalb des Konzepts der Gattung, der Geschichte und der Theorie. Dieser Status des Anderen und der Einsatz des Gattungsmotivs lassen sich exemplarisch an der Aufwertung des Romans und seiner Theorie in der Frühromantik herausstellen. Deren Motivation, nämlich »den Roman zu dem Ausdruck ihrer geistigen Gesinnung zu erheben«, ist dabei nicht darauf reduzierbar, dass das »Chaotische« der Romanform der romantischen Affinität für das »Anormative« entgegenkommt.36 Vielmehr begründen Friedrich Schlegels Brief über den Roman (1800) und dessen Postulat, »ein Roman ist ein romantisches Buch«, den theoretischen Erscheinungsraum der sich artikulierenden Theorie des Romans.37 ›Romantisch‹ ist daran eine anders- und neuartige Problemstellung im Begriff der Theorie. Schlegel wendet sich ob der scheinbaren Nichtgegebenheit des Romans als Gattung den kleinen Formen wie Novelle und Märchen zu. Aus deren gegebener Form soll der Formprozess des Romans ableitbar werden. Während Gattung urbildhaft den Konfigurationsgrund literarischer Formwerdung bildet, kompensiert die Theorie des Romans die Gattungs- und Urbildlosigkeit des Romans, indem sie sich als Theorie auf etwas Nichtgegebenes und zu Formendes bezieht.38 Dieses oblique Verhältnis zwischen dem Empirischen und dem Spekulativen formuliert Schlegel als Figur des Fremden, die er in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre als Theaterfigur findet.39 Diese markiert dabei nicht die andere Gattung, sondern das Andere/Fremde im Roman als seine Theorie, über die

35

Vgl. exemplarisch Ulrich Johannes Beil, Die hybride Gattung. Poesie und Prosa im europäischen Roman von Heliodor bis Goethe (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2010).

36

Zu dieser Lesart vgl. Bruno Hillebrand, »Romantheorie in Deutschland. Die Dichter deuten die Welt«, in: ders., Was denn ist Kunst? Essays zur Dichtung im Zeitalter des Individualismus (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001), S. 171–201, hier S. 179.

37

Erstdruck in Athenäum, einer Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, 3. Bd., 1. Stück (Berlin: Frölich, 1800), S. 112–128; Friedrich von Schlegel, »Brief über den Roman«, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler, Hans Eichner und Jean-Jacques Anstett, Bd. 2 (München u.a.: F. Schöningh, 1967), S. 329–339, hier S. 335.

38

Vgl. Campe, »Theorie des Romans«, S. 198.

39

Vgl. Friedrich von Schlegel, »Über Goethes Meister«, in: Kritische FriedrichSchlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler, Hans Eichner und Jean-Jacques Anstett, Bd. 2 (München u.a.: F. Schöningh, 1967), S. 126–147, hier S. 126.

E INLEITUNG

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er nicht restlos verfügt. Denn der Fremde ist »das Moment im Text, das zugleich außerhalb des Texts steht; ein Element, das seinen Sinn im Zusammenhang des Texts dadurch erhält, dass es nicht in ihm enthalten ist«40. Diesen Einsatz des ›romantischen‹ Fremden für die (Un-)Abschließbarkeit der Romanform benennen Jean-Luc Nancy und Philippe Lacoue-Labarthe in ihrer einschlägigen Studie L’Absolu littéraire. Théorie de la littérature du romantisme allemand (1978) als das »literarische Absolute«.41 Den modernen Roman im Verhältnis zu einem Absoluten oder Totalen zu lesen, schlägt bereits Georg Lukács’ Theorie des Romans (1914/16) mit Rückgriff auf G.W.F. Hegels Vorlesungen über die Ästhetik (1835–1838) und Phänomenologie des Geistes (1807) vor: Der Roman wird hier zur Reflexion auf eine verlorene »Seinstotalität« und ein ursprüngliches – kosmologisches – »Weltzeitalter des Epos«.42 Fruchtbar aber ist, dass die Autoren den Einsatz dieses Absoluten als Theorieproblem des Romans in Anschlag bringen. Aus der Lektüre vor allem der »AthenäumsFragmente« der Jenaer Romantiker entwickeln sie einen Begriff der modernen Literatur, in dem Literatur zugleich die Produktion ihrer eigenen Theorie ist und insofern eine Tendenz zum Absoluten hat. Zu einer vergleichbaren Epochalisierung und These kommt bereits Michel Foucault in »Le langage à l’infini« (1963), die er in Les mots et les choses (1966) aufgreift. Auf das Ende des 18. Jahrhunderts ist »das Erscheinen der Literatur« datiert, entsteht überhaupt erst, »was man in aller Strenge ›Literatur‹ nennen muss«.43 Literatur in diesem strengen Sinn gebraucht eine Sprache, die radikal intransitiv funktioniert, die sich als einen »reinen Akt des Schreibens« und als Form aussagt, wodurch Literatur im Laufe des 19. Jahrhunderts mit der Definition der »›Gattungen‹ als einer Ordnung von Repräsentationen angepaßten Formen« bricht.44 In »Le langage à l’infini« beschreibt Foucault das Denken des »Absoluten« in der und für die Literatur als den Bezug der Sprache zum Tod, »zu jener Grenze, an die sie sich

40

Campe, »Theorie des Romans«, S. 208.

41

Philippe Lacoue-Labarthe und Jean-Luc Nancy, L’Absolu littéraire. Théorie de la

42

Georg Lukács, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch

littérature du romantisme allemand (Paris: Editions du Seuil, 1978). über die Formen der großen Epik (Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2009), S. 12 bzw. S. 22. 43

Foucault, Ordnung der Dinge, S. 365, bzw. Michel Foucault, »Die Sprache, unendlich«, in: ders., Schriften zur Literatur, 2. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008), S. 86–99, hier S. 97.

44

Foucault, Ordnung der Dinge, S. 365f.

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richtet und gegen die sie errichtet wird«45. Sich gegen den Tod stemmend wird Literatur an der Schwelle zum 19. Jahrhundert zum »Gemurmel ohne Ende«, »nach all den anderen, vor all den anderen«. In den »unendlichen Wellenbewegungen« der Literatur, in denen Episode auf Episode folgt, stemmt diese sich beharrlich gegen das Abbrechen des Erzählens.46 Während damit der Theoriebedarf des Romans vorschnell als dessen Bezugnahme auf säkularisierte Geschichte bestimmbar wäre, verkompliziert Foucaults These das Verhältnis und diese Bezugnahme durch das Motiv der Gattung. Denn mit dem Einschluss des biologischen Moments des Todes ist nicht nur ein Krisenmoment des Lebens und der Geschichte, sondern ein Krisenmoment der literarischen Gattung in der Theorie des Romans verankert. Romantheorie und Gattungsbegriff werden so zum Austragungsort einer zuwiderlaufenden internen Differenz. Das heißt zugleich, dass die Frage nach dem Absoluten nur einerseits und nur zum Teil als der Bezug der Poetik auf säkularisierte Geschichte verstehbar ist, in der die verlorene »Seinstotalität« von jenem universalen und synthetischen Moment des romantischen Literaturbegriffs aufgenommen wird. Gleichzeitig zeugt dieses Literaturkonzept auf der Ebene der Texte immer auch und immer schon von der wichtigen Entdeckung eines Anderen in der und als Theorie des Romans. Diesen Aspekt kehrt Roland Barthes hervor, wenn er deutlich macht, dass es sich bei der von Foucault epochalisierten Literatur in besonderem Maße um den modernen Roman handelt, dessen Schreiben das Begehren eignet, »nicht ein anderer zu sein, sondern auf irgendeine Weise anders zu sein; […] ein ANDERES /einen ANDEREN aus mir selbst herauszulösen«47. Dieses Andere innerhalb des Romans und als Theorie des Romans »herauszulösen«, ist das Unternehmen dieses Buches. Dem räumlichen Aspekt der Szene korreliert die sich endlos auf sich selbst zurückbeugende und zum Analogon ihrer selbst werdende romaneske Sprache. Diese Räumlichkeit ist bei Foucault auf die räumliche Konfiguration der klassischen Rhetorik bezogen, in der sich zwei Arten des Sprechens gegenüberstehen: die stumme Vor- oder Urschrift der Ordnung der Rede in der Ordnung der Tropen und den Vorgaben der persuasio und deren Aktualisierung in dem »geschwätzigen« Sprechen, das »nur mehr dieses erste Sprechen zu sprechen [hat], gemäß den Formen, den Spielen und den Überkreuzungen, deren Raum die Entfernung des ersten und unhörbaren Textes

45

Foucault, »Die Sprache, unendlich«, S. 89.

46

Ebd., S. 92 bzw. S. 99 bzw. S. 98.

47

Roland Barthes, Vorbereitung des Romans. Vorlesung am Collège de France 1978– 1979 und 1979–1980, 2. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008), S. 220.

E INLEITUNG

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ausmessen würde«.48 Das Räumliche der Literatur und das »Gemurmel ohne Ende« ersetzen (funktional), was in der Rhetorik das »Sprechen des Unendlichen war, das niemals vergehen würde. Jede rhetorische Figur verriet eine Distanz, indem sie aber auf das erste Wort verwies, verlieh sie dem zweiten ein vorläufiges Gewicht durch die Enthüllung: Dieses Wort zeigte«49. Wird mit dem Roman die Evidenz dieser rhetorischen Anordnung problematisch, formulieren das Gattungs- und Theoriemoment im Roman die Frage nach dem Ursprung, dem »ersten Wort« und nach dem Status des Zeigens: d.h. die Frage nach einer quasigeschichtstheoretischen Dimension, die sich auf den unfundierten Status des Ursprungs bezieht; und die Frage des Zeigens, die nach dem Schauplatz und Aggregatzustand dieser Theorie fragt.

S ZENE

DES

R OMANS : › GENOS ‹

UND › GENESIS ‹

Die Kapitel II–IV dieses Buches befassen sich mit der Szene als dem Ort, an dem sich die diachron-genealogische und die synchron-taxonomische Ebene des Gattungshaften verschränken: das auf das griechische genos zurückgehende Begriffsarsenal ›Geschlecht‹, ›Abstammung‹ und die Semantik der lateinischen generatio und der griechischen genesis, die das generative Moment der ErZeugung und der Differenzierung bezeichnen – mit anderen Worten, ›Geschlecht‹ im genealogischen und ›Geschlecht‹ im generativ-zeugenden Sinn. Die Szene des Romans umfasst somit zwei Ebenen: In ihr sagt sich der Roman als Medialisierung aus – als zeugende Szene der Sprache und ihrer die eigene Setzung überschreitenden Reflexion/Theorie; und als fortwährende, ausgesetzte, dezidiert a-teleologische Szene der (Be-)Gründung und Genealogie. Dass sich dabei die Theaterszene als Familienszene erweist, basiert auf diesem doppelten Gattungskomplex. James’ szenische Methode ist eine präzise Formulierung dieser beiden Fragedimensionen. 1. Anders als die formalistisch orientierten Henry James Studies behaupten, erschöpft sich die szenische Methode nicht in der formalen Neuerung, die sie darstellt: Vielmehr macht die Frage der Form die geschichtliche und die theo-

48

Foucault, »Die Sprache, unendlich«, S. 98.

49

Ebd.; vgl. zum Übergang von Tropologie zu Topologie der Literatur Birgit Mara Kaiser, »Foucault’s Raymond Roussel; or, Why Return to Literature?« (Vortrag gehalten auf der Tagung »Foucault and Literature: The Thinking of Literature According to Foucault«, New York University, 19. März 2009).

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retische Dimension des Romans aus. Die eingangs zitierte Aussage über »the scenic method [as] only salvation« geht folgendermaßen weiter: »The march of an action is the thing for me to, more and more, attach myself to […].«50 Auf Leon Edel geht die Lesart zurück, die »scenic method« als die Verwirklichung des »march of an action«, des Handlungsablaufs, zu verstehen.51 Dieses Prinzip der szenischen Abfolge verzeichnet schon Aristoteles’ Poetik unter dem Begriff des Dramas, dessen wichtigstes Element – mythos – Malcom Heath in jüngerer Übersetzung mit plot wiedergibt: Szene wäre dann das Strukturprinzip des linearen Verlaufs, die Einreihung einzelner Ereignisse in den march of an action.52 Warren Beachs kanonische Studie The Method of Henry James (1918) nimmt diesen Begriff des Dramatischen auf und erklärt James’ literaturwissenschaftliche und literarhistorische Relevanz aus diesen formal-technischen Errungenschaften.53 Beachs Begriff der Methode basiert dabei auf einer kategorischen Unterscheidung zwischen der theoretisch-methodischen Formulierung der formal-technischen Prämissen, die James vor allem in seinen nachträglich für die Romane geschriebenen prefaces niederlegt, und den literarischen Texten selbst. Die prefaces, die James anlässlich des Erscheinens der New York Edition seiner Texte (1907–1909) schreibt, können zwar gelesen werden als der Versuch einer theoretisch-methodischen Ausformulierung der Romanpraxis, sind dabei aber immer auch »construction of authorship«54, das heißt der nachträgliche Versuch,

50

James, Complete Notebooks, S. 167.

51

Vgl. dazu Leon Edels Ausführungen zum Szenischen in der Einführung zu Henry James, The Complete Plays of Henry James, hg. von Leon Edel (New York: Oxford University Press, 1990), S. 1–69.

52

Vgl. Aristoteles, Poetik. Griechisch/Deutsch, hg. und übers. von Manfred Fuhrmann (Stuttgart: Reclam, 1994); vgl. Aristotle, Poetics, hg. und übers. von Malcom Heath (New York: Penguin, 1996), S. xxii–xxvii; S. 13–24.

53

Joseph Warren Beach, The Method of Henry James (New Haven: Yale University Press, 1918); vgl. auch Joseph Warren Beach, The Twentieth Century Novel: Studies in Technique (New York; London: Appleton-Century-Crofts, 1932); Walter Isle, Experiments in Form: Henry James’s Novels (Cambridge: Harvard University Press, 1968); Dorothy J. Hale, »Henry James and the Invention of the Novel Theory«, in: Jonathan Freedman (Hg.), The Cambridge Companion to Henry James (Cambridge: Cambridge University Press, 1998), S. 79–101.

54

Vgl. David Bruce McWhirter (Hg.), Henry James’s New York Edition: The Construction of Authorship (Stanford: Stanford University Press, 1998); vgl. auch Peter Rawlings (Hg.), Henry James Studies (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2007), S. 7f.

E INLEITUNG

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die in die romanesken Texte inskribierte Theorie zu extrahieren und zu systematisieren. Als eine solche Theorie im Roman ist das Prinzip dramatischer Abfolge weniger die Formulierung einer gelingenden Methode, denn die darstellungs-, wie geschichtstheoretische Frage nach der Linearisierbarkeit und Teleologisierbarkeit geschichtlicher und textueller Abfolge. Die Methode bezeichnet dann nicht die subjektive Verfügungsgewalt über Werkzeuge und Ausgänge – d.h. die Rationalisierung und Finalisierung des Denkens, Handelns und Schreibens –, sondern den Prüfstein der plot-Formung, d.h. der Einreihbarkeit einzelner Ereignisse in den march of an action und der reflexiven Überschaubarkeit dieser aus der Perspektive der kohärenten Erzählung. Das Prinzip dramatischer Abfolge bei James, so argumentiert die Lektüre von Daisy Miller (1878) in Kapitel II, ist gerade nicht die Formulierung einer gelingenden Methode, sondern die Aussetzung der Linearisierbarkeit und Teleologisierbarkeit geschichtlicher und textueller Abfolge und Reflexion. Die theatrale Qualität des Texts – als performative und als räumliche Dimension – stört vielmehr das Prinzip dramatischer Sukzessivität – den kohärenten Verlauf als march of an action. Daisy Millers flirtiver Modus entspricht Hegels ›Prosa‹, die das Romanhafte als die Markierung einer Unordnung oder Störung innerhalb der Methode dialektischer Gattungsabfolge und deren sukzessiver Ordnung ausweist. Prosa, das macht James’ szenische Methode unübersehbar, geht nicht in Hegels berühmter »Prosa der Verhältnisse« auf, d.h. sie lässt sich nicht reduzieren auf die sozialgeschichtliche Einpassung des Romans in die kulturellen Institutionen des Bürgerlichen: Prosa markiert das Zufällige, Einzelne, Kontingente und Bedeutungslose – und damit ein radikales Desinteresse an den Momenten der Totalität und den Bewegungen der Finalität. In Daisy Miller manifestiert sich das sukzessive Prinzip (die Abfolge der Sukzession und die Finalität des Erfolgs/success) hinsichtlich des konstitutiven Schief-Gehens der plot-Formung des Erfolgs, als konstitutives Misslingen im Akt der (sprachlich-verführenden) Setzung, das mit J.L. Austin und Shoshana Felman sprechakttheoretisch als die versetzende Qualität von Sprache lesbar wird. Entgegen der bildungsromanesken plot-Logik der Erfüllung und deren Prinzip der Beheimatung – wie sie Franco Moretti als Paradigma des europäischen Romans formuliert – funktioniert James’ Roman unheimlich in der komparatistischen Perspektive einer transatlantic flirtation, in den Ein- und Umschreibungen der kanonisierten literarischen Schauplätze Europas, und dekonstruiert die Abgrenzbarkeit von Räumen und die Linearisierbarkeit historischer Abfolgen. In den flirtiven Bezügen und Verführungen steht so neben der komparatistischen Kartografie das produktiv-generierende Gattungs-Moment der Szene zur Debatte, durch das die Texte sich selbst als prozessuale Raumpraxis eines suspendierten, immer wieder neu zu wiederholenden Gründungs- und Reflexi-

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onsmoments des Szenischen erweisen (Kapitel III). Formuliert James die Szene als »only salvation«, ist damit nicht nur die Verheißung des kohärenten Verlaufs artikuliert, sondern immer zugleich derjenige Ort, an dem diese Verheißung radikal auf dem Spiel steht. In diesem Sinn registriert und produziert James’ szenische Methode den Ausfall teleologischer Verlaufsform. Im Hinblick auf Freuds Konzepte des Szenischen kann man entsprechend sagen, dass James’ szenische Methode den anderen Schauplatz in die Funktionslogik des Urszenischen einschreibt: Urszene und anderer Schauplatz verhandeln bei Freud das Wechselspiel von gründender Erzählung und deren szenischer Versetzung. Freuds Urszene markiert, dass die »traumatisierenden infantilen Erfahrungen […] in Szenarien, in Szenen angeordnet sind« und dass »sie erst nachträglich vom Kind verstanden und gedeutet werden [können]«.55 Freud führt vor, wie die Analyse Stück für Stück in die »kindliche Urzeit« zurückgeht, bis sie schließlich bei der Urszene des elterlichen Koitus anlangt, die als generatives Ereignis fungiert, das aber erst nachträglich lesbar wird.56 Liest man die Texte aber nicht von der Urszene aus (das heißt gemäß der linearen Ordnung der Erzählung als Ordnung der Familie und vice versa), wird deutlich, dass die Urszene vor allem zeigt, dass nur unter der Bedingung einer glückenden Analyse – nur unter der Annahme eines gesicherten Standpunkts des Nachträglichen – sich die Einzelszenen in eine sinnvolle Folge reihen und auf eine Urszene zurückführbar sind. Nur unter dieser Bedingung generiert die Urszene eine Struktur, die alle Folgeszenen verwirklichen, die Wirkung der Struktur der Urszene sind, welche wiederum den Ursprung der Struktur markiert. Zwischen der Formulierung des Ursprungsproblems, der erzählenden Sinnstiftung und deren szenischer Unterbrechung lokalisiert Freud das Gattungsmoment des Familialen und des Romans. An Daisy Miller und The Golden Bowl (1904) wird die andere Szene als eine solche anti-kausale und anti-motivatorische Verweisstruktur beschrieben, in der das Verhältnis von Ursache und Wirkung nicht beglaubigt wird, sondern selbst auf dem Spiel steht. Der ironische Zug dieses Spiels besteht in der Konfrontation zwischen der Wirkmächtigkeit des Kontingenten und der Notwendigkeit des Ursächlichen, die sich nicht aufeinander abbilden lassen. In den Romanlektüren der Kapitel III und IV, in The Golden Bowl und in What Maisie

55

Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, 19.

56

Sigmund Freud, »Aus der Geschichte einer infantilen Neurose [›Der Wolfsmann‹]«,

Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2011), S. 577. in: ders., Zwei Krankengeschichten. Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose. Aus der Geschichte einer infantilen Neurose (Frankfurt am Main: Fischer, 1996), S. 131–244, hier S. 143.

E INLEITUNG

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Knew, impliziert die szenische Methode eine dem Text interne Kritik, welche die ›ödipale‹ Lesart des Familialen als Gründungsfigur in Frage stellt; ›Familie‹ ist bei James die Artikulation eines Zusammenhangs und einer Herkunft/Abfolge, die sich nicht auf das Paradigma des Ursprünglichen beziehen lässt. Statt platonistischer Urbilder entsteht hier ein Spiel mit diesem Ursprünglichen. Die im Familialen implizierte Institution des Kulturellen erweist sich als Form einer Aktualisierung, die sich aus keinem ursprünglichen Bezugsrahmen herleiten lässt. 2. James’ ebenfalls What Maisie Knew entnommenes emphatisches Diktum, »everything takes place before maisie«57, benutzt die Theatermetapher, um mit ihr eine phantasmagorische Bilderwelt und einen in den Romantext inskribierten Modus des Zuschauens zu bezeichnen: »[Maisie’s] little world was phantasmagoric – strange shadows dancing on a sheet. It was as if the whole performance had been given for her – a mite of a half-scared infant in a great dim theatre.«58 Wie Samuel Weber in seiner Lektüre von Aristoteles herausstellt, impliziert der plot noch einen weiteren Aspekt, der aufs Engste mit James’ in der Theatermetapher formulierten Bilderwelt und mit dem im Romantext inskribierten Modus des Zuschauens zusammenhängt: [I]t is the plot that allows the divergent elements of a fragmentary individual existence to be ordered in a manner that suggests totality, wholeness and thus, meaningfulness – under the condition that it be available to a single, uninterrupted perception. It is this that constitutes the specific virtue and value of tragedy for Aristotle, as opposed to epic, which is more extended, spread out, and therefore less intrinsically meaningful.59

Die sinnvolle Reihung der einzelnen Teile zur plot-Folge wird hier von der erfassenden Perspektive her gedacht: Das einheitliche Erfassen garantiert das sinnvoll-bedeutende Moment des plot-Verlaufs. Percy Lubbocks The Craft of Fiction (1921) deutet James’ szenische Methode in diesem Sinne als Frage perspektivierten Erfassens.60 »Scenic« bezeichnet hier eine textinterne Perspektivie-

57

James, Complete Notebooks, S. 149.

58

Henry James, What Maisie Knew, in: The Novels and Tales of Henry James. The New York Edition, Bd. 11 (New York: Charles Scribner’s Sons, 1922), S. 9.

59

Samuel Weber, »Psychoanalysis and Theatricality«, in: Parallax 6, Nr. 3 (2000), S. 29–48, hier S. 39.

60

Percy Lubbock, The Craft of Fiction, Neuaufl. (New York: Viking Press, 1957); vgl. zur Kritik an Lubbocks Terminologie Gérard Genette, Die Erzählung, 3. Aufl. (Stuttgart: UTB, 2010), S. 119f.; einen ausführlichen Überblick über die an James’

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rung, die – wenn auch als eingeschränkter Fokus – der Sichtbarkeitsfunktion von Texten entspräche. Lubbock erklärt James’ Romane zum Paradigma einer am Prinzip des showing orientierten Form, in der der Roman eher zu-sehen-gibt, vor-Augen-stellt, denn erzählend funktioniert. Als dem Text internen point of view liest Lubbock James’ phantasmatisches Diktum, »›seeing my story‹ through the opportunity and the sensibility of some more or less detached, some not strictly involved, though thoroughly interested and intelligent, witness or reporter«61. Das szenisch-theatrale Moment jedoch, um das es in diesem Buch geht, wird von den Lektüren, die einerseits auf Edel und Beach und andererseits auf Lubbock zurückgehen, nicht zur Gänze ausgelotet: Während im einen Fall das Szenische dem Drama zugeschlagen wird, so fungiert es im anderen Fall vor allem als Markierung einer Bühnenmetaphorik des Zu-Sehen-Gebens und Vor-AugenStehens. Diese letztere Funktion speist ihren Begriff der Sichtbarkeit aus der Annahme einer fixierbaren Raumordnung und eindeutig verortbaren Blickpositionen. Doch das Theatrale hat es demgegenüber immer auch mit einem sinnlichräumlichen Überschuss zu tun, in dem die deiktische Anordnung des Zeigens und die Ökonomien der Sichtbarkeit auf dem Spiel stehen. Ein solches exzentrisches Moment der theatralen Räumlichkeit als schief-gehender Deixis beeinflusst jedoch nicht nur den politischen oder ideologischen Ort, der dem modernen Roman zugeschrieben werden kann,62 sondern sagt etwas aus über den Status und Aggregatzustand romanesker Theorie. Seit dem späten 18. Jahrhundert, so die hier vertretene These, markiert das Dramatistische einen dem Roman und seiner Theorie unterstellten Mangel an Illusionskraft, das Fehlen der

Texten durchgeführte Forschung zum »point of view« gibt Peter Rawlings, »Narratives of Theory and Theories of Narrative: Point of View and Centres of Consciousness«, in: Peter Rawlings (Hg.), Henry James Studies (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2007), S. 35–58. 61

Henry James, Literary Criticism: French Writers, Other European Writers, Prefaces to The New York Edition, hg. von Leon Edel, Bd. 2 (New York: Literary Classics of the United States, 1984), S. 1322.

62

Vgl. Litvak, Caught in the Act; vgl. Kurnick, Empty Houses. Die Untersuchungen eint die Beobachtung, dass die dem Theatralen eigenen Ökonomien des Darstellens und Rollenspiels dem Modus des Bürgerlichen, der Autonomie des Subjekts und dem Rückzug ins Private insofern widersprechen, als sie den inszenatorischen und performativen Aspekt der Subjektkonstitution und mithin des Sozialen und Politischen betonen, deren medial-sprachlich-rhetorische Hergestelltheit und deren Herstellungsweisen.

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Fähigkeit, vergegenwärtigend vor Augen zu stellen. Auf Blanckenburg geht Lubbocks Diktum zurück, der Roman solle nicht geschrieben und gelesen, sondern nur sichtbar sein: »[D]ies Erfolgen der Wirkung selbst, vor unsern Augen«63, schreibt Blanckenburg und partizipiert damit an der Faszination des späten 18. Jahrhunderts für den »Modus ›darstellungsloser Darstellung‹«64, eine Darstellung, die vorgibt keine solche zu sein. Dass es sich dabei nicht um Mediendifferenz handelt, zeigt nicht zuletzt, dass gerade die Theatertheorie des späten 18. Jahrhunderts von diesem Phantasma der Präsenz geprägt ist: Der »Modus ›darstellungsloser Darstellung‹« kann dabei als diejenige paradoxale Darstellungslogik herausgestellt werden, die »für den Eindruck des absolut Privaten verantwortlich« ist65 und die im späten 18. Jahrhundert für den Roman übernommen wird – so dass Schlegel über Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre schreiben kann, dass »alles gegenwärtig vor unsern Augen«66 steht. Als eine solche – im Kern erkenntniskritische – Frage nach den Leistungen und Verfahren der Vergegenwärtigung und Präsentierung hat dieses Dramatistische immer schon und immer auch mit Theorie zu tun. Nicht nur haben Theater und Theorie gleichen etymologischen Ursprung;67 am Theater und in der theoría geht es um die Möglichkeiten der Schau – meint doch theorein ›beobachten‹, ›betrachten‹, ›[an]schauen‹.68 Während jedoch diese Darstellungslogik des Prä-

63

Friedrich von Blanckenburg, Versuch über den Roman, Faksimiledruck der Originalausgabe von 1774 (Stuttgart: Metzler, 1965), S. 495.

64

Günther Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt. Körper, Sprache und Bild

65

Ebd.

66

Schlegel, »Über Goethes Meister«, S. 126. Zu der rhetorischen Vorgeschichte und

im Theater des 18. Jahrhunderts (Frankfurt am Main: Stroemfeld, 2000), S. 55.

poststrukturalistischen Nachgeschichte dieser Darstellungslogik des ›Vor-AugenStellens‹ vgl. Rüdiger Campe, »Vor Augen Stellen. Über den Rahmen rhetorischer Bildgebung«, in: Gerhard Neumann (Hg.), Poststrukturalismus (Stuttgart; Weimar: Metzler, 1997), S. 208–225; vgl. Rüdiger Campe, »Bella Evidentia. Begriff und Figur von Evidenz in Baumgartens Ästhetik«, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 49 (2001), S. 243–255; vgl. Rüdiger Campe, »Aktualität des Bildes. Die Zeit rhetorischer Figuration«, in: Gottfried Boehm, Gabriele Brandstetter und Achatz von Müller (Hg.), Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen (München: Fink, 2007), S. 163–182. 67

Vgl. Charles Bernheimer und Claire Kahane (Hg.), In Dora’s Case: Freud, Hyste-

68

Vgl. Joachim Ritter (Hg.), »Theorie«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie,

ria, Feminism (New York: Columbia University Press, 1990), S. 220. Bd. 10 (Basel: Schwabe, 1998), S. 1128–1154.

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sentischen den Aspekt der Theatralität des Theaters vernachlässigt und nurmehr die ›Schau‹ hervorhebt, nicht aber den szenischen ›Schauplatz‹ mit seinen immer nur technischen Verfahren, produziert sie immer auch zugleich dasjenige theatrale Moment, das sich als Freud’scher anderer Schauplatz, als andere Szene zeigt: als das Andere der evidenten Sichtbarkeit und als beständige Versetzung jeder Perspektive der Übersicht und der Distanz zum Erkenntnisobjekt. Denn während Freuds Urszene aus hermeneutischer Perspektive als Garant der Lesbarkeit funktioniert, ist in der (Ur-)Szene, die als Freuds berühmte ›Entdeckung‹ des Unbewussten gilt, das Lesen selbst ein Problem und die Lesbarkeit einer der internen Widerstände der Psychoanalyse. Freuds ›Entdeckung‹ des Unbewussten am Fall der Hysterikerin erfolgt zwar aus einem Bedürfnis nach Lesbarkeit, eröffnet aber im Folgenden eine theatrale Szene, die den Analytiker fortan als ›Lesenden‹ in diese einschreibt. Auch in den Überlegungen zur Urszene ist der Aspekt des (Zu-)Schauens thematisch: In den Träumen des Patienten geht es um »aufmerksames Schauen« und darum, dass »die Augen plötzlich aufgehen«.69 Während innerhalb der Logik der Analyse die Urszene als plausibilisierendes Vor-Augen-Stellen – als Präsentierung und Begründung – fungieren soll, erweist sich die Szene jedoch nicht als sicherer und sichernder Grund, sondern als positionale Versetzung: Mit anderen Worten, die ›verstellenden‹ oder ›verheimlichenden‹ Entstellungen, durch die hindurch das Unbewusste sich zeigt, sind nicht auf das Objekt der Freud’schen Psychoanalyse begrenzbar, sondern suchen die Analyse selbst heim, als ›Verstellung‹ und ›Versetzung‹ ihrer Erkenntnisperspektive. Vor allem James’ spätere Romane sind durch einen solchen erkenntniskritischen, in den Romantext inskribierten Modus des ›Zuschauens‹ charakterisiert. Die Lektüre des frühen Kurzromans Daisy Miller stellt den theatral-räumlichen Aspekt und die versetzende Qualität der Szene heraus, die die kritische Erkenntnisperspektive bedingen; die Lektüren von The Golden Bowl und What Maisie Knew entwickeln diesen Gedankengang weiter. In The Golden Bowl wird eine Erkenntnisform inszeniert, in der Ereignis- und Kommentar-/Reflexionsebene ineinandergefaltet sind, und eine kritische Praxis entwickelt, deren Unterscheidungsmoment zu keinem definitiven und binären Schluss kommt. In den textuellen Verfahren der Trennung und Distanzierung ist eine Erkenntnisform gedacht, die jeder höheren Beobachterperspektive entbehrt, die die Unterscheidung voraussetzen können müsste. In What Maisie Knew ist der Begriff des Wissens eine Folge dieser besonderen Erkenntnisform. Was damit in dieser neuen und anderen – Alterität nicht nur markierenden, sondern in sich aufnehmenden –

69

Freud, »Wolfsmann«, S. 159 bzw. S. 160.

E INLEITUNG

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Gattung des Romans zur Debatte steht, ist der Un-Ort der Theoriebildung und der genealogischen Fundierung. Der Dramatismus und sein Begehren nach der vor-Augen-stehenden Szene markieren diesen Un-Ort und zugleich das UnHeimliche des modernen Romans und seiner Theorie. Denn das Dramatistische markiert dasjenige inhärent-differente Moment, das den anderen Schauplatz der Romantheorie ausmacht: einen Schauplatz im Roman, der als Theorie immer auch das Andere der evidenten Schau mitdenkt und gerade in dieser erkenntniskritischen Logik ein Wissen generiert.

S ZENE

UND

F AMILIE : T HEATRALITÄT

UND

P SYCHOANALYSE

In James’ später Autobiografie A Small Boy and Others (1913), die von den frühen Kindheitsjahren und den ersten Reisen nach Europa berichtet, überkreuzen und überschneiden sich zwei Motive: die Entdeckung und Faszination für das Theater und die faszinierte Begegnung mit einem begehrten ›Anderen‹ und die Erfahrung von Alterität. »They were so other – that was what I felt; and to be other«70, kann als Kernaspekt beider Motive gelesen werden. Nicht aber einer der zahlreichen Theaterabende, sondern eine Familienszene soll den Grundstein für James’ späteres poetologisches Programm der scenic method gelegt haben: […] a remark from my uncle Augustus to his daughter: seated duskily in our group, which included two or three dim dependent forms, he expressed the strong opinion that Marie should go to bed – […]. What I have retained of their effect, at any rate, is the vague fact of some objection raised by my cousin and some sharper point to his sentence supplied by her father; promptly merged in a visible commotion, a flutter of my young companion across the gallery as for refuge in the maternal arms, a protest and an appeal in short which drew from my aunt the simple phrase that was from that moment so preposterously to »count« for me. »Come now, my dear; don’t make a scene – I insist on your not making a scene!«71

Scene-making als Familienszene wird zum Ausgangspunkt der Faszination für das Szenische bei James:

70

Henry James, A Small Boy and Others: A Critical Edition, hg. von Peter Collister (Charlottesville: University of Virginia Press, 2011), S. 144.

71

Ebd., S. 152.

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»Come now, my dear; don’t make a scene – I insist on your not making a scene!« That was all the witchcraft the occasion used, but the note was none the less epoch-making. The expression, so vivid, so portentous, was one I had never heard […]; and who should say now what a world one mightn’t at once read into it? It seemed freighted to sail so far; it told me so much about life. Life at these intensities clearly became »scenes« […].72

Der Roman, so kann man mit James sagen, theoretisiert ›Leben‹, und zwar ›szenisch‹. Scene-making markiert dabei eine Verweisstruktur: Einerseits geht sie nicht restlos auf in den Akten, die sie beinhaltet und andererseits ist sie – als gemachte Szene, als »Überanstrengung« von »Wörtern und Dingen«73 – in einem bestimmten Umfang grundlos. Nicht die statthabende Szene, sondern das Insistieren (der Mutter/Tante gegenüber der nicht zu machenden Szene der Tochter/Cousine) stellt James’ Beobachtung der Familienszene heraus und er unterstreicht entsprechend: »It didn’t in the least matter accordingly whether or no a scene was then proceeded to – and I have lost all count of what immediately happened.«74 »What happened« ist nicht das Maß, die Szene zu beurteilen. Denn einerseits ist das, was ›passiert‹, wie James schreibt, »a final anticlimax«75. Und andererseits ist es gerade die theatrale Anordnung, die doch die Szene ausmacht: »itself a scene, quite enough of one, and I had become aware with it of a rich accession of possibilities.«76 Diese stillgestellte familiäre Anordnung ist die Szene, nicht der klimaktisch linearisierbare Verlauf. Wie auch Weber argumentiert, wird eine Szene theatral durch einen Zuschauer, der als Fremder von außen die Szene rahmt und seine Fremdheit in der Szene markiert: »For what constitutes the theatricality of a scene is not simply its visibility, not simply the fact that it is seen, but rather that it is seen by another: someone who remains, qua observer,

72 73

Ebd. Jacques Derrida, Grammatologie, 11. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2011), S. 202.

74

James, A Small Boy and Others, S. 152.

75

Ebd.

76

Ebd., S. 153; vgl. auch Litvaks Lektüre der Passage: Joseph Litvak, »Making a Scene: Henry James’s Theater of Embarrassment«, in: ders., Caught in the Act: Theatricality in the Nineteenth-Century English Novel (Berkeley: University of California Press, 1992), S. 195–234. Litvak liest hier James’ szenisches Prinzip hinsichtlich der Ökonomien theatraler Zurschaustellung und ›schamhafter‹ Verschleierung.

E INLEITUNG

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external to the scene – a stranger, irreducibly alien. Through the intrusion of the Other, the Same is framed, fixed, determined, but as other-than-itself.«77 Der für dieses Buch zentrale Kurzschluss von Theatralität und Psychoanalyse leitet sich nicht zuletzt aus diesem Einsatz der Szene als Familienszene her. Unter der Perspektive des Theatralen, ebenso wie aus der Perspektive der Psychoanalyse lässt sich das Familiale – der griechische oikos – nicht auf den Verlust der Öffentlichkeit und den Rückzug auf ein a-politisches Privates reduzieren. Vielmehr macht Freuds Psychoanalyse deutlich, worauf die Prämisse des Theatralen beharrt: dass das Familiale der Schauplatz des Politischen ist. Dieses Familiale beinhaltet das oben beschriebene Bedeutungsspektrum des Gattungsbegriffs: Es fragt nach ›Geschlecht‹, ›Abstammung‹ (genos) und nach ›Schöpfung‹, ›Entstehung‹ und ›Zeugung‹ (generatio, genesis) – nach einer diachrongenealogischen und einer systematisch-klassifikatorischen Dimension – und in der Version der Freud’schen Psychoanalyse nach dem Verhältnis zwischen der Dimension des Libidinösen und der sozialen und politischen Ordnung. Freuds Psychoanalyse wurde vielfach kritisiert für die Normativität des Familialismus, der die ödipale Kleinfamilie zum Maß und Austragungsort macht, und für die allumfassende Sexualisierung der Kindheit, Essentialisierung des Weiblichen und Pathologisierung und Hysterisierung des Subjekts und der Geschlechterrelation aus feministischer Perspektive. Diejenige feministische Kritik, die gegen Freuds Essenzialisierung und Biologisierung der (Geschlechter-)Identitäten die sprachlich-rhetorische Verfasstheit des Sexuellen und der Geschlechterdifferenz einwendet, betont den literarischen Text als Schauplatz von Begehrens- und Verweisstrukturen und die Rede als den Ort des Politischen.78 In diesem Sinn hebt James’ zitierte Passage die Familienszene als Kernaspekt des Szenischen hervor: Dem Familialen eignet hier insofern eine theatrale Qualität, als es sich nicht durch feststehende Entitäten, sondern die quasiräumliche Herstellung und Verhandlung von Positionen und Bezügen bestimmen lässt. Die Frage nach der Theatralität bringt in der Psychoanalyse einen emphatischen Begriff des Positionalen hervor.79 James’ zitierte Familienszene lässt dabei keinen Zweifel, dass es

77

Samuel Weber, »Family Scenes: Some Preliminary Remarks on Domesticity and Theatricality«, in: The South Atlantic Quarterly 98, Nr. 3 (1999), S. 356–365, hier S. 357.

78

Vgl. Barbara Vinken, »Dekonstruktiver Feminismus – Eine Einleitung«, in: dies. (Hg.), Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992), S. 7–29.

79

Diesen positionalen Aspekt betont auch Weber: »[T]he significance of events, persons and things, depends not on their inner, self-identical substance, but on their sit-

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die Reden sind – die remarks, sentences, phrases –, denen die theatrale Positionierungsleistung zukommt. In dem für diese Untersuchung relevanten Kurzschluss von Theatralität und Psychoanalyse wird so eine Wirkkraft des Sprachlichen ersichtlich, die die theatralen Akte der Familienszene als Sprechakte beschreibbar macht, die – ob als insistence oder objection – die Szene des Texts ausmachen. Sprechakte sind solche, die »mit Worten Dinge tun«80 und die Wirkkraft des Sprachlichen zum Ausgangspunkt für den Prozess einer dramatistischen Individuation machen, an dessen jeweils nur vorläufigem Endpunkt so etwas wie Positionen stehen. Bezogen auf die Frage des modernen Romans ergibt sich aus diesem Kurzschluss eine Lesart, die eine erkenntnistheoretische und -kritische Perspektive formuliert. Mit Barbara Vinken kann diese Dimension als die augustinische Linie der Romantheorie benannt werden: Das theozentrische Weltbild wird nicht übertragen in eine Vorstellung von der Autonomie des modernen Subjekts und seiner Allmacht, sondern mündet in dem augustinischen »Zustand grundsätzlicher Gefallenheit«.81 Diese Linie kulminiert in Freuds Übersetzung der Gefallenheit und deren erkenntnistheoretischer Aporien in die De-zentriertheit des Subjekts: Denn das Subjekt der Psychoanalyse ist schon bei Freud selbst und expliziter noch in den Lektüren Freuds durch Lacan die radikale Abkehr von den Prämissen des Autonomen und Selbstbewussten. Entsprechend formuliert Lacan, dass die »Psychoanalyse […] weder eine Weltanschauung noch eine Philosophie [ist]«, sondern »die Herausarbeitung des Subjektbegriffs«.82 Es ist nicht das hiesige Anliegen, diesen Subjektbegriff als solchen zu untersuchen. Entscheidend jedoch ist, dass sowohl die Freud’sche als auch die Lacan’sche Psychoanalyse das Konstitutionsmoment des Subjekts von der Alterität und Differenz her den-

uation, literally, on their placement, on their relation to others. […] such situatedness, such placement, can never be finished, in the sense of being completed, but only interrupted and redeployed.« Unterbrochen wird darin die Erwartung einer an der Idee des Biografischen ausgerichteten Sinnkohärenz, »the expectation of a story, and a life, that would add up to a meaningful whole […]. Theatre in general and tragedy in particular, involve the interruption of this expectation.« Weber, »Psychoanalysis and Theatricality«, S. 37f. 80

Vgl. John L. Austin, How to Do Things with Words (Oxford: Oxford University Press, 1962).

81

Vinken, Unentrinnbare Neugierde, S. 27.

82

Jacques Lacan, Das Seminar. Buch XI. Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, hg. von Norbert Haas, 2. Aufl. (Weinheim; Berlin: Quadriga, 1987), S. 84.

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ken. Freud bezeichnet das Unbewusste als den »anderen Schauplatz«83, auf dem »ein sich selbst entzogenes, gespaltenes Ich« sich konstituiert, »das sich selber nicht kennt, für das sich vielmehr der entscheidende Anteil der Konstitution auf einem anderen, verborgenen Schauplatz abspielt«.84 Lacan formuliert Freuds ›anderen Schauplatz‹ als Ort des Anderen, das Unbewusste als »discours de l’Autre«, durch den – durch dessen Blick – sich das Subjekt konstituiert.85 Während so das Augenmerk auf das theatrale Moment der Psychoanalyse hervorhebt, dass die Subjektkonstitution ihren Ursprung nicht in der Entität des autonomen Subjekts, sondern innerhalb einer Szene der Alterität hat, unterstreicht der Kurzschluss von Theatralität und Psychoanalyse umgekehrt, dass das Theatrale nicht in den mit dem Begriff das Dramatischen verbundenen Prämissen des Handelns und der Handlung aufgeht und dass die theatrale Szene die Markierung einer entzogenen Verfügungsgewalt ausmacht. Somit kann davon ausgegangen werden, dass sich Freuds und Lacans Psychoanalyse – möglicherweise gegen die expliziten Intentionen – nicht auf die Frage nach der »Herausarbeitung des Subjektbegriffs«86 begrenzen lässt. Denn der wesentliche Überschneidungspunkt zwischen Theatralität und Psychoanalyse liegt in der Frage nach der Relation, die sich nicht auf ihre Funktion innerhalb der Szene der Subjektivierung reduzieren lässt: Theater und Psychoanalyse verbindet »the deciphering and interpreting of relations that are intrinsically openended«87. Mit diesem relationalen Moment impliziert das Zusammendenken von Theatralität und Psychoanalyse eine wissens- oder erkenntnistheoretische Dimension. Versteht man Theater nicht als Metapher für menschliches Handeln oder Synonym für Repräsentation, dann lässt sich Theatralität als »disposition of space« bestimmen: Denn Theater bezeichnet auf einer sehr basalen Ebene »a locality that is divided into two interdependent but distinct parts, the space of the stage and that of the audience«88. In dieser »division« steht die Trennung und das Verhältnis zweier Orte zur Debatte: der Ort der Bühne, auf dem etwas statthat oder von dem etwas ausgeht und ansichtig wird, und derjenige Ort, an dem gesehen oder gelesen wird. Es ist dieser Zusammenschluss aus Theatralität und

83

Sigmund Freud, Die Traumdeutung, 2. Aufl. (Frankfurt am Main: Fischer, 2010), S. 64.

84 85

Vinken, Unentrinnbare Neugierde, S. 27. Jacques Lacan, »La Méprise du sujet supposé savoir«, in: Autres Écrits (Paris: Seuil, 2001), S. 329–339, hier S. 333.

86

Lacan, Das Seminar. Buch XI. Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, S. 84.

87

Weber, »Psychoanalysis and Theatricality«, S. 37.

88

Ebd., S. 33.

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Psychoanalyse, der es ermöglicht, den modernen Roman hinsichtlich der Momente der Alterität und Differenz zu lesen. Als eine Szene der Alterität – als Verfremdung oder Double – bestimmen die folgenden beiden Autoren das Theatrale, die für das Zusammendenken von Theatralität und Psychoanalyse und die Frage der Theorie in der vorliegenden Studie besondere Berücksichtigung finden: Antonin Artaud (1896–1948) und Bertolt Brecht (1898–1956), die vielleicht wichtigsten Theatertheoretiker des 20. Jahrhunderts.89 Brecht und Artaud gelten in der Theatergeschichtsschreibung als Antipoden: Brechts am Zeigen orientiertes und explizit politisches und aufklärendes Theaterkonzept und Artauds repräsentationskritisch-vitalistische Theatervisionen sind auf den ersten Blick inkommensurabel. Was aber die immerhin etwa zeitgleich entstandenen Texte beider Autoren verbindet, ist, dass sie das Theater zu einer Denkfigur machen und Theatertheorie nicht restlos in einem Diskurs über Theater aufgehen lassen: Vielmehr fragen beide – wenn auch auf unterschiedliche Weise – mit dem Theater nach dem Schauplatz der Theorie.90 Die Namen Brecht und Artaud ›signieren‹ – in dem Widerspruch, der immanent in ihren Texten, in ihrem Denken verläuft91 – ein gemeinsames Problem: Die Frage nach dem Theater und das Zusammendenken von Brecht und Artaud organisiert die für diese Studie relevante darstellungstheoretische und historische Achse, an der die Virulenz von vor-Augen-stellender Szene und anderem Schauplatz für den Roman und als dessen Theorie formulierbar wird. Artaud und Brecht arbei-

89

Artauds Essays zum Theater werden 1938 als Le Théâtre et son double veröffentlicht und Brecht publiziert 1936 – aus der Fremde des Exils – seinen später kanonischen Aufsatz »Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst«. Antonin Artaud, Le Théâtre et son double (Paris: Gallimard, 1938); Bertolt Brecht, »Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst«, in: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe (GBA): Schriften 2.1, hg. von Werner Hecht u.a., Bd. 22 (Frankfurt am Main; Berlin: Suhrkamp; Aufbau-Verlag, 1993), S. 200–210.

90

Den subkutanen Zusammenhang des Denkens Artauds und Brechts hat in jüngerer Zeit Jacques Rancière herausgestellt. Jacques Rancière, Der emanzipierte Zuschauer (Wien: Passagen Verlag, 2009). Vgl. Kapitel IV dieses Buches.

91

Vgl. Rainer Nägele, »Brechts Theater der Grausamkeit: Lehrstücke und Stückwerke«, in: Walter Hinderer (Hg.), Brechts Dramen. Neue Interpretationen (Stuttgart: Reclam, 1984), S. 300–320, hier S. 300; vgl. auch Rainer Nägele, »Der andere Schauplatz – Zwischen Brecht und Artaud«, in: Anja Lemke und Martin Schierbaum (Hg.), »In die Höhe fallen«. Grenzgänge zwischen Literatur und Philosophie (Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2000), S. 9–21.

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ten sich beide an demjenigen Theaterkonzept ab, das im späten 18. Jahrhundert als sogenanntes ›Theater der Verkörperung‹ entsteht und die Faszination für und das Begehren nach einer rahmenlosen Repräsentation ausmacht: einer Darstellung, die ihre eigene Gerahmtheit (d.h. Medialität) verschleiert und dadurch ihre Lebendigkeit, Wirklichkeit und Wahrheit garantiert. Roland Barthes weist darauf hin, dass diese Aporien des Medialen in der Nachgeschichte der Darstellungslogik des 18. Jahrhunderts für Brechts Theater aktuell bleiben92 und Walter Benjamin unterstreicht, dass Brechts episches Theater sich »quer« zu dem »erhabene[n], aber unfruchtbare[n] Massiv der Klassik« verhält und einen »Saumpfad« zum barocken Drama öffnet.93 Auf diese Weise können Brecht und Artaud für die Lektüre desjenigen Theaterkonzepts des 18. Jahrhunderts fruchtbar gemacht werden, das sich mit allen seinen Widersprüchen in der Szene des Romans niederschlägt.

D RAMATISMUS /D RAMATISIERUNG (D ELEUZE ): E INE F RAGE DER M ETHODE In dem 1972 erschienenen L’Anti-Œdipe geht es Gilles Deleuze und Félix Guattari um die Einführung der ›Schizo-Analyse‹, die die ödipale Logik der Psychoanalyse, wie sie bei Freud und noch bei Lacan, so die Autoren, vorzufinden ist, verwirft und somit der Psychoanalyse insgesamt eine neue Stoßrichtung verleiht. Kritisiert wird das Konzept der »heiligen Familie« und die Bindung der Psychoanalyse an einen »Familialismus«, der seinen – logischen und erzählenden – Ausgangspunkt von den Konzepten personaler Identität und Integrität nimmt.94 Auch die Kategorie des Unbewussten selbst sei diesen »Ödipalisierungsverfahren« unterworfen, dessen »Disjunktionen«, »[unspezifische] Konjunktionen«, »Partialobjekte« durch die »Thronbesteigung des souveränen Ödipus« verdeckt

92

Vgl. Roland Barthes, »Diderot, Brecht, Eisenstein«, in: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990), S. 94– 102.

93

Walter Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I). Eine Studie zu Brecht«, in: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, 4. Aufl., Bd. II.2 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006), S. 519–530, hier S. 523.

94

Vgl. Gilles Deleuze und Félix Guattari, Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, 13. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2011), bes. die Kapitel I und II: »Die Wunschmaschinen« und »Die heilige Familie: Psychoanalyse und Familialismus«, S. 7–176.

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werden, so dass nichts mehr hörbar ist von den »[t]ief im Innern des Unbewußten dröhnen[den] und brummen[den] […] Wunschmaschinen«.95 Die Kritik der Autoren zielt im Kern darauf, dass die »Ketten des Unbewußten […] bijektiv gemacht [werden], linearisiert, einem despotischen Signifikanten ausgesetzt«96. Im Zentrum der Kritik steht die Beobachtung, dass das produktive, produzierende Moment des Unbewussten dem Primat der Artikulation und der Repräsentation unterworfen wird: »Das produktive Unbewußte räumt das Feld zugunsten eines Unbewußten, das sich nur mehr ausdrücken kann – im Mythos, in der Tragödie, im Traum.«97 Dass das Unbewusste nur mehr »Ausdrucksproduktion«98 ist, folgt, so die Autoren, einem Ordnungsbedürfnis des Analytikers selbst – denn Freud soll, berichten Laplanche und Pontalis, den Ödipuskomplex im Verlauf der Selbstanalyse 1897 ›entdeckt‹ haben.99 Zwischen diese ›Entdeckung‹ und die erste Verschriftlichung in Das Ich und das Es (1923) fällt die Formulierung der Idee des »Familienromans« (1909). Deleuze und Guattari gehen von einer »Ödipalisierung« des Romans selbst aus, dessen starker – paranoischer oder explosiver – Wunsch das Potenzial trägt, in den »wilden Produktion[en]« des Unbewussten die Familienbestimmungen und das gesamte ödipale Dreieck aufzubrechen. Dass Freud dann die ödipale Szene als »Urszene« des Familienromans setzt, macht, so Deleuze und Guattari, die Selbstanalyse zur »klassischen Bildung eines Goethe«, indem sich die narrative Kohärenzbildung über die »wilde Produktion« stülpt.100 Das Unbewusste bleibt zwar »Phantasieproduktion«, der Psychoanalytiker – und, könnte man ergänzen, der Romanautor – aber werden zu »Spielleiter[n] eines Privattheaters«: »Das Unbewußte hört auf, das zu sein, was es ist: Fabrik, Werkstatt, und wird an deren Stelle Theater, Bild, Inszenierung.«101 Während in Anti-Ödipus das Theater im Sinne von Repräsentation gebraucht und somit Gegenstand von Kritik wird, findet sich darüber hinaus noch ein anderer Theaterbegriff bei Deleuze, der insbesondere für die in diesem Buch vorgeschlagenen Lektüren von James’ Texten von Bedeutung ist. In »La Méthode de dramatisation« (1967) geht es Deleuze nicht einfach um die Erledigung des Theaterbegriffs, sondern um ein »spezielles Theater«, das innerhalb der »Bewegung

95

Ebd., S. 68.

96

Ebd.

97

Ebd., S. 69.

98

Ebd.

99

Vgl. ebd., S. 67.

100 Vgl. ebd., S. 69. 101 Ebd.

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der Dramatisierung« konstituiert wird.102 Der in der Methode der Dramatisierung implizierte Begriff des Theatralen und die Kritik des Ödipalen hängen dabei insofern zusammen, als es das (produktive) Unbewusste ist, das dramatisiert.103 Deleuze führt die Methode der Dramatisierung gegen die Platonische Ideenlehre und ihre Folgegeschichte für die Philosophie ins Feld, die ihr Zentrum in der Frage nach dem Wesen findet, nach dem »Was ist...?«.104 Schon bei Platon grenzt sich dieses Wesentliche von den Bewegungen des Theatralen ab. Das Differentiationsmoment der Methode der Dramatisierung setzt dort an, wo die Frage nach dem Wesen (›was ist…?‹) abgelöst wird durch die Fragen ›wieviel?‹, ›wer?‹, ›auf welche Weise?‹, ›wo und wann?‹. Diese Fragen zielen nicht auf die allgemeine Idee, sondern auf das Singuläre. Die Methode der Dramatisierung besteht also in einer Differenzierung der Idee, wobei die Idee einen Individuationsprozess durchläuft, dessen Endpunkte in der Bestimmung des Akzidentalen und der raumzeitlichen Koordinaten liegen.105 Das Konzept des Theatralen, das darin entworfen ist, impliziert keine Unterscheidung von Bild oder Repräsentation und Wesen, sondern macht ein »befremdliches Theater« denkbar, »das aus reinen Bestimmungen besteht, den Raum und die Zeit aufrührt, […] – ein Theater, für das Artaud das Wort ›Grausamkeit‹ gewählt hatte«.106 ›Befremdlich‹ ist dieses Theater, insofern es nicht der gesicherten Ordnung der Repräsentation gehorcht, sondern als Akt der Konkretisierung und Aktualisierung besteht. »[W]hat is decisive in Artaud’s conception of theatre«, schreibt Weber, »is that […] it takes place in a certain here and now, the bounds of which define the theatrical scene. This is what is meant by ›cruelty‹: the impossible determination of the virtual not as a self-contained entity, but as a process of self-altering localization«.107 Der Theaterbegriff ist hier insofern mit Deleuze’ Begriff der Wiederholung zusammenzudenken, als Theater nicht »Metapher primärer Wirklichkeit«, sondern als theatrale Wiederholung ein »Modell emergenter Ordnungsbildung« ist, das »Prozesse der Aktualisierung [inszeniert], die distinkte histo-

102 Gilles Deleuze, »Die Methode der Dramatisierung«, in: ders., Die einsame Insel. Texte und Gespräche von 1953 bis 1974, hg. von David Lapoujade (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003), S. 139–170, hier S. 139. 103 Vgl. ebd., S. 168. 104 Ebd., S. 139. 105 Vgl. ebd., S. 141. 106 Ebd., S. 145. 107 Weber, »Family Scenes«, S. 359.

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rische Formen als die Verkörperung eigenschaftsloser Kräfteverhältnisse sichtbar werden lassen«.108 Deleuze’ Theater beginnt nicht mit der Wesenheit oder Illusion, sondern mit den ›Larvensubjekten‹, die Artaud dem seiner selbst gewissen und dem sich bewussten psychologischen Charakter westlicher Theatergeschichte gegenüberstellt: Deleuze geht es um Individuationsfelder – »So daß die ausgedrückte Welt virtuell vor den des Ausdrucks fähigen Individualitäten existiert, aktuell jedoch nicht außerhalb dieser Individualitäten existiert, die sie allmählich ausdrücken.«109 Die Artaud’schen Larven entsprechen dem Dionysischen der Ideen, bevor sie Begriff innerhalb der Repräsentation werden, bzw. die unter den Begriffen als Drama lesbar bleiben: »Es sind die raumzeitlichen Dynamiken innerhalb der Individuationsfelder, die die Ideen bestimmen, sich in den differenzierten Aspekten des Objektes zu aktualisieren. […] Das Klare und Deutliche ist der Anspruch des Begriffs in der apollinischen Welt der Repräsentation; aber hinter der Repräsentation gibt es immer die Idee und ihren dunkel-deutlichen Untergrund, ein ›Drama‹ hinter jedem Logos.«110 Die Idee differenziert sich durch die Methode der Dramatisierung, anstatt in der Logik des Begriffs aufzugehen. Wenn es Deleuze um eine Methode geht, dann ist diese unter anderem als Gegenbegriff zu einer Epistemologie des Theatralen konzipiert, in der das erkennende Bühnensubjekt oder der mit dem Drama verbundene Erkenntnisprozess im Vordergrund stehen. Die Methode der Dramatisierung bezeichnet eine Ontologie des Theatralen, insofern das Theatrale weder vom Begriff der Artikulation oder Repräsentation, noch vom Begriff der Performanz her gedacht ist: »Die Dynamiken sind nicht absolut ohne Subjekt«, schreibt Deleuze, sie haben »Entwürfe zu Subjekten«, konzipieren aber die Dramatisierung nicht vom Handeln, sondern vom Bergriff der Produktion her.111 An diesem Punkt und am Beispiel von Antonin Artaud kommen die Idee der anti-ödipalen Schizo-Analyse und der Dramatisierung zusammen: Es bedarf des Schubs der Schizo-Analyse, der die Bewegung in Schwung bringt, an die Tendenz wieder anknüpft und die Trugbilder dort hintreibt, wo sie aufhören, artifizielle Imagines zu sein, und Anzeichen der neuen Erde werden. Dies ist die Vollendung des

108 Ingo Uhlig, Poetologien des Ereignisses bei Gilles Deleuze (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008), S. 12. 109 Deleuze, »Die Methode der Dramatisierung«, S. 150f. 110 Ebd., S. 151f. 111 Ebd., S. 144.

E INLEITUNG

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Prozesses: kein schon bestehendes gelobtes Land, sondern eine Erde, die sich entsprechend seiner Tendenz, seiner Ablösung, seiner Deterritorialisierung selbst abschafft. Bewegung des Theaters der Grausamkeit; denn das allein ist ein Theater der Produktion […].112

Wenn Deleuze schreibt, dass das Unbewusste, die Wissenschaft, aber auch die Dinge selbst dramatisieren und die Dramatisierung etwas sei, was eher zustößt, denn ausgeführt wird, dann hat sie mit diesem Begriff der Produktion zu tun. Als philosophische Methode käme sie – Nietzsches genealogischer Methode verwandt – dann zum Einsatz, wenn es um Pragmatik geht: »Theatralität oder Dramatisierung […] wird für Philosophie […] immer dann relevant, wenn es ihr um die Beschreibung von Phänomenen und Gegenständen geht, deren Identität im kulturellen Diskurs zur Disposition steht und deren Entstehungsgeschichte in eine Leere führt, aus der heraus sie nur in ›dramatischen‹ Umständen und im Rahmen einer Pragmatik Gestalt annehmen.«113 Dabei aber, so betonen Deleuze und Guattari in »Gespräch über Tausend Plateaus«, ist der theatrale Zug der Methode der Dramatisierung ein literarischer Zug, der in der Methode der Philosophie zukommt oder in ihr freigelegt wird: »Man hat sie [die Begriffe] lange benutzt, um zu bestimmen, was eine Sache ist (das Wesen). Wir dagegen interessieren uns für die Umstände einer Sache: in welchen Fällen, wo und wann, wie...? Für uns muß der Begriff das Ereignis und nicht mehr das Wesen nennen. Daher die Möglichkeit, sehr einfache Roman-Verfahren in die Philosophie einzuführen.«114 Deleuze’ Überlegungen zur Methode der Dramatisierung nimmt diese Untersuchung auf: Während sie auf der Ebene des Gegenstandes nach einem Anderen innerhalb des Gesetzes der Gattung fragt, nach der anderen Szene und dem Dramatismus des modernen Romans, heißt dies auf der Ebene des Vorgehens, das Lesen gegenüber den dramatistischen Bewegungen zu öffnen, statt mit dem begrifflichen Status des Theoretischen anzufangen.

112 Deleuze und Guattari, Anti-Ödipus, S. 415f. 113 Uhlig, Poetologien des Ereignisses bei Gilles Deleuze, S. 51. 114 Gilles Deleuze, Unterhandlungen, 1972–1990 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993), S. 41; zitiert nach Uhlig, Poetologien des Ereignisses bei Gilles Deleuze, S. 51 (Fußnote 151).

Liaisons Dangereuses: Romaneskes Vor-Augen und theatrale Szene »Man würde es sich zu leicht machen, wenn man annähme, daß ›Descartes‹, ›Leibniz‹, ›Rousseau‹, ›Hegel‹ usw. Autorennamen sind, also die Namen der Urheber von Bewegungen oder Verschiebungen, die damit bezeichnet würden. Der indikativische Wert, den wir ihnen zuweisen, ist primär der Name eines Problems.« JACQUES DERRIDA / GRAMMATOLOGIE

Gründung: Erzählung und Episode

P ROSA (H EGEL ) Im zweiten Teil der Vorlesungen über die Ästhetik (1835–1838) bestimmt Hegel in einer berühmten Definition das »Romanhafte« als exemplarischen Ausdruck der »Prosa der Verhältnisse«, der sich im 18. Jahrhundert herausbildenden »feste[n], sichere[n] Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft und des Staats«.1 »Prosa« bezeichnet, dass [die] einzelnen Individuen […] im Staate die Stellung [erhalten], daß sie sich dieser Ordnung und deren vorhandenen [sic] Festigkeit anschließen und sich ihr unterordnen müssen, da sie nicht mehr mit ihrem Charakter und Gemüt die einzige Existenz der sittlichen Mächte sind, sondern im Gegenteil […] ihre gesamte Partikularität der Sinnesweise, subjektiven Meinung und Empfindung von dieser Gesetzlichkeit regeln zu lassen und mit ihr in Einklang zu bringen haben.2

In dem so verstandenen Roman gibt es keinen tieferen Zusammenhang zwischen Individuellem und Allgemeinem, zwischen Subjektivität und Objektivität. Prosa bedingt – als Pendant zu den ganz und gar unpoetischen, un-geistigen äußeren Verhältnissen – eine Subjektivität, die sich »auf das Äußere nicht als auf seine von ihm durchdrungene Realität, sondern als auf ein von ihm abgetrenntes bloß Äußerliches bezieht«3. So bestimmt Hegel den Konflikt zwischen der »Poesie des Herzens« und der »Prosa der Verhältnisse« als Grundformel des Romans: »[Die] in neueren Romanen agierenden Helden […] stehen als Individuen mit

1

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik. Teil I/II (Stuttgart:

2

Ebd., S. 268.

3

Ebd., S. 650.

Reclam, 2000), S. 658.

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ihren subjektiven Zwecken der Liebe, Ehre, Ehrsucht oder mit ihren Idealen der Weltverbesserung dieser bestehenden Ordnung und Prosa der Wirklichkeit gegenüber, die ihnen von allen Seiten Schwierigkeiten in den Weg legt.«4 In Hegels Prosa gilt es, sich mit den Verhältnissen auszusöhnen: »[Z]uletzt bekommt [der Romanheld] meistens doch sein Mädchen und irgendeine Stellung, heiratet und wird ein Philister.«5 In den »Lehrjahren« noch wird um die Ideale und »Rechte des Herzens« gekämpft, darum, »ein Loch in diese Ordnung der Dinge hineinzustoßen, die Welt zu verändern, zu verbessern oder ihr zum Trotz sich wenigstens einen Himmel auf Erden herauszuschneiden: das Mädchen, wie es sein soll, sich zu suchen, es zu finden und es nun den schlimmen Verwandten oder sonstigen Mißverhältnissen abzugewinnen, abzuerobern und abzutrotzen«.6 In dieser nurmehr individuellen Bildungsgeschichte aber wird letztlich die Versöhnung mit der Prosa der Verhältnisse ausgetragen: »[D]as Ende solcher Lehrjahre besteht darin, daß sich das Subjekt die Hörner abläuft, mit seinem Wünschen und Meinen sich in die bestehenden Verhältnisse und die Vernünftigkeit derselben hineinbildet, in die Verkettung der Welt eintritt und in ihr sich einen angemessenen Standpunkt erwirbt.«7 Im dritten Teil der Ästhetik systematisiert Hegel die Gattungsunterschiede innerhalb einer Verfallsgeschichte der Gattungen. Der Roman ist hier nur eine am Rande erwähnte und defizitäre prosaische Form der »eigentlichen Epopöe«, »[d]enn der ganze heutige Weltzustand hat eine Gestalt angenommen, welche sich in ihrer prosaischen Ordnung schnurstracks den Anforderungen entgegenstellt, welche wir für das echte Epos unerläßlich fanden«.8 Die Unterscheidung in Prosa und Poesie impliziert also eine historische Abfolge. Unterschieden ist diese bürgerliche Ordnung des Staatlichen von der »Heroenzeit« und deren »individueller Selbständigkeit«.9 Diese ist geprägt von der »Einheit und Durchdringung der Individualität und Allgemeinheit«10, in der »das Individuum wesentlich Eines und das Objektive als von ihm ausgehend das Seinige ist und bleibt«11. Denn das heroische Individuum ist Teil des sittlichen Ganzen und »hat ein Be-

4

Ebd., S. 658.

5

Ebd., S. 659.

6

Ebd., S. 658f.

7

Ebd., S. 659.

8

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik. Teil III (Stuttgart:

9

Hegel, Ästhetik: I/II, S. 264ff.

10

Ebd., S. 265.

11

Ebd., S. 275.

Reclam, 2003), S. 198.

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wußtsein von sich nur als substantieller Einheit mit diesem Ganzen. […] Das Substantielle ist in ihr unmittelbar individuell und das Individuum dadurch in sich selber substantiell«12. Was Hegel in diesem ersten Teil der Vorlesungen als »allgemeinen Weltzustand« beschreibt, entspricht im dritten Teil der Ästhetik und auch in der Phänomenologie des Geistes dem (klassischen) Epos. Denn in der eigentlichen Epopöe ist die totale Welt einer Nation, »die gesamte Weltanschauung und Objektivität eines Volksgeistes« dargestellt, eine ursprüngliche Totalität vor der Loslösung des individuellen Selbst.13 Das Romanhafte ist so Teil der »Auflösung des Romantischen«14, mit dem Hegel entwicklungsgeschichtlich diejenige nach-antike Epoche vom europäischen Mittelalter bis in seine eigene Gegenwart bezeichnet. Indem Hegel dem Romantischen die subjektive Innerlichkeit zuordnet, wird es gattungs- und entwicklungsgeschichtlich zum Überschreiten des Idealen – der ursprünglichen »Einheit und Durchdringung der Individualität und Allgemeinheit«15 –, das die antike Kunst- und Lebensform erreicht haben sollen. Das Romanhafte ist so ein Krisenphänomen, das zu dem berüchtigten »Ende der Kunst« führen wird: jenem finalen Ausfall der Kunst aus dem Register der Wahrheitsfindung und Idealität.16 Es verhandelt damit den prekären Status und begrenzten Geltungsbereich des Idealen. Diese gesamte Erzählung nimmt ihren Ausgangspunkt von Hegels Frage: »[S]oll die Kunst Poesie oder Prosa sein?«17 Sie soll Poesie sein, »zwischen dem bloß objektiven bedürftigen Dasein und der bloß inneren Vorstellung«18 vermitteln. Dabei soll sie dem Idealen zustreben und »das in dem sonstigen Dasein von der Zufälligkeit und Äußerlichkeit Befleckte zu dieser Harmonie mit seinem wahren Begriffe«19 zurückführen. Die Idealität des Allgemeinen wird gegen das Einzelne und Vereinzelte des Prosaischen gestellt, denn »der Ausdruck des Geistigen ist das Wesentliche«20. Das Ideale folgt nicht dem Maß der Richtigkeit, sondern dem der Wahr- und Wesenheit; es ist »die Wirklichkeit, zurückgenommen aus der Breite der Einzelheiten und Zufäl-

12

Ebd., S. 275f.

13

Hegel, Ästhetik: III, S. 115ff.

14

Hegel, Ästhetik: I/II, S. 658.

15

Ebd., S. 265.

16

Vgl. Eva Geulen, Das Ende der Kunst. Lesarten eines Gerüchts nach Hegel (Frank-

17

Hegel, Ästhetik: I/II, S. 241.

18

Ebd., S. 243f.

19

Ebd., S. 234.

20

Ebd., S. 246.

furt am Main: Suhrkamp, 2002).

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ligkeiten«21. Ein solches Ideales kann kategorisch nicht das Alltägliche sein, denn das Poetische ist »das Vertilgtwerden gerade der sinnlichen Materialität und der äußerlichen Bedingungen«22, an welche laut Hegel nicht zuletzt das Theater erinnert: Auf dem Theater z.B. ist jedermann der alltäglichen Haushaltungsgeschichten und ihrer naturgetreuen Darstellung von Herzen müde. Den Jammer der Väter mit der Frau, den Söhnen und Töchtern, mit der Besoldung, dem Auskommen, mit der Abhängigkeit von Ministern und Intrigen der Kammerdiener und Sekretäre und ebenso die Not der Frau mit den Mägden in der Küche und den verliebten empfindsamen Dingern von Töchtern in dem Wohnzimmer – all diese Sorge und Plage findet jeder getreu und besser im eigenen Hause.23

Hegels Konzept der Prosa geht damit – entgegen gängiger Rezeptionen – nicht in der Sozialgeschichte des Bürgerlichen auf, von der sie auch erzählt24 –, sondern ist vielmehr Bestimmung einer Theoriefiguration im Roman. Denn Hegels Poesie und Prosa sind »Auffassung« oder »Anschauungsweise«, die als Verhandlung zwischen dem Allgemeinen und Partikularen, dem Idealen und dem Pragmatischen in den Bereich des Bewusstseins und des Theoretischen gehören.25 Poesie macht die »geistigen Interessen«, das »Reich des Geistes« zu Gegenstand und telos, sie ist »das ursprüngliche Vorstellen des Wahren, ein Wissen, welches das Allgemeine noch nicht von seiner lebendigen Existenz im einzelnen trennt«.26 Das prosaische Bewusstsein hingegen fragt nach dem »verständigen Zusammenhange von Ursache und Wirkung, Zweck und Mittel und sonstigen Kategorien des beschränkten Denkens, überhaupt nach den Verhältnissen der Äußerlichkeit und Endlichkeit«27. Anders als das poetische Bewusstsein fragt das prosaische nicht nach dem Wesentlichen, dem »inneren Zusammenhang«, sondern begnügt sich mit dem Zufälligen, Einzelnen und Bedeutungslosen. Statt das Zusammenhängende zu sehen und in der Spekulation

21

Ebd., S. 235.

22

Ebd., S. 244.

23

Ebd., S. 241.

24

Vgl. exemplarisch Paul Fleming, Exemplarity and Mediocrity: The Art of the Average from Bourgeois Tragedy to Realism (Stanford: Stanford University Press, 2009).

25

Hegel, Ästhetik: III, S. 23ff.

26

Ebd., S. 23f.

27

Ebd., S. 26.

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zu suchen, herrscht hier »Neben- und Durcheinander von Gleichgültigem«.28 In der Phänomenologie des Geistes entspricht das Epos der Vorstellung, insofern es die »synthetische Verknüpfung des selbstbewußten und des äußeren Daseins«29 ausmacht. Diese Verknüpfung und Synthese stehen in der Hegel’schen Prosa als Theoriefiguration des Romanhaften auf dem Spiel. Mit dieser Infragestellung des Synthetischen ist aber zugleich impliziert, dass das Romanhafte die Markierung einer Unordnung oder Störung innerhalb der Methode dialektischer Gattungsabfolge und deren sukzessiver Ordnung ist. Diesen Ausfall der dialektischen Methode, den Ausfall eines »Urprinzip[s] des Gestaltens«30, legt – nebenbei und ungewollt – Georg Lukács’ berühmte ›Habitualisierung‹ der Romantheorie als Hegel’sche Gattungsabfolge und dialektische Geschichtsphilosophie frei – und ist gerade deshalb relevant für die Frage der Romantheorie. Lukács’ Theorie des Romans (1914/16) geht nicht in der berühmten Verlusterzählung und Moderne-Kritik auf, nach der das »Weltzeitalter des Epos«31 und dessen Seinstotalität und ursprüngliche Heimat zur berühmten »transzendentalen Obdachlosigkeit«32 degeneriert sind, von der der moderne Roman zeugen soll. Darüber hinaus fragt sie – methodisch und methodologisch – nach den verlorenen ›Urbildern‹ und deren Konsequenzen für das Denken.33 In dem imaginierten Zustand erster Natur ist jede Einzelerscheinung in der homogenen Welt bereits urbildhaft vorgesehen; die Entfremdung und die zweite Natur – in der die (kulturellen) ›Gestaltungen‹ nicht mehr in den Urbildern des ›Natürlichen‹ wesenhaft verankert sind – betrifft bei Lukács nun vor allem das moderne Denken. Die Griechen kannten noch keinen Unterschied zwischen Geschichte und Geschichtsphilosophie und mussten noch nicht unterscheiden zwischen den Dingen und Ereignissen und deren Erkenntnis. Das Weltzeitalter des Epos ist dasjenige der ersten Natur und darin vorphilosophisch;

28

Ebd., S. 27.

29

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 10. Aufl. (Frankfurt

30

Lukács, Theorie, S. 29.

31

Ebd., S. 22.

am Main: Suhrkamp, 2008), S. 531.

32

Ebd., S. 30.

33

Deshalb spricht Paul de Man von den »radical claims« der Theorie des Romans: »The emergence of the novel as the major modern genre is seen as the result of a change in the structure of human consciousness.« Paul de Man, »Georg Lukács’s Theory of the Novel«, in: MLN 81, Nr. 5 (Dezember 1966), S. 527–534, hier S. 529.

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Lukács spricht diesbezüglich von Metaphysik.34 Es ist Kants ›transzendentale Wende‹, die den Eintritt in die philosophische Zeit markiert, die bei Lukács mit der Heimatlosigkeit beginnt und auf diese antwortet. So ist nach Novalis Philosophie nicht nur Heimweh, sondern, wie Lukács zitiert, »›der Trieb überall zu Hause zu sein‹«35. Mit Kants »Sternenhimmel« der Erkenntniskritik wird der heimische Grund zum »Abgrund«36. Mit der »Produktivität des Geistes«, die das reflektierende Subjekt zum Mittelpunkt und logisch-philosophischen Anfang macht, verschwinden die Urbilder, und die kosmologische Ordnung der Ähnlichkeiten und Quantitäten wird abgelöst durch das Prinzip der Reflexivität, wodurch »das Subjekt für sich selbst zur Erscheinung, zum Objekt geworden ist«: »Wir haben in uns die allein wahre Substanz gefunden«, beschreibt Lukács Kants Wende, »darum mußten wir zwischen Erkennen und Tun, zwischen Seele und Gebilde, zwischen Ich und Welt unüberbrückbare Abgründe legen und jede Substantialität jenseits des Abgrunds in Reflexivität zerflattern lassen; darum mußte unser Wesen für uns zum Postulat werden und zwischen uns und uns selbst einen noch tieferen und gefahrdrohenden Abgrund legen«.37 Dieser Abgrund ist bei Lukács zugleich der logische Ursprung moderner Subjektivität und erkenntnistheoretischer Philosophie sowie deren inhärente Unmöglichkeit, indem nicht nur die Selbstverständlichkeit kosmologischer Weltordnung verloren ist, sondern fortan das Denken einen »unendlichen Weg der niemals voll geleisteten Annäherung« zu gehen verdammt ist.38

V ERLORENE U RSPRÜNGE ,

DISJUNKTIVE

M ETHODE (L UKÁCS ’ H EGEL )

In Lukács’ Theorie des Romans wird die Idee der Entfremdung und »transzendentalen Obdachlosigkeit« vor allem vor dem Hintergrund der Idee einer ur-

34

Vgl. Lukács, Theorie, S. 25; vgl. Timothy Bahti, »Nietzsche’s ›Ursprünge‹, Lukács’s Leaps«, in: ders., Allegories of History: Literary Historiography after Hegel (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1992), S. 156–182, hier S. 177.

35

Lukács, Theorie, S. 21.

36

Vgl. Bahtis Lektüre der »leaps« (Sprünge): Bahti, »Nietzsche’s ›Ursprünge‹, Lukács’s Leaps«, S. 169ff.

37

Lukács, Theorie, S. 25.

38

Ebd.

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sprünglichen und harmonischen Totalität thematisiert.39 Neben Schillers ästhetischer Spekulation40 fungiert vor allem Nietzsches Verbindung von Lebens- und Kunstphilosophie als Schaltstelle, über die der Verlust einer ursprünglichen Totalität mit der dionysischen ›Unform‹ des Lebens zusammengedacht werden kann.41 Entsprechend trägt die Theorie des Romans hinsichtlich ihres Lebensbegriffs die Handschrift von Lukács’ Die Seele und die Formen (1911). Hier ist Leben ›ursprünglich‹ das Ungeformte und Sinnfremde schlechthin, dem Form und Bedeutung nachträglich – gewaltsam – zukommen.42 Indem der Roman das Symptom einer gottverlassenen Welt ist, in der es keine »Lebensimmanenz des Sinns«43 mehr gibt, zerteilt sich menschliches Dasein und Bewusstsein in empirische Erfahrung (»Leben«) und das Begehren nach dessen Transzendierung (»Wesen«). Zwischen dieser ursprünglichen Dissonanz und der Romantik epischer Konsonanz organischer Gemeinschaft changiert die Theorie des Romans. Damit weist Lukács’ Text aus, dass es innerhalb der Frage nach einer Theorie des Romans um eine ›verlorene‹ Sinnfälligkeit des Begriffs der Gattung geht; oder konkreter: dass für den Roman der Begriff der Gattung nicht mehr rein literarisch ist, sondern über den Begriff des Lebens eine biologische Dimension bekommt.44 Diese inhärente Differenz von Literatur und Leben im Begriff der romanesken Gattung versucht die Theorie des Romans in der Figur der Dialektik zu lösen und stellt sie dadurch, so das Argument der folgenden Lektüre, als Theoriefigur heraus. Lukács mobilisiert eine Dialektik zwischen der »Obdachlosigkeit« menschlichen Daseins und dem Streben nach geschlossenen Formen. Der Roman wird damit zum Projekt gewaltsamer Totalisierung dieser Lebensdissonanz gemacht, die die ›prosaischen‹ Vereinzelungsmomente immer noch an die unwiederbringliche epische Totalität zurückbindet: »Der Roman ist die Epopöe eines Zeital-

39

Zur im engeren Sinne marxistischen Ausformulierung von Verdinglichung, zweiter Natur und Entfremdung vgl. Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik (Neuwied: Luchterhand, 1970).

40

Vgl. de Man, »Theory of the Novel«, S. 530.

41

Vgl. Friedrich Nietzsche, »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik«, in: Die Geburt der Tragödie, Unzeitgemäße Betrachtungen I–III (1872–1874). Nietzsches Werke: Kritische Gesamtausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 3.1 (Berlin; New York: De Gruyter, 1972), S. 4–152; vgl. Bahti, »Nietzsche’s ›Ursprünge‹, Lukács’s Leaps«.

42

Vgl. Campe, »Theorie des Romans«, S. 209.

43

Lukács, Theorie, S. 43.

44

Vgl. Campe, »Theorie des Romans«, S. 193ff.

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ters, für das die extensive Totalität des Lebens nicht mehr sinnfällig gegeben ist, für das die Lebensimmanenz des Sinnes zum Problem geworden ist, und das dennoch die Gesinnung zur Totalität hat.«45 Während Epik »Leben, Immanenz, Empirie«46 ist, kann der Roman bei Lukács »niemals das Schaffen einer neuen Realität, sondern immer nur ein subjektives Spiegeln der bereits daseienden«47 sein. Indem der moderne Roman das erkennende Subjekt unumstößlich ins Zentrum rückt, wird er zur Markierung eines »Abgrund[s]« und »ungünstige[n] Boden[s]« in Bezug auf die ›entfremdete‹ »Wirklichkeit«.48 Lukács bedient sich dieses Narrativs, um sein Projekt als Moderne-Kritik auszuweisen, und deutet damit zugleich für die Theorie des Romans den prekären diskursiven Status an, der sich innerhalb der Meistererzählung vom verlorenen Paradies und der episch-totalen Kindheit ansiedelt.49 Die prekäre Fundiertheit des Diskursiven, den unsicheren Status des »Abgrunds« und »Bodens«, markiert der verlorene und ewig entfremdete »Sternenhimmel« Kants, der sich damit absetzt von der Bedeutung des Sternenhimmels in Hegels Vorrede zur Phänomenologie des Geistes.50 Hier sind die Sterne Anzeichen einer gesicherten Transzendenz: Der »Blick zu den Sternen« folgt dem »Lichtfaden, durch den [alles, was ist,] an den Himmel geknüpft war«.51 Hegels Geist setzt dort an, wo es um die Erhebung über das bloß Irdische geht, wo der Blick – nachdem er einmal vom Überirdischen abgewendet, seine Aufmerksamkeit dem Irdischen und Diesseitigen, dem Gegenwärtigen und der Erfahrung geschenkt hat – sich wieder den lichten Sphären zuwendet.52 »Hegel’s age of access to the heavenly was, is no longer, but would be again«, fasst Bahti die bei Hegel und Lukács unterschiedlichen Begriffe von Philosophie zusammen,

45

Lukács, Theorie, S. 43.

46

Ebd., S 41.

47

Ebd., S. 37.

48

Ebd., S. 12f.

49

Erst und nur vor dem narrativen Hintergrund dieser Erzählung wird die Setzung der modernen Subjektivität für den Roman plausibel, an der Lukács festhält, um die Möglichkeit der Überwindung des »Abgrunds« als ein Jenseits der Philosophie des Geistes in den Sphären der ›Wirklichkeit‹ aufzuzeigen: Vgl. Rüdiger Dannemann und Frank Benseler, »Nachwort«, in Georg Lukács: Die Theorie des Romans (Bielefeld: Aisthesis, 2009), S. 123–133.

50

Vgl. Bahti, »Nietzsche’s ›Ursprünge‹, Lukács’s Leaps«, S. 176f.

51

Hegel, Phänomenologie, S. 16.

52

Vgl. ebd., S. 16f.

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»while Lukács’s age of the epic was, is no longer, and… would not be again«.53 Diese Philosophie – auch als Philosophie der Geschichte – ist bei Hegel der Weg zu den Sternen und die Bewegung hin zu einer stabilen Ordnung, während bei Lukács Geschichtsphilosophie das Reflektieren auf den »Abgrund« bleibt. Dieser Abgrund aber erschafft die dialektische Bewegung selbst. Denn während seit Descartes’ cogito und bis hin zu Kant die Figur der Reflexion die Trennung und den Abgrund zwischen erkennendem/denkendem Subjekt und zu denkendem/gedachtem Objekt markiert, ist Reflexion als Gegenstand und Methode der Philosophie zugleich die fortwährende Fundierung oder Be-Gründung der Philosophie als Philosophie. Diesen Aspekt fasst Rodolphe Gasché zusammen: To the extent that transcendental philosophy lays claim to reflecting the a priori conditions of all knowledge, it must also reflect on the ground proper of philosophy, and thus become the medium of the self-reflection of philosophy. In the thinking of the thinking – what Aristotle called neosis noeseos – reflexivity serves at once as a medium, the method, and the foundation by which philosophy grounds itself within itself.54

Mit Gasché gelesen, ist bei Hegel Reflexion »an act of bringing back«55, denn Hegel denkt die beiden Momente – Reflexion eines Anderen und Reflexion des Reflexionsvorganges – ohne drohenden Abgrund zusammen: […] that the object reflected by the mirroring subject is not just any object but rather this subject’s symmetric Other – in other words, a representation of its alienated self. With such an alienating positing of itself as object, its reflection truly becomes an act of bringing back, a recapturing recognition. In the reflection of the mirror-subject as an annulment of the mirroring subject’s former alienation, the reflection of Other becomes a reflection of self. The mirror’s self-reflection is the embracing whole that allows it to release itself into Other, which explains why it faces an object in the first place and why it returns reflexivity to itself.56

Das Prinzip der Spiegelung garantiert hier, dass der/das Andere und Fremde nur der/das andere meiner selbst ist, so dass der Reflexionsvorgang zu einer selbst-

53

Bahti, »Nietzsche’s ›Ursprünge‹, Lukács’s Leaps«, S. 177.

54

Rodolphe Gasché, The Tain of the Mirror: Derrida and the Philosophy of Reflection (Cambridge; London: Harvard University Press, 1986), S. 15.

55

Ebd., S. 21.

56

Ebd.

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versichernden Begründung der philosophischen Reflexion und ihrer Methode wird. Lukács’ spätere Ausformulierung der Literatur als Widerspiegelung zielt deshalb nicht nur auf einen naiven Realismus oder Naturalismus. Nachträglich wird – schon für die Theorie des Romans – das Begehren lesbar, den Gegenstand der Reflexion (die Geschichte der Moderne als Geschichte der Reflexion) und die Methode (die philosophische Reflexion dieser Geschichte) in eins aufgehen zu lassen. Denn wie Gasché schreibt, liegt im Kern der Metaphysik der Subjektivität das reflexive Begehren des Denkens selbst begründet: »At the very heart of modern metaphysics as a metaphysics of subjectivity, reflexivity [is] the very medium of its unfolding; it is the method and substance, the very origin of philosophy itself as a discourse of radical autonomy.«57 Dass die Theorie des Romans vorgibt, nach dem Vorbild von Hegels Phänomenologie und deren Fortschreiten des Geistes, die Verfallsgeschichte des Romans aus der Perspektive des Romans selbst zu erzählen,58 gehört zu diesem Begehren, die Methode als Methode zu unterschlagen und die Theorie als Substrat einer allgemeinen Erkenntnis auszugeben. Gleichzeitig aber – und gerade in dieser Ambivalenz ist die Theorie des Romans für die Frage nach dem Status von Romantheorie relevant – verwehrt der Text diesen sicheren Grund. Innerhalb der linear-geschichtlichen Logik des Romans, die – dem Verfall zum Trotz – das Fortschreiten des Geistes der Erkenntnis impliziert, markiert die Theorie des Romans den Bruch – und die Brüchigkeit –, die schon Hegels Prosa feststellen muss. Lukács bestimmt Ironie als die normative Gesinnung und formale Bestimmung des Romans. Im Rückgriff auf die romantische Tradition der Romantheorie ist Ironie die innere Spaltung des normativ dichterischen Subjekts in eine Subjektivität als Innerlichkeit, die fremden Machtkomplexen gegenübersteht und der fremden Welt die Inhalte ihrer Sehnsucht aufzuprägen bestrebt ist, und in eine Subjektivität, die die Abstraktheit und mithin die Beschränktheit der einander fremden Subjekts- und Objektswelten durchschaut, diese in ihren, als Notwendigkeiten und Bedingungen ihrer Existenz begriffenen, Grenzen versteht und durch dieses Durchschauen die Zweiheit der Welt zwar bestehen läßt, aber zugleich in der wechselseitigen Bedingtheit der einander wesensfremden Elemente eine einheitliche Welt erblickt und gestaltet.59

57

Ebd., S. 15.

58

Vgl. de Man, »Theory of the Novel«, S. 528.

59

Lukács, Theorie, S. 57f.; vgl. Peter Szondi, »Friedrich Schlegel und die romantische Ironie«, in: Helmut Schanze (Hg.), Friedrich Schlegel und die Kunsttheorie seiner Zeit (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1985), S. 143–156.

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Anders als Hegel, der die romantische Ironie als unernst abstraft und deren dissonantes Moment dialektisch synthetisieren muss,60 nimmt Lukács die Unauflösbarkeit der Dissonanz als Urszene der Ironie des Romans an: Diese Komposition nimmt die Dissonanz zwischen ›Leben‹ und ›Wesen‹ auf, von der her der Roman bestimmt ist. Während die Dramatik und ihr Begriff des (verwirklichenden) Handelns die Gattung der Wesenhaftigkeit ist, reflektiert die Epik den Abstand und die Dissonanz zwischen »empirischem« und »intelligiblem« Ich.61 Entscheidend ist hier, dass Lukács innerhalb der Erzählung vom Verlust von immanentem Sinn und ursprünglich gegebener Idealität Dissonanz für den Roman strukturell denkt, als Verhältnis zwischen dem dargestellten Individuum und den Darstellungsvorgängen und -positionen des Erzählens.62 Im Unterschied zur ›organischen‹ Form der Dramatik, in der im Begriff des Handelns subjektive und objektive Welt zusammenkommen, ist die Epik, indem Lukács diese allein vom erkennenden Subjekt her denkt, geprägt von der Spannung zwischen der subjektiv-schöpferisch-gestaltenden Setzung der Erzählung und der Inskription des empirischen ›Autorsubjekts‹ in seinen Text, die die Erzählung nicht garantiert, sondern als setzend-ideale Gestaltung in Frage stellt: Denn Subjekt und Objekt fallen in der Epik nicht zusammen, wie im Drama, wo die gestaltende Subjektivität – aus der Werkperspektive gesehen – nur ein Grenzbegriff ist, eine Art von Bewußtsein überhaupt, sondern sind klar und deutlich im Werke selbst vorhanden und voneinander geschieden; und da aus der formgewollten Empirität des Gegenstandes ein empirisches, gestaltendes Subjekt folgt, kann dieses niemals der Grund und die Gewähr der Totalität der herausgestellten Welt sein.63

Lukács’ Text ist bemüht, die Autorinskription als Markierung der Autorität auszugeben, die über das Leben als »souveräne[n] Besitz« und über dessen Deutung verfügt.64 Doch auch wenn sie »alles gestalten« will, kann sie nur »einen Ausschnitt spiegeln« und sieht sich dem »Zusammenbrechen der Objektwelt« und der »Substanzlosigkeit der selbstgeschaffenen Trümmerwelt« gegenüber.65

60

Hegel, Ästhetik: I/II, S. 118–125.

61

Vgl. Lukács, Theorie, S. 34ff.

62

Vgl. Kap. 4, ebd., S. 54ff.; vgl. de Mans Einschätzung, dass »Lukács’s originality resides in his use of irony as a structural category«, de Man, »Theory of the Novel«, S. 532; vgl. auch Lukács, Theorie, S. 65.

63

Lukács, Theorie, S. 37.

64

Vgl. ebd., S. 72.

65

Vgl. ebd., S. 41; vgl. de Man, »Theory of the Novel«, S. 531.

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Lukács verortet diese Beobachtung aber nicht nur kulturpessimistisch im Verlust der Sinnimmanenz, sondern strukturell in der Form des Romans: Wenn Ironie die – selbst-reflexive – »Selbstkorrektur der Brüchigkeit«66 ist, dann ist sie zu allererst ein Hinweis auf diese Kontingenz und Brüchigkeit – »the ironic structure acts disruptively«, schreibt de Man.67 Diese unterbrechende Qualität bestimmt Lukács im Verhältnis des Begrifflichen zum ›Leben‹, das der Formung bedarf und sich zugleich immer transgressiv zur Form verhält:68 »So erscheint der Roman im Gegensatz zu dem in der fertigen Form ruhenden Sein anderer Gattungen als etwas Werdendes, als ein Prozeß.«69 Das führt dazu, dass sich der Roman »zwischen einer homogen-organischen Stätigkeit und einem heterogen-kontingenten Diskretum«70 bewegt, so dass »[a]lle Risse und Abgründe, die die geschichtliche Situation in sich trägt, […] in die Gestaltung einbezogen [werden müssen] und […] nicht mit Mitteln der Komposition verdeckt werden [können und sollen]«71: »Die Komposition des Romans ist ein paradoxes Verschmelzen heterogener und diskreter Bestandteile zu einer immer wieder gekündigten Organik.«72 Lukács überträgt seine Überlegungen vor allem auf das dem Roman inhärente Verhältnis von Teil zu Ganzem, das sich im Verhältnis von Kontinuität oder Linearität und Unterbrechung bestimmen lässt. Doch die »relative[] Selbständigkeit der Teile« – die hier der Singularität des empirischen Lebens entspricht – kompensiert ihre »Gebundenheit an das Ganze«.73 Denn auch wenn jede begriffliche Beziehung sich nurmehr der ursprünglichen Totalität unendlich annähern und die »echtgeborene Organik« nicht mehr hergestellt werden kann, bleibt Lukács’ disjunktive Struktur doch der Organik verschrieben: »Das Schweben zwischen einem Begriffssystem, dem das Leben immer entgleitet, und einem Lebenskomplex, der niemals zur Ruhe seiner immanent-utopischen Vollendung zu gelangen vermag, kann sich nur in der erstrebten Organik der Biographie objektivieren.«74 Während Paul de Man Ironie als »interpreted awareness of the distance that separates an actual experience from the understanding of this experience« herausstellt, so dass »[the] ironic language of the novel mediates be-

66

Lukács, Theorie, S. 58.

67

De Man, »Theory of the Novel«, S. 531.

68

Vgl. Lukács, Theorie, S. 59f.; vgl. Campe, »Theorie des Romans«, S. 195f. und 209.

69

Lukács, Theorie, S. 56.

70

Ebd., S. 59.

71

Ebd., S. 46.

72

Ebd., S. 65.

73

Ebd., S. 58.

74

Ebd., S. 59.

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tween experience and desire, and unites ideal and real within the complex paradox of the form«,75 versucht Lukács diese Ironie in der biografischen Form zu überwinden, indem das Biografische zur »Überwindung der schlechten Unendlichkeit« wird: [E]inerseits wird der Umfang der Welt durch den Umfang der möglichen Erlebnisse des Helden begrenzt und ihre Masse durch die Richtung, die sein Werdegang auf das Finden des Lebenssinnes in der Selbsterkenntnis nimmt, organisiert; andererseits erhält die diskret-heterogene Masse von isolierten Menschen, sinnesfremden Gebilden und sinnlosen Begebenheiten eine einheitliche Gliederung durch das Beziehen jedes einzelnen Elementes auf die Zentralgestalt und das von ihrem Lebenslauf versinnbildlichte Lebensproblem.76

Lukács’ hier formulierte Lösung ist im Kern trivial: Die im Konzept der Gattung artikulierte Differenz von Teil und Ganzem und der Abgrund des Fremden und Differenten im Erkennen erfahren eine »einheitliche Gliederung«, indem das einzelne Individuum zum »typischen Repräsentanten jenes Systems von Ideen und erlebten Idealen« wird und so »die Entwicklung eines Menschen der Faden ist, auf den die ganze Welt aufgeknüpft und durch den sie abgerollt wird«.77 Entscheidend ist, dass Lukács nun das Prozessuale – der Entwicklung, des Lebenslaufs – zu einem nicht nur linearen, sondern teleologischen Verlauf macht: Im Verlauf wird das sinnferne Leben zu einer intentionalen Bewegung; der Ablauf des Lebens kompensiert die epische Totalität. Ebenso wie der sinnstiftende Lauf des Lebens die verlorene Sinnimmanenz aufnimmt, so rahmt der geschichtsphilosophisch erkenn- und schreibbare Verlauf der Geschichte die gesamte Theorie des Romans. Während die ironische Struktur die Totalität gerade aufkündigt, rahmt Lukács den Roman erneut durch die Totalität fortlaufender Zeitkonzeption. Die entwicklungsgeschichtliche Zeitkonzeption fungiert als »a substitute for organic continuity«78. So bringt die Ordnung der Zeit in die »planlose Wirrnis der Menschen« einen Anschein von Organik, indem die im Roman gestaltete Zeit »etwas an und für sich Existentes, ein konkretes und organisches Kontinuum« wird.79 Dieses Kontinuum ordnet die horizontale und synchrone Unübersichtlichkeit (»Überwindung der schlechten Unendlichkeit«) in einem vertikalen

75

De Man, »Theory of the Novel«, S. 532.

76

Lukács, Theorie, S. 63.

77

Ebd.

78

De Man, »Theory of the Novel«, S. 534.

79

Lukács, Theorie, S. 97.

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und diachronen Zeitstrahl, der die Gegenwart so zwischen Vergangenheit und Zukunft verortet, dass selbst noch die größte Trostlosigkeit »immer durchstrahlt von der Hoffnung oder der Erinnerung«80 bleibt. Deshalb kann Lukács die Ironie letztlich der Melancholie zuschlagen, die Reflexion auf den Abstand zwischen Ideal und Wirklichkeit, das »Reflektieren-müssen«, zur »tiefste[n] Melancholie jedes echten und großen Romans« erklären.81 Die Theorie des Romans zerfällt so in zwei unterschiedliche und widerstreitende Projekte: Am modernen Roman erzählt sie eine Verfallsgeschichte der Moderne und muss dabei deren Reflektier- und Erzählbarkeit supponieren. Zweitens aber befragt die Theorie des Romans immer zugleich die ›Gründe‹, von denen sie erzählt. Die Theorie des Romans ist Besorgnis um Methode. Gefragt wird hier nach der Philosophie der Geschichte, die wiederum zweierlei ist: die Frage nach dem Übergang der Geschichte der Dinge und Ereignisse in den Bereich des Denkens und Darstellens; und zweitens der Versuch, eine implizite Geschichte der (dialektischen) Methode mitzuschreiben. In diesem Projekt stehen Gründe und Ursprung radikal in Frage. Denn in der Theorie des Romans widerstreiten sich die verschiedenen theoretischen Register: Während das ›historische‹ Narrativ seinen Anfang in der Geschichte der ›Wirklichkeit‹ zu verorten sucht, ist es von eben diesem Anfang an die geschichtsphilosophische Rahmung, die die Perspektive der Entwicklungsgeschichte allererst generiert und deren ›Wirklichkeit‹ zugleich zurücknimmt.82 ›Theorie‹ wird so bei Lukács als ein Unmaß theoretischer (Be-)Gründung lesbar.83 Dieses Unmaß, das die Frage nach der Theorie des Romans stellt und deren ursprüngliche Verortung zugleich zurücknimmt, impliziert schon Hegels Idee der ›Prosa‹. Während Hegel zwar die Heroenzeit und das Zeitalter des Prosaischen in eine direkte Abfolge bringt, ist es nicht der Roman, der als Verfallsform des Epos besondere Aufmerksamkeit bekommt. Über den Roman im engeren Sinn schreibt Hegel nur: »Für die sonstigen Kreise des gegenwärtigen nationalen und sozialen Lebens endlich hat sich im Felde der epischen Poesie ein unbeschränkter Raum für den Roman, die Erzählung und Novelle aufgetan, deren breite Entwicklungsgeschichte von ihrem Ursprunge ab bis in unsere Gegenwart hinein ich hier jedoch selbst in den all-

80

Ebd.

81

Ebd., S. 66.

82

Vgl. Bahti, »Nietzsche’s ›Ursprünge‹, Lukács’s Leaps«, S. 178.

83

Vgl. ebd., S. 169: »Lukács’s narrative of and toward theory is not, as it ›develops‹, developmental, but leaps (springt) across its own theoretical abysses, which are the Abgründe of Ursprünge.«

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gemeinsten Umrissen nicht weiter zu verfolgen imstande bin.«84 Der Roman ist hier also gekennzeichnet als das, was sich in unübersichtlicher Fülle zeigt und mit einem Ursprung, der nicht verfolgbar oder mindestens nicht restlos in die spekulative Philosophie der Gattungen integrierbar ist. Die Prosa der Verhältnisse wird so zur Aushebelung der dialektischen Ordnung: »Denn ihre Handlungen sind stets nur eine partielle Verwirklichung eines einzelnen Falles, nicht aber die Verwirklichung desselben als einer Allgemeinheit.«85 »Situation« bestimmt Hegel dabei als Kernelement des Dialektischen, als die »Mittelstufe zwischen dem allgemeinen, in sich unbewegten Weltzustande und der in sich zur Aktion und Reaktion aufgeschlossenen konkreten Handlung«.86 »Situation« im besten Fall ist Kollision; sie bietet den Rahmen für den Konflikt – oder die »Verletzung«, wie Hegel sagt, die eine Reaktion erfordert. Von der Warte des Prosaischen aus, erweist sich die »Situation« als Rahmenfunktion des Dialektischen, die nur innerhalb dialektischer Logik als ein solcher Rahmen funktioniert. Wenn also der Roman – dessen Ursprünge zu verfolgen Hegel »selbst in den allgemeinsten Umrissen nicht […] imstande [ist]«87 – aus dem Rahmen der dialektischen Ordnung der Ästhetik fällt, dann hat das damit zu tun, dass das Prosaische nicht nur eine Figur der Ordnung, sondern eine des Unmaßes ist. Hegel erwähnt die der Erzähltheorie Quintilians entnommene rhetorische Figur der enàrgeia, welche die Klarheit des erzählenden Stils, die detailreiche Schilderung oder, bei Hegel, die »Deutlichkeit für die Anschauung«88 bezeichnet. Bei Quintilian ist enàrgeia eine Figur des deskriptiven Details.89 Das Maß dieser Schilderung aber ist schon bei Quintilian nicht gegeben90 und so fürchtet auch Hegel ein Zuviel an Einzelheiten – deshalb [gibt] der Dichter […] statt der Sache stets nur den Namen, das Wort, in welchem das Einzelne zu einer Allgemeinheit wird, indem das Wort von der Vorstellung produziert ist und dadurch schon den Charakter des Allgemeinen in sich trägt. […]. Die Poesie wird stets nur das Energische, Wesentliche, Bezeichnende herausheben dürfen, und dies aus-

84

Hegel, Ästhetik: III, S. 199f.

85

Hegel, Ästhetik: I/II, S. 269.

86

Ebd., S. 290.

87

Hegel, Ästhetik: III, S. 199f.

88

Hegel, Ästhetik: I/II, S. 247.

89

Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners, hg. und übers. von Helmut Rahn (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995), Kap. IV. 2, 63–65; VI. 2, 29–36; VIII. 3, 61–70; IX. 2, 40ff.

90

Vgl. Campe, »Theorie des Romans«, S. 205f.

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drucksvoll Wesentliche ist eben das Ideelle und nicht bloß Vorhandene, dessen Einzelheiten bei irgendeinem Vorfall, einer Szene usf. vorzutragen matt, geistlos, ermüdend und unerträglich werden müßte.91

Das Prosaische bei Hegel – assoziiert mit der Partikularität eines (Vor-)Falls oder einer einzelnen Szene – ist ein radikales Desinteresse an den Momenten der Totalität und damit nicht nur der Ausfall der Idealität, sondern des dialektischen Fortschreitens insgesamt, das die Ökonomien des Erstrebens und Zerfallens benötigt. Das Prosaische ist gleichzeitig der logische Grund der epischen Transzendierung oder teleologischen Erzählung und deren Unterbrechung. Das Prosaische bei Hegel geht so nicht in dem Gegensatz von Prosa und Poesie auf. Vielmehr kann es als eine »Verminderung in der Reichweite der Sprache der Kritik« bezeichnet werden, die sich den »poetischen Überbaustrukturen« entgegenstellt.92 Es bezeichnet einen theoretischen Gesichtspunkt, der sich auf die »untergeordneten Teile des ästhetischen Gegenstandes«93 bezieht, auf die Einzelfälle und Szenen der Literatur und auf die tropische Ebene einzelner Sprachfiguren. Prosa besagt, dass diejenigen Kategorien, die sich auf Ganzheit und Allgemeines beziehen – wie die Kategorie der Gattung – nicht mehr als allgemeine Begriffe oder als am Allgemeinen ausgerichtete Theorie zur Verfügung stehen. Das Prosaische ist damit eine begründende Figur des Romans als seine Theorie im Roman, die immer zugleich den abgründigen Ursprung der (Be-)Gründung mitführt.

P LOT -S TRUKTUR : P URSUIT

OF HAPPINESS , HOMELAND

(M ORETTIS G OETHE ) In The Way of the World. The Bildungsroman in European Culture (1987) nimmt der Stanforder Komparatist Franco Moretti nicht nur Hegels Bestimmung der Prosa auf, sondern bestimmt auch Verknüpfung und Synthese als Kriterien derjenigen organischen Form, die den europäischen Roman als Bildungsroman zur »›symbolic form‹ of modernity«94 mache. Mobility und interiority sind die

91

Hegel, Ästhetik: I/II, S. 248.

92

Paul de Man, »Hegel über das Erhabene«, in: ders., Die Ideologie des Ästhetischen, hg. von Christoph Menke, 3. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000), S. 59–79, hier S. 77f.

93

Ebd., S. 78.

94

Moretti, Bildungsroman, S. 5.

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zentralen Bestandteile von Morettis Konzept des Bildungsromans: Goethes aspirations, Stendhals ambitions, Balzacs illusions, Dickens expectations und Eliots yearnings sind die Artikulation eines »right to dream«95. ›Bildung‹ meint hopes, dissatisfaction, restlessness und »an uncertain exploration of social space«96. Doch dieser Traum ist ganz und gar ›prosaisch‹. Happiness ist hier nicht das revolutionäre Konzept, von dem Louis-Antoine Saint-Just 1792 als einer »new idea for Europe« spricht oder auf das sich Thomas Jeffersons mit »Life, Liberty, and the pursuit of Happiness« in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung bezieht.97 Statt des revolutionären »without rest and compromise« setzt Morettis Idee vom Bildungsroman »I desire to do what I in any case should have done« als Ideal der Sozialisation.98 Happiness wird so zu dem Zustand, in dem das Werden endet und eine Welt ohne weiteres Begehren und ohne Transformation erreicht ist: das Angekommensein in Ehe- und Familienordnung – »the reassuring atmosphere of ›familiarity‹«, »[the] quiet happiness of belonging to a fixed place«, »the stability of social connections«.99 Die Ehe, so Moretti, ist dabei der neue Austragungsort des Sozialvertrags: »[A] sense of individual obligation« ist die Formel, die diejenige Unterordnung formuliert, die Zugewinn aller und damit prosaisches Freiheits- und Glücksversprechen bedeutet.100 Morettis Lektüre des europäischen Romans ist die überpointierte ›Umsetzung‹ eines Teils von Hegels Prosa, verbunden mit dem, was Max Weber als protestantische Ethik des kapitalistischen Geistes beschreiben wird: Verzicht auf spekulatives Abenteuer und Zufriedenheit mit mittelmäßigem, aber sicherem Profit. Statt unendlicher Tausch- und Transformationsprozesse, statt der Heimatlosigkeit des Handelsreisenden und den abenteuerlichen Irrpfaden des Kapitals geht es hier um Ökonomien des Heims.101 Der von Habermas für das späte 18. Jahrhundert konstatierte Rückzug in die Sphäre des Privaten erweist sich in Morettis Lektüre des Bildungsromans als

95

Ebd., S. x.

96

Ebd., S. 4.

97

Vgl. ebd., S. 23.

98

Ebd., S. 21.

99

Ebd., S. 24ff.

100 Ebd., S. 22. Vgl. zum »courtship narrative« für den angelsächsischen Kontext Watt, The Rise of the Novel; vgl. zur kritischen Relektüre Michael McKeon, The Secret History of Domesticity: Public, Private, and the Division of Knowledge (Baltimore: The Johns Hopkins University Press, 2005). 101 Vgl. auch Lukács’ Lektüre von Wilhelm Meister, der ihm Ausdruck von »Sehnsucht nach einer diesseitigen Heimat« und Versöhnung ist; Lukács, Theorie, S. 102.

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Strategie der ›Beheimatung‹: »Time must be used to find a homeland. If this is not done, or one does not succeed, the result is a wasted life: aimless, meaningless.«102 Die Behauptung besteht dabei nicht darin, dass das Leben an sich sinnvoll (meaningful) sei: Das Motiv des homeland ist vor allem eine Maßgabe der narrativen Konstruktion. Denn ›Leben‹ bekommt referenzielle Qualität überhaupt erst von der Warte seiner Medialisierung aus: Nicht die Redefigur wird vom Referenzobjekt bestimmt, sondern das Vorhaben, das Leben sinnvoll zu schreiben, produziert die Figuration der literarischen Rede.103 ›Sinnvolle‹ und kohärente Erzählung geschieht als ›Einpassung‹ des zu erzählenden Lebens in eine plot-Struktur. Plot bezeichnet eine Struktur, die »in die verwirrende Chaotik und Fülle des Seins eine logische (nämlich dramatische) Ordnung hineinträgt«104 . Diese plot-Konstruktion thematisiert Aristoteles’ Poetik an der Frage der Familienordnung, die mehr beinhaltet als eine Sozialgeschichte des Bürgerlichen und eine Diskursgeschichte der Literatur. Aristoteles’ Charakterisierung der Tragödie durch Verkettung und Verdichtung105 ist nicht zufällig eng verknüpft mit dem griechischen Ausdruck philos/philoi (›Freund/Freunde‹). Das Kernelement des structured plot sind »interactions between people who are closely connected with each other«: »What one should look for are situations in which sufferings arise within close relationships, e.g. brother kills brother, son father, mother son, or son mother – or is on the verge of killing them, or does something else of the same kind.«106 Wenn philoi all jene umfasst, »to whom one is bound by ties of mutual obligation«107, dann ist damit nicht das Interesse der Poetik an einer Sozialgeschichte des Familialen bezeichnet, sondern an dessen Literarizität. Da innerhalb der Relationen der Bindung und gegenseitigen

102 Moretti, Bildungsroman, S. 19. 103 Vgl. Paul de Man, »Autobiographie als Maskenspiel«, in: ders., Die Ideologie des Ästhetischen, hg. von Christoph Menke, 3. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000), S. 131–146. 104 Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater, 5. Aufl. (Frankfurt am Main: Verlag der Autoren, 2011), S. 61. 105 Was Fuhrmann als »Zusammenfügen der Fabel« übersetzt (συνιστάντας τοὺς μύθους), ist bei Heath mit dem technischen und den Begriff der Struktur enthaltenden »construction of plots« wiedergegeben; vgl. Aristotle, Poetics, S. 20ff; vgl. Malcom Heath, »Introduction«, in: Poetics, hg. und übers. von Malcom Heath (New York: Penguin, 1996), S. vii–lxxi, hier S. xvii; vgl. Aristoteles, Poetik, S. 36f. 106 Aristotle, Poetics, S. 23. Die Formel »closely connected with...« übersetzt philoi; vgl. S. xxxiii und S. 53 (Fußnote 47). 107 Heath, »Introduction«, S. xxxiii.

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Obligation der (tragische) Effekt der Verkettung immer schon zur Debatte steht, ist das Familiale ein Begriff von literarischer Struktur. Die narrative Logik des Romanbegriffs setzt auf diesen Zusammenhang: »[T]hat a life is meaningful if the internal interconnections of individual temporality […] imply at the same time an opening up to the outside, an ever wider and thicker network of external relationships with ›human things‹«108, schreibt Moretti über Goethes Bildungsroman und greift damit die für die romantische Romantheorie einschlägige Lektüre Friedrich Schlegels auf. In »Über Goethes Meister« (1798)109 beschreibt Schlegel diese Strukturiertheit als den »Genius des Buchs«, wodurch sich alles zu »innere[n] Beziehungen und Verwandtschaften« und zum »malerische[n] Ganze[n]« fügt, so dass »alles gegenwärtig vor unsern Augen« steht.110 Die romantische Lektüre von Wilhelm Meister, die anhand der Momente der Verknüpfung und Synthese den idealen und universalen Charakter des Texts herauszustellen weiß, findet sich noch in Kindlers Literaturlexikon in der Auflage von 2009: Goethe komponiere seinen Roman detailgenau und bestimme Wilhelm als die »konturlose Achse der an ihm zusammengeführten Einzelgeschichten«, so dass dem Bildungsprozess die »Selbstevidenz innerer Folgerichtigkeit« verliehen sei.111 Diese Selbstevidenz aber eignet dem Goethe’schen Roman nur, wenn man seine hermeneutischen Prämissen in den Vordergrund hebt; oder anders formuliert: Die Evidenz steht im Roman immer zugleich auch auf dem Spiel, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Das Konzept der Ganzheit entwickelt Goethe an Shakespeares TheaterFiguren. An Eckermann schreibt er 1828: So kam Shakespearen der erste Gedanke zu seinem Hamlet, wo sich ihm der Geist des Ganzen als unerwarteter Eindruck vor die Seele stellte, und er die einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des Ganzen in erhöhter Stimmung übersah, als ein reines Ge-

108 Moretti, Bildungsroman, S. 18. 109 Schlegels Essay gilt als Keimzelle der progressiven Universalpoesie und Begründung einer romantischen Romantheorie. Vgl. Reinhold Grimm (Hg.), Deutsche Romantheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Romans in Deutschland (Frankfurt am Main: Athenäum, 1968). 110 Schlegel, »Über Goethes Meister«, S. 126ff. 111 Ulrike Landfester, »Johann Wolfgang Goethe. Die Wilhelm Meister Romane«, in: Kindlers Literaturlexikon, hg. von Heinz Ludwig Arnold, 3. völlig neu überarb. Aufl. (Stuttgart: Metzler, 2009), S. 320–326.

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schenk von oben, worauf er keinen unmittelbaren Einfluß gehabt hatte, obgleich die Möglichkeit, ein solches Aperçu zu haben, immer einen Geist wie den seinigen voraussetzte.112

Und in Goethes »Ansprache zum Shakespeare-Tag« (1771) liest man: »[…] und seine Stücke drehen sich alle um den geheimen Punkt (den noch kein Philosoph gesehen und bestimmt hat), in dem das Eigentümliche unsres Ichs, die prätendierte Freiheit unsres Wollens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt.«113 Diese Tendenz zum Ganzen hat Gadamer dazu bewogen, Goethe zum Meistersinger des »hermeneutischen Gedankens« zu erklären. In Anknüpfung an Goethes »universale Wendung ›Alles ist Symbol‹«114 resümiert er, dass »man das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen verstehen müsse«115. An die Stelle der in Hegels Prosa mitartikulierten Skepsis gegenüber Verknüpfung und Synthese und an die Stelle der paradoxalen Struktur der Kreisbewegung bei Blanckenburg (s.u.) tritt hier der hermeneutische Zirkel zur »Einstimmung aller Einzelheiten zum Ganzen […], [die] das jeweilige Kriterium für die Richtigkeit des Verstehens [ist]«116. Diese Einstimmung, die Georg Lukács’ Theorie des Romans »Versöhnung« nennen wird,117 ist in Wilhelm Meister aber nicht einfach ein friedvoller Zusammenhang, sondern die ausgestellte Methode der Projektion des ›Selben‹ und des ›Eigenen‹. »Daß ich Dir’s mit einem Wort sage«, schreibt Wilhelm an den Kindheitsfreund Werner: »[M]ich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das

112 Zitiert nach Hellmut Ammerlahn, Imagination und Wahrheit. Goethes KünstlerBildungsroman »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. Struktur, Symbolik, Poetologie (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2003), S. 16. 113 Johann Wolfgang von Goethe, »Zum Shakespeare-Tag«, in: Goethes Werke. Kunst und Literatur, Bd. 12, hg. v. Erich Trunz und Hans Joachim Schrimpf (München: Beck, 1981), S. 226; zitiert nach ebd., S. 14. 114 Hans-Georg Gadamer, Ästhetik und Poetik. Kunst als Aussage, in: Gesammelte Werke, Bd. 8 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1993), S. 7; zitiert nach Ammerlahn, Imagination und Wahrheit, S. 24. 115 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (Tübingen: Mohr Siebeck, 1986), S. 275; zitiert nach Ammerlahn, Imagination und Wahrheit, S. 24. 116 Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 275; zitiert nach Ammerlahn, Imagination und Wahrheit, S. 24. 117 Vgl. Lukács, Theorie, S. 102ff.

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war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht.«118 Heimkehr zu sich selbst ist die bildende Hinbewegung auf das sich Selbe. »[M]it sich selbst einig zu werden«119 formulieren die Lehrjahre dabei als ein ästhetisch-konstruktives Vorgehen, für das das Modell der Architektur und die ›bildlose‹, nicht für das Auge gemachte ›innere‹ Musik stehen. In beidem ist jede »Erinnerung an Tod und Grab«120 abgestreift: Das Leben und die für dessen Sinnhaftigkeit einstehende Kunst werden ganz in die Sphäre der Präsenz verlagert und sollen dabei jeden Anschein nicht nur des Todes, sondern auch der Verlebendigung und Vergegenwärtigung abstreifen. In diesem Modell streben alle »architektonischen Glieder« »dem Ganzen Einheit und Verbindung« zu geben.121 Diese »zusammentreffende Kunst« steht ein für das, »was der Mensch sei und was er sein könne«.122 Ähnlich zielt die »wahre Musik«, die »allein fürs Ohr [ist]« und »den reinen Effekt jener Allgemeinheit« erzielt, auf die Abschaffung des »eingeschränkte[n] Individuum[s], das sich hervorbringt, sich vors Auge stellt« und den Effekt der Allgemeinheit zerstört.123 Die Logik des so verstandenen Bildungsromans, auch wenn sie von einem Individuellen ausgeht, strebt nach dessen Ersetzung durch ein Allgemeines, das über den kontigenten Sinn des Einzelfalls hinausgeht. Die Poetik des Architektonischen und Musikalischen steht ein für das Prinzip der Einheit und Ganzheit, das die mit dem Theater verbundene sinnlich-materiell vor-Augen-stehende Einzelszene, das nur Ausschnitthafte und Singuläre, ausschließt. Diese räumliche Komponente der sinnreichen Anordnung und Verbindung wird ergänzt durch eine zeitliche Komponente. Im Unterschied zur Kontingenz der ›losen‹ Einzelszene und ihrer prekären Bezüglichkeit auf ein Vorher und Nachher beschwört der Bildungs-Geist die Koinzidenz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: »Wilhelm konnte sich nicht genug der Gegenstände freuen, die ihn umgaben. ›Welch ein Leben‹, rief er aus, ›in diesem Saale der Vergangenheit! Man könnte ihn ebensogut den Saal der Gegenwart und der Zukunft nennen.‹«124 An diese Koinzidenz ist die Hoffnung geknüpft, für das gesamte Sinnkontinuum nicht nur des singulären Lebens, sondern des gesamten menschlichen Lebens – aller Generationen und Jahrhunderte – einzustehen: »So

118 Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, in: Werke, Bd. 7, hg. von Erich Trunz, 13. Aufl. (München: C.H. Beck, 1981), S. 290. 119 Ebd., S. 285. 120 Ebd., S. 540. 121 Ebd. 122 Ebd. 123 Ebd., S. 543. 124 Ebd., S. 540f.

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war alles und so wird es sein!«125, ist das Konzept einer universalen, sinnreichen und ewigen Gattung. Der ›Geist‹ des Bildungsromans propagiert diese Prämisse des Sinnkontinuums und schließt die Möglichkeit einer Vergangenheit und Zukunft aus, die nicht mit der Gegenwart koinzidieren: Dies gilt für die im Begriff des Lebens artikulierte biologische Gattung und die literarische des Romans gleichermaßen. Gleichzeitig aber weisen Goethes Lehrjahre dieses Leben und diesen Roman als den Ort einer gespenstischen Übersetzung aus: Denn es ist der Mahnspruch des Geists von Hamlets Vater, aus dem die Lehrjahre das BildungsLeben generieren wollen. Während dieser Geist in seinem Mahnspruch »Ade! Ade! Ade! Gedenke mein!« auf die Unordnung und Illegitimität in der Sukzession und die Uneingelöstheit der Vergangenheit in der Gegenwart pocht,126 wird daraus in Wilhelm Meister »Gedenke zu leben«127 . Gedenken ist dann nicht mehr die Markierung der Unordnung und des Uneingelösten, sondern das Versprechen auf sinnreiche Erfüllung, das Wilhelm Meister in der Turmgesellschaft gegeben sein soll. Mit dem Gespenstischen hängt die Thematisierung der Kindheit als Szene und anderer Schauplatz der Romantheorie zusammen, die Franco Moretti im Rahmen seiner Teleologisierung der Gattung umgeht. In Morettis Lektüre ist Jugend das Leitkonzept des Bildungsromans und seines prosaischen Entwicklungspathos: So wird alles Vergangene zu »useless dead-weight«128 und Zeit zu einem sinnvoll gerichteten Verlauf. Morettis Konzept der europäischen Bildung macht Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre zum Phantasma dieses glückenden Verlaufs: Zwar wird Wilhelms Lebensgeschichte von ihrem kindlichen Beginn bis hin zu abgeschlossener Reifephase und Eintritt in die Ehe- und Familienordnung (inklusive Vaterschaft) erzählt; obwohl aber diese Erzähllogik mit der Kindheit beginnt, sind die zu erreichende Reife und das sinnvolle Erwachsenenleben der Ausgangspunkt, von dem aus das Erzählen der Kindheit anhebt. Dabei ist weder der Ausgang offen, noch kommt den einzelnen Lebensszenen eine kontingente Singularität zu.129 Dieser Lebens- und Romanbegriff prägt nach Moretti die Literatur vom späten 18. bis frühen 20. Jahrhundert. Erst das Trauma

125 Ebd., S. 541. 126 Zu Hamlet in /und Wilhelm Meister vgl. Anselm Haverkamp, Hamlet. Hypothek der Macht (Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2001), S. 67–81. 127 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 540. 128 Moretti, Bildungsroman, S. 5. 129 Vgl. dazu Sophie Witt, »LebensSzene: Goethe mit Freud«, in: Günther Heeg u.a. (Hg.), Reenacting History: Theater & Geschichte (Berlin: Verlag Theater der Zeit, 2014), S. 213–224, hier S. 213f.

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des Ersten Weltkriegs beende diese ›Bildung‹, indem Verwirrung und Heimatlosigkeit zu den neuen Symptomen der Jugend werden; paradigmatisch hierfür sollen Musils Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) oder Kafkas Amerika (posthum 1927) sein. Bis dahin aber ist der Roman als Bildungsroman, so Moretti, »the form which will dominate, or more precisely, make possible the Golden Age of Western narrative«130 . Doch noch bevor Kafkas Amerika den Heimatlosen zu seiner Hauptfigur und die Erzählung vom ›Pursuit of Happiness‹ zu einer Irrfahrt macht, markiert der amerikanische Roman die Grenze der Erzählung von der Universalität der europäischen Bildung und deren Roman. Denn Morettis Erzählung von ›Europa‹ funktioniert nur über den Ausschluss sowohl des amerikanischen, als auch des russischen Romans. Zur Begründung schreibt Moretti: Let me also justify […] a double exclusion […]: that of the Russian novel […], and the American novel (missing completely). As for Russia, this is due to the persistence of a marked religious dimension […], which attaches meaning to individual existence in ways unthinkable in the fully secularized universe of the Western European Bildungsroman. The same is true for American narrative, where, in addition, »nature« retains a symbolic value alien to the essentially urban thematics of the European novel; and where the hero’s decisive experience, unlike in Europe, is not an encounter with the »unknown«, but with an »alien« – usually an Indian or a Black.131

Die Begründung ist aufschlussreich, weil sie die Grenze der europäischen Bildung aufzeigt. In Morettis Lektüre figurieren »alien« und »unknown« zwei verschiedene Konzepte des Fremden und zwei unterschiedliche Positionen gegenüber dem Wissen. Aus dem westlichen Kanon ausgeschlossen ist der amerikanische Roman, weil sich sein Konzept von Alterität nicht in die Dialektik und Hermeneutik von Fremdheit und Verstehen fügen lässt und damit diejenige Geschichtsschreibung stört, die den modernen Roman restlos dem »fully secularized universe of the Western European Bildungsroman« zuschlägt. Anders als die Herausforderung des Unbekannten, das potenziell wiss- oder lernbar ist, ist »the alien« dieses amerikanischen Romans die Markierung einer kategorischen Inkompatibilität mit den Narrativen des Heimischen.132 Morettis homeland als

130 Moretti, Bildungsroman, S. 3. 131 Ebd., S. 229 (Fußnote 1). 132 Vgl. dazu auch Gilles Deleuze, »Von der Überlegenheit der angloamerikanischen Literatur«, in: ders. und Claire Parnet, Dialoge (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1980), S. 43–83.

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»sense of belonging«133 steht in dem aus der Genese der europäischen Bildung ausgeschlossenen ›amerikanischen Modell‹ insofern zur Debatte, als mit Ralph Waldo Emerson herausstellt werden kann: »that the achievement of the human requires not inhabitation and settlement but abandonment, leaving«134 , das dem gründenden Moment des (auch philosophischen, literarischen) homeland entgegengeht. Dass der Status des Fremden der Dreh- und Angelpunkt des Universalen und der Stolperstein der Hermeneutik ist, impliziert bereits Friedrich Schlegels Lektüre des Wilhelm Meister, aus der ein längeres Zitat lohnt: Der Geist fühlt sich durch die heitre Erzählung überall gelinde berührt, leise und vielfach angeregt. Ohne sie ganz zu kennen, hält er diese Menschen dennoch schon für Bekannte, ehe er noch recht weiß, oder sich fragen kann, wie er mit ihnen bekannt geworden sei. Es geht ihm damit wie der Schauspielergesellschaft auf ihrer lustigen Wasserfahrt mit dem Fremden. Er glaubt, er müßte sie schon gesehen haben, weil sie aussehn wie Menschen und nicht wie Hinz oder Kunz. Dies Aussehn verdanken sie nicht eben ihrer Natur und ihrer Bildung: denn nur bei einem oder dem andern nähert sich diese auf verschiedne Weise und in verschiednem Maß der Allgemeinheit. Die Art der Darstellung ist es, wodurch auch das Beschränkteste zugleich ein ganz eignes selbständiges Wesen für sich, und dennoch nur eine andre Seite, eine neue Veränderung der allgemeinen und unter allen Verwandlungen einigen menschlichen Natur, ein kleiner Teil der unendlichen Welt zu sein scheint. Das ist eben das Große, worin jeder Gebildete nur sich selbst wiederzufinden glaubt, während er weit über sich selbst erhoben wird; was nur so ist, als müßte es so sein, und doch weit mehr als man fodern [sic] darf.135

Schlegel denkt den Geist hier als diejenige Vermittlungsinstanz, die alles Fremde auf Bekanntes zurückzuführen weiß und damit das Wiederfinden des Selben perpetuiert – das ist gemeint mit: »Ohne sie ganz zu kennen, hält [der Geist] diese Menschen dennoch schon für Bekannte […] Er glaubt, er müßte sie schon gesehen haben.« Schlegel nimmt dabei Schleiermachers Überlegungen zur Funktion des Fremden innerhalb der Hermeneutik auf, in denen gerade die Differenz

133 Moretti, Bildungsroman, S. 19. 134 Stanley Cavell, »Thinking of Emerson«, in: ders., The Senses of Walden (San Francisco: North Point Press, 1981), S. 121–138, hier S. 138; vgl. Ralph Waldo Emerson, »Self-Reliance«, in: ders., Essays and Lectures (New York: The Library of America, 1983), S. 257–282; Ralph Waldo Emerson, »The American Scholar«, in: ders., Essays and Lectures (New York: The Library of America, 1983), S. 51–71. 135 Schlegel, »Über Goethes Meister«, S. 126f.

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und die Fremdheit zwischen verstehendem Subjekt und zu verstehendem Objekt als Voraussetzung für deren Überwindung im Verstehen gelten.136 Gleichzeitig aber fordert der Geist nach Schlegel, dass innerhalb der Erzählung vom Selben das Fremde nur unter der Voraussetzung von dessen Integrierbarkeit in das Bekannte auftauchen darf – oder umgekehrt: dass der unheimlich umgehende Geist ausgeschlossen wird, weil er die Hermeneutik des Fremden und des Romans in Frage stellt. »Die Art der Darstellung ist es«, schreibt Schlegel, die diese Integration zu leisten hat und zu leisten vorgibt. Das aus dieser Hermeneutik des Fremden und europäischen Bildung ausgeschlossene Moment des alien ist präzise mit Freuds Kategorie des Unheimlichen benennbar, das sich in seiner ambivalenten Struktur der Hermeneutik der Lektüre entzieht. Freud grenzt sich in seiner Studie »Das Unheimliche« (1919) von Jentschs Zur Psychologie des Unheimlichen (1906) ab, die das Unheimliche epistemologisch als einen einfachen Mangel an Kenntnis und Orientierung liest, so dass es zum zu überwindenden ›Primitiven‹ wird. Freud widerspricht dieser Annahme, indem er das Unheimliche gerade mit der Möglichkeit des Wissens, den Verfahren des Erkennens und den Techniken und Praktiken des Darstellens in Verbindung bringt. In dieser Ambivalenz und Implikation von heimlich/unheimlich, fremd/vertraut, von Selbem/Differentem ist das ›Unheimliche‹ eine Figur des Unbewussten, das nicht einfach Gegenbegriff zum Bewussten ist, sondern der Hinweis auf die disruptiven Entstellungen innerhalb des Bewusstseins und auf das sich selbst kategorisch Fremde innerhalb der Prozesse des Erkennens und der zeitlichen Ordnung. Unbewusst meint »not merely a lack of consciousness with respect to an object, but a blindness of consciousness with respect to its own activity (of dissimulation)«137. Wenn also Freud die Kindheit zu dem ur-szenischen Grund und anderen Schauplatz für die spätere Entwicklung macht, dann impliziert Freuds Unheimlich-Unbewusstes immer auch eine kritische Befragung des Gelingens derjenigen hermeneutischen Methode der ›Beheimatung‹ als »working back to origins«, zu dessen Modellfall die Freud’sche Psychoanalyse gemacht wurde.138

136 Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik, in: Kritische Gesamtausgabe, Bd. 4: Vorlesungen (Berlin: De Gruyter, 2012). 137 Samuel Weber, »Uncanny Thinking«, in: ders., The Legend of Freud (Stanford: Stanford University Press, 2000), S. 1–31, hier S. 4. 138 Vgl. Fredric Jameson, Marxism and Form: Twentieth Century Dialectical Theories of Literature (Princeton: Princeton University Press, 1974), S. 128; vgl. Gillian Beer, Darwin’s Plots: Evolutionary Narrative in Darwin, George Eliot and Nineteenth-Century Fiction, 3. Aufl. (Cambridge; New York: Cambridge University Press, 2009), S. 82.

Exkurs: Freuds Urszene und anderer Schauplatz

U RSPRÜNGE – E RZÄHLUNG – U NBEWUSSTES Auf Freuds »Familienroman der Neurotiker« (1909) gründet Marthe Robert ihre Untersuchung Roman des origines et origines du roman (1972). Während die alten Gattungspoetiken und Gattungen urtypische Regeln und Formen vorgeben bzw. aktualisieren, so Roberts Argumentation, perpetuiert der moderne Roman eine Familienerzählung als sein unbewusstes Begehren.1 Roberts Untersuchung fragt nach den Ursprüngen des Romans (»origines du roman«), seiner Herkunft und Geschichte, und nach deren Konstruktion und Erfindung (»roman des origines«). Letzteren Aspekt verhandelt Freuds Text explizit. Denn auch wenn es dem »Familienroman« nicht vordergründig um eine Diskussion des modernen Romans, seiner Theorie und seiner Geschichte geht, ist darin doch ein Problem benannt, mit dem es dieser Roman und seine Theorie zu tun haben: die Frage nach der Konstruktion von Ursprüngen. Bei Freud ist der »Familienroman« eine infantile »Phantasie«, eines jener imaginären Szenarien, »in dem das Subjekt anwesend ist und das in einer durch die Abwehrvorgänge mehr oder weniger entstellten Form die Erfüllung eines Wunsches, eines letztlich unbewußten Wunsches, darstellt«.2 Diese Phantasie ist vor allem von den beiden Motiven der Illegitimität und des über die familiäre Herkunft hinausgehenden sozialen Aufstiegs, einer Überwindung des ursprungsfamiliären Kontexts, geprägt. Nach der frühkindheitlichen Phase unhinterfragter elterlicher Autorität und familiärer Homogenität – denn »[f]ür das kleine Kind

1

Vgl. Marthe Robert, Roman des origines et origines du roman (Paris: Grasset,

2

Laplanche und Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, S. 388.

1972).

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sind die Eltern zunächst die einzige Autorität und die Quelle alles Glaubens« – beginnt die »Entfremdung von den Eltern«, in der das Kind an deren Idealität – an Idealität überhaupt, an »Unvergleichlichkeit und Einzigkeit« – zu zweifeln beginnt.3 Das Kind entdeckt seine eigene Separiertheit von ihnen und die »Kategorien […], in die seine Eltern gehören« und damit deren theoretische Austauschbarkeit auf der paradigmatischen Ebene; beides »macht sich dann in der aus frühen Kinderjahren oft bewusst erinnerten Idee Luft, man sei ein Stiefkind oder ein angenommenes Kind«.4 In Tagträumen sucht das Kind seiner durchschnittlich-prosaischen Herkunft zu entkommen und sich eine höhere und heldenhaftere Bestimmung zu erdichten: Es imaginiert, die eigenen Eltern durch sozial höher stehende zu ersetzen und stellt sich als legitimen Erben einer vornehmeren – mithin royalen – Herkunft vor. Ist dieser Familienroman noch wesentlich eskapistisch, verkompliziert sich in seinem zweiten – sexuellen – Stadium die Frage der Legitimität/Illegitimität. Mit der Entdeckung der sexuellen Differenz beginnt das Kind sich allerlei »erotische Situationen und Beziehungen auszumalen«5, deren Pointe ein der Mutter angedichtetes Liebesverhältnis ist, das das Kind zum Bastard macht. Freuds »Familienroman« begründet damit den Bedarf an Ursprungserzählung, in der die Abwehr des Illegitimen, Bastardischen, Formlosen, Unzugehörigen in einer Legitimierungsstrategie aufgeht. Deshalb kann Robert argumentieren, dass die in Freuds Ödipuskomplex begründeten Phantasien, die die Familienrelationen imaginär modifizieren, nicht nur »personal folklore«, sondern »a certain type of elementary story-telling« sind.6 Gleichzeitig aber problematisiert der »Familienroman« die melancholische Sehnsucht nach und das aggressive Festhalten an einer (elterlichen, vor allem väterlichen) Idylle – einem paradiesischen Urzustand –, der dem Leben (und seiner Erzählung) Sinn zuträgt in Form einer heroischen Bestimmung. Denn bei all der mühsam erdichteten Illegitimität will es Freud nicht belassen: Fortan muss sich das Kind innerhalb der familiären Relationen seiner Legitimität versichern. Die finale Legitimität (des Sohnes) liegt in der Rehabilitierung des Vaters, der in der »Phantasie« durch ei-

3

Sigmund Freud, »Der Familienroman der Neurotiker«, in: Studienausgabe, Bd. IV: Psychologische Schriften, hg. von Alexander Mitscherlich, James Strachey und Angela Richards (Frankfurt am Main: Fischer, 1970), S. 221–226, hier S. 223f.

4

Ebd., S. 223.

5

Ebd., S. 225.

6

Marthe Robert, »Origins of the Novel« [Auszüge], in: Michael McKeon (Hg.), Theory of the Novel: A Historical Approach (Baltimore; London: The Johns Hopkins University Press, 2000), S. 57–69 und S. 160–177, hier S. 160.

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ne »großartigere [Person]« ersetzt wird, so dass sich der Familienroman und sein Ersetzungsspiel als »Ausdruck der Sehnsucht des Kindes nach der verlorenen glücklichen Zeit« erweisen: »in der ihm sein Vater als der vornehmste und stärkste Mann, seine Mutter als die liebste und schönste Frau erschienen ist. […] die Phantasie ist eigentlich nur der Ausdruck des Bedauerns, daß diese glückliche Zeit entschwunden ist. Die Überschätzung der frühesten Kindheitsjahre tritt also in diesen Phantasien wieder in ihr volles Recht.«7 Entsprechend betont Robert, dass Freuds Familienroman das Symptom dieses pathologischen Festhaltens an einem idealen Ursprung ist, und liest diesen Bedarf anthropologisch als »a universal human phenomenon, [that] all fiction, invention and image making express[] […] more or less explicitly«8. Angesiedelt zwischen Literatur und Psychoanalyse ist der Familienroman ein »unwritten text«9, den Robert als das Unbewusste jeder plot-Konstruktion und als das Unbewusste der gesamten Romangeschichte liest, das heißt, als das Unbewusste sowohl des »roman des origines« als auch der »origines du roman«.10 Roberts impliziertes Konzept der Urszene verspricht die Offenbarung und Ansichtigkeit eines mindestens potenziell lesbaren Unbewussten. Damit wird der Familienroman letztlich auf die – bei Freud auch durchaus angelegte – Frage nach glückender oder misslingender Autorschaft reduziert: Wenn der Familienroman ein Symptom der ontogenetischen Emanzipationsgeschichte ist, in der es um die Ablösung von der elterlichen Autorität geht, dann ist er zugleich eine Übung in Autorschaft. Die Ablösung des heranwachsenden Individuums von der Autorität der Eltern ist eine der notwendigsten, aber auch schmerzlichsten Leistungen der Entwicklung. Es ist durchaus notwendig, daß sie sich vollziehe, und man darf annehmen, jeder normal gewordene Mensch habe sie in einem gewissen Maß zustande gebracht. Ja, der Fortschritt der Gesellschaft beruht überhaupt auf dieser Gegensätzlichkeit der beiden Generationen. Anderseits gibt es eine Klasse von Neurotikern, in deren Zustand man die Bedingtheit erkennt, daß sie an dieser Aufgabe gescheitert sind.11

7

Freud, »Familienroman«, S. 226.

8

Robert, »Origins of the Novel«, S. 167.

9

Ebd., S. 160.

10

Miguel de Cervantes’ Don Quijote (1605 /1615) und Daniel Defoes Robinson Crusoe (1719) sollen diese Urszene für die gesamte Literaturgeschichte des Romans markieren: Vgl. ebd., S. 171f.

11

Freud, »Familienroman«, S. 223.

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Für die Frage nach dem Roman jedoch ist diese Lesart unbefriedigend. Denn sie hieße: Gelingt die Übung, schwindet nicht nur die elterliche Autorität, sondern auch die Notwendigkeit des Romans. Gelingt sie nicht – wie im neurotischen Fall –, bleiben die Frage nach der Herkunft und der Roman als Symptom und Text einer in der Kindheitsgeschichte wurzelnden »Kompromissbildung«.12 Wenn glückende Autorschaft Autorität und Identität aus einer plausiblen Herkunftsgeschichte bezieht, dann ist dieser Roman Ausdruck eines Legitimitätsproblems und dessen Ausagieren, das nicht nur individualgeschichtliche Auswirkungen haben kann, sondern – wie Freud schreibt – mit »Fortschritt… überhaupt« zu tun hat. Leslie Fiedlers Love and Death in the American Novel (1960), eine der frühen psychoanalytisch orientierten Untersuchungen zum amerikanischen Roman, bezieht sich auf diese Freud’sche Deutung. Was läge näher zur Entlarvung der ohnehin suspekten amerikanischen Fortschrittsgeschichte als die neurotische Diagnose? So wird die American Novel zum Symptom eines europäischen Kindheitskonflikts, zum Ausdruck der sexuellen und materiellen Aporien europäisch-bürgerlichen Herkunft.13 Um diese Kindheit des modernen Romans soll es hier gehen; jedoch wird sowohl die Kindheit selbst (»origines du roman«) als auch die Erzählung von dieser Kindheit (»roman des origines«) gleichermaßen befragt. Mit anderen Worten, im Fokus steht das Problem, das als Erzählung und Geschichte und hinsichtlich des Status der Kindheit dem Roman eignet. Wichtig ist dabei, dass nach Freud der Geschichtsbedarf eine nachträgliche Plausibilisierung ist, gerade dort, wo Ursprünge und Herkunft nicht gegeben oder unklar sind. Diese Nachträglichkeit der Plausibilisierung ist es, die Freuds Begriff der Urszene markiert. Denn die Urszene ist zwar ebenfalls eine »Phantasie« – die »Szene der sexuellen Beziehung zwischen den Eltern, die beobachtet oder aufgrund bestimmter Anzeichen vom Kind vermutet und phantasiert wird«;14 Freud betont aber, dass sie »wirkt«, und zwar nachträglich.15 An dieses »Wirken« der Urszene und deren theoretischen Status knüpft sich die für diese Studie relevante Bedeutung des Familienromans.

12

Vgl. Laplanche und Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, S. 325ff.: Die Neurose ist eine »psychogene Affektion, deren Symptome symbolischer Ausdruck eines psychischen Konflikts sind, der seine Wurzeln in der Kindheitsgeschichte des Subjekts hat; die Symptome sind Kompromißbildungen zwischen dem Wunsch und der Abwehr« (S. 325).

13

Vgl. Fiedler, American Novel.

14

Laplanche und Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, S. 576.

15

»Die Szene wirkt nachträglich […]«, schreibt Freud: Freud, »Wolfsmann«, S. 170.

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F AMILIEN -R OMAN – S ZENE – L EKTÜRE Folgt man Friedrich Kittlers Untersuchung zu Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre, gibt es im späten 18. Jahrhundert einen diskursiven Schauplatz, auf dem die für Fiedlers Untersuchung relevanten bürgerlich-sexuellen Aporien verhandelt werden: Als diskursiver Untergrund der Theaterliebe in Wilhelm Meisters Lehrjahren artikuliert sich die Übersetzung der ars amandi in die neuzeitliche Sexualität. Das esoterische Wissen der Erotik und die Körpertechniken der Lustoptimierung werden zur konjugalen Norm der bürgerlichen Kernfamilie.16 Damit wäre die Theatromanie des späten 18. Jahrhunderts nicht nur jener rite de passage innerhalb des von Jürgen Habermas konstatierten Strukturwandels der Öffentlichkeit, in dem sie den Übergang in die Sphäre bürgerlicher Öffentlichkeit markiert, die Habermas an der Negativfolie von Goethes Theatralische Sendung als Überholung des Theatralen und der repräsentativen Öffentlichkeit ausmacht.17 Denn während bei Habermas die Literatur lediglich als Widerspiegelung und Wiedergabe der Wirklichkeit des Strukturwandels funktioniert, grenzt sich Kittlers »Dichtung als Sozialisationsspiel« von diesem Begriff der Widerspiegelung ab: Unterstrichen ist damit, dass »literarische Werke […] ihre eigenen Spielregeln in das Spiel mit einbeziehen« und insofern »Diskurs über Diskurse« sind, als literarische Rede durch- und vorführt, welche jeweiligen historisch spezifischen »Regeln des Zur-Sprache-Bringens« gelten.18 In der Übersetzung von der ars amandi in die neuzeitliche Sexualität, die anhand des Theaters verhandelt wird, bedingen sich entsprechend Erfindung und Erzählung der Kindheit als Paradies: »[K]indliche Unschuld« und der »Mythos kontinuierlicher Entelechie« treten füreinander ein.19 Die Erfindung dieser Kindheit ist die

16

Vgl. Friedrich A. Kittler, »Über die Sozialisation Wilhelm Meisters«, in: ders. und Gerhard Kaiser, Dichtung als Sozialisationsspiel. Studien zu Goethe und Gottfried Keller (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1978), S. 13–124, hier S. 34ff.; vgl. auch Edward Shorter, The Making of the Modern Family (London: Collins, 1976).

17

Vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 68.

18

Gerhard Kaiser und Friedrich A. Kittler, Dichtung als Sozialisationsspiel. Studien zu Goethe und Gottfried Keller (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1978), S. 8.

19

Kittler, »Wilhelm Meister«, S. 38f.; vgl. zur Kindheit als Paradies auf Erden Anselm Haverkamp, »Undone by Death. Umrisse einer Poetik nach Darwin«, in: Carolin Blumenberg, Alexandra Heimes, Erica Weitzman, Sophie Witt (Hg.), Suspensionen. Über das Untote (Paderborn: Fink, 2015), S. 35–50 (im Druck); vgl. auch Beer, Darwin’s Plots. Vgl. zur Erfindung der Kindheit auch Philippe Ariès, Geschichte der Kindheit (München: Hanser, 1975).

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Abschaffung des Fragmentarischen und Episodischen des Lebens und der Reden – sie dient der Erinnerung und der Erzählbarkeit einer »kontinuierliche[n] Lebensgeschichte«20. Konzentriert man sich, wie Marthe Robert, auf die Erzählung und die Frage nach der Lösung des Ursprungsproblems, stellt sich das Verhältnis von Roman zu Gattung als ein defizitäres dar: »[T]he childhood Family Romance determines the novel’s lack of generic features.«21 Das Romanhafte in Freuds »Familienroman« ist aber nur einerseits die Konstruktion erzählerischer Sinnstiftung. Der spielerische und die Sinnstiftung zur Schau stellende Charakter des Familienromans ist die quasi-theatrale und räumliche Anordnung der Familienmitglieder in unterschiedlichen Konstellationen.22 Das sinnstiftende Moment assoziiert Freuds Text mit der Erzählung, die nach dem Ursprung sucht und diesen entdeckt bzw. erfindet. Was Freuds Text aber auch freilegt, ist, dass die Ursprungserzählung eng mit der Entdeckung von Differenz zusammenhängt. Nur unvollständig kann Freud diese in eine dialektische Konstruktion einpassen, indem er den Familienroman als eine »notwendige« Entwicklungsphase der Ontogenese versteht, in der es um die »Ablösung des heranwachsenden Individuums von der Autorität der Eltern« geht.23 Von deren Gelingen hängt nicht nur ab, ob man sich als »normal gewordener Mensch« oder als Neurotiker wiederfindet, sondern beruht der »Fortschritt der Gesellschaft […] überhaupt auf dieser Gegensätzlichkeit der Generationen«.24 Ursprung und Dialektik werden zu Statthaltern für eine nicht mehr ganz zu verdeckende Entdeckung: Der Familienroman ist nicht nur die Lösung des Ursprungsproblems und die Aufhebung der Differenz in der Dialektik, sondern – zuerst – deren Formulierung. Die ›Krise‹ und die ›Neurose‹ sind damit zugleich und paradoxerweise der Effekt – d.h. die urszenische »Wirkung« – der Konstruktion der Erzählung und deren Teleologie, ihres Begehrens nach Fundie-

20

Kittler, »Wilhelm Meister«, S. 64.

21

Robert, »Origins of the Novel«, S. 168. [Hervorhebung SW].

22

Auch Freuds »Rücksicht auf Darstellbarkeit« innerhalb der Traumarbeit umfasst diese beiden Momente: das Verhältnis von szenischer Anordnung und Erzählung. Freud, Die Traumdeutung, S. 241ff.; siehe auch Samuel Weber, Freud-Legende. Vier Studien zum psychoanalytischen Denken, 2. Aufl. (Wien: Passagen Verlag, 2002), S. 213 (Fußnote 1). Weber schlägt »Szenario« als Präzisierung für Freuds Rücksicht auf Darstellbarkeit vor, die Lacan mit mise-en-scène/In-Szene-setzen übersetzt: Szenario »[zieht] die Aufmerksamkeit nicht nur auf die szenischen, theatralischen Aspekte des Traums [...], sondern auch auf sein erzählendes Moment.«

23

Freud, »Familienroman«, S. 223.

24

Ebd.

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rung und Homogenisierung. Zwischen der Formulierung des Ursprungsproblems, der erzählenden Sinnstiftung und deren szenischer Unterbrechung lokalisiert Freud treffsicher das ›Gattungsmoment‹ des Familialen und des Romans. Das Moment des Defizitären bestimmt in Roberts Lektüre aber nicht nur das Verhältnis von Roman zu Gattung, sondern auch den Modus von dessen Lektüre. Indem Robert dem Roman »[a] lack of generic features«25 attestiert, wird ihre Lektüre ihrerseits zum sinnstiftenden ›Roman‹. Indem Freuds Erzählung vom Erzählen zum Unbewussten der romanesken Literaturgeschichte gemacht wird, dient dessen literaturwissenschaftliche Lektüre zur ursprünglichen Plausibilisierung, aus der sich eine Erzählung und eine ›familiäre‹ Anordnung formulieren lassen. Roberts Lektüre läuft dieserart auf eine Homogenisierung des bâtard und des enfant trouvé hinaus, die die Momente des ›Hybriden‹ und des ›Aufgefundenen‹ am Gegenstand vorschnell überdeckt. Die Lektüre entspricht damit einem Verständnis von Psychoanalyse, das als Versprechen der Lesbarkeit der verstellenden Zeichen auftritt und von dem sich meine Untersuchung abgrenzt. Das Unbewusste markiert gemäß jener Lektüre ein in der Analyse zu kompensierendes Defizit eines sich seiner selbst bewussten Wissens, das die Analyse entschlüsselt und ansichtig macht. Freud selbst formuliert diesen Aspekt in »Aus der Geschichte einer infantilen Neurose [›Der Wolfsmann‹]« (1918 [1914]).26 Hier verbindet er mit der Idee der »libidinösen Triebkräfte«, »in die tiefsten und primitivsten Schichten der seelischen Entwicklung herabzusteigen und von dort die Lösungen für die Probleme der späteren Gestaltungen zu holen«.27 Paradoxerweise soll hier ausgerechnet die Entdeckung der »libidinösen Triebkräfte« die Verheißung der Versteh- und Erzählbarkeit stärken, indem diese als versteckte innere Motivationen – mindestens nach der erfolgreichen Analyse – ein jedes Verhalten plausibilisieren. Indem »die Psychoanalyse das Ich [belehrt], ›[e]s ist nichts Fremdes in dich gefahren; ein Teil von deinem eigenen Seelenleben hat sich deiner Kenntnis und der Herrschaft deines Willens entzogen‹«28, (re-)formuliert sie das Versprechen, dass es eine – in der Analyse herstellbare – Kongruenz zwischen Unbewusstem und Bewusstem gibt –, dass Motive und Motivationen einen guten

25

Robert, »Origins of the Novel«, S. 168.

26

Eine kürzere Version der hier folgenden Lektüre des »Wolfsmanns« ist bereits pu-

27

Freud, »Wolfsmann«, S. 136.

28

Sigmund Freud, »Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse«, in: Gesammelte Schriften,

bliziert in Witt, »LebensSzene«, S. 219–222.

Bd. XII: 1917–1920, hg. von Anna Freud (Frankfurt am Main: Fischer, 1999), S. 3– 12, hier S. 10.

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Grund haben und ›ansichtig‹ gemacht werden können. Das Funktionieren der Urszene wirkt hier nicht nur innerhalb der Teleologie, sondern auch als Sichtbarkeitsfunktion des Vor-Augen-Stellens und bedient sich der Prämissen der Anschaulichkeit, Vergegenwärtigung und Evidenz. Der Lektüremodus, den dieser Begriff von Analyse impliziert, kann mit Ricœur als »Taktik des Zweifels und als Kampf gegen die Masken [der Illusion]«29 benannt werden. Psychoanalyse soll hier das symbolische Funktionieren der Sprache artikulieren, das in deren doppelsinnigem Charakter begründet liegt. Dieses Sprachverständnis funktioniert dualistisch, d.h. dass »etwas in erster Linie gemeint ist, dieses Etwas jedoch auf Anderes verweist, das nur durch es gemeint ist«30. Psychoanalyse wird so dem Feld der Hermeneutik zugeschlagen, ist entschlüsselnde Lektüre, »Epistemologie des Symbols«31 und Interpretation als »Verständnis des Doppelsinns«32. Was Ricœur hier als philosophische Methode starkmacht, formuliert Foucault als historische Diagnose: »Freud [ist] die Exegese all jener stummen Sätze«33, schreibt Foucault. An dieser Exegese richten sich der Literaturbegriff und die Literaturwissenschaft im 19. Jahrhundert aus: »Die Philologie als Analyse dessen, was in der Tiefe des Diskurses gesagt wird, ist zur modernen Form der Kritik geworden.«34 Kittler teilt Foucaults historische Diagnose, wenn er die oben beschriebene Entdeckung der Kindheit als Hermeneutik des Unbewussten liest. Diese fußt auf der Annahme, »daß alle Rede mehr sagt, als sie sagt, weil sie aus der Tiefe einer Seele und Geschichte kommt. Es genügt, ›einzelne Äußerungen‹ anders ›zusammenzureihen‹, als sie geäußert wurden, um auf das Unbewußte par excellence zu stoßen: die infantile Sexualität«35. Nicht als historische Diagnose, aber als literaturwissenschaftliche Methode (Ricœur) wird diese Hermeneutik dadurch aber zugleich dekonstruierbar. Denn wenn der Status der (infantilen) Sexualität – die der Gegenstand und der methodologische Garant der Hermeneutik sein soll – am Theatertopos ausgehandelt wird, dann lässt sich diese Methode zugleich an diesem überprüfen und problematisieren. Oder anders ausgedrückt: Das Zusammentreffen von Psychoanalyse

29

Paul Ricœur, Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, 5. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004), S. 39.

30

Ebd., S. 24.

31

Ebd., S. 26.

32

Ebd., S. 20.

33

Foucault, Ordnung der Dinge, S. 362. Vgl. zum Begriff der Interpretation im 19. Jahrhundert: S. 362ff.

34

Ebd.

35

Kittler, »Wilhelm Meister«, S. 41.

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und Theatralität generiert ein Konzept der Theatralität, das sich nicht in Repräsentation erschöpft, und eine Psychoanalyse oder psychoanalytische Literaturwissenschaft, die nicht in den Prämissen der Hermeneutik aufgeht.

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ANDERER

S CHAUPLATZ

Dieses hier zu entwickelnde Konzept von Theatralität ist bereits in Freuds Konzept der Urszene angelegt. Die Hermeneutik der Triebkräfte – Freuds »Herabsteigen« und »Hervorholen« – ist in »Der Wolfsmann« nur eine der mit der Urszene verbundenen Überlegungen zum Vorgehen der Analyse. Den »libidinösen Triebkräften« korrespondiert ein sehr konkretes Verständnis von Analyse. Nur infolge der Annahme ihres Gelingens werden die Triebkräfte allererst lesbar. Die Urszene funktioniert hier als eine Art Projektion der Lesbarkeit. Diejenige Urszene aber, die als Freuds berühmte ›Entdeckung‹ des Unbewussten gilt, erzählt eine andere Geschichte, in der das Lesen thematisch ist, die Lesbarkeit aber gerade der Widerstand oder ›Stolperstein‹ der Psychoanalyse. Über Freuds frühe Begegnung mit der Hysterie berichtet Lacan: It was while listening to hysterics that [Freud] read that there was an unconscious. That is, something he could only construct, and in which he himself was implicated; he was implicated in it in the sense that, to his great astonishment, he noticed that he could not avoid participating in what the hysteric was telling him, and that he felt affected by it. Naturally, everything in the resulting rules through which he established the practice of psychoanalysis is designed to counteract this consequence, to conduct things in such a way as to avoid being affected.36

In dem von Lacan als Implikation des lesenden Analytikers beschriebenen Vorgang der Analyse wird nicht nur die Entdeckung zur Erfindung des Unbewussten, das mit den Verfahren des Lesens und der Implikation des Lesenden immer schon verbunden ist. Bezeichnend ist hier außerdem, dass die »Erfindung der

36

Jacques Lacan, »Kanzer Seminar« (Vortrag, übersetzt von Barbara Johnson, New Haven, Yale University, 24. November 1975); zitiert nach Shoshana Felman, »Turning the Screw of Interpretation«, in: »Turning the Screw of Interpretation«, in: Yale French Studies, Nr. 55/56: Literature and Psychoanalysis. The Question of Reading: Otherwise (Januar 1977), S. 94–207, hier S. 118.

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Hysterie«37 als Freuds Erfindung des Unbewussten eine theatrale Urszene hat, die den Analytiker fortan als Zuschauenden in die Szene einschreibt.38 Auch in den Überlegungen zu Urszene im »Wolfsmann« ist der Aspekt des (Zu-)Schauens thematisiert. In den Träumen des Patienten geht es um »aufmerksames Schauen« und darum, dass »die Augen plötzlich aufgehen«.39 Während innerhalb der Logik der Analyse der traumatisierenden infantilen Erfahrung die Urszene als plausibilisierendes Vor-Augen-Stellen – als Präsentierung und Begründung – fungieren soll, zeugt auch der »Wolfsmann« von einer szenischen Implikation. Denn, wie Freud folgert, funktioniert der Traum des Patienten nach den Prinzipien der Entstellung, der »Verkehrung oder Umkehrung«, so dass aus »anschauen« »angeschaut werden« und der auf die Szene Schauende selbst Teil der Szene wird.40 Diese Szene ist nicht sicherer und sichernder Grund, sondern positionale Versetzung: Als ›unheimlich‹ – ›nicht Herr im eigenen Haus‹ – bestimmt Freud den Standort der Psychoanalyse. Die »Hilfsbegriffe und wissenschaftliche[n] Konstruktionen« – wie zum Beispiel die Konstruktion der Urszene –, mit denen die Psychoanalyse die »unheimlichen Krankheitsfälle aufzuklären [sucht]«, begegnen einer oder reagieren auf eine »Schwierigkeit«. In »Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse« (1917) thematisiert Freud die beiden »Aufklärungen« der Psychoanalyse, die darin bestehen, »daß das Triebleben der Sexualität in uns nicht voll zu bändigen ist, und daß die seelischen Vorgänge an sich unbewußt sind und nur durch eine unvollständige und unzuverlässige Wahrnehmung dem Ich zugänglich und ihm unterworfen werden«.41 Diese beiden »Aufklärungen« sind dabei gleichzeitig der Entzug der Aufklärbarkeit selbst, indem sie »der Behauptung [gleichkommen], daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus«.42 Insofern lassen sich die ›verstellenden‹ oder ›verheimlichenden‹ Entstellungen, durch die hindurch das Unbewusste sich zeigt, nicht auf das Objekt der Freud’schen Psychoanalyse begrenzen, sondern suchen die Analyse selbst heim, als ›Verstellung‹ und ›Versetzung‹ ihres theoretischen Status und ihres Erkenntnis- und Vernunftkonzeptes.43

37

Vgl. Georges Didi-Huberman, Die Erfindung der Hysterie. Die photographische

38

Vgl. Weber, »Uncanny Thinking«, S. 19.

39

Freud, »Wolfsmann«, S. 159 bzw. S. 160.

Klinik von Jean-Martin Charcot (München: Fink, 1997).

40

Ebd., S. 160.

41

Freud, »Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse«, S. 11.

42

Ebd.

43

Vgl. Weber, The Legend of Freud, S. xiv. Weber fasst zusammen: »The writings of Jacques Lacan und Jacques Derrida have put into question the status of Freud’s dis-

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›Unheimlich‹ markiert so den Entzug der bewussten Stätte des Ich, der mit der ›Erfindung‹ des Unbewussten einhergeht; ›unheimlich‹ an der Urszene und der Analyse ist dabei aber auch, dass es darin um Verfahrensweisen der Substitution geht, die Freud in seiner Lektüre des Unheimlichen auf die Ambiguität von ›heimlich‹/›unheimlich‹ zurückführt.44 Einerseits besteht der analytische Clou der Urszene darin, beliebig viele und beliebig verschiedene Szenen auf ein Szenario zurückzuführen – auf die »wissenschaftlichen Konstruktionen« mit Namen wie Ödipus-, Kastrationskomplex oder Urszene. Andererseits funktioniert diese Rückführung nur innerhalb eines Konzeptes von Austausch und Stellvertretung der verschiedenen »Gestaltungen«, für die es keinen sicheren Grund gibt, und in denen die Verweise – mithin die Szenen – in einen wuchernden Taumel geraten. Für Freuds Urszene gilt mithin, dass die »traumatisierenden infantilen Erfahrungen […] in Szenarien, in Szenen angeordnet sind« und dass »sie erst nachträglich vom Kind verstanden und gedeutet werden [kann]«.45 »Aus der Geschichte einer infantilen Neurose« führt vor, wie die Analyse Stück für Stück in die »kindliche Urzeit« zurückgeht, bis sie schließlich bei der Urszene des elterlichen Koitus anlangt, von der aus nicht nur alle weiteren traumatischen Szenen plötzlich Sinn ergeben (all die sonderbaren libidinösen Übertragungen, Deckerinnerungen und phantastischen Träume, die Freuds Texte szenisch rekonstruieren), sondern auch die »krankhaften Seiten [des] Charakters« beseitigt werden können.46 Während das Leben und dessen Erzählung hier sicher nicht mehr – explizit nicht – immer ›glückt‹ (sonst bräuchte es weder Freud noch die Analyse), tritt die glückende Analyse das Erbe sinnvollen Lebens an. Der Erfolg besteht jedoch nicht in der Wiederherstellung des Charakters, sondern in dem Ideal der Rekonstruktion der Szenen und Urszenen. Für den glücklichen Lebensverlauf steht der glückende Szenenablauf ein, den erst und nur die Analyse herstellen kann, die allerdings vorgibt, nur szenisch nachzustel-

course itself, […] by posing the problem of a theory that, in deriving the functions of consciousness from the conflictual dynamics of the unconscious, cannot but dislocate the conceptions of cognition and truth on which theory has traditionally depended.« 44

Sigmund Freud, »Das Unheimliche«, in: Gesammelte Schriften, Bd. XII: 1917– 1920, hg. von Anna Freud (Frankfurt am Main: Fischer, 1999), S. 227–268; vgl. Nicholas Royle, The Uncanny: An Introduction (New York: Routledge, 2003); vgl. Anneleen Masschelein, The Unconcept: The Freudian Uncanny in Late-TwentiethCentury Theory (New York: SUNY Press, 2011).

45

Laplanche und Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, S. 577.

46

Freud, »Wolfsmann«, S. 143.

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len, was ohnehin immer schon passiert ist, so dass der szenische Schauplatz zum kriminologischen Tatort wird. Freuds Analyseberichte, das wird in »Der Wolfsmann« deutlich, sind Teil eines »Kampfes um die Psychoanalyse«47. In diesem Kampf ist die Urszene als logische Konstruktion derjenige Schauplatz, der dem Analytiker eine gesicherte Subjektposition garantieren soll, für die das unbewusste und bewusste Leben (des Anderen) zum Gegenstand wird, von dem aus die Verobjektivierung statthat. Freuds Text zeigt aber zugleich ein Unbehagen gegenüber der Analyse, der Analytikerposition und der damit verbundenen Verheißung des glückenden Verlaufes: Nicht nur ist die Analyse teilweise »technisch undurchführbar und sozial unzulässig«, in der Arbeit über den neurotischen Zustand eines Kindes »muß [man] dem Kind zuviel Worte und Gedanken leihen«.48 Damit ist mehr bezeichnet, als dass Analyse immer einen interpretativen Aspekt hat, der den Analytiker allererst autorisiert, dem das Objekt aber durchaus entwischen könnte. Auf den ersten Blick reinkarnieren Freuds Szenen die Besetzung bürgerlicher Trauerspiele: Mütter, Väter, Töchter, Söhne, Gouvernanten. Liest man die Texte aber nicht von der Urszene aus (von der linearen Ordnung der Erzählung als Ordnung der Familie und vice versa), sind die Einzelszenen in erster Linie episodisch und unzusammenhängend. Hier geht es – entgegen der illusion biographique – um »placements et […] déplacements«49, die nicht so sehr von einem im Subjekt zentrierten Leben, denn von einem sozialen (mithin bühnenartigen) Raum ausgehen, in dem bei zu viel Besetzung räumliches und zeitliches Durcheinander herrscht. Die bürgerliche Familie ist Freud Metapher eines Ordnungsmodells, dessen ›Natürlichkeit‹ nicht Ausgangspunkt, sondern telos der Analyse ist – sie gilt es herzustellen. Die Urszene bezeichnet diese Verkettung und Vertauschung von Ursprung und telos. Das analytische Begehren hat dabei durchaus Lust an diesem (mithin inzestuösen) Durcheinander, von dem es seinen Ausgang nehmen muss. Freuds Texte genießen den spektakulären Mehrwert derjenigen Szenen (und Akte), die die Analyse dann in eine kausale Ordnung bringen soll, das Spektakel (und vor allem den Akt) damit rationalisierend. Die Analyse muss nach der Logik der Urszene behaupten, dass in den rekonstruierbaren Szenen das

47

Ebd., S. 135.

48

Ebd., S. 134.

49

Pierre Bourdieu, »L’illusion biographique«, in: Actes de la Recherche en Sciences Sociales 62, Nr. 62–63 (1986), S. 69–72, hier S. 71; ins Deutsche übersetzt als »Platzierungen und Platzwechsel«: Pierre Bourdieu, »Die biographische Illusion«, in: Bios: Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 3, Nr. 1 (1990), S. 75–81, hier S. 80.

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Unbewusste des subjektiven Lebens ansichtig wird – wenn nicht, verliert sie nicht nur ihr Objekt, sondern vor allem ihre Subjekt- oder Autor(itäts)position. Das Unbewusste aber, das in den Szenen sichtbar werden soll, bezeichnet Freud in der lange vor dem »Wolfsmann« geschriebenen Traumdeutung (1900) als »anderen Schauplatz«50 und die Traumdeutung als die »Via regia zur Kenntnis des Unbewußten«51 und als »sicherste Grundlage der Psychoanalyse«52. Folgt man aber der Metapher des »anderen Schauplatzes«, wird der Blick des Analytikers, sobald er die Szene einmal vor Augen hat, prompt ›versetzt‹ durch/auf diesen anderen Schauplatz. Die Analyse selbst impliziert damit jenes theatrale MoMoment, das Bertolt Brecht und Antonin Artaud in den 1930er Jahren mit dem Theater verbinden: die Verfremdung und Doublierung von Position und Rede, die schon Platon fürchtet. So verbannt die Politeia Theater und Dichtkunst aus dem gerechten (d.h. geordneten) Staat, aus Sorge, der Modus theatraler Darstellung könne die politische Ordnung der polis gefährden. Die Gefahr bestehe in der ungesicherten Sprecherposition und einer nicht garantierten Verfügungsgewalt über die Rede und deren Lektüre, die die an der Wesenheit orientierte Eindeutigkeit (in) der Rollenverteilung des platonischen Staates stört.53 Die Vergegenwärtigung des Unbewussten innerhalb der Szene der Analyse hat es also immer mit diesem Anderen der Schau – der Präsenz und der Evidenz – zu tun: mit der Verunsicherung von Subjekt- und Objektpositionen, mit einer Reihe von »Platzierungen und Platzwechsel[n]«54, die in der Szene und ihrem anderen Schauplatz beständig zur Verhandlung stehen. Freuds ›kopernikanische‹ Entdeckung verkompliziert damit jede lineare Logik der Begründung (sei sie textlogischer oder genea-logischer Natur) und ist eine kategorische Problematisierung des Status von Theorie selbst.

50

Freud, Die Traumdeutung, S. 64.

51

Ebd., S. 595.

52

Sigmund Freud, »Über Psychoanalyse. Fünf Vorlesungen«, in: Gesammelte Schriften, Bd. VIII: 1909–1913, hg. von Anna Freud (Frankfurt am Main: Fischer, 1999), S. 1–61, hier S. 33.

53

Vgl. Platon, Politeia, in: Sämtliche Werke, Bd. 2, 33. Aufl. (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011), S. 278–294 u. S. 506–520.

54

Bourdieu, »Die biographische Illusion«, S. 80.

Theorie: Vor-Augen und szenischer Schauplatz

G ESICHTSPUNKT , R AHMUNG (B LANCKENBURG ) Schon der Titel der frühesten deutschen Romantheorie – Blanckenburgs Versuch über den Roman (1774) – unterstreicht, dass der Roman und dessen Theorie vor allem ein Problem darstellen, das dem Text und seinem Autor »mancherlei Schwierigkeiten« bereitet.1 Statt auf die ursprüngliche Begründetheit der literarischen Form in der Gattungspoetik zurückzugreifen, ist Blanckenburgs Suche nach »eine[r] Art von Theorie für die Romane«2 durch Verzögerung gekennzeichnet: Der Text zirkuliert supplementierend um ›etwas‹, das sich der direkten Benennung, Beschreibung und Klassifizierung zu entziehen scheint. Entsprechend beginnt der ca. 500 Seiten zählende Versuch mit einem Vorbericht, der für die fehlende Gegebenheit eines adäquaten »Gesichtspunkts« für die Theorie des Romans einsteht. »Ich weiß nicht recht, aus welchem Gesichtspunkte man diese ganze Schrift ansehen möchte«, beginnt der erste Absatz, »wenn ich diesen Gesichtspunkt nicht selbst zeigte, und dazu soll nun dieser Vorbericht dienen«.3 Zwanzig Seiten später ist weder der fehlende Gesichtspunkt gefunden, noch ist es mit der Verzögerung getan. Der Erste Teil des Versuchs beginnt: »Ehe ich zu diesem Anziehenden selbst komme, ists billig, daß ich eine kleine Einleitung voran schicke […].«4 Weder der Roman noch seine Theorie sind als solche einfach gegeben; oder besser: Der fehlende Gesichtspunkt der Romantheorie scheint auf mehr als nur Dilettantismus hinzudeuten. Sogar Eberhard Lämmert, der dem

1

Blanckenburg, Versuch, S. iii.

2

Ebd.

3

Ebd.

4

Ebd., S. 3.

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Versuch harsch »ein[en] Mangel an geschulter Begrifflichkeit des Denkens und terminologischer Prägnanz« attestiert, versteht die »Kreisbewegung« – das nicht zum (Gesichts-)Punkt-Kommen – als wesentlichen Zug der Blanckenburg’schen Theorie.5 Liest man jedoch die Kreisbewegung nicht als vermeidbaren Dilettantismus, sondern als implizite Denkfigur der Romantheorie, wird der Versuch zu einer Problematisierung von Theorie selbst und der ihr inhärenten Frage nach einem Ursprung oder stabilen theoretischen Grund. Blanckenburgs Text gibt zu erkennen, dass die im Roman zu verhandelnde Beziehung zwischen Theorie und Praxis die implizite Theorie des modernen Romans ausmacht, in dem der Modus wechselseitiger Reflexion radikal in Frage gestellt wird.6 Die Kreisfigur fungiert in Goethes Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans (1819) als übergeordnetes Schema für die »Naturformen der Dichtung«, das die literarischen Formen ihrer »wesentlichen Form« nach anordnet.7 Goethes Absicht ist somit ein »Schema aufzustellen, welches zugleich die äußeren zufälligen Formen und diese inneren nothwendigen Uranfänge in faßlicher Ordnung darbrächte«8. Goethe spricht von einem »schwierigen Versuch«9, der die Form des Kreises als diejenige Verlegenheitslösung vorschlägt, die dem Versuch größtmöglichen Erfolg verspricht. »Man wird sich aber einigermaßen dadurch helfen«, schreibt Goethe, daß man die drey Hauptelemente in einem Kreis gegen einander überstellt und sich Musterstücke sucht, wo jedes Element einzeln obwaltet. Alsdann sammle man Beyspiele die sich nach der einen oder nach der andern Seite hinneigen, bis endlich die Vereinigung von

5

Eberhard Lämmert, »Nachwort«, in: Blanckenburg, Versuch über den Roman, S. 543 bzw. S. 541.

6

Der vielfach wiederholten Behauptung, im Versuch fände »die Theorie den Anschluß an die tatsächlich geübte Praxis«, ist daher zu widersprechen; Martin Sommerfeld, »Romantheorie und Romantypus der deutschen Aufklärung«, in: DVJS 4 (1926), S. 459–480, hier S. 480; vgl. auch Wolfgang Lockemann, Entstehung des Erzählproblems. Untersuchungen zur deutschen Dichtungstheorie im 17. und 18. Jahrhundert (Meisenheim: Hain, 1963), S. 166: Auch für Lockemann, ist der Versuch eher eine »Phänomenbeschreibung« denn eine »theoretische Klärung«.

7

Johann Wolfgang von Goethe, West-oestlicher Divan (Stuttgart: Cottaischen Buchhandlung, 1819), S. 381. Goethe unterscheidet drei literarische Formen: »die klar erzählende, die enthusiastisch aufgeregte und die persönlich handelnde: Epos, Lyrik und Drama«.

8

Ebd., S. 383.

9

Ebd.

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allen dreyen erscheint und somit der ganze Kreis in sich geschlossen ist. Auf diesem Wege gelangt man zu schönen Ansichten, sowohl der Dichtarten, als des Charakters der Nationen und ihres Geschmacks in einer Zeitfolge.10

Sich dem schwierigen Versuch einer Vermittlung zwischen dem einzelnen Fall und seinem universellen Wesen zu stellen, ist für Peter Szondi Anlass, die Goethezeit als die ideologische Urszene des deutschen Idealismus zu lesen, von der aus die Theorie der poetischen Gattungen zu Hegels Dialektik führen wird: Erst Hegels Dialektik wird die Bewegung zur Seinsweise des Begriffs erheben, und dadurch in der Ästhetik die Gattungsbegriffe als nur dem Begriff nach vorgegebene, erst in der Entwicklung der Dichtkunst zu sich selber kommende verstehen. An die Stelle der Akzidenz, in der die Zeitfolge dem Goetheschen Kreisschema gegenübersteht, tritt die konstitutive Rolle der Geschichte für das System.11

Blanckenburg – den Szondi unberücksichtigt lässt – markiert mit der »Kreisbewegung« und dem fehlenden »Gesichtspunkt« die diskursive Szenerie einer nicht mehr abrufbaren regelpoetischen Normativität, die noch nicht in die geschichtsphilosophische Rahmung und wesenhafte Begründung überführt wird. Auf dem Spiel steht sowohl die kausale und temporale Ordnung des konzeptuellen Rahmens und Standorts, den sich die Theorie gibt (Gesichtspunkt), als auch das Erkenntnisobjekt selbst; kurz gesagt, zentral ist das Verhältnis des theoretischen Rahmens zu dem in ihm ›praktizierten‹ Fall oder Beispiel. Anders als in Goethes deduktivem Gattungsbegriff und dessen essenzialistischer Fundierung, funktioniert Blanckenburgs früherer Versuch induktiv, basierend auf nur einem beispielhaften Roman, Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathon (1766–1767) und einigen Anmerkungen zu Henry Fielding und Lawrence Sterne, sowie langen Passagen zu William Shakespeares Dramen. Mit diesen Texten unternimmt Blanckenburg die Rehabilitierung des Romans, die Befreiung von dem schlechten Ruf ›lüsterner‹ Abenteuerlichkeit. Blanckenburgs Versuch ›erfindet‹ – bevor Goethes Wilhelm Meister geschrieben und der Terminus geprägt ist – den prosaischen Bildungsroman und grenzt diesen in oben beschriebener Manier vom Epos ab: »[S]o wie das Heldengedicht öffentliche Thaten und Begebenheiten, das ist, Handlungen des Bürgers […] besingt: so be-

10

Ebd., S. 382f.

11

Peter Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie II: Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik. Schellings Gattungspoetik, Studienausgabe der Vorlesungen, Bd. 3 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974), S. 93.

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schäftigt sich der Roman mit den Handlungen und Empfindungen des Menschen.«12 Nicht der Fokus auf den Bürger, wohl aber auf die Empfindungen ist signifikant in Blanckenburgs Text. Hinzu kommt, dass nach Blanckenburg der Roman ein psychologischer Roman ist, der die »bloße«, »nackte« und »entblößte« »Menschheit«13 am romanesken Individuum zur Schau stellt, dessen Geschichte sein Innenleben ist.14 Es ist der Charakter des Helden, der sich in seiner »innere[n] Geschichte«15 kristallisiert, durch dessen Empfindungen und Wahrnehmungen die Geschehnisse zum Ausdruck kommen; nicht an den »Vorfällen und Veränderungen selbst, sondern nur an den Besinnungen oder den Begierden unsrer Nebenmenschen«16 ist der Roman interessiert. Mit dem Augenmerk auf diese Explikationsebene partizipiert Blanckenburgs Theorie an der neuen Stoßrichtung, die Alexander Gottlieb Baumgartens Aesthetica (1750/58) der Theorie der Künste gegeben hat: insofern Ästhetik der Name einer Theorie der Künste wurde, die als ›Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis‹ Rhetorik und Poetik um die Explikationsebene der sinnlichen Wahrnehmung ergänzt.17 Blanckenburgs Theorie des Romans ist entsprechend Theorie der menschlichen Sinne und Leidenschaften oder des ›Psychologischen‹. Dabei steht das »Gattungswesen Mensch«18 im Vordergrund: Nicht um einzelne oder spezielle Wahrnehmungen oder singuläre Dispositionen geht es, sondern um eine Bestimmung und Hierarchisierung aller menschlichen Leidenschaften als Projekt der Romantheorie. Der erste Teil des Versuchs fragt in der Tradition der Poetik nach den res, d.h. den Gegenständen im Roman, und jenen res, über die der Roman selbst sich zu einem Gegenstand der theoretischen Betrachtung erklärt. Blanckenburgs Text entwickelt ein Panorama vom »Gefühl des Erhabenen« über »Furcht und Schrecken«, »Zorn und Raserei«, »Verzweiflung und Gewissensnot« bis hin zu den

12

Blanckenburg, Versuch, S. 17.

13

Ebd., S. 16 bzw. S. xv.

14

Vgl. Graevenitz, Setzung des Subjekts, S. 1.

15

Blanckenburg, Versuch, S. 162.

16

Ebd., S. 60f.

17

Alexander Gottlieb Baumgarten, Ästhetik, hg. von Dagmar Mirbach, Bd. 1, 2 Bde. (Hamburg: Felix Meiner Verlag, 2007); vgl. Campe, »Theorie des Romans«, S. 199; vgl. Campe, »Bella Evidentia. Begriff und Figur von Evidenz in Baumgartens Ästhetik«.

18

Kurt Wölfel, »Friedrich von Blanckenburgs ›Versuch über den Roman‹«, in: Reinhold Grimm (Hg.), Deutsche Romantheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Romans in Deutschland (Frankfurt am Main: Athenäum, 1968), S. 29–60, hier S. 44.

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»sanften Tugenden und Leidenschaften«.19 Diese allgemeinen Seelenzustände der romanesken Helden motivieren im Idealfall – in Wielands Agathon – jede einzelne und die gesamte Romanhandlung.20 Um das Kontingente, Situative und Partikulare im individuellen Leben geht es Blanckenburg ebenso wenig, wie um dessen Herleitung aus den Begebenheiten. Die Allgemeinheit des »Gattungswesens« und die Zentralität des Charakters in der romanesken Welt stehen in Blanckenburgs imaginiertem Roman für Kontingenzvermeidung – und doch soll Agathon Individuum sein. Nach Blanckenburg richtet sich der Roman zwar – wie immer wieder betont wird – auf das Werden des leidenschaftlichen Inneren; der paradoxale Zug, der dem romanesken Unternehmen innewohnt, zeigt sich aber vor allem in der apriorischen Zugrundelegung eines Lebens, das ›von keinem Ort‹ bestimmt wird, aber dennoch geprägt ist.21 Denn der Versuch geht von einer Historisierung des Lebensbegriffs seines Helden aus, um die poetische Gleichwertigkeit von Roman und Epos begründen zu können: Epos und epischer Held waren der antiken Welt, was die romaneske Erzählung vom ›privaten‹ Leben für die moderne ist. Die Historisierung und die paradoxe Exemplarizität des einen Romans und seines Helden ermöglichen und verunmöglichen gleichermaßen den theoretischen Gang des Versuchs. Während Hegel wenige Jahrzehnte später mit dem Apriori der geschichtsphilosophischen Fundierung und der Überführung des Gattungsbegriffs in die entwicklungsgeschichtliche Abfolge den für den Roman ambivalenten Begriff der Gattung entproblematisiert, verlagert Blanckenburgs Versuch die Normativität des Gattungshaften in den Roman selbst: Wie auch Rüdiger Campe herausstellt, führt Blanckenburgs Versuch dieses mit dem modernen Roman aufkommende neuartige Verhältnis von Gattungs- und Lebensbegriff sowie Normativität und Praxis vor.22 Mit der protopsychologischen Dimension der Leidenschaften führt Blanckenburg eine Dimension in die Theorie des Romans ein, die nicht im eigentlichen Sinn literarisch ist und sich nicht einfach in allgemeine Anthropologie übersetzen lässt: Vielmehr speist diese leidenschaftliche Dimension ein überschüssig-libidinöses Moment in den Aggregatzustand der Theorie selbst ein. Während Gattungs- und Theoriebegriff so von einer internen Differenz verunsichert werden, bemüht Blanckenburgs Text das Prinzip der Analogie zur Ordnung seines theoretischen Kosmos. Den Versuch durchzieht die Projektion des Analogieprinzips von der Ebene der Diachronie in die Synchronie. Verhalten

19

Vgl. das detaillierte Inhaltsverzeichnis in Blanckenburg, Versuch, S. 529ff.

20

Vgl. ebd., S. 256.

21

Vgl. Campe, »Theorie des Romans«, S. 200.

22

Vgl. ebd., S. 197ff.

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sich Epos und Roman analog innerhalb einer historischen Abfolge, ist Analogie nicht nur die logische Basis dieser Historisierung. Blanckenburg folgt Mendelssohns and Sulzers Affektenlehre und macht die Analogie zwischen den Bewegungen der äußeren Welt und der bewegenden Qualität menschlicher Emotionen – derjenigen im Text, wie im Leser – zu dem notwendigen Verbindungsglied, über das der Romanheld als »bloße Menschheit« verstehbar wird. »Wie muß also«, fragt Blanckenburg, »der Romandichter seine Begebenheiten und Charaktere ordnen, daß er in den Lesern solche Vorstellungen und Empfindungen errege, wie wir sie, als vernünftige Menschen zu allererst haben sollten?«23 Auch im zweiten Teil der verba geht es Blanckenburg nicht um die rhetorische Anordnung im engeren Sinn und nur am Rande um Darstellungsmittel – als Gegenstand begegnet uns das ›innere Leben‹ und dieses Affektive ist zugleich das Wie des Romans: Im affektiven Gelesenwerden soll der affektive Gegenstand des Romans wirklich werden.24 Die Ordnung der Affekte soll die potenzielle Inkongruenz von Einzelnem und Gattungswesen überbrücken, indem sie die im Text dargestellten und im Leser provozierten Affekte in ein Analogieverhältnis setzt: »Wir werden durch alles in Bewegung gesetzt, was selbst in Bewegung ist. […] Alle Bewegungen, die in uns entstehen, sind den Ursachen ähnlich, woraus sie herkommen […].«25 Der strategischen Einsatz der Analogisierung kann mit Gillian Beer als Abwehrgeste gegenüber dem Ungeordneten und Kontingenten gelesen werden: »[B]y its insistence on underlying similarities [it] tends to support the idea of an orderly universe.«26 Analogisierung ist »a means of claiming congruity and imputing pattern and order as the product of a beneficent Designer«27. Als literarisches Prinzip vergleicht Friedrich Kittler die Phantasmatik dieses Analogieprinzips mit dem Motiv des Doppelgängers: In der Programmierung auf identifikatorisches Lesen – wie es paradigmatisch Goethes Wilhelm Meister einführen wird (s.u.) – werden Romanheld und Leser zu Doppelgängern, in denen sich allgemeine Ordnung und Mensch-Natur widerspiegeln

23

Blanckenburg, Versuch, S. 254.

24

Das »Wirklichwerden« durchzieht den gesamten zweiten Teil des Versuchs: vgl. exemplarisch ebd., S. 390.

25

Ebd., S. 24f.

26

Beer, Darwin’s Plots, S. 76.

27

Ebd. Vgl. auch Foucaults Deutung der Analogie, wonach diese die »subtileren Ähnlichkeiten der Verhältnisse (rapports)« – die Beziehungshaftigkeit der Beziehung ausmacht. Foucault, Ordnung der Dinge, S. 51.

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und beglaubigen.28 Die Verdopplung aber stört immer auch das Identitätsprinzip der Analogie: Denn das bewegende Moment des allgemeinen Affektiven ist zugleich Ursprung/Grund und telos des Romans – und beides ist im Begriff des »Gattungswesens« formuliert, dem so eine interne Differenz eingeschrieben ist. Die innere Einrichtung des Romans bringt das Dargestellte als ein Potenzielles zur Anschauung, während die Teilnahme des Lesers gerade dadurch garantiert sein soll, dass er sich mit dem Dargestellten identifiziert, weil der Roman den Ursprung aller dargestellten Taten in der inneren Verfassung nachvollzieht und aktualisiert.29 Rüdiger Campe spricht daher von der »Überkreuzung der Lebhaftigkeit, die im bildhaften Präsentieren des Abwesenden besteht, mit der Technik, die das Wirklichwerden des Potentiellen ist«, die kategorisch nicht ineinsfallen.30 Sie fallen deshalb nicht in eins, weil ihnen unterschiedliche zeitliche Modi eignen: Das Wirklichwerden hat mit Futurität zu tun, während sich das Lebensbild auf ein abwesendes Gegebenes oder Dagewesenes richten muss.31 Nicht nur seine Pädagogik, sondern die komplette Rhetorik des noch-nicht-wirklichexistierenden Romans und seines exemplarischen Helden sind bei Blanckenburg an dem – ein Kommendes vor Augen stellenden – Modus des Zukünftigen ausgerichtet: Wer sich wundert, daß ich dieses vortreffliche Werk [Agathon] so geradezu unter die Romane setze, der beliebe hinzu zu denken, daß es nicht etwa geschieht, weil ich alles, was Roman ist und heißt, ihm gleich schätze, sondern weil ich alle Romane ihm gleich zu werden wünschte, – weil nur er allein all’ die Eigenschaften hat, die solch ein Werk, seiner Natur nach, haben kann. Es ist nicht etwan [sic] sein Inhalt, deswegen ich ihm diese Vorzüge zuerkennen muß; es ist die Art und Weise, wie der Dichter desselben, den Stoff, Begebenheiten und Charaktere, behandelt hat, die dies Werk so sehr über die andern Werke dieser Art erhebt.32

Doch wenn Agathon zugleich »ein Muster des Lebens« darstellt, dann folgt der Modus des Zukünftigen nicht der linear aufgespannten Zeit: Die Zukunft kommt

28

Friedrich Kittler, »Romantik – Psychoanalyse – Film: Eine Doppelgängergeschichte«, in: Jochen Hörisch und Georg Christoph Tholen (Hg.), Eingebildete Texte. Affairen zwischen Psychoanalyse und Literaturwissenschaft (München: Fink, 1985), S. 118–135, hier S. 122.

29

Vgl. Blanckenburg, Versuch, S. 390f. u. S. 427ff.

30

Campe, »Theorie des Romans«, S. 205.

31

Vgl. zu den unterschiedlichen zeitlichen Modi Campe, »Vor Augen Stellen«, S. 223.

32

Blanckenburg, Versuch, S. 9.

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in zirkulärer Manier ›zurück‹ an ihren Ursprung in »nackte[r] Menschheit, die, von allem, was ihr Sitten und Stand, und Zufall geben können, entblößte Menschheit«33. Im Helden von Blanckenburgs Bildungsroman widerstreiten unvermittelt seine individuelle Singularität und seine »nackte Menschheit«34. Der Versuch verweist zwar auf den Zusammenhang zwischen dem Ereignis, das der Charakter ist, und seinem Kontext, umschifft aber deren plausibilisierende Vermittlung ebenso konsequent, wie er die Hierarchisierung von einem Idealen und einem Empirischen vermeidet. Blanckenburgs Versuch bemüht sich nicht um eine irgend geartete vermittelnde Gründung: Der exemplarische Held des Versuchs nimmt seinen paradoxen Ursprung gleichzeitig in dem von Blanckenburg noch nicht weiter definierten spezifisch modernen Zustand des Inneren (was bei Hegel und später Lukács der reflexive Zustand des Subjekts ist) und einer nur rudimentär formulierten universellen Psychologie und Anthropologie. Blanckenburgs Beispiel markiert so das theoretische Dilemma des Exemplarischen, insofern es sich als »ausschließende Einschließung«35 darstellt: »Was das Exemplum zeigt ist seine Zugehörigkeit zu einer Klasse, aber genau darum fällt es in dem Moment, da es diese zur Schau stellt, als exemplarischer Fall aus ihr heraus (im Fall eines linguistischen Syntagmas zeigt es das eigene Bedeuten und hebt auf diese Weise die Bedeutung auf).«36 Im Zurschaustellen erhält das Beispiel eine »reflexive Struktur«, die es mit der exemplarischen Struktur des Ereignisses verbindet: Wenn das Ereignis […] der Figur des Exemplarischen entspricht, dann kommt auch ihm diese spezifische Reflexivität zu: Etwas, das wir als ein Ereignis im starken Sinne auffassen, bestimmt eine Menge oder Serie exemplarisch, reflektiert und inszeniert dadurch seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten über es hinaus reichenden Zusammenhang oder Geschehen, zu einer über es hinaus reichenden ›allgemeineren‹ Spezies oder Form. Durch eben diesen reflexiv-markierenden Zug gewinnt das Ereignis Abstand zu den ›Normalfällen‹, die sich durch das exemplarische Ereignis re-markiert finden. Es gewinnt sogar Ab-

33

Ebd., S. xv.

34

Ebd.

35

Giorgio Agamben, Homo sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte Leben, 7. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007), S. 31.

36

Ebd., S. 32.

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stand zu sich selbst als Normalfall: es reflektiert sich als Realisierung einer Menge oder Serie und ist mithin zugleich Teil dieser Menge oder Serie und Reflexion des Teilseins.37

Die selbst-reflexive Struktur und die Performanz des Exemplarischen sind die der Theorie inhärente Praxis: Hier geht es um die maßnehmende Qualität einer Gattungsordnung, die sich im romanesken Text selbst ›abspielt‹. Die »ausschließende Einschließung« entzieht dem Prinzip der Analogie beständig den Boden und überführt seine reflexive Referenzialität in eine zirkuläre Struktur. Blanckenburgs Lesart der Geschichte des Agathon stellt diese als das einzige ›wirkliche‹ Exempel des Romans dar, das die Theorie nur in aller Detailtreue vergegenwärtigen muss. Aber schon der Vorbericht unterstreicht mit dem Motiv des fehlenden Gesichtspunktes, dass die Exemplarizität weniger gegeben, denn hergestellt ist, und zwar im Moment der Lektüre. Allein die beflissene Rechtfertigung »Noch einige Kleinigkeiten! – Ich habe sehr oft Beispiele aus dem Epopee oder dem Drama angeführt, wo sie das beweisen, was sie beweisen sollten, und sie nicht aus dem Roman genommen«38 – unterstreicht die instabile Exemplarizität des Agathon. Theorie geht hier nicht in dem vergegenwärtigenden Vor-Augen-Stellen auf, sondern impliziert einen Freud’schen anderen Schauplatz. Das in Blanckenburgs Versuch problematisierte Verhältnis von Beispiel/Ereignis und kontextuellem Rahmen legt eine historiografische Dimension in der Frage der Theorie frei, nicht jedoch im Sinne der geschichtsphilosophischen Erzählung und deren hermeneutischer Fundierung. Denn während das partikulare Ereignis die Notwendigkeit (symbolischer) Sinnstiftung und poetischer Überbaustrukturen provoziert, ist dieses Ereignis immer zugleich die Markierung des Bruchs innerhalb dieser Erzählung und ihres Darstellungserfolgs. Reinhart Koselleck argumentiert, dass Ereignis und Struktur zusammengehören, und ordnet diesem Verhältnis den Zusammenhang der rhetorischen Verfahren narratio (Erzählen) und descriptio (Beschreiben) zu. Das Verhältnis von Literatur und Geschichte erschöpft sich so bei Weitem nicht im Projekt gründender Erzählung und dessen methodisch-gelingendem Einsatz. Denn Struktur und Ereignis sind in sich schon wechselseitig, markieren als unterschiedliche »Semantiken«39 eine

37

Thomas Khurana, »›... besser, daß etwas geschieht‹. Zum Ereignis bei Derrida«, in: Marc Rölli (Hg.), Ereignis auf Französisch. Von Bergson bis Deleuze (München: Fink, 2004), S. 235–256, hier S. 241.

38

Blanckenburg, Versuch, S. xix.

39

Vgl. Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, 6. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006).

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Zusammengehörigkeit und eine Inkongruenz zwischen dem Partikularen (des Ereignisses) und dem Allgemeinen (der Struktur). Nur im Verhältnis zu einem Kontext (»Menge oder Serie«40) kann das einzelne Ereignis oder historische Exemplum erzählt werden; doch nur indem Exemplarizität denkbar ist, können (historische) Strukturen beschrieben werden.41 In der narrativen Medialisierung, die das erzählte Geschehen ansichtig machen soll, ereignet sich das Ereignis als Selbstbeschreibung der textuellen Struktur und gleichzeitig ist es diese rahmende Deskription, die die ›ereignishafte‹ Medialisierung allererst ermöglicht. Beschreibung und Erzählung bleiben ob ihrer Prozessualität inkongruent und im Hiatus.42 Denn wenn mit Derrida das alterierende Moment der Iterabilität sich beständig gegen die reine Aktualisierung der Struktur (langue) im Redeereignis (parole) richtet – wenn das Verhältnis von Struktur und Ereignis iterabel ist –, dann bleibt kein stabiler Ort der Reflexion, weder in Literatur noch in Geschichte.43 Am Konzept des tableau wird dabei deutlich, dass diese quasi-geschichtstheoretische Dimension das Gattungsmoment des Romans impliziert. Wie KarlHeinz Stierle gezeigt hat, kennt das spätere 18. Jahrhundert zwei zugleich existierende Modi des tableau. Bei Dénis Diderots ist das tableau ein »szenisches Gemälde« oder eine »stillgestellte Szene« und zentraler Bestandteil seiner neuen Dramenkonzeption.44 In dem sich von der Formstrenge und »künstlichen« Rhetorizität des Gestischen der tragédie classique abgrenzenden drame bourgeois45, ist das tableau das Innehalten des dramatischen Fortgangs, das dem Zuschauer

40

Khurana, »Ereignis«, S. 241.

41

Vgl. Reinhart Koselleck, »Darstellung, Ereignis und Struktur«, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979), S. 144–157.

42

Vgl. ebd., S. 150.

43

Vgl. Jacques Derrida, »Signatur Ereignis Kontext«, in: ders., Randgänge der Philosophie, 2. Aufl. (Wien: Passagen Verlag, 1999), S. 325–351; vgl. Khurana, »Ereignis«, S. 238ff.

44

Vgl. Barthes, »Diderot«; vgl. Denis Diderot, Das Theater des Herrn Diderot, hg. von Gotthold Ephraim Lessing (Ditzingen: Reclam, 1986); vgl. auch Annette Graczyk, Das literarische Tableau zwischen Kunst und Wissenschaft (München: Fink, 2004), S. 77ff.

45

Vgl. Erika Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters. Vom »künstlichen« zum »natürlichen« Zeichen. Theater des Barock und der Aufklärung, Bd. 2 (Tübingen: G. Narr, 1983).

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ein malerisches Bild vor Augen stellt.46 Bei Louis-Sébastian Mercier ist nicht das Verhältnis von dramatischem Verlauf und visuell verdichtetem Augenblick, sondern die unübersichtliche Fülle des Empirischen der Ausgangspunkt des tableau. Sein Tableau de Paris (1781) beansprucht, Inventarisierung und Gliederung des Wissens zu sein und ist so »Teil der epochalen Bestrebungen, die Kenntnis der Welt zu vervollständigen, zu differenzieren und in einem komprimierten Überblick darzustellen« – die Stadt ist dabei nicht nur zu komplex und vielfältig für die dramatische Darstellung, sondern sprengt die gewohnten Gattungen schlechthin.47 Mercier schreibt deshalb auch keine zusammenhängende Darstellung, sondern ein »tableau aus tableaux«, das den unvermittelten Kontrast der einzelnen Wahrnehmungen, Orte, Situationen betont, statt sie zu einem Kontinuum zu verweben.48 Während, wie Stierle ausführt, das tableau bei Diderot ein das Allgemeine kristallisierendes Genrebild darstellt, verbindet es bei Mercier das Partikulare und historisch Situierte im Sittenbild.49 Die Gleichzeitigkeit und die Inkongruenz zwischen dem partikularen Sittenbild und dem Genrebild verhandeln den Status der Gattung als quasi-biologische Inskription in den Roman. Mit Gattung ist hier nicht mehr (nur) die Klassifikation und Klassifizierbarkeit der literarischen Formen und Funktionen gemeint, sondern der Einschluss der Lebensbegriffe. Blanckenburg kompensiert den fehlenden Ursprung von Struktur und Ereignis (»Gesichtspunkt«) durch sekundäre Bezugsrahmen. Während der Versuch ein komparatistisches Vorgehen und ein transnationales Korpus aufweist, soll

46

Vgl. Heeg, Phantasma, S. 125–156 u. S. 303–380.

47

Graczyk, Das literarische Tableau zwischen Kunst und Wissenschaft, S. 117; vgl. auch Eva Kimminich, »Chaos und Struktur – Schritt und Blick in L.-S. Merciers Tableau de Paris«, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 3/4 (1994), S. 263–282.

48

Vgl. Karl-Heinz Stierle, »Baudelaires ›Tableau Parisien‹ und die Tradition des ›Tableau de Paris‹«, in: Poetica 6 (1974), S. 284–322, hier S. 288.

49

Honoré de Balzacs Comédie humaine nimmt beide Modi und damit die dem Gattungskonzept inhärente Spannung zwischen dem Partikularen und dem Allgemeinen auf und realisiert dies, indem er auf komplexe Weise den deskriptiven Modus seiner einzelnen Szenen mit der narrativen Großkonstruktion, den vielfachen narrativen Verschlingungen innerhalb der Gesamtanlage der Comédie, verbindet, so dass sich Narration und Deskription wechselseitig bedeuten und bedingen: »Aus der Summe einzelner drames setzt sich in der Comédie humaine ein tableau du siècle zusammen, in dessen Zentrum das moralische Tableau der Großstadt Paris steht.« Ebd., S. 286f.

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der nationale Grund für die fehlende Fundierung einstehen: Was im Hiatus von Individuum und Gattung notwendig inkongruent ist, kompensieren die jeweiligen »Sitten«. Während Blanckenburg offen zugibt, dass »das Ganze deutscher Sitten, Gebräuche u.s.w. nichts Anziehendes und Hervorstechendes habe«50, braucht der Roman das Nationale dennoch als Plausibilisierungsgrund und logische Verbindung: Denn der »Dichter muß bei jeder Person seines Werkes gewisse Verbindungen voraussetzen, unter welchen sie in der wirklichen Welt das geworden ist, was sie ist. […] so daß all’ diese kleinen Züge aus ihrem Leben und aus ihrem ganzen Seyn, mit dem ganzen dieser Person, in der genauesten Verbindung als Wirkung und Ursache stehen, – […]«51. Muss der Dichter jedoch diese Verbindungen in der Argumentation voraussetzen, eignet dem romanesken Individuum und der Erfindung des psychologischen Romans ein unsicherer Ursprung und ist die Ordnung des Sittentableaus durchkreuzt von transnationaler Intertextualität – vor allem aber eignet hier dem Begriff der Gattung ein sich über alle Plausibilisierung hinwegsetzendes Anderes. Während der nationale Rahmen Blanckenburgs eine Variante der Goethe’schen »innere[n] nothwendige[n] Uranfänge« ist, um mit den »äußeren zufälligen Formen« zu Rande zu kommen, suspendiert Blanckenburg in einer weiweiteren diskursiven Drehung den Rahmen selbst. Anschaulichkeit ist eines der meistverwendeten Worte des Versuchs. Sie benennt die Idee einer quasi-visuellen Präsenz und vergegenwärtigenden Sichtbarkeit des Texts, die einstehen soll für die prekäre Präsenz des heroischen Ereignisses und der fundierenden Struktur.52 Blanckenburgs Theorie des Romans verkompliziert damit die Erzählung vom Strukturwandel der Öffentlichkeit, wonach die repräsentative Öffentlichkeit und die ihr eigene Theatralität von der Erfindung des Privaten abgelöst wird.53 Vielmehr steht der dramatistische Stil für die fehlende Öffentlichkeit oder den rituellen Anlass ein – dafür, dass die Lektüresituation »only a private person reading a book in an armchair« ist.54 Blanckenburgs Misstrauen gegenüber dem Narrativen ist daher mehr als formale Präferenz oder Anleihe am dialogischen Moment des Dramas: »[B]loße Erzählung« markiert bei Blanckenburg

50

Blanckenburg, Versuch, S. 209.

51

Ebd., S. 207f. [Hervorhebung SW].

52

Vgl. Campes Lektüren zur Anschaulichkeit: Campe, »Vor Augen Stellen« und

53

Vgl. vor allem Kap. I und II: Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 54–

54

C.S. Lewis, A Preface to Paradise Lost (Oxford: Oxford University Press, 1961),

Campe, »Theorie des Romans«, S. 200–206. 121. S. 40.

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die Textualität oder Rhetorizität des Romans, seine immer nur bezeichnende Qualität, »eine gewisse Reihe von Formelchen und Ausdrücken […], wodurch man uns den Zustand der Personen anschauend zu bezeichnen glaubt«.55 Blanckenburgs Roman soll nicht geschrieben und gelesen, sondern sichtbar sein: »dies Erfolgen der Wirkung selbst, vor unsern Augen«56. Für diesen Präsentationsmodus des Vor-Augen-Stehens jedoch ist Agathon ein schlechtes, aber aussagekräftiges Beispiel. Wielands Text beginnt mit einer Kapitulation ob der Unwahrscheinlichkeit, »das Publicum überreden zu können«57. Völlig unabhängig von jedweder Wahrscheinlichkeit aber verbindet »das Publicum überreden« den Roman mit der Rhetorik und Zeitlichkeit der politischen Rede, die bei Blanckenburg als ›bloße‹ Bezeichnung abgewertet wird. Diese immer nur bezeichnende Rhetorizität in Agathon übersetzt der Versuch mit Verweis auf die Theaterkonzeption und Dramen Diderots in eine Darstellungslogik, die die rhetorische Bezeichnung durch die Phantasmen der Präsenz eintauschen möchte. In seiner Abgrenzung von der klassischen Form des Epos und vor allem dem Stoffgehalt der Tragödie ist Blanckenburgs Roman nicht einfach an Innerlichkeit interessiert, sondern hinsichtlich seiner medialen Konzeption dezidiert ›a-öffentlich‹, Inhalt und Form sind »Privatbegebenheiten«58. Der Versuch wird damit zur ›Privatisierung‹ von Wielands rhetorischem Rahmen. Hier beginnen die liaisons dangereuses mit dem Theater: Was Blanckenburg zu »erhabener Freundschaft«59 machen will, wird unter der Hand zur erotischen Gefahr und zum Begehren der anderen Gattung. Blanckenburg greift dabei neben Henry Homes Elements of Criticism (1762) auf die deutsch-französische liaison zwischen Diderot und Lessing zurück und vor allem auf deren Faszination für das ›Natürliche‹, das die Debatten um das Theater in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominiert.60 Während Diderots bürgerliche Dramen (wie Le Fils naturel (1757) und Le Père de famille (1758)) vor allem von bedrohten Familienordnungen handeln – von Stiefkindern, Inzest und dem eher prekären Gesetz des Vaters –, ist es die (A-)Medialität dieses neuen Theaters, die die bürger-

55

Blanckenburg, Versuch, S. 493.

56

Ebd., S. 495.

57

Christoph Martin Wieland, Geschichte des Agathon: Erste Fassung (Stuttgart: Reclam, 1986), S. 5.

58

Blanckenburg, Versuch, S. 21.

59

Ebd., S. 168ff.

60

Vgl. hier und zur folgenden Lektüre Heeg, Phantasma; vgl. auch Michael Fried, Absorption and Theatricality: Painting and Beholder in the Age of Diderot (Berkeley u.a.: University of California Press, 1980).

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liche Ordnung immer wieder neu zu etablieren und zu garantieren hat: Das Konzept des Natürlichen entsteht aus der Verschleierung des theatralen Rahmens des anschaulichen tableau, das die bürgerliche Tugend und Familienordnung zum Allgemein-Ewigen erhebt, indem deren Dargestelltheit und performative Hergestelltheit unterschlagen werden. Im fiktionalen Vorwort zu Le Fils naturel transformiert Diderot entsprechend die theatrale Rede und Handlung in die ›wirklich‹ sich ereignende private Familienszene.61 Als eine solche Szene des Privaten soll das Theater frei sein von theatraler Darstellung und theatraler Rezeption. Es kann sich dabei auf Johann Jacob Engels »natürlichen« Ausdruck verlassen: Engel ist ein erklärter »Feind jenes gespannten, strotzenden, übertriebenen Spiels« und verlangt, dass der Schauspieler so spielen soll, dass sein Spiel nicht als solches erscheint; weder »Redner« noch »Tänzer« darf er sein, und auch »die Zuschauer sind für die handelnden Personen schlechterdings nicht gegenwärtig […]. ›Man muß sich‹, sagt Diderot, ›an dem Rande der Bühne eine große Mauer vorstellen, durch die das Parterre abgesondert wird; man muß spielen als ob der Vorhang gar nicht aufgezogen würde.‹«62 Günther Heeg hält fest, dass in diesem Darstellungskonzept die körperliche Präsenz der Schauspieler zur phantasmatischen Koinzidenz zwischen Signifikant und Signifikat wird und auf diese Weise das Natürliche zum Gegenmodell der in der Malerei immer nur fragmentarischen, weil gerahmten Darstellung.63 Die »ideale Gegenwart«64, die Blanckenburg von Homes übernimmt, markiert das Phantasma der Rahmenlosigkeit: Das auf der Bühne ansichtig verlaufende Leben, das ohne die Medialität des Theaters auszukommen glaubt, ist, was Blanckenburg Anschaulichkeit nennt. Dieses Phantasma der Präsenz, das die Theatertheorie des 18. Jahrhunderts um den Preis der eigenen Theatralität formuliert, entbehrt und begehrt Blanckenburgs Roman zugleich. Gleichzeitig aber ist es diese suspendierte Theatralität, die – als Freud’scher anderer Schauplatz – die instabile Gründungsszene des psychologischen Romans und seiner Theorie ausmacht.

61

Denis Diderot, »Der natürliche Sohn«, in: ders., Das Theater des Herrn Diderot, hg.

62

Johann Jacob Engel, Ideen zu einer Mimik, in: Schriften, Bd. 8 (Berlin: Mylius,

von Gotthold Ephraim Lessing (Leipzig: Reclam, 1981), S. 34–96. 1804), S. 176f. bzw. S. 285. 63

Heeg, Phantasma, S. 306.

64

Vgl. z.B. Blanckenburg, Versuch, S. 21.

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S HAKESPEARES S ZENEN : V ERDOPPLUNG (B LANCKENBURGS S HAKESPEARE ) Die bei Blanckenburg angelegte und von Goethe und Schiller übernommene Unterscheidung, »daß der Epiker die Begebenheit als vollkommen vergangen vorträgt, und der Dramatiker sie als vollkommen gegenwärtig darstellt«65, hat eine lange und transnationale Geschichte.66 Etwa 150 Jahre später unterscheidet der Brite Percy Lubbock in The Craft of Fiction (1921), seiner kanonischen Lektüre der späteren Romane Henry James’, die Modi des Sukzessiv-Erzählenden (telling) und des Bildlich-Darstellenden (showing), deren visuelle Metaphorizität wiederum Wayne Booth’ The Rhetoric of Fiction (1961) und in Frankreich Gérard Genettes Figures (1967–1970) kritisch diskutieren.67 Gilt Lubbock als der ›Erfinder‹ des vieldiskutierten point of view, ist eine von dessen Urszenen der »Gesichtspunkt« Friedrich von Blanckenburgs.68 Lubbock fordert in Übereinstimmung mit Blanckenburg: »The art of fiction does not begin until the novelist thinks of his story as a matter to be shown, to be so exhibited that it will tell it-

65

Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, »Über epische und dramatische Dichtung«, in: Johann Wolfgang von Goethe, Über Kunst und Altertum (Stuttgart: Cotta, 1827), S. 1–26, hier S. 1; vgl. auch Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie II, S. 54f. Szondi stellt heraus: »[S]o kann die Gegenüberstellung epischer Vergangenheit und dramatischer Gegenwart präzisiert werden, indem die epische Darstellung als Vergegenwärtigung eines Vergangenen in der Erzählung begriffen wird, die dramatische Darstellung aber als eine, die sich selber aufzuheben strebt, indem sie nicht die Darstellung von etwas, sondern ein im Augenblick allererst sich Ereignendes ist, eine nicht bloß ästhetisch vermittelte Gegenwart, sondern reale […]. Der von Goethe festgestellte Drang zur vollkommenen Gegenwärtigkeit ist also strenggenommen der zum Abbau aller ästhetischen Vermittlung, der Versuch der Kunst, über ihren Schatten zu springen und den Bereich der Fiktion zu verlassen.«

66

Vgl. auch Lämmerts Einschätzung: Lämmert, »Nachwort«, S. 564. »Blanckenburg und Engel nehmen mit ihren ausführlichen Begründungen wichtige Positionen in einer Entwicklung der Romankunst ein, deren Kulminationspunkt erst im späten 19. und 20. Jahrhundert liegt.«

67

Wayne Booth, The Rhetoric of Fiction, 2. Aufl. (Chicago: University of Chicago Press, 1983); Genette, Erzählung, S. 104f. und S. 118ff.

68

Vgl. zu der Rückbindung US-amerikanischer Literaturtheorie an das deutsche 18. Jahrhundert Robert Ellis Dye, »Friedrich von Blanckenburg’s Theory of the Novel«, in: Monatshefte 60, Nr. 2 (1968), S. 113–140.

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self.«69 Bei James findet er eingelöst, dass »[e]verything in the novel, not only the scenic episodes but all the rest, is to be in some sense dramatized«70. Das Szenische lässt sich nicht auf eine Episode des Romans reduzieren – es ist auch all the rest. Doch Lubbocks Dramatisierung ist im Kern nicht nur anti-theatral, sondern anti-medial: [The mode of drama] relates his story as though he [the author] had caught it in the act and were mentioning the details as they passed. There seems to be no particular process at work in his mind, so little that the figure of [the showman] is overlooked and forgotten as we follow the direction of his eyes. The scene he evokes is contemporaneous, and there it is, we can see it as well as he can. Certainly he is ›telling‹ us things, but they are things so immediate, so perceptible, that the machinery of his telling, by which they reach us, is unnoticed; the story appears to tell itself. […]; the story occupies us, the moving scene, and nothing else.71

Lubbocks Modell, das Leben aus der Perspektive des Voyeurs ›auf frischer Tat zu ertappen‹ (catch it in the act), aktualisiert präzise Diderots Theaterkonzeption. Die Vorrede zu Le Fils naturel entwirft ein Stück, »dessen Inhalt Teil unseres Lebens wäre, und das wir unter uns aufführen wollten. […]. Wir brauchten dazu keine Bühne aufzubauen; wir wollten bloß das Andenken einer uns rührenden Begebenheit erhalten und sie so vorstellen, wie sie sich wirklich zugetragen hat«72. Doch in diesem Intimtheater – immerhin geht es in Le Fils naturel um den gerade noch verhinderten Inzest zwischen Bruder und Schwester – würde die »Gegenwart eines Fremden in Verlegenheit setzen können«, so dass der Zuschauer der Voyeur wird, der sich dorthin stellt, wo er »ohne gesehen zu werden, das, was nun folget, sehen und hören konnte«.73 In diesem wie auch in Lubbocks Theater bleibt die »machinery« selbst ungesehen, »der ganze Rest« ist: »the moving scene, and nothing else«, Geschehen und Medium sind »in sich selbst versunken«74. Anders als in der das Zuschauen kalkulierenden Theatralität, ist dieses Privattheater der Verzicht auf die Dimension der Repräsentation und Phantasma »darstellungsloser Darstellung«75. Das Präsenzbegehren des Romans

69

Lubbock, Fiction; vgl. zur Kritik Genette, Erzählung, S. 104f.

70

Lubbock, Fiction, S. 123.

71

Ebd., S. 113.

72

Diderot, »Der natürliche Sohn«, S. 35.

73

Ebd., S. 36ff.

74

Vgl. Fried, Absorption and Theatricality.

75

Heeg, Phantasma, S. 55.

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findet so einen Doppelgänger in der langen und auf Platon zurückgehenden Geschichte der Antitheatralität, die seit dem 18. Jahrhundert vor allem mit dem Namen Rousseaus verbunden ist und sich als Sehnsucht nach einer puren, unschuldigen, paradiesischen, mithin vor-sozialen und vor-politischen – d.h. nichtmedialen – Szene nachzeichnen lässt.76 Diese Antitheatralität lebt von dem Begehren, das Theatrale der Szene, ihre politische Impikation qua Medialisierung und Zuschauerschaft, abzuschaffen.77 So erweist sich noch die Theaterfreundlichkeit des an James’ Texten ausgerichteten Romantheoretikers Lubbock bei genauerem Hinsehen als antitheatrale Szene: Die Idee, das Dramatische für den Roman zu übernehmen, verläuft hier über die Aus- und Absonderung der theatralen Qualitäten. In Blanckenburgs Versuch – und zwar gerade in dessen affektiver Vorbegrifflichkeit – wird diese Absonderung theatraler Qualitäten besonders deutlich in dem seitenlangen Shakespeare-Kommentar, der das Refugium der suspendierten Situation des Theaters bildet. Denn Blanckenburgs Text skizziert die Position seines Autors als diejenige eines – selbst unbeobachteten – Theaterbesuchers. Blanckenburg kommentiert nicht in erster Linie einen Text, den er liest, sondern exklamiert einfühlsam, was sich ›gleichzeitig‹ – und ›unabhängig‹ von ihm – auf der Bühne vor seinen Augen tut. Und was sich tut, sind die Gefühlswallungen von Shakespeares Figuren, die Blanckenburg »sieht« und benennt: »Man sieht, wie heftig sein Unglück ihm in seinem Marke naget«; »[m]an sieht den Wahnsinn kommen«; »[m]an sieht, daß der alte Mann mit jedem Augenblick weniger Meister seiner selbst ist« oder: »[m]an bemerke, daß hier die Heftigkeit schon wieder gesunken ist, die so schnell und so hoch mit einemmale stieg«.78 Blanckenburgs Einfühlung lebt von dem seit dem 18. Jahrhundert mit Shakespeares Figuren verbundenen Phantasma, im einzigartigen Individuum, in seiner »unnachahmlichen Natur und abgründigen Eigenheit«, immer zugleich sein Hinausweisen »über die Rolle, die es auf den Brettern dieser Welt zu spielen hat«,

76

Vgl. grundlegend Jean Starobinski, Rousseau. Eine Welt von Widerständen (Frankfurt am Main: Fischer, 2003); vgl. Jean-Jacques Rousseau, Théâtre et Écrits sur le Théâtre, hg. von Raymond Trousson und Frédéric Eigeldinger, in: Œuvres complètes, Bd. 16 (Genève: Slatkine, 2012).

77

Vgl. Gabriele Brandstetter, Stefanie Diekmann und Christopher Wild (Hg.), Theaterfeindlichkeit (München: Fink, 2011); vgl. Juliane Rebentisch, »Demokratie und Theater«, in: Felix Ensslin (Hg.), Spieltrieb – Was bringt die Klassik auf die Bühne? Schillers Ästhetik heute (Berlin: Theater der Zeit, 2006), S. 71–81.

78

Blanckenburg, Versuch, S. 108; vgl. Campe, »Theorie des Romans«, S. 200–206.

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lesen zu können.79 Hier soll die Menschennatur in der Geschichte aufscheinen. In Blanckenburgs Shakespeare partizipieren die aufscheinenden und vergehenden Wallungen unter der Hand an einer gespenstischen Logik, die, wie Anselm Haverkamp schreibt, die (Shakespeare’sche) Bühne zum »Ort [des] NichtStattfindens« und damit zur »Darbietung der Bühne« selbst macht.80 Blanckenburgs Theorie beschreibt nicht einfach, sondern führt selbst theatral vor, wie der Roman fortan zu sein habe: Am Modell des Theaters artikuliert sich eine Darstellungsweise, die psychologisch benennt, was sie in »idealer Gegenwart«81 sieht, ohne dass das Sehen selbst zum Thema würde. Wenn sich aber, wie Campe herausstellt, »[im] in sich verknüpften Stellenkommentar […] die auf der Bühne vor Augen stehende Handlung um den unmittelbar benannten Zustand der Personen [verdoppelt]«82, dann ist Verdopplung genau das Moment, das die ideale Gegenwart stört. Denn das »Entstehen, Fortgehen und ganze Werden der Leidenschaften«83 der Shakespeare’schen Charaktere ist die Handlung, die im psychologischen Kommentar verdoppelt wird – vor allem in den exklamatorischen Zwischenrufen, die Blanckenburg in die Shakespeare-Zitate ›hineinruft‹.84 Blanckenburgs Shakespeare selbst hat einen ungleichzeitigen Doppelgänger: ›[M]an sieht‹ den originalen englischen und nachfolgend den von Wieland seit den 1760er Jahren übersetzten »deutschen Shakespeare«85. Das heißt, die Urszene der deutschen Romantheorie ist von Anfang an auch eine Szene der Übersetzung und eine Szene der Schrift. Dabei wählt der Faksimiledruck für den englischen, nicht aber den deutschen Shakespeare-Text eine andere Schriftart, so dass sich die deutschen Passagen wie Blanckenburgs exklamatorische Simultanübersetzungen lesen. Während sich hier der Effekt der Gleichzeitigkeit des Sehens und Kommentierens steigern soll, wird die Zweidimensionalität des Texts zu einer dreidimensionalen »Schreib-Szene«, die Campe als »nicht-stabiles Ensemble von Sprache, Instrumentalität und Geste« bezeichnet, die die »selbstevi-

79

Haverkamp, Hamlet, S. 13.

80

Ebd., S. 17.

81

Blanckenburg, Versuch, S. 493.

82

Campe, »Theorie des Romans«, S. 201.

83

Blanckenburg, Versuch, S. 30.

84

Vgl. exemplarisch ebd., S. 108.

85

Vgl. zum Stellenwert Shakespeares Rüdiger Campe, »Agathon und deutscher Shakespeare. Wielands Stellung im Wissen der Literatur«, in: Bettine Menke und Wolfgang Struck (Hg.), Wieland/Übersetzen. Sprachen, Gattungen, Räume (Berlin: De Gruyter, 2010), S. 206–224; vgl. auch Margarethe C. Schioler, »Blankenburg’s Advocacy of Shakespeare«, in: Monatshefte 42, Nr. 3/4 (1950), S. 161–165.

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dente Rahmung der Szene« unterbricht.86 Die Dreidimensionalität verlegt die Räumlichkeit und Affektivität des Theatralen in die ideale Gegenwart: Die konkrete Situation des theoretischen Kommentars und die Situiertheit des Kommentators aber nehmen die Idealität der »darstellungslosen Darstellung« beständig zurück. Durch das Prinzip der Verdopplung wird trotz des Phantasmas idealer Gegenwart offenkundig, dass es sich doch nur um »sheer writing« handelt und die Lektüresituation »only a private person reading a book in an armchair« ist.87 Während Blanckenburg von Johann Jacob Engels »Ueber Handlung, Gespraech und Erzehlung« (1774) übernimmt, dass eher Gespräch (showing) denn Erzählung (telling) mit der notwendigen Lebendigkeit das Werden des Charakters vor Augen zu stellen in der Lage ist, ist doch nur Erzählung »seiner ganzen Materie Herr«88. Den ›Kontrollverlust‹ über die dramatische Präsenz im Roman – den das Theater phantasmatisch in der physischen Ko-Präsenz auffängt – benennt Blanckenburg als den Illusionsmangel des Romans. Die prekäre Präsenz des Romans muss daher kompensiert werden in der Verkettung und kausalen Verknüpfung aller Einzelszenen.89 Statt der »vermeinte[n] Gegenwart der Personen« im verkörpernden Drama, ist Reflexion eine der »Eigenthühmlichkeiten«90

86

Rüdiger Campe, »Die Schreibszene, Schreiben«, in: Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer (Hg.), Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991), S. 759–772, hier S. 760.

87

Lewis, A Preface to Paradise Lost, S. 40.

88

Johann Jacob Engel, »Ueber Handlung, Gespraech und Erzehlung«, in: Hartmut Steinecke (Hg.), Romantheorie. Texte vom Barock bis zur Gegenwart (Stuttgart: Reclam, 1999), S. 195–199, hier S. 198.

89

»Wenn wir den Agathon untersuchen: so findet es sich so gleich, daß der Punkt, unter welchem alle Begebenheiten desselben vereinigt sind, kein andrer ist, als das ganze jetzige moralische Seyn des Agathon, seine jetzige Denkungsart und Sitten, die durch all’ diese Begebenheiten gebildet, gleichsam das Resultat, die Wirkung aller derselben sind, so daß diese Schrift ein vollkommen dichterliches Ganzes, ein Kette von Ursach und Wirkung ausmacht.« Blanckenburg, Versuch, S. 10; siehe auch Lockemann, Entstehung des Erzählproblems: »Das erzählende Subjekt soll möglichst viel ›Raum und Zeit‹ in sein Werk bannen. Raum und Zeit, die Dimensionen, in denen sich das Leben vollzieht, geben dem erzählten Werk den Schein des Lebens. Mit dieser Forderung versucht Blanckenburg den Charakter des nur wiederholenden Berichts auszuschließen. Sobald Raum und Zeit in einem Werk vorhanden sind, erscheinen auch die Begebenheiten als jetzt und hier geschehend. Die Vergangenheit wird zu einer fiktiven Gegenwart« (S. 173).

90

Blanckenburg, Versuch, S. 391.

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des Romans – proper-ty im Vergleich zu den immer un-heimlichen und uneigentlichen Gefilden des Theatralen. Gegenseitige Reflexion (im doppelten Sinne von ›Betrachten‹ und ›Spiegeln‹) des Lebens auf der Bühne und des bezeichnenden Kommentars innerhalb der Erzählung verleiht beiden »das Ansehn von Wahrheit und Natur«91. Anstelle der begehrten Präsenz steht diese Idee der Reflexion dafür ein, das immer nur singuläre und inkommensurable dramatische Ereignis in einen bedeutenden Verlauf zu integrieren: Statt loser und episodischer Anordnung sollen der Fortgang des Lebens und das narrative Fortschreiten sich gegenseitig spiegeln – ohne dabei als textuelle Konstruktion erkennbar zu werden.92 Entsprechend ist eines der Beispiele, mit denen Blanckenburg die Notwendigkeit der Erzählung zu begründen sucht, die Erzählung des Erzengels in Miltons Paradise Lost (1667). Sie ist Ursprungserzählung, denn »[d]er erste Mensch mußte von dem Vergangenen unterrichtet werden, wenn nicht sein Schutzgeist den Vorwurf verdienen sollte, daß er ihn sehr unvorbereitet, seinem bevorstehenden Schicksal überlasse«93. Dieser »Gesichtspunkt«, schreibt Blanckenburg, ist »nothwendig«94 und bezeichnet hier Herkunft und Verortung, die die Erzählung motivieren: Als Gründungsnarrativ steht sie ein für den »Illusionsmangel«, das fehlenden Vor-Augen, die Positionierung vor einem »Gesichtspunkt«. Gleichzeitig aber muss die dramatische Präsenz des Vor-Augen-Gestellten für die Gründung und Begründung des Ursprungs einstehen – für deren interpretative Autorität und hermeneutische Kompetenz innerhalb des Texts. Anstelle einer gegenseitigen Begründung (re-)produzieren sich Struktur und Ereignis gegenseitig: Das bezeichnende Potenzial der Erzählung gründet logisch auf der prekären Präsenz des dramatischen Ereignisses; doch nur die Verlässlichkeit des Präsentierens ermöglicht »das Ansehn von Wahrheit und Natur« zu gewährleisten. Die Beziehung zwischen Vor-Augen und deskriptivem Kommentar ist zirkulär und paradox. In Wielands Agathon jedoch ist der Erzähler nicht nur eine zentrale Kategorie, sondern das Erzählen und dessen Rhetorik selbst sind im

91

Ebd., S. 518.

92

Das entspricht exakt Lukács’ Begriff der Erzählung; vgl. Georg Lukács, »Erzählen oder beschreiben? Zur Diskussion über den Naturalismus und Formalismus«, in: ders., Essays über Realismus, hg. von Frank Benseler (Probleme des Realismus I; Werke, Bd. 4) (Neuwied; Berlin: Luchterhand, 1971), S. 197–242; vgl. Rainer Nägele, »Narration or Description. Lukács and the Imaginary Desire«, in: ders., Theater, Theory, Speculation: Walter Benjamin and the Scenes of Modernity (Baltimore: The Johns Hopkins University Press, 1991), S. 94–107.

93

Blanckenburg, Versuch, S. 518f.

94

Ebd., S. 518.

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Text thematisch (s.o.): Nur indem Blanckenburg diesen selbst-reflexiven Zug seines Beispiels suspendiert, kann sich der Versuch als der theoretische Rahmen für den literarischen Text ausgeben. Doch nur die Behauptung der unmittelbaren Präsenz des Texts erweckt die Theorie ›zum Leben‹. Der Versuch zeigt die Abhängigkeit der Theorie selbst von der Anschaulichkeit, die sie für ihren Gegenstand propagiert.95 Die ›selbstreflexive‹ Bewegkraft beider Texte – des literarischen, wie theoretischen – durchkreuzt die Idee gegenseitiger Reflexion, die seit Descartes das Paradigma für das theoretische Denken ausmacht. Stattdessen weist sich Blanckenburgs »Gesichtspunkt« als ein konstruktives Moment aus, das der Tatsache Rechnung trägt, dass Perspektivierung eine »technifizierte graphische Handlung ist, die dem, was noch gar nicht ›da‹ ist, zur (bildlichen) Existenz verhilft«, und »dass die Perspektive nicht die Natur imitiert, sondern ein geometrisch begründetes Bildschema darstellt […] um auf dem Papier Objekte oder Räume zu ›bauen‹«.96 Dieser Raum aber, den Blanckenburgs Text ›baut‹, funktioniert nicht zentralperspektivisch: Statt fixierbarer Betrachtung und Spiegelung komponiert dieser Raum eine Optik, die von Interferenzen heimgesucht ist. Donna Haraway beschreibt diese »interference patterns« mit dem optischen Begriff der diffraction: »Diffraction does not produce ›the same‹ displaced, as reflection and refraction do. Diffraction is a mapping of interference, not of replication, reflection, or reproduction.«97 Diese Interferenzen mobilisieren »inappropriate/d other(s)« innerhalb einer proprietären Anordnung des ›Reinen‹ und ›Selbstidentischen‹; sie sind, so Haraways Titel, »Promises of Monsters« Monstrosität bleibt bis hin zu Henry James mit dem Versprechen des dramatisti-

95

Entsprechend wertet Wölfel den Versuch als »eine Exegese dieses Romans [Agathon] ohne dessen Vorbild Blanckenburgs Romanbegriff ohne Anschauung, also leer geblieben wäre«. Wölfel, »Versuch über den Roman«, S. 32; vgl. zur Frage der Anschaulichkeit des Philosophischen grundlegend Jacques Derrida, »Die weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text«, in: ders., Randgänge der Philosophie (Wien: Passagen Verlag, 1988), S. 229–290.

96

Jutta Voorhoeve, »Technische Zeichenmanöver, Verfahren der Konstruktion«, in: Jutta Voorhoeve und Christoph Hoffmann (Hg.), Welten schaffen: Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Konstruktion (Zürich: diaphanes, 2011), S. 7–16, hier S. 12f.; vgl. grundlegend Erwin Panofsky, »Die Perspektive als symbolische Form«, in: ders., Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hg. von Hariolf Oberer und Egon Verheyen (Berlin: Hessling, 1927), S. 99–167.

97

Donna Haraway, »The Promises of Monsters: A Regenerative Politics for Inappropriate/d Others«, in: Lawrence Grossberg, Cary Nelson und Paula Treichler (Hg.), Cultural Studies (New York: Routledge, 1992), S. 295–337, hier S. 300.

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schen Romans verbunden, der darin sein ›anderes‹ Gesicht zeigt. Nicht die andere Gattung, sondern das Andere im Begriff der Gattung und im »Gesichtspunkt« der Theorie stehen darin zur Debatte. Denn der dramatistische Roman drückt immer auch und immer zugleich die Sehnsucht nach einem ›Organischen‹ und die Bedrohung durch das Monströse aus: »[S]uch large, loose, baggy monsters, with their queer elements of the accidental and the arbitrary«, schreibt James über diejenige ›Unform‹, die die organische romaneske Komposition zu umgehen sucht; denn nur so »has the organic centre succeeded in getting into proper position«.98 Der Theater-Geist aber, darum geht es im Folgenden, markiert dabei beständig den Entzug eben dieser proper position.

T HEATER -G EIST

UND

F AMILIEN -S ZENE (G OETHE )

Goethe autorisiert die Poetik des Bildungs-Geistes in einer zweifachen Entwicklungsgeschichte: Analog zur Bildung Wilhelm Meisters emanzipiert sich der Roman von der theatralen Szene hin zur Autorität der Roman-Schrift, die in der Instanz der Turmgesellschaft verkörpert ist.99 Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre hat eine textuelle Vorgeschichte: Der ›Ur-Meister‹ ist Goethes Wilhelm Meisters theatralische Sendung. Die Geschichte vom Ur-Meister zu den Lehrjahren lässt sich selbst als eine Lehrgeschichte erzählen: Während die Sendung noch durchaus sendungsbewusst an das Theater als Lebens- und Weltmodell glaubt, emanzipiert sich – auf den ersten Blick – der spätere Goethe (wie Wilhelm Meister selbst in den Lehrjahren) vom Theater und dessen Phantasmagorien. Nachträglich kann man aber auch vermuten: Das Modell des Rollensuchens und Rollenfindens und die Ökonomien von Sein und Schein sind dem jüngeren Goethe zwar noch Sendung, dem späteren aber nicht mehr Bildung genug; wenn

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James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1107f.; vgl. Joseph Litvak, »Actress, Monster, Novelist: Figuration and Counterplot in ›The Tragic Muse‹«, in: ders., Caught in the Act: Theatricality in the Nineteenth-Century English Novel (Berkeley: University of California Press, 1992), S. 235–270; vgl. auch Julie Rivkin, False Positions: The Representational Logics of Henry James’s Fiction (Stanford: Stanford University Press, 1996).

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Das folgende Unterkapitel ist zu Teilen bereits erschienen in Witt, »LebensSzene«, S. 214–218.

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sich die Theaterleidenschaft dergestalt in Theatrophobie verkehrt,100 wird umso deutlicher, was in der Emanzipation und in deren Abwehrgeste zur Debatte steht. Das fünfte Buch der Lehrjahre kreist darum, »mit sich selbst einig zu werden«, um »[fremde] Lichter als [Leitsterne]« und um Hamlet.101 Mit »der geistvollen Wielandschen Arbeit«102 beschäftigt sich Wilhelm und liest den Text – als Vorbereitung auf die Inszenierung mit der Theatergruppe Serlos – im besten Sinne dramaturgisch. Die »zerstreuten und zerstreutesten Motive« will Wilhelm durch »ein einziges […] substituieren« – zwar sind dies »›die Unruhen in Norwegen‹«103 , doch artikuliert sich in ihnen das Planvolle des Hamlet: »[D]er Held hat keinen Plan, aber das Stück ist planvoll.«104 Wilhelms Interesse gilt der geheimen Autorität der dichterischen Setzung; dass Wilhelm darauf beharrt, »daß ›Hamlet‹ ganz und unzerstückt aufgeführt werden sollte«105 , ist damit weniger Treue zum Stoff, denn Treue zum Buchstaben: Nicht die Shakespeare’schen Wallungen wollen die Lehrjahre auf der Bühne sehen, sondern den »Sinn des Buchstabens«106 überhaupt autorisieren. Um diese Autorisierung geht es nicht nur in der Theatromanie der Lehrjahre. Heeg hat darauf verwiesen, dass der Kern der Theaterleidenschaft des 18. Jahrhunderts theologisch ist: Das Theater folgt einem Bedarf nach »anschaulicher ›Verkörperung des Sinns‹« und »ersetzt den Dualismus von Transzendenz und Immanenz, Sein und Schein, Sinn und Sinnlichkeit durch ein Modell der Integration«.107 Das Theater tritt so das »Erbe des Gottesbeweises«108 an und macht die Bühne zu einem phantasmatischen Ort der Wiedererlangung von Omnipotenz, die im Gleichschritt von Körper und Geist, in der Einheit von Autor, Regisseur und Spieler artikuliert ist.109 Auch wenn Goethes Lehrjahre den Abschied von dieser theatralen Hoffnung des Schöpfergottes markieren, artikuliert sich am Auftritt des Geistes von Hamlets totem Vater ihr Einsatz: »Wir wären doch im Grunde recht übel angeführt«,

100 Vgl. Patrick Primavesi, Das andere Fest. Theater und Öffentlichkeit um 1800 (Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2008), S. 83f. 101 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 284f. 102 Ebd., S. 298. Zum Stellenwert von Wielands Shakespeare-Übersetzung vgl. Campe, »Agathon und deutscher Shakespeare«. 103 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 296f. 104 Ebd., S. 254. 105 Ebd., S. 293. 106 Ebd., S. 310. 107 Heeg, Phantasma, S. 194. 108 Ebd., S. 195. 109 Vgl. ebd., S. 198ff.

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scherzt Serlo noch nach der Hauptprobe, »wenn der Geist ausbliebe, die Wache wirklich mit der Luft fechten und unser Souffleur aus der Kulisse den Vortrag des Geistes supplieren müßte«.110 Für die vergegenwärtigende Bühne und für den planvollen Dramaturgen ist der Geist vor allem ein Problem: Davon zeugt die Angst vor der »soufflierten Rede«111 – vor dem immer auch Uneigenen und Un-heimlichen in der Rede –, denn das Gespenst von Hamlets totem Vater bleibt der unintegrierbare Rest des vor-Augen-stellenden Theaterphantasmas und der Autor-Vision. Die Emanzipationsgeschichte, die die Lehrjahre im Folgenden erzählen, hat diesen doppelt theatralen Grund. Während die Abgrenzung von den mit der Institution und der Metapher des Theaters verbundenen repräsentationalen Logiken und deren genuiner Öffentlichkeit innerhalb der Emanzipationserzählung statthat, in der die politische und historische Szene durch das private Leben und dessen Handhabbarkeit im Roman ersetzt wird, rücken damit gleichzeitig und unter der Hand die repräsentationalen Logiken des Romans selbst in den Vordergrund. Entsprechend soll in der bildungsromanesken Schrift als der lehrreichen Überwindung des Theaters nicht nur jede verwirrte Lebens-Episode, sondern das Episodische als Strukturprinzip keinen Platz haben: So findet Wilhelm Meister im letzten Viertel des Romans und nach langer Irrfahrt durch die Welt des Theaters sein Leben geschrieben in einer der Thora ähnlichen Schriftrolle, die in der Turmgesellschaft aufbewahrt ist: [Wilhelm Meister] fand die umständliche Geschichte seines Lebens in großen, scharfen Zügen geschildert; weder einzelne Begebenheiten noch beschränkte Empfindungen verwirrten den Blick, allgemeine liebevolle Betrachtungen gaben ihm Fingerzeige, ohne ihn zu beschämen, und er sah zum erstenmal sein Bild außer sich, zwar nicht, wie im Spiegel, ein zweites Selbst, sondern wie im Porträt ein anderes Selbst: man bekennt sich zwar nicht zu allen Zügen, aber man freut sich, daß ein denkender Geist uns so hat fassen, ein großes Talent uns so hat darstellen wollen, daß ein Bild von dem, was wir waren, noch besteht und daß es länger als wir selbst dauern kann.112

Der das Selbst im Bild verkörpernde Geist stellt sich als die Subtraktion des Einzelnen und als dessen Unterordnung unter ein Allgemeines dar. Im Bild wird der/das Andere (des Geistes) zu Gunsten der Stärkung des Selbst unterschlagen.

110 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 315. 111 Vgl. Jacques Derrida, »Die soufflierte Rede«, in: ders., Die Schrift und die Differenz, 9. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003), S. 259–301. 112 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 505.

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Ex negativo lassen sich daran präzise diejenigen Aspekte des Theaters oder des Szenischen herausstellen, die die Instanz der Schrift sorgsam zu überwinden sucht: Hier geht es um den Status »einzelne[r] Begebenheiten« und um das Verhältnis zwischen Selbst und Anderem, das (so lässt sich aus der Sicht bildungsromanesken Schreibens ›befürchten‹) in der theatralen Szene zur Debatte steht, während der Bildungs-Geist vorgibt, den Anderen in der Dialektik des Porträts des Eigentlichen gebannt zu haben. Denn die Position des Anderen übernimmt hier der »denkende Geist«, der die Integrität des Selben garantiert. Wenn Kittler hervorhebt, dass der Geist der Bildung den Geist der Ahnen ersetzt,113 dann ist diese Ersetzung der Versuch, noch das Moment der Unverfügbarkeit (dialektisch) in den bildenden Geist zu integrieren. Doch wie im Rückgriff auf Lacans »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion« (1936) deutlich wird, zeigt Wilhelm Meisters Darstellung »im Spiegel« weder bloß »ein zweites Selbst« noch »wie im Porträt ein anderes Selbst«, sondern die Unverfügbarkeit und Wirkkraft des »anderen Schauplatz«. Nach Lacan ermöglicht das Spiegelstadium eine Identifikation, »eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung«, wobei das auslösende Bild das eigene Spiegelbild ist,114 doch beschränkt sich die Ich-Bildung innerhalb des »Spiegelstadiums« nicht auf die phantasmatische Identifikation mit dem eigenen Bild: Denn das Ich »[tritt] in der signifikanten Struktur in Funktion«115 ; es hält Einzug in die symbolische Ordnung, in der der Signifikant Ich immer schon und zugleich dem gebildeten Ich vorexistent und differenzieller Teil einer ›anderen‹ unkontrollierbaren (sprachlichen) Ordnung ist. Wenn das Unbewusste bei Freud der »andere Schauplatz« ist, dann übersetzt Lacan in seiner »Rückkehr zu Freud«116 nicht nur das Freud’sche Unbewusste als sprachliche Struktur, sondern ebenso die Frage nach dem »anderen Schauplatz«: »›L’inconscient est structuré comme un lan-

113 Vgl. Kittler, »Wilhelm Meister«. 114 Jacques Lacan, »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie es uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint«, in: Schriften II, hg. von Norbert Haas (Weinheim; Berlin: Quadriga, 1991), S. 62–70, hier S. 64. 115 Jacques Lacan, »Die Ausrichtung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht«, in: Schriften I, hg. von Norbert Haas (Weinheim; Berlin: Quadriga, 1991), S. 171–239, hier S. 230. 116 »[R]etour à Freud« ist eine von Lacan erstmalig in La chose freudienne, ou Sens du retour à Freud en psychanalyse (Vortrag, gehalten 1955 in Wien) verwendete Formulierung; vgl. Samuel Weber, Rückkehr zu Freud. Jacques Lacans Ent-stellung der Psychoanalyse (Wien: Passagen Verlag, 2000).

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gage‹, ou bien encore: ›L’inconscient, c’est le discours de l’Autre‹«117, schreibt Lacan 1967. Dass das Unbewusste der »Diskurs des Anderen« ist, meint zugleich, dass der »andere Schauplatz«, die immer auch uneigene Sprache, der einzige Ort ist, an dem »Ich« (in den Worten eines immer und zugleich anderen) gesagt werden kann. Der »andere Schauplatz« ist der einzige und abgründige Grund der Urheberschaft (auctoritas).118 Dass dieser Grund einen »anderen Schauplatz« in die sukzessiven Logiken einspeist, hat Henry James – wie nebenbei – festgehalten. 1865 schreibt er einen kurzen Text voll glühender Bewunderung für Goethes Wilhelm Meister, in dem er Goethe selbst zum »Meister« macht, zum »great mind«, dem ein »specimen of the grand manner« gelungen sei.119 »[I]ncidentally dramatic« sei dieser Text, Goethe scheine »absorbed in the spectacle before him, that, while still clinging to his hero as pretext, he quite forgets him as a subject«.120 So vermutet James eine »lesson which Goethe proposes to teach us«, »[a] latent significance« in »[t]he slow irresistible action«.121 Wenige Jahre später und inspiriert durch die Goethe-Lektüre122 taucht der »Meister« in James’ frühester Hamlet-Lektüre in Master Eustace (1871) wieder auf. Der Hinweis auf die – literarisch relevante – Frage nach der Vaterschaft und nach der Beziehung, die die familiale Struktur zur dramatistischen Logik unterhält, könnte deutlicher nicht sein, auch wenn James den Zusammenhang an dieser Stelle nicht ausformuliert. James ›ödipalisiert‹ das dänische Königshaus, indem er Hamlet (Eustace) zum Sohn des zweiten Gatten (Mr. Cope oder Claudius) macht. Wider besseres Wissen bringt Hamlet (Ödipus) damit seinen Vater um und setzt die legitime Erbfolge nicht ins Recht und alle an den rechten Ort (proper position), sondern bringt sie in Unordnung.123 Statt der Überwindung der Theater- und Familien-Szene bleibt der

117 Lacan, »La Méprise du sujet supposé savoir«, S. 333. 118 Vgl. Lacan, »Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion«. 119 James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 948f. Der schlicht mit »Johann Wolfgang von Goethe« übertitelte Text erscheint anlässlich der amerikanischen Edition in der Übersetzung von Thomas Carlyle in North American Review. 120 Ebd., S. 947. 121 Ebd., S. 944ff. 122 Vgl. Adeline R. Tintner, »Henry James’s Hamlets: ›A Free Rearrangement‹«, in: Colby Quarterly 18, Nr. 3 (September 1982), S. 168–182, hier S. 168f. 123 Henry James, Master Eustace, in: Complete Stories: 1864–1874, Bd. 1, 5 Bde. (New York: Library of America, 1999), S. 641–668; vgl. zur Lektüre Hamlets als Claudius’ Sohn und zum »Verzicht« auf dynastische Sukzession: Haverkamp, Hamlet.

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»Meister« ein ums andere Mal in die Geschichte verstrickt und markiert diese Verstrickung als die Resistenz der Theater- und Familien-Szene im Roman.124 Denn dem Bildungsroman ist nicht nur einfach, wie später Wilhelm Dilthey in Das Erlebnis und die Dichtung (1906) argumentiert, ein Begriff des Sozialen und des Politischen eigen, der von der Interessenssphäre des Privatlebens übernommen und suspendiert ist.125 Dieser Übergang in die Sphäre bürgerlicher Öffentlichkeit, die Habermas an der Negativfolie der Theatralischen Sendung und dem überholten Modell der repräsentativen – theatralen – Öffentlichkeit ausmachen will, ist nur dann konstatierbar, wenn der Roman zum Symptom eines progressiven Wandels gemacht wird:126 Goethes Lehrjahre zeigen, dass der Wandel in der Ablösung der Theater-Szene durch die Institution der Schrift besteht, die zugleich Autorisierung des Vaters und des Romans ist. Auf der einen Seite gibt sich Goethes plot als die Erzählung von der Selbstverständigung des bürgerlichen Subjektes aus, so dass der Roman zum Austragungsort jener »publikumsbezogenen Privatheit«127 innerhalb der bürgerlichen Öffentlichkeit wird: »[D]ie dem kleinfamiliären Intimbereich entspringende Subjektivität [bildet] sozusagen ihr eigenes Publikum«, schreibt Habermas, so dass »die literarische Vorform der politisch fungierenden Öffentlichkeit« zu einem »Prozeß der Selbstaufklärung der Privatleute über die genuinen Erfahrungen ihrer neuen Privatheit« wird.128 Entscheidend aber ist, dass die in der bürgerlichen Öffentlichkeit suspendierte Theater-Szene als Familien-Szene lesbar wird. Entsprechend ersetzen die Lehrjahre in ihrem Verlauf die Familie vagabundierender Theaterleute durch die Struktur der ödipalen Kleinfamilie: Wilhelm wird zum symbolischen Vater und in dieser Urheberschaft inszeniert sich der Roman als Überwindung nicht nur William Shakespeares und des Theaters, sondern vor allem als Überwindung von Hamlets Vater, dem untoten – und untötbaren – Gespenst, das von den Unruhen der Geschichte zeugt und darauf hinweist, dass es eine Vergangenheit gibt, die nicht in der Gegenwart aufgeht. In Goethes Lehrjahren wird in der Aufführung von Hamlet Hamlets untoter Vater kurzer-

124 Der Master taucht immer wieder in James’ Texten auf und ist eine der prominentesten (Selbst-)Bezeichnungen für James; vgl. Leon Edel, Henry James: The Master, 1901–1916 (New York: Lippincott, 1972); vgl. Linda Simon, The Critical Reception of Henry James: Creating a Master (Manchester: Camden, 2007); vgl. Colm Tóibín, The Master. A Novel (New York: Scribner’s, 2004). 125 Vgl. Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung. 126 Vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 68. 127 Ebd., S. 107ff. 128 Ebd., S. 88.

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hand nicht nur zu Wilhelms Vater, sondern für »jedermann« zur Verkörperung seines/ihres Vaters: »[A]ls eine wohlklingende, nur ein wenig rauhe Stimme sich in den Worten hören ließ ›Ich bin der Geist deines Vaters‹, trat Wilhelm einige Schritte schaudernd zurück, und das ganze Publikum schauderte. Die Stimme schien jedermann bekannt, und Wilhelm glaubte eine Ähnlichkeit mit der Stimme seines Vaters zu bemerken.«129 Die Theater-Szene, in der die »Kernfamiliarität […] die Rampe zwischen Bühne und Parterre überspringen [kann]«, insofern dem »Mitgefühl alles Menschlichen« das Familiale zu Grunde liegt,130 ist zugleich die Familien-Szene, die die gespenstischen Ahnen in das ödipale Familiennarrativ übersetzt. Kittler liest den Übergang von der Theatralischen Sendung zu den Lehrjahren vor diesem Hintergrund der Neuregelung kultureller und erzählstruktureller Codes, die vor allem einen Wandel in der Familienstruktur ausmachen, infolgedessen aus der Stamm- oder Drei-Generationen-Familie (einer multifunktionalen und uneinheitlichen Gruppe) die Kernfamilie wird, die die heterogene Haushaltungsform des oikos eliminiert: »Aus einer multifunktionalen Gruppe, die in soziale, ökonomische und juristische Netze verflochten war, wird eine auf Primärsozialisation spezialisierte.«131 Mit dieser neuen Familienstruktur geht, so Kittler, nicht nur die »Ödipalisierung« einher – die Strukturierung der Herkunftsfamilie nach den »mythische[n] Mächte[n] des Wunsches und der Untersagung«, nach Begehren und Verbot –, sondern vor allem die »Sexualisierung der Kindheit und der Reden«.132 An dieser wird das DoppelMoment von Familien- und Theater-Szene deutlich. Die Sexualisierung der Kindheit und der Reden führt die »Anschauung« ins Feld, auf die schon Blanckenburgs Theater-Szene insistierte: »Zeit und Vergessen können der Kindheit nichts anhaben; sie ist gespeichert in Bildern, die wieder vors Auge treten. ›Ich sehe es diesen Augenblick noch vor mir‹ wird in der Goethezeit zur rituellen Formel dieser Auferstehung.«133 Die Kopplung von Stimme und Anschauung, von »liebkosende[r] Rede« und »unvergeßliche[m] Bild«, bilden zusammen die für das klassisch-romantische Literaturkonzept charakteristische »Poesie als visuelle Halluzination«.134 Dieses Konzept basiert auf dem Begriff der Einbildungskraft, den der Roman für sich beansprucht. Wie Kittler unterstreicht, rich-

129 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 322. 130 Kittler, »Wilhelm Meister«, S. 80. 131 Ebd., S. 21; vgl. grundlegend Shorter, The Making of the Modern Family. 132 Kittler, »Wilhelm Meister«, S. 25 bzw. S. 30. 133 Ebd., S. 31. Die Formel taucht nicht zufällig zum ersten Mal in Rousseaus Les Confessions (1782–1789) auf. 134 Ebd., S. 32.

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tet sich die ›Erfindung‹ der Einbildung im späten 18. Jahrhundert vor allem gegen Körpertechnik; »Psychologie« – die »Tiefe des Gefühls« – ruft »an der Schnittfläche von Körpern und Wörtern Seelen hervor[] […] Den Kindern durch Bildung Einbildungskraft einbilden heißt sie zum Erfinden von Zukunft selber erziehen. […]. Die matrilineare Kernfamilie ist ein Relais neuer Produktivitäten«.135 Indem aber Wilhelm »Schauspieler-kraft-Einbildungskraft«136 ist, ist die Theater-Szene eine Aktualisierung der Familienbande. Der Berufsschauspieler Serlo ist dabei ein »Fossil [im] Diskurs der Bildung«: Seine Sozialisation verweist nicht in die Sphäre von Kindheit und Familie, sondern auf das Theater und damit in die Berufssphäre. Initiation meint hier das Einstudieren von Rollen und Körpertechnik, so dass der Körper zum »unendlich disponiblen und versatilen Körper des Schauspielers« wird, dessen »Nachahmungs- und Verwandlungskünste« Parodie der Individualität sind.137 Ist hier Schauspielkunst Metamorphose, meint Bildung Identität. Doch noch die Aufnahmezeremonie Wilhelms in die Turmgesellschaft, die der Höhepunkt der Emanzipation vom Theater sein soll, ist selbst Theater – eines, das vergegenwärtigt und wiederholt und im Wiedererscheinen des Geistes in der (Stimme des Vaters) gipfelt: Der Vorhang riß sich voneinander, und in voller Rüstung stand der alte König von Dänemark in dem Raume. »Ich bin der Geist deines Vaters«, sagte das Bildnis, »und scheide getrost, da meine Wünsche für dich, mehr als ich sie selbst begriff, erfüllt sind. Steile Gegenden lassen sich nur durch Umwege erklimmen, auf der Ebene führen gerade Wege von einem Ort zum andern. Lebe wohl, und gedenke mein, wenn du genießest, was ich dir vorbereitet habe.« Wilhelm war äußerst betroffen, er glaubte die Stimme seines Vaters zu hören, und doch war sie es auch nicht; er befand sich durch die Gegenwart und die Erinnerung in der verworrensten Lage.138

Kittler spricht hier von einer »Semiotechnik, die gerade in der Maske von Prosa das Theatralische der Einweihung vollendet«139 : Der Geist des Vaters reproduziert die Urszene des Kindes, zwischen Glauben und Wissen, Schein und Sein, Erinnerung und Gegenwart zu oszillieren. Wieder illudiert auch und gerade die Initiation. In der mehrfachen Verweisung – vom Initiationsschauspiel aufs Ham-

135 Ebd., S. 69f. 136 Ebd., S. 73. 137 Ebd., S. 66f. 138 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 495f. 139 Kittler, »Wilhelm Meister«, S. 91.

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let-Schauspiel, vom Hamlet-Schauspiel auf die Herkunftsfamilie – demonstrieren die ›Bildnisse‹ und ›Stimmen‹ ein Vermögen der Rekkurrenz, das alle Mnemotechniken des Körpers überbietet. Die unausschlöschlichen Imagines der Kernfamilie produzieren Individuen im Wortsinn: Seelen, deren Lebensganzheit keine Zäsuren und Zufälle zerteilen können.140

Theater-Szene und Familien-Szene gehören zusammen: In der Integration des »anderen Schauplatzes« geht es dem Bildungs-Geist um die Übersetzung der unkontrollierbar wiederkehrenden Geister der Ahnen in die rekurrierenden Bilder der Kindheit, die die Familien-Szene vergegenwärtigt. Die Familien-Szene ist, was in der Überwindungserzählung vom Theater zur Roman-Schrift schiefgeht. Joseph Vogl liest die Überwindung der Theater-Episode und die Emanzipationsgeschichte von der Sendung zu den Lehrjahren diskursgeschichtlich als diejenige Erzählung, in der die theatralen Repräsentationslogiken durch ein anderes Modell – eines des ökomomischen (Aus-)Tausches – ›beerbt‹ werden.141 Im Übergang von der Sendung zu den Lehrjahren sei ein Paradigmenwechsel vollzogen von der Politik der Repräsentation zur Politik der Ökonomie. In Wilhelm Meisters Politik des Ökonomischen, so Vogl, wird der Setzungsakt der Autorschaft in ein »Geflecht aus Zufällen und latenten Steuerungen« übersetzt: In der Turm-Ökonomie sind »unsichtbare Hände, Augen, Agenten und Funktionäre eine Vorsehung, die Entscheidungen korrigiert, Wünsche weckt und lenkt, Leidenschaften aussteuert, Allianzen stiftet und stabile Objektbeziehungen installiert«142. Die Institution des Turms ist »Inbegriff der Vernetzung« und wird zur Metapher für die Übersetzung von Bühne und Inszenierung in Verfahren und Funktionen der Verschriftlichung.143 Wilhelm Meister, so Vogl, formuliert die Überwindungsgeschichte als die Lehre der Lehrjahre. Doch gleichzeitig ist das Theater nicht nur Episode innerhalb einer Fortschrittsgeschichte hin zur Ökonomie der Turmgesellschaft mit ihren Modi der (geheimen) Zirkulation: Wenn Autorschaft in Wilhelm Meister gerade in und durch die Theaterepisode ›hamletisch‹-gespenstisch ist – auf anderem Schauplatz sich abspielt –, stellt sich die Frage, wie sich das Episodische selbst – die Einzel-Szene, die sich nicht in eine lineare Erzählung fügt – als Re-

140 Ebd., S. 89. 141 Vgl. Joseph Vogl, Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen (Zürich; Berlin: diaphanes, 2004), S. 19–82. 142 Ebd., S. 36. 143 Ebd., S. 37.

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sistenz gegenüber der Logik des vollständigen (Aus-)Tauschs darstellt. Geht es im Bildungsroman um die Autorität des »denkende[n] Geist[es]«144 und seines ›Über-Blicks‹ über die Kontingenzen des Lebens und der Geschichte, dann ist die Linearität der Schrift das Medium seiner Autorisierung. Die ›schriftliche‹ Autorisierung aber sieht sich einer impliziten Raum-Zeitlichkeit gegenüber, die der »denkende Geist« (des Romanciers) voraussetzt und benötigt. Der Autorisierung korrespondiert ein Verständnis von (textueller) Architektonik, in der »in einem Gegensatz das Auge [befriedigt]«, »dem Ganzen Einheit und Verbindung« zufließt. In diesem außerordentlichen Sinn-Raum des Lebens (seinem Tableau) »ist [nichts] vergänglich, als der eine der genießt und zuschaut«, dessen Vergänglichkeit und Singularität aber kompensiert ist im Erblicken der ganzen Geschichte: »Wilhelm konnte sich nicht genug der Gegenstände freuen, die ihn umgaben. ›Welch Leben‹, rief er aus, ›in diesem Saale der Vergangenheit! Man könnte ihn ebensogut den Saal der Gegenwart und der Zukunft nennen! So war alles und so wird alles sein!‹«145 Nicht nur lässt Wilhelm Meister auf seinem Lehrweg das Theater hinter sich, sondern lässt sich an diesen kurzen Textausschnitten das Theatrale als eine Verkomplizierung räumlicher Anordnung, zeitlicher Konfiguration und der Frage des Blicks herausarbeiten, die das Bio-Grafische braucht und fürchten muss. Denn dem Bio-Grafischen ist bei Goethe nicht nur ein antitheatraler Zug eigen, der sich als Emanzipation vom Theater hin zum Roman lesen lässt. Goethes Autorisierung der Schrift und Autorität des denkenden Geistes hat einen anti-medialen Zug, der umgekehrt das Theatrale (mithin die Szene) als eine paradigmatische Konfiguration des Medialen lesbar macht. Goethes Phantasma des Leben-Schreibens ist strenggenommen eine Schrift ohne Text: Wenn nämlich Wilhelm Meister im letzten Viertel desjenigen Texts, der sein Leben schreibt (d.h. in dem Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre), jene Schriftrolle findet, die »die umständliche Geschichte seines Lebens in großen, scharfen Zügen [schildert]« – stellt sich die Frage, welchen Text der geduldige Leser bisher gelesen hat. Diese Schriftrolle ist etwas anderes als die in der Tradition des Romans auftauchenden Manuskripte (z.B. in Cervantes’ Don Quijote oder auch Rousseaus Nouvelle Héloïse), die die Autorität als Authentizität des Romantexts beglaubigen sollen. Diese Schriftrolle jedoch ist ›heilige‹ oder ›mythische‹ Schrift, deren Autorität gerade darin bestätigt sein soll, dass sie von ›keiner Hand‹ geschrieben worden ist.146 Dies führt dazu, dass diese Schrift den Text des Romans zuerst verdoppelt (als Erzählung des Lebens von Wilhelm

144 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 505. 145 Ebd., S. 540f. 146 Zur Poetik der »unsichtbaren Hand« vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, S. 35ff.

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Meister) und dann die Textualität des Romans nachträglich zurücknimmt. Wenn der Leser dann an den ›Anfang‹ zurückblättert um der Frage nachzugehen, wo der Text, den er gelesen hat, seinen sicheren Grund findet, heißt der erste Satz (und so hieß er natürlich ›schon immer‹): »Das Schauspiel dauerte sehr lange.«147 Die Sendung, die noch explizit an die sinnstiftende Kraft des Theaters glaubt, führt diesen Satz nicht; dass sie stattdessen mit dem Weihnachtsfest einsteigt, zeigt die Verwobenheit von Theater- und Familien-Szene und Sinnstiftungszeremonie. Dass das Schauspiel zu Beginn von Wilhelm Meisters Lehrjahre »sehr lange dauerte« und die Linearität der Turm-Emanzipation zirkulär durchkreuzt, widerspricht der Episode und der Überwindung gleichermaßen. In der Autorschaft der Turmgesellschaft steht damit zugleich die Autorisierung des Paradigmenwechsels selbst auf dem Spiel, die Frage, inwiefern zwischen/unter den Verfahrensformen des Ökonomischen, des Tausches, des Wechsels, des Kommunikativen, sich die theatralen Elemente des Episodischen fortsetzen und die Autorschaft defiguriert wird. Als Resistenz der Theater-Szene wird das Episodische zum gespenstischen Anachronismus ›zwischen‹ den narrativen Ketten des kommunikativen Austausches zwischen Text, Leser und »Sendung«. Angelegt ist damit eine Lesart, die der Erzählung von der ›Säkularisierung‹ des modernen Romans insofern entgegengeht, als nur der garantierte kommunikative Austausch jene von Habermas systematisierte »publikumsbezogene Privatheit« überhaupt konstatierbar macht: die Selbstverständigung des aufgeklärten Subjekts. Die Defiguration dieses Modells stört dabei nicht nur die Sozialgeschichtsschreibung des Bürgerlichen und Zentralstellung des rationalen und psychologischen Subjekts; sie stört die Erzählung von der ›Säkularisierung‹ per se. Hans Blumenberg bemerkt zur Rede von der Säkularisierung, dass sie eine Illegitimitäts-Erzählung ist, in der die Rede vom Paradigmenwechsel das Neue immer zugleich durch dessen Bezug auf einen Ursprung in Frage stellt. Blumenberg spricht von den »Metastasen des einen Ursprungs«148 . Denn in der Rede von der Säkularisierung lebt die Idee einer Urschuld weiter, die die Neuzeit als illegitim, als Enteignung eines Ursprünglichen und als Kulturschuld denkt, um deren Bewusstmachung es der Rede von der Säkularisierung geht – so dass sich Verweltlichung als die Explikation des Ursprungs selbst erweist. Wenn Leslie

147 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 9. 148 Hans Blumenberg und Carl Schmitt, Briefwechsel 1971–1978 und weitere Materialien, hg. von Alexander Schmitz und Marcel Lepper (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007), S. 20; siehe auch Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, 5. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2010).

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Fiedler die Neurose des amerikanischen Romans als Symptom dieser mit der Säkularisierung einhergehenden Schuldgeschichte beschreibt, dann lässt sich umgekehrt speziell am amerikanischen Roman dieser Frage des Ursprungs und seiner Metastasen nachgehen. Anhand der – de-zentrierten – Logiken des Ursprungs und der Schulderzählung wird eine Legitimität des Romans denkbar, in der das Theatrale und das Gespenstische als anderer Schauplatz die Erzählung von der Illegitimität versetzen und in der sich das schief-gehende Moment artikuliert, das die sukzessive Logik des Genealogischen und die Dynamiken romanesker Theorie heimsucht.

Flirtation: Scene of Success(ion) »Dramatise, dramatise!« HENRY JAMES / PREFACE TO DAISY MILLER »Dramatism suggests a procedure to be followed in the development of a given calculus, or terminology. It involves the search for a ›representative anecdote‹, to be used as a form in conformity with which the vocabulary is constructed.« KENNETH BURKE / A GRAMMAR OF MOTIVES »A certain promiscuity marks the inscription of spectator into the scene, of narrator into the scenario. ›Positions‹ and ›perspectives‹ become ›roles‹ and ›parts‹ of a process that never gets its ›act‹ together to become a whole, or a ›work‹.« SAMUEL WEBER / »UNCANNY THINKING«

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D ENKFIGUR F LIRTATION : D AISY M ILLER Die in James’ gleichnamigem Kurzroman und dessen Bearbeitungen1 auftretende flirtive Amerikanerin Daisy Miller ist das American girl, das nach Europa reist und für die Andersartigkeit und Konfrontation zweier Welten – des Alten und des Neuen – steht.2 Sie kommt aus Schenectady (NY) und reist mit Mutter und Bruder von Vevey am Genfer See nach Rom, wo sie an einem Fieber stirbt. Sie bildet den frühsten Fall für James’ anhaltende Faszination für das sogenannte International Theme, das interkontinentale Zusammentreffen, aber auch literarisch-intertextuelle Zusammenkommen US-Amerikas und Europas.3 Der Text ist daher weit mehr als die Trauerarbeit und Erinnerungspolitik, die der Biograf Leon Edel der literarischen Transformation der früh verstorbenen Cousine Minny Temple zuschreibt, die James’ Vorbild für Daisy gewesen sein soll. An seinen Bruder William schreibt er 1870: »The more I think of her the more perfectly satisfied I am to have her translated from this changing realm of fact to the steady realm of thought. There she may bloom into a beauty more radiant

1

Henry James, Daisy Miller. A Study, in: ders., Complete Stories: 1874–1884, Bd. 2 (New York: Library of America, 1999), S. 238–295; im Folgenden Seitenangaben im Text; Henry James, Daisy Miller, in: The Novels and Tales of Henry James. The New York Edition, Bd. 18 (New York: Charles Scribner’s Sons, 1922), S. 215–266; Henry James, Daisy Miller. A Comedy in Three Acts, in: ders., The Complete Plays of Henry James, hg. von Leon Edel (New York: Oxford University Press, 1990), S. 115–176.

2

Auch Gilles Deleuze liest Daisy Miller als amerikanisches Mädchen und bezeichnet sie als geistige Schwester der Brüder Henry und William James: Sie sei zentrale Figur in dem Projekt eines Pragmatismus der Philosophie und der Literatur, dem Projekt einer ›Angloamerikanisierung‹ derselben; vgl. Gilles Deleuze, »Bartleby oder die Formel«, in: ders., Kritik und Klinik, 2. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005), S. 94–123, hier S. 120; vgl. auch Deleuze, »Angloamerikanische Literatur«; zum Pragmatismus bei Henry James vgl. David Lapoujade, Fictions du pragmatisme: William et Henry James (Paris: Éditions de Minuit, 2008).

3

Das International Theme geht auf Nathaniel Hawthornes’ The Marble Faun (1860) zurück; erst James jedoch macht es zum Mythos – »the myth of the American girl as free, spontaneous, independent, natural, and generous in spirit«: Daniel Mark Fogel, Daisy Miller: A Dark Comedy of Manners (Boston: Twayne Publishers, 1990), S. 3; vgl. auch Christof Wegelin, The Image of Europe in Henry James (Dallas: Southern Methodist University Press, 1958), S. 56ff.

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than our dull eyes avail to contemplate.«4 James führt Daisy Miller – sein American girl, seinen American flirt – als eine Denkfigur ein, die mit ihrer literarischen Form aufs Engste verbunden ist, die ihre literarische Form, d.h. deren Theorie mitdenkt. Bis zur Überarbeitung für die New York Edition (1907–1909) gibt es einen Titelzusatz für den Text: A Study unterstreicht, dass es etwas – in Bezug auf die Denkfigur und ihre literarische Form – herauszufinden und zu denken gilt. Im Preface zu Band 18 der New York Edition schreibt James später: »[Daisy Miller] qualified itself in that publication [The Cornhill Magazine, 1878] and afterwards as ›a Study‹; for reasons which I confess I fail to recapture unless they may have taken account simply of a certain flatness in my poor little heroine’s literal denomination.«5 A Study und die darin implizierten komplexen Verfahren von genre versteht James als Maßnahme gegen die Literalität der Figur(en) und des Texts. Daisy Miller ist also nicht ›einfach‹ Figur, mit anderen Worten, die Art und Weise, in der sie Figur ist, gilt es in A Study herauszufinden. Was also A Study studiert – was James später vergessen haben (oder machen) will –, ist die Art und Weise in der Daisy gerade nicht zu »my poor little heroine« gemacht werden kann: Denn ›einfach‹ ist sie nicht, insofern sie nicht literal ist, d.h. nicht ›direkt‹, ›wörtlich‹, rein denotativ, sondern literarisch.6 Das Poetische und seine Verfahren der Bezeichnung, Benennung und Klassifizierung (denomination) setzen nach James genau dort ein, wo die ›Flachheit‹ und die ›Wörtlichkeit‹ der Heldin aufhören. »I suppress at all events here the appended qualification [A Study]«, insistiert James, »in view of the simple truth, which ought from the first to have been apparent to me, that my little exhibition is made to no degree whatever in critical but, quite inordinately and extravagantly, in poetical terms«.7 Poetical wird hier als Gegenbegriff zu critical im Sinne von realistic verstanden und grenzt sich ab von dem Anspruch, aber auch Vorwurf

4

William James und Henry James, William and Henry James: Selected Letters, hg. von Elizabeth M. Berkeley und Ignas Skrupskelis (Charlottesville: The University of Virginia Press, 1997), S. 71; vgl. Leon Edel, Henry James: The Untried Years: 1843–1870 (New York: Lippincott, 1953), S. 324–331.

5

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1270.

6

Dafür, dass Literatur nur dort anfangen kann, wo das ›Literale‹ nicht als Gegebenes oder Ursprung der Sprache gilt, findet James in »The Turn of the Screw« (1898) die pointierte Formel: »The story won’t tell […], not in any literal, vulgar way«; Henry James, »The Turn of the Screw«, in: The Novels and Tales of Henry James. The New York Edition, Bd. 12 (New York: Charles Scribner’s Sons, 1922), S. 145–309, hier S. 151; vgl. Felman, »Turning the Screw«, bes. S. 106ff.

7

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1270.

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der (falschen) Sozialstudie: Daisy Millers flirt und ihre Americanness sind ein poetisches Unternehmen, dessen kritisches Moment in den Verfahren der Bezeichnung, Benennung, Klassifizierung und Normalisierung der flirtiven Heldin und ihres Texts liegt. Entsprechend stellt der Text Daisies »mystifying manners« (S. 295) ins Zentrum und verhandelt das Fehlen und Suchen der passenden Formel (formula). Die Formel, die schließlich gefunden scheint, lautet: »[S]he was only a pretty American flirt. Winterbourne was almost grateful for having found the formula that applied to Miss Daisy Miller« (S. 247). Doch indem Daisies Flirt immer eine prekäre Kontaktform ist, die von momentaner Bezüglichkeit und deren Kurzlebigkeit geprägt und zudem auf Lektüre angewiesen ist, eignet auch der formula eine gewisse Unverfügbarkeit.8 Als kommunikatives und libidinöses Phänomen ist der Flirt ein Bezüglichkeitsmodus, der zwar soziale Relationen herstellt, diese aber immer zugleich destabilisiert, nur an deren momentaner Aufrechterhaltung interessiert ist und damit immer zugleich ›Konvention‹ als solche in Frage stellt. James’ Text geht es also nicht einfach um die Unterschiede amerikanischer und europäischer Konventionen, sondern vor allem um die Differenz, die die Denkfigur ›Amerika‹ in den Status von Tradition und die Fundierung und Fundiertheit von Konventionalität einspeist. Die Entstehungszeit von Daisy Miller fällt mit der Hundertjahrfeier der Amerikanischen Unabhängigkeit zusammen, die einen produktiven diskursiven Boden für die kritische Evaluierung des ›Amerikanischen Projektes‹ sowie dessen Positionierung gegenüber ›Europa‹ lieferte. Plötzliche und voraussetzungsfreie Fundierung sowie ungelenkte prozessuale Entwicklung vs. historisch gewachsene Form und deren kultureller und literarischer Konventionenreichtum waren die Grundpfeiler der damaligen Diskussion.9 James’ Daisy Miller und ihr flirtiver Modus sind »[an] engagement with European-American literary tradition«10. Dabei aber ist flirtation nicht nur Modus des Kontakts und Provokation von Relationen, sondern die permanente Befragung von Bindungen überhaupt. Im Vorwort zu The Wings of the Dove (1902) beschreibt James das ›Amerikanische‹ als eine besondere Lebensqualität – »a great

8

Vgl. Ian F. Bell, »Displays of the Female: Formula and Flirtation in ›Daisy Miller‹«, in: N.H. Reeve (Hg.), Henry James: The Shorter Fiction, Reassessments (New York: McMillan, 1997), S. 17–40, hier S. 30.

9

Vgl. Richard A. Hocks, »Daisy Miller, Backward into the Past: A Centennial Essay«, in: The Henry James Review 1, Nr. 2 (1980), S. 164–178.

10

Richard A. Kaye, The Flirt’s Tragedy: Desire without End in Victorian and Edwardian Fiction (Charlottesville; London: University of Virginia Press, 2002), S. 152.

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capacity for life«11. Wie die folgende Lektüre von Daisy Miller ausführt, ist damit aber nicht die Erzählung vom amerikanischen Erfolg (success), vom glückenden Lebensverlauf oder von der utilitaristischen oder teleologischen Ausrichtung auf Ziele und Nutzen gemeint. James’ »strong and special implication of liberty«12 beschreibt vielmehr ein radikal diesseitiges und affirmatives »[being] enamoured of the world«13, das nicht nur »liberty of action, of choice« impliziert, sondern zugleich »[liberty] of appreciation, of contact«14. Diese paradoxale independence spielt für Daisy Miller – frühes Vor-Bild für Millie Theale (The Wings of the Dove) – eine signifikante Rolle: Daisies Flirt ist eine Haltung, in der gleichzeitig an der Idee von Freiheit und Unabhängigkeit und der Unumgänglichkeit von Relationen und Bezügen festgehalten wird. Mit der »capacity for life« denkt James ein radikal endliches Modell von Leben und von Literatur, das explizit vermeidet, eine Geschichte der Fortdauer zu erzählen. Denn die ›amerikanische‹ »capacity for life« ist, wie James schreibt, »aware moreover of the condemnation and passionately desiring to ›put in‹ before extinction as many of the finer vibrations as possible, and so achieve, however briefly and brokenly, the sense of having lived«.15 Dieser »sense of having lived« macht Daisies flirtation aus. Indem flirtation den einmaligen Akt des engagement verwehrt, auf das Daisies Verehrer hoffen, verlagert er die Endlichkeit ins Diesseitige. So sind sich die Konkurrenten um Gunst und Hand, der Italiener Giovanelli und der in Genf lebende Amerikaner Winterbourne, nach Daisies Tod einig: »›If she had lived, I should have got nothing. She would never have married me, I am sure.‹ ›She would never have married you?‹ ›For a moment I hoped so. But no. I am sure.‹« (S. 295). Gleichzeitig aber hält der flirt – immer wieder neu – an Unendlichkeit und Unabschließbarkeit fest: »›She goes on from day to day, from hour to hour, as they did in the Golden Age‹« (S. 285), verurteilt die neidische Mrs. Costello Daisies Flirt. James hebt so mit Daisy Miller die Temporalität und Prozessualität von Bezüglichkeit und Relationalität hervor. Entsprechend schreibt er über den etwa zeitgleich entstandenen Roman Roderick Hudson (1875): »Really, universally, relations stop nowhere, and the exquisite problem of the artist is eternally but to draw, by a geometry of his own, the circle within which they shall happily ap-

11

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1287.

12

Ebd., S. 1290.

13

Ebd., S. 1287.

14

Ebd., S. 1290.

15

Ebd., S. 1287.

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pear to do so.«16 Gegen die Statik und Fixierbarkeit der relations flirtet Daisy an und hält daran fest, dass engagement kein finaler Zustand ist. Das Flirtive ist ein Moment der Versetzung, das der Statthaftigkeit und jedem Idealismus entflieht. Daisy Miller, vormals A Study, wird in der New York Edition als nouvelle klassifiziert: »To the fault of being outrageous this little composition added that of being essentially and pre-eminently a nouvelle.«17 »Being outrageous« – skandalös – ist gerade der Vorwurf, der dem frühen Text gemacht wurde –, inhaltlich und formal nicht ganz ins Maß zu passen. Denn nicht nur wurde James »an outrage on American girlhood«18 vorgehalten, Daisy Miller war ein (zu) kurzer oder wörtlich: kleiner Roman, der seiner Form nach die Logiken von success und succession untergrub, die den Zeitschriften als serielles Publikationsformat dienten.19 Daisy Millers Skandal bezieht sich auf ihre nicht ausreichende Seriosität und Serialität. Um diese Logiken von success und succession und um deren Unterbrechung geht es diesem Kapitel. Gefragt wird, inwiefern flirting Daisy Gender Trouble bedeutet, d.h. eine Herausforderung des Gesetzes der Gattung ist, insofern als darin jede endgültige Positionierung in Frage gestellt wird.20 Denn wie in der Einleitung ausgeführt wurde, ist Gattung mit Derrida »keine formale Frage: sie verschränkt sich mit dem Motiv des Gesetzes überhaupt, dem Motiv der Generation im natürlichen und symbolischen Sinn, des Generationsunterschieds, der sexuellen Differenz zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht (genre)«21. Insofern gehören das ›Verbot‹ des Flirts, die Normalisierung der Geschlechterverhältnisse, und das ›Verbot‹, im/dem Roman eine Szene zu machen, zusammen. Wenn James’ Faszination für das Szenische sich von dem Ausspruch herleitet, »›Come now, my dear; don’t make a scene – I

16

Ebd., S. 1041.

17

Ebd., S. 1269f.

18

Ebd., S. 1269.

19

Auch Cowdery kommt in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass Daisy Miller ›nouvelle‹ nur im weiten terminologischen Sinn von short novel ist und das terminologisch engere europäische Vorbild eine gattungsnormalisierende Zuschreibung ist, die James erst nachträglich im Zusammenhang seiner Re-Visionen entdeckt; vgl. Lauren T. Cowdery, The Nouvelle of Henry James in Theory and Practice (Ann Arbor: UMI Research Press, 1986), S. 73.

20

Vgl. Judith Butler, Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity (New York: Routledge, 1999).

21

Derrida, »Das Gesetz der Gattung«, S. 273.

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insist on your not making a scene!‹«22, dann geht es darin um die lustvollen Ökonomien der Vermessenheit, jene provocations und stimulations, die im flirt thematisch sind und die James mit der Entdeckung des Szenischen als einer faszinierten Begegnung mit dem begehrten ›Anderen‹ verbindet.23 Innerhalb der streng kausalen Logik des Dramatischen – dem Prinzip geordneter succession – ›dramatisieren‹ Unmaß, Übermaß und Vermessenheit. Das Szenische stellt sich dann als Unterbrechung der Linearität des glückenden Verlaufs – success und succession – dar und als genuin theatrales Moment der Verunsicherung der Ordnung des Erzählens. Insofern erweisen sich die in Daisy Miller studierten conventions als Drehund Angelpunkt der im literarischen Text impliziten Theorie. Denn in dem Terminus convention ist eine inhärente Ambiguität oder interne Differenz benannt: »The terms ›convention‹ and ›conventional‹ are flagrantly and intricately ambiguous. On the one hand, the conventional is the ordinary, the usual, the traditional, the orthodox as against the novel, the deviant, the unexpected, the heterodox. On the other hand, the conventional is the artificial, the invented, the optional, as against the natural, the fundamental, the mandatory.«24 Diese Ambiguität findet sich innerhalb des Gesetzes der Gattung. Daisy Miller verhandelt mit dem Flirtiven nicht zuletzt insofern Fragen literarischer Form, als darin die komplizierten Verfahren des ›Lesens‹ thematisch sind. Denn es sind Daisy Millers »mystifying manners« (S. 295), die sie zu einem Rätsel machen: Daisies Flirt kündigt damit gleichzeitig den stabilen und hermeneutisch-entschlüsselnden Kontakt zwischen Text und Leser, die Konventionen und Kommunikabilitäten des Romanesken und seine geordneten Formen der Adressierung an einen Leser. Andersherum reagiert der Flirt gerade auf jenes unerfüllbare Begehren und Abenteuer, mit dem das Projekt des Romans seit dem 18. Jahrhundert verbunden ist: die nicht endende – die fortwährende – Lektüre. Folgt man Roland Barthes Überlegungen zum Lektüre-Moment des studium, dann richtet sich dieses auf

22

James, A Small Boy and Others, S. 152; vgl. auch Litvak, Caught in the Act,

23

Vgl. Henry James, Letters 1875–1883, hg. von Leon Edel, Bd. II (Cambridge: Har-

S. 211ff. vard University Press, 1975), S. 304. Vgl. Brooks Lektüren des Melodramatischen bei James als Modus des Exzessiven: Brooks, The Melodramatic Imagination. 24

Nelson Goodman, »Just the Facts, Ma’am!«, in: Michael Krausz (Hg.), Relativism: Interpretation and Confrontation (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1989), S. 80–85, hier S. 80; zitiert nach Michael Rescorla, »Convention«, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, hg. von Edward N. Zalta, 2011, http://plato. stanford.edu/archives/spr2011/entries/convention/ (letzter Zugriff: 30. Januar 2013).

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das Konventionelle, dem es zugleich entstammt: Studium bezeichnet das Moment des Codierten, für das Barthes den Namen »Kultur« verwendet.25 Studium verweist bei Barthes auf das Phänomen der Durchschnittlichkeit, d.h. ein mittleres Maß, das die Einhaltung des Kommunikationsvertrags – der Kommunikabilität – garantiert und das durchschnittliche und dadurch stabile Inter-esse im Medialisierungsprozess ausmacht. In diesem Mittelmaß fallen die Positionen der Vermittlung – operator (Autor/Fotograf/Sender) und spectator (Leser/Betrachter)26 – scheinbar zusammen und legen nahe, dass es eigentlich nichts mehr zu Lesen/Sehen gibt in diesem als Kultur definierten Zustand der Übereinkunft über die Codes. Das Singuläre, Kontingente, aber auch Bestimmte hat unter dem Gesichtspunkt der Konvention weder im (ästhetischen) Gegenstand noch innerhalb der Lektüre oder Betrachtung Raum. Dieser Begriff der Konvention hat insofern mit Hegels Idee der Prosa des Romans und mit Blanckenburgs »Gattungswesen Mensch« zu tun, als hier Durchschnitt als das Maß der Erzählung und des eingehaltenen Kommunikationsvertrags zwischen Text und Leser fungieren soll.27 Das Konventionelle ist hier gleichzeitig »what is convenient« und »what convenes«: d.h. was zweckmäßig ist, einem Zweck zuzuordnen, und was ein bestimmtes Moment des geregelten ›Zusammenkommens‹ zwischen Text und Leser, d.h. hier zu lesendem Objekt und lesendem Subjekt, gewährleistet – als das mittlere Maß, als Vermittlung und Inter-esse. Um dieses Moment des studium geht es in Daisy Miller und gleichzeitig ist das Flirtive das Zufällige, das Kontingente, das nicht nur eine bestimmte Konvention, sondern Konvention als solche herausfordert. Denn Daisies Flirt stört das mittlere Maß des Inter-esses, dessen Zweckmäßigkeit und dessen Modi des Zusammentreffens. Der Flirt ist das Verfehlen des studium, ist Barthes’ punctum, »[d]ies zweite Element, welches das studium aus dem Gleichgewicht bringt, […]; denn punctum, das meint auch: Stich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt […]«28. In diesem Überund Unmaß im studium – ein »[being] much interested« (S. 295) oder »[being] extremely devoted« (S. 239) – steht jene Hermeneutik zur Debatte, die das literarische und das psychoanalytische Lesen auf den ersten Blick zu verbinden scheint. Mit dieser Hermeneutik treiben Daisy Millers Ökonomien der Vermessenheit, ihre provocations und stimulations des Szenischen, ein lustvolles Spiel.

25

Vgl. Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, 11. Aufl.

26

Vgl. ebd., S. 17ff.

27

Vgl. zum Verhältnis von Mittelmaß und Roman nach Hegel: Fleming, Exemplarity

(Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007), S. 33ff.

and Mediocrity. 28

Barthes, Die helle Kammer, S. 36.

Im falschen Takt: Failing Success, Failing Succession

U RSZENE

DER

D RAMATISIERUNG – D RAMATISIERUNG

DER

U RSZENE

Als James Daisy Miller 1909 – dreißig Jahre nach deren erstem Erscheinen – in überarbeiteter Form in den achtzehnten Band seiner New York Edition aufnimmt, schreibt er ein Vorwort.1 In der für die prefaces gängigen Manier rekonstruiert James auch für Daisy Miller eine Urszene des Texts, in der eine donnée den Ausgangspunkt für die textuelle Gestaltung ausgemacht haben soll. Im Fall von Daisy Miller beschreibt James eine Szene, in der er als ›Dramatist‹ angerufen wird: It was in Rome during the autumn of 1877; a friend then living there but settled now in a South less weighted with appeals and memories happened to mention – which she might perfectly not have done – some simple and uninformed American lady of the previous winter, whose young daughter, a child of nature and of freedom, accompanying her from hotel to hotel, had ›picked up‹ by the wayside, with the best conscience in the world, a good-looking Roman, of vague identity, astonished at his luck, yet (so far as might be, by the pair) all innocently, all serenely exhibited and introduced: this at least till the occurrence of some small social check, some interrupting incident, of no great gravity or dignity, and which I forget. I had never heard, save on this showing, of the amiable but not otherwise eminent ladies, who weren’t in fact named, I think, and whose case had merely served to point a familiar moral; and it must have been their want of salience that left a margin for the small pencil-mark inveterately signifying, in such connexions, »Dramatise,

1

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1269–1286.

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dramatise!« The result of my recognising a few months later the sense of my pencil-mark was the short chronicle of Daisy Miller […].2

James’ donnée funktioniert als anekdotische Keimzelle, die den ›folgenden‹ – eigentlich natürlich früheren – Text in Bewegung gesetzt haben soll.3 Hillis Miller hat darauf hingewiesen, dass die Revisionen, die James für das Editionsprojekt an seinen Texten vornimmt, selbst szenisch funktionieren: Der Autor – so der Gestus des Schreibens in den prefaces – stellt sich seinen Text erneut vor Augen, als eine Re-Vision. Innerhalb dieser Szenen der Re-Vision wird die Originalität und Abgeschlossenheit der Texte bereits innerhalb von James’ eigenem Schreiben zurückgenommen. Dabei handelt es sich um einen Akt des Lesens, der die eindeutige Rollenverteilung und den Sozialvertrag zwischen Autor und Leser, aber auch die zeitliche Ordnung von Schreiben und Lektüre in Frage stellt.4 Analog zu Freuds Urszene und ihrer Nachträglichkeit wird hier einerseits alles Folgende als Symptom der Urszene linearisiert, gleichzeitig aber der mögliche Abstand oder die Differenz zwischen der Urszene und deren Wiederholung innerhalb der Analyse lesbar.5 Auf dem Spiel steht die sukzessive Ordnung der Erzählung, heimgesucht durch das »befremdliche[] Theater«6, das sich als »wilde Produktion« der narrativen und repräsentationalen Logik der (Freud’schen) Analyse widersetzt.7 James’ nachträgliche Rekonstruktion der Urszene für Daisy Miller ist an dieser Stelle deswegen wichtig, weil sie einer gängigen Lektüre der Genese der scenic method in James’ Schreiben widerspricht und eine andere Idee des Szenischen vorschlägt. Der Biograf Leon Edel inauguriert 1928 eine bis heute persistente Erzählung über die Genese und Genealogie des »›scenic‹ law« der James’schen Romane und bezieht sich dabei auf den Ausruf »Dramatize, Dramatize!« [sic.]:

2

Ebd., S. 1269.

3

Zur paradoxalen Zeitlichkeit der Vorreden vgl. Jacques Derrida, »Buch-Ausserhalb Vorreden/Vorworte«, in: ders., Dissemination (Wien: Passagen Verlag, 1995), S. 9– 68.

4

Vgl. Joseph Hillis Miller, Literature as Conduct: Speech Acts in Henry James (New

5

Vgl. Freud, »Wolfsmann«, bes. S. 154–172; exemplarisch ist auch das Vorwort zu

6

Deleuze, »Die Methode der Dramatisierung«, S. 145.

7

Deleuze und Guattari, Anti-Ödipus, S. 69.

York: Fordham University Press, 2005), S. 329. The Ambassadors: vgl. James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1304–1321.

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Readers of Henry James’s prefaces will recall how often he describes the manner in which a subject appealed to him, and how in each case he heard the inner voice say, »Dramatize, dramatize!« It is true that he had »dramatized« long before the dramatic years. But it was only after these years that he applied the scenic method with complete and conscious consistency. In the preface to What Maisie Knew he acknowledges the »inveterate instinct« with which his stories »keep conforming to the ›scenic‹ law« and he adds, »going over the pages here placed together has been for me… quite to watch the scenic system at play. The treatment by ›scene‹ regularly, quite rhythmically recurs…« He speaks elsewhere of the »charm of the scenic consistency«, of »those scenic conditions which are as near an approach to the dramatic as the novel may permit itself«, »of the blest operation… of my Dramatic principle, my law of successive Aspects…«.8

Mit »dramatic years« bezeichnet Edel die Jahre 1890–1895, in denen James dramatische Texte für die Theaterbühne schreibt. Das Ende dieser Phase markiert das sogenannten »Guy Domville debacle« 1895, in dem James’ Stück bei Kritik und Publikum durchfällt und der Autor sich – ausgebuht – vom dramatischen Schreiben zurückzieht.9 In seinen Notebooks verzeichnet James: »I take up my own old pen again – the pen of all my old unforgettable efforts and sacred struggles. To myself – today – I need say no more. Large and full and high the future still opens. It is now indeed that I may do the work of my life. And I will.«10 Indem Edel – angeregt durch das rekonstruktive Moment der James’schen prefaces – einer linearen Genealogie der Texte Glauben schenkt, verschmilzt das dramatische Prinzip der successiveness (»successive Aspects«) – die Szenenfolge – mit dem success des Schreibens – dem Erfolg der Szene – und dessen retrospektiver Selbstanalyse. »Above all [the plays] are part of a very human and very touching story«, schreibt der Biograf über die Funktion der Dramen in der Schaffenslogik James’: that of a writer stumbling and searching, with obstinate passion, to win success on the stage and then, after a series of painful defeats due in large measure to an inability to face the realities of the theatre, wresting from his failures a final and major victory, finding in the scenic method the salvation that enabled him to pursue his art and arrive at those discoveries which mark him out as one of the great architects of the modern novel.11

8

Henry James, The Complete Plays of Henry James, hg. von Leon Edel (New York:

9

Vgl. die Einleitung von Edel zu James, Complete Plays.

10

James, Complete Notebooks, S. 109.

11

James, Complete Plays, S. 69.

Oxford University Press, 1990), S. 65. [Hervorhebung SW].

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In dieser Lektüre werden das literarische Bauprinzip ›dramatisch‹-fortschreitender Szenenfolge (»my Dramatic principle, my law of successive Aspects«) und die Fortschrittslogik des Gesamtwerkes und seiner Autorschaft (»success«, »discoveries«) dergestalt aufeinander projiziert, dass sie sich gegenseitig beglaubigen sollen. Besonders James’ Spätwerk12 gilt in diesem Narrativ als die Überwindung textueller awkwardness oder queerness, indem es James gelingt, die szenisch-theatralen Elemente in den Roman zu integrieren und damit in den Dienst von dessen Vollendung zu stellen: »›The master‹ is born from the death of the playwright«13, lässt sich der Kern dieser Erfolgsgeschichte pointiert zusammenfassen, in der der Misserfolg als Bühnenautor kurzerhand zum Aufstieg des James’schen Romans wird, »[the] divine principle of the ›scenario‹«14 zur Urszene einer Geschichte des Gelingens und der Meisterschaft (mastery).15 Doch die Urszene selbst, auf die sich James im Preface zu Daisy Miller beruft, und die den success des successive principle in Gang gesetzt haben soll, widersetzt sich in ihrem flirtiven Moment der Funktion ursprünglicher Plausibilisierung: Denn das »szenische Prinzip« der Urszene selbst stellt sich dieser Plausibilisierung entgegen, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll.

12

Vor allem die Romane The Wings of the Dove (1902), The Ambassadors (1903), The Golden Bowl (1904).

13

David Kurnick, »Horrible Impossible: Henry James’s Awkward Stage«, in: The Henry James Review 26, Nr. 2 (2005), S. 109–129, hier S. 109; vgl. Leon Edel, Henry James: The Treacherous Years: 1895–1901 (New York: Lippincott, 1953).

14

James, Complete Notebooks, S. 152.

15

Fogel fasst zusammen: »By 1928 (Leon Edel) had produced a master’s thesis on James and had developed his first major Jamesian theory. Discerning, in Percy Lubbock’s edition of James’s letters, the rough contours of the Guy Domville debacle, Edel hypothesized that James derived from his theatrical experience, albeit an episode of public failure and humiliation, lessons that proved invaluable for the novels and tales of his last two decades. Ten years later, as the first person to examine the contents of a sea chest of James’s literary remains packed by the novelist’s amanuensis, Theodora Bosanquet, Edel found his theory confirmed in a famous passage in the writer’s notebooks, James’s affirmation to himself that out ›of all of this wasted passion and squandered time‹ he had learned a ›precious lesson‹, ›the divine principle of the scenario‹.« Daniel Mark Fogel, »Leon Edel: In Memoriam«, in: The Henry James Review 18, Nr. 3 (1997), S. 207–210, hier S. 207; vgl. Edel, Henry James: The Master, 1901–1916; vgl. Linda Simon, The Critical Reception of Henry James: Creating a Master (Manchester: Camden, 2007).

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Kenneth Burke nennt eine anekdotische Keimzelle selbst Dramatism, »a procedure to be followed in the development of a given calculus, or terminology. It involves the search for a ›representative anecdote‹, to be used as a form in conformity with which the vocabulary is constructed«16. Burkes Lektüren zeigen, dass Dramatism in den Bereich des Methodischen gehört, procedure und search ist, das sich ›lesend‹ und nachträglich einer Form zuwendet und in diesem Sinn ein analytisches Vorgehen markiert. Gleichzeitig aber betont Burke, dass der Dramatismus eine ontologische Dimension hat, kein repräsentationales Modell ist, ›hinter‹ dem etwas zu entdecken ist. Mit Deleuze teilt Burke die in »Die Methode der Dramatisierung« formulierte Ablehnung der Vorstellung, »daß es hinter den Erscheinungen ein Wesen gibt oder zumindest hinter den Masken ein Letztes«17; stattdessen entdeckt die Dramatisierung »stets weitere Masken hinter den Masken, Ortsveränderungen hinter jedem Ort, weitere ›Fälle‹, die in den einzelnen Fall eingekapselt sind«18. Wenn im Fall von James’ Daisy Miller die donnée selbst ›Dramatise, dramatise!‹ ist, dann eröffnet ›Dramatisierung‹ eine situativ-szenische Perspektive. ›Dramatismus‹ ist insofern ein Name für das Szenische und Situative, als es ein ›Lesen‹ ist, das nicht nur erkennt und entziffert, sondern darin ›etwas tut‹ und ›etwas verändert‹. Während Freuds Urszene zwar als »Verkehrung oder Umkehrung« funktioniert, so dass es zu einer »Vertauschung von Subjekt und Objekt, Aktivität und Passivität, angeschaut werden anstatt anschauen […]« kommt,19 ist die grundsätzliche Positionierungsleistung – das Prinzip der Zuweisung stabiler Positionen – nicht in Frage gestellt. Bei James hingegen verändert das transformativ-flirtive Moment des Szenischen die Kalkulierbarkeit der Terminologie, die Burke als logische Keimzelle der Sprache zuspricht, sowie die Positionier- und Linearisierbarkeit, die Freuds Urszene ausmacht. James’ »befremdlichem Theater« des Flirtiven eignet ein ›ordinäres‹ Moment, das die Szene in ›Einzelteile‹ zerfallen lässt und im (sexuellen) Akt nicht das positionierende Vor-Augen und darin die Subjekt-ObjektBeziehung sichert. Auf diese Weise entpuppt sich das Schreiben nicht nur als Lesen, sondern als »Ant-wort«, die nach dem »Wort vor dem Wort« fragt und insofern – immer

16

Kenneth Burke, A Grammar of Motives (Berkeley; Los Angeles: University of Cali-

17

Deleuze, »Die Methode der Dramatisierung«, S. 168.

18

Ebd.

19

Freud, »Wolfsmann«, S. 160.

fornia Press, 1969), S. 59.

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wieder – »unterwegs zum anderen«20 ist. Denn James’ Urszene der Dramatisierung ist selbst flirtiv. Nicht nur hat die Anekdote eine erotische Handlung: »A young daughter [of some simple and uninformed American lady], a child of nature and of freedom, […] had ›picked up‹ by the wayside, with the best conscience in the world, a good-looking Roman.«21 Die Anekdote selbst ist ein, wie James schreibt, appeal, der von Rom ausgeht – ein Appell und ein erotischer Reiz zugleich. Die ›anrufende‹ Qualität funktioniert als erotische Beflügelung durch die simplen und uninformierten Musen, »simple and uninformed« wie die flirtive Daisy Miller, »a child of nature and of freedom«.22 James inszeniert die Anrufung als eine Projektion der ›Freiheit‹ (freedom) oder ›Freizügigkeit‹ (nature) jener Ladies auf den freiheitlichen Akt dichterischer Imagination. Deren Unkonventionalität und Provokation normierter Lebensformen wird dem verführten James zum Appell der dramatistischen ›Befreiung‹ romanesken Schreibens. Der kurzlebige und momentane Aspekt des Flirtiven aber widersetzt sich gleichzeitig der Erzählung von der Befreiung. Denn auch hier markiert der appeal des flirts einen Bezüglichkeitsmodus, der den verführten Befreier an das ›Gegebene‹ bindet, das hier nicht zuletzt der literarische ›Schauplatz‹ Rom ist. Was James’ Text als »small pencil-mark« ganz dem Bereich der Kalkulier- und vor allem planbaren Erinnerbarkeit (»my recognising a few months later the sense of my pencil-mark«) unterschieben möchte, erweist sich gleichzeitig als wörtliche Rede und als Ausruf – »Dramatize, dramatize!« –, das heißt als eine Szene der Anrufung. Sie unterscheidet sich von Louis Althussers interpellation – »He, Sie da!« – durch den Polizisten, durch die dem Individuum, so Althusser, in einem einmaligen Akt der Subjektivierung eine Subjektposition zugewiesen wird und die damit die Ideologie bestätigt, in der das Gesetz präfiguriert ist. Diese Szene imaginiert eine einfache und eindeutige Kommunikationssituation: Die Rollen und Positionen von Sender und Empfänger sind klar verteilt und derart gewährleistet, dass die Botschaft eine Adresse hat. Althussers Subjekt manifestiert den Akt der Anrufung durch eine körperliche Reaktion – dass es sich nach dem Rufenden umdreht –, durch die es die Anrufung und die Unterwerfung unter das Gesetz anerkennt.23 Eine solche geordnete Szene legt Platon seinem gerechten Staat zu Grunde, in der Rollen, Positionen und Adressen sicher sind: Die

20

Andrea Allerkamp, Anruf, Adresse, Appell. Figurationen der Kommunikation in

21

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1269.

22

Ebd.

23

Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate (Hamburg: VSA Ver-

Philosophie und Literatur (Bielefeld: transcript, 2005), S. 10.

lag, 1977); siehe auch Allerkamp, Anruf, Adresse, Appell, S. 52–58.

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Dichtung – und vor allem die mimetisch-dramatische – ist Platon deshalb ein Dorn im Auge, weil sie denkbar macht, dass die Rede nicht a priori an eine eindeutige Sprecherposition gebunden ist. Nur in der »einfachen Erzählung«, so Platon, redet »der Dichter selbst«; in dem Modus, den Platon »Darstellung« nennt, erscheint es, »als ob ein anderer der Redende wäre als er selbst«.24 Das Un-Heimliche einer uneindeutigen Sprecherposition hebt die ›Redeweise‹ als solche hervor, »das Gestaltetsein jeder besonderen und bestimmten Darstellung, die Dargestelltheit aller Darstellungen«25. Die eindeutige Sprecherposition verspricht, dass Sender und Empfänger Gestalt sind, von der die erzählend genannte Rede ihren Anfang und Ursprung und ihr Ende erhält. Ausgehend von der Szene der Anrufung – derjenigen Althussers und derjenigen James’ und Daisy Millers – zeigt sich die Ambivalenz der Gestalt darin, dass sie nicht ohne das Gestaltetsein auskommt: Figura ist derjenige Begriff, der »[s]eit der Antike […] sowohl die visuelle Idee einer Gestalt [einschließt] als auch die Plastizität eben dieser Gestalt – ›jene performative Dimension, die die Figur selbst als Szene von Verwandlung erscheinen läßt‹«26. Das szenische Moment der Szene der Anrufung, das hier für James’ Daisy Miller wichtig ist, hat vor allem Judith Butler in ihren Lektüren Althussers betont. Butler nimmt Althussers Konzept auf, kritisiert daran aber die angenommene Souveränität des Sprechens. Nur indem das Individuum hier qua Idealisierung der machtvollen Stimme als Urheber des Diskurses gedacht ist, bekommt die Anrufung ihren quasi-göttlichen und »magischen« Effekt.27 Mit Rückgriff auf Austins Theorie der Sprechakte hebt Butler den performativen Aspekt einer nie endgültig statthabenden, iterativen Kraft der Sprache und damit der Subjektivierung hervor.28 Statt nachträgliche Deskription des Gesetzes zu sein, bewegt sich so jede Anrufung ursprünglich innerhalb

24 25

Platon, Politeia, S. 287ff. Rodolphe Gasché, »Überlegungen zum Begriff der Hypotypose bei Kant«, in: Christiaan L. Hart Nibbrig (Hg.), Was heißt Darstellen? (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994), S. 152–174, hier S. 168.

26

Allerkamp, Anruf, Adresse, Appell, S. 13; Gabriele Brandstetter und Sibylle Peters, »Einleitung«, in: dies. (Hg.), De figura: Rhetorik – Bewegung – Gestalt (München: Fink, 2002), S. 7–31, hier S. 8.

27

Vgl. Judith Butler, Excitable Speech: A Politics of the Performative (New York;

28

Vgl. John L. Austin, How to Do Things with Words, 2. Aufl. (Cambridge: Harvard

London: Routledge, 1997), S. 31ff. University Press, 1975); vgl. Butler, Excitable Speech; vgl. Judith Butler, The Psychic Life of Power: Theories in Subjection (Stanford: Stanford University Press, 1997).

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sprachlicher Konventionen (Gesetze), die sie zugleich artikuliert und aktualisiert und im Zitat – ›uneigentlich‹ – versetzt.29 Liest man James’ »Dramatise, dramatise!« als eine solche Anrufung, bleibt die Sprecherposition innerhalb des Texts – als Verortung der anrufenden Stimme, die die Ortung innerhalb der Subjektivierung produzieren könnte – undefiniert. Auseinander treten eine vage – und ›weibliche‹ – Körperlichkeit und die ›männliche‹ Stimme der Selbstanrufung. James’ Selbstanrufung ist gleichzeitig doppelt gebrochen: Liest man den Anrufenden als innere Stimme (James’), sind hier Anrufender und Angerufener zugleich derselbe und treten queer gespalten auseinander. Anrufung ist hier »infelicitous« (Austin); sie geht ursprünglich und notwendig schief. Die Selbstanrufung unterläuft die einfache Logik des Diskurses. Wie Butler festhält: »Subjection consists precisely in this fundamental dependency on a discourse we never choose but that, paradoxically, initiates and sustains our agency.«30 James’ Dramatismus hat einen doublierten szenischen Grund, der gleichzeitig ursprünglich – initiativ und räumlich, raumverteilend – funktioniert und unsicher, Un-Ort ist. Dieser Grund ist ein »befremdliches Theater«, in dem die Körper und die Stimmen auseinandertreten und weder Stimme noch körperliche Wirkkraft – appeal – verortbar sind, in dem ein Fremdes/Anderes im eigenen Sprechen (und Schreiben) markiert ist, das die Verortbarkeit von Stimme und Körper supplementiert. James’ re-visionäres Insistieren auf der unvollendbaren Form des Romanesken und auf dessen fortwährendem Institutionalisierungsmoment richtet sich gegen Abschließbarkeit und Ursprünglichkeit und verharrt mit dem Einsatz der Szene bei dem Problem der Romanform. Statt jener Erzählung der mastery kann der James’sche Roman als »a blueprint for an impossible or withheld performance« gelesen werden, »as a sustained exploration of the possibilities of resisting that form – particularly the novel of psychological depth that now seems tautologically connected with the epithet ›Jamesian‹«.31 Es liegt daher die Vermutung nahe, dass James’ notorische Umschriften seiner eigenen Texte und die offensichtliche Bedrängnis durch Form und Formalisierungsprozesse weder eine Erfolgsstory hin zur geglückten Form noch ein implizites Zeugnis des Defizitären, Misslungenen/Misslingenden literarischer Form sind. Vielmehr erweist sich hier die theatrale Szene nicht als das Andere des Romans, sondern als dessen Moment der Alterität und Differenz, seine queerness oder sein ›Schief-Gehen‹.

29

Vgl. zur »Iterabilität« Jacques Derrida, »Signatur Ereignis Kontext«, in: ders.,

30

Butler, The Psychic Life of Power, S. 2.

31

Kurnick, »Horrible Impossible: Henry James’s Awkward Stage«, S. 110.

Randgänge der Philosophie, 2. Aufl. (Wien: Passagen Verlag, 1999), S. 325–351.

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Statt das Gelingen gegen das Misslingen, mithin den Roman gegen das dramatische Schreiben auszuspielen, richtet sich der Fokus der hier dargelegten Lektüre auf die Formalisierungs-Bewegungen innerhalb von und zwischen Texten, innerhalb und zwischen den Genres/Gattungen. Das ›Schief-Gehen‹ als ein im wörtlichen Sinne durchquerendes Moment ermöglicht, Texte in ihrer versetzenden Unheimlichkeit zu lesen, in ihrer Undurchdringlichkeit, in der Durchquerung abgesteckter Grenzen oder in den Anachronien, die sich dem Linearen widersetzen. Adressieren Texte und Lektüren ›schief‹ (oblique), werden sie zum Schauplatz der Versetzung.32 Diese Bewegung unterbricht die Präsenz der Texte, ihre proper-ty oder »Eschatologie des Eigenen«33, ist dabei aber (text-)produktiv, selbst formgebend. Ohne diese Projektion von success auf successiveness und vice versa kann die Aufmerksamkeit auf die einzelnen und unverbundenen Einsatzstellen gelenkt werden, die dann möglicherweise einen »indikativischen Wert«34 haben, der sie weder zum Ursprung einer Struktur noch zu deren einfacher Wirkung macht, sondern zu einem Moment der Formalisierung selbst.

D AISIES A NACHRONISMUS Womöglich hat der späte James geahnt, dass Daisy Miller etwas über die Szene sagen kann und dass dies mit einem Anachronismus zu tun hat, der sein Schreiben heimsucht und success und succession dekonstruiert. Als James 1909 in seiner New York Edition sein Gesamtwerk autorisiert, wählt er nicht nur bestimmte Texte aus, sondern gibt den einzelnen Texten eine nachträgliche Architektur und Chronologie innerhalb der 26 Bände.35 Der frühe Text Daisy Miller (1878) erscheint in Band 18 und hat damit eine auffällig anachronistische Position: Denn die Bände 1 bis 11 versammeln in chronologischer Reihenfolge die Romane aus

32

Vgl. Jacques Derrida, Gesetzeskraft. Der »mystische Grund der Autorität« (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991), S. 21; vgl. auch Jacques Derrida, »Passions. ›An oblique Offering‹«, in: David Wood (Hg.), Derrida: A Critical Reader (Stanford: Stanford University Press, 1995), S. 5–35.

33

Derrida, Grammatologie, S. 187.

34

Ebd., S. 176.

35

Henry James, The Novels and Tales of Henry James. The New York Edition, 24 Bde. (New York: Charles Scribner’s Sons, 1907–1909 [1917]); vgl. Leon Edel, »The Architecture of Henry James’s ›New York Edition‹«, in: The New England Quarterly 24, Nr. 2 (1951), S. 169–178; vgl. McWhirter (Hg.), Henry James’s New York Edition.

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den Jahren 1875 bis 189736 und die Bände 19 bis 26 die späten und posthum erschienenen (1902–1918).37 Die mittleren 7 Bände (Band 12–18) bestehen aus kürzeren Texten, wobei die Bände 12 und 17 James’ berühmteste Ghost Stories enthalten. Das heißt, in Bezug auf einen ursprünglichen – intertextuellen – Entstehungskontext wird Daisy Millers Spur verwischt; zugleich wird sie versetzt auf einen anderen, nicht ursprünglichen Schauplatz. Für die folgenden Überlegungen, Daisy Miller als eine Denkfigur des dramatistisch-szenischen Romans zu lesen, spielt es eine Rolle, dass James den Text unmittelbar vor die späten Romane platziert, die wie oben beschrieben als Kür szenisch-romanesker Meisterschaft gelten. Durch die nachträgliche Architektur und die De-Chronologisierung wird zudem der Zusammenhang von Daisy Miller mit ihrer dramatischen Überarbeitung von 1883 (Daisy Miller. A Comedy) verdeckt, und damit auch der Zusammenhang zwischen James’ theatrical failure der 1890er Jahre und dessen Umdeutung in den Erfolg des Romanciers. Denn dass der Text explizit aus der Chronologie herausgenommen ist, ermöglicht, dass in den Bänden 1– 11 diejenige Geschichte entstehen konnte, derzufolge James’ scenic principle wie in What Maisie Knew als perfektioniertes narratives Prinzip des point of view verstanden werden kann. Nicht zuletzt ist signifikant, dass so in Daisy Miller ein impliziter Zusammenhang zwischen Anachronismus und Gespenstischem entsteht, wobei das Gespenstische bei James einer Problematisierung sowohl des Schreibens als auch der Geschichtlichkeit der Texte und Lektüren entspricht. Fiedler führt aus, dass »[in] a certain sense, all of [James’] stories are ghost stories – evocations of a tenuous past«38. Auffällig sind die genannten Aspekte nicht zuletzt deswegen, weil James wie oben beschrieben Daisy Miller als Urszene der Dramatisierung und Daisy immer wieder als »Original« vieler späterer Figuren inszeniert. Doch Daisy schmuggelt eine »falsche Position«39 in das geordnete Projekt des Meisters. Gegen die meisterhafte Teleologisierung und

36

Die beiden frühen Romane Roderick Hudson und The American, dann der ›realistische‹ The Portrait of a Lady, gefolgt von zwei Texten der sogenannten Theatertrilogie, The Princess Casamassima und The Tragic Muse, sowie die drei Romane, die Edel als Etablierung der scenic method versteht: The Awkward Age, The Spoils of Poynton und What Maisie Knew.

37

The Wings of the Dove, The Ambassadors, The Golden Bowl und die beiden post-

38

Fiedler, American Novel, S. 303.

39

Vgl. zur »falschen Position« die allerdings nicht konkret auf Daisy Miller bezogene

hum erschienenen Romane The Ivory Tower und The Sense of the Past.

Lektüre Rivkins: Julie Rivkin, False Positions: The Representational Logics of Henry James’s Fiction (Stanford: Stanford University Press, 1996).

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Rationalisierung des Szenischen, gegen success und succession erhebt Daisy Miller von ihrer ›unheimlichen‹ Position Einspruch.

A KTE

IM

S CHATTEN

UND ANDERE

S CHAUPLÄTZE

Diejenige Szene, in der der plötzliche Tod Daisy Miller ›zu holen beginnt‹ und der Text seine mediale Pointe erfährt (mit Daisies Beerdigung endet er wenige Seiten später), spielt in einem historischen Theaterraum, der Arena des Römischen Kolosseums, ist aber noch darüber hinaus eine theatrale Situation. Dies ist die Szene in ihrer kleinsten Einheit: The great cross in the center [of the Colosseum, SW] was covered with shadow; […] two persons were stationed upon the low steps which formed its base. One of these was a woman, seated; her companion was standing in front of her. (S. 290f.)

Was sich – sieht man von der Vergangenheitsform ab – wie eine Regieanweisung liest, die das setting einer folgenden theatralen Szene präpariert, enthält hier in nuce einen Akt, der jedoch nicht stattfinden wird, sondern in seiner Evidenz bezweifelbar bleibt – und zwar bezweifelbar seinem deskriptiv-konstativen Charakter zum Trotz. Die Szene erweist sich so als eine anti-kausale und antimotivatorische Verweisstruktur: Mehr über das, was sich unter dem Schatten des Kreuzes tatsächlich zuträgt, erfährt der Leser nämlich nicht. Angedeutet ist eine erotische Zusammenkunft, möglicherweise ein sexueller Akt, über den der Tod seinen Schatten wirft. Der Akt – wenn es einen gibt – findet nicht einfach auf der Basis oder der Grundlage [its base] des Todes/Kreuzes statt, sondern unter der Bedingung von dessen Schattenwurf, seinem Hinausweisen über den eigentlichen uneindeutigen Akt. Bei den Zusammenkommenden handelt es sich um die junge und flirtive Amerikanerin Daisy Miller und den erotisch affizierten Italiener Giovanelli: Sie wird doppelt sterben, den sozialen Tod auf Grund eines vermutlichen Aktes und den biologischen, verursacht durch Roman Fever – d.h. durch den nur nachträglich rekonstruierbaren Akt einer viralen Ansteckung. Entgegen den Lebendigkeitsallusionen, die sich im 19. Jahrhundert und auch im Schreiben James’ mit der Metapher Italiens verbinden – »the force of passion«, »[the] vital and congenial«40 –, steckt in diesem gegenläufigen Topos der Anste-

40

Vgl. John Auchard, »Introduction«, in: Henry James, Italian Hours (New York: Penguin Classic, 1995), S. iv–xxxix, hier S. xiii bzw. S. xxvii.

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ckung »[a] morbid pleasure«41. Das Morbide an dieser Lust ist nicht der Tod an sich, sondern die Unterbrechung des tragischen Todes, der die Intensität des Lebens noch zur Erfüllung und den toten Heldinnenkörper zu lebendiger Darstellung zu bringen vermag. Einen solchen Tod stirbt die Heldin aus James’ The Wings of the Dove, über die er im Vorwort schreibt: The wings of the dove […] represents to my memory a very old – if I shouldn’t perhaps rather say a very young – motive; I can scarce remember the time when the situation on which this long-drawn fiction mainly rests was not vividly present to me. The idea, reduced to its essence, is that of a young person conscious of a great capacity for life, but early stricken and doomed, condemned to die under short respite, while also enamoured of the world; aware moreover of the condemnation and passionately desiring to ›put in‹ before extinction as many of the finer vibrations as possible, and so achieve, however briefly and brokenly, the sense of having lived.42

Verbinden sich hier das Motiv der »capacity for life« mit den glückenden Verfahren lebendiger Darstellung (»vividly present to me«), stellt die morbide Lust nicht einfach das Lebendige in Frage. Sie unterbricht – als verräumlichtes Verfahren der unkontrollierbaren und überindividuellen Ansteckung – vor allem das zeitliche Modell der Dauer der Città Eterna, das bestens herhalten könnte für die Erfüllung des Lebens im tragischen Tod. Diesen findet jedoch nicht Daisy in Rom, sondern Milly Theale in Venedig, indem ihr rechtzeitig vor ihrem endgültigen Tod (extinction) die Liebe zustößt, die ihren Tod überdauert. Für die flirtive Daisy Miller gilt, wovon auch James’ Italian Hours zeugen: »[t]he suggestion of confounded time« und »time out of joint«.43 Denn der Akt in Daisy Miller hat nicht nur einen langen Schatten, sondern der Schattenwurf selbst (die Wirkung) stellt im Nachhinein den Akt als solchen in den Schatten: Aus der Wirkung lässt sich nicht mehr erhellen, was genau stattgefunden hat; und was (nachträglich) mit Sicherheit stattgefunden haben muss und aus dem Schattenwurf rekonstruiert werden kann (die Ansteckung), ist nicht die eigentliche Szene (der konstatierte Akt der Zusammenkunft: »a woman […]; her companion«). Verwiesen wird hier auf einen anderen Schauplatz, durch den sich die Szene im Nachhinein als eine andere ausweist. Die Szene in Daisy Miller ist somit keine abgrenzbare Entität oder Positivität, sondern eine ›ansteckende‹, regelrecht anti-kausale und anti-

41

Henry James, Italian Hours, hg. von John Auchard (New York: Penguin Classic,

42

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1290.

43

Auchard, »Introduction«, S. x.

1995), S. 149.

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motivatorische Verweisstruktur, in der das Verhältnis von Ursache und Wirkung nicht beglaubigt wird – wie es Aristoteles’ Poetik für die Struktur des Dramatischen will –, sondern selbst auf dem Spiel steht. Der ironische Zug dieses Spiels besteht in der Konfrontation zwischen der Wirkmächtigkeit des Kontingenten und der Notwendigkeit des Ursächlichen, die sich nicht aufeinander abbilden lassen. Zwischen beiden Aspekten hingegen entwickelt sich eine zirkuläre und nicht-lineare Dynamik der Beglaubigung, der ›unbewussten‹ Motivation, die eines festen Grundes [base] ermangelt. Ungesehen und unbemerkt tritt ein deus ex machina auf, dessen Wirkung Daisies Tod ist, der aber erst nachträglich als agens der Szene entdeckt werden kann. Bei James ist dieser Gott insofern skandalös, weil er die successiveness der Szenenfolge stört und den narrativen Ketten ein theatrales Moment einspeist. In diesem Sinn ist die genuin theatrale Instanz des deus ex machina schon Aristoteles’ Poetik ein Dorn im Auge, insofern er die Szenenabfolge und deren Plausibilisierung, die Kongruenz von Rede und Handlung und damit die Einheit und den Erhalt der Gattung in Frage stellt. Der deus ex machina ist nicht nur eine Metapher für jedes nicht aus den Figuren oder einer internen Handlungslogik motivierbare plötzliche Geschehen, das dem Verlauf eine radikale Wende gibt: Die Theatermaschine steht für das Kontingente und Episodische, das sich der sukzessiven Logik der Szenenfolge und der Teleologie des success nicht fügt. Als Negativbeispiel nennt Aristoteles Medea, die eine besondere Gefahr der Gattung darstellt: Indem Medea ihre Nachkommen verspeist, stellt sie den Fortgang schlechthin in Frage und markiert so ein doppeltes Krisenmoment der Gattung – auf der Ebene der biologischen Sukzession und auf der Ebene dramatischer successiveness. Diese Krise ist der andere Schauplatz von James’ Faszination für die ›meisterhafte‹ Dramaturgie: »The French stage I have mastered« und »[i]t interested me immensely to write the piece [Daisy Miller. A Comedy in Three Acts], and the work confirmed all my convictions as to the fascination of this sort of composition. […]. The dramatic form seems to me the most beautiful thing possible«, verzeichnen die Notebooks.44 »French Stage« ist dabei die Bezeichnung für wellmade, dramaturgisch kohärent.45 Die dramaturgische Kohärenzbildung, die

44

James, Complete Notebooks, S. 226 (26. Dezember 1881) bzw. S. 232 (1882); vgl. auch William A. Wortman, »The ›Interminable Dramatic Daisy Miller‹«, in: The Henry James Review 28, Nr. 3 (2007), S. 281–291, hier S. 282; Brenda Murphy, »James’s Later Plays, a Reconsideration«, in: Modern Language Studies 13, Nr. 4 (Oktober 1983), S. 86–95.

45

Vgl. Gabrielle H. Cody und Evert Sprinchorn (Hg.), The Columbia Encyclopedia of Modern Drama (New York: Columbia University Press, 2007), S. 573; vgl. Chris-

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den deus ex machina aus der Szenenfolge ausschließt, funktioniert insofern antitheatral, als der verheerende deus immer auch die Technizität der (textuellen) Theatermaschinerie selbst vor Augen stellt. Dass der Theatergott ein Ausweis des Theatralen ist und das dramatische Vor-Augen zurücknimmt, zeigt nicht zuletzt die Sorge um die Theatralität des Theaters im späten 18. Jahrhundert: Diderots Ablehnung des coup de théâtre, dessen Artifizialität er beklagt,46 und Lessings zeitgleiche Überlegungen zur »poetischen Maschine« (lat. artificium). In beiden Fällen ist der deus ein Indikator für die (Un-)Fähigkeit des Autors, die Illusionskraft der Bühne oder deren Textfunktion und damit die Identifikation des Lesers oder Zuschauers zu wecken und zu halten. Lessing stellt sich die poetische Maschine als ein Gespenst vor: Die Hamburgische Dramaturgie unterscheidet zwischen den ›unfähigen‹ Gespenstern französischer Dichter und den die Illusion gerade noch steigernden der Engländer. Während Voltaires Gespenster Kunstgriffe sind, die zeigen, dass das Spiel der Bühne nur Theater ist, ist Hamlets toter Vater »eine wirklich handelnde Person, […]; es erweckt Schauder, aber auch Mitleid«47. Das gute Gespenst also verstärkt die Illusionskraft der Bühne, denn »es kömmt wirklich aus jener Welt« und bestätigt, was wir »[von Gespenstern] zu erwarten und zu denken gewohnt sind«.48 Damit gehört es in den Bereich dessen, was aus »jener Welt« nur das Heimisch-Vertraute ›unserer Welt‹ unterstreicht. Voltaires Gespenst hingegen ist unheimlich: »[E]s ist der bloße verkleidete Komödiant, der nichts hat, nichts sagt, nichts tut, was es wahrscheinlich machen könnte, er wäre das, wofür er sich ausgibt.«49 Daisy Millers Maschinengott ist – dem dramaturgischen Bemühen zum Trotz – ein solches unheimliches Bühnengespenst, das nicht ist, wofür es sich ausgibt. Ihr Maschinengott ist eine doppelte Krise. Zum einen unterstreicht er an Daisies Tod das Zufällige und Kontingente, die sinnfreie Endlichkeit (extinction), in der der Tod sich nicht zu einem Sinnstiftungsereignis machen lässt.

topher Greenwood, Adapting to the Stage: Theatre and the Work of Henry James (Aldershot: Ashgate, 2000). 46

Vgl. Peter Szondi, »Tableau and Coup de Théâtre: On the Social Psychology of Diderot’s Bourgeois Tragedy«, in: New Literary History 11, Nr. 2 (1980), S. 323– 343; vgl. auch Heeg, Phantasma, bes. S. 35–82.

47

Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie, hg. von Klaus L. Berghahn (Stuttgart: Reclam, 1981), S. 67.

48

Ebd., S. 65.

49

Ebd.

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Zum anderen ist er ein Krisenmoment für den narrativen Text.50 Denn der dramaturgischen Struktur entspräche die Kulmination des Texts in der Offenlegung der ›verborgenen‹ Natur des Hauptcharakters.51 Statt aber ein ›Natürliches‹ aufzudecken, unterbricht Daisies Tod als biologische und textuelle Endlichkeit diejenige (Text-)Logik, deren zentrales Anliegen die Aufdeckung ist. Zwar gibt es erst und nur im Zusammenhang mit Daisies Sterben »serious information« und Gewissheit – »It was evident that Daisy was dangerously ill« (S. 293); das Evidenzmoment, das Daisies Tod ist, bezieht sich aber nicht auf eine tatsächliche ›Enthüllung‹ Daisies (den Sinn ihres Lebens und Sterbens), als vielmehr auf das ›Ende‹ (extinction) der narrativen Struktur in der theatralen Selbstausweisung. Was Winterbourne in dieser Theaterkulisse – in diesem Präsentationsraum – zu sehen vermag ist nicht der eigentliche Auftritt des deus (noch dessen, was Daisy hier treibt), sondern die Markierung einer Auftrittshaftigkeit und eines Theaterraums. Die Szene und der andere Schauplatz geben damit einen ersten Hinweis auf die der Linearität und Sukzessivität des Narrativen entgegenstehende Verweisstruktur einer dem Text eingelagerten Verräumlichung und auf eine unheimliche Schattenhaftigkeit, in der die Szene gerade nicht im Licht, selbstidentisch/homely, vor-Augen steht. Daisy Millers unheimliche Szene zeigt, inwiefern das Theatrale als Unterbrechung der ›natürlich‹ erscheinenden Sukzessivität und Teleologie der narrativen Ketten fungiert. Denn während die Romanliteratur des 19. Jahrhunderts von Theatermetaphern wie ›Szene‹ oder ›Tableau‹ wimmelt, funktionieren diese mitnichten als Versicherung zentralperspektivischer Logiken, wie sie Fredric Jameson in dem James unterstellten Konservatismus am Werk sieht: »The secondary model which organizes Jamesian point of view is the metaphor and ideal of theatrical representation. As in the development of perspective (itself the end product of a theatrical metaphor), the structural corollary of the point of view of the spectator is the unity of organization of the theatrical space and the theatrical scene […].«52 Litvak, dem ich mich hier anschließe, argumentiert hingegen, dass der Metapher (des Theaters) selbst eine Theatralität eignet, die James’ Versuch vereitelt, von der obszönen Literalität

50

Vgl. zur Logik der »representational crisis« bei James: Sheila Teahan, The Rhetorical Logic of Henry James (Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1995), S. 3ff.

51

Vgl. Greenwood, Adapting to the Stage, S. 55.

52

Fredric Jameson, The Political Unconscious: Narrative as a Socially Symbolic Act (Ithaca: Cornell University Press, 1981), S. 231; zitiert nach Litvak, Caught in the Act, S. 243f.

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des Theaters ein dramatisches Kohärenzprinzip zu destillieren.53 Unter der Perspektive der Theatralität des literarischen Texts kommt es zur »convergence of figure-as-rhetorical-trope with figure-as-bodily-form, where both body and trope are at once theatrically vivid and theatrically mediated«54. ›Theatrale Energie‹ als ›körperliche‹ und materielle Sinnlichkeit und performatives Moment der Texte begegnet und durchkreuzt die Performanz des Sinns und der metaphorischen Sinnstiftung und vereitelt damit den auf das späte 18. Jahrhundert zurückgehenden Versuch, von der evidenten Struktur des Dramas nur die sinnhafte Anschaulichkeit des Szenischen zu übernehmen, nicht aber die Sinnlichkeit, positional-situative Räumlichkeit und Un-heimlichkeit des Theatralen. Nach dieser Theatralität fragen die folgenden Lektüren Daisy Millers.

53

Vgl. Litvak, Caught in the Act, S. 244.

54

Ebd., S. 246.

(Mis-)Reading Daisy, (Un-)Doing Situations

S UCCÈS

DE SCANDALE

Als Daisy Miller im Juni und Juli 1878 in The Cornhill Magazine erscheint, wird der Text Skandal und erster wichtiger Erfolg zugleich: »Henry James waked up all the women with his Daisy Miller«, berichtet H.D. Howells dem gemeinsamen Freund James Russell Lowell, »the intention of which they misconceived, and there has been a vast discussion in which nobody felt very deeply and everybody talked very loudly. The thing went so far as society divided itself into Daisy Millerites and anti-Daisy Millerites«.1 Vordergründig ist das Skandalon »his heroine’s obstinate defiance of propriety«2 und damit James’ »outrage on American girlhood«3. Doch dieser skandalöse Effekt des Texts wiederholt, was Daisy Miller. A Study verhandelt. Daisy Miller selbst ist ein Text über Nachrede und Gerücht, über talking. Nichts Definitives kann über diese Daisy gesagt werden – nichts weiter als inclinations: »[Winterbourne] was inclined to think Miss Daisy Miller was a flirt – a pretty American flirt« (S. 247). Denn Daisies flirtives Verhalten produziert uneindeutige Textzeichen, die die enträtselnde Lektüre konterkarieren. Daisies Flirt fragt zwar beständig nach Motiven und Motivationen, nach deren Unbewusstem und nach dessen Performativität: Das ›Wahre‹, das ›Wirkliche‹, das ›Eigentliche‹ und das ›Unschuldige‹ werden aber fortwährend flirtiv versetzt. James’ Skandal wiederholt Daisies Schicksal – »the intention of

1

Letter to James Russell Lowell, June 1879; zitiert nach Vivian R. Pollak (Hg.), New Essays on Daisy Miller and the Turn of the Screw (Cambridge: Cambridge University Press, 1993), S. 1f.

2

So die Sorge Eliza Lynn Lintons; siehe Henry James, Daisy Miller & Other Stories

3

Vgl. Kevin J. Hayes (Hg.), Henry James: The Contemporary Reviews (Cambridge:

(Ware: Wordsworth Editions, 2001), S. x. Cambridge University Press, 1996), S. 65–78.

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which they misconceived« –, seine Intention, welche auch immer, kommt nicht an, nur immer ›schief‹, »misconceived«. In Daisy Miller und ihrem Skandalon geht es damit nicht nur um Daisies »intention […] misconceived«, sondern um die notwendige Uneindeutigkeit der Intentionalität des Literarischen. Daisy selbst höhlt die Autorintentionen aus – und zwar kategorisch. Daisy Miller ist nicht der einzige von James’ Texten, den die Kritik als »outrage« verpönt. Der »outrage on American girlhood« präfiguriert einen späteren Skandal, »the outrage upon innocence« in der Geistergeschichte »The Turn of the Screw« (1898): The feeling after perusal of the horrible story is that one has been assisting in an outrage upon the holiest and sweetest fountain of human innocence, and helping to debauch – at least by helplessly standing by – the pure and trusting nature of children. Human imagination can go no further into infamy, literary art could not be used with more refined subtlety of spiritual defilement.4

Für James aber – so theoretisiert das Vorwort zu »The Turn of the Screw« – stand mit diesem Schock mehr auf dem Spiel als der Horroreffekt: In the evil steckt die Möglichkeit, effectiveness oder agency zu studieren und ausagierbar zu machen sowie jenseits von Subjektivität und Personalität zu denken.5 Entsprechend hält Felman für »The Turn of the Screw« fest, was auch für Daisy Millers Skandal gilt: [T]he most scandalous thing about this scandalous story is that we are forced to participate in the scandal, that the reader’s innocence cannot remain intact: there is no such thing as an innocent reader of this text. In other words, the scandal is not simply in the text, it resides in our relation to the text, in the text’s effect on us, its readers: what is outrageous in the text is not simply that of which the text is speaking, but that which makes it speak to us.6

James’ evil effect zerstört die – ›konventionelle‹ – Ordnung und Grenze von/ zwischen Text und Leser, stört die ›Positioniertheit‹, auf die die Eindeutigkeit der produzierten Textzeichen angewiesen wäre. Um den Skandal zurückzunehmen, tritt James als vereindeutigender Schlichter auf, indem er Daisy Miller zum

4

The Independent, LI, January 5, 1899, S. 73; zitiert nach Felman, »Turning the

5

Vgl. James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1181–1189.

6

Felman, »Turning the Screw«, S. 97.

Screw«, S. 97. [Hervorhebung SW].

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zweiten Mal opfert – nachdem er sie bereits hat sterben lassen –, dem Frieden der »celestial minds«: »Poor little Daisy Miller was as I understand her above all things innocent« – so beendet er das Rätselraten in einem Brief an die aufgeregte Eliza Lynn Linton – It was not to make a scandal, or because she took pleasure in a scandal, that she ›went on‹ with Giovanelli. She never took the measure really of the scandal she produced, and had no means of doing so: she was too ignorant, too irreflective, too little versed in the proportions of things. She intended infinitely less with G. that she appeared to intend – and he himself was quite at sea as to how far she was going. She was a flirt, a perfectly superficial and unmalicious one […].7

James’ nachträgliche Lektüre seiner toten Heldin und deren pleasure ist eine vereindeutigende Plausibilisierung, die gewaltsam Text und Figur(en) zu lesbaren Objekten macht und darin die Autorposition legitimiert. Der flirt bleibt unterdessen eine ambige Kontaktform, die Motivationen und Bewegungsrichtungen nicht nur der Heldin, sondern des gesamten Texts nicht nur mehrdeutig, sondern in sich transformierbar sein lässt. Der produzierte Skandal besteht so in der Unabwägbarkeit des richtigen Maßes. Measures und proportions sind, was Daisy fehlt und was sie zugleich provoziert: Die ihr nachträglich angedichtete Unschuld ist der paradoxe Preis eines ›Unmaßes‹, das in Beziehung setzt. In der unschuldigen Zuschreibung aber steht vor allem das Maß ›autoritärer‹ Lektüre auf dem Spiel, die nachträglich umso vehementer installiert wird. Denn während Daisies flirt Intentionalität und Teleologie aufs Spiel setzt, fordert er zugleich eine an Maß und telos orientierte Lektüre heraus, je weniger er um Maß und Ziele weiß. Die Frage nach Maß oder Unmaß – nach dem Status des Unbewussten – verhandelt damit die prekäre Verortbarkeit und Vereindeutigung von Wissenspositionen. In James’ Text obliegt es dem perplexen Winterbourne herauszufinden, ob Daisies Verhalten zielgerichtetes Werben oder selbstgenügsamer Flirt ist, theatrales Spiel oder aber narrativierbares telos: Poor Winterbourne was amused, perplexed, and decidedly charmed. […]. Winterbourne had lost his instinct in this matter, and his reason could not help him. […]. He was inclined to think Miss Daisy Miller was a flirt – a pretty American flirt. […]. Winterbourne was almost grateful for having found the formula that applied to Miss Daisy Miller. […] he wondered what were the regular conditions and limitations of one’s intercourse with a

7

James, Letters 1875–1883, Bd. II, S. 303.

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pretty American flirt. It presently became apparent that he was on the way to learn. (S. 246f.)

Seine Figur ist dabei die Markierung einer dem Text internen Perspektivierung, eine Implikation des Lesers innerhalb des Texts.8 Während sein sprechender Name ironischerweise »[a]n intermittent stream« bezeichnet, »such as those found in chalk and limestone districts, which flows only in winter or at long intervals«9, wird seine Position der Lektüre als eine der Schuld charakterisiert, die sich jenseits des paradiesischen Zustands von Nichtwissen und Arglosigkeit bewegt, und gleichzeitig die Trennbarkeit von Schuld/Unschuld, Wissen/Nichtwissen in Frage stellt: »That she is the sort of young lady who expects a man – sooner or later – to carry her off?« »I haven’t the least idea what such young ladies expect a man to do. But I really think that you had better not meddle with little American girls that are uncultivated, as you call them. You have lived too long out of the country. You will be sure to make some great mistake. You are too innocent.« »My dear aunt, I am not so innocent«, said Winterbourne, smiling and curling his mustache. »You are guilty too, then!« (S. 252)

›Schuld‹ heißt hier vor allem: ›diesseits der Lektüre‹, in der sich die Frage der Unschuld als (Un-)Fähigkeit zur Zeichenproduktion und -entschlüsselung formuliert. Wenn Winterbourne ›diesseits der Lektüre‹ angesiedelt ist, dann gibt es kategorisch keine ›unschuldige‹ Deutungsposition mehr, von der aus Daisies ›Unschuld‹ beurteilt werden könnte. Das heißt aber auch, dass das kausale Verhältnis und die zeitliche Ordnung von ›Akten‹ und ›Lektüren‹ durcheinander geraten und sich beide ineinander »verknoten«10. Daisy Miller. A Study erzählt so von den lauernden Gefahren des misreading und gleichzeitig von der Unmöglichkeit, von einem ›unschuldigen‹ (nicht selbst auch ›lesenden‹) Standort aus die ›Richtigkeit‹ der Lektüre zu beurteilen.

8

Vgl. zur Funktion des Lesers im Text einschlägig: Wolfgang Iser, Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett, 3. Aufl. (München: UTB, 1994).

9

»winterbourne, n.«, OED Online, June 2013. Oxford University Press, http://www.oed.com (letzter Zugriff: 14. August 2013). In Freuds »Das Unheimliche« ist das plötzlich wieder zum Vorschein kommende Wasser Hinweis auf die Ambivalenz von heimlich/unheimlich: vgl. Freud, »Das Unheimliche«, S. 234.

10

Vgl. dazu Elisabeth Bronfen, Das verknotete Subjekt. Hysterie in der Moderne (Berlin: Verlag Volk und Welt, 1998).

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In der Spanne bis zu ihrem Tod »analysiert« Winterbourne Daisy Miller und kommt dabei zu keinem definitiven Schluss: He had a great relish for feminine beauty; he was addicted to observing and analysing it; and as regards this young lady’s face he made several observations. It was not at all insipid, but it was not exactly expressive; and though it was eminently delicate, Winterbourne mentally accused it – very forgivingly – of a want of finish. (S. 243)

Auf zweierlei Ebenen bleibt Daisies Verhalten ein Rätsel: Einerseits geht es um die Frage einer handfesten inconduite (S. 246) – darum, ob Daisy Miller eine Affäre – eine intrigue (S. 284ff.) – mit einem Italiener pflegt, und darum, wie diese vermeintliche Tatsache ihren Ruf verändert (obgleich man sich dieser Tatsache nicht gewiss sein kann). Andererseits geht es darum, die »regular conditions and limitations of one’s intercourse with a pretty American flirt« (S. 247) auszumachen: Wird Daisies Verhalten, indem es nach der Maßgabe von innocence/unconscious vs. guilt/consciousness zur Beurteilung steht, nicht nur hinsichtlich der ›Reinheit‹ oder ›Jungfräulichkeit‹ ihrer konkreten Handlungen, sondern hinsichtlich ihres Wissens um ihre Motive verhandelt, hängt es zugleich von Winterbournes Fähigkeit ab, die Motive zu lesen – d.h. von seiner ›Reinheit‹/innocence bzw. seiner Lektüre der flirtiven Zeichen als motivationalen Zeichen. Von den motivationalen Zeichen und deren Lektüre wiederum hängen der Grad und die Ordnung der Bezüglichkeit ab, die durch den Text hergestellt werden. Daisy Miller. A Study verhandelt also nicht einfach, was es heißt, seinen Ruf zu ruinieren, sondern im engeren Sinn die Bedeutung von Reputation (reputatio) – ›Erwägung‹ oder ›Berechnung‹. Daisies Skandal ist, diese Berechnung und Erwägung zu provozieren und sich zugleich einer definitiven Feststellung zu entziehen: »the unexpected in her behavior was the only thing to expect« (S. 283). Der von Winterbourne diagnostizierte »want of finish« sowie sein innerer Antrieb nach »observing and analysing« (S. 243) – stehen potenziell für beides zugleich: »the chance of ›observing‹« und »[the] unprincipled mystification of [the reader’s] sense of it«11. Das heißt, durch die und wegen der Lektüre wird Daisy kategorisch zum zu entschlüsselnden »Mysterium«. Die Lektüre produziert ihr Geheimnis, das die Lektüre braucht und vice versa. Hinsichtlich der szenischen Qualität der Bezüglichkeit und der Analyse und hinsichtlich der Ökonomien des Wissens und des Unbewussten ist Daisy Millers Flirt mit der Theatralität von Freuds Hysterie-Analyse (1901/1905) verwandt: Denn in beiden geht es nicht nur um ein dramatisch erotisiertes Bühnenspiel,

11

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1271.

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sondern um die Herstellung und Transformation einer Szene der Darstellung und der Analyse. Diese Szene ist – bei Freud und bei James – eine der Implikation, in der die unauflösbare Ineinanderfaltung des Unbewussten und der Analyse, des Objekts und des Subjekts denkbar wird.12 Wie Shoshana Felman mit Lacan hervorhebt, ist Freuds ›Entdeckung‹ des Unbewussten vor allem »the discovery of a new way of reading«, die Theatralität der Psychoanalyse eine Implikation des Lesens.13 Felmans und Lacans Lektüre ist hier deswegen wichtig, weil sie Freud gegen die eigenen Phantasmen liest. Denn in dessen frühen Arbeiten überwiegt ein einfacher Begriff des Theatralen, in dem das theatrale Gebaren der Hysterikerin im Quasi-Theaterraum – auf dem Schauplatz – die Szene der Analyse zu einer der Sichtbarkeiten macht. Analog funktioniert das Unbewusste tendenziell als reine Verdrängung, so dass sich in der Szene der Analyse Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Präsenz und Absenz und nicht zuletzt Hysterikerin und Analytiker als abgrenzbare Entitäten gegenüberstehen. Das theatrale Moment erschöpft sich aber gerade nicht in dieser Bühnenfunktion des Hysterischen und das Unbewusste erweist sich nicht als einfaches Objekt der Lektüre, sondern als eine Relation oder Implikation zwischen dem Modus des ›Geheimen‹, den sinnlichen Verfahren der Lektüre und dem Phantasma der Lesbarkeit, die sich gegenseitig produzieren und deren Effekt die Konstruktion dessen ist, was den Namen »Unbewusstes« bekommt. ›Lesen‹ heißt dann, to follow the mystery, »not so much to capture the mystery’s solution, but to follow, rather, the significant path of its flight«14. Freuds späte Untersuchung des Wiederholungszwangs in »Jenseits des Lustprinzips« (1920) macht diese implizite Szene der Analyse der frühen Hysterie-Studien deutlich. In der Wiederholung wird das Unbewusste nicht einfach in die bewusste Erkenntnis der Erinnerung übersetzt; der Vorgang ist komplizierter: In Betracht gezogen werden muss vor allem der Bezüglichkeitsmodus der sogenannten Übertragung, der das »Maß von Überlegenheit« des Analytikers in Frage stellt.15 Denn während Übertragung die von unbewussten Wünschen ausgehende Aktualisierung eines Beziehungstypus ist, die darin bestehen kann, Vorstellungen auf die Person des Arztes zu verlagern, ist diese nicht ein Neben-

12

Vgl. zur »Implikation« Shoshana Felman, »To Open the Question«, in: Yale French Studies, Nr. 55/56: Literature and Psychoanalysis. The Question of Reading: Otherwise (Januar 1977), S. 5–10.

13

Vgl. Felman, »Turning the Screw«, S. 118; siehe Lacan, »Kanzer Seminar«.

14

Felman, »Turning the Screw«, S. 119.

15

Sigmund Freud, »Jenseits des Lustprinzips«, in: Studienausgabe, Bd. III: Psychologie des Unbewußten, hg. von Alexander Mitscherlich, James Strachey und Angela Richards, 10. Aufl. (Frankfurt am Main: Fischer, 2010), S. 214–272, hier S. 229.

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effekt, sondern eines der Ziele der Analyse, insofern sie die Lektüre des Unbewussten ermöglicht.16 Gleichzeitig aber bezeichnet Übertragung »die Neigung, nicht nur zu wiederholen, ohne es zu wissen, sondern auch der Anstrengung des Analytikers zu widerstehen […]«17. Der Widerstand der Übertragung besteht dabei zum Teil darin, das Vergangene nicht als Vergangenes identifizier- und erinnerbar zu machen, sondern »das Verdrängte als gegenwärtiges Erlebnis zu wiederholen, anstatt es, wie der Arzt es lieber sähe, als ein Stück der Vergangenheit zu erinnern«18. Das heißt, dass sich das theatrale Moment des Unbewussten und der Analyse nicht im hysterischen Gebaren und in dessen bühnenhafter Sichtbarkeit erschöpft, der ein einfacher Begriff des Sehens/Lesens korkorrespondiert. Übertragung markiert vielmehr den Bezüglichkeitsmodus der Implikation, der zur Inskription des Unbewussten in die Gegenwärtigkeit der Szene der Analyse führt. Insofern ist Übertragung eine ›schief-gehende‹ Adressierung und provoziert gerade als solche die Lektüre, der sie zugleich immer und kategorisch widersteht. Was darin für Daisy Miller zur Debatte steht, sind oblique Autorpositionen, die Begehrensstrukturen und Verführbarkeiten der Lektüre und die theatralen Transformationsmomente der Positionierungen. Die Vereindeutigung ambivalenter Sinnmomente und die nachträgliche Installierung eines Handlungstelos beruhigen vielleicht die Aufregung nicht zuletzt des Autors selbst, stehen als defensive Zurücknahme aber in keinem Maß und keiner Relation zu dem Text, den James geschrieben hat. Was in der Zurücknahme erneut lesbar wird, bleibt ein Skandal. Dieser besteht zum Teil darin, dass sich Daisy Miller kategorisch nicht zu jener little story machen lässt. Er besteht aber vor allem in der vielfach betonten Vermessenheit – »the little tragedy of a light, thin, natural, unsuspecting creature being sacrificed as it were to a social rumpus that went on quite over her head and to which she stood in no measurable relation«19. Auch James’ spätes Bemühen um das Privileg des ›Autor-Vaters‹, über die ›wirklichen‹ und ›wahren‹ Motive Daisy Millers Auskunft geben zu können – »I will answer you as concisely as possible«, »[s]he didn’t try to provoke and stimulate«20 –, bleibt Teil einer lustvollen Ökonomie der Vermessenheit, provocations und stimulations.

16

Vgl. Laplanche und Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, S. 550–559.

17

Weber, Freud-Legende, S. 151.

18

Freud, »Jenseits des Lustprinzips«, S. 228.

19

James, Letters 1875–1883, Bd. II, S. 304; vgl. auch Fogel, Daisy Miller, S. 17ff.

20

James, Letters 1875–1883, Bd. II, S. 304.

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F LIRTING D AISY : A N

WESSEN

A DRESSE ?

Unter to flirt verzeichnet der Oxford English Dictionary die etymologische Nähe zu den Verben to flick (›umschalten‹) and to spurt (›vorwärtsschnellen‹), außerdem zu den Nomen joke und gibe und damit zum Umfeld des Witzes.21 Entsprechend ist Daisies flirt durch das Umkippen von Bedeutungs- und Bezugsrichtungen und das Spiel mit Verzögerung und Vorwegnahme bestimmt, die ihm insgesamt die Struktur eines theatralen ›Als ob‹ geben. Daisies literarische Modi, ihre versetzten und ›umkippenden‹ Pointen, sind denjenigen ihres Bruders Randolph entgegengesetzt, der mit einem »alpenstock« auftritt, »the sharp point of which he thrust into everything that he approached – the flower-beds, the garden-benches, the trains of the ladies‹ dresses. In front of Winterbourne he paused, looking at him with a pair of bright, penetrating little eyes« (S. 239f.). Mit dieser Form alpenstock-artiger penetration nähert sich Winterbourne Daisy – »what conditions could be better than these? – a pretty American girl coming and standing in front of you in the garden« (S. 241f.). Gegenüber dieser Geradlinigkeit und Zielgerichtetheit sind Daisies Bewegungsrichtungen ›drehend‹, ›kurvig‹, fortgerichtet/etwas anderem entgegen: »This pretty American girl […] simply glanced at him; she than turned her head and looked over the parapet, at the lake and the opposite mountains« (S. 242). Daisies Modus sind »sudden familiarities and caprices« (S. 260), indirekte Drehungen, Wendungen, Plötzlichkeiten, während Winterbourne »a formal offer« (S. 259) anbietet und einfordert, ein direktes Statement. Wenn James Daisies Flirt als »frivolous outre mesure«22 beschreibt, dann ist damit weniger moralisches Unmaß, denn die im Text thematisierte Instabilität der Relationen benannt: Während für Winterbournes observation die weiblichen Körper in angemessener Distanz als erblickbare Objekte dem maßnehmenden Studium vorliegen müssten, ist das Flirtive die Durchkreuzung jenes Maßes und der ihm eigenen Possessiv- und Verobjektivierungsstrukturen. Daisies uneindeutiger Objektstatus verhindert nicht nur das angemessene Maß der Werbung (courtship), sondern insgesamt calculation, interpretation und intelligibility,23 indem flirtation »[a] libidinal form of loitering without intent«24 ist. Gleichzeitig

21

»flirt, v.«, OED Online, June 2013. Oxford University Press, http://www.oed.com

22

James, Complete Notebooks, S. 37.

23

Vgl. dazu David Southward, »Flirtations in Early James«, in: Nineteenth-Century

(letzter Zugriff: 14. August 2013).

Literature 52, Nr. 4 (März 1998), S. 490–516. 24

Kaye, The Flirt’s Tragedy, S. 4.

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kokettiert flirtation als Zurschaustellung und ›Veröffentlichung‹ libidinöser Triebe mit dem Objektstatus und fügt sich so weder in die (privaten) Erzählungen romantischer Innerlichkeit und Liebe noch in die öffentlichen Belange sozialer Reglementierung. Denn auch wenn der Text darüber schweigt, was genau passiert, Daisies intrigue mit Giovanelli ist keine heimliche love affair, die herausgefunden werden müsste: »›Do you call it an intrigue‹, Winterbourne asked – ›an affair that goes on with such peculiar publicity?‹« (S. 284). Daisies walks mit Giovanelli durch den römischen Pincio sind im Gegensatz zu jenen heimlichen Ehebrüchen und unausgesprochenen Gedanken romantischen Begehrens und romantischer Lektüre öffentliche – dezidiert beobachtbare und als solche skandalöse – Szenen. Literarisch und epistemologisch besteht ihr Skandal in genau dieser übersteigerten Transparenz, die keine verborgene Bedeutung und kein hintergründiges Geheimnis zur Verfügung stellt und so die entschlüsselnde Lektüre stört. Romantheoretisch ist das Flirtive damit die Unterbrechung jener für den englischen Roman des 19. Jahrhunderts geltende Maßgabe der modesty, die gerade, indem sie zensiert und ›verdrängt‹, den libidinösen Untergrund der Texte und der Lektüren beflügelt.25 Flirtation hingegen ist, »when desire refuses to follow the libidinal model […], when eros is neither completely submerged nor fully expressed, but suspended in a series of deferral«26. In dieser Affirmation der Versetzung speist das Flirtive ein Intransitives in die eindeutige Objektbezogenheit libidinösen Begehrens ein. Dieses Moment der Versetzung provoziert eine potenziell unendliche Multiplikation der Objekte, die sich dem binären, in sich geschlossenen und finalistischen Schema libidinalen Begehrens entgegensetzen. Das Flirtive als »loitering without intent«27 ist der Entzug der kausalen Logik jeder gerichteten textuellen Libido und narrativen Teleologie. Zum einen führt die versetzende Alterisierung die Unmöglichkeit endgültiger Stillstellung von Signifikationsprozessen vor. Denn wenn Daisy Millers Flirt ein impliziter Einspruch gegen die Literalität der Figur und des Texts ist (s.o.), dann, weil – wie Felman über James’ »The Turn of the Screw« schreibt – [t]he literal […] stops the movement constitutive of meaning, because it blocks and interrupts the endless process of metaphorical substitution. The vulgar, therefore, is anything which misses, or falls short of, the dimension of the symbolic, anything which rules out, or excludes, meaning as a loss and as a flight, – anything which strives, in other words, to

25

Vgl. Ruth Bernard Yeazell, Fictions of Modesty: Women and Courtship in the Eng-

26

Kaye, The Flirt’s Tragedy, S. 2.

27

Ebd., S. 4.

lish Novel (Chicago: University of Chicago Press, 1991).

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eliminate from language its inherent silence, anything which misses the specific way in which a text actively ›won’t tell‹.28

Während im flirt der Austausch und die Multiplikation der libidinösen Objekte dem »endless process of metaphorical substitution« entsprechen und der Eindeutigkeit und Endgültigkeit der Sinnproduktion entgegengehen, zeugt Daisy Miller darüber hinaus von der von James ›gefürchteten‹ und nicht zuletzt mit der Theaterbühne verbundenen vulgarity.29 Die ›Plattheit‹ des flirts kokettiert mit »[the] literal denomination«30, droht damit, den Zeichen ihr zu entschlüsselndes Geheimnis zu nehmen und damit der Lektüre ihren Grund.31 Insofern verhandelt Daisy Miller nicht nur »[a] crisis in erotic ›epistemology‹«32, sondern eine Herausforderung des Literarischen und seiner Epistemologie insgesamt. Daisy Millers flirt kann mit Roland Barthes Plaisir du Texte beschrieben werden: Folgt man Barthes Unterscheidung von Lust (plaisir) und Wollust (jouissance), changiert Daisy Miller. A Study beständig zwischen diesen beiden Modi und konfrontiert sie miteinandner in der Form einer impliziten Theorie des Texts. Die Lust verweist auf den »Ort und [die] Zeit der Lektüre: Haus, Provinz, nahe Mahlzeit, Lampe, Familie, wo sie hingehört […]. Außerordentliche Verstärkung des Ich (durch das Phantasma); gedämpftes Unbewußtes. Diese Lust kann gesagt werden: von da kommt die Kritik«33. Auf diese Lust bleibt der Flirt bezogen, flirtet selbst mit dieser Lust – mit der Form, der Teleologie, der Sukzession, der Lesbarkeit, dem Heim, der Verortung. Jouissance hingegen meint »Texte der Wollust. Die Lust in Stücken; die Sprache in Stücken; die Kultur in Stücken. Sie sind insofern pervers, als sie außerhalb jeder vorstellbaren Finalität sind […]«34. Plaisir und Jouissance gehören zusammen. Jouissance ist das Episodische des Flirts, das die Lektüre stört, indem es Szenen macht, die sich nicht in die narrativen Ketten fügen, Stückwerk bleiben. Das Flirtive gehört zum Episodischen, insofern es un-heimlich ist, nicht aufgeht in – wie Barthes schreibt – »Familie, wo

28

Felman, »Turning the Screw«, S. 107.

29

Vgl. ebd., S. 106ff.; vgl. Litvak, Caught in the Act, S. 245ff.

30

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1270.

31

Vgl. zum skandalösen Moment der Literalisierung Barbara Natalie Nagel, Der Skandal des Literalen. Barocke Literalisierungen bei Gryphius, Kleist, Büchner (München: Wilhelm Fink, 2012).

32

Kaye, The Flirt’s Tragedy, S. 12.

33

Roland Barthes, Die Lust am Text, 11. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006), S. 77.

34

Ebd.

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sie hingehört«, vielmehr immer auch Unzugehörigkeiten und Allianzen stiftet, ›wo sie nicht hingehören‹.

V ERSETZTE S ZENE : T AKING P LACE /W AYS

OF

P LACEMENT

Diejenige Formel, die gegen Ende von Daisy Miller den Lektüreprozess Winterbournes plötzlich abbricht, heißt: »It was as if a sudden illumination had been flashed upon the ambiguity of Daisy’s behavior, and the riddle had become easy to read« (S. 291). Die Formel umschreibt dasjenige hermeneutische Prinzip, wonach Lektüre und Geheimnis sich wechselseitig bedingen, wonach – wie oben beschrieben – das Lesen der Aufdeckung eines Geheimnisses dient, das die Lektüre braucht und vice versa. »Sudden illumination« bezeichnet dabei das Prinzip des Vor-Augen-Stehens und das vor-Augen-stellende Moment der Lektüre. In Daisy Miller hingegen ist diese Verwendung ironisch, denn verwiesen ist auf eine Versetzungsstruktur innerhalb des Textes. In einer derjenigen wenigen Szenen, die sich zwischen Winterbourne und Daisy einigermaßen explizit als Szene der Werbung abspielt – bevor sie sich auf ungewusste Weise mit Giovanelli liiert und Winterbourne nurmehr deren Liaison und Flirt beobachtet –, geht es um die Verkreuzung von theatralem Zur-Schau-Stellen und Winterbournes »formal offer« (S. 259). Mit der Formel, »›Oh, well, we’ll go some day‹, […]. And she gave him a smile and turned away« (S. 249), schiebt Daisy ein ums andere Mal das Rendezvous mit Winterbourne auf. Daisies flirt ist hier Abenteuer im wörtlichen Sinn – ad-ventus – das, was im Aufschub sein Kommen verspricht. Am folgenden Tag spekuliert Winterbourne erneut auf ein »têtê-à-têtê with the young lady« (S. 258), einen zweisamen Ausflug zu Schloss Chillon. Von Daisy beflügelt, steigt Winterbournes Verlangen: »And he desired more and more to make it a certainty that he was to have the privilege of a têtê-à-têtê with the young lady« (S. 258). Es bleibt offen, ob sich sein Verlangen primär auf die nackte Tatsache der Sicherheit oder die sicherlich weniger nackte des têtê-à-têtê in Chillon bezieht. Die Szene, die sich vor Winterbournes innerem Auge – mithin vor demjenigen des einfühlenden Lesers – bildlich entfaltet und textuell hätte entfaltet sein können, ist in formelhafter Romantik kondensiert. Nichts erfährt der Leser über das imaginative Potenzial Winterbournes und das veranschaulichende James’. Stattdessen steht im Text »›I will row you over to Chillon, in the starlight‹« (S. 258) formelartig ein für die fehlende Anschaulichkeit und im Folgenden die verschobene Szene. Diese versprechende Formalisierung wird von Daisy zweifach quittiert: »›I like a gentleman to be formal!‹« und »›I was bound I would make you say something‹« (S. 259). Der Text entfaltet eine Art struktu-

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relle Zwanghaftigkeit zur Formel, in der Sprache eine Szene – oder eine gelesene Bildfolge – ausmalt, die (hier) im Text nicht statthat oder aber im Modus des Flirts aufgeschoben wird. Die Passage endet damit, dass Daisy tatsächlich das Gerudere verschiebt – »That’s all I want – a little fuss!« (S. 260). Mit diesem Bekenntnis zum Theatralen verabschiedet Daisy den reichlich ›hochgeruderten‹ Winterbourne in die Nachtruhe. Der theatrale Effekt ist hier die Wirkkraft der Rede, die statthat, indem sie aufschiebt: Im flirtiven Dialog wird das in Aussicht gestellte têtê-à-têtê verschoben, Winterbourne versetzt in much ado about nothing. Daisies Flirt unterbricht nicht einfach die Erfolgsstory dieses têtê-à-têtê. Es ist sowohl das private Moment des têtê-à-têtê als auch das ›Zusammenkommen‹ oder ›sich Treffen‹ des Rendezvous, das Kopf-an-Kopf oder face-to-face, das hier kategorisch nicht stattfindet, das Stelldichein, das sich nicht an den rechten Ort stellt. Dieser Bewegung des Aufschubs stellt James ein zweites Moment zur Seite: eines, das platziert, das an einen Ort stellt und dadurch Tat-Sachen herstellt, das konstruktiv funktioniert. Angelehnt an eine Beobachtung Kenneth Burkes können James’ Texte als »drama of Things«35 bestimmt werden. Im Preface zu Daisy Miller lässt James gegen seinen Text einwenden, dass es ein »Ding« hätte geben können, das dem Text nun abgeht, ein »Ding«, das der Text nun nicht (mehr) hat: »You know you quite falsified, by the turn you gave it, the thing you had begun with having in mind, the thing you had had, to satiety, the chance of ›observing‹.«36 Burkes Drama der Dinge, in dem James’ Dinge als »household gods« bezeichnet werden,37 bezieht sich auf den Roman The Spoils of Poynton (1896/97), der nicht zufällig die Geschichte einer Enteignung erzählt: Es geht darin um einen sonderbaren englischen Rechtsfall, der vorsieht, dass die Besitztümer – die Dinge – der Mutter im Fall der Heirat des Sohnes an diesen bzw. an dessen Ehefrau übergehen. Bei den spoils geht es dabei vor allem um intérieure Besitztümer, »household things«: Um eine beachtliche collection an Möbeln, Vasen etc., die zugleich die recollection der mütterlichen Lebensgeschichte sind. Burke stellt heraus, dass die Dinge in James’ Texten »an ›enigmatic‹ signature of the hierarchic motive« tragen; das heißt, sie vermessen einen Ort, weisen diesen zu oder ent-eignen ihn – wie im Fall der Spoils of Poynton, wo der Haushalt – das Heimische – zur Beute wird.

35

Kenneth Burke, A Rhetoric of Motives (Berkeley; Los Angeles: University of Cali-

36

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1271.

37

Burke, Rhetoric, S. 295.

fornia Press, 1969), S. 295.

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Als szenisch benennt Burke solche Textlogiken, die das Augenmerk auf positionale Aspekte lenken. In solchen ist das Szenische nicht eine Metapher für Kontextuelles im Allgemeinen, sondern sehr konkret als Situation und Situationierung verstanden.38 In diesem Sinn sind positionale Argumentationen ›materialistisch‹, »ways of placement«, funktionieren raumverteilend und anordnend.39 Das führt dazu, dass action – what takes place, was passiert – zu einer topografischen oder topologischen Größe wird. Dass Raumaufteilung eines der grundlegenden Elemente von Theatralität ist, betont auch Weber: »[T]heatre […] is inseparable from a certain disposition of space, from a locality that is divided into two interdependent but distinct parts, the space of the stage and that of the audience.«40 Schon Aristoteles’ Tragödientheorie und ihr teleologisches Konzept des Dramas sind durchzogen von einer solchen Theatralität, die wesentlich räumlich funktioniert und die Linearität der Dramenhandlung unterbricht.41 Gegen diejenigen Lektüren, die James als ›psychologischen Realisten‹ hervortun,42 kann dieser situativ-räumliche Aspekt der James’schen Texte hervorgehoben werden. Vor dem Hintergrund dieses Dramenbegriffs – oder besser: Dramatismus – ist mit »the thing you had had« benannt, dass der romaneske Text Ver- und Entortungen vornimmt. Neben der Versetzungsbewegung des theatralen ›Als ob‹ kristallisiert sich James’ szenische Methode in diesen Dingen

38

Burke führt den Begriff Dramatism im angelsächsischen Kontext ein: »Dramatistisch« ist die Frage nach Begründungslogiken, nach denjenigen impliziten Fragen, die Texten, insofern sie auf diese antworten, zu Grunde liegen. Vergleichbar Deleuze’ Dramatisierung, ist auch für Burke Dramatism eine Methode, mit der Begriffe dynamisiert werden: Begründungszusammenhänge und Motivationslogiken sind Prozesse der Dramatisierung, für die Burke die Kategorien des Dramas als »pentad of key terms« übernimmt. Die »key terms of Dramatism« sind scene, act, agent, agency, purpose. Vgl. Burke, A Grammar of Motives.

39

Vgl. ebd., S. 13 bzw. S. 3ff.

40

Weber, »Psychoanalysis and Theatricality«, S. 33.

41

Ironischerweise gibt es in Aristoteles’ zentralem Tragödienbeispiel – Sophokles’ König Oedipus – keine action im engeren Sinn – »nothing except a series of speeches and messages and dialogues, nothing but language«. Ebd., S. 38. Vgl. auch Felmans Beobachtung, »that the essence of tragedy might be not the act, but rather the speech act […]«, Felman, Literary Speech Act, S. 95.

42

Vgl. zu dieser Einordnung exemplarisch Walter F. Schirmer, Geschichte der Englischen und Amerikanischen Literatur, Bd. 2: Vom Klassizismus bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Arno Esch, Neuaufl. (Berlin: De Gruyter, 1983); Hubert Zapf (Hg.), Amerikanische Literaturgeschichte (Stuttgart: Metzler, 1996).

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und den an ihnen ablesbaren Bewegungen der (Ent-)Ortung. Während Daisy Miller auf den ersten Blick wesentlich a little fuss ist, Formalisierungen, talking, lenkt der Text so das Augenmerk auf eine räumlich-situative Dimension, in der es nicht um fertige Charaktere und abgrenzbare Handlungen geht. So wird ein Begriff von Charakter denkbar, der sich gerade aus den Relationen herleiten lässt: »[T]he significance of events, persons and things, depends not on their inner, self-identical substance, but on their situation, literally, on their placement, on their relation to others.«43 Diese »ways of placement« sind ein unabschließbarer Prozess. Placement bezeichnet die basale theatrale Qualität: »the arrangement of the place, the positioning of the people and the things in it«44, sowie die Implikation des Zuschauers/Lesers innerhalb dieser Anordnung. Dass action nicht einfach statthat, indem sie einen Raum vorfindet, sondern raumverteilend ist, zeichnet Handlung als szenische aus. Hinzu kommt aber noch, was Weber mit Theatricality as Medium bezeichnet: Theatralität ist der – für den hiesigen Kontext – romanesker Literatur eingeschriebene Hinweis auf die literarische Medialität, das heißt auf die Weisen sprachlicher Platzierung und Situierung. Von hier aus lässt sich fragen, inwiefern Austins doing things with words – worum es dem folgenden Unterkapitel geht – in einem sehr konkreten und ›materialistischen‹ Sinn eine Szene macht.45 Denn bei Austin funktionieren Begriffe wie ›Situation‹, ›Umstände‹ oder ›Kontext‹ als räumliche.46 Entsprechend ist das referenzielle Moment des Konstativen nicht ›universell‹ und auch nicht einfach ›erkennend‹, ›abbildend‹ oder ›widerspiegelnd‹, sondern agiert selbst in einem Raum, bezogen auf eine bestimmte ›Realität‹. »Referential knowledge of language«, schreibt Shoshana Felman, ist »knowledge that has to do with reality, that acts within reality […]. The referent is no longer simply a preexisting sub-

43

Weber, »Psychoanalysis and Theatricality«, S. 38.

44

Samuel Weber, Theatricality as Medium (New York: Fordham University Press, 2004), S. 4.

45

Vgl. Felmans Hinweis auf Austins »Materialism«, Felman, Literary Speech Act,

46

Allerkamp weist darauf hin, dass Austins Verwendung von Begriffen wie ›Situati-

S. 145. on‹, ›Umstände‹ oder ›Kontext‹ fälschlicherweise dazu geführt hat, dass die Theorie des Performativs als eine der Referenz verstanden werden konnte, z.B. bei Searle, aber auch bei Iser. Vgl. Allerkamp, Anruf, Adresse, Appell, S. 61; vgl. John R. Searle, »Reiterating the Differences: A Reply to Derrida«, in: Glyph 2 (1977), S. 198–208; vgl. Wolfgang Iser, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, 2. Aufl. (München: UTB, 1983).

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stance, but an act, that is, a dynamic movement of modification of reality«.47 Dabei spielen die Dinge insofern ein Rolle, als an ihnen die Anordnung und Verteilung des Raumes ablesbar wird: Das ist mit Burkes »hierarchic motive« ebenso bezeichnet, wie mit der Vermutung, James’ Dinge seien »charismatic vessels« und ihnen eigne eine ›Magie‹.48 »La chose« fungiert auch in der Lektüre Stéphane Lojkines als die Einschreibung der Szene in den Roman.49 Während er aber herausstellt, dass dieses Roman-Ding seine magische Dimension verloren hat, markieren James’ »household gods« ein versteckt ›sakral‹-›öffentliches‹ Motiv innerhalb des privaten Raums des Romans. Denn wenn es in James’ Texten um doing things geht, dann sind damit nicht nur, wie Hillis Miller darlegt, die res wie in res publica bezeichnet.50 Neben den public affairs schwingt bei James ein konkreter und tat-sächlicher Rest mit. Ihre Theatralität verweist damit nicht nur auf den Aspekt der Vorführung und Verführung, sondern auf das Moment der Situierung: Die konkreten ›Bühnen-Dinge‹ schreiben dem Ideellen einen materialen Aspekt ein und dem Idealen einen partikularen.

D OING T HINGS

WITH

W ORDS

Eine solche Unterbrechung des Idealen schreibt Barthes auch der jouissance zu, insofern sie einen »asozialen Charakter« hat: Sie ist »Verlust der Sozialität« und Störung gründender Subjektivität.51 Dass bei James Subjektivität dergestalt nicht als gründender Grund funktioniert, zeigt nicht zuletzt die Kritik an seinen dramatischen Texten: Daisy Miller. A Comedy wird von der Kritik mehrheitlich bewertet als »too much talk and not enough action«52, »talky, non-dramatic, and utterly un-actable«53. James’ Dramen scheitern am fehlenden Charakter (ethos),

47

Felman, Literary Speech Act, S. 68.

48

Burke, Rhetoric, S. 296.

49

Stéphane Lojkine, La Scène de roman. Méthode d’analyse (Paris: Armand Colin, 2002), S. 243.

50

Vgl. Miller, Speech Acts in Henry James, S. 1–11; vgl. auch Joseph Hillis Miller, Speech Acts in Literature (Stanford: Stanford University Press, 2002), S. 8–11.

51

Barthes, Die Lust am Text, S. 59.

52

James, Complete Plays, S. 117.

53

Wortman, »The ›Interminable Dramatic Daisy Miller‹«, S. 285; siehe auch William Stafford (Hg.), James’s Daisy Miller: The Story, the Play, the Critics (New York: Scribner’s, 1963).

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den Aristoteles’ Poetik als die Kongruenz von Rede und Taten beschreibt.54 Die »Gleichmäßigkeit« von Worten und Taten macht eine eindeutige Positionsbestimmung möglich, an deren latenter Anti-Theatralität noch das Cartesianische Cogito partizipiert: Jede dialektische Konzeption der Reflexion nimmt ihren Grund und Ausgangspunkt von der Bestimmtheit der Position.55 Außerdem scheitert James’ Drama an dem Postulat verkörpernder Charakterdarstellung, die Reden bleiben »talk, talk, talk«, »his characters are puppets of wax«.56 Den Reden fehlen die Körper zu ihrer Verortung und Versicherung. In dieser Kritik steckt mehr als die Forderung, die eine Bühnendarstellung unterbreitet: Hier ist, mit Deleuze gesprochen, die »Ursache der hervorgebrachten Aussagen […] kein Subjekt, das als Subjekt des Aussageakts, der Äußerung fungierte, und die Aussagen beziehen sich auch nicht auf Subjekte der Aussagen«57. Was nach Deleuze dann ins Spiel gebracht wird, sind »Vielheiten, Territorien, Affekte […]«58. Vergleichbar mit diesen ›A-Subjekten‹ der Comedy ist auch in Daisy Miller. A Study die Unkörperlichkeit der Titelheldin augenfällig, die darin kulminiert, dass ihr Leichnam im Text fehlt, an dem über den Tod hinaus etwas ›dingfest‹ gemacht werden könnte.59 Seit James’ Szene der Anrufung ist Daisy Miller vor allem female voice, eher hör-, als sicht- oder (deskriptiv) greifbar: »She was dressed in white muslin, with a hundred frills and flounces« (S. 241). In der späteren Überarbeitung des Texts für die New York Edition verstärkt James Daisies »nebulous aura«: »[N]o trace of the original physical manifestations are left behind, Daisy’s effect on Winterbourne really does end up seeming like charming – like working magic.«60 Eine Allegorie dieser Magie oder mysterious agency ist James das Gespenstische. Im Preface zu »The Turn of the Screw« grenzt James die beiden gespenstischen Widergänger Peter Quint und Miss Jessel von jenen parapsychologischen Erscheinungen ab, für die sich James’ älterer Bruder William zeitgleich interessiert: »the to-day so copious psychical record of cases of

54

Vgl. zum Charakter Aristoteles, Poetik, S. 47f.

55

Vgl. Gasché, The Tain of the Mirror, S. 21.

56

»The Drama«, in: Critic, 28. April 1883, S. 201–202; zitiert nach Wortman, »The ›Interminable Dramatic Daisy Miller‹«, S. 285.

57

Deleuze, »Angloamerikanische Literatur«, S. 59.

58

Ebd.

59

Vgl. zur literarischen Funktion des weiblichen Leichnams Elisabeth Bronfen, Over Her Dead Body: Death, Femininity and the Aesthetic (Manchester: Manchester University Press, 1992).

60

Cowdery, Nouvelle of Henry James, S. 78; James, Daisy Miller.

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apparitions«61, etwa Sinnestäuschungen oder Halluzinationen, die auf gesteigerte Hirntätigkeit zurückführbar sind. James kritisiert an dieser Psychologisierung des Gespenstischen die »negative quantity«, die den ›Figuren‹ so zukommt: »[D]ifferent things are done – though on the whole very little appears to be – by the persons appearing; the point is, however, that some things are never done at all […]. Recorded and attested ›ghosts‹ are in other words as little expressive, as little dramatic, above all as little continuous and conscious and responsive […].«62 James’ Gespenster hingegen sind dramatic: Sie sind »inconceivable figures in an action«63, »agents in fact«64: »[T]here would be laid on them the dire duty of causing the situation to reek with the air of Evil. Their desire and their ability to do so, visibly measuring meanwhile their effect, together with their observed and described success – this was exactly my central idea.«65 Doing things meint hier, eine Situation zu schaffen oder zu verändern – einen Unterschied zu machen, eine Szene zu (be-)setzen. Success ist hier nicht messbares Resultat oder telos und ebenso wenig in succession übersetzbar, sondern die prozessuale Maßnahme, das Ermessen einer (Wirk-)Kraft (effect) innerhalb einer szenischen Anordnung. Diese Form des Gespenstischen bezeichnet James als »pure romance«, während er die Erscheinungen, die vor allem seit der englischen und deutschen (Schauer-)Romantik für eine gesteigerte Wahrnehmungstätigkeit oder ein höheres Maß an Imagination stehen, als »little romantic« erachtet.66 Zwischen diesem Gespenstischen des Situativ-Szenischen und der Erotik der Verführung besteht ein Zusammenhang. Daisy Millers Flirt zeichnet sich vor diesem Hintergrund durch seine positive Qualität aus; er gehört zu den Dingen, die getan werden. Das drückt sich entweder im Verbot aus: »That girl must not do this sort of thing« (S. 274); oder als Affirmation: »But don’t they all do these things – the young girls in America?« (S. 252). Entsprechend ist die Minimaldefinition von romance hier die Verführungskraft, die aus diesen things bzw. things done entsteht: »[I]n whatever fashion the young American [Winterbourne] looked at things, they must have seemed to him charming« (S. 239). Diese charming things aber sind »a flitting hither and thither of ›stylish‹ young girls, a rustling of muslin flounces, a rattle of dance music in the morning hours,

61

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1186. William James gründete 1885 die American Society for Psychical Research (ASPR).

62

Ebd.

63

Ebd.

64

Ebd., S. 1187.

65

Ebd.

66

Ebd.; vgl. Fred Botting, Gothic (New York: Routledge, 1996).

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a sound of high-pitched voices at all times« (S. 238), die offensichtlich Daisy Millers Erscheinung »in white muslin, with a hundred frills and flounces« (S. 241) überblenden, vorwegnehmen und uneigentlich verdoppeln. Die akustische Dispersion – »a rustling of muslin flounces« – motiviert Worte in eine Verweis- und Versetzungsbewegung – fashion ist so ein gespenstischer agent: Von Winterbournes »fashion to look at things«, über die Mode der stylish girls, bewegt sich fashion zu Daisy Millers fashion of expression. »[Winterborune] had never yet heard a young girl express herself in just this fashion; never, at least, save in cases where to say such things seemed a kind of demonstrative evidence of a certain laxity of deportment« (S. 246). In Bewegung versetzt durch diese fashion werden Daisies things done zu things said und mehr noch: sagen machen – »She looked at him a moment and then burst into a little laugh. ›I like to make you say those things! You’re a queer mixture!‹« (S. 262). Das heißt, bei aller Versetzung und queeren Motivation ist Daisies Flirt ein Akt, Daisy does things with words. Daisies Erotik, ihre ›Macht‹, ihr charme resultieren aus der performativen Kraft der Worte. An dieser Stelle Austins kanonische William James-Lecture »How to Do Things with Words« (gehalten 1955, erschienen posthum 1962) heranzuziehen, liegt wegen des Motivs des Versprechens auf der Hand, das in Austins Überlegungen und in Daisy Miller für den flirt zentral ist. Wenn Daisy Miller Winterbourne fragt: »But did you really mean what you said just now; that you would go up there [to Chillon]?« (S. 248), geht es bei ihr nicht – wie bei ihm – um »a desire for trustworthy information« (S. 252), um die Verbindlichkeit einer Sprache und eines Sprechaktes, die herzustellen und darin zu versichern wissen, was sie sagen. Vielmehr richtet sich ihre Frage an die performative – persuasiv-verführerische – Kraft der Sprache, die im Akt des Versprechens exemplarisch zur Debatte steht.67 Denn selbst wenn beim nächsten Treffen Winterbourne versprechend versichert: »I will row you over to Chillon, in the starlight«, weiß Daisy zu kontern: »I don’t believe it!« (S. 258). Denn um den Wahrheitswert der Aussage geht es ihr gar nicht, sondern darum, die Situation der Überredung und Überzeugung – der versprechenden Verführung – selbst vorzuführen: »I assure you it’s a formal offer«, versichert Winterbourne

67

Vgl. Felman, Literary Speech Act, vor allem Kapitel II: »The Perversion of Promising. Don Juan and Literary Performance« (S. 23–58); vgl. auch die Neuedition Shoshana Felman, The Scandal of the Speaking Body: Don Juan with J.L. Austin, or Seduction in Two Languages (Stanford: Stanford University Press, 2002). Siehe hier besonders das Vorwort von Stanley Cavell und das Nachwort von Judith Butler. Vgl. auch Stanley Cavell, Must We Mean What We Say? (Cambridge; New York: Cambridge University Press, 1976).

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erneut: »›I was bound I would make you say something‹, Daisy went on« (S. 259). Was Daisy Winterbourne wiederholen lässt, ist nicht der konstative Aspekt seiner Aussage, den sie bezweifelt, sondern deren Verführungskraft, die sie begehrt. Was Daisy Winterbourne ›sagen macht‹, wozu sie ihn verführt, indem sie mit Worten ›Dinge tut‹, ist: Dinge mit Worten zu tun. Als Donjuanism bezeichnet Shoshana Felman diesen performativen – seduktiven – Aspekt von Sprache. Für Don Juan, den immer wieder neu versprechenden Verführer, ist saying immer doing, »acting on the interlocutor, modifying the situation and the interplay of forces within it. Language, for Don Juan, is performative and not informative; it is a field of enjoyment, not of knowledge«68. Sprache ist hier nicht Mittel der Verführung, sondern »the true realm of eroticism«: »To seduce is to produce language that enjoys, […]. To seduce is thus to prolong, within desiring speech, the pleasure-taking performance of the very production of that speech […]«.69 Vor diesem Hintergrund wird lesbar, inwiefern es in der oben zitierten Passage aus Daisy Miller nicht nur um ein Schief-Gehen von Kommunikation geht, sondern in einem kategorischen Sinn um Nicht-Verstehen und aneinander Vorbeisprechen. Kommunikabilität misslingt hier notwendigerweise, indem die flirtive Sprache zwar vehement Situationen herstellt und Positionen verortet, dabei aber keinen endgültigen oder stabilen Rahmen des ›Konventionellen‹ bietet. Diese Inkommunikabilität flirtiver Sprechakte ist in der späteren Comedy als Skandal bezeichnet, der – verursacht von der Theatralität der Szene – die Seriosität sprachlicher Interaktion in Frage stellt: WINTERBOURNE. She produced a fearful amount of scandal […]. MME DE KATKOFF. Try to make her serious. That’s a mission for an honest man!70

Die Sprache der Theaterbühne ist bei Austin das zentrale Beispiel für den Sprachgebrauch, den er non-serious oder not normal nennt und aus seiner Untersuchung zum Funktionieren von Sprache ausklammert.71 Dies ist nicht zufällig so: Es ist nämlich dieses theatrale Moment der Sprache und ihres ›Tuns‹, das Austins kategorische Trennung zwischen den ›gelingenden‹ und den ›misslingenden‹ Sprechakten unterminiert. Die flirtiv-theatralen Sprechakte, so möchte ich zeigen, sind nicht nur das Schief-Gehen der Kommunikation und der Kom-

68

Felman, Literary Speech Act, S. 27.

69

Ebd., S. 28.

70

James, Complete Plays, S. 143f.

71

Austin, Things with Words, S. 22.

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munikabilität, sondern auch derjenigen Sprachtheorie, die diese Akte zu klassifizieren sucht. In Austins How to Do Things with Words bezeichnen Performatives, »that the issuing of the utterance is the performing of an action«72, d.h. Aussagen, in denen »words are used in order to do something other than making an assertion«73. Unterschieden sind diese von den constatives, die referenziell und hinsichtlich »true« oder »false« beurteilbar sind. Constatives sind deskriptiv, »statements of fact«74; performatives hingegen »accomplish an act through the very process of their enunciation«75. »I do (sc. take this woman to be my lawful wedded wife) – as uttered in the course of the marriage ceremony«, ist Austins erstes Beispiel für die performatives.76 »I do« hat hier den Charakter von »I promise…/I give my word…«: Dieses »gegebene« Wort aber ist nicht konstativ, sondern performativ, »[it] produce[s] an event«77, ist commitment gegenüber derjenigen Situation, die die Worte »tun«.78 Die implizite Frage, die Austins Überlegungen durchzieht und an der seine Klassifizierung letztlich scheitert, richtet sich auf das Problem der Unterscheidbarkeit von constatives und performatives: Gibt es eine rein konstative und eine rein performative Sprache? Max Black gibt Austins Lecture den Untertitel »In Pursuit of a Vanishing Distinction«: »One might […] be led to think of the ›performative‹-›constative‹ contrast as dealing with aspects of utterances, rather than with mutually exclusive classes of utterance.«79 Und auch Austin selbst kommt zu dem vorläufigen Schluss, dass »the dichotomy of performatives and constatives […] has to be abandoned in favor of more general families of related and overlapping speechacts«80 – denn »[a]ll constative statements are at least a little performative, and

72

Ebd., S. 6.

73

Max Black, »Austin on Performatives«, in: Philosophy 38, Nr. 145 (1963), S. 217– 226, hier S. 217.

74

Austin, Things with Words, S. 1–4; vgl. Felman, Literary Speech Act, S. 15ff.

75

Felman, Literary Speech Act, S. 15.

76

Austin, Things with Words, S. 5.

77

Felman, Literary Speech Act, S. 16.

78

Zum commitment vgl. Miller, Speech Acts, S. 2.

79

Black, »Austin on Performatives«, S. 223.

80

Austin, Things with Words, S. 150; vgl. Miller, Speech Acts, S. 15f. Im Folgenden ersetzt Austin die Unterscheidung durch die Trias, locutionary – illocutionary – perlocutionary act, die für meaning/reference, context/the conventional und effects on the interlocutor stehen. Vgl. Austin, Things with Words, S. 94ff.

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vice versa«81. Felman liest Austins Unterscheidung in Performativa und Konstativa nicht nur als alternative Sprachverständnisse, sondern das Performative als der Sprache selbst inhärente Dekonstruktion des Konstativen, auf dessen Funktion und Funktionieren es dennoch bezogen bleiben muss: »Austin, however, deconstructing – like Don Juan – the founding, originary value of the ›first‹, is conscious on his turn of the fact that the very performance of the performative consists precisely in performing the loss of footing: it is the performance of the loss of the ground.«82 Denn statt einmal zu versprechen, verspricht Don Juan (sich) immer wieder und wird so zum »symptom of the self-subverting power of the performative«83 und zur Untergrabung der Autorität performativer Setzung. Insofern wird der Mythos Don Juans zu einem »myth of the promise of consciousness falling flat on its face. […] the promise of consciousness is nothing but the promise of Heaven, the promise of the constative«84. Vor diesem Hintergrund sind Daisy und Winterbourne in oben zitiertem Dialog nicht länger strikt voneinander trennbare Aspekte der Sprache, sondern werden zu einer Kippfigur, die auch in Barthes Plaisir/Jouissance artikuliert ist. Denn in dieser geht es nicht schlichtweg um Nothing/Non-sense: Like linguistics, literature believes in meaning; like the philosophy of language, it deconstructs its own belief. Between the authority of the broken promise and the authority of the promise believed in […], literature is precisely the impossibility of choice: the impossibility of keeping the promise of meaning, of consciousness; the impossibility of not continuing to make this promise and to believe in it.85

Auch wenn der literarische flirt gerade jene Form der Verführung ist, die das Versprechen auf Erfüllung kategorisch zurücknimmt und die eigene Verführung beständig dekonstruiert, ist er zugleich das Versprechen, immer weiter und ohne Ende zu verführen, und die Artikulation eines (trotzig-komischen) Glaubens an das Gelingen der Verführung. Failure oder success ersetzen im Fall der performatives das logische true/false-Kriterium: »[…] since in this case, to speak is to act, performative utterances, inasmuch as they produce actions, and constitute operations, cannot be logically true or false, but only successful or unsuccessful, ›felicitous‹ or ›infeli-

81

Miller, Speech Acts, S. 15.

82

Felman, Literary Speech Act, S. 64.

83

Ebd., S. 51.

84

Ebd., S. 52.

85

Ebd., S. 68.

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citous‹«.86 Infelicitous meint Schief-Gehen: »[S]omething goes wrong and the act […] is therefore at least to some extend a failure.«87 Success wiederum setzt hier ein Maß oder einen Rahmen der Beurteilung voraus, der als convention oder conventional procedure diejenige Situation präfiguriert, in der sich dann das Gelingen oder Misslingen ereignen kann. Das ist der bei Austin vielfach betonte rituelle oder zeremonielle, d.h. allgemein konventionelle Charakter der Performativa.88 Tatsächlich hängt an dem Status dieses ›Konventionellen‹ die gesamte Unterscheidung – ihr Gelingen – zwischen Performativa und Konstativa. Derrida hat darauf hingewiesen, dass das Konventionelle (die Struktur der langue) keine der einzelnen Rede (parole) äußerliche und ursprünglich fixierbare Größe ist; dass vielmehr jede Rede die Struktur aktualisiert und versetzt (iteriert); und dass damit die Kommunikabilität, die der Kontext der Rede sichern soll, nicht der Normalfall, sondern das »Parasitäre« der Sprache ist (das Austin als Sonderfall »unseriöser« Sprache ausschließt89), ihr inhärentes Schief-Gehen.90 Um dieses notwendige Schief-Gehen der Kommunikabilität geht es der Herausforderung des Konventionellen in Daisy Miller. Austins parasitärer »[actor] on the stage«91 wirft Licht darauf, dass Sprache nicht nur gewöhnlich/normal/konventionell, sondern immer auch – und zwar gleichzeitig und ohne eindeutig unterscheidbar zu sein – »in a peculiar way«92 funktioniert. Das heißt, dass das ›Konventionelle‹ und der konkrete Akt einerseits zusammengehören und aufeinander bezogen sind, andererseits niemals ineinander aufgehen. Die theatrale Sprache fragt im und am sprechenden Körper nach dem Abstand und dem ›Kampfplatz‹ zwischen dem Allgemeinen und Wiederholbaren der Sprache (immer wieder Hamlets Worte) und dem Singulären der Rede. Die Theaterbühne ist die Denkfigur dafür, dass der individuelle Körper und die artikulierte Rede gerade und zwingend nicht kongruent sind und der Körper weder Ursprung noch Endpunkt der Artikulation ist. Mit anderen Worten: In dieser uneigentlichen,

86

Ebd., S. 16.

87

Austin, Things with Words, S. 14.

88

Vgl. Black, »Austin on Performatives«, S. 222 (bes. Fußnote 1).

89

Vgl. Austin, Things with Words, S. 22.

90

Vgl. Derrida, »Signatur Ereignis Kontext«; vgl. zur Debatte zwischen Derrida und Searle: Jacques Derrida, Limited Inc (Evanston: Northwestern University Press, 1977); und Searle, »Reiterating the Differences: A Reply to Derrida«. Vgl. zum notwendigen Schief-Gehen des Performativen: Felman, Literary Speech Act, S. 45ff.

91

Austin, Things with Words, S. 22.

92

Ebd.

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»soufflierten Rede«93 wird der für die Sprache skandalöse Körper – als partikularer – zwar markiert, ohne aber in der Rede adressierbar zu sein. Der Ursprung der verführenden Artikulation ist damit gerade jene Inkongruenz des Theatralen, den die zu Beginn des Kapitels beschriebene Anti-Theatralität fürchten muss: dass der Körper nicht der Ursprung der verführenden Artikulation ist, sondern Le Scandale du corps parlant (so Felmans Titel im Original), die szenische EntOrtung von Körper und Stimme ausmacht – »[their] oblique relation«94 – und deren je inkongruente Wirkkraft, die nicht ›zusammenkommt‹. Wenn die Intentionalität und Souveränität des Sprechakts fortwährend durch die Tatsache heimgesucht wird, dass das Sprechen selbst körperlich und exzessiv ist und damit ein dekonstruktives Moment beherbergt, das von Innen aushöhlt,95 thematisiert der ›Akt‹ gleichzeitig sowohl die Inkongruenz als auch die Untrennbarkeit im Verhältnis von Sprache und Körper. Es ist daher kein Zufall, dass Felman sich von Austin ›dazu verführen lässt‹, seine Performativa mit den Theaterfiguren des Don Juan (Molières und Mozarts) zu doublieren. Denn: »The Donjuan act of seduction in this way makes concrete the relation, and the problem of the relation among the three meanings of the word ›act‹, three meanings that are homologous, moreover, with the three connotations of the word performance in English: the erotic connotation, the theatrical connotation, and the linguistic connotation.«96 Die Perspektive auf das theatrale Moment der Sprechakte macht die inkongruente Zusammengehörigkeit des Konstativen und des Performativen allererst lesbar: Es zeigt sich, dass der Sprechakt und seine Theorie gerade nicht aufgehen in einer Philosophie des Handelns und dessen Gelingens und dass das Ausmaß des ›Performativen‹ sich nicht im Handeln, sondern in der Zusammengehörigkeit und Inkongruenz des Sprachlichen und des Sexuell-Libidinösen findet. Vielmehr werden dieses Gelingen und das Handeln selbst von der Sprachlichkeit und von dem Sexuell-Libidinösen beständig heimgesucht. Fel-

93

Vgl. Derrida zu Artaud: Derrida, »Die soufflierte Rede«; siehe auch Felmans Hinweis auf Artauds Theater der Grausamkeit: »[Molière’s Don Juan] dramatizes the very cruelty of the performative: the cruelty of the speech act – the quintessential act of the speaking body – inasmuch as it compromises an ineluctable necessity of rupture or break.« Felman, Literary Speech Act, S. 44.

94

Butler, Excitable Speech, S. 152.

95

Vgl. Felman, Literary Speech Act, S. 94; vgl. Butler, Excitable Speech, S. 10f.; vgl. zur deutschen Übersetzung von Felman Judith Butler, Haß spricht. Zur Politik des Performativen, 3. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006), S. 22; vgl. auch Allerkamp, Anruf, Adresse, Appell, S. 62ff.

96

Felman, Literary Speech Act, S. 28f.

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man fasst zusammen, dass »[t]he Don Juan myth, in other words, dramatizes the notion of the human action as the question of the relation between the sexual act and speech act, between speech act and theatrical act«97. Das Skandalöse daran ist das oblique Verhältnis des Konstativen und des Performativen, »that the act cannot know what it is doing, that the act (of language) subverts both consciousness and knowledge (of language)«98. Aus der Perspektive der Theatralität des Performativen, kann Felman Psychoanalyse und Philosophie der Sprechakte zusammenlesen und das Verhältnis zwischen Konstativem und Performativem mit den Funktionsmechanismen des Unbewussten beschreiben: als Inkongruenz zwischen ›Körper‹ und ›Rede‹ und damit zwischen ›Akten‹ und ›Wissen‹. Denn das Unbewusste markiert »the discovery, not only of the radical divorce or breach between act an knowledge, between constative and performative, but also […] of their undecidability and their constant interference«99. Es ist einerseits der dem Wissen entzogene und entgegengehende motivatorische Grund – oder die Kraft – des Handelns100 und gleichzeitig doch ein Wissen, wenn auch eines, dass ›nicht weiß, dass es weiß‹101. Statt eines Pathos des Gelingens und einer Norm der Kongruenz bleibt damit für die Psychoanalyse, wie für die Theorie des Performativen, das notwendige Schief-Gehen102 – Max Blacks »pursuits of a vanishing distinction« – der Antrieb und Motor: als fortwährender, aber dezidiert anti-teleologischer »quest for happiness«103. Für dieses Streben steht Daisy Millers flirt, und gleichzeitig dafür, dass es darin kein Erreichen, keinen endgültigen success gibt. Besonders James’ Comedy konzipiert dieses Schief-Gehen als komisch.104 Sie nimmt damit jene Inkommunikabilität vorweg, die die Theaterliteratur des mittleren 20. Jahrhunderts

97

Ebd., S. 29.

98

Ebd., S. 96. [Hervorhebung SW].

99

Ebd.

100 Zum Unbewussten als Kraft und affektive Bewegung vgl. Deleuze und Guattari, Anti-Ödipus; vgl. auch Deleuze, »Die Methode der Dramatisierung«. 101 Felman, Literary Speech Act, S. 96. Vgl. Lacan: »a knowledge that does not allow one to know one knows«; ebd. (Fußnote 23). 102 Vgl. auch Butlers Lacan-Lektüre: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, 15. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2011), S. 74. Indem Sprache als »das Residuum und die Ersatzleistung eines unbefriedigten Begehrens« fungiert, gelingt es ihr notwendig nicht, zu bezeichnen (fails to signify). 103 Felman, Literary Speech Act, S. 96. 104 Zur Komik des Misslingens vgl. Butler, Unbehagen, S. 75ff.

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prägen wird,105 die aber für James’ Texte insofern auffällig ist, als dem späten 19. Jahrhundert – für Autoren wie Henrik Ibsen – die Theaterbühne zwar der Ort der Komplexität des Psychologischen und des Unbewussten ist, dabei aber das Versprechen der Darstell- und Analysierbarkeit gibt, das bei James hingegen selbst zum schief-gehenden Akteur der Komödie wird. Neben den theatralen Figuren der Dopplung und Inkongruenz hebt Stanley Cavell mit Verweis auf Artauds Konzept der Grausamkeit die implizite Theatralität der Austin’schen Perlokution hervor, die es mit den Effekten zu tun hat, die die ›Worte tun‹: Diese ist insofern genuin szenisch, als es in ihr um Bezüglichkeit und Relationalität geht, »the ›you‹ comes essentially into the picture«106. Cavell spricht hier von »passionate utterances«, die sich der Rationalisierung und Kalkulierbarkeit des success entziehen. Austin verortet das Perlokutionäre jenseits des ›Konventionellen‹ und ›Rituellen‹ und Cavell scheint diese Einschätzung zu teilen, wenn er schreibt: »The perlocutionary is the field of human interaction which is not governed by the conventions or conditions or rituals Austin invokes, but represents the complementary field occupied by or calling for improvisation and passion and aggression.«107 Hinsichtlich der Theatralität der Sprechakte ist das Perlokutionäre – das szenische ›you‹ – aber nicht einfach jenseits des ›Konventionellen‹, sondern kann als das im Gesetz der Gattung implizierte »Gegen-Gesetz« gelesen werden.108 Denn dieses/diese(r) szenische Andere verweigert sich der dialektischen Aneignung. Insofern Artauds Theater nicht nur grausam, sondern vor allem »befremdliches Theater«109 ist, lässt sich das ethische Moment der »passionate utterances« als Deleuze’ »Sprechen mit« denken: »Weder Identifikation noch Distanz, weder Nähe noch Entfernung – denn bei all dem ist man gehalten für, an Stelle von zu sprechen. Sprechen aber sollte man mit […].«110 Artaud selbst hat sein Theater der Grausamkeit nicht für das Theater (als ein Objekt), sondern mit dem Theater gedacht, entlang der Wi-

105 Vgl. z.B. Wolfgang Iser, Die Artistik des Misslingens. Ersticktes Lachen im Theater Becketts (Heidelberg: Winter, 1979). 106 Stanley Cavell, »Foreword to ›The Scandal of the Speaking Body‹«, in: Shoshana Felman, The Scandal of the Speaking Body: Don Juan with J.L. Austin, or Seduction in Two Languages (Stanford: Stanford University Press, 2002), S. xi–xxi, hier S. xx. 107 Ebd. Austin schreibt »illocutionary acts are conventional: perlocutionary acts are not conventional«, Austin, Things with Words, S. 121; vgl. Black, »Austin on Performatives«, S. 224. 108 Vgl. Derrida, »Das Gesetz der Gattung«, S. 250. 109 Deleuze, »Die Methode der Dramatisierung«, S. 145. 110 Deleuze, »Angloamerikanische Literatur«, S. 60.

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derstände und Alterisierungen, die dessen Denken mitführt. Mit dem Theater das Verhältnis von Psychoanalyse und Theorie der Sprechakte zu denken, trägt beiden (und deren Verhältnis) diese Dimension des mit ein: einen flirtiven Bezüglichkeitsmodus, der die Linearisierbarkeit und Teleologisierbarkeit textueller wie geschichtlicher Abfolge und Reflexion – das Prinzip vertikaler Anordnung – in die Horizontale verlagert. Wurde bisher flirtation als Textkonstituens befragt, als das ›erzeugende‹ Moment der Synchronie, das die Differenzen dynamisiert und ein radikales Desinteresse an den Momenten der Totalität und den Bewegungen der Finalität artikuliert, geht es dem folgenden Kapitel um die im Schief-Gehen der plot-Formung des Erfolgs und in der Aushöhlung des sukzessiven Prinzips implizierte quasi-geschichtstheoretische – genealogische – Dimension.

Relation: Scene of Familiality »This means that texts originate in contact with other texts rather than in contact with the events or the agents of life (unless, of course, these agents or events are themselves treated as texts). To say that literature is based on influence is to say that it is intratextual.« PAUL DE MAN / »›THE ANXIETY OF INFLUENCE: A THEORY OF POETRY‹ BY HAROLD BLOOM« »[T]he whole conduct of life consists of things done, which do other things in their turn, just so our behaviour and its fruits are essentially one and continuous and persistent and unquenchable, so the act has its way of abiding and showing and testifying, and so, among our innumerable acts, are no arbitrary, no senseless separations.« HENRY JAMES / LITERARY CRITICISM

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D ENKFIGUR R ELATION : » THE

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NOVEL IS HISTORY «

In »The Art of Fiction« leitet James den Roman aus einer Verknüpfung von Geschichts- und Lebensbegriff her: »[T]o insist on the fact that as the picture is reality, so the novel is history«, heißt es dort einerseits – und gleichzeitig: »But history also is allowed to represent life«.1 Life ist dann nicht das ›Bildhafte‹, das als Präsenz oder unmittelbare Realisierung vor Augen gestellt werden könnte. Der Roman ist gemäß dem Diktum »the novel is history« eine genuin relationale und intertextuelle Gattung, in der das Neue gleichzeitig das Alte ist, das remarkiert wird und sich ›queer‹-verräumlichend zum Prinzip der Abfolge verhält. Life kommt nicht als unmittelbare Präsenz in den Roman, sondern geschichtlich: Re-Vision ergibt kein ›Bild‹, sondern ist (intertextuelle) Relektüre und Reinskription. In dem Kapitel »Transatlantic Flirtation« geht es ausführlich um diesen Schauplatz der Re-Vision, auf dem das ›Neue‹ der nouvelle immer schon das Alte der Geschichte ist. Die Frage nach dem Verhältnis von Tradiertem und Neuem entfaltet in Daisy Miller eine geschichtstheoretische Dimension: Der oben erwähnte spätere Hinweis auf nouvelle evoziert den genealogischen Einsatz der Scene of Success(ion), indem der gattungsrelevante Zusatz nouvelle einen in Daisy Miller latenten anderen Schauplatz und intertextuellen Verweisplatz erzeugt: Jean-Jacques Rousseaus Julie ou la Nouvelle Héloïse (1761). Die Lettres de deux amans habitans d’une petite ville au pied des Alpes gehören zu den literarischen Konnotationen der Alpengegend, in die Daisy Miller führt: Genf natürlich, aber vor allem Vevey selbst. Wenn schon Julie die »neue Héloïse« ist, dann ist Daisy Miller – als ›neue neue Héloïse‹ – sicher keine ›einfache‹ Figur oder ›einfache‹ Benennung mehr.2 Entsprechend bezeichnet James seinen jeweiligen literarischen Gegenstand in den prefaces zur New York Edition nicht zufällig als la donnée, womit im Französischen sowohl eine ›Gegebenheit‹ als auch eine ›Grundlage‹ bezeichnet sein kann. Im Fall von Daisy Miller hat la donnée eine literarische Vorgeschichte, die nicht von ungefähr viel mit Form und Geschichte des Romans zu tun hat. La donnée kann aber auch die ›Konstellation‹ bezeich-

1

James, »The Art of Fiction«, S. 46.

2

Peggy Kamuf zeichnet in Fictions of Feminine Desire auch die vor-rousseauistische Literatur- und Rezeptionsgeschichte von Abelard und Héloïse nach und eröffnet ihren Band mit Héloïses untoten Gebeinen (remains), die keine Ruhestätte finden, sondern – ihrer literarischen Nachgeschichte vergleichbar – ›umherwandern‹: Peggy Kamuf, Fictions of Feminine Desire: Disclosures of Heloise (Lincoln: University of Nebraska Press, 1987).

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nen und ist insofern nicht nur relevant für das methodische – komparatistische, ›miteinander-lesende‹ – Vorgehen dieses Buches, sondern für die in James’ Romantexten selbst implizierte Theorie des Romans. James’ donnée war nie Original, sondern – schon vor den eigenen Re-Visionen – eine Umschrift und ein anderer Schauplatz. Zum einen beschäftigen sich die folgenden Lektüren mit James’ eigenen Umschriften in study, nouvelle und play. Außerdem sind die intertextuellen Bezügen relevant: Rousseaus Nouvelle Héloïse, Nathaniel Hawthornes The Marble Faun (1860) und verschiedene Texte Lord Byrons. Zur Debatte steht darin James’ Verhältnis zu seiner ›amerikanischen‹ succession und zur (Un-)Ordnung trans-atlantischer Literaturgeschichte. Daisy Miller erweist sich dabei als hingebungsvolle Lektüre des ›Europäischen‹ und als Dekonstruktion derjenigen kategorischen Differenz zwischen dem ›Amerikanischen‹ und dem ›Europäischen‹, der strikten Abgrenzbarkeit von Räumen und Linearisierbarkeit historischer Abfolgen. Zugleich und damit verbunden geht es um die theoretische Reflexion auf den Status inter- und intratextueller Relationen: Daisy Miller kann als ein Kommentar und impliziter Einspruch zu/gegen Harold Blooms Theorie des Einflusses gelesen werden. Denn in den flirtiven Bezügen und Verführungen kommt nicht nur eine transatlantisch-komparatistische Kartografie zum Ausdruck; transatlantic flirtation fragt nach den theatralen, produktiv-bezüglichen »bewegliche[n] Punkte[n] und gewundene[n] Linien«, die den Texten als prozessuale Räumlichkeit inhärent sind.3 Flirtation markiert Bezüge und Relationen als intertextuelle (Ver-)Ortung, die auf der Ebene der Texte stattfindet, und fungiert so als Markierung einer den Texten inskribierten Dimension von influence und als Verhandlung eines genealogischen Moments. Anders als in Blooms The Anxiety of Influence (1973) meint »Einfluss« hier nicht die Psychologie von Autoren, die sich ausgehend von der sogenannten »Einflussangst« auf verschiedene Weise zu ihren Vorgängern – den ›Vätern‹ – verhalten, zu denen sie in ödipaler Beziehung stehen.4 Die folgenden Lektüren grenzen sich von einem solchen – auf der Subjektebene verorteten – Verständnis der Intertextualität, der Freud’schen Psychoanalyse und der psychoanalytisch motivierten Theorie ab und schließen sich de Man in seiner Umformulierung Blooms an: »that texts originate in contact with other texts rather than in contact with the events or the agents of life (unless, of

3

Deleuze, »Bartleby oder die Formel«, S. 118. Deleuze bezeichnet Bartlebys Formel ›I would prefer not to‹ als »Patchwork mit endloser Fortsetzung«, das »die Amerikaner [erfunden haben]«.

4

Harold Bloom, The Anxiety of Influence. A Theory of Poetry, 2. Aufl. (New York; Oxford: Oxford University Press, 1997).

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course, these agents or events are themselves treated as texts)«5. Gefragt wird also nach der Textebene der influence und damit nach einem Ort der Psychoanalyse innerhalb von Texten. Während bisher das Theatrale als motivatorische Kraft und anti-teleologisches Moment der flirtation untersucht wurde, wird nun die Szene einer impliziten Genealogie ins Spiel gebracht. Explizit wird die Frage der Genealogie in James’ späteren Romanen am Topos der Familie verhandelt. Obwohl die Texte zumeist ›prekäre‹ Familienkonstellationen thematisieren – Ehebruch, Scheidung, Junggesellentum, Patchwork –, widersetzen sie sich doch dem in der angelsächsischen Literaturgeschichtsschreibung gängigen Narrativ vom »triumphant success« and »gradual decline«6 der familial literature, in dem der britische Viktorianische Roman »the high-water mark« einer mit John Miltons Paradise Lost (1667) eingeläuteten Ära darstellen soll, »a long tradition of British literature that celebrated families and endorsed ideas of family life«, die mit James’ Roman ihr Ende findet.7 James’ liaison mit dem familialen Text erschöpft sich aber nicht in seiner Rolle als »consolidator of the narrative tradition of early modernist antifamilialism«, mit der der »expatriate American« die britische Tradition infiltriert.8 Denn das Familiale ist komplexer als der rein thematische Fokus auf Familienthemen und Familienideale, verhandelt wird vielmehr der Darstellungskomplex des Romans, in dem »domestic life« und »private experience« aufeinander projizierbar werden: »[W]e get inside their minds as well as inside their houses.«9 Watt spricht hier im engeren Sinne über die narrativen Verfahren und Phantasmen des Briefromans im 18. Jahrhundert: »[I]t’s this minute-by-minute content of consciousness which constitutes what the individual’s personality really is, and dictates his relationship to others […].«10 Wollte Samuel Richardsons Lovelace (Clarissa) die Cor-respondance als Seelenschreiben verstanden wissen, steckt fortan in con-sciousness immer auch der bezügliche Modus der response, der nicht länger die Seele des Individuums zu ergründen sucht, sondern nach Relationen fragt.11

5

Paul de Man, »›The Anxiety of Influence: A Theory of Poetry‹ by Harold Bloom«,

6

Hatten, The End of Domesticity, S. 37.

7

Ebd., S. 14.

8

Ebd., S. 36.

9

Watt, The Rise of the Novel, S. 175.

in: Comparative Literature 26, Nr. 3 (1. Juli 1974), S. 269–275, hier S. 273.

10

Ebd., S. 192.

11

Vgl. zur response Joseph Hillis Miller, The Ethics of Reading: Kant, de Man, Eliot, Trollope, James, and Benjamin (New York: Columbia University Press, 1987), S. 4f.

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Entsprechend macht The Golden Bowl marriage zu einer Metapher der Kohärenzbildung: Der Roman spricht von immer unlösbareren Zusammenhängen – »The new things or ever so many of them – are still for me new things«, so Prince Amerigo, »the mysteries and expectations and assumptions still contain an immense element that I’ve failed to puzzle out«.12 James’ Text bewegt sich so nicht einfach jenseits des Familialen, sondern verschiebt und versetzt die ödipalen Strukturen diesseits des familialen Diskurses. Insofern ist der Beobachtung zuzustimmen, dass [r]elations in [James’] late novels transcend the merely thematic: they are not simply vehicles for exploring a variety of issues but constitute the novels’ major point of interest. […] relationships are handled structurally, as arrangements of people in relation. Both the rhetoric and the plot of The Golden Bowl are devoted to ›placing‹ and ›replacing‹ people in relation and to tracing the consequences that such (re)positionings have on the overall structure.13

Für James stellt der Diskurs des Familialen mit den ihn durchziehenden Prozessen der Ordnung, Relationierung und Hierarchisierung deshalb eine privilegierte Einsatzfläche dar, weil das Familiale sich als Schauplatz der Logiken der Strukturation erweist. Während dabei noch für die Sphäre des Viktorianischen Romans literary familialism »[the] intense anxiety about the importance of containing and channeling sexual desire«14 meint, verhandeln James’ Romane am Topos der Familie gerade jene libidinösen Konstellationen: Bindungen und Trennungen. Die Familienkonstellationen und Trennungsgeschichten drücken dabei nicht nur »[the] impossibility of continued idealization of narratives of courtship and domesticity«15 aus, sondern das Unmöglichkeitsmoment romanesken Erzählens. In The Golden Bowl schreibt James als Gegenmodell zu dem am Prinzip der Erfüllung orientierten – für die englische Literatur des 19. Jahrhunderts klassischen – entwicklungslogisch aufgebauten marriage plot einen plot of separation, der die Bewegungen der Bindung und Trennung als text-logische und

12

Henry James, The Golden Bowl, in: The Novels and Tales of Henry James. The New York Edition, Bd. 23–24 (New York: Charles Scribner’s Sons, 1922), Bd. 23, S. 274. Im Folgenden Seitenangaben in Klammern im Text.

13

Anat Pick, »Miracles of Arrangement: Structures of Multiplicity and the Birth of Justice in Henry James’s The Golden Bowl«, in: The Henry James Review 21, Nr. 2 (5. Januar 2000), S. 115–132, hier S. 116.

14

Hatten, The End of Domesticity, S. 20.

15

Ebd., S. 37.

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genealogische Aspekte befragt. Statt einem Narrativ des Erwachsens und erfolgreichen Werbens stellt der Text mit dem Familialen die Verfahren der Differenzierung und Relationierung und die quasi-theologischen Erzähllogiken der Schöpfung, Verheißung und Erfüllung zur Debatte und macht so den Dramatismus des Romans als Szene instabiler genealogischer Gründung lesbar. Diese kann mit Rückgriff auf Deleuze und Guattari als Bewegung der ›AntiÖdipalisierung‹ herausstellt werden, die sich gegen den Anspruch des Ursprünglichen stellt, den die Freud’sche Psychoanalyse im Familialismus verhandelt. Verkompliziert wird so zugleich jene Perspektive der Lektüre, die aus eben diesem Ursprünglichen oder Ur-Bildlichen ihre souveräne Position bezieht. Entsprechend stehen die folgenden Lektüren unter der Prämisse eines ›anti-ödipalen‹ Begriffs sowohl des Familialen als auch des Szenischen: In den Fokus rücken die Verfehlungen und Versetzungen ursprünglicher Begründung sowie jene James’sche Text-Praxis, die das Schreiben selbst als doing umfasst: als ein ›antiödipales‹ Tun, das Effekte produziert und Relationen stiftet, über die es aber, insofern es in keiner ursprünglichen Instanz der Autorschaft gründet, keine Verfügungsgewalt gibt.

Transatlantic Flirtation

U NHEIMLICH : D OPPELGÄNGER , S TELLVERTRETUNG Als einen speziellen Fall der Einflussangst schlägt Bloom die von Freud beschriebenen Mechanismen des Unheimlichen – unhomely oder uncanny – vor, die sich als Wiederholung und Alterisierung artikulieren.1 Gibt es bei Freud einen Zusammenhang zwischen dem Unheimlichen, dem Augenlicht und der aus der ödipalen Konstellation resultierenden Kastrationsangst, überträgt Bloom diesen auf den ängstlichen Autor: Für diesen Fall ist das Motiv der Sicht oder Sichtweite der Gradmesser der ödipalen Ordnung der Autoren.2 Wenn die Theatralität von Texten aber die Verkomplizierung von deren Sichtbarkeitsfunktion ausmacht, sind es das theatrale Moment des Unheimlichen und das unheimliche Moment des Theatralen, an denen die intertextuellen Relationen zur Debatte stehen. Während bei Bloom noch die unheimliche Version der Einflussangst eine Maßgabe darstellt, Autoren und Texte in eine eindeutige – sukzessive – Genealogie zu ordnen, wird hingegen im Folgenden der Frage nachgegangen, wie dieses Unheimliche die genealogische Ordnung aus den Angeln hebt. Es gibt einen späteren Text von James, der als »ghost text«3 oder gespenstischer Kommentar zu Daisy Miller gelesen werden kann, insofern er den Komplex der Szene mit dem unheimlichen Motiv des Doppelgängers zusammenbringt.4 In der Erzählung »The Private Life« (1893) zieht sich ein kleiner Zirkel illustrer Londoner für leisure time in die Schweizer Alpen zurück: ein Gentleman des Londoner öffentlichen Lebens mit Ehefrau (Lady und Lord Mellifont), eine Schauspielerin, ein Komponist, ein Romanschriftsteller (Clare

1

Bloom, The Anxiety of Influence, S. 77ff.

2

Vgl. ebd., S. 78.

3

Vgl. zu dem Begriff des »ghost text« Royle, The Uncanny S. 59.

4

Vgl. Freud, »Das Unheimliche«, S. 246f.

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Vawdrey) und der Erzähler, der als sensibler Beobachter und »Herzensleser« beschrieben wird: »›What do they call me?‹ I inquired. ›You’re a searcher of hearts – that frivolous thing an observer‹.«5 Nicht zufällig findet sich die Gesellschaft hier »face-to-face with a great bristling primeval glacier«6, in einer Gegend, über die es später heißt: »on our platform of echoes, face to face with the ghosts of the mountains«7. Ausgehend von dem gespenstischen Unterton dieses »being face-to-face« erweist sich das in Daisy Miller verhandelte flirtive têtê-àtêtê und das nicht-identitäre Moment des ›Zusammenkommens‹ oder ›SichTreffens‹ des Rendezvous als eine implizite Auseinandersetzung mit Differenz, die das Identitäre gespenstisch – echohaft – heimsucht: »[B]ut it was our innocent pleasure to be different here. There had to be some way to show the difference […].«8 Diese Einspeisung der Differenz in das Prinzip der Identität behandelt James’ Text als eine Problematisierung von Sichtbarkeit, als deren Theatralisierung. In »The Private Life« entdecken der Erzähler und die Schauspielerin Blanche Adney zwei Eigentümlichkeiten, die sie fasziniert und obsessiv verfolgen: Während der Romanautor einen Doppelgänger zu haben scheint, der des Nachts an einem Manuskript schreibt, vom dem der ›Andere‹ nichts weiß, ›verschwindet‹ Lord Mellifont auf sonderbare Weise, sobald es keine Zuschauer gibt, um dann plötzlich wieder aufzutauchen, wenn ihn die Blicke wieder treffen. Lord Mellifont und der Autor Clare Vawdrey werden einander explizit gegenüber gestellt: »[Lord Mellifont] was all public and had no corresponding private life, just as Clare Vawdrey was all private and had no corresponding public one.«9 In James’ »The Private Life« – in dieser Schweizer Berggegend, in der es um »being different« und um das Gespenstische des Differenten geht – gibt es also eine Figur, deren Identität durch die Verdopplung gestört wird, und eine, die bestenfalls ›halb‹ da ist, unter bestimmten Umständen und jedenfalls nicht als ›vollwertiger‹ Charakter. Scheint es James hier um eine Thematisierung des Privaten und des Öffentlichen zu gehen, kollabiert die Gegenüberstellung und einfache Trennbarkeit der Sphären schnell, wenn man die metatheatrale Pointe des Texts genauer berücksichtigt. Blanche Adney nämlich hat auch ein theatrales Anliegen, sie ist auf der

5

Henry James, »The Private Life«, in: The Novels and Tales of Henry James. The New York Edition, Bd. 17 (New York: Charles Scribner’s Sons, 1922), S. 215–266, hier S. 233.

6

Ebd., S. 217.

7

Ebd., S. 249.

8

Ebd., S. 218.

9

Ebd., S. 246.

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Suche nach ›ihrer Szene‹: »›Bring me the scene – bring me the scene!‹.«10 Es ist überhaupt erst die Jagd nach einer erfüllenden und klimaktischen Szene, die in Doppelgänger und sonstige Geister aufspaltet und unsicher macht, was ›wirklich‹ und ›eigentlich‹ noch da ist und statthat. Der Zustand, in dem sich Lord Mellifont befindet, wenn er nicht mehr ›sichtbar‹ ist, wird als »reabsorbed« bezeichnet: »[…] Lord Mellifont had vanished. ›He’s already reabsorbed.‹ ›Reabsorbed?‹ I could see the actress was now thinking of something else. ›Into the immensity of things‹.«11 Mellifonts Unsichtbarkeit setzt ein, wenn er aufhört, einen Unterschied zu machen, indem er – unterschiedslos – in der »immensity of things« versinkt und darin paradoxerweise zu einer Art no-thing wird, das kein Blick mehr trifft. Die Szene, auf die Blanche Adney spekuliert, soll hingegen »the great thing« sein, »[t]he years had passed, and still she had missed it; none of the things she had done was the thing she had dreamed of, so that at present there was no more time to lose.«12 Absorption ist dabei derjenige Begriff, den Michael Fried als Gegenbegriff zu theatricality verwendet. Bezeichnet sind damit Szenen der Gemälde, in denen »persons wholly absorbed« auftreten und so die innere Organisation der Bildstruktur eine Einheit bildet, ›unverletzt‹ durch die von Außen kommenden Blicke.13 Die für den Gegenbegriff der Theatralität relevante Pointe der »Versunkenheit« ist diese dem Werk selbst zugeschriebene Ausblendung des Zuschauerblicks. In seinem berühmten Aufsatz »Art and Objecthood« (1967) heißt es entsprechend: »[…] because at every moment the work itself is wholly manifest. [...] It is this continuous and entire presentness […], amounting, as it were, to the perpetual creation of itself, that one experiences as a kind of instantaneousness.«14 »Gegenwärtigkeit« und »Augenblicklichkeit« sind Effekte einer Kunst, die ihre Bezogenheit auf den Rezipienten und die Implikation der Rezeptionssituation ausblendet. Theatral ist hingegen »the special complicity that that work extorts from the beholder. Something is said to have presence when it demands

10

Ebd., S. 235.

11

Ebd., S. 258.

12

Ebd., S. 228.

13

Fried, Absorption and Theatricality, S. 10. Absorption liest Fried als die »master configuration«, unter der die Malerei um 1750 beschreibbar wird. Sie wird Fried aber darüber hinaus zum Begriff für kompositionelle Einheit generell und für ästhetische Autonomie. Vgl. Juliane Rebentisch, Ästhetik der Installation (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003), S. 43f.

14

Michael Fried, Art and Objecthood. Essays and Reviews (Chicago: University of Chicago Press, 1998), S. 45.

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that the beholder take it into account, that he take it seriously – and when the fulfillment of that demand consists simply in being aware of it and, so to speak, in acting accordingly.«15 Theatricality macht also zweierlei Unterschied, indem sie zwischen Darstellendem und Dargestelltem unterscheidet – Juliane Rebentisch spricht im Anschluss an Cavell von der »Doppelung aller Theaterzeichen«16 – und zwischen ästhetischem Objekt und Subjekt sowohl unterscheidet als auch eine Relation stiftet. Denn hier wird »Kunst in einer Situation erfahren – und zwar in einer, die gerade definitionsgemäß den Betrachter mit umfaßt«17. James’ »The Private Life« treibt in der Verdopplung und dem Entzug der Ordnung des Sichtbaren ein Spiel mit dem Identitären, auf dem jene eindeutige Grenzziehung der absorption fußt. Der Text wirft aber gleichzeitig Licht auf die Tatsache, dass es sich bei absorption und theatricality nicht um zwei verschiedene Modi handelt, sondern um eine Ambivalenzfigur oder ein transformatives Moment. Denn während Mellifont in die »immensity of things« versinkt, wird dieser lapse als »entr’acte« – als wörtlich: Zwischenzeit oder -raum gedacht: »Lord Mellifont had vanished. ›He’s already reabsorbed.‹ ›Reabsorbed?‹ I could see the actress was now thinking of something else. ›Into the immensity of things. He has lapsed again; there’s an entr’acte‹.«18 Während being reabsorbed into the immensity of things gelesen werden könnte als diejenige Erzählung vom Verlust einer ursprünglichen harmonischen Einheit und Selbstversunkenheit, auf den die theatrale Dopplung verweist, ist der entr’acte hier die Unterbrechung von der selbstversunkenen Gegenwärtigkeit und von deren (Verlust-)Erzählung. In den Blick rückt vielmehr die Differenz, die dieser entr’acte in die Einheit des Identitären und die Ordnung des Ursprünglichen einspeist. Denn Mellifonts absorption spricht auch von der Unermesslichkeit der immensity: in-mensus meint no(t)-measure(d). So wie Mellifont »vanished«, wird die Unterscheidung zwischen absorption und theatricality zu einer »vanishing distinction« (s.o.), kollabieren darin sowohl die säuberliche Unterscheidung zwischen Objekt und Betrachter, als auch die begrifflichen Trennung innerhalb der Analyse. Das transformative Moment erweist sich hier als die oben beschriebene Figura, die sowohl das Gestalt-Prinzip als auch dessen performative Dimension umfasst und

15

Ebd., S. 155.

16

Rebentisch, Ästhetik der Installation, S. 38.

17

Michael Fried, »Kunst und Objekthaftigkeit«, in: Gregor Stemmrich (Hg.), Minimal Art. Eine kritische Retrospektive (Dresden; Basel: Verlag der Kunst, 1995), S. 334– 374, hier S. 342; zitiert nach Rebentisch, Ästhetik der Installation, S. 49f.

18

James, »The Private Life«, S. 258.

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so die Figur als Szene der Verwandlung zeigt.19 Wohnt für Blanche Adney wie für Daisy Miller den Akten und Szenen ein Entzugsmoment inne, wirft »The Private Life« Licht auf die Ökonomien der Stellvertretung, in die sich die transformative Logik des Szenischen übersetzt. Denn während die Differenz und das Gespenstische, die James’ Schweizer Alpen in das face-to-face einschmuggeln, Rolle und Person, Privatheit und Öffentlichkeit ineinander verschachteln, geht es in dem Text um die unheimlichen Logiken der Stellvertretung: Stellvertretung einer Autorfigur, Stellvertretung einer blickenden Öffentlichkeit etc. Immer und gerade dann, wenn die klimaktische Szene nicht eintritt, setzt die Stellvertretung ein; und immer und gerade indem sie einsetzt, wird die klimaktische Szene versetzt und die Sichtbarkeit zurückgenommen. Auch für Daisy Millers Winterbourne ist es anstelle des ›eigentlichen‹ versetzten têtê-à-têtê ein anderes têtê-à-têtê, dem er in einer höchst unheimlichen Position beiwohnt. Diejenige Szene, die zu Beginn des zweiten Kapitels als Beispiel für die anti-kausale Versetzungslogik des Szenischen bei James angeführt wurde, hat einen theatralen Rahmen und soll hier ausführlich zitiert werden: The evening was charming, and [Winterbourne] promised himself the satisfaction of walking home beneath the Arch of Constantine and past the vaguely lighted monuments of the Forum. There was a waning moon in the sky, and her radiance was not brilliant, but she was veiled in a thin cloud curtain which seemed to diffuse and equalize it. When, on his return from the villa (it was eleven o’clock), Winterbourne approached the dusky circle of the Colosseum, it recurred to him, as a lover of the picturesque, that the interior, in the pale moonshine, would be well worth a glance. He turned aside and walked to one of the empty arches, near which, as he observed, an open carriage – one of the little Roman streetcabs – was stationed. Then he passed in, among the cavernous shadows of the great structure, and emerged upon the clear and silent arena. The place had never seemed to him more impressive. One-half of the gigantic circus was in deep shade, the other was sleeping in the luminous dusk. […] Winterbourne walked to the middle of the arena, to take a more general glance, intending thereafter to make a hasty retreat. The great cross in the center was covered with shadow; it was only as he drew near it that he made it out distinctly. Then he saw that two persons were stationed upon the low steps which formed its base. One of these was a woman, seated; her companion was standing in front of her. Presently the sound of the woman’s voice came to him distinctly in the warm night-air. ›Well, he looks at us as one of the old lions or tigers may have looked at the Christian martyrs!‹ These were the words he heard, in the familiar accent of Miss Daisy Miller. (S. 290f.)

19

Vgl. Brandstetter und Peters, »Einleitung«, S. 8.

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Dieses andere têtê-à-têtê scheint die späte Pointe der versetzten Szene zu sein: Entscheidend ist aber, dass sich das anti-kausale Moment nicht auf die Ebene der story oder Figurenkonstellation reduzieren lässt, sondern innerhalb der Textstruktur als deren repräsentations- und erkenntniskritisches Moment relevant ist. Winterbourne kann insgesamt als eine für die James’schen Romane typische Stellvertreter-Figur gelesen werden: »some more or less detached, some not strictly involved, though thoroughly interested and intelligent, witness or reporter, some person who contributes to the case mainly a certain amount of criticism and interpretation of it«20. In dem in diesem Zusammenhang viel zitierten Preface zu The Golden Bowl beschreibt James den Stellvertreter in Kategorien der Sicht, die nahelegen, dass es sich bei dem Prinzip der Stellvertretung um eine spezifische Epistemologie des Romans handelt, in der qua point of view oder Fokalisierung Wissen und Erkenntnis gefiltert und reguliert werden.21 Bei Genette wird die von Lubbock aus James’ Texten entwickelte Kategorie des narrativen point of view zu dem formalen Kriterium des Modus (›Wer sieht?‹), das in der angelsächsischen Narratologie als »the cognitive component« des point (›Wer weiß?‹) ausformuliert wird.22 Doch dieses Wissen ist nicht nur formaler, sondern thematischer Aspekt in Daisy Miller und vielen der James’schen Texte. James konzipiert die Stellvertretung als Szene prekärer Epistemologie, in der das Stattfinden der evidenten Szene und die Beobachtung und Erkenntnis derselben radikal auf dem Spiel stehen. Insofern hängen Daisy Millers Flirt und dessen unheimliche Theatralität wesentlich mit dem erkenntniskritischen Projekt der späten Romane zusammen: Denn Daisy Miller macht deutlich, dass die machtvolle Stellvertreter-Figur in erster Linie eine theatrale Figur ist. Die vielmehr räumliche Minimaldefinition der Stellvertretung ist, dass er/sie immer auch ›dasteht‹ und ›dastehen muss‹ – auf der gleichen ›Bühne‹ –, wenn das ›textuelle Geschehen‹ ›auftritt‹. An Daisy Miller wird ersichtlich, dass die inneren Motive des

20

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1322.

21

Entsprechend heißt es bei James: »I have already betrayed […] my preference for dealing with my subject matter, for ›seeing my story‹, through the opportunity and the sensibility of some more or less detached, some not strictly involved, though thoroughly interested and intelligent, witness or reporter.« Fasziniert habe ihn »the idea of the particular attaching case plus some near individual view of it«. Ebd.

22

Vgl. Genette, Erzählung, S. 101ff. Vgl. zum kognitiven Aspekt der Fokalisierung: Shlomith Rimmon-Kenan, Narrative Fiction: Contemporary Poetics, 2. Aufl. (London; New York: Routledge, 2002), S. 80ff. Hinsichtlich der Frage der Fokalisierung siehe zudem die nachfolgenden Lektüren von The Golden Bowl und What Maisie Knew.

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Anderen nicht die Beglaubigung einer enthüllenden und allwissenden Darstellungspraxis sind – Enthüllungen von James’ phantasmatischem »other conscious and confessed agent«23 –, sondern der Prüfstein und die Inszenierungsgrundlage der Alterität und der bühnenartigen Bezüglichkeit – oder szenischen Situation – selbst.24 An James’ Stellvertreter-Figur haftet ein theatraler Rest – ein räumlicher, situativer, un-heimlicher –, der sich nicht in die Rationalisierung der dramatischen Struktur und die Ökonomien der Information fügen lässt. Auch in Daisy Miller ist Winterbourne eine solche ambivalente oder doppelte Stellvertreter-Figur. Indem er die Szenen nicht einfach bezeugt, sondern indem er sie zugleich lesen muss, nimmt er ihre präsente Statthaftigkeit selbst – sie als Leser verstellend stellvertretend – zurück. Und gleichzeitig verdoppelt oder vervielfacht sich die eine beobachtete Szene um die Szene des Beobachtens. In der zitierten Passage ist Winterbourne der zielgerichtete Beobachter – »he promised himself the satisfaction« –, der ins Innere schaut, nicht nur auf die picturesque Szenerie des Kolosseums, sondern als vermeintlich unbeobachteter Voyeur auf das heimliche Stelldichein: »that the interior, in the pale moonshine, would be well worth a glance«. In der Passage überlagern sich die beobachtete innere Szene und ihre Rahmenszene, durch die das Innere der Szene – von der Rahmung her – bezeichnet werden kann. James’ Perspektivismus drückt sich so als »Spiel der Rahmung« aus, das die »Struktur der Referentialität« im Text thematisch macht und zur Debatte stellt: in dem »dynamischen Prozeß der Rahmung, des Rahmenwechsels, aber auch [des] ›Zum-Verschwinden-bringen[s] des Rahmens‹«25. Doch gleichzeitig werden die beobachtenden Blicke erwidert

23

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1322.

24

Genette verweist implizit darauf, dass gerade die »unmittelbare Rede« des modernistischen Romans – die Dorrit Cohn als Kulmination von inwardness und deren Aporien liest – die Frage des ›Inneren‹ als implizite, wenn auch sublimierte Theatralität ausweist: »Denn wesentlich an dieser Rede ist, wie Joyce richtig gesehen hat, nicht so sehr, dass sie eine innere ist, sondern dass sie von Anfang an […] von jeder narrativen Vormundschaft befreit [sic] und sich sofort in den Vordergrund der ›Szene‹ schiebt.« Genette, Erzählung, S. 111. Vgl. Dorrit Cohn, Transparent Minds. Narrative Modes for Presenting Consciousness in Fiction (Princeton: Princeton University Press, 1983).

25

Uwe Wirth, »Das Vorwort als performative, paratextuelle und parergonale Rahmung«, in: Jürgen Fohrmann (Hg.), Rhetorik. Figuration und Performanz (Stuttgart; Weimar: Metzler Verlag, 2004), S. 603–628, hier S. 604; vgl. auch Barbara Johnson, »The Frame of Reference: Poe, Lacan, Derrida«, in: Yale French Studies, Nr.

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und in ihrer Beobachtung von außen – in ihrem Voyeurismus – durchkreuzt. Die beiden Figuren sind nicht »versunken«, sondern blicken zurück – mehr noch, sie sprechen zurück und durchkreuzen damit die Ordnung von Betrachter und Betrachteten, von Subjekt und Objekt. Die Rahmungsfunktion der Beobachtung wird durch das Zurückblicken selbst in die Szene eingeschrieben; und das Zurücksprechen ist ein die visuelle Versunkenheit störendes akustisches Moment – »the sound of the woman’s voice« –, das die Szene pittoresker und selbstversunkener Betrachtung verräumlicht und theatralisiert. Denn Daisies Stimme führt eine Differenz ein in den »thin cloud curtain which seemed to diffuse and equalize«: »the sound of the woman’s voice came to him distinctly in the warm nightair« (S. 290f.; Hervorhebung SW). Ordnet Daisy Winterbournes Blicke(n) den Raubtieren zu, die vor Beginn des Kampfes auf ihre Opfer schauen, wird diese Opferlogik durch Daisies Stimme als ›Monstrosität‹ einer Darstellungslogik bezeichnet und als solche zurückgenommen, in der das ›Bild‹ plötzlich lebendig wird und sich auf nachgerade bestialische Weise seiner Bildhaftigkeit entzieht. Darin liegt die tatsächlich theatrale Vereitelung von Winterbournes voyeuristischer satisfaction. Sie möchte die Blicke ins Innere werfen und findet sich plötzlich inmitten der Szene: In dieser steht die Abgrenzbarkeit selbst zur Verhandlung – das Maß, nach dem sich Innen und Außen abgrenzen ließe. Weber beschreibt diese »inscription of spectator into the scene«26, die die Perspektivierung nicht einer Bildlogik, sondern einer Logik der Szene zuordnet, als die theatrale Seite des Unheimlichen, sofern das Unheimliche bei und seit Freud mit dem Unmaß der Positionalität zu tun hat, das die Ordnung der Sichtbarkeit durcheinanderbringt: »It is […] the position of the reader as spectator that is called into question. Indeed, the theatricality of the uncanny consists precisely in inscribing every perspective into a scenario that can therefore no longer be taken in simply as a spectacle.«27 Wie genau hängen das Unheimliche und dieses Theatrale zusammen? Bei Freud ist das Unheimliche eine Ambivalenzfigur und durchkreuzt die Funktionsweisen oppositioneller Differenz: »Unheimlich ist irgendwie eine Art von heimlich«28 und »dies Unheimliche ist wirklich nicht Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den

55/56: Literature and Psychoanalysis. The Question of Reading: Otherwise (Januar 1977), S. 457–505. 26

Weber, »Uncanny Thinking«, S. 19.

27

Ebd.

28

Freud, »Das Unheimliche«, S. 237.

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Abbildung 1: Zeichnung von E.T.A Hoffmann zu Der Sandmann

Aus: Elke Riemer, E.T.A. Hoffmann und seine Illustratoren (Hildesheim: Gerstenberg, 1976), S. 263.

Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist«29. Das Unheimliche ist die Ambivalenz des ›Heims‹, der rationalen/bewussten Stätte des Ich. Es gehört damit in den Bereich der Funktionsweisen des Unbewussten, bzw. zur Relation zwischen Bewusstem und Unbewusstem und zu deren ständigem Übergang, der nicht zuletzt die Entitäten selbst in Frage stellt. Indem das Unheimliche auf diese Weise eine Differenz innerhalb der oppositionellen Logik markiert, widerspricht Freud Jentschs Annahme, das Unheimliche sei ein einfacher Mangel an Kenntnis und Orientierung (das Unheimliche als das Primitive) und könne durch Kenntnis, Wissen und Erziehung überwunden werden. Vielmehr ist das Unheimliche nach Freud verbunden mit der Möglichkeit des Wissens, mit den Verfahren des Erkennens (vor allem des Sehens und Lesens) und mit den Techniken und Praktiken des Darstellens (vor allem des Schreibens). Entsprechend hebt Freud in seiner Lektüre von E.T.A. Hofmanns Der Sandmann (1816) das ödipale Motiv der Sicht bzw. des Augenverlusts hervor, das sich in verschiedenen Variationen durch Hoffmanns Text zieht und das Freud als »Ersatz« oder auch »Ermäßi-

29

Ebd., S. 254.

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gung« für die Kastrationsangst, bzw. den Verlust des Phallus versteht.30 Hoffmann selbst fertigt zu seinem Text eine Federzeichnung, die unterstreicht, dass es sich bei der Sorge um das Augenlicht und bei dessen Verlust nicht nur um ein – seit Ödipus – tragisches Motiv, sondern um eine theatrale Funktion handelt. Auf der Zeichnung sind der Vater Nathanaels und der Advokat Coppelius (alias der Sandmann) zu sehen (Abb. 1). Die beiden Figuren befinden sich in Bühnenstellung, der Advokat im typischen Ausfallschritt, der Vater ihm zugewandt. Im Bild hinten links sieht man einen Vorhang und hinter diesem hervorlugend den kleinen Nathanael, Voyeur der Szene. Die Zeichnung ist deshalb auffällig, weil sie dezidiert unspektakulär ist – verglichen mit jener Schlussszene des Texts, in der Nathanael sich wahnsinnig schreiend und vor den Augen der Öffentlichkeit vom Turm stürzt. Sie ist aber auch deshalb unspektakulär, weil in ihr lediglich der Theaterrahmen markiert ist für diejenige Szene, die – durchaus spektakulärer – folgen wird. Während Nathanael »festgezaubert« lauschend hinter der Gardine steht und sich der Verbotenheit seines Zuschauens bewusst ist, spielt sich ›auf der Szene‹ Folgendes ab, wofür ein längeres Zitat lohnt: Mein Vater empfing den Coppelius feierlich. »Auf! – zum Werk«, rief dieser mit heiserer, schnurrender Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen Schlafrock aus und beide kleideten sich in lange schwarze Kittel. Wo sie die hernahmen, hatte ich übersehen. Der Vater öffnete die Flügeltür eines Wandschranks; aber ich sah, daß das, was ich solange dafür gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine schwarze Höhlung war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu und eine blaue Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei seltsames Geräte stand umher. Ach Gott! – wie sich nun mein alter Vater zum Feuer herabbückte, da sah er ganz anders aus. Ein gräßlicher krampfhafter Schmerz schien seine sanften ehrlichen Züge zum häßlichen widerwärtigen Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah dem Coppelius ähnlich. Dieser schwang die glutrote Zange und holte damit hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig hämmerte. Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen – scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer. »Augen her, Augen her!« rief Coppelius mit dumpfer dröhnender Stimme. Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfaßt und stürzte aus meinem Versteck heraus auf den Boden. Da ergriff mich Coppelius, »kleine Bestie! – kleine Bestie!« meckerte er zähnefletschend! – riß mich auf und warf mich auf den Herd, daß die Flamme mein Haar zu sengen begann: »Nun haben wir Augen – Augen – ein schön Paar Kinderaugen.« So flüsterte Coppelius, und griff mit den Fäusten glutrote Körner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte. Da hob mein Vater flehend die Hände empor und rief: »Meister! Meister! laß meinem Natha-

30

Vgl. ebd., S. 243.

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nael die Augen – laß sie ihm!« Coppelius lachte gellend auf und rief. »Mag denn der Junge die Augen behalten und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den Mechanismus der Hände und der Füße recht observieren.« Und damit faßte er mich gewaltig, daß die Gelenke knackten, und schrob mir die Hände ab und die Füße und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein.31

Das Unheimliche der Szene ist nicht deren ›Horroreffekt‹, sondern liegt in der nachträglichen Sprengung des in der Federzeichnung als stabiler Grund des Spektakels eingerichteten Theaterrahmens. Dieser besteht aus der Verortetheit der Elemente scenae, Vorhang, Voyeur oder: Darstellung/Bild – richtige Distanz/Perspektive – Zuschauer. Wovon aber diese spektakuläre Szene zeugt, ist das Spiel der Substitution oder unheimlichen Metamorphose. Nicht nur wird der Advokat im Folgenden »ohne eine Spur zu hinterlassen« verschwinden, um dann als Substitution seiner selbst, in anderer Rolle wieder aufzutreten.32 Aus Wandschrank wird Höhlung, aus Augen werden schwarze Höhlen, der Vater wird zum Teufelsbilde, aus Kinderaugen werden Hände und Füße. In diesem unheimlichen Theater gibt es keine festen Positionen, keinen stabilen Stand im Ausfallschritt. Und schließlich macht Freud in seiner Lektüre des Sandmanns das Augenmotiv zum Stellvertreter für den Kastrationskomplex: »Das Studium der Träume, der Phantasien und Mythen hat uns […] gelehrt, daß die Angst um die Augen, die Angst zu erblinden, häufig genug ein Ersatz für die Kastrationsangst ist.«33 In dieser unheimlichen Szene geht es um die Logiken der Substitution, die das Paradigma der Sichtbarkeit (Augen) – oder der Evidenz zweifelsfreien Wissens – verunheimlichen. Denn Ödipus’ Strafe selbst – den Verlust des Augenlichts – bezeichnet Freud schon als Stellvertretung eines nicht statthabenden Eigentlichen: ›Eigentlich‹ nämlich hätte Ödipus nach dem Gesetz der Talion die Kastration gedroht, die dem talionischen »Abhauen der Diebeshand« entspräche.34 Stattdessen aber gleicht der ›nichtwissende‹ Ödipus, indem er durch die Selbstblendung ›nichtsehend‹ wird, nachträglich seine Strafe an die Tat an. In dem Wissen aber, für das das Augenlicht steht, haust immer schon das Unheimliche der Stellvertretung. Freuds Sandmann ist eine implizite Theorie der Substitution. Dabei tendiert die in »Das Unheimliche« artikulierte Logik von Verdrängung und Wiederkehr dazu, das Prinzip der Substitution einer repräsentationalen

31

E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, in: ders., Nachtstücke (Reinbek: Rowohlt, 1964), S. 7–40, hier S. 12f.

32

Freud, »Das Unheimliche«, S. 240.

33

Ebd., S. 243.

34

Vgl. ebd.

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Funktionsweise des Unbewussten zuzuschlagen: Demzufolge sind die ›Inhalte‹ des Unbewussten die Repräsentanzen der Triebe (»Triebrepräsentanzen«), die auf Verdrängung beruhen und (in anderer Gestalt) wiederkehren können. Weber hingegen kehrt an Freuds Lektüre des Sandmanns nicht nur die implizite Theatralität des Unheimlichen, sondern darüber hinaus das genuin Unheimliche der Theatralität heraus: This is also what distinguishes such theatricality from ›theory‹ in the traditional sense: there is no longer the possibility of a stable separation from that which is under consideration. A certain promiscuity marks the inscription of spectator into the scene, of narrator into the scenario. ›Positions‹ and ›perspectives‹ become ›roles‹ and ›parts‹ of a process that never gets its ›act‹ together to become a whole, or a ›work‹.35

Unheimlich an der Theatralität ist also, dass sie die stabile Position des Theoretischen entzieht, indem sie den Betrachter – aus der Perspektive des Voyeurs – auf die Szene versetzt, die nur un-heimliche Perspektiven generiert. James markiert diese inscription, indem er Winterbourne zu einer Doppelgängerfigur macht, die die traute Zweisamkeit des Stelldicheins entzweit. Auch Freud bezeichnet das Unheimliche als »Störer der Liebe«36, insofern es der Zielgerichtetheit des Libidinösen und dem ›Zusammenkommen‹ der Vereinigung entgegengeht. James’ Kolosseums-Passage klingt wieder in Otto Ranks Lektüre des Doppelgängers, die Freud zitiert.37 Rank diskutiert in seiner Studie von 1914 Paul Wegeners Stummfilm DER STUDENT VON PRAG (1913). Balduin, Student wie Winterbourne, verkauft gegen Geld und Wunschlosigkeit sein Ebenbild, das – fortan vom ihm losgelöst – ihn unheimlich heimsucht und die glückliche Vereinigung mit der Prinzessin vereitelt. Freud selbst macht die Verbindung zwischen dem Doppelgänger und dem »Störer der Liebe« zwar nicht explizit; die ›Entzweiung‹ der Liebenden und die Versetzung des Liebesaktes ist aber genau die Multiplikation, die durch den Doppelgänger, der nicht mehr reflexives Ebenbild ist, vonstatten geht. Folgendermaßen fasst Rank die klimaktische Filmszene zusammen: Am nächsten Abend eilt die Prinzessin zum Stelldichein; Lyduschka, die sie zufällig erblickt, folgt ihr wie ein Schatten. Auf dem einsamen Friedhof wandeln die Liebenden in herrlicher Mondnacht. Auf einer kleinen Anhöhe machen sie halt und eben ist Balduin im Begriffe, die Geliebte zum erstenmal zu küssen, als er entsetzt innehält und auf seinen

35

Weber, »Uncanny Thinking«, S. 19.

36

Freud, »Das Unheimliche«, S. 244.

37

Vgl. ebd., S. 247.

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Doppelgänger starrt, der sich plötzlich hinter einem der Grabsteine gezeigt hat. Während Komtesse Margit, von der unheimlichen Erscheinung erschreckt, die Flucht ergreift, sucht Balduin vergeblich seines ebenso plötzlich verschwundenen Ebenbildes habhaft zu werden.38

Die Motive ›echoen‹ die Kolosseums-Passage in Daisy Miller: das heimliche Stelldichein, der Friedhof, die Mondnacht, der Schatten, die Unterbrechung durch einen »Störer der Liebe«, auch Daisy hat »the tournure of a princess« (S. 249). Auf den ersten Blick erscheint es abwegig, Winterbourne als Doppelgänger zu lesen, handelt sich doch um zwei verschiedene Figuren – Winterbourne und Giovanelli –, die mehr zufällig um dieselbe Frau buhlen, als dass sie in den komplizierten und notwendigen Logiken der Dopplung beschreibbar wären. In der auf die nächtliche Ansteckung und Daisies Tod folgenden Szene ihrer Beerdigung aber sind beide weniger Duellanten, denn zusammengehörige Figuren der Dopplung oder sogar des Echos – hier echot und doppelt wiederum »The Private Life«, »on our platform of echoes, face to face with the ghosts« (s.o.): Near him stood Giovanelli, who came nearer still before Winterbourne turned away. Giovanelli was very pale: on this occasion he had no flower in his buttonhole; he seemed to wish to say something. At last he said, »She was the most beautiful young lady I ever saw, and the most amiable«; and then he added in a moment, »and she was the most innocent«. Winterbourne looked at him and presently repeated his words, »And the most innocent?« »The most innocent!« (S. 294)

Fast trivial ist, dass hier der »Störer der Liebe« im Mädchensterben die Unschuld bewahrt und damit die potenziellen Duellanten und deren Tragik in doppelt gehende, doppelt sprechende Komiker verwandelt. Denn das Doppelgängertum hat auch bei Freud eine Tendenz zum komischen Theater der Verirrung und Vertauschung von gesicherten Positionen und Rollenzuweisungen, die sich in »Ichverdopplung, Ichteilung, Ichvertauschung«39 ausdrücken können. Während bei Rank der Doppelgänger ein Effekt narzisstischer Überhöhung ist – »energische Dementierung der Macht des Todes«40 –, markiert er bei Freud das Krisenmoment des Narzisstischen: »[A]us einer Versicherung des

38

Otto Rank, Der Doppelgänger. Eine psychoanalytische Studie (Berlin: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 1925), S. 9; vgl. Freud, »Das Unheimliche«, S. 247.

39

Freud, »Das Unheimliche«, S. 246.

40

Zitiert nach ebd., S. 247.

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Fortlebens wird er zum unheimlichen Vorboten des Todes.«41 Auch bei James ist der Doppelgänger eine Figur der Unterbrechung, eine Krise des ›Heims‹. Als solche ist Winterbournes scenic inscription eine Figuration des Medialen und diese ist hier insofern »Störer der Liebe«, als sie die Teleologie seduktiver Logik unterbricht. Während sich Ranks Der Doppelgänger als eine »psychoanalytische Studie« ausgibt, ist der Text über weite Strecken eine gewissenhafte Nacherzählung der Filmhandlung von DER STUDENT VON PRAG. Friedrich Kittler hat darauf hingewiesen, dass Rank dabei – indem er Szene für Szene nacherzählt – »eine Dichtung [verifiziert], die der Film eben abgelöst hat«42. Das Format dieser »abgelösten« Dichtung geht laut Kittler nicht zufällig auf Goethes Wilhelm Meister zurück. Der klassisch-romantische Doppelgänger ist die Programmierung auf identifikatorisches Lesen, durch die Wilhelm Meister zum Doppelgänger seiner Leser wird, indem er die Widerspiegelung des Allgemeinen, der MenschenNatur ist.43 Umgekehrt heißt das aber, dass in dem identifikatorischen VorAugen immer schon (in/als Dekonstruktion) der unheimliche und theatrale Doppelgänger haust, den Artaud als Double und Brecht als Verfremdung lesbar machen werden (vgl. Kap. IV). Denn der Preis des Identifikatorischen ist seit Wilhelm Meister das Gespenst des Theaters, Hamlets unheimlicher Vater, der die Genealogie und die Teleologie des Romans heimsucht. Kittler schlussfolgert, dass an der Doppelgängerfigur die Geschichte der Verdrängung der Medientechnik abgelesen werden kann – und zwar innerhalb der Psychoanalyse und innerhalb des »klassisch-romantischen« Paradigmas der Literatur. Was hier wie bei Rank geschieht, ist ein Lesen, »als gäbe es keine technischen Schwellen«44. Rank übersetzt in seiner Narrativierung der Filmbilder die Brüche und Bildschnitte in eine chronologische Szenenfolge und verleiht den flimmernden und sich halluzinatorisch verdoppelnden Bildern des stummen Films eine die Bilder kommentierende Stimme. Dabei bestand – und darüber lässt DER STUDENT VON PRAG keinen Zweifel – die spezielle Faszination des Doppelgängers für den Film in dem Spiel mit der trickreichen Technik: Hier konnten ›echte‹ Doppelgänger auftreten, zweimal Balduin, Ebenbild seiner selbst dank Filmtechnik. Ranks chronologische Szenenfolge verweist damit aber umgekehrt auf die Frage nach

41

Ebd.

42

Friedrich Kittler, »Romantik – Psychoanalyse – Film: Eine Doppelgängergeschichte«, in: Jochen Hörisch und Georg Christoph Tholen (Hg.), Eingebildete Texte. Affairen zwischen Psychoanalyse und Literaturwissenschaft (München: Fink, 1985), S. 118–35, hier S. 129.

43

Vgl. ebd., S. 122f.

44

Ebd., S. 129.

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den »Schwellen« im Text, oder wie Kittler schreibt: »Der Buchstabe wurde übersprungen, das Buch vergessen, bis irgendwo zwischen den Zeilen eine Halluzination erschien…«45 Diese Halluzination ist bei Kittler als phantasmatisches Vor-Augen gedacht, als Versprechen medientechnischer Realisierung. Gleichzeitig kann die Halluzination aber nicht nur der im Text implizite Hinweis auf die Medientechnik der Schrift, sondern auf die Verfahren literarischer Medialisierung sein, ihr sich heimliches ›Versprechen‹, Verraten, das der medientechnischen Realisierung entgegengeht. Eine solche Halluzination ist Mr. Winterbourne. Denn nur einerseits behauptet der Text, Illuminierung sei die Auflösung aller unheimlichen Ambiguität: »Winterbourne stopped, with a sort of horror, and, it must be added, with a sort of relief. It was as if a sudden illumination had been flashed upon the ambiguity of Daisy’s behavior, and the riddle had become easy to read« (S. 291). Hier ist es das Licht, das für Winterbourne plötzlich auf das Rätsel vor seinen Augen fällt und damit dessen Lektüre ermöglicht, die alle Ambiguität auszuräumen vermag. Die gesamte Szene aber, einschließlich der inscription der lesenden/blickenden Perspektive, ist ein unheimliches und ambivalentes Spiel aus Licht und Schatten, das statt klarer Unterscheidung das Vage, Diffuse, Ununterschiedene betont: »the vaguely lighted monuments of the Forum«, »a waning moon in the sky, and her radiance was not brilliant, but she was veiled in a thin cloud curtain which seemed to diffuse and equalize it«, »the dusky circle of the Colosseum […], the interior, in the pale moonshine«, »the cavernous shadows of the great structure«, »[o]ne-half of the gigantic circus was in deep shade, the other was sleeping in the luminous dusk« (S. 290; Hervorhebung SW). Während Winterbournes Blick sich auf die Szene richtet – Winterbourne walked to the middle of the arena, to take a more general glance, intending thereafter to make a hasty retreat. The great cross in the center was covered with shadow; it was only as he drew near it that he made it out distinctly. Then he saw that two persons were stationed upon the low steps which formed its base. One of these was a woman, seated; her companion was standing in front of her (S. 290f.) –,

ist es plötzlich seine Perspektive, die ins Licht rückt – »Presently the sound of the woman’s voice came to him distinctly in the warm night-air. ›Well, he looks at us […]‹« (S. 291). In ihrer Statik unterbrochen oder dynamisiert wird so die Rahmenfunktion des Voyeurs, Winterbourne selbst, zu einer monströsen Halluzination zwischen Schatten und durch den Dunst febriler Wahrnehmung: das Kolosseum ein unheimliches und – skandalöses – Theater der Positionierungen

45

Ebd., S. 123.

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und De-positionierungen, ohne Stand, ohne definitiven Rahmen. Erzählt wird eine Geschichte und Genealogie der Versetzungen, in der das transformative Moment die oppositionellen Entitäten von innen aushöhlt und die Ordnung der Abfolge und Verdrängung selbst heimsucht. In diesem unheimlichen Theater werden die literarischen Schauplätze zu intertextuellen Verweisplätzen, wechseln den Status der Präsenz zur je anderen Szene.

S CHAUPLATZ : F ORT /D A – T HEATERRAUM , E CHO -R AUM Aufgrund der intertextuellen Präsenz Lord Byrons wurde Daisy Miller als »the exotic, dashingly handsome, dangerous and seductive Byronic Hero«46 gelesen, zu einer Inkarnation der literarischen Vorgänger, einem amerikanischen Childe Harold oder einem mädchenhaften Don Juan gemacht.47 Das gelänge vielleicht eher, wäre der ›Schauplatz‹ so einfach zu haben, wie wiederum Lord Byron in seinem Preface zu den ersten beiden Cantos von Childe Harold’s Pilgrimage (1812–1818) behauptet: »The following poem was written […] amidst the scenes which it attempts to describe« – Albanien, Spanien, Portugal, Griechenland.48 »Inmitten der Schauplätze« markiert hier ein Verfahren der Beglaubigung, das die poetische Präsenz einer die Vorlagen und Vorgänger inkarnierenden Pilgerreise in dem »Inmitten der Schauplätze« garantieren soll. Dass der ›Schauplatz‹ dabei aber nicht einfach zu sehen gibt, was dann zu schreiben und zu lesen sein wird, zeigt der Anruf der Muse in der ersten Stanze des Canto I: To Ianthe Not in those climes where I have late been straying,/Though Beauty long hath there been matchless deem’d,/Not in those visions to the heart displaying /Forms which it sighs but to have only dream’d,/Hath aught like thee in Truth or Fancy seem’d:/Nor, having seen thee, shall I vainly seek /To paint those charms which varied as they beamed – /To such as

46

Lord Byron, Selected Poems, hg. von Susan Wolfson und Peter Manning (London; New York: Penguin, 2005), S. ix (Introduction).

47

Vgl. Adeline R. Tintner, Book World of Henry James: Appropriating the Classics (Ann Arbor: UMI Research Press, 1987).

48

Lord Byron, Childe Harold’s Pilgrimage. A Romaunt. Cantos I–II, in: ders., Selected Poems, hg. von Susan Wolfson und Peter Manning (London; New York: Penguin, 2005), S. 56–152, hier S. 56.

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see thee not my words were weak;/To those who gaze on thee what language could they speak?49

Ianthe ist die Muse, deren Schönheit den ›Schauplätzen‹ erst ihre Sichtbarkeit zufügt – hineingesehen und -gelesen in die Landschaft – unter der Bedingung, dass sie Muse ist. Doch gleichzeitig ist es gerade diese Schönheit der Muse – her charms –, die nun dazu führt, dass die ›Schauplätze‹ in Worten auftreten, die die Verzauberung zwar beinhalten, aber nicht mehr einfach ›zu sehen‹ geben: Denn die Worte und das Sehen bedingen sich zwar, verhalten sich aber gleichzeitig chiastisch und paradox zueinander: »Wer dich nicht sieht, dem kann mein Wort nichts sagen,/Und wer dich schauet, wird der noch nach Worten fragen?«, übersetzt A.H. Janert 1868 die beiden letzten Verse.50 Wenn in Daisy Miller immer wieder von ihrem charm die Rede ist, dann nicht nur als verkörperte Erotik und gesteigerte Anwesenheit, sondern immer auch im Sinne einer »Beschwörungsformel«51, die die Übersetzungen von den Worten zu den magischen ›Erscheinungen‹ – die Verfahrensweisen der Vergegenwärtigung – lesbar lässt. In der späteren Vorrede verbindet James den oben bereits ausführlich beschriebenen Effekt des Magischen mit der Frage der nouvelle: »Of the four tales James called nouvelles, ›Daisy Miller‹ has by far the largest number of ›wonder‹ words in its introduction: ›inordinately and extravagantly…poetical‹, ›of course pure poetry‹, ›unprincipled mystification‹, ›shy incongruous charm‹, and so on, including constant reference to romance.«52 Das Verhältnis zwischen dem Text und seinen literarischen Vorgängern und ›Schauplätzen‹ bewegt sich zwischen diesem ›Neuen‹, das die ›nouvelle‹ markiert, und dem charm, der durchzogen ist von »occult influence«53. Dieser Einfluss aber ist bereits in den Texten von James

49 50

Ebd., S. 59. Lord Byron, Childe Harolds Pilgerfahrt (Hildburghausen: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1868), S. 9.

51

»charm«, von lat. carmen, song, verse, oracular response, incantation: ›charm, n.‹, OED Online, June 2013. Oxford University Press, http://www.oed.com (letzter Zugriff: 22. August 2013).

52

Cowdery, Nouvelle of Henry James, S. 73; vgl. James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1270ff.

53

»orig. The chanting or recitation of a verse supposed to possess magic power or occult influence; incantation, enchantment; hence, any action, process, verse, sentence, word, or material thing, credited with such properties; a magic spell; a talisman, etc.«: ›charm, n.‹, OED Online, June 2013. Oxford University Press, http://www. oed.com (letzter Zugriff: 22. August 2013).

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den Ökonomien der Bezeichnung und Benennung eingeschrieben. Calling her charming ist das deskriptive Moment, das sich auf la donnée als bereits textuellen Gegenstand der früheren Fassung und seiner Kommentierung/Deskription in den Umschriften richtet. Deskription und psychologischer Kommentar versetzen die Präsenz der donnée in den Bereich des Intertextuellen. ›Daisy‹ wird mithin zu einer donnée chiffrée, die aber nicht erfassbare Angabe/Gegebenheit ist, sondern (wörtlich) deren textuelle Chiffrierung. Entsprechend konzipiert Daisy Miller den historischen Raum, den ihre Theatralität markiert, als febrile Ansteckung innerhalb der flirtiven Szene, in der das Distinkte »verunreinigt«54 wird: As [Winterbourne] stood there he began to murmur Byron’s famous lines, out of ›Manfred‹, but before he had finished his quotation he remembered that if nocturnal meditations in the Colosseum are recommended by the poets, they are deprecated by the doctors. The historic atmosphere was there, certainly; but the historic atmosphere, scientifically considered, was no better than a villainous miasma. (S. 290)

Rom und Vevey, James’ Text und Byrons »famous lines« aus Manfred. A Dramatic Poem (1816), die wie eine stumme Tonspur mitlaufen, verschwimmen. Der Theaterraum ist selbst flirtiv – ungesättigt durch Kontaktfreude: Statt szenischem Ereignis geht es hier um intertextuelle Verweiskraft, um eine Art antikausales miasma oder defilement. James’ Passage übersetzt den an die Kategorie des Autorsubjekts gebundenen imaginativen Einfluss (influence) dichterischer (hier: vor allem romantischer) Topoi in die febril-miasmatische Influenza, die die Dichtersouveränität zum Gemurmel (murmur) fremder Stimmen macht. Daisy Miller handelt von der Fama des Hören-Sagens, die als auditive Facette des Texts die visuelle Ordnung durchquert und verräumlicht. Diese folgt einer »ghostly logic of deferred action or après coup«55, indem sie eine Ungleichzeitigkeit und innere Differenz in die vermeintliche Simultaneität der Szene einspeist. »The most important thing about the ear’s difference«, schreibt Derrida, »is that the signature becomes effective – performed and performing – not at the moment it apparently takes place, but only later, when ears will have managed to

54

Vgl. zur romantheoretischen Diskussion der Verunreinigung Jonathan Arac, Impure Worlds: The Institution of Literature in the Age of the Novel (New York: Fordham University Press, 2011).

55

Royle, The Uncanny, S. 66.

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receive the message.«56 In dieser Ungleichzeitigkeit wird der Text zum EchoRaum »der Übertragungen und Verschiebungen, der Refraktionen und der Vermehrungen und Überlagerungen«, in dem die Souveränität der Rede – deren Ursprung und Absicherung im Sprechersubjekt – dekonstruiert wird.57 Denn dieser Echo-Raum ist einer der Fülle (copia), die von keinem Selbst kontrolliert wird, aus dem unsere Reden stammen oder zitiert sind, und an den sie sich verlieren. Dessen Fülle ist nichts anderes als die SinnLeere des Gemurmels des Sprechens aller (das keine mit sich selbst identische Gegenwart hat). Das ist aber kein Niedergang oder Verlust, sondern die Ermöglichung, die Potentialität und der Hinter-Grund jeder jeweiligen eigenen Rede, auch wenn diese, in diesem Raum der Sprache als dem der Reden aller nachhallend gegebenen, abwesenden Reden, die eigene nicht bleibt.58

Von diesem die Rede erst ermöglichenden Entzug des Eigenen handeln Ovids Metamorphosen, in denen Echo nicht nur die Gegenspielerin des Narziss ist, die dessen ›Selbst‹-Bezogenheit herausfordert – sie ist die geschwätzige Nymphe, der von Juno zur Strafe für den listigen Gebrauch der Rede ihre eigene Rede genommen wird: Dieser Zunge Gewalt, die mich belastete, sprach sie,/Soll dir gering hinfort, und kurz der Stimme Gebrauch sein./Drohungen folget die Tat; jedoch am Ende des Redens/Tönt sie die Laute zurück, die gehöreten Worte verdoppelnd./[…]./Es wehrt die Natur, und vergönnt nicht,/Daß sie zuerst anrede; was jene vergönnt, das beschließt sie:/Abzuwarten ein Wort, dem zurück sie das ihrige sende.59

56

Jacques Derrida, The Ear of the Other: Otobiography, Transference, Translation (Lincoln; London: University of Nebraska Press, 1988), S. 50; zitiert nach Royle, The Uncanny, S. 66.

57

Bettine Menke, »Rhetorik der Echo. Echo-Trope, Figur des Nachlebens«, in: Kulturwissenschaftliche Germanistik in Asien, hg. von der Koreanischen Gesellschaft für Germanistik, Redaktion Gyung-Jae Jun u.a. (Seoul: Trade & Publishing Company, 2008), S. 73–93, hier S. 93; vgl. zu Echo und Theater die Dokumentation der Konferenz »Die Praxis der/des Echo. Vom Widerhall in den Künsten, dem Theater und der Geschichte«, Februar 2013, http://www.echo2013.de/ (letzter Zugriff: 18. Februar 2013).

58

Menke, »Rhetorik der Echo«, S. 93.

59

Publius Ovidius Naso, Metamorphosen (Köln: Anaconda Verlag, 2005), S. 73f.

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Die geschwätzige Echo lenkt Junos Aufmerksamkeit ab und setzt listig ihre Rede ein, um Jupiters Stelldichein mit den Nymphen zu ermöglichen und vor Juno zu verheimlichen: »[D]a diese den Jupiter oftmals/Konnt’ auf den Bergen ertappen in williger Nymphen Gemeinschaft,/Wußte sie schlau die Göttin in langem Gespräch zu verweilen,/Bis ihr die Nymphen entflohn.«60 »It is this beguilding prudence, that Juno takes from her«, fasst Spivak zusammen: »you can no longer speak for yourself. Talkative girl, you can only give back, you are the respondent as such.«61 In der ›uneigentlichen‹ Rede verfügt Echo weder über den Anfang der Rede noch souverän über deren Ende und ist so eine Figur des Gedächtnisses, das sich in Fama, Ruf und Gerücht niederschlägt. Echo markiert die »doppelte Arbitrarität«62 oder zweifache und ursprüngliche Kontingenz der Rede, ihre Verwiesenheit an die zukünftigen Wiederholungen und Widerhälle und an die vorausgegangenen Reden.63 Auch Lord Byrons in Daisy Miller »gemurmelter« Manfred beginnt mit solch »anderer Rede«; er nutzt als Motto Hamlets Worte: »There are more things in heaven and earth, Horatio, Than are dreamt of in your philosophy«64. Der Satz, den Hamlet nach der Konversation mit dem Vater-Gespenst spricht, steht vor der Auflistung der dramatis personae, die sich zum Teil aus mythischen (Berg-)Wesen zusammensetzen: Witches of the Alps, Arimanes, Nemesis, The Destinies, Spirits.65 Als Lesedrama gedacht, korrespondiert der ›leiblichen‹ Unterbesetzung die Idee der »Mysterious Agency!«, wie es in Akt I heißt.66 »Mysterious« ist diese agency vor allem, weil ihr Ursprung ›undenkbar‹ und nur ihr Effekt sichtbar ist, vergleichbar Daisies »mystifying manners« (S. 295), »the mystery of […] sudden familiarities and caprices« (S. 260). Die gemurmelten

60

Ebd., S. 73.

61

Gayatri Chakravorty Spivak, »Echo«, in: New Literary History 24, Nr. 1 (1993),

62

Menke, »Rhetorik der Echo«, S. 76; vgl. Spivak, »Echo«.

63

Vgl. Menke, »Rhetorik der Echo«, S. 73.

64

Byron, Selected Poems, S. 463; vgl. William Shakespeare, The Arden Shakespeare

S. 17–43, hier S. 23.

Complete Works, hg. von Ann Thompson, Richard Proudfoot und David Scott Kastan (London: The Arden Shakespeare, 2001), S. 301. 65

Byrons Manfred. A Dramatic Poem entsteht etwa zeitgleich mit Mary Shelleys Frankenstein (1818) und gehört in den Bereich der Gothic Fiction der britischen Romantik; vgl. Michael Gamer, »Gothic Fictions and Romantic Writing in Britain«, in: Jerrold E. Hogle (Hg.), The Cambridge Companion to Gothic Fiction (Cambridge; New York: Cambridge University Press, 2002), S. 85–104.

66

Byron, Selected Poems, S. 464.

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»famous lines, out of ›Manfred‹« könnten sich auf die Eingangspassage aus Byrons Akt III.iv beziehen: The stars are forth, the moon above the tops/Of the snow-shining mountains. – Beautiful!/I linger yet with Nature, for the night/Hath been to me a more familiar face /Than that of man; and in her starry shade /Of dim, and solitary loveliness,/I learn’d the language of another world./I do remember me, that in my youth,/When I was wandering, – upon such a night/I stood within the Coliseum’s wall,/Midst the chief relics of almighty Rome;/The trees which grew along the broken arches/Waved dark in the blue midnight, and the stars/Shone through the rents of ruin; […]/[…]./And thou didst shine, thou rolling moon, upon /All this, and cast a wide and tender light,/Which softened down the hoar austerity /Of rugged desolation, and fill’d up,/As’t were anew, the gaps of centuries;/Leaving that beautiful which still was so,/And making that which was not, till the place /Became religion, and the heart ran o’er/With silent worship of the great old! –/The dead, but sceptred sovereigns, who still rule /Our spirits from their urns.–67

Inwiefern wirkt diese »andere Rede« in James’ Daisy Miller? Daisies und Winterbournes gemeinsame Reise endet in Rom, beginnt aber in Vevey am Genfer See, wo beide das durch Byron literarisch kanonisierte und heroisierte Schloss Chillon besuchen. Obige Zeilen Byrons rufen damit auch jenen anderen in Daisy Miller zitierten intertextuellen Verweisplatz auf, Lord Byrons »Sonnet on Chillon«: »Chillon! thy prison is a holy place,/And thy sad floor an altar, – for ’twas trod,/Until his very steps have left a trace,/Worn as if the cold pavement were a sod,/By Bonivard! – may none these marks efface,/For they appeal from tyranny to God.«68 Erst diese intertextuellen Verschachtelungen und Versetzungen zeigen auf, dass, entgegen Byrons Romantik, ›Landschaft‹ in Daisy Miller nicht das ist, was sich selbst-präsent und ursprungslos im Mondschein zeigt – wie in Byrons »I linger yet with Nature«. Vielmehr ist ›Landschaft‹ in Daisy Miller immer schon literarisch beschriebene Landschaft.69 In beiden zitierten Passagen

67

Ebd., S. 502f.; vgl. auch Bell, »Formula and Flirtation«, S. 32ff.

68

Byron, Selected Poems, S. 397.

69

Vgl. zur literarischen Kanonisierung europäischer Kulturlandschaft durch Baedeker: Fogel, Daisy Miller, S. 42. »[The Americans] went to Europe in search of the picturesque, the romantic, and their expectations were largely shaped by the most popular literature of the nineteenth-century, the great works of English and European romanticism that had cast over the locales of Daisy Miller – Lake Geneva, Vevey, the Castle of Chillon, The Roman Pincio, the Colosseum, the Palatine Hill, the Protestant Cemetery where Shelley and Keats lie buried – an aura of mysterious fa-

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imaginiert Byron die romantische Präsenz der Vergangenheit, eine Evidenz der Geschichte und ihres Heroismus, der dem Ort eine Heiligkeit in der Präsenz der kontinuierlichen Spur des Vergangenen (a trace) zuträgt, »which […] fill’d up […] the gaps of centuries«. In James’ Kolosseums-Passage ist die Absenz des vergangenen Anderen (the gap) im bühnenhaften setting ausgestellt, der romantische cloud curtain ein Theatervorhang, der Mond vielmehr ein Scheinwerfer. Auf dieser intertextuellen Bühne findet kein präsentischer Auftritt statt. Daisies Formel, »I have seen the Colosseum by moonlight« (S. 292), kristallisiert Daisies/Daisy Millers Rede als Wort-Fetzen und Gemurmel, als unheimlichen Topos, der durch die Literatur des 19. Jahrhundert geistert, Worthülse und Zitatfetzen – Echo ohne Herkunft, Ursprung, Ankunft, Heimat. »The Colosseum by moonlight« ist hier nicht Topos, der verortet – im Sinne des wörtlichen ›a place to find something‹ –, sondern Aufgefundenes und Aufgelesenes, das die literarische Ordnung dynamisiert – davon erzählt Daisies motivation. Indem in Daisy Miller die Figur des Echo die intentionale und präsentische Rede (des Narziss) im versetzenden Wider-Hall heimsucht, wird der Text zur Defiguration von Autorschaft, zeugt von der »nicht-auktoriale[n] Begründung der Rede und eine[r] Nicht-Sicherbarkeit der auktorialen Intention der Rede«70. Diese Defiguration denkt Derrida mit dem ›akustischen‹ Aspekt zusammen, den auch das ›Hören-Sagen‹ impliziert –, insofern als sich jedes Sagen immer auf ein ›Gehörtwerden‹ bezieht, das es nachträglich (später) und andernorts signiert: »In some way the signature will takes place on the addressee’s side, that is, on the side of him or her whose ear will be keen enough to hear my name, for example, or to understand my signature, that with which I sign. […] it is the ear of the other that signs […]. A text is signed only much later by the other.«71 James’ Revisionen seiner Texte können als der Versuch gelesen werden, die Position dieses nachträglich »signierenden« Anderen als alter Ego selbst auszufüllen, so

ble, ineffable beauty, and stirring heroism. Before they saw any of these places, the nineteenth-century American (and English) tourist had become familiar with them through the works of Rousseau, Madame de Staël, Goethe, Keats, Shelley, and, above all, Byron. More recently, the Roman scene in particular had been made vivid to English-speaking travelers by its use as the setting of Hawthorne’s novel The Marble Faun (1860). Every place tourists went had stories associated with it that were ingrained in the popular imagination. And in case these stories were not fresh in mind, the guidebooks that were indispensable companions of even the most seasoned travelers were sure to offer cultivated prods to memory.« 70

Menke, »Rhetorik der Echo«, S. 90.

71

Derrida, The Ear of the Other, S. 50f.; zitiert nach Royle, The Uncanny, S. 66.

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dass sich die Textgenese gänzlich in die Erzählung des Narziss(mus) eintragen ließe, der sich – selbst-präsentisch – perpetuiert. Dieser Doppelgänger stellt sich gegen die Entwendung der Texte: Hier wird mit beharrlicher Autorschaft gegen die Krise des ›Heims‹ und die »unheimliche[n] Vorbote[n] des Todes« zur »Versicherung des Fortlebens« angeschrieben.72 Entsprechend ersetzt James in der komödiantischen Umarbeitung Daisy Miller. A Comedy den enigmatischen Charakter des Texts durch eine letzthin auflösbare Ökonomie aus Wissen und Geheimnis. Im Gegensatz zu Daisy Miller. A Study geht es in der Comedy um ›handfeste‹ und ›dingfeste‹ Szenen: Statt des nebulösen Skandals um Daisies Motive und Motivationen gibt es eine verbriefte Affäre und einen für den Szenenverlauf wirkmächtigen Intriganten, der den Lesern/Zuschauern eröffnet, welche Geheimnisse die Figuren voreinander haben. Im Stück tritt eine Mme. de Katkoff auf, die in der Erzählung – ohne Namen – als Winterbournes heimliche Geliebte lediglich angedeutet wird, »that he was extremely devoted to a lady who lived there – a foreign lady – a person older than himself« (S. 239). In der Comedy übernimmt diese Mme. de Katkoff nicht nur den handfesten Skandal außerehelicher Liebesdinge, der in Bezug auf Daisy weder vor noch nach ihrem Ableben dingfest gemacht werden kann; als Kupplerin bewirkt sie die komische Lösung der Handlung in einer anvisierten doppelten Eheschließung, verbunden mit einer Rückführung nicht nur in den heimischen Hafen der Ehe, sondern aus der europäisch-unheimlichen Fremde in die amerikanische Heimat: MISS DURANT. (To MRS. COSTELLO.) Shall we start for America now? REVERDY. Of couse [sic] we shall – to be married! WINTERBOURNE. (Laying his hand on REVERDY’S shoulder.) We shall be married the same day. (To DAISY.) Shall we not, Daisy – in America? DAISY. (Who has risen to her feet, leaning on his arm.) Oh, yes; you ought to go home!73

Aber so heimisch wird dieser Hafen erst in der nachträglichen Lektüre, die das Un-heimliche des Doppelgängers immer mitführt, das sich der oppositionellen Ordnung widersetzt. Auch wenn James’ Daisy das ›Original‹ für spätere Figuren wie Isabel Archer (The Portrait of a Lady, 1880), Millie Theale (The Wings of the Dove, 1902) oder Maggie Verver (The Golden Bowl, 1904) liefert, ist sie

72 73

Freud, »Das Unheimliche«, S. 247. James, Complete Plays, S. 176. Das zweite Paar, eine gewisse Miss Durant und ein Mr. Reverdy, taucht in A Study nicht auf, unterstreicht aber, dass es sich bei dem Play um eine Komödie, um die Widrigkeiten der Partnerfindung und das Lösungspotenzial der Eheschließung handelt.

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Original nur um den Preis, immer schon mehr als ›eine‹ zu sein, öfter als ›einmal‹ da. Denn Daisy Miller. A Study ist von den ersten Zeilen an eine Erzählung über Echo-Figuren. There are sights and sounds which evoke a vision, an echo, of Newport and Saratoga. There is a flitting hither and thither of ›stylish‹ young girls, a rustling of muslin flounces, a rattle of dance music in the morning hours, a sound of high-pitched voices at all times. You receive an impression of these things at the excellent inn of the ›Trois Couronnes‹ and are transported in fancy to the Ocean House or to Congress Hall. (S. 238; Hervorhebung SW)

»[A] vision, an echo« verfremdet und vervielfacht hier nicht nur diesen Schauplatz, sondern den Schauplatz an sich: Das Echo zersetzt als Widerhall eines anderen Schauplatzes die Situation dauernder Gegenwart und nimmt den Effekt des Vor-Augen-Stehens im Auditiven und in dessen Zeitlichkeit zurück, den gerade der Vergleich gewährleisten soll. Das heißt, das Verhältnis zwischen ›Amerika‹ und ›Europa‹, das die Comedy nachträglich in Heimat und Fremde ordnen möchte, erweist sich als der Effekt einer gespenstisch-echohaften Überlagerung. Die ›Nachträglichkeit‹ narzisstischer Re-Vision aber nimmt Daisy Miller. A Study vorher bereits vorweg und karikiert sie so als den komischen Versuch, einer immer schon stattfindenden Multiplikation vergeblich Einhalt zu gebieten. Denn bereits dort ist Daisy nicht nur she, sondern they: The young lady meanwhile had drawn near. She was dressed in white muslin, with a hundred frills and flounces, and knots of pale-colored ribbon. She was bareheaded, but she balanced in her hand a large parasol, with a deep border of embroidery; and she was strikingly, admirably pretty. ›How pretty they are!‹ thought Winterbourne, straightening himself in his seat, as if he were prepared to rise. (S. 241; Hervorhebung SW)

Die echohaften Überlagerungen und Ersetzungen spielen das »Fort/Da«-Spiel, das Freud in »Jenseits des Lustprinzips« beschreibt: Im Spiel mit dem Verschwinden (Fort) und Wiederkommen (Da) einer Spule re-inszeniert das Kind Fortgehen und Wiedererscheinen der Mutter.74 Freuds Ausführungen thematisieren, dass das Da und das Fort demselben Spiel zugehören und dass dieses Fort/Da das »ein« und das »einmal« – den Ursprung – verlangt und entzieht.75 Denn während das Spiel die Mutter zum Objekt macht, indem sie ersetzt und

74

Vgl. Freud, »Jenseits des Lustprinzips«, S. 224ff.

75

Weber, Freud-Legende, S. 159.

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vom Kind ›gespielt‹ wird, erweist sich das Spiel einerseits als Strategie ursprünglicher Verortung (Da!), in der das Kind sich an die Stelle der ›Urheberschaft‹ setzt. Gleichzeit aber ist das »Fort/Da«-Spiel eines, das immer wieder gespielt wird und in dieser Multiplikation – she/they – den Ursprung entzieht. Auf dieses multiplizierende Moment richtet sich der Versuch der Comedy, das skandalöse Moment des Flirts in die Seriosität lesbarer Motive zu übersetzen: Mme. de Katkoffs »Try to make her serious. That’s a mission for an honest man!«76 kann nicht zuletzt als (Selbst-)Aufforderung an den Autor und sein Projekt der Re-Vision selbst gelesen werden. Doch aller narzisstischer Intention zum Trotz gibt sich die gesamte Comedy als ein Text aus, in dem sich Schreib- und Leseszenen überlagern. Daisy Miller tritt in ihrer späteren dramatischen Fassung als gespenstisches Zitat – »always wandering« – aus einem anderen Text auf, der einmal der eigene war, ihr nun aber nachträglich so eigen nicht gewesen zu sein scheint: MRS. COSTELLO. She is always wandering about the garden – the image of idleness and inanity. REVERDY. She’s not as serious as we, nor as well occupied, certainly; but she’s bored to death. She has got no one to flirt with. MISS DURANT. She shall not flirt with you, at any rate! REVERDY. Do you wish me to hide behind a tree? MISS DURANT. No, you can sit down here (indicating the bench beside her), and take my parasol – so! – and hold it before your face, as if you were shading your eyes. REVERDY. (With the parasol.) From Miss Daisy Miller? Its true she’s very dazzling! (DAISY enters from the right, strolling slowly, as if she has nothing to do, and passes across the stage in front of the others, who sit silent, watching her, REVERDY peeping for a moment behind his parasol. She was dressed in white muslin, with a hundred frills and flounces, and knots of pale-colored ribbon. She was bare-headed; but she balanced in her hand a large parasol, with a deep border of embroidery; and she was strikingly, admirably pretty ([Fußnote:] From the story. (Henry James’s footnote)).77

Statt die Gegenwärtigkeit der dramatischen Szene zu behaupten, stellt der Text sich in »Henry James’s footnote« selbst als Zitat und als nachträglich aus: als bezogen auf vorausgehende und nachkommende Rede. Daisies erotische und sichtbare Präsenz – »she’s very dazzling!« – ist durch das ausgestellte Zitat zurückgenommen. Indem der Text sich als Lektüre ausweist, meint dazzling nicht

76

James, Complete Plays, S. 143f.

77

Ebd., S. 126.

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mehr einfach ein Übermaß an sichtbarem Effekt, sondern eine Überblendung zweier Texte: Szene und anderer Schauplatz.78 Die entscheidende Umarbeitung des Handlungsverlaufes ist dabei noch nicht einmal das happy end der Eheschließung in der komischen Fassung, sondern die Behauptung einer Szene des Heims, in der das transatlantische entanglement gelöst wird und jeder wieder dorthin reist, wo er hingehört. In der Relation der Texte wird lesbar, dass in Daisy Miller. A Study sicherer Grund und heimischer Hafen ausstehen bzw. woanders verhandelt werden. Indem aber die Comedy sich als re-writing oder retelling ausgibt, wird zugleich die Originalität und Ursprünglichkeit der textuellen Setzung selbst zurückgenommen. James’ Projekt »Daisy Miller« ist der Index einer Supplementarität und Alterität, den die »szenische Methode« dramatisiert. Doch während die Figur der Echo als »powerful mocker«79 der Macht und Souveränität jeder intentionalen Rede und Autorschaft gelesen werden kann, ist sie zugleich schon bei Ovid nicht nur Opferfigur, sondern dekonstruiert die Oppositionalität von Täter und Opfer, Subjekt und Objekt. Auch wenn sie fortan nur noch Antwort ist,80 eignet ihrer Rede als Wiederholung ein positivaffirmativer Zug. Bevor Narziss sie verhöhnt und Echo vor Gram verkümmert, bis nur noch Laut und Gebein übrig sind, »gefällt [auch sie] in den Worten sich selbst«: Siehe, der Knab’ […]/Rief: Ist einer allhier? und: Allhier! antwortete Echo./Jener staunt, und indem er mit spähendem Blicke sich umsieht,/Rufet er: Komm! laut auf; Komm! ruft sie dem Rufenden wieder./Rückwärts schauet er; keiner erscheint: Was, rufet er endlich,/Meidest du mich? Was meidest du mich? antwortet die Stimme./Jener besteht, und getäuscht von des Wechselhalles Gegaukel:/Hier uns vereiniget! ruft er; und freudiger keinen der Töne/Nachzutönen bereit: Uns vereiniget! ruft sie entgegen;/Und sie gefällt in den Worten sich selbst. Aus dem dichten Gesträuch nun /Trat sie hervor mit dem Arm den ersehneten Hals zu umschlingen./Jener entflieht, und entziehend: Hinweg die umschlin-

78

Daher widerspreche ich Tintners Einschätzung zur Rolle Byrons, die statt des textuellen – zitathaften – Bezugs das Moment des »direct reenactment or reexperiencing of Byron’s adventure« des Vergangenen betont: Tintner, Book World of Henry James, S. 98.

79

John Hollander, The Figure of Echo: A Mode of Allusion in Milton and After (Berkeley u.a.: University of California Press, 1981), S. 2; vgl. Menke, »Rhetorik der Echo«, S. 74.

80

Vgl. Spivak, »Echo«, S. 27ff.

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genden Hände,/Saget er; lieber den Tod, als dir mich schenken, begehr’ ich!/Nichts antwortete jen’, als: Dir mich zu schenken begehr’ ich!81

Echo ist nicht einfach Gegenspielerin von Narziss, sondern sucht den Narzissmus heim, indem sie ihn als »dynamic disunity«82 ausweist. Wie Freud 1914 schreibt, ist der »Narzissmus« nicht nur das Streben nach dem Idealen, sondern die melancholische Sehnsucht nach dem paradiesischen Urbild der Kindheit, nach dem idealen Ursprung, der »Besitz aller wertvollen Vollkommenheiten« ist: Diesem Idealich gilt nun die Selbstliebe, welche in der Kindheit das wirkliche Ich genoß. Der Narzißmus erscheint auf dieses neue ideale Ich verschoben, welches sich wie das infantile im Besitz aller wertvollen Vollkommenheiten befindet. Der Mensch hat sich hier, wie jedesmal auf dem Gebiete der Libido, unfähig erwiesen, auf die einmal genossene Befriedigung zu verzichten. Er will die narzißtische Vollkommenheit seiner Kindheit nicht entbehren, und wenn er diese nicht festhalten konnte, durch die Mahnungen während seiner Entwicklungszeit gestört und in seinem Urteil geweckt, sucht er sie in der neuen Form des Ichideals wieder zu gewinnen. Was er als sein Ideal vor sich hin projiziert, ist der Ersatz für den verlorenen Narzißmus seiner Kindheit, in der er sein eigenes Ideal war.83

Als Figur der Wiederholung markiert Echo eine raum-zeitliche Verkeilung im Idealen und Ursprünglichen des Narziss. Echo ist die fortwährende Lektüre und Übersetzung des Narzissmus und seiner Erzählung, mehr noch: der Zusammengehörigkeit von Narzissmus und Erzählung. Das zeigt am deutlichsten Longos Bukolik in Daphnis und Chloe: Hier stirbt Echo nicht nur durch die Hirten – zum Tode verurteilt durch das manische und gewaltvolle Festhalten an der Szene der Idealität und dem friedlichen Zusammenkommen der Geschlechter –, sondern wird auch der Wunsch nach ewiger Kindheit – ewiger Mädchen- und Knabenhaftigkeit als Jungfräulichkeit – explizit gemacht.84 Wenn Echo die Affirmation der unterbrochenen Idealität ist, dann unterstreicht sie zugleich den prekären Status der Figuration zwischen dem mythisch sich Sedimentierenden

81

Ovidius Naso, Metamorphosen, S. 74.

82

Spivak, »Echo«, S. 36.

83

Sigmund Freud, »Zur Einführung des Narzißmus«, in: Studienausgabe, Bd. III: Psychologie des Unbewußten, hg. von Alexander Mitscherlich, James Strachey und Angela Richards, 10. Aufl. (Frankfurt am Main: Fischer, 2010), S. 37–68, hier S. 60f.

84

Vgl. Longos, Daphnis und Chloe (Stuttgart: Reclam, 1986).

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und dessen gewaltsamer plot-Formung. Echo erzählt aber auch von der Unüberwindbarkeit der Szene des Narziss, denn sie erzählt von der Unterbrechung der Erzählung selbst – ihrer succession und ihres success. Echo ist immer wieder anderer Schauplatz in all seiner radikalen und unüberwindbaren Alterität.85 Spivak weist darauf hin, dass es in Samuel Webers Lektüre von Freuds Todestrieb einen positiv bestimmbaren Nicht-Ort Echos gibt. Weber weigert sich in Abgrenzung von Lacan und Deleuze, den Freud’schen Todestrieb als spätes ›Meisternarrativ‹ der Psychoanalyse zu lesen. Indem beide Autoren Freuds »Jenseits des Lustprinzips« als Versuch der Überwindung der Theorie des Narzissmus lesen, reartikulieren sie implizit dessen Erzählung: Deleuze wird die aporetische Vorstellung des Todestriebs zum Symptom ›transzendentaler Spekulation‹ schlechthin.86 Und Lacan bestimmt den Todestrieb als Beziehung des Subjekts zum Signifikanten und damit nicht nur als Paradigma der »symbolischen Ordnung« selbst, sondern diese als Entgegensetzung zum Imaginären des narzisstischen Ich.87 Die Pointe der Echo aber ist nur nachvollziehbar, wenn – wie Spivak Weber zitiert – »the scene is not one of progression from the Imaginary to the Symbolic, but that there is an other scene of the Symbolic, of the Fort-Da game, and it is precisely: the Imaginary in all its aggressive, narcissistic ambivalence«88. Indem Echo eine Figur der Immanenz und der Implikation ist, höhlt sie das Prinzip des Jenseits kategorisch aus. Ihre Inskription in die Szene als immer auch anderer Schauplatz verunmöglicht das lineare Prinzip der Erzählung des Fortschreitens (progression). Echo stört damit diejenige (analytische) Perspektive, aus der sich das kontingente und zufällige Ereignis in die lineare Ordnung der Verfalls- oder Fortschrittsgeschichte fügen ließe – nicht zuletzt jene ›einflussängstliche‹ zwischen ›Vätern‹ und ›Söhnen‹. Vor diesem Hintergrund markiert Daisies Tod in ihrem »sich sterben lassen«89 den Tod nicht als Rückkehr zu Unschuld und Idealität. Nicht sie wird ›zu Tode analysiert‹, sondern der Tod als Unterbrechung des Narzissmus der Analyse ausgewiesen. Und dennoch ist Daisy Millers Sterbenlassen als affirmative Unterbrechung des Narzissmus der Analyse der Appell an das Fortdauern der Lektüre und der Texte.

85 86

Vgl. zu Echos »radical difference« Spivak, »Echo«, S. 37. Vgl. Gilles Deleuze, »Sacher-Masoch und der Masochismus«, in: Leopold von Sacher-Masoch, Venus im Pelz (Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1980), S. 163–281.

87

Vgl. Samuel Weber, »Das Begehren des Analytikers. Spekulation im Spiel«, in: ders., Freud-Legende. Vier Studien zum psychoanalytischen Denken, 2. Aufl. (Wien: Passagen Verlag, 2002), S. 141–155, hier S. 141ff.

88

Weber, The Legend of Freud, S. 135; zitiert nach Spivak, »Echo«, S. 36.

89

Vgl. Deleuze, »Bartleby oder die Formel«, S. 120.

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N OUVELLE

WHO ?

H ILDA

UND

J ULIE – I NNOCENT

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A PRIORI !

Wenn der Tod hier nicht die Rückkehr zu Unschuld und Idealität markiert, was hat es dann damit auf sich, dass James’ spätere Re-Vision von Daisy diese als »child of nature and of freedom«90 liest, dem Gewachsenen, dem Tradierten, dem Geformten entgegengestellt, das Historische herausfordernd? Was hat es mit der Re-Vision auf sich? Für Leslie Fiedler ist es die Imago weiblicher Unschuld, »[the] strange breed of human whom Hawthorne had first imagined as blond and snow-white enough to be exempt from original sin«91, die die Neurose des angloamerikanischen Romans ausmachen. Fiedlers Lektüre in Love and Death in the American Novel stellt das Problem der amerikanischen Differenz verkompliziert heraus, indem ›Amerika‹ und der ›amerikanische Roman‹ insgesamt als europäische Projektion gelesen werden: »[T]he novel and America did not come into existence at the same time by accident. They are two great inventions of the bourgeois, Protestant mind at the moment when it stood, on the one hand, between Rationalism and Sentimentalism, and on the other, between the drive for economic power and the need for cultural autonomy.«92 Beide markieren den Traum eines paradiesischen und unschuldigen Ursprungs und einer aus diesem ableitbaren erfolgreichen Zukunft (American success), die das Neue des Neuanfangs begehrt. Zugleich verweisen sie auf den Albtraum und die Aporien dieses sich in und für Europa kategorisch nicht erfüllenden Ideals einer neuen und besseren, schuldfreien Welt, an die – sowie an deren Unmöglichkeit – das Projekt Amerika erinnert. Der Amerikanische Roman, so fasst Fiedler zusammen, beschreibt »a world doomed to play out the imaginary childhood of Europe« – »The American novel is only finally American; its appearance is an event in the history of the European spirit – as, indeed, is the very invention of America itself«.93 Fiedlers Überlegungen erlauben es, die Differenz von ›Amerika‹ und ›Europa‹ weder als Opposition noch ihre Literaturen als zwei autonome Literaturgeschichten zu lesen; vielmehr wird die Literatur selbst – und besonders der Roman – zu einer (imaginären) ›Raumvermessung‹. Fiedlers Lektüre unterstreicht, dass ›Amerika‹ im ›amerikanischen‹ Roman eine Denkfigur der Ambivalenz sein kann: »The American writer inhabits a country at once the dream of Europe and a fact of history; he lives on the last horizon of an endlessly retreating vision of inno-

90

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1269.

91

Fiedler, American Novel, S. 303.

92

Ebd., S. 32.

93

Ebd., S. 31.

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cence – on the ›frontier‹, which is to say, the margin where the theory of original goodness and the fact of original sin come face to face.«94 Wenn Fiedler die unschuldigen snow-white maiden – wie Hawthornes Hilda aus The Marble Faun, James’ Daisy Miller und Milly Theale – als Indiz für die Unfähigkeit liest, aus dem narzisstischen Zustand der Idealität herauszutreten – d.h. als Prozesse und Resultate der Verdrängung –, dann markieren sie gleichzeitig eine ›Schutzdichtung‹ und Geste der Abwehr gegenüber einer ›Amerika‹ inhärenten und internen Differenz. Damit machen die snow-white maiden und ihre Frage der innocence potenziell das Un-heimliche dieser Erzählung von den Ursprüngen und dem Fortschreiten (progression) lesbar.95 James’ Daisy Miller ist implizite Re-Vision dieser ›ursprünglichen‹ Genealogie des ›Amerikanischen‹ und amerikanischeuropäischer Differenz, indem der Text das differenzierende Moment96 innerhalb der Differenz ›Amerika‹-›Europa‹ verhandelt. Sie ist Re-Vision in ihrem flirtiven Bezug auf zwei Texte: Nathaniel Hawthornes The Marble Faun (1860) und seine unschuldig-naive Heldin Hilda und Rousseaus Julie, ou la nouvelle Héloïse (1761). Eröffnet wird so ein historischer Raum und eine affirmativflirtive Kontaktnahme. Die römischen Szenen des einen Texts verweisen auf eine Metaphysik des Geheimnisses und auf die Gründung eines amerikanischen Ursprungs; der Genfer See ist der Schauplatz für Rousseaus »Transparenz der Herzen«97 – in beiden Texten ist die in Daisy Miller studierte innocence und die an ihr verhandelte Geschichtslogik zentrales Motiv. Jorge Luis Borges weist darauf hin, dass James in seiner Auseinandersetzung mit dem point of view vom Briefroman des 18. Jahrhunderts ausgeht und infolgedessen das Spiel mit den Ökonomien von Geheimnis und Offenbarung in seine Texte implementiert.98 Rousseaus Julie, ou la nouvelle Héloïse verhandelt

94

Ebd., S. 27.

95

Entsprechend wählt Weber nicht zufällig die wiederkehrenden und ›nicht tot zu kriegenden‹ Frauen aus Freuds »Das Unheimliche« als Motto für seine Lektüre des Narzissmus: Weber, »Begehren des Analytikers«, S. 139.

96

Zu »[America’s] sense of difference« und dem »differentiating momentum« Anselm Haverkamp, »Deconstruction is/as Neopragmatism? Preliminary Remarks on Deconstruction in America«, in: ders. (Hg.), Deconstruction is/in America (New York: NYU Press, 1995), S. 1–13, hier S. 3.

97

Starobinski, Rousseau, S. 10; vgl. den französischen Titel »La Transparence et

98

Vgl. Jorge Luis Borges, Prólogos de la Biblioteca de Babel (Madrid: Alianza,

l’obstacle«. 2001), S. 93.

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diese Ökonomien am Topos der Theatralität.99 Rousseau ersehnt – so die einschlägige Lektüre von Jean Starobinski – »die Kommunikation und Transparenz der Herzen, doch seine Erwartung wird enttäuscht, und er schlägt den entgegengesetzten Weg ein, er nimmt das Hindernis an und ruft es hervor, das Hindernis, das ihm erlaubt, sich in passive Resignation und die Gewißheit seiner Unschuld einzuschließen«100. Starobinski liest die Neue Héloïse als Sehnsuchterzählung, Sehnsucht nach einer Welt ohne »Schleier«, nach einer »anderen Welt, in der die Transparenz einen Hauch von Magie herrschen läßt […], in der das Unglück der Distanz der Dinge sich lindert«.101 Diese Durchsichtigkeit (hier: der Walliser Alpen) nennt Rousseau »Schauspiel«102 und übersetzt dieses in einen »durchsichtige[n] Raum, worin die Seele die Transparenz der Luft annimmt«103 , wo »das Wesen die Grenzen seiner persönlichen Existenz schwinden fühlt«104. Diese Menschengesellschaft imaginiert Rousseau als eine ohne jedes Geheimnis, in der alle – wie auch in der volonté générale des Gesellschaftsvertrags – zu einem Körper phantasmatischer Einheit zusammenfließen.105 Dieses narzisstische Schauspiel ohne Zuschauer ersehnt, »daß ein jeder sich in den anderen erblicke und liebe, damit alle besser vereint seien«106. Die unmittelbare Gemeinschaft beglaubigt die »Transparenz der Bewußtseine«, deren Ausgangspunkt in der Nouvelle Héloïse Julies »magischer Einfluss« ist.107 Derrida hat diese Transparenz als »Beredtsamkeit [sic] des erfüllten Wortes«, als »Selbstpräsenz, transparente Nähe derer, die einander von Angesicht zu Angesicht [face to face] gegenüberstehen«, beschrieben: die »Vorstellung einer Gemeinschaft, die – ohne Aufschub – unmittelbar sich selbst gegenwärtig ist, einer Gemeinschaft des gesprochenen Wortes, in der alle Mitglieder in Rufweite miteinander verkehren.

99

Vgl. zu Rousseaus Theaterbegriff und Theaterfeindlichkeit einschlägig Jean-Jacques Rousseau, Théâtre et Écrits sur le Théâtre, hg. von Raymond Trousson und Frédéric Eigeldinger, Œuvres complètes, Bd. 16 (Genève: Slatkine, 2012), darin bes. »Lettre à M. D’Alembert sur les spectacles«; vgl. auch Heeg, Phantasma, S. 13–31.

100 Starobinski, Rousseau, S. 10. 101 Ebd., S. 123. 102 Jean-Jacques Rousseau, Julie oder Die neue Héloïse. Briefe zweier Liebenden aus einer kleinen Stadt am Fuße der Alpen, 3. Aufl. (Düsseldorf; Zürich: Artemis & Winkler, 2003), S. 78ff. 103 Starobinski, Rousseau, S. 125. 104 Ebd., S. 124. 105 Vgl. ebd., S. 129. 106 Ebd., S. 146; vgl. zum Fest: Primavesi, Das andere Fest. 107 Starobinski, Rousseau, S. 130.

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[…]. Dieses Modell einer kleinen Gemeinschaft mit ›kristalliner‹ Struktur, vollkommen sich selbst gegenwärtig und in ihrer eigenen Nachbarschaft versammelt«.108 Wenn Derrida in De la Grammatologie (1967) Rousseau zusammen mit Claude Lévi-Strauss’ Tristes Tropique (1955) betrachtet und die Übereinstimmung beider in der Verachtung der Medialität der Schrift und dem Begehren nach einer Metaphysik der Präsenz herausstellt, ist einer der Austragungsorte die Frage der Theatralität: Als Szene(n) der Darstellung liest Derrida Lévi-Strauss’ ethnologische Beschreibungen und seinen Modus der Analyse. Vor allem in Lévi-Strauss’ Kapitel »Schreibstunde« wird die erlernte Schrift – als Einfall ›nicht-kristalliner‹ Medialität – zur Störung der Ritualität der Unschuld, der Gewaltlosigkeit und Ordnung des Familialen, das heißt, Selbstpräsenz einer Gemeinschaft ohne Distanz und Gewalt der Beobachtung. Das Phantasma unschuldiger Ritualität, so Derrida, ist der Versuch, die Inskription des ZuschauerBlicks des Ethnologen und dessen Gewaltimplikation zu verschleiern. Die implizite Antitheatralität der »Epoche Rousseaus«, die im Strukturalismus LéviStrauss’ kulminiert, betrauert den »Verlust des Eigentlichen, der absoluten Nähe, der Selbstpräsenz, in Wahrheit aber Verlust dessen, was nie stattgehabt hat, einer Selbstpräsenz, die nie gegeben war, sondern erträumt und immer schon entzweit war, wiederholt«109 . Vor diesem Hintergrund erweist sich das in James’ Texten verhandelte Theatrale als die Re-Lektüre des antitheatralen Moments ›rousseauistischer‹ Schauspiele; mehr noch: James’ American girl und seine Verkomplizierungen der Ökonomien der Transparenz werden so als Dekonstruktion desjenigen ›europäischen‹ Unschuldparadigmas lesbar, für das das ›amerikanische‹ Projekt hätte einstehen sollen/können. Das Phänomen der Szene taucht in Derridas Lektüre noch in einer Fußnote auf: »Da wir Rousseau in der Transparenz dieser Texte [Lévi-Strauss’] lesen, ist es vielleicht erlaubt, in der eben wiedergegebenen Szene jene andere, abgebrochene Szene aus dem XI. Spaziergang anklingen zu lassen.«110 Diese ist nicht nur von einer impliziten sexuellen Gewalt gekennzeichnet, sondern wiederholt das »reizendste Schauspiel«, das eine Schar Kinder, vor allem ein kleines Mädchen bietet, »Freude vereint mit Unschuld […]. Selbst die Zuschauer teilten sie«.111 ›Szene‹ ist dabei nicht nur die behauptete Selbstpräsenz des Rousseau’schen »Schauspiels«, sondern das ›Anklingen‹ oder ›Durchscheinen‹, das multipliziert und versetzt. Denn die implizite Genealogie von

108 Derrida, Grammatologie, S. 240f. bzw. S. 237ff. 109 Ebd., S. 197. 110 Ebd., S. 195 (Fußnote 7). 111 Ebd., S. 195.

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Texten und deren Verhältnis untereinander denkt Derrida unter der – verbotenen – Metapher des Inzests: »weder Ansteckungskausalität, noch einfache Akkumulation von Schichten, noch reine Juxtaposition entlehnter Stücke.«112 Ist in Freuds Totem und Tabu (1913) und auch bei Lévi-Strauss Inzest und dessen Verbot die Markierung der Universalität familialer Ordnungslogiken und der Index einer Fortschrittsgeschichte von Natur zu Kultur,113 interessiert sich Derrida für die Verdopplung von Adhäsionen, den Kreislauf von Differenzen und das sich selbst Aufspulen und ineinander Verwickeln: »[W]enn ein Text sich immer als eine bestimmte Repräsentation seiner eigenen Wurzeln darstellt, so leben diese nur durch diese Repräsentation, das heißt dadurch, daß sie nie den Boden berühren. Was ohne Zweifel ihr radikales Wesen zerstört, nicht aber die Notwendigkeit ihrer verwurzelnden Funktion.«114 Zu sagen, dass »Zugehörigkeit […] niemals geradlinig«, sondern »Verräumlichung« ist,115 heißt, Genealogie als Szene zu denken. Das ist es, was in Daisy Millers Szene ›passiert‹. Seinen kanonischen Vorgänger Hawthorne bewundert James zwar für die Etablierung einer ›amerikanischen‹ Literaturtradition.116 James’ literarische Texte aber verhalten sich immer auch ›queer‹ zu der genealogischen Logik der succession, gehen schief zwischen dem ›Amerikanischen‹ und dem ›Europäischen‹. ›Geradlinig‹ hingegen imaginiert Hawthorne am Topos Rom/Roman den Bezug auf Vergangenes. Im Preface zu The Marble Faun. Or The Romance of Monte Beni (1860) schreibt er: Italy, as the site of his [the Author’s] Romance, was chiefly valuable to him as affording a sort of poetic or fairy precinct, where actualities would not be so terribly insisted upon, as they are, and must needs be, in America. No author, without a trial, can conceive of the difficulty of writing a Romance about a country where there is no shadow, no antiquity, no mystery, no picturesque and gloomy wrong, nor anything but a common-place prosper-

112 Ebd., S. 179. 113 Vgl. Jacques de Ville, »On Law’s Origin. Derrida Reading Freud, Kafka and LéviStrauss«, in: Utrecht Law Review 7, Nr. 2 (April 2011), S. 77–92. 114 Derrida, Grammatologie, S. 179. 115 Ebd., S. 178. 116 Vgl. den langen Essay: Henry James, »Hawthorne«, in: ders., Literary Criticism: Essays on Literature, American Writers, English Writers, hg. von Leon Edel, Bd. 1 (New York: Literary Classics of the United States, 1984), S. 315–474.

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ity, in broad and simple daylight, as is happily the case with my dear native land. […]. Romance and poetry, like ivy, lichens, and wall-flowers, need Ruin to make them grow.117

Rom als paradigmatischer Schauplatz der American Rom-ance bedeutet für Hawthorne »persistence of the past«118, bezieht sich auf die »massiveness of the Roman Past«119 . Deutlich von James’ flirtiven caprices unterschieden funktionieren Hawthornes zeitliche Ordnungen: »[They] emphasize persistence with development. Their effect is not change (although The Transformation was the title of the English edition of The Marble Faun); rather, it is the unfolding of an essence.«120 Dass sich James selbst nicht ›geradlinig‹ zu Hawthorne verhält, sondern dessen Texte in einen »Kreislauf zwischen ihren Differenzen«121 überführt, hat mit der Verräumlichung und Theatralisierung zu tun, die damit auch Rom als literarischer Topos erfährt. Statt Daisy Millers flirtiv-unheimlichem Doing Things nutzt Hawthorne das Theater als Metapher für das kontemplative und der Realität entrückte Moment der Romance.122 The House of Seven Gables (1851) »[had] ›a great deal more to do with the clouds overhead‹ than with ›the actual soil‹ of his home country«123, und auch für Blithedale Romance (1852) ist der Vorsatz: »to establish a theatre, a little removed from the highway of ordinary travel«124 . Statt der komplizierten Verfahren der Situierung der James’schen Texte definiert Hawthorne »[the] neutral territory« als proper ground des Romance-Schreibers, »somewhere between the real world and fairyland, where the Actual and the Imaginary may meet«125 . Deshalb und konkret auch anhand von Hawthornes Formulierung des neutral territory konnte die

117 Nathaniel Hawthorne, The Marble Faun (New York: Oxford University Press, 2008), S. 4. 118 Jonathan Arac, »Hawthorne and the Aesthetics of American Romance«, in: Leonard Cassuto, Clare Virginia Eby und Benjamin Reiss (Hg.), The Cambridge History of the American Novel (Cambridge; New York: Cambridge University Press, 2011), S. 135–150, hier S. 143. 119 Hawthorne, Marble Faun, S. 9. 120 Arac, »American Romance«, S. 144. 121 Derrida, Grammatologie, S. 179. 122 Vgl. Arac, »American Romance«, S. 136. 123 Hawthorne, »Preface to The House of Seven Gables«; zitiert nach ebd. 124 Hawthorne, »Preface to The Blithedale Romance«; zitiert nach Arac, »American Romance«, S. 136. 125 Nathaniel Hawthorne, The Scarlet Letter (New York: Oxford University Press, 2008), S. 30.

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American Romance als vom europäischen Roman und dessen ›realistischer‹ Tendenz radikal unterschiedener amerikanischer ›Sonderweg‹ etabliert werden. Chase’ berühmte Definition der Romance heißt entsprechend: [T]he word must signify, besides the more obvious qualities of the picturesque and the heroic, an assumed freedom from the ordinary novelistic requirements of verisimilitude, development, and continuity; a tendency towards melodrama and idyll; a more or less formal abstractness and, on the other hand, a tendency to plunge into the underside of consciousness; a willingness to abandon moral questions or to ignore the spectacle of man in society, or to consider these things only indirectly or abstractly.126

Diese Positivbewertung durch Richard Chase ist die ›Erfindung‹ einer amerikanischen Originalität, die sich davon abgrenzt, den ›amerikanischen‹ Roman, wie bis dato, als defizitär gegenüber den historisch gewachsenen Formen europäischer Herkunft zu bewerten.127 Das idyllische und der Realität entrückte Moment

126 Richard Volney Chase, The American Novel and Its Tradition (Garden City: Anchor-Doubleday, 1957), S. ix; eine Übersicht über die Kontroverse zur »American Romance« liefern Gary Richard Thompson und Eric Carl Link (Hg.), Neutral Ground: New Traditionalism and the American Romance Controversy (Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1999); vgl. zur Kritik an der »American Romance« und der »amerikanischen Literaturgeschichte« Donald E. Pease, »New Americanists: Revisionist Interventions into the Canon«, in: boundary 2 17, Nr. 1 (1990), S. 1–37; vgl. auch Winfried Fluck, Das kulturelle Imaginäre. Eine Funktionsgeschichte des amerikanischen Romans 1790–1900 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997), S. 8 und 190ff. Fluck betont, dass der Begriff und die aus ihm ableitbare amerikanische Tradition besonders brauchbar für die Nachkriegsetablierung der Amerikanistik waren, insofern als deren Stoßrichtung in der »vertiefenden Arbeit an zentralen Mythen des amerikanischen Selbstverständnisses« (S. 8) besteht. Fluck betont aber auch, dass »gerade jene Schriftsteller, die sich der romance bedienen, […] um die Existenz verborgener Motive menschlichen Handelns und damit um die Unmöglichkeit eines schuldlosen Neuanfangs in einem unberührten, pastoralen oder von der moralischen Korruption der Alten Welt freien Amerika [wissen]« – er spricht daher von einer »Vertiefung des naiv-optimistischen Mythos eines moralischen Neuanfangs« (S. 192). 127 Dafür einschlägig ist: Lionel Trilling, The Liberal Imagination. Essays on Literature and Society (New York: Viking Press, 1950); vgl. zu der Debatte auch Nina Baym, »Concepts of the Romance in Hawthorne’s America«, in: Nineteenth-Century Fiction 38, Nr. 4 (März 1984), S. 426–443.

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der Romance kann dabei als der Versuch gelesen werden, den ›amerikanischen‹ Roman zu ›verwurzeln‹, ihn auf eine paradiesische Urszene zurückzuprojizieren. In Hawthornes The Marble Faun ist das idyllische Begehren nicht nur in der unschuldigen Hilda, sondern außerdem in der Figur des Fauns artikuliert: »this congenial race of rustic creatures«128, »[n]either man nor animal, and yet no monster, but a being in whom both races meet on friendly ground!«129 Der Faun reinkarniert das idyllische Arkadien und macht das Romanschreiben zur Suche nach dem verlorenen Paradies: »And, after all, the idea may have been no dream, but rather a poet’s reminiscence of a period when man’s affinity with nature was more strict, and his fellowship with every living thing more intimate and dear.«130 Der Faun markiert die Rückbindung an den imaginierten ›natürlichen‹ und vor-sprachlichen Ursprung: His usual modes of demonstration were by the natural language of gesture, the instinctive movement of his agile frame, and the unconscious play of his features, which, within a limited range of thought and emotion, would speak volumes in a moment. […]. he expressed his joy […] by what might be thought an extravagance of gesticulation, but which doubtless was the language of the natural man, though laid aside and forgotten by other men, now that words have been feebly substituted in the place of signs and symbols.131

Gerade seine Herkunft aus dem vorsymbolischen Paradies motiviert das mythische re-telling und erneuert jedes Mal wieder den paradiesischen Ursprung: »These wild legends have often the most powerful charm when least artfully told. […]. The sculptor fancied that such might have been the original voice and utterance of the natural man, before the sophistication of the human intellect formed what we now call language.«132 Hawthorne macht romance so »zum privilegierten Medium der Erkenntnis einer Wirklichkeit, die durch einen verborgenen metaphysischen Zusammenhang gekennzeichnet ist, den nur eine bestimmte Form von Literatur sichtbar zu machen vermag«133. Auch in The Marble Faun wiederholt und sichert der paradiesische Ursprung die »Rhetorik des Vordringens in bisher unbekannte oder unerschlossene Bereiche, die zugleich, so ist impliziert, die eigentlich wesentlichen sind. ›Substance‹, ›essence‹, ›the truth of

128 Hawthorne, Marble Faun, S. 9. 129 Ebd., S. 11. 130 Ebd. 131 Ebd., S. 61. 132 Ebd., S. 190ff. 133 Fluck, Das kulturelle Imaginäre, S. 197.

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the human heart‹ […]«134. Die Autorität des Autors – seine behauptete Verfügungsgewalt über die Rhetorik des Geheimnisses135 – sichert das Modell zweier Welten, in dem es immer um ein Jenseitiges (»something more than...«136) zwischen Erscheinung und eigentlichem Sinn geht. Fluck unterstreicht, dass die »metaphysische romance der American Renaissance […] geprägt [ist] vom Pathos des Vorstoßens zum bisher Verborgenen und Verdrängten, zu unterdrückten Wahrheiten und von Menschen bisher nicht erschauten Territorien seelischer wie geographischer Art«137. Hier gibt der Roman ein psychoanalytisches, wie hermeneutisches Versprechen, »das des kompromißlosen Aufdeckens und Enthüllens, des Blicks hinter die Fassade […]«138. Wenn Daisy schon »a child of nature and freedom« war, echot die Typisierung im Vorwort zu James’ späterem The Wings of the Dove: »There goes with it, for the heroine of The wings of the dove, a strong and special implication of liberty, liberty of action, of choice, of appreciation, of contact […]. I had from far back mentally projected a certain sort of young American as more the ›heir of all the ages‹ than any other young person whatever […].«139 Es sind solche Projektionen von Erbe und Freiheit, die Fiedler dazu veranlassen, zu betonen, dass James das sentimentale Erbe des europäischen Romans niemals hinterfragt, nur um eine »necrophiliac titillation« erweitert habe, »by identifying the immaculate virgin with the girl dying or dead«.140 Doch indem der Text darauf beharrt, das Daisy »a child of nature and freedom« ist, inszeniert er nicht nur eine Genealogie des amerikanischen Romans, sondern arbeitet sich ab an der verwurzelnden Funktion von Texten, lässt sie sich »auf sich selbst [aufspulen] und inei-

134 Ebd. 135 Vgl. Hawthorne, Marble Faun, S. 359–362. Im letzten Kapitel, »Postcript«, treffen die Figuren den Autor und richten die offenen Fragen an ihn; doch der letzte Satz lautet: »›I know, but may not tell‹, replied Kenyon, smiling mysteriously. ›On that point, at all events, there shall be not one word of explanation‹.« 136 Robert Richardson, Myth and Literature in the American Renaissance (Bloomington: Indiana University Press, 1978), S. 213; zitiert nach Fluck, Das kulturelle Imaginäre, S. 422 (Fußnote 11). 137 Fluck, Das kulturelle Imaginäre, S. 197f. 138 Ebd., S. 198. 139 James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1290. Die beiden Prefaces sind jeweils um 1909 entstanden, also dreißig Jahre nach Daisy Miller, die so vor allem nachträglich zu jenem child wird. 140 Ebd.

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nander verwickeln«141, so dass sich die Urszene beständig versetzt. Denn Daisies Flirt stört die Unschuld des Erzählens und die Erzählung von der Unschuld, der Verdrängung und der Urszene –, dies vor allem, indem der Komplex aus »Geheimnis [und] unmittelbare[r] Anschauung«142 problematisch wird, sich die Zusammengehörigkeit von Geheimnis und Anschauung (vor Augen) ebenso »ineinander verwickeln«, wie sich James’ Daisies und ihre Vorläufer »aufspulen«. Denn wenn noch die »reiche Intertextualität« und das »[Wuchern] des Zeichenmaterials« bei Hawthorne Teil des »romantischen Romans der Erkenntnissuche« und dessen teleologischer Ordnung sind,143 dann versetzt und alterisiert Daisy Miller dieses Projekt. Der entscheidende Einsatz dieser Re-Vision ist die Theatralität der Texte. Wäre Daisy Miller eine solche unschuldig-sentimentale Heldin – »a child of nature and freedom« –, dann würde ihr Tod – Fiedlers »girl dying or dead« – in dieser Lesart das Moment einer nicht zur ›Freiheit‹ gelangenden gesellschaftlichen Ordnung oder eines Stadiums der Subjektivierung unterstreichen, das entweder tragisch oder komisch gelesen werden kann: als Tragödie einer nicht zu durchbrechenden entfremdenden Theatralität von Gemeinschaft, als Scheitern von ›rousseauistischer‹ Authentizität und Transparenz; oder aber als die Komik permanenten re-dressings, momentaner Subjektivierungen, Adressierungen und kommunikativer Konstellationen.144 Während der erste Fall auf eine Abschaffung des Theatralen drängt, impliziert noch der zweite Fall eine Ebene des ›Seins‹, von dem sich die Maskerade abhebt. Im ›tragischen‹ Fall müsste die Theatralität innerhalb der Erzählung der Unschuld und des Idealen einen paradiesischen Ursprung beglaubigen, deren Name hier American nature and freedom wäre, Metapher idealer Kindheit, die auf immer verloren ist. Noch das Künden von ihrem tragischen Verlust im Opfertod perpetuiert das in der Erzählung verkündete Heil. Im zweiten Fall garantiert das theatrale re-dressing die heroische Behauptung des subversiven Potenzials immer nur momentaner Subjektivierung, während der komische Tod sich als der Effekt einer auf die textuelle Struktur rückwirkenden Theatralität ausweist, die die Ordnung des redressings zurücknimmt. Das dekonstruktive Moment von Daisy Millers ist die theatrale Überblendung dieser beiden Erzählungen, die der tragischen wie komischen Indienstnahme des Theatralen entgegengeht.

141 Derrida, Grammatologie, S. 179. 142 Fluck, Das kulturelle Imaginäre, S. 199. 143 Ebd., S. 200. 144 Zur komödiantischen Dekonstruktion der Ontologie der (Geschlechts-)Identitäten in der Maskerade vgl. Butler, Unbehagen, S. 75–93.

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Der italienische Karneval, der eine bedeutsame Rolle in Wings of a Dove spielt, taucht erst in James’ späterer Umarbeitung von study in play auf. Wie oben beschrieben, unterstreicht das Bühnenstück das Versprechen authentischer Heimat und Zugehörigkeit, das den Tod in einem surplus an komischer Lösung in eine doppelte Eheschließung übersetzt. Während der spätere Text sich so als der Versuch des redressing des früheren ausgibt – als ›Wiederherstellung‹ oder ›Wiedergutmachung‹ des flirtiven Skandals145 –, erweist sich dieses redressing vielmehr als theatral-karnevaleskes Spiel aus dressing und re-dressing: als groteske Maskerade. »Every now and then it grows louder, as if the people were so happy!«146, vermutet Daisy in Act III/Scene 3, die dort – selbst krank – dem Karneval in den Straßen zuhört, der für sie so vor allem ein akustisches Erlebnis ist, während sie selbst der happiness äußerlich bleibt. Ihr kommen Lord Byrons Verse aus Canto III aus Childe Harold’s Pilgrimage in den Sinn: »It reminds me of that poetry I used to learn at school, ›There was a sound of revelry by night.‹ That’s a sound I always wanted to hear.«147 Byrons Zeile führt tatsächlich zu dieser Allusion von ›wiedergutmachender‹ happiness, die sich in derjenigen leiblichen Ko-Präsenz formuliert, die die Antitheatralität tragischer ›Entfremdung‹ imaginiert: There was a sound of revelry by night,/And Belgium’s capital had gathered then /Her Beauty and her Chivalry, and bright/The lamps shone o’er fair women and brave men;/A thousand hearts beat happily; and when /Music arose with its voluptuous swell,/Soft eyes looked love to eyes which spake again,/And all went merry as a marriage bell […].148

Vor allem »[a] thousand hearts beat happily« markiert hier die glückliche Gemeinschaft des Karnevals, den Gleichklang und -schwang der Herzen. Als eine solche – unmediatisierte – Gemeinschaft der lebendig schlagenden Herzen, in expliziter Abgrenzung von der medialen und räumlichen Ordnung des Theatralen, versteht Bachtin das Karnevaleske, eine Inkarnation und Verleiblichung des spielerischen dressing und re-dressing der karnevalesken Verkleidung. Denn der Karneval ist »keine theaterähnliche szenische Kunstform, sondern reale Lebensform auf Zeit, die man nicht inszenierte, sondern (für die Dauer des Karnevals)

145 »redress, v.1«. To obtain redress for (an injury, damage, harm, etc.); to set right, repair, rectify. OED Online, June 2013. Oxford University Press, http://www.oed.com (letzter Zugriff: 26. August 2013). 146 James, Complete Plays, S. 162. 147 Ebd., S. 163. 148 Byron, Selected Poems, S. 421.

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beinahe wirklich lebte«149 . So inszeniert, wie Bachtin schreibt, »das Leben selbst […] ohne Bühne, ohne Rampe, ohne Schauspieler und Zuschauer, d.h. ohne jede Kunst- und Theaterspezifik – eine andere, freie, zwanglose Form seiner Verwirklichung, seine Wiedergeburt und Erneuerung nach besseren Prinzipien«150. Im antitheatralen Karneval fallen »reale Form des Lebens« und »ideale Form« zusammen.151 Es ist diese »Karnevalsfreiheit« und zeitlich begrenzte »Wiederkehr des Goldenen Zeitalters«152 glücklich vereinter Herzen, die Daisy Miller retheatralisiert und die im Topos der Hochzeit und Heimkehr erneut aufs Spiel gesetzt werden – in der formulierten Verbindung festlicher Lustbarkeiten mit der Vermählung des Volkskörpers – »[and] all went merry as a marriage bell«: »›shall we not [be married], Daisy – in America?‹ – ›Oh, yes; you ought to go home!‹«.153 Wenn die Frage der Theatralität mit derjenigen der influence zusammenhängt, dann ist hier vor allem das Verhältnis zu Lord Byron ausschlaggebend: Denn Childe Harold’s prototypischer byronic hero war Teil eines breiter angelegten Interesses an John Miltons Satan in Paradise Lost (1667) und an dessen Repolitisierung innerhalb der englischen Romantik.154 Satan wurde hier zur rebellischen Energie im Gegensatz zur Ordnung suchenden und ›Freiheit‹ unterdrückenden göttlichen Ordnung. Deshalb verschränkt Byron das karnevaleske Treiben von youth und pleasure mit einem dunklen Schatten: There was a sound of revelry by night,/[…] A thousand hearts beat happily; and when /[…] And all went merry as a marriage bell;/But hush! hark! a deep sound strikes like a rising knell! Did ye not hear it? – No; ’twas but the wind,/Or the car rattling o’er the stony street;/On with the dance! let joy be unconfined;/No sleep till morn, when Youth and Pleasure meet/To chase the glowing Hours with flying feet./But hark! – that heavy sound breaks in once more,/As if the clouds its echo would repeat;/And nearer, clearer, deadlier than before!/Arm! arm! it is – it is – the cannon’s opening roar!155

149 Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, 4. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006), S. 55f. 150 Ebd., S. 56. 151 Ebd. 152 Ebd., S. 55. 153 James, Complete Plays, S. 176. 154 Vgl. Lisa Low und Anthony John Harding (Hg.), Milton, the Metaphysicals, and Romanticism (Cambridge: Cambridge University Press, 1994). 155 Byron, Selected Poems, S. 421.

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Die Zeilen verhandeln das satanische Treiben tödlicher Unordnung, den ›gothischen‹ Krieg, der inmitten des Paradieses wohnt und von dessen lostness zeugt.156 Indem Byron Satan zum eigentlichen, die Omnipotenz Gottes herausfordernden Helden von Miltons Versepos Paradise Lost macht, sind Rebellion und Befreiung nicht nur politische Konzepte, sondern wird das Satanische zu einer Figur, über die immer auch die Rebellion gegen die ›väterliche‹ Autorität Miltons ins Feld geführt wird. Byrons Held steht für die Assoziation politischer und literarischer Freiheit – freedom, independence, imagination157 – und verkörpert so Blooms ›Einflussangst‹. Berücksichtigt man jedoch die Bewegungen der (Re)-Theatralisierung, wird deutlich, dass Daisy Miller kein »Byron in petticoats«158 ist, keine weibliche Inkarnation des satanischen Childe Harold und einfache Fortschreibung von heroischer Mythisierung und Vaterkonflikt. Liest man die auf Daisies »There was a sound of revelry by night« folgenden Verse in Byrons Childe Harold’s ›Pilgrimage‹ genauer, verkompliziert sich schon bei Byron der hochzeitliche Volkskörper a-theatralen Karnevals und damit die Frage der influence – und zwar durch die Figur des Echos. Byrons Pathos des Satanischen ist vor allem akustisch, nicht die romantisch-erhabene Bildlichkeit der clouds interessiert Byron hier, sondern die Resonanzen, die sich als Echoeffekte in demjenigen Raum bewegen, den das uneindeutig Diaphane der Wolken entstehen lässt, »[a]s if the clouds its echo would repeat«159. Das Akustische wird zum Stellvertreter und Störer ko-präsenter Leiblichkeit, hervor tritt der sound der Lustbarkeiten, »the

156 Zum Andauern der Debatte um den Status Satans und damit Gottes vgl. William Empson, Milton’s God, 2. Aufl. (Cambridge: Cambridge University Press, 1981); vgl. auch Stanley Eugene Fish, Surprised by Sin: The Reader in Paradise Lost, 2. Aufl. (Cambridge: Harvard University Press, 1998). 157 Vgl. Peter Larsen Thorslev, The Byronic Hero: Types and Prototypes (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1962); vgl. auch Martin Garrett (Hg.), The Palgrave Literary Dictionary of Byron (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2010). 158 Adeline R. Tintner, »Eight Ways of Looking at James«, in: Studies in the Novel 9, Nr. 1 (1977), S. 73–94, hier S. 78. Tintner schreibt: »For me the point is that Daisy was a Byron in petticoats for James. If we Americans were ever to have a Byron it would be a girl, who would go to Europe as Byron went to Greece. In her own analogous way she dies like Byron, of the fever, not at Missolonghi fighting for Greek independence but in Rome, fighting for the independence of the young American girl abroad. The story abounds in Byronic allusions: Chillon, the Colosseum at midnight, etc.« 159 Byron, Selected Poems, S. 421.

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sound of revelry«. Das theatrale Moment der Pilgrimage findet sich vor allem auf der sprachlichen Ebene, in der Komposition in Stanzen.160 Die von Boccaccio im 14. Jahrhundert eingeführte Strophe wurde ob ihrer getragenen Form – stanza von lat. stare: ›stehen‹, ›sich aufhalten‹ – spätestens bei Ariosts Orlando Furioso (1516) zur Grundstrophe der epischen Versdichtung. Die in die Sprache des epischen Verses eingegangene Räumlichkeit und Theatralität benennt C.S. Lewis mit dem mittelenglischen solempne: eine der Sprache inskribierte Ritualität und Lustbarkeit, »the opposite of what is familiar, free and easy, or ordinary«, »the proper pleasure of ritual«.161 Lewis untersucht diese solemnity in Miltons Paradise Lost, das er – wie schon Virgils Epen – als secondary gegenüber dem Homerischen Primary Epic bezeichnet: [The Secondary Epic of Virgil and Milton] arises as the solution of a very definite problem. The Secondary epic aims at an even higher solemnity than the Primary; but it has lost all those external aids to solemnity, which the Primary enjoyed. There is no robed and garlanded aoidos, no altar, not even a feast in a hall – only a private person reading a book in an armchair. Yet somehow or other, that private person must be made to feel that he is assisting at an august ritual, for if he does not, he will not be receptive of the true epic exhilaration. The sheer writing of the poem, therefore, must now do, of itself, what the whole occasion helped to do for Homer. The Virgilian and Miltonic style is there to compensate for – to counteract – the privacy and informality of silent reading in a man’s own study.162

Solemnity kompensiert also in der Sprache eine Ritualität und Gemeinschaft innerhalb der ›Privatheit‹ des Secondary Epic und des modernen Romans. »Continuity« – »[that] the chant must go on – smoothly, irresistibly« – hält dabei den Leser im ›gleichatmenden‹ Gleichklang mit den ›stummen‹ Zeilen: »We must not be allowed to settle down at the end of each sentence. […]. A boat will not answer to the rudder unless it is in motion; the poet can work upon us only as long as we are kept on the move.«163 Lewis unterscheidet das romantisch pikareske ›Wuchern‹ bei Ariost und Spencer, das auch für Byron gilt, von der Milton’schen Form. Byron verräumlicht die Spenser-Zeile durch einen zusätzlichen

160 Nach dem Vorbild Edmund Spensers und dessen Versepos The Faerie Queene (1596) dichtet Byron jeweils acht fünf-hebige Jambenverse mit einem Sechstakter als abschließender neunter Zeile und einem ababbcbcc Reimschema. 161 Lewis, A Preface to Paradise Lost, S. 17. 162 Ebd., S. 40; vgl. auch Fiedler, American Novel, S. 43f. 163 Lewis, A Preface to Paradise Lost, S. 44f.

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dreidimensionalen Effekt des Binnenreims, dessen ornamentale Form zum Beispiel das »And all went merry as a marriage bell« zeigt. Gleichzeitig aber artikuliert sich an dieser solemnity die gesamte Ursprungsthematik des Epos und des Romans. Denn diese sekundäre Theatralität der solemnity ist nicht die Wiederholung eines paradiesischen Ursprungs und einer ursprünglichen – primären – Gemeinschaft. Das sekundäre Epos Paradise Lost markiert vielmehr die Idee einer ursprünglichen Sekundarität. Dieses sekundäre Moment des Epos markiert den originären Verzicht auf den Versuch ursprünglicher Gründung: Hier geht es nur um »the poet’s unremitting manipulation of his readers«, »[i]t is on us he plays, if we let him«.164 Solemnity macht eine Theatralität denkbar, die a priori sekundär ist, sich nicht auf diejenige vorgängige Priorität bezieht, von der das Konzept ursprünglicher paradiesischer Unschuld ebenso lebt, wie Blooms Einfluss und jegliches Konzept von Re-Präsentation.165 Diese ursprüngliche Sekundarität des Theatralen machen Comedy und Daisy Miller. A Study lesbar. Geht es zwischen den beiden Texten um die Frage von ›Ur-Text‹ und Re-Vision, zeigt das in den Texten inskribierte Verhältnis von ›Schauplatz‹ und ›re-dressing‹/Maskerade Theatralität als ursprüglich sekundär: Lord Byron ist nicht nur Schöpfer seines Byronic hero, den er in vielen seiner Texte variiert; zwischen ›Vater‹ und ›Sohn‹ besteht selbst ein karnevaleskes Verhältnis. Byronism bezeichnet nicht nur die anekdotisch ergiebigen Kaprizen eines Autors, sein Faible für Verkleidung und Travestie.166 Travestie ist Byrons Poetik. Thomas Phillips’ Porträt Lord Byron in Albanian Dress (1835) zeigt Byron im Gewand seiner ›Schauplätze‹ und seiner Helden: Er trägt ein albanisches Kostüm; die Figur ist vom Kopf bis etwa zu den Knien zu sehen, hinter ihr ein enormer licht-diaphaner Wolkenhimmel und im untersten Viertel etwas Landschaft.167 Offensichtlich ist die Figur in diese Landschaft ›hineingesetzt‹: Die jeweiligen Perspektiven, aus der der Malende auf Figur und Landschaft geblickt haben muss, stimmen nicht überein. Die Figur ist nicht »amidst the scenes« (s.o.), sie scheint an keinem Ort zu stehen und ›nach vorne‹ aus dem Bild hinaus zu kippen. Die Verkleidung hat hier also nicht nur mit dem Kostüm zu tun, sondern mit einer Verkomplizierung der Schauplatzlogik und deren Räumlichkeit. Entscheidend aber ist, dass sich das Porträt als eine erstaunliche Schreibszene le-

164 Ebd., S. 41. 165 Bloom eröffnet seine Untersuchung mit einer »Meditation upon Priority«; vgl. Bloom, Anxiety, S. 5ff. 166 Vgl. Introduction: Byron, Selected Poems, S. ix–xxi. 167 Thomas Phillips, Lord Byron in Albanian Dress, Öl auf Leinwand, 1835, London, National Portrait Gallery.

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sen lässt: als groteske Maskerade. William Blake porträtiert Phillips in der Manier romantisch-erhabener Imagination: mit Schreibgerät in der Hand, den Blick auf etwas gerichtet, das sich außerhalb des Rahmens und vermutlich außerhalb des sinnlich Erfassbaren befindet.168 Davor halb zurückschreckend bedient er sich des Schreibens, jedoch schreibt er ›in der Luft‹, ohne Blatt, ohne Buch. Diese Ikonografie erhabener Imagination, die ein Schreiben provoziert, das keine Schrift – kein Buch – hinterlässt, entspricht viel eher dem romantischen Paradigma originellen Schöpfertums als Byrons groteske Maskerade. Was hat es damit auf sich? Bei Bachtin wird die Groteske als Teil der Volkskultur aufgewertet und verkörpert sich unmittelbar in Versammlungen auf dem Marktplatz. Gleichzeitig markiert sie aber die Momente des Übergangs und der Unfertigkeit169 und widersetzt sich so unter der Hand Bachtins Idealisierung. Entsprechend wird die Groteske innerhalb der Romantik zum Schrecklichen, zur Markierung des Fremden innerhalb der eigenen Welt.170 Damit steht in der Groteske immer auch die Aporie – die innere Differenz oder Alterität – gemeinschaftlicher Vereinigung auf dem Spiel. Entsprechend ist die romantische Groteske »eher privat, kammertonhaft: ein Karneval, der einsam und mit dem deutlichen Bewußtsein dieser Isolation erlebt wird. Die karnevaleske Welterfahrung wird in die Sprache der subjektiv-idealistischen Philosophie übertragen und ist nun nicht mehr jenes konkrete, geradezu körperlich erfahrbare Gefühl der Einheit und Unerschöpflichkeit des Lebens wie in der Groteske des Mittelalters und der Renaissance«171. Insofern verwundert nicht, dass Daisy Miller. A Comedy als Versuch des redressing, die zweite – seriöse – Daisy aus diesem Karneval zu retten vorgibt. Die always wandering Daisy wird hier »invalid« werden, ihre Bewegung still gestellt: »She wears a light dressing-gown, like an invalid, and it must be apparent that she has been ill, though this appearance must not be exaggerated. She wan-

168 Thomas Phillips, Portrait of William Blake, Öl auf Leinwand, 1807, London, National Portrait Gallery. 169 Vgl. Bachtin, Rabelais und seine Welt, S. 83. Wie Bachtin rekonstruiert, bezeichnet la grottesca ursprünglich einen in der Renaissance wiederentdeckten römischen Ornamentalstil. ›Groteske‹ bezeichnet hier eine Figur des Liminalen, einen »spielerischen Umgang mit Pflanzen-, Tier- und menschlichen Formen […]. Nichts war zu spüren von jenen scharfen und stabilen Grenzen, die im herrschenden Verständnis diese ›Reiche der Natur‹ voneinander trennten: hier in der Groteske wurden sie kühn übertreten« (S. 82). 170 Ebd., S. 89. 171 Ebd., S. 88.

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ders slowly into the room, and pauses in the middle.«172 Doch diese spätere Stillstellung durchkreuzt die meta-influentische Pointe des Flirts zwischen den Texten. Denn während die Eheschließung Zu(sammen)gehörigkeit in Szene setzt, besteht die groteske Schreibszene dieses Versprechens gerade in dem die Szene des Todes zurücknehmenden theatralen re-dressing durch den späteren Text. Nicht friedvolle Zirkulation literarischer Energien, nicht die tiefere Zugehörigkeit und Unilokalität differenter Szenen und Texte finden hier statt. Vielmehr sind hier – immer schon sekundär – die Erzählung dieser Zirkulation und die textuellen Setzungen, mithin das Heimische der Bezüglichkeiten der Szene, selbst noch energetisch – flirtiv – in Szene gesetzt. Was dann bleibt von Daisies Geheimnis, beschreiben Deleuze und Guattari in Mille Plateaux (1980) als »Geheimnis durch Transparenz«, »das nur noch eine reine Linie ist, die kaum eine Spur ihrer Bewegung hinterläßt, die wundervolle Daisy Miller. […] Manche Menschen können sprechen, nichts verbergen, nicht lügen: sie sind geheimnisvoll durch Transparenz, undurchdringlich wie Wasser wirklich unbegreiflich«.173 Dieses Geheimnis gehorcht nicht nur nicht mehr länger dem Streben nach Aufdeckung, d.h. der Hermeneutik der Psychoanalyse. Dieses »Geheimnis durch Transparenz« ist ursprünglich sekundär, unterscheidet nicht in Unschuld und Schuld und fügt sich kategorisch nicht den Logiken der Entdeckung, setzt »Unschuldig a priori!«, wie Deleuze und Guattari schreiben: »James ist Proust weniger nahe als behauptet wird, denn er wagt den Ausruf: ›Unschuldig a priori!‹ […] gegen das ›Schuldig a priori‹, durch das Albertine verdammt wird.«174 »Unschuldig a priori!« ist das Stadium, »in dem das Geheimnis weder Inhalt noch Form hat und zum endlich wahrgenommenen Unwahrnehmbaren geworden ist, zum Klandestinen, das nichts mehr zu verbergen hat«175. Diese Molekularisierung des Geheimnisses – es »ist zu einer reinen, beweglichen Linie geworden«176 – taucht in dem Plateau 1874 schon auf. »Drei Novellen oder ›Was ist passiert?‹« befragt die Gattung der Novelle und deren Zusammenhang mit dem Geheimnis suchenden Fragemodus »was ist passiert?«. Die Autoren beziehen sich in dem Plateau auf James’ Erzählung In The Cage (1898) und stellen heraus: »Die Novelle hat eine fundamentale Beziehung zum Geheimnis (nicht zu einer geheimen Materie oder einem geheimen Objekt, das

172 James, Complete Plays, S. 162f. 173 Gilles Deleuze und Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II (Berlin: Merve, 1992), S. 395. 174 Ebd. 175 Ebd. 176 Ebd., S. 394.

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zu entdecken wäre, sondern zur Form des Geheimnisses, das undurchdringlich bleibt).«177 In der dem Kapitel vorangestellten Abbildung werden die Gattung der Novelle und ihre Ökonomie des Geheimnisses als szenische Anordnung dargestellt: Die Linie ist hier die Markierung bezüglicher Blickrichtungen (Abb. 2). Geheimnis und Novelle markieren eine Konstellation und eine Verräumlichung der Texte und ihrer Genealogie: als das Neue, das immer bereits schon »passiert« ist, ohne sich in eine Logik der Hermeneutik übersetzen zu lassen. Im Sinne einer solchen szenischen Inskription geht es James, wenn er sich auf Lord Byron bezieht, sicherlich nicht einfach um »appropriating the classics«, wie Adeline Tintner in ihrer kanonischen Studie annimmt.178 Auch erschöpft sich die Faszination nicht in den Motiven von »the lived life, the freedom of taste and pleasures« und, wie Tintner schreibt, in der Künstlerimago: »Byron […] seems to have represented for the American writer the modern man, who ›quarreled with the temper and accent of his age‹ and at the same time fulfilled the highest demands of the creative artist.«179 Stattdessen spricht James in einem seiner Notizbücher von einer ganz anderen Faszination – einer, die die Entität des Subjekts »zum Fliehen bringt«180 . Im Februar 1895 schreibt James einen Eintrag über die »extremely interesting Byron papers«, über den Inzestfall, der Lord Byrons Figur umgeistert. Nicht jedoch die pathologische Übertretung, sondern die Art und Intensität der Beziehung interessieren ihn: »the idea of the possible little drama residing in the existence of a peculiar intense and interesting affection between a brother and a sister.« »Two lives, two beings, and one experience«, verzeichnet James, »[w]hat it is probable that the little donnée would rightly present is the image of a deep, participating devotion of one to the other (of a brother to a sister presumably), rather than that of an absolutely equal, a mathematically divided affection«.181 Dieser ›inzestuöse‹ Byron ist weder heroische Befreiung noch pathologische Identifikation: »It conducts to a sharing of the fate of the other«, schreibt James weiter, »the Pain of Sympathy: that would be the subject, the formula«.182

177 Ebd., S. 265. 178 Vgl. Tintner, Book World of Henry James. 179 Ebd., S. 96. 180 Deleuze, »Angloamerikanische Literatur«, S. 45. 181 James, Complete Notebooks, S. 110ff. 182 Ebd., S. 111.

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Abbildung 2: R.F. Outcault, Buster Brown, le petit farceur

R.F. Outcault, Buster Brown, le petit farceur (Paris: Hachette, 1975). Aus: Gilles Deleuze und Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II (Berlin: Merve, 1992), S. 263.

Deleuze liest Sympathie nicht als Gefühl, sondern als ein affektives (asubjektives) Werden und als Grundformel der »Verkettung«, die der angloamerikanische Roman denkbar macht.183 Sympathie ist das theatrale »mit«, statt des repräsentationalen »für« und »anstelle von« – »mit der Welt, mit einem Teil der Welt, mit Menschen«.184 Für Deleuze ist mit dieser Sympathie nicht zuletzt eine Haltung und Methode des Schreibens verbunden: »Der Schriftsteller erfindet, aufbauend auf Verkettungen, die ihn erfunden haben, andere Verkettung, er läßt eine Vielheit in eine andere übergehen. […]. Verkettung ist der gemeinsame Funktionszusammenhang, ist ›Sympathie‹.«185 Denn: »Die kleinste reale Einheit ist nicht das Wort, nicht die Idee oder der Begriff und nicht der Signifikant – es 183 Vgl. Deleuze, »Angloamerikanische Literatur«, S. 59ff. 184 Ebd., S. 60. 185 Ebd., S. 59.

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ist die Verkettung. […]. Die Aussage ist Produkt einer – stets kollektiven Verkettung, die außerhalb wie innerhalb unserer selbst Populationen, Vielheiten, Territorien, Affekte, Geschehen und Werden ins Spiel bringt.«186 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Methode der Dramatisierung – die »stets weitere Masken hinter den Masken, Ortsveränderungen hinter jedem Ort, weitere ›Fälle‹, die in den einzelnen Fall eingekapselt sind«187 , aufspürt – als ein genealogisches Projekt und als die Inskription dieses Projekts in das Unbewusste der Texte. Influence ist dann nicht das rationalisierbare Verhältnis zwischen AutorSubjekten oder auch Autor und alter Ego, sondern der Bezüglichkeitsmodus, der mit und innerhalb von Texten statthat. Für James’ bookworld gilt daher: »To say that literature is based on influence is to say that it is intratextual.«188 In James’ Re-Visionen ist die Ordnung der Texte nicht in eine familial-filiale Logik einpassbar, und sei diese auch – wie in Blooms Anxiety of Influence – von family struggle, Hass und Begehren geleitet, statt friedliche Abfolge und ›magische‹ Teleologie zu sein.189 Denn wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, schiebt sich das Flirtive als Lese- und Schreibszene zwischen und in die Texte. Vor diesem Hintergrund ist Daisies Reise zu den Schauplätzen literarischer Kanonisierung auch eine Deterritorialisierung der Logik der Pilgerreise selbst.190 In diesem Sinne denkt Deleuze die angloamerikanische Literatur von ihrer »Überlegenheit« gegenüber der Ordnung des Historischen her. Die angloamerikanische Literatur besteht auf ein Dazwischen, von dem aus eine Konzeption von Geschichte entsteht, die ihren logischen und narrativen Ausgangspunkt weder vom Ursprung noch vom telos her nimmt: »Von Interesse ist niemals Anfang oder Ende, was zählt, ist das Dazwischen. Angefangen wird mittendrin.«191 In der Methode der Dramatisierung und deren ursprünglich sekundärer Theatralität wird diese historische Ordnung »zum Fliehen« gebracht, in der Literatur

186 Ebd. 187 Deleuze, »Die Methode der Dramatisierung«, S. 168. 188 De Man, »Bloom: Anxiety«, S. 273. 189 Bloom, Anxiety. Vgl. auch de Mans Vorwurf des »psychological naturalism«, de Man, »Bloom: Anxiety«, S. 272. 190 Vgl. Deleuze, »Angloamerikanische Literatur«, S. 45. Daisy Miller ist durchzogen von diversen Wortmodulationen: Am signifikantesten ist »to carry«, »to carry her off«, »being carried away«, »carriage«, die insgesamt ein Unterwegssein, aber auch ein Fortgetragen- oder ›Abgeschleppt‹-Werden unterstreichen. 191 Ebd., S. 48; zur Frage des Anfangens vgl. Melanie Sehgal, »Wo anfangen, wie überschreiten? William James und die Phänomenologie«, in: Journal Phänomenologie: Phänomenologie und Pragmatismus 32 (2009), S. 9–20.

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selbst einer Fliehkraft ausgesetzt.192 Weil Daisies Reise ein solches Fliehen ist, ist sie das »neue junge amerikanische Mädchen«193 , das für die brüderliche Praxis einer vaterlosen Gesellschaft steht, in der die Logiken der Filiation neu – horizontal – angeordnet sind: als Prozess, als Archipel. […] Isolate und flottierende Beziehungen, Inseln und ZwischenInseln, bewegliche Punkte und gewundene Linien, denn die Wahrheit hat immer ›ausgezackte Ränder‹. Nicht Hirn, sondern Wirbelkette, ein Rückenmark; keine uniforme Bekleidung, sondern ein Harlekins-Mantel, sogar weiß auf weiß, ein Patchwork mit endloser Fortsetzung, mit vielfachen Anschlüssen […].194

Als dieses Zwischensein, als ›nicht-ödipale‹ Familienlogik, Patchwork, geteiltes Leben, con-scientia statt consciousness, Komplizität statt Dialektik konzipiert James diese ›inzestuöse‹ und »participating devotion of one to the other« in den späteren Romanen.

192 Vgl. Deleuze, »Angloamerikanische Literatur«, S. 45f. 193 Vgl. Deleuze, »Bartleby oder die Formel«, S. 120. 194 Ebd., S. 118.

Impossible Separation: The Golden Bowl

M ARRIAGE P LOT In seinem 2011 erschienenen Roman The Marriage Plot schreibt Jeffrey Eugenides ein Hohes Lied und einen Abgesang auf den (englischsprachigen) Roman des 19. Jahrhunderts. In den frühen 1980er Jahre wird die literarische Konstruktion und konservative Ideologie des marriage plot zur Kontrastfolie, vor der der revolutionäre Geist der jüngst aus Europa importierten (post-)strukturalistischen Theorie zu Tage tritt. Am English Department der Brown University ersetzen nun Kurse wie »Introduction to Semiotic Theory« das Programm von »The Marriage Plot: Selected Novels of Austen, Eliot, and James«, und Autoren wie Barthes, Eco und Derrida rütteln an der selbstgewissen Versunkenheit romanesker Lektüre. Formen sich die Erzählungen vom ungewissen Werben und seduktiven Gewinnen wie von selbst zum plot – was bleibt dann von der ehelichen Liebe, der familialen Ordnung und vom Roman in den Zeiten von Barthes’ sich dem Sukzessiven widersetzenden Fragments d’un discours amoureux (1977)? »[T]he novel had reached its apogee with the marriage plot and had never recovered from its disappearance«, theoretisiert Eugenides’ Professor Saunders melancholisch: In the days when success in life had depended on marriage, and marriage had depended on money, novelists had had a subject to write about. The great epics sang of war, the novel of marriage. Sexual equality, good for women, had been bad for the novel. And divorce had undone it completely. What would it matter if Emma married if she could file for separation later? How would Isabel Archer’s marriage to Gilbert Osmond have been affected

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by the existence of a prenup? […]. [M]arriage didn’t mean much anymore, and neither did the novel.1

Eugenides erwähnt nicht, dass Barthes selbst eines seiner Fragmente mit »Roman/Drama« übertitelt und darin nach dem Zusammenhang von geordneter Erzählung und szenischer Fragmentierung fragt: Was machen die Fragments d’un discours amoureux mit dem Roman? Barthes interessiert nicht die Erzählung von der Emanzipation (die Saunders beweint). Er fragt, wie auch andernorts, nach dem Zusammenhang von Subjekt und Rede und hinterfragt die Vorgängigkeit geschlossener Subjektivität vor dem Diskurs: »Der Mensch existiert weder phylogenetisch noch ontogenetisch vor der Sprache. Wir stoßen niemals auf einen Zustand, in dem der Mensch von der Sprache getrennt wäre, die er dann entwickelte, um ›auszudrücken‹, was in ihm vorgeht […].«2 Den Roman denkt Barthes als die Einsatzfläche eines »medialen Schreibens«, in dem die Kongruenz von Äußerung und Handlung auseinanderfällt. Der romaneske Diskurs kann nicht zu dem Ort gemacht werden, »an dem sich eine zuvor angesammelte Person unbedarft wieder zusammenfügt«, zu einem Ort, »der die literarische Form bloß zum Ausdruck einer vor oder außerhalb der Sprache herausgebildeten Innerlichkeit macht«.3 Der Grenzbereich »Roman/Drama« verhandelt den irrigen Kurzschluss von Erzählung und Erfüllung: »Als Erzählung (Roman, Leidenschaft) ist die Liebe eine Geschichte, die, im geistlichen Sinne, in Erfüllung geht: Sie ist ein Programm, das durchlaufen werden muß.«4 Das, was Barthes »Drama« nennt, ist die Unterbrechung der Erzählung von der Erfüllung sowohl der Liebe als auch des Romans. Denn im Drama verfehlt der Roman seine und verfehlt die Liebe ihre Erzählung. Das Drama der Liebe bringt die zeitliche Ordnung der Erzählung in Unordnung: »Diese Geschichte [hat] bereits stattgefunden; denn was daran Ereignis ist, ist allein die Hingerissenheit, deren Opfer ich gewesen bin und deren Nachträglichkeit ich wiederhole (und verfehle).«5

1

Jeffrey Eugenides, The Marriage Plot: A Novel (New York: Farrar, Straus and Gi-

2

Roland Barthes, »Schreiben, ein intransitives Verb?«, in: Sandro Zanetti (Hg.),

roux, 2011), S. 22. Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2012), S. 240–250, hier S. 243. 3

Ebd., S. 246.

4

Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, 11. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004), S. 70.

5

Ebd., S. 70f.

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Statt die Liebe und den Roman der Erzählung zuzuschlagen, fragt Barthes nach dem Zusammenhang zwischen dem trennenden Moment des Dramas und der Logik der Szene: »Die Überwältigung durch die Liebe ist ein Drama, wenn man diesem Wort den archaischen Sinn zurückerstattet, den Nietzsche ihm gibt: ›Das antike Drama hatte große Pathosszenen im Auge – es schloß gerade die Handlung aus (verlegte sie vor den Anfang oder hinter die Szene).‹«6 Gerade aber dieses Szenische – insofern es nicht erzählte Handlung, plot ist – stellt bei Barthes die Frage nach der romanesken Autorschaft: »Drama. Das liebende Subjekt kann seinen Liebesroman nicht selbst schreiben. Nur eine sehr archaische Form vermöchte das Ereignis zu bannen, das der Liebende deklamiert, ohne es erzählen zu können.«7 Ausgehend von dieser Unmöglichkeit der Erzählung folgert Barthes in einer enigmatischen Wendung: »Nur der Andere könnte meinen Roman schreiben.«8 Die Frage dieser vom Anderen herrührenden Ursprungsszene des Romans thematisieren James’ späte Texte explizit am Topos der Genealogie. Gleichzeitig mit der synchronen und syntagmatischen Ordnung des Familialen rückt die genealogische Ordnung der Sukzession in den Fokus. Paradigmatisch in The Golden Bowl stehen mit dem Familialen und mit dessen Verfahren der Differenzierung und Relationierung die quasi-theologischen Erzähllogiken der Schöpfung, Verheißung und Erfüllung zur Debatte.

M ARRIAGE : S CHÖPFUNG

UND

E NTDECKUNG

In einem Notebook-Eintrag von 1895 verzeichnet James: »Here, by the way, are the approximate or provisional labels of the sujet de roman that I just alluded to one’s having en tête. […] 2° The Marriages (What a pity I’ve used that name!9): the Father and Daughter, with the husband of the one and the wife of the other entangled in a mutual passion, an intrigue.«10 Aus den »provisional labels« erwächst die Grundkonstruktion von The Golden Bowl, von James’ letztem zu Lebzeiten erschienenem Roman, der nicht nur zu den Texten der sogenannten

6

Barthes, Sprache der Liebe, S. 71.

7

Ebd., S. 70.

8

Ebd.

9

Henry James, »The Marriages«, in: Atlantic Monthly (August 1891); wieder abgedruckt in The Lesson of the Master.

10

James, Complete Notebooks, S. 146.

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Major Phase zählt,11 sondern zudem einen Grenzwert des Romanesken markieren soll: Lektüren wie Wilsons Henry James’s Ultimate Narrative oder Pearsons »The Novel to End All Novels« veranlassen, über die Transgression der Grenzen des Fiktionalen nachzudenken und den Roman als »›the last straw‹ on the back of prose fiction« zu deklarieren.12 Diese Beobachtungen rühren daher, dass Erzählung nicht das primäre Anliegen des Texts ist – obwohl sein Material dem familialen Diskurs entnommen und mit Elementen aus dem Register von romance und fairytale love und Motiven der liaisons dangereuses des Ehebruchs ausgestattet ist. Der plot ist simpel: Es geht um vier Personen, zwei Paare – Adam Verver, Charlotte Stant, Prince Amerigo und Princess Maggie Verver – die untereinander und überkreuz verbindet, was James »a mutual passion« nennt: Adam und Maggie sind Vater und Tochter, die seit dem frühen Tod der Mutter ein wesentlich aufeinander bezogenes Bindungsverhalten haben: »he peculiarly paternal, she passionately filial.«13 Die Amerikanerin Charlotte Stant und den Italiener Prince Amerigo verbindet eine frühere und heimliche Liebesgeschichte, die wegen mangelnder ökonomischer Ressourcen nicht in die Ehe mündete. Der Amerikaner Adam Verver und seine Tochter Maggie hingegen sind mit Besitz gesegnet. Die beiden Paare heiraten und Charlotte und Amerigo begegnen sich wieder, ohne dass die respektiven sposi um deren Verbindung wüssten. Nach den Hochzeiten entwickelt sich eine heimliche liaison zwischen den ExGeliebten Charlotte und Amerigo, von der Maggie ahnt und die sie vor ihrem Vater verheimlicht. Während der plot die Paare zu konsolidieren weiß – Adam und Charlotte kehren nach Amerika zurück, während Prince und Princess in England verbleiben –, spielt der Text ironisch mit den plot-Ökonomien und deren Erfüllungsgestus. Wie auch in Daisy Miller artikuliert sich dieses Spiel am Topos des

11

Francis Otto Matthiessens Henry James: The Major Phase hat wesentlichen Anteil an dem Erstarken des (literaturwissenschaftlichen) Interesses an James und an der Kanonisierung seiner Texte unter den »American major authors«. Zur »major phase« zählt Matthiessen The Wings of the Dove, The Ambassadors und The Golden Bowl. Vgl. F.O. Matthiessen, Henry James: The Major Phase (New York: Oxford University Press, 1944).

12

Vgl. Pick, »Structures of Multiplicity«, S. 115; vgl. Gabriel Pearson, »The Novel to End All Novels: ›The Golden Bowl‹«, in: John Goode (Hg.), The Air of Reality: New Essays on Henry James (London: Methuen, 1972), S. 301–362; vgl. Richard Barthley Joseph Wilson, Henry James’s Ultimate Narrative: The Golden Bowl (London: University of Queensland Press, 1981).

13

James, Complete Notebooks, S. 75.

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Geheimnisses. Der Text zitiert die Struktur des Kriminalromans – »it would [have the structure of a detective novel], if anyone were trying to solve the mystery«14. Sowohl der Aggregatzustand der intrigue als auch deren detection stehen im Text auf dem Spiel. Der Text ist durchzogen von der Erzählung von der Entdeckung. Der römische Prince Amerigo ist entfernter Nachfahre und Namensvetter Amerigo Vespuccis, »of the pushing man who followed, across the sea, in the wake of Columbus and succeeded, where Columbus had failed, in becoming godfather, or name-father, to the new Continent« (Bd. 23: 78). Entdeckung aber ist kein einmaliges Ereignis, sodass zwischen success und failure nicht verlässlich zu unterscheiden ist. An Amerigo hängt ›seither‹ und ›fortan‹ das Kainsmal des Entdeckers: »By that sign […] he’ll conquer« (Bd. 23: 79). Wie ein Fluch lastet auf ihm der Ruf nach »pursuing«, »capture« und »success« (Bd. 23: 4), »the loot of far-off victories«, »to recover a little« »the truth of the ancient state« (Bd. 23: 3) des römischen Imperiums. Vor diesem Hintergrund bedeutet die Heirat mit Maggie Verver nicht nur eine immense ökonomische Eroberung; indem der Prinz vom Urvater Adam die Tochter übernimmt, partizipiert er an dessen symbolischem Status. Adam Verver ist nicht einfach nur »intensely American«15, Millionär und Kunstsammler, »completely civilized, large, rich, complete«16: Durch die Ehe der Prinzessin mit dem Prinz wickelt sich die Entdeckungs- auf die Schöpfungsgeschichte auf, vereint sich in Amerigo und Adam die Entdeckung mit dem Paradies, »Amerika« mit dem gelobten Land und die Urvaterrolle (der Sohn und Enkel wird der »Pincipino« sein) mit dem Anspruch auf Schöpfertum. Die Entdeckung ist in der Schöpfung teleologisch angelegt, sie vollendet die Schöpfung und weist diese zugleich und immer erst nachträglich als solche aus. Dass für den Prinzen das neue Boot der Ehe die Einfahrt in ergiebige Winde bedeutet, hängt von dem Erbe des Vaters Adam ab, ohne das sein entdeckerisches Abenteuer nicht mehr als ein kontingentes Desaster wäre: »›And, pray, am I not in Mr. Verver’s boat too?‹«, fragt Amerigo, »Why, but for Mr. Verver’s boat, I should have been by this time« – and his quick Italian gesture, an expressive direction and motion of his forefinger, pointed to deepest depths – »away down, down, down.« She knew of course what he meant – how it had taken his father-in-law’s great fortune, and taken no small slice, to surround him with an element in

14

Hilary Margo Schor, »Reading Knowledge: Curiosity in ›The Golden Bowl‹«, in:

15

James, Complete Notebooks, S. 75.

16

Ebd., S. 70.

The Henry James Review 26, Nr. 3 (2005), S. 237–245, hier S. 238.

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which, all too fatally weighted as he had originally been, he could pecuniarily float […]. (Bd. 23: 268)

Erst durch den Urvater Adam bekommt die Geschichte von der Entdeckung ihre epische Tiefe, wird das Neue, das »Amerika« für Amerigo ist, ermessbar: »The strength, the beauty of his actual position was in its being wholly a fresh start, was that what it began would be new altogether« (Bd. 23: 95). Gleichzeitig aber bekommt erst in und durch Amerigos discovery Adams Urvaterschaft und Schöpfertum nachträglich Bedeutung. Sie werden zur Verheißung, die erst in Amerigos discovery ans Licht kommt: It all met him [Adam] during these instants as a vast expanse of discovery, a world that looked, so lighted, extraordinarily new, and in which familiar objects had taken on a distinctness that, as if it had been a loud, a spoken pretension to beauty, interest, importance, to he scarce knew what, gave them an inordinate quantity of character and, verily, an inordinate size. This hallucination, or whatever he might have called it, was brief, but it lasted long enough to leave him gasping. The gasp of admiration had by this time, however, lost itself in an intensity that quickly followed – the way the wonder of it, since wonder was in question, truly had been the strange delay of his vision. He had these several days groped and groped for an object that lay at his feet and as to which his blindness came from his stupidly looking beyond. It had sat all the while at his hearth-stone, whence it now gazed up in his face. Once he had recognised it there everything became coherent. (Bd. 23: 207)

In der nachträglichen Erleuchtung erst – als »strange delay of his vision« – stellt sich die sukzessive Kohärenz von der Schöpfung zur Entdeckung her, wird die Schöpfung als Entdeckung derjenigen Vaterschaft erkennbar, die zum gelobten Land führt: It fell in so beautifully with what might be otherwise possible; it stood there absolutely confronted with the material way in which it might be met. The way in which it might be met was by his putting his child at peace, and the way to put her at peace was to provide for his future – that is for hers – by marriage, by a marriage as good, speaking proportionately, as hers had been. (Bd. 23: 208)

»Marriage« ist der Name, den Adam für den Komplex aus Entdeckung und Schöpfertum findet und der in James’ The Golden Bowl zur Debatte steht. Verhandelt wird die Erzählung von diesem Komplex, insofern sie selbst Kohärenzbildung ist, und die damit verbundene Verheißung. Adam und Amerigo figurie-

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ren als das quasi-mythische Grundmaterial der Kohärenzbildung, ebenso wie sie den Bruch innerhalb der Kohärenz markieren, indem sie die Kohärenzbildung als Vorgang der Projektion ausweisen. Wenn scene auch »a screen for the reception of images projected from a lens«17 bedeutet, dann ist die Projektion von Adam und Amerigo der szenische Vorgang par excellence: Erst und nur im nachträglichen Bild wird das Ereignis der Urszene als solches lesbar. Das, was aber wiederkehrt, ist nicht das Selbe, sondern erweist sich als Anderes. Der Sohn, der kommen wird, das Neue in die Welt zu bringen, das das Alte erneut beglaubigt und in seiner Wirkkraft bewahrheitet, erweist sich im selben Moment als entschwindend im Bild, als Rücknahme der initiierenden Vaterschaft in der Figur des Sohnes, der den Vater beglaubigen soll. Was Adam insofern folgerichtig zu entdecken glaubt, ist der vermeintliche Seeweg zurück in eine equilibrierte Ordnung ohne Trennung, ist die Vermeidung des Bruchs, auf dem die gesamte Logik der nachträglichen Entdeckung notwendig beruhen muss. Einerseits ist The Golden Bowl die Projektion der fortwirkenden Ursprungsbindung zwischen Adam und Maggie. »Ehebruch« ist insofern nicht nur der Name für den betrügerischen Akt von Prince Amerigo und Charlotte Stant: In der Verhandlung von Nähe und Distanz zwischen Vater und Tochter stehen das Trennen und das Verbinden als solches zur Debatte. Die Eheschließung, so theoretisiert das gesamte zehnte Kapitel des Romans, wird zur Metapher für einen Platzwechsel im Familialen, der das rechte Maß ändert: »The waters of talk spread a little, and Maggie presently contributed an idea in saying: ›What has really happened is that the proportions, for us, are altered‹« (Bd. 23: 167f.). »Eheschließung« ist die Benennung einer Veränderung im Sättigungsgrad familialer Beziehungen. »Ehe« heißt in The Golden Bowl »to make things different« oder schlicht »making a difference«: »What I feel is that there is somehow something that used to be right and that I’ve made wrong. It used to be right that you hadn’t married, and that you didn’t seem to want to. It used also« – she continued to make out – »to seem easy for the question not to come up. That’s what I’ve made different. It does come up. It will come up.« »You don’t think I can keep it down?« Mr. Verver’s tone was cheerfully pensive. »Well, I’ve given you, by my move, all the trouble of having to.« He liked the tenderness of her idea, and it made him, as she sat near him, pass his arm about her. »I guess I don’t feel as if you had ›moved‹ very far. You’ve only moved next door.«

17

»scene, n.«, OED Online, June 2013. Oxford University Press, http://www.oed.com (letzter Zugriff: 22. Februar 2015).

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»Well«, she continued, »I don’t feel as if it were fair for me just to have given you a push and left you so. If I’ve made the difference for you, I must think of the difference.« (Bd. 23: 171f.)

Entscheidend dabei ist, dass Wirkung und Differenz nicht substanziell, sondern nur relational beschreibbar sind: »But what have I lost?« She thought a minute, as if it were difficult to say, yet as if she more and more saw it. »Well, whatever it was that, before, kept us from thinking, and kept you, really, as you might say, in the market. It was as if you couldn’t be in the market when you were married to me. Or rather as if I kept people off, innocently, by being married to you. Now that I’m married to some one else you’re, as in consequence, married to nobody.« (Bd. 23: 172)

Adam wiederum heiratet die Amerikanerin Charlotte Stant, Freundin seiner Tochter Maggie – heiratet sie um die Tochter an ihrem neuen Platz zu konsolidieren, um die Separation zu vollziehen. Charlotte Stant, die neue Frau und plötzliche Stiefmutter, bezeichnet die Paradoxie der Bindung und die komplizierten Ökonomien der Trennung und Konsolidierung: »[T]he result of our separate households is really, for them [Adam and Maggie], more contact and more intimacy« (Bd. 23: 259). Adams Eheschließung sollte den Nachweis dafür antreten, dass kein Unterschied jemals gemacht, keine Urvaterschaft ersetzt werden kann. Sie manifestiert den Unterschied zwischen Vater und Tochter – their difference from one another – und provoziert im Folgenden eine Reihe von Szenen zur Reetablierung der Ungeschiedenheit. Nicht zufällig spielt darin der mittlerweile geborene Enkel – der märchenhafte Principino – die Rolle noch ungeschiedener Kindheit und Symbiose und die Reaktivierung der ödipalen Szene, die die Bindung zwischen Vater und Tochter auf anderem Schauplatz konsolidiert. Anderseits und gleichzeitig ist Adams Entdeckung von der Erzählung als Kohärenzbildung und Vermeidung des Bruchs zugleich die Unterbrechung der Erzählung von den gehissten Segeln und den sicher erreichten Ufern des gelobten Landes. In den vielfachen Ökonomien der Platzierungen und Rollenwechsel geht der sichere Hafen verloren. Zwar sind die Figuren placed und innerhalb des vicious circle sogar fixed, wie Charlotte feststellt: »[I]t belongs to my situation that I’m, by no merit of my own, just fixed – fixed as fast as a pin stuck, up to its head, in a cushion. I’m placed – I can’t imagine anyone more placed. There I am!« (Bd. 23: 256). Doch während sich die Positionen der Figuren aus dem Ge-

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füge ergeben, ist der Text zugleich durchzogen von »locational uncertainty«18. Trotz »equilibrium« und »precious condition«, bleibt die Frage: »›[B]ut where, for it, after all, are we? up in a balloon and whirling through space, or down in the depths of the earth, in the glimmering passages of a gold-mine?‹ The equilibrium, the precious condition, lasted in spite of rearrangement; there had been a fresh distribution of the different weights, but the balance persisted and triumphed« (Bd. 24: 73). »The whole situation«, schreibt James, »works in a kind of inevitable rotary way – in what would be called a vicious circle«.19 Die Figur der Kreisbewegung ist nicht nur das Gegenmodell zur zielgerichteten Bewegung der Teleologie der in der Entdeckung vollendeten Schöpfung – James übernimmt und dekonstruiert die Metapher der entdeckenden Seefahrt selbst. Statt mit gehissten Segeln dem gelobten Land entgegenzugehen, sitzen in The Golden Bowl zwar alle in einem Boot, darin aber reichlich fest: »We’re in the same boat«, stellt der Prince sein Verhältnis zu Charlotte Stant dar, Schiffbrüchige einer Situation und einer Konstellation, über die die Figuren selbst nur bedingt verfügen, da deren Autorschaft ihnen nicht zukommt. Die Seefahrtsmetaphorik zeigt nicht nur, wie das Erfolgspathos der »hymeneal Northwest Passage« (Bd. 23: 36), der European-American Marriage, als die der Prinz seine Unternehmung beschreibt, von unkalkulierbaren Wellen eingeholt wird. Statt eines seiner selbst gewissen, freiheitlich lossegelnden Amerigo Vespuccis, der das verrottete Europa hinter sich lässt, entwirft James Figuren, die nur als Wasserzeichen von Konstellationen lesbar werden. Den hier implizierten Subjektbegriff formuliert James als Textbegriff. Nicht die Unverfügbarkeit von Lebensrouten, sondern die oblique Autorschaft nicht-souveräner Setzung zeichnet die James’schen Figuren aus: »the […] inveteracy of a certain indirect and oblique view of my presented action«20. Dieses Prinzip entzogener Autorschaft ist als eine Telescopage von Schöpfung und Entdeckung figuriert, die sich ineinanderschieben und verschachteln,21 wobei in der Schöpfung die Entdeckung väterlich präfiguriert ist

18

Edgar Dryden, »The Imp of the Perverse: Metaphor in ›The Golden Bowl‹«, in: The

19

James, Complete Notebooks, S. 74.

Henry James Review 31, Nr. 2 (2010), S. 111–124, hier S. 117. 20

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1322.

21

Telescopage bezeichent die teleskopartig ineinandergeschobenen Waggons bei Eisenbahnunglücken im 19. Jahrhundert. Walter Benjamin nimmt das Konzept als »Telescopage der Vergangenheit durch die Gegenwart« auf: Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, in: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. V.1–2 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991), S. 588. Die Stuktur des Ineinanderschiebens beschreibt Lacan (am Beispiel von James Joyce’

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und die Entdeckung die Schöpfung der Vaterschaft zurücknimmt. Anders als in Adams Versuch urväterlicher Kohärenzbildung funktioniert für James’ Text nicht die Formel »everything became coherent«. Stattdessen wird erzählt von der unheimlichen und unerlässlichen Wiederkehr des Alten, das nicht als Selbes taugt, sondern gerade als Anderes die Dekonstruktion der Kategorie des Neuen vorantreibt. Die Telescopage ist so nicht nur der »Störfall in der Genealogie«22, sondern das der Genealogie inhärente Moment der Störung, das die Frage nach dem Einsatz des Genealogischen intensiviert. Nicht Ehebruch ist hier das Thema, sondern die Frage der Separation: der Bruch in der Erzählung von der Verdrängung und der Wiederkehr sowie der Bruch in der Erzählung von den anderen Welten. Dass das Neue als unheimliche Telescopage auch das Alte ist, davon schreibt The Golden Bowl.

M AKING

A

D IFFERENCE

Die biblische Genesis spielt noch auf einer anderen Ebene in The Golden Bowl eine Rolle. Der Roman besteht aus zwei Teilen – Book First: The Prince, Book Second: The Princess. Das erste Buch handelt von der Anbahnung und dem Vollzug des Ehebruchs, das zweite Buch dreht sich um Maggie Ververs Erkenntnisprozess. Dieser wird in den Begriffen von Emanzipation und Aufklärung beschrieben: Cartesianisch erlernt Maggie zu zweifeln und sich im Zweifel aus dem Zustand der Unwissenheit zu befreien: »To doubt, for the first time […] of her wonderful little judgment of her wonderful little world« (Bd. 23: 380). In Maggies eigenen Worten wird die Erzählung von der Emanzipation zur Entdeckung weiblicher Neugier und sie wird so eingereiht in die Emanzipationsgeschichte Emma Bovarys und vor allem Isabel Archers der europäischen und

Finnegan’s Wake) wie folgt: »[d]er Signifikant trüffelt das Signifikat: Es ist aufgrund der Tatsache, daß die Signifikanten sich verschachteln, sich zusammensetzen, sich ineinanderschieben […]«, Jacques Lacan, Encore. Das Seminar. Buch XX (Weinheim; Berlin: Quadriga, 1986), S. 41. Vgl. auch Jacques Derrida, »Die Tode des Roland Barthes«, in: Hans-Horst Henschen (Hg.), Roland Barthes. Mit Beiträgen zu seinem Werk (München: Boer, 1988), S. 31–73, hier S. 57f. (Anmerkung des Hg.). 22

Sigrid Weigel, »Télescopage im Unbewußten. Zum Verhältnis von Trauma, Geschichtsbegriff und Literatur«, in: Elisabeth Bronfen, Birgit R. Erdle und Sigrid Weigel (Hg.), Trauma. Zwischen Psychoanalyse und kulturellem Deutungsmuster (Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 1999), S. 51–76, hier S. 65.

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| 241

angloamerikanischen Literatur.23 Maggies Neugier richtet sich auf etwas Verdecktes, dass es zu entdecken gilt: »I’ve been thinking for months and months […]. Well, horrible things – like a little beast that I perhaps am. That there may be something – something wrong and dreadful, something they cover up« (Bd. 24: 109). Innerhalb der Suche nach diesem something aber, ist der Zweifel nicht primär auf den Gegenstand gerichtet – den vermuteten Ehebruch von Ehemann und Busenfreundin. Maggies Neugier ist kategorisch, sie beginnt an ihrem paradiesischen, d.h. urteilsfreien Zustand zu zweifeln. Maggie entdeckt nicht nur die Gefallenheit von leidenschaftlichem Ehemann und Stiefmutter; erzählt wird von Maggies Sündenfall: »Her sense will have to open.« »I see.« He nodded. »To the wrong.« He nodded again, almost cheerfully – as if he had been keeping the peace with a baby or a lunatic. »To the very, very wrong.« But his wife’s spirit, after its effort of wing, was able to remain higher. »To what’s called Evil – with a very big E: for the first time in her life. To the discovery of it, to the knowledge of it, to the crude experience of it.« (Bd. 23: 385)

Das Entscheidende an dem, was Maggie im Folgenden erkennt, ist entsprechend nicht substanziell benennbar – etwa, als das, was ›eigentlich‹ zwischen den Liebhabern los war, so wie Emma Bovary herausfindet, dass sie einen anderen hätte heiraten sollen, oder Isabel, dass sie in einen Komplott geraten ist. »I put [Amerigo] in possession of the difference«, stellt Maggie fest: »the difference made, about me, by the fact that I hadn’t been, after all – though with a wonderful chance, I admitted, helping me – too stupid to have arrived at knowledge. He had to see that I’m changed for him – quite changed from the idea of me that he had so long been going on with. It became a question then of his really taking in the change – and what I now see is that he is doing so.« (Bd. 24: 216)24

Der eigentlich emanzipatorische Schritt, den Maggie als einzige geht, ist, die Differenz in den ungeschiedenen Zustand der Bindung einzuführen. Ihr Wissen ist, was einen Unterschied macht. Sie wiederholt Adams und Evas eigentliche Erkenntnis, dass das Erkennen selbst – die geöffneten Augen – mit Unterschieden und Unterscheidungen zu tun hat:

23

Vgl. Schor, »Reading Knowledge«. Zum Topos der Neugier vgl. Kapitel IV dieses Buches.

24

Vgl. ebd., S. 241.

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Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß. Da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürze. (1. Moses, 3.6)

Maggie und nicht Charlotte ist die Verführerin, ist vielmehr Schlange – »a little beast that I perhaps am« – als Eva, die Verführte. Von dieser Szene des Sündenfalls aus gelesen, entfaltet sich The Golden Bowl folgerichtig als eine Art double plot, durch den der gesamte Text zur Szene nicht nur der Verdopplung, sondern des Dissens wird, die die entdeckte Differenz in seine Strukturmechanismen einschließt. Dieser Mechanismus macht den Text zur theatralen Szene: »Das double plot device […] ist ein entscheidender strukturaler Mechanismus einer […] theatral entfalteten Ambiguität«, fasst Trüstedt William Empson zusammen: »Dabei ist die Doppeltheit des double plot keine simple Zweiheit, sondern resultiert aus einem Mechanismus komplexer Verhältnisse, in denen sich eine Dynamik des Doubles und des Doublierens entwickelt: Ein plot ist die Wiederholung des anderen (oder seiner selbst) mit allen Implikationen von Wiederholung, inklusive der, täuschendes Double, Doppelgänger oder Widersacher im Sinn eines double bind zu werden.«25 Der eine plot nimmt »da wurden ihrer beiden Augen aufgetan« beim Wort und führt von der Synonymisierung von ›Sehen‹ und ›Wissen‹ zur ermächtigenden Geste der Autorschaft. Zu Beginn des ersten Buches, stellt James Erkennen als einen Prozess räumlich-szenischer Anordnung dar, in dem ›Sehen‹ und ›Wissen‹ nicht nur gleichzeitig (und plötzlich) auftreten, sondern synonym verstanden sind. Dafür lohnt ein längeres Zitat: That, none the less, was but a flicker; what made the real difference, as I have hinted, was his mute passage with Maggie. His daughter’s anxiety alone had depths, and it opened out for him the wider that it was altogether new. When, in their common past, when till this moment, had she shown a fear, however dumbly, for his individual life? They had had fears together, just as they had had joys, but all of hers, at least, had been for what equally concerned them. Here of a sudden was a question that concerned him alone, and the

25

Katrin Trüstedt, »Double Plot. Zum latenten Mechanismus eines ›coming to know what we cannot just not know‹«, in: Stefanie Diekmann und Thomas Khurana (Hg.), Latenz. 40 Annäherungen an einen Begriff (Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2007), S. 56–61, hier S. 57; vgl. zum »double plot« William Empson, Some Versions of Pastoral (New York: New Directions, 1974), Kapitel II, S. 27ff.

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soundless explosion of it somehow marked a date. He was on her mind, he was even in a manner on her hands – as a distinct thing, that is, from being, where he had always been, merely deep in her heart and in her life; too deep down, as it were, to be disengaged, contrasted or opposed, in short objectively presented. But time finally had done it; their relation was altered: he saw, again, the difference lighted for her. This marked it to himself – and it wasn’t a question simply of a Mrs. Rance the more or the less. For Maggie too, at a stroke, almost beneficently, their visitor had, from being an inconvenience, become a sign. They had made vacant, by their marriage, his immediate foreground, his personal precinct – they being the Princess and the Prince. They had made room in it for others – so others had become aware. He became aware himself, for that matter, during the minute Maggie stood there before speaking; and with the sense, moreover, of what he saw her see, he had the sense of what she saw him. This last, it may be added, would have been his intensest perception had there not, the next instant, been more for him in Fanny Assingham. Her face couldn’t keep it from him; she had seen, on top of everything, in her quick way, what they both were seeing. (Bd. 23: 153f.)

Die Passage ist eine Anordnung von Blickkonstellationen zwischen Adam, Maggie und Mrs. Assingham, innerhalb derer die Ökonomien des Sehens verhandelt werden: »[Adam] saw«, »[Adam] had the sense of what [Maggie] saw him«, »[Mrs. Assingham] had seen, on top of everything, in her quick way, what [Adam and Maggie] both were seeing« markieren die sich steigernden (»his intensest perception«) Kurzschlüsse von ›Sehen‹ und ›Wissen‹/›Erkennen‹. In dieser Terminologie der Aufklärung ist Wissen insofern mit Sehen gleichbedeutend, als Erkennen Erhellung bedeutet: Hier wird ins Licht gesetzt, vor Augen, sichtbar. In diesem plot ist Maggie nicht nur Adams Tochter und Amerigos Frau: Sie verkörpert deren Projekte und deren Erfolg, vollstreckt die Wiedergutmachung des Sündenfalls in der Entdeckung der Neuen Welt, die nachträglich den Sündenfall als Urszene souveräner Autorschaft lesbar macht und Gottes/Adams Schöpfertum/Urvaterschaft ausweist. Maggie selbst wird zur Autorfigur, sie verfügt über Bilder und Welten: »She had images […] that were drawn from steamers and trains, from a familiarity with ›lines‹, a command of ›own‹ cars, from an experience of continents and seas […]« (Bd. 23: 15). In einer der Schlüsselszenen in Maggies über Bilder und Welten verfügendem Erkenntnisprozess betrachtet sie von außen einen Innenraum, in dem ihr Vater, Charlotte und Amerigo Karten spielen: »They might have been – really charming as they showed in the beautiful room, and Charlotte certainly, as always, magnificently handsome and supremely distinguished – they might have been figures rehearsing some play«:

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Nothing in fact was stranger than the way in which, when she had remained there a little, her companions, watched by her through one of the windows, actually struck her as almost consciously and gratefully safer. They might have been – really charming as they showed in the beautiful room, and Charlotte certainly, as always, magnificently handsome and supremely distinguished – they might have been figures rehearsing some play of which she herself was the author; they might even, for the happy appearance they continued to present, have been such figures as would, by the strong note of character in each, fill any author with the certitude of success, especially of their own histrionic. They might in short have represented any mystery they would; the point being predominantly that the key to the mystery, the key that could wind and unwind it without a snap of the spring, was there in her pocket – or rather, no doubt, clasped at this crisis in her hand and pressed, as she walked back and forth, to her breast. She walked to the end and far out of the light; she returned and saw the others still where she had left them; she passed round the house and looked into the drawing-room, lighted also, but empty now, and seeming to speak the more, in its own voice, of all the possibilities she controlled. Spacious and splendid, like a stage again awaiting a drama, it was a scene she might people, by the press of her spring, either with serenities and dignities and decencies, or with terrors and shames and ruins, things as ugly as those formless fragments of her golden bowl she was trying so hard to pick up. (Bd. 24: 235f.)

Aus sicheren Distanz zur Szene des Spiels wird Maggie selbst zur Autorfigur, in deren Händen der Fortgang des Spiels liegt, sein erfolgreicher oder desaströser Ausgang. In diesem plot kann sich Maggie – wegen dieser Verfügungsgewalt – gegen das Desaster entscheiden: Das zwischen Vater und Tochter als Echo wiederholte »we see […] we see«, »it’s success […] it’s success« (Bd. 24: 364ff.) fasst diese Emanzipationsgeschichte zusammen. Im Kern dieses plots steckt – das ist James’ finale Volte – ein starker Wahrheitsbegriff, den noch die letzten Worte des Romans manifestieren: It kept [Amerigo] before [Maggie] therefore, taking in – or trying to – what she so wonderfully gave. He tried, too clearly, to please her – to meet her in her own way; but with the result only that, close to her, her face kept before him, his hands holding her shoulders, his whole act enclosing her, he presently echoed: »See? I see nothing but you.« And the truth of it had, with this force, after a moment, so strangely lighted his eyes that, as for pity and dread of them, she buried her own in his breast. (Bd. 24: 368f.)

An diesem mit der Sichtbarkeit – see? – korrelierten Wahrheitsbegriff hakt der double plot ein.

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Die Unterteilung in zwei Bücher legt nahe, dass hier Ereignis- und Kommentarebene voneinander getrennt werden. In dieser Unterteilung entspräche der erste Teil dem Vergehen als solchem, der zweite Teil dem Prozess seiner Entdeckung und Ver- oder Beurteilung. Der Roman legt diese Lesart insofern nahe, als er die Motivik des Juridischen führt: »If you follow the language (belief, proof, appeals, sides, disproof), the whole novel has become a trial: Maggie is ›testifying‹; Charlotte scares her by hinting at ›the least approach to crossexamination‹«26. Das Gericht, zu dem der Text wird, ist als Theater ausgewiesen, in dem es um die Sichtbarkeit der Beweise geht: Adam, der Urvater, aber – dessen Autorität die Tochter verkörpern soll – ist in diesem Theater gerade nicht der Autor: There was even something in him that made his position, on any occasion, made his relation to any scene or to any group, a matter of the back of the stage, of an almost visibly conscious want of affinity with the footlights. He would have figured less than anything the stage-manager or the author of the play, who most occupy the foreground; he might be, at the best, the financial ›backer‹, watching his interests from the wing, but in rather confessed ignorance of the mysteries of mimicry. (Bd. 23: 169f.)

Auf dieser Bühne hat kein Theater statt, das »evidences« vorführen könnte, um zu zeigen und zu entlarven. Adams Relation zur Szene kann als »displaced agency«27 beschrieben werden. In diesem Theater gibt es keine Wahrheit und keinen Autor, der den Schüssel zu dieser haben könnte. Zu dieser Schlussfolgerung kommt das Ehepaar Assingham, deren Dialogpassagen die Funktion der Detektivarbeit zukommt, in dem James sie für die Fragen nach dem Geheimnis und die Suche nach der Wahrheit zuständig macht. Leo Bersani bezeichnet Mrs. Assingham als »[an] interpretive promiscuity at work in art itself« und als »critique in medias res in which the dependency of novelistic plot on critical speculation is introduced as a literal possibility within the novel itself«28. Selbst das kritische Vorgehen der Assinghams aber »cannot arrive at a ›conviction‹, because there is no evidence. ›Whatever [evidence] there may have been‹, she says, ›it will also all have been buried on the spot‹. ›Murder will out‹, says Colonel Assingham, thinking that there must be traces of the adulterous lovers

26

Schor, »Reading Knowledge«, S. 241.

27

Rivkin, False Positions, S. 11.

28

Leo Bersani, A Future for Astyanax: Character and Desire in Literature (New York: Columbia University Press, 1984), S. 149; zitiert nach Teahan, Rhetorical Logic, S. 136.

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all across London – ›Murder will‹, says [Mrs. Assingham], ›but this isn’t murder‹« (Bd. 24: 134)29. In diesem plot wird das gesamte epistemologische Design in Frage gestellt, so dass der Roman zu einem großangelegten »evidentiary chaos«30 wird. Wenn aber »everyone fears and desires knowledge, but no one seems to know what knowledge would look like«31, dann lässt sich nach dem Status von Wissen ebenso wie nach der Ordnung des Epistemologischen fragen. Ausgehend von einer immer prekären Autorschaft wird Maggies erleuchtende Kartenspiel-Szene zur Dekonstruktion des Zusammenhangs von Sehen und Wissen und zur Infragestellung der Ordnung und Lesbarkeit von appearances und truths.

C RITICISM : I N

DIESER

W ELT

An diesem Begriff der Wahrheit, der Bilder und der Autorschaft reartikuliert sich die zeitliche und kausale Logik des plots, das Verhältnis von Ursprung und Wiederholung, Ursache und Wirkung. Das Ehepaar Assingham fragt nicht nur nach Geheimnis und Wahrheit, sondern ist auch auf der Suche nach dem (be-) gründenden Ereignis: »That anything of the past«, she brooded, »should come back now? How will it do, how will it do?« […] Her husband again, for a little, smoked in silence. »What in the world, between them, ever took place?« »Between Charlotte and the Prince? Why, nothing – except their having to recognise that nothing could. That was their little romance – it was even their little tragedy.« »But what the deuce did they do?« »Do? They fell in love with each other – but, seeing it wasn’t possible, gave each other up.« »Then where was the romance?« (Bd. 23: 69f.)

Wenn es, wie James schreibt, um »a mutual passion, an intrigue«32 geht, dann lässt sich diese nicht in detektierbare Akte übersetzen. Vielmehr wird die Detektierbarkeit und Entdeckung einmaliger Akte ad absurdum geführt. Bezeichnet ist

29

Schor, »Reading Knowledge«, S. 241.

30

Ebd.

31

Ebd.

32

James, Complete Notebooks, S. 146.

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hier nicht die Ungewissheit über eine Leidenschaft, deren Ursprung vor der Erzählung liegt, sondern die Unmöglichkeit, über eine Leidenschaft zu urteilen, die sich außerhalb des Texts befindet. »Nothing – in spite of everything – will happen. Nothing has happened. Nothing is happening.« He looked a trifle disappointed. »I see. For us.« »For us. For whom else?« And he was to feel indeed how she wished him to understand it. »We know nothing on earth –!« It was an undertaking he must sign. So he wrote, as it were, his name. »We know nothing on earth.« It was like the soldiers’ watchword at night. »We’re as innocent«, she went on in the same way, »as babes.« (Bd. 23: 400)

Die komischen Dialoge des Ehepaars Assingham bezeichnen präzise, dass es hier nicht einfach um Ehebruch und Geheimnis geht, die sich in der Wiederkehr einer verdrängten Leidenschaft artikulieren. Vielmehr versanden auch hier die Erzählpattern der romance und des Ehebruchs selbst. Der Ehebruch Amerigos und Charlottes wird nicht als romantische Erfüllung einer im Rahmen der Ehe nicht statthabenden Leidenschaft verhandelt. Wenn Charlotte zusammenfasst, »[w]e hang essentially together« (Bd. 23: 343), dann ist damit nicht der Rousseauistische Gleichklang der Herzen gemeint; James entwirft mit Charlotte und Amerigo einen abgründigen Reaktionsmodus: »›We must at least then, not to be absurd together, do the same thing. We must act, it would really seem, in concert.‹ […]. ›We must act in concert. Heaven knows‹, she said, ›they do!‹« (Bd. 23: 308). The Golden Bowl verweigert das gängige Narrative des Ehebruchs als Flucht – wie es in Goethes Wahlverwandtschaften (1809) heißt, dessen Konstellation James reformuliert – in eine »andere und neue Welt«.33 Dort geht der ehebrecherische Akt einher mit den Gefilden der Imagination, die bei Goethe der prosaischen Welt bürgerlicher Realität entgegengesetzt sind, und unterstreicht so in der Transzendierung die Ordnung und Geschlossenheit der ehelichen Welt. Damit einher geht die Trennung in den Bereich legitimierter Sexualität von dem, was Leo Bersani im Anschluss an Freud »our savage sexuality«34 nennt. Hugh

33

Johann Wolfgang von Goethe, Die Wahlverwandtschaften, in: Werke, Bd. 6, hg. von Erich Trunz (Hamburg: Christian Wegner Verlag, 1951), S. 294f; vgl. auch Judith Ryan, »Elective Affinities: Goethe and Henry James«, in: Goethe Yearbook 1, Nr. 1 (1982), S. 153–171, hier S. 163.

34

Leo Bersani, The Freudian Body. Psychoanalysis and Art (New York: Columbia University Press, 1986), S. 42.

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Stevens liest The Golden Bowl in dieser Linie, bezieht aber sein Argument eines in der Ehe kanalisierten »ursprünglicheren« Begehrens auf die inzestuöse Relation zwischen Adam und Maggie. Das psycho-sexuelle Narrativ »functions as a regulating and civilizing framework for the containment of lawless sexual desire«35. Entsprechend argumentiert »Sexuality and the Aesthetic in ›The Golden Bowl‹«, dass »[t]he civilized discourse that is marriage is constituted in the repudiation of ›our savage sexuality‹. […] The novel returns again and again to the question of the marriage, which survives through the renunciation of incest and the denial of adultery. Ubiquitous desire is replaced by an insistence that sexual desire can be channeled solely through the marital bond.«36 Entscheidend ist, dass diese Trennung – und darauf basiert Stevens seine Argumentation – ›Sexualität‹ zu derjenigen Literalbedeutung des Romans zu machen trachtet, um die der Text (und letztlich alle Rede) metaphorisch kreist: »Yet sexuality in the novel is that which cannot be figured, that which is always alluded to but rarely directly portrayed«37, schreibt Stevens. Dass es hinter den ›Bildern‹ und ›Worten‹ eine letzte – und ›natürliche‹ – Wahrheit gibt, auf die sich noch das Entzugsmoment des Vor-Augen-Stellens bezieht, ist die Konsequenz aus der Rede von »our savage sexuality«. Was James hingegen mit The Golden Bowl vorschlägt, so argumentiert die vorliegende Lektüre, ist, das Denken des Bruchs in die Immanenz zu verlegen, Differenz innerhalb von dieser Welt zu denken. The Golden Bowl spricht nicht einfach von transgressiven Leidenschaften, von der Kanalisierung des Libidinösen in der (konjugalen) Form und von der Transgression dieser Form um der Leidenschaften willen. Die Immanenz verändert die epistemologische Ordnung des Romans, verschiebt dessen Fokus von den Fragen der Erkenntnis – den thoughts, suggestions etc. – in den Bereich der Praxis und der Ethik. Im Zentrum von The Golden Bowl steht entsprechend die pragmatistisch-diesseitige Kraft des Tuns. »[T]he whole conduct of life consists of things done«, schreibt James im Preface zu The Golden Bowl, »which do other things in their turn, just so our behaviour and its fruits are essentially one and continuous and persistent and unquenchable, so the act has its way of abiding and showing and testifying, and so, among our innumerable acts, are no arbitrary, no senseless separations.«38 Hillis Miller verweist entsprechend darauf, dass »Life, according to James is primarily

35

Pick, »Structures of Multiplicity«, S. 119.

36

Hugh Stevens, »Sexuality and the Aesthetic in ›The Golden Bowl‹«, in: The Henry

37

Ebd.

38

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1340.

James Review 14, Nr. 1 (1993), S. 55–71, hier S. 55.

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doing, not knowing, and not passively appreciating. Praxis, ethics, here takes precedence over both epistemology and aesthetics […].«39 »Leben« bezeichnet hier, dass jedes Tun Effekte produziert, Konsequenzen hat, der Tatsache zum Trotz, dass diese nicht vollständig im Akt ermessbar sind. Das heißt, dass Akte (doings) und deren Konsequenzen (other things done in their turn) in einem notwendigen, aber arbiträren Verhältnis zueinander stehen, dass es keine vollständige Verfügungsgewalt über die Folgen des Tuns gibt oder keinen Anspruch auf bzw. keine Autorität über erfolgreiche Vollendung; dass aber zugleich jedes Tun insofern die Frage nach Verantwortung auf den Plan ruft, als (zumindest nachträglich) in den other things done in their turn Gründe, Ursprünge und Autorschaft des Tuns impliziert sind. Gleichzeitig ist damit aber auch gesagt, dass sich Schöpfertum nicht in Akten und Werken aktualisiert oder vergegenwärtigt und diese sich damit inkongruent auf die generative Funktion des Urszenischen beziehen. Deleuze und Guattari haben diese Logik in Anti-Ödipus als Phänomen beleuchtet und pointiert formuliert: »Gegeben sei eine Wirkung, von welcher Maschine kann sie hervorgerufen sein?«40 Doing umfasst bei James auch und vor allem das Schreiben selbst: »we recognise betimes that to ›put‹ things is very exactly and responsibly and interminably to do them.«41 »To put things« fragt danach, auf welche Weise Dinge in Worten getan werden: »Our expression of them, and the terms on which we understand that, belong as nearly to our conduct and our life as every other feature of our freedom«42, heißt es weiterhin im Preface zu The Golden Bowl. »To put things« fragt nach Schreibakten und Schreibweisen.43 Wenn James von »a certain indirect and oblique view of my presented action«44 spricht, dann ist damit die Figuralität oder konkreter: Metaphorizität derjenigen Sprache bezeichnet, mit der Literatur Dinge tut, indem sie sie mit Sprache tut. Anders als in der Erzählung von Maggies Autorität über Bilder und Welten, wird die Seemetaphorik im Text zur Markierung einer nicht funktionierenden Verfügungsgewalt über das (bild-)sprachliche Arsenal, »[the] swirling, turning, oceanic quality, an excess that inhabits the language itself, so that it, perversely, more than the characters,

39

Miller, Ethics of Reading, S. 102; vgl. auch Miller, Speech Acts in Henry James, S. 1–11 (Introduction).

40

Deleuze und Guattari, Anti-Ödipus, S. 8.

41

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1340.

42

Ebd.

43

Vgl. Miller, Ethics of Reading, S. 103f.

44

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1322.

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performs the action«45. Dryden liest das erste Kapitel des zweiten Buchs von The Golden Bowl als »a sort of an synecdoche of the entire novel«46, in dem James selbsterklärtes Diktum – »a certain indirect and oblique view of my presented action«47 – zum Tragen kommt. Während das erste Buch von den arrangements und rearrangements der Ehen und von den Verschiebungen der Beziehungen handelt, versteht sich das zweite Buch, so die Behauptung, als Darstellung der diesbezüglichen Wahrnehmungen und Reflexionen der Prinzessin: It was not till many days had passed that the Princess began to accept the idea of having done, a little, something she was not always doing, or indeed that of having listened to any inward voice that spoke in a new tone. Yet these instinctive postponements of reflection were the fruit, positively, of recognitions and perceptions already active; of the sense, above all, that she had made, at a particular hour, made by the mere touch of her hand, a difference in the situation so long present to her as practically unattackable. (Bd. 24: 3)

Im Folgenden, so verkündet die zitierte Einstiegspassage, geht es um Innenwelten: doing meint »listening to inward voices«; »perceptions« und »senses« sind untergründig aktiv; »our young woman’s consciousness« findet sich repräsentiert (Bd. 24: 4). Die Metapher, die Maggies Situation bezeichnen soll, ist »some strange, tall tower of ivory, or perhaps rather some wonderful, beautiful, but outlandish pagoda« (Bd. 24: 3). Maggies Wahrnehmungen und Gedanken sind nicht nur ihr selbst teilweise fremd – »strange«, »outlandish« –, die Metapher verhandelt den Zugang oder Zugriff auf die Wahrnehmungen und Reflexionen, welche Aufschluss über die Position (sich selbst gegenüber und gegenüber den Dingen) geben könnten: She had walked round and round it – that was what she felt; she had carried on her existence in the space left her for circulation, a space that sometimes seemed ample and sometimes narrow: looking up, all the while, at the fair structure that spread itself so amply and rose so high, but never quite making out, as yet, where she might have entered had she wished. She had not wished till now – such was the odd case; and what was doubtless equally odd, besides, was that, though her raised eyes seemed to distinguish places that must serve, from within, and especially far aloft, as apertures and outlooks, no door appeared to give access from her convenient garden level. The great decorated surface had remained consistently impenetrable and inscrutable. At present, however, to her consider-

45

Dryden, »Metaphor«, S. 115.

46

Ebd., S. 112.

47

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1322.

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ing mind, it was as if she had ceased merely to circle and to scan the elevation, ceased so vaguely, so quite helplessly to stare and wonder: she had caught herself distinctly in the act of pausing, then in that of lingering, and finally in that of stepping unprecedentedly near. The thing might have been, by the distance at which it kept her, a Mahometan mosque, with which no base heretic could take a liberty; there so hung about it the vision of one’s putting off one’s shoes to enter, and even, verily, of one’s paying with one’s life if found there as an interloper. She had not, certainly, arrived at the conception of paying with her life for anything she might do; but it was nevertheless quite as if she had sounded with a tap or two one of the rare porcelain plates. She had knocked, in short – though she could scarce have said whether for admission or for what; she had applied her hand to a cool smooth spot and had waited to see what would happen. Something had happened; it was as if a sound, at her touch, after a little, had come back to her from within; a sound sufficiently suggesting that her approach had been noted. (Bd. 24: 3f.)

Innerhalb von Maggies vormals paradiesischem »garden of her life« (Bd. 24: 3) markiert die Pagode nicht nur die Getrenntheit (»The great decorated surface had remained consistently impenetrable and inscrutable«), sondern den Unterschied, den Bruch innerhalb einer Homogenität, um dessen Vermeidung es dem Paradies geht und der in den arrangements in The Golden Bowl angezeigt ist: The pagoda in her blooming garden figured the arrangement – how otherwise was it to be named? – by which, so strikingly, she had been able to marry without breaking, as she liked to put it, with the past. She had surrendered herself to her husband without the shadow of a reserve or a condition, and yet she had not, all the while, given up her father – the least little inch. She had compassed the high city of seeing the two men beautifully take to each other, and nothing in her marriage had marked it as more happy than this fact of its having practically given the elder, the lonelier, a new friend. What had moreover all the while enriched the whole aspect of success was that the latter’s marriage had been no more meassurably paid for than her own. His having taken the same great step in the same free way had not in the least involved the relegation of his daughter. That it was remarkable they should have been able at once so to separate and so to keep together had never for a moment, from however far back, been equivocal to her; that it was remarkable had in fact quite counted, at first and always, and for each of them equally, as part of their inspiration and their support. (Bd. 24: 5)

Die Passage aber – die synekdochisch auf das Funktionieren figurativer Sprache im gesamten Roman verweisen soll – besteht selbst aus einer Ereignis- und einer Kommentarebene. Während die Metapher aus Maggies Perspektive eingeführt

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wird, schaltet sich anschließend der extradiegetische Ich-Erzähler als Übersetzer der Metapher ein: If this image, however, may represent our young woman’s consciousness of a recent change in her life – a change now but a few days old – it must at the same time be observed that she both sought and found in renewed circulation, as I have called it, a measure of relief from the idea of having perhaps to answer for what she had done. The pagoda in her blooming garden figured the arrangement – how otherwise was it to be named? – by which, so strikingly, she had been able to marry without breaking, as she liked to put it, with the past. (Bd. 24: 4f.)

Das artikuliert nicht nur ein Misstrauen gegenüber dem Funktionieren von Sprache, figurativer im Besonderen. Maggie figuriert das Funktionieren eines »Bewusstseins« (»our young woman’s consciousness«), zu dem es nur bedingt Zugang gibt, mit dem nur mittelbar kommuniziert werden kann, das allenfalls Klopfzeichen sendet (»it was as if a sound, at her touch, after a little, had come back to her from within«). Damit aber funktioniert die Pagode selbst metapherntheoretisch: Als phallische Unterbrechung paradiesischer Homogenität markiert sie die Diskrepanz, Differenz und Distanz, die in der metaphorischen Übertragung – deren beziehungsstiftendem Moment – vorausgesetzt sind. In dem die Metapher explizierenden Kommentar wird dieser Bruch zu Gunsten der Lesbarkeit der Metapher unterschlagen, die Klopfzeichen werden zum Vor-AugenStellen: Die Pagode ist hier nur noch Symbol der Beziehung – »seeing the two men beautifully take to each other«, »it was remarkable [that] they should have been able at once so to separate and so to keep together« (Bd. 24: 5; Hervorhebung SW).48 Maggies »garden of her life« und die Pagode aber sind nicht nur übersetzbare Metapher, sondern sagen aus, wie die Metapher hergestellt wird: »by the mere touch of her hand«, »she had applied her hand to a cool smooth spot and had waited to see what would happen«. Die sichere Übersetzung der Metapher ist die Unterschlagung des konstruktivistischen Moments der Metapher und die Vermeidung des vage spekulativen »to see what would happen« zu Gunsten des revisionären »seeing« des Vor-Augen-Gestellten. In der Passage der Pagode wird zwischen Maggie und dem Erzähler nach dem Ort literarischer Sprache gefragt: Der Erzähler re-übersetzt das Funktionieren der Metapher aus

48

Dem ›verlebendigenden‹ Vor-Augen-Stellen entspricht, was Ricœur der »lebendigen Metapher« zuschreibt; vgl. Paul Ricœur, Die lebendige Metapher: mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe, 2. Aufl. (München: Fink, 1991); vgl. zur Kritik an Ricœur und dem Paradigma der Verlebendigung Derrida, »Die weiße Mythologie«.

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dem Bereich des Ethischen und Praktischen zurück ins Ästhetische und Epistemologische – betont sind representation, figuration und observation. Maggie aber fragt, what one does und how one has to answer for what one has done: If this image, however, may represent our young woman’s consciousness of a recent change in her life – a change now but a few days old – it must at the same time be observed that she both sought and found in renewed circulation, as I have called it, a measure of relief from the idea of having perhaps to answer for what she had done. The pagoda in her blooming garden figured the arrangement – how otherwise was it to be named? – by which, so strikingly, she had been able to marry without breaking, as she liked to put it, with the past. (Bd. 24: 4f.)

Wenn Dryden hervorhebt, »[…] that for James the proper signifies not the literal but the usual, that is to say, the proprieties, designed to preserve the ›beauty of appearances‹ while the figurative points to the ›unuttered and unutterable … the constantly and unmistakably implied‹« (Bd. 24: 240)49, dann verbleibt das Funktionieren der Metapher ganz im Bereich des Epistemologischen. Die so verstandene Metapher – die eindeutig zwischen den ›Orten‹ des Literal- und Figuralsinns unterscheiden soll – vollzieht und manifestiert die Trennung zwischen den appearances und den truths, die als Unsagbares – unutterable – das Geheime als tiefere Wahrheit implizieren. In der metapherntheoretischen Pointe der Pagode aber ist diese Trennung selbst thematisch und James schlägt vor, nicht eine Epistemologie, sondern eine Praxis der Metapher zu denken, die den Komplex der Autorschaft neu positioniert. Das Spannungsfeld aus Epistemologie und Praxis wiederholt diejenige Metapher, die dem Roman den Titel gibt und metakritische Figur des gesamten Texts ist.50 Die golden bowl selbst – die goldene Schale, die der Roman im Titel trägt – steht für den Vorgang der Übertragung, sie ist ein Vehikel, das etwas überbringt und einen Zusammenhang herstellt. Im ersten Buch ist sie Metapher für das Geheimnis, das Charlotte und Prince Amerigo teilen: In Chapter 5 – am Vortag der Hochzeit von Amerigo und Maggie – begeben sich Charlotte und der Prinz zu einem Antiquitätenhändler, auf der Suche nach einem Hochzeitsgeschenk für Maggie, »some little thing with a charm« (Bd. 23: 92). Charlotte findet die goldene Schale, deren Sprung Amerigo als schlechtes Zeichen für seine Eheschließung liest. Da der Händler einen zu hohen Preis fordert, verbleibt die Schale an ihrem Ort. »The little thing« ist aber sowieso pretext, Charlotte über-

49

Dryden, »Metaphor«, S. 119.

50

Vgl. zur selbst-reflexiven Pointe der Figur Teahan, Rhetorical Logic, S. 133ff.

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redet Amerigo, sie zu begleiten und daraus ein Geheimnis zu machen, »[t]o have one hour alone with you« (Bd. 23: 89), »[h]er only insistence was her insistence on the small matter of their keeping their appointment to themselves« (Bd. 23: 95). Der Text spielt ironisch mit dem Funktionieren der Metapher und der Funktion des Vor-Augen-Stellens: ›Bewahrt‹ die Schale fortan dieses Geheimnis, wird sie später zu dessen Verräter und zur Metapher für Maggies Wissen und die Entdeckung ihres Erkenntnisvermögens. ›Hineingelegt‹ in das Gefäß, das die Metapher hier sein soll, transportiert sie ihre Bedeutung von einem Ort zum anderen (übertragenen) Ort: Vom Vehikel des Geheimnisses wird sie zur Preisgabe einer ›Wahrheit‹, die zur Aufbewahrung in sie hinein gelegt wurde und die Maggie in der Rolle eines »forensic epistemologist«51 herauszulesen lernt. Maggie kauft die überteuerte Schale als Geschenk für ihren Vater, der Antiquar bekommt ein schlechtes Gewissen, möchte Maggie den übermäßigen Preis zurückerstatten, sieht ein Bild von Charlotte und Amerigo und erkennt beide wieder. Maggie erfährt von dem gemeinsamen Ausflug und von dessen Verheimlichung. »›That bowl‹, Maggie went on, ›is, so strangely – too strangely, almost, to believe at this time of day – the proof‹« (Bd. 24: 161f.). Ausgehend von diesem un-heimlichen Vehikel und dessen Ortswechsel rekonstruiert Maggie die Urszene derjenigen Bedeutung, die sie nun versteht. Die Schale wird zum figuralen Zeichen und Bedeutungsträger erst durch die Übertragung des Geheimnisses und die Stiftung von Beziehungen. Während die Schale das Wissen von einem Geheimnis ›überträgt‹, geht Maggie den umgekehrten Weg und schließt aus ihrem nun präsenten Wissen auf das Geheimnis. Als »proof« aber ist die Schale »sonderbar«, denn sie bedeutet gerade durch ihren prekären Zeichenstatus: ›vorher‹ – so Charlotte ›damals‹ – ist sie »a ricordo of nothing. It has no reference« (Bd. 23: 108). In der Überzeugungskraft der Beschwichtigungen des mit dem Verrat konfrontierten Ehemanns fehlt das stabile Objekt, »the little thing with a charm«: Die Schale bedeutet, weil Maggie niemals »anything« erhalten hat, die Referenz der Erzählung fehlt: Maggie had listened with an interest that wore all the expression of candour. »Oh, you left it for me. But what did you take?« He looked at her; first as if he were trying to remember, then as if he might have been trying to forget. »Nothing, I think – at that place.« »What did you take then at any other? What did you get me – since that was your aim and end – for a wedding-gift?« The Prince continued very nobly to bethink himself. »Didn’t we get you anything?«

51

Schor, »Reading Knowledge«, S. 241.

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[…]. »Yes; it comes round, after all, to your having got me the bowl. I myself was to come upon it, the other day, by so wonderful a chance; was to find it in the same place […].« (Bd. 24: 194f.)

Während der Prinz behauptet, »I saw the object itself. It told its story« (Bd. 23: 119), ist die Metapher von »a conscious perversity« (Bd. 24: 165) gezeichnet: »it is as if the bowl calls into being its own referent.«52 Indem »the bowl resists both our own and the character’s attempt to fix and stabilize its meaning«53, fügt sich die Metapher nicht in eine stabile Objektordnung, sondern ist genuin transitorisch. Die beiden ›Orte‹ der metaphorischen Übertragung entstehen erst innerhalb der nachträglichen Lektüre und als Vertrauen auf die grundsätzliche Gegebenheit der Lesbarkeit: »›I did ›believe in it‹, you see‹«, sagt Maggie, »›– must have believed in it somehow instinctively; for I took it as soon as I saw it. Though I didn’t know at all then‹, she added, ›what I was taking with it‹« (Bd. 24: 195). Maggies »Instinkt« ist die Voraussetzung der Gegebenheit der Figuralität der Zeichen und der Lektüre und der ›Vorauswurf‹ der Bedeutung. Mehr als für die ›glückende‹ Epistemologie der Metapher interessiert sich James für die Performativität einerseits und die Memorialfunktion der Metapher andererseits – sie fragt nach den things done/things put und dem ricordo. Wenn The Golden Bowl von den things done handelt, von den Bewegungen der Trennung und des In-Beziehung-Setzens, dann ist es kein Zufall, dass die beiden (Sprech-)Akte der Eheschließung – die die zukünftige Familienstruktur manifestierenden Versprechen – offstage stattfinden. James’ Interesse richtet sich nicht so sehr auf die Akte, sondern auf deren Wirkungen und Konsequenzen, auf die Dinge, die sie tun. ›Eheschließung‹ ist James der Name für einen verdichteten Zusammenhang, eine effektive Strukturation.54 Die (Beweg-)Gründe und Motive sind nicht in den Figuren selbst, sondern auf anderem Schauplatz verankert: The rotary motion, the vicious circle, consists in the reasons which each of the party gives the other. The father marries because he’s bereft, but he ceases to be bereft from the moment his daughter returns to him in consequence of the insuccès of his marriage. The daughter weeps with him over the insuccès of hers – but her very alienation in this manner

52

Teahan, Rhetorical Logic, S. 134.

53

Ebd.

54

Vgl. Austins Bewertung des Eheversprechens als Sprechakt par excellence: Austin, Things with Words.

256 | H ENRY J AMES ’ ANDERE S ZENE

from her husband gives the second wife, the stepmother, her pretext, her opportunity for consoling the other.55

Den Roman zeichnet so eine Dynamisierung oder Multiplizierung der doings aus, deren Kern »a radical rethinking of the very notion of agency«56 ist: »[C]haracters in The Golden Bowl think of themselves through other characters. It is as if consciousness were ›located‹ at the level of relation between characters, as that relation itself.«57 Autorschaft ist eine solche agency, die von den Relationierungen und Positionierungen her gedacht ist: »[R]elations stop nowhere.«58 Die goldene Schale zeugt von hinterlassenen Spuren ebenso wie von transitorischen und instabilen Positionen, »objects will always seem to escape our purchase on them«59. Das Funktionieren der Metapher selbst wird zu jenem »vicious circle«, zur »rotary motion«, die keinen stabilen Grund kennt. In dem Moment, in dem die Schale Bedeutung annimmt – in dem sie eine Verbindung stiftet und auf Urszene und Teleologie zu verweisen scheint –, ist sie schon zerbrochen, bleiben vom ricordo nur »those fragments« (Bd. 24: 198). James belässt es aber nicht bei der Feier des Transitorischen und Fragmentarischen, die immer auch die Melancholie des Paradieses mitführt. Wenn die goldene Schale an den Sündenfall erinnert60, dann hinterfragt sie – in Bruch und Differenz – zugleich die gesamte Erzählung und Ordnung von Schöpfertum/Vaterschaft und Wissen/Urteil. Die goldene Schale ist aus dem Buch Kohelet übernommen, einem der Predigerbücher des Alten Testaments. In seiner Predigt belehrt Kohelet über die Nichtigkeit und Flüchtigkeit der diesseitigen Welt: »Was hat der Mensch für Gewinn von aller seiner Mühe, die er hat unter der Sonne?« (Prediger 1), »Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.« Kohelet predigt von der Autorität des Schöpfers (»Denk an deinen Schöpfer«, »Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gehört allen Menschen zu«), von den »Worte[n] der Wahrheit« und von dem sicheren Urteil, das nur Gott zukommt: »Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse« (Prediger 12). Das Zerbrechen der goldenen Schale kündigt das Jüngste Gericht an und kündet von den jenseitigen Welten, die die-

55

James, Complete Notebooks, S. 75.

56

Pick, »Structures of Multiplicity«, S. 122.

57

Ebd.; vgl. auch Sharon Cameron, Thinking in Henry James (Chicago: University of

58

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1041.

59

Schor, »Reading Knowledge«, S. 245.

60

Vgl. ebd., S. 243.

Chicago Press, 1989).

R ELATION : S CENE OF F AMILIALITY

| 257

ses Gericht – zum Guten oder zum Schlechten – öffnen wird: »[E]he […] die goldene Schale zerbreche«, ist das Mahnwort der Lehre des Predigers. Dass James die Schale zerbrechen lässt und sein Text zwar das Gericht zitiert, das finale Urteil aber ausgesetzt wird (anders als Gott, der »alle Werke vor Gericht« bringen kann, so dass »alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse« vor Augen gelangt), verweist auf den ketzerischen Akt, von dem der Prediger auch spricht: »Hüte dich, mein Sohn, vor andern mehr; denn viel Büchermachens ist kein Ende, und viel studieren macht den Leib müde« (Prediger 12). In den Büchern und den Worten geht nicht »der Geist wieder zu Gott«, bleibt die Verfügungsgewalt der Autorschaft – davon zeugt die zerbrochene Schale – ohne finales Urteil und ohne Entdeckung vor Augen. Der oblique view der Metapher aber bewegt sich nicht einfach jenseits des Urteilens: Denn im Preface zu The Golden Bowl schreibt James ihm explizit »a certain amount of criticism«61 zu. Um diese Szene der Kritik als Szene des Wissens und um die – obliquen – Ökonomien des Urteils geht es im Folgenden.

61

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1322.

Separation: Scene of Knowledge »Ist es wirklich notwendig oder wünschenswert, sich [der Repression der Wunschmaschinen des Ödipus] zu unterwerfen? Und womit? Womit sollte das ödipale Dreieck gebildet werden? […] Gibt es nicht wichtigere Fragen? Etwa: Gegeben sei eine Wirkung, von welcher Maschine kann sie hervorgerufen sein?« GILLES DELEUZE UND FÉLIX GUATTARI / ANTIÖDIPUS »The challenge of deconstruction is how to distinguish without judging and deciding; in other words, how to do justice to what requires recognition on the basis of its singularity.« RODOLPHE GASCHÉ / »ON CRITIQUE, HYPERCRITICISM, AND OF BENJAMIN«

DECONSTRUCTION: THE CASE

S EPARATION : S CENE OF K NOWLEDGE

D ENKFIGUR S EPARATION : T HEATER

UND

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K RITIK

Seit Platons Politeia hängen kritisches Urteil und Theater zusammen. Dass Platon der Politeia nicht nur literarische, sondern dramatische Form gibt, macht den Einsatz ermessbar, um den es in diesem Zusammenhang geht. In den Dialogen treten Sokrates, der Greis Kephalos, dessen Sohn Polemarchos, der Sophist Thrasymachos und Platons Brüder Glaukon und Adeimantos als Figuren auf, unter denen die verschiedenen diskursiven Positionen verteilt sind. Die mimetische Dichtkunst aber, die Platon aus seinem gerechten Staat ausschließt, lehrt zwischen Darsteller und Rolle zu unterscheiden und eröffnet so die Möglichkeit, die Rede nicht a priori an eine fixierte Sprecherposition zu binden.1 Deshalb will Platon in seinem geordneten Staat den einen fixen Standort eines jeden, die eine am Sein orientierte Rolle sicherstellen. Wenn in Aristoteles’ Poetik mit der Theatralität der Tragödie die Gefahr verbunden ist, dass in den ›Bruch-Stücken‹ des Szenisch-Episodischen die Kohärenz des plots verloren geht, die die Dichtung insofern philosophisch macht, als sie »mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere [mitteilt]«2, dann ist auch Platons Sorge ob der mimetischen Dichtkunst im Kern philosophisch, und zwar in erkenntniskritischer Hinsicht. Jener kathartische Mehrwert des Sinns – den Aristoteles’ Poetik aufwerten wird – ist dem Staatstheoretiker dann ein Dorn im Auge, wenn die Sinnlichkeit des Theatralen den Sinn der politischen Ordnung zu unterminieren droht. An der Verortetheit der Rede und an der Integrität der Figuren hängt der Status der philosophischen Lehre. Die Dialoge verkörpern in Sokrates’ Autorität das Prinzip der Trennung in wissenden Lehrer und unwissenden Schüler und perpetuieren darin die strikte Trennbarkeit von Wissen und Unwissen, von Wahrheit und Illusion. Diese Trennung präfiguriert und garantiert die zentrale Trennung des Platonismus: Der Annahme, dass es hinter den im Höhlengleichnis diffamierten Schatten der sinnlichen Welt einen wahren Grund der Urbilder gibt, die auf Entdeckung warten, korrespondiert, dass die wahre Bühne die am Sein ihrer Bürger ausgerichtete geordnete Polis ist und nicht das begehrliche Bilderheischen theatraler Dar- und Schaustellungen. Platons antitheatrale Überlegungen wiederholen dabei nicht nur eben dieses sinnliche Moment des Theatralen, sondern vertiefen die Frage nach dessen spezifischem Einsatz. Denn Platon spricht nicht selbst: Die Politeia ist mimetisch,

1

Vgl. Platon, Politeia, S. 287ff.

2

Aristoteles, Poetik, S. 29.

262 | H ENRY J AMES ’ ANDERE S ZENE

Platon tut so, »als ob ein anderer der Redende wäre als er selbst«3. In der dramatischen Aufspannung der Dialoge wird das Spannungsfeld denkbar zwischen der Verortung und Verortbarkeit kritischer Positionen und den (De-)Autorisierungsbewegungen des Mimetisch-Theatralen. Ausgehend von dieser platonischen Angst vertieft das folgende Kapitel die Frage nach dem wissens- oder erkenntnistheoretischen Moment der Trennung und der Kritik der platonischen Ordnung der Urbilder, nach der medialen Logik der – wie James schreibt – appearances und truths, d.h. nach dem Verhältnis zwischen Ideen und Dingen, nach den Formen des Erscheinens oder der ›Täuschung‹ und jenem im Erscheinen autorisierten, aber verdeckten ›Wirklicheren‹ oder ›wahreren‹ Verhältnis, nach dem die Erkenntniskritik forscht. Diese Geschichte und dieser Zusammenhang beginnt mit Platons Kritik an der Theatralität des Theaters und lässt sich noch in den ideologiekritischen Bildbegriffen des 20. Jahrhunderts aufspüren. Insofern unternimmt Jacques Rancière in Le spectateur émancipé (2008) nicht zufällig den Versuch, Theater und Kritik zusammenzudenken. Er betreibt »Kritik der Kritik«, wenn er das »Fortbestehen eines Interpretationsmodells«, einer bestimmten Logik der Kritik nachzeichnet.4 Noch im Abgesang auf die verlorenen Zeiten der Gesellschafts- und Kulturkritik, so Rancière, haust ein Geist, der hinter dem »Glanz der Erscheinungen« die »dunkle und feste Wirklichkeit« vermutet und aufzudecken trachtet und damit einer melancholischen Sehnsucht nach einem Ursprünglichen oder Eigentlichen folgt.5 In einem ersten Schritt stellt dieses Kapitel den auf Platon zurückgehenden Zusammenhang zwischen Kritik und Theater und dessen Aporien vor und fragt dabei – mit Rancière – nach den Darstellungslogiken dieses Kritikbegriffs, die sich exemplarisch an Brechts epischer Theaterszene und deren Status des Zeigens herausstellen und zusammen mit Artauds ›ikonoklastischem‹ Theaterbegriff pointieren lassen. Dabei wird gezeigt, wie sich im Begriff der Kritik und in der Überschneidung von darstellungslogischer und familiär-genealogischer Dimension ein Begriff des Wissens in die literarischen Texte einschreibt. Gegen den Brecht der Entfremdung und des Zeigens wird im Anschluss jenes in seinen Texten und in seinem Denken des Theaters signifikante Moment der Verfremdungen und des Konstruktiven untersucht, in dem statt der reproduzierenden An-

3

Platon, Politeia, S. 287ff.; vgl. dazu auch Samuel Weber, »Theory and Theater: Reframing the Scene«, in: Ludo Verbeeck (Hg.), Die Aufgabe des Lesers (Leuven: Peeters, 1992), S. 81–79, hier S. 83.

4

Rancière, Zuschauer, S. 35.

5

Ebd.

S EPARATION : S CENE OF K NOWLEDGE

| 263

schauung die ›Anschauungsweise‹ und damit eine praktische Dimension der Kritik in den Blick rückt. Brechts Texte machen so einen Zusammenhang zwischen Kritik und Theater denkbar, der nicht der platonischen Logik der Urbilder und Abbilder folgt. Ausgehebelt wird so die dem platonistischen Kritik- und Theaterbegriff inhärente Erzählung der Schuld und Logik der Anklage: Diese sowohl erkenntniskritische als auch ethische Dimension des Prinzips der Trennung nimmt James’ Roman What Maisie Knew auf. Er beginnt mit einem Scheidungsurteil und erzählt davon, dass separation kein einmaliger und abschließbarer Akt ist, sondern ein Prozess und eine nicht endende Folge von Trennungen, (Neu-)Positionierungen und ›Verschuldungen‹. Zur Debatte gestellt werden darin die strikten Trennungen des fortwirkenden Platonismus: jene in ›Bilder‹ und ›Wahrheit‹/›Wirklichkeit‹, in Wissen und Unwissen, in Selbst und Anderen. Mit dieser ›nichtödipalen‹ Logik reinskribiert What Maisie Knew dem Familialen und seinem Roman ein politisches Moment6 und kündigt schließlich die Verbindung von Theater- und Urteilsszene auf, macht »Schluss mit dem Gericht«.

6

Michael McKeon verweist darauf, dass, während domesticity das Phantasma eines dem Politischen und dem Wissen entzogenen Heimischen und Privaten bezeichnet, domestification nach denjenigen Prozessen der Trennung und (Unter-)Scheidung fragt, durch die domestic space überhaupt entsteht und von denen dieser durchzogen ist. Er versteht domestification als ein Symptom der Moderne, insofern sie »age of separations« ist: vgl. McKeon, The Secret History of Domesticity, S. 3–321.

Diss(id)ente Perspektiven

B ILDERKRANKHEIT Die »unglücklichen Abenteuer des kritischen Denkens« rekonstruiert Rancière ausgehend von einer aktuellen Diagnose, die – obwohl schematisch – an dieser Stelle hilfreich ist, weil sie den Einsatz des Kritikbegriffs als Bildbegriff ausweist.1 Die zeitgenössische Gesellschafts- und Kulturkritik teile sich, so Rancière, in die Lager der Melancholiker und der Propheten. Bei den linken Melancholikern wirkt die marxistische Logik von Illusionsstruktur und Erkenntnisunfähigkeit fort, die darauf abzielt, »dem Zuschauer zu zeigen, was er nicht sehen kann, und ihn damit zu beschämen, was er nicht sehen will«2. Die Trennung in »Bilder« und »Zuschauer« und die Logik von Illusionsstruktur und Erkenntnisunfähigkeit ist eine Erzählung der Schuld und folgt einer Logik der Anklage. Der Melancholiker betrauert einen verlorenen Handlungsspielraum und eine Hoffnung auf Wunscherfüllung, die er nur begründen kann, wenn er die Trennung zwischen den Bildern und den Dingen fortschreibt, die zwar den kritischen Diskurs begründet, zugleich aber auch dessen Hinfälligkeit. Betrauern die Melancholiker das verlorene Paradies, künden die »Propheten« der neuen Rechten apokalyptisch vom zukünftigen Verfall, von einem den Gesetzen des Marktes und Konsums geschuldeten fortschreitenden Individualismus, der nicht mehr

1

Eine kürzere Version der Lektüre Rancières und Brechts in den folgenden Unterkapiteln ist bereits publiziert in Sophie Witt, »Szene der Distanz. Kritik und theatrale Autorisierung«, in: Andrea Allerkamp, Pablo Valdivia Orozco und Sophie Witt (Hg.), Gegen/Stand der Kritik (Zürich; Berlin: diaphanes, 2015), S. 123–138, hier S. 123–134.

2

Rancière, Zuschauer, S. 41. Rancière bezieht sich auf die Arbeiten Bringing the War Home (1967–1972) und Ohne Titel (2005) der Künstlerinnen Martha Rosler und Josephine Meckseper.

266 | H ENRY J AMES ’ ANDERE S ZENE

als Errungenschaft des Demokratischen, sondern als »terroristische und totalitäre Zerstörung der sozialen und menschlichen Verbindungen«3 gedeutet wird. Rancières Aufteilung ist schematisch, die Pointe seiner »Kritik der Kritik« ist unterdessen, dass linke wie rechte Kritik mit derselben Logik operieren: mit der der kritischen Tradition intrinsischen Doppelstruktur von (schönen) Erscheinungen und letzten Wahrheiten. Die Erscheinungen entspringen dem »Gesetz der Ware«, das kritische Bewusstsein diktiert und gibt vor, dies als letzte Wahrheit aufzudecken.4 Diese Doppelstruktur hat ihrerseits einen Doppeleffekt: Sie zielt ab »auf eine Bewußtwerdung der versteckten Wirklichkeit und auf ein Schuldgefühl gegenüber der verleugneten Wirklichkeit«5. Rancière beschreibt und kritisiert die im Platonismus initiierte Struktur der Anklage, deren argumentativer Effekt die Schuld aller und das Wissen der einen um das Unwissen der anderen ist. Die Anklage, die Schuld und die Trennung in Wissende und Unwissende, Lehrer und Belehrte, hat ihren funktionalen Grund in der Figur der Verheißung, die mal in Gestalt einer anderen und besseren Welt auftritt, mal als melancholische Erkenntnis darüber, dass es kein Jenseits der Bilderflut gibt, mal in dem ›terroristischen‹ Ansammeln der Horrorszenarien des Zukünftigen. Alle Verheißungen aber funktionieren nach dem Prinzip der Pathologisierung, das den ›kranken‹ Gegenstand braucht, um zur Analyse zu schreiten. Die Pathologie ist das Gegenstück zur aufgeklärten Vernunft, die Zivilisationskritik Teil der Aufklärung selbst. Diese funktioniert selbst in einer pathologischen Struktur: Sie behauptet, dass die Erkenntnis und die (Erb-)Schuld zusammengehören und mit jeder Erkenntnis unabdingbar die verdrängte Schuld wiederkehrt. Rancières Lektüre kann als der Versuch weitergedacht werden, innerhalb der Struktur der Anklage Emanzipation als Durchkreuzung jener versteckt theologischen Erzählung der Erbschuld zu lokalisieren, die jede Melancholie braucht, um vom Paradies, jede Prophetie, um von der Apokalypse zu künden. Die Befragung dieser Struktur der Anklage und der in ihr propagierten »Hermeneutik des Verdachts«6 muss bei der medialen Anordnung des Kritikbegriffs ansetzen. Die Erfindung der Gesellschaftskritik geht auf die »Bilderkrankheit« zurück, auf die »zu vielen Gedanken und Bilder, die in Gehirne eindrängen«: »[Die] zwanghafte Sorge um die unheilvolle Ausbreitung der Waren und Bilder«, schreibt Rancière, »[setzt] sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in einem ganz spezifischen Kontext durch. Damals

3

Ebd., S. 50.

4

Vgl. ebd., S. 51.

5

Ebd., S. 38.

6

Vgl. dazu Ricœur, Die Interpretation.

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entdeckte die Psychologie die Vielfalt der Stimuli und der Nervenbahnen an der Stelle dessen, was die Einheit und die Einfachheit der Seele war […]«.7 Wenn Henry James sich in seinen Texten mit imaginations und perceptions beschäftigt und nach selection und attention fragt, dann partizipieren sie an diesem neuen – psychologisch-physiologischen – Interesse an Wahrnehmungsprozessen.8 Während seine Texte Vorbereiter der literarischen Techniken des modernistischen Stream of Consciousness sind, war Henry James’ älterer Bruder wesentlich an der Etablierung der modernen Psychologie als Physiologie und empirische Wissenschaft beteiligt.9 William James’ Principles of Psychology (1890) und vor allem seine Vorstellung eines »stream of thought« gehen von einem »Denken im Vollzug« aus, das erst im Nachhinein – als dessen analytisches Resultat – die Rede von einem Bewusstsein oder personalen Selbst ermöglicht: »Die empirisch vorgehende Psychologie kann und darf nicht selbstverständlich vom Subjekt ausgehen, und dies ist ein erster Grund für [William] James, nicht nur einen substanzontologisch verstandenen Seelenbegriff, sondern auch ein transzendentales Subjekt zurückzuweisen.«10 Wenn es hier keine dem Vollzug des Denkens vorgängige Instanz der Ordnung gibt, dann übernehmen Henry James’ Texte diese Idee als einen Strom der Bilder, der auf keine vorgängige Instanz der Autorschaft beziehbar ist.11 Besonders seine frühen Texte zeugen von der »Vielfalt der Stimuli und der Nervenbahnen«12 und von einer Unordnung sinnlicher Wahrnehmung. Sie lassen dabei jedoch nichts von »zwanghafter Sorge« merken, sondern genießen ihre Verirrungen in den perzeptiven Bilderfluten ebenso wie die versetzende Energie des Bildsprachlichen. In der ersten Fassung des berühmten Essays »The Art of Fiction« schreibt James in diesem Sinne über das Verhältnis zwischen ›Leben‹ und ›Roman‹: »The only reason for the existence of a novel is

7

Rancière, Zuschauer, S. 58.

8

Vgl. z.B. James, »The Art of Fiction«; vgl. Jonathan Crary, Suspensions of Perception: Attention, Spectacle, and Modern Culture (Cambridge: MIT Press, 1999).

9

Vgl. dazu Jill M. Kress, The Figure of Consciousness: William James, Henry James, and Edith Wharton (New York: Routledge, 2002).

10

Sehgal, »William James und die Phänomenologie«, S. 12f.; siehe William James, The Principles of Psychology (New York: Dover Publications, 1950), bes. Kapitel IX: »The Stream of Thought«, S. 224–290.

11

Vgl. dazu Tim Armstrong, Modernism, Technology, and the Body: A Cultural History (Cambridge: Cambridge University Press, 1998), bes. Kapitel 7: »Distracted Writing«, S. 187–219.

12

Rancière, Zuschauer, S. 58.

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that it does attempt to compete with life.«13 Dass James in der zweiten Bearbeitung des Essays to compete with durch to represent einsetzt,14 folgt einem Einwand, den Robert Luis Stevenson unter dem Titel »A Humble Remonstrance« und als Antwort auf James’ »The Art of Fiction« im November 1884 publiziert.15 Der bescheidene Einspruch richtet sich vor allem gegen James’ Formulierung to compete with life. Aus dem Austausch erwächst nicht nur eine lebenslange Freundschaft zwischen James und Stevenson, sondern auch die Abänderung in to represent für die Überarbeitung der 1888er Version für Partial Portraits. Dies ist jedoch nicht nur eine signifikante Rücknahme der James’schen Stoßrichtung; gerade Stevensons Einspruch zeigt prägnant, was James geschrieben hat. Stevenson wendet ein: No art – to use the daring phrase of Mr. James – can successfully ›compete with life‹; and the art that seeks to do so is condemned montibus aviis. Life goes before us, infinite in complication; attended by the most various and surprising meteors; appealing at once to the eye, to the ear, to the mind – the seat of wonder, to the touch – so thrillingly delicate, and to the belly – so imperious when starved. […]. No art is true in this sense: none can ›compete with life‹: not even history, built indeed of indisputable facts, but these facts robbed of their vivacity and sting; so that even when we read of the sack of a city or the fall of an empire, we are surprised, and justly commend the author’s talent, if our pulse be quickened.16

Von der Warte der Re-präsentation wird der Roman zum nachträglichen Prinzip der Selektion und Formung, während ›Leben‹ »the dazzle and confusion of reality«17 meint. »Life is monstrous, infinite, illogical, abrupt and poignant«, Kunst hingegen ist »finite, self-contained, rational, flowing and emasculate«18:

13

Henry James, »The Art of Fiction«, in: Longman’s Magazine (September 1884); vgl. auch Mark Spilka, »Henry James and Walter Besant: ›The Art of Fiction‹ Controversy«, in: NOVEL: A Forum on Fiction 6, Nr. 2 (Winter 1973), S. 111–119, hier S. 115f.

14

Vgl. James, »The Art of Fiction«, 1984, S. 45f.

15

Robert Louis Stevenson, »A Humble Remonstrance«, in: Longman’s Magazine 5 (November 1884), S. 139–147.

16

Robert Louis Stevenson, R.L. Stevenson on Fiction: An Anthology of Literary and Critical Essays, hg. von Glenda Norquay (Edinburgh: Edinburgh University Press, 1999), S. 83f.

17

Ebd., S. 84.

18

Ebd., S. 85.

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Life imposes by brute energy, like inarticulate thunder; art catches the ear, among the far louder noises of experience, like an air artificially made by a discreet musician […]. The novel, which is a work of art, exists, not by its resemblances to life, which are forced and material, as a shoe must still consist of leather, but by its immeasurable difference from life, which is designed and significant, and is both the method and the meaning of the work.19

Analog zu dieser Lektüre Stevensons wurde James’ »The Art of Fiction« vielfach als Hinweis auf einen vitalistischen Lebensbegriff gedeutet, dem der Romanbegriff gegenübergestellt ist – das Leben wäre hier das an sich Formlose, dem erst in der Formung durch die Selektions- und Repräsentationsmomente der Literatur Bedeutung zukommt.20 James’ Text aber spricht sich dezidiert gegen »odd, literal opposition[s]« und »[artificial] frontiers«21 aus und verortet die Medialität des Romans innerhalb der veränderten Wahrnehmungsstrukturen, die das 19. Jahrhundert prägen.22 Statt die »schillernde« Fülle und Irrationalität des unmittelbaren Lebens der nachträglich formenden Re-präsentation gegenüber zu stellen, denkt James den Roman als ›Lebens-Szene‹ und als eine Methode der Selektion und Ordnung der (Wahrnehmungs-)Bilder, die auch dem ›Leben‹ zukommt; mehr noch: die das ›Lebendige‹ ausmacht: »Life at these intensities clearly became ›scenes‹ […].«23 Entgegen der Annahme Stevensons besteht damit »the method and the meaning of the work« gerade nicht in »[the] immeasurable difference from life«,24 sondern in der Verkantung von Lebens-, Bild- und Romanbegriff. Das Problem der für das erfassende Auge geordneten Rahmung und sichtenden Perspektivierung verfolgt James’ 1881 erschienener Roman The Portrait of a Lady in der Frage des Porträts. Erzählt wird von Isabel Archers Rebellion gegen die Vorgabe von Lebens-Bildern, die in den diversen Heiratsanträgen verkörpert sind, die die Protagonistin im ersten Drittel des Texts ablehnt. Isabel begehrt die Freiheit des Lebens, will sich nicht ›regieren‹ lassen von den ›falschen‹ Bildern. Doch

19

Ebd.

20

Vgl. exemplarisch Hale, »Henry James and the Invention of the Novel Theory«, S. 80: »[W]hat [James] calls ›life‹ has, by comparison, no value at all until it becomes ›formed‹ through art […].«

21 22

James, »The Art of Fiction«, S. 54. Vgl. Renate Brosch, Krisen des Sehens. Henry James und die Veränderung der Wahrnehmung im 19. Jahrhundert (Tübingen: Stauffenburg, 2000).

23

James, A Small Boy and Others, S. 152.

24

Stevenson, R.L. Stevenson on Fiction, S. 85.

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James’ Text ironisiert gleichzeitig die Bildlogik, die er formuliert. So ist einer der Anwärter, Caspar Goodwood, während der gesamten Ablehnung seines Antrages auffällig damit beschäftigt, seinen Blick scharfzustellen und resigniert schließlich vor dem möglichen ›Sichtverlust‹: Caspar Goodwood, during this speech, had kept his eyes fixed upon the name of his hatter, and it was not until some time after she had ceased speaking that he raised them. When he did so, the sight of a certain rosy, lovely eagerness in Isabel’s face threw some confusion into his attempt to analyse what she had said. »I will go home – I will go tomorrow – I will leave you alone«, he murmured at last. »Only«, he added in a louder tone – »I hate to lose sight of you!«25

Goodwoods Kummer, Isabel womöglich aus seinem Blickfeld zu verlieren, paart sich im Folgenden mit seiner hellsichtigen Vermutung, sie werde sich der ehelichen Lebensform letzlich doch noch fügen: »›Do you think I am so very easily pleased?‹ she asked suddenly, changing her tone. ›No, I don’t; I shall try and console myself with that. But there are a certain number of very clever men in the world; if there were only one, it would be enough. You will be sure to take no one who is not.‹«26 In seiner Revision des Texts für die New York Edition ersetzt James clever durch dazzling: »But there are a certain number of very dazzling men in the world, no doubt; and if there were only one, it would be enough. The most dazzling of all will make straight for you. You’ll be sure to take no one who isn’t dazzling.« »If you mean by dazzling brilliantly clever«, Isabel said – »and I can’t imagine what else you mean – I don’t need the aid of a clever man to teach me how to live. I can find out for myself.«27

Gegenüber der ersten – clever-rationalen – Fassung wird dieser Dialog schräg, da dazzling nicht mehr einfach einen potenziellen Ehemann beschreibt, sondern vielmehr in das Umfeld von Goodwoods Besorgnis um die scharfe Sicht rückt sowie deren möglichen Verlust benennt. Während James für »The Art of Fic-

25

Henry James, Portrait of a Lady, in: The Novels and Tales of Henry James. The New York Edition, Bde. 3/4 (New York: Charles Scribner’s Sons, 1922), S. 222; vgl. die Fassung von 1881 in Henry James, Novels 1881–1886: Washington Square, The Portrait of a Lady, The Bostonians (New York: Library of America, 1885), hier S. 352.

26

James, Novels 1881–1886, S. 353. [Hervorhebung SW].

27

James, Portrait of a Lady, S. 223. [Hervorhebung SW].

S EPARATION : S CENE OF K NOWLEDGE

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tion« der (zeitlichen) Geordnetheit der representation stattgibt, hält der dazzling effect an anderer Stelle in der Revision wieder Einzug. Gegenüber Stevensons Klarheit darüber, dass der Roman die Bilderfülle des Lebens zu rationalisieren weiß, eröffnet sich bei James ein seinerseits durchaus ›schillerndes‹ Feld von Rationalisierungen und Irrationalisierungen – die die Texte selbst, nicht zuletzt durch James’ notorische Revisionsarbeit, durchziehen. In der die Rahmung des Porträts überschreitenden Unordnung der Bildlektüre besteht das eigentlich emanzipatorische Moment des szenischen Romans. James’ Text ist ein präzises Beispiel für den Zusammenhang von Bild- und Emanzipationslogiken. An diesem Punkt setzt die »zwanghafte Sorge« um die »entfesselte[n] Stimuli« an, die Rancière diagnostiziert, die »zu viele[n] Gedanken und Bilder, die in Gehirne [eindringen]«.28 Diese Sorge ob der »Bilderfluten«, so Rancière weiter, dient im 19. Jahrhundert als Legitimation, »sich um die Unfähigen zu kümmern, die nicht sehen, die nicht verstehen, was sie sehen, und die nicht das angeeignete Wissen in engagierte Energie umwandeln können«.29 Neben der Internationalen Arbeiterbewegung ist bezeichnender Weise Emma Bovary und ihre unerhörte Neugier dasjenige »Objekt«, an dem sich »die große Angst der Eliten des 19. Jahrhunderts [artikuliert]: die Angst vor der Zirkulation unerhörter Lebenserfahrungen«30, die die Ehe- und Familienordnung durchkreuzt. Emma Bovary und die Internationale Arbeiterbewegung sind nicht nur »Zwillingsgestalten des Experimentierens mit neuen Lebensformen«, sie sind eine Provokation des Bildbegriffs, auf die die »väterliche Sorge« der (Gesellschafts-)Kritik reagiert.31 Mehr noch als um die ›Unwissenden‹ sorgt sich diese um das väterliche Privileg des epistemologischen Sonderstatus. Als eine »neuerliche Untersuchung der Begriffe der Kritik« schlägt Rancière vor, auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes »Emanzipation« zurückzugehen, auf jenes »Heraustreten aus einem Zustand der Unmündigkeit«32. Emanzipation meint dann die Durchkreuzung derjenigen paternalistischen Strukturen, in denen im Namen oder an der Stelle von gesprochen und gehandelt wird. Denkt man Rancières Emanzipation der Kritik weiter, dann fiele auch Emma Bovarys unerhörte Neugier darunter, die den Austritt aus dem Paradies in Kauf nimmt und die (göttliche) Autorität hinterfragt. Die Possessivstruktur, um deren Durchkreuzung es geht, hieße hier: »Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen

28

Rancière, Zuschauer, S. 58.

29

Ebd., S. 58f.

30

Ebd., S. 58.

31

Ebd., S. 59.

32

Ebd., S. 55.

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hat, […]; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!« (Jesaja 43). Vinken hat darauf verwiesen, dass die »unentrinnbare Neugier« Evas und ihrer Töchter/Schwestern die Notwendigkeit ›väterlicher‹ Autorität (für den literarischen Kontext: Autorschaft) als ihren Effekt allererst produziert33 – auf dem Spiel steht hier die Umkehr der logischen Vorannahmen bzw. der zeitlichen Struktur des kritischen Diskurses.34 In der Vertreibung aus dem Paradies – um dessen Wiedergewinn es der melancholischen Erzählung geht – sind zwei Geschichten und zwei Perspektiven des Wissens und der Kritik ineinander verschränkt: jene, die mit der göttlichen Autorität anfängt, der Vertreibung aus dem Paradies weitergeht, deren folgender Erkenntniszwang als zwanghafte Wiederholung der Erbsünde die Erlösung verspricht, durch die sich die göttliche Autorität perpetuiert und die Geschichte an ihren Anfang zurückkehrt. Oder aber man liest jene Geschichte von der unerhörten Neugier, die womöglich wissentlich mit der Gefahr spielt, aus der (göttlichen) Ordnung zu fallen, mithin die Erlösung aufkündigt und damit die (göttliche) Autorität wie den Erkenntniszwang und deren Schuldzusammenhang per se aufs Spiel setzt. Aber was bleibt dann von der Kritik außer ihrer Hinfälligkeit?35 Oder anders gefragt: Lässt sich die Hinfälligkeit innerhalb der kritischen – d.h. bildlichen – Logiken denken? Denn wenn Rancière den rhetorischen Doppeleffekt der kritischen Anordnung wie folgt beschreibt – »das ist die versteckte Wirklichkeit, die ihr nicht sehen wollt: ihr müsst sie erkennen und nach dieser Erkenntnis handeln.« und: »[D]as ist die offensichtliche Wirklichkeit, die ihr nicht sehen wollt, weil ihr wisst, dass ihr dafür verantwortlich seid«36 –, dann ist die Sichtbarkeit der Bilder – das Vor-AugenStehen – der Angelpunkt der Kritik der Kritik.

F AMILIEN /B ILD In der Genesis setzt die Vertreibung aus dem Paradies zweierlei Logiken in Gang, eine bildliche und eine familiär-genealogische, die zusammengehören.

33

Vgl. Vinken, Unentrinnbare Neugierde.

34

Vgl. Rancière, Zuschauer, S. 60.

35

Rancière schreibt: »[D]ann bricht die Entgegensetzung von Erscheinung und Wirklichkeit, die die Wirksamkeit des kritischen Diskurses begründete, zusammen, und mit ihr jede Schuldigkeit gegenüber den Wesen, die auf der Seite der dunklen oder verleugneten Wirklichkeit sind. In diesem Fall würde die kritische Anordnung ihre eigene Hinfälligkeit zeigen.« Ebd., S. 40f.

36

Ebd., S. 38.

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| 273

Die Vertreibung aus dem Paradies erzählt von der Bindung der Sexualität an die Logik familiärer Reproduktion und die Etablierung familiärer Ordnung. Die auf die Vertreibung aus dem Paradies folgende kleinfamiliäre Tragödie, in der Evas Erstgeborener Kain seinen Bruder Abel erschlägt, lässt sich auch als eine Erzählung über die Vermeidung rhizomatischer Produktionslogiken lesen: Kain erschlüge Abel hier, um der einzige vor Gottes Augen zu sein, eine lineare Genealogie zu etablieren, die keine ›Nebenzweige‹ duldet.37 Dieser familiär verworrene Abschnitt der Genesis endet mit dem Geschlechtsregister von Adam bis Noah (Genesis 5), das in einem linearen Stammbaum die Urväter auflistet: Es wird zwar die Zeugung jeweils erstaunlich vieler Söhne und Töchter registriert – aber nur ein Sohn pro Generation wird beim Namen genannt und dadurch nächster Urvater. Diese Reproduktionslogik etabliert zudem eine Logik des Bildes. Kain wird verbannt, weil er die Logik der Ebenbildlichkeit in Frage stellt, auf der das gesamte Geschlechtsregister basiert: Jeder Vater erschafft seinen Sohn nach seinem Bilde. Worum es darin geht, zeigt das alttestamentarische Bilderverbot im Buch Exodus: »Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde« (Exodus 20, 4). Das Verbot reagiert auf einen Effekt der Ebenbildlichkeit. Im Bilderverbot muss die göttliche Autorität wiederherstellt werden, die garantiert, dass hinter jedem Bild (Abbild, Ebenbild) ein Urbild steht, dass es hinter jedem Bild doch noch eine wirklichere Wahrheit gibt, auf die es verweist und die es durch seine Bildlichkeit autorisiert. Im Bilderverbot inszeniert Gott seinen epistemologischen Sonderstatus, der die Bilder braucht und fürchten muss. So hat Gottfried Boehm darauf hingewiesen, dass »die ikonoklastische Intervention des Buches Exodus […] Ausdruck eines Widerspruches [ist]«38. Das Bilderverbot unterstreicht – nachträglich – die »entscheidende Alterität« Gottes, der allerdings seine Allmacht seiner Urheberschaft verdankt, die die Menschenbilder erschafft, die aber, indem sie Ebenbilder sind, die unüberbrückbare Alterität potenziell zurücknehmen, die sie doch beglaubigen sollen: »Das Bilderverbot möchte vor allem sicherstellen, daß diese notwendige und unverzichtbare Analogie zwischen dem Schöpfer und seinem Wesen nicht umkehrbar wird. Der Mensch darf nicht von sich aus auf seinen Schöpfer schließen. Allein jenem, als dem allmächtigen Urheber, bleibt es vorbehalten, jene Analogie einzulösen.«39 Gott muss im Bilderverbot jene Deutungshoheit re-

37

Vgl. zum Rhizom Deleuze und Guattari, Tausend Plateaus, S. 11–42.

38

Gottfried Boehm, »Die Bilderfrage«, in: ders. (Hg.), Was ist ein Bild?, 4. Aufl. (München: Fink, 2006), S. 325–343, hier S. 329.

39

Ebd.

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installieren, um die Distanz zwischen Abbild und Urbild halten zu können: »Jede bildliche Setzung, die darauf zielt [die Realität Gottes zu modellieren], muß eine […] Gefahr heraufbeschwören.«40 Die »Gefahr« besteht darin, die Deutungshoheit und die Trennung zwischen Wissen und Nichtwissen aufs Spiel zu setzen, das beurteilbare Maß (die Distanz) zwischen Abbild und Urbild, zwischen Ursache und Wirkung und den in der Logik der Anklage implizierten Begriff der Autorschaft und dessen Schuldzusammenhang. Im Kern dieses Komplexes figuriert der Begriff des Zuschauers, ihn signieren die Namen Artaud und Brecht. Rancière stellt zwei theatergeschichtliche Linien heraus, den Zuschauer zu positionieren, und ordnet diese Positionen nach der Maßgabe der Distanz. Die beiden Linien ließen sich, so Rancière, an der Gegenüberstellung von Brechts epischem Theater und Artauds Theater der Grausamkeit exemplifizieren: Das sind die grundlegenden Haltungen, die vom epischen Theater Brechts und vom Theater der Grausamkeit Artauds zusammengefasst werden. Für das eine muss der Zuschauer die Distanz lernen. Für das andere muss er jede Distanz verlieren. […] Dem Brecht’schen Paradigma zufolge ruft die theatralische Vermittlung den Zuschauern diese gesellschaftliche Situation ins Bewusstsein, die sie hervorgebracht hat [d.h. als ›bloße‹ Zuschauer, SW], und macht sie begierig danach, sich an deren Veränderung aktiv zu beteiligen. Nach der Logik Artauds lässt sie sie aus ihrer Position der Zuschauer heraustreten: anstatt sich einem Schauspiel gegenüber zu sehen, sind sie von der Performance umgeben und werden in den Handlungskreis gezogen, der ihnen ihre kollektive Energie zurückgibt. Im einen wie im anderen Fall stellt sich das Theater als eine Vermittlung dar, die auf ihre eigene Aufhebung ausgerichtet ist.41

Im ersten Fall – im epischen Theater, in dem »der Zuschauer die Distanz lernen soll« – geht es um die (zu veranschaulichende und zu verstehende) Wahrheit der Trennung von Bild/Theater und ›Wirklichkeit‹. Im Theater Artauds, so Rancières Lektüre, geht es im Verlieren jeder Distanz um die (herzustellende) Wahrheit der Nicht-Trennung im Phantasma der lebendigen Gemeinschaft – das Bild und das Theater als solches aber trachten beide zu überwinden: im Brecht’schen Fall in der Unterstreichung, dass alles, was man sieht, nur gezeigt ist und man selbst bloß Zuschauer, wovon man sich durch Kritik befreien soll, die sich aber paradoxerweise auf dieses ›Nicht-Bild‹ richten muss, das den ›NurZuschauer‹ überhaupt erschafft. In Artauds Fall liegt die Aufhebung des Thea-

40

Ebd., S. 330.

41

Rancière, Zuschauer, S. 15ff.

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ters und der Kritik darin, dass alles wirksame, wirkliche Performance ist und darin das Zuschauen per se ausfällt, während die Möglichkeit der Kritik das Kind ist, das mit dem Bade der Bilderlosigkeit ausgeschüttet wird. Umgekehrt heißt das: An der Theatralität (des Theaters) festzuhalten, bedeutet, an der Möglichkeit der Kritik festzuhalten. Denn in beiden Fällen wird nicht nur eine – wie Rancière sagt – »reichlich gewundene Dramaturgie von Schuld und Erlösung ins Werk [gesetzt]«42, sondern werden – so die hier gegen Rancière vertretene These – zwei Bild- und Zuschauerlogiken künstlich oder überscharf getrennt: nämlich einerseits jene obsessive Ansammlung von ›Nur-Bildern«, denen der stellvertretende Verweis auf ein Wirklicheres unterstellt wird, und andererseits jenes Begehren einer bilderlosen Wirklichkeit in den Präsenzphantasien Artauds, deren Unmöglichkeit Derrida durch die »Geschlossenheit der Repräsentation«43 begründet. Im Zusammenhang von Theater und Kritik – in der »Szene des Dissens«44 – geht es darum, die Distanz als ein Auszuhandelndes und Auszuhaltendes zu denken, als immer wieder »durcheinanderzubringende Rollenverteilungen«45 statt Perpetuierung jenes Wahrheitsanspruches, sei er Trennung oder Nicht-Trennung. Zugleich geht es aber auch darum, das Politikum der Kritik mit den Verfahren des Medialen (den Logiken des Bildes) und nicht der Wirklichkeit (der immer nur entfremdeten oder der präsenten) anfangen zu lassen: Innerhalb der (bildlichen) Repräsentationsleistungen und zwischen den Akten distanzierter Vertretung (Brecht) und vergegenwärtigender Verkörperung (Artaud), innerhalb der Medialisierungsbewegungen wird die Logik des Urbildes und der Anklage durchkreuzt. Dass dabei »[n]icht zwischen [Brecht und Artaud] […] der unversöhnliche Widerspruch [verläuft], sondern immanent in dem, was ihre Namen signieren«, dass sie »vielmehr immer schon bei sich im Konflikt miteinander« sind, hat Rainer Nägele unermüdlich betont.46 Brechts Begriff der Verfremdung korrespondiert der Idee einer mit dem Theater verbundenen Alterität

42

Ebd., S. 17.

43

Vgl. Jacques Derrida, »Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation«, in: ders., Die Schrift und die Differenz, 9. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003), S. 351–379.

44

Rancière, Zuschauer, S. 60.

45

Ebd., S. 32.

46

Rainer Nägele, »Brechts Theater der Grausamkeit«, in: Walter Hinderer (Hg.), Brechts Dramen. Neue Interpretationen (Stuttgart: Reclam, 1984), S. 300; vgl. auch Nägele, »Der andere Schauplatz – Zwischen Brecht und Artaud«.

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oder Alterisierung, die auch Artauds Double impliziert.47 Das Fremde der Verfremdung und die Gewalt des Theaters der Grausamkeit (um die es weiter unten geht) artikulieren das gemeinsame Projekt der Szene. Nicht die dualistische Logik der Entfremdung, sondern die Effekte der Verfremdungen (im Plural) und der Verdopplungen im Double machen dieses aus. Brechts Projekt des epischen Theaters ist dabei mehr als die Formulierung einer politischen Ästhetik für die konkrete Bühnenrealisation. Das Epische dieses Theaters macht vielmehr lesbar, was im Dramatischen auf dem Spiel steht: der Status des Vor-Augen-Stellens. Insofern ist die Frage nach dem Projekt des epischen Theaters zutiefst verbunden mit den liaison dangereuses zwischen Roman und Szene. Walter Benjamin hat wie nebenbei darauf hingewiesen, dass Brechts episches Theater einen Anachronismus in die plot-Struktur des Dramatischen einspeist und damit eine Ungleichzeitigkeit in die lineare Ordnung der Geschichte sowie die Ordnung und Abfolge der Gattungen. »[W]ie struppig und verwildert immer«, so Benjamin, tritt in Brechts Dramen der »Saumpfad« des barocken Trauerspiels zu Tage: »Wenn nämlich die Rede von einem Weg sein kann und nicht vielmehr von einem Pasch- und Schleichpfad, auf welchem quer durch das erhabene aber unfruchtbare Massiv der Klassik das Vermächtnis des mittelalterlichen und barocken Dramas auf uns gekommen ist.«48

B RECHTS V ERFREMDUNG , A RTAUDS D OUBLE Während das »bürgerliche Theater […] an seinen Gegenständen das Zeitlose [herausarbeitet]«, zielt das neue epische Theater auf die Historisierung des »Ewig-Menschlichen« und der »›allgemeinen‹ Situationen« des bürgerlichen Theaters, um so die »Auflösung des Milieus in Beziehungen zwischen Menschen« sichtbar zu machen.49 So klingt das Projekt der politischen Kritik im und als Theater, das Brecht in seinem 1936 erschienenen Aufsatz »Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst« formuliert. Kann das »bürgerliche« Theater – jene deutsch-französische Erfindung des 18. Jahrhunderts – unter der Prämisse der Verkörperung und im phantasmatischen Zusammenfallen von Darstellung und Dargestelltem (Charakter/Held und Schauspielerkörper, Urbild und

47

Vgl. zum »anderen Brecht« einschlägig Hans-Thies Lehmann, »Der andere Brecht«, in: ders., Das Politische Schreiben. Essays zu Theatertexten (Berlin: Theater der Zeit, 2002), S. 207–281.

48

Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I), S. 523.

49

Brecht, »Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst«, S. 208.

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Abbild) die Totalität dieses Dargestellten (das »Zeitlose« und »Ewig-Menschliche«) behaupten, geht es Brecht mit der chinesischen Schauspielkunst um die Ausdifferenzierung von Zeigen, Zeigendem und Gezeigtem. Das Kernelement der Verfremdung liegt dabei darin, dass »[…] die Schauspielerin den Satz nicht zu ihrer eigenen Sache machen [darf], sie muß ihn der Kritik überantworten […]«50. Was aber ist diese Position der Überantwortung, mit der es die Kritik zu tun hat? Wer und was antwortet oder verantwortet? Inwiefern dieses MoMoment der Überantwortung mit dem obliquen Verhältnis zu tun hat, das die Kritik als theatrale heimsucht und ver-fremdet, darum geht es im Folgenden. »Der Schauspieler muß eine Sache zeigen, und er muß sich zeigen«, zitiert Benjamin in der ersten Fassung seiner »Studie zu Brecht« (1931) aus dem Programmheft zu Mann ist Mann (1926/27): »Er zeigt die Sache natürlich, indem er sich zeigt, und er zeigt sich, indem er die Sache zeigt. Obwohl dies zusammenfällt, darf es doch nicht so zusammenfallen, daß der Gegensatz (Unterschied) zwischen diesen beiden Aufgaben verschwindet.«51 Eines der bekanntesten Beispiele für das Projekt des Zeigens und den im epischen Theater vorherrschenden Begriff der Szene ist die »Straßenszene«: Der Augenzeuge eines Verkehrsunfalls demonstriert einer Menschenansammlung, wie das Unglück passierte. Die Umstehenden können den Vorgang nicht gesehen haben oder nur nicht seiner Meinung sein, ihn ›anders sehen‹ – die Hauptsache ist, daß der Demonstrierende das Verhalten des Fahrers oder des Überfahrenen oder beider in einer solchen Weise vormacht, daß die Umstehenden sich über den Unfall ein Urteil bilden können.52

Dieser Straßenszene als exemplarischer Theaterszene des Epischen soll es nicht um die »Bereitung der Illusion«53 gehen, sondern um das Auseinanderfallen – die bewusste Trennung – von Ereignis und Wiederholung: »Das Ereignis hat stattgefunden, hier findet die Wiederholung statt«, sagt diese Szene und suggeriert dabei nicht die Illusion, Ereignis und Wiederholung fielen im »Erlebnis« der Szene ineins.54 Denn ein Urteil soll diese Szene provozieren und nicht erlebende Einfühlung. Nur in dieser Trennung – so legt die Szene nahe – gelingt das

50

Ebd., S. 209. [Hervorhebung SW].

51

Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I)«, S. 529.

52

Bertolt Brecht, »Die Straßenszene. Grundmodell einer Szene des epischen Theaters (1940)«, in: Ausgewählte Werke in sechs Bänden: Schriften, hg. von Werner Hecht u.a., Bd. 6 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005), S. 300–311, hier S. 300f.

53

Ebd., S. 302.

54

Ebd.

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Vor-Augen-Führen, das den Zuschauenden zum Urteil befähigt und Brecht zu Rancières »unglücklichem« Theoretiker der Distanz macht. Es liegt auf der Hand, das so bestimmte Moment der Trennung und der Distanz für das rationale Projekt der Brecht’schen Kritik zu nehmen. Kritik fände ihren Ort immer dort, wo im Modus der Ratio jene Unterscheidung getroffen wird, die die Verfremdung zwischen den (falschen) Erscheinungen und dem (wirklich) Wirklichen vornimmt. Der Ratio und den Rationalisierungen aber läuft Brechts Schreiben entgegen und wird so selbst zu einer »Szene des Dissens« – das hat früh Walter Benjamin erkannt. Zwar bezweckt der Verfremdungseffekt »die Historisierung der darzustellenden Vorgänge«55, Historizität aber fungiert als Schlagwort der Kontingenz, oder wie Benjamin über das epische Theater sagt: Es geht um die Inkommensurabilität, d.h. das von keinem Standpunkt immer oder zwingend verbürgte Maß.56 Widersprochen wird damit der These eines notwendigen Geschichtsverlaufs insofern, als »[e]s […] so kommen [kann], aber […] auch ganz anders«57: Dies ist die Grundhaltung des epischen Theaters. »Zustände darzustellen« habe dieses epische Theater, schreibt Benjamin in seiner Brecht-Studie, und diese bezeichnen hier gerade nicht die hinter der Marx’schen Mystifikation detektierbaren ›wahren‹ Beziehungen zwischen Menschen und zwischen Menschen und ihren Produkten. Beschreibt Entfremdung den Zustand des Getrenntseins auf der Ebene der ›Wirklichkeit‹ – »entfremdet besitzt man nicht, was man selber produziert hat«58 –, ist Brechts Verfremdung ein ästhetisches Verfahren der Trennung und Unterbrechung.59 Denn »[d]ie Entdeckung der Zustände vollzieht sich mittels der Unterbrechung von Abläufen«60, die den episodischen Charakter der

55

Brecht, »Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst«, S. 207.

56

Vgl. Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I)«, S. 525.

57

Ebd.

58

Andrea Allerkamp, »U-Topie oder Entfremdung? Räumliche Praktiken bei Lefebvre und Benjamin«, in: dies. und Gérard Raulet (Hg.), Kulturwissenschaften in Europa, eine grenzüberschreitende Disziplin? (Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, 2010), S. 221–233, hier S. 223.

59

Vgl. auch Brechts Diktum der »Trennung der Elemente«: Bertolt Brecht, Ausgewählte Werke in sechs Bänden: Schriften, hg. von Werner Hecht u.a., Bd. 6 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005), S. 107ff. und S. 248f.; vgl. auch Günther Heeg, Michael Lohmann und Sophie Witt, »›Der Auftrag‹/›Fatzer‹. Eine Text-KlangRaum-Recherche«, in: Nikolaus Müller-Schöll und Heiner Goebbels (Hg.), Heiner Müller Sprechen (Berlin: Theater der Zeit, 2009), S. 254–266.

60

Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I)«, S. 522.

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epischen Szene herstellt.61 ›Produktion‹ ist also von der Bühne und nicht von der Wirklichkeit her bestimmbar: Die »Zustände« sind als »Dialektik im Stillstand« und »Stauung im realen Lebensfluß« ein »Abdruck menschlicher Gebärden, Handlungen und Worte«, der »blitzartig klargestellt wird«.62 Wie in James’ die zeitliche Logik der Repräsentation unterbrechender Szene der Selektion der ›Bilder‹, wird auf diese Weise die epische Szene zur »Versuchsanordnung«, an deren Ende, nicht Anfang, die Zustände stehen.63 Nicht um die Wiedergabe qua Aufdeckung, sondern um die Konstruktion von Zuständen geht es dieser Szene. Während die Straßenszene die eindeutige Aufteilung der Positionen in »Vormachende« und Urteilende dem Begriff des Zeigens verdankt, sind die Verfremdungseffekte von dem Vokabular des Zuschauens bestimmt, das die eindeutige Raumaufteilung verkompliziert. Ohne die »vierte Wand«64 wird die Trennung in Darstellende und Zuschauende zu Gunsten einer Anordnung von Blicken und Blickrichtungen durchkreuzt. Wenn Benjamin von der »Lage« schreibt – »Das ist die Lage«65 –, dann meint das das räumlich-platzierte Moment im Zu-Stand: Worum es heute im Theater geht, läßt sich genauer mit Beziehung auf die Bühne als auf das Drama bestimmen. Es geht um die Verschüttung der Orchestra. Der Abgrund, der die Spieler vom Publikum wie die Toten von den Lebendigen scheidet, der Abgrund, dessen Schweigen im Schauspiel die Erhabenheit, dessen Klingen in der Oper den Rausch steigert, dieser Abgrund, der unter allen Elementen der Bühne die Spuren ihres sakralen Ursprungs am unverwischbarsten trägt, ist funktionslos geworden.66

Dieser »Abgrund« aber zieht auf anderem Schauplatz wieder in Brechts Schreiben ein, das selbst um die Unsicherheit der eigenen Sache kreist. Die für das Projekt des Verfremdungseffekts wichtigsten Sätze kursiviert Brecht vorsorg-

61

Im Kleinen Organon für das Theater (1948) wird Brecht zurücknehmen, was Benjamin an der Geste und der »Unterbrechung der Handlung« als »episodisch« hervorgehoben hat, und die Kohärenz der plot-Struktur des Dramas verstärken: »Auf die ›Fabel‹ kommt alles an, sie ist das Herzstück der theatralischen Veranstaltung«. Brecht, Ausgewählte Werke in sechs Bänden: Schriften, Bd. 6, S. 519–552, hier S. 546ff. (Abschnitt 65ff.); vgl. Hans-Thies Lehmann, Das Politische Schreiben. Essays zu Theatertexten (Berlin: Theater der Zeit, 2002), S. 219–237.

62

Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I)«, S. 530f.

63

Ebd., S. 522.

64

Brecht, »Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst«, S. 201.

65

Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I)«, S. 519.

66

Ebd.

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lich – als nachdrücklicher Ausdruck der (theoretischen) Setzung und distanzierende Verfremdung.67 Diese wiederholen, was Brecht am chinesischen Theater hervorhebt – die ausgestellte Zeichenhaftigkeit und Künstlichkeit: Man weiß, daß das chinesische Theater eine Menge von Symbolen verwendet. Ein General trägt auf der Schulter etwa kleine Fähnchen, und zwar so viele, als er Regimenter befehligt. Armut wird dadurch angedeutet, daß auf den seidenen Gewändern unregelmäßig Stücke von anderer Farbe, aber ebenfalls aus Seide, aufgenäht sind, die Flicken bedeuten. […]. All dies ist seit langem bekannt und kaum übertragbar.68

Die Passage erstaunt wegen der besonderen Detailliertheit der Beschreibung. Auffällig ist außerdem die wiederholte Betonung des ›Bekannten‹: Brecht leitet ein mit »Man weiß« und fährt mit der Beschreibung eines Theaters fort, dass in erster Linie fremd sein muss für einen an ›europäisches‹ Theater gewöhnten Leser und Zuschauer, für den dieser Text geschrieben wurde.69 Die Passage endet mit: »All dies ist seit langem bekannt«, als wäre das eben Beschriebene etwas Tradiertes und Überliefertes, erzählt von Generation zu Generation. Die Behauptung des ›Bekannten‹ steht im Widerspruch zur detaillierten Beschreibung, die in der Form der Ekphrase einen Leser adressiert, dem sie ein ungesehenes und abwesendes Bild vor Augen zu führen vorgibt. Brechts Essay erscheint erst 1949 in Deutschland, 1936 aber in Life and Letters, London. Der Übersetzter Eric Walter White wählt den Titel »The Fourth Wall of China. An essay on the effect of disillusion in the Chinese Theatre«. Es ist aufschlussreich, dass John Willett – einer der renommiertesten Brecht-Übersetzer ins Englische – in seiner späteren Übersetzung der deutschen Fassung nicht nur aus dem Theater-Komplex von vierter Wand und (Des-)Illusion die (gesellschaftskritische) »Alienation« macht, son-

67

Die Kursivierungen in der GBA folgen dem Typoskript Brechts. Vgl. dazu den Kommentar in Brecht, GBA, Bd. 22, Schriften 2.2., S. 95–974 und den Editionsbericht im Registerband der GBA.

68

Brecht, »Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst«, S. 200f. [Her-

69

Auf einer Reise in die Sowjetunion wohnt Brecht einer Theateraufführung mit dem

vorhebung SW]. damals berühmten chinesischen Schauspieler Mei Lan-fang im Mai 1935 bei, dessen Schauspiel ihn im Schreiben seines Essays beeinflusst. Vgl. dazu den Kommentar in Brecht, GBA, Bd. 22, Schriften 2.2., S. 959–974, hier S. 959; vgl. auch Willetts Kommentar in: Bertolt Brecht, »Alienation Effects in Chinese Acting«, in: ders., Brecht on Theatre. The Development of an Aesthetic, hg. und übers. von John Willett (London: Methuen, 1964), S. 91–99, hier S. 99.

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dern dabei von dem tastenden Gestus abweicht, mit dem der Text sich von einem Detail eines (betrachteten) Bildes zum nächsten hangelt, gerade bevor er dann zu der sozusagen verspäteten Interpretation des Betrachteten/Beschriebenen kommt. So heißt es bei Willett: »Poverty is shown by patching the silken costumes with irregular shapes of different colour, likewise silken, to indicate that they have been mended.«70 Die wörtlichere Übersetzung der Stelle wäre jedoch: »Poverty is indicated [not shown but only indicated] by attaching to the silken costumes irregular shapes of different colour, but likewise silken, which signify patches.« Dass dies sonderbar für Willett klang, ist nachvollziehbar – es ist sonderbar, aber bereits bei Brecht. Die Interpretation (»die Flicken bedeuten«/»which signify patches«) fungiert als eine Rahmung der bildlichen Details, die dem organisierenden Zugriff der souveränen Interpretation zu entkommen drohen – einer Souveränität, die sich jedoch vor allem dem Fremden und Singulären gegenübersieht. Unzusammenhängende Details und Singularitäten werden zu einem Beispiel eines Lese- und Denkprozesses gemacht, in dem sie nicht restlos aufgehen. Im weiteren Textverlauf betont Brecht den für das epische Theater wichtigen Aspekt der Wiederholung und des Zitats, die nicht-einfühlend das Gezeigte verfremden sollen, indem sie die Konventionalität und Zeichenhaftigkeit der theatralen Gesten hervorheben. Aber dieser Aspekt ist nicht nur in Bezug auf das neue Theatermodell bedeutsam: Übertragen auf die Szene des Texts und dessen Theatralisierungen, ist auf die Historizität und Konventionalität von Sprache und Texten selbst verwiesen, deren Worte und Gedanken sich mnemonisch in einer Situation der Aneignung und Enteignung befinden. Dem Verfremdungs-Essay unterliegt ein doppeltes Begehren – dasjenige, niemals einen Satz zu einer eigenen Sache zu machen, indem penibel der Abstand zwischen der Darstellung und dem Dargestellten abgemessen wird; und zugleich das Begehren, die Bedeutung unmissverständlich vor Augen zu stellen, den Leser oder Zuschauer das Beschriebene so deutlich und lebendig sehen zu machen, dass der Vorgang des Zuschauens in den Hintergrund tritt. In dem theoretischen Überschuss des Texts übersetzt sich das Ereignis in die Szene des Texts selbst; die Autorität des nachträglichen Kommentars über ein vorgängiges Ereignis schwindet, indem eine textuelle Szene entsteht, in der die Evidenz der eigenen Setzungen beständig zur Debatte gestellt ist. Damit steht nicht nur die stabile und duale

70

Ebd., S. 91. In der ersten Übersetzung hieß es: »…these patches are also of silk, although they are supposed to represent rags.« Bertolt Brecht, »The fourth Wall of China. An essay on the effect of disillusion in the Chinese Theatre«, in: Life and Letters To-Day, Nr. 6 (1936), S. 116–123; hier zitiert nach Brecht, BFA, Bd. 22, Schriften 2.2, S. 961.

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Ordnung der alienation auf dem Spiel, sondern das Verhältnis von Theorie und Praxis, so dass sich die theoretischen Texte nicht als »Vorschriften für die Stücke, sondern als Umschriften auf einem anderen Schauplatz«71 erweisen. Auf diesem anderen Schauplatz wird die Evidenzfunktion des vor-Augen-stellenden Zeigens versetzt. Wenn Brecht schreibt »All dies ist seit langem bekannt und kaum übertragbar« (s.o.), dann fragt die Verfremdung nach der metaphorischen Übertragung, die sie zugleich braucht und anzweifeln muss. Denn während dem distanzierten Zeigen die Präsentierungsleistung des Metaphorischen suspekt sein muss, kann sich der Anspruch auf Evidenz zugleich nur auf die eigene Textualität und deren Realisierungsweisen verlassen. Brechts Verfremdung ist durchzogen von Effekten des Fremden, die sich der Übertragung widersetzen. Nicht zufällig verdeutlicht das ›Chinesische‹ noch an anderer Stelle, dass sich Brechts Denken quer zu jenen Linien verhält, die Rancière gemäß der Trennung der Brecht’schen und Artaud’schen Theatralität zieht. Deutlich wird daran, dass es hier weder nur um die Markierung der Alterität als die Autorität perpetuierende Potenzierung der Distanz noch nur um deren autorlose Überwindung in den Phantasmen eines Urzustands ungetrennter Gemeinschaft geht. So heißt es in Brechts »Lesebuch für Städtebewohner« (1926/27): Oft in der Nacht träume ich, ich kann meinen Unterhalt nicht mehr verdienen, die Tische, die ich mache, braucht Niemand in diesem Land. Die Fischhändler sprechen Chinesisch. […] Die Wäsche, im Hof zum Trocknen aufgehängt Ist meine Wäsche, ich erkenne sie gut. Näher hinblickend, sehe ich Allerdings Nähte darinnen und angesetzte Stücke. Es scheint Ich bin ausgezogen. Jemand anderes Wohnt jetzt hier und

71

Rainer Nägele, »Augenblicke: Eingriffe. Brechts Ästhetik der Wahrnehmung«, in: Marc Silberman, Antony Tatlow und Renate Voris (Hg.), Das Brecht-Jahrbuch 17: Der Andere Brecht I/The Other Brecht I (Madison: University of Wisconsin Press, 1992), S. 28–51, hier S. 30.

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Sogar in Meiner Wäsche.72

Bemüht der Verfremdungseffekt noch »chinesisch« zur Autorisierung einer kritischen Position, die das Eigene, die gesicherte Position, gerade in solch wohldosiertem Maße an den Anderen aufgibt, dass die Möglichkeit der Setzung oder der (kursivierten) Autorität des Satzes verstärkt wird, ist hier »chinesisch« der Albtraum des Un-Heimlichen: Der Träumende bleibt ohne Eigenes, »ohne Unterhalt«; etwas Fremdes besetzt wie »angesetzte Stücke« seine Wäsche, zieht in seine Wohnung ein und raubt ihm jeglichen gesicherten Standort. Brechts Gedichtszyklus »Lesebuch für Städtebewohner« wird eröffnet mit dem Gedicht »Verwisch die Spuren« – einem Text, der als Aufruf zur Transformation des (nur) kritischen Standpunkts in jenen politisch ›wirksamen‹ Modus ›illegaler‹ Agitation gelesen wurde. Hier geht es um das Prinzip der Trennung: »Trenne dich von deinen Kameraden auf dem Bahnhof/[…]/Verwisch die Spuren!«73, so die erste Strophe. Der illegale Agitator ist jener, der »[…] seine Unterschrift nicht gegeben hat, wer kein Bild hinterließ/Wer nicht dabei war, wer nichts gesagt hat«, denn: »Wie soll der zu fassen sein!/Verwisch die Spuren!«74 Brechts Standort ist ein Spannungsfeld zwischen der nachdrücklich affirmierten Setzung und der ›Illegalität‹ oder »Verwischung der Spuren«. Gedacht ist so ein Text, dessen Setzung im Verschwinden des Autors, im (Ab-)Trennen der Autorposition seinen Status als Geschriebenes verliert (ohne Bild, ohne Unterschrift), aber dennoch potenziell lesbar ist und deshalb unlesbar gemacht, verwischt werden muss. Brechts Standpunkt oszilliert zwischen einer Überaffirmation kursiver Schriftsetzung, die aber niemals zur eigenen Sache werden darf und kann, und einer Art Nicht-Schrift, die gerade als solche die Gefährdung eines mindestens lesbaren Standorts ausmacht. Was aber steht in Brechts Verfremdung der eigenen Sache, in der Verfremdetheit der Rede in eigenem Namen zur Debatte? Im mimetisch Figurierten steht nicht der Stil der Narration, sondern jegliche Konsistenz des auch philosophischerkenntniskritischen Diskurses auf dem Spiel: »A style of discourse, in which

72

Bertolt Brecht, »Zum Lesebuch für Städtebewohner gehörige Gedichte«, in: Gesammelte Werke, Bd. 8: Gedichte 1, hg. von Elisabeth Hauptmann (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990), S. 281.

73

Bertolt Brecht, Ausgewählte Werke in sechs Bänden: Gedichte 1, hg. von Werner

74

Ebd.; vgl. auch Eva Horn, Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fikti-

Hecht u.a., Bd. 3 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005), S. 157. on (Frankfurt am Main: Fischer, 2007), S. 281–308.

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mimesis cannot be reduced to ›simple‹, straightforward, non-mimetic narrative, is one in which the unity of meaning, the unity of person – and with them, that of the state – can no longer be assured«, schreibt Weber. »Such unity ceases to be certain, once the relation between language and its subject – both as subjectmatter, but also as author – is no longer transparent. Unity, however, is not only ›the greatest good of states‹, it also defines the being of the idea, the only true object of philosophical knowledge, as distinct from opinion, which has as its object the multiplicity of sensible appearances.«75 Von der Möglichkeit der Unterscheidung von beiden Diskursen, d.h. zwischen dem, der Einheit unterläuft und somit Bedeutung gefährdet, und dem, der die Einheit der Idee und des Wissens bewahrt und Bedeutung festschreibt, hängt die Möglichkeit des kritischen Urteil ab. Platons »straightforward, non-mimetic narrative« wird als derjenige philosophische Diskurs Konjunktur haben, in dem die Idee insofern als ›wahrer‹ Ort der Erkenntnis zu Tage tritt, als sie als Abstraktion des Sinnlichen, des Partikularen und des Multiplen funktioniert. Bis hin zu Kants Kritik der Urteilskraft sind es »the multiplicity of sensible appearances«, die der philosophischen Erkenntnis und vor allem deren Begriff Probleme bereiten. Sie bereiten Probleme in ihrer szenischen Form, in der sie weder der Ordnung des Begriffs zuzuschlagen, noch aus dem Bereich des Epistemologischen gänzlich auszuschließen sind: »Aesthetic Judgments are inseparably bound up with singular appearances and events, and hence they can never, ›by themselves, contribute to the knowledge of things‹. Notwithstanding, by virtue of their claim to universality, ›they belong to the cognitive faculty alone.‹«76 Diese »multiplicity of sensible appearances« knüpft an die eingangs diskutierte »Bilderkrankheit« an, von der James’ Texte Zeugnis ablegen und auf die das Urteilsdesign der Kritik reagiert. Dass der Bereich des Ästhetischen ein anderer und besonderer Ort der Erkenntnis ist, durchzieht auch Artauds Le Théâtre et son double. »In einem einzigen Blick« (»dans un seul regard«) ist dabei die Losung für dasjenige »Drama von hoher geistiger Bedeutung«, das alle Einzelheiten – »the multiplicity of sensible appearances« – zusammenzuballen weiß. Über Lots Töchter von Lukas van Leyden schreibt Artaud:

75

Weber, »Reframing the Scene«, S. 84; vgl. Plato, Plato’s Republic (New York: Modern Library, 1982), S. 462.

76

Weber, »Reframing the Scene«, S. 86; vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, hg. von Heiner Klemme (Hamburg: Felix Meiner Verlag, 2006), S. 6. In der Vorrede von 1790 schreibt Kant über die ästhetischen Urteile: »Denn, ob sie gleich für sich allein zum Erkenntnis der Dinge gar nichts beitragen, so gehören sie doch dem Erkenntnisvermögen allein an […].«

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Son pathétique en tout cas est visible même de loin, il frappe l’esprit par une sorte d’harmonie visuelle foudroyante, je veux dire dont l’acuité agit tout entière et se rassemble dans un seul regard. Même avant d’avoir pu voir de quoi il s’agit, on sent qu’il se passe là quelque chose de grand, et l’oreille, dirait-on, en est émue en même temps que l’œil. Un drame d’une haute importance intellectuelle, semble-t-il, se trouve ramassé là comme un rassemblement brusque de nuages […].77

Gerade Artauds »Zusammenballung« (»rassemblement«) und deren ikonoklastische Tendenz, die Bilderflut der »Bilderkrankheit« in der synästhetischen Zusammenschau vermeiden zu wollen, unterstreicht, dass das Theater ein »Wahrnehmungsraum« ist, der die Kohärenz der klassisch-romantischen Ästhetik tangiert.78 Bei Artaud wie bei Brecht wird das aisthetische Sehen und Schauen stark gemacht, das dem klassisch-romantischen Begriff der Anschauung – »Inbegriff des immanent, aus seiner sinnfälligen Evidenz bedeutenden Symbols im Gegensatz zur Allegorie«79 – entgegengeht. Besonders Brechts in den 1920er Jahren entstandene Lehrstücke richten sich gegen die sinnfällige Evidenz des Symbols, indem sie die Anschauungsweise in den Vordergrund stellen.80 Dieses Projekt ist präzise im etwa zeitgleich entstandenen Fragment »Fatzer« umrissen: Aber als alles geschehen war, war da /Unordnung. Und ein Zimmer/Welches völlig zerstört war, und darinnen /Vier tote Männer und /Ein Name! Und eine Tür, auf der stand /Unverständliches/Ihr aber, seht jetzt/Das Ganze. Was alles vorging, wir/Haben es aufgestellt/In der Zeit nach genauer/Folge an den genauen Orten und /Mit den genauen

77

Antonin Artaud, Le Théâtre et son double. Le théâtre de Séraphin. Les Cenci, in: Œuvres complètes, Bd. 4 (Paris: Gallimard, 1987), S. 32; vgl. Antonin Artaud, Das Theater und sein Double, hg. von Bernd Mattheus (München: Matthes und Seitz, 1996), S. 35. »[Das] Pathos [des Bildes] ist jedenfalls schon von weitem erkennbar und nimmt den Geist durch eine Art von unwiderstehlicher visueller Harmonie gefangen, das heißt einer Harmonie, deren Geistesschärfe als Ganzes wirkt und sich in einem einzigen Blick sammelt. Selbst bevor man erkennen kann, worum es sich handelt, spürt man, daß sich da etwas Großes abspielt, und das Ohr, könnte man sagen, wird davon zur gleichen Zeit bewegt, wie das Auge. Ein Drama von hoher geistiger Bedeutung hat sich da offenbar zusammengeballt wie eine plötzliche Zusammenballung von Wolken […].« [Hervorhebung SW].

78

Vgl. Nägele, »Ästhetik der Wahrnehmung«, bes. S. 29f.

79

Ebd., S. 35.

80

Vgl. ebd., S. 35f.; siehe auch Nägele, »Brechts Theater der Grausamkeit«.

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Worten, die /Gefallen sind. Und was immer ihr sehen werdet/Am Schluß werdet ihr sehen, was wir sahn:/Unordnung.81

Nicht nur ist hier »das Ganze« durch das Moment der Unordnung ver-fremdet. Wenn es in der Chorpassage weiter heißt: »Und aufgebaut haben wir es, damit ihr entscheiden sollt/Durch das Sprechen der Wörter und/Das Anhören der Chöre/Was eigentlich los war, denn/Wir waren uneinig«82, dann wird deutlich, dass die Verfremdung des Vor-Augen-Stellens und die Suspension des Urteils und der Lehre zusammengehören. Nägele bezeichnet daher Brechts Lehrstücke als »Einübung ins Beobachtetwerden«83, insofern der einseitige oder dialektische Blick nicht zur Versöhnung in gegenseitiger Anerkennung führt. Hinter Brechts »Theater des wissenschaftlichen Zeitalters« verbirgt sich so eine umfangreiche Befragung der Prämissen der Evidenz, des Wissens und der Wahrheit: In dem »Blicknetz«, als das sich die Theaterszene ausweist, stehen sowohl das »allwissenden Auge Gottes« als auch das »[nüchterne] Pathos wissenschaftlicher Evidenz« auf dem Spiel.84 Auf diesem Schauplatz ist einerseits das Paradigma der Sichtbarkeit, andererseits die Trennung zwischen Sehen und Handeln in Frage gestellt: »[D]ass Sehen auch ein Handeln ist«85 und »Wissen […] nicht eine Menge von Kenntnissen, [sondern] eine Position«86, macht auch Rancières »Szene des Dissens« aus, die sich vornimmt, »die etablierten Beziehungen zwischen Sehen, Machen und Sprechen neu zu formulieren«87. Denn den genuin theatralen Momenten der Kritik nachzugehen, heißt mit Rancière auch, das Privileg des Lehrmeisters zu stören, der immer von der Identität von Ursache und Wirkung [ausgeht]. Diese angenommene Gleichheit zwischen Ursache und Wirkung beruht auf dem Privileg, das der Meister sich gibt: das Wissen um die ›gute‹ Distanz und um die Mittel, sie zu überbrücken. […]. In der Logik der Emanzipation gibt es zwischen dem unwissenden

81

Bertolt Brecht, »Fatzer«, in: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe (GBA): Stücke, hg. von Werner Hecht u.a., Bd. 10.1: Stückfragmente und Stückprojekte (Frankfurt am Main; Berlin: Suhrkamp; Aufbau-Verlag, 1997), S. 387–529, hier S. 477.

82

Ebd.

83

Nägele, »Ästhetik der Wahrnehmung«, S. 37.

84

Ebd., S. 37 bzw. S. 31.

85

Rancière, Zuschauer, S. 23.

86

Ebd., S. 19.

87

Ebd., S. 30.

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Lehrmeister und dem emanzipierten Lehrling immer eine dritte Sache – ein Buch oder irgendein Stück Schrift –, die sowohl dem einen als auch dem anderen fremd ist […].88

Für das Theater heißt das: Es »ist nicht die Übermittlung des Wissens oder des Atems vom Künstler zum Zuschauer«, sondern »eine dritte Sache, die niemand besitzt, und deren Sinn niemand besitzt, die sich zwischen ihnen hält und jede identische Übertragung, jede Identität von Ursache und Wirkung unterbindet«.89 Entgegen Rancières Lektüre aber lässt sich dieses theatrale Moment der Kritik und des Wissens nur mit Brechts und Artauds starken Begriffen von Szene und Bild denken, die insofern darstellungstheoretisch und bildkritisch funktionieren, als sie sich am »Mythos der Sichtbarkeit«90 abarbeiten und die Vergegenwärtigungs- und Distanzierungsleistungen des Vor-Augen-Stellens zur Debatte stellen. Benjamin denkt die Brecht’sche Szene weiter, indem er nicht nur die anti-sukzessive »Unterbrechung von Abläufen« betont, sondern die epische Theaterszene zudem als Familien-Szene ausweist.91 In diesem zweifachen Motiv der Gattung ist derjenige »Saumpfad« markiert – anachronistisch, »struppig und verwildert« –, von dem aus ein anderer Typus der Erkenntnis vorgeschlagen wird.

88

Ebd., S. 25.

89

Ebd.

90

Ralf Simon, »Was ist ›Bildkritische Literaturwissenschaft‹?«, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 55, Nr. 1 (2010), S. 49–68, hier S. 61. »Vielleicht ist gerade die Kritik dieses [Mythos der Sichtbarkeit], Bild könne nur heißen, was sichtbar ist, eine der wesentlichen Aufgaben der Bildkritik.«

91

Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I)«, S. 522: »Das epische Theater gibt also nicht Zustände wieder, es entdeckt sie vielmehr. Die Entdeckung der Zustände vollzieht sich mittels der Unterbrechung der Abläufe. Das primitivste Beispiel: eine Familienszene. Plötzlich tritt da ein Fremder ein. Die Frau war gerade im Begriff, ein Kopfkissen zu ballen, um es nach der Tochter zu schleudern; der Vater im Begriff, das Fenster zu öffnen, um einen Schupo zu holen. In diesem Augenblick erscheint in der Tür der Fremde. ›Tableau‹, wie man um 1900 zu sagen pflegte. Das heißt: der Fremde stößt jetzt auf einen Zustand: zerknülltes Bettzeug, offenes Fenster, verwüstetes Mobiliar. Es gibt aber einen Blick, vor dem auch die gewohnten Szenen des bürgerlichen Lebens sich nicht viel anders ausnehmen.«

(Aus-)Tausch/obligations: What Maisie Knew

M AISIES F AMILIE , J AMES ’ Ö DIPUS Imagine an older man intrigued by the following story: a young girl is drawn – perhaps in all innocence, perhaps in frightened or even fascinated complicity – into an adult, adulterous sexual tangle involving her father and an Other Woman, a woman she had come to trust. How would this play itself out, how would the daughter’s observations and principles make themselves felt? How would she bear the burden of her knowledge? What would that knowledge do to her? Add to this set of questions another set, of equal interest to the older man: How can this story be told? Who can tell it? Can the daughter tell it unaided? Or must her account be supplemented and revised by a more informed, a more articulate, adult consciousness? And if it is so supplemented, how can the adult be sure he is getting the story straight, setting it down in unadulterated form? That is, how can he be sure that his telling of the story isn’t itself a further violation of the young girl’s particular integrity?1

Das ist der erste Absatz von Neil Hertz’ Lektüre von James’ 1897 erschienenem Roman What Maisie Knew und eine Paraphrasierung des für die New York Edition entstandenen Preface. In dem Zusammenschnitt überblendet Hertz, so erklärt er im Folgenden, »Dora’s Case« – Freuds berühmte Fallstudie Ida Bauers (»Dora«) in Bruchstück einer Hysterie-Analyse (1905) – und »Maisie’s story«. What Maisie Knew ist ein Roman über Scheidung, Wiederheirat, Ehebruch und über Sorgerechtsfragen. Erzählt wird von Maisie, »the child whose parents divorce and who makes such an extraordinary link between a succession of people«2. Ihre Eltern Beale and Ida Farange lassen sich scheiden, Beale heiratet

1

Neil Hertz, »Dora’s Secrets, Freud’s Techniques«, in: Diacritics 13, Nr. 1 (Frühjahr

2

James, Complete Notebooks, S. 147.

1983), S. 61–80, hier S. 61.

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Miss Overmore, Maisies attraktive Gouvernante, Ida heiratet Sir Claude. Ida und Beale sorgen sich weniger um das Kind, denn um anderweitige Liebesdinge, und Maisie verbleibt unterdessen bei Sir Claude. Als dieser sich mit Miss Overmore/Mrs. Beale zusammentut, ist es an Maisie, zu entscheiden, ob sie sich unter die Obhut des neuen Paars begibt und aus Stiefvater und Stiefmutter Familie macht. Sie entscheidet sich jedoch, fortan mit ihrer verschrobenen Gouvernante Mrs. Wix zu leben. Als einer »old frumpy governess«, wie James in den Notebooks verzeichnet, sind von ihr keine weiteren erotischen oder matrimonialen Abenteuer zu erwarten.3 In What Maisie Knew geht es entsprechend nicht nur um den plot des Familiendramas, sondern um »[the] psychologically and linguistically involuted exploration of adultery from a child’s perspective«4. »A child’s perspective« bezeichnet hier die mögliche Diskrepanz von Wahrnehmen und Verstehen, die Ökonomien des Sagens/Aussprechens und die Medialisierungen des Wissens. Maisie wird – so will es das Preface – zu James’ »register of impressions« und »light vessel of consciousness«, besitzt sie doch »perceptions easily and almost infinitely quickened«.5 Worum sich dabei James in »Maisie’s Case« und Freud in »Dora’s Case« gleichermaßen sorgen, ist »the risk of being accused of a perverse and distasteful confusion, of not striking the right balance between the child’s world and the adult’s«6. Wird das Kind im Roman »a centre and pretext for a fresh system of misbehaviour, a system moreover of a nature to spread and ramify«, fürchtet James »the constant force that makes for muddlement«.7 Wiederholt nicht der Erzähler und Autor – so fragt James – das Verbrechen gegenüber der Unschuld des Kindes, wenn er es zum Zentrum einer Erwachsenenwelt macht, die es nicht versteht? »Of course«, räumt James ein, »I was punctually to have had read to me the lesson that the ›mixing-up‹ of a child with anything unpleasant confessed itself an aggravation of the unpleasantness, and that nothing could well be more disgusting than to attribute to Maisie so intimate an ›acquaintance‹ with the gross immoralities surrounding her«.8 Auch Freuds Vorwort von Bruchstück einer Hysterie-Analyse artikuliert Skrupel hinsichtlich der Veröffentlichung jener »Intimitäten« und »Geheimnis-

3

Ebd., S. 151.

4

Teahan, Rhetorical Logic, S. 38.

5

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1157ff.

6

Hertz, »Dora’s Secrets«, S. 61.

7

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1158 bzw. S. 1164.

8

Ebd., S. 1163; vgl. Hertz, »Dora’s Secrets«, S. 61.

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se«, die die Analyse als Ursache der hysterischen Symptome herausgefunden hat: Die Veröffentlichung meiner Krankengeschichten bleibt für mich eine schwer zu lösende Aufgabe, auch wenn ich mich um jene einsichtslosen Übelwollenden weiter nicht bekümmere. Die Schwierigkeiten sind zum Teil technischer Natur, zum andern Teil gehen sie aus dem Wesen der Verhältnisse selbst hervor. Wenn es richtig ist, daß die Verursachung der hysterischen Erkrankungen in den Intimitäten des psychosexuellen Lebens der Kranken gefunden wird und daß die hysterischen Symptome der Ausdruck ihrer geheimsten verdrängten Wünsche sind, so kann die Klarlegung eines Falles von Hysterie nicht anders, als diese Intimitäten aufdecken und diese Geheimnisse verraten.9

Im Vorgehen der Psychoanalyse ist die Sexualisierung der Kindheit eine »Unvermeidlichkeit«, die in jedem Fall aufs Neue unter Beweis gestellt wird: Von der Unvermeidlichkeit der Berührung sexueller Themata muß man überzeugt sein, ehe man eine Hysteriebehandlung unternimmt, oder muß bereit sein, sich durch Erfahrungen überzeugen zu lassen. Man sagt sich dann: pour faire une omelette it faut casser des oeufs. Die Patienten selbst sind leicht zu überzeugen; der Gelegenheiten dazu gibt es im Laufe der Behandlung allzu viele. Man braucht sich keinen Vorwurf daraus zu machen, daß man Tatsachen des normalen oder abnormen Sexuallebens mit ihnen bespricht.10

Die Psychoanalyse bedarf der »Intimitäten« und »Geheimnisse«, um als Übersetzung vom Unbewussten zum Bewussten fungieren zu können. Die Sexualisierung des Kindes ist so Freud zufolge nicht der – wie James fürchtet – »confusion […] between the child’s world and the adult’s« geschuldet, sondern die Voraussetzung des Erkenntnisprozesses von Patient und Analytiker gleichermaßen: Wenn man einigermaßen vorsichtig ist, übersetzt man ihnen bloß ins Bewußte, was sie im Unbewußten schon wissen, und die ganze Wirkung der Kur ruht ja auf der Einsicht, daß die Affektwirkungen einer unbewußten Idee stärker und, weil unhemmbar, schädlicher sind als die einer bewußten. Man läuft niemals Gefahr, ein unerfahrenes Mädchen zu verderben; wo auch im Unbewußten keine Kenntnis sexueller Vorgänge besteht, da kommt auch kein hysterisches Symptom zustande. Wo man Hysterie findet, kann von ›Gedankenunschuld‹ im Sinne der Eltern und Erzieher keine Rede mehr sein. Bei 10-, 12- und

9

Sigmund Freud, Bruchstücke einer Hysterie-Analyse (Frankfurt am Main: Fischer, 1993), S. 9.

10

Ebd., S. 50; vgl. Hertz, »Dora’s Secrets«, S. 61 und 66.

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14jährigen Kindern, Knaben wie Mädchen, habe ich mich von der ausnahmslosen Verläßlichkeit dieses Satzes überzeugt.11

Die Frage nach dem Erkenntnisprozess ist bereits in James’ Titel gestellt: »What Maisie Knew« deutet darauf hin, dass nach Geheimnissen gefragt wird, Intimitäten nach und nach ans Licht kommen sowie das ›unmenschliche‹ Triebverhalten der Erwachsenenwelt zur Anklage gebracht wird. Doch anstelle von Freuds lesbaren Symptomen und deren Verlässlichkeit lautet der letzte Satz des Romans ›immer noch‹: »She [Mrs. Wix] still had room to wonder at what Maisie knew.«12 Freuds Fall gibt vor, in Doras/Idas Eifersucht gegenüber der Geliebten des Vaters und ihrem Begehren des Vaters den Schlüssel für die hysterischen Symptome gefunden zu haben. Den »standard account of the relation between hysterical symptoms, secrets and sexuality« fasst Hertz zusammen: »an infantile practice, most often masturbatory, is repressed throughout the latency period, then reappears in puberty, converted into a symptom. What Dora knows, what is written in her physical symptoms, she only knows unconsciously and after the fact, nachträglich, and if she is to come to know it consciously, she needs the help of an interlocutor«.13 Weder Maisie noch James’ Text entlarven ein vergleichbares Geheimnis. Doch auch James konzipiert die Frage nach der Erkenntnis – darin Freuds Fall vergleichbar – in den Figuren von Analytiker/Patient, bewusst/unbewusst, Symptom/Übersetzung: »Small children have many more perceptions than they have terms to translate them«, schreibt James im Preface und entwickelt daraus eine komplizierte Struktur der Übersetzung, die Teahan pointiert zusammenfasst: If Maisie is an »infant« in the etymological sense of infans, speechless or without language, then the »great gaps and voids« of her linguistic resources must be filled by the narrator himself. Thus, although »Maisie’s terms accordingly play their part«, the narrator’s »own commentary constantly attends and amplifies«, translating Maisie’s perceptions into »figures that are not yet at her command«.14

11 12

Freud, Bruchstücke einer Hysterie-Analyse, S. 50. Henry James, What Maisie Knew, in: The Novels and Tales of Henry James. The New York Edition, Bd. 11 (New York: Charles Scribner’s Sons, 1922), S. 363. Im Folgenden Seitenangaben in Klammern im Text.

13

Hertz, »Dora’s Secrets«, S. 73.

14

Teahan, Rhetorical Logic, S. 39f.

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In narratologischer Terminologie ist James’ Repräsentationsstruktur als »dissonant psycho-narration« beschreibbar, als »narrative representation of preverbal subjectivity in language other than the character’s«.15 Der Erzähler fungiert als sogenannter focalizer und nimmt eine Position der Distanz zu der Figur ein, die er fokalisiert.16 Wenn Teahan schreibt: »The narrator fills out the lacunae of Maisie’s linguistic resources and mediates her preverbal consciousness. His relation to her is one of translation or metaphor, through those words shared etymological meaning of a transference or carrying over«17, dann hat das insofern mit Freuds Analyse zu tun, als sie vorgibt, die Affektwirkungen in der Übersetzung vom Unbewussten zum Bewussten benennbar und dadurch interpretierbar zu machen. James’ »register of impressions«18 speichert die »images and echoes« wie das Unbewusste und ist »light vessel of consciousness«19 nur durch den Erzähler. Dafür ist die folgende Passage beispielhaft: By the time she had grown sharper, as the gentlemen who had criticised her calves used to say, she found in her mind a collection of images and echoes to which meanings were attachable – images and echoes kept for her in the childish dusk, the dim closet, the high drawers, like games she wasn’t yet big enough to play. The great strain meanwhile was that of carrying by the right end the things her father said about her mother – things mostly indeed that Moddle, on a glimpse of them, as if they had been complicated toys or difficult books, took out of her hands and put away in the closet. A wonderful assortment of objects of this kind she was to discover there later, all tumbled up too with the things, shuffled into the same receptacle, that her mother had said about her father. (S. 12)20

15

Ebd., S. 40.

16

Vgl. zu dieser Terminologie Steven Cohan und Linda M. Shires, Telling Stories: A Theoretical Analysis of Narrative Fiction (New York: Routledge, 1988), S. 100f.; Mieke Bal, Narratologie. Essais sur la signification narrative dans quatre romans modernes (Paris: Klincksieck, 1977); darin vor allem »Narration et focalisation: pour une theorie des instances du recit«, S. 19–39.

17

Sheila Teahan, »›What Maisie Knew‹ and the Improper Third Person«, in: Studies in American Fiction 21, Nr. 2 (Herbst 1993), S. 127–140, hier S. 127.

18

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1157.

19

Ebd., S. 1159.

20

Meine Lektüre entspricht hier Teahans Einschätzung, dass »[t]his passage covertly addresses the novel’s central concern with the relation between language and knowledge.« Teahan, Rhetorical Logic, S. 42.

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In dieser Logik wäre der Erzähler diejenige »proper third person«, die Kraft des Scheidungsurteils Maisie zur Seite gestellt werden soll: [Maisie] was divided in two and the portions tossed impartially to the disputants. They would take her, in rotation, for six months at a time; she would spend half the year with each. This was odd justice in the eyes of those who still blinked in the fierce light projected from the tribunal – a light in which neither parent figured in the least as a happy example to youth and innocence. What was to have been expected on the evidence was the nomination, in loco parentis, of some proper third person, some respectable or at least some presentable friend. (S. 4)

Eine solche Person ist nicht auffindbar – »[a]pparently, however, the circle of the Faranges had been scanned in vain for any such ornament« (S. 4): Wer also besetzt diese Position in loco parentis? Der Text spielt damit, die Position durch den Erzähler zu besetzen – »[a]s attendant of the child – ampilifier of her experience and translator of her perceptions – the narrator sounds very much like a caretaker«21. Durch die »agency of a paternal narrator«22 wird Maisies Geschichte als jene »successive stages of her knowledge« rekonstruierbar, bis hin zu »the very climax of the concatenation« (S. 281), womit What Maisie Knew ganz in die Gefilde des Ödipalen übersetzbar wäre. Hier würde die alte Geschichte von König Ödipus reinszeniert, der schrittweise zur Erkenntnis einer verborgenen Wahrheit gelangt. Was Ödipus entdeckt – folgt man Freud, Lacan und später Barthes –, ist nicht zufällig, sondern strukturell Familien-Szene: Diese FamilienSzene ist die Szene der Entdeckung des Ursprungs als Entdeckung der Differenz. Entsprechend verweist Rivkin darauf, dass Maises Entdeckung der (sexuellen) Differenz als »[fitting] the psychoanalytical model« gelesen werden kann – »the oedipal stage is marked by the daughter’s discovery of the father, and with it the discovery of separateness, sexual difference, and lack«.23 Die angedeutete

21

Rivkin, False Positions, S. 133.

22

Ebd., S. 132.

23

Ebd., S. 138. Rivkin bezieht sich auf folgende Passage: »Some of these gentlemen made her strike matches and light their cigarettes; others, holding her on knees violently jolted, pinched the calves of her legs till she shrieked – her shriek was much admired – and reproached them with being toothpicks. The word stuck in her mind and contributed to her feeling from this time that she was deficient in something that would meet the general desire. She found out what it was: it was a congenital tendency to the production of a substance to which Moddle, her nurse, gave a short ugly name, a name painfully associated at dinner with the part of the joint that she

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quasi-inzestuöse Beziehung, die Maisie im Verlauf der Romanhandlung zu ihrem Stiefvater Sir Claude entwickelt, wäre dann das transferierte Begehren nach dem abwesenden Vater. Dass Ödipus wider besseres Wissen und entgegen bester Intentionen den Vater umbringt und die Mutter heiratet – die alles dafür getan haben, dass sich das Orakel nicht bewahrheitet –, entspricht, was Todorov in Bezug auf James »the quest for an absolute and absent cause« nennt: »The secret of Jamesian narrative is precisely the existence of an essential secret, of something not named, of an absent and superpowerful force which sets the whole present machinery of the narrative in motion«.24 Entsprechend bestimmt Barthes die »Lust am Text« insofern als eine »ödipale Lust«, als sie »den Ursprung und das Ende [zu] entkleiden, [zu] wissen, [zu] erfahren« sucht.25 Vaterschaft steht in dieser Logik als telos der Erzählung ein und als Stabilisierung ursprünglicher Identität, »wenn es war ist, daß jede Erzählung (jede Enthüllung der Wahrheit) eine Inszenierung des (abwesenden, verborgenen oder hypostasierten) Vaters ist«26. Wie Rivkin aber betont, ist der romaneske Text zugleich das »undoing« seiner ödipalen Narrativierung durch den Autor-Gestus des Preface: »Instead of following the oedipal narrative model, in which the son moves toward the truth in the discovery of the secret of origins, What Maisie Knew disperses the secret through a narrative irony that precludes distinguishing between parent and child, paternal narrator und pre-sentient daughter.«27 In dieser Anordnung verflüchtigt

didn’t like. She had left behind her the time when she had no desires to meet, none at least save Moddle’s, who, in Kensington Gardens, was always on the bench when she came back to see if she had been playing too far. Moddle’s desire was merely that she shouldn’t do that, and she met it so easily that the only spots in that long brightness were the moments of her wondering what would become of her if, on her rushing back, there should be no Moddle on the bench. They still went to the Gardens, but there was a difference even there; she was impelled perpetually to look at the legs of other children and ask her nurse if they were toothpicks. Moddle was terribly truthful; she always said: ›Oh my dear, you’ll not find such another pair as your own.‹ It seemed to have to do with something else that Moddle often said: ›You feel the strain – that’s where it is; and you’ll feel it still worse, you know« (S. 10f.). 24

Tzvetan Todorov, Poetics of Prose (Ithaca: Cornell University Press, 1977), S. 145;

25

Barthes, Die Lust am Text, S. 17; vgl. Rivkin, False Positions, S. 123.

26

Barthes, Die Lust am Text, S. 17.

27

Rivkin, False Positions, S. 135.

zitiert nach Rivkin, False Positions, S. 123.

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sich die Position des Wissens. Im Wechselspiel zwischen Figur und Erzähler wird der locus parentis zu einem locus filiae, zu einer nur relational bestimmbaren Position.28 Folgt man Hertz’ Überblendung des Falls Maisie und des Falls Dora, lässt sich der locus filiae als »confusion of tongues« beschreiben: Suppose what Freud missed, or did not wish to see, was not that he was drawn to (or repelled by) Dora, but that he ›was‹ Dora, or rather that the question of who was who was more radically confusing than even nuanced accounts of unacknowledged transferences and counter-transferences suggest? Is it possible that one of the sources of energy and of distortion in the ›Fragment of an Analysis…‹ is to be located here, in the confusion of tongues between an author and his young surrogate […].29

In der Konstellation von Patientin und Analytiker, von Figur und Erzähler, steht der Ort der Autorisierung im Text zur Debatte. Maisie und der Erzähler sind gleichermaßen der Un-Ort der Übersetzung und Übertragung. Während James’ Preface mit den perceptions eine vorsprachliche Ordnung installiert, handelt es sich zwischen Maisie und dem Erzähler vielmehr um innersprachliche Operationen zwischen dem Literalen und dem Metaphorischen: Denn »Maisie’s terms« sind es, die der Erzähler übersetzt in die entsprechenden »figures that are not yet at her command«.30 Genau das ist der Vorgang, den Freud für die Lektüre des Unbewussten angibt. Der Fall Dora sollte ursprünglich mit »Traum und Hysterie« betitelt werden, »weil [die Hysterie] mir ganz besonders geeignet schien«, begründet Freud, »zu zeigen, wie sich die Traumdeutung in die Behandlungsgeschichte einflicht und wie mit deren Hilfe die Ausfüllung der Amnesien und die Aufklärung der Symptome gewonnen werden kann«.31 Entsprechend gliedert sich die Abhandlung in ein Vorwort, ein Kapitel zum »Krankheitszustand«, den Bericht und die »Deutung« zweier Träume und ein Nachwort. Folgendes ist Freuds Wiedergabe von Doras zweitem Traum, für den ein längeres Zitat lohnt: Dora erzählte: Ich gehe in einer Stadt, die ich nicht kenne, spazieren, sehe Straßen und Plätze, die mir fremd sind. ([Fußnote]: Hierzu der wichtige Nachtrag: Auf einem der Plätze sehe ich ein Monument.) Ich komme dann in ein Haus, wo ich wohne, gehe auf mein Zimmer und finde dort einen Brief der Mama liegen. Sie schreibt: Da ich ohne Wissen der Eltern vom Hause fort bin, wollte sie mir nicht schreiben, daß der Papa erkrankt ist. Jetzt

28

Vgl. ebd.

29

Hertz, »Dora’s Secrets«, S. 67.

30

Teahan, Rhetorical Logic, S. 42.

31

Freud, Bruchstücke einer Hysterie-Analyse, S. 12.

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ist er gestorben, und wenn Du willst ([Fußnote]: Dazu der Nachtrag: Bei diesem Worte stand ein Fragezeichen: willst?), kannst Du kommen. Ich gehe nun zum Bahnhofe und frage etwa 100mal: Wo ist der Bahnhof? Ich bekomme immer die Antwort: Fünf Minuten. Ich sehe dann einen dichten Wald vor mir, in den ich hineingehe, und frage dort einen Mann, dem ich begegne. Er sagt mir: Noch 2 1/2 Stunden. ([Fußnote]: Ein zweites Mal wiederholt sie: 2 Stunden.) Er bietet mir an, mich zu begleiten. Ich lehne ab und gehe allein. Ich sehe den Bahnhof vor mir und kann ihn nicht erreichen. Dabei ist das gewöhnliche Angstgefühl, wenn man im Traume nicht weiter kommt. Dann bin ich zu Hause, dazwischen muß ich gefahren sein, davon weiß ich aber nichts. – Trete in die Portierloge und frage ihn nach unserer Wohnung. Das Dienstmädchen öffnet mir und antwortet: Die Mama und die anderen sind schon auf dem Friedhofe. ([Fußnote]: Dazu in der nächsten Stunde zwei Nachträge: Ich sehe mich besonders deutlich die Treppe hinaufgehen, und: Nach ihrer Antwort gehe ich, aber gar nicht traurig, auf mein Zimmer und lese in einem großen Buche, das auf meinem Schreibtische liegt.32

Zu dem Traum bemerkt Freud, dass seine »Deutung […] nicht ohne Schwierigkeiten vor sich [ging]. Infolge der eigentümlichen, mit seinem Inhalte verknüpften Umstände, unter denen wir abbrachen, ist nicht alles geklärt worden, und damit hängt wieder zusammen, daß meine Erinnerung die Reihenfolge der Erschließungen nicht überall gleich sicher bewahrt hat«33. Vielleicht wegen dieser »Schwierigkeiten« der sich entziehenden Bedeutung besteht ein wesentliches Moment innerhalb der Aufrechterhaltung der Konstellation Patientin-Analytiker in der Übersetzung von Doras zitiertem Bericht in die dritte Person (James’ »proper third person«). Erst durch diese Übersetzung der Ich-Form können Rede und Psyche der Patientien vom Analytiker zum Objekt und Gegenstand der Analyse gemacht werden: »Sie irrt allein in einer fremden Stadt, sieht Straßen und Plätze. Sie versichert, es war gewiß nicht B., worauf ich zuerst geraten hatte, sondern eine Stadt, in der sie nie gewesen war. Es lag nahe, fortzusetzen: Sie können ja Bilder oder Fotografien gesehen haben, denen Sie die Traumbilder entnehmen«34, und so weiter. Entscheidend dabei ist, dass Freuds Traumdeutung im Folgenden quasi textkritisch vorgeht, nicht nur Wort für Wort entschlüsselt, sondern mit dem analytischen Kommentar bei der figurativen Bedeutung der Worte ansetzt, die Dora (glauben wir dem Zitat) benutzt hat:

32

Ebd., S. 93.

33

Ebd., S. 94.

34

Ebd.

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Jetzt wurde ein Verdacht bei mir zur Gewißheit. Bahnhof ([Fußnote]: Der ›Bahnhof‹ dient übrigens dem ›Verkehre‹. Die psychische Umkleidung mancher Eisenbahnangst.) und Friedhof, an Stelle von weiblichen Genitalien, war auffällig genug, hatte aber meine geschärfte Aufmerksamkeit auf das ähnlich gebildete ›Vorhof‹ gelenkt, einen anatomischen Terminus für eine bestimmte Region der weiblichen Genitalien. Aber das konnte ein witziger Irrtum sein. Nun, da die ›Nymphen‹ dazukamen, die man im Hintergrunde des ›dichten Waldes‹ sieht, war ein Zweifel nicht mehr gestattet. Das war symbolische Sexualgeographie! Nymphen nennt man, wie dem Arzte, aber nicht dem Laien bekannt, wie übrigens auch ersterem nicht sehr gebräuchlich, die kleinen Labien im Hintergrunde des ›dichten Waldes‹ von Schamhaaren. Wer aber solche technische Namen wie ›Vorhof‹ und ›Nymphen‹ gebrauchte, der mußte seine Kenntnis aus Büchern geschöpft haben, und zwar nicht aus populären, sondern aus anatomischen Lehrbüchern oder aus einem Konversationslexikon, der gewöhnlichen Zuflucht der von sexueller Neugierde verzehrten Jugend. Hinter der ersten Situation des Traumes verbarg sich also, wenn diese Deutung richtig war, eine Deflorationsphantasie, wie ein Mann sich bemüht, ins weibliche Genitale einzudringen […].35

Hinter dem Literalsinn der Worte entschlüsselt der Analytiker diverse Figurationen, eine ganze »symbolische Sexualgeographie«: Hinter »Bahnhof« verbirgt sich synekdochisch »Verkehr«, »Verkehr« steht metaphorisch für weibliche Genitalien etc. Am Grunde dieser Operationen aber verbirgt sich die Annahme, alle Rede funktioniere insoweit figurativ, als in ihr eine eigentlich-literale Bedeutung zu entschlüsseln sei: Hinter allen Worten und Träumen verbirgt sich Sexualität als master signifier und Eigentliches. Maisie hingegen wird nicht nur zur Figur des Erzählers gemacht. Ihre Eltern – nach der Scheidung von bitterness (S. 5) erfüllt – lassen keine Gelegenheit aus, Maisie nicht nur zum messenger, sondern zur message zu machen: »What was clear to any spectator was that the only link binding her to either parent was this lamentable fact of her being a ready vessel for bitterness, a deep little porcelain cup in which biting acids could be mixed« (S. 5) – Maisie selbst ist, was die Eltern untereinander austauschen. Insofern stimmt nur teilweise, dass What Maisie Knew von der Emanzipation von kindlich-literalem Sprachgebrauch hin zur (post-strukturalistischen) Entdeckung zeugt, dass alle Bedeutung insofern figuriert ist, als sie an Sprache gebunden ist und diese auch bedeutungsverschiebend funktioniert.36 Vielmehr offenbart Maisie eine skandalös-»bestialische« Freude

35

Ebd., S. 98.

36

Vgl. zu dieser Lesart: Rivkin, False Positions.

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an der Literalisierung, wenn sie sich nicht zum Übersetzer der Hassbotschaften machen lässt, sondern mit deren Wörtlichkeit auftrumpft: »And did your beastly papa, my precious angel, send any message to your own loving mamma?« Then it was that she found the words spoken by her beastly papa to be, after all, in her little bewildered ears, from which, at her mother’s appeal, they passed, in her clear shrill voice, straight to her little innocent lips. »He said I was to tell you, from him«, she faithfully reported, »that you’re a nasty horrid pig!« (S. 13; Hervorhebung SW)

Insofern ist Teahans Beobachtung überzeugend, dass »if we access to Maisie’s knowledge only through the narrator’s figures, her knowledge has no literal term, and his relation to Maisie is one of catachresis. Despite the preface’s claim to the contrary, the figures deployed by the narrator are grounded in no prior literal referent.«37 Die Ursprünglichkeit des Literalen kollabiert hier ebenso wie die strikte Unterscheidung zwischen Literal- und Figuralbedeutung, auf der die gesamte Anordnung von Patientin und Analytiker, Figur und Erzähler basiert. Die Trennung wird durch eine Bewegung des »overflow« unterbrochen, in die Maisie – »undoing the oedipal« – die »successive stages of her knowledge« überführt: She judged that if her whole history, for Mrs. Wix, had been the successive stages of her knowledge, so the very climax of the concatenation would, in the same view, be the stage at which the knowledge should overflow. As she was condemned to know more and more, how could it logically stop before she should know Most? It came to her in fact as they sat there on the sands that she was distinctly on the road to know Everything. She had not had governesses for nothing: what in the world had she ever done but learn and learn and learn? She looked at the pink sky with a placid foreboding that she soon should have learnt All. They lingered in the flushed air till at last it turned to grey and she seemed fairly to receive new information from every brush of the breeze. By the time they moved homeward it was as if this inevitability had become for Mrs. Wix a long, tense cord, twitched by a nervous hand, on which the valued pearls of intelligence were to be neatly strung. (S. 281f.)

Liest man diese Passage nicht als den Beweis von mangelndem Wissen, sondern als Teil dessen, what Maisie knew, so wird der Text selbst zu einer szenischen Anordnung und einer Schreibszene.38

37

Teahan, Rhetorical Logic, S. 53.

38

Vgl. zum Begriff der Schreibszene Campe, »Die Schreibszene, Schreiben«.

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K INDHEIT : I NZEST , A USTAUSCH In dieser Szene – in der Anordnung von Figur und Erzähler, von Wörtlichkeit und Übertragung, von Bild und Erzählung – steht der Status der Kindheit zur Debatte. Das zentrale Moment des undoing der ödipalen Familie liegt in dem Zusammenhang zwischen der Dekonstruktion letzter Wahrheiten oder Geheimnisse in der ödipalen Ordnung des Narrativen und der Befragung der Kindheit als Urszene. James’ Preface zu Maisie ist zwar durchzogen von denjenigen Motiven des Ausgleichs und der Equilibrierung, die auch die Ökonomien der Differenz in The Golden Bowl auszeichnen: »that for a proper symmetry the second parent should marry too«39, heißt es über What Maisie Knew, was für The Golden Bowl »that for a proper symmetry the second couple should marry too« heißen könnte. Innerhalb der familialen Ordnung von What Maisie Knew aber ist Austausch das zentrale Moment: »The early relation would be exchanged for a later«40, steht für die wiederholten Bewegungen der Substitution. Im Preface schreibt James: »the light in which the vision so readily grew to a wholeness was that of a second marriage on both sides.«41 Was steht darin zur Debatte? »So finden wir also immer ein Tauschsystem am Ursprung der Heiratsregeln«42, schreibt Claude Lévi-Strauss in Les Structures élémentaires de la parenté (1949), mit denen er sich vornimmt, eine »Einführung in eine allgemeine Theorie der Verwandtschaftssysteme«43 zu liefern. Als universelle Struktur versteht Lévi-Strauss den Tausch oder Austausch, der durch bestimmte Regeln festgelegt wird: In strukturalistischer Manier bestimmen die Heiratsverbote die Selektion der »Gabe« und die legitimen Kombinationsmöglichkeiten. Judith Butler spricht in Gender Trouble überzeugend vom »kritischen Austausch des Strukturalismus«: [Lévi-Strauss’] Thesen in Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft zufolge werden die Tauschobjekte, die die Verwandtschaftsbeziehungen festigen und zugleich ausdifferenzieren, von den Frauen gebildet, die durch die Institution Ehe als Gabe von einer patrilinearen Sippe an die andere überreicht werden. Die Braut, die Gabe, das Tauschobjekt stellt »ein Zeichen, einen Wert« dar, das einen Tauschfluß eröffnet. Dieser Austausch

39

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1156.

40

Ebd., S. 1157.

41

Ebd., S. 1158.

42

Claude Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, 3. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009), S. 639.

43

Ebd., S. 16.

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dient nicht nur dem funktionalen Zweck, den Handel zu erleichtern, sondern erfüllt auch den symbolischen oder rituellen Zweck, die inneren Bande, die kollektive Identität jeder Sippe zu festigen, die sich durch diesen Akt ausdifferenziert. 44

Entscheidend für den hiesigen Kontext ist, dass Lévi-Strauss eine Nomenklatur zu Grunde legt, die auf der Idee eines tendenziell einmaligen und abgrenzbaren Austauschs beruht, der stabilisierende Funktion hat. Das Inzesttabu liefert mit dem – wenn auch unterschiedlich applizierten – Kriterium der Konsanguinität diejenige gesellschaftliche Regel des Austauschs, die die Universalität der Verwandtschaftsstrukturen ausmacht.45 Was Lévi-Strauss in den Traurigen Tropen 1955 präziser ausformulieren wird, durchzieht auch die Strukturen der Verwandtschaft: Das Inzestverbot markiert die attestierte Differenz von Natur und Kultur bzw. Natur- und Kulturzustand.46 Mit Freuds Totem und Tabu (1912/13) teilt Lévi-Strauss die Annahme, dass das Verbot (oder Tabu) auf ein besonderes Begehren schließen lässt: »[B]ei der Suche nach dem Ursprung eines Verbots gelingt es [Freud] zu erklären, zwar nicht, warum der Inzest bewusst verurteilt wird, sondern wie es kommt, daß er unbewußt begehrt wird.«47 Freuds Totem und Tabu analysiert verschiedene Stufen oder Phasen der Triebsublimierung, die er analog zur Ontogenese auf die phylogenetische Entwicklung projiziert.48 Lévi-Strauss folgt Freud nicht in der Annahme, die verschiedenen Stufen der Triebsublimierung seien historische und empirische Tatsachen; er übernimmt aber aus Freuds Logik die strikte Trennung zwischen der trieb-sublimierenden Leistung des Kulturellen und einem unbewussten Begehren, das sich außerhalb der Kultur – in einem phantasmatischen Zustand des Natürlichen – bewegt: Der Wunsch nach der Mutter oder der Schwester, der Mord am Vater und die Reue der Söhne entsprechen gewiß keiner Tatsache oder Gesamtheit von Tatsachen, die in der Geschichte einen bestimmten Platz einnehmen. Aber vielleicht bringen sie symbolisch einen alten und hartnäckigen Traum zum Ausdruck. Und die Magie dieses Traums, seine Macht,

44

Butler, Unbehagen, S. 68.

45

Vgl. Lévi-Strauss, Verwandtschaft, S. 53ff. und S. 77ff.

46

Vgl. ebd., »Kapitel I. Natur und Kultur«, S. 45–56.

47

Ebd., S. 656.

48

Vgl. auch Freuds Untertitel: Sigmund Freud, Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker, in: Studienausgabe, Bd. IX: Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion, hg. von Alexander Mitscherlich, James Strachey und Angela Richards (Frankfurt am Main: Fischer, 1980), S. 287– 444.

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das Denken der Menschen ohne ihr Wissen zu formen, kommen gerade daher, daß die Taten, die er beschwört, niemals begangen worden sind, weil die Kultur sich ihnen immer und überall widersetzt hat.49

Mit Freud teilt Lévi-Strauss die Annahme, ›Kultur‹ bestehe in der »künstliche[n] Vollendung einer nicht-inzestuösen Heterosexualität«, die erst durch das Verbot entsteht und im Verbot »aus einer natürlichen und uneingeschränkten Sexualität […] extrahiert wird«.50 Die Vorstellung einer vor-ödipalen Kindheit ist in diesem Narrativ derjenige Ort, an dem – jeder und jede – den »alten und hartnäckigen Traum« des ›Natürlichen‹ wieder erleben darf, bevor das Ende der Kindheit – What Maisie Knew spricht mehrfach vom »death of childhood« – auch das Träumen beendet. Das inzestuöse Begehren ist dabei nicht nur der angenommene Urzustand der Sexualität und Zivilisation; das Inzestverbot markiert die Urszene eines durch Entfremdung und Schuld markierten Trieb- und Kulturlebens. Nicht nur wiederholt in dieser Erzählung jedes Ende der Kindheit die Vertreibung aus dem Paradies. Dieser Begriff der Kindheit – der hartnäckige Traum – ist das movens der ebenso hartnäckigen Schuldgeschichte. In der Trennung der Sphären des Bewussten und des Unbewussten bedeutet die Rekurrenz des Lévi-Strauss’schen »Traums« immer und zugleich die Rekurrenz des Schuldparadigmas. Die ödipale Konstruktion der Verinnerlichung der Autorität projiziert Freuds Unbehagen in der Kultur (1930) von der Ontogenese in die Phylogenese: Wir kennen also zwei Ursprünge des Schuldgefühls, den aus der Angst vor der Autorität und den späteren aus der Angst vor dem Über-Ich. Das erstere zwingt dazu, auf Triebbefriedigungen zu verzichten, das andere drängt, da man den Fortbestand der verbotenen Wünsche vor dem Über-Ich nicht verbergen kann, außerdem zur Bestrafung. Wir haben auch gehört, wie man die Strenge des Über-Ichs, also die Gewissensforderung, verstehen kann. Sie setzt einfach die Strenge der äußeren Autorität, die von ihr abgelöst und teilweise ersetzt wird, fort. Wir sehen nun, in welcher Beziehung der Triebverzicht zum Schuldbewußtsein steht. Ursprünglich ist ja der Triebverzicht die Folge der Angst vor der äußeren Autorität; man verzichtet auf Befriedigungen, um deren Liebe nicht zu verlieren. Hat man diesen Verzicht geleistet, so ist man sozusagen mit ihr quitt, es sollte kein Schuldgefühl erübrigen. Anders ist es im Falle der Angst vor dem Über-Ich. Hier hilft der Triebverzicht nicht genug, denn der Wunsch bleibt bestehen und läßt sich vor dem ÜberIch nicht verheimlichen. Es wird also trotz des erfolgten Verzichts ein Schuldgefühl zu-

49

Lévi-Strauss, Verwandtschaft, S. 656; vgl. Butler, Unbehagen, S. 73f.

50

Butler, Unbehagen, S. 71.

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stande kommen, und dies ist ein großer ökonomischer Nachteil der Über-Ich-Einsetzung, wie man sagen kann, der Gewissensbildung. Der Triebverzicht hat nun keine voll befreiende Wirkung mehr, die tugendhafte Enthaltung wird nicht mehr durch die Sicherung der Liebe gelohnt, für ein drohendes äußeres Unglück – Liebesverlust und Strafe von Seiten der äußeren Autorität – hat man ein andauerndes inneres Unglück, die Spannung des Schuldbewußtseins, eingetauscht.51

In der phylogenetischen Projektion in Totem und Tabu wird der von Ödipus (und in aller Kindheit wieder) getötete Vater zum Urvatermord, der den historischen Ursprung des Schuldgefühls markiert und ›Kultur‹ nicht nur zur Triebsublimierung, sondern zum Schuldzusammenhang macht. ›Kultur‹ figuriert hier, was Lévi-Strauss über die Schrift sagt – sie gehört zur »Ausbeutung des Menschen durch den Menschen«52 und folgt der gleichen linearen Logik wie der Fortschrittsplot. Bei Lévi-Strauss setzt das Prinzip des Austauschs Geschlossenheit und Totalität voraus.53 Diese Geschlossenheit produziert die vollständige und binäre Abgrenzbarkeit von Differenzen, die Separation der Sphären des Traums, der Schuld etc. Die Logik der (elementaren) Strukturen kennt keine Grauzonen, Grenzbereiche, Übergänge, keine Um- und Neubesetzungen. Liest man LéviStrauss und Freud zusammen, erweist sich das Prinzip der Rekurrenz als diejenige Logik, in der Kindheit zum verlorenen, aber wiederkehrenden Traum und zur wiederkehrenden Schuld wird. Vor diesem Hintergrund wird denkbar, dass What Maisie Knew umgekehrt als der Versuch beschrieben werden kann, das Familiale aus den Logiken des Hereditären und aus dessen Schuldgenese zu lösen. Denn Familialität und Kindheit sind hier nicht nach dem Prinzip der Rekurrenz organisiert. »[T]he child becoming a centre and pretext for a fresh system of misbehaviour, a system moreover of a nature to spread and ramify: there would be the ›full‹ irony, there the promising theme into which the hint I had originally picked up would logically flower«54, ist nur eines der Beispiele für James’ Verwendung biologischer

51

Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, in: Studienausgabe, Bd. IX: Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion, hg. von Alexander Mitscherlich, James Strachey und Angela Richards, 3. Aufl. (Frankfurt am Main: Fischer, 1980), S. 191– 270, hier S. 253f.

52

Vgl. Claude Lévi-Strauss, »Schreibstunde«, in: Sandro Zanetti (Hg.), Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2012), S. 35–48, hier S. 42; vgl. Derrida, Grammatologie, S. 208ff.

53

Vgl. zur Kritik Butler, Unbehagen, S. 70.

54

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1158.

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Metaphern. »[T]he ›full‹ irony« besteht hier in dem Prinzip der ›Verzweigung‹ oder ›Verästelung‹, das sich der hereditären Logik linearer Sukzession widersetzt. Dieses rhizomatische Prinzip55 höhlt die Geschlossenheit des Austauschs von Innen aus: [I]nstead of simply submitting to the inherited tie and the imposed complication, of suffering from them, our little wonder-working agent would create, without design, quite fresh elements of this order – contribute, that is, to the formation of a fresh tie, from which it would then (and for all the world as if through a small demonic foresight) proceed to derive great profit.56

Mit dem Denkbild Rhizom verbinden Deleuze und Guattari die Vorstellung horizontaler Produktionslogiken, die dem hereditären Prinzip vertikaler Reproduktion und der dualen Logik des Stammbaums entgegengehen. Statt wie die Baumstruktur den einen Ursprung (Urvater) ersichtlich zu machen, stellt das Rhizomatische die multiplen Produktionsmöglichkeiten in den Vordergrund, indem es diese nicht als Rekurrenz der Vergangenheit denkt. Diesem Prinzip entspricht Charles Darwins radikal a-theologisches Konzept des Zeitlichen.57 Der entscheidende Schritt, der Darwin von den Narrativen des Theologischen trennt, ist das der Evolutionstheorie inhärente Konzept des Zukünftigen. Sie funktioniert insofern radikal a-teleologisch, indem sie auf den Prinzipien der production und mutation gegründet ist, von denen die generativen Momente der diversification und selection abgeleitet sind. Das entscheidend a-teleologische Moment lässt sich im Wegfall der Prophetie des Zukünftigen verorten: Ohne einen ein telos führenden Ursprung ist der Verlauf radikal ergebnisoffen.58 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage nach dem für James’ Text relevanten Einsatz des Inzestuösen erneut stellen, das bei Antonin Artaud mit der Theaterszene zusammengehört.59

55

Vgl. zum rhizomatischen Prinzip der Multiplizität bei James: Pick, »Structures of Multiplicity«.

56

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1157f.

57

Vgl. Beer, Darwin’s Plots, S. 82; vgl. Charles Darwin, On the Origin of Species: By Means of Natural Selection or The Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (London; New York: Penguin, 2009).

58

Vgl. Beer, Darwin’s Plots, S. xviiiff.; vgl. zur A-Theologie bei Darwin: Haverkamp, »Undone by Death«.

59

Artauds Texte sind durchzogen von der Faszination für das Inzestuöse. 1935 schreibt und inszeniert er eine Bearbeitung von Percy Shelleys The Cenci (1819), in dem er nicht so sehr den Vatermord, sondern die Inzestthematik in den Vordergrund

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Artauds Theater und sein Double und dessen zentraler Begriff der »Grausamkeit« wurden, wie oben beschrieben, vielfach als die Imagination einer umfassenden ikonoklastischen Intervention gelesen, deren Stoßrichtung die Wiedergewinnung eines ursprünglichen und entfremdeten Körperbezugs wäre60 bzw. die Sehnsucht nach einer vor- oder außerrepräsentationalen Sprache.61 Während in dieser Lesart ›Kultur‹ zu jenem Double wird, das den Zugang zum verlorenen Wahren und Eigentlichen verstellt, impliziert Artauds Behandlung des Inzestuösen eine A-Theologie und A-Teleologie der Theaterszene. Besonders der erste Essay, »Das Theater und die Kultur«, legt einen melancholischen Kultur- und Theaterbegriff nahe: »Si le signe de l’époque est la confusion«, schreibt Artaud, »je vois à la base de cette confusion une rupture entre les choses, et les paroles, les idées, les signes qui en sont la représentation.«62 Gegen diesen Begriff von Kultur, gegen die Bücher und Systeme, bringt Artaud das ›Leben‹ in Stellung: als Ansturm gegen die Enteignung des Lebendigen und Wirkenden im Medium der ›Schrift‹63 unter dem Stichwort der »Kultur« oder des »Systems«.64 Kultur soll wieder »[wirkende] Kultur« (»culture en action«), »angewandte Kultur« (»culture qu’on applique«)65, »Überschwang« (»exaltation«) werden und denjenigen Weg zurückgehen, der das europäische Kunstideal darauf ausgerichtet hat, »den Geist auf eine von der Kraft geschiedene Haltung

stellt. Die ausführliche Lektüre von Lucas van Leydens Gemälde Lot und seine Töchter (ca. 1509) in Das Theater und sein Double entsteht wenige Jahre früher. Vgl. zu Lot 1. Moses 19, 30–38. 60

Die Geschichte dieser Rezeptionslinie der Wiedergewinnung eines Verlorenen lässt sich vor allem an den Versuchen ablesen, Artauds Texte als Anleitung für die Bühne zu nehmen. So wurde »Grausamkeit« zum Schlagwort für verschiedene Formen von »Orgientheater« (vor allem bei Hermann Nitsch, aber auch bei Richard Schechner), die von der Idee körperlicher und sexueller Befreiung und der Rettung eines ›ursprünglicheren‹ und ›unbeschriebenen‹ Körpers aus dem System der Schrift und Enteignung ihren Ausgang nehmen. Vgl. das Nachwort von Bernd Mattheus in Artaud, Theater und sein Double, S. 223–232.

61

Vgl. Derrida, »Geschlossenheit der Repräsentation«.

62

Artaud, Le Théâtre et son double, S. 9; Artaud, Theater und sein Double, S. 10. »Wenn Verwirrung das Zeichen der Zeit ist, so sehe ich den Grund für diese Verwirrung in der Trennung zwischen den Dingen und den Worten, Vorstellungen und Zeichen, die sie bedeuten.«

63

Vgl. dazu Derrida, »Die soufflierte Rede«.

64

Artaud, Theater und sein Double, S. 10; Artaud, Le Théâtre et son double, S. 9f.

65

Artaud, Theater und sein Double, S. 10; Artaud, Le Théâtre et son double, S. 10.

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zu verweisen, die deren Überschwang zuschaut«.66 Artauds Schreiben ist hier ein Protest gegen die ›Vergötzung der Werke‹67 und der Versuch, Kultur als Praxis im emphatischen Sinn zu denken, nicht als Ansammlung, Archivierung und Musealisierung von Artefakten: Toutes nos idées sur la vie sont à reprendre à une époque où rien n’adhère plus à la vie. Et cette pénible scission est cause que les choses se vengent, et la poésie qui n’est plus en nous et que nous ne parvenons plus à retrouver dans les choses ressort, tout à coup, par le mauvais côté des choses; et jamais on n’aura vu tant de crimes, dont la bizarrerie gratuite ne s’explique que par notre impuissance à posséder la vie.68

Gegen die Entfremdung des Lebens – gegen den Gegensatz von Leben und Form(en) – setzt Artaud das Theater und dessen hieroglyphische Bildsprache: »Briser le langage pour toucher la vie, c’est faire ou refaire le théâtre.«69 Die Theaterszene macht Artaud zum exemplarischen Ort, »unseren Verdrängungen Leben zu verleihen«, indem sie demonstriert, »daß die Lebensintensität ungebrochen ist und daß es ausreichend sein würde, diese besser zu lenken«.70 Artaud denkt diesen Ort der Verdrängung aber weder als Rückkehr noch als Wiederkehr, sondern vom Zukünftigen her: »Il faut croire à un sens de la vie renouvelé par le théâtre, et où l’homme impavide ment se rend le maître de ce qui n’est pas encore, et le fait naître.«71 Die Metaphorik der Einverleibung, die den Essay und

66

Artaud, Theater und sein Double, S. 13; Artaud, Le Théâtre et son double, S. 12.

67

Vgl. auch den Essays »Schluß mit den Meisterwerken«: Artaud, Theater und sein

68

Artaud, Le Théâtre et son double, S. 10; Artaud, Theater und sein Double, S. 11.

Double, S. 79–88. »Alle unsere Vorstellungen über das Leben müssen zurückgenommen werden in einer Zeit, da nichts mehr dem Leben anhängt. Und diese schmerzliche Trennung ist die Ursache dafür, daß die Dinge Rache üben, und die Poesie, die nicht mehr in uns ist und die wir nicht mehr in den Dingen wiederzufinden vermögen, entspringt mit einem Male der schlechten Seite der Dinge; nie zuvor hat man so viele Verbrechen gesehen, deren sonderbare Willkür sich allein durch unser Unvermögen erklärt, das Leben in Besitz zu nehmen.« 69

Artaud, Le Théâtre et son double, S. 14; Artaud, Theater und sein Double, S. 15. »Die Sprache durchbrechen, um das Leben zu ergreifen, das heißt Theater machen oder neu machen.«

70

Artaud, Theater und sein Double, S. 11; Artaud, Le Théâtre et son double, S. 11.

71

Artaud, Le Théâtre et son double, S. 14; Artaud, Theater und sein Double, S. 15. »Man muß an einen durch das Theater erneuerten Sinn des Lebens glauben, wo sich

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das gesamte Theater und sein Double prägt, gehorcht nicht der linearen Ordnung von Ursprung und Entfremdung. Sie folgt den zyklischen Momenten von Entstehen und Vergehen, den Gesten der Aneignung und der Ausscheidung und Absonderung, den Momenten von Nahrungsaufnahme und Verdauung72, den Prinzipien von Fäulnis73, den chemischen Prozessen des Lebendigen und Organischen und der Ansteckung.74 Insofern markiert Artauds Begriff der »Grausamkeit« nicht in erster Linie einen Ikonoklasmus, sondern einen »process of selfaltering localization«75, der zusammen mit dem zu denken ist, was Artaud in »Das Theater und die Pest« »essentielle séparation« (»unerlässliche Trennung«) nennt: »›Separation‹ should be understood here in the etymological sense, as not simply a disjunction but a setting apart which, in its dispersion, establishes a certain type of space and place: a place into which space intrudes without either fully dissolving or fully affirming the local boundaries.«76 »[D]as Leben in Besitz zu nehmen«, geht damit nicht in der Wiedergewinnung eines Verlorenen auf. In einem emphatischen Sinn kann mit Artauds theatraler Szene das Ursprungsmoment als Ort des Anderen konkretisiert werden, an dem der Besitz meiner selbst – Brechts »eigene Sache« – auf dem Spiel steht. Im inzestuösen Moment fallen die Durchkreuzung der binären Anordnung von Selbst und Anderem77 und die Horizontalisierung der linear-familiären Logiken zusammen: die Fragen der Differenz und der Genealogie im Motiv der Gattung. Dass diese Familien-Szene in What Maisie Knew eine erkenntniskritische Problemstellung verhandelt, zeigt James’ Eintrag im Notebook, wo er schreibt: »[T]he observer, as usual, must tell the tale – or rather, No – this time I see it otherwise.«78 Noch im Preface zu The Portrait of a Lady konzipiert James in

der Mensch unerschrocken dessen bemächtigt, was noch nicht ist und es entstehen läßt.« 72

Vgl. dazu auch Antonin Artaud, »Das Streben nach Fäkalität«, in: ders., Schluß mit dem Gottesgericht. Das Theater der Grausamkeit. Letzte Schriften zum Theater (München: Matthes & Seitz, 2002), S. 15–18.

73

Vgl. Artaud, Theater und sein Double, S. 10.

74

Vgl. ebd., S. 11 vgl. auch den Essays »Das Theater und die Pest«, S. 17–34.

75

Weber, »Family Scenes«, S. 359.

76

Ebd.; Artaud, Theater und sein Double, S. 33; Artaud, Le Théâtre et son double,

77

Vgl. Weber, »Family Scenes«, S. 360.

S. 29. 78

James, Complete Notebooks, S. 74. Felman bestimmt »otherwise« als Indikator für diejenige »otherness-to-itself«, die die im Verhältnis von Patient und Analytiker und analog im Verhältnis von Literatur und Psychoanalyse konzipierte Trennung in

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seiner berühmten Metapher des »House of Fiction« »the human scene« als eine, die – wenn auch aus den unterschiedlichen Perspektiven verschiedener Blickpositionen – dem Zuschauer zu Füßen liegt.79 Die Draufsicht – »a figure with a pair of eyes, or at least with a field-glass« – ermöglicht, »the consciousness of the artist« als Instanz der Souveränität und des uninvolvierten Überblicks zu entwerfen und die Familien-Szene der Prämisse des Identitären zuzuschlagen.80 Doch aus den Fenstern des »House of Fiction« kann nicht nur hinausgesehen werden: Die Familien-Szene unterbricht potenziell den ›privaten‹ Raum der Erzählung und damit die Ordnung von Innen und Außen, die Sicherheit des Betrachterblicks und verweist so auf die instabile Identifizierung von Sehen und Wissen. Tatsächlich verunheimlicht James diese Ordnung für What Maisie Knew. Darum, wie dieses otherwise bei James die Trennung in Wissen und Nichtwissen und die Position der kritischen Autorität verkompliziert, geht es im Folgenden. Zu entdecken ist dabei keine Kindheit der Unschuld und des Unwissens und keine Wiederaneignung einer verlorenen Urszene; stattdessen gilt es, innerhalb von »Roman/Drama« den Anderen zu denken, von dem Barthes sagt: »[N]ur der Andere könnte meinen Roman schreiben.«81

S CHULDEN : W HAT M AISIE

KNEW

»Money is the most general element of Balzac’s novels; other things come and go, but money is always there«, schreibt James in einem Essay über Balzacs Comédie Humaine: [Balzac] rarely introduces a person without telling us in detail how his property is invested, and the fluctuations of his rentes impartially divide the writer’s attention with the

Nichtwissen und Wissen dekonstruiert. »Reading: Otherwise« markiert demgegenüber diejenige »interiority of the other« und »otherness-to-itself«, als die Felman das Unbewusste denkt. Felman, »To Open the Question«, S. 10. 79

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1075.

80

Ebd. Dass die Unterbrechung der Selbstidentität ein Theatermoment ist, lässt sich bis hin zu Sophokles’ König Ödipus herausstellen: »Oedipus Tyrannus reminds us that the family has always been a significant framework more through its fragility than through its stability. And that it is precisely the interruption of the one through the other that constitutes the specific power of what we call ›theater‹ – in which, if it works, we never feel entirely at home.« Weber, »Family Scenes«, S. 355.

81

Barthes, Sprache der Liebe, S. 70.

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emotions of his heart. Balzac never mentions an object without telling us what it cost, and on every occasion he mentions an enormous number of objects. […]. Each particular episode of the ›Comédie Humaine‹ has its own hero and heroine, but the great general protagonist is the twenty-franc piece.82

Balzacs Geld macht den Autor zu einem »social chronicler«83, der an den rentes und dem Preis der Dinge die sozialen Hierarchien zuverlässig ablesbar machen und die Zuverlässigkeit des Texts in der detaillierten Wiedergabe absichern kann. Das Ökonomische bei Balzac – so James’ Lektüre – ist ein Hinweis auf accountability. Auch The Golden Bowl scheint auf den ersten Blick an einem solchen Begriff des Ökonomischen zu partizipieren: Sichert doch die Verteilung des Geldes den einen Privilegien, während dessen Mangel die Erfolgschancen der anderen einschränkt und deren Lebenswege diktiert. Schaut man jedoch genauer, wird James’ Metaphorik des Ökonomischen zu einem Hinweis auf eine grundsätzliche unaccountability. »Consider of course, as you must, the question of what you may have to surrender, on your side«, bittet Mr. Verver Charlotte den Preis der Eheschließung zu kalkulieren: »what price you may have to pay, whom you may have to pay with, to set this advantage free; but take in, at any rate, that there is something for you if you don’t too blindly spoil your chance for it« (Bd. 24: 188). Welchen Preis das Leben fordert und welchen Preis zu zahlen jemand bereit ist, wird auch anhand der goldenen Schale verhandelt. Sie steht für Preise, die man nicht zahlen möchte: »The dealer shook his head slowly and sadly, but firmly. ›It’s my price, madam – and if you admire the thing I think it really might be yours. It’s not too much. It’s too little. It’s almost nothing. I can’t go lower‹« (Bd. 23: 115). Und sie steht später, als Maggie die Schale kauft, für den zu hohen Preis, den sie hat zahlen müssen: »It was what he [the dealer] came to tell me – that he had asked me too high a price, more than the object was really worth« (Bd. 24: 197). Dass der Preis und der Wert sich nicht aufeinander abbilden lassen, erkennt Maggie im Gespräch mit Amerigo: »And what, pray, was the price?« She paused again a little. »It was high, certainly – for those fragments. I think I feel, as I look at them there, rather ashamed to say.« The Prince then again looked at them; he might have been growing used to the sight. »But shall you at least get your money back?«

82

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 34f.

83

Ebd., S. 34.

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»Oh, I’m far from wanting it back – I feel so that I’m getting its worth.« With which, before he could reply, she had a quick transition. »The great fact about the day we’re talking of seems to me to have been, quite remarkably, that no present was then made me. If your undertaking had been for that, that was not at least what came of it.« (Bd. 24: 198)

Was der Preis schließlich ist, wird – entgegen der (ac-)countability bei Balzac – nicht gesagt, kann nicht ermessen werden. Die Logiken des Tauschs sind in James’ Texten verbunden mit der Frage nach den obligations, die sowohl in The Golden Bowl als auch in What Maisie Knew die bei Freud aufgeworfene »Gedankenschuld« in die Frage nach den Schulden übersetzen. So beschreibt The Golden Bowl die Beziehungsmanöver als Frage nach obligations, nach debt und repaying. Wer zahlt den Preis, wer übernimmt die Haftung? Wer steht in der Schuld?84 Auch in What Maisie Knew geht es um obligations. Sie markieren die Überlagerung des Diskurses des ›Natürlich‹-Biologischen durch den Rechtsdiskurs: »›I’m your mother now, Maisie. And he’s your father‹«, stellt die Stiefmutter ihre und Sir Claudes Position klar: »Mrs. Beale continued to address her young friend, and her effort to be reasonable and tender was in its way remarkable. ›We’re representative, you know, of Mr. Farange and his former wife. […]. We take our stand on the law‹« (S. 361). Den Prozess der Substitution leitet das Scheidungs- und Sorgerechtsurteil ein, das im ersten Absatz des Romans beschrieben wird: The litigation seemed interminable and had in fact been complicated; but by the decision on the appeal the judgement of the divorce-court was confirmed as to the assignment of the child. The father, who, though bespattered from head to foot, had made good his case, was, in pursuance of this triumph, appointed to keep her: it was not so much that the mother’s character had been more absolutely damaged as that the brilliancy of a lady’s

84

Vgl. exemplarisch folgende Passage: »[Mrs. Assingham] had another pause, holding the while the thread of that larger perception into which her view of Mrs. Verver’s obligation to Maggie had suddenly expanded. ›Even if her debt was not to the others – even then it ought to be quite sufficiently to the Prince himself to keep her straight. For what, really, did the Prince do‹, she asked herself, ›but generously trust her? What did he do but take it from her that if she felt herself willing it was because she felt herself strong? That creates for her, upon my word‹, Mrs. Assingham pursued, ›a duty of considering him, of honourably repaying his trust, which – well, which she’ll be really a fiend if she doesn’t make the law of her conduct. I mean of course his trust that she wouldn’t interfere with him – expressed by his holding himself quiet at the critical time‹« (Bd. 23: 281f.).

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complexion (and this lady’s, in court, was immensely remarked) might be more regarded as showing the spots. Attached, however, to the second pronouncement was a condition that detracted, for Beale Farange, from its sweetness – an order that he should refund to his late wife the twenty-six hundred pounds put down by her, as it was called, some three years before, in the interest of the child’s maintenance and precisely on a proved understanding that he would take no proceedings: a sum of which he had had the administration and of which he could render not the least account. The obligation thus attributed to her adversary was no small balm to Ida’s resentment; it drew a part of the sting from her defeat and compelled Mr. Farange perceptibly to lower his crest. He was unable to produce the money or to raise it in any way; so that after a squabble scarcely less public and scarcely more decent than the original shock of battle his only issue from his predicament was a compromise proposed by his legal advisers and finally accepted by hers. His debt was by this arrangement remitted to him and the little girl disposed of in a manner worthy of the judgement-seat of Solomon. She was divided in two and the portions tossed impartially to the disputants. They would take her, in rotation, for six months at a time; she would spend half the year with each. This was odd justice in the eyes of those who still blinked in the fierce light projected from the tribunal – a light in which neither parent figured in the least as a happy example to youth and innocence. (S. 3f.)

Worum es hier geht, ist wahrlich »odd justice«. Das Anliegen, den Bruch im Familienkörper so weit zu flicken, dass für Maisie ein angemessenes Heim entsteht, führt zu einer Reihe von ›Kompensationsversuchen‹, die das Manko elterlicher Sorge auszugleichen suchen. Rivkin liest die Passage als Markierung einer ursprünglichen Schuld, die in den kompensatorischen Ersetzungsstrategien des Gerichts nur umso mehr zu Tage tritt: the novel itself is an ironic testament to the unsettling impact of the court’s settlement. […]. Thus, what compensates for a lack of propriety at the origin, a judgment in settlement of claims, is itself an origin of impropriety. […]. Unlike the homelessness of the orphan, Maisie’s condition of deprivation is based on an apparent abundance. According to the paradoxical economy that governs these compensatory relations, the more the initial fault is supplemented, the more evident that fault becomes.85

Schuld und Evidenz hängen hier zusammen, darauf verweisen die evidences (die Beweise). Die Evidenz des Verfahrens steht aber gleichzeitig – in Abgrenzung von dem Schuld-Paradigma – zur Debatte. Denn entscheidend ist, dass die gesamte Gerichtssituation als eine theatrale oder konkreter: szenische ausgewiesen

85

Rivkin, False Positions, S. 129f. [Hervorhebung SW].

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wird, in der das Schuld-Paradigma des Vor-Augen-Stellens sich in das Gespenstische der Schulden übersetzt.86 Wenn James in seinen Notebooks über What Maisie Knew verzeichnet, »I realise – none too soon – that the scenic method is my absolute, my imperative, my only salvation« (Dezember 1896),87 dann wird die theologische Frage der Erlösung im Roman in das theatrale setting des Gerichts übersetzt. Entsprechend ist die Grundsituation von What Maisie Knew eine Theatersituation: Maisies Eltern lassen sich scheiden (damit beginnt der Roman) und machen sich fortan – vor Maisies Augen – eine Szene nach der anderen, theatralisch übersteigert: »The bout de scène that, before the child, Boyd makes his wife, is a scene of insincere jealousy – like the scene Ida has made the Captain.«88 Das nachdrücklich betonte »everything takes place before Maisie«89 benutzt die Theatermetapher zur Bezeichnung einer phantasmagorischen Bilderwelt, die Maisie zum unwissenden Opfer macht: »Her little world was phantasmagoric – strange shadows dancing on a sheet. It was as if the whole performance had been given for her – a mite of a half-scared infant in a great dim theatre« (S. 9). Der Text und seine theatrale Situation wurden immer wieder gelesen als James’ sozialkritische Inszenierung einer comedy-of-manners und als Anklage elterlichen und überhaupt erwachsenen Egoismus und gesellschaftlicher Dekadenz. Die Evidenz des Vor-Augen-Führens ist bei James aber bei Weitem nicht so offensichtlich. Auch im Vorwort zu seinem Roman The Ambassadors (1903) beschreibt James sein Vorgehen als eine Gerichtssituation: »to answer [this questions plausibly] as under cross-examination in the witness-box by counsel for the prosecution«90. Die »cross-examination«, um die es hier geht, bezieht sich auf James’ Projekt der Revision der eigenen textuellen Setzungen, die als Transpositionen eines ›ursprünglichen‹ Falls (donnée) gedacht sind. Die »cross-examination« ist die Suche nach einer textuellen oder außertextuellen Urszene, aus der der spätere Text quasi-organisch sich herausgebildet haben soll. Das Entscheidende aber ist, dass James selbst seine Texte nicht nur quasikriminologisch liest, sondern dass er sie liest, als Texte. Verhandelt wird zwischen James und James über die Rekonstruierbarkeit und das Wirkmaß dessen, was als dramatischer Kern (Urszene) vorhanden ist, über dessen Evidenz und die

86

Eine kürzere Version der folgenden Lektüre von What Maisie Knew ist bereits publiziert in Witt, »Szene der Distanz. Kritik und theatrale Autorisierung«, S. 134– 138.

87

James, Complete Notebooks, S. 167.

88

Ebd., S. 151.

89

Ebd., S. 149.

90

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1309.

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in ihr implizierte legitime Autorschaft. »The whole case«, schreibt James über The Ambassadors, »is in Lambert Strether’s irrepressible outbreak to little Bilham on the Sunday afternoon in Gloriani’s garden, the candour with which he yields, for his young friend’s enlightenment, to the charming admonition of that crisis«.91 Was aber James als »the whole case« herausstellt, ist die Erhellung – enlightenment –, die plötzlich vor Augen stehende Erkenntnis, die Evidenz als solche: »that he now at all events sees; so that the business of my tale and the march of my action, not to say the precious moral of everything, is just my demonstration of this process of vision«92. James’ späte Freilegung der Urszene ist eine Überblendung der Arbeit der Re-Vision durch Strethers enlightenment. Die Erhellung selbst – das Vor-Augen-Stehen – ist der Ursprung und das telos der Gerichtsszene. Doch wird diese Erhellung durch die ›Fall‹-Transpositionen von ihrer urszenischen Einmaligkeit in einen Akt andauernder Wiederholung, Versetzung und Lektüre überführt, die die Autorität des Klägers und des Angeklagten unterlaufen. Entsprechend hat Derrida auf die doppelte Zurücknahme in der doppelten Setzung des pre-face hingewiesen: Gerade in der obsessiven Absicht des Vor-Augen-Führens, in der Prä-sentierung dessen, was geschrieben/oder: zu lesen sein wird, de-plaziert sich der erstrebte Präsenz- und Evidenzstatus des Gesagten zu einer der Lektüre (auf-)gegebenen Spur der Schrift.93 In James’ prefaces artikuliert sich der ›Kontrollzwang‹ des Autor-Vaters, dem seine Schöpfung, da sie Text, Szene und Bild ist, unter der Hand entgleiten muss.94 In What Maisie Knew sieht sich die Lektüre der Logik der Anklage durch die formale Konstruktion des Texts bestärkt, die eine Differenz installiert zwischen dem Wissens- oder Verstehenshorizont Maisies (dem Blickwinkel eines unwissenden Kindes, das nur die shadows sieht) und der erwachsenen Perspektive auf die soziale Problemlage (die auch dem Leser zugeschrieben wird und sowohl über die Schattenhaftigkeit belehrt als auch einen Prozess der Bewusstwerdung vorgibt). In diese Richtung zielt Genettes formalistische Lektüre, in der What Maisie Knew das Paradebeispiel seiner erzählanalytischen Kategorie der internen Fokalisierung ist, mit der er versucht, die unterschiedlichen Wissensstände von Erzähler und Figuren zu analysieren, d.h. die Modi gradueller Filterung der narrativen Information in Bezug auf die Leserperspektive. What Maisie Knew ist für Genette deshalb so ein gutes Beispiel, weil »so gut wie nie der Blickwinkel

91

Ebd., S. 1304.

92

Ebd., S. 1305.

93

Vgl. Derrida, »Buch-Ausserhalb Vorreden/Vorworte«, S. 15ff.; vgl. auch Wirth, »Das Vorwort als performative, paratextuelle und parergonale Rahmung«.

94

Vgl. McWhirter, Henry James’s New York Edition.

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des kleinen Mädchens verlassen wird, deren ›eingeschränktes Feld‹ besonders spektakulär wirkt in dieser Erwachsenengeschichte, deren Bedeutung ihr entgeht«95. Doch wieso heißt es dann What Maisie Knew? Was geht in diesem Theater des Unwissens nicht auf, what Maisie knew? Schon der erste Satz des Romans, »The litigation had seemed interminable and had in fact been complicated«, und die in oben zitierter Passage erläuterte Aufhebung der dann doch gefallenen Gerichtsentscheidung über Maisies eindeutige Vormundschaft (durch den Vater) zu Gunsten einer komplizierten Ökonomie gegenseitiger obligations (innerhalb des gesamten Familienkörpers) legen die Lektüre nahe, dass Trennung hier kein so einfach durchzuführender einmaliger Akt oder definitiver Zustand ist. Im Verlauf des ganzen Texts steht die Trennung zur Verhandlung und Maisie ist nicht nur die Verhandlungsmasse dieser Trennung, sondern das Spannungsfeld und der zu keinem Ende kommende Prozess der Trennbarkeit: »She was divided in two and the portions tossed impartially to the disputants« (S. 4). Hier zeigen sich zugleich eine nicht herstellbare Distanz und eine Fragmentiertheit des Familien- oder Gemeinschaftskörpers, eine paradoxe Nicht-Distanz und Nicht-Nicht-Distanz innerhalb des James’schen Patch-Works. Das aber ist kein bloßer Thematismus, sondern ein Strukturelement des Textes. Auf dem Spiel steht das Verhältnis zwischen der Distanznahme der Vertretung (Brecht) und den Präsenz- und Verkörperungsphantasmen des Szenischen (Artaud) – selbst szenisch, als eine solche »Szene des Dissens«. Im Preface zu The Golden Bowl führt James aus, was er »seeing my story« nennt.96 Die für die späten Romane zentrale komplizierte Verschachtelung von szenischem Vor-Augen und Wissens- oder Deutungsperspektive, die nicht ineinander aufgehen, beschreibt James hier als das dem literarischen Text eingelagerte Moment von criticism. Seine Texte, so das Preface, autorisieren einen »thoroughly interested and intelligent, witness or reporter, some person who contributes to the case mainly a certain amount of criticism and interpretation of it«97. In diesen ›überantwortenden‹ Figuren geht es James, wie es weiter heißt, um den »impersonal author«, um ein Anschreiben gegen »the mere muffled majesty of irresponsible ›authorship‹«.98 Rivkin spricht im Zusammenhang mit diesem Strukturmoment von »displaced agency«99, mit der James offensichtlich eine ethische Dimension verbindet: eine response-ibility. Der romaneske Text

95

Genette, Erzählung, S. 121.

96

James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1322.

97

Ebd.

98

Ebd., S. 1322f.

99

Rivkin, False Positions, S. 11.

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eröffnet so eine komplizierte Spannung von Distanzierungen, (De-)Autorisierungen und Autorschaft, die im und als Text thematisch sind. Gerade in seinem noch vor- oder frühnarratologischen Verzicht auf eine präzise Terminologie beschreibt Lubbock dieses Problemfeld treffend: Nur als Abwehr narrativer Schöpfer-Autorität kann der szenische Roman jene Präsenz behaupten – jenes szenische Von-selbst: ohne Text und ohne Theater. Darin liegt die Pointe dieser Geste der Distanzierung: »that the novelist pushes his responsibility further and further away from himself. […]. This is not my story, says the author«100. Beach wird dieses »Verschwinden des Autors« zum Anzeichen englischer Literaturgeschichte insgesamt machen: »In a bird’s eye view of the English novel from Fielding to Ford, the one thing that will impress you more than any other is the disappearance of the author.«101 Zugleich aber verbleiben die Figurationen des witness (z.B. Maisie) ›im Buch‹, wie Lubbock treffend folgert, und darin der Lektüre aufgegeben. Demgegenüber wäre der im Text unmarkierte Akt des (allwissenden) Erzählens ›außerhalb des Buches‹ und damit paradoxerweise eine Rücknahme der Autorität – »the personal force of the writer is not remarkable«, »[it] is apt to become more and more troublesome in a book as the book is reread«.102 Das heißt umgekehrt, was sich in Maisies eingeschränktem Fokus (ihrem Perspektivismus) in der Lektüre wieder und wieder szenisch ereignet, ist nicht der vor Augen stehende Anteil eines sicheren Wissens, sondern der Prozess der Autorisierung oder Überantwortung, der sich – als eine romaneske Schreib- und Leseszene – in den Text eingelagert hat, re-markable. Von Maisie aus lässt sich zwar auf ihren ›Schöpfer‹ und den Schöpfungsakt schließen, dieser lässt sich aber nicht als Ursprung vergegenwärtigen. Denn auch Genette vermerkt, dass durch die konsequent durchgeführte »interne Fokalisierung« die Figur zur Position wird und nur noch als solche »deduziert werden kann«.103 Wenn aber Figur nur in Bezug auf und als eine textuelle Positionierung besteht und diese nur die Mittlerinstanz der Bilder/Sichten aller Figuren, Handlungen und des Texts insgesamt sein soll, dann bleibt tatsächlich keine fixierbare Instanz der Autorschaft oder Substanz des Wissens. Die Präsenz der Szene und deren Deutung hebeln sich gegenseitig aus – und bedingen sich zugleich: Denn nur indem wir der Präsenz der Szenen (Bilder) glauben, wird jene distanzierte Deutung de-

100 Lubbock, Fiction, S. 146f. 101 Beach, The Twentieth Century Novel, S. 14; zitiert nach Norman Friedman, »Point of View in Fiction: The Development of a Critical Concept«, in: PMLA 70, Nr. 5 (Dezember 1955), S. 1160–1184, hier S. 1160. 102 Lubbock, Fiction, S. 120. 103 Vgl. Genette, Erzählung, S. 123.

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duzierbar, aber nur von dieser Deutung aus bekommen die Szenen Präsenz – das ist, was James criticism nennt, das ist what Maisie knew, und das bleibt der kritische Dissens. Was James hier als Begriff der Kritik vorschlägt, geht auf Kants Überlegungen zurück, Kritik als Unterscheidungsvermögen zu denken, das »zugleich eine anordnende Funktion hat«, so dass im »kritischen Prozess […] eine Topographie von begrifflichen Verhältnissen [entsteht]«.104 Allerdings handelt es sich dabei um ein »agonale[s] Feld der Unterscheidungen«, in dem »nicht die Konstatierung der jeweiligen Unterscheidung, sondern die Tätigkeit [wichtig ist], die Unterscheidungen in Bewegung zu halten und sie wandern zu lassen. Kritik ist dasjenige Tun, welches die Unterscheidungen erprobt und sie in immer erneute Krisen treibt«.105 Als ein solches agonales Feld von Unterscheidungen und deren Krise liest Nicholas Royle die Kategorie des point of view. Denn noch Genettes Herleitung selbst basiert auf einer Unterscheidung: Fokalisierung möchte nicht nur das Paradigma des Visuellen loswerden, an dem Ausdrücke wie point of view sich orientieren; die eingeführte Unterscheidung verläuft zwischen ›Wer sieht?‹ und ›Wer spricht?‹, zwischen Modus und Stimme.106 An Genettes Terminus der Fokalisierung kritisiert Rolye nicht nur, dass er dem Paradigma des Visuellen verhaftet bleibt, fragt doch auch Fokalisierung im Kern, »who can ›look into‹ or ›look through‹ a character’s mind«107. Gerade die eingeführte Unterscheidung, so Royle, »continues to leave unquestioned the unity of the one who sees and of the one who speaks: the ›function‹ of seeing can simply be ›delegated‹ by one identity to another, without this apparently having any implications of effects for thinking about the unity of either of these identities as such«108 . Stattdessen liest Royle das Phantasma des point of view als eine Theorie der inhabitation, in der das Moment der Transparenz durch das Gespenstische heimgesucht wird.109 Denn während noch das – wenn auch die omniscience hinterfragende – Konzept des point of view immer an »a sense of unity and the One« festhält und damit als »[safekeeper] of the unitariness of the figures of ›author‹, ›narrator‹, and ›character‹ alike«110 fungiert, schlägt Royle vor, das telepa-

104 Simon, »Was ist ›Bildkritische Literaturwissenschaft‹?«, S. 65. Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. IV, S. 1251; vgl. Kant an Herder, 9. Mai 1769. 105 Ebd., S. 67. 106 Vgl. Genette, Erzählung, S. 119. 107 Royle, The Uncanny, S. 263. 108 Ebd., S. 264. 109 Vgl. Cohn, Transparent Minds. 110 Royle, The Uncanny, S. 263.

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thische Moment dieser Konstruktion ernst zu nehmen und den »strange uncertainties of identification«111 nachzugehen. Die Theorie der Telepathie und diejenige des Unbewussten und der Psychoanalyse hängen dabei eng miteinander zusammen, denn – wie Derrida in Telepathie schreibt – es ist »[s]chwierig, sich eine Theorie dessen vorzustellen, was sie noch das Unbewußte nennen, ohne eine Theorie der Telepathie«112. Freuds Überlegungen zur Telepathie sind – aus der Perspektive der Analyse – an den Prozessen der Übertragung interessiert: »one person’s direct, clairvoyant knowledge of what someone else is thinking or feeling«113. In »Traum und Okkultismus« (1933) imaginiert Freud den psychischen Vorgang als einen physikalischen. Das für die Analyse verlockende Moment ist die Annahme einer direkten und analogen Übertragung: Der telepathische Vorgang soll ja darin bestehen, daß ein seelischer Akt der einen Person den nämlichen seelischen Akt bei einer anderen Person anregt. Was zwischen den beiden seelischen Akten liegt, kann leicht ein physikalischer Vorgang sein, in den sich das Psychische an einem Ende umsetzt und der sich am anderen Ende wieder in das gleiche Psychische umsetzt. Die Analogie mit anderen Umsetzungen wie beim Sprechen und Hören am Telephon wäre dann unverkennbar. Und denken Sie, wenn man dieses physikalischen Äquivalents des psychischen Akts habhaft werden könnte! Ich möchte sagen, durch die Einschiebung des Unbewußten zwischen das Physikalische und das bis dahin ›psychisch‹ Genannte hat uns die Psychoanalyse für die Annahme solcher Vorgänge wie die Telepathie vorbereitet.114

Tatsächlich aber spricht Freuds Beschreibung nicht nur von den Phänomenen physikalischer Übertragung, sondern zeigt, dass es die Verfahren des SprachlichRhetorischen sind, durch die die selbst rhetorischen Momente der Übertragung, Übersetzung, Transposition etc. überhaupt benennbar werden. Entsprechend stellt Miller mit Derrida heraus, »that the analogy Freud draws between telepa-

111 Ebd., S. 265. 112 Jacques Derrida, Telepathie (Berlin: Brinkmann & Bose, 1982), S. 17. 113 Joseph Hillis Miller, »The Medium is the Maker: Browning, Freud, Derrida, and the New Telepathic Ecotechnologies«, in: Oxford Literary Review 30 (Dezember 2008), S. 161–179, hier S. 162; vgl. auch Derrida, Telepathie, S. 19f. 114 Sigmund Freud, »Traum und Okkultismus«, in: Studienausgabe, Bd. I: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge, hg. von Alexander Mitscherlich, James Strachey und Angela Richards (Frankfurt am Main: Fischer, 1969), S. 472–496, hier S. 493f.

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thy and the telephone is an example of the ubiquitous dependence of his discourse on various forms of transference«115 : [D]er Vorgang der Telepathie wäre physikalisch in sich selbst, außer an seinen beiden Enden; wobei das eine sich rekonvertiert (sich wieder umsetzt) in das gleiche Psychische am anderen Ende. Von da aus wäre die ›Analogie‹ mit anderen ›Transpositionen‹, anderen ›Konversionen‹ (Umbesetzungen) unbestreitbar: zum Beispiel die Analogie mit dem ›Sprechen und Hören am Telephon‹. Zwischen der Rhetorik und der psycho-physischen Beziehung, in jedem und vom einen zum anderen, gibt es nur Traduktion (Übersetzung), Metapher (Übertragung), ›Transfers‹, ›Transpositionen‹, analogische Konversionen und vor allem Transfers von Transfers: Über, meta, tele: diese Worte transkribieren dieselbe formale Ordnung, dieselbe Kette […].116

Damit aber ist mit dem Vorgang der Telepathie ein literarisches Moment bezeichnet, in dem sich erzählende Autorisierung und szenische Transposition überschneiden. Als »adventure transposed« bezeichnet James entsprechend jene Konstellation, die seine nachträglichen prefaces herstellen: die Re-Lektüre und Re-Vision des Geschriebenen, in denen eine Selbst-Begegnung zwischen James und James stattfindet, die aber durch den Abstand der Jahre zwischen den Texten markiert ist. »[A]dventure transposed« imaginiert James als »the retracing of the process from point to point [that] brings back the old illusion«.117 Die oben beschriebene Erhellung (illusion) aber, die James auch im Preface zu The Ambassadors imaginiert, erweist sich so nicht nur als nachträgliche Autorisierung, sondern immer zugleich als eine – in sich verfremdete – Trans-position. Was in What Maisie Knew als eine solche Transposition – als Verschachtelung und Multiplizierung der Perspektive – entwickelt ist, spiegelt sich in der Schreibszene wieder, in der der Text entsteht. Während James am Einsatz seines Szenarios als »divine principle«118 feilt, bekommt er Schreibkrämpfe und beginnt, einen Typewriter zu engagieren, der die Texte tippt, die James ihm diktiert. Die Schreibszene, die daraus entsteht, funktioniert quasi-dialogisch; in die Szene fließt aber zugleich das gespenstische Moment der Übertragung der Rede. Was Edel den »Guardian Angel« oder »Good Angel« nennt, eine Metapher für die ›private‹ Szene schreibender Inspiration, wird nun zu einem »stranger […], a flesh and blood Scot, who showed not emotional reaction to James’s Prose, gave

115 Miller, »The Medium is the Maker«, S. 165. 116 Derrida, Telepathie, S. 23. 117 James, Literary Criticism, Bd. 2, S. 1314. 118 James, Complete Notebooks, S. 152.

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him back whatever he said. In this there was a certain kind of word-by-word ventriloquism, right down to the punctuation and the spelling out of words«.119 Im Text entwickelt sich, was Royle als »a ›queer power‹ of uncertainty, of mixed and mixing identities, mixed and mixing inside and outside, detachment and intimacy« beschreibt.120 Fokalisierung ist dann hier nicht ein bestimmter Modus zur Regulierung narrativer Information, sondern demjenigen verwandt, was Derrida in Donner le temps (1991) »the altogether bare device of being-twoto-speak [l’ȇtre-deux-à-parler]« nennt.121 Wenn Derrida über Baudelaires La Fausse monnaie schreibt, »[that] there is no sense in wondering what actually happened, what was the true intention of the narrator’s friend and the meaning hidden ›behind‹ his utterances«122 , dann trifft dies ebenso auf What Maisie Knew wie auf alle – ›mimetische‹ – Rede/Sprache zu, in der sich die Ordnung von ›Sehen‹ und Zeigen vervielfacht in einer (Brecht’schen) Szene des »Beobachtetwerdens«123 . Diese Szene und deren response-ibility implizieren insofern die Frage der Gerechtigkeit, als diese, wie Derrida schreibt, mit der »Ungleichzeitigkeit der lebendigen Gegenwart mit sich selbst«124 zu tun hat: Wenn ich mich anschicke, des langen und breiten von Gespenstern zu sprechen, von Erbschaft und Generationen, von Generationen von Gespenstern, das heißt von gewissen anderen, die nicht gegenwärtig sind, nicht gegenwärtig lebend, weder für uns noch in uns, noch außer uns, dann geschieht es im Namen der Gerechtigkeit. […]. Wir sprechen hier nicht vom Recht – keine Gerechtigkeit scheint möglich oder denkbar ohne das Prinzip einer Verantwortlichkeit, jenseits jeder lebendigen Gegenwart, in dem, was die lebendige Gegenwart zerteilt, vor den Gespenstern jener, die noch nicht geboren oder schon gestorben sind […].125

Verantwortung beginnt in den Verdopplungen und Anachronismen, den Verschachtelungen und dem Nicht-Präsentischen. Verantwortung stört die Ordnung des Sehens und Zeigens und die Synonymisierung von Sehen und Wissen: »Im

119 Leon Edel, »Introduction«, in: James, Complete Notebooks, S. xv. 120 Royle, The Uncanny, S. 268. 121 Jacques Derrida, Given Time: 1. Counterfeit Money (Chicago: University of Chicago Press, 1992), S. 153; zitiert nach Royle, The Uncanny, S. 266. 122 Derrida, Given Time, S. 153; zitiert nach Royle, The Uncanny, S. 266. 123 Nägele, »Ästhetik der Wahrnehmung«, S. 37. 124 Jacques Derrida, Marx’ Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale, 3. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2010), S. 11. 125 Ebd., S. 10f.

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Grunde ist der letzte, dem ein Gespenst (spectre) erscheinen, an den es das Wort richten oder dem es Aufmerksamkeit schenken kann, der Zuschauer (le spectateur) als solcher. Auf dem Theater oder in der Schule. Dafür gibt es gewichtige Gründe. Theoretiker oder Zeugen, Zuschauer, Beobachter, Gelehrte und Intellektuelle – die scholars glauben stets, es genüge, zuzusehen.«126 Statt dieser Annahme einer gesicherten Position des Zuschauens beschreibt Derrida als sogenannten »Visier-Effekt« ein Beobachtet- und Angesprochenwerden, das nicht gegenwärtig verortet werden kann und über das es keine Verfügungsgewalt gibt: Das Gespenst (hier: von Hamlets Vater) gibt der Möglichkeit Raum, dass »die Anachronie das Gesetz [macht]. Daß wir uns gesehen fühlen von einem Blick, den zu kreuzen immer unmöglich bleiben wird […]. Da wir nicht sehen, wer uns sieht und wer das Gesetz macht, wer die Verfügung erläßt«127 . Die Szene, die daraus erwächst, wird so zu einer »Einübung ins Beobachtetwerden«128 und nimmt die beiden Dimensionen im Motiv der Gattung auf: die Differenz des unverfügbaren Anderen in der Gegenwärtigkeit der Synchronie und in der Diachronie des Genealogischen. Dieser Index der Differenz und des Genealogischen erweist sich so als der Grund der platonischen Angst vor dem Mimetischen. James’ responsible seeing my story through wird demgegenüber zu einer emphatischen Anerkennung einer ›abgründigen‹ Autorisierung des Sagens und Wissens sowie der Geschichtlichkeit der Worte selbst, die dem Bemühen um ein Sprechen im eigenen Namen und um die Verfügbarkeit vollständiger Autorschaft entgegen gehen.

»S CHLUSS

MIT DEM

G ERICHT «

Mit diesem ›abgründigen‹ Gesetz hebelt James’ What Maisie Knew die Struktur der Anklage aus, gibt die Aussicht auf accountability, auf erlösende Wiedergutmachung der Schuld(en) preis und übersetzt die unendliche Schuldgeschichte in die Endlichkeit verantwortlicher Beziehungen. Als quasi-religiöse Sicherung der Unendlichkeit und Unsterblichkeit der Existenz beschreibt Deleuze im Anschluss an Artaud die Struktur der Anklage:

126 Ebd., S. 26. Derrida bezieht sich auf »Thou art a scholar; speak to it, Horatio« (Hamlet I.1.); die Naivität des scholars besteht darin anzunehmen, er könne – von einer gesicherten oder irgend gearteten Position – das Gespenst ansprechen (speak to it), »als nähme er an einem Kolloquium teil« (S. 27). 127 Derrida, Marx’ Gespenster, S. 21f. Vgl. Hamlet I.5. 128 Nägele, »Ästhetik der Wahrnehmung«, S. 37.

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Das Unendliche der Schuld und die Unsterblichkeit der Existenz verweisen wechselseitig aufeinander und konstituieren damit die »Lehre vom ›Gericht‹« [Nietzsche]. […] [D]er Akt des Aufschubs, des unendlichen Verschiebens macht das Richten möglich: Seine Bedingung liegt in einem vorausgesetzten Verhältnis zwischen der Existenz und dem Unendlichen in der Ordnung der Zeit. […] In der Lehre vom Gericht […] schreiben sich die Schulden in ein eigenständiges Buch ein, sogar ohne dass man dessen gewahr wird, und auf diese Weise können wir uns nicht mehr von einer unendlichen Schuld loskaufen.129

Artauds »Grausamkeit« liest Deleuze als das Moment, das mit dieser zweifachen Unendlichkeit, der Schuld und der Existenz, Schluss macht: »Das System der Grausamkeit drückt die endlichen Beziehungen des existierenden Körpers mit Kräften aus, die ihn affizieren, während die Lehre von der unendlichen Schuld die Beziehungen der unsterblichen Seele zu den Urteilen bestimmt.«130 Diesen Zusammenhang zwischen der Endlichkeit der Körper und der Unterbrechung der Urteilsordnung verhandelt auch bei Brecht die theatrale Szene. Seine Lehrstücke versteht er als ›Sterbelehre‹ und verbindet so das biologische und das literarische Motiv der Gattung. Was auf den ersten Blick als ideologische Unterweisung daherkommt, hat auf den zweiten Blick – gerade wegen der Gewalt – mit der Frage der Verantwortung zu tun. Brechts Lehrstück »Die Maßnahme« (1930) beginnt mit einer Antwort, auf die es vorerst keine Frage gibt: »Der Kontrollchor: Tretet vor! Eure Arbeit war glücklich, auch in diesem Lande/Marschiert die Revolution, und geordnet sind die Reihen der Kämpfer auch dort./Wir sind einverstanden mit euch.«131 Das Einverständnis, das der Text als Frage inszeniert, spannt er auf zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft, innerhalb des (revolutionären) Bewusstseins und innerhalb der Lehre selbst. Die Lehre im Lehrstück ist nicht nur der Zielpunkt, sondern der immer wieder befragte Gegenstand. Das ganze Stück ist nicht nur Theater-, sondern auch Gerichtssituation, der Kontrollchor soll ein Urteil sprechen und ihm werden die Beweise szenisch vor-

129 Gilles Deleuze, »Schluss mit dem Gericht«, in: ders., Kritik und Klinik, 2. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005), S. 171–183, hier S. 171ff. 130 Ebd., S. 174. 131 Bertolt Brecht, »Die Maßnahme [1930]«, in: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe (GBA): Stücke, hg. von Werner Hecht u.a., Bd. 3 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988), S. 73–98, hier S. 75; vgl. zu Stück und Rezeptionsgeschichte: Inge Gellert, Florian Vaßen und Gerd Koch (Hg.), Massnehmen. Bertolt Brecht/ Hanns Eislers Lehrstück »Die Maßnahme«. Kontroverse, Perspektive, Praxis (Berlin: Theater der Zeit, 1998).

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bzw. nachgespielt. Was eigentlich zur Verhandlung steht, ist uneindeutig: Vier Agitatoren wurden nach Mukden (China) geschickt, um dort die Revolution in Gang zu setzen, einen Aufstand anzuzetteln. Ihre Aufgabe war es dabei, das Übel grundsätzlich anzupacken: sich nicht blenden oder emotionalisieren zu lassen von den einzelnen Szenen des Leids (der Arbeiter), sondern das Allgemeine als Unrecht (der Gesellschaftsordnung) im Blick zu behalten. Einer der Agitatoren liest die Bilder zu undistanziert und gefährdet mit seinem spontanen Eingreifen die Ratio des Revolutionären: die Aufgabe des Singulären zu Gunsten der finalen Überwindung der Ungerechtigkeit der Ordnung. Dafür wird er von den anderen Agitatoren liquidiert und diese Tat ist ihre nun durch den Kontrollchor zu bewertende Maßnahme. Von all dem aber erfährt der Leser oder Zuschauer nur im theatralen Nachspielen dieser Szenen vor den urteilenden Augen des Kontrollchors: »Stellt dar wie es geschah und warum, und ihr werdet hören unser Urteil.«132 Was sich zunächst anhört nach einem Brecht, der um die ›richtige‹ Distanz weiß, ist so simpel nicht; denn indem das Zuschauen nicht nur thematischer Aspekt des Textes ist, sondern auch Überkreuzung und Störung jener eindeutigen Trennung zwischen Darstellen und Zuschauen, Wissen und Unwissen, Belehren und Lernen, bleibt kategorisch unentschieden, was zur Verhandlung steht. Die Agitatoren stellen Szene für Szene das Geschehen nach, bis zum Schluss der Kontrollchor sein Urteil wiederholt: »Und eure Arbeit war glücklich/[…]/Wir sind einverstanden mit euch.«133 Offensichtlich aber hat der Kontrollchor nur insofern eine gesicherte Urteilsposition, als das Spiel der Agitatoren vergegenwärtigen kann, »was eigentlich los war«, wie es im »Fatzer«Fragment heißt – dort aber heißt es auch: »Und aufgebaut haben wir es, damit/Ihr entscheiden sollt/Durch das Sprechen der Wörter und/Das Anhören der Chöre/Was eigentlich los war, denn/Wir waren uneinig.«134 Zur Verhandlung steht nicht nur das glaubwürdige Spiel der Agitatoren, sondern die Möglichkeit und Unmöglichkeit des Wissens und Urteilens. In der theatralen Aufführung verliert sich die Ursprungsszene, die »eigentlich los war«, in der Spannung zwischen Vertretung und Vergegenwärtigung, erzwingt aber nichtsdestotrotz ein Antworten und Verantworten. Der zweifache Verhandlungsgegenstand – nicht nur die Rechtmäßigkeit des revolutionären Opfers, sondern auch der singuläre Tod – suspendiert doppelt den Urteilsgrund. Denn dieser singuläre Tod lässt sich tatsächlich nicht zu einer eigenen Sache machen (jener der Revolution); der Name dessen, der nicht genannt ist und in dem keiner spricht, untergräbt das Urteil.

132 Brecht, »Die Maßnahme«, S. 75. 133 Ebd., S. 98. 134 Brecht, »Fatzer«, S. 477.

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Gleichzeitig zeigt sich das Urteil in seiner humoristischen Wiederholung am Ende – much ado about nothing – auch als Unterbrechung einer potenziell unendlichen Urteilskette: Denn auch der Kontrollchor müsste sich wohl verantworten, würde er entscheiden, diejenigen Agitatoren im Namen der Revolution zu liquidieren, die einen Genossen unrechtmäßigerweise liquidiert haben. Hier erfolgt also bei genauerer Betrachtung gar kein Urteils-, Schuld- oder Freispruch.135 Als ein Prozess des Maßnehmens persistiert dieser Akt des Antwortens und Verantwortens auch weiterhin. Diese Persistenz beschreibt Benjamin am Beispiel von Brechts Keuner-Figur mit dem Bild einer Horizontalität des Kritischen: Keuner sei jener untragische Held, der sich einer »praktische[n] Resignation« hingibt, jeglichen »utopischen Idealismus ausbiegt« und sich gegen das Bühnen-Ideal so sehr verwehrt, dass er »liegend auf die Szene getragen werden [müsse] (so wenig zieht es ihn dahin)«.136 Durchkreuzt sind damit sowohl die fortschreitenden Überwindungslogiken als auch die Hierarchien der Autorität des Vertikalen. Als ›abgründiger‹ Grund dieser Horizontalität erweist sich als letzte Wahrheit ›hinter‹ den Worten und Bildern das Maßnehmen selbst, das der Nachträglichkeit der Rationalisierung als ihr szenisches Anderes begegnet.

135 Vgl. zum Verhältnis von Schuld und Maß Hans-Thies Lehmann, »Die Rücknahme der Maßgabe. Schuld, Maß und Überschreitung bei Bertolt Brecht«, in: ders., Das Politische Schreiben. Essays zu Theatertexten (Berlin: Theater der Zeit, 2002), S. 261–277. 136 Benjamin, »Was ist das epische Theater? (I)«, S. 523.

Schluss: Andere Szene »[The] inveteracy of a certain indirect and oblique view of my presented action […].« HENRY JAMES / LITERARY CRITICISM »Es hilft nichts, man wird sich dazu entschließen müssen. Das Unbewußte ist nicht das Ursprüngliche oder das Instinktive, und an Elementen enthält es nur die Elemente des Signifikanten.« JACQUES LACAN / »DAS DRÄNGEN DES BUCHSTABENS«

»I realise – none too soon – that the scenic method is my absolute, my imperative, my only salvation«,1 dieses Diktum James’ war der Einstieg dieses Buches – gefolgt von jener anderen Szene, die die Theaterszene als Familienszene ausweist: »a remark from my uncle Augustus to his daughter: seated duskily in our group, which included two or three dim dependent forms, he expressed the strong opinion that Marie should go to bed«, »a flutter of my young companion across the gallery as for refuge in the maternal arms«, dann der entscheidende Satz der Mutter, »Come now, my dear; don’t make a scene – I insist on your not making a scene!«.2 Szene und Familie gehören zusammen: Indem James schlussfolgert, »[l]ife at these intensities clearly became ›scenes‹«3, betont er nicht nur das für den modernen Roman zentrale Motiv des Lebens, sondern darin die Momente der Verdichtung und Verschachtelung, die die Fragen nach der Genealogik und nach

1

James, Complete Notebooks, S. 167.

2

James, A Small Boy and Others, S. 152.

3

Ebd.

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der Ordnung und Differenzierung verkomplizieren. Deshalb wurde die Szene des Romans in dieser Studie als die Frage nach der literarischen Gattung gelesen, die mit Derrida gesprochen »keine formale Frage«4 ist. In ihr verschränken sich die diachron-genealogische und die synchron-taxonomische Ebene des Gattungshaften: mit anderen Worten, das auf das griechische genos zurückgehende Begriffsarsenal ›Gattung‹, ›Geschlecht‹, ›Abstammung‹ und die Semantik der lateinischen generatio und griechischen genesis: ›Schöpfung‹, ›Entstehung‹ und ›Zeugung‹. Die Szene des Romans umfasst beide Ebenen, indem sie die Frage nach der Logik der Geschichtsbegründung (als Frage nach der Genealogie) und nach dem Schauplatz und dem Status von Theorie (als Frage nach der Benennung, Bezeichnung und Taxonomie sowie nach deren Medialisierungen) aufnimmt. Wurde die Familienszene als Kernstück des Szenischen hervorgehoben, so macht das Bedeutungsspektrum des Gattungsbegriffs das Szenische sowohl aus der theatralen als auch psychoanalytischen Perspektive als Schauplatz des Politischen denkbar. Eine politische Dimension erhält die Szene des Romans insofern, als sie zum Störfall in der Theoretisierung des modernen Romans innerhalb einer Sozialgeschichte des Bürgerlichen gerät. Diese Theoretisierung stilisiert den modernen Roman vor dem Hintergrund eines Verfalls repräsentativtheatraler Öffentlichkeit und der Erfindung des Privaten zum Symptom einer Säkularisierung im 18. Jahrhundert: zum Erscheinungsraum »publikumbezogene[r] Privatheit«5. Wenn aber, so wurde argumentiert, die Szene des Romans das Diachron-Genealogische in sich aufnimmt und im Roman die Logik der Geschichtsbegründung auf dem Spiel steht und statthat, dann verkompliziert dieser Roman immer und zugleich nicht nur seine Historisierung, sondern das in ihn eingeschriebene Moment des Historiografischen. Dennoch untersucht dieses Buch den Einsatz der Szene an und mit Texten aus dem Entstehungszeitraum ab etwa 1750 und bis ins 20. Jahrhundert hinein. Wenn es also den Einsatz der Szene in derjenigen ›Epoche‹ verortet, die mit dem 18. Jahrhundert beginnt, dann hat das nicht mit der sozialgeschichtlichen Dimension der Moderne zu tun, sondern mit der episteme, die Foucault in Les mots et les choses beschreibt und an deren Beginn er »das Erscheinen der Literatur«6 und das »Verschwinden des Schauspiels«7 datiert. Das Vorgehen der hier vorgelegten Lektüren verbindet mit demjenigen Foucaults die Kritik der Annahme, es

4

Derrida, »Das Gesetz der Gattung«, S. 273.

5

Vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 107ff.

6

Foucault, Ordnung der Dinge, S. 365.

7

Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, 13. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2011), S. 19.

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ließe sich eine den Texten äußerliche ›Geschichte‹ extrahieren und es ließe sich diese linear – sukzessiv – ordnen. Wenn Foucault schreibt, Miguel de Cervantes’ Don Quijote (1605/15) zeichne »das Negativ der Welt der Renaissance«8, dann ist damit etwas grundsätzlich anderes bezeichnet als in Habermas’ Aussage »Goethe faßt noch einmal den Abglanz repräsentativer Öffentlichkeit«9. Während Goethe hier zum Symptom eines Wandels gemacht wird, formuliert die Ordnung der Dinge eine mit dem Projekt dieses Buches konvergierende Vermutung der Nachträglichkeit: Don Quijote gibt etwas über die »Welt der Renaissance« zu lesen von der liminalen Position des Nachträglichen aus, so dass die »Ordnung der Dinge« (der res gestae und der historia rerum gestarum) den auf dem Wandel beruhenden linearen Verlauf der Geschichte und der Texte immer zugleich zurücknimmt. Denn Don Quijote kann immer nur eine Perspektive von der Warte eines Anderen eröffnen, als Negativ, das sich auf ein Positiv bezieht, das wiederum ›zu lesen‹ sein wird. Dass dabei, wie Foucault über den Text schreibt, »die Schrift aufgehört [hat], die Prosa der Welt zu sein« und »[d]ie Ähnlichkeiten und die Zeichen […] ihre alte Eintracht aufgelöst [haben]«, macht nicht nur für Don Quijote die »Entzifferung der Welt« zu einem »Abenteuer«, sondern verkompliziert – fortan – jede Lektüre.10 Entsprechend wurden die Romane Henry James’ nicht als ein irgend gearteter Wandel, Fortschritt oder »Abglanz« gelesen, sondern als »Name eines Problems«11. Als ein solcher Name wiederum können die Texte nicht – weniger noch die Autoren – zu »Urhebern von Bewegungen oder Verschiebungen« erklärt werden: Ihnen kommt jedoch ein »indikativische[r] Wert« (valeur indicative) zu.12 Mit den Texten von James – in den Interferenzen, die die Lektüre produziert, als ›Abenteuer der Entzifferung‹ – kann das »Problem« angezeigt werden: die Virulenz einer Frage nach genealogischer Begründung und einer Frage nach Theorie, die die Szene des Romans bedingen. Ebensowenig wie es James jedoch um eine Erledigung des Problems geht, sondern vielmehr um dessen ReVision und Reinskription, so erlegen sich auch diese abschließenden Überlegungen auf, bei der Frage zu bleiben und – statt chronologisch die Lektüren zu rekapitulieren – ›queer‹ zu den Kapiteln einige Schneisen freizulegen. Einer des Ausgangspunkte dieses Buches ist Foucaults Beobachtung über den Status und sonderbaren Aggregatzustand von Theorie im Verhältnis zum

8

Foucault, Ordnung der Dinge.

9

Vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 68.

10

Foucault, Ordnung der Dinge, S. 79.

11

Derrida, Grammatologie, S. 176.

12

Ebd.

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Roman, wenn er in Les mots et les choses und »Le langage à l’infini« »das Erscheinen der Literatur«13 auf das Ende des 18. Jahrhunderts datiert und dabei den Roman als das liest, »was man in aller strenge ›Literatur‹ nennen muss«14. Der Literatur kann insofern ein besonderer Ort im Wissen der Moderne zugeschrieben werden, als an ihr die Einstellung zur Sprache ausgemacht werden kann, die seit dem Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert durch ihre reflexiven und rekurrierenden Verfahren zu deren Selbstverständnis beiträgt.15 Literatur in diesem ›strengen Sinn‹, so wurde gezeigt, beherbergt einen Begriff von Sprache, der sie auf das »Rätsel ihrer Entstehung« zurückbeugt, die Eigentümlichkeit, dass sie sich selbst aussagt als einen »Akt des Schreibens« und als Form.16 Literatur ist dann der Name für eine Sprache und ein Wissen, in denen die eigene Theorie mitgeführt ist und Sprechereignis und Sprachreflexion, Bedeutungsgenese und -verschiebung zugleich statthaben. Das ist die eine von zwei Diagnosen, die Foucault an der Epochenschwelle um 1800 ansiedelt. Während Die Ordnung der Dinge zwar an verschiedenen Stellen, jedoch eher beiläufig, den für das Szenische relevanten räumlichen Aspekt der Literatur verhandelt, definiert sie keinen expliziten Begriff der Szene. Mit derselben Epochenschwelle und dem Status des Theatralen hingegen beschäftigt sich Surveiller et punir (1975). Mit der Frage nach der Geburt des Gefängnisses geht es hier um einen Prozess der ›Ver-Innerlichung‹, um die Übersetzung der öffentlich-theatral-spektakulären Ökonomie der Macht in die diskursive Disziplinarmacht des Gefängnisses, in der – wie Butler pointiert – »[…] der Häftling geformt, genauer noch formuliert [wird] durch seine diskursiv konstituierte ›Identität‹ als Häftling«17. Im ausgehenden 18. Jahrhunderts verortet Foucault das Verschwinden der theatralen Martern – der »peinlichen Strafen« – kurz, das »Verschwinden des Schauspiels«18, das die Geburt des Gefängnisses ermöglicht und vorbereitet.19 Die »peinliche Strafe« ist vor allem eine szenischtheatrale Zurschaustellung: »Das Gedächtnis der Menschen wird in jedem Fall die Erinnerung an die Zurschaustellung, den Pranger, die ordnungsgemäß festgestellten Qualen und Schmerzen bewahren. Und auf seiten der Justiz muß die

13

Foucault, Ordnung der Dinge, S. 365.

14

Foucault, »Die Sprache, unendlich«, S. 97.

15

Vgl. Foucault, Ordnung der Dinge, S. 359ff.

16

Ebd., S. 365f.

17

Judith Butler, Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001), S. 81.

18

Foucault, Überwachen und Strafen, S. 19.

19

Ebd., S. 15ff.

S CHLUSS : A NDERE S ZENE

| 329

Marter aufsehenerregend sein, sie muß von allen zur Kenntnis genommen werden – als Triumph der Justiz.«20 Das ko-präsentische, spektakuläre und visuelle Moment dieser Mnemonik wird übersetzt in die inneren normativen Instanzen und Ökonomien der Identitätskonstituierung, von denen die Psychoanalyse zeugt und auf die sie gerichtet sein wird. Das »Verschwinden des Schauspiels« als einer öffentlichen Dar- und Vorstellung konstituiert eine Szene der Einschreibung einerseits und der Entzifferung andererseits. Aus der (behaupteten) einen und kopräsentischen Szene des Vorstellens und Zuschauens wird jene doublierte – andere – Szene, in der Einschreibung und Entzifferung nicht zu sehen, sondern nurmehr – stets auf ein Anderes verweisend – zu lesen geben und potenziell inkongruent bleiben – schief-gehen. Die Nachträglichkeit der Lektüre ist damit nicht einfach ein zeitliches Danach, sondern eine konstitutive Ungleichzeitigkeit, eine notwendige Inkongruenz von Ereignis und Wirkung. Foucault verbindet diese beiden Diagnosen zur Epochenschwelle um 1800 – das »Entstehen der Literatur« als Roman und als ein spezifischer Typus von Theorie und Wissen einerseits und das »Verschwinden des Schauspiels« und die Herausbildung der Szene als anderer Szene des Texts und der Lektüre andererseits – nicht explizit. Es lässt sich daran aber die Grundüberlegung dieses Buches anschließen, dass nämlich die Frage nach der Romantheorie und die Szene zusammengehören, dass Literatur als Roman ihre eigene Theorie als Szene ist, insofern sie nicht nach dem binären Schema der Repräsentation (oder der Struktur), sondern nach einer räumlich-ternären Logik der Szene geordnet ist. Entsprechend führt das erste Kapitel die instabilen Präsentierungs- und Begründungsleistungen des Dramatistischen als Theoriebedarf und Theorieproblem des Romans ein. Romantheorie als Phänomen, das im 18. Jahrhundert entsteht, konstituiert eine theoretische Notwendigkeit und reflektiert zugleich das Verhältnis von Konstitution und Reflexion. In den Lektüren des ersten Kapitels stellt sich Romantheorie dementsprechend als meta-theoretische Reflexion auf den unsicheren theoretischen Status und Begründungszusammenhang dar; Romantheorie eignet ein konstitutives Schief-Gehen: Als ein solches präsentiert sie sich in Hegels Prosa als Anti-Synthese schlechthin, als Ausfall der dialektischen Methode und der in dieser gründenden Gattungsabfolge; als Störung der plot-Formung und der Fundierung in den Kategorien des Ursprünglichen bei Lukács und in Morettis Lektüren des Goethe’schen Bildungsromans; bei Blanckenburg als Ausfall der theoretischen Übersicht, als Reflexion auf den fehlenden oder unsicheren »Gesichtspunkt«, als Fehlgehen der Vermittlung zwischen Einzelfall und Allgemeinem, Ereignis und Struktur sowie als Markierung einer performati-

20

Ebd., S. 47.

330 | H ENRY J AMES ’ ANDERE S ZENE

ven Dimension der theoretischen Sprache; und schließlich bei Goethe als gespenstische Inkongruenz von Konstituierung und Reflexion, als Schief-Gehen von (Be-)Gründung und Überschreitung. Der Einsatz dieser Szene des Texts – so wurde gezeigt – lässt sich durch ein Zusammendenken von Theatralität und Psychoanalyse ermessen. In Die Ordnung der Dinge formuliert Foucault diesen Zusammenhang en passant: Literatur bzw. Philologie und Psychoanalyse konvergieren, insofern »Freud die Exegese all jener stummen Sätze [ist]« und »[d]ie Philologie [die] Analyse dessen, was in der Tiefe des Diskurses gesagt wird«.21 In dieser Konvergenz sind beide Disziplinen zentraler Bestandteil der Wissensordnung des (ausgehenden) 19. Jahrhunderts. Es ist dieses dechiffrierende Prinzip der Lektüre, das das psychoanalytische und philologische Lesen als »moderne[] Form der Kritik«22 ausweist. Während bei Foucault dergestalt die Frage der Lektüre betont ist – also jener Aspekt, der die Szene des Texts zu einer Frage der Entzifferung macht –, stellt sich diese Szene im Zusammendenken von Theatralität und Psychoanalyse zugleich als Moment der Einschreibung, d.h. als eine Produktivkraft dar: So bezeichnet der Dramatismus des modernen Romans die in den literarischen Texten stattfindende Dramatisierung, das produktiv-produzierende Moment, das sich dem Primat der Repräsentation entgegenstellt. Es ist genau dieser Aspekt, den Deleuze und Guattari am Konzept des Unbewussten artikulieren: In L’AntiŒdipe kritisieren die Autoren zunächst das repräsentationalistische und hermeneutische Verständnis der (Freud’schen) Psychoanalyse: »Das produktive Unbewußte räumt das Feld zugunsten eines Unbewußten, das sich nur mehr ausdrücken kann – im Mythos, in der Tragödie, im Traum.«23 Diese Kritik an der Logik der Repräsentation findet sich auch in den Schriften Artauds und verknüpft sich dort mit dem Theatralen, dem diejenige produktive Kraft eignet, die Deleuze und Guattari dem Unbewussten zurückerstatten wollen: »[K]ein schon bestehendes gelobtes Land, sondern eine Erde, die sich entsprechend seiner Tendenz, seiner Ablösung, seiner Deterritorialisierung selbst erschafft. Bewegung des Theaters der Grausamkeit; denn es allein ist ein Theater der Produktion, wo die Ströme die Schwelle der Deterritorialisierung überschreiten und die neue Erde erschaffen.«24 Artaud bezeichnet diese Produktivkraft als »language

21

Foucault, Ordnung der Dinge, S. 363.

22

Ebd.

23

Deleuze und Guattari, Anti-Ödipus, S. 69.

24

Ebd., S. 415f. Artaud vergleicht die Produktivbewegung des Theatralen mit der Traumarbeit, die nicht der Logik der Repräsentation, sondern der szenischen Doublierung folgt; vgl. Artaud, Le Théâtre et son double, S. 69.

S CHLUSS : A NDERE S ZENE

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théâtrale pur«, die, »wenn schon nicht Gedanken zu präzisieren, so doch zum Denken anzuregen vermag«25. Diese Produktivkraft des faire penser zeichnet wiederum Deleuze’ Auffassung des produktiven Unbewussten wie der dramatistischen Prozesse aus, welche sich dem »Anspruch des Begriffs in der apollinischen Welt der Repräsentation« entziehen und der Tatsache Rechnung tragen, dass es »hinter der Repräsentation […] immer die Idee und ihren dunkeldeutlichen Untergrund [gibt], ein ›Drama‹ hinter jedem Logos«26. Die Frage der Lektüre zum einen und jene Produktivkraft der Einschreibung zum anderen sind die beiden zentralen Aspekte, die meine Studie an der Szene des Texts in der Konvergenz von Theatralität und Psychoanalyse beleuchtet hat. Es ist diese Konvergenz, durch die das szenische Prinzip des modernen Romans als andere Szene lesbar wird. So konzipiert Artaud das produktive Theatrale als Auseinandersetzung mit dem Status und Aggregatzustand von Theorie, wobei das ›Double‹ und das ›Doublieren‹ zentrale Momente der textuellen Verfahren selbst sind, die die theoretische Verortung von Gegenstand und Diskussion sowie deren Unabschließbarkeit auf die Szene des Texts verlegen. Auch Lacan konzipiert das ›produktive‹ Moment des Unbewussten als Problematisierung von Theorie, als deren Implikation in ihren Gegenstand. So ist in »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion« nicht nur die Subjektkonstitution vom Anderen her gedacht, sondern der Text selbst erweist sich als Vollzug einer Alterisierung der eigenen theoretischen Setzungen.27 Während der Zusammenschluss von Theatralität und Psychoanalyse in seiner repräsentationskritischen und dramatisierenden Dimension am Denken von Deleuze/Guattari und Artaud herausgearbeitet wurde, stellt Brechts Verfremdung ein Konzept des Theatralen zur Verfügung, in dem Theorie immer zugleich von den vor-Augen-stellenden Momenten

25

Artaud, Theater und sein Double, S. 74; Artaud, Le Théâtre et son double, S. 69.

26

Deleuze, »Die Methode der Dramatisierung«, S. 152.

27

Vgl. Lacan, »Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion; vgl. zum Spiegelstadium als »gedoppelte(r) Szene« Claudia Öhlschläger, »Mimesis-Mimikry-Maskerade. Szenen einer Theatralisierung von Subjekt und Geschlecht bei Jacques Lacan und Judith Butler«, in: Gerhard Neumann, Caroline Pross und Gerald Wildgruber (Hg.), Szenographien. Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft (Freiburg: Rombach, 2000), S. 343–363, hier S. 349ff. Vgl. zur Frage der Alterisierung von Literatur und Psychoanalyse einschlägig Felman, »To Open the Question«, S. 10: »As the unconscious traverses consciousness, a theoretical body of thought always is traversed by its own unconscious, its own ›unthought‹, of which it is not aware, but which it contains in itself as the very conditions of its disruption, as the possibility of its own self-subversion.«

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des Zeigens und dessen disjunktiven Versetzungen geprägt ist. Denn, wie gezeigt wurde, ist der Kern von Freuds revolutionärer Erfindung des Unbewussten ein der Erkenntnis entzogener und entgegengehender motivatorischer Grund, der dennoch ein Wissen generiert, wenn auch eines, das ›nicht weiß, dass es weiß‹. Mit Freud kann jene Inkongruenz in Begriffen des Szenischen gefasst werden: Während die Urszene den Bedarf an genealogischer Fundierung und theoretischer Begründung markiert, ist es der andere Schauplatz des Unbewussten, der jene Bestreben stets einer Bewegung der Versetzung aussetzt, weswegen Lacan die radikale Inkongruenz von Ereignis und Reflexion die »Dimension des Schauplatzes« nennt: Sie ist durch die »Abspaltung von dem Ort […] an dem der Zuschauer ist«, gekennzeichnet; sie ist die »radikale Unterscheidung zwischen der Welt und diesem Ort, an dem die Dinge, und wären es die Dinge der Welt, dazu gelangen, gesagt zu werden«.28 Zwangsläufig verändert dieser Schauplatz den Status und Aggregatzustand von Theorie, wenn sie von den disjunktiven und dysfunktionalen Momenten des Unbewussten heimgesucht wird: Sie verzeichnet fortan eine Versetzung oder Alterisierung von Gegenstand und Reflexion, als andere Szene. Es ist diese durch die Psychoanalyse formulierbare, konstituierende, aber konstitutiv verfehlende – schief-gehende – Dimension des Theoretischen, die den Dramatismus des modernen Romans auszeichnet. Am Beispiel von Blanckenburg, der exemplarisch für das Begehren nach Anschaulichkeit im 18. Jahrhunderts ist, wurde das Theorieproblem als Frage nach den Evidenzierungs- und Präsentierungsleistungen der theatralen Szene erörtert. Blanckenburgs Roman soll nicht geschrieben und gelesen, sondern sichtbar sein: Gemeint ist »dies Erfolgen der Wirkung selbst, vor unsern Augen«29. Die Faszination für den dramatistischen Roman und das Misstrauen gegenüber dem Narrativen in der frühsten deutschen Romantheorie sind mehr als formale Präferenz: Aus Blanckenburgs Sicht bedeutet »bloße Erzählung« die Textualität oder Rhetorizität des Romans, seine immer nur bezeichnende Qualität als »eine gewisse Reihe von Formelchen und Ausdrücken«, »wodurch man uns den Zustand der Personen anschauend zu bezeichnen glaubt«.30 »Ideale Gegenwart«31 hingegen markiert das Phantasma einer rein-ansichtigen Sprache, die aber qua Rhetorizität der »Formelchen« an die Szene des Texts selbst gebunden bleibt. Während also Anschaulichkeit, so wurde gezeigt, das Begehren nach einer unmediatisierten und gänzlich un-theatralen Sprache artikuliert, markiert die im

28

Lacan, Das Seminar. Buch X. Die Angst, S. 48.

29

Blanckenburg, Versuch über den Roman, S. 495.

30

Ebd., S. 493.

31

Vgl. z.B. ebd., S. 21.

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Dramatismus des Romans begehrte und suspendierte Theatralität – als Freud’scher anderer Schauplatz – die instabile Gründungsszene des psychologischen Romans und seiner Theorie sowie die performative Wirkkraft der Sprache als ihrer Szene. Durch das komparatistische Verfahren dieses Buches konnte dabei herausgestellt werden, dass diese Problemstelle – die Frage nach der vorAugen-stellenden Präsenz und die Frage nach dem theoretischen Geschichtspunkt – bis in die französische (Genette) und vor allem angloamerikanische (Früh-)Narratologie (Lubbock) verfolgt werden kann (Kapitel II–IV) und in den Romanen James’ zur Austragung kommt. Die für Blanckenburg konstatierte Räumlichkeit und Affektivität des Theatralen (»Shakespeares Szenen«), die die ideale Gegenwart als darstellungslose Darstellung beständig zurücknehmen, untersucht ausführlich das zweite Kapitel als »Scene of Success(ion)«. An Daisy Miller und ihrem flirt wurden die lustvollen Ökonomien der Vermessenheit, die provocations und stimulations der Szene des Texts herausgestellt: das Verräumlichungsmoment des Theatralen, das performative Moment des Gender Trouble, das schief-gehende und un-heimliche Moment der psychoanalytischen Dimension des Texts. ›Szene‹ in Daisy Miller wurde dabei als ›ansteckende‹, anti-kausale und anti-motivatorische Verweisstruktur lesbar, in der das Theatrale als Unterbrechung der ›natürlich‹ erscheinenden Sukzessivität und Teleologie der narrativen Ketten und genealogischen Ordnung fungiert. Diese Energie als quasi-körperliche und materielle Sinnlichkeit und performatives Moment der Texte begegnet und durchkreuzt die Performanz des Sinns und vereitelt damit den auf das 18. Jahrhundert zurückgehenden Versuch, von der evidenten Struktur des Dramas nur die sinnhafte Anschaulichkeit des Szenischen zu übernehmen, nicht aber die Sinnlichkeit, positionalsituative Räumlichkeit und Un-heimlichkeit des Theatralen. Diese Produktivkraft der Szene des Texts treibt dabei ein lustvolles Spiel mit der Hermeneutik, die das literaturwissenschaftliche und das psychoanalytische Lesen auf den ersten Blick zu verbinden scheint: Sie kündigt jenen auf einem binären Schema basierenden Kommunikationsvertrag zwischen Text und Leser, für dessen Übereinkunft und Einhaltung Barthes den Namen »Kultur« findet.32 Die hier vorgelegte Studie unternimmt eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Verständnis von Lektüre, für die das symbolische Funktionieren der Sprache und deren doppelsinniger Charakter das Vorgehen der Interpretation begründen. Doch der Einsatz der Szene ist gleichzeitig nur vor diesem Hintergrund zu ermessen, nicht zuletzt, weil sich diese Hermeneutik an dem Zusammenschluss von Theaterszene und Familienszene artikuliert. In dieser Dopplung

32

Vgl. Barthes, Die helle Kammer, S. 33ff.

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verheißt die Szene, die Genealogie des Familialen in der Synchronie des präsentischen Vor-Augen lesbar zu machen, wodurch das genea-logische und das textlogische Moment der Gattung zusammenfallen. So ist die Lektüre der Kindheit, wie an Freuds Texten gezeigt wurde, eine Abwehrgeste gegenüber dem Fragmentarischen und Episodischen des Lebens und der Rede und der Ausgangspunkt für den »Mythos kontinuierlicher Entelechie«33. Doch die Lektüre der Kindheit ist Freud nicht nur Verheißung, sondern zugleich Stolperstein der Hermeneutik der Psychoanalyse. Beides, Verheißung und Stolperstein dieser Hermeneutik, formuliert bereits Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre: Der Geist der Bildung propagiert insofern die Les- und Erzählbarkeit des Biografischen (Dilthey), als der »Genius des Buches« verheißt, dass sich alles zu »innere[n] Beziehungen und Verwandtschaften« und zum »malerische[n] Ganze[n]« fügt, infolgedessen »alles gegenwärtig vor unsern Augen« steht.34 Goethes Text und seine in der deutschen Romantik einsetzende und bis heute resistente hermeneutische Indienstnahme machen den Zusammenhang zwischen dem Lektüreversprechen und der vor-Augen-stellenden Evidenzierung sinnfällig: Bei Schlegel drücken die »innere[n] Beziehungen und Verwandtschaften« und die Tatsache, dass »alles gegenwärtig vor unsern Augen« steht, präzise den Zusammenhang von Theater- und Familienszene aus. Gleichzeitig aber ist Wilhelm Meister eine Verkomplizierung von Genealogie und Textlogik: Goethes Text durchzieht nicht nur die Theaterliebe, sondern die Faszination für Shakespeares Hamlet, der ein gespenstisches Moment im Familialen markiert: Der Geist von Hamlets Vater, so wurde gezeigt, lässt sich weder restlos in das Gesetz der Sukzession noch in die Präsenz der Szene übersetzen, sondern markiert in beidem einen gespenstischen und widergehenden Rest. Goethes Text markiert den Versuch des Bildungs-Geistes, die Geister der Ahnen in die rekurrierenden Bilder der Kindheit und die genealogische Ordnung zu übersetzen und so lesbar zu machen. Gleichzeitig aber widersetzt sich die gespenstische Dimension des Theatralen dieser Einbettung und lässt die Familienszene zu dem Moment werden, an dem die Hermeneutik schief-geht. Die von Schlegel hermeneutisch in Anschlag gebrachte »Verwandtschaft« und das Vergegenwärtigungs- und Präsenzbegehren – d.h. Familien- und Theaterszene – sind zugleich Stolperstein des hermeneutischen Kritikbegriffs, der ›verdächtigt‹, es gäbe ›hinter‹ den Bildern oder »in der Tiefe des Diskurses« ein Eigentliches und Ursprüngliches. Dieser Widerstand gegenüber der Hermeneutik, so wurde in Kapitel II herausgestellt, ist schon bei Freud selbst mit dem The-

33

Kittler, »Über die Sozialisation Wilhelm Meisters«, S. 38f.

34

Schlegel, »Über Goethes Meister«, S. 126ff.

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atralen in Zusammenhang gebracht worden. Wie gezeigt wurde, geht das theatrale Moment des Unbewussten und der Analyse nicht im hysterischen Gebaren, in dessen bühnenhafter Sichtbarkeit und damit in einer Szene der (Ko-)Präsenz auf, der ein einfacher Begriff des Sehens/Lesens korrespondiert. Besonders in den späteren Texten Freuds markiert der Vorgang der Übertragung einen Bezüglichkeitsmodus der Implikation, der zur Inskription des Unbewussten in die Gegenwärtigkeit der Szene der Analyse führt und diese damit beständig alterisiert, die Szene durch die je andere Szene doubliert. Insofern ist diese Implikation eine ›schief-gehende‹ Adressierung und provoziert gerade als solche die Lektüre, der sie zugleich immer und kategorisch widersteht. Die Kritik an dem hermeneutischen Prinzip der Psychoanalyse durchzieht die Lektüren der beiden Kapitel III und IV, die an James’ The Golden Bowl und What Maisie Knew die Bewegung der Anti-Ödipalisierung herausstellen. Die Idee der Anti-Ödipalisierung richtet sich gegen den Anspruch des Ursprünglichen, verkompliziert damit die Perspektive der Lektüre und des Wissens sowie die Möglichkeit, eine souveräne Position im Rückgriff auf eben dieses Ursprüngliche oder Ur-Bildliche zu beziehen. Der auf Platon zurückgehende Zusammenhang zwischen Kritik und Theater und dessen Aporien wurden an Brechts epischer Theaterszene herausgestellt, in der es um den Status des Zeigens geht und um die damit verbundene Frage nach dem medialen Aggregatzustand der Bilder und deren Verweiskraft. Gegen den Brecht der Entfremdung und des Zeigens wurde jenes in seinen Texten und in seinem Denken des Theaters signifikante Moment der Verfremdungen und des Konstruktiven stark gemacht, wodurch statt der (erkenntniskritischen) Anschauungen die Anschauungsweise und damit eine praktische Dimension der Kritik in den Blick rücken. Vor diesem Hintergrund ließ sich zeigen, dass bei James der Zusammenhang zwischen Kritik und Theatralität nicht in der platonischen Logik der Urbilder und Abbilder liegt. Zwar spricht James von appearances und truths, aber James’ criticism stellt dennoch ein textinternes Moment dar, insofern es als Textpraxis selbst ein produktives Tun (doing) ist. Wenn das Familiale dabei als eine ›Verstrickung‹ herausgestellt wurde, dann implizieren James’ Scheidungen, Differenzen und Symbiosen mehr und anderes als bloße Familiensoziologie: Mittels der Familiendramen vollziehen sich die (bildlogischen) Bewegungen der Trennung, Differenzierung und Relationierung, denen eine erkenntniskritische Pointe eignet. Dadurch, dass jene »Thronbesteigung des souveränen Ödipus«35 verweigert wird, sowie durch die nachträglichen Bewegungen der Autorisierung und (De-)Autorisierung wird die Perspektive der Übersicht und der Distanz zum Erkenntnisobjekt beständig versetzt. So wurde der für James’ Romane typische

35

Deleuze und Guattari, Anti-Ödipus, S. 68.

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in den Romantext inskribierte Modus des Zuschauens als theatral-räumlicher Aspekt der Szene diskutiert. In The Golden Bowl verschränken sich dergestalt Ereignis- sowie Kommentar- und Reflexionsebene und verunmöglichen die Verfahren der Differenzierung. In What Maisie Knew wird durch die textuellen Verfahren der Trennung und Distanzierung eine Erkenntnisperspektive ausformuliert, die einen allwissenden Beobachter nicht mehr zulässt und die Möglichkeit einer klaren Trennung und Distanzierung durch die Implikation des Beobachters in das Geschehen aufhebt. Statt die Psychoanalyse und den Familialismus an die Frage nach dem Ursprung zu binden, ermöglicht die Aufgabe einer sicheren Beobachtung und eindeutigen Lektüre unter der Prämisse eines anti-ödipalen Anti-Platonismus, das produktive, produzierende Moment des Unbewussten in den Vordergrund zu stellen. So artikuliert das Familiale in The Golden Bowl und in What Maisie Knew einen Zusammenhang – eine Struktur – und eine Herkunft/Abfolge, die sich nicht auf das Paradigma des Ursprünglichen beziehen lassen. Unter Aufgabe eines sicheren, ›Kultur‹ begründenden Fundaments platonischer Urbilder oder Urszenen entsteht in James’ Texten ein Spiel mit diesem Urbildlichen und Ursprünglichen – eine Dramatisierung der Fundierungsbewegungen des Kulturellen. Dergestalt erweist sich die Institution des Kulturellen als (poststrukturalistische) Aktualisierung, die sich aus keinem ursprünglichen Bezugsrahmen herleiten lässt. Es sind daher nicht der sozialgeschichtliche Hintergrund und der einfache Modus der Repression, die zu dem von Foucault diagnostizierten »Verschwinden des Schauspiels« führen und die Szene des modernen Romans zu einer politischen und einer geschichtlichen machen. Die politische und geschichtliche Dimension der Szene erhält sie als (Be-)Gründungsszene des Kulturellen. So taucht die Frage nach der Szene abermals im ersten Band von Histoire de la sexualité (1976) auf, als Frage nach dem politischen Moment des Privaten, das der Erzählung von der Verinnerlichung widerspricht. Der Wille zum Wissen beginnt mit dem Hinweis auf eine Geschichte, die Foucault im Folgenden nicht erzählen möchte und die er mit »Wir Viktorianer« überschreibt: »Lange Zeit hindurch, heißt es, haben wir ein viktorianisches Regime ertragen, und wir leiden immer noch darunter. Im Wappen unserer Sexualität steht zuchtvoll, stumm und scheinheilig die spröde Königin.«36 Die Rückschlüsse, die diese Erzählung nahelegt, sind (oder wären) die »lichten Tag[e]« vor-repressiver Zeiten, auf die dann die »Dämmerung« und die »monotonen Nächte« des (hier: viktorianischen)

36

Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit I: Der Wille zum Wissen, 19. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2012), S. 11.

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Bürgertums folgen. Die Erzählung weist auf ein implizites kulturelles Verbot »offen zur Schau gestellte[r]«37 Körper und führt einen »Diskurs über die moderne Unterdrückung des Sexes«38: »Um den Sex [breitet] sich Schweigen« und »[im] gesellschaftlichen Raum sowie im Innersten jeden Hauses gibt es nur einen Ort, an dem die Sexualität zugelassen ist […]: das elterliche Schlafzimmer«.39 Foucault hingegen wehrt sich gegen die Geschichte vom Verschwinden oder Verlust der Rede und die Geschichte der Ver-Innerlichung, der Verlagerung einer öffentlichen Szene ins Private. Bekanntlich geht es Foucault im Verlauf seiner Untersuchung um anderes – und doch sagt diese Passage viel über die hier diskutierte Frage der anderen Szene des modernen Romans: Was nämlich nicht erzählt wird, ist die Geschichte von der Ablösung des Außen durch das Innen, dem Übergang des Öffentlichen ins Private, der Dichotomie von heimlich und unheimlich. Was nicht erzählt werden soll, ist die These von dem Aufgehen des Sichtbaren im Öffentlichen und des Unsichtbaren im Privaten. Was damit schließlich nicht erzählt werden soll, ist die Einpassung des modernen Romans in die Dualität von Natur und Kultur und in eine Emanzipationsgeschichte des Kulturellen, das sich seit dem späten 18. Jahrhundert mit Institutionen wie der Literatur von der naturgeschichtlichen Ordnung und deren kosmologischen Begründungslogiken ablöst. Das heißt, was schließlich nicht erzählt werden soll – als Programmatik von Foucaults Projekt der Genealogie –, ist die Dualität von natürlich vs. kulturell. Dabei wäre die Versuchung einer solchen Lektüre groß, fragt man nach der Szene des modernen Romans als anderer Szene; perfekt ließe sich diese Geschichte erzählen: James wäre der anti-Viktorianer und der queere Befreier aus prüden Erzähl- und Sexualpolitiken; der Meistersignifikant wäre das im Kulturellen unterdrückte – und qua (viktorianischer) Unterdrückung und Meistersignifikation – ursprüngliche (homosexuelle) Begehren; James’ »savage sexuality« würde die ›natürliche‹ Sexualität als unser verdrängtes kulturelles Unbewusstes ausweisen.40 Doch diese Versuchung vereitelt schon Lacans Lektüre Freuds, wenn er schreibt: »Es hilft nichts, man wird sich dazu entschlie-

37

Ebd.

38

Ebd., S. 13.

39

Ebd., S. 11.

40

Vgl. dazu John Carlos Rowe, The Other Henry James (Durham: Duke University Press, 1998). Vgl. einschlägig zu Jamesian gay/queer Studies Eve Kosofsky Sedgwick, »The Beast in the Closet: James and the Writing of Homosexual Panic«, in: dies., Epistemology of the Closet (Berkeley: University of California Press, 1990), S. 182–212; John R. Bradley (Hg.), Henry James and Homo-Erotic Desire (London: Macmillan, 1998).

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ßen müssen. Das Unbewußte ist nicht das Ursprüngliche oder das Instinktive, und an Elementen enthält es nur die Elemente des Signifikanten.«41 Wenn man zudem berücksichtigt, dass das »Schauspiel« und das Private keine Dichotomie formen und die Szene nicht in jenen spektakulären Ökonomien des Sichtbaren aufgeht, sondern sich selbst ›queer‹ zu den Logiken des Medialen verhält, dann heißt das, dass die Szene nicht einfach das verdrängte Andere (der Gegenstand der Verdrängung) ist, sondern sich innerhalb der Ökonomien der Verdrängung bewegt und zugleich als Widerstand gegen deren einfache Erzählung auftritt. Die Szene als immer auch andere Szene eröffnet – wie Lacan schreibt – eine »Dimension der Geschichte«42, weil sie als Urszene und deren Alterisierung die Ökonomien kultureller (Be-)Gründung in sich aufnimmt. Für den Dramatismus des Romans heißt das, dass die Frage der Prosa als Bezeichnungsnotstand und die Szene des Romans als Szene prekärer Theorie gelesen werden müssen, als eine unumgängliche Verweisstruktur, die ihren Ausgangspunkt in einem Krisenmoment der Bezeichnung und der Lektüre hat: »La scène exhibe le dysfonctionnement des signes.«43 Die Szene des Romans verhandelt nicht nur die Frage des Ursprungs und der Gründung, sie ist nicht Urszene – d.h. Ursprungserzählung und Legitimierungsgeschichte –, sondern Gattungsmoment: Formulierung des Ursprungsproblems, erzählende Sinnstiftung und zugleich deren szenische Unterbrechung. Damit aber wird nicht zuletzt die Frage der Epochalisierung – das a priori von Foucaults episteme – auf die Ebene der Szene der geschichtlichen Fundierung gehoben, auf die immer ausgesetzte Gründungsszene, die der Text ist; oder anders formuliert: Gerade mit Foucaults ›verschwundenem‹ Schauspiel kommen die immer paradoxalen Begründungslogiken ins Spiel, die Kenneth Burke unter dem Stichwort Dramatism – Dramatismus – beschreibt. Denn während die Auflösung der »Ähnlichkeiten« bei Foucault das gesamte Spiel der Repräsentation und Bezeichnung in Gang setzt – gemeint ist das klassische Zeitalter der Illusion, des Theaters, der Chimären, Träume und Visionen44 –, wird »Prosa« seit Cervantes’ Don Quijote, d.h. mit dem modernen Roman zu dem Ort, an dem die Notwendigkeit der Bezeichnung und deren Unmaß/Un-Ort zugleich aufscheinen. Der Dramatismus erweist sich dann als das Begehren nach

41

Jacques Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud«, in: Schriften II (Olten; Freiburg, Br: Walter Verlag, 1973), S. 15–59, hier S. 48.

42

Lacan, Das Seminar. Buch X. Die Angst, S. 48.

43

Lojkine, La Scène de roman, S. 10.

44

Vgl. Foucault, Ordnung der Dinge, S. 83.

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und zugleich als »embarrassment [of the] constitutive act«. So schreibt Burke luzide über James: Dramatistically, however, there is an embarrassment as regards God’s constitutive act. James touches upon it somewhat when saying that it is impossible to imagine the ›way‹ of creation. And we see it more clearly when we reflect that a ›way‹ is literally a path across some ground. The symmetry of the pentad requires that even a ›first act‹ must have been enacted in some kind of ›scene‹ (could we call it a ›pre-first‹scene?).45

An Daisy Miller und an The Golden Bowl wurde gezeigt, inwiefern James gegen das sich entziehende Schöpfungsmoment anschreibt und dabei immer weitere Szenen schafft, die Gründung (»some ground«) verheißen und versetzen. Die andere Szene markiert dieses suspendierte, immer wieder neu wiederholte Gründungsmoment der szenischen Methode. Aus der Perspektive einer transatlantischen Komparatistik zeigt sich, dass im angloamerikanischen Roman diese zirkulierende Leerstelle des Gründungsmoments »weit weg von den Wegen der Gründe [abbringt] und Personen entstehen [lässt], die sich im Nichts aufhalten, nur in der Leere überleben, ihr Geheimnis bis zum Schluss wahren und Logik und Psychologie herausfordern«46. ›Amerika‹ steht für die Auseinandersetzung mit den Momenten der Entdeckung und der (Be-)Gründung, für die Frage nach dem Gründungspotenzial der Begründung und nach der Unterbrechung jener sukzessiven Erzähllogiken, die Gründung und Erfüllung, Schöpfung und Entdeckung in eins fallen lassen. Von dieser anderen Szene aus kann wiederum nach dem Gründungsbedarf und den Begründungslogiken innerhalb des europäischen Kanons gefragt werden. Wie mit Hegel und Lukács gezeigt wurde, ist die »Prosa« zugleich die Markierung einer nicht mehr sinnfälligen Bindung an die Kategorien des Idealen und des Allgemeinen (urszenische Fundierung) und der Einfall des Situativen und Partikularen in die Sprache und Logik der Theorie. Die szenische Methode markiert diesen Hiatus von Urszene und anderem Schauplatz, ist je andere Szene, und gerade deshalb produktiv. Die kulturwissenschaftlich relevante Dimension der szenischen Methode liegt somit in der Tatsache, dass sie Literatur nicht nur als Figur der Medialisierung – als (ver-)setzende Szene der Sprache und ihrer Theorie – denkbar macht, sondern sich Literatur zudem als Figur der (Be-)Gründung aussagen lässt und damit text-logisches und genealogisches Moment der Gattung umfasst: Damit wird der moderne Roman zur »Szeno-Graphie«, zur »›andere[n] Szene‹, [zum] ›andere[n] Schauplatz‹ des

45

Burke, A Grammar of Motives, S. 69.

46

Deleuze, »Bartleby oder die Formel«, S. 112.

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kulturellen Prozesses; [zum] Ort, wo der Ursprung und das Funktionieren des kulturellen Prozesses selbst immer von neuem verhandelt [werden]«.47 Es ist also nicht Literatur im allgemeinen Sinne (etwa qua Bedeutungsgenese und -verschiebung), sondern im Foucault’schen ›strengen Sinn‹ der moderne Roman, der im Hinblick auf die Frage der literarischen Gattung das Wissen der Literatur als zugleich Konstitution und Reflexion des Kulturellen bestimmt. Als Konstitution und Reflexion macht das Gattungsmotiv des Romans Natur- und Kulturbegriff zu einem Schwellen- und Übersetzungsraum. Entsprechend behandelt dieses Buch den Theater- und Sexualdiskurs zusammen und stellt heraus, dass diese Diskurse roman- und wissensgeschichtlich seit dem späten 18. Jahrhundert in einer spezifischen Weise konvergieren. Bereits Kittler argumentiert, dass der diskursive Untergrund der Theaterliebe des späten 18. Jahrhunderts die Übersetzung der ars amandi in die neuzeitliche Sexualität ist. Sie zeugt, so Kittler, von dem Wandel des esoterischen Wissens der Erotik und der Körpertechniken der Lustoptimierung hin zur konjugalen Norm der bürgerlichen Kernfamilie.48 Jedoch ist die Theaterliebe nicht einfach jener rite de passage innerhalb des von Jürgen Habermas konstatierten Strukturwandels, d.h. sie markiert nicht einfach den Übergang in die Sphäre des Bürgerlichen im Sinne einer ›Überholung‹ des Theatralen und dessen repräsentativer Öffentlichkeit.49 Vielmehr ist das Szenische eine Art Schnittmenge und Übersetzungsraum zwischen dem Biologischen und dem Kulturellen. In der hier vorgelegten Analyse Daisy Millers, die Theatralität, Psychoanalyse und Sprechakttheorie zusammendenkt, erweist sich die Szene insofern als eine Schnittmenge und ein Übersetzungsraum, als der individuelle Körper und die artikulierte Rede gerade und zwingend nicht kongruent sind und weder Körper noch Rede Ursprung oder Endpunkt der Artikulation bilden. Wie gezeigt wurde, entfaltet sich eine uneigentliche, »soufflierte Rede« (Derrida), die den für die Sprache skandalösen Körper – als partikularen – herausstellt, ohne ihn jedoch in der Rede adressierbar zu machen. Während damit der moderne Roman seit seiner theoretischen Erfindung im 18. Jahrhundert Anteil hat an der Ausdifferenzierung der Sphären des Kulturellen und des Biologischen, problematisiert James’ szenische Methode rund hun-

47

Gerhard Neumann, »Die Instanz der Szene im Denken der Sprache. Argument und Kategorie der ›Theatralität‹ in der Literaturwissenschaft«, in: Erika Fischer-Lichte, Christian Horn und Sandra Umathum (Hg.), Theatralität als Modell in den Kulturwissenschaften (Tübingen; Basel: Francke, 2004), S. 139–157, hier S. 151.

48

Vgl. Kittler, »Wilhelm Meister«, S. 34ff.; vgl. auch Shorter, The Making of the Modern Family.

49

Vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 68.

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dert Jahre später qua Gattungsmotiv und Lebensbegriff die Interdependenz des Kulturellen und des Biologischen und deren Denkbarkeit. Während, wie Petra Gehring gezeigt hat, kurz vor und um 1900 am Begriff des Lebens und im Sexualdiskurs eine Naturalisierung der Genealogie und damit eine Biologisierung des Gattungsbegriffs zu beobachten ist,50 stellt James’ szenische Methode das Verhältnis und die Bewegungen der Ausdifferenzierung der Sphären und die Prozesse und Stolpersteine von deren theoretischer Betrachtung immer wieder neu zur Debatte. Statt hier die Individual- und die Gattungsebene ineinander aufgehen zu lassen, zeigt das Lebensmotiv des szenischen Romans auf, dass die strukturelle Ordnung und der Einzelfall zusammengehören, aber inkongruent bleiben – und dass damit Theorie zwangsläufig und kategorisch schief-geht, ja nur dann im ›strengen Sinn‹ funktioniert, nämlich produktiv ist, indem sie in dieser Inkongruenz verbleibt: als je andere Szene. So wurde an Daisy Miller das Verhältnis von Rede und Körper als szenische Ent-Ortung gezeigt, als »oblique relation« (Butler), die gleichzeitig die Inkongruenz und die Untrennbarkeit von Sprache und Körper, von Kultur und Natur thematisiert. Natur- und Kulturbegriff als Schwelle zu denken, heißt damit zum einen, die Begriffe nicht als Gegensatzpaar zu ordnen, zum anderen, sie nicht zu finalisieren und zu kausalisieren. In der Lektüre von Goethes Wilhelm Meister hat sich gezeigt, dass die entwicklungsgeschichtliche Prämisse des modernen Romans und seiner Epistemologie auf der Konstruktion der Kindheit als Hort lebensgeschichtlicher und sexueller Entfaltung fußt. Das Konzept der Kindheit dient als Projektionsfläche eines außerkulturellen Ursprungs und fungiert somit als Begründung einer spezifischen Hermeneutik, in der ›Kultur‹ eine Vergegenwärtigungs- und hermeneutische Verstehensleistung bezeichnet, deren Pendant eine dem Kulturellen entzogene und doch potenziell restlos plausibilisierbare Natur ist. Es ist der Status dieser (infantilen) Sexualität – der der Gegenstand und methodologische Garant der Hermeneutik sein soll –, die am Theatertopos ausgehandelt wird: Deshalb spricht James von der szenischen Methode. Wenn Daisy Millers Flirt ein libidinöses, biologisches Moment beherbergt, wenn The Golden Bowl am Inzesttopos nach dem logischen Ort einer »wilden Sexualität« fragt und What Maisie Knew den Status der Kindheit verhandelt, dann ist darin ein Naturbegriff angezeigt, der nicht – wie oben beschrieben – den Institutionalisierungsleistungen des Kulturellen gegenübergestellt oder ihnen restlos untergeordnet ist, sondern vielmehr Freuds (und mit ihm Lacans) Verkomplizierung der Natur-Kultur-Differenz als

50

Vgl. Petra Gehring, »Sex – Generativität – Leben. Zu den Machteffekten des biologischen Geschlechts«, in: Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Die Natur der Gesellschaft (Frankfurt am Main; New York: Campus, 2008), S. 513–523.

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einer Schwellenfigur entspricht. Der Stellenwert der Freud’schen Psychoanalyse ist daher für die hier vorgelegte Studie nicht nur poststrukturalistisch informierte Methode: Die bei James verhandelte und oben beschriebene Inkongruenz von partikularer ›zeugender‹ Produktion und Konstituierung und Reflexion des Kulturellen, die Freilegung der Dialektik von Kontingenz und Ursächlichkeit – d.h. der Wirkmächtigkeit des Kontingenten und der (nachträglichen) Implikation des Ursächlichen – und die im Kern radikal a-teleologischen, anti-ödipalen Erzählökonomien sind die Verhandlung der zentralen Prämisse der Freud’schen Psychoanalyse. Denn, wie Alenka Zupančič hinsichtlich der Frage »Warum Psychoanalyse?« (und es ließe sich auch fragen: ›warum (heute) kulturwissenschaftliche Psychoanalyse?‹) herausstellt, ist das »Objekt der Psychoanalyse […] die Zone, in der sich diese beiden Bereiche [Natur und Kultur] überschneiden«51. In diesem Sinn handelt es sich »nicht einfach [um] eine Überschneidung zweier wohldefinierter Entitäten […], sondern [um] eine Schnittmenge, die für beide Seiten generativ wirkt«52. Anders als C.G. Jung, der in seiner vitalistischen Logik das Libidinöse als ursprüngliche Lebensenergie konzipiert, funktioniert bei Freud das Sexuelle als Problematisierung dieser primordialen Zuweisung. Sexualität ist nicht einfach ein »Überschuss an Energie«, sondern das, was das »Ganze ›nichtganz‹ macht« – das heißt, »dass es keinen ›natürlichen‹ oder vorherbestimmten Ort der menschlichen Sexualität gibt, sondern diese konstitutiv fehl am Platz ist, fragmentiert und zerstreut, und nur als Abweichung von sich ›selbst‹ oder vom ihr angeblich natürlicherweise gegebenen Objekt existiert, und dass Sexualität nichts anderes als dieses ›fehl am Platz sein‹ ihrer eigenen konstitutiven Befriedigung ist«.53 So liegt methodisch und erkenntnistheoretisch der wesentliche Zugewinn im Zusammendenken von Theatralität und Psychoanalyse in der das Denken der Binarität beständig problematisierenden Frage nach der Differenzierung und der Relationierung: Zur Debatte stehen die Trennung und das Verhältnis zweier ›Orte‹: der Ort der ›Bühne‹, auf dem etwas stattfindet oder von dem etwas ›ausgeht‹ und ›ansichtig‹ wird, und derjenige Ort, an dem ›gesehen‹ oder ›gelesen‹ wird (Lacans »Dimension des Schauplatzes«). Grundlegend ist bei alledem die Primordialität der Reden und des Kulturellen, deren Konstruktionsmechanismen radikal kontingent sind und die keinerlei Absicherung in einem wie auch immer gearteten ›Natürlichen‹ haben; dies nicht zuletzt, weil jede Rede – auch diejeni-

51

Alenka Zupančič, Warum Psychoanalyse? Drei Interventionen (Zürich; Berlin: diaphanes, 2009), S. 9.

52

Ebd., S. 7.

53

Ebd., S. 16.

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ge von der Unterscheidung der Sphären – immer und nur im Bereich des Symbolischen statthat. Zugleich aber hat der Bereich des Sprachlichen und Kulturellen, insofern er keine hermeneutische Absicherung kennt, keinerlei Verfügungsgewalt über jene Sphäre der ›Natur‹ – es sei denn qua Setzung als das Andere des Kulturellen, das dann als solches sich immer und zugleich der Ansichtigkeit oder Evidenzierung entzieht und trotzdem qua Differenz generativ funktioniert. Die szenische Methode markiert diese Unumgänglichkeit der Differenz und die gleichzeitige Unmöglichkeit fixierbarer Unterscheidung. Als Ausblick dieses Buches und ausgehend von dessen kulturwissenschaftlichem Programm lässt sich schließlich eine Literaturwissenschaft der Relationen denken, die in James’ szenischer Methode bereits angelegt ist. So ist die szenische Methode, insofern sie Einblick in den Dramatismus des modernen Romans gibt, eine komparatistische Problemstellung innerhalb einer westeuropäischen und transatlantischen Konstellation, wie in diesem Buch ausgeführt wurde. Aus dieser Konstellation resultiert eine Alterisierung des europäischen Kanons, eine Ein- und Umschreibung der literarischen Schauplätze, eine Dekonstruktion der Abgrenzbarkeit von Räumen und Linearisierbarkeit historischer Abfolgen. Statt die Kartografie den »Einflüssen« voranzustellen, werden die Texte selbst zur Raumpraxis, in der »Zugehörigkeit […] niemals geradlinig [ist]«54. Die szenische Methode fragt nach den produktiv-bezüglichen »bewegliche[n] Punkte[n] und gewundene[n] Linien« und kreiert so ein »Patchwork mit endloser Fortsetzung«,55 das sich auf keine ursprüngliche – primäre – Ordnung zurückführen lässt, das immer schon sekundär, in Relation auftritt.

54

Derrida, Grammatologie, S. 178.

55

Deleuze, »Bartleby oder die Formel«, S. 118.

Literatur

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Rudolf Käser, Beate Schappach (Hg.) Krank geschrieben Gesundheit und Krankheit im Diskursfeld von Literatur, Geschlecht und Medizin 2014, 430 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-1760-3

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Lettre Reinhard Babel Translationsfiktionen Zur Hermeneutik, Poetik und Ethik des Übersetzens Oktober 2015, ca. 350 Seiten, kart., ca. 44,99 €, ISBN 978-3-8376-3220-0

Erik Schilling Dialog der Dichter Poetische Beziehungen in der Lyrik des 20. Jahrhunderts Oktober 2015, ca. 158 Seiten, kart., 23,99 €, ISBN 978-3-8376-3246-0

Johanna Richter Literatur in Serie Transformationen des Romans im Zeitalter der Presse, 1836-1881 Oktober 2015, ca. 240 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3166-1

Armin Schäfer, Karin Kröger (Hg.) Null, Nichts und Negation Becketts No-Thing Oktober 2015, ca. 290 Seiten, kart., ca. 35,99 €, ISBN 978-3-8376-2704-6

Sebastian Schmitt Poetik des chinesischen Logogramms Ostasiatische Schrift in der deutschsprachigen Literatur um 1900 September 2015, 300 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3247-7

Andreas Heimann Die Zerstörung des Ichs Das untote Subjekt im Werk Elfriede Jelineks August 2015, 334 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3214-9

Julia Catherine Sander Zuschauer des Lebens Subjektivitätsentwürfe in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur Juni 2015, 344 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3127-2

Toni Tholen Männlichkeiten in der Literatur Konzepte und Praktiken zwischen Wandel und Beharrung Mai 2015, 224 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3072-5

Clemens Peck, Florian Sedlmeier (Hg.) Kriminalliteratur und Wissensgeschichte Genres – Medien – Techniken April 2015, 248 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2887-6

Lars Wilhelmer Transit-Orte in der Literatur Eisenbahn – Hotel – Hafen – Flughafen März 2015, 344 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2999-6

Thomas Assheuer Tragik der Freiheit Von Remscheid nach Ithaka. Radikalisierte Sprachkritik bei Botho Strauß 2014, 274 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2759-6

Gregor Schuhen (Hg.) Der verfasste Mann Männlichkeiten in der Literatur und Kultur um 1900 2014, 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2793-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Siegfried Mattl, Christian Schulte (Hg.)

Vorstellungskraft Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2014

Dezember 2014, 136 Seiten, kart., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-2869-2 E-Book: 12,99 € ISBN 978-3-8394-2869-6 Vorstellungs- oder Einbildungskraft bezeichnet die Fähigkeit zur Erzeugung innerer Bilder, die entweder Wahrnehmungen erinnernd reproduzieren oder produktiv Gegebenheiten überschreiten. Vorstellungen konstruieren imaginativ zukünftige Szenarien oder erzeugen – wie in der Kunst – ästhetische Alterität. Die interdisziplinären Beiträge dieser Ausgabe der ZfK untersuchen Figurationen und Agenturen des Imaginären: von den Todes- und Jenseitsimaginationen der christlichen Kunst, den Denk- und Sehräumen in Kunst und Medizin über Rauminszenierungen der Moderne, dem frühen Amateurfilmdiskurs bis hin zur Techno Security und Big Data. Der Debattenteil befasst sich unter dem Titel »Transparenz und Geheimnis« mit medien- und kulturwissenschaftlichen Zugängen zu Dispositiven der Überwachung.

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Zeitschrif t für interkulturelle Germanistik Dieter Heimböckel, Ernest W.B. Hess-Lüttich, Georg Mein, Heinz Sieburg (Hg.)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 5. Jahrgang, 2014, Heft 2

Dezember 2014, 208 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN 978-3-8376-2871-5 E-Book: 12,80 €, ISBN 978-3-8394-2871-9 Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik (ZiG) trägt dem Umstand Rechnung, dass sich in der nationalen und internationalen Germanistik Interkulturalität als eine leitende und innovative Forschungskategorie etabliert hat. Sie greift aktuelle Fragestellungen im Bereich der germanistischen Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaft auf und versammelt aktuelle Beiträge, die das zentrale Konzept der Interkulturalität weiterdenken. Die Zeitschrift versteht sich bewusst als ein interdisziplinär und komparatistisch offenes Organ, das sich im internationalen Wissenschaftskontext verortet sieht. Lust auf mehr? Die ZiG erscheint zweimal jährlich. Bisher liegen 10 Ausgaben vor. Die ZiG kann auch im Jahresabonnement für den Preis von 22,00 € (international 28,00 €) bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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