Heideggers Kritik der abendländischen Logik und Metaphysik: Ein kritischer Dialog. Aus dem Italienischen übersetzt und hrsg. von Christian Göbel. Mit einem Geleitwort von Friedrich-Wilhelm von Herrmann [1 ed.] 9783428545117, 9783428145119

Für Martin Heidegger besteht ein enger innerer Zusammenhang zwischen der abendländischen Metaphysik und ihrer Logik. Er

132 85 1MB

German Pages 108 Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Heideggers Kritik der abendländischen Logik und Metaphysik: Ein kritischer Dialog. Aus dem Italienischen übersetzt und hrsg. von Christian Göbel. Mit einem Geleitwort von Friedrich-Wilhelm von Herrmann [1 ed.]
 9783428545117, 9783428145119

Citation preview

Philosophische Schriften Band 88

Heideggers Kritik der abendländischen Logik und Metaphysik Ein kritischer Dialog Von Leonardo Messinese Aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Christian Göbel

Duncker & Humblot · Berlin

LEONARDO MESSINESE

Heideggers Kritik der abendländischen Logik und Metaphysik

Philosophische Schriften Band 88

Heideggers Kritik der abendländischen Logik und Metaphysik Ein kritischer Dialog

Von

Leonardo Messinese Aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Christian Göbel Mit einem Geleitwort von Friedrich-Wilhelm von Herrmann

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 978-3-428-14511-9 (Print) ISBN 978-3-428-54511-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-84511-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort des Herausgebers Nach der freundlichen Aufnahme von Leonardo Messineses Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit (2007 als Band 45 der „Wissenschaftlichen Abhandlungen und Reden zu Philosophie, Politik und Geistesgeschichte“ bei Duncker & Humblot erschienen1) habe ich der Bitte meines ehemaligen Kollegen, Ordinarius an der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom, gern entsprochen, ein weiteres Werk ins Deutsche zu übertragen. Messinese (geb. 1955 in Taranto) ist seit Jahren aktiv an philosophischen Debatten in Italien beteiligt, die zuweilen auch über die rein akademische Welt hinaus Gehör finden. Zuletzt ist er durch einige Buchpublikationen zur italienischen Philosophie des 20. Jahrhunderts hervorgetreten, darunter drei Untersuchungen zum Denken Emanuele Severinos, zum Teil im direkten Dialog mit Severino. Im vorliegenden Bändchen ist durch die editorische Bearbeitung und Verknüpfung verschiedener Aufsätze sowie Ergänzungen ein Werk entstanden2, das so auf Italienisch nicht vorliegt, aber deutschen Lesern eine – hoffentlich inspirierende – Auseinandersetzung mit dem Denken Martin Heideggers im Kontext von Metaphysik und Logik bietet. Angesichts der Dominanz der analytischen Tradition der Gegenwartsphilosophie in heutigen Logik-Verständnissen (meist als formale Logik im engeren Sinn) mag dieser Kontext ungewöhnlich erscheinen, nicht aber in einer Auseinandersetzung mit Heidegger. Zugleich scheint hier der besondere – bei der Lektüre begrifflich-terminologisch zu beachtende – Denkhorizont Messineses auf, der zweifelsohne seine Heimat in der klassischen Philosophie und scholastischen sowie (italienischen) neuscholastischen Tradition hat, aber erweitert um wesentliche Quellen etwa im Idealismus Hegels und um zahlreiche Anregungen, die er in der lebendigen Auseinandersetzung mit der kontinentalen Philosophie der Neuzeit und Gegenwart findet. In diesem Horizont – sowie im Gespräch mit Heidegger, das dessen eigenen Dialog mit der Tradition aufgreift und spiegelt – steht die Logik als Lehre vom Denken, Zur-Sprache-Bringen des Seins und ,Hermeneutik‘ (nicht als das ,rechnerisch herstellbare Denken‘ [G. Pöltner] der ,Logistik‘ oder formalisierten Logik) mit Metaphysik und ,Theorie‘ in Verbindung3. Darin kann eine ,restitutive Erweiterung‘ 1 Rezensionen z. B. in Theologie und Philosophie 84 (2009), 267 – 269; Theologische Revue 106 (2010), 85. 2 Einzelne Wiederholungen waren nicht ganz zu vermeiden bzw. sind vom Autor beabsichtigt. 3 „Zu Heideggers Verständnis der formalen Logik“ vgl. etwa den gleichnamigen Beitrag von T.G. Bucher in Heidegger-Studien 22 (2006), 111 – 145 und 23 (2007), 113 – 146.

6

Vorwort des Herausgebers

gegenwärtiger Logik-Verständnisse auf den Ursprung des Begriffs hin gesehen werden bzw. ein Überschreiten über Begriff und Sache (Regeln, Kategorien, Auslegung) des Denkens auf die Ursache des Denkens hin, das über sich selbst auf das Sein sowie den Grund des Seins hinausweist. Messineses Bezugnahme auf vor allem italienische Literatur zum Thema darf als Anregung zum Weiterlesen verstanden werden und vielleicht Ansätze zur Erschließung eines akademischen Raumes bieten, der für die Heidegger-Forschung auf der einen Seite sowie für ein zeitgemäßes Verständnis von Metaphysik und Religionsphilosophie auf der anderen Seite große Bedeutung hat, aber im deutschen Sprachraum noch immer vergleichsweise wenig bekannt ist. Zitate aus der nicht deutschen oder englischen Literatur wurden, sofern keine Standardübersetzung vorliegt, von mir übersetzt. Die – im Original fast ausschließlich in italienischer Übersetzung verwendeten – Heidegger-Zitate werden nach der Heidegger-Gesamtausgabe im Verlag Klostermann (= GA) belegt, und zwar so oft als möglich im Text selbst. Für ursprünglich deutsche Literatur wurden Originalausgaben oder Standardeditionen herangezogen (die Orthographie wurde weitestgehend angepasst). Besonders freut es mich, dass ich den größten Teil der Übersetzungsarbeit während eines Aufenthalts am neuen Rom-Campus des Assumption College (Worcester, MA, USA) erledigen konnte. Autor und Herausgeber danken Dr. F. Simon vom Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme des Buches in sein Verlagsprogramm und L. Hartmann in der Herstellungsabteilung für die gute Zusammenarbeit sowie meinem Vater, OStR a.D. Christian Göbel sen., für das Korrekturlesen. Darüber hinaus geht unser besonderer Dank an Prof. Dr. F.-W. v. Herrmann (Freiburg) und Prof. Dr. P.-L. Coriando (Innsbruck) für ihre Vermittlung; Friedrich-Wilhelm von Herrmann hat das Werk zudem mit seinem Geleitwort bereichert. Gewidmet sei das Buch dem Andenken des 2011 verstorbenen Aniceto Molinaro, der sowohl Leonardo Messinese wie mir Lehrer, Kollege, Freund war. Worcester (USA), im April 2014

Christian Göbel

Geleitwort Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Martin Heidegger in seinem seinsgeschichtlichen Grundriss „Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)“ die „großen Philosophien“ der Metaphysik als „ragende Berge, unbestiegen und unbesteigbar“, d. h. als unbesiegte und unbesiegbare Berge kennzeichnet, die „dem Land sein Höchstes“ gewähren (GA 65, S. 187), dann ist es nur legitim, dass der italienische Philosoph Leonardo Messinese in dem hier vorliegenden Band eine denkerische Auseinandersetzung sowohl mit Heideggers Kritik an der metaphysischen Ansetzung des Bezuges der Logik zur Metaphysik als auch mit dessen Kritik an der metaphysischen Frageweise nach Gott aufnimmt. Heideggers zunächst fundamentalontologische und später seinsgeschichtliche Seinsfrage als Frage nach der Wahrheit des Seins im Unterschied zur metaphysischen Seinsfrage als Frage nach der Seiendheit des Seienden führt in eine eigene denkerische Grundstellung, die Heidegger selber einmal „die andere Metaphysik“ genannt hat (GA 39, S. 196). Aber auch diese „andere Metaphysik“ bringt die Geschichte der metaphysischen Philosophien nicht etwa als einen „Irrtum“ (GA 65, S. 188) zum Verschwinden. Denn die großen Metaphysiken bleiben unbesiegbare Berge. Insofern haben wir neben der Grundstellung in der Frage nach der Wahrheit des Seins weiterhin die denkerische Möglichkeit, die Auslegung der großen Metaphysiken so zu vollziehen, dass wir diese als jeweils geschichtlich-endliche Gestalten philosophierender Erhellung unseres Selbst-, Welt- und Gottesverständnisses erfahren können. In diesem Sinne möchte das Buch von Leonardo Messinese gelesen und durchdacht werden. Ich begrüße diese philosophische Neuerscheinung im deutschen Sprachraum und wünsche ihr eine angemessene Aufnahme sowohl unter den Freunden der denkerischen Grundstellung Heideggers als auch unter den Liebhabern der großen Philosophien der überlieferten Metaphysik. Freiburg i.Br., im August 2014

Friedrich-Wilhelm v. Herrmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1. Teil Wahrheit des Seins und Logik

13

I. Der Logos des Ursprungs und die Logik des metaphysischen Denkens: Heidegger und Heraklit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Erste Hinweise zur Annäherung an Heideggers Heraklit-Interpretation . . . . . . . . 13 2. Ein Blick auf ausgewählte Studien zu Heideggers Deutung der frühen griechischen Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3. Die Heraklit-Auslegung in der Vorlesung von 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4. Heraklit-Bezüge als Indikatoren für Heideggers neuen philosophischen Ansatz . . 23 5. Die Heraklit-Auslegung in der Vorlesung Einführung in die Metaphysik (1935) . 25 6. Die Heraklit-Auslegung in Heideggers Schrift Logos (1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 7. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘ . . . . . . . . . . . 36 1. Bedeutung und Problematik einer philosophischen Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Eine Relecture Cassirers: Kant und die ursprüngliche Struktur des Wissens . . . . 42 3. Allgemeine und transzendentale Logik bei Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Kant, Heidegger und das objektivierende Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5. Heidegger und der apophantische Logos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 6. Apophantische Logik und Aussagen- oder Satzlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 7. Philosophische Logik und theoretische Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 8. Das theoretische Entdecken und die Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

2. Teil Wahrheit des Seins und Metaphysik 63 I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen . . . . . . . . . . . . 63 1. Einleitende Bemerkungen zur Krise der Metaphysik im Denken der Gegenwart . 63 2. Zum ,theologischen‘ Charakter der Metaphysik. Vorüberlegungen zu Heideggers Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Die Frage nach dem ,Grund‘ in Heideggers Phänomenologie und in der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

10

Inhaltsverzeichnis 4. Heideggers Frage ,Was ist Metaphysik?‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5. Was ist Metaphysik? Eine Orientierungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik zwischen phänomenologischer Philosophie und christlichem Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Die Frage nach Gott und die Notwendigkeit zur Aufgabe der Metaphysik . . . . . . 83 3. Glaube und Philosophie. Sinn eines ,methodischen Atheismus‘ . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Glaube, Theologie, Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Der Begriff der Theologie, ihr Unterschied zur Philosophie und ihre besondere ,Wissenschaftlichkeit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Die Beziehung der Theologie zur Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 c) Zum Problem eines ,wissenschaftlichen‘ Verständnisses der Theologie . . . . . . 92 d) Überwindung eines ,wissenschaftlichen‘ Verständnisses der Theologie im Brief an amerikanische Theologen von 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 5. Die Theologie des letzten Gottes und das Sein zum Tode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Einleitung Martin Heidegger hat ausdrücklich betont, dass sein ganzes, mit Leidenschaft betriebenes Nachdenken wesentlich darauf ziele, Wege aufzuzeigen, die andere nach ihm (vielleicht sogar mit größerem Ertrag) verfolgen könnten, damit tatsächlich das ,andere Denken‘ anbreche – das anders ist in Bezug auf all jene Ansätze, die – da sie in ihrem Grundzug übereinstimmen – die ,eine‘ Philosophie des Abendlandes darstellen. Der Hauptinhalt dieser philosophischen Tradition ist bekanntermaßen die Metaphysik, die das Seiende als Seiendes zum Gegenstand hat; die Grundgliederung dieses Inhalts kommt durch die Logik zum Vorschein, die die ,Kategorien des Seins‘ oder allgemeinsten Bereiche der Seienden darstellt. Heidegger ist der Ansicht, dass diese ,logische‘ Konfiguration der Metaphysik – obgleich noch der aristotelischen physis das Echo des ,anfänglichen Denkens‘ der Griechen (Anaximander, Heraklit, Parmenides) innewohnte – dazu geführt habe, dass sich der Ausdruck der Seienden in ihrem Bezug zum Sein, den die Metaphysik gewährleisten wollte, immer mehr zum Ausdruck der Bestimmungen gewandelt habe, die der auf das menschliche Denken reduzierte Logos auf die Seienden projizierte, bis schließlich, mit Hegel, das Sein vollständig im Begriff aufgelöst wurde. So besteht für Heidegger ein enger innerer Zusammenhang zwischen der abendländischen Metaphysik und ihrer Logik. Er selbst hingegen hat sein ganzes Denken darauf ausgerichtet, die ,Wahrheit des Seins‘ vom Schicksal einer auf der Grundlage der Logik konstruierten Metaphysik zu trennen. Sein Werk ist im Wesentlichen Dokument einer groß angelegten pars destruens des abendländischen Denkens und zugleich Wegweisung für eine zukünftige pars construens. Diese wenigen Hinweise mögen dazu dienen, die Koordinaten anzuzeigen, innerhalb derer sich die Auseinandersetzung mit dem Denken Heideggers abgespielt hat, von der der vorliegende Band Zeugnis gibt. Es steht, mit Heidegger, zu hoffen, dass sich dabei nicht nur ,Holzwege‘ auftun, sondern ein Ziel erreicht wird – auch wenn das jener Philosophie ähneln sollte, zu der Heidegger selbst auf Abstand gegangen ist. Der erste Teil des Buches nimmt einige, besonders signifikante Texte in den Blick und treibt so die Auseinandersetzung mit Heideggers Denken in Bezug auf die Logik und ihre enge Beziehung zur Grundgestalt der Metaphysik voran. Der zweite Teil setzt die Auseinandersetzung fort, indem die wichtigsten der von Heidegger vorgebrachten Gründe dafür diskutiert werden, warum die abendländische Metaphysik die Wahrheit des Seins nicht habe aufzeigen können und warum sie die Gottesfrage falsch gestellt – und somit erst recht nicht gelöst – habe.

12

Einleitung

In unserem Zusammenhang ergibt sich ein verbindender Zug der gesamten Abhandlung in der Fokussierung der Auseinandersetzung mit Heidegger auf die immer wieder betonte Identifikation von Philosophie und Phänomenologie wie auch, damit eng verbunden, auf das ,Verbergende‘ der Logik. Das letzte Wort über das Ergebnis dieser Auseinandersetzung hat natürlich der Leser. Ich hoffe aber, dass sowohl die Darstellung von Heideggers Denken als auch die daraus resultierende Diskussion zumindest ein tieferes Interesse wecken – so wie es die hier behandelten Sachfragen zweifellos verdienen.

1. Teil

Wahrheit des Seins und Logik I. Der Logos des Ursprungs und die Logik des metaphysischen Denkens: Heidegger und Heraklit Heideggers Interpretation der Fragmente Heraklits nimmt eine als paradigmatisch anzusehende Stellung ein, wenn es darum geht, den Bezug zu erfassen, der nach Heidegger zwischen (seinem) ,Denken‘ – das er deutlich von der abendländischen Philosophie unterscheidet – und der ,Logik‘ besteht, in der die Inhalte des metaphysischen Denkens Gestalt annehmen. Diese These soll in den folgenden Überlegungen begründet werden. 1. Erste Hinweise zur Annäherung an Heideggers Heraklit-Interpretation Die folgenden Bemerkungen Heideggers aus einer Seminarsitzung in Zürich vom 6. November 1951 – einen Tag, nachdem er einen Vortrag zu Hölderlin unter dem Titel … dichterisch wohnet der Mensch … (GA 7, 189 – 208) gehalten hat – zeigen an, was man von seiner Deutung der Fragmente Heraklits erwarten darf: „Die von Ihnen richtig bemerkte Tendenz, ganz in Interpretationen aufzugehen, entspringt zu einem wesentlichen Teil aus einer Verlegenheit: weil ich mich scheue, direkt das zu sagen, was ich vielleicht noch sagen könnte; deshalb scheue, weil es in der heutigen Zeit sofort geläufig und damit entstellt würde. Es ist gewissermaßen eine Schutzmaßnahme. Ich habe in meiner 30 – 35jährigen Lehrtätigkeit nur ein bis zweimal von meinen Sachen gesprochen. Ich habe nie ein sogenanntes systematisches Kolleg gehalten, weil ich es nicht wagte, weil ich glaubte, dass wir (und das ist das andere Motiv, das mehr positive und unpersönliche) – dass wir erst wieder lernen müssen zu lesen“1. Über die fragmentarisch überlieferten Texte Heraklits führt Heidegger uns indirekt in sein eigenes Denken ein, was – obgleich en passant geäußert – jene irritieren 1 Zürcher Seminar = GA 15, 426 f. – So kann Heidegger als ,Leser Heraklits‘ bezeichnet werden, wobei sich dieser Begriff auf Heideggers hier entwickelte Gedanken zum Lesen bezieht und damit eine eigene Bedeutung hat, im Unterschied etwa vom Gebrauch Gadamers, der von Aristoteles und Hegel sagt, sie seien „Leser“ – nicht ,Hörer‘ – der Fragmente Heraklits (vgl. H.-G. Gadamer, „Hegel und Heraklit“ (1990), in: ders., Gesammelte Werke. Bd. 7. Tübingen 1991, 32 – 42, hier 33).

14

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

muss, die nach einer ,exakten‘ oder ,korrekten‘ Interpretation Heraklits streben. Heidegger ergänzt, dass es, um das eigene Denken darzustellen, nötig sei, zunächst ,neu lesen zu lernen‘, denn „man kann nicht denken, ohne geschichtlich zu denken“ (GA 15, 427). So ist der Bezug auf andere Denker für Heidegger nicht ein ,Trick‘, um ihnen eigene Gedanken in den Mund zu legen, sondern bietet vielmehr Gelegenheit, mit ihnen jene eine Sache zu denken, die es wert ist, gedacht zu werden; besser noch, es handelt sich hier – wie wir bald sehen werden – um die Vorbedingung dafür, dass man sich der „Sache des Denkens“2 annähert, um eine notwendige Vorbereitung für den „Schritt zurück aus der Philosophie in das Denken des Seyns“3. Heidegger gesteht der Philologie – wie übrigens auch jeder anderen Wissenschaftsdisziplin – keinen absoluten Wert zu, da sie alle von bestehenden Größen abhängen, die innerhalb der jeweiligen Einzelwissenschaft meist unproblematisiert bleiben; das heißt aber nicht, dass er eine willkürliche Auslegung der Texte vorschlüge, die er sich zur Deutung vornimmt. Vielmehr verhält sich Heidegger analog zu jedem anderen Interpreten und bringt die Texte innerhalb jenes Lichts zum Sprechen, das von dem zuerst Gesehenen ausgeht, von einem eidos, einem Aspekt, einer ,Idee‘, die die Worte beleuchtet und das zutage treten lässt, was in der ,Sprache‘ eines Denkers enthalten ist, einschließlich des von ihm vielleicht nicht explizit Bedachten. Was Heidegger sich vornimmt, ist also tatsächlich eine ,philosophische‘ Deutung Heraklits im Vollsinn des Begriffs; das aber schließt keineswegs die Verwendung neuer Deutungsschlüssel aus. Man wird eher sagen können, dass seine Interpretation das spekulative Interesse dessen ausdrückt, der jenen Texten gegenüber wahrhaft ,Philosoph‘ ist. Gegenüber Vorbehalten angesichts einer Deutung, in der die Denkoptik des Interpreten ausdrücklich präsent ist, geht es darum, konkret zu prüfen – und nicht abstrakt festzustellen –, inwiefern eine solche Optik den Blick auf die Texte öffnet oder verschließt. Aniceto Molinaro hat gerade im Blick auf die ,anfänglichen Denker‘ zurecht festgestellt, dass „die große Schwierigkeit nicht so sehr in der Interpretation ihrer fragmentarisch erhaltenen Texte [besteht], sondern darin, ihr Denken wesenhaft nachzudenken“, zumal das moderne Denken „so viele logische Kategorien und systematische Formen“ herausgebildet hat4. Soweit einige grundsätzliche Hinweise zur Art, in der sich Heidegger im Allgemeinen philosophischen Texten (aber auch der Dichtung) nähert. Kommen wir damit näherhin zum Motiv für Heideggers Interesse an den Denkern zu Beginn der 2

Vgl. Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens, in: Zur Sache des Denkens = GA 14, 67 – 90, hier 69. 3 Selbstzitat Heideggers im Nachtrag zum Seminar in Zähringen 1973 = GA 15, 401. 4 A. Molinaro, „Parmenide ed Eraclito. Alle origini dell’analogia?“, in: G. Casetta (Hg.), Origini e sviluppi dell’analogia. Da Parmenide a S. Tommaso. Rom 1987, 37.

I. Heidegger und Heraklit

15

Philosophie und an Heraklit. Dabei zeigt sich zugleich, welcher Gedanke seine Interpretation leitet. Heideggers Deutung der Fragmente orientiert sich an dem Bezug auf den ,ersten Anfang‘ des abendländischen Denkens, der über Heraklit herzustellen ist. Analog wird auf ähnliche Weise seine Deutung Hölderlins von der Tatsache geleitet, dass dessen Dichtung, in Heideggers Sicht, ein „Andenken“ ermöglicht, das zum ,anderen Anfang‘ des Denkens führt5. Über diese doppelte Bezugnahme sucht Heidegger einem neuen Verhältnis zum ,Ursprung‘ den Weg zu bereiten und den ursprünglichen Horizont des Sichgebens der Seienden und des Wesens des Menschen zutage treten zu lassen. In Bezug auf das Denken des ,ersten Anfangs‘ ist zunächst herauszustellen (es handelt sich dabei allerdings schon um eine ganz wesentliche Beobachtung), dass nach Heidegger dieses anfängliche Denken, das mit Platon und Aristoteles ,Philosophie‘ wird, genau jenen ursprünglichen Horizont verdunkelt und stattdessen ,Metaphysik‘ und ,Logik‘ zutage gefördert hat. Diese haben zum unbestrittenen Primat erstens des als Beständigkeit des sich Zeigenden (oder Idee) verstandenen Seins und zweitens der Vernunft geführt, die mithilfe der Kategorien die Dimension der beständigen Anwesenheit der Dinge genauer bestimmt. Dieser, für Heidegger so entscheidende Übergang sei hier vor allem angesichts der Vorlesung aus dem Sommersemester 1935 zur Einführung in die Metaphysik in den Blick genommen. Heideggers Interesse an Heraklit – wie an den anderen beiden anfänglichen Denkern, Anaximander und Parmenides – gründet gänzlich darin, dass dieser – wenngleich er nicht so weit kommt, den ,Ursprung‘ wirklich zu denken – doch in Verbindung mit jenem Horizont steht, der – wie bereits angedeutet – sowohl das Sein der Seienden als auch (was ein bestimmtes Seiendes angeht) das Wesen des Menschen freisetzt. Es ist diese, im ,Ursprung‘ aufgehobene Differenzspanne, die es Heidegger erlaubt, zwischen einem ,ersten Anfang‘ und einem ,neuen Anfang‘ des Denkens zu unterscheiden. So vollzieht sich Heideggers eigene philosophische Betrachtung auf zweifache Weise: als ,Andenken‘ wie als ,Aufgabe‘. ,Andenken‘ hat den Charakter einer Auseinandersetzung mit dem ,ersten Anfang‘ der Griechen, die vor allem – aber nicht nur – auf die ,Destruktion‘ der Metaphysik und der Logik zielt, welche das ursprüngliche Sichgeben des Seins verdunkelt haben. Dieses authentischere Verhältnis mit dem Ursprung erlaubt es, darin das Unergründete zu erfassen und bereitet den Sprung zum ,anderen Anfang‘ des Denkens vor6. 5 Vgl. Andenken = GA 4, 79 – 151. Heidegger spricht also von ,Andenken‘ in einem doppelten Sinn, der sich nicht nur auf Vergangenes, sondern auch auf „das Künftige“ bezieht (ebd., 84). 6 Vgl. Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) = GA 65, hier bes. 176 ff. Es muss betont werden, dass sich Heidegger in diesem zentralen Text mit dem Ausdruck „erster Anfang“ nur auf den Schlussmoment des von der griechischen Philosophie geleisteten Beginns bezieht, also auf das ,metaphysische‘ Denken der Griechen. Eine ausführliche Diskussion des Verhältnisses

16

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

Im Hinblick auf die dem Denken gestellten ,Aufgabe‘ ist der Zielpunkt, zu dem Heidegger gelangt – und der sich als wahrer Brennpunkt dieses zweiten Moments darstellt –, nur ein (wenn auch entscheidender) Anfangsschritt. Er wird Lichtung genannt; es ist die Offenheit der Lichtung, die Licht und Sicht ermöglicht. Die Lichtung umfasst zugleich das Sich-Zeigen des Seins wie sein Sich-Verbergen. Sie hat somit auf innerlichste Weise mit dem Ursprung zu tun, bezeichnet aber zugleich einen Unterschied auch in Bezug auf das ,anfängliche Denken‘ der Griechen7. Zum Abschluss dieser Skizze von Heideggers Deutungshorizont seien zwei Dinge herausgestellt: (1) Methodisch ist Heideggers Denken strikt ,phänomenologisch‘, in dem Sinn, dass das gesamte Werk des Denkens unauflöslich im Aufscheinenlassen der Dinge besteht, unter Verzicht auf jede ,philosophische Konstruktion‘, die keinen phänomenologischen Grund vorzuweisen hat8. (2) Die,Kritik‘ an Metaphysik und Logik – also an den Grundstrukturen der abendländischen Philosophie – vollzieht sich im Ausgang von der Einsicht, dass die ,planetarische Herrschaft‘ der Wissenschaft und der Technik – und mithin die Tatsache, dass diese das Sein der Seienden unserer Zeit konstituieren – nichts anderes als die Vollendung des metaphysischen und logischen Denkens sei9. Heidegger beschäftigt sich in zahlreichen Schriften mit Heraklit, nicht nur in jenen, die ausdrücklich dem griechischen Denker gewidmet sind. Für unsere Zwecke ist weder eine umfassende Übersicht noch eine detaillierte Analyse sämtlicher relevanter Werke vonnöten. Es wird genügen, die wichtigsten Schriften anzuzeigen und einigen, wesentlichen Elementen nachzugehen. Eine frühe Beschäftigung mit Heraklit findet sich in der den Grundbegriffen der antiken Philosophie gewidmeten Vorlesung (= GA 22). Diese gehört zur frühen Phase des Heidegger‘schen Werks, als er noch an eine radikal innovative Umwandlung des Denkens denkt, insgesamt gesehen aber innerhalb der philosophischen Tradition bleibt. Die Vorlesung zur Einführung in die Metaphysik (1935, veröffentlicht 1953, GA 40) entstammt einer Phase, die schon von einer Kritik bestimmt ist, der die Art und Weise größtenteils bewusst ist, auf die das metaphysische Denken der Griechen die Differenz zwischen Sein und Seienden tatsächlich verstanden hatte.

zwischen dem Andenken des Ursprungs und der Aufgabe des Denkens, zwischen ,Aneignung‘ und ,Überwindung‘ der Griechen, bietet M. Zarader, Heidegger e le parole dell’origine. Mailand 1997 (frz. Orig. 1986). 7 Für Heidegger ist aletheia „griechisch als Unverborgenheit [zu] erfahren und […] dann, über das Griechische hinaus, als Lichtung des Sichverbergens [zu] denken“ (Das Ende der Philosophie = GA 14, 88). 8 Zu Heideggers Phänomenologiebegriff vgl. F.-W. v. Herrmann, Hermeneutik und Reflexion. Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl. Frankfurt 2000. 9 Vgl. L. Messinese, Heidegger e la filosofia dell’epoca moderna. L’,inizio‘ della soggettività: Descartes. Rom 2010, 214 – 224.

I. Heidegger und Heraklit

17

Vielleicht am bekanntesten sind aber zwei in den Fünfziger Jahren im Band Aufsätze und Vorträge erschienene Beiträge: Logos (Heraklit, Fragment 50) und Aletheia (Heraklit, Fragment 16) (= GA 7, 211 – 234 und 263 – 288). Hier findet sich eine verdichtete Fassung der in zwei Vorlesungen 1943 und 1944 vorgeschlagenen Heraklit-Deutung. Beide Vorlesungen, Der Anfang des abendländischen Denkens. Heraklit und Logik. Heraklits Lehre vom Logos, wurden 1979 als GA 55 (Heraklit) veröffentlicht. Heidegger zeigt sich der in den genannten Schriften gebotenen Interpretation noch eng verbunden, als er im Freiburger Wintersemester 1966/67 zusammen mit Eugen Fink ein viel beachtetes Seminar zu Heraklit hält, dessen Mitschrift wenig später (1970) veröffentlicht wurde (= GA 15 [Seminare], 11 – 263). Darüber hinaus hat sich Heidegger auch in anderen Seminaren Heraklit gewidmet, besonders in Le Thor 1966, wo er sich erneut auf den logos konzentriert (GA 15, 271 – 285). 2. Ein Blick auf ausgewählte Studien zu Heideggers Deutung der frühen griechischen Philosophen Heideggers Heraklit-Interpretation – und, allgemeiner, seine Deutung der griechischen Tradition – ist Gegenstand zahlreicher Studien, sowohl von HeideggerSchülern – hier ist besonders Werner Marx zu nennen – wie auch von Forschern außerhalb des Heidegger-Kreises wie z. B. Marlène Zarader. Marx will zeigen, dass Aristoteles und Hegel die beiden großen Vertreter der ,philosophischen Tradition‘ darstellen, zu denen Heidegger auf Distanz geht10. Indem sich Heidegger mit diesen beiden Hauptfiguren der abendländischen Metaphysik auseinandersetze und die Begriffe von Substanz (Aristoteles) und Subjekt (Hegel) ins Zentrum seiner Analysen stelle, weise er vor allem auf drei Dinge hin: den anderen Sinn des Seins, der im ,ersten Anfang‘ des Denkens gegenwärtig sei; das andere Wesen der Metaphysik, das dank des Bezugs auf den ersten Anfang zum Vorschein komme; den anderen Sinn des Seins, der dem ,anderen Anfang‘ zugehöre11. Um die Grundzüge des Seins im ,ersten Anfang‘ des Denkens herauszustellen, konzentriert sich Marx auf einige „Grundworte“ (physis, aletheia, logos)12, die den „temporalen Sinn“ des Seins ans Licht bringen13. Für die Grundzüge des Seins im ,anderen Anfang‘ hingegen untersucht er vor allem den neuen Welt-Begriff Hei10 W. Marx, Heidegger und die Tradition: Eine problemgeschichtliche Einführung in die Grundbestimmungen des Seins. Stuttgart 1961 (2. Aufl. Hamburg 1980). 11 Vgl. ebd., 126 f. u. 238. 12 Ebd., 131 – 162. Zum Gebrauch von logos und aletheia in ,nichtphilosophischen‘ Kontexten vgl. H. Boeder, „Der frühgriechische Wortgebrauch von Logos und Aletheia“, in: Archiv für Begriffsgeschichte 4 (1959), 82 – 112. 13 Marx, 248.

18

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

deggers – der sein Wesen im ,Streit‘ mit der „Erde“ zeigt – und die Frage der dem Sein zugehörenden Sprache14. Es ist die Beziehung zum ersten Anfang, die Heidegger ,Andenken‘ nennt, während die Beziehung zum anderen Anfang ,Aufgabe‘ des Denkens wird. Marx unterstreicht gerade diese doppelte Funktion des Anfangs des Denkens bei Heidegger. Es ist der genannte Bezug, der es im Blick auf unser Verhältnis mit den ersten Denkern erlaubt, ,Ungedachtes‘ und ,zu-Denkendes‘ herauszustellen15. Marx betont aber auch, dass sich für Heidegger bei diesen frühen Denkern die Differenz zwischen Sein und Seiendem nur als Erfahrung des Seinsereignisses darstellte, ohne dass diese wirklich Objekt des Denkens gewesen sei16. Diese Erfahrung des Seins ist in den genannten Grundworten (physis, aletheia, logos) überliefert17. Bezüglich Heideggers Vorgehensweise in seiner Auslegung der griechischen Philosophen stellt Marx schließlich unzweideutig fest, dass diese stets „seinem bestimmten Anliegen dienen“, so dass die Frage seiner im engeren Sinn philologischen Zuverlässigkeit zweitrangig werde18. Nicht weniger bedeutend ist die bereits genannte Studie Zaraders (s. Anm. 6), die sie ganz Heideggers Umgang mit den ,Urworten‘ der griechischen Philosophie gewidmet hat. In den ersten beiden Teilen der Arbeit – „Die ursprüngliche Öffnung des Seins und der Wahrheit“ (39 – 103) sowie „Referenzmarken für eine Topologie des Seins: anfängliche Denker und Grundbegriffe“ (107 – 270) – schlägt Zarader eine umfassende Interpretation von Heideggers Denken im Ausgang von seinem Bezug auf die Grundbegriffe Heraklits, Anaximanders und Parmenides’ vor. Im dritten Teil des Werks – „Über die Griechen hinaus …“ (273 – 370) – vertieft sie ihre Leitthese eines doppelten Musters in Heideggers Bezug auf die Griechen, der sich als ,Aneignung‘ sowie ,Überwindung‘ darstellt: Die Aneignung „bringt uns dazu, zu werden, was wir sind, nämlich Nachfahren der Griechen“; die Überwindung „macht aus uns nur deshalb Griechen, um es uns zu ermöglichen, nicht mehr Griechen, sondern Stammeltern einer anderen Menschheit zu sein“19. Bis hier folgt Zarader Marx’ Ansatz, von dem sie sich allerdings in einer Grundthese absetzt. Marx habe behauptet, in Heideggers Denken eine klare Unterscheidung innerhalb jedes der das Sein ausdrückenden Grundbegriffe ausmachen zu können, so dass es in Bezug auf jeden dieser Begriffe erlaubt schien, von einer 14

Ebd., 183 – 205. Vgl. ebd., 121 – 127. 16 Ebd., 133. 17 Vgl. ebd., 122. 18 Ebd., 134 mit 117. 19 Zarader, 358. Zarader bemerkt kritisch, dass „Heideggers Werk – in dem Maß, in dem es auf die Zukunft ausgerichtet ist – nicht etwas von einer leeren Zukunft Verschiedenes anbieten kann“ (369). 15

I. Heidegger und Heraklit

19

Dimension der Aneignung sowie einer Dimension der Überwindung des griechischen Denkens zu sprechen. Nach Zarader kann an diesen beiden Dimensionen festgehalten werden, aber nicht in dem Sinn, dass man das Ergebnis des ,Andenkens‘ unabhängig von dem des ,Vordenkens‘ ausmachen könnte. Vielmehr bestehe der enge Bezug Heideggers zu den Griechen gerade in der Untrennbarkeit dieser beiden Dimensionen20. Nachdem sie ihr Ziel erreicht hat, Heideggers eigenes Denken über sein Verhältnis zu den Griechen darzustellen, bringt Zarader einige kritische Beobachtungen vor, die Heideggers Denken einer fragenden Außensicht unterziehen21. Insbesondere fokussiert sie auf die Tatsache, dass Heidegger in seinem Rückgang auf die Quelle unserer Geschichte und unseres Denkens vollkommen die jüdisch-christliche Tradition außer Acht lasse, sodass er „in seinem Unterfangen, des Vergangenen zu gedenken, nur die Erinnerung an eine Seite des ursprünglichen Ungedachten wiedergefunden hat“22. Schließlich sei Hans-Georg Gadamer genannt, der unterstreicht, dass „Anaximander, Heraklit und Parmenides [Heidegger] nicht als Vorstufen der metaphysischen Frage [galten], sondern als Zeugnisse für die Offenheit ihres Anfangs, in dem Aletheia noch nichts von der Richtigkeit einer Aussage hatte, ja nicht einmal die bloße Offenbarkeit des Seienden meinte“23. Gadamer scheint hier anzuzeigen, dass Heidegger bei den ersten griechischen Denkern in gewisser Weise ein Zeugnis dessen fand, was er selbst meinte, wenn er von Wahrheit des Seins sprach, von der Lichtung des Seins, insbesondere in dem berühmten Fragment B 123 DK von Heraklit, wonach es die Natur liebt, „sich zu verbergen“24. In seiner Darstellung von Heideggers Auffassung von der „Wahrheit des Kunstwerks“ unterstreicht Gadamer zweierlei. Zum Einen die Grundthese von Heideggers Philosophie, dass die Wahrheit des Seins in sich antithetisch sei, Einheit „von Entbergung und Verbergung“25. Zweitens muss die Verborgenheit in Betracht gezogen werden, die konstitutiv dem Sein der Seienden zugehört, um diese in ihrem Insichstehen erkennen zu können, womit sie vor der Reduktion auf bloße Objektivierung bewahrt sind, auf eine bloße Herrschaft des Willens, der sie in Besitz nimmt und in bloßes ,Zuhandensein‘ überführt und nivelliert26. Es handelt sich hier um einen anderen wesentlichen Punkt der Heidegger’schen Rekonstruktion, der einen weiteren Übergang in den Bereich der Ohnmacht der Wahrheitserfahrung darstellt, auch 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. ebd., 33 – 35. Vgl. ebd., 359. Ebd., 367. H.-G. Gadamer, Heideggers Wege (= Gesammelte Werke 3). Tübingen 1987, 238. Ebd., 259. Vgl. ebd., 249 – 261. Vgl. ebd., 260.

20

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

im Blick auf das, was schon im metaphysischen Denken Platons und Aristoteles’ geschieht. Dieser ,weitere‘ Übergang charakterisiert die moderne Philosophie und die davon abhängende Wissenschaft und Technik. Gadamer weist darüber hinaus darauf hin, dass Heidegger auch von Hegel als ,dem letzten Griechen‘ spricht, da „der Logos der eigentlich griechische Urgedanke ist, den Hegel wie ein Vollender auch auf die Welt der Geschichte auszudehnen gewagt hat“27. In diesem Zusammenhang sei hier, obgleich Gadamer sich auf andere Texte bezieht, Heideggers Aufsatz „Hegel und die Griechen“ genannt, in dem er zeigt, auf welche Weise Hegel die aristotelische Abweichung vom ursprünglichen logos zur ,Logik‘ der Kategorien vollendet habe, so dass er zurecht seine Metaphysik ,Logik‘ nennen konnte28. 3. Die Heraklit-Auslegung in der Vorlesung von 1926 Heidegger hat seine erste Lektüre der Vorsokratiker in einer im Sommersemester 1926 in Marburg gehaltenen Vorlesung unter dem Titel Die Grundbegriffe der antiken Philosophie präsentiert (= GA 22). Der 1993 veröffentlichte Text basiert vor allem auf Heideggers Manuskript (darin zu Heraklit S. 57 – 61) und enthält im Anhang einen langen Auszug aus der umfassenden Vorlesungsmitschrift von Hermann Mörchen (zu Heraklit S. 230 – 235) sowie die Nachschrift Bröcker, letztere aber ohne Bezug auf die Vorsokratiker. Ich werde mich im Folgenden sowohl auf Heideggers Manuskript wie auf Mörchens Mitschrift beziehen. Der charakteristische Grundzug der in dieser Vorlesung eingenommenen Lesart Heideggers besteht, wie Franco Volpi treffend bemerkt hat, darin, bei den frühen Denkern „eine wahrhaft ontologische Spekulation [auszumachen], die bereits auf die Differenz zwischen Sein und Seienden verweist und so zu Platon und Aristoteles führt“29. Genauer: seit Anaximander ist, im Unterschied zu Thales und Anaximenes, das Prinzip aller Dinge bar jeder ,physischen‘ Bestimmung. Diese Charakterisierung der frühen griechischen Denker unter ontologischer Rücksicht wird noch deutlicher, wo Heidegger Parmenides und Heraklit in den Blick nimmt. Die hier vorgeschlagene einheitliche Darstellung der griechischen Philosophie zeigt, dass wir noch weit entfernt sind von der Position, die Heidegger ab dem folgenden Jahrzehnt einnehmen wird, wo er Parmenides und Heraklit als zwei Denker präsentiert, die eine Seinserfahrung gehabt haben, die sich vom Seinsverständnis der ,metaphysischen Epoche‘ der griechischen Philosophie deutlich unterscheidet, an deren Beginn Platon und Aristoteles stehen. 27

Ebd., 305. Hegel und die Griechen (1958), in: Wegmarken = GA 9, 427 – 444. 29 So F. Volpi in seiner Einleitung zu der von ihm besorgten italienischen Ausgabe, d.i. M. Heidegger, I concetti fondamentali della filosofia antica. Milano 2000, 24 (Hervorhebung L.M.). 28

I. Heidegger und Heraklit

21

Heidegger lässt allerdings, Karl Reinhardt folgend, schon in dieser Vorlesung die bis dahin geläufige Ansicht hinter sich, dass das Problem Heraklits dasselbe sei, das auch die ,Naturphilosophen‘ von Milet beschäftigt hatte, dass Heraklits Denken Parmenides vorausgehe und dass letzterer eine Heraklit vollkommen entgegengesetzte Philosophie vertreten habe (GA 22, 57 u. 60 f.). Im Unterschied zu anderen unterstreicht Heidegger, dass Heraklit demselben Problem, das Parmenides beschäftigt – nämlich Beharren und Veränderung in den Dingen zusammen zu bedenken –, nur eine andere Richtung gibt. Sowohl Parmenides als auch Heraklit geht es darum, den zwischen diesen beiden Aspekten entstehenden Gegensatz zusammenzuhalten: „Gegensatz ist nicht einfacher Unterschied, sondern gegenstrebig innerhalb einer Einheit; ist nicht pures Nacheinander des Wechselnden, sondern Gegensätzlichkeit macht das Sein des Seienden aus“ (56). Das Zitat unterstreicht die radikal ontologische Interpretation sowohl von Parmenides wie von Heraklit. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen beiden Denkern, der nicht übergangen werden darf. Für Parmenides schließen sich Sein und Nichtsein gegenseitig aus (56), so dass man feststellen muss: „Wandel und Unterschied ist nicht“ (68). Für Heraklit hingegen bedingen sich die Gegensätze wechselseitig, so dass gerade „der Gegensatz das Wesen aller Dinge“ ist (56). In der Mitschrift Hermann Mörchens, aus der nahezu alle der im Folgenden zitierten Stellen stammen, heißt es, für Heraklit sei das unablässige Werden „nur eine Seite; nicht: Alles ist nur Übergang, Wechsel, sondern: Beharren im Wechsel […]. Er zielt gerade auf die Selbigkeit im Wechsel“ (230, Hervorhebung L.M.). Somit macht für Heraklit, knapp gesagt, „Gegensätzlichkeit das Sein“ aus (232). Zugleich hat Heraklit das Ganze des Seins, das Eine, im Blick: „Sofern dieses Eine ist, ist es seine Gegensätze“ (231). Heidegger sieht in der Position Heraklits die Überwindung der traditionellen Deutung der Welt, die sich allein auf die Seienden konzentrierte, und daher einen ersten Schritt in Richtung auf das Sein, „das über alles Seiende hinaus“ ist (231). Mit Bezug auf die Fragmente B 108, 67, 78, 102 und 56 stellt er fest: „Prinzip ist das Eine, Allweise, theos“ (58) und fügt hinzu, dass das Prinzip das sei, „was nicht zu sehen und zu greifen als Seiendes, Vorhandenes, sondern was nur verstehbar ist, unterschieden von allem Seienden“ (ebd.). Heidegger unterstreicht die Zentralstellung der „Lehre vom Logos“ in Heraklits Denken. Er betont vor allem die Stellung des logos, der ,kosmischen Vernunft‘, als Grundprinzip bei Heraklit. Er ist das „Prinzip des Seienden“ (230). Andererseits ist der logos „vieldeutig“ (233). Genauer bemerkt Heidegger, dass der logos bei Heraklit sowohl „legomenon, das ,im Wort Enthüllte‘“ – also die Totalität des Seienden, das sich in seinem Prinzip sammelt – wie „legein, das ,Enthüllen‘ selbst“ ist (233). In Bezug auf diese zweite Bedeutung präzisiert Heidegger: „Der logos macht Anspruch auf absolute Verbindlichkei über jede isolierte Meinung hinaus“ (234); und er weist mit Blick auf B 56 darauf hin, dass sich der menschliche Geist von den Sinnen

22

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

täuschen lässt (wie es bei Homer geschieht), während das Prinzip der Dinge nicht innerhalb der Erfahrung gefunden werden kann (231). Volpi stellt heraus, dass für Heidegger auch hier eine Gemeinsamkeit zwischen Parmenides und Heraklit besteht: nicht den Sinnen wird vertraut, die die täuschenden ,Meinungen der Vielen‘ produzieren, sondern dem logos, der universal ist und zur episteme führen kann, zum beständigen Wissen, das in der Lage ist, sich gegen die veränderlichen Meinungen durchzusetzen30. Es ist schließlich das Fragment B 50, das die Lehre vom Einen und jene vom logos zusammenhält. Heidegger übersetzt es folgendermaßen: „Nicht mich habt ihr vernommen, sondern den logos, wenn gesagt ist, dass es verständig ist zu erkennen, dass das Eine alles ist“ (232 f.). In Anbetracht dieser Überlegungen scheint mir die These Bestätigung zu finden, dass diese frühe Interpretation Heideggers von Heraklit – und, allgemeiner, der ganzen griechischen Philosophie – noch dem Projekt entstammt, die Untersuchung über das Sein entlang der von der griechischen Ontologie eingeschlagenen Bahn zu verfolgen, die das Sein von den Seienden unterschied. Die These, dass es sich bei dem, was gerade in dieser Unterscheidung verdunkelt wurde, um nichts Geringeres als das Sein selbst handelt, wird dabei noch nicht beleuchtet. Freilich dürfen diese Bemerkungen nicht missverstanden werden; es soll keineswegs negiert werden, dass Heidegger schon zur Zeit dieser Vorlesung, nur kurz vor der Veröffentlichung von Sein und Zeit, seine Grundfrage nach der Art und Weise gestellt hat, in welcher bei den Griechen das Sein begriffen wurde, nämlich als Anwesenheit und Beständigkeit. Tatsächlich hält es Heidegger von nun an für berechtigt festzustellen: „Die griechische Ontologie ist eine Ontologie der Welt. Das Sein wird interpretiert als Anwesenheit und Beständigkeit“ (313)31. Es handelt sich also dabei für Heidegger sicher um einen ,naturalistischen‘ Seinsbegriff, aber ohne dass ihm dieser schon als Verhüllung des sich eigentlich Zeigenden erscheint, wofür die ,metaphysische‘ Deutung des Seins Verantwortung trägt. So befinden wir uns im Blick auf die Seinsfrage innerhalb dieser Vorlesung noch bei einem Problem, für das Heidegger eine Lösung finden zu können meint, indem er den Bereich der Zeitlichkeit erweitert und mithin nicht nur Gegenwart, sondern auch Vergangenheit und Zukunft bedenkt, um zu einem eigentlicheren Verständnis des Seins zu gelangen – ohne dass er dabei schon die Konsequenzen sehen könnte, die sich sowohl in theoretischer Hinsicht (also im Blick auf das, was Heidegger ,Überwindung der Metaphysik‘ nennen wird) wie auch bezüglich der Auslegung der antiken und modernen Philosophie ergeben werden.

30

Vgl. Volpi, 27. Hervorhebung L.M. NB: Der ,Welt‘-Begriff hat hier nicht jene Bedeutung, die sich aus der späteren Gegenüberstellung zum Begriff der ,Erde‘ ergibt (vgl. Der Ursprung des Kunstwerkes, in: Holzwege = GA 5, 1 – 74). 31

I. Heidegger und Heraklit

23

Hierin liegt der Grund für Heideggers einheitliche Deutung der griechischen Philosophie, die er nicht viel später aufgeben wird, sowie dafür, dass die Unterscheidung noch vollkommen fehlt, mit der Heidegger bald eine Grenze zwischen den ,erstanfänglichen Denkern‘ und der von Platon und Aristoteles begonnenen metaphysischen Tradition ziehen wird (obgleich diese Grenze meines Erachtens beweglich ist). Man darf allerdings auch nicht übersehen, dass Heidegger eine noch viel größere Differenz zwischen dieser Metaphysik und den späteren römischen, scholastischen und neuzeitlichen Traditionslinien feststellen wird. Bekanntermaßen liegt das Zentrum der ganzen Frage in einer Besinnung, die sich nicht nur den logos vornimmt, sondern auch aletheia und physis, und vielleicht ist es kein Zufall, dass eines der entscheidendsten Fragmente für die Heraklit-Interpretation des späteren Heidegger, das Fragment B 123 DK, in der Vorlesung von 1926 fehlt. 4. Heraklit-Bezüge als Indikatoren für Heideggers neuen philosophischen Ansatz Auf der Grundlage der grundsätzlichen Hinweise zu Heideggers Heraklit-Auslegung und der Bemerkungen zur Vorlesung von 1926 können wir nun einige Texte in den Blick nehmen, die die Position des ,reifen‘ Heidegger verdeutlichen, der dem logos Vorrang vor Metaphysik und Logik einräumt. Dazu seien zunächst einige Grundbegriffe geklärt. Der logos ist das, was im Denken der sogenannten Vorsokratiker aufscheint, das heißt hier im Denken Heraklits. Heidegger unterscheidet dieses Denken sowohl vom ,gewöhnlichen Denken‘ als auch von der Philosophie im Gefolge Platons und Aristoteles’. Bei der Metaphysik handelt es sich um eine Ausdrucksform des menschlichen Denkens, die sich als erfolgreich erwiesen hat. In ihr hat sich schon zu Beginn der Philosophie das gezeigt, was Heidegger ,wesentliches Denken‘ nennt, im Unterschied zum gewöhnlichen Denken, welches sich mit den Seienden begnügt. So hat die Metaphysik sicher vom Sein gesprochen – sie hat es aber immer im Ausgang von den Seienden verstanden und deshalb letztlich nie das Sein gedacht. Die Logik schließlich ist eine Ausdrucksform des Wesens des Denkens, die eng an die Art gebunden ist, in der die Metaphysik das Sein des Seienden verstanden hat. Für den Moment muss ich mich auf diese Skizze beschränken, die zwangsläufig etwas abstrakt erscheinen wird, obgleich bereits einige nähere Hinweise gegeben worden sind. Hier soll es aber genügen, eine Grundbeobachtung herauszustellen: Indem er sich auf Heraklit bezieht, kann Heidegger eine Form des Denkens aufzeigen, die – ungeachtet einiger irreführender Deutungen – nicht auf die Metaphysik und Logik im traditionellen Sinn zurückgeführt werden darf. Ein erster Hinweis auf den Grundansatz, den Heidegger nun in seinem systematischen wie historischen Denken verfolgt, findet sich in einem späteren Text: Im 1973 in Zähringen gehaltenen Seminar erklärt Heidegger im Blick auf die Griechen generell, dass es bei ihnen „keine Begriffe gab“, womit er meint, dass die Griechen

24

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

nicht über das begriffliche Denken von den Dingen ,Besitz ergriffen‘, sondern sich wie die heutige Phänomenologie orientierten, die „ein Weg [ist], der hinführt vor … und sich das zeigen lässt, wovor er geführt wird“ (GA 15, 399). Für Heidegger ist dieses Erscheinen-Lassen des Sich-Zeigenden am schwierigsten; behindert, ja unmöglich gemacht, wird es unter anderem durch die In-Begriff-Nahme. Im Unterschied zum begrifflichen Denken, das das Erscheinende verdunkelt, ist eine derartige Phänomenologie eine „Phänomenologie des Unscheinbaren“ (ebd.). Aufschlussreich ist in unserem Zusammenhang der Kommentar Jean Beaufrets zu diesen Worten Heideggers, die den Schluss der dritten und letzten Sitzung des Zähringer Seminars markieren, das dem Versuch eines Zugangs zur Seinsfrage im Ausgang von Husserl gewidmet war (vgl. 372): „Der Text, den wir gehört haben, vollendet gewissermaßen die lange Besinnung, in der Sie sich bald Parmenides und bald Heraklit zugewandt haben“ (399). Die folgende Frage Beaufrets und Antwort Heideggers können wir übergehen. Entscheidend ist, dass der Einwurf die Unauflöslichkeit des Bands bestätigt, das bei Heidegger zwischen der systematischen und geschichtlichen Besinnung auf das Sein besteht. Das geht so weit, dass das bisher über Heideggers Heraklit-Interpretation Gesagte in der Tat eine „geschichtliche Besinnung“ auf den griechischen Denker genannt werden kann32. Von dieser Art des Zugangs zu Texten der philosophischen Tradition her hält Heidegger eine Auslegung für unzureichend, die streng philologisch vorzugehen scheint, aber das wahrhaft Gedachte nicht zu erfassen in der Lage ist, indem sie sich auf eine rein ,historische‘ Untersuchung beschränkt; zugleich besteht die Möglichkeit, aus einem Text das herauszuholen, was nicht einmal von seinem Autor selbst zu Ende gedacht worden ist, ohne dass damit dem Text willkürliche Gewalt angetan würde (es sei denn, diese ,Gewalt‘ ginge von einem Leser aus, der wirklich philosophischen Denkens unfähig ist)33. Diese besondere Art, einen philosophischen Text zu lesen, stellt auch den Kern dessen dar, was ich, aus Gründen der Einfachheit, weiterhin schlicht Heideggers Heraklit-Interpretation nennen werde. Heideggers Zugang ermöglicht es, „die Griechen griechischer zu denken“34. Zur Orientierung vor dem Hintergrund von Heideggers doppeltem Ansatz, der gleichermaßen auf Interpretation wie auf ein theoretisches Grundgefüge selbst zielt, erscheinen mir folgende Bemerkungen Gadamers hilfreich, die meine eingangs angestellten Überlegungen aufnehmen: „So sieht er sein eigenes Denken in einem fortdauernden Gespräch mit der Metaphysik, und das schließt ein, dass er immerhin 32 Vgl. zu diesem zentralen Begriff Heideggers etwa Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte Probleme der Logik = GA 45, 35 ff. S. dazu Messinese, Heidegger e la filosofia dell’epoca moderna, 113 – 125. 33 „Die eigentliche Auslegung muss jenes zeigen, was nicht mehr in Worten dasteht und doch gesagt ist. Hierbei muss die Auslegung notwendig Gewalt brauchen. Das Eigentliche ist dort zu suchen, wo die wissenschaftliche Interpretation nichts mehr findet, die alles, was ihr Gehege übersteigt, als unwissenschaftlich brandmarkt“ (Einführung in die Metaphysik = GA 40, 171). 34 Gadamer, Heideggers Wege, 296.

I. Heidegger und Heraklit

25

doch die Sprache der Metaphysik mehr oder minder weiter spricht. Er spräche sie ganz, wenn er nicht innerhalb der Geschichte der Metaphysik, an ihrem Höhe- und Endpunkte, in Hegels Freund, dem Dichter Friedrich Hölderlin, einen neuen Gesprächspartner gefunden hätte, der in seine Sprache einen neuen, halbpoetischen Wortschatz einbrachte“35. Noch entscheidender für unser Thema sind die folgenden Sätze: „Die Entsprechung zwischen Hölderlins mythischem Dichtertum und Heideggers ,Zurück an den Ursprung‘ ist wahrhaft erstaunlich und am Ende das einzig Eindeutige in Heideggers denkendem Gespräch mit der Vergangenheit. Seine anderen, wichtigen philosophischen Gesprächspartner, Heraklit und Parmenides, Aristoteles, Hegel und Nietzsche, behalten ihre seltsame Zweideutigkeit: teils sprechen sie ihn selbst aus, teils stoßen sie ihn zurück, sofern sie alle das Geschick der abendländischen Seinsvergessenheit mitbereitet haben“36. Über die von Gadamer betonte, bleibende ,Zweideutigkeit‘, die diese Denker insgesamt für Heidegger haben, dürfen aber nicht die Unterscheidungen übersehen werden, die er im Blick auf ihre jeweilige Rolle im Zusammenhang der Seinsvergessenheit macht. Auch sei daran erinnert, dass sich nach Heidegger die anfänglichen Denker, obgleich selbst von ihnen das Sein nicht angemessen gedacht wurde, im Unterschied zu Späteren doch an einer Erfahrung der aletheia, der Entbergung der Seienden, erfreuen konnten. Die Griechen lebten „unmittelbar in der Offenbarkeit der Phänomene“, während dem modernen Menschen eine solche Erfahrung nicht mehr gegeben sei37. 5. Die Heraklit-Auslegung in der Vorlesung Einführung in die Metaphysik (1935) Heideggers Metaphysikvorlesung von 1935 (publiziert 1953, heute = GA 40) ist für uns von großer Bedeutung, widmet sie sich doch in einem bemerkenswerten Abschnitt der Vertiefung des Logos-Begriffs bei Heraklit und Parmenides. Erklärte Absicht Heideggers ist es, vor allem den „inneren Zusammenhang zwischen logos und physis im Anfang der abendländischen Philosophie“ nachzuweisen (GA 40, 134) und sodann verstehbar zu machen, wie diese getrennt werden konnten, wodurch ,Logik‘ als eine ,Aussagentheorie‘ entstand (vgl. ebd., 194 – 197). Gleichwohl hatte sich Heidegger zuvor – obgleich nicht durchgehend – auch speziell mit Heraklits physis-Begriff beschäftigt, der ein authentischeres Verständnis der griechischen Seinsidee vermittelt. Es bietet sich geradezu an, mit der Untersuchung des Begriffs der physis zu beginnen. Heideggers ganzes Vorgehen in dieser Vorlesung wird vom Versuch geleitet, das Wesen des Seins über die sogenannten ,Beschränkungen‘ des Seins zu verstehen. Es handelt sich dabei um „Sein und Werden“, „Sein und Schein“, „Sein und Denken“ sowie „Sein und Sollen“. Die Insistenz, mit der Heidegger unterstreicht, dass sich den 35 36 37

Ebd., 306 f. Ebd., 307. Seminar in Le Thor 1969 = GA 15, 330.

26

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

Griechen zufolge das Sein mit der physis identifiziert – und dass diese nicht missverstanden werden darf, indem man auf ungriechische Bedeutungen der physis verfällt; dass sie vielmehr das „aufgehende Sichaufrichten“ bezeichnet, das „in sich verweilende Sichentfalten“ – will der Überwindung eines bloß oppositiven Verständnisses der Antithetizität von Sein und Werden, Sein und Schein, Sein und Denken den Boden bereiten. So vertieft Heidegger, was er in der Vorlesung von 1926 zur antithetischen Natur des Seins bei Heraklit und Parmenides gesagt hatte, aber ergänzt um einen neuen Aspekt. Wo zuvor das Verhältnis zwischen Einem und Allem in den Vordergrund gestellt wurde, wird dieses nun durch den Verweis auf die aletheia als „ursprüngliche Einheit“ des aus der Verborgenheit Tretenden und Sich-Entfaltenden (GA 40, 65 f.) sowie durch die Identifizierung von aletheia und physis tiefer erfasst. „Aufgrund des einzigartigen Wesenszusammenhangs zwischen physis und aletheia können die Griechen sagen: Das Seiende ist als Seiendes wahr. […] Die Wahrheit ist als Unverborgenheit nicht eine Zugabe zum Sein“ (ebd., 109). Die Feststellung, dass die Wahrheit dem Wesen des Seins zugehört, zielt in diesem Kontext aber auf einen anderen Zweck als den, die genannte ,ursprüngliche Einheit‘ anzuzeigen. Hier wird unterstrichen, dass die Wahrheit noch vor der menschlichen Erkenntnis die physis betrifft, das Erscheinen des Seins. Bemerkenswert ist, dass Heidegger – mit Bezug auf den Zusammenhang von Erscheinen und Sich-Verbergen – zur Bezeichnung der Ureinheit, die die physis der Griechen charakterisiert, das Heraklit-Fragment B 53 zum polemos zitiert. Heidegger übersetzt es folgendermaßen: „Auseinandersetzung ist allem (Anwesenden) zwar Erzeuger (der aufgehen lässt), allem aber (auch) waltender Bewahrer. Sie lässt nämlich die einen als Götter erscheinen, die anderen als Menschen, die einen stellt sie her(aus) als Knechte, die anderen aber als Freie“ (66). Heidegger erklärt dann, was hier unter polemos zu verstehen sei: „Der von Heraklit gedachte Kampf lässt im Gegeneinander das Wesende allererst auseinandertreten, lässt Stellung und Stand und Rang im Anwesen erst beziehen. […] In der Aus-einandersetzung wird Welt“ (ebd., Hervorhebung L.M.). Heideggers Aufmerksamkeit zielt hier nicht allein darauf, den authentisch griechischen Sinn des physis-Begriffs darzustellen, sondern genauso darauf, den Unterschied zwischen dem aufzuzeigen, was er unter ,Welt‘ versteht, und dem bloß ,Fertig-Gegenständlichen‘ der Seienden (vgl. 67). So bedeutend dieses Thema ist, wir wollen bei unserer eigentlichen Frage bleiben (wenngleich eine Verbindung besteht38). Uns geht es um die Betrachtung von physis und aletheia, und schon an dieser Stelle des Texts nennt Heidegger auch den anderen Begriff, der diesen beiden zur Seite gestellt werden muss: logos. Dieser wird als „Sammlung“ des Seins ver-

38 Eine kurze Passage aus dem Seminar von Le Thor 1966 sei zitiert, wonach für Heraklit, der kosmos und Feuer gleichsetzt (vgl. B 124), der kosmos „niemals als etwas Einzelner [erscheint], aber ungreifbar durch alles hindurch[schimmert]“ (GA 15, 282).

I. Heidegger und Heraklit

27

standen, denn „die Auseinandersetzung trennt weder, noch zerstört sie gar die Einheit. Sie bildet diese, ist Sammlung (logos)“ (66). Heraklit wird dann erneut im Zusammenhang der Überlegungen zum Unterschied zwischen Sein und Werden genannt. Diese werden deswegen sehr kurz gehalten, weil die Frage eng mit dem Verhältnis von Sein und Schein in Verbindung steht, die unmittelbar darauf thematisiert wird, obwohl die beiden Themen gewöhnlich – nach Heidegger zu Unrecht – getrennt behandelt werden. Er nutzt die Gelegenheit, noch einmal den vermeintlichen Gegensatz zwischen Parmenides und Heraklit zu kritisieren (103 ff., bes. 105). Das brauchen wir hier nicht weiterzuverfolgen. Dort jedoch, wo sich Heidegger zur Unterscheidung von Sein und Schein äußert, findet sich erneut ein Heraklit-Zitat. Es handelt sich um das Fragment B 123 DK, das Heidegger folgendermaßen übersetzt: „Sein (aufgehendes Erscheinen) neigt in sich zum Sichverbergen“ (122)39. Indem er unterstreicht, Sein bedeute, „aus der Verborgenheit herauszutreten“, stellt Heidegger vor allem fest, dass diese Herkunft das Wesen des Seins konstituiere; er fügt aber hinzu, dass sich die Neigung des Seins, in die Verborgenheit zurückzukehren, sowohl Rückkehr in „große Verhüllung und Verschweigung“ wie Sichverbergen „in der flachsten Verstellung und Verdeckung“ bedeuten könne (122). Im Kontext der zum Sichverbergen neigenden physis wird also Heraklit herangezogen, um nicht nur die Herkunft des Erscheinens des Seins aus seiner Verborgenheit, sondern auch die enge Nähe zwischen Erscheinen und Schein des Seins darzustellen. Hier sei ein kleiner Exkurs zum Seminar in Le Thor 1969 gestattet, wo Heidegger erneut das Fragment B 123 DK behandelt und es folgendermaßen übersetzt: „das Aufgehen hat als zugehörige Notwendigkeit die Verborgenheit“ (GA 15, 343). Heidegger geht es hier darum, zwei Dinge hervorzuheben: erstens muss die Bedeutung von physis, als ,Aufgehen‘, im Blick auf die aletheia erschlossen werden; zweitens muss Heideggers Seinsvergessenheit im Licht dieses Heraklit-Fragments verstanden werden. „In diesem Wort Heraklits scheint der durchaus positive Sinn der ,Vergessenheit‘ also noch vollkommen durch, wird es sichtbar, dass das Sein nicht ,dem Außer-Acht-geraten unterworfen‘ ist, sondern sich selbst so weit und in dem Maß verbirgt, als es offenkundig wird“ (ebd., 344)40. Wie bereits gesagt, wird Heraklit in der Vorlesung von 1935 aber hauptsächlich im Blick auf den Logos-Begriff behandelt. Im Bestreben, die enge Verbindung zwischen logos und physis bei Heraklit hervorzuheben, widmet sich Heidegger vor allem der Kritik an verschiedenen Missinterpretationen, deren Opfer Heraklit im Lauf der Jahrhunderte geworden ist. Er verweist zunächst darauf, dass Heraklit zugleich der am häufigsten missverstandene Denker in der abendländischen Geschichte sei wie aber auch derjenige, der der Wiederentdeckung des wahren griechischen Denkens 39

Eine eingehende Übersicht über die Interpretationsgeschichte dieses Fragments in Philosophie, Religion, Wissenschaft, Literatur, Kunst bietet P. Hadot, Le voile d’Isis. Essai sur l’historie de l‘idée de Nature. Paris 2004. 40 S.a. Der Satz vom Grund = GA 10, 95 u. 103.

28

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

die größten Impulse gegeben habe (GA 40, 135). Als jüngste Protagonisten dieser Doppelgeschichte führt Heidegger beispielhaft Hegel, Hölderlin und Nietzsche an. Vor allem aber ergreift er hier die Gelegenheit, einer seiner am häufigsten vorgebrachten Kritiken Ausdruck zu geben, nämlich der Kritik an einer philosophischen Deutung des christlichen Glaubens, wie sie schon bei den Kirchenvätern zu finden ist. Ironisch verweist Heidegger auf die verbreitete Ansicht, die Griechen seien „die Kassiker der Philosophie, weil sie noch nicht voll ausgewachsene christliche Theologen waren“ (ebd.). Im Blick auf unser Kernthema trifft Heidegger zwei Hauptaussagen: (1) innerhalb der christlichen Theologie werde der logos Heraklits irrtümlich als Vorankündigung des johanneischen logos verstanden, der mit Christus identifiziert wird (ebd.); (2) bei Heraklit bedeute logos „das Sein des Seienden, die Gesammeltheit des Gegenstrebigen“, während sich der Begriff im Neuen Testament auf „ein besonderes Seiendes“ beziehe, „nämlich den Sohn Gottes“ (143). Die radikale Gegenüberstellung von Heraklit‘schem und christlichem logos, die auf den ersten Blick vom Unterschied zwischen Sein (das sich entfaltende Ganze) und Seiendem (Christus) einleuchtend erscheint, wird hingegen angesichts der Frage problematisch, ob der logos, der Christus ist, einfachhin als ,ein Seiendes‘ verstanden werden kann41. Bleiben wir aber bei der Hauptthese. Heidegger vermeidet es bewusst, das Wort logos zu übersetzen, um seine authentische Bedeutung aus dem Kontext der Fragmente Heraklits zu gewinnen. Er zitiert zunächst die Fragmente B 1 und 2 DK und betrachtet dann B 50 und seine Implikationen (136 ff.). Ohne auf Einzelheiten weiterer Fragmente eingehen zu müssen, die Heidegger zitiert oder in den Blick nimmt42, können wir sein Ergebnis an dem Bezug auf Texte festmachen, die auf den ersten Blick in die Richtung einer Deutung des logos als „Diskurs“ oder „Wort“ weisen könnten, die aber, wenn sie korrekt interpretiert werden (besonders B 50), den logos der Meinungsäußerung, also dem „Hörensagen“, gegenüberstellen (138). Dieser logos ist nicht, was von jeder beliebigen Person gesagt werden könnte; es handelt sich um „die Gesammeltheit des Seienden selbst“ (ebd.). Genauer: „logos ist die ständige Sammlung, die in sich stehende Gesammeltheit des Seienden, d. h. das Sein“ (139)43. Und da, wie schon gehört, das Sein die physis ist, kann Heidegger die Ansicht formulieren, dass physis und logos dasselbe seien (ebd.). Nachdem er, auf der Grundlage des Fragments B 8 DK, herausgestellt hat, dass der logos auch Einheit der Gegensätze ist, die ineinander übergehen (140), unterstreicht Heidegger zwei weitere Aspekte der Logoslehre Heraklits: (1) Das Sagen und das 41 Vgl. J. Wahl, Verso la fine dell’ontologia. Studio sull’Introduzione alla Metafisica di Heidegger. Mailand 1971, 287 (frz. Orig. Paris 1956). 42 Das sind in GA 40, 137 ff. die Fragmente B 34, 72, 114, 103, 8, 19, 97, 9, 7, 54, 124. 43 In der ersten der Heraklit gewidmeten Sitzungen des Seminars in Le Thor 1966 bekräftigt Heidegger, auch mit Bezug auf Stellen aus Der Satz vom Grund, dass der ,logos das Sein nennt‘ (s. GA 15, 273).

I. Heidegger und Heraklit

29

Hören des Menschen sind nur dort echt, wo sie auf den logos gerichtet sind. (2) Das Wahre ist nicht allen leicht zugänglich, da es sich als schwierig darstellt, den „nicht sich zeigenden [,gesammelten‘, L.M.] Einklang“ – von dem das Fragment B 54 DK spricht – zu erkennen und von der bloßen „Einebnung“ zu unterscheiden (141 f.). Heidegger versucht dann nachzuvollziehen, wie es von dieser ursprünglichen Einheit von physis und logos zum Gegensatz gekommen ist, aus dem die ,Logik‘ als Wissenschaft des vom Sein getrennten Denkens entstanden sei. Dazu zieht er Parmenides heran und fokussiert auf das berühmte Fragment B 5, das von einer Identität von Denken und Sein spricht (145). In diesem Zusammenhang kehrt er zu Heraklit zurück, wo es um die eng verwandte Frage nach dem Wesen des Menschen geht, obwohl auch dabei der Schwerpunkt auf Parmenides liegt. Hier genüge es festzustellen, dass nach Heidegger das Wesen des Menschen bei Parmenides vom Wesen des Seins her bestimmt wird (152) und dass er gerade hier den Ursprung seiner Bestimmung des Menschen als ,Da-Sein‘ findet, als ,Da‘ (oder Ort) der Offenbarkeit des Seins. Diese Hinweise mögen genügen, um nun einige der Schlussfolgerungen Heideggers in den Blick zu nehmen, die in direkter Beziehung zu unserem Kernthema stehen. Bemerkt sei zunächst, dass Heidegger – unter Bezug auf das HeraklitFragment B 93 DK: „Der Herrscher, dessen Wahrsagung zu Delphi geschieht, er sammelt weder, noch verbirgt er, sondern er gibt Winke“ (179) – zur Charakterisierung des logos als „Offenbarmachen“ kommt, als ein „Sammeln“, das entbirgt, nicht verbirgt. So ist es ihm möglich festzustellen, dass sich diese Bedeutung von legein nur „aufgrund seines Wesensbezugs zum logos im Sinne der physis ergeben konnte“ (ebd.). Die Bedeutung von logos als Offenbarmachen findet sich noch bei Platon und Aristoteles, und das ist für Heidegger höchst bezeichnend, da gerade bei ihnen „schon der Verfall der Bestimmung des logos einsetzt, wodurch die Logik möglich wird“ (ebd.). Eine zweite Überlegung zielt auf die Gegenüberstellung von logos und physis, die jedoch bei den anfänglichen Denkern nicht dieselbe Bedeutung hat wie in der späteren Metaphysik. In ihrem Fall wird der logos als das verstanden, das das Wesen des Menschen, des Da-Seins, bestimmt: „Menschsein heißt: die Sammlung, das sammelnde Vernehmen des Seins des Seienden, das wissende Ins-Werk-setzen des Erscheinens übernehmen und so die Unverborgenheit verwalten, sie gegen Verborgenheit und Verdeckung bewahren“ (183). Von ganz anderer Natur ist der Gegensatz von logos und physis, der dann entsteht, wenn sich der logos vor das Sein des Seienden stellt und sich als ,Vernunft‘ Jurisdiktion über das Sein zuschreibt und damit die Bestimmung des Seins des Seienden übernimmt. Gestaltet sich der Gegensatz auf diese Art, so ist das Sein als physis vollkommen verborgen und das Denken „ratio der Logik“ (188) geworden. Heidegger bezieht sich hier nicht allein auf die neuzeitliche Geschichte der Metaphysik und Logik, sondern auch auf die Philosophie Platons und Aristoteles’, die als „großer Anfang“ des griechischen Denkens gesehen werden, während sie in

30

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

Wirklichkeit eher „anfängliches Ende“ des großen, von Heraklit und Parmenides vollzogenen Beginns darstellen (ebd.). Bei Platon ist die physis nicht mehr das Sein des Seienden; die Stelle hat die Idee übernommen, so dass von der ursprünglichen Einheit von Verborgenheit und Unverborgenheit nur letztere übrigbleibt, also das sich dem Blick Zeigende (189 ff.). Dieses Verkennen des Seins führt unmittelbar dazu, dass die Idee, insofern sie das Sein des Seienden darstellt, zum ,Seienden par excellence‘ erhoben wird – hier liegt der Ursprung der Metaphysik als ,Onto-theologie‘ –, während das, was das Seiende eigentlich ist, zum nicht wirklich Seienden erniedrigt wird. Bei Aristoteles sei der logos nicht mehr „das Geschehen der Unverborgenheit“, sondern werde „Aussage“, das heißt „etwas über etwas sagen“, sodass Wahrheit zur bloßen Richtigkeit oder Aussagewahrheit werde (194 f.). Mehr noch: nun bestimmen einige Grundaussagen, die sogenannten ,Kategorien‘, das Sein des Seienden. Heidegger fasst diese komplexe Entwicklung folgendermaßen zusammen: „,Idee‘ und ,Kategorie‘ sind künftig die beiden Titel, unter denen das abendländische Denken und Tun und Schätzen, das ganze Dasein steht. Die Wandlung von physis und logos und damit die Wandlung ihres Bezugs zueinander ist ein Abfall vom anfänglichen Anfang. Die Philosophie der Griechen gelangt zur abendländischen Herrschaft nicht aus ihrem ursprünglichen Anfang, sondern aus dem anfänglichen Ende, das in Hegel groß und endgültig zur Vollendung gestaltet wird“ (197)44. Zuletzt der wohl wichtigste Gedanke: Für Heidegger ist die Transformation von physis und logos – von ihrer ursprünglichen Bedeutung im anfänglichen Denken „zu Idee und Aussage“ – darauf zurückzuführen, dass das Wesen der Wahrheit als „Unverborgenheit“ (198 f.) an Kraft verloren habe, also auf die Ohnmacht der aletheia. – So können wir uns nun, in einem letzten Schritt, dem berühmten HeraklitBeitrag Heideggers zuwenden, der dem Logos gewidmet ist und als Vortrag wie Aufsatz vorliegt. 6. Die Heraklit-Auslegung in Heideggers Schrift Logos (1951) Nachdem wir zunächst Vorgeschichte und Hintergrund dieses Beitrags in den Blick genommen haben – nämlich die umfangreichere Vorlesung, aus der er hervorgegangen ist und in der es um eine ,systematische‘ Rekonstruktion des Heraklit’schen Denkens ging (Heidegger modifizierte dazu Diels’ Anordnung der Fragmente), sowie einige andere Schriften, in denen Heraklit behandelt wird – 44 Zu erinnern ist aber daran, dass für Heidegger doch ein wesentlicher Unterschied zwischen der aristotelischen und der modernen Metaphysik bleibt; dazu sei folgende Stelle zitiert: „So weit [d. h. „das Seiende ,logisch‘, vom Aussagesatz und seiner Copula her“ auszulegen, L.M.] ging innerhalb des griechischen Denkens nicht einmal Aristoteles, wenn er das Sein des Seienden aus der kategoria her dachte. Aristoteles vernahm das Seiende als das für das Aussagen schon Vorliegende, d. h. als das unverborgen jeweilig Anwesende“ (Der Spruch des Anaximander, in: Holzwege = GA 5, 321 – 373, hier 351).

I. Heidegger und Heraklit

31

können wir uns nun dem, dem Umfang nach kürzeren, aber zentralen Text zuwenden, der 1954 im Sammelband Vorträge und Aufsätze veröffentlicht wurde. Titelthema ist die Deutung des Heraklit’schen logos; dazu wird das Fragment B 50 DK in den Mittelpunkt gestellt. Heidegger schlägt eine Lesart vor, in der sich das Denken auf jenes Einfache hin orientiert, „das unter dem Namen logos zu denken bleibt“ (GA 7, 213). Grundlage der Untersuchung ist zunächst die geläufige Übersetzung Bruno Snells. Heidegger gelangt aber dann im Licht seines Interpretationsansatzes zu einem eigenen Übersetzungsvorschlag. Snells Übersetzung lautet: „Habt ihr nicht mich, sondern den Sinn vernommen, so ist es weise, im gleichen Sinn zu sagen: Eins ist Alles“ (213). Diese Übersetzung, die auf den ersten Blick überzeugend scheint, zielt darauf zu zeigen, dass menschliches Denken und Sagen dem entsprechen müssen, was im logos enthalten ist, und dass man mithin feststellen muss: hen panta, Eins ist Alles. Heidegger stellt allerdings die scheinbare Eindeutigkeit dieser Übersetzung in Frage und zeigt mithilfe einer Reihe von etymologischen Hinweisen auf, dass das legein des logos nicht primär mit dem ,Sagen‘, sondern mit dem Sein zu tun hat. In einem ersten Schritt bestimmt er das legein des logos als ein Sammeln, ein „Zusammenbringen“ (214); es ist ein „Legen“, das als „beisammen-vor-liegenLassen“ verstanden wird, kurz: „Das Sagen und Reden der Sterblichen ereignet sich von früh an als legein, als Legen. Sagen und Reden wesen als das beisammen-vorliegen-Lassen alles dessen, was, in der Unverborgenheit gelegen, anwest. Das ursprüngliche legein, das Legen, entfaltet sich früh und in einer alles Unverborgene durchwaltenden Weise als das Sagen und Reden“ (217). Heidegger sieht ein Echo dieser ursprünglichen Beziehung zwischen Sagen und Ding (als Gesagtem) bei Aristoteles, wo das legein ein apophainesthai ist, das „das Erscheinende […] von ihm selbst her zum Scheinen“ bringt (218 f.), ganz wie es Heidegger vom Logos der Phänomenologie in Sein und Zeit gesagt hatte45. So versteht man, warum das ,Hören‘ des Sprechenden, das zum logos gehört, ein homologein ist, also ein GehörSchenken, das selbst ein legein ist, etwas, das „in der lesenden Lege“, dem „Gesamt beisammen“ des logos beruht (222). Diese Beobachtung steht in Verbindung mit einer anderen Überlegung. Das hen panta am Schluss des Fragments B 50 DK ist nicht einfach ,was zu sagen weise ist‘, das dem logos entspricht, also die Verkündigung des logos, den das menschliche Sagen zum Ausdruck bringen muss46. Vielmehr besagt das hen panta, „was der logos ist“, und der sagt, wie das hen panta sein Sein entfaltet bzw. ,west‘ (226). „Auf die Frage, was der logos sei, gibt es nur eine gemäße Antwort. Sie lautet in unserer Fassung: ho logos legei. Er lässt beisammen-vor-liegen. Was? Panta“ (225). Der 45

Heidegger verweist in GA 7, 219 auf § 7 B von Sein und Zeit. Vgl. Logik. Heraklits Lehre vom Logos = GA 55, 376: „Der logos ist nicht ein ,Sinn‘, dementsprechend der Ausspruch erfolgen soll: Eins ist Alles. Der logos ist nicht das Wort dieses Sinnes, das ausspricht: Eins ist Alles. Der logos ist nicht irgendein abgesondertes Wesen, das, man weiß nicht weshalb, verkündet: Eins ist Alles“. 46

32

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

logos ist also selbst dieses ,beisammen-vor-liegen-Lassen‘ und somit das Sichentbergen des Gegenwärtigen in seiner Gegenwart. Logos und aletheia sind aber dasselbe; und da aletheia ,Unverborgenheit ist, die Verborgenheit braucht‘, ist der logos „in sich zumal ein Entbergen und Verbergen“ (225 f.). Für Heidegger ist logos das Leitwort des Heraklit’schen Denkens. Es bezeichnet nichts weniger als „das Sein des Seienden“, das „das einzig Denkwürdige“ ist, in dem der „Beginn des abendländischen Denkens“ ruht. „Im Denken Heraklits erscheint das Sein (Anwesen) des Seienden als ho logos, als die lesende Lege. Aber dieser Aufblitz des Seins bleibt vergessen. Die Vergessenheit wird ihrerseits noch dadurch verborgen, dass sich die Auffassung des logos alsbald wandelt. Darum liegt es zunächst und für eine lange Zeit außerhalb des Vermutbaren, im Wort ho logos könnte sich gar das Sein des Seienden zur Sprache gebracht haben“ (232). Fassen wir also Heideggers Betrachtungen zum Logos Heraklits zusammen, lassen sich drei Grundzüge festhalten: (1) Der logos ist das Sein des Seienden, als Ursprung, der den Seienden Sein und (,sammelnd‘) Einheit gibt. (2) Dieses Sein muss als physis verstanden werden, als Dimension des aufgehend Sich-Zeigenden, und als aletheia, der im ,Rückzug‘ der physis gründenden Offenbarwerdung47. (3) Der menschliche logos, den Heidegger als „ursprüngliche Logik“ bezeichnet, die dem logischen Denken des metaphysischen Seinsverständnisses vorausgeht, besteht darin, sich innerhalb des „logos als Gegenwart der ursprünglichen Versammlung“ zu bewegen: das ist das wahre homologein48. Wo hingegen ein solches homologein fehlt, hat es der Mensch nur mit den Seienden zu tun. Diesen positiven Bestimmungen ist eine negative Abgrenzung hinzuzufügen, die in der Vorlesung von 1944 zu Heraklits Lehre vom Logos herausgestellt wird: Heraklit sagt vom logos, dass er panton kechorismenon sei, also ,von allem getrennt‘. Was aber heißt das? Könnte es sich vielleicht um das Absolute handeln, das die Metaphysik als höchstes, an sich selbst existierendes Seiendes versteht, also den Urgrund alles Seienden oder den Schöpfergott der Welt (GA 55, 330 f.)? Diese Annahme ist für Heidegger inakzeptabel, da sie späteres Denken in Heraklit hineindeute; sie sei vielmehr charakteristisch für das Seinsverständnis der Metaphysik, die aus dem Sein das höchste Seiende gemacht habe. Demgegenüber bedürfe es der Erkenntnis, dass in jenem kechorismenon „der ursprüngliche Unterschied zwischen dem Seienden und dem Sein [waltet]“ (ebd., 338). Noch einmal beleuchtet Heidegger den Unterschied zwischen dem logos Heraklits und dem späteren ,logischen‘ und metaphysischen Denken, für das – wie bereits anhand der Einführung in die Metaphysik gezeigt – das Sein des Seienden, metaphysisch verstanden, die platonische Idee ist bzw. die Gesamtheit der aristo47 Heidegger unterstreicht, dass die Griechen die „aller Entbergung zugrunde wesende Verbergung“ nicht „eigens nennen“ (GA 55, 365). 48 GA 55, 358 f. Diese ursprüngliche Logik ist mithin nicht ein Theoriesystem, „Lehre von […] Begriff, Urteil, Schluss“ (ebd., 221), sondern „Besinnung auf ,den logos‘, als welcher sich das Sein selbst anfänglich kundgibt“ (278).

I. Heidegger und Heraklit

33

telischen Kategorien: diese beiden Auffassungen stehen am Grund dessen, was Heidegger die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik nennen wird49, die es unmöglich mache, deren wahres Wesen zu erfassen (272). So versteht man die „Vorbemerkung“ zur Heraklitvorlesung von 1944: „Die einfache Absicht dieser Vorlesung geht darauf, in die ursprüngliche ,Logik‘ zu gelangen. Ursprünglich ist aber die ,Logik‘ als das Denken ,des‘ logos, wenn der ursprüngliche logos gedacht wird und im Denken für dieses gegenwärtig ist. Das hat sich ereignet im Denken Heraklits“ (185). 7. Schluss Zum Abschluss unserer Überlegungen sei zunächst Gadamer und dann noch einmal Heidegger selbst zitiert. Im Bestreben, zugleich Heideggers Deutung der Griechen sowie das Denken seines Lehrers wiederzugeben, stellt Gadamer das – von uns bereits eingehend betrachtete – Heraklit-Fragment B 123 DK in den Vordergrund, wonach „die Natur es liebt, sich zu verbergen“. Gadamers Worten ist genaues Gehör zu schenken. Sie geben dem Doppelmotiv Heideggers Widerhall, ,auf Griechisch zu denken‘ und ,die Griechen griechischer zu denken‘. Vor allem aber haben wir es hier wohl damit zu tun, dass – und wie – Sein als physis und aletheia sowie, mit Bezug auf Heraklit, als logos dekliniert wird. In diesen alten Begriffen der Griechen hat Heidegger zu lesen gelernt, um authentisch das einzige denken zu können, was ,es wert ist, gedacht zu werden‘: das ,an sich haltende‘ Wesen, das sich zeigt, insofern es sich verbirgt, und das sich verbirgt, insofern es sich zeigt: „Wir lernen besser denken, was ist, wenn wir Sein als den Aufgang denken, als das, was sich herstellt und als das jeweils Seiende herausstellt und zugleich mehr ist als das in sein Aussehen Gestellte. Sein ist nicht nur Sich-Zeigen, es ist an sich haltend, und das lässt sich an aller Bewegtheit ablesen. Was wir zu denken haben, wenn wir die Blindheit unseres Machertums und seiner Weltverwüstung überwinden sollten, ist in solchem anfänglichen Verständnis von Physis vorgezeichnet. Heidegger zitiert Heraklits Wort, dass die Natur sich zu verbergen gewohnt ist, und erkennt richtig, dass darin nicht die Aufforderung liegt, in sie zu dringen und ihren Widerstand zu brechen, sondern sie gerade als das hinzunehmen, was sie in sich selbst ist und soweit sie sich zeigt. Gewiss, dass nicht nur Physis so gedacht wird, sondern vor allem das Sein als Aletheia, als Lichtung, die allem Erscheinenden voraus sich ereignet und die sich hinter allem Erscheinenden verbirgt, das ist nicht mehr griechisch gedacht. Aber dieser kühne Denkversuch Heideggers hat uns gelehrt, die Griechen griechischer zu denken“50. Heidegger sei abschließend mit einem Absatz aus der Einleitung zur HeraklitVorlesung von 1943 zitiert (Der Anfang des abendländischen Denkens). Heidegger distanziert sich hier sowohl von dem herkömmlichen Verständnis Heraklits als auch 49 Vgl. Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik, in: Identität und Differenz = GA 11, 51 – 79. 50 Gadamer, Heideggers Wege, 296.

34

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

von der Art, auf die Hegel versucht hatte, den Heraklit aufgedrückten Stempel des ,Dunklen‘ zu erklären, und schlägt seine eigene Deutung vor: „Heraklit ist nicht ho skoteinos, ,der Dunkle‘, weil er absichtlich sich undeutlich ausspricht, er ist auch nicht ,der Dunkle‘, weil jede ,Philosophie‘ für den gewöhnlichen Verstand und dessen Gesichtskreis sich ,dunkel‘, d. h. unverständlich, ausnimmt, sondern Heraklit ist ,der Dunkle‘, weil er das Sein als das Sichverbergen denkt und gemäß diesem Gedachten das Wort sagen muss. Das Wort des anfänglichen Denkens hütet ,das Dunkle‘. Etwas anderes ist es, das Dunkle hüten, etwas anderes, am Dunklen nur sich stoßen als an einer Grenze. […] Weil das anfängliche Denken dasjenige denkt, zu dessen Wesen das Sichverbergen gehört, deshalb bleibt das Dunkle hier notwendig und stets ein Thema des Denkens“ (GA 55, 3251). In meiner Darstellung habe ich versucht, dem Geist der Heraklit-Deutung Heideggers treu zu bleiben, um ihre Originalität darzustellen und verstehbar zu machen, wo diese Deutung innerhalb von Heideggers eigenem Denken zu verorten ist. Natürlich ergeben sich Anfragen, vielleicht gar nicht einmal so sehr in Bezug auf den Wert und die Grenzen von Heideggers Interpretationsvorschlag (der vor allem ein Nachdenken über bzw. Gespräch mit dem antiken Philosophen sein will), sondern vielmehr gerade in Bezug auf die Ergebnisse dieser philosophischen Besinnung. Ich möchte mich hier auf zwei – miteinander verbundene – Anfragen beschränken; zuvor aber eine einleitende Bemerkung. Wie sowohl aus Gadamers Worten über Heidegger als auch aus dessen Worten über Heraklit deutlich wird, geht die Sache des Denkens, wenn es Seins-Denken ist, vollkommen im Spiel des Sich-Ver- und Entbergens und in der ,Wahrnis‘ der Verborgenheit des Seins auf. Im Vergleich mit diesem Seinsdenken haben Logik und Metaphysik nur den Anschein ,strengen Denkens‘. Eine solche Charakterisierung des Denkens im Licht der ,Situation unserer Zeit‘ will der Philosophie ihre Stellung gegenüber den Herrschaftsansprüchen von Wissenschaft und Technik in der Welt zurückgeben. Mehr noch, sie will anzeigen, dass die Philosophie den ursprünglichen Ort des ,anderen‘ Denkens, Sagens, Tuns darstellt. Heidegger leitet somit zu einer ursprünglichen Frage über, die das Wesen des philosophischen Denkens selbst betrifft. Hier ergeben sich zwei Probleme. Erstens ist unklar, ob Heideggers radikale Identifizierung des Denkens mit dem phänomenologischen Weg tatsächlich und authentisch dem Denken der alten Griechen, Parmenides inbegriffen, zugeschrieben werden kann; ferner ist fraglich, ob der menschliche logos als Denken des Seins – das sich erst dann erfüllt, wenn man von jenem Weg ablässt, der behauptet, vom Seienden zum Sein zu gelangen, es in Wirklichkeit aber verdunkelt – nur manifestativ sei, sich also nur auf das Gegenwärtig-Sein beziehe. Eine solche „Erfahrung“, ein Sich-Sammeln bzw. eine „Einkehr in den Wesensbereich des Daseins“, die „die Erfahrung der Inständigkeit in der Lichtung des Seins ermöglichen würde“, thematisiert Heidegger noch in der Schlusssitzung des Seminars von Zähringen (GA 15, 394). Mehr noch, Heideggers 51

S.a. Aletheia = GA 7, 265 f.

I. Heidegger und Heraklit

35

Vorschlag insgesamt spricht von einem solchen Zugang zum Sein, und er macht ihn (in Bezug auf die Angst) schon in Was ist Metaphysik? – der Freiburger Antrittsvorlesung von 1929 – explizit. Zweitens: Darf man in Metaphysik und Logik tatsächlich nur ein späteres, minderwertiges Konstrukt der abendländischen Vernunft sehen, das der Unfähigkeit zur Seinserfahrung entspringt, also zur Korrespondenz zwischen Denken und aletheia, physis und logos? Schließlich stellt schon Heidegger selbst eine nicht geringe Differenz zwischen der aristotelischen Metaphysik und dem modernen Denken fest, das das Seiende radikal ,logisch‘ interpretiert. Die Deutung des Hegel‘schen Idealismus als Vollendung der neuzeitlichen Logik und Metaphysik hängt ihrerseits vollständig von Heideggers Grundannahme ab, dass das ,logische Denken‘ nichts mit der in den Ursprungsbegriffen der Griechen bewahrten Seinswahrheit zu tun habe. Diese Annahme hingegen ist dadurch bedingt, dass die Bestimmung der Wahrheit allein auf das Spiel von Erscheinen und Verbergen fokussiert wurde, ohne Rücksicht auf die Dimension des unwiderlegbaren, unbestreitbaren, unumstößlichen Wissens52. Für eine eingehendere Diskussion dieser Gedanken – und von Heideggers Verständnis des Seins der Metaphysik als ,stete Anwesenheit‘ – müsste vor allem, analog zu Heideggers Vorgehen, ein alternativer Denkhorizont, eine andere ,ursprüngliche Logik‘ angezeigt werden, vor deren Hintergrund wir ins Gespräch mit Heidegger treten könnten. Eine solche ,Auseinandersetzung‘ könnte ihren wesentlichen Bezugspunkt – von dem her auch die zitierten Passagen betrachtet werden könnten – in den Beiträgen zur Philosophie haben, wo Heidegger seine nicht-metaphysische und nicht-logische Auffassung von Sein und Wahrheit erläutert53. Einstweilen aber lag meine Absicht einzig darin, im Blick auf seine HeraklitInterpretation Heideggers Auffassung darzustellen von dem, ,was ist‘, und davon, was ,Denken‘ wesenhaft heißt, also von dem logos als Entfaltung und Entbergung der Seienden und von dem das Entbergen bergende Verbergen. Im folgenden Kapitel werde ich versuchen, Heideggers Frage nach der Fähigkeit des ,logischen‘ Denkens zum Aufzeigen der Wahrheit des Seins eingehender nachzugehen.

52

Dieser, im Folgenden zentrale Begriff (ital. sapere incontrovertibile) folgt E. Severinos Deutung der griechischen episteme (im Gegensatz zu Heideggers Verständnis des Worts), deren Wissen (d.i. das Wissen der Theorie) unwiderlegbar ist, denn jeder Versuch, es zu widerlegen, wäre selbstwidersprüchlich; vgl. z. B. E. Severino, Il destino della necessità. Mailand 1980, 46 f. [Anm. d. Hrsg.]. 53 Vgl. Teil VIII: Das Seyn = GA 65, 419 – 510.

36

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘ 1. Bedeutung und Problematik einer philosophischen Logik Die folgenden Überlegungen stehen in engem Zusammenhang mit den Gedanken des vorigen Kapitels. Sie ergeben sich aus der Reflexion und Diskussion einiger (historischer wie systematischer) Thesen, in denen Heideggers Kritik an der ,Logik‘ zum Ausdruck kommt, die nach seinem Dafürhalten das abendländische Denken charakterisiert. Im Mittelpunkt meiner Überlegungen steht vor allem der von Heidegger gewählte Bezug auf das Denken der Griechen, dann aber auch jene wesentliche Form, die Kant der Logik gibt und in deren Tradition noch Heideggers Ansatz steht. Direkter Gegenstand meiner Untersuchung ist eine der Schriften, die Heidegger während der Marburger Jahre der Logik widmet54, nämlich die Vorlesung des Wintersemesters 1925/26, in der er Primat und Wert der logischen oder theoretischen Wahrheit innerhalb des philosophischen Diskurses diskutiert: Logik. Die Frage nach der Wahrheit (= GA 21)55. Im Hintergrund der Überlegungen steht aber stets – auch ohne direkte Textbezüge – die Position des späten Heidegger, die sich auf die Kritik des objektivierenden Denkens konzentriert56. Ich werde im Anschluss einige kritische Anfragen an Heideggers Position zum Begriff der ,theoretischen Wahrheit‘ und deren Verbindung zur Metaphysik stellen. Diese Anfragen sind aber getragen von einer Grundübereinstimmung: dass nämlich die Logik philosophisch diskutiert und davon befreit werden muss, bloß Datum oder Faktum zu sein, dessen man sich einmal bemächtigt, ohne es je zu problematisieren57. Der Schluss von Heideggers Logik-Vorlesung zeigt die Richtung seines Denkens an: „Die Logik ist die unvollkommenste aller philosophischen Disziplinen, und sie ist nur vorwärts zu bringen, wenn sie sich besinnt auf die Grundstrukturen ihrer thematischen Phänomene, auf die primären Seinsstrukturen des Logischen als eines Verhaltens des Daseins, auf die Zeitlichkeit des Daseins selbst. Die unausdrückliche Grundlage der traditionellen Logik aber ist eine bestimmte Zeitlichkeit, die primär orientiert ist am Gegenwärtigen, was sich extrem ausdrückt in der Fassung des griechischen Erkenntnisbegriffes als reines theorein, als reines Anschauen. Alle Wahrheit dieser Logik ist Anschauungswahrheit; Anschauen verstanden als Ge54 Vgl. H. Seubert, „La logica come domanda sulla verità negli anni di Marburgo di Heidegger“, in: E. Mazzarella (Hg.), Heidegger a Marburgo (1923 – 1928). Genua 2006, 259 – 291. 55 Unter den Marburger Vorlesungen ist außerdem jene zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Logik vom Sommersemester 1928 für unser Thema relevant (GA 26). 56 Vgl. dazu Die Zeit des Weltbildes, in: Holzwege = GA 5, 75 – 113 und den Anhang zu Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken = GA 9, 68 – 77. 57 Sehr klar äußert sich Heidegger dazu 1928 in Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz = GA 26, 23 – 32. Heideggers Umgang mit dem Thema einer Rückkehr zum Fundament der Logik ist in der Vorlesung von 1925/26 und jener von 1928 nicht einfach identisch, ich kann mich hier aber auf die frühere Vorlesung beschränken.

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

37

genwärtigen. Sollten aber in der Zeitlichkeit des Daseins radikalere zeitliche Möglichkeiten liegen, dann müssten diese der traditionellen Logik und Ontologie eine wesentliche Grenze setzen“ (GA 21, 415)58. Will man auf die von Heidegger eingeforderte Weise über die Grundstrukturen logischer Phänomene nachdenken, so müssen diese nach ihrer Provenienz befragt werden. In aller Vorläufigkeit können wir hier andererseits auch bereits den Ursprung der Kritik Heideggers anzeigen. Er ist von zwei eng verbundenen Elementen gekennzeichnet: von (1) der Grundabsicht, die Geschichtlichkeit zu denken, und (2) der Überzeugung, dass das Erkennen als ,reine Schau‘ ursprünglich eine Begegnung mit – oder gar ein Denken – der Geschichtlichkeit verhindert59. Heideggers bevorzugte Gesprächspartner in seiner kritischen Aufarbeitung der Logik sind Aristoteles und Kant60. Besonders die Diskussion einiger aristotelischer Texte61 erlaubt es Heidegger erstens, die Nicht-Ursprünglichkeit der logischen oder theoretischen Wahrheit hervorzuheben; gemeint ist, dass der Erkennende nie eine Art desinteressierter Beobachter der Wirklichkeit ist; vielmehr ist er – da dem Dasein das Sein in der Welt wesentlich ist – dem reinen Erkenntnisbezug gegenüber schon voraus und steht in einem ,Dienlichkeitsverhältnis‘62. Somit ist „das aussagende 58

Zu den Grundthemen der Vorlesung vgl. Seubert, 268 – 277. Es sei bereits gesagt, dass der Kernpunkt der Diskussion mit Heidegger die Frage zu sein scheint, ob das Logische nur ein „Verhalten des Daseins“ ist und somit eine begrenzte, nicht absolute Tragweite hat – oder ob man zwischen zwei Bestimmungen des ,Logischen‘ unterscheiden sollte: eine absolute, die der Metaphysik zugehörig ist, und eine, wie Heidegger sagt, in einem Verhalten des Menschen (des Daseins) gründende, vergegenwärtigende Logik. Sicher stellt folglich die Tatsache, dass in der „Zeitlichkeit des Daseins“ andere Zeitmöglichkeiten als die des Gegenwärtigen bestehen, eine „wesentliche Grenze“ dar – diese aber bezieht sich nicht auf Logik oder Ontologie, nicht aufs Sein insofern Sein, sondern auf die in der zeitlichen Ekstase des Gegenwärtigen gründende Logik und das Seiende, das sich in diesem Logos manifestiert, d. h. das Seiende der Naturwissenschaft. 59 Vgl. dazu folgende Bemerkungen Pöggelers: „Die Verfehlung der Metaphysik – das war die entscheidende Einsicht Heideggers – liegt darin, dass sie das Denken als ein ,Sehen‘, das Sein als ein stetes Vor-Augen-Sein, als stete Anwesenheit denkt und so den nicht zum Stehen zu bringenden Vollzug des faktisch-historischen Lebens selbst nicht zur Erfahrung bringen kann. Doch stehen Faktizität und Historizität nicht vielleicht als das Vergessene hinter aller Metaphysik?“ (Der Denkweg Martin Heideggers. Pfullingen 31990, 46 f.). Das reine Sehen ersetzt Heidegger durch die Faktizität des Daseins, die Metaphysik der Gegenwart durch Geschichtlichkeit. 60 In Bezug auf die Wahrheitsfrage und „gegenwärtige Lage der philosophischen Logik“ ist hingegen Husserl sein erster Gesprächspartner, dessen ,Psychologismus‘ in seinen Grundlagen allerdings schon hier kritisch befragt wird (s. GA 21, 31 – 125). Vgl. dazu F. Volpi, „La trasformazione della fenomenologia da Husserl a Heidegger“, in: Teoria 4 (1984), 125 – 162 (bes. 149 – 152). 61 Der phänomenologischen Analyse werden Stellen aus De anima, Metaphysik C 7, E 4, H 10, und De interpretatione unterzogen. 62 Vgl. GA 21, 135 – 161, z. B. 144 u. 147: „Ich, strukturmäßig genommen, [gehe] nicht direkt auf das schlicht Genommene zu, sondern ich erfasse es so, dass ich es gleichsam im Vorhinein schon umgangen habe, ich verstehe es vom dem her, wozu es dient […] Und erst von diesem her Als-Was und Wozu das Betreffende dienlich ist, erst von diesem Wozu her, bei dem

38

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

Bestimmen nie ein primäres Entdecken, das aussagende Bestimmen bestimmt nie ein primäres und ursprüngliches Verhältnis zum Seienden, und deshalb kann es, dieser Logos, nie zum Leitfaden gemacht werden für die Frage, was das Seiende sei“ (GA 21, 159). Zweitens hebt Heidegger die Zeitlichkeit der logischen oder theoretischen Wahrheit hervor, insofern diese als „Gegenwärtigen“ oder als „Entdecktheit“ des Seins durch eine bestimmte Zeitlichkeitsform – die des Gegenwärtigen – möglich wird, also in ihr gründet63. Mit anderen Worten: die logische Wahrheit drückt das Erstarren des Daseins in einer Zeitform aus, der Gegenwart. Die phänomenologische Aufnahme der transzendentalen Ästhetik und Analytik Kants hingegen64 erlaubt es Heidegger, die Widerlegung einer Atemporalität der ich immer schon bin, komme ich auf das Begegnende zurück. Das schlichte Erfassen also gerade der natürlichst gegebenen Umweltdinge ist ein ständiges Zurückkommen auf ein Begegnendes, und ein ständiges Zurückkommen, das notwendig ein Zurückkommen ist, weil nämlich mein eigentliches Sein als besorgendes In-der-Welt-zu-tun-haben charakterisiert ist als Immer-schon-vorweg-sein bei-etwas“. 63 Zum Zusammenhang von Wahrheit, Entdecktheit als Gegenwärtig-Sein und Sein als Gegenwart vgl. GA 21, 191 – 195. – Zum ganzen ersten Teil des Werks, der der Interpretation von Aristoteles’ Wahrheitslehre gewidmet ist, vgl. F. Chiereghin, Essere e verità. Note a „Logik. Die Frage nach der Wahrheit“ di Martin Heidegger. Trient 1984, 77 – 170; G. Bertuzzi, La verità in M. Heidegger. Dagli scritti giovanili a „Essere e tempo“. Bologna 1991, 169 – 212; C. Agnello, Heidegger e Aristotele: verità e linguaggio. Genua 2006, 90 – 102. S.a. A. Cazzullo, Il problema del logos nel primo Heidegger. Milano 1987; E. Berti, „Heidegger e il concetto aristotelico di verità“, in: R. Brague; J.-F. Courtine (Hg.), Herméneutique et ontologie. Paris 1990, 97 – 120; U. M. Ugazio, „L’Aristotele del primo Heidegger“, in: Annuario filosofico 6 (1990), 369 – 388. Zu Heideggers Verhältnis zu Aristoteles insgesamt vgl. F. Volpi, Heidegger e Aristotele. Padua 1984 (darin 79 – 90 zur Logikvorlesung); E. Berti, Aristotele nel Novecento. Bari 1992, 44 – 111; R. Giusti, La potenza dell’origine. Heidegger interprete di Aristotele. Neapel 2000. 64 Vgl. GA 21, 269 – 408. Im Blick auf Heideggers sonstige Kant-Interpretation beschränke ich mich auf Hinweise auf die für unser Thema wesentlichen Texte, v. a. Kant und das Problem der Metaphysik (GA 3) sowie auch Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen (GA 41). – Zur Vorlesung von 1925/26 s. Bertuzzi, La verità, 213 – 247; F. Volpi, „Soggettività e temporalità: considerazioni sull’interpretazione heideggeriana di Kant alla luce delle lezioni di Marburgo“, in: G. Micheli; G. Santinello (Hg.), Kant a due secoli dalla Critica. Brescia 1984, 161 – 179; P. Colonnello, „Un progetto di riforma della soggettività trascendentale: la ,Vorlesung‘ heideggeriana del 1925 – 26“, in: Filosofia oggi 11 (1988), 629 – 640 sowie, unter Berücksichtigung auch anderer Marburger Vorlesungen, A. Fabris, „Soggetto ed essere nell‘interpretazione heideggeriana di Kant“, in: Teoria 7 (1987), 105 – 119. – Schließlich sei auf einige einführende Werke der italienischen Literatur zu Heideggers Verhältnis zu Kant verwiesen: E. Severino, Heidegger e la metafisica. Mailand 1994 (neben Sein und Zeit bezieht sich Severino v. a. auf Kant und das Problem der Metaphysik, dem der erste Teil des Werks gewidmet ist, d.i. „La rielaborazione kantiana come introduzione all’analitica esistenziale“ [37 – 124]); G. Penati, Alienazione e verità. Brescia 1972, 79 – 149 sowie die umfassende Bibliographie (196 – 199); V. Verra, „Introduzione“ in: M. Heidegger, Kant e il problema della metafisica. Bari 1985, VII-XXIII; V. Vitiello, „Heidegger, Kant e il problema della cosa“, in: M. Heidegger, La questione della cosa. Neapel 1989, 7 – 31; P. Colonnello, Heidegger interprete di Kant. Genua 1981; P. Vinci, Soggetto e tempo: Heidegger interprete di Kant. Rom 1988; V. Perego, Finitezza e libertà. Heidegger interprete di Kant. Mailand 2001; S. Maschietti, L‘interpretazione heideggeriana di Kant. Sulla disarmonia di verità e differenza.

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

39

logischen Wahrheit zu radikalisieren. Diese Widerlegung besteht im Wesentlichen darin aufzuzeigen, dass sich die Zeit als Grundstruktur des Daseins bzw. der ,Sorge‘ zeigt (vgl. GA 21, 409 ff.; s.a. 234 ff.) und dass letztere – wie Heidegger schon in der Auseinandersetzung mit Aristoteles herausgestellt hat – die ursprüngliche Dimension des ,reinen‘ Erkenntnissubjekts der von den Griechen begonnenen philosophischen Tradition darstellt, zu der noch Husserl gehört65. Heidegger stellt also dem Ursprünglichkeits- und Absolutheitsanspruch der Logik die Ursprünglichkeit des Daseins als ,Sorge‘ und somit nicht als ,theoretisches‘ Subjekt gegenüber, sondern als ,praktisches‘ (in Bezug auf sich selbst) bzw. ,poietisches‘ Subjekt (in Bezug auf die Dinge)66. Er stellt ferner fest, dass Kants Zugang zwar hilfreich sei, wenn es um die Strukturfunktion der Zeitlichkeit in der Erkenntnis geht, dass er letztlich aber dem Primat des ,Ich denke‘, des ,reinen Verbindens‘ unterlegen bleibe, dem die Zeit etwas ,von außen Kommendes‘ ist67. Dagegen ist nach Heidegger das „Ich denke […] die Bologna 2005; P. Rebernik, Heidegger interprete di Kant. Finitezza e fondazione della metafisica. Pisa 2007; R.M. Marafioti, Il ritorno a Kant di Heidegger. La questione dell’essere e dell‘uomo. Mailand 2012. 65 Zum Bezug zwischen Husserls Subjekt und Heideggers Sorge vgl. A. Masullo, „La ,cura‘ in Heidegger e la riforma dell’intenzionalità husserliana“, in: Archivio di filosofia 57 (1989), 377 – 394 (heute auch in leicht erweiterter Form in ders., Paticità e indifferenza. Genua 2003, 15 – 39). Masullo bezieht sich auf seinen früheren Beitrag „Soggetto ,patico‘ e fine del trascendentale“, in: Paradigmi 6 (1988), 159 – 200 und vertritt die Ansicht, die Analyse „der Vorlesungen Heideggers zwischen 1919 und 1925 scheint zu bestätigen, dass sich die Phänomenologie von Sein und Zeit der Grundfrage der Faktizität des Lebens entzieht und, obwohl Husserls Intentionalitätsbegriff umgeformt wird, widersprüchlicherweise weiterhin die Affektivität des Existierens in einen (wenn auch ,weichen‘) Transzendentalismus idealisiert“ (378 Anm.). Masullos These eines inneren Widerspruchs in Heideggers Position ist höchst interessant; damit muss es aber nicht unausweichlich zum ,Ende des Transzendentalen‘ kommen (aufgrund der Irreduzibilität des ,ek-‘ der ,Ek-sistenz‘ auf seine Idealisierung), sondern es könnte sich auch jener Unterschied auftun, der Hauptthema dieses Kapitels ist, nämlich zwischen einem absoluten Bereich des Wahren (absolut da ,unwiderlegbar‘) und nicht-absoluten (weil rein faktischen) Bereichen wie dem des Heidegger’schen ,Ek-sistierens‘ (zumindest solange diese nicht wieder, soweit möglich, auf den absoluten Horizont zurückgeführt werden). 66 Volpi stellt fest, dass für Heidegger „die traditionelle Auffassung vom theoretischkonstativen Weltzugang als ursprüngliche und entscheidende Erkenntnisweise ein zweifaches Missverständnis darstellt, und zwar zunächst des ursprünglichen Verhältnisses des Daseins zu den Dingen als Be-Sorgen, das zuerst und vor allem ein technisch-praktisches Zu-Tun-Haben mit den Dingen ist (Zuhandenheit) und nur in einem abgeleiteten Sinn Beobachtung reiner Vorhandenheit sein kann. Vor allem aber ist es ein Missverständnis des praktisch-moralischen Charakters, mit dem sich das Dasein auf sein eigenes Sein bezieht, das sich in seiner Besonderheit nicht erfassen lässt, wenn es in den objektivierenden Kategorien der reinen Beobachtung verstanden wird“ (Volpi, Heidegger e Aristotele, 98). Zur Unterscheidung zwischen praxis und poiesis in Bezug auf die Wahrheit als aletheuein des Seienden vgl. v. a. Platon: Sophistes = GA 19, 21 – 188, wo Heidegger das sechste Buch der Nikomachischen Ethik und einige Stellen aus der Metaphysik des Aristoteles untersucht. 67 „Und so kommt, obwohl Kant die Zeit dem Subjekt selbst zuweist, die Zeit bei ihm in gewisser Weise rätselhaft von außen, sie ist da als ein Vorgegebenes, als ein blindes Faktum, vorgegeben für die Spontaneität des Denkens, das selbst außerhalb der Zeit steht“ (GA 21, 408). Etwas eher hat Heidegger mit Bezug auf Kants Verständnis des Ich als das ,Stehende und Bleibende‘, das „das Korrelatum aller unserer Vorstellungen“ ausmacht (s. KrV A 123), fest-

40

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

Zeit selbst, genauer: ein Modus ihrer und zwar der Modus des reinen Gegenwärtigens“ (GA 21, 405)68. So muss einerseits „die Zeit selbst als das Grundexistenzial des Daseins verstanden werden“ (ebd., 403), während dieses Existenzial andererseits nicht auf das ,reine Gegenwärtigen‘ reduziert werden darf, sondern in der Ganzheit seiner Struktur angenommen werden muss: „Die Strukturen des Daseins, die Zeitlichkeit selbst, sind nicht so etwas wie ein ständig verfügbares Gerüst für ein mögliches Vorhandenes, sondern sie sind ihrem eigensten Sinn nach Möglichkeiten des Daseins zu sein, und nur das“ (414)69. Heidegger argumentiert also für eine innere Verbindung zwischen dem ,Sehenlassen‘ des logos und der ursprünglichen Zeitlichkeit des Daseins. Seine Position ist eindeutig. Es stellt sich aber die Frage, ob die Zeitlichkeit der Logik (in Heideggers Sinn) wirklich eine wesentliche Begrenzung sowohl der Logik selbst wie auch der Ontologie darstellt. Das scheint mir nicht der Fall zu sein, denn einerseits erlaubt es diese Zeitlichkeit, klarer zu unterscheiden zwischen (1) der Logik des Gegenwärtigens der Welt, die das wissenschaftliche Denken charakterisiert, und (2) dem Logos der klassischen Ontologie. Andererseits gewährleistet – in Übereinstimmung mit Heidegger – die Zentralstellung der Zeit im Bereich der ,weltlichen‘ Logik, dass die Wahrheit der ,Physik‘, d. h. des Gegenwärtigen, nicht gegenüber anderen Ausdrucksformen verabsolutiert wird, also gegenüber anderen ,Wahrheiten‘ des Weltseienden, besonders denen, die durch Geschichtlichkeit gekennzeichnet sind. Als Frage formuliert: Ist das ,Sein‘ der klassischen Ontologie wirklich das als Gegenwart verstandende Sein und somit nur das Weltsein, gar ein Bereich des Weltseienden, der andere Seinsweisen verdunkelt hat, zum Beispiel das geschichtliche Sein des Daseins? Oder ist es, im Gegenteil, das Sein der Ontologie, das sich auf ursprüngliche Weise von der Zeit befreit, insofern es den Horizont der Atemporalität öffnet, während allein das Seiende der Naturwissenschaft, wenn es verabsolutiert wird (man denke an den ,Physikalismus‘), die anderen, ,geschichtlichen‘ Seinsweisen verdunkelt? Wenn wir uns auf die Dimension des ,Logischen‘ beschränken, so heißt das: muss tatsächlich die Logik als solche der phänomenologisch-hermeneutischen Kritik Heideggers unterzogen werden, oder ist deren eigentlicher gestellt: „Zeit und Ich denke werden von Kant, wo er die Phänomene zu untersuchen strebt, so nahe gebracht als nur irgend möglich […]; und trotzdem reißt Kant auf Grund eines Dogmas, das für ihn leitend ist, Zeit und Ich denke absolut auseinander“ (GA 21, 406, Hervorhebung L.M.). 68 Dies ist für Heidegger der entscheidende Aspekt der Unzulänglichkeit im Bezug von Ich und Zeit bei Kant: „Versteht man das Ich denke als einen Modus des reinen Gegenwärtigens und versteht man das Gegenwärtigen als den Seinsmodus des Daseins, als In-der-Welt-sein, dann ist der Kantische Ansatz vom Grund aus modifiziert, mit anderen Worten, der dogmatische Ansatz der Cartesianischen Position ist von Anfang an vermieden. Nicht ist zunächst gegeben ein Ich denke als das reinste Apriori und dann eine Zeit und diese Zeit als Vermittlungsstation für ein Hinauskommen zu einer Welt, sondern das Sein des Subjekts selbst qua Dasein ist In-der-Weltsein, und dieses In-der-Welt-sein des Daseins ist nur möglich, weil die Grundstruktur seines Seins die Zeit selbst ist, und zwar hier im Modus des Gegenwärtigens“ (406). 69 S. dazu P. Colonnello, Un progetto di riforma, 63 – 64.

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

41

Adressat eher ein bestimmter ,Logos‘, von dem Heidegger meint, dass er der einzige sei, der aber mit dem ,objektivierenden‘ Logos der neuzeitlichen Philosophie identifiziert werden kann und der in der Kant‘schen Analytik seine systematischste Ausdrucksform findet?70 Diese Frage rührt ans Zentrum des Gegenstands unserer gegenwärtigen Betrachtung, der es darum geht, jenseits der unleugbaren Unterschiede zwischen Kant und Heidegger – z. B. in der schon erwähnten Kritik am Fortbestehen eines Primats der Logik auch bei Kant – eine (unbeabsichtigte) Gemeinsamkeit herauszustellen. Heideggers Negation des absoluten Werts der Logik – die mit seinen Thesen zur ,Überwindung‘ der Metaphysik71 und zum ,Ereignis‘ des Seins einhergeht – steht überraschenderweise in Verbindung mit jener Logik, die in Kants Kritik der reinen Vernunft Gestalt bekommt. Ihr wird zwar absolute Geltung zugeschrieben, es handelt sich aber nur um eine bestimmte Konfiguration der Logik. Anders gesagt, die Logik – die Heidegger deswegen vom Reich des ,Ursprünglichen‘ (der ursprünglichen Wahrheit) ausschließt, weil sie seines Erachtens eine einseitige Verabsolutierung gegenüber der echten ursprünglichen Öffnung des Da-seins darstellt, die praktisch 70

Bei Heidegger ist die Frage nach der philosophischen Logik gleichbedeutend mit der Frage nach der Natur der Philosophie. Handelt es sich bei dieser aber um eine Weise des In-derWelt-Seins des Daseins oder um Teilhabe am „selbstdurchsichtigen Leben Gottes“? So Otto Pöggeler, „Svolta o continuità nel pensiero di Heidegger?“, in: Rivista di filosofia 83 (1992), 24 – 49 [Anm. d. Hrsg.: dem Beitrag liegt ein auf Italienisch gehaltener Vortrag zugrunde, der an verschiedenen Stellen auch in der „Einleitung“ zu Pöggelers Neue Wege mit Heidegger. Freiburg/München 1992 benutzt wurde; z. T. konnte für die Übersetzung darauf zurückgegriffen werden; belegt wird im Folgenden nach beiden Texten]. Pöggeler beleuchtet Heideggers These, die ,Theorie‘ der Griechen sei eine aus der techne hervorgegangene Abstraktion, also aus „der Umsicht des Herstellens“ (it. 40/dt. 28). Der Ausgangspunkt der Griechen ist entscheidend für die Ontologie – insofern das Sein im Ausgang von Gebrauch und Dienlichkeit bestimmt wird – sowie für den Sinn der Philosophie selbst – insofern diese „reine Theorie“ ist und vergisst, dass (1.) die Apophantik, das „apophantische Als“, vom ursprünglichen Gebrauchsumgang mit den Dingen abhängt – in dem „der Handwerker […] jedes Etwas als etwas Zuhandenes [nimmt] und sich damit auf es mittels eines ,hermeneutischen Als‘“ versteht – und dass (2.) in der Absolutsetzung der Erfahrung der Herstellbarkeit andere Weisen des In-der-Welt-Seins, wie die Dimension des Religiösen, ausgeblendet werden (it. 42, vgl. dt. 29 f.). Die Vielheit der Weisen des In-der-Welt-Seins wird durch eine als ,Theorie‘ verstandene Philosophie verdunkelt. In dieser Hinsicht bleibt Husserl mit seiner „transzendentalen Phänomenologie“ (dt. 33), ohne sich dessen bewusst zu sein, an die griechische Metaphysik gebunden. Den Grundsinn von Heideggers Philosophie herausarbeitend, stellt Pöggeler fest: „Sind nicht auch wissenschaftliche Zusammenhänge (die Physik der Antike als ganze, die Physik Galileis und die moderne Physik) individualisiert und deshalb unvergleichbar?“ (it. 46/dt. 70). „Dann aber kann eine letzte Transparenz nur für begrenzte Verknüpfungen verlangt werden; sie kann aber nicht zum regulativen Prinzip der Erkenntnis generell werden“ (it. 46). – Hier, wo es allein um Heideggers Kritik an der philosophischen Logik geht, muss den Gegenargumenten mehr Raum gegeben werden; die Bedeutung von Heideggers Überlegungen für eine kritische Neuformulierung des theoretischen Philosophierens ist aber offensichtlich, v. a. im Blick auf die inhärente Grenze der philosophischen Selbsttransparenz. 71 Zu Heideggers Verständnis einer ,Überwindung‘ der Metaphysik vgl. F.-W. v. Herrmann, La Metafisica nel pensiero di Heidegger. Dt.-ital. Rom 2004.

42

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

oder existential und nicht theoretisch ist – darf nicht als die Logik schlechthin verstanden werden, sondern als ihre objektivierende Form, die in Kant ihren Meister hat. Ich meine, nicht der Logos als solcher ist objektivierend und verstellt somit die Wahrheit des Seins über die Fokussierung auf das Subjekt, sondern allein ein bestimmter Logos, sofern er absolut gesetzt wird. Dabei handelt es sich aber nicht um den Logos der Metaphysik, sondern um den der ,Einzelwissenschaften‘. Paradoxerweise könnte man sagen: wenn die von Heidegger kritisierte Logik – aus der das objektivierende Denken hervorgeht – die einzige Erscheinungsform des Logischen wäre, hätten jene Recht, die die Metaphysik nicht, wie Heidegger, im Namen der Wahrheit des Seins kritisieren, sondern im Namen einer Verabsolutierung der wissenschaftlichen Rationalität72. 2. Eine Relecture Cassirers: Kant und die ursprüngliche Struktur des Wissens Nach Heidegger führt Kants Philosophie – von diesem selbst unerkannt – zu einem Zurückweichen der theoretischen Wahrheit als prima veritas, und zwar aufgrund der Zentralstellung, die der Zeit in der Logik zugeschrieben werden muss. Demgegenüber folgt die Kant-Lektüre des Neukantianers Ernst Cassirer der traditionelleren Interpretation, die in Kant denjenigen Philosophen sieht, der der ursprünglichen Struktur des Wissens – für manche auf unüberbietbare Weise – Form gibt. Da es auch nach meinem Dafürhalten – und im Unterschied zu Heidegger, aufgrund der These von der strukturellen Zeitlichkeit des Daseins – so etwas wie ursprüngliches und unwiderlegbares Wissen gibt, wird es hilfreich sein, Cassirers 72

Pöggeler fasst Heideggers Grundgedanken folgendermaßen: „Die metaphysische Seinslehre, die Ontologie, wird fundamental-ontologisch grundgelegt durch die Frage nach dem Sinn von Sein als dem Grund für jede mögliche Bedeutung von Sein“ (Denkweg Martin Heideggers, 47). Blicken wir auf Heideggers Umgang mit der Metaphysik zwischen Aufnahme und Destruktion zurück, lassen sich folgende Punkte festhalten: (1.) Der Sinn des Seins wird durch die Zeit konstitutiert. (2.) Die Zeitlichkeit spielt, wenn auch unbewusst, in der griechischen Ontologie eine Rolle, insofern für diese das Sein Anwesenheit ist, also eine bestimmte Zeitform, die Gegenwart. (3.) Daher muss die Zeit erstens ausdrücklich thematisiert und zweitens in ihrer Dreidimensionalität verstanden werden. (4.) Die Möglichkeit, Zeit (und damit den Sinn des Seins) tatsächlich zu verstehen, ergibt sich aus dem Verständnis eines Seienden in seinem Sein, nämlich des Seienden, das wir sind und das, als seine Grundstruktur, die ursprüngliche Temporalität zeigt, die sich in drei Zeitschemata entfaltet: Zukunft (als Öffnung des existenzialen Seins), Vergangenheit (als Öffnung des poietischen Seins in einer schon gegebenen Welt), reines Gegenwärtigen (Gegenwart als Öffnung des theoretischen Seins) (s. dazu auch Pöggeler, a. a. O., 354 f. mit Bezug auf § 69 von Sein und Zeit). – Hier stellt sich die Frage: handelt es sich bei der Suche nach dem, was den ,natürlichen‘ Welterfahrungen zugrunde liegt, vielleicht nicht um authentische Theorie? Das Zur-Erscheinung-Bringen und Vergegenwärtigen von etwas bedeutet, als solches, nicht, wie Heidegger meint, ein Gegenwärtigen im Sinn eines Erstarrens und Verdinglichens des Erscheinenden. In dieser irreduziblen Differenz gründet die Unterscheidung zwischen der theoria im Sinn der Philosophie und der Theorie im Sinn der Wissenschaft (wobei wir hier vom epistemischen Moment des Philosophierens absehen können, das eng mit seiner manifestativen oder ,phänomenologischen‘ Dimension verbunden ist).

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

43

Kant-Darstellung etwas eingehender zu betrachten. So lässt sich leicht der Unterschied herausstellen zwischen der Weise, auf die Kant ,Wissen‘ verwirklicht, und einer anderen Formgebung des Wissens, die ich im Folgenden vor Heideggers Kritik an der theoretischen Wahrheit zu rechtfertigen versuchen werde. In der Einleitung zu seiner Studie zur Entwicklung der griechischen Philosophie von den Anfängen bis Platon stellt Cassirer fest, dass „der unvergängliche Wert und der unvergleichliche Reiz“ jener Phase der Philosophie vor allem darin gründe, dass „hier die Form des Denkens den Inhalt nicht als einen bloß äußeren begreift, sondern dass sie ihn, indem sie ihn gestaltet, in dieser Gestaltung auch zuerst entdeckt“. Die griechische Philosophie zeichnet sich also dadurch aus, dass sie dank der Aktivität des Denkens, das seine Inhalte setzt und sie nicht als ,gegeben‘ von außen empfängt, auf ursprüngliche Weise den Aspekt der ,Gegebenheit‘ freisetzt. Cassirer fügt hinzu, dass „allen wahrhaft fruchtbaren Epochen der Philosophie das Bestreben innewohnt, sich von der bloßen Gegebenheit des Wissensstoffes zu befreien und den Weg des Denkens gleichsam von vorn zu beginnen“73. Es handelt sich hier um die ,philosophische Methode‘ schlechthin, um jenes charakteristische Denken, das die Philosophie von anderen Erkenntnisformen unterscheidet. Echo findet dies in einem anderen Werk Cassirers, wo er, im Kontext seiner KantDarstellung, noch einmal die Aufmerksamkeit auf die griechische Philosophie und insbesondere Platon richtet; bei diesem sei „an die Stelle der Unterscheidung des ,Innern‘ und ,Äußern‘, der Vorstellung und ihres absoluten Objekts, […] in erster Linie die Unterscheidung der Gewissheitsgrade der Erkenntnis selbst, die Unterscheidung von doxa und episteme“, getreten. Unmittelbar darauf geht Cassirer vom historischen Referat dazu über, die Grundbedeutung der philosophischen Erkenntnis herauszuarbeiten: „Die Wahrheit der Vorstellung hängt nicht länger von ihrem materiellen Gehalt, von ihrer isolierten absoluten Seinsbeschaffenheit ab, sondern von dem Zusammenhang der Begründung, in welchen sie eingestellt ist. Hier erst erschließt sich das wahrhafte Sein, das allein die dialektische Methode zu gewähren vermag. Die ,Vorstellung‘ heißt uns ,wahr‘, wenn sie kraft dieser Methode Bestand gewinnt; wenn sie aus dem Kreise der bloßen Meinung heraustritt und einen neuen Charakter der Notwendigkeit erwirbt“74. Diese Beobachtungen führen zum Verständnis des Grundsinns der Kant’schen Philosophie, den Cassirer folgendermaßen fasst: „Den wesentlichen Inhalt der Kantischen Lehre bildet nicht das Ich, noch sein Verhältnis zu den äußeren Gegenständen, sondern worauf sie sich in erster Linie bezieht, das ist die Gesetzlichkeit und die logische Struktur der Erfahrung. […] Was gesucht wird, ist die allgemeingültige logische Grundform der Erfahrung überhaupt, die für die ,innere‘ wie für die ,äußere‘ Erfahrung in gleicher Weise verbindlich sein muss. […] Hier besitzen 73

E. Cassirer, „Die Philosophie der Griechen von den Anfängen bis Platon“, in: M. Dessoir (Hg.), Lehrbuch der Philosophie. Bd. 1. Berlin 1925, 7 – 139, hier 7. 74 E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd. 2. Berlin 1922, 656 f.

44

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

wir die eigentliche, wahrhafte Ursprungseinheit, auf die wir nur zurückzugreifen brauchen, um die absoluten Gegensätze der bisherigen Ontologie zur Auflösung zu bringen. Die Methode der Kantischen Untersuchung ist damit bereits sicher abgegrenzt. Nicht die Dinge, sondern die Urteile über die Dinge bilden ihren Vorwurf. Ein Problem der Logik ist gestellt; aber dieses logische Problem bezieht und richtet sich einzig und allein auf diejenige eigentümliche und spezifische Form des Urteils, in welcher wir Existenz setzen, in welcher wir empirische Gegenstände zu erkennen behaupten“75. So können die Grundzüge der ursprünglichen Struktur des Wissens bei Kant mit Cassirer folgendermaßen umrissen werden: (1) Kants Philosophie nimmt die Ausrichtung der griechischen Philosophie auf, in der nicht so sehr die Dinge – oder die ,Natur‘ – im Vordergrund stehen, sondern das Wissen, also die Notwendigkeit von Aussagen oder Urteilen über die Dinge76. (2) Erkenntnis und Wissen, die als ursprüngliches Terrain des Philosophierens gelten, führen nicht zu einer Bevorzugung des Ich gegenüber den äußeren Objekten, nach dem für die vorkantische Philosophie typischen Modell des Subjekt-ObjektBezugs. Denn auch das (empirische) Ich ist ein ,Objekt‘, ein inneres Objekt, von dem man in der Philosophie nur im Bereich der Erfahrung sprechen kann, und zwar in Erfahrungsurteilen. (3) Dadurch, dass das Ich, das empirische Subjekt, auf der gleichen Ebene wie andere – gewöhnlich ,äußerlich‘ genannte – Objekte angesiedelt ist, werden die absoluten Antithesen der Ontologie überwunden, also die Gegenüberstellung von Ich und Welt, Subjekt und Objekt, usw. Diese Antithesen werden in ein Gemeinsames aufgehoben, das nicht im ,Sein‘ der antiken Metaphysik, sondern auf der Wissensebene (in der logischen Form der Erfahrung) zu finden ist, wo es zu gültigen Aussagen zu den verschiedenen Wirklichkeiten kommt.

75

Ebd., 662 f. (Hervorhebungen L.M.). Diese Konvergenz zwischen den Griechen und Kant im Blick auf die Grundlegung des Wissens hebt nach Cassirer nicht den grundlegenden Unterschied hinsichtlich der Ontologie auf. Das wird sehr klar an einer Stelle aus der im Anhang zu Kant und das Problem der Metaphysik in GA 3, 274 – 296 veröffentlichten „Davoser Disputation“ zwischen Heidegger und Cassirer: „Heidegger hat richtig gesagt, dass die Grundfrage seiner Metaphysik die gleiche ist, die Plato und Aristoteles bestimmte: Was ist das Seiende? Und er hat weiter gesagt, dass Kant an diese Grundfrage aller Metaphysik wieder angeknüpft hat. Das gebe ich ohne weiteres zu. Aber hier scheint mir eine wesentliche Differenz zu bestehen, und zwar in dem, was Kant die kopernikanische Wendung genannt hat. […] Das Neue in dieser Wendung scheint mir darin zu liegen, dass es jetzt nicht mehr eine einzige solcher Seinsstrukturen gibt, sondern dass wir ganz verschiedene Seinsstrukturen haben. Jede neue Seinsstruktur hat ihre neuen apriorischen Voraussetzungen. […] Das Sein der alten Metaphysik war die Substanz, das eine Zugrundeliegende. Das Sein in der neuen Metaphysik ist in meiner Sprache nicht mehr das Sein einer Substanz, sondern das Sein, das von einer Mannigfaltigkeit von funktionellen Bestimmungen und Bedeutungen ausgeht“ (293 f.). 76

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

45

(4) Der Schwerpunkt der kantischen Philosophie ist mithin das Wissen, nicht die Wirklichkeit an sich. In ihr hat deshalb das mit Descartes begonnene moderne Denken – und in gewisser Weise das mit den Griechen einsetzende philosophische Denken generell – seine definitive Form gefunden. (5) Platon wie Descartes war es noch nicht möglich, zur eigentlichen Gestalt des Wissens, d. h. zur ,logischen Struktur der Erfahrung‘, vorzudringen, weil sich bei ihnen Motive hielten, aufgrund derer diese Struktur keine integrale Funktion einnehmen konnte. Bei Platon wird die Analyse des Wissens in die metaphysische Frage nach dem Ursprung des Seins (besonders der Seele) transformiert, mündet also in einen ,Austritt‘ aus der Ebene des Wissens77. Und bei Descartes besteht eine Kopräsenz des ,methodologischen‘ Motivs – nämlich die Frage der Prinzipien des Wissens – mit dem ,psychologischen‘ Motiv augustinischer Provenienz, dem als individuelles Subjekt verstandenen Cogito. Das transzendentale Ich Kants hingegen, so Cassirer, ist „Intellekt“ nur im Sinn eines „Inbegriff[s] der Regeln und Prinzipien des Wissens“ und nicht auch, wie bei Descartes, anima individuale und res cogitans78. (6) Ergebnisse der Philosophie im Gefolge Kants, so die Geltung der Objekte in den ,Erkenntnisbedingungen‘ gesehen wird, sind die Korrespondenz zwischen Form (logische Struktur der Erfahrung) und Inhalt (Objekte der Erfahrung)79 und die Reduzierung des Wissens auf das, was auf diese Weise vorliegt. So kommt es zu einer ,Ungleichung‘ zwischen Wissen und Metaphysik. Cassirer hält Kants ursprüngliche Struktur des Wissens für unüberbietbar und sieht in ihr die bestmögliche Verwirklichung der ursprünglichen Intention des Philosophierens selbst. Und doch bleiben, wenn wir auf Kants Werke – besonders auf die Kritik der reinen Vernunft – blicken, Zweifel, ob Kants Philosophie nicht auch nur eine Etappe auf dem Weg zum Ziel darstellt. Man denke nur an die der Wissensebene – dem vom transzendentalen Ich konstituierten Horizont – zugehörende Vorannahme des transzendentalen Objekts, des Dings an sich80 ; oder an Kants Einschränkung von gültigem Wissen auf das, was sich innerhalb der Erkenntnisbedingungen präsentiert. Der transzendentalen Philosophie geht es um die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis, ohne aber die Gleichsetzung von Erfahrung und Wissen selbst zu diskutieren. Genau hier ist der Ort der ,philosophischen Logik‘ im oben (Kap. 1) dar77

Vgl. Cassirer, Erkenntnisproblem, 658. Ebd., 659 f. 79 Vgl. ebd., 705: „der empirischen Realität eines Gegenstands können wir uns nicht anders als durch die empirische Wahrheit der Urteile, die sich auf ihn beziehen, versichern: diese Urteile aber können ihrerseits nur in einem System idealer Prinzipien Halt und Dauer gewinnen“. 80 Vgl. dazu Cassirer, Erkenntnisproblem, 733 – 762, der verneint, dass das „transzendentale Objekt“ ein „für sich existierendes Etwas“ sein könne. Die These scheint mir aber durch G. Bontadinis Erläuterungen in seiner kommentierten Ausgabe der KrV widerlegt (vgl. die Anmerkungen in I. Kant, Critica della Ragion pura. Brescia 61979, 60, 72, 88, 91, 99 f., 107 – 110, 114, 120 f., 124 – 127). 78

46

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

gestellten ersten Sinn des Begriffs: als Sich-Öffnen der ursprünglichen Wahrheit, befreit von ihrer Reduzierung auf die bloße (von Kant betrachtete) Ebene möglicher Erfahrung. In ihr öffnet sich eine ,Ungleichung‘ zwischen Wissen und Erfahrung. Freilich stellt die idealistische Weiterentwicklung des kantischen Denkens einen wertvollen Gewinn für die philosophischen Bestrebungen um ein angemessenes Fundament des Wissens und eine Erneuerung der echt metaphysischen Intentionalität des Erkennens dar; denn sie erlaubt es, den Dualismus cartesischer wie kantischer Prägung zu überwinden81. Freilich wäre genauer zu sagen, dass der Idealismus Kants Gleichsetzung von Wissen und Erfahrung grundsätzlich akzeptiert zu haben scheint – allerdings die Inhalte der Erfahrung erheblich erweitert hat (genannt seien hier Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften oder, in Italien, Gentiles Logica come filosofia del conoscere). In einem nächsten Schritt wurde dann, insbesondere im Anschluss an Gentiles ,Erneuerung des Idealismus‘, die zu einer als pure Form oder Formalismus verstandenen Philosophie gelangt (als Negation des absoluten Gehalts bzw. metaphysischen Seins und absolute Affirmation der Form, also des dialektischen Logos, der zum authentischen Werden wird)82, die Absolutheit der Form in Frage gestellt, also die Wahrheit des Logos als einheitlicher Zug der philosophischen Tradition des Abendlands. Gleichzeitig aber ist klar, dass der Logos letztlich, wie gerade gesehen, auf die Form (epistemische Affirmation) nicht der metaphysischen Dimension des Seins, sondern lediglich der Erfahrungsobjekte reduziert worden war. Die Hauptprotagonisten dieses ,Ablegens‘ der philosophischen Logik finden sich in zwei unterschiedlichen philosophischen Richtungen, die aber gleichermaßen die Absolutheit des Logos negieren. Die erste steht noch in Verbindung mit der metaphysischen Tradition und wird von Heidegger repräsentiert. Bei der zweiten handelt es sich um den ,Szientismus‘, der dem logischen Empirismus verbunden ist und für den einzig wissenschaftliche Aussagen gültig sind; dabei gibt es kein absolutes Fundament mehr, welches in Gentiles Formalismus zumindest noch in Spuren vorhanden ist83. Die kommenden Etappen unserer Erörterung knüpfen an die vorstehenden Bemerkungen zur Philosophie Kants im Ausgang von Cassirer und an die knappe Bilanz der Philosophie nach Kant – unter der Rücksicht eines Grundes oder Fundaments des Wissens – an, geht es im Folgenden doch um die Frage der Konvergenz zwischen

81 Vgl. dazu L. Messinese, „Hegel e Kant: critica della conoscenza e critica della metafisica“, in: Aquinas 36 (1993), 47 – 70. 82 Andeutungen mögen hier genügen; es geht um Gentiles Reform des Hegel’schen Idealismus, wobei jeder Rest einer Transzendenzvoraussetzung für das ,Denken im Akt‘ eliminiert wird [vgl. etwa La riforma della dialettica hegeliana. Messina 1913, Anm. d. Hrsg.]. 83 Dessen Größe besteht in seinem ,methodologischen Wert‘, d. h. im Verständnis des philosophischen Denkens als ,Denken im Akt‘, was die Erfordernis einer strengen Rechtfertigung jeder ,Transzendenz‘ gegenüber dem Bereich der Erfahrung einschließt.

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

47

Kant und Heidegger hinsichtlich der ,Logik‘. Dazu sei zuerst der Formalismus der kantischen Logik in den Blick genommen. 3. Allgemeine und transzendentale Logik bei Kant Die Logik ist „eine Wissenschaft […], welche nichts als die formalen Regeln alles Denkens (es mag a priori oder empirisch sein […]) ausführlich darlegt und strenge beweist. Dass es der Logik so gut gelungen ist, diesen Vorteil hat sie bloß ihrer Eingeschränktheit zu verdanken, dadurch sie berechtigt, ja verbunden ist, von allen Objekten der Erkenntnis und ihrem Unterschiede zu abstrahieren“ (KrV B VIIIf.). Dieses Zitat stehe stellvertretend für die Art, auf die Kant den Grundsinn der – kurz zuvor zitierten – aristotelischen Logik versteht. Kant meint sogar, seine rein ,formale‘ Aufnahme der Logik stimme vollkommen mit der aristotelischen Position überein. Liegt er damit aber richtig? Verleibt Kant zurecht die aristotelische Logik seiner Logik ein? Das scheint mir nicht der Fall zu sein, denn der ,formale Charakter‘ beider Logiken ist keineswegs identisch. Bei Aristoteles ist die Logik die Wissenschaft des Seins, sofern es ins Denken tritt84, während sie bei Kant Wissenschaft der DenkRegeln als solcher, getrennt vom Sein, ist, wie etwa im zweiten Teil des folgenden Satzes deutlich wird: „Daher unterscheiden wir die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit überhaupt, d.i. Ästhetik, von der Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt, d.i. der Logik“ (KrV B 76). Kant nennt dies „allgemeine Logik“, weil sie „von allem Inhalt der Erkenntnis, d.i. von aller Beziehung derselben auf das Objekt, [abstrahiert] und nur die logische Form im Verhältnis der Erkenntnisse aufeinander, d.i. die Form des Denkens überhaupt“, betrachtet. Als „transzendentale Logik“ bezeichnet er hingegen die Logik, „in der man nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahierte […]. Sie würde auch auf den Ursprung unserer Erkenntnisse von Gegenständen gehen, so fern er nicht den Gegenständen zugeschrieben werden kann“ (KrV B 79 f.). Es ist klar, dass Kant, wenn er die Gesetze der Logik mit denen des Verstandes identifiziert, nicht in einen Locke’schen ,Psychologismus‘ zurückfällt – er redet ja von einer reinen und transzendentalen Logik; er ist aber doch von einem erkenntnistheoretischen Dualismus überzeugt und hält die Logik für unfähig, das Sein zu erfassen. Dem entspricht die Charakterisierung des Verstandes als Fakultät des Denkens – und nicht des Erkennens (wenn keine Sinnesdaten vorliegen). Sowohl die ,allgemeine Logik‘ – die in Wirklichkeit nur in ihrer abstrakten Materie der formalen aristotelischen Logik entspricht – wie die ,transzendentale 84 Für Aristoteles ist die Logik „a study not of words but of the thought of which words are signs; of thought not with reference to its natural history but with reference to its success or failure in attaining truth; of thought not as constituting but as apprehending the nature of things“ (W.D. Ross, Aristotle. London 61995, 22).

48

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

Logik‘ sind sehr wohl ,Form‘ des Erkennens, aber eine von ihrem Objekt getrennte Form. So werden mittels der allgemeinen Logik die verschiedenen Erkenntnisweisen – der reinen wie der empirischen Erkenntnis – miteinander in Beziehung gesetzt, und mittels der transzendentalen Logik kann ein Gegenstand a priori ,gedacht‘ werden. Beide Logiken konstituieren – in Verbindung mit dem empirischen Element und unter verschiedenen Aspekten – den Gegenstand der Erkenntnis. Angesichts dieser Trennung zwischen dem formalen Element der Erkenntnis und dem Sein ist klar, dass sowohl die allgemeine als auch die transzendentale Logik nur als ein „Kanon zur Beurteilung“ der Erkenntnisse angesehen werden können und nicht als „ein Organon [ihrer] wirklichen Hervorbringung“ (KrV B 85) und dass folglich die Schlusskraft des Logos begrenzte Gültigkeit hat und nicht zu einer Affirmation des Seins, das die mögliche Erfahrung übersteigt, fähig ist (dabei geht es nicht nur um Gott, sondern um jede metaempirische Bestimmung). Was steht hinter einer solchen Position? Kant will den Dogmatismus überwinden, der aus bloßen Begriffen eine ,Metaphysik‘ konstruiert, d. h. eine Erkenntnis der über-sinnlichen Wirklichkeit. Gegenüber diesem Anspruch der reinen Vernunft stellt Kant fest, dass „wir […] keine Verstandesbegriffe, mithin auch gar keine Elemente zur Erkenntnis der Dinge haben, als sofern diesen Begriffen korrespondierende Anschauung gegeben werden kann“ (KrV B XXVf.). Das jedoch kann Kant nur behaupten, da er ein bestimmtes Erkenntnismodell voraussetzt, und zwar das von der „Physik“ oder „Naturwissenschaft“ angebotene Modell objektivierender Erkenntnis (vgl. KrV B XIff.). Korrekterweise müsste Kants eben zitierter Begriff „Erkenntnis der Dinge“ abgeändert werden in: „den Wissenschaften eigene Erkenntnis der Dinge“. Der Auffassung gegenüber, man könne in der der Wissenschaft eigenen Objektivierung Gegenstände als ,Dinge an sich‘ erkennen, hat Kant recht, wenn er „die Einschränkung aller nur möglichen spekulativen Erkenntnis der Vernunft auf bloße Gegenstände der Erfahrung“ vertritt (KrV B XXVI). Tatsächlich liegt, per definitionem, im Erkenntnisgegenstand – in jener besonderen Erfahrungsform, deren Sein Resultat einer vom Verstand erwirkten Synthese ist – niemals das Ding an sich vor. (NB: Hier ist irrelevant, ob die diese Synthese konstituierenden Kategorien unveränderlich sind, wie Kant meint, oder geschichtlichem Wandel unterliegen, wie es Naturwissenschaftler, aber auch eine Großzahl der von Kant inspirierten Philosophen vertreten85). Im Blick auf den erkenntnistheoretischen Aspekt des ,kantischen Problems‘ bleibt damit Folgendes festzuhalten: Einerseits besteht der Dogmatismus der Vernunft darin, jede ihrer Aktivitäten für einen bloßen Spiegel des Dings zu halten, so dass sie das Ding selbst präsentieren könnte; anders gesagt, hier wird jede Erkenntnis für nichtobjektivierend gehalten. Andererseits besteht die Grenze des Kritizismus darin, jede Erkenntnis für rein objektivierend zu halten und jeden anderen Erkenntnisanspruch als ,leeres Denken‘ anzusehen. Warum kann diesen beiden Extremen nicht 85 Vgl. hierzu F. Barone, „Kant e la logica“, in: Micheli/Santinello, Kant a due secoli, 3 – 22 (mit weiterführender Bibliographie).

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

49

einfach mit der Unterscheidung zweier unterschiedlicher Formen des Erkennens begegnet werden: jener der Philosophie und jener der Wissenschaft? Erstere manifestiert das Sein, d. h. jene Seinsdimension, die den Dingen zukommt; letztere ist objektivierend. Doch fahren wir fort in unserer Untersuchung zur Reichweite der Kritik Kants an der ,reinen Vernunft‘. Kant definiert den Verstand als „das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, oder die Spontaneität des Erkenntnisses“ und, kurz darauf, als „das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung zu denken“ (KrV B 75). Erneut muss jedoch festgestellt werden, dass es sich hier nicht wirklich um eine Definition des Verstandes handelt, sondern um seine Reduzierung auf eine seiner Funktionen – die der Objektivierung –, die sich in der wissenschaftlichen Erkenntnis verwirklicht. In dieser Erkenntnisart reicht es nicht, zu denken, um des Objekts gegenwärtig zu werden, sondern das Denken muss mit Sinneseindrücken in Verbindung stehen, damit es nicht mit Chimären operiert, sondern ihm Material zur Verfügung steht, das in der Aktivität des Denkens bestimmt werden soll86. Es handelt sich hier aber, wie gesagt, nicht um die einzige Funktion des Verstandes. Vielmehr gibt es etwas, mit dem dieser, in seiner höchsten Form, immer schon verbunden ist, oder, in Kants Terminologie, es gibt ein ,Denken‘, das auch ,Erkennen‘ ist. Wird diese Einheit des Verstandes mit dem Ding erfasst, werden zugleich die Natur, aber auch, unter anderer Rücksicht, die Grenzen einer Erkenntnisart erfasst, die sich von der wissenschaftlichen Erkenntnis unterscheidet, d.i. die philosophische Erkenntnis. Mit den eben verwendeten Begrifflichkeiten können wir sagen: es gibt ein Denken, das als Denken nicht ursprünglich leer ist und mithin seinen Gehalt von außerhalb seiner selbst erhalten muss, nämlich mithilfe von Sinneseindrücken, ohne die es keinen Erkenntniswert hätte. Es gibt ein Denken, das einen ursprünglichen Gehalt hat; und konstituiert wird diese neue Funktion des Denkens durch die Intuition des Seins. Gelingt es, diese ursprüngliche Fülle des Denkens zu sehen, so erkennen wir das ,eigentliche a priori‘, das so nie rein ,formal‘ ist, sondern einen Gehalt hat. Insofern das Denken ursprünglich Denken des Seins ist – Thomas v. Aquin nennt dies: „primum quod cadit in intellectu est ens“87 – und das Sein ursprünglich gegenwärtig ist dank des Denkens, sind die sogenannte ,philosophische Logik‘ (Denken) und ,Metaphysik‘ (Sein) zwei Seiten derselben Sache. 4. Kant, Heidegger und das objektivierende Denken Auch für Kant ist Wahrheit die Übereinstimmung zwischen logos und res. Er akzeptiert die „Namenerklärung der Wahrheit“ als „Übereinstimmung der Er86 87

Vgl. KrV B 146 ff. (d.i. § 22). Zur doppelten Bedeutung des Objekts bei Kant s.u. S.th. I-II 55, 4ad1 [Anm. d. Hrsg.].

50

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

kenntnis mit ihrem Gegenstand“ (KrV B 82). Kant meint aber, dass die formale Logik kein Kriterium der Objektivität der verschiedenen Erkenntnisse bereitstelle, sondern nur die „negative Bedingung aller Wahrheit“ darstelle (KrV B 84). Daher bedarf es einer „Logik der Wahrheit“, also einer Logik der Objektivität der Erkenntnis, dank derer menschliche Erkenntnis tatsächlich ihren Gegenstand erreichen kann. Es handelt sich dabei um die „transzendentale Logik“ Kants (KrV B 87). Es ist allerdings falsch anzunehmen, die frühere Logik habe sich nicht mit dem ,Wahrheitsbezug‘ beschäftigt. Wie G. Bontadini angemerkt hat, „stellen die Handbücher der scholastischen Tradition der formalen Logik (oder logica minor) eine materiale Logik (oder logica maior) zur Seite, in der es um den Wahrheitsbezug, also die Objektivität der Erkenntnis geht“88. Darüber hinaus muss die Doppelbedeutung von Kants Objektbegriff beachtet werden. Zwar ist die transzendentale Logik Logik der Übereinstimmung mit dem Gegenstand, dieser aber ist nicht das Objekt als Ding an sich, sondern als Phänomen. Genauer wandelt sich der objektive Zweck des Erkennens – da es sich nicht in der Manifestation des Dings an sich verwirklichen kann – dazu, der mannigfaltigen Sinnes- und Wahrnehmungswelt Einheit und Form zu geben, und zwar mittels der Kategorien, deren Objektivität in der „transzendentalen Deduktion“ begründet wird89. So ändert sich nicht das Wesen der Wahrheit als ,Korrespondenz‘; es ändert sich aber die Art und Weise, in der dieses Wesen verwirklicht wird. Im Akt des Erfassens des Gegenstands passt sich nicht das Denken diesem an (insofern er transzendentales Objekt ist), sondern bringt ihn auf gewisse Weise hervor (insofern er Gegenstand der Sinneserkenntnis oder Erfahrung ist). Die einzig mögliche Art, sich der res oder dem Ding an sich ,anzupassen‘, besteht darin, dem Erfahrungsgegenstand Form zu geben. Wie bereits gesehen, besteht der Fehler Kants darin, die objektivierende Funktion des Verstandes verabsolutiert zu haben. Wenn aber die transzendentale Logik Wissenschaft begründen soll, so hat das eine weitere Konsequenz. Wird die transzendentale Logik als ,Logik der Wahrheit‘ angesehen, so heißt das, dass ein bestimmter Logos – der objektivierende – universale Reichweite erhält. Der eigentlich nur der Wissenschaft eigene Logos wird zu allgemeiner Bedeutung erhoben. Dieses Resultat der kantischen Philosophie ist in Heideggers Philosophie als selbstverständlich vorausgesetzt, allerdings ist der Bezug von Denken und Ding bei Heidegger frei vom erkenntnistheoretischen Dualismus Kants. Werfen wir einen kurzen Blick darauf. Für Heidegger ist der Mensch, als Dasein, In-der-Welt-sein und steht somit in einem ursprünglichen Bezug mit dem Ding, ohne dass zwischen dieses und das Subjekt das ,phänomenische‘ Objekt Kants gestellt würde. Gleichwohl bewahrt Heidegger die objektivierende Erkenntnis (Dimension des ,Wissens‘) als solche, in 88 89

Bontadini in: Kant, Critica, 76 (Anm.). Vgl. KrV B 159 ff. (§ 26), dazu Bontadini in: Kant, Critica, 117 – 120 (Anm.).

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

51

der Annahme, dass der in der Wissenschaft tätige Logos der einzige Logos sei und dass daher die Wissensdimension ganz vom wissenschaftlichen Wissen besetzt sei. Ohne mit einem anderen theoretischen Bezug zum Ding als dem der empirischen Wissenschaften zu rechnen, stellt Heidegger diesem zum einen den praktischen und poietischen Bezug (letzterer als ,Zuhandenheit‘ des ,Besorgens‘) gegenüber, zum anderen den Bezug des ,dichtenden Denkens‘. Obleich er den Bezug des wissenschaftlichen Logos zur Wahrheit des Seins negativ bewertet, kommt Heidegger in der Verabsolutierung dieses Logos auf der Ebene des ,Wissens‘ doch mit Kant überein. Die oben aufgestellte These, die die gegenwärtigen Überlegungen trägt und von ihnen gestützt werden soll, besagte, dass ein Erkenntnisbezug (ein ,theoretischer‘ Bezug) existiert, der nicht auf die (in ihrem Bereich gerechtfertigte) wissenschaftliche Erkenntnis reduziert werden kann. Er kann allgemein als philosophische Erkenntnis beschrieben werden; allerdings bedürfen die Begriffe ,Erkenntnis‘ und ,Philosophie‘ der näheren Bestimmung. Erkenntnis, als reines Erkennen verstanden, ist immer intentional: sie ist das ,Ding‘ als ,Logos‘ und ,Logos‘, der das ,Ding‘ ist. Diese Form des Erkennens wird nicht in den Wissenschaften verwirklicht, wo kein rein theoretischer, sondern ein auch praktischer Bezug zum Ding vorliegt, sondern in der Philosophie. Gegenwärtig ist dieser Logos auf besondere Weise im Logos, der nicht nur als manifestativ verstanden wird, sondern die ,Unwiderlegbarkeit‘ des Dings erfasst. Die ,philosophische Logik‘ ist daher niemals rein ,formal‘, da sie immer beim Ding ist, ja sogar das Ding ist. Das allerdings besagt nicht, dass die philosophische Logik das Ding ganz und gar erfasse (sie erfasst vor allem, und auf ursprüngliche Weise, das Ding als Sein). Das Ding erschöpft sich niemals im Logos der philosophischen Logik. Diese Gedanken werden im Folgenden näher erläutert und in ihrer ganzen Reichweite beleuchtet. Dazu müssen die bereits angestellten Überlegungen zu Heideggers Versuch, eine philosophische Logik zu begründen (s. o., Kap. 1), vertieft werden. 5. Heidegger und der apophantische Logos Zu Beginn seiner Überlegungen zum Begriff der Logik bemerkt Heidegger: „Der logos – das Reden – wurde von der anhebenden philosophischen Besinnung zunächst genommen in der Gestalt der ausgesprochenen Rede und innerhalb dieser wieder in der scheinbar einfachsten Form der Aussage, welche ,Sage‘ und Rede sich sprachlich gestaltet im Satz als Aussage-Satz, z. B. ,der Himmel ist blau‘“ (GA 21, 10). Auf diese Weise wird zum einen „die denkend-bestimmende Aussage über Welt, formuliert im einfachen ,Satz‘, […] zur einfachen, allgemeinsten und zugleich ursprünglichsten Form von Rede“; zum anderen „orientiert sich nun auch zunächst grundsätzlich die Bestimmung der Wahrheit“ an „dieser Art von Rede als Aussagesatz […], d. h. dieses aussagende Entdecken von Seiendem ist wahr“, und folglich

52

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

wird „die Wahrheit des theoretisch wissenschaftlichen Erkennens zur Grund- und Urform von Wahrheit überhaupt“ (GA 21, 11, Hervorhebungen L.M.)90. Es ergeben sich vor allem zwei Überlegungen: (1) Für Heidegger stellen in der Philosophie des Ursprungs, Aristoteles eingeschlossen, sowohl Denken wie Rede ein Offenbarmachen der Dinge dar. Er spricht von einer „denkend-bestimmenden Aussage über Welt“ in dem Sinn, dass der Logos, als logos tinos (Rede von …), das, wovon gesprochen wird, zugleich zeigt wie bestimmt. Es besteht eine vollkommene Zirkularität von Diskurs (und Sprache), Denken, Sein. Daraus folgt, dass die Logik des ursprünglichen Denkens, in Bezug auf das Sein, nicht ein von Denken und Diskurs getrenntes Feld darstellt, sondern ihrer Natur nach die Dinge ihrer Verborgenheit entreißt. (2) Insofern der Logos Dinge offenbar macht, muss man sich vor allem auf ihn beziehen, um die Wahrheit zu erfassen, wenn diese Entdeckheit des Seienden ist. Die Wahrheit besteht in der Aussage, d. h. sie ist dort, wo etwas von etwas anderem gesagt wird, wo das Prädikat das Subjekt bestimmt. Die Wahrheit ist Wahrheit des Logos, insofern dieser apophantikos ist, und zwar sowohl im Sinn des ,Sehenlassens‘ als auch des ,Bestimmens‘91. Damit aber, so Heidegger, sei das Wesen der Wahrheit bereits entschieden. Wahrheit par excellence sei die Wahrheit der theoretischen Erkenntnis. Daran aber hat Heidegger selbst starke Zweifel: „Dass aber gerade die Wahrheit des theoretischen Erkennens und gar die der Aussage die Grundform der Wahrheit überhaupt sei, ist gar nicht einsichtig“ (GA 21, 11). Es ist genau diese Frage, die Heidegger in seiner Logik-Vorlesung im Blick hat, geht es darin doch um „die Frage nach der Wahrheit“. Da es keineswegs entschieden ist, sondern nur naiv vorausgesetzt wird, dass das ,ursprünglich und eigentlich Wahre‘ das ,Theoretische‘ und nicht das ,Praktische‘ sei, besteht die grundlegende Aufgabe der philosophischen Logik – also einer Logik als philosophischer Disziplin – darin, der „Frage nach dem ursprünglich und eigentlich Wahren, d. h. nach dem primären Sein von Wahrheit“ nachzugehen (ebd., 11 f.). Was ist zu Heideggers Position zu sagen? Die Einladung zu einer Begründung der Logik als philosophische Disziplin, d. h. als Artikulation der Modi, in denen sich das Sein ausdrückt, ist zweifellos anzunehmen. Sicher, Heidegger legt nahe, dass die Wahrheit, mit der es die Logik zu tun hat (die ,theoretische‘ Wahrheit), nicht die 90

In der Einleitung seiner Ausgabe von Aristoteles’ Organon stellt V. Sainati fest, dass „die aristotelische Logik als Untersuchungsgegenstand, strengen Regeln folgend, eine bestimmte Form annimmt: die apophantischer (oder assertorischer) Rede […], die sich von anderen darin unterscheidet, dass sie Wahrheit und Falschheit unterliegt“ (Aristoteles, Organon. Florenz 1971, 7 f.). 91 Heidegger bezieht sich explizit auf De interpretatione 17a1 – 3 (s. GA 21, 129). Mit Bezug auf Metaphysik 1051b3 und 1011b27 bemerkt Ross, dass Aristoteles „speaks of truth as directly concerned with reality, and says simply and truly that judgment is true when it asserts actually united elements of the real to be united, or actually divided elements to be divided. To say this is to state in some sense a correspondence view of truth, but one which is free from the notion that there is a thought-structure which actually copies the structure of reality“ (Ross, 26).

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

53

Wahrheit im ursprünglichen Sinne sei, an der sich die anderen Wahrheitsformen zu ihrer Bestimmung orientieren müssen. Folglich impliziert für Heidegger eine philosophische Logik ihre eigene Infragestellung; so führt die logische Wahrheit zur Frage nach der Wahrheit der Logik bzw. der Theorie. Angesichts dieser – unumgehbaren – Forderung sei jedoch bemerkt, dass zunächst die Artikulation der theoretischen Wahrheit konkret zu rekonstruieren ist, ehe ihre Grundstellung diskutiert werden kann (falls dies beabsichtigt ist). Darüber hinaus ist noch nicht entschieden, wie sich denn die nichttheoretische Wahrheit im Ausgang von der theoretischen Wahrheit bestimmt. Zusammengefasst: (1) die Logik des ursprünglichen Denkens, weit davon entfernt, selbstreferentieller Diskurs zu sein (also ohne Bezugnahme auf die Dinge), war der Ausdrucksort von Mensch (sich selbst gegenüber) und Welt. (2) Heidegger stellt aber in Frage, ob dieser Anspruch der Logik gerechtfertigt sei; ob sie wirklich die eigentliche Manifestation von Mensch und Welt sei; ob die Wahrheit der Dinge (d. h. was die Dinge sind) wirklich in der ,Theorie‘ liege – oder ob die Theorie nicht vielmehr von etwas anderem herkünftig sei. 6. Apophantische Logik und Aussagen- oder Satzlogik Wie gesehen, ist die antike Logik für Heidegger keineswegs rein formal. Vielmehr artikuliert sich in ihr ein Gehalt, das Sein. L. Lugarini stellt im Blick auf die LogikVorlesung und besonders auf Heideggers Bezug auf Aristoteles’ De interpretatione fest: „Wird die Logik auf ihren aristotelischen Ursprung zurückgeführt, so erscheint sie frei vom traditionellen Formalismus und erhält im Gegenteil eine echt ontologische Reichweite, die aus der dem apophantischen Logos zugeschriebenen entbergenden Kraft entspringt; und anstatt sich in ein Organ der wissenschaftlichen Erkenntnis aufzulösen, als deren methodologisch-formale Voraussetzung, offenbart sie sich gleichsam als Gründungswerkzeug der Ontologie“92. Lugarini umreißt nicht nur deutlich Heideggers Position, sondern bringt auch die entscheidende Beobachtung zum Ausdruck, dass diese auf die antike Logik selbst zurückgeht, die von „echt ontologischer Reichweite“ gekennzeichnet ist. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Auch für Hegel ist ja die Logik nie rein formal, sondern Artikulation des Seins im reinen Denken93. Es handelt sich, mit anderen Worten, um eine Logik, die ,Meta92

L. Lugarini, „La logica nell‘orizzonte di ,Essere e tempo‘“, in: Il pensiero 31 (1991), 106. Vgl. G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Bd. 1. Leipzig 1923 (Meiners Philosophische Bibliothek 56), 28: „Ganz ohne Rücksicht auf metaphysische Bedeutung aber wird dasjenige betrachtet, was gemeinhin unter Logik verstanden wird. Diese Wissenschaft, in dem Zustande, worin sie sich noch befindet, hat freilich keinen Inhalt der Art, wie er als Realität und als eine wahrhafte Sache in dem gewöhnlichen Bewusstsein gilt. Aber sie ist nicht aus diesem Grunde eine formelle, inhaltsvoller Wahrheit entbehrende Wissenschaft“. Nach Gadamer sah sich das Denken der Griechen „von vornherein als ein Moment am Sein selbst“; die „Dialektik […] war für die Griechen nicht eine vom Denken vollführte Bewegung, sondern die von ihm erfahrbare 93

54

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

physik‘ ist, mehr noch, wahre Metaphysik, da sie das ,Sein‘ nicht voraussetzt, wie es in der dogmatischen vorkantischen Metaphysik der Fall ist. Man muss weder auf dem Idealismus der Hegel’schen Einheit von Sein und Denken noch auf der konkreten Bestimmung der Struktur der Metaphysik beharren; wir müssen aber einen Aspekt in den Blick nehmen, der den Griechen wie Hegel gemein ist, nämlich den Einheitsbegriff. Dieser Tradition gegenüber stellen Heideggers Anfragen nicht einfach eine Neuaufnahme der für den erkenntnistheoretischen Dualismus der Neuzeit typischen Einwände dar, sondern sie sind ganz anderer Natur. In seinem Fragen wird das Sein der Metaphysik als Sein der Logik verstanden, so dass keine Ontologie, sondern eine Logik des Seienden vorläge (vgl. GA 21, 158 ff.)94. Was heißt hier, dass das Seiende nicht in seinem Sein, sondern in der Dimension des ,Logischen‘ erfasst wird? Offensichtlich hat sich die Bedeutung der bisher betrachteten ,Logik‘ verändert. Sie ist nicht mehr das Ans-Licht-Kommen des Seins in seiner Artikulation, sondern sie wird zu einer Deformation dessen, was authentisch ,am Licht ist‘. ,Logik‘ heißt nun, mit negativem Akzent, „aussagendes Bestimmen“; sie ist also ein Erfassen des Seienden nicht mehr in seinem echten Sich-Zeigen, sondern als „Gegenstand möglicher Bestimmung“ (GA 21, 160). Das heißt für Heidegger, dass der ursprüngliche Bezug zum Seienden, der für das Da-sein konstitutiv ist und durch den ich im Verstehen lebe und das Seiende immer ,als etwas‘ erfasse (zum Beispiel als das, was mir zum Schreiben dient oder mich am Gehen hindert), im Logos verborgen wird; dieser hat nun die Kraft seines echt apophantischen Charakters verloren zugunsten der Aussage des ,Vorhandenen‘95. Parallel zur Bedeutung des Logikbegriffs wird auch der Apophantikbegriff, die Selbstmanifestation des Seienden im Logos, negativ abgeändert. Als ,bestimmende Aussage‘ verdunkelt der Logos das Ans-Licht-Kommen des Seienden in etwas anBewegung der Sache selbst. Dass eine solche Wendung nach Hegel klingt, besagt keine falsche Modernisierung, sondern bezeugt einen geschichtlichen Zusammenhang“. Hegels „Dialektik der Gedankenbestimmung so gut wie seine Dialektik der Gestalten des Wissens wiederholen im ausdrücklichen Vollzug die totale Vermittlung von Denken und Sein, die ehedem das natürliche Element des griechischen Denkens war“ (G.-H. Gadamer, Wahrheit und Methode [= Gesammelte Werke 1]. Tübingen 1990, 464 f.). 94 Vgl. Lugarini, 114. 95 Vgl. dazu den ganzen Absatz zur „Modifikation der Als-Struktur beim Bestimmen: apophantisches ,Als‘“ = GA 21, 153 – 161, bes. 158: „Wird also […] das Womit des Umgangs zum Worüber eines bestimmenden Aussagens […], dann tritt dabei der eigentliche Seinscharakter, der Kreide z. B., zurück, sie wird nivelliert zu einem bloßen Ding, und als dieses vorhandene weiße Ding unterscheidet sie sich nicht von irgendeinem anderen Ding, dem Blatt Papier oder der Lampe, sofern ich sie als bloße Dinge da fasse. Die eigentümliche Seinsart, nämlich die ursprüngliche Seinsart der Kreide, zu sein als Gebrauchsding, ist jetzt eingeebnet auf dieses durchschnittliche Vorhandensein von etwas, in dem es sich nicht von anderen Dingen unterscheidet. Also diese Bestimmung, die Kreide ist weiß, vollzogen in dem Bestimmungssinn, dem Aussagesinn, den die Aussage hat, diese Art des Sehenlassens dieses Dinges ist nur möglich auf Grund eines Wiederverbergens der Kreide als eines Womit des Zutunhabens“.

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

55

derem, im ,bloß vorhandenen Ding‘, in der von ihrem Horizont abgeschnittenen Apophantik (d. h. der ,Struktur des Als‘). Es kommt zu einem Übergang von der ursprünglichen Apophantik (d.i. das Verstehen, in dem das Ich, als Dasein und ,Inder-Welt-sein‘ existiert) zu einer abkünftigen Apophantik (d.i. das bestimmende Urteil). Damit sind die Wurzeln von Heideggers Kritik am Primat der logischen Wahrheit als Wahrheit des Seienden sowie seiner Kritik an der ,Theorie‘ als Grundwahrheit des Seienden angezeigt. Man könnte hinzufügen, dass hier auch seine Kritik an der Phänomenologie Husserls ihren Grund hat: der Logos kann nicht das ,Phänomen‘, das Sich-Zeigen des Seienden sein. Für Heidegger bleibt Ontologie nur möglich als ,Phänomenologie‘, aber so, dass ihr Inhalt nicht das ,Vorhandene‘ der ,Theorie‘ sein kann, sondern das Phänomen (die Zeitlichkeit), das sich nur abseits der Ursprünglichkeit der Theorie zeigen kann, die zur Stellung des Seienden als Gegenwart gehört (d. h. zu einer bestimmten Ekstase der Zeitlichkeit). Heideggers radikaler Ansatz führt dazu, dass Husserl in dieser Hinsicht auf eine Ebene mit Aristoteles und den Griechen insgesamt gestellt wird96. ,Theorie‘ und als ,Gegenwart‘ verstandenes Sein sind für Heidegger unauflöslich verbunden. Vom offenbarend-enthüllenden Charakter des Denkens weicht Heidegger nicht ab; er stellt aber den Sinn des Seins und mithin des in seinem Sein erfassten Seienden in Frage, sobald er das Primat der reinen Spekulation angreift. Das ,Ding‘ wird nicht von einem Subjekt und seinen einfach ,vorhandenen‘ Prädikaten konstituiert, sondern besteht immer in der Beziehung zweier Geschichtlichkeiten: des verstehenden Daseins und dessen, was ins Verstehen kommt und Gegenstand des Verstehens wird. Gadamer merkt an, dass für Heidegger das historische Erkennen „eine Anmessung an die Sache, mensuratio ad rem“ bleibt, „nur dass diese Sache hier nicht ein factum brutum, nicht ein bloß Vorhandenes, bloß Feststellbares und Messbares ist, sondern zuletzt selbst von der Seinsart des Daseins“; „weder der Erkennende noch das Erkannte [sind] ,ontisch‘, ,vorhanden‘ […], sondern [sind] ,historisch‘, d. h. von der Seinsart der Geschichtlichkeit“97.

7. Philosophische Logik und theoretische Wahrheit An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie der transzendentale Rang zu rechtfertigen ist, den für Heidegger Geschichtlichkeit und Endlichkeit sowohl des Seins (das sich ereignet) wie des Erkennens (als Hermeneutik, die niemals in ein erschöpfendes Verstehen aufzulösen ist) haben. Blicken wir expliziter auf die Logik, so 96

Und zwar weil Heidegger gerade bei Aristoteles „alternative Grundbestimmungen des menschlichen Lebens zu Husserls Theoretisierungen“ sucht (Volpi, Heidegger e Aristotele, 100). Besonders scheint die „Entsprechung zwischen Aristoteles’ Bestimmungen der praxis, der poiesis und der theoria nachvollziehbar sowie Heideggers Unterscheidung der drei fundamentalen Seinsweisen, des Daseins, der Zuhandenheit und der Vorhandenheit“ (ebd.). 97 Gadamer, Wahrheit und Methode, 266.

56

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

heißt das: Ist die Dimension des ,Logischen‘ im als Bestimmung verstandenen apophantischen Logos – der laut Heidegger vom ursprünglichen, dem Dasein eigenen Verständnis-Sein abhängt – erschöpft? Oder besitzt diese eine Intentionalität, die die ihr von Heidegger zugeschriebene Richtung übersteigt, die er aber für ,verbergend‘ hält und daher als ungeeignet ansieht, um einer authentischen Ontologie des Seienden als Leitfaden zu dienen? Wenn das der Fall wäre, wenn also Heideggers Interpretation nicht die Logik des Ursprungs betrachtete, sondern eine spätere ,Dekadenzform‘, dann wäre es möglich, zu einem ,Primat‘ der Wahrheit der Logik und der Theorie zurückzukehren, die nicht das Sein des Seienden verbergen, sondern zum Ausdruck bringen. Worum aber handelt es sich bei diesem ,anderen‘ Sinn der Logik? Kehren wir für einen Moment zu Lugarinis Kommentar zurück: „In unserer Tradition ist die Logik nicht immer auf das Feld der Aussagen beschränkt geblieben oder hat vorrangig ihre Aussagenform in den Blick genommen; gelegentlich ist dieser Vorrang sogar ausdrücklich angefochten worden […]. So hat sich eine Logik des Begriffs entwickelt, wobei ,Begriff‘ das uns ,Eigenste und Innerste‘ bezeichnet, das Hegel in seinen Ausführungen zur spekulativen Logik mit der Aktivität des Denkens identifiziert hat und von dem er, auf meist instinktiv-unbewusste Weise, auch die präkategorial-alltägliche Sphäre unserer Interessen, Handlungen, Erkenntnisse verschiedenster Art und verschiedensten Rangs durchdrungen sah. Dieses geheime Wirken im Alltäglichen nannte Hegel ,natürliche Logik‘, wohingegen er der ,Wissenschaft‘ der Logik die Aufgabe übertrug, diesen Vorgang bewusst zu machen und so Wissen zu stiften“98. Dieses Zitat scheint mir insofern bedeutend, als es implizit Heideggers Identifizierung des ,logischen‘ Denkens mit dem ,vor-stellenden‘ Denken in Frage stellt, bei dem es sich nämlich eigentlich um das Denken der Wissenschaft handelt99. Mit Blick auf Heideggers Anspruch soll hier keineswegs behauptet werden, dass das objektivierende Denken und die damit verbundende ,Logisierung‘ der Wissenschaft keinerlei Bezug zu jeglicher philosophischen Tradition hätten oder dass der, zunächst nur verborgen vorhandene, objektivierende Charakter nicht später in Formen und Bereiche der Philosophie Eingang gefunden hätte. Vielmehr soll der apodiktische und extremisierende Charakter von Heideggers These zur Diskussion 98

Lugarini, 116 f. Lugarini sieht bei Heidegger neben der Kritik an der Aussagenlogik auch eine positive Aufnahme des Logos, der in Sein und Zeit „nicht notwendigerweise, zumindest meist nicht, den Charakter eines Aussagengegenstands hat, der nur durch prädikative Bestimmungen enthüllt werden kann: auch ein Befehl, eine Willensäußerung, ein Wunsch, sogar ein Gebet (das Aristoteles als Beispiel nichtapophantischer Rede anführt) betreffen etwas und bringen es auf ihre Art zum Ausdruck“ (Lugarini, 115). Allerdings erscheint Lugarini auch diese Kennzeichnung des Logos unzureichend, zumal Heidegger selbst in Sein und Zeit ein Auf-den-Begriff-Bringen im Auge habe (ebd., 116). Genau deswegen ist es nicht möglich, bei Heideggers – wenngleich wichtigen – Aufweis eines nicht-objektivierenden Denkens stehen zu bleiben (vgl. Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken = GA 9, 75 f.); es geht vielmehr darum, zu einem Denken vorzudringen, das ,Begriff‘ wird. 99

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

57

gestellt werden, der einen Verzicht auf die Übersetzung der Alltagserfahrung in Begriffe zur Konsequenz hätte, die doch das unum necessarium der Philosophie darstellt und der sich auch Heidegger, in actu exercito, nicht entziehen kann. Im Blick auf Lugarini sei allerdings angemerkt, dass es nicht nötig ist, die Logik des Begriffs (als Begreifen) der sogenannten Aussagen-Logik gegenüberzustellen. Lugarini scheint sich Heideggers Identifizierung von Urteil und objektivierendem Denken zu eigen gemacht zu haben. Daher kommt er zu einer ,Logik des Begriffs‘, vielleicht im Gefolge von Hegels Kritik an der ,Satzlogik‘100. Es gibt aber – neben der von Heidegger angezeigten nicht-objektivierenden Form des Denkens, die sich nicht in Aussagen ausdrückt, und dem objektivierenden Denken, das in wissenschaftlichen Sätzen seinen Ausdruck findet – eine weitere Form des Denkens, die in ,Aussagesätzen‘ zum Ausdruck kommt, wobei aber nicht der kopulative Aspekt im Zentrum steht, also die gegenseitige Bestimmung von Subjekt und Prädikat, sondern der existenziale Aspekt, also das Sein dieses SichBestimmens (und erst in Abhängigkeit davon dann der kopulative Aspekt). Es handelt sich hierbei um die Aussagen (Sätze) der Philosophie. Andererseits trifft Hegels Kritik an der Satzform nur die abstrakte Aufnahme des Satzes zum Ausdruck der spekulativen Wahrheit, also außerhalb des konkreten ,Schlusses‘101. Wenn wir folglich die Triade Begriff-Satz-Schluss betrachten, so stellt diese nicht nur ,Bestimmungen‘ dar, also das konkrete Sich-Organisieren des Seienden – d.i. das Ontische, von dem Heidegger spricht (sowohl auf der Ebene der Kategorien als auch auf empirischer Ebene) –, sondern sie präsentiert vor allem das Sein in seinem konkreten Sich-Artikulieren, das Sein des Seienden (die ,ontologische‘ Ebene Heideggers), und zwar in seiner ,Unwiderlegbarkeit‘. Im Blick auf das, was (scholastisch) ,secunda operatio intellectus‘ genannt wird, also das Urteil, das sich im Aussagesatz ausdrückt, sei Folgendes bemerkt: (1) Genau besehen, ist das Urteil keine ,operatio secunda‘, die der im Begriff endenden ,simplex apprehensio‘ folgt, sondern es ist dieser gleichursprünglich; denn wenn die 100

„Es muss hierüber sogleich im Anfange diese allgemeine Bemerkung gemacht werden, dass der Satz, in Form eines Urteils, nicht geschickt ist, spekulative Wahrheiten auszudrücken; die Bekanntschaft mit diesem Umstande wäre geeignet, viele Missverständnisse spekulativer Wahrheiten zu beseitigen. Das Urteil ist eine identische Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat; es wird dabei davon abstrahiert, dass das Subjekt noch mehrere Bestimmtheiten hat als die des Prädikats, so wie davon, dass das Prädikat weiter ist als das Subjekt. Ist nun aber der Inhalt spekulativ, so ist auch das Nichtidentische des Subjekts und Prädikats wesentliches Moment, aber dies ist im Urteil nicht ausgedrückt“ (Hegel, Wissenschaft der Logik I, 76). 101 „Das gewöhnlichste Unrecht, welches spekulativem Gehalte angetan wird, ist, ihn einseitig zu machen, d. i. den einen der Sätze nur, in die er aufgelöst werden kann, heraus zu heben“ (Hegel, Wissenschaft der Logik I, 76 f.). „Der Verstand wird als das Vermögen des bestimmten Begriffes genommen, welcher durch die Abstraktion und Form der Allgemeinheit für sich festgehalten wird. In der Vernunft aber sind die bestimmten Begriffe in ihrer Totalität und Einheit gesetzt. Der Schluss ist daher nicht nur vernünftig, sondern alles Vernünftige ist ein Schluss“ (Hegel, Wissenschaft der Logik II. Leipzig 1923 [Meiners Philosophische Bibliothek 57], 308).

58

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

,apprehensio‘ effektiv sein will, ist sie immer Affirmation und somit ,Urteil‘. (2) Das Urteil ist nicht immer ein ,abstraktes Moment‘ des Denkens, das im Schluss zu überwinden ist, da einerseits dieser letztere zwar mehreren Urteilen konkrete Gliederungsform gibt, sich aber selbst im Urteil (d.i. in der Schlussfolgerung) erfüllt, und da sich andererseits die systematische Bestimmung des ,Spekulativen‘ als innere Entwicklung und progressive Explikation des ,ursprünglichen [,parmenideischen‘] Urteils‘ (Sein ist Sein, Sein ist nicht Nichtsein) ergibt. Wir befinden uns hier in einem Bereich, in dem Metaphysik und Logik untrennbar verbunden sind, denn es geht um das Sein (,Metaphysik‘) in seiner Notwendigkeit (,Logik‘). Heideggers philosophische Logik ist in vielerlei Hinsicht wertvoll; diese ,Intentionalität‘ der Logik aber – Notwendigkeit und Unwiderlegbarkeit – entgeht ihr. Das hat Konsequenzen nicht nur für die Frage des Primats der logischen Wahrheit gegenüber der praktischen Wahrheit, sondern auch für die Seinsfrage selbst. Wer behauptet, dass das von der theoria der Griechen her gesehene Sein das vorhandene Sein sei, also nicht das eigentliche Sein, sondern eine ,Deformation‘ (die für die Interessen der Wissenschaft hinreichend sei, aber nicht für das philosophische Fragen), dem entgeht der Sinn des Seins, dem sich die Griechen geöffnet haben, nämlich das Sein in seiner Unwiderlegbarkeit102. Es geht also nicht darum, das Sein oder die logische Wahrheit – wenn diese, genau besehen, die ursprüngliche Wahrheit darstellen – im Namen der Geschichtlichkeit des Seins oder des praktischen Sinns des Wahren in Frage zu stellen, sondern darum, die Geschichtlichkeit auf ihr Sein und die Praxis auf ihre Wahrheit hin zu befragen, nämlich als Modi, in denen das Sein zu seinem Ausdruck kommt103. 102 Dem steht die folgende Bemerkung Gadamers nicht entgegen: „Als er [Heidegger] den Begriff der Vorhandenheit als einen defizienten Modus von Sein aufwies und als den Hintergrund der klassischen Metaphysik und ihrer Fortwirkung im Subjektivitätsbegriff der Neuzeit erkannte, war er einem ontologisch richtigen Zusammenhang zwischen der griechischen Theoria und der modernen Wissenschaft gefolgt. […] In der griechischen Theoria selbst lag aber gewiss etwas anderes noch. Theoria erfasst nicht so sehr Vorhandenes, als vielmehr die Sache selbst, die noch die Würde des ,Dings‘ hat. Dass die Erfahrung des Dinges mit der bloßen Feststellbarkeit des puren Vorhandenseins so wenig zu tun hat wie mit der Erfahrung der sogenannten Erfahrungswissenschaften, hat gerade der spätere Heidegger selber betont“ (Wahrheit und Methode, 459 f.). Gadamer zitiert Heideggers Vortrag Das Ding (vgl. GA 7, 165 – 187), seine feinsinnige Beobachtung hilft aber nicht darüber hinweg, dass der ,ontologischen Dichte‘ des Heidegger’schen ,Dings‘ der Aspekt der Unwiderlegbarkeit abgeht, die ein wesentliches Element der griechischen theoria ist (freilich geschieht dies nicht aus bloßer Vergesslichkeit, sondern aus Motiven, die in seinem Denken selbst begründet sind und um die es uns hier geht). Bei Heidegger ist diese ,Dichte‘ nur ,phänomenologisch‘, nicht auch ,logisch‘ bestimmt. 103 Eine bemerkenswerte Darstellung der epistemischen Wissensform bietet C. Vigna, „Episteme“, in: V. Melchiorre (Hg.), Pensare l’essere. Percorsi di una nuova razionalità. Turin 1989, 29 – 58. Die Überzeugung, dass der griechische Logos nicht als Vater des objektivierenden, bemessenden Denkens angesehen werden kann, bringt auch Volpi zum Schluss seiner Untersuchung zu Heideggers Auseinandersetzung mit Aristoteles zum Ausdruck (Heidegger e Aristotele, 207 – 218). Die Unreduzierbarkeit des theorein auf die Objektivierung der Wissenschaft und das Berechnen der Technik sieht Volpi aber im ,Fragen‘, also in der Vernunft-

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

59

Im Blick auf eine konkrete Neudefinition der Beziehungen zwischen verschiedenen ,Modi‘ der Wahrheit – theoretisch, wissenschaftlich, aber auch religiös, ästhetisch, ethisch – und ihrer Gültigkeit in ihrem jeweiligen Bereich bedarf es hier einer vorläufigen Klärung, um dem möglichen Vorwurf einer gewissen Naivität in Bezug auf das Verständnis des Bezugs von Denken und Sein zu entgehen. Die Zirkularität von Sprache-Denken-Sein hat unterschiedliche Bedeutung, je nachdem, ob es sich um das reine Denken handelt (die ,Theorie‘) oder das Denken, das nicht rein es selbst ist, weil es ,entbergende‘ Funktion hat, im Ausgang von etwas anderem als es selbst. Darin kann diese Form des Denkens ,praktisch‘ genannt werden. Der Begriff ,reines Denken‘ meint hier vor allem das ursprüngliche Denken, das die ursprüngliche Struktur des Seins zum Inhalt hat (d.i. die allgemeine Metaphysik), aber dann auch alle anderen metaphysischen Bestimmungen der Seienden (spezielle Metaphysik). Wer das Primat der theoretischen Wahrheit anficht, unterliegt dem Missverständnis, dass die Verfechter dieses Primats die Reichweite des Theoretischen auf jedes Denken ausweiteten und mithin annähmen, dass jede Form des Denkens rein manifestativ sei, also so ,rein‘, dass sie absolut und unwiderlegbar sei und sich in unveränderlichen Kategorien determiniere. Dieses Missverständnis muss überwunden werden. Dann widersprechen ,praktische‘ Formen des Denkens – wie z. B. ein Heidegger‘sches Verstehen – nicht der theoretischen Wahrheit, sondern tragen zum Verständnis des wahren Sinns der Theorie und des ihr eigenen Bereichs bei (andererseits erscheint auch das Verstehen und muss sich zeigen, um gerechtfertigt zu sein). Weder Logik noch Hermeneutik stellen das Ganze des Denkens dar. Auch kann die ,Logik‘ der Philosophie nicht einfachhin mit der Logik der Wissenschaften gleichgesetzt werden. Allerdings ist der Versuch, sich vom Logos der Philosophie zu befreien – entweder im Namen der Hermeneutik oder der Wissenschaft –, Zeichen der Unfähigkeit des Denkens, die ursprüngliche Enteckung der Griechen zurückzugewinnen, nämlich die theoria im eigentlichen Sinn, also das, was vor allem (obgleich nicht nur) Philosophie ausmacht. 8. Das theoretische Entdecken und die Wahrheit Was ist mit dem erwähnten ,Primat‘ der theoretischen Wahrheit gemeint? Es handelt sich um ein ,Wertprimat‘, das dem – theoretischen – ,Entdecken‘ zukommt, welches weit davon entfernt ist, das Seiende zu verbergen, sondern es vielmehr freilegt (wenn auch nur teilweise), so dass Einsprüche widerlegt werden können.

prüfung und In-Frage-Stellung, „die für das Philosophieren charakteristisch sind“ (ebd., 217). Zu klären wäre freilich, ob dieses ,Fragen‘ zu einer unwiderlegbaren epistemischen Feststellung führt oder nicht.

60

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

Die von der Theorie geleistete Entdeckung des Seienden hat einen Wert, der anderen Entdeckungsweisen abgeht. Und es handelt sich hierbei keineswegs um eine rationalistische These, wenn schon Augustinus die Überlegenheit der rationalen Erkenntnis – insofern sie Wissen darstellt – gegenüber der ,Glaubenserkennntis‘ anerkennt104. Dies mag weit von Heidegger entfernt scheinen. Und doch konnte die Auffassung vom Wert der Theorie dank Heideggers ,Destruktion‘ der Logik zurückgewonnen, also aus dem Status bloßer Vermutung befreit werden. Es geht dabei nicht um eine undifferenzierte Verteidigung der Theorie, sondern um einen konkreten Sinn der Gleichung von Theorie und Wahrheit. Zum Schluss dieses Abschnitts möchte ich nun also versuchen, den Zusammenhang zwischen Akzeptanz und Ablehnung der Heidegger‘schen Kritik an der theoretischen Wahrheit näher zu umreißen. Heidegger meint, dass die ursprüngliche Entdeckung des Seienden nicht im prädikativen Logos geschieht, sondern im (,poietischen‘) ,Dienlichkeitsverhältnis‘: „Im hinweisenden Ansprechen: die Tafel hier, das Fenster dort, Kreide, Tür, liegt darüber schon Aufschluss. Und dieser besteht worin? Dass das betreffende Seiende entdeckt ist aus dem Wozu seiner Dienlichkeit her; es ist schon in eine Deutung gestellt – es ist be-deutet“ (GA 21, 144). Das von mir hervorgehobene ,aus…her‘ ist hier entscheidend. Heideggers Einspruch gegen die philosophische Logik oder ,Theorie‘ ersetzt, als Möglichkeitsbedingung der ,Entdeckung‘ des Seienden, das prädikative Verhältnis durch das Dienlichkeitsverhältnis. Dazu zwei Bemerkungen: (1) Auch die Prädikation (z. B. „die Kreide ist weiß“) stellt ein Verhältnis zum Seienden dar, sie beleuchtet es, drückt es aus; somit ist auch das prädikative Verhältnis ein Modus des Daseins als In-der-Welt-sein. Man kann über die ,Wahrheit‘ des prädikativen und des poietischen Verhältnisses diskutieren, aber man kann nicht diesem Apophantik und Manifestivität zugestehen und sie jenem verweigern. Dann aber kann man nicht sagen, dass ,Dienlichkeit‘ das ursprüngliche Verhältnis zum Seienden darstellt, sondern ein reines Sich-Bewegen in der ,Als-Struktur‘. In diesem Sinn wird das Seiende immer ,aus … her‘ (oder ,im Ausgang von …‘) entdeckt. Somit beinhaltet das Entdeckungsverhältnis des Daseins unterschiedliche Weisen des Entdeckens, ,theoretische‘ wie ,praktische‘ (im Doppelsinn von ,existentiell‘ und ,poietisch‘). (2) Natürlich könnte man einwenden, dass das Primat des praktischen vor dem theoretischen Verhältnis nicht unbegründet ist. V. Vitiello fasst Heideggers Position im Blick auf unsere Frage folgendermaßen: „Die Praxis, das Besorgen, das Sich-UmEtwas-Kümmern, das hantiert und benutzt, ist die ursprüngliche Welterfahrung, gegenüber welcher die Theorie, die reine Beobachtung des in der Welt Begegnenden, nur eine abgeleitete und mangelhafte Erfahrung ist, da sie das Seiende jenem Kontext

104 Vgl. De ordine II 9,26: „Ad discendum item necessario dupliciter ducimur auctoritate atque ratione. Tempore auctoritas, re autem ratio prior est“.

II. Die philosophische Logik und die Frage der ,theoretischen Wahrheit‘

61

von Weltbezügen entzieht, die sein Sein konstituieren“105. Wenn das theoretische Erkennen nur „reine Beobachtung des in der Welt Begegnenden“ ist, so ist es tatsächlich der „ursprünglichen Welterfahrung“ gegenüber abstrakt und abgeleitet. Die Frage ist aber erstens, wie man dazu kommt, Theorie so zu definieren, und zweitens, wie ein Absolutheitsanspruch für diese Bestimmung der ursprünglichen Welterfahrung erhoben werden kann. Ich möchte dagegen halten, dass erstens die philosophische Theorie als der Bereich definiert werden kann, in dem sich ein Kontext des Seienden ausdrückt, der nicht im Feld des Praktischen zur Erscheinung kommen kann, weil er nicht ,weltlich‘ ist – der aber auf authentischste Weise das Sein des Welt-Seienden darstellt, da es sich um seinen Grund handelt. Zweitens sind sowohl die praktische Erfahrung als auch die theoretisch-philosophische Erfahrung ,ursprünglich‘; es handelt sich um unterschiedliche Kontexte, von denen her das Seiende entdeckt wird. Damit ist es nicht sinnvoll, von einer ursprünglichen und einer abgeleiteten Form zu sprechen, sondern von verschiedenen Graden von Wahrheit, die diesen Kontexten eigen sind. Natürlich sind dies bisher weitgehend ,dogmatische‘, noch nicht hinreichend begründete Überlegungen. Dazu hier zumindest einige Anhaltspunkte. Nach dem zuvor Gesagten – und im Gegensatz zu den gerade aufgestellten Thesen – scheint man in einem wesentlichen Punkt Heidegger zustimmen zu müssen. Wenn selbst die theoretische Wahrheit in den Horizont des ,Als‘ einzuordnen ist – müsste man dann nicht den Schluss ziehen, dass die philosophische Erkenntnis nicht mehr als absolute Erkenntnis anzusehen ist, sondern als relativ, und zwar zu dem das Sein vergegenwärtigenden, objektivierenden, vor- und feststellenden Horizont? Diese Konsequenz scheint mir allerdings nicht unvermeidbar. Die gemeinsame Struktur der verschiedenen philosophischen Ansätze besteht darin, nach dem wahren Ausgangspunkt zu forschen, von dem her das Seiende entdeckt wird. Bei Platon sind es Ideen, bei Aristoteles (ontologisch verstandene) Kategorien, Kant spricht von der transzendentalen Struktur des Erkennens, Hegels Kategorien sind Logos, Natur und Geist, bei Gentile ist es die ,einzige Kategorie‘ des Werdens (die er mit dem denkenden Denken oder Denkakt identifiziert). In der diesen Denkern gemeinsamen philosophischen Traditon bedeutet ,wahr‘, dass es um das Seiende an sich selbst geht, im Unterschied zum bloß vermeintlich Seienden (der Meinung). Selbst dort, wo das Seiende im Sinn des Idealismus vom Denken ,gesetzt‘ wird, wird die ,Natürlichkeit‘ oder Andersheit bzw. Fremdheit des Seienden dem Denken gegenüber gerade deswegen aufgehoben, um jene Erkenntnis zu überwinden, die sich mit bloßer Meinung zufrieden gibt. Der Ausdruck ,das Seiende an sich‘ ist gleichbedeutend mit ,das Seiende als Seiendes‘, also das Seiende in seiner Seiendheit. Aber die Seiendheit des Seienden, durch die das Seiende Seiendes ist, ist das Sein. Somit erscheint das Seiende an sich 105 V. Vitiello, „Dialettica e ripetizione: Gentile e Heidegger“, in: Archivio di Filosofia 57 (1989), 51 – 72, hier 64.

62

1. Teil: Wahrheit des Seins und Logik

selbst, wenn das Sein des Seienden in Erscheinung tritt, wenn es ,im Ausgang von‘ dem Sein des Seienden erscheint. Das Seiende erscheint aber in dieser oder jener Bestimmung. Erscheint es jedoch – im gerade genannten Sinn – an sich? Der Übergang vom bloßen Erscheinen zum Erscheinen an sich ist der Übergang vom vorphilosophischen zum philosophischen Bewusstsein. Und das Sein des Seienden im Blick auf alle Seienden auszusagen, ist Aufgabe der Ontologie oder Ersten Philosophie. Die nachgeordneten Philosophien bzw. philosophischen Disziplinen thematisieren das Sein des Seienden innerhalb bestimmter Bereiche des Seienden (Wesen und Struktur dieser Philosophien stehen hier nicht zur Debatte). Die philosophische Logik gehört zur Ontologie, nicht weil sie das Sein im Ausgang vom Logos verbirgt, sondern weil sie das Seiende – in der ursprünglichen, also reinen Öffnung (des Daseins) – als das erfasst, was es vor allem ist, ehe es sich auf verschiedene Weise bestimmt, nämlich als Seiendes. Nur das reine Denken erfasst diese Seiendheit, ohne sie zu verdunkeln. Und auch wenn das Dasein ursprüngliche Zeitlichkeit ist, so folgt deshalb nicht, dass es sich bei der von der Ontologie vollzogenen ,Vergegenwärtigung‘ des Seienden um eine ungerechtfertigte Reduzierung der Zeitlichkeit auf das Gegenwärtige handle. Die sogenannte ,Vergegenwärtigung‘ der metaphysischen Ontologie hat nichts mit einem ,Festlegen‘ dessen zu tun, was an sich veränderlich und geschichtlich ist, sondern ist ein ,Entdecken‘, das in der Zeit aus der Zeit herausführt, und zwar sowohl hinsichtlich des Daseins (also des Entdeckenden) als auch des Seins (des Entdeckten). Das Sein der Metaphysik ist von anderem Rang als die zeitliche Ordnung der Dinge. Im Blick auf die Frage nach der theoretischen und praktischen Wahrheit kann abschließend festgehalten werden, dass der Wahrheitsanspruch der ,Theorie‘ nicht im Gegensatz zu anderen Wahrheitsformen steht, sondern dass er deshalb gerechtfertigt ist, weil es auf seiner Ebene keine Alternativen gibt. Wenn das ,Wahre‘ das ,Seiende an sich selbst‘ ist, so ist absolut wahr (im Sinn der Unwiderlegbarkeit des Unwiderlegbaren) nur die ,Theorie‘. Die nicht (rein) theoretischen Manifestationen des Seienden sind nur in einem relativen Sinn ,wahr‘, da sie immer mit ihm zu tun haben, es aber nicht in sich selbst erfassen. Sie sind nicht ,falsch‘, sondern stellen eine Manifestationsform dar, die – in weitem Sinn – als dem Bereich der Meinung (doxa) zugehörig bezeichnet werden kann, deren Zweck aber in einer ,epistemischen Manifestation‘ besteht. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen wird man, so denke ich, auch gelangen, wenn sich die philosophische Forschung direkt der Dimension der metaphysischen Ontologie widmet, wie es im Folgenden getan werden soll.

2. Teil

Wahrheit des Seins und Metaphysik I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen 1. Einleitende Bemerkungen zur Krise der Metaphysik im Denken der Gegenwart Heideggers Stellung zur Metaphysik und insbesondere zu ihrem ,theologischen‘ Charakter ist in ihren Grundzügen hinlänglich bekannt. Im Folgenden geht es darum, die Diskussion von Heideggers komplexem Verhältnis zur metaphysischen Tradition wiederaufzunehmen. Zugleich dient uns aber Heideggers Ansatz – sicher über seine Intentionen hinausgehend – auch als Anhaltspunkt für die Suche nach einer positiveren Zukunft der ,theologischen Metaphysik‘1. Die Krise der Metaphysik, mit der sich die Philosophie noch heute auseinanderzusetzen hat, hat ihren Beginn nicht nur in Kants Kritik an der ,Metaphysik als Wissenschaft‘, sondern auch – und vielleicht vor allem – im später erklärten Ende der Philosophie als ,epistemisches Wissen‘, und zwar nachdem die klassische Philosophie im Werk Hegels zunächst noch einmal zu einem herausragenden System gefunden hatte. Der Zusammenbruch des Hegel’schen Systems – aus der Perspektive der ,anthropologischen Wende‘ besehen, die mit seinen unmittelbaren Nachfolgern (Feuerbach, Kierkegaard) eingeläutet wurde – riss ja auch den von Hegel erzielten Gewinn mit sich, nämlich die Aufhebung dessen, was am Grund des kantischen Vorurteils gegenüber der Metaphysik als authentisches Wissen des Menschen stand: die Trennung des Denkens vom Sein, die sich in der Moderne herausgebildet hatte. Mehr noch, mit der Radikalisierung der ,anthropologischen‘ Dimension des philosophischen Denkens – in der, zum Zweck einer ,nichtillusorischen‘ Weltsicht, allein auf den homo naturalis Bezug genommen wurde oder auf das leibliche Sein des Menschen – geriet die ,transzendentale‘ Dimension des Denkens selbst2, die noch bei 1 Mit diesem Begriff beziehe ich mich auf eine rein philosophische Position, die die Vollendung der Metaphysik in der Bejahung des absoluten Prinzips der Wirklichkeit in seiner Transzendenz gegenüber der Welt sieht. Der Begriff hat daher nicht die Bedeutung, die er etwa bei E. Przywara hat, wo es um die Rede von Gott in Bezug auf eine Selbstoffenbarung des Absolut-Göttlichen geht (vgl. Analogia entis. Metaphysik. Ur-Struktur und All-Rhythmus. Einsiedeln 31996, 60 ff.). 2 Der Begriff ist hier nicht im kantischen Sinn verstanden, sondern als ,absolute‘ (nicht allein ,perspektivische‘), auf das Ganze gehende Dimension des Denkens; und den Wert der

64

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Kant bestand und die es dem philosophischen Wissen erlaubte, sich als Bereich des unwiderlegbaren Denkens zu konstituieren, in eine Krise. Die letzten Konsequenzen dieser neuen Situation versinnbildlicht am besten Friedrich Nietzsche, der eine radikale Geschichtlichkeit der menschlichen Erkenntnis vertritt. Damit einher geht die absolute Nicht-Wahrheit der Kategorien (vermittels derer die unveränderlichen Züge des Empirischen erfasst werden) und nicht einfach eine mögliche Neudefinierung und Erweiterung der Kategorien im Zuge der Zunahme der Erfahrungsinhalte3. Auf der anderen Seite steht Giovanni Gentile als derjenige zeitgenössische Denker, der wohl am bewusstesten die Leitlinien des klassischen deutschen Idealismus wieder aufzunehmen versucht und im Horizont des neuzeitlichen Transzendentalismus die Metaphysik erneuert, auch wenn es sich dabei um eine Metaphysik der Immanenz handelt4. Diese tiefgehende, hier nur sehr knapp skizzierte Wandlung der Philosophie bedarf eingehender Aufmerksamkeit. So ist es überaus schwierig geworden, den positiven Wert der kantischen Kritik an der Metaphysik zu sehen, wie es etwa im Idealismus (dessen Zeit heute als vorüber gilt) noch möglich war. So beruft man sich heute weiter oft auf Kant, wenn man ein ,Wissen‘ für unmöglich hält, das über die Inhalte der Wissenschaft hinausgeht, die als zuverlässigste Form der Erfahrungsinhalte gilt. Damit aber übernimmt man bloß unbefragt die Ergebnisse der kantischen Kritik und setzt sie als selbstverständlich voraus, ohne wirklich die ursprünglichen Gründe jener Kritik zu betrachten und ihren Wert abzuwägen5. Ähnliches gilt für andere, für unser Thema bedeutende Ansätze. So bleibt zum Beispiel in heutigen Debatten der Aktualismus Gentiles – der seinen Immanentismus, wie gesagt, als reinste Form des unwiderlegbaren Denkens sieht6 – weitgehend ,Theorie‘ und eines ,unwiderlegbaren‘, absolut gültigen Denkens gesteht, wenn auch in abgeschwächter Form, so Messinese, auch Kant zu [Anm. d. Hrsg.]. 3 Nietzsches Position ist wohl schon hinreichend deutlich in der Frühschrift Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne von 1873. Aus späterer Zeit sei nur folgende Stelle genannt: „Das Vertrauen zur Vernunft und ihren Kategorien, zur Dialektik, also die Wertschätzung der Logik beweist nur die durch Erfahrung bewiesene Nützlichkeit derselben für das Leben, nicht deren Wahrheit“ (Nachlaß 1885 – 1887 = Werke. Kritische Studienausgabe [= KSA]. Bd. 12. München 1999, 352). Zur Vermeidung von Missverständnissen sei klargestellt, dass die Bejahung der Transzendenzdimension nicht schon jede Interpretation der empirischen Bestimmungen des Wirklichen ausschließt. 4 Voll entwickelt stellt sich Gentiles Aktualismus dar in: Sistema di logica come teoria del conoscere [1917 – 1923]. 2 Bde. Florenz 1959. 5 Aus methodologischer Sicht kann auch Kants Philosophie als ein Beitrag zur Präzisierung der Metaphysik gesehen werden; diesen Aspekt hat eindrucksvoll Gustavo Bontadini dargestellt (vgl. L. Messinese, Il cielo della metafisica. Filosofia e storia della filosofia in Gustavo Bontadini. Soveria Mannelli 2006, 47 – 64). 6 „Die einzige feste Wirklichkeit, die ich zu bejahen vermag und mit der daher jede von mir denkbare Wirklichkeit verbunden werden muss, ist jene Wirklichkeit, die selber denkt. Diese wird nur so verwirklicht, sie ist daher nur im Akt des Denkens eine Wirklichkeit. Daher die Immanenz alles Denkbaren im Akt des Denkens oder, tout court, im Akt. Nach all dem existiert Aktuales ausschließlich im Denkakt. Alles, was man als von diesem Akt verschieden denken

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

65

unbeachtet. Das gleiche lässt sich von dem originellen Versuch sagen, Gentiles Aktualismus zu einer Wiederaufnahme der Transzendenzmetaphysik weiterzuführen, den in Italien Gustavo Bontadini unternommen hat7. Beide Ansätze könnten für eine Philosophie wertvoll sein, die einen naiven ,Naturalismus‘ in der Betrachtung der Wirklichkeit hinter sich lassen will. Doch man ist weithin der Ansicht, dass die Zeit von Gentile und Bontadini vorbei ist; gelegentlich sind sie zwar noch Gegenstand beißender Kritik, wirkliches Verständnis oder gar ein fundiertes Urteil über ihr Denken ist aber heute den wenigsten möglich8. Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch die Auffassung, dass es gute Gründe dafür gebe, die Diskussion der Philosophie Kants endlich hinter sich zu lassen und sich nunmehr ihrer theoretischen Überwindung zuzuwenden, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Kritik an der Metaphysik heute andere, womöglich wichtigere Richtungen eingeschlagen hat. Nicht ohne Grund habe ich zudem Nietzsches Position in Erinnerung gerufen, der nicht nur radikale Kritik am Idealismus formuliert, sondern an der ganzen philosophischen Tradition. Den ,Wert der Wahrheit‘ im Namen der diesseitigen Wirklichkeit – des ,Lebens‘ – in Frage stellend, erstreckt Nietzsche seine Kritik auf die Fundamente des ganzen abendländischen Wissens und weist sowohl Logik wie Metaphysik als bloßen Glauben zurück, die – wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen – gemeinsame Strukturen der klassischen Philosophien darstellten9. Darüber hinaus kritisiert er aber auch jene, die Philosophie oder Religion durch die Verherrlichung der Wissenschaft ersetzt und damit ihrem ,Glauben‘ an die Wahrheit nur eine neue Richtung gegeben haben10. Nietzsche gestaltet auf faszinierende Weise ein Denken, das im Namen der Liebe für das Endliche Einspruch gegen den ursprünglichen Bezug des Bewusstseins auf das Ganze erhebt und sich im Namen des Jas zum ,Leben‘ diesseits der Absolutheit sowohl des Seins (wie sie im klassischen Transzendenzdenken vertreten wurde) wie des Denkens (wie sie im neuzeitlichen Transzendentalismus betont wurde) posi-

kann, wird nur konkret verwirklicht, sofern es dem Akt selbst immanent ist“ (G. Gentile, Der aktuale Idealismus. Tübingen 1931, 25). 7 Vgl. G. Bontadini, Dall’attualismo al problematicismo [1946] und Dal problematicismo alla metafisica [1952], beide heute Mailand 1996. Weiter zu Bontadini, einem der bedeutendsten Vertreter der Erneuerung der Metaphysik in Italien, vgl. meine eben zitierte Darstellung Il cielo della metafisica, a. a. O. 8 Es gibt wenige Ausnahmen, darunter C. Vigna, Bontadini e la metafisica. Mailand 2008. 9 Vgl. Nietzsche, Götzendämmerung = KSA 6, 55 – 160 (bes. 74 ff.) und Die fröhliche Wissenschaft, Fünftes Buch = KSA 3, 573 – 651. 10 „Es ist kein Zweifel, der Wahrhaftige, in jenem verwegenen und letzten Sinne, wie ihn der Glaube an die Wissenschaft voraussetzt, bejaht damit eine andere Welt als die des Lebens, der Natur und der Geschichte; und insofern er diese ,andere Welt‘ bejaht, wie? muss er nicht ebendamit ihr Gegenstück, diese Welt, unsere Welt – verneinen?“ (Die fröhliche Wissenschaft = KSA 3, 577).

66

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

tioniert11. In Übereinstimmung mit den Grundzügen von Nietzsches Zugang hat sich im 20. Jahrhundert eine philosophische Richtung herausgebildet, die eine ,Endlichkeit‘ des Denkens aufgrund der sprachlichen Verfassung des Bewusstseins vertritt und so erneut eine Absolutheit des Wissens grundsätzlich ausschließt12. Schließlich sei noch auf ganz andere Ansätze hingewiesen, die doch gewisse Überzeugungen dieser Perspektive teilen, zum Beispiel die von Idealen größerer religiöser Reinheit motivierte Kritik am metaphysischen Wissen (in christlichen wie nichtchristlichen Kreisen). Man denke nur an die ,spiritualistisch‘ inspirierten Philosophien, die ebenfalls im 20. Jahrhundert eine Blütezeit hatten, z. B. an den in Italien von Armando Carlini vertretenen Ansatz13. 2. Zum ,theologischen‘ Charakter der Metaphysik. Vorüberlegungen zu Heideggers Position Innerhalb dieser neuen Aura der Metaphysik-Kritik – die bei aller Verschiedenheit auch gemeinsame Züge aufweist – ist Heideggers Ansatz von besonderer Bedeutung. Für ihn besteht der wesentliche Mangel der Metaphysik nicht – wie noch in Kants Augen – in ihrer Unfähigkeit, zum rationalen Aufweis Gottes zu gelangen, oder darin, dass sie sich nicht des „transzendentalen Scheins“ bewusst werde, der die Notwendigkeit der „subjektiven Grundsätze“ der menschlichen Erkenntnisfähigkeit für „objektive Notwendigkeit“ halte (s. KrV B 350 – 354). Heidegger teilt auch nicht die Auffassung der Neopositivisten, dass es, im eigentlichen Sinn, überhaupt keine ,philosophischen Probleme‘ gebe, sondern allein Probleme, die auf ,philosophische Weise‘ anzugehen seien, d. h. mit Begriffen, die sinnvolle und klare Bedeutung haben. Diese These vertrat etwa Moritz Schlick, dem die Philosophie, v. a. mit Wittgensteins Tractatus, an einem ,Wendepunkt‘ ihrer zweitausendjährigen Geschichte angelangt zu sein schien, wo der Anspruch der Metaphysik aufgegeben wurde, die Wirklichkeit in ,philosophischen Sätzen‘ zu erfassen, anstatt in dem, was sich in der Erfahrung zeigt14. Der Gedanke wurde von Rudolf Carnap weiterentwickelt, der gerade in der Auseinandersetzung mit Heidegger die Un-Gültigkeit der Metaphysik über eine Kritik ihrer Sprache aufzuweisen versuchte und ihre Sätze als ,sinnlos‘ ansah, da jeder (direkte oder indirekte) empirische Bezug fehle. Die Me-

11 Vgl. dazu L. Messinese, „Alcune riflessioni sulla genesi e il senso del trascendentale moderno“, in: R. Perini (Hg.), Sul trascendentale moderno. Genesi, struttura, problemi. Neapel 2004, 153 – 163. 12 Ich denke hier an die ,linguistische Wende‘, beziehe mich damit aber vor allem auf die hermeneutische Philosophie (v. a. Heidegger, Gadamer, aber auch den späten Wittgenstein). Für eine Übersicht vgl. F. D’Agostini, Analitici e continentali. Guida alla filosofia degli ultimi trent’anni. Mailand 1997, 123 – 166. 13 Vgl. A. Carlini, Che cos’è metafisica? Polemiche e ricostruzione. Rom 1956. Für eine Gesamtdarstellung seines Denkens vgl. L. Messinese, Armando Carlini. Rom 2012. 14 Vgl. M. Schlick, „Die Wende der Philosophie“, in: Erkenntnis 1 (1930), 4 – 11.

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

67

taphysik hätte damit keine Erkenntnisbedeutung, sondern einzig eine ,Ausdrucksfunktion‘, analog etwa zur Sprache der Musik15. Heideggers Kritik an der traditionellen Metaphysik nimmt einen anderen Ansatz. In den ersten Freiburger Vorlesungen kritisiert er sie im Namen der „Bewegung des Lebens“16 und der ,Geschichtlichkeit‘. Von dorther sind die verhüllenden Strukturen der griechischen metaphysischen Tradition wertlos, und auch die nicht weniger verhüllende Wirkung der transzendentalen Subjektivität der Neuzeit ist unakzeptabel; für letztere macht Heidegger unter seinen Zeitgenossen nicht nur die Neukantianer verantwortlich, sondern auch seinen Lehrer Edmund Husserl, zumindest nachdem die Phänomenologie eine ,idealistische Drehung‘ bekommen habe17. In dieser Kritik scheint der grundlegende Sinn der Philosophie als „Hermeneutik der Faktizität“ offenbar, zu der Heidegger von Aristoteles’ Physik und Ethik inspiriert wurde und in der er den Unterschied zu Husserl herausstreicht, wie der sog. ,NatorpBericht‘ von 1922 zeigt18. So wird für Heidegger die ontologische Forschung keineswegs redundant, sondern nimmt eine ganz neue Richtung im Vergleich mit der neuscholastischen Philosophie und der „phänomenologischen Scholastik“19. All dies ist wesentlich, um die Grundlagen der Seinsfrage zu verstehen, die in Sein und Zeit thematisiert wird, sowie die spätere Weiterführung der Kritik Heideggers an der Art und Weise, wie der Sinn des Seins die Philosophiegeschichte hindurch (miss)verstanden wurde. Zur ,theologischen‘ Richtung der Metaphysik (in welcher sich diese erfüllt) stellt Heidegger fest, dass der Fehler des metaphysischen Denkens darin bestanden habe, das Resultat seiner Spekulation, das absolute Sein – dessen Bestimmungen „nicht dem Gotthaften des Gottes, sondern dem Wesen des Seienden als solchen“ entspringen, als „vermeintlich Seiendstes“ – mit dem wahren Gott zu verwechseln, der allerdings, da er nicht in unangemessenen Begrifflichkeiten gefasst werden darf, sich der Aussagbarkeit unausweichlich entzieht20.

15

Vgl. R. Carnap, „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, in: Erkenntnis 2 (1931), 219 – 241. Nichtsdestoweniger kann die neopositivistische Kritik auch Stimulus der Metaphysik werden, da diese angehalten wird, der Kritik der ,Bedeutungslosigkeit‘ entgegenzutreten, indem sie die Bedeutung ihrer Theorien konkret aufzeigt. 16 Vgl. Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung = GA 61, 119 u. 132. 17 Vgl. dazu etwa die Bemerkungen in den frühen Freiburger Vorlesungen (1919), die unter dem Titel Zur Bestimmung der Philosophie als GA 56/57 veröffentlicht wurden (z. B. 109 ff.) sowie GA 61. 18 Veröffentlicht als Anhang III: „Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles (Anzeige der hermeneutischen Situation). Ausarbeitung für die Marburger und die Göttinger Philosophische Fakultät“ in GA 62, 343 ff. Einen Kommentar bietet S. Poggi, „Apofantica, ermeneutica e negazione. Una lettura del Natorp-Bericht“, in: E. Mazzarella, Heidegger a Marburgo, 41 – 53. 19 Ontologie (Hermeneutik der Faktizität) = GA 63, 1. 20 Beiträge zur Philosophie = GA 65, 438 f.

68

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Auch im Hinblick auf Heideggers Grundkritik an der Metaphysik bedarf es einiger präzisierender Hinweise, wobei allerdings zu beachten ist, dass es Heidegger immer auch um ,Abrechnung‘ mit der traditionellen Metaphysik geht, um die eigene Position klarer hervorzuheben. Er unterstreicht zum Beispiel, dass die Metaphysik dadurch gekennzeichnet sei, dass sie die verschiedenen Bereiche des Seienden im Licht des Seins übersteige, wobei ihm zugleich klar scheint, dass dieses ,Licht‘ nicht in den Blickwinkel des metaphysischen Denkens tritt, so dass letztlich – so Heideggers Grundthese – das Sein selbst das ,Ungedachte‘ der Metaphysik darstellt21. Jedenfalls bleibt bestehen, dass sich die (positive oder negative) Aufnahme von Heideggers Position weitgehend auf seine Metaphysik-Kritik bezieht; diese allerdings wird oft ohne den umfangreichen theoretischen Kontext betrachtet, aus dem sie hervorgegangen ist. Ziehen wir eine Bilanz der bisherigen Ausführungen. Mir geht es darum, vor allem den Unterschied zwischen Heidegger und Kant in ihrer Kritik an der Metaphysik zu unterstreichen, die als Erkenntnis von dem verstanden wird, das die rein weltliche Wirklichkeit übersteigt. Kants Kritik wird im Namen der Vernunft vollzogen, sie stellt also Selbstkritik der ,reinen Vernunft‘ dar und hat folglich noch unwiderlegbares Wissen im Blick. Kant warnt vor den Illusionen der Metaphysik, weist aber zugleich auf die Notwendigkeit für das menschliche Denken hin, sich am Über-Sinnlichen zu orientieren. Heideggers Kritik hingegen formuliert einen Grundeinwand gegen die Vernunft, wie sie im Lauf der Geschichte des philosophischen Denkens verstanden wurde. Die Kritik motiviert sich vor allem aus der Reflexion über die Natur dieser Vernunft und ihre Ergebnisse. Heidegger stellt heraus, dass sich das Denken, mit der Wandlung von seiner ursprünglichen Beschäftigung mit der a-letheia des Seins zur Aussagenlogik, schließlich zum wissenschaftlichen Wissen entwickeln musste und damit unfähig wurde, von anderem zu sprechen als den vor-gestellten Gegenständen des Subjekts22. Diese beiden Richtungen der Kritik am metaphysischen Wissen bringen emblematisch die Zugehörigkeit ihrer Autoren zum neuzeitlichen bzw. Gegenwartsdenken zum Ausdruck. Das heißt, dass bei Kant zumindest formal eine Absolutheit der Vernunft bestehen bleibt, während bei Heidegger und im ganzen Gegenwartsdenken (das nicht allein ,zeitlich‘ festzumachen ist23) der philosophische Logos solche Absolutheit verloren hat und die ,Logik‘ wesentlich eine Angelegenheit der 21

Vgl. Einleitung zu ,Was ist Metaphysik?‘, in: Wegmarken = GA 9, 365 ff. Explizit sagt Heidegger: „Ein Denken, das an die Wahrheit des Seins denkt, begnügt sich zwar nicht mehr mit der Metaphysik; aber es denkt auch nicht gegen die Metaphysik. […] Die Metaphysik ist im Denken an die Wahrheit des Seins überwunden. Der Anspruch der Metaphysik, den tragenden Bezug zum ,Sein‘ zu verwalten und alles Verhältnis zum Seienden als solchen maßgebend zu bestimmen, wird hinfällig. Doch diese ,Überwindung der Metaphysik‘ beseitigt die Metaphysik nicht“ (367). 22 Vgl. Das Ende der Philosophie = GA 14, 69 – 74. 23 So kann etwa Husserl in seinem Verständnis der Vernunft als Philosoph der Neuzeit, nicht der Gegenwart gesehen werden.

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

69

Wissenschaften wird – denen im Übrigen eine ,Absolutheit‘ zugeschrieben wird, die nur relativ ist zu der von ihnen verwirklichten Denkpraxis24. Hier sind Berührungspunkte zwischen Heidegger und dem späten Wittgenstein (der Philosophischen Untersuchungen) erkennbar, und zwar im Blick auf die Kritik an der Philosophie als einer Art ,Über-Wissenschaft‘ sowie bezüglich des Eingeständnisses der Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis. So ist ein erstes Resultat unserer Überlegungen: gemäß der Art und Weise, in der der Logos verstanden wird, ergeben sich formal unterschiedliche Einwände gegen den Anspruch der Metaphysik, das Absolute erreichen zu können. Zugleich schließen die genannten Unterschiede aber nicht denkerische Gemeinsamkeiten zwischen der ,existentialistischen‘ Kritik und Kants Metaphysik-Kritik aus. Hier sei an Bontadini erinnert, der in einem 1947 erschienenen Essay bemerkt, dass dem Existentialismus von Heidegger und Jaspers der Kerngedanke zugrunde liege, „dass, wenn es ein vollkommenes Wissen gäbe, ein Wissen um die Totalität, die Aufgabe des Menschen zerstört wäre; dass sich die Existenz gerade in der Unfähigkeit des Denkens zu dieser Vollkommenheit offenbart; dass der Aufgang der Existenz der Untergang des Wissen ist“25. Es bleibt aber bestehen, dass sowohl Kant wie Heidegger, wenn auch in verschiedenen, an ihre jeweilige ,Kritik‘ gebundenen Formen, an einem Ganzen festhalten, auf das sich das metaphysische Denken vor allem anderen bezieht. Bei Kant ist, wie der Transzendentalen Dialektik zu entnehmen ist, das Ganze vor allem als ,Ideal‘ der Vernunft präsent, es ist letztlich Gott als höchstes ,Regulativ‘ der synthetischen Aktivität der Vernunft. Bei Heidegger ist das Ganze zunächst, in Sein und Zeit, der ontologische Horizont des Seins des Daseins, während es später vor allem das Sein ist, das sich im Vollzug seines Sich-Zeigens in den Seienden verbirgt und daher nicht auf seine geschichtlichen Ausdrucksformen reduzierbar ist. Somit ist es zumindest möglich, einen Bezug zwischen beider Denken und der klassischen Metaphysik herzustellen; sie sind für diese ernstzunehmende Gesprächspartner. Ihre Einwände sollten der Metaphysik Anlass zu einer strengeren Rückbesinnung auf sich selbst sein. Und die Kritik hat einen weiteren Aspekt, dem die Metaphysik Aufmerksamkeit zu schenken hat: Steht nicht letztlich bei Kant wie bei Heidegger die Gottesfrage im Zentrum der Kritik? Wenn dem so ist, bekommen die Einwände im Auge des Metaphysikers eine positive Seite, da sie in gewisser Weise bestätigen, dass die Ver24 Heideggers Position innerhalb des Gegenwartsdenkens ist hinsichtlich der Abnahme der ,Absolutheit‘ des Logos genauer dadurch gekennzeichnet, dass in seinem Denken das ,Fragen‘ die zentrale Rolle einnimmt. Im Blick auf die neuzeitliche Philosophie hingegen bestimmt sich bei Heidegger die für das Philosophieren charakteristische ,kritische‘ Dimension nicht mehr als ein absolutes ,Begründen‘, sondern als ein In-Frage-Stellen, das auch den Prozess des Begründens, der die Metaphysik kennzeichnet, einbezieht. 25 G. Bontadini, „La posizione dell‘esistenzialismo nella filosofia contemporanea“, heute in: ders., Dal problematicismo alla metafisica. Mailand 1996, hier 24.

70

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

nunfttheologie den Wesenskern der Metaphysik darstellt. Kants hinlänglich bekannte Kritik an der Erkenntnisfähigkeit der Vernunft26 und Heideggers Kritik an der onto-theo-logischen Struktur der Metaphysik, der im Folgenden nachgegangen werden soll, bekräftigen auf ihre Weise den zutiefst ,theologischen‘ Charakter der Metaphysik – auch dort, wo die tatsächliche Ausprägung dieses Charakters Gegenstand heftiger Diskussion ist. Angesichts der unterschiedlichsten Formen, die die ontologisch-metaphysische Forschung heute angenommen hat27, scheint mir dies ein nicht zu verachtender Gewinn zu sein, auf den sich Metaphysiker und ihre Kritiker gleichermaßen konzentrieren sollten. Eine ähnliche Aufforderung kommt etwa von einem der bedeutendsten zeitgenössischen ,Kritiker‘ der philosophischen Theologie, Wilhelm Weischedel: „Selbst da, wo die Philosophische Theologie dem Verfall ausgesetzt ist […], bleibt sie als das vor allem andern zu Überwindende noch von entscheidender Bedeutung. Zurecht wird also […] das Reden von Gott als das wesentliche Problem der Philosophie betrachtet“28. Natürlich bedarf auch der Wahrheitsanspruch der hier vorgeschlagenen theologischen Fokussierung der Metaphysik der Prüfung29. Insbesondere steht die Wahrheit der Identifizierung von Sein und Gott in Frage, die Heidegger ausschließt30. Zur Klärung dieser Frage sei zunächst der rechte Bezugspunkt der metaphysischen Ontologie in den Blick genommen, meint Heidegger doch in seiner Kritik an der klassischen Tradition, dass sie unausweichlich auf das Sein der Seienden beschränkt sei. Gleichermaßen ist zu fragen, ob es sich in der Gleichsetzung von Sein und Gott, die die Metaphysik auf spekulative Weise vornimmt, und in Heideggers Auffassung von der Unmöglichkeit dieser Gleichsetzung um dasselbe Sein handelt. Genauer: es ist klarzustellen, dass in der metaphysischen Ontologie das Sein als transzendentale Eigenschaft der Seienden eine andere Bedeutung hat als das ,Sein‘, das bei Heidegger das Erscheinen der Seienden anzeigt. Die folgenden Überlegungen zur Bedeutung des ,Grunds‘ bei Heidegger wollen auch zur Klärung dieser Frage beitragen, in der sich Heideggers Kritik an der Metaphysik (die letztlich überwiegt) mit der – besonders beim frühen Heidegger gleichermaßen präsenten – Frage nach der Grundlegung der Metaphysik verschränkt. 26

Natürlich geht es hier vor allem um Kants Untersuchung der Vernunfttheologie in der ,Transzendentalen Dialektik‘. 27 Eine Übersicht über die heutige Situation und zentrale Kapitel der Geschichte der Ontologie und Metaphysik bietet M. Ferraris (Hg.), Storia dell’ontologia. Mailand 2009. 28 W. Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus. Bd. 1. Darmstadt 1994, 494. 29 Zur nicht unbedeutenden Aufmerksamkeit, die die philosophische Theologie inzwischen auch in der analytischen Philosophie erfährt, vgl. M. Micheletti, La teologia razionale nella filosofia analitica. Rom 2010. 30 „Sein und Gott sind nicht identisch, und ich würde niemals versuchen, das Wesen Gottes durch das Sein zu denken“ (Zürcher Seminar = GA 15, 436); vgl. dazu M. Müller, Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart. Heidelberg 21958, 69 – 80.

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

71

3. Die Frage nach dem ,Grund‘ in Heideggers Phänomenologie und in der Metaphysik Emanuele Severino bemerkt in seinem frühen, schon bemerkenswerten Heidegger-Essay, dass die „ontologische Gründung“ des Seienden – also die subjektive ontologische Bedingung des In-Erscheinung-Tretens dieses oder jenes Seienden, die wir Bewusstsein oder (mit Aristoteles und den Scholastikern) anima nennen können – das Seiende „ontisch grundlos“ lässt31. Diese Bedingung (dieser ,Grund‘) entspricht Heidegger‘s Dasein, das gleichermaßen – als Transzendenz oder Verständnis des Seins – den Horizont des Erscheinens der Seienden darstellt, das aber zugleich keine Macht über die Seienden hat und somit nicht Grund ihres Seins ist. In dieser Unterscheidung ist bereits die Vielzahl der Bedeutungen des Begriffs des ,Grunds‘ angezeigt, die in der Metaphysik beachtet werden müssen und vor deren Hintergrund die Auseinandersetzung mit Heidegger besonderes Interesse gewinnt. Es ist wichtig zu sehen, dass aufgrund dieser Mehrdeutigkeit Heideggers Reflexion über das „Wesen des Grundes“32 nicht prinzipiell die im metaphysischen Denken vertretene Lehre vom Grund ausschließt, in der das Sein das Angesicht Gottes trägt. Der ,ontologische Grund‘, als reine „Ermöglichung der Offenbarkeit des Seienden“ (GA 9, 115) gesehen, ist ein ,Nicht-des-Seienden‘, fügt von sich aus also nichts dem Seienden zu, das er offenbar werden lässt. Er hat, wie gesagt, bei Heidegger seine Entsprechung im ,Dasein‘ (als Horizont des Erscheinens), das das Seiende nur offenbar machen kann, „wenn es sich in das Nichts hineinhält“, d.i. das ontische Nichts, von dem Heidegger in Was ist Metaphysik? spricht (ebd., 121). Nur in diesem Sinn – dass also, um das Seiende offenbar zu machen, der Horizont des Erscheinens von sich aus ,nichts‘ Ontisches hinzufügen darf, das das reine Sich-Zeigen des Seienden verhindern würde – wird das Nichts von Heidegger als Bedingung des Seienden bezeichnet, so dass er sagen kann: „ex nihilo omne ens qua ens fit“ (ebd., 120 mit 114). Zu unterstreichen ist, dass das von Heidegger als Grund bezeichnete Nichts nicht das von der Metaphysik ausgesagte Sein als Grund des Seienden ersetzen will. Das Nichts vermittelt nicht den Seinsakt des Seienden, sondern den Akt seines Sich-Zeigens. Der ,ontische Grund‘ hingegen vermittelt das Seiende hinsichtlich seines Seins als solchem und gibt ihm einen Seins-Grund unabhängig vom Horizont seines Offenbarwerdens, also dem ,Dasein‘, das bei Heidegger dem entspricht, was oben ,ontologischer Grund‘ des Seienden genannt wurde. Der von Heidegger hervorgehobene Grund kann aufgrund seiner spezifischen Natur schon deswegen nicht verabsolutiert werden, weil er das Seiende im Blick auf seine Seiendheit unbegründet 31 E. Severino, Heidegger e la metafisica [1950]. Mailand 1994, 322. [An Severinos Begriffe von ,ontologischem‘ und ,ontischem Grund‘ lehnt sich Messinese im Folgenden an; Anm. d. Hrsg.]. 32 Vgl. Vom Wesen des Grundes, in: Wegmarken = GA 9, 123 – 175, aber auch Was ist Metaphysik? aus dem gleichen Jahr (ebd., 103 – 122).

72

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

lässt; zugleich berührt er nicht die Frage nach der ,metaphysischen‘ Begründung des Seienden in einem absoluten Sinn. In gewisser Weise macht er sie sogar erforderlich. Damit ist der Weg skizziert, den eine Diskussion mit Heidegger über die Metaphysik und ihre ,theologische Vollendung‘ einschlagen kann. Mehr noch, es lässt sich sogar sagen, dass Heidegger selbst die Frage nach dem Grund im eigentlich metaphysischen Sinn nicht fremd ist. Das mit Gott identifizierte Sein der Metaphysik stellt den absoluten Grund des Seienden in einem Sinn dar, den sich auch Heidegger in Sein und Zeit explizit zu eigen gemacht hatte – wenn auch, um seine Abwesenheit festzustellen, als er nämlich das Seiende, dem Daseinscharakter zukommt, als „in seinem Woher und Wohin verhüllt“33 beschrieb, also als ,unbegründet‘ im Sinn des Bezugs auf einen absoluten Grund. Eine Offenheit für das metaphysische Wissen könnte zu einer Koexistenz verschiedener philosophischer Perspektiven mit je eigenem Aufgabenbereich führen: einer phänomenologischen oder phänomenologisch-ontologischen (worin das Sein ,Erscheinen‘ der Seienden ist) und einer metaphysischen (wo das Sein im klassischen Sinn ,Grund‘ des Bereichs des Erscheinens ist). Allerdings wird eine solche Offenheit von Heideggers späterer, expliziter Kritik am metaphysischen Grund und an der Metaphysik als Onto-theo-logie in Frage gestellt und die endgültige Abwesenheit dieses Grundes in der rein theoretischen Philosophie behauptet34. Es sei hier in Erinnerung gerufen, dass es unter den Phänomenologen selbst zu einer fruchtbaren Debatte über die von Husserl vorangetriebene Entwicklung der Phänomenologie in eine von vielen als idealistisch angesehene Richtung gekommen war und dass man dabei eine ,realistische‘ Integration der Phänomenologie im Auge hatte. Dazu galt es, von der Beschreibung der Wesenheiten zu einer Untersuchung nicht nur des Bereichs der konstituierenden Handlungen der eidetischen Gegenständlichkeit (wozu Husserl gekommen war), sondern auch der Existenzdimension vorzudringen, die von Husserl ,eingeklammert‘ worden war35. So kam es, nicht nur bei Heidegger, sondern etwa auch bei Adolf Reinach und bei den beiden bedeutendsten weiblichen Vertretern der Phänomenologie, Hedwig Conrad-Martius und Edith Stein, zu einem neuen Interesse an ontologischen Fragen und, besonders bei Edith Stein, an den Fragen der klassischen Metaphysik. Sie liefert, in Endliches und ewiges Sein, den wohl bedeutendsten Beitrag der Phänomenologie zu einer Philosophie ,des metaphysischen Grunds‘. Stein bedient sich darin nicht weniger Verweise auf Heideggers Sein und Zeit, woran sie insbesondere die Aufmerksamkeit für das Sein des Menschen schätzt, für seine ontologische Dimension und nicht nur für seine Rolle als erkennendes Subjekt; 33

Sein und Zeit = GA 2, 180. Zu dieser Kritik am metaphysischen Grund vgl. Der Satz vom Grund = GA 10. 35 Zu dieser Debatte unter den Phänomenologen vgl. A. Ales Bello, L’universo nella coscienza. Introduzione alla fenomenologia di Edmund Husserl, Edith Stein, Hedwig ConradMartius. Pisa 2003. Ein detaillierte Analyse der vielschichtigen Frage der Metaphysik bei Husserl bietet N. Ghigi, La Metafisica in Edmund Husserl. Mailand 2007. 34

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

73

umgekehrt unterstreicht Stein, dass das Sein des Ich ein „empfangenes Sein“ ist, und vermisst bei Heidegger einen Grund dieses Seins36. Das ist in unserem Kontext bemerkenswert: Stein fordert Heideggers Denken in der Frage nach dem metaphysischen Grund heraus. Natürlich bezieht sich Steins Diskussion der Notwendigkeit, vom Dasein des Menschen zum absoluten Sein zu gelangen (die detaillierter in einem Anhang des Werks verfolgt wird), nur auf den frühen Heidegger, von Sein und Zeit bis Was ist Metaphysik?, nicht auf seine spätere Kritik an der Onto-theologie37. Da nun Heidegger im Wesentlichen der ,phänomenologischen‘ Perspektive (die nicht im klassischen Sinn auf einen ,Grund‘ zielt) treu geblieben ist – und angesichts seiner Gesamtkritik an der metaphysischen Tradition –, stellt sich die Frage nach einer möglichen Entgegnung auf seine – heute vielfach geteilte – Auffassung von der Ungehbarkeit der via metaphysica zur Klärung der Frage nach einem die menschliche Existenz überschreitenden Grund, d. h. der Frage nach Gott. So bleiben (1) die Gründe für Heideggers Kritik an der Onto-theo-logie zu diskutieren und zugleich (2) mögliche denkerische Voraussetzungen für eine Entwicklung der Ontologie in dezidiert ,theologischer‘ Hinsicht zu betrachten. 4. Heideggers Frage ,Was ist Metaphysik?‘ Unsere Überlegungen führen erneut zur alten, aber niemals überwundenen Frage: Was ist Metaphysik? Bewusst nehme ich damit Bezug auf Heideggers Freiburger Antrittsvorlesung von 1929. Sein Ansatz zielt auf ein Befragen der Metaphysik, das deren innere Natur zutage treten lässt und die Öffnung des philosophisch-metaphysischen Denkens auf das wissenschaftliche Wissen hin herausstellt38. Vor diesem Hintergrund steht meine These einer bejahenswerten und zukunftsfähigen Form der Ursprungsdimension des metaphysischen Denkens, die sich von Heideggers Ansatz unterscheidet, aber durchaus eine Analogie zu seinem Befragen der Metaphysik

36

E. Stein, Endliches und ewiges Sein (ESGA 11/12). Freiburg 2006, 57 ff. – A. Ales Bello hat unter Verweis auf einige, damals noch nicht edierte persönliche Aufzeichnungen darauf hingewiesen, dass für Husserl Überlegungen zu Anfang und Ende des menschlichen Seins Ausgang metaphysischen Fragens wurden (A. Ales Bello, Husserl. Sul problema di Dio. Rom 1985 und Edmund Husserl. Pensare Dio – Credere in Dio. Padua 2005, bes. 37 – 80). 37 Stein, 445 – 499. Ob Steins Forderung nach dem Grund des Ich voll plausibel ist, kann hier offen bleiben. Dazu müsste näher auf ihr Verständnis des Nichts eingegangen werden. – Steins Interesse an Heidegger war Jahre früher entstanden; Zeugnisse dafür sind Briefe, aber auch Schriften, in denen die Hauptunterschiede der Vertreter der phänomenologischen Philosophie thematisiert werden; zu Steins Bezug auf die Existenzphilosophie Heideggers vgl. M. Paolinelli, La ragione salvata. Sulla ,filosofia cristiana‘ di Edith Stein. Mailand 2001, 218 – 243. 38 Zur Klärung der Fragestellung vgl. Heideggers späteres Nachwort zur vierten Auflage sowie die schon zitierte Einleitung zur fünften Auflage (GA 9, 303 ff. und 365 ff.); zu Heideggers Unterscheidung zwischen der ,Leitfrage‘ der Metaphysik nach dem Sein und der ,Grundfrage‘ nach der Metaphysik selbst vgl. v. Herrmann, La Metafisica, 15 – 21.

74

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

bewahrt. Im Folgenden seien zunächst Grundbegriffe der Position Heideggers untersucht, um dann im Anschluss meine These zu erläutern. Die Analogie zwischen meinem Vorschlag und Heideggers Frageansatz lässt sich erkennen, wenn die Frage folgendermaßen umformuliert wird: Was unterscheidet die Metaphysik, die sich auf das Sein bezieht, von der ,Physik‘, die mit den Seienden zu tun hat? In unserem Zusammenhang sei unterstrichen, dass es eine Reflexion, die Heideggers Perspektive folgt, erlauben würde, mit einer ,Ambivalenz‘ des – in der klassischen Ontologie im Gegensatz zum Nichtsein benannten – Seins umzugehen, die sich im Blick auf die Geschichte der Metaphysik ergibt. Diesem Aspekt gilt unsere Aufmerksamkeit im Folgenden, wenn wir einige Texte Heideggers näher betrachten. In Was ist Metaphysik? stellt Heidegger heraus, dass die Metaphysik dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sich dem Sein der Seienden widmet, im Unterschied zu den Wissenschaften, denen es um die verschiedenen empirischen Bestimmungen geht. Metaphysik besteht also in einem Transzendieren der Seienden auf das ,NichtSeiende‘39 – das aber heißt hier: auf das ,Sein‘ hin. In den Naturwissenschaften hingegen wird das Nicht-Seiende, um das es hier geht (das ,Nicht‘ des Seienden), mit dem reinen ,Nichts‘ verwechselt (GA 9, 114 mit 118). Die Grundthese Heideggers, der hier eine positive Charakterisierung der Metaphysik zu geben sucht, besagt, dass die Transzendenz des Daseins gegenüber der Totalität der Seienden – und somit sein Verhältnis zum Sein – die Metaphysik als solche kennzeichnet40. Metaphysik besteht wesentlich darin, den Unterschied zu den Seienden ans Licht zu bringen; dieses ,Über-das-Seiende-Hinausgehen‘ kennzeichnet das Dasein des Menschen41. Diese positive Charakterisierung der Metaphysik, die mit dem Herausarbeiten der ontologischen Differenz zwischen Sein und Seiendem zusammenfällt, wird dann aber entscheidend eingeschränkt und schließlich um ein negatives Urteil ergänzt. Dabei verringert sich die (zumindest als Ideal vorstellbare) Komplementarität zwischen Heideggers Untersuchung zur Metaphysik (Fundamentalontologie als ,Grundlegung‘ der Metaphysik) und der von der klassischen Metaphysik erzielten Struktur des Seins. Entscheidend ist hier Heideggers Feststellung, dass sich die Metaphysik in ihrer ganzen Geschichte nicht mit dem Ursprung dieser Differenz beschäftigt habe und folglich nicht deren echte Bedeutung erfassen konnte oder jemals werde erfassen können (Beiträge zur Philosophie = GA 65, 465 ff.). 39

Ital. „ni-ente“ (,Nichts‘) [Anm. d. Hrsg.]. Andernorts heißt es auch: „Indessen muss jeder Nachdenkende auch schon wissen, dass ein Fragen nach dem Wesen der Metaphysik einzig nur das im Blick haben kann, was die MetaPhysik auszeichnet: das ist der Überstieg: das Sein des Seienden. Im Gesichtskreis des wissenschaftlichen Vorstellens, das nur das Seiende kennt, kann sich dagegen dasjenige, was ganz und gar kein Seiendes ist (nämlich das Sein) nur als Nichts darbieten“ (Zur Seinsfrage, in: Wegmarken = GA 9, 385 – 426, hier 418). 41 In der fünften Auflage von Was ist Metaphysik? sagt Heidegger explizit, dass das Nichts das menschliche Da-sein „vor den Unterschied“ bringt (GA 9, 114 Anm.). 40

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

75

Angesichts dieser Doppelcharakterisierung, die Heidegger über die Jahre beibehält, kann man sagen, dass sich letztlich seine Kritik an der Metaphysik auf die Art bezieht, in der sich diese zur ontologischen Differenz verhält, nicht aber auf die Tatsache, dass diese Differenz dem metaphysischen Denken zugehört. „Es sieht aber auch wieder so aus, als sei die ,ontologische Differenz‘ etwas ,Neues‘, was sie nicht sein kann und nicht sein will. Mit ihr ist nur jenes genannt, was die ganze Geschichte der Philosophie trägt und als dieses Tragende für sie als Metaphysik nie das zu Erfragende und deshalb zu Nennende sein konnte“ (GA 65, 468 f.). Daher bleibt, wie nach Heidegger aus seiner Geschichte hervorgeht, das metaphysische Denken innerhalb der ,ontologischen Differenz‘; es macht diese nicht zum Gegenstand seines Fragens. So entgleite ihm letztlich das Sein, obwohl es immerhin in dieser Differenz benannt sei (vgl. ebd., 423 f.). Nur vor diesem Hintergrund lässt sich Heideggers These angemessen verstehen, dass das Ungedachte der Metaphysik das Sein als Differenz zu den Seienden sei. Die Frage nach dem Ursprung der ontologischen Differenz – im Fortgang von der ,Leitfrage‘ der Metaphysik (Was ist das Seiende?) zur ,Grundfrage‘ (Was ist das Sein?) – würde es hingegen erlauben, das zu erfassen, was am Grund der Metaphysik steht und was Heidegger als „Wahrheit des Seins“ bezeichnet42 (wobei ihm Sein Erscheinen der Seienden bedeutet). In einem nächsten Schritt ist zu bedenken, dass Heidegger den Ereignischarakter des Seins unterstreicht, womit es entschieden dem ,erfüllten‘ Sein der Metaphysik entgegensteht. Zum Ausdruck der ,Wahrheit‘ des Seins, also der epochalen Selbstmanifestation des Seins im Sichverbergen, verwendet Heidegger ja das Wort Ereignis: Sein als Sich-er-eignen (466). In seinem Vollsinn bezeichnet das Wort sowohl die epochale Dimension des Seins (Ereignis) wie seinen wesentlichen Bezug auf den Menschen (Ereignung bzw. An- und Zueignung). Zu diesem ,neuen Seinsbegriff‘ sei angemerkt, dass, während die Metaphysik auf der Grundlage der Seienden das Sein unter der Form des ,Wirklichen‘ denkt, das die Metaphysik überwindende Denken das Sein vor allem unter der Form des ,Möglichen‘ denkt. Das Sein (Seyn) „ist Möglichkeit, das nie Vorhandene“ (475). Es ist aber nicht übergeschichtlich im gewöhnlichen Sinn, „nach der bisherigen Meinung“ über das Sein, sondern es ist „durchaus und allem voraus das Geschichtliche und Einzige schlechthin“ (485). Diese Hinweise lassen bereits Heideggers Kritik am Seinsverständnis der Metaphysik hervortreten. Bevor wir uns jedoch – im nächsten Kapitel – Heideggers Auseinandersetzung mit dem Wesen der Metaphysik widmen, sei der andere Aspekt seiner Kritik in den Blick genommen, der sich auf die im engeren Sinn ,theologische‘ Seite der Metaphysik richtet. Zwei Dinge sind hier entscheidend. Zunächst schließt Heidegger aufgrund der skizzierten Überlegungen aus, dass das Sein der ontologischen Differenz – das als Erscheinen der Seienden keine ontische 42 Mit Bezug auf Descartes’ Vorwort zur französischen Übersetzung der Principia Philosophiae sagt Heidegger: „Die Wahrheit des Seins kann deshalb der Grund heißen, in dem die Metaphysik als die Wurzel des Baumes der Philosophie gehalten, aus dem sie genährt wird“ (GA 65, 467).

76

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Bestimmtheit hat – mit Gott identifiziert werden könnte; daraus resultiert seine Kritik an der ,theologischen Metaphysik‘ im abendländischen Denken, die genau diese Identifizierung vorgenommen hat. Zweitens bleibt Heidegger seinem phänomenologischen Zugang treu und bezieht sich in Wahrheit auch dann auf das ,Phänomen‘ des Seins, sein Sich-Zeigen, wenn er von einer ontologischen Dimension des Seins spricht. Genau damit aber bleibt objektiv Raum für die ,theologische‘ Dimension im üblichen Sinn der philosophischen Tradition. Einige Bemerkungen zunächst vor allem zum zweiten Punkt: Heideggers Absicht ist es, das Sein von den unangemessenen ,kategorialen Überbauten‘ zu befreien, die mit Platon in die Philosophie Einlass fanden und, nach Heideggers Dafürhalten, die Griechen dazu brachten, das Sein als ,ständige Anwesenheit‘ zu verstehen. Die Phänomenologie wird zum Weg dieser ,Befreiung‘. Dann aber ist im Blick auf Gott (und, allgemeiner, auf die Fragen der ,speziellen Metaphysik‘ insgesamt) Folgendes zu sagen: Die radikale Geschichtlichkeit des Seins, von der Heidegger spricht, wird auf das Offenbarsein und Ereignishafte des Seins bezogen und sagt daher als solche nichts über die traditionelle ontische Dreifachstruktur der Metaphysik (Welt, Seele, Gott) aus, besonders nicht über die Existenz Gottes, die unter dieser Rücksicht für Heidegger tatsächlich ,Möglichkeit‘ bleibt. Er sagt dies explizit: „Der Satz: das Wesen des Menschen beruht auf dem Inder-Welt-sein, enthält auch keine Entscheidung darüber, ob der Mensch im theologisch-metaphysischen Sinne ein nur diesseitiges oder ob er ein jenseitiges Wesen sei. Mit der existenzialen Bestimmung des Wesens des Menschen ist deshalb noch nichts über das ,Dasein Gottes‘ oder sein ,Nicht-sein‘ […] entschieden. Es ist daher nicht nur übereilt, sondern schon im Vorgehen irrig, wenn man behauptet, die Auslegung des Wesens des Menschen aus dem Bezug dieses Wesens zur Wahrheit des Seins sei Atheismus“43. Zugleich ist allerdings zu beachten, dass es sich hier um eine Möglichkeit handelt, derer nach Heidegger die Metaphysik in ihrer historischen Form nicht fähig ist. Was ist also, gemäß Heideggers Kritik, mit dem Anbrechen der Metaphysik hinsichtlich Sein und Gott geschehen? Dazu sei zunächst ein näherer Blick auf eine bereits behandelte Frage geworfen. Heidegger unterstreicht, dass die Metaphysik „die Unterscheidung von Seyn und Seiendem […] für eine unmittelbare genommen“ habe (GA 65, 477) und dass dies nicht anders geschehen konnte, da die Metaphysik gerade durch diese Unterscheidung gekennzeichnet sei, in der sie ihren Grund habe44. Ohne Augen für die a-letheia des Seins zu haben, allein auf die ,Gegenwart‘ der Seienden blickend, habe die Metaphysik ihre ganze Geschichte hindurch das Sein im Ausgang von den Seienden – oder der ,Physik‘ – gedacht. Genau darin aber habe sie das Sein als Differenz aus dem Auge verloren. „Die Meta-physik ist die Rechtfertigung der ,Physik‘ des Seienden durch die ständige Flucht vor dem Seyn. Die 43

Brief über den Humanismus, in: Wegmarken = GA 9, 313 – 364, hier 350 f. Vgl. dazu die wichtigen Überlegungen von K.-H. Volkmann-Schluck, Einführung in das philosophische Denken. Frankfurt 31981, 132 – 137. 44

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

77

,Metaphysik‘ ist die uneingestandene Verlegenheit zum Seyn und der Grund der schließlichen Seinsverlassenheit des Seienden“ (ebd., 423). Das dem Seienden zugeschriebene Primat gegenüber dem Sein stelle das Gründungsereignis der Metaphysik in ihrer Geschichtlichkeit dar45 – sowie den Ursprung ihrer Irrtümer in Bezug auf die Wahrheit des Seins. Nun erscheint die Metaphysik nicht mehr als etwas, keineswegs Zurückgewiesenes, das darauf wartet, in der Transzendenz des ,Daseins‘ gegenüber den Seienden begründet zu werden (wie etwa in Was ist Metaphysik?), sondern sie stellt sich Heidegger nun als ein Denken dar, in dem es unmöglich wird, den Bereich der Seienden zu überwinden. Bestätigung erfahre dies in der Gegenwart in der ,planetarischen Herrschaft‘ des Gestells, der beherrschenden Stellung der Technik. Es ergibt sich ein weiterer Gedanke zur Struktur der Metaphysik im Ausgang vom Primat des Seienden und Heideggers Rede von der ontotheologischen Struktur der Metaphysik: Das von der Metaphysik gedachte Sein, insofern sie auf der Grundlage des Seienden operiert, sei das allen Seienden Gemeinsame – als allgemeinster, aber auch leerster Begriff – sowie das zuhöchst Seiende, also Gott. Bei Aristoteles trete dies, so Heidegger, klar hervor. Für die Metaphysik sei das Sein somit nichts anderes als: (1) das Ganze der allgemeinsten Bestimmungen der verschiedenen Seienden und (2) das Seiende, das im vollsten (höchsten) Sinn Seiendes ist. Mithin habe sich die Metaphysik natürlicherweise zugleich und unauflöslich als Ontologie wie als Theologie konstitutiert46. Hier bilde das Denken zum ersten Mal die ontotheologische Struktur der Metaphysik aus, auf die sich Heideggers Kritik richtet47. Zugleich gründe hier die Ambiguität, mit der sich nach Heidegger die Metaphysik durch ihren Umgang mit der ontologischen Differenz umgibt (und die nicht mit der Ambivalenz des Seins der klassischen Ontologie zu verwechseln ist, auf die ich bereits hingewiesen habe und der noch weiter nachzugehen sein wird). Während in der aristotetlischen ,Ontotheologie‘ noch ein „eigentümlicher Zusammenhang“ zwischen Ontologie und Theologie bestehe, werde dieser in der Folge zugunsten eines Primats der Theologie zerschlagen; bestes Beispiel dafür sei Thomas von Aquin, aber noch Kant bestätige in gewisser Weise diese Entwicklung48. Die onto-theo-logische Struktur der Metaphysik muss jedoch weiter bestimmt werden. Heidegger präzisiert, dass „es voreilig [sei] zu behaupten, die Metaphysik sei Theologie, weil sie Ontologie sei“. Er will zeigen, wie „der Gott in die Philosophie kommt“, so dass sich in gewisser Weise die Philosophie als ,Theologie‘ konstitutieren konnte. Dazu muss die Transformation der Metaphysik zur ,Logik‘ in

45

„Das Wesen der Metaphysik beruht in einem Ereignis, dem Heraustreten des Seienden als des Seienden“ (Volkmann-Schluck, 134). 46 Vgl. Einleitung zu ,Was ist Metaphysik?‘ = GA 9, 379. 47 Vgl. Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik = GA 11, 51 – 79. 48 Zur Ambiguität der Metaphysik aufgrund ihrer sowohl ontologischen wie theologischen Doppelausrichtung vgl. Die Grundbegriffe der Metaphysik = GA 29/30, 56 – 77, hier 65 und 76.

78

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

den Blick genommen werden, die sich bei Hegel vollzieht49. Hegel bringt damit eine Entwicklung zum Abschluss, die schon bei Leibniz begonnen hatte; das Sein des Seienden wird als Grund und ratio verstanden, sodass folgerichtig „die Sache des Denkens, das Sein als der Grund, nur dann gründlich gedacht [wird], wenn der Grund als der erste Grund […] vorgestellt wird“ – dazu aber muss er, so Heidegger, causa sui sein (GA 11, 67). So kann er schließen: „So [d. h. „Causa sui“] lautet der sachgerechte Name für den Gott in der Philosophie“ (ebd., 77). Mit Hegels Primat der ,Logik‘ wird also die onto-theologische Struktur der Metaphysik eine ,Onto-theo-logie‘50. Nun muss aber nach Heidegger ein solches Verständnis der Differenz zu den Seienden überdacht werden, was nur möglich ist, wenn man bewusst außerhalb des traditionellen Verständnisses der „Bedingnis des Seienden durch das Seyn“ bleibt51. Umgekehrt stellt das Weiterbestehen des von der Metaphysik begründeten Primats des Seienden sowie der Ansicht, beim Sein-des-Seienden handle es sich um den ,Grund‘, für Heidegger das größte Hindernis dar, Sein, Heiliges, Göttliches, Gott wirklich zu denken52. 5. Was ist Metaphysik? Eine Orientierungshilfe Vor dem Hintergrund von Heideggers Beschreibung der Metaphysik sei nun skizziert, wie sich nach meinem Dafürhalten die das Sein der Metaphysik in ihrer doppelten, ontologischen wie theologischen, Ausrichtung charakterisierende ,Transzendenz‘ tatsächlich darstellt53. Mein Vorschlag zielt auf eine andere Denkstruktur und betrifft vor allem das Heidegger’sche Befragen der Metaphysik selbst sowie insbesondere die Begriffe, mit denen er der Metaphysik vorhält, in Wahrheit ,Physik‘ zu sein. Als Leitfrage kann Heideggers „Was ist Metaphysik?“ bestehen bleiben, aber so umgeformt, dass deren tiefste Bedeutung klar wird. Ich stelle die Frage in einem erweiterten Sinn: Was unterscheidet den Begriff der Metaphysik, die sich auf die Dinge unter der Rücksicht des Seins bezieht, von all den Denkformen, die dem Bereich der ,Physik‘ in Aristoteles’ Sinn zugehören, wo also die Dinge in ihrem Werden betrachtet werden?

49

Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik = GA 11, 64 und ff. Vgl. J. Beaufret, „Le destin de l’Être et la métaphysique“, in: ders., Dialogue avec Heidegger. Approche de Heidegger. Paris 1974, 15 – 17. 51 Beiträge zur Philosophie = GA 65, 480. 52 Vgl. Brief über den Humanismus = GA 9, 351 f. 53 Natürlich darf diese ,Transzendenz‘ nicht mit der von Heidegger hervorgehobenen „Transzendenz des Daseins“ in seinem ursprünglichen Seinsverständnis verwechselt werden (s. dazu etwa Vom Wesen des Grundes = GA 9, 123 – 175 und Metaphysische Anfangsgründe der Logik = GA 26). Andererseits stellt sich die Transzendenz zum Sein hin, in der die Grundverfassung des Daseins besteht, für Heidegger nicht nur als Möglichkeit dar, das Seiende offenbar zu machen, sondern auch als Voraussetzung für die Frage nach der Transzendenz im klassischen (o.g.) Sinn (vgl. Metaphysische Anfangsgründe der Logik = GA 26, 248 – 252). 50

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

79

So wird zum Ausdruck gebracht, dass die die Metaphysik kennzeichnende Wahrheit in ihrem ursprünglichen Bezug zum Seienden in seinem tatsächlichen ,Sein‘ besteht, im Unterschied zur Physik, die sich auf das Seiende als Werdendes bezieht. Freilich kann auch eine rein auf das Sein gerichtete Betrachtung der Seienden durch einen falschen Begriff ihres Werdens verstellt werden. Hier scheint Severinos bedeutender Gedanke auf, dass das metaphysische Denken das Sein der Seienden ,nihilistisch‘ verstanden habe, seit es mit Platon das Werden der Dinge als ein ,Ins-Sein-Kommen‘ und ,Aus-dem-Sein-Gehen‘ (Nichtung) begriffen und somit das Seiende mit dem Nichts identifiziert habe54. Mir scheint allerdings, dass diese These Severinos aus historischer Sicht diskussionswürdig und nur eingeschränkt gültig ist. Man kann vielmehr argumentieren, dass ein bedeutender Teil der platonischen (und wohl auch der aristotelischen) Metaphysik nicht auf Severinos Kritik reduzierbar ist, nach der die ganze Metaphysik aufgrund ihrer Bejahung des ,ontologischen Werdens‘ in Wirklichkeit eine ,Physik‘ sei55. Das klassische Denken kennt nämlich zweifelsohne den Begriff des Seins als das, was als solches dem Nicht-Sein gegenübersteht56. Dennoch sind Severinos Überlegungen zum ontologischen Werden (und seinem Bezug zum Unveränderlichen) hilfreich zur Bestimmung der Wahrheit des Seins. Konkret ist Severinos Ansatz Ausgangspunkt meiner o.g. Umformulierung der Heidegger’schen Frage nach dem Wesen der Metaphysik. So kommen wir schließlich zur Besonderheit einer authentisch ,metaphysischen‘ Betrachtung der Seienden; dazu sei Heideggers Ansatz der klassischen Sicht gegenübergestellt. Während im klassischen Denken – ungeachtet möglicher Inkohärenzen – die Metaphysik von der Zeit absieht und ihre Wahrheit gerade in ihrer Stellung sub specie aeternitatis besteht, besteht für Heidegger ihr Fehler eben darin, den zeitlichen Charakter des Seins verstellt zu haben – wie sehr sie auch durch das bewusst der Gegenwart als einer der drei Ekstasen der Zeit zugeschriebene Primat gekennzeichnet sei, indem sie nämlich die Seiendheit des Seienden als In-der-Gegenwart-Bleiben verstehe57. Ich möchte der Metaphysik-Kritik Heideggers eine Richtung geben, die zu ganz anderen Ergebnissen führt. Leitend bleibt seine Beobachtung, die Metaphysik sei in 54

Zu diesem Aspekt der klassischen Ontologie vgl. meine Auseinandersetzung mit Severino in L. Messinese, Il paradiso della verità. Incontro con il pensiero di Emanuele Severino. Pisa 2010, 105 – 110. 55 Vgl. ebd., 129 – 135 und 155 – 160. 56 Vgl. dazu G. Bontadini, „La deviazione metafisica all‘inizio della filosofia moderna“, in: ders., Metafisica e deellenizzazione. Mailand 1996, 25 – 35. 57 Vgl. Beiträge zur Philosophie = GA 65, 433 zur ,Sichtbarmachung‘ der „in der Geschichte der Metaphysik notwendig unerfragten Wahrheit des Seins“ im „Zeitcharakter des Seins […] durch den Hinweis auf das Walten der Anwesung und Beständigkeit im Wesen der physis, der idea und der ousia“. – Beachtenswert ist, dass Heidegger zwar deutlich die Differenz zwischen dem Sein als aletheia der Seienden und dem Sein (der Seiendheit) der Metaphysik unterstreicht und letztere des ,Nihilismus‘ bezichtigt, aber ganz in einem ,nihilistischen‘ Verständnis vom Werden der Seienden befangen bleibt (vgl. E. Severino: „Il nichilismo e Heidegger“, in: ders.: Immortalità e destino. Mailand 2006, 153 – 157.

80

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Wirklichkeit eine Physik; diese wird aber nicht als Reich der Seienden gesehen, dem Vorrang gegenüber der ontologischen Dimension zukomme (Heidegger), sondern formal als Bereich des werdenden Seins (Severino). Damit ist eine bessere Klärung des klassischen metaphysischen Denkens möglich, und zwar sowohl in Bezug auf den es charakterisierenden Seinsbegriff – und somit seine eigentlich ,ontologische‘ Dimension – als auch in Bezug auf die ,theologische‘ Vollendung der Ontologie. In der Umformulierung von Heideggers Frage nach dem Begriff der Metaphysik kommt zum Vorschein, was der frühe Severino ,ursprüngliche Metaphysik‘ nennt58; zugleich wird die Unreduzierbarkeit der Metaphysik auf die Physik gerade aufgrund dieser – theologische Aussagen einschließenden – Ursprünglichkeit angezeigt. Freilich ergeben sich genau deshalb auch kritische Anfragen an Severino59. Gegenwärtig vertritt, wie gesagt, auch Severino (allerdings aus anderen Gründen als Heidegger) die Ansicht, dass die klassische Metaphysik eine Physik sei – also eine Theorie des ,nihilistischen Werdens‘ des Seins – und dass folglich ihre ,theologische‘ Vollendung diesem Wesen klar widerspreche. Ich denke hingegen, in Übereinstimmung mit Severinos ursprünglichem Ansatz, dass umgekehrt gerade die theologische Vollendung der klassischen Metaphysik die konkreteste Form einer nicht nihilistischen Ontologie darstellt. Im Blick auf die Frage nach dem Was der Metaphysik ist auf ein anderes Verständnis des Verhältnisses von Physik und Metaphysik zu verweisen. Verschiedentlich wird als scheinbar letztgültig eine Kritik an der Metaphysik vorgetragen, die diese als illusorische ,Überphysik‘ ansieht. Nietzsche etwa sagt: „Das Bedürfnis nach einer metaphysischen Welt ist die Folge davon, dass man keinen Sinn, kein Wozu? aus der vorhandenen Welt zu entnehmen wusste“60. Es muss jedoch vielmehr darum gehen, was, recht verstanden, die ,vorhandene Welt‘ sei – so dass die Metaphysik nicht einen illusorischen Blick auf die Dinge wirft, sondern schlicht eine Sichtweise auf die Welt der ,Physik‘ – also des Werdens und Lebens – darstellt, der sich von der Physik (und deren Selbstverständnis) unterscheidet, aber damit nicht in die Irre führt. Auch vor dem Hintergrund von Nietzsches radikalem Einwand kann die Besonderheit der Metaphysik erfasst werden, wenn deutlich wird, dass das Sein, auf das sie sich bezieht, sich erstens von dem Sein unterscheidet, das im Ausgang von den Seienden der Physik verstanden wird, also von den als ontologisch im Werden befindlich interpretierten Seienden; zweitens überlagert es nicht ,fideistisch‘ das Sein der Welt, so dass die (angenommene) Evidenz der Welt ausreichen würde, um die Metaphysik ins Reich der Illusionen zu verweisen. Es geht also um folgende Grundthese: der Bezug der Metaphysik auf das ,parmenideische Sein‘ ist nicht bloß eine ideologische Konstruktion, die die Wahrheit des Werdens der Dinge und des 58 Vgl. L. Messinese, L’apparire del mondo. Dialogo con Emanuele Severino sulla ,struttura originaria‘ del sapere. Mailand 2008, 168 – 193. 59 Darauf bin ich andernorts ausführlich eingegangen, etwa in Il paradiso sowie L’apparire, 279 – 379 und L. Messinese, „La teologia razionale e la determinazione dell‘Altro dall‘esperienza“, in: Rivista di Filosofia Neo-Scolastica 101 (2009), 533 – 555. 60 KSA 12, 374.

I. Heideggers Wesensfrage an die Metaphysik und ihre Konsequenzen

81

,Lebens‘ verdunkelt, in der Annahme, dass diese Wahrheit, isoliert von einem strukturellen Bezug auf den Logos, wirklich die ursprüngliche Wahrheit von Welt und Sein darstellen würde. Ähnlich könnte man im Blick auf die Annahme der Evidenz der ,gegenwärtigen Wirklichkeit‘ gegenüber Weischedel argumentieren, nach dessen Auffassung auf spekulativer Ebene nur mehr die „radikale Fraglichkeit“ der Wirklichkeit bleibe, nachdem – aus für ihn unabweisbaren Gründen – das metaphysische Wissen der Tradition in der Epoche des Nihilismus untergegangen sei. So sei einzig eine philosophische Theologie möglich, in der ,Gott‘ durch den Begriff des „Vonwoher“ ersetzt wird, so dass Gott zum „Vonwoher der radikalen Fraglichkeit“ wird61. Mir scheint hingegen, dass es die angezeigte Besonderheit der Metaphysik ermöglichen würde, Bedeutung und Wert der philosophischen Theologie in ihrer klassischen Form, also als (nicht wissentlich verschwiegene) Wahrheit der ,gegenwärtigen Wirklichkeit‘, besser zu erfassen und die onto-theologische Struktur der Metaphysik neu zu bewerten; klar muss dabei sein, dass ihr Gott eben nicht ein Seiendes ist, sondern die ,Totalität des Seins‘62. Das aber heißt noch einmal, dass das metaphysische Sein nicht in den Begriffen der Kritik Heideggers verstanden werden darf, also als ,ständige Anwesenheit‘, als ob sein Wesen innerhalb zeitlicher Koordinaten bestimmt würde. Das metaphysische Sein ist das, was dem Nicht-Sein gegenüber immun ist und dem somit „von Rechts wegen Ewigkeit und Unveränderlichkeit zukommen“63. Im Ausgang von einer Rückbesinnung auf Heidegger ergibt sich somit ein, wie mir scheint, vielversprechender Ansatz, die Metaphysik von unpassenden Vermischungen mit ihr fremden Begrifflichkeiten zu befreien und die Zentralstellung des Seins im metaphysischen Wissen neu herauszustellen.

61 Weischedel, Gott der Philosophen II, 216 mit 211. Deutlicher gesagt, ist nach Weischedel das Absolute für die menschliche Erkenntnis durch das Fragen nach der Herkunft der gegenwärtigen Wirklichkeit in ihrer radikalen Fraglichkeit konstituiert, da sich die Philosophie nicht damit zufrieden geben kann, die Fraglichkeit des Wirklichen einfach zu konstatieren. So kann er sagen, das Vonwoher sei „das äußerste Absolute, zu dem man kommen kann“ (211). Zu Weischedels Behandlung der Gottesfrage s.a. Die Frage nach Gott im skeptischen Denken. Berlin 1976. 62 Vgl. Bontadini, Metafisica e deellenizzazione, 73. 63 Ebd., 27.

82

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik zwischen phänomenologischer Philosophie und christlichem Glauben 1. Einführung In der zeitgenössischen Diskussion über die Metaphysik nimmt Heidegger, ungeachtet der möglichen Kritik an seinem Zugang, zweifelsohne eine besondere Stellung ein; er hat auf einzigartige Weise diese philosophische Debatte beeinflusst. Im ersten Teil hat sich bereits die Komplexität seines nie endenden Bezugs zur metaphysischen Tradition gezeigt. Nun möchte ich mich näher auf einen der genannten Aspekte konzentrieren, und zwar auf die Grundlagen der Kritik Heideggers an der onto-theo-logischen Verfassung der Metaphysik. Hier spielt das Verständnis des jungen Heidegger von Philosophie sowie vom christlichen Glauben eine große Rolle. Dazu zunächst einige Vorbemerkungen64. Philosophie ist für Heidegger ,Phänomenologie‘, hat also den Charakter einer Enthüllung des Gegenwärtigen. Sie ist somit nicht spekulative Theorie, Hegel’sche Erhebung von der Ebene des Seins und dann des Wesens zur Ebene des Begriffs65. Philosophie ist Öffnung auf das Ding selbst hin, und das heißt für Heidegger, dass sie sich als solche nicht als Wissen der transzendentalen Subjektivität und noch weniger als ,absolutes Wissen‘ des Hegel’schen Idealismus konstituiert. Zugleich ist das Ding nie in einer wesenhaften Präsenz und vollständig vorhanden, sondern es erscheint aus der Verborgenheit heraus, so dass es in seinem Sich-Geben nur erfasst werden kann, wenn es nicht von seinem Verborgensein getrennt wird. Sein Verständnis des christlichen Glaubens gewinnt Heidegger vor allem aus den Briefen des Apostels Paulus und Augustins Confessiones, wobei er meint, dessen Denken müsse vom ,Überbau‘ der neuplatonischen Metaphysik befreit werden, mit der Augustinus die ursprüngliche Glaubenserfahrung gleichsam erdrückt habe. Unter den neuzeitlichen Autoren ist Heidegger in theologischer Hinsicht Luther am nächsten, da dieser das paulinische Motiv der ,Torheit des Kreuzes‘ wieder aufnahm – also des Widerspruchs zwischen philosophischer Weisheit und christlichem Glauben – und somit das theologisch-metaphysische System der Scholastik zu brechen wusste. 64

Stefano Poggi hat, über die neutestamentliche religiöse Erfahrung hinaus, die Rolle einer Eckart’schen ,Mystik‘ in Heideggers jungen Jahren herausgestellt, also einer feineren religiösen Erfahrung, die das Sein als Nichts erfasst (S. Poggi, La logica, la mistica, il nulla. Un‘interpretazione del giovane Heidegger. Pisa 2006). 65 Die These, dass das ,Phänomenologische‘ (oder Phänomenologisch-Hermeneutische) Ursprung sowie bleibende Konstante in Heideggers Denken ist, scheint mir zuletzt durch v. Herrmann bestätigt, der sich auf die „hermeneutisch-phänomenologische Art der Blickrichtung“ als „einheitlichen Zug in der Wandlung von Heideggers Denken“ bezieht (F.-W. v. Herrmann, „Esperienza vissuta di significatività – trascendenza ed orizzonte – evento-appropriazione. L’unità nella trasformazione del pensiero di Martin Heidegger“, in: C. Gentili; F.-W. v. Herrmann; A. Venturelli [Hg.], Martin Heidegger trent’anni dopo. Genua 2009, 39).

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

83

Zwar zeigt Heidegger an einem gewissen Punkt seines Denkweges eine größere Zurückhaltung in seinem persönlichen Verhältnis zur christlichen Tradition, und er weckt sogar den Eindruck, sich nun einer Art paganer Religiosität zuzuwenden. Möglicherweise ist der ,letzte Gott‘, von dem er zu sprechen beginnt, aber ,anders‘ als der christliche Gott nur in Bezug auf den Gott des christlichen Denksystems, in dem der wahre christliche Glaube aufgrund des Einflusses der Metaphysik verdreht worden sein könnte66. 2. Die Frage nach Gott und die Notwendigkeit zur Aufgabe der Metaphysik Weithin bekannt sind die Grundlinien der Kritik Heideggers an der Art und Weise, wie die Gottesfrage in der metaphysischen Tradition behandelt worden ist. Ihr Zentrum besteht nicht darin, die sogenannten Vernunftbeweise der Existenz Gottes zu bewerten, wie es etwa Kant in der Kritik der reinen Vernunft getan hat. Heidegger stellt grundlegendere Überlegungen an und betont vor allem, dass in der Metaphysik Gott nicht als Gott gedacht werde. Das heißt, was in der Metaphysik von Gott gesagt werde, habe seinen Ursprung nicht im Bereich des Göttlichen, sondern des Seienden, verstanden als Beständig-Anwesendes. Hier liegt der tiefste Sinn der Kritik Heideggers an der onto-theo-logischen Verfassung der Metaphysik, die unterstreicht, dass Gott, wenn sich das Denken nicht auf das Sein als solches, sondern auf die Seienden richtet, als ein höchstes Seiendes gedacht wird, in dem sich die Totalität des Seins erschöpft. In der Vergessenheit des Seins zugunsten der Seienden wird auch Gott nur als ein Seiendes gedacht, wenn auch als das größte Seiende. So heißt es in Beiträge zur Philosophie: „In der metaphysischen Betrachtung muss der Gott als der Seiendste, als erster Grund und Ursache des Seienden, als das Un-bedingte, Un-endliche, Absolute vorgestellt werden“; und: „Alle diese Bestimmungen entspringen aber nicht dem Gotthaften des Gottes, sondern dem Wesen des Seienden als solchem, sofern dieses, als BeständigAnwesendes, Gegenständliches, schlechthin an sich gedacht wird“ (GA 65, 438). Die Beiträge gehen auf die Jahre 1936 – 1938 zurück, wurden aber erst 1989 veröffentlicht. Der Widerspruch gegen die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik findet sich aber sehr klar auch im Brief über den Humanismus von 1947, wo Heidegger einen Weg des angemesseneren Gottdenkens anzeigt: „Erst aus der Wahrheit des Seins lässt sich das Wesen des Heiligen denken. Erst aus dem Wesen des Heiligen ist das Wesen von Gottheit zu denken. Erst im Licht des Wesens von Gottheit kann gedacht und gesagt werden, was das Wort ,Gott‘ nennen soll“ (GA 9, 351). Aus dem Grund bemerkt Heidegger in Identität und Differenz: Die onto-theo66 Zu Heideggers Verhältnis zum Christentum, besonders zu jungen Zeiten, existiert eine, weiter wachsende, Zahl an Darstellungen. Hier sei nur die vorzügliche Studie von P. Stagi genannt, die weitere Literaturverweise bietet: Il giovane Heidegger. Verità e rivelazione. Teramo 2010. Eine bemerkenswerte Interpretation von Heideggers Philosophie, die das Verhältnis von Philosophie und Theologie für einen organischen Teil derselben hält, schlägt P. Capelle vor: Philosophie et Théologie dans la pensée de Martin Heidegger. Paris 2001.

84

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

logische Verfassung der Metaphysik: „Demgemäß ist das gott-lose Denken, das den Gott der Philosophie, den Gott als Causa sui preisgeben muss, dem göttlichen Gott vielleicht näher“ (GA 11, 77). Diese Bemerkungen stellen den Kern von Heideggers philosophischen Gedanken zu Gott dar. Heideggers Bezug auf Gott als causa sui bedarf aber einer ergänzenden Bemerkung. Der Gedanke findet sich bei Spinoza und auch schon bei Descartes, aber nicht bei vielen anderen Metaphysikern und nicht in der Scholastik67. Heidegger gewinnt den Gedanken aber nicht einfach aus der Philosophiegeschichte. Seiner Meinung nach gehört es zur Struktur des metaphysischen Denkens, dass Gott nicht nur als causa, sondern als causa sui verstanden wird (vgl. GA 11, 67 u. 77). Mehr interessiert uns hier jedoch die Tatsache, dass Heidegger den Gott der Philosophie dem ,göttlichen Gott‘ gegenüberstellt, was Pascals Unterscheidung zwischen dem ,Gott der Philosophen‘ und dem ,Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs‘ in Erinnerung ruft. Pascals ,Gott der Philosophen‘ entspricht bei Heidegger der ,Gott der Metaphysik‘, der allerdings, weil er im Ausgang vom Seienden gedacht wird und das größte Seiende ist, nicht nur dem wahren Gott gegenüber ungenügend gedacht ist, sondern gar nicht Gott ist (der ,wahre Gott‘, den Heidegger im Sinn hat, entspricht Pascals Gott der Väter). So wird heute die ,Totalität des Seienden‘ anders benannt als ,Gott‘, und der Mensch hat sogar schon den ,Tod Gottes‘ erprobt (vgl. GA 9, 347). Im Hintergrund steht hier Heideggers Deutung des Bezugs zwischen der – ins christliche Denken eingegangenen – griechischen Metaphysik, der modernen Metaphysik und der gegenwärtigen Herrschaft der Technik als ,Gestell‘. Halten wir noch einmal fest: es geht Heidegger nicht darum, den logischen Wert der metaphysischen Gottesbeweise zu diskutieren, sondern um die Einsicht, dass der Zielpunkt dieser Beweise nicht wirklich Gott sein kann (und auch in den historischen Exempeln solcher Beweise nicht gewesen ist). Der Mensch muss, als Philosoph, einen anderen Weg gehen, wenn er wahrhaft nach Gott fragen will. Ein solcher Weg wird, wie gesagt, im Brief über den Humanismus aufgezeigt. Dabei geht es nicht um einen neuen Beweisweg, sondern um eine Reihe von Übergängen von einem Horizont zum nächsten – Sein, Heiliges, Göttliches –, die der Vorbereitung auf die Gotteserfahrung dienen – falls diese dem Menschen zuteil werden soll (so sagt es Heidegger zum Schluss der Beiträge im Blick auf den ,letzten Gott‘). Es ist uns einzig möglich, uns auf ein solches ,Ereignis‘ vorzubereiten; und diese Vorbereitung ist notwendige, allerdings nicht hinreichende Bedingung für das Gottesverhältnis des Menschen.

67 Der Ausdruck causa sui hat bei Thomas von Aquin die gleiche Bedeutung wie bei Aristoteles und bezieht sich insofern auf den Menschen, als dieser, im Unterschied zu den anderen Seienden, in seinem Handeln frei ist. Zum Begriff der causa sui im Kontext der Ontotheologie und unter Berücksichtigung von Heideggers Kritik vgl. J.-L. Marion, Il prisma metafisico di Descartes. Costituzione e limiti dell’onto-teo-logia nel pensiero cartesiano. Mailand 1998 (frz. Orig. Paris 1986), 106 – 108, 130 – 134 u. 134 – 143.

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

85

So geht es zunächst um die Erfahrung einer Transzendenz gegenüber der Totalität des Seienden, aber nicht mehr im Blick auf ein höchstes Seiendes, sondern im Erfassen der ,ontologischen Differenz‘ (zwischen Sein und Seiendem) als erste Vorbedingung für das, was die religiöse Erfahrung Gott nennt. Wenn der Mensch, im Vergessen der ontologischen Differenz, nur mit den Seienden zu tun hat, wird er gänzlich unfähig, etwas anderes als die Seienden und die immer gesetztere ,planetarische Herrschaft‘ des ,Gestells‘ zu sehen. Im Brief über den Humanismus heißt es: „Wie soll denn der Mensch der gegenwärtigen Weltgeschichte auch nur ernst und streng fragen können, ob der Gott sich nahe oder entziehe, wenn der Mensch es unterlässt, allererst in die Dimension hineinzudenken, in der jene Frage allein gefragt werden kann? Das aber ist die Dimension des Heiligen, die sogar schon als Dimension verschlossen bleibt, wenn nicht das Offene des Seins gelichtet und in seiner Lichtung dem Menschen nahe ist“ (GA 9, 351 f.). Es ging hier darum aufzuzeigen, dass Heideggers Kritik an der Onto-theo-logie keineswegs mit jeder Abkehr von der Gottesfrage einhergeht. So lässt sich abschließend feststellen, dass die Rückführung der Metaphysik zu ihrer ,Wahrheit‘ – also zu dem, was sie ,in Wahrheit‘ ist – und, in Erfüllung dieser Wahrheit, die Erfahrung des ,Todes Gottes‘ durch den Menschen keineswegs den Schluss erlauben, dass dieser deswegen „ein Gott-loser“ sei (ebd., 347). Genauso bedeutet die Rede vom Menschen als ,In-der-Welt-sein‘ für Heidegger nicht, dass er „lediglich ein ,weltliches‘ Wesen im christlich verstandenen Sinne, also abgekehrt von Gott und gar losgebunden von der ,Transzendenz‘“ sei (349). Diese Bestimmung des Menschen hat existentialen, nicht metaphysischen Charakter, weshalb sie eben nicht eine „Entscheidung darüber [enthält], ob der Mensch im theologisch-metaphysischen Sinne ein nur diesseitiges oder ob er ein jenseitiges Wesen sei“ (350). Dieser zentralen Annahme bleibt Heidegger bis zuletzt treu. Der Ausdruck ,gott-los‘ bezieht sich daher auf Vorgehensweise und Methode des Denkens, nicht auf ein von Gott befreites Sein des Menschen. So können wir nun den sogenannten ,Atheismus‘ Heideggers in den Blick nehmen, der als ,methodischer Atheismus‘ verstanden werden muss. 3. Glaube und Philosophie. Sinn eines ,methodischen Atheismus‘ Der Ausdruck ,gott-los‘ bezeichnet eine Not des Denkens, und zwar in doppeltem Sinn. Erstens unterstreicht Heidegger, dass „in der gegenwärtigen Weltgeschichte“ das Denken ,weder theistisch noch atheistisch sein kann‘ (GA 9, 352; darauf haben wir uns bisher konzentriert). Zweitens meint er, dass sich das philosophische Denken, im Unterschied zur Theologie, nicht auf Gott stützen und mithin methodisch nicht die göttliche Offenbarung zu seiner Grundlage machen könne. Man erkennt hier deutlich die unauflösliche Differenz, die für Heidegger zwischen Glaube und Philosophie besteht, da sie zwei radikal unterschiedliche Daseinsformen des Menschen zum Ausdruck bringen.

86

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Eine analoge, das Dasein betreffende Differenz besteht im Verhältnis der Philosophie zu den Wissenschaften. In der Vorlesung vom Wintersemester 1920/21 zur Einleitung in die Phänomenologie der Religion hebt Heidegger hervor, wie diese unauflösliche Differenz gewöhnlich übersehen wird: „Es gibt ein ,nivelliertes‘ Auffassen der philosophischen und der wissenschaftlichen ,Begriffe‘ und ,Sätze‘. Sie begegnen sich im ,faktischen Leben‘ in der Sphäre der sprachlichen Darstellung und Mitteilung als ,Bedeutungen‘, die ,verstanden‘ werden. Sie sind zunächst gegeneinander gar nicht signalisiert“ (GA 60, 4). Wie die empirische Erfahrung kann auch die Glaubenserfahrung nach Heidegger ein ,wissenschaftliches‘ Verständnis bekommen, das in seiner spezifischen Eigenart untersucht werden muss. Er unterstreicht jedoch auch gegenüber der theologischen Wissenschaft, dass der Vernunftkontext der Philosophie einer ganz anderen Ordnung angehört. Für Heidegger ist es als Philosoph wesentlich, die Besonderheit der Philosophie zu erfassen. Im Ausgang davon wird dann der Unterschied des philosophischen Denkens zu den Wissenschaften im Allgemeinen, zum Glauben und zur theologischen Wissenschaft herausgestellt (letzteres zumindest so lange, als er eine Glaubens-Wissenschaft für möglich hält). Freilich wollte Heidegger als „christlicher Theologe“, wie er sich in einem Brief an Karl Löwith von 1921 nannte, auch der Besonderheit des christlichen Glaubens nachgehen, und zwar, indem er sich von dem theologischen System seiner Lehrer befreite68. Trotz der herausgestellten Unterschiede besteht aber auch eine Nähe zwischen Glaube und Philosophie. Beide bringen für Heidegger eine ursprüngliche Distanznahme in der Beziehung zu den Dingen zum Ausdruck, und zwar sowohl gegenüber dem alltäglichen Sich-Verlieren in den Dingen der Welt wie auch gegenüber der Objektivierung, die die Wissenschaften vornehmen. Beide gewähren also eine grundlegende Transzendenz gegenüber der alltäglichen Erfahrung und den Wissenschaften, wenn auch im Ausgang von unterschiedlichen Prinzipien, nämlich dem Geschenk des Glaubens auf der einen Seite und dem strengen, radikalen Fragen auf der anderen Seite. Doch die Nähe zwischen dem christlichen Glauben und der im Sinn phänomenologischer Radikalität verstandenen Philosophie – die Heidegger über eine Neuinterpretation des Aristoteles gewinnen will, die sich von der ihm gut bekannten scholastischen Lesart unterscheidet – hat auch ein inhaltliches Element. Ja, mit diesem Inhalt haben sogar nur diese Philosophie und der christliche Glaube zu tun. Dabei handelt es sich um die Geschichtlichkeit in ihrer wahren Wirklichkeit, also bevor sie im Licht der Erkenntnisvorgänge erfasst wird, die sie fest-stellen – ihr also [im ousia-Geben] ,Beständigkeit‘ auferlegen – und sie damit letztlich verlieren. Ein typisches Beispiel solcher ,Fest-stellung‘ geben die Wissenschaften, obgleich festzuhalten ist, dass sie genauso Erben der Philosophie und wie diese aus dem an68 Vgl. Gadamer, Heideggers Wege, 310. Heideggers Brief ist u. a. abgedruckt in D. Papenfuss; O. Pöggeler (Hg.), Zur Philosophischen Aktualität Heideggers. Bd. 2. Frankfurt 1990, 27 ff.

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

87

fänglichen Denken der Griechen hervorgegangen sind. Mit Platon sei die Philosophie zu einem theoretischen Horizont geworden, in dem das zeitliche Sein in seinem Bezug zum überzeitlichen Sein verstanden und so (vermeintlich) gegenüber jener ,Beunruhigung‘ abgesichert werde, die das Neue des Zum-Erscheinen-Kommens der Dinge hervorrufe. Für Heidegger stellt der scheinbare Gewinn dieses Bezugs zum Geschehen der Dinge aber in Wirklichkeit einen Verlust dar. Im Aufstellen der ,Theorie‘, in der Meinung, so „den Wirklichkeitssinn des Zeitlichen“ wahrhaft zu erfassen, verliert das Zeitliche – die ,Lebenswirklichkeit‘ oder auch die ,Unruhe des Werdens‘ – „seine Beunruhigung“ (GA 60, 46), womit verlorengeht, was die Dimension der Geschichtlichkeit als solche kennzeichnet. Kehren wir zum Unterschied zwischen Glaube und Philosophie zurück, um Heideggers philosophischen Atheismus besser zu verstehen. Der Philosophie selbst kommt ein ,gott-loses‘ Denken zu, soweit sie als radikales Fragen bzw. ,Fraglichkeit‘ verstanden wird. In Heideggers frühen Vorlesungen ist dies ein wiederkehrendes Thema. So heißt es zum Beispiel in den Notizen zur Vorlesung vom Wintersemester 1921/22: „Philosophie muss in ihrer radikalen, sich auf sich selbst stellenden Fraglichkeit prinzipiell a-theistisch sein. Sie darf sich gerade ob ihrer Grundtendenz nicht vermessen, Gott zu haben und zu bestimmen. Je radikaler sie ist, umso bestimmter ist sie ein weg von ihm, also gerade im radikalen Vollzug des ,Weg‘ ein eigenes schwieriges ,bei‘ ihm“69. Hier beschreibt Heidegger nicht nur sein Philosoph-Sein, sondern auch seine Religiosität (wie gesehen, nennt er sich andernorts gar ,Theologe‘) und umreißt sein Verständnis der Möglichkeit, ,christlicher Philosoph‘ zu sein. Philosophie ist radikales Fragen und unterscheidet sich damit sowohl von den Wissenschaften, die von ihren theoretischen Voraussetzungen leben, sowie vom Glauben, der auf der theologischen Voraussetzung der Offenbarung beruht. Andererseits vermag erst die Philosophie als radikale „Fraglichkeit […] in die Situation religiöser Entscheidung zu führen“ (GA 61, 197). In jedem Fall aber, so Heidegger, gilt: „Ich verhalte mich nicht religiös im Philosophieren, wenn ich auch als Philosoph ein religiöser Mensch sein kann“ (ebd.). Heidegger ist ein religiöser Mensch, der zugleich Philosoph ist, der aber als Philosoph nicht aufgrund eines religiösen Credos operieren kann. Einerseits muss daher das Band zwischen Glaube und Philosophie zertrennt werden; andererseits ist man als Philosoph gerade in dieser Bewegung ,weg von Gott‘ auch ,bei ihm‘. So ist für Heidegger der ,methodische Atheismus‘ die dem Philosophen eigene Form von Religiosität – im Unterschied zur Religiosität des Glaubenden.

69 Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles = GA 61, 197. – Äußerst kritisch gegenüber diesem ,prinzipiellen Atheismus‘, auf den Heidegger das philosophische Denken gründet, ist M. Ruggenini, der sein ganzes Denken auf eine Kritik an der „Entgöttlichung der Welt“ richtet, die in der Moderne ihren Höhepunkt erreicht habe, und eine Philosophie vorschlägt, der es vor allem um eine „Erfahrung des Göttlichen [geht], so wie zur Zeit ihres Ursprungs bei den Griechen (Il Dio assente. La filosofia e l‘esperienza del divino. Mailand 1997, hier 211 – 215 zu Heidegger).

88

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Den Gegensatz zwischen Glaube und Philosophie bringt zuerst – aber auf für Heidegger bleibend gültige Weise – ein Brief vom 9. 1. 1919 an seinen Freund Engelbert Krebs zum Ausdruck, den Priester und Theologieprofessor, der Heideggers Trauung vorgenommen hatte. Darin heißt es: „Erkenntnistheoretische Einsichten, übergreifend auf die Theorie des historischen Erkennens, haben mir das System des Katholizismus problematisch und unannehmbar gemacht – nicht aber das Christentum und die Metaphysik (diese allerdings in einem neuen Sinne)“70. Diese Stelle ist geradezu programmatisch: es geht Heidegger zuerst darum, das theologischmetaphysische System des Katholizismus zu zerstören, das im Wesentlichen in der mittelalterlichen Theologie begründet wurde (pars destruens), um sich dann um eine Wiederentdeckung des echten Christentums zu bemühen, befreit von der griechischen Ontologie, sowie um eine authentischere Metaphysik gemäß einem neuen Metaphysikbegriff (pars construens). Der weiteren Entwicklung dieses Programms brauchen wir hier nicht zu folgen, seine Umsetzung führt aber zur berühmten ,Kehre‘ in Bezug auf die Tradition des westlichen Denkens. Es war hier entscheidend, die ersten Schritte Heideggers in Erinnerung zu rufen, um den eigentlichen Sinn seiner Kritik an einer christlichen Philosophie und besonders an der metaphysischen Theologie zu verstehen, die er später Onto-theo-logie nennt. 4. Glaube, Theologie, Philosophie Heidegger hat nicht nur, wie eben skizziert, einen persönlich ,theologischen‘ Denkweg verfolgt, sondern ist verschiedentlich auch der Aufforderung von Theologen zu einem expliziten Dialog gefolgt. Zeugnis davon geben, neben dem vor Marburgs Theologenschaft im Jahr 1924 gehaltenen Vortrag zum Zeitbegriff71, vor allem zwei Texte, die Heidegger 1967 zusammen im Sammelband Wegmarken veröffentlicht hat (GA 9, 45 – 78), obgleich sie zu unterschiedlichen Zeiten entstanden und zum Teil auch inhaltlich recht verschieden sind. Im 1927 in Tübingen und erneut 1928 in Marburg gehaltenen Vortrag Phänomenologie und Theologie vermeidet Heidegger es bewusst, die Möglichkeit zu diskutieren, aus der Theologie eine ,Wissenschaft‘ zu machen, und widmet sich dem Unterschied zwischen Philosophie und Theologie und der Besonderheit der Theologie gegenüber anderen Wissenschaften. Beim zweiten Text handelt es sich um 70

Der Brief – veröffentlicht u. a. in B. Casper, „Martin Heidegger und die theologische Fakultät 1909 – 1923“, in: Freiburger Diözesan-Archiv 100 (1980), 541 u. Heidegger-Jahrbuch 1, 67 f. (vgl. dazu H. Ott, „Zu den katholischen Wurzeln im Denken Martin Heideggers. Der theologische Philosoph“, in: C. Jamme; K. Harries [Hg.], Martin Heidegger. Kunst – Politik – Technik. München 1992, 225 – 239) – belegt übrigens auch die Ernsthaftigkeit der ,Religiosität‘ Heideggers. 71 Der Begriff der Zeit, zusammen mit der gleichnamigen Abhandlung veröffentlicht als GA 64. Der Text kann als Vorgriff auf Sein und Zeit angesehen werden (vgl. P. De Vitiis, Filosofia della religione fra ermeneutica e postmodernità. Brescia 2010, 86).

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

89

einen Brief Heideggers von 1964 an einen amerikanischen Theologenkongress zum Thema: „Das Problem eines nichtobjektivierenden Denkens und Sprechens in der heutigen Theologie“. Darin drängt Heidegger die Theologen, den Versuch aufzugeben, ihre Sprache und Begriffe von der Philosophie oder den Wissenschaften zu entleihen. Auf beide Texte sei im Folgenden eingegangen, auf den ersten etwas ausführlicher, auf den zweiten knapper. a) Der Begriff der Theologie, ihr Unterschied zur Philosophie und ihre besondere ,Wissenschaftlichkeit‘ Auch in Phänomenologie und Theologie findet sich, wenn auch implizit, eine Kritik an der philosophischen Theologie des metaphysischen Denkens. Sie ist in Heideggers Erläuterungen zu Form und Gehalt der christlichen Theologie sowie zur Philosophie enthalten. Die Theologie ist eine ,ontische Wissenschaft‘, also eine Wissenschaft, deren Gegenstand „je ein vorliegendes Seiendes [ist], das immer schon in gewisser Weise vor der wissenschaftlichen Enthüllung enthüllt ist“ (GA 9, 48). Was aber ist das spezifische ,vorliegende Seiende‘ oder ,Positum‘ der Theologie? (ebd. mit 52). Heidegger drückt es folgendermaßen aus: „Das Ganze dieses Seienden, das der Glaube enthüllt [also das ,Teil-haben‘ an der Offenbarung, das sich in der christlichen Existenz realisiert, ein ,Umgestelltwerden‘ beinhaltet und zu einer ,Wiedergeburt‘ führt], und zwar derart, dass der Glaube selbst in diesen Geschehenszusammenhang dieses gläubig enthüllten Seienden gehört, macht die Positivität aus, die die Theologie vorfindet“ (5472). Wenn dies das Datum der Theologie ist und wenn ihre spezifische Positivität „das im Glaube als Glaube enthüllte christliche Geschehen“ ist, dann bestimmt sich die Theologie als „Wissenschaft des Glaubens“ (54 f.). Freilich kommt Heidegger zu dem Schluss, dass die Theologie kein „an sich gültiges System theologischer Sätze über allgemeine Sachverhalte innerhalb eines u. a. auch vorhandenen Seinsgebietes“ ist (56). Theologie ist also nicht auf die Art Wissenschaft, auf die es etwa Physik und Psychologie sind. Was die Theologie im Unterschied zu den anderen positiven Wissenschaften kennzeichnet, ist ihre wesentliche Geschichtlichkeit, die Tatsache, dass die theologische Wissenschaft mit dem Glauben korrespondieren muss, der „als das existierende Verhältnis zum Gekreuzigten eine Weise des geschichtlichen Daseins [ist], der menschlichen Existenz, und zwar als des Geschichtlich-Seins in einer Geschichte, die sich erst im Glauben und für den Glauben enthüllt“ (55). Das heißt für Heidegger keineswegs (zumindest nicht im vorliegenden Text), dass die Theologie keine ,systematische‘ Wissenschaft wäre; er unterstreicht aber, dass sie ihrer spezifischen Systematik folgen muss, die darin besteht, „die Geschichtlichkeit des Glaubens zu Wort und Begriff“ zu bringen (58), so dass sie eine eigene Begrifflichkeit erhält, die sie von keiner Philosophie her gewinnt, sondern „von der 72 Anm. L.M. nach ebd., 53. Übrigens verlangt auch wahre Philosophie für Heidegger eine „eigentliche Umwandlung“ (Einleitung in die Phänomenologie der Religion = GA 60, 10).

90

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Seinsart und spezifischen Sachhaltigkeit des Seienden […], das sie vergegenständlicht“ (ebd.). Und das Seiende, um das es in der Theologie geht, ist wohlgemerkt das Glaubend-Sein. Mit dieser Besonderheit der Theologie hinsichtlich ihres Inhalts geht eine Besonderheit hinsichtlich ihrer Form und Methode einher. „Keinesfalls dürfen wir die Wissenschaftlichkeit der Theologie auf einem Wege bestimmen, bei dem eine andere Wissenschaft als leitender Maßstab der Evidenz ihrer Beweisart und der Strenge ihrer Begrifflichkeit vorweggenommen ist“ (60). Und zwar, weil „gemäß dem wesenhaft nur im Glauben enthüllten Positum der Theologie […] nicht nur der Zugang zu ihrem Gegenstande ein eigener, sondern auch die Evidenz der Ausweisung ihrer Sätze eine spezifische“ ist (ebd.). Zugleich wäre es ein wahres „Selbstmissverständnis des Glaubens, wenn er meint, sich durch das Zerschellen der Wissenschaften an ihm selbst allererst ins Recht zu setzen oder sich gar dadurch zu festigen“ (61). Die ,Legitimität‘ der theologischen Erkenntnis basiert auf dem Glauben, und das heißt einerseits, dass ihr besonderes ,Recht‘ nicht abgestritten werden kann, da ihr Terrain ursprünglich andersartig ist, aber nicht im Widerspruch zu den anderen Wissenschaften steht; andererseits darf aber auch die Theologie selbst nicht ihr Recht gegen das der anderen Wissenschaften stellen. Schließlich, so Heidegger, ist die Theologie eine gänzlich unabhängige ontische Wissenschaft. Ähnliches muss freilich auch von der Philosophie und ihrem Bezug zur wissenschaftlichen Erkenntnis gesagt werden: „Was Philosophie selbst ist, lässt sich wissenschaftlich nie zur Evidenz bringen, sondern nur im Philosophieren selbst klar machen“73. b) Die Beziehung der Theologie zur Philosophie Gemäß Phänomenologie und Theologie konstituiert sich die denkerische Dimension des Glaubens, seine spezifische Erkenntnisform, als ,theologische Wissenschaft‘. So versteht man Heideggers These: „der Glaube bedarf nicht der Philosophie, wohl aber die Wissenschaft des Glaubens als positive Wissenschaft“ (GA 9, 61). Bevor eingehender auf den Bezug zwischen Theologie und Philosophie einzugehen ist, einige Worte zur Bedeutung der Heterogenität von Glaube und Philosophie, die Heidegger als wahren Gegensatz fasst. Er gibt zu bedenken, wie „der Glaube in seinem innersten Kern als eine spezifische Existenzmöglichkeit gegenüber der wesenhaft zur Philosophie gehörigen und faktisch höchst veränderlichen Existenzform der Todfeind bleibt“ (66). In diesem Kontext ist Philosophie als „das freie Fragen des rein auf sich gestellten Daseins“ zu verstehen (65), das allen anderen Wissenschaften vorausgeht und als Existenzform jener Existenz gegenüber steht, die auf Glauben gründet. Dass es diese beiden unterschiedlichen Existenzmöglichkeiten gibt, schließt aber nicht aus, dass es auf der existentiellen Ebene menschlicher In73

Einleitung in die Phänomenologie der Religion = GA 60, 8.

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

91

dividualitäten auch gegenseitige Anerkennung zwischen der philosophischen und der Glaubensexistenz geben kann74. Wenn Christentum im Wesentlichen eine ,christliche Existenz‘ im aufgezeigten Sinn meint, so ist klar, dass es für Heidegger „so etwas wie eine christliche Philosophie“ nicht geben kann; „das ist ein ,hölzernes Eisen‘ schlechthin“ (65). In seiner spezifischen Identität kann sich der Glaube, will er nicht den erreichten Status der ,Wiedergeburt‘ verlieren, nicht an der Philosophie orientieren, weil diese für Paulus (1 Kor 1, 20) „Weisheit der Welt“ ist, die im Auge des Glaubenden „Torheit“ ist75. Wenn sich der Glaube um begriffliches Selbstverständnis bemüht, bestimmt er sich vielmehr als ,theologische Wissenschaft‘, die freilich den Glauben auch nicht begründet, garantiert oder erleichtert, da der Glaube nur auf sich selbst gründet (GA 9, 55 f.). Theologie kann aber „den in der Gläubigkeit als ,geschenkter‘ Existenzweise liegenden Ernst ins Gewissen schlagen lassen“ (ebd., 56). Kommen wir schließlich zum rechten Bezug der (,wissenschaftlichen‘) Theologie zur Philosophie. Aus dem Gesagten ist klar, dass es sich dabei nicht um einen ,Begründungszusammenhang‘ handeln oder dass die Philosophie Eingang in das Begriffssystem der Theologie finden kann. Gleichwohl muss bedacht werden, dass im Glauben das „vorchristliche Dasein“ nicht nur „überwunden“, sondern „existenzial-ontologisch mitbeschlossen liegt“; „Überwinden besagt nicht abstoßen, sondern in neue Verfügung nehmen“; die vorchristliche Existenz wird nicht annulliert, sondern neu interpretiert im Glauben. Daraus folgt: „Alle theologischen Begriffe bergen notwendig das Seinsverständnis in sich, das das menschliche Dasein als solches von sich aus hat, sofern es überhaupt existiert“ (63). Deshalb kann die Philosophie, auch wenn es sich dabei nicht um ihre spezifische Aufgabe handelt, von der Theologie aufgenommen werden und als „das formal anzeigende ontologische Korrektiv des ontischen, und zwar vorchristlichen Gehalts der theologischen Grundbegriffe“ (65) fungieren. Beispielhaft nennt Heidegger den Bezug zwischen dem vorchristlichen Schuldbegriff und dem christlichen Begriff der ,Sünde‘ (64 f.)76.

74 „Dass es sich hier um die grundsätzliche (existenziale) Gegenüberstellung zweier Existenzmöglichkeiten handelt, die ein je faktisches, existenzielles, gegenseitiges Ernstnehmen und Anerkennen nicht aus-, sondern einschließt, sollte nicht erst weitläufig diskutiert werden müssen“ (ebd. Anm.). 75 Vgl. Einleitung zu ,Was ist Metaphysik?‘ = GA 9, 379 [s.a.o., bei Anm. 72]. 76 Eine solche klare Unterscheidung zwischen dem Inhalt der ,existenzialen Analytik‘, die Sein und Zeit bot, und dem Inhalt des christlichen Glaubens (das genannte Begriffspaar dient hier nur als Exempel) wurde wenig später von Heideggers Schüler K. Löwith zur Diskussion gestellt; vgl. „Phänomenologische Ontologie und protestantische Theologie“, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 38 (1930), 365 – 399, heute auch in: ders., Aufsätze und Vorträge 1930 – 70. Stuttgart 1971, 9 – 40.

92

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

c) Zum Problem eines ,wissenschaftlichen‘ Verständnisses der Theologie Bisher habe ich versucht, Heideggers Position aus Phänomenologie und Theologie wiederzugeben. Zu beachten ist allerdings auch ein Brief Heideggers an Elisabeth Blochmann vom 8. 8. 1928, in dem er sich zum Hintergrund dieses Vortrags äußert und erklärt, warum der schon druckfertige Text nicht publiziert wurde. Heidegger erläutert, dass der Vortrag bewusst „einseitig“ gewesen sei in der Voraussetzung, dass sowohl Philosophie wie Theologie ,Wissenschaften‘ seien (ontologisch die erste, ontisch die zweite), und vor allem darin, dass er den christlichen Glauben vorausgesetzt habe. Der Grund dafür seien die Adressaten gewesen: er habe zu Theologen gesprochen und nicht von dem ihm gestellten Thema abweichen wollen, d. h. von der Frage, was „ein Theologe von der Phänomenologie lernen“ könne und was nicht. Für seine theologische Zuhörerschaft hat sich Heidegger also entschieden, dem Glauben Rückhalt zu geben und die ,Beunruhigung‘ zu übergehen, die die Philosophie – als radikales Infragestellen – auch im Glaubenden hervorrufen kann. Heidegger drückt die Bedeutung des Vortrags folgendermaßen aus: „er ist für mich […] ein Dokument der Marburger Zeit und er sollte zeigen, wie man, wenn man schon im christlichen protestantischen Glauben steht und Theologie treibt, die Philosophie zu nehmen hat, sofern man sie nur nehmen will als Hilfe, aber nicht als grundsätzliche Beunruhigung“. Heidegger bekennt: „Zwar bin ich persönlich überzeugt, dass Theologie keine Wissenschaft ist“, fügt aber hinzu: „aber ich bin heute noch nicht im Stande, das wirklich zu zeigen“. Freilich darf diese Entwicklung seiner Stellung zur Theologie nicht als eine Herabsetzung derselben missverstanden werden, da es stets darum geht, „daß dabei die große geistesgeschichtliche Funktion der Theologie positiv begriffen ist“77. Im Vortrag von 1927 tritt Heidegger, Theologen gegenüber, also dem Glauben zur Seite, anstatt ihn zu hinterfragen; zugleich ist er aber überzeugt davon, dass nur im ,verunsichernden Hinterfragen‘ die besondere Stellung der Theologie geklärt werden kann. Heideggers Kritik an einem ,wissenschaftlichen‘ Verständnis der Theologie wird dann in einem Text explizit, der im Folgenden kurz in den Blick genommen sei. d) Überwindung eines ,wissenschaftlichen‘ Verständnisses der Theologie im Brief an amerikanische Theologen von 1964 Der Brief vom 11. 3. 1964 enthält, wie der Titel anzeigt, „einige Hinweise auf Hauptgesichtspunkte für das theologische Gespräch über ,Das Problem eines nichtobjektivierenden Denkens und Sprechens in der heutigen Theologie‘“ (GA 9, 77 Alle Zitate aus M. Heidegger; E. Blochmann, Briefwechsel 1918 – 1969. (Hg. J. Storck). Marbach 21990, 24 ff.

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

93

68). Wir können hier von anderen Inhalten des Schreibens absehen78 und uns allein auf die Frage der Wissenschaftlichkeit der Theologie und ihres besonderen Charakters konzentrieren. Zunächst nimmt Heidegger eine schon in Phänomenologie und Theologie vertretene These auf: das ,Was‘ der Theologie ist der christliche Glaube und sein Gegenstand, also das, woran der Glaubende glaubt. Nachdem er diesen Punkt betont hat, zeigt Heidegger, dass er die Frage nach dem, was die Theologie in Bezug auf Inhalt wie Form als ,Wissenschaft‘ kennzeichnet, hinter sich gelassen hat und für überholt hält. Er lädt die Theologen dazu ein, darüber nachzudenken, ob nicht die Aufgabe der Theologie darin bestehe, „endlich […] die Kategorien ihres Denkens und die Art ihrer Sprache nicht durch Anleihen bei der Philosophie und den Wissenschaften aus diesen zu beziehen, sondern sachgerecht aus dem Glauben für diesen zu denken und zu sprechen. Wenn dieser Glaube nach seiner eigenen Überzeugung den Menschen als Menschen in dessen Wesen angeht, dann bedarf das echte theologische Denken und Sprechen auch keiner besonderen Zurüstung, um die Menschen zu treffen und bei ihnen Gehör zu finden“ (ebd., 69). Ist erst das Missverständnis überwunden, die Theologie als ,Wissenschaft‘ verstehen zu wollen, öffnet sich die „positive Aufgabe“ der Theologie (ein Ausdruck, der an den Brief an Blochmann erinnert), die darin besteht, „in ihrem eigenen Bereich des christlichen Glaubens aus dessen eigenem Wesen zu erörtern, was sie zu denken und wie sie zu sprechen hat“ (77). Im Kontext der zitierten Texte klärt sich Heideggers Stellung zum ,glaubenden Dasein‘ und zum ,epistemologischen‘ Status der Theologie. Christlicher Glaube und Theologie werden vom Bereich des ,Weltlichen‘ getrennt, und zwar in einem doppelten Sinn. Wie das philosophische Dasein gehört der christliche Glaube dem Bereich der Transzendenz gegenüber der Totalität der Seienden an: in beiden Fällen steht das ,Da-sein‘ in Bezug zum ,Nicht-sein‘ im bereits genannten, in Was ist Metaphysik? entfalteten Sinn, also nicht als ein nihil negativum, sondern als ein ,Nicht‘ des Seienden, als etwas, das „ein Übersteigen des Seienden im Ganzen“ (Transzendenz) erlaubt (GA 9, 118). Letztlich ist das Nichts „das Nicht des Seienden und so das vom Seienden her erfahrene Sein“79. Und im Verhältnis zur Philosophie steht der christliche Glaube – den Heidegger von seiner faktischen Formfindung in Katholizismus und Protestantismus unterscheidet – in einem weiteren Transzendenzhorizont, den der Glaube zu hüten wissen muss, ohne dass er in der ,Weisheit der Welt‘ aufgeht.

78

Genannt seien insbesondere die im Titel benannten Erwägungen zu einer nichtobjektivierenden Sprache, die in engem Zusammenhang mit der ,nichtwissenschaftlichen‘ Form der Theologie stehen, die Heidegger vorschlägt. 79 Vom Wesen des Grundes = GA 9, 123.

94

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

5. Die Theologie des letzten Gottes und das Sein zum Tode Heideggers Kritik an der metaphysischen Theologie oder Onto-theo-logie hat ihren Grund in seinem Verständnis von Philosophie, vor allem aber in der Kritik an einem Glauben, der meint, mit Hilfe der Philosophie selbsttransparent zu werden. Auch die Kritik an einer als ,Wissenschaft‘ verstandenen Theologie zielt in diese Richtung. Metaphysische Theologie und theologische Wissenschaft sind Teil der falschen Aufnahme der Philosophie durch den Glauben und resultieren aus einem falschen Verständnis des Wesens der Philosophie. Das heißt allerdings nicht, dass die ,theologische‘ Frage – in philosophischem wie religiösem Kontext – keinen Platz in Heideggers Denkhorizont hätte. Das Gegenteil ist der Fall. In einer Abhandlung zur wahren Bedeutung der Metaphysik bei Heidegger widmet sich F.-W. v. Herrmann Heideggers Gott-Denken und stellt fest: „Das Gotthafte des Gottes angesichts seiner Unvergleichbarkeit und Einzigkeit kann nur aus dem Gotte selbst ohne Anhalt am Sein des Seienden angedacht werden. Hier kommt, mit anderen Worten, die phänomenologische Maxime ,Zu den Sachen selbst!‘ für das Fragen nach Gott zum Tragen“80. Von Herrmanns Beobachtungen sind wesentlich für ein rechtes Verständnis von Heideggers Position. Nach der Kritik an einer ,metaphysischen Theologie‘ ist eine Art der Gottrede geboten, die ,phänomenologische Theologie‘ genannt werden könnte. Es handelt sich dabei um eine philosophisch-phänomenologische Theologie, die nicht auf Offenbarung gründet. Allerdings ist die Frage, ob es möglich ist, phänomenologisch von Gott zu sprechen. Muss man sich nicht, wenn es um Gott geht, notwendig auf etwas beziehen, das die Phänomenalität transzendiert? Deum nemo umquam vidit81. Gerade deswegen hat doch die Philosophie den Weg der Metaphysik eingeschlagen, wo sie die Gotteserkenntnis zu ihrer Aufgabe gemacht hat. Es scheint, dass sich Heidegger in Bezug auf die Gottesfrage auf dem Weg der Phänomenologie nach einer unmöglichen ontologischen Transzendenz orientiert; bei der ,phänomenologischen Theologie‘ handelt es sich in Wirklichkeit um ein Oxymoron. Nichtsdestoweniger bemüht sich seit einigen Jahren selbst ein Denker von Rang wie Jean-Luc Marion um eine Art phänomenologischer Theologie. Allerdings betrifft das ,Phänomenologische‘, auf das sich Marion bezieht, nicht die ,Sache Gott‘ selbst, sondern nur die Möglichkeit seines Sich-Gebens, also der Offenbarung. Er sagt: „die intuitive Erfüllung dieses gegeben-geschenkten Seienden erfordert, mehr als eine phänomenologische Analyse, die reale Erfahrung des Geschenktseins – eine Analyse, die der Offenbarungstheologie zukommt. Die Grenze zwischen Phänomenologie und Theologie besteht in der Unterscheidung zwischen der Offenbarung als Möglichkeit und der Offenbarung als geschichtlicher Wirklichkeit. Diese Be-

80 81

v. Herrmann, La Metafisica, 108. Joh 1,18 [Anm. d. Hrsg.].

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

95

reiche dürfen nicht verwechselt werden“82. Die von Marion vorgeschlagene phänomenologische Theologie ist also nicht mit der phänomenologischen Theologie zu vergleichen, auf die sich Heidegger zu beziehen scheint, vor allem da dieser den ,letzten Gott‘ vom Gott der christlichen Offenbarung unterscheidet. M. Zarader hält in ihrer überzeugenden Heidegger-Untersuchung fest, dass „dieser Gott nicht der Gott der Philosophen ist, aber auch nicht der des Glaubenden“83. Diese Bemerkung sollte aber auch zu einem besseren Verständnis der Position Heideggers führen. Das Motiv des ,letzten Gottes‘ ist bisher nur am Rande behandelt worden, wenn auch bereits das Ziel von Heideggers Überlegungen angedeutet worden ist (sofern man hier von einem ,Ziel‘ sprechen kann). Der letzte Gott wird oftmals, obwohl er kaum positiv bestimmt wird, als Überwindung sowohl des philosophischen wie des christlichen Gottes angesehen. Es scheint mir aber angemessener zu sagen, dass für Heidegger der letzte Gott kommt, nachdem die Wahrheitsmöglichkeiten sowohl des metaphysischen Denkens wie des geschichtlichen Christentums erschöpft sind – also nach dem ,Tod Gottes‘ (sofern sich dieser auf die beiden genannten Möglichkeiten bezieht). Damit verbietet sich die Behauptung, der letzte Gott habe rein gar nichts mit dem Gott des christlichen Glaubens zu tun, vor dem Heidegger noch am Schluss seines o.g. Briefs an E. Krebs vom 9. 1. 1919 sein „Dasein und Wirken […] rechtfertigen“ wollte, in denen sich seine ,innere Berufung zur Philosophie‘ (die er als Ausdruck der „ewigen Bestimmung des inneren Menschen“ sieht) verwirklicht. Freilich sagt Heidegger in Beiträge zur Philosophie deutlich: „Der letzte Gott hat seine einzigste Einzigkeit und steht außerhalb jener verrechnenden Bestimmung, was die Titel ,Mono-theismus‘, ,Pan-theismus‘ und ,A-theismus‘ meinen. ,Monotheismus‘ und alle Arten des ,Theismus‘ gibt es erst seit der jüdisch-christlichen ,Apologetik‘, die die ,Metaphysik‘ zur denkerischen Voraussetzung hat“ (GA 65, 411). Kernproblem ist auch hier, was bereits mehrfach betont wurde: nach Heidegger unterliegt die theologische Lehre des Christentums den spekulativen Voraussetzungen der Metaphysik, wodurch die Begegnung mit dem wahren Gott verhindert wird, ja nicht einmal eine Vorbereitung (im Sinn des Bereit-Seins) auf diese Begegnung möglich wird. Die Frage ist jedoch, um welche Begegnung es sich hier handelt. Heidegger spricht vom letzten Gott als Philosoph, bezieht sich aber wohl auf etwas, das jeden Menschen angeht (auch jene Mehrheit, die das nicht versteht), nämlich den Tod. „Wenn wir schon den ,Tod‘ in seinem Äußersten so wenig begreifen, wie wollen wir dann schon dem seltenen Wink des letzten Gottes gewachsen sein?“ (ebd., 405). 82 J.-L. Marion, Le Visible et le révélé. Paris 2005, hier 88. Desweiteren sind eine Reihe von Studien Marions in diese Richtung zu nennen, die er 1989 mit der Veröffentlichung von Réduction et donation. Recherches sur Husserl, Heidegger et la phénoménologie begonnen hatte. 83 M. Zarader, Il debito impensato. Heidegger e l’eredità ebraica. Mailand 1995 (frz. Orig. 1990), 135. Weiter zu Heideggers ,Gott‘ vgl. etwa J. Macquarrie, Heidegger and Christianity. New York 1994 (v. a. Kap. 1, 4 u. 7).

96

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Vielleicht ergibt sich hier ein Anhaltspunkt, die ,Letztheit‘ von Tod und Gott zusammen zu denken. Heideggers Charakterisierung des Menschen als ,Sein zum Tode‘ ist keineswegs ein Ausdruck von Atheismus. Sein und Zeit bietet eine Existenzanalyse des ,Daseins‘, nicht (wie gesagt worden ist) eine ,ontische‘ Lehre von Gott und vom Menschen, die im Widerspruch zur Metaphysik oder zum christlichen Glauben stünde. Den Menschen als Dasein oder „Existenz“ zu fassen, heißt für Heidegger, dass der Mensch die anderen Seienden übersteigt, da er, auf der Grundlage des Seinsverständnisses, sie erscheinen lässt84. Diese Kennzeichnung des Menschen geht jeder philosophischen Anthropologie voraus85. Deshalb stellt das Sein zum Tode keine Seinslehre dar – also die Aussage, dass der Mensch im Nichts endet –, sondern bringt das Existenzial zum Ausdruck, in dem für den Menschen die Möglichkeit bewahrt ist, sich selbst ganz als ,Dasein‘ zu besitzen und mithin ganz sein ,Da‘ zu sein, anstatt sich in der Welt der Uneigentlichkeit zu verlieren. Im Ausgang von dem oben angeführten Zitat aus den Beiträgen könnte man einen Schritt weitergehen. In der phänomenologischen Perspektive Heideggers kann es, im eigentlichen Sinn, keine ,Gotteslehre‘ geben, sondern nur vorbereitende Schritte, die das überwinden, was das Denken daran hindert, die Totalität der Seienden zu transzendieren. Genauer: nachdem Heidegger den Weg der Metaphysik für ungangbar hält und er eine unauflösliche Differenz zwischen Philosophie und Glaube sieht, kann der Weg zur ,theologischen Transzendenz‘ nur in der ,existenziellen Transzendenz‘ gefunden werden kann. Diese stellt aber nicht eine Art von Weg dar, die unmittelbar zu einem Ziel führt; vielmehr führt sie zu Gott im einzig möglichen Sinn, der dem Denken bleibt, nämlich als Bereit-Sein. Hier nun liegt eine Verbindung zwischen Sein und Zeit und Beiträge zur Philosophie nahe. Im ,Dasein‘ daheim – also in einem Selbstverständnis, das nicht ein Loskommen von der ,Unruhe‘ anstrebt (wie es sich auch die augustinische Metaphysik zu eigen gemacht hat), sondern dem urchristlichen Zeitverständnis nahesteht, das ,bereit‘ ist für das Unerwartete –, ist der Mensch, als Sein-zum-Tode, bereit für den ,Vorbeigang‘ des letzten Gottes. Im Licht dieser Überlegungen kann die folgende Bemerkung Heideggers neue Bedeutung gewinnen: „Wie wenige wissen davon, dass der letzte Gott wartet auf die Gründung der Wahrheit des Seyns und somit auf den Einsprung des Menschen in das Da-sein. Statt dessen scheint es so, als müsste und würde der Mensch auf den Gott warten“ (GA 65, 417).

84

„Der Mensch ist ein Seiendes, das inmitten von Seiendem ist, so zwar, dass ihm dabei das Seiende, das er nicht ist, und das Seiende, das er selbst ist, zumal immer schon offenbar geworden ist. Diese Seinsart des Menschen nennen wir Existenz. Nur auf dem Grunde des Seinsverständnisses ist Existenz möglich“ (Kant und das Problem der Metaphysik = GA 3, 227). 85 Vgl. GA 3, 230.

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

97

6. Schlussbemerkungen Im letzten Abschnitt unserer Auseinandersetzung mit Heidegger ging es um seine Kritik an der metaphysischen Theologie, um von daher seinen Denkweg zwischen Philosophie und Glauben zu beleuchten. In diesem Kontext warf die Kritik Severinos an Heideggers Begriff der ontologischen Differenz eine ganz entscheidende Frage auf. Demnach muss Heideggers Seinsbegriff zur Verneinung der Möglichkeit Gottes führen86. Es handelt sich um einen Einwand von großer Tragweite, der besonders im Licht von Severinos Lehre von der Immutabilität des Seins Bedeutung gewinnt87. Hier ging es jedoch allein darum, der inneren Entwicklung von Heideggers Denken in seinem engen und zuweilen schwierigen Verhältnis zum Christentum nachzugehen. Vor diesem Hintergrund könnte sich ein möglicher Einwand gegen Heideggers ,theologischen Ansatz‘ aus den folgenden Beobachtungen A. Molinaros ergeben; im Zentrum steht dabei die Kritik an der onto-theo-logischen Struktur der Metaphysik: „Es ist das eine zu behaupten, dass in der Ontotheologie – insofern sie als Vergessenheit des Seins oder unrechte und unhaltbare Identifikation von Gott und Sein gesehen wird – Gottesrede und Gotteserkenntnis problematisch seien […] Es ist aber etwas anderes zu erklären, dass die Kritik an der Ontotheologie ihren Grund (ihr Warum) in der Tatsache habe, dass der Gott der Ontotheologie nicht haltbar sei, weil man ihn nicht ,singend und betend‘ verehren kann […] In diesem ,Warum‘ ist der verborgene Sinn der Heidegger’schen Ontotheologie zu sehen. Es scheint sich dabei um ein Abgleiten in die Unterscheidungslosigkeit zwischen philosophischer Gotteslehre und Theologie zu handeln, wenigstens aber in ein Hin- und Herschwanken zwischen diesen beiden; letztlich führt dies zu einer Denkhaltung, die den Charakter einer religiösen Philosophie hat“88. Molinaros Überlegungen treffen einen neuralgischen Punkt der Position Heideggers, indem sie zeigen, dass dieser in actu signato den Unterschied zwischen Philosophie und Religiösem zum Extrem treibt, dass diese beiden aber in actu exercito zusammenkommen, sich geradezu vermischen, sodass die ,philosophische‘ Kritik an der Ontotheologie letztlich von einer ,religiösen‘ Kritik am Gott der Metaphysik abzuhängen scheint. Molinaros Beobachtung scheint mir im Kern, hinsichtlich der Zusammenführung der beiden Ebenen, zuzutreffen, auch wenn ich hinzufügen möchte, dass die ,religiöse‘ Kritik am Gott der Metaphysik für Heidegger nicht so sehr das ,Warum‘, sondern eher nachdrückliche Mahnung zur im engeren

86

Zur dieser Kritik Severinos vgl. etwa „La ,differenza ontologica‘“, in: ders., Il muro di pietra. Sul tramonto della tradizione filosofica. Mailand 2006, 109 – 128. 87 Vgl. dazu meine Ausführungen in Il paradiso, 180 – 185. 88 A. Molinaro, „Teologia filosofica tra metafisica e filosofia della religione“, in: Humanitas 59 (2004), 532 – 540, hier 535.

98

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Sinn philosophischen Kritik der Ontotheologie dargestellt haben mag (wobei diese Kritik diskussionsbedürftig bleibt)89. Des Weiteren bleibt die Identifikation von Philosophie und Phänomenologie in Heideggers Denken diskussionswürdig, die sowohl in der Kritik an der Metaphysik (als Konstruktion eines Logos, der die Sache selbst nicht ausdrücke, sondern verdecke) wie in der Kritik an einer als ,Wissenschaft‘ verstandenen Philosophie und Theologie eine große Rolle spielt. Meine Kritik bezüglich dieser, wie ich meine, wesentlichen Aspekte ist im Kontext des hier zum Abschluss gesuchten Gesprächs mit Heidegger, wo die Aufmerksamkeit auf mögliche Gemeinsamkeiten und Anregungen ging, weitgehend implizit geblieben. Zugleich rühren diese Fragen aber an die Grundlagen von Heideggers Behandlung der Gottesfrage. Expliziter habe ich mich ihnen daher bereits in den vorigen Abschnitten des Buchs gewidmet. Es ist aber jedenfalls klar, dass Heideggers Ansatz weder Theologen noch christliche Philosophen gleichgültig lassen kann, sondern Anlass sein sollte, den Glauben – in seiner subjektiven wie objektiven Dimension – eindringlich zu durchdenken. Heidegger war, nach Bernhard Welte, auch der ,große Denker vom Tode‘. Er hat sogar um ein christliches Begräbnis gebeten. So scheint es mir zumindest möglich, wie oben skizziert, eine Verbindung zwischen der Letztheit des Todes und der Letztheit Gottes im Denken Heideggers anzunehmen. Darin lässt sich vielleicht der eigentlichste Sinn seiner, wie wir sie genannt haben, ,phänomenologischen Theologie‘ sehen, die ihren Ort nicht im Horizont der Geschichtlichkeit (wie Heidegger im Gefolge Hölderlins dachte), sondern der Eschatologie hat. Zum Schluss seiner Grabrede für Heidegger (um die dieser selbst gebeten hatte) sagt Welte: „Ist es der Sache angemessen, Martin Heidegger christlich zu beerdigen? Ist es der Botschaft des Christentums angemessen, ist es dem Denkweg Heideggers angemessen? Er jedenfalls hat es gewünscht. Er hat auch sonst seine Verbindung zur Gemeinschaft der Glaubenden nie unterbrochen. Er ist freilich seinen eigenen Weg gegangen, und er hat ihn wohl gehen müssen, seinem Geheiß folgend, und man wird diesen Weg nicht ohne weiteres einen christlichen im üblichen Sinn des Wortes nennen können. Aber es war der Weg des vielleicht größten Suchenden dieses Jahrhunderts. Er suchte wartend und auf die Botschaft horchend den göttlichen Gott und seinen Glanz. Er suchte ihn auch in der Botschaft Jesu“. Der Philosoph Heidegger ist zeit seines Lebens ein Suchender gewesen, und in dieser Suche nach dem Sinn der Philosophie und des Glaubens hat er es auf seine Art verstanden, den

89 Das scheint mir durch Heideggers o.g. Argumentation dafür bestätigt zu werden, dass der Gott der Philosophie nur die causa sui sein könne, als Zielpunkt des metaphysischen Denkens, das auf die Begründung des Seins des Seienden aus sei (vgl. Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik = GA 11, 74 ff.).

II. Die Kritik an der onto-theo-logischen Metaphysik

99

praeambula jenes Glaubens Ausdruck zu verleihen, der ihn „de profundis“, also „aus der Tiefe der Gottesferne zum göttlichen Gott“ rufen ließ90. Heidegger hat dem spekulativen Denken und seinem metaphysischen Gott, also dem Gott der Ontotheologie, die denkende Suche nach dem ,göttlichen Gott‘ gegenüber gestellt. Der Gegensatz ergibt sich aus der Kritik an der ontotheologischen Struktur der Metaphysik, die ihrerseits in dem – nach Heidegger – eigentlicheren Verständnis des Seins gründet. Zugleich aber sucht Heidegger auch nach Möglichkeiten des Denkens, das zu finden, was dem Gott des christlichen Glaubens entspricht (der dem metaphysischen Gott gleichermaßen fern sei). Mir scheint es sich dabei allerdings tatsächlich um einen ,Holzweg‘ zu handeln, zumindest aus der Sicht des spekulativen Denkens. Blendet man die Ontotheologie aus – selbst wenn dies im Namen des ,göttlichen Gottes‘ geschieht –, so ist unklar, welche Erkenntnismöglichkeit dem Denken noch bleibt. Heideggers Ansatz kann nur im Glauben mögliche Erfüllung finden. Nach der Kritik am metaphysischen Gott kann das Denken nur noch schweigen. Das gibt übrigens Heidegger selbst zu, obgleich er dieses Resultat auf die ,heutige‘ Situation seines Denkens beschränkt, nachdem er sich lange mit der christlichen sowie der philosophisch-metaphysischen Theologie beschäftigt hat: „Wer die Theologie, sowohl diejenige des christlichen Glaubens als auch diejenige der Philosophie, aus gewachsener Herkunft erfahren hat, zieht es heute vor, von Gott im Bereich des Denkens zu schweigen“91. Heidegger scheint hier meine Deutung seiner ,phänomenologischen Theologie‘ zu bestätigen, die nach der – als irreversibel erachteten – Kritik an der theologischen Metaphysik allein übrig bleibt92. Man muss, so scheint mir, zur Kenntnis nehmen, dass Heideggers Denken stets – und bis in seinen innersten Kern hinein – ein Element der Suche beinhaltet, deren Resultat eine Öffnung auf das Religiöse hin zuließe. Fraglich ist aber, ob sich nur eine Philosophie, die der ontotheologischen Metaphysik kritisch gegenüber steht und der spekulativen Vernunft Schweigen verordnet, authentisch der Sphäre des Religiösen öffnen kann. Kann nicht auch eine von der griechisch-christlichen Metaphysik inspirierte Philosophie einen wahren Bezug auf die Transzendenz des Göttlichen gegenüber dem Ontischen oder Weltseienden bewahren?

90 B. Welte, „Suchen und Finden. Ansprache zur Beisetzung am 28. Mai 1976“, in: G. Neske (Hg.): Erinnerung an Martin Heidegger. Pfullingen 1977, 253 – 256, hier 253 u. 255. 91 Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik = GA 11, 63. 92 Allerdings findet die volle Rückführung der Theologie auf die Phänomenologie (und nicht mehr auf die Metaphysik) auch Zuspruch. Auf der Grundlage von B. Weltes phänomenologischem, von Heidegger beeinflussten Zugang und seinem Gottesbegriff, der um ,Gestaltwerdung‘ und ,Offenbarungsereignisse‘ kreist, fordert De Vitiis – einer der besten Kenner Heideggers in Italien –, die ,spekulative Theologie‘ durch einen ,philosophischen Offenbarungsbegriff‘ zu ersetzen und präzisiert, dass „eine Religionsphilosophie mit einem solchen Begriff nicht mehr natürliche Theologie, sondern theologische Philosophie ist, die sich aber auf keine spezifischen doktrinalen Elemente der christlichen Theologie im engeren Sinn bezieht“ (De Vitiis, 39).

100

2. Teil: Wahrheit des Seins und Metaphysik

Für Heidegger hat nur der ,Theologe‘, aufgrund des Glaubens, Zugang zur Ewigkeit und kann daher, von der Ewigkeit her, die Zeit in den Blick nehmen. Dem wahren Philosophen hingegen ist eine Überantwortung an den Glauben nicht gestattet; er muss sich daher um ein Zeitverständnis allein von der Zeit selbst her bemühen, das heißt für Heidegger: im Ausgang von dem in seiner strukturellen Zeitlichkeit betrachteten Dasein. Von dieser Grundüberzeugung, die er schon in dem frühen Marburger Vortrag zum Zeitbegriff (1924) klar formuliert hat93, ist Heidegger nie abgewichen. Darin gründet zum großen Teil seine Kritik an der in einem strikt ,spekulativen‘ Sinn verstandenen Philosophie.

93

Der Begriff der Zeit = GA 64, 107 f.

Literaturverzeichnis Aufgenommen ist die von Autor und Herausgeber zitierte Literatur, z. T. in Übersetzungen. Nicht verzeichnet sind die Werke Heideggers (zitiert nach der Heidegger-Gesamtausgabe bei Klostermann, Frankfurt a.M.) sowie editionsunabhängig zitierte Werke (z. B. Augustinus, Thomas, Kant). Agnello, Chiara: Heidegger e Aristotele: verità e linguaggio. Genua 2006 d’Agostini, Franca: Analitici e continentali. Guida alla filosofia degli ultimi trent’anni. Mailand 1997 Ales Bello, Angela: Edmund Husserl. Pensare Dio – Credere in Dio. Padua 2005 – Husserl. Sul problema di Dio. Rom 1985 – L’universo nella coscienza. Introduzione alla fenomenologia di Edmund Husserl, Edith Stein, Hedwig Conrad-Martius. Pisa 2003 Barone, Francesco: „Kant e la logica“, in: G. Micheli/G. Santinello (Hg.), Kant a due secoli dalla Critica. Brescia 1984, 3 – 22 Beaufret, Jean: „Le destin de l’Être et la métaphysique“, in: ders., Dialogue avec Heidegger. Approche de Heidegger. Paris 1974, 15 – 17 Berti, Enrico: Aristotele nel Novecento. Bari 1992 – „Heidegger e il concetto aristotelico di verità“, in: R. Brague/J.-F. Courtine (Hg.), Herméneutique et ontologie. Paris 1990, 97 – 120 Bertuzzi, Giovanni: La verità in M. Heidegger. Dagli scritti giovanili a „Essere e tempo“. Bologna 1991 Boeder, Heribert: „Der frühgriechische Wortgebrauch von Logos und Aletheia“, in: Archiv für Begriffsgeschichte 4 (1959), 82 – 112 Bontadini, Gustavo: Dall’attualismo al problematicismo. Mailand 1996 – Dal problematicismo alla metafisica. Mailand 1996 – (Hg.): I. Kant: Critica della Ragion pura. Brescia 61979 – „La deviazione metafisica all‘inizio della filosofia moderna“, in: ders., Metafisica e deellenizzazione. Mailand 1996, 25 – 35 Bucher, Theodor G.: „Zu Heideggers Verständnis der formalen Logik“, in Heidegger-Studien 22 (2006), 111 – 145 und 23 (2007), 113 – 146 Capelle, Philippe: Philosophie et Théologie dans la pensée de Martin Heidegger. Paris 2001 Carlini, Armando: Che cos’è metafisica? Polemiche e ricostruzione. Rom 1956 Carnap, Rudolf: „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, in: Erkenntnis 2 (1931), 219 – 241

102

Literaturverzeichnis

Casper, Bernhard: „Martin Heidegger und die theologische Fakultät 1909 – 1923“, in: Freiburger Diözesan-Archiv 100 (1980), 534 – 541 Cassirer, Ernst: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd. 2. Berlin 1922 – „Die Philosophie der Griechen von den Anfängen bis Platon“, in: M. Dessoir (Hg.), Lehrbuch der Philosophie. Bd. 1. Berlin 1925, 7 – 139 Cazzullo, Anna: Il problema del logos nel primo Heidegger. Mailand 1987 Chiereghin, Franco: Essere e verità. Note a „Logik. Die Frage nach der Wahrheit“ di Martin Heidegger. Trient 1984 Colonnello, Pio: Heidegger interprete di Kant. Genua 1981 – „Un progetto di riforma della soggettività trascendentale: la ,Vorlesung‘ heideggeriana del 1925 – 26“, in: Filosofia oggi 11 (1988), 629 – 640 De Vitiis, Pietro: Filosofia della religione fra ermeneutica e postmodernità. Brescia 2010 Fabris, Adriano: „Soggetto ed essere nell‘interpretazione heideggeriana di Kant“, in: Teoria 7 (1987), 105 – 119 Ferraris, Maurizio (Hg.): Storia dell’ontologia. Mailand 2009 Gadamer, Hans-Georg: „Hegel und Heraklit“ (1990), in: ders., Gesammelte Werke. Bd. 7. Tübingen 1991, 32 – 42 – Heideggers Wege (= Gesammelte Werke 3). Tübingen 1987 – Wahrheit und Methode (= Gesammelte Werke 1). Tübingen 1990 Gentile, Giovanni: Der aktuale Idealismus. Tübingen 1931 – La riforma della dialettica hegeliana. Messina 1913 – Sistema di logica come teoria del conoscere. 2 Bde. Florenz 1959 Ghigi, Nicoletta: La Metafisica in Edmund Husserl. Mailand 2007 Giusti, Roberto: La potenza dell’origine. Heidegger interprete di Aristotele. Neapel 2000 Hadot, Pierre: Le voile d’Isis. Essai sur l’historie de l‘idée de Nature. Paris 2004 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1 u. 2. Leipzig 1923 Heidegger, Martin/Blochmann, Elisabeth: Briefwechsel 1918 – 1969. (Hg. J. Storck). Marbach 2 1990 von Herrmann, Friedrich-Wilhelm: „Esperienza vissuta di significatività – trascendenza ed orizzonte – evento-appropriazione. L’unità nella trasformazione del pensiero di Martin Heidegger“, in: C. Gentili/F.-W. v. Herrmann/A. Venturelli (Hg.), Martin Heidegger trent’ anni dopo. Genua 2009, 23 – 40 – Hermeneutik und Reflexion. Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl. Frankfurt 2000 – La Metafisica nel pensiero di Heidegger. Dt.-ital. Rom 2004

Literaturverzeichnis

103

Löwith, Karl: „Phänomenologische Ontologie und protestantische Theologie“, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 38 (1930), 365 – 399, heute auch in: ders., Aufsätze und Vorträge 1930 – 70. Stuttgart 1971, 9 – 40 Lugarini, Leo: „La logica nell‘orizzonte di ,Essere e tempo‘“, in: Il pensiero 31 (1991), 103 – 117 Macquarrie, John: Heidegger and Christianity. New York 1994 Marafioti, Rosa M.: Il ritorno a Kant di Heidegger. La questione dell’essere e dell‘uomo. Mailand 2012 Marion, Jean-Luc: Il prisma metafisico di Descartes. Costituzione e limiti dell’onto-teo-logia nel pensiero cartesiano. Mailand 1998 – Le Visible et le révélé. Paris 2005 – Réduction et donation. Recherches sur Husserl, Heidegger et la phénoménologie. Paris 1989 Marx, Werner: Heidegger und die Tradition: Eine problemgeschichtliche Einführung in die Grundbestimmungen des Seins. Stuttgart 1961 Maschietti, Stefano: L’interpretazione heideggeriana di Kant. Sulla disarmonia di verità e differenza. Bologna 2005 Masullo, Aldo: „La ,cura‘ in Heidegger e la riforma dell’intenzionalità husserliana“, in: Archivio di filosofia 57 (1989), 377 – 394 – Paticità e indifferenza. Genua 2003 – „Soggetto ,patico‘ e fine del trascendentale“, in: Paradigmi 6 (1988), 159 – 200 Messinese, Leonardo: „Alcune riflessioni sulla genesi e il senso del trascendentale moderno“, in: R. Perini (Hg.), Sul trascendentale moderno. Genesi, struttura, problemi. Neapel 2004, 153 – 163 – Armando Carlini. Rom 2012 – Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit. Berlin 2007 – „Hegel e Kant: critica della conoscenza e critica della metafisica“, in: Aquinas 36 (1993), 47 – 70 – Heidegger e la filosofia dell’epoca moderna. L’,inizio‘ della soggettività: Descartes. Rom 2010 – Il cielo della metafisica. Filosofia e storia della filosofia in Gustavo Bontadini. Soveria Mannelli 2006 – Il paradiso della verità. Incontro con il pensiero di Emanuele Severino. Pisa 2010 – L’apparire del mondo. Dialogo con Emanuele Severino sulla ,struttura originaria‘ del sapere. Mailand 2008 – „La teologia razionale e la determinazione dell‘Altro dall‘esperienza“, in: Rivista di Filosofia Neo-Scolastica 101 (2009), 533 – 555 Micheletti, Mario: La teologia razionale nella filosofia analitica. Rom 2010 Molinaro, Aniceto: „Parmenide ed Eraclito. Alle origini dell’analogia?“, in: G. Casetta (Hg.), Origini e sviluppi dell’analogia. Da Parmenide a S. Tommaso. Rom 1987

104

Literaturverzeichnis

– „Teologia filosofica tra metafisica e filosofia della religione“, in: Humanitas 59 (2004), 532 – 540 Müller, Max: Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart. Heidelberg 21958 Nietzsche, Friedrich: Werke. Kritische Studienausgabe. München 1999 Ott, Hugo: „Zu den katholischen Wurzeln im Denken Martin Heideggers. Der theologische Philosoph“, in: C. Jamme/K. Harries (Hg.), Martin Heidegger. Kunst – Politik – Technik. München 1992, 225 – 239 Paolinelli, Marco: La ragione salvata. Sulla ,filosofia cristiana‘ di Edith Stein. Mailand 2001 Papenfuss, Dietrich/Pöggeler, Otto (Hg.): Zur Philosophischen Aktualität Heideggers. Bd. 2. Frankfurt 1990 Penati, Giancarlo: Alienazione e verità. Brescia 1972 Perego, Vittorio: Finitezza e libertà. Heidegger interprete di Kant. Mailand 2001 Pöggeler, Otto: Der Denkweg Martin Heideggers. Pfullingen 31990 – Neue Wege mit Heidegger. Freiburg/München 1992 – „Svolta o continuità nel pensiero di Heidegger?“, in: Rivista di filosofia 83 (1992), 24 – 49 Poggi, Stefano: „Apofantica, ermeneutica e negazione. Una lettura del Natorp-Bericht“, in: E. Mazzarella (Hg.), Heidegger a Marburgo (1923 – 1928). Genua 2006, 41 – 53 – La logica, la mistica, il nulla. Un‘interpretazione del giovane Heidegger. Pisa 2006 Przywara, Erich: Analogia entis. Metaphysik. Ur-Struktur und All-Rhythmus. Einsiedeln 31996 Rebernik, Pavel: Heidegger interprete di Kant. Finitezza e fondazione della metafisica. Pisa 2007 Ross, William D.: Aristotle. London 61995 Ruggenini, Mario: Il Dio assente. La filosofia e l‘esperienza del divino. Mailand 1997 Sainati, Vittorio (Hg.): Aristotele: Organon. Florenz 1971 Schlick, Moritz: „Die Wende der Philosophie“, in: Erkenntnis 1 (1930), 4 – 11 Seubert, Harald: „La logica come domanda sulla verità negli anni di Marburgo di Heidegger“, in: E. Mazzarella (Hg.), Heidegger a Marburgo (1923 – 1928). Genua 2006, 259 – 291 Severino, Emanuele: Heidegger e la metafisica. Brescia 1950/Neuausgabe Mailand 1994 – Il destino della necessità. Mailand 1980 – „Il nichilismo e Heidegger“, in: ders. Immortalità e destino. Mailand 2006, 153 – 157 – „La ,differenza ontologica‘“, in: ders., Il muro di pietra. Sul tramonto della tradizione filosofica. Mailand 2006, 109 – 128 Stagi, Pierfrancesco: Il giovane Heidegger. Verità e rivelazione. Teramo 2010 Stein, Edith: Endliches und ewiges Sein. Freiburg 2006 Ugazio, Ugo: „L’Aristotele del primo Heidegger“, in: Annuario filosofico 6 (1990), 369 – 388 Verra, Valerio: „Introduzione“ in: M. Heidegger, Kant e il problema della metafisica. Bari 1985, VII-XXIII

Literaturverzeichnis

105

Vigna, Carmelo: Bontadini e la metafisica. Mailand 2008 – „Episteme“, in: V. Melchiorre (Hg.), Pensare l’essere. Percorsi di una nuova razionalità. Turin 1989, 29 – 58 Vinci, Paolo: Soggetto e tempo: Heidegger interprete di Kant. Rom 1988 Vitiello, Vincenzo: „Dialettica e ripetizione: Gentile e Heidegger“, in: Archivio di Filosofia 57 (1989), 51 – 72 – „Heidegger, Kant e il problema della cosa“, in: M. Heidegger, La questione della cosa. Neapel 1989, 7 – 31 Volkmann-Schluck, Karl-Heinz: Einführung in das philosophische Denken. Frankfurt 31981 Volpi, Franco: Heidegger e Aristotele. Padua 1984 – (Hg., Übers.): M. Heidegger: I concetti fondamentali della filosofia antica. Milano 2000 – „La trasformazione della fenomenologia da Husserl a Heidegger“, in: Teoria 4 (1984), 125 – 162 – „Soggettività e temporalità: considerazioni sull’interpretazione heideggeriana di Kant alla luce delle lezioni di Marburgo“, in: G. Micheli/G. Santinello (Hg.), Kant a due secoli dalla Critica. Brescia 1984, 161 – 179 Wahl, Jean: Verso la fine dell’ontologia. Studio sull’Introduzione alla Metafisica di Heidegger. Mailand 1971 Weischedel, Wilhelm: Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus. Darmstadt 1994 – Die Frage nach Gott im skeptischen Denken. Berlin 1976 Welte, Bernhard: „Suchen und Finden. Ansprache zur Beisetzung am 28. Mai 1976“, in: G. Neske (Hg.): Erinnerung an Martin Heidegger. Pfullingen 1977, 253 – 256 Zarader, Marlène: Heidegger e le parole dell’origine. Mailand 1997 – Il debito impensato. Heidegger e l’eredità ebraica. Mailand 1995

Personenverzeichnis Nicht verzeichnet ist aufgrund der nahezu durchgängigen Nennung der Name Heideggers. Agnello, Chiara, 38, 101 d’Agostini, Franca, 66, 101 Ales Bello, Angela, 72 f., 101 Anaximander, 11, 15, 18 – 20, 30 Anaximenes, 20 Aristoteles, 13, 15, 17, 20, 23, 25, 29 – 31, 37 – 39, 44, 47, 52 f., 55 f., 58, 61, 67, 71, 77 f., 84, 86 f., 101 f., 104 f. Aurelius Augustinus, 45, 60, 82, 96

Fabris, Adriano, 38, 102 Ferraris, Maurizio, 70, 102

Barone, Francesco, 48, 101 Beaufret, Jean, 24, 78, 101 Berti, Enrico, 38, 101 Bertuzzi, Giovanni, 38, 101 Blochmann, Elisabeth, 92 f., 102 Boeder, Heribert, 17, 101 Bontadini, Gustavo, 45, 50, 64 f., 69, 79, 81, 101, 103 Brague, Rémi, 38, 101 Bröcker, Walter, 20 Bucher, Theodor G., 5, 101

Hadot, Pierre, 27, 102 Harries, Karsten, 88, 104 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 5, 11, 13, 17, 20, 25, 28, 30, 34 f., 46, 53 f., 56 f., 61, 63, 78, 82, 102 f. Heraklit, 9, 11, 13 – 35, 102 Herrmann, Friedrich-Wilhelm von, 6 f., 16, 41, 73, 82, 94, 102 Hölderlin, Friedrich, 13, 15, 25, 28, 98, Husserl, Edmund, 16, 24, 37, 39, 41, 55, 67 f., 72 f., 95, 101 – 103, 105

Capelle, Philippe, 83, 101 Carlini, Armando, 66, 101, 103 Carnap, Rudolf, 66 f., 101 Casetta, Giuseppe, 14, 103 Casper, Bernhard, 88, 102 Cassirer, Ernst, 9, 42 – 46, 102 Cazzullo, Anna, 38, 102 Chiereghin, Franco, 38, 102 Colonnello, Pio, 38, 40, 102 Conrad-Martius, Hedwig, 72, 101 Courtine, Jean-François, 38, 101 Descartes, René, 16, 45, 75, 84, 103 Dessoir, Max, 43, 102 De Vitiis, Pietro, 88, 99, 102 Diels, Hermann A., 30

Gadamer, Hans-Georg, 13, 19 f., 24 f., 33 f., 53 – 55, 58, 66, 86, 102 Gentile, Giovanni, 46, 61, 64 f., 102, 105 Gentili, Carlo, 82, 102 Ghigi, Nicoletta, 72, 102 Giusti, Roberto, 38, 102

Jamme, Christoph, 88, 104 Jaspers, Karl, 69 Kant, Immanuel, 9, 36 – 51, 61, 63 – 70, 77, 83, 96, 101 – 105 Krebs, Engelbert, 88, 95 Leibniz, Gottfried Wilhelm, 36, 78 Löwith, Karl, 86, 91, 103 Lugarini, Leo, 53 f., 56 f., 103 Macquarrie, John, 95, 103 Marafioti, Rosa M., 39, 103 Marion, Jean-Luc, 84, 94 f., 103 Marx, Werner, 17 f., 103 Maschietti, Stefano, 38, 103 Masullo, Aldo, 39, 103

Personenverzeichnis Mazzarella, Eugenio, 36, 67, 104 Melchiorre, Virgilio, 58, 105 Messinese, Leonardo, 5 – 7, 16, 24, 46, 64, 66, 71, 79 f., 103 Micheletti, Mario, 70, 103 Micheli, Giuseppe, 38, 48, 101, 105 Mörchen, Hermann, 20 f. Molinaro, Aniceto, 6, 14, 97, 103 Müller, Max, 70, 104 Neske, Günther, 99, 105 Nietzsche, Friedrich, 25, 28, 64 – 66, 80, 104 Ott, Hugo, 88, 104 Paolinelli, Marco, 73, 104 Papenfuss, Dietrich, 86, 104 Parmenides, 11, 14 f., 18 – 22, 24 – 27, 29 f., 58, 80, 103 Pascal, Blaise, 84 Paulus (Apostel), 82, 91 Penati, Giancarlo, 38, 104 Perego, Vittorio, 38, 104 Perini, Roberto, 66, 103 Platon, 15, 76, 79, 87, 102 Pöggeler, Otto, 37, 41 f., 86, 104 Pöltner, Günther, 5 Poggi, Stefano, 67, 82, 104 Przywara, Erich, 63, 104 Rebernik, Pavel, 39, 104 Reinach, Adolf, 72 Reinhardt, Karl, 21

107

Ross, William D., 47, 52, 104 Ruggenini, Mario, 87, 104 Sainati, Vittorio, 52, 104 Santinello, Giovanni, 38, 48, 101, 105 Schlick, Moritz, 66, 104 Seubert, Harald, 36 f., 104 Severino, Emanuele, 5, 35, 38, 71, 79 f., 97, 103 f., Spinoza, Baruch, 84 Stagi, Pierfrancesco, 83, 104 Stein, Edith, 72 f., 104 Storck, Joachim W., 92, 102 Thales, 20 Thomas von Aquin, 14, 49, 77, 84, 103 Ugazio, Ugo, 38, 104 Venturelli, Aldo, 82, 102 Verra, Valerio, 38, 104 Vigna, Carmelo, 58, 65, 105 Vinci, Paolo, 38, 105 Vitiello, Vincenzo, 38, 60 f., 105 Volkmann-Schluck, Karl-Heinz, 76 f., 105 Volpi, Franco, 20, 22, 37 – 39, 55, 58, 105 Wahl, Jean, 28, 105 Weischedel, Wilhelm, 70, 81, 105 Welte, Bernhard, 98 f., 105 Wittgenstein, Ludwig, 66, 69 Zarader, Marlène, 16 – 19, 95, 105