Hegels Theorie der Sünde: Die subjektivitäts-logische Konstruktion eines theologischen Begriffs [Aufl ed.] 3110066505, 9783110066500, 9783110843972

248 119 8MB

German Pages 302 [300] Year 1976

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Hegels Theorie der Sünde: Die subjektivitäts-logische Konstruktion eines theologischen Begriffs [Aufl ed.]
 3110066505, 9783110066500, 9783110843972

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1: Zur Behandlung des Mythus Gen 3
a) Begriff des Mythus
b) Begriff der Vorstellung
c) Phänomenologie der religiösen Vorstellung
d) Vorstellung und Gottesbegriff
e) Das Begreifen der Vorstellung: die Vernunftthematik
Kapitel 2: Dialektik der Unschuld
a) Paradies
b) Unschuld als Widerspruch
c) Naturzustand
d) Kritik des Vorstellungskomplexes
e) Logik der Subjektivität
Kapitel 3: Der Fall
a) Methodologische Erwägungen
b) Die Entzweiungsthematik
c) Antinomik der Entfremdung
d) Vorspiel des Heils
e) Der Fall des Denkens
Kapitel 4: Die Konstruktion des Sündenbegriffs
a) Konstitution des Selbstbewußtseins als Krise
b) Radikalisierung des Sündenbegriffs und die Geschichte des religiösen Bewußtseins
c) Transzendentalität des Sündenbegriffs und die Phänomenologie des Sündenbewußtseins 84
d) Funktion der Erbsündenvorstellung
e) Zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde
Exkurs I: Kierkegaards „Der Begriff Angst“ - Erste Antikritik
Kapitel 5: Sünde und Gottesgedanke
a) Selbstbewußtsein und Gottesgedanke
b) Das Problem der „Notwendigkeit“ von Sünde
c) Sünde und absoluter Geist
d) Absoluter Geist als Bewegung von „Form“ und „Inhalt“
Exkurs II: Das Pantheismusproblem - Substanz und Subjekt
a) Substanz als Subjekt: Versuch einer Interpretation
b) Kritik des Pantheismus
c) Die religiöse Genese des Subjektivitätsprinzips
d) Pantheismus und Sündenbegriff
Kapitel 6: Sünde und Versöhnung
a) Selbstbewußtsein und Versöhnung
b) Das Problem der Einheit von Gut und Böse
c) Die Nichtigkeit von Sünde
d) Versöhnung und Sittlichkeit
Exkurs III: Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode“ — Zweite Antikritik
Exkurs IV: Die Hegelkritik J. Müllers
Kapitel 7: Subjektivität als Freiheit
Literaturverzeichnis
a) Quellen
b) Allgemeine Literatur
c) Literatur zum Thema
Zitierverfahren
Namenregister
Begriffsregister

Citation preview

JOACHIM

RINGLEBEN

HEGELS T H E O R I E DER SÜNDE

w DE

G

HEGELS THEORIE DER SÜNDE DIE SUBJEKTIVITÄTS-LOGISCHE K O N S T R U K T I O N EINES THEOLOGISCHEN BEGRIFFS

VON JOACHIM RINGLEBEN

WALTER DE G R U Y T E R · B E R L I N · NEW YORK 19 77

THEOLOGISCHE

BIBLIOTHEK

H E R A U S G E G E B E N K. A L A N D ,

K . G . K U H N ,

C . H . RATSCHOW 31.

CIP-Kurztitelaufnahme

TÖPELMANN

VON U N D

E . S C H L I N K

BAND

der Deutschen

Bibliothek

Ringleben, Joachim Hegels Theorie der Sünde : d. subjektivitäts-log. Konstruktion e. theol. Begriffs. — 1. Aufl. — Berlin, N e w York : de Gruyter, 1976. (Theologische Bibliothek Töpelmann : Bd. 31) ISBN 3-11-006650-5 © 1976 b y Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 (Printed in Germany). Alle Redite, insbesondere das der Übersetzung in f r e m d e Sprachen, vorbehalten. O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: K u p i j a i & Prodinow, 1 Berlin 61 · E i n b a n d : F u h r m a n n , 1 Berlin 36

Dem Andenken von Emanuel Hirsch

VORWORT Es ist unverkennbar, daß der Begriff der Sünde und des Bösen nicht nur als Denkmal traditionsreicher theologischer und philosophischer, zugleich höchst komplexer Schwierigkeiten und ihrer Lösungsversuche, sondern vielmehr noch als ein für sich und gegenwärtig Verstehen fordernder Begriff besonderes theoretisches Interesse auf sich zieht. Freilich gewinnt die Einsicht in den anspruchsvollen Theoriecharakter des Sündenbegriffes in dem Maße Evidenz, als mit diesem Begriff auch die Anstrengung seiner Explikation sich verbindet: der Begriff der Sünde und des Bösen gehört insofern zu den Begriffen, deren Vernunftinteresse mit und in Gestalt ihrer Theorie allein sich artikulieren kann. Dieser Sachverhalt schon läßt die eindringlidie Bemühung um gerade Hegels Konstruktion des Sündenbegriffs als ebenso naheliegend wie verlockend erscheinen. Hegels Gedanken über die Sünde und das Böse haben in der Literatur bislang nur im Kontext umfassender Darstellungen, gleichsam beiläufig, oder mehr in Gestalt knapper Exposition ihrer Probleme Aufmerksamkeit gefunden. Angesichts dieser Lage vermag der hier vorgelegte Versuch, sie im Zusammenhang für sich, monographisdi zu behandeln, sich der Reihe von Darstellungen ergänzend einzuordnen, die andere im deutschen Idealismus hervorgetretene Rezeptionen des Sündenbegriffs — zumeist verbunden mit einer philosophischen Interpretation des Sündenfall-Mythus — zum Thema haben. Daß gerade ein Denken vom Rang des Hegeischen in dieser Reihe nicht ausführlich genug vertreten war, mochte als philosophie- bzw. theologiegeschichtliche Lücke empfunden werden. Hegels begreifende Zuwendung zur Sündenthematik beschränkt sich nun weder auf vereinzelte Gedanken zu einem durch die Tradition vorgegebenen Thema, die als solche zu sammeln und irgendwie zu ordnen wären, noch auf einen gelegentlichen philosophischen Exkurs über einen eigentlich abliegenden Gegenstand. Daß sie sich vielmehr in einem theoretischen Konzept ausspricht, dessen systematische Kohärenz in der seiner ganzen Philosophie gedacht werden muß, macht eine Rekonstruktion von Hegels „Theorie der Sünde" zu einem gleichermaßen systematisch relevanten Anliegen. Und eben die erstaunliche Extensität, mit

δ

Vorwort

der Hegel sich diesem Thema widmet, hat wohl gerade dazu beigetragen, daß in der Fülle seiner Bezugnahmen darauf in ganz unterschiedlichen systematischen Perspektiven dessen Theoriezusammenhang als soldier verborgen blieb. Dieser konnte und kann in seiner durch nahezu sämtliche Schriften Hegels reichenden Funktion erst dann sichtbar werden, wenn die der Hegeischen Religionsphilosophie für das Gesamtsystem zukommende Bedeutung nidit verkannt wird. Die vorliegende Arbeit wurde im Februar 1974 von der Theologischen Fakultät der Christian-Albredits-Universität Kiel als Dissertation im Fach Systematische Theologie angenommen. Sie erscheint beinahe unverändert und nur in den Anmerkungen geringfügig überarbeitet im Druck. Auf Wunsch der Herausgeber wurde sie allerdings um den vierten Exkurs vermehrt. Für überaus förderliche Beratung und unermüdliches Interesse während meiner Arbeit bin ich Herrn Prof. Dr. H.-J. Birkner in dauernder Dankbarkeit verpflichtet. Auch als Referenten schulde ich ihm und Herrn Prof. Dr. H . Gerdes großen Dank. Für vielseitige Anregungen und Hilfe danke ich auch den Herren Professoren Dr. H.-W. Schütte und Dr. Dr. W. Trillhaas, in deren Göttinger Sozietät ich Gelegenheit zum Lernen und zur Diskussion meiner Thesen fand. Studium und Doktoranden-Zeit hätten für mich nicht sein können, was sie waren, ohne die großzügigste Unterstützung durch die Studienstiftung des deutschen Volkes. Ihr gilt mein aufrichtiger Dank in besonderem Maße. Der Universität Kiel und der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers schulde ich Dank für die Ermöglichung der Drucklegung durch namhafte Zuschüsse. Und den Herren Herausgebern danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe. Das Buch ist demjenigen zugeeignet, der meine Aufmerksamkeit auf das Thema und auf die Philosophie des deutschen Idealismus überhaupt gelenkt hat. Ich bedauere, daß idi den Abschluß dieser Arbeit, deren Anfänge er mit gütiger Teilnahme bedachte, nicht mehr dem Lebenden anzeigen kann. Ob sie in Durchführung und Ergebnissen seinen Ansichten entsprechen würde, erscheint mir fraglich. Gleichwohl kennzeichnet es den Menschen und den theologischen Forscher und Denker Em. Hirsch gerade, daß er die abweichende Selbständigkeit eigenen wissenschaftlichen Weges begrüßt hätte. Dieser Freiheit weiß ich das Buch dankbar gewidmet. J. R.

INHALT Vorwort

7

Einleitung

13

Kapitel 1: Zur Behandlung des Mythus Gen 3 a) Begriff des Mythus b) Begriff der Vorstellung c) Phänomenologie der religiösen Vorstellung d) Vorstellung und Gottesbegriff e) Das Begreifen der Vorstellung: die Vernunftthematik

22 23 25 27 29 32

Kapitel 2: Dialektik der Unschuld a) Paradies b) Unschuld als Widerspruch c) Naturzustand d) Kritik des Vorstellungskomplexes e) Logik der Subjektivität

38 38 39 41 43 46

Kapitel 3: Der Fall a) Methodologische Erwägungen b) Die Entzweiungsthematik c) Antinomik der Entfremdung d) Vorspiel des Heils e) Der Fall des Denkens

50 50 52 55 59 62

Kapitel 4: Die Konstruktion des Sündenbegriffs a) Konstitution des Selbstbewußtseins als Krise b) Radikalisierung des Sündenbegriffs und die Geschichte des religiösen Bewußtseins c) Transzendentalität des Sündenbegriffs und die Phänomenologie des Sündenbewußtseins

65 65 79 84

Inhalt

10

d) Funktion der Erbsündenvorstellung e) Zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde

90 97

Exkurs I: Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

106

Kapitel 5: Sünde und Gottesgedanke

116

a) b) c) d)

117 123 135 145

Selbstbewußtsein und Gottesgedanke Das Problem der „Notwendigkeit" von Sünde Sünde und absoluter Geist Absoluter Geist als Bewegung von „Form" und „Inhalt"

Exkurs II: Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

154

a) b) c) d)

155 170 178 189

Substanz als Subjekt: Versuch einer Interpretation Kritik des Pantheismus Die religiöse Genese des Subjektivitätsprinzips Pantheismus und Sündenbegriff

Kapitel 6: Sünde und Versöhnung

192

a) b) c) d)

193 202 222 227

Selbstbewußtsein und Versöhnung Das Problem der Einheit von Gut und Böse Die Nichtigkeit von Sünde Versöhnung und Sittlichkeit

Exkurs III: Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik ..

245

Exkurs IV: Die Hegelkritik J. Müllers

261

Kapitel 7: Subjektivität als Freiheit

282

Literaturverzeichnis

287

a) Quellen b) Allgemeine Literatur c) Literatur zum Thema

287 288 290

Zitierverfahren

292

Namenregister

293

Begriffsregister

295

Ein geflickter Strumpf besser als ein zerrissener; nicht so das Selbstbewußtsein. Hegel Verbotene Frucht, wie der Lorbeer, aber ist Am meisten das Vaterland. Die aber kost Ein jeder zuletzt. nemlich zu Hauß ist der Geist Nicht im Anfang, nicht an der Quell. Ihn zehret die Heimath. Kolonie liebt, und tapfer Vergessen der Geist. Hölderlin

EINLEITUNG 1. Hegels Religionsphilosophie läßt sich verstehen als eine Theorie des religiösen Bewußtseins im Horizont der nachkantisdien Denkbedingungen. Insbesondere audi die Lehre vom absoluten Geist 1 ermöglicht es, die Probleme der Religionsphilosophie unter den Bedingungen neuzeitlicher Subjektivität zu erörtern, und Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Religion" sind der großangelegte Versuch, sie unter diesen Bedingungen einer konsequenten Ausgestaltung und Lösung zuzuführen. Diese Religionsphilosophie vollendet sich in einer Christentumsdeutung, die als wesentliche Leistung des Christentums Begründung und Freisetzung des Prinzips Subjektivität begreift. Neuzeitliche Subjektivität, unter deren Bedingungen die Hegelsdie Philosophie als ganze selber steht, verdankt sich demnach der Vollendung menschheitlichen Autonomiebewußtseins in der spezifischen Gestalt des christlichen Gottes- und Freiheitsbewußtseins. Die Konstitution des Prinzips freiheitlich verfaßter Subjektivität, in dem sich das Selbstverständnis neuzeitlicher Humanität erfüllt, im christlichen Gottesglauben als den zentralen Problemhorizont der Hegeischen Religionsphilosophie durchsichtig zu machen, ist die entscheidende Aufgabe ihrer Interpretation. Dieser Aufgabenstellung weiß sich die vorliegende Arbeit als ihrem allgemeinsten Rahmen verpflichtet. Hegels Religionsphilosophie thematisiert auch einen Begriff, der in der Selbstverständigung christlichen Glaubens von jeher eine zentrale Rolle gespielt h a t : den Begriff Sünde. In der Aufnahme dieser Thematik 1

cf. dazu neuerdings: M. Theurtissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970. In diesem Buche, das ein großes Desiderat der Hegel-Forschung, nämlich hinsichtlich detaillierter Textexegese, exemplarisch erfüllt, werden bei der Interpretation der §§ 568 und 569 der Enzyklopädie auch wesentliche Gesichtspunkte von Hegels Sündentheorie herausgearbeitet (a. a. O. S. 267 ff.). Eine systematische Entfaltung dieser Theorie ist im Rahmen seiner Exegese des Enzyklopädie-Textes von Theunissen freilich nicht intendiert.

14

Einleitung

durch Hegel im Zusammenhang seiner Theorie des religiösen Bewußtseins und besonders seiner Christentumstheorie findet meine Arbeit ihr Problem. Es besteht in der Frage, wie bei Hegel Subjektivitätsthematik und Sündenbegriff einander zugeordnet sind. Dabei ist von Wichtigkeit, daß die Rezeption des Sündenbegriffs zu einer förmlichen Theorie ausgestaltet ist, die sidi keineswegs auf den Zusammenhang der Religionsphilosophie im engeren Sinn beschränken läßt. Welche Funktion also übernimmt der Sündenbegriff bei Hegel als Interpretationsmoment von Subjektivität? Und für welchen Sachverhalt steht dieser Begriff in einer Theorie des Selbstbewußtseins? Läßt sich jene Zuordnung besdireiben, so kann die dem Sündenbegriff eigentümliche Funktion für Hegels Christentumstheorie zu einer Durchsichtigkeit kommen, in der sich Freiheitsthematik und Sündenthematik wechselseitig interpretieren. Dergestalt wird die Arbeit zu zeigen haben, in welchem Sinne sich der Sündenbegriff für eine Theorie freiheitlich verfaßter Subjektivität als unverzichtbar erweist. Es ist evident, daß dieses Unternehmen nicht durdiführbar ist ohne ständige Auseinandersetzung mit der Kritik und Bestreitung von Hegels Sündenlehre. Diese Diskussion begleitet daher die Analysen jedes Kapitels. Doch soll sie in ihrem grundsätzlichen Sinn bereits hier skizziert werden. 2. Die vorliegenden Untersuchungen sind um Nachweis und Explikation der These bemüht, daß für Hegels Lehre von der Sünde seine Subjektivitätstheorie konstitutiv ist. Das impliziert den Anspruch, daß Hegels Sündenlehre nur im Zusammenhang seiner Theorie von Subjektivität zu begreifen und zu beurteilen ist. Sinn und Bedeutung dieser These ergeben sich aus der Tatsache, daß besonders seit Kierkegaard 2 und vor allem in theologischer Hegelkritik das Recht der Subjektivität polemisch gegen Hegel als Denker einer logisch-metaphysischen Notwendigkeit geltend gemacht zu werden pflegt 3 . Der Ansatz solcher Kritik erfährt in der Durchführung der ange2 3

cf. unten die Exkurse I und III. So betont z.B. Schmidt (1952).a.a.O. immer wieder abstrakt das Unbegreifliche, das der christliche Gottesgedanke und Glaube für spekulatives Begreifen habe, und wirft Hegel durchgängig vor, die Schranken der „menschlichen Vernunft" überschritten zu haben; cf. a. a. O. S. 32—35, 80, 96, 106 f., 110, 155, 161, 176 f., 186, 194, 200, 206, 212, 231, 239 f., 252, 255. Im Sinne der Unvereinbarkeit von „logisch-metaphysischem Prozeß" und Subjektivität kritisiert neuerdings auch W. Trillhaas Hegels Sündenlehre (cf. a. a. O. S. 599,

Einleitung

15

deuteten These dieser Arbeit eine prinzipielle Korrektur insofern, als sie herausarbeitet, daß in diesem Streit zumindest eine Theorie von Subjektivität gegen eine andere zu stehen kommt. (Wobei selbst fraglich erscheint, ob jene Theorie Kierkegaardscher Provenienz eine Alternative zu der Hegels überhaupt darstellen kann.) D a ß Hegels Deutung des Sündenfall-Mythus und SündenbegrifF überhaupt im Rahmen einer Theorie von Subjektivität verstanden wird und werden kann, enthält dergestalt eine Korrektur jener Kritik. Diese gibt sidi in ihren Einwürfen von vornherein eine schiefe Stellung gegenüber Hegel, wenn sie die Rettung der Subjektivität gegen ein ihr völlig inkommensurables theoretisches Gebilde, wie die Hegeische Philosophie es darstelle, meint inaugurieren zu müssen. Vielmehr kann eine adäquate Auseinandersetzung mit Hegel hier nur auf dem Boden von Subjektivitätstheorie geleistet werden.

602). Freilich zeichnet sidi diese ebenso gelehrte wie lehrreiche Studie durch energischen Zugriff hinsiditlich der wesentlichen Probleme von Hegels Sündenlehre aus, deren „geradezu klassische Vereinfachung" im Blick auf die Sache, um die es Hegel geht, gesehen (cf. a. a. O. S. 599, 600 f.) und in ihrem vorrangig anthropologischen Gewicht respektiert wird (S. 602). Insofern erfreut sich die hier vorgelegte Arbeit weithin der Übereinstimmung mit wesentlichen Gesichtspunkten der genannten Studie. Dies schließt allerdings nicht den ehrerbietigen Widerspruch nun freilich gerade im Zentrum der Argumentation aus. Was Trillhaas als Einwand gegen Hegel geltend macht, kann ich nur als dessen eigenstes Thema ansehen: „Subjektivität" (cf. u. c. 4, Anm. 131). Der „in Hegels Sinne logische Prozeß" (cf. Trillhaas, a. a. O. S. 602) — das ist eben die Entfaltung von Subjektivität. Deswegen geht Subjektivität in diesem auch nicht „unter" (so Trillhaas, a. a. O. S. 601 ; cf. dazu unten c. 6 d), S. 239 f. und Anm. 230), sondern vermag darin sich begreifend sich gerade zu finden als Freiheit. Wie nach Hegel „Sünde ebenso in der Subjektivität begangen wie begriffen wird", so auch „Versöhnung" (cf. anders Trillhaas, a. a. O. S. 602). Begreifen ist Erkennen der Logik von Subjektivität, nicht aber „Transposition" in ein ihr Inkommensurables, „Metaphysik" die von Subjektivität (cf. ebend.). Diesen Begriff von Subjektivität als das „Problem der Neuzeit" hat freilich auch Trillhaas selbst vor Augen: „das Zusidikommen des menschlichen Bewußtseins" (ebend.). Es mag erlaubt sein, an dieser Stelle auf einen stark sinnentstellenden Druckfehler hinzuweisen, der sidi in dem ersten Hegelzitat (a. a. O. S. 589) findet. Es heißt richtig: „Nadi unserer Einteilung ist sie die unvollkommenste und so die erste, und nach dieser anderen Vorstellung ist sie auch die erste, aber die wahrhafteste". (Gl 15/280, Sk 16/260).

16

Einleitung

Demgegenüber argumentieren jene Einwürfe auf der — falschen — impliziten oder expliziten Voraussetzung, daß sich ein „logisdi-metaphysischer" Sündenbegriff bei Hegel einem „existentiellen", die einzelne Subjektivität erhellenden, sinnvoll kontrastieren lasse. Die Durchführung meiner These versucht also zu zeigen, daß jene Einwände, welche Gestalt im einzelnen sie auch haben, prinzipiell umzudenken sind, wenn sie Hegel überhaupt treffen bzw. die sachgemäße theoretische Ebene zu einer Auseinandersetzung über diese Fragen betreten wollen. Insofern möchte die Arbeit dazu beitragen, die Diskussion der Problematik von Hegels Sündenlehre im Horizont von Subjektivitätstheorie zu präzisieren. Denn den Sündenbegriff Hegels in diesem Zusammenhang zu rekonstruieren, und zwar unter der zu bewährenden These, daß er allein so adäquat begriffen werden kann, bedeutet auch für jede mögliche Kritik an Hegel im Namen von Subjektivität, daß sie sich und ihre Problematisierungsversuche gegenüber Hegels Theorie verdeutlichen muß. Die vorliegende Arbeit möchte die Notwendigkeit zur Differenzierung der Problemstellung dadurch dartun, daß sie ihrerseits Hegels Gedanken präziser zur Darstellung bringt, als jene Kritik es weithin tut. Solcher Versuch, das Argumentationspotential zu differenzieren und ihm zu größerer Durchsichtigkeit zu verhelfen, ist deutlich zu unterscheiden von apologetisch-restaurativen Tendenzen etwa im rechtshegelianischen Sinne. 3. Das die vorliegende Arbeit leitende Gesamtverständnis der Hegelschen Philosophie begreift diese als universale Selbstauslegung der neuzeitlichen Subjektivität. Es kann als solches hier nicht begründet und entfaltet werden, wirkt sich aber in der These der Arbeit aus und erfährt in ihrer Durchführung selber eine partielle Bewährung. Allerdings liegt der Arbeit die Überzeugung zugrunde, daß nur im Horizont eines solchen Gesamtverständnisses eine Hegel gegenüber zureichende Verständigung über Sinn und Funktion solcher Begriffe wie „logisch-metaphysische Notwendigkeit" prinzipiell überhaupt möglich ist. Ohne sich auf das dafür erforderliche Umdenken audi nur vorläufig einzulassen, pflegt besonders theologische Hegelkritik die Bedeutung theoretischer Konzeptionen wie „Logik", „Notwendigkeit", „Vernunft" in einem Sinn einfach vorauszusetzen, der durch Hegels Subjektivitätsphilosophie gerade problematisiert wird. Sie pflegt also mit Waffen zu kämpfen, deren Wirkungsmöglichkeit in dieser Philosophie allererst zu eruieren wäre. Diese Argumentationsfigur ex non concessis führt dem kritisierten Konzept gegen-

Einleitung

17

über so zu einem bloßen Versichern4, ohne daß ein mögliches Feld für zureichende Kritik zu erarbeiten unternommen wäre. Überhaupt steht Hegelkritik in der Gefahr, mit ihrer Negation bezogen zu bleiben auf ein allzu unmittelbares Hegelverständnis, wie sdion Brunstäd notierte 6 . Kritik bleibt in solchen Fällen nur die Kehrseite der Apologie; anstatt deren Ansatz prinzipiell zu überwinden, teilt sie ihn im negativen Modus. Das Unzureichende der üblichen Hegelkritik erweist sich derart fixiert auf ein ebenso unzureichendes Hegelverständnis, das sie bejaht, um es negieren zu können. Der Bruch zwischen den sogenannten Rechts- und Linkshegelianern kann als das erste historische Beispiel zitiert werden. Wobei auch zu fragen wäre, ob nicht der sogenannte „Zusammenbruch" des deutschen Idealismus und des Hegeischen Systems selber zugleich als Bedingung jener Hegelapologie sowohl wie -kritik fungierte®. Eine heute angestrebte, aus der Einsicht in diese Verkettung resultierende Überwindung der rechts- und linkshegelianischen Alternative wäre demnach möglich durch Reflexion auf den bedingenden Grund jener in der Hegeldiskussion aufgebrochenen Antithesen und ihrer Kriterien, welchen die Hegeische Philosophie selber darstellt, und der die Alternative erst möglich macht. Welches sind die ihr immanenten Bedingungen der Möglichkeit dafür, daß die Schülergeneration in Hegels Philosophie solche Alternativen finden konnte, wie sie tat? Sollte sich zeigen lassen, daß Hegels Denken gerade in der Überwindung dieser Antithesen sein Ziel hatte, auf die es je einseitig von den Hegelianern reduziert wurde, so liegen nur in solchem Rückgang auf Hegel die Möglichkeiten, mit einem adäquaten Verständnis seines Denkens allererst Bedingungen zureichender Kritik zu erstellen. 4. Ein besonders hinsichtlich der Religionsphilosophie immer wieder diskutiertes Problem betrifft die sogenannte „Reichweite" von Begriffen der philosophischen Vernunft. Gegenüber den in sich end- und haltlosen Versicherungen über das Zureichen bzw. Nichtzureichen des vernünftigen Begriffs im Verhältnis zu theologischen Themen ist einfach zu fragen:

4

5 β

cf. ζ. Β. Kierkegaards unkritische Deklarationen über Logik, die, obschon polemisch gegen Hegel, sich auf dessen Gründe zu einer andersartigen Konzeption von Logik überhaupt nicht einlassen; s. u. S. 109, 115. cf. „Untersuchungen" a. a. O. S. 9, cf. S. 6. cf. ebend. S. 9

2 Ringleben, Hegels Theorie

18

Einleitung

was versteht Hegel unter dem „Begriff"? Nur durch diese Fragestellung kann verhindert werden, daß man nicht Hegel kritisiert, sondern die eigene Vorstellung. Ohne die Frage hier erschöpfend behandeln zu können — sie wird vielmehr verschiedentlich bei den Sachproblemen selber zur Geltung kommen —, soll mit Hilfe von Andeutungen der Logik Hegels eine grundsätzliche Klärung skizziert werden. Zur Erläuterung seines Begriffs vom „Begriff" erklärt Hegel: „Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist" 7 . Unmittelbar ist schon aus diesem Zitat ersichtlich, daß Begriffe zu haben hier nicht als Vermögen eines Ich, nach dessen Reichweite bzw. Grenzen zu fragen sinnvoll wäre, verstanden ist, sondern vielmehr als Ausdrude der begriffshaften Konstitution des Idi selber. Das Idi oder auch reine Selbstbewußtsein ist selber die freie Existenz des Begriffs8. Ihre Freiheit ist ihr Sich-als-soldie-Wissen. Selbstbewußtsein als der Begriff ist Bedingung der Möglichkeit für so etwas wie „Haben" von Begriffen. Das in einzelnen „Begriffen" sich auslegende Denken bzw. Begreifen ist also nach Hegel die Vollzugsart von Subjektivität selber, nicht Eigenschaft oder Vermögen eines als Substanz zugrundeliegenden und davon zu unterscheidenden Ich9. Mit diesem Verständnis vermag Hegel, sich auf Kants ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption zu berufen, die in der Einheit des Selbstbewußtseins das Wesen des Begriffs, d. h. der Gegenständlichkeit allererst ermöglichenden und konstituierenden Einheitsfunktion des „ich denke" erkannt hat 10 . Selbstbewußtsein als Begriff ist für Hegel demnach der transzendentale Charakter von Subjektivität als sich wissender, reiner Vernunft. Philosophisches Begreifen ist für Hegel — soviel lassen bereits diese Andeutungen erkennen — nur als denkende Ausarbeitung des „Begriffs" möglich, als Realisierung der vernünftigen Subjektivität, die sich als Konstitutionszusammenhang „ihrer Begriffe" begreift. Begreifen heißt verstehen, wie sich Subjektivität in ihren Begriffen als ihren Gegenständen selber expliziert 11 . Vernunft ist nicht ein intellektuelles Organ neben möglichen anderen des Menschen, 7 8 9

10 11

Gl 5/13, Sk 6/253, LII/220. ebend. cf. Gl 10/291 f., Sk 10/228 (§ 437 Zus.), Gl 12/157, Sk 13/148. cf.: „Jedes Moment (des Logos) ist das implizierte, sich explizierende Selbstbewußtsein". Kroner, a. a. O. II, S. 452. cf. Gl 5/14 f., Sk 6/254, LII/221. „Als das für sidi Gewordene ist der Begriff reines Selbstbewußtsein", Kroner, a. a. O. II, S. 448.

Einleitung

19

sondern Sein und Leben von Subjektivität selber, ihre selbstgewisse, umgreifende Ganzheit 12 . Denken ist so verstanden nicht bloß als besonderer Akt eines bestimmten intellektuellen Vermögens, dessen Grenzen aus seinem partiellen Charakter folgen, sondern als Vollzug der Vernunft als sich gegenständlicher13. 5. Das in dieser Arbeit eingeschlagene Verfahren entspricht der These, deren Begründung und Ausarbeitung es dient. Es ist analytisch-rekonstruktiv akzentuiert, indem es versucht, sich auf die Dialektik von Subjektivität denkend einzulassen und unter ihren Bedingungen Hegels Sündentheorie darzustellen. Der Gang der Untersuchung findet in dieser Dialektik das Gesetz seiner Bewegung vorgeschrieben. Ihn näher zu begründen, kann erst nach Eintritt in die Sachproblematik, aus der Sache selbst geschehen. So wird im Anschluß an die Diskussion des Begriffs „Unschuld" die Logik der Hegeischen Lehre von der Sünde wie unserer Rekonstruktion sich herausstellen (s. u. c. 2, S. 48 f.). Der materialen Ausarbeitung des Themas in c. 2 ff. ist eine mehr formale Charakterisierung des Hegelsdien Interpretationsverfahrens bezüglich Gen. 3 in c. 1 vorauszuschicken. Diese zunächst der Hinführung dienende Doppelung von formalem und materialem Aspekt wird sich freilich in ihrer Durchführung als vorläufig aufheben und selber auf die sadilidien Verschränkungen führen. Indem das hier beobachtete Verfahren die Hegeische Sündentheorie zu dem Grad von Durchsichtigkeit zu bringen versucht, der nötig ist, um sie allererst treffend kritisieren zu können, schließt sie — wie gesagt — die Auseinandersetzung mit bestimmter unzureichender Hegelkritik ein. Ihr sind in besonderer Weise die vier Exkurse gewidmet. Die Auseinandersetzung mit Kierkegaard 2 leuchtet wegen dessen Bedeutung, auch für alle nachfolgende theologische Hegelkritik, wohl unmittelbar als notwendig ein. Der zweite Exkurs (zum Pantheismusproblem) behandelt eine Frage, die das Thema der Arbeit zwar auch betrifft, aber eigentlich eine eigene Gesamtdarstellung fordert. Wegen seiner Bedeutung für die diese Arbeit leitende Gesamtdeutung der Hegeischen Religionsphilosophie erscheint er hier trotz des nötigen Verzichts auf Ausführlichkeit. Denn 12 13

2*

cf. § 439 in Gl 10, Sk 10. cf. die Wendung der Phänomenologie des Geistes: „Eigentum des Idis, selbstisch oder der Begriff", Gl 2/37, Sk 3/39, H/32 f. und zum „Denken" Gl 2/158 f. Sk 3/155 f. H/151 f.! „Denken ist Verselbsten, ist das Sidiselbst-setzen des Begriffs", Kroner, a. a. Ο. II, S. 477.

20

Einleitung

besonders mit seinem ersten Abschnitt, der einen Hegeltext durchgängig interpretiert, bewährt er Gesamtauffassung und spezielle Thesen der hier vorgetragenen Hegelinterpretation (gerade auch des 5. Kapitels). Exkurs IV schließlich ist der Hegelkritik Julius Müllers als einer für das 19. Jahrhundert repräsentativen Gestalt des theologischen Zugangs zu Hegels Sündentheorie gewidmet. Im übrigen hat das Unternehmen einer Kritik spekulativer Theorie seine eigenen Schwierigkeiten, die mit dem Arbeitsgang rekonstruktiven Verstehens nicht vermischt werden sollten. Diese eigentümlichen Schwierigkeiten dürften daraus zu erklären sein, daß für solche Theorie eben die Reflexion auf sie, die Kritik ermöglicht, selber konstitutiv ist. In der prinzipiellen Durchdringung von begreifendem Verfahren und Reflexion (der jeweiligen Bedingungen) dieses Verfahrens hat idealistische Spekulation gerade ihre Auszeichnung. Das erschwert üblicherweise sogenannte „Kritik" grundsätzlich. Indem der Akzent dieser Arbeit auf der systematischen Konsistenz der dargestellten Theorie, nicht auf ihrer historischen Profilierung liegt, bezeichnet diese Eigenart auch ihre methodische Grenze, sich auf genetische Fragen bezüglich der Hegeischen Sündenauffassung nicht einzulassen. Ohne daß deren Relevanz für ein umfassendes Verständnis der Hegeischen Philosophie bestritten werden kann oder soll, möchte diese Arbeit sich auf die ausgearbeitete Theorie der Sünde und des Bösen, wie sie meines Erachtens seit der Phänomenologie des Geistes vorliegt, beschränken. (Nur vereinzelt gibt die Arbeit Belege aus früheren Texten Hegels.) Diese Selbstbegrenzung des Vorgehens erscheint nicht nur dadurch sachlich legitimiert, daß es ja die endgültige Reflexionsgestalt von Hegels Sündentheorie gewesen ist, die theologische Kritik provoziert hat und solchermaßen wirksam geworden ist, sondern auch durch quellenkritische Gründe bzw. den Stand der Forschung. Solange sich die Deutung der Fragmente aus Hegels Jugendzeit nicht in überzeugender Weise einer durch zureichende Erhellung der Jenaer Zeit vor 1806 gesicherten Rekonstruktion der gesamten vorphänomenologischen Entwicklung von Hegels Denken zuordnen läßt, begibt sich jeder an den Jugendschriften wie an den bisher veröffentlichten Jenaer Texten ansetzende Interpretationsversuch in außerordentliche Schwierigkeiten. Erst von der noch ausstehenden vollständigen und sachgemäßen historisch-kritischen Publizierung im Rahmen der neuen Ausgabe der „Gesammelten Werke" darf die für solche Versuche ausreichende Textbasis erwartet werden.

Einleitung

21

Überhaupt erklärt sich aus diesem Fehlen einer historisch-kritischen Ausgabe auch der Vorlesungen über Religionsphilosophie die hier durchgeführte Benutzung des Textes der Jubiläumsausgabe (bzw. der ihr weitgehend entspredienden des Suhrkamp-Verlages) neben der Ausgabe Lasson. Die bekannten Mängel beider Ausgaben rechtfertigen nodi immer ihr Nebeneinander als Quellen. Für wörtliche Zitate dominiert natürlich die Lassonsdie Ausgabe; wenn audi das sachliche Gewicht eines detailliert ausgearbeiteten und durch gedankliche Kontinuität überzeugenden Textes wie des der Glocknersdien Ausgabe nicht unterschätzt werden darf. Ohne Zweifel erlaubt auch die systematische Bezüglichkeit von Gedanken eine gewisse Kontrolle ihrer unterschiedlichen Formulierungen. Daß solche systematisdie Konsistenz hinsichtlich der Sündentheorie bei Hegel vorliegt, und daß diese Lehre spätestens seit 1806 unverändert dieselbe ist, will die Arbeit demgemäß nicht nur durch Aufweis von deren systematischer Verwurzelung im Zentrum dieser Philosophie erweisen, sondern auch durch die Art, Belege zu geben, unterstreichen. Denn die praktizierte Möglichkeit, aus allen gedruckt vorliegenden Werken Hegels übereinstimmende Belege anzuführen, die die starke Häufung solcher Ausführungen in den Anmerkungen bedingt, will als Abbild der inneren Konsistenz der Sündentheorie innerhalb der gesamten Philosophie Hegels verstanden werden. Sie mag deren Relevanz für Hegels Denken auch rein quantitativ anzeigen. Dies der Sache nach zu tun, ist Intention der systematischen Rekonstruktion im Gedankengang der Arbeit selber.

KAPITEL 1

Zur Behandlung des Mythus Gen. 3 Hegel bezieht sich zur Explikation seiner philosophisdien Theorie der Sünde häufig und in extenso auf das dritte Genesiskapitel 1 . Ist seine Sündenlehre in vielschichtiger Weise mit zentralen Gedanken seiner Philosophie verwoben — wie diese Arbeit zu erhellen beabsichtigt —, so könnte man von vornherein die Frage nach dem Sinn einer solchen Bezugnahme auf den biblischen Text aufwerfen. Da Hegel kaum an einer exegetischen Verifikation seiner philosophisdien Gedanken gelegen sein dürfte, liegt die Frage nahe, weshalb er sidi überhaupt auf diesen traditionellen Text einläßt. Handelt es sich lediglich um eine Illustration, die der Verständigung mit der theologischen Tradition durch äußerliches Anknüpfen an sie dienen will? Diese Frage kann natürlich nur die ganze Arbeit zureichend beantworten, indem sie zu klären versucht, welches die eigentümliche Leistung ist, die der Sündenbegriff in Hegels Denken übernimmt und welche denkerischen Motive in ihn eingehen. Nur so kann der Hegeische Interpretationstypus und sein Verhältnis zur theologischen Tradition ins rechte Licht geraten. Die Beschreibung der Umformung, welche die theologischen Motive bei Hegel erfahren, muß die Notwendigkeit dieses Vorgangs sichtbar machen. Das folgende Kapitel ist eine erste Richtigstellung und Beantwortung jener Frage, indem es die Art und Weise zu klären versucht, wie Hegel das Genesiskapitel zum Gegenstand seiner Erörterung macht. Das „wie" bezieht sich dabei allein auf die formalen Interpretationsstrukturen und überläßt die Darstellung der materialen Ausführung den folgenden Kapiteln. Es ist deutlich, daß diese Interpretationsstrukturen sich letztlich in eine allgemeine Verhältnisbestimmung von Religion (Theologie) und Philosophie einordnen. Allerdings soll dieser ihr allgemeinster Horizont 1

Die wichtigsten Texte stehen: Gl 2/587 ff., Sk 3/562 ff., H/537 ff.; Gl 8/92 ff., Sk 8/88 ff. (Zus.); Gl 11/412 ff., Sk 12/389 ff.; Gl 15/280 ff., Sk 16/259 ff.; Gl 16/72 ff., 257 ff., Sk 17/74 ff., 251 ff.

Begriff des Mythus

23

hier nidit eigens thematisiert werden, da Hegel selber im Zusammenhang des Sündenproblems sich audi nicht auf ihn bezieht. Sondern er steht hier nur soweit in Rede, als er sich in dem Begriffspaar: VorstellungBegriff bei der Erörterung der Sündenvorstellung unmittelbar abschattet. Immerhin läßt sidi vorweg vielleicht zu der oben aufgeworfenen Frage sagen, daß eine Religionsphilosophie, die in der Geschichte der Religion die Selbstauslegung des religiösen Bewußtseins finden will und sie dergestalt als dessen Setzung begreift, sidi der Realisation ihrer Thematik an den realen Zeugnissen dieser Geschichte nicht entziehen kann, wenn anders das sie leitende Vertrauen, was vernünftig sei, sei auch wirklich, sich bewahrheiten will l a .

a) Begriff

des

Mythus

In seiner Diskussion von Gen. 3 charakterisiert Hegel das Kapitel häufig als einen „Mythus". Mit dieser Benennung ist der Erzählung ein bestimmter Interpretationsmodus zugeordnet, den es zu klären gilt. Hegel unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei möglichen Auffassungen des Mythus, die jeweils das Phänomen „Mythus" selber in bestimmter Weise definieren. Die eine Auffassung sieht im Mythus eine bloß äußerliche Geschichte, die im Sinne historischer Tatsächlidikeit zu verstehen ist, während die andere einen das äußerlich Erzählte transzendierenden „tiefen Sinn" darin intendiert findet2. Die zweite Auffassung faßt den Mythus deshalb „symbolisch", indem sie eine „innere Vernünftigkeit der Bedeutungen" sucht3. Hegel teilt die zweite Auffassung und verwirft die erste als vulgäre Interpretation ausdrücklich bezüglich des Genesiskapitels 4 . Damit läßt sich als allgemeiner Leitfaden der Interpretation aussprechen: „Der Inhalt des Mythus ist der Gedanke" 5 . Es gilt also, am Mythus „Form" (wozu sein gegenständlicher Inhalt gehören kann) und „Inhalt" (im Sinne des wesentlichen Sinngehaltes) zu unterscheiden. Nach der so verstandenen Formseite ist der Mythus eine Darstellungs*» cf. Gl 8/93, Sk 8/88 (Zus.). 2 Gl 12/417, Sk 13/402 f. 5 ebend. Hegel beruft sidi auf F. Creuzers: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen; 4 Bände, 1810—12. 4 Gl 16/73 f., Sk 17/75 f. 5 Gl 17/120, 95, Sk 18/108, 84.

24

Zur Behandlung des Mythus Gen 3

weise, die sich sinnlicher Materiatur bedient, um damit Gedanken auszudrücken", ein „Produkt der Phantasie", der „phantasierenden Vernunft" 7 . Indem nun im religiösen Mythus das Wesen, das Göttliche, zum Gegenstand dieser sinnlichen Vorstellungsweise gemacht ist, ergibt sich für die Seite des „Inhalts", daß im Mythus immer ein substantieller Inhalt, ein Gedanke, ein „Philosophem" enthalten ist8. Durch die Differenzierung zwischen Form und Inhalt ist im Phänomen des Mythus eine gewisse Spannung gesetzt, die sich auch in der Interpretation geltend macht. Einerseits lebt im Mythus ein tief spekulativer Sinn, der auch für den Mythus Gen. 3 beansprucht9 und dort näher als Explikation der ewigen Natur und Geschichte des Menschen in ihrer Notwendigkeit gekennzeichnet wird 10 . Dies erlaubt, die Interpretation in Freiheit von historischen Fragen durchzuführen11. Zum anderen kommt durch die sinnliche Betrachtungsweise zufälliger, äußerlicher Stoff in die Darstellung, der eine Unangemessenheit gegenüber dem in ihm sich ausdrückenden Sinn mit sich bringt 12 , so ζ. B. den Geschehenscharakter des im Mythus Erzählten 13 . Die Idee ist im Mythus nicht auf ihr angemessene Weise 14 ; seine Interpretation muß daher kritisch sein. In ihm ist nodi eine „Ohnmacht des Gedankens" 16 , die zu beseitigen ist. Die mythische Ausdrudesform ist damit als etwas Vorläufiges begriffen, das geschichtlich überholt wird; es spiegelt eine primitive Stufe des religiösen Bewußtseins16, gehört aber zur „Pädagogie des Menschengeschlechts"17.

« Gl 18/188 f., Sk 19/29 f. 7 Gl 17/114, Sk 18/102 f. 8 ebend. cf. Gl 16/74, Sk 17/75; Gl 17/86, Sk 18/75. » Gl 16/74, 75, Sk 17/75 f., 77; Gl 15/285, Sk 16/265. 10 Gl 15/285 f., Sk 16/265 f.; Gl 16/74, Sk 17/76; cf. Α. 19. 11 Zur Auslegungsgesdiidite von Gen. 3 vgl. Metzger, a. a. O. (Ohne Erwähnung Hegels.) 12 Gl 17/115, Sk 18/103 f. 13 Gl 15/285, Sk 16/265; Gl 16/73, Sk 17/75. 14 Gl 17/115, S k i 8/103 f. 15 Gl 18/188 f., Sk 19/29 f. " cf. Gl 16/267, 529, Sk 17/260, 512; Gl 17/106, 108, Sk 18/95, 97. 17 Gl 18/189, Sk 19/30. Der Anklang an Lessing ist von Bedeutung, cf. Philos. Erziehung d. Menschengeschlechts § 48.

Begriff der Vorstellung

25

In diesen Aussagen über den Mythus ist eine Zuordnung enthalten, die jetzt herausgehoben werden muß und erst die nötige Präzisierung gibt, nämlich die Zuordnung des Mythus zum Begriff der „Vorstellung". Der Mythus ist eine Form der (religiösen) Vorstellung; Mythen sind „selbstgebildete Bewegungen der Vorstellung"18. Es gilt, den Sinn des Terminus der religiösen „Vorstellung" (und des ihm zugeordneten des philosophischen „Begriffs") zu klären, um die Art, wie Hegel mit ihrer Hilfe den Mythus Gen. 3 interpretiert, eben dadurch verständlich zu madien. Zuvor ist festzuhalten, daß der Begriff der „Vorstellung" eine Formation des religiösen Bewußtseins meint, in der der Mythus („nach Weise der Bilder") positiv Geschichtlichem, das freilich auch eine „ewige Geschichte" enthalten kann, wie ζ. B. die Geschichte Jesu, gleichgeordnet erscheint. Historie und Mythus sind beide gleichermaßen Gestalten religiöser Vorstellung19.

b) Begriff der

Vorstellung

Vorstellung ist der Modus, in dem sich das religiöse Bewußtsein seinen Gegenstand inhaltlich vergegenwärtigt. Sie ist eine „Form der Beziehung zwischen unendlichem Bewußtsein und endlichem Selbstbewußtsein"20, d. i. der Art, wie das Gottesbewußtsein (bzw. religiöse Bewußtsein überhaupt) des Menschen ( = unendliches Bewußtsein) sich gegenständlich wird im endlichen Selbstbewußtsein. Die Beziehung auf das Ewige und Wahre erhält im endlichen Bewußtsein die Form der Gegenständlichkeit21. Dies vergegenständlichende Bewußtsein eben ist die Vorstellung. Ihre Hauptkategorie ist die Unmittelbarkeit 22 . Diese Unmittelbarkeit bestimmt jeden Bewußtseinsinhalt als gegenständliches Sein23 und gibt den 18

19

20 21

22 23

Gl 18/187, Sk 19/28. cf. das häufige Vorkommen des Ausdrucks „vorgestellt" u. ä., ζ. B. Gl 16/263, 266, 267, 268, Sk 17/256, 259, 260, 261. Gl 15/157, 236, Sk 16/142, 217; Gl 16/303 f., Sk 17/294; Gl 17/95, 96, 104, 106, 108, 113, Sk 18/84, 85, 92, 94, 97, 102. Gl 15/79 f., Sk 16/69 f. Gl 2/409, 525, 581 f., 602, Sk 3/394, 503, 556, 575, H/379, 480, 532, 549; Gl 17/103, Sk 18/91. Gl 15/171, Sk 16/155. Gl 2/409, Sk 3/394, H/379.

26

Zur Behandlung des Mythus Gen 3

an ihm zu unterscheidenden Momenten denselben Charakter®4. Der Bewußtseinsinhalt ist dadurch für das Bewußtsein ein Äußerliches2®, und seine Momente erhalten ebenfalls die Bestimmung, gegeneinander äußerlich zu sein 28 ; d. h. die Vorstellung ist sinnlidi bestimmt27. Aber sie ist es anders als die unmittelbare sinnliche Anschauung. In dieser hat das Sinnliche die Form der Einzelheit und des Außereinander ( = Nebenund Nacheinandersein) 28 . Die Vorstellung hat dasselbe sinnlidie Material, aber in der Bestimmung des dem Bewußtsein Gehörigen, d. h. es nimmt audi an dessen Charakter der Einfachheit und Allgemeinheit teil. Die Anschauung nähert sich in der Vorstellung dem Gedanken. Aber auch umgekehrt können allgemeine Gedanken im Medium der Vorstellung jener Bestimmungen teilhaftig werden, die das Sinnlidie kennzeichnen: ihr Inhalt wird vereinzelt, seine Bestimmungen werden gegeneinander isoliert und so fixiert bzw. äußerlich durch ein bloßes „auch" wieder verbunden 28 . Die Vorstellung vermittelt also das Sinnliche mit dem Allgemeinen30. Sie ist ein mittleres Element zwischen sinnlicher Anschauung und (allgemeinem) Denken' 1 und hat so synthetischen Charakter 82 , kann sinnlich oder auch geistig bestimmt sein38. Das religiöse Bewußtsein ist als endliches vorstellend. Es trägt gewissermaßen in die Vorstellung endliche Verhältnisse hinein84. Daher ist in ihr das Ubersinnliche auf sinnlidie, begrifflose, zerstreute Weise vorgestellt3*. 24 25

26

27 28 29 30 31 32

33 34 35

Gl 15/159, 167, Sk 16/144, 151. Gl 2/409, 527, 569, 608, Sk 3/394, 504, 544, 580, H/379, 482, 520, 554; Gl 15/165, 456, Sk 16/150, 427. Gl 2/559, 565, 571, 582, Sk 3/535, 540, 546, 556, H/511, 516 f., 522, 532. Gl 2/437, Sk 3/420, H/403; Gl 17/101, Sk 18/89. Gl 8/73 f., Sk 8/72 f., cf. Gl 10, Sk 10 §§ 448 u. 449 + Zus. 450. ebend. Gl 15/154, Sk 16/139 f.; Gl 16/310 f., Sk 17/301. Gl 14/319 f., Sk 15/319; Gl 17/113, Sk 18/102. Gl 2/555, 581, cf. 564 f., 581, Sk 3/531, 556, cf. 540, 565, H/507 f., 531 f., cf. 516, 540. Diesen synthetischen Charakter entwidcelt in stärker differenzierender Weise (als für unsern Zusammenhang erforderlich) und als psychologische Erörterung die Enzyklopädie (Gl 10, Sk 10) § 451 if., cf. besonders §§ 451, 455 A, 463. Gl 17/101, Sk 18/89. Gl 17/102, 108, 113, Sk 18/90, 97, 102. Gl 17/118, Sk 18/106.

Phänomenologie der religiösen Vorstellung

27

Die Unmittelbarkeit, in der der Inhalt der religiösen Vorstellung dem Bewußtsein erscheint, bedeutet eine Vergegenständlichung bzw. Versinnlidiung dieses Inhaltes. Es ist genauer zu zeigen, worin die Inadäquatheit liegt, in die der religiöse Vorstellungsinhalt als Bewußtseinsgegenstand gerät, um die Notwendigkeit einer denkenden, „begreifenden" Durchdringung der Vorstellung durch die philosophische Reflexion abzuleiten.

c) Phänomenologie

der religiösen

Vorstellung

Mit dem der Vorstellung anhaftenden Charakter der Unmittelbarkeit ist bereits das Entscheidende gegeben: der religiöse Inhalt erscheint als vorgefunden, als ein Gegebenes, das sidi in der Weise des „es ist so" gibt3®. Differenziert sich der Inhalt der Vorstellung in Bestimmungen oder Verhältnisse, so überträgt sich dieser gegenständliche Charakter ohne weiteres auf sie: sie haben teil an dem Außereinander in seinen beiden Weisen des Nach- und Nebeneinander. Mit der Signatur des bloßen Nebeneinander werden die Bestimmungsmomente gegeneinander isoliert und fixiert; sie erscheinen in der Form der Selbständigkeit, Äußerlichkeit und Zufälligkeit gegeneinander, in abstrakter Beziehung auf sich'7. Ihr Zusammenhang ist unmittelbar und damit zufällig 38 . Werden Verhältnisse der Bestimmungen gesetzt, so sind audi sie äußerlich und zufällig3®: ein einfaches Nacheinander. So kann der Inhalt als Geschehen oder Vorgang vorgestellt werden 40 . Seine Momente werden in einem als zeitliche Folge vergegenständlichten Zusammenhang erblickt. Aber auch der Inhalt als ganzer kann in der Form eines Zustandes in »· Gl 2/32 f., Sk 3/35, H/29; Gl 15/162, 171, Sk 16/147, 155. " Gl 2/33, 563 f., 568, 571, 582, 586, 591, 595, Sk 3/35, 539 f., 543, 546, 556, 560, 565, 569, H/29, 515 f., 519, 522, 532, 535, 540, 543. (Bereits die Phänomenologie enthält alle wichtigen Aussagen über die Vorstellung, cf. Α. 21, 23, 25, 26, 27, 32, 36, 40, 42, 43, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 54, 56.) Gl 15/159, 167, Sk 16/144, 151. 38 Gl 15/160, Sk 16/145. M Gl 15/159, Sk 16/144. 40 Gl 2/410, 437, 584, 592, 597, Sk 3/395, 420, 559, 566, 570, H/380, 403, 534, 541, 545; Gl 10/454, Sk 10/374 ( = § 565); Gl 15/285, Sk 16/265; Gl 16/317, Sk 17/307.

28

Zur Behandlung des Mythus Gen 3

der Zeit41 vorgestellt werden: unmittelbar seiend42, vergangen oder zukünftig43. Was ist also die religiöse Vorstellung? Sie ist die Vergegenwärtigung des Göttlichen, des wahrhaften Ansidi, des Anundfürsidi, des Notwendigen, des Innern im Endlichen, Zufälligen und Äußerlichen44. So kommt beispielsweise in Gen. 3 das Böse nur als äußerlicher Zufall an den Menschen, durch Verführung von außen44. Diese der Vorstellung immanente Spannung (s. o. S. 24) drückt sich an ihr selber aus: sie hat infolge von unpassenden Zügen und unangemessenen Verhältnissen48, die sie in sich birgt, den Charakter innerer Inkonsequenz47. Ihr mangelt Notwendigkeit48. Und so bleibt sie als solche unbegreiflich4' und dem vernünftigen Selbstbewußtsein äußerlich und fremd 50 , das sich in ihnen nidit wiederzuerkennen vermag51. Das aber bedeutet: Gewißheit und Wahrheit sind in der Vorstellung noch getrennt52. Diese letzten Bemerkungen leiten bereits über zu der Forderung, die Vorstellung zu begreifen (s. u. S. 32 ff.). Doch besagen sie nicht, daß die Vorstellung als solche völlig vernunftlos sei. Der substantiell-vernünftige Gehalt ist ja in ihr da, wenn auch in unangemessener Form, in verendlichten Bestimmungen. Dies macht die Vorstellung mit dem Verstände vergleichbar53. Auch gibt es 41 42

43

44

45 46 47

48 49

50

51 52 53

Gl 15/283, Sk 16/262. Gl 2/595, 597, Sk 3/569, 571, H/543 f., 545; Gl 15/284, Sk 16/263; Gl 16/74, Sk 17/76. Gl 2/412, 581, Sk 3/396, 556, H/381, 531; Gl 15/283 f., 287, 293, Sk 16/263, 267, 272, cf. Gl 16/311, 340, Sk 17/301, 329. Gl 10/454, Sk 10/374 (§ 565); Gl 15/160, 284, 287, 293, 459, Sk 16/145, 263, 267, 272, 430; Gl 16/75, 497, Sk 17/76 f., 481. Gl 16/73, 90, Sk 17/75, 91. Gl 16/73, Sk 17/75. Gl 2/555, 557, 564, Sk 3/531 f., $33, 540, H/508, 510, 516; Gl 15/285, Sk 16/265; Gl 16/76, Sk 17/78. Gl 2/585, 588, Sk 3/560, 562, H/535, 537; Gl 15/159, Sk 16/144. Gl 2/32, 582, 584, 592, Sk 3/34 f., 556, 559, 566, H/28, 532, 534, 541; Gl 15/160, Sk 16/145. Gl 2/409, 528, 554 f., 569, 585, 608, Sk 3/394, 505, 531, 544, 560, 580, H/379, 483, 507, 520, 535, 554, cf. Gl 16/220, Sk 17/215. Gl 2/527, Sk 3/504, H/482. Gl 2/437, Sk 3/421, H/404. Gl 8/74, Sk 8/73 (§ 20 A); Gl 15/169, Sk 16/154; Gl 16/234, 497, Sk 17/228, 481.

Vorstellung und Gottesbegriff

29

ein Denken mit und in Vorstellungen. Es geht kritiklos, distanzlos an ihnen entlang, gleichsam in diesen seinen Stoff versenkt, ohne diesen und seine Bestimmungen sowie sich selber eigentlich zu „verstehen", d. h. zu begreifen. Hegel nennt es treffend „materielles D e n k e n " 5 4 . Was würde es also heißen, die Vorstellung denkend zu verstehen? Ein doppeltes: a) sie rechtfertigen, β ) ihren Mangel einzusehen®5. a) Das Erste besteht darin, zu verstehen, wo das Vernünftige und Wahre in der Vorstellung liegt, durdi ihre endliche Form zu dem substantiellen Gehalt durchzudringen. Dieser gegen die Aufklärung formulierte Grundsatz hat es Hegel möglich gemadit, in der vor- und außerchristlidien Religionsgeschichte nicht nur abergläubischen Götzendienst und blinde Vernunftlosigkeit zu sehen, sondern in den großen Erscheinungen der religiösen Welt Momente der Wahrheit und des wahren Gottesglaubens zu finden5·. Hierin dürfte seine Religionsphilosophie als dem Verstehen der Geschichte geöffnet eine entscheidende Überwindung der ungesdiichtlidien Alternative der Aufklärung von wahrer Vernunftreligion und Superstition darstellen. ß ) Die Erkenntnis des Mangels der Vorstellung ist mit der Erkenntnis ihres vernünftigen Gehaltes unmittelbar gegeben. Sie besteht darin, alles Unwahre, dem unendlichen und ewigen Gegenstand ihrer Aussagen Unangemessene in seiner bloßen Hinweisfunktion zu durchdringen. Dies bedeutet eine K r i t i k am Materialen der Vorstellung, in der sich Hegel mit der aufgeklärten Religionskritik an der Orthodoxie ganz einig ist 5 7 .

d) Vorstellung und Gottesbegriff Inwiefern die unter c) gegebene Phänomenologie der Vorstellung als eines Modus des religiösen Bewußtseins dem von ihr repräsentierten religiösen Gehalt eigentlich inadäquat sei, ist bisher nur indirekt und in Andeutungen zur Darstellung gekommen. Was die geschilderten Eigenschaften der Vorstellung denn zu einer mangelhaften Form für ihren

54

55

'· «

Gl 2/54, Sk 3/56, H/48. Beispiel für „materielles Denken" ist in Hegels Sinn eine sich selbst nidit reflektierende Theologie. cf. dazu Gl 15/404, Sk 16/378. Gl 17/115, Sk 18/103. cf. Gl 2/414 ff., Sk 3/398 ff., H/383 ff.

30

Zur Behandlung des Mythus Gen 3

Gehalt werden lasse, das kann eben nur mit dem Begreifen dieses Gehaltes selber erkennbar werden. Daher muß das bei der negativen Beschreibung vorausgesetzte Positive eigens thematisiert werden. Die Frage lautet also: wie wird der religiöse Gehalt — um der Deutlichkeit willen beschränken wir uns auf seine fundamentale und allumfassende Dimension, den Gottesgedanken — verstanden, wenn die Vorstellung ein ihm (in der dargestellten Weise) unangemessener Modus des Bewußtseins von ihm ist? Kürzer: inwiefern ist die Vorstellung eine Gott unangemessene Form seiner Vergegenwärtigung? (Mit dieser Formulierung ist von vornherein auf den Versuch verzichtet, Hegels Gotteslehre als ganzes an dieser Stelle zu entfalten. Das für das Thema Einschlägige findet sich u. S. 116 ff.). Indem Gott für das Bewußtsein im Medium der Vorstellung ist, hat er teil an deren — oben dargestellten — Bestimmungen®8. Er ist damit „im Element der Partikularisation" 59 , d. h. er tritt dem Bewußtsein als ein Anderes gegenständlich gegenüber. Damit ist eine Trennung gesetzt, die Gott widerspricht. Er kann nicht als dem Bewußtsein nur gegenüberstehend gedacht werden, ohne endlich gedacht zu werden 60 . Nur als der die Trennung zugleich Umgreifende ist er als Geist. Andererseits bedeutet diese Negation der Gegenständlichkeit Gottes nicht, daß er einfach nur Inhalt meiner Vorstellung im Sinne einer bloß subjektiven Setzung ist61. Er ist dem Bewußtsein An-und-Für-sich. Dies muß dem Bewußtsein qua Vorstellung ein unzugängliches Geheimnis bleiben, wie dem Verstand 62 . Gibt es dem allumfassenden Sein Gottes keinen möglichen Standpunkt gegenüber, dem er Gegenstand sein könnte, so ist er „ewige, sich durchdringende Einheit" 63 . Sein Sein und das Wissen von ihm geht nidit in der Subjekt-Objekt-Relation des gegenständlichen Bewußtseins (Vorstellung) auf, es ist vielmehr „ein untrennbarer Zusammenhang des allgemeinen und ewigen Geistes in sich selbst"64.

58 59 60 81 62 63 64

cf. Gl Gl Gl Gl Gl Gl

Gl 16/223, Sk 17/218. 16/220, Sk 17/215. 16/194, Sk 17/190, cf. Gl 4/98, Sk 5/92, LI/75. 15/128 f., Sk 16/115. 16/233, cf. 234, Sk 17/227, cf. 228. 15/160, Sk 16/145. 10/457, Sk 10/377 (§ 571).

Vorstellung und Gottesbegriff

31

Das Geheimnis des die Polaritäten des endlichen Bewußtseins umgreifenden Geistes ist als schlechthin gegenwärtig zu denken 65 . Seiner ewigen Gegenwart sind Vorstellungsbestimmungen von Vergangenheit und Zukunft, Diesseits und Jenseits schlechterdings unangemessen6®. In seinem Sein sind audi nicht einzelne Bestimmungen isoliert zu fassen, wie die Vorstellung ζ. B. mit dem göttlichen Willen tut; sein „Wille" ist eins mit seiner wahrhaften, ewigen Natur 67 . Aus diesen Gründen läßt sich von einem Handeln Gottes audi nicht im Sinne eines zeitlichen Verlaufs bzw. eines Geschehens reden. Was in der Vorstellung als Geschichte von Zuständen erscheint, muß als „ewige Geschichte", in der das Subjekt sich in seiner Totalität entfaltet, als „absoluter Geist" gedacht werden 68 . Die auch für die Vorstellung gegebene äußerliche Historie muß denkend als die ewige Natur Gottes expliziert werden6*. Ebenso sind es mit dem Gedanken Gottes als des Ewigen und Einen unverträgliche Bilder der Vorstellung, vom „Erzeuger" oder „Sohn" zu sprechen. Damit werden Bestimmungen des göttlichen Lebens mit Hilfe von natürlichen Verhältnissen verendlicht 70 . Man wird diese Kritik im Sinne Hegels auch auf den strengen Begriff eines persönlichen Gottes beziehen müssen. Der absolute Geist läßt sich im Begriff der Person nicht zureidiend denken. An diesen Punkten wird sichtbar, daß Hegel mit seiner Kritik am vorstellungsmäßigen Gottesgedanken auf dem Boden der Aufklärung und der kantisdi-fiditeschen Religionsphilosophie steht. Er ist bemüht, die kritischen Grenzziehungen der letzteren auch bei seinen spekulativen Aussagen festzuhalten 71 . Ist in diesen Bemerkungen die Mangelhaftigkeit der religiösen Vorstellung ihrem unendlichen Gehalt gegenüber zum Ausdruck gekommen, so ist deren Mangelhaftigkeit nun hinsichtlich der Vernunft zu zeigen. Ob diese Unterscheidung zwischen dem religiösen Gehalt und der VerM

Gl Gl «7 Gl 88 Gl ·» Gl 70 Gl Gl Sk 71 cf. Gl M

15/438, cf. 293, Sk 16/410, cf. 272. 2/581, Sk 3/556, H/532; Gl 15/287, Sk 16/267. 16/73, Sk 17/75. 15/446 f , Sk 16/418 f.; Gl 16/302 f., 304, Sk 17/293, 294. 15/157, 236, Sk 16/142, 217. 2/575, 584, 585, 589, Sk 3/550, 559, 560, 563, H/526, 534, 535, 538; 15/156, Sk 16/141; Gl 16/228, 236, 240, Sk 17/223, 231, 234; Gl 17/108, 18/97; Gl 19/199, Sk 19/587. hierzu auch die Kritik an der vorkantisdien, metaphysischen Theologie 8/104, 107, Sk 8/97, 99 f. (§§ 30, 33), cf. u. Exkurs II a) und b).

32

Zur Behandlung des Mythus Gen 3

nunft endgültig sein kann, wird in den folgenden Abschnitt e) als Frage der Vernunft selbst fallen. Zunächst ist zu klären, was die Vernunft tut, wenn sie die Vorstellung „begreift".

e) Das Begreifen der Vorstellung:

die

Vernunftthematik

In der Form der Vorstellung — sei es als Mythus, sei es als Historie — gibt sich der religiöse Gehalt dem Bewußtsein auf äußerliche Weise. Das „Begreifen" der Vorstellung durch die religionsphilosophische Vernunft intendiert die Aufhebung dieser Äußerlichkeit72. Entscheidend für das Verständnis dieser gegen das unmittelbare religiöse Bewußtsein und seine Gegebenheiten kritischen Reflexion ist nun, daß sie sich als Vollendung einer Tendenz des religiösen Bewußtseins selbst versteht. Die religiöse Vorstellung treibt selbst zu ihrer Aufhebung, und das Denken begreift und vollzieht begreifend diese Tendenz. Insofern ist der religionsphilosophischen Reflexion die Möglichkeit gegeben, sich an bestimmten Vorstufen innerhalb des religiösen Bewußtseins ihrer selbst zu vergewissern, deren konsequenter Durchführung allein sie sich verdankt. Sie tut nichts, als begreifen und aussprechen, was die Vorstellung — wenn auch inkonsequent — schon ist. Solche Vorformen innerhalb des religiösen Bewußtseins, die eine vernünftige Aufhebung der vergegenständlichenden Vorstellung intendieren, sieht Hegel an folgenden drei Punkten : a) In der Andacht wird die Spaltung von religiöser Subjektivität und Gegenständlichkeit unmittelbar überwunden. Indem das religiöse Subjekt sich Gott im Kultus hingibt, verlieren die religiösen Bewußtseinsinhalte die Form bloßer Äußerlichkeit73. ß ) In Gestalt der Theologie bringt das religiöse Bewußtsein allgemeinere Gedanken und Reflexionsformen an seine Vorstellung und bereitet so ihr vernünftiges Begreifen vor 74 .

72 7S

74

Gl 17/104, Sk 18/92; cf. zur Thematik insgesamt: Coldehoff, a. a. O. Gl 11/83, Sk 12/69; Gl 15/82 f., Sk 16/71 f.; Gl 17/93, 105 f., 108, Sk 18/82, 94, 97; Gl 12/152, Sk 13/143; Gl 10/454, Sk 10/374 (§ 565). cf. Gl 15/45 ff., 236, Sk 16/35 ff., 217; Gl 16/203, Sk 17/199 ff.; Gl 17/95 f., 124 f., Sk 18/84, 112 f.; Gl 17/86, Sk 18/75.

Das Begreifen der Vorstellung: die Vernunftthematik

33

y) Schließlich ist es der synthetische Charakter der Vorstellung selber, deren Inkonsequenzen und Unzulänglichkeiten 75 eine eigentümliche „Unruhe" bedingen78. Allerdings gründet die Widersprüchlichkeit der Vorstellung nicht nur in ihrer eigenen Form, sondern zugleich in dem von ihr repräsentierten spekulativen Inhalt selber und ist ihr auch insofern wesentlich. Denn dieser enthält nach Hegel wesentlich den Gegensatz und ist nur als sich in seiner Entwicklung durch ihn hindurch bewegend 76a . Die „Dialektik der Vorstellung" treibt auf das begreifende Denken hin 77 . Das begreifende Denken als solches — was tut es eigentlich, wenn es — wie oben in den Abschnitten b)—c) dargestellt — die Vorstellung in der Mangelhaftigkeit ihrer Form erkennt und zugleich ihren Gehalt rechtfertigt — beides durch Beziehung auf den Gottesgedanken (s. o. d))? Es zerstört die Form äußerlichen Gegebenseins und überführt den substantiellen Inhalt, die geistige Seele in seine eigene Gestalt 78 . Es bringt Einheit in das, was die religiöse Vorstellung als unterschiedene Momente auseinander- und festhält 79 . Diese Einheit stellt sich als ein notwendiger, innerer ( = vernünftiger) Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen dar 80 . Aus getrennt festgehaltenen Inhalten der Vorstellung werden dadurch einer Totalität integrierte Momente, in denen sich eben diese Totalität entfaltet. Die Momente fassen sich in einer übergreifenden Ganzheit zusammen, welche wiederum in diesen Momenten ihre Wirklichkeit hat. Allein durch Erkenntnis dieser Notwendigkeit realisiert das Denken die Forderung, den Begriff aus der Vorstellung in seine Wahrheit zu erheben 81 . Denn nur was notwendig gedacht wird, ist wahr 82 . Indem das Denken sich dieser Notwendigkeit der Wahrheit in der Zufälligkeit der vorstellungsmäßigen Inhalte vergewissert, kehrt der Geist in sich

75

cf. ο. Α. 46, 47. Gl 15/156 f., Sk 16/141 f. 7,i > Lasson Abs. Rei. S. 123. 77 Gl 15/167 ff., Sk 16/152 ff.; cf. Gl 2/439 f., Sk 3/422 f , H/405 f. 78 Gl 17/108, Sk 18/97. 7t ebend. 80 Gl 15/166, cf. 61, Sk 16/151, cf. 51. 81 Gl 7/40 f., Sk 7/32 (§ 2 Anm.); cf. Gl 5/21, Sk 6/260, LII/226. 81 cf. Gl 16/228, Sk 17/222. 7β

3

Ringleben, Hegels Theorie

34

Zur Behandlung des Mythus Gen 3

zurück. D . h. in diesem Begreifen realisiert sich die freie Vernunft 8 3 . D a m i t ist zugleich die Frage beantwortet, w a r u m die V e r n u n f t die V o r stellung dergestalt begreift u n d begreifen m u ß . Sie verwirklidit sich in diesem Begreifen selber als Vernunft. I n d e m sie die Notwendigkeit erkennt, findet sie in ihrem Gegenstand sich selber, ist sie frei. I m Erkennen der Notwendigkeit verschwindet alle Äußerlichkeit des Inhaltes als bloßes Gegebensein auf A u t o r i t ä t , d e n n aller I n h a l t verwandelt sich wesentlich in Bestimmungen des Begriffs 84 . Begriff aber ist f ü r Hegel nichts anderes als das in sich selbst bestimmte Denken, das konkrete Ich 85 u n d Vorstellung eben das „Außersichsein" des Begriffes8®"! M a n k a n n m i t H i l f e dieser Formel „Außersichsein des Begriffs" Hegels Lehre v o n der Vorstellung nach ihren wesentlichen Momenten rekapitulieren. a) Außersichsein des Begriffes — das meint seine E n t ä u ß e r u n g ; der Begriff w i r d sich darin selbst äußerlich u n d t r i t t sich als Anderes gegenüber. b) Außersichsein des Begriffes ist nicht n u r dessen Entäußerung, sondern er entäußert sich in die Äußerlichkeit als solche: sein Anderes ist das A n d e r e an ihm selbst. Dies aber ist das Wesen v o n R a u m , Zeit u n d Materie 8 5 1 '. Die Formel besagt also, d a ß Inneres äußerlich wird, ins Außereinander (neben- und nacheinander) tritt. D . h. mit der Ä u ß e r lichkeit, als die „Vorstellung" ist, ist ihr Inhalt als sinnlich, endlich, Vielheit, zufällig qualifiziert. c) Als Begreifen der Vorstellung erkennt der Begriff sich in dieser Äußerlichkeit als seiner wieder, entdeckt als ihren Sinn das Innere, sich, als notwendigen Zusammenhang der Bestimmungen (Einheit, unendliche Bedeutung, ewige Wahrheit). d) So vollendet sich der Begriff in dem Prozeß, durch E n t ä u ß e r u n g sich zu finden; er ist Identität durch Nichtidentität hindurch. Als dieser P r o z e ß ist der Begriff Subjektivität 8 5 0 , die den f r e m d e n I n h a l t mit sich zusammenschließt, sich darin wiederfindet u n d in ihm bei sich ist: Freiheit als Identität von Gewißheit u n d Wahrheit. Ich k o m m t durch NichtIch erst zu sich, nur in der Entzweiung findet es seine Identität. 83

Gl Gl 85 Gl 85 => Gl 85 b Gl 85 « cf. 84

15/236 f., Sk 16/217; Gl 16/220, Sk 17/215. 15/166, Sk 16/151, cf. o. Anm. 50) u. 51). 15/165, Sk 16/150; cf. Gl 5/13 f., Sk 6/253, LII/220. 4/145, Sk 5/137, LI/114. 4/134, Sk 5/127, LI/105. Kroner, a. a. O. II S. 448 (zitiert o. Einleitung, Anm. 11).

Das Begreifen der Vorstellung: die Vernunftthematik

35

Der vorstellungsmäßige Inhalt wird im Begreifen mit dem Ich ausgeglichen, das Denken verwandelt ihn ins Unsrige86 (cf. O.S. 18). Indem die Philosophie so Vorstellungen in Gedanken und Gedanken in den Begriff überführt 87 , gibt sich der erkennende Geist ein Verhältnis der Idealität zu seinen Gegenständen, und diese gewinnen es zu ihm. Die Absonderung der gegenüberstehenden Momente geht auf in reiner Durchsichtigkeit88. In dieser Einheit von Vernommenem und Vernehmendem ist der Geist Vernehmen seiner selbst. Für ihn ist so nur Geistiges, er ist die allgemeine, eine geistige, substantielle Einheit 89 . Dies Zusichkommen des Geistes im Begreifen der Notwendigkeit ist selber notwendig. Es ist die Unbedingtbeit der sich ihrer selbst vergewissernden Vernunft. Dies unterscheidet das Begreifen der religiösen Vorstellung zutiefst von einem willkürlichen Akt irgendwie gearteter philosophischer Interpretation, der als solcher etwas Zufälliges behielte. In diesem Begreifen verwirklicht sich die Vernunft: das macht die Notwendigkeit ihres Begreifens aus. Hegel deutet von ihr die Berechtigung der aufgeklärten Religionskritik 90 . An dieser Stelle wird deutlich, daß die Denkbemühung um ein „Begreifen" der religiösen Vorstellung zu den Folgegestalten der von Kant inaugurierten Bewußtseinskritik gehört. Die transzendentalphilosophische Kritik hat mit dem gebrochenen Verhältnis zu gegenständlich-naiver Mythologie und religiöser Vorstellungswelt überhaupt erst das Problem einer den Mythus „begreifenden", d. h. ihn in der Notwendigkeit seiner Ausdrucksfunktion als integrierendes Moment einer kritischen Theorie des religiösen Bewußtseins verstehenden Religionsphilosophie sichtbar gemacht. Hegel hat — wie auch andere seiner Zeitgenossen — dieses Problem als solches ergriffen, und die eigentümliche Funktion des Schemas: Vorstellung-Begriff ist gerade darin zu erblicken, daß es nicht nur eine transzendentallogische Aneignung des Phänomen Mythus für kritische Bewußtseinstheorie möglich macht, sondern audi diese Deutung in einer innerhalb nachkantisdier Systembildung konsequenten Weise auf

89

87 88 89

90



Gl Sk Gl Gl Gl

10/293, Sk 10/229 (§ 439); Gl 18/144, Sk 19/269; cf. Gl 15/166 f., 16/151 ; Gl 5/16, Sk 6/255, LII/222. 8/74, Sk 8/74 (Anm.); cf. ebend. § 1. 15/167, Sk 16/151. 17/105, Sk 18/93.

cf. Anm. 91). Zum folgenden Gedanken cf. die Arbeit von

Wimmerhofl.

36

Zur Behandlung des Mythus Gen 3

das Problem der sich selbst gegenständlich werdenden Vernunft bezieht. Beides kennzeichnet die formale Leistung des Schemas: VorstellungBegriff und kann so der Klärung des Hegeischen Interpretationstypus dienen, indem es die innere Notwendigkeit der Umformung theologischtraditioneller Motive aus den nadikantischen Denkbedingungen bzw. der Vernunftthematik verständlich macht. Das Schema leistet also die Heimholung der vorgegebenen Thematik ins Selbstbewußtsein. In einer Formel: das Zusammenfallen von Wahrheit und Gewißheit ermöglicht die Selbstidentifikation der Vernunft. Bliebe der begreifenden Vernunft etwas unaufgelöst äußerlich gegenüberstehen, so wäre es geistlos. Wäre es der unendliche religiöse Gehalt, der so gedacht würde, so wäre er eo ipso als an der Vernunft seine Grenze habend, d. h. als endlich gedacht91 (cf. o. S. 30). Nur in der im Begreifen der Notwendigkeit realisierten freien vernünftigen Einsicht sind Gewißheit und Wahrheit nicht mehr getrennt, sondern ist die Wahrheit in der Form der Wahrheit 82 und Gott als Gott, als absoluter Geist gedacht. Liegt aber die Unbedingtheit der sich ihrer selbst vergewissernden Vernunft in diesem Sich-gegenwärtig-Sein des konkreten Geistes98, so ist sie identisch mit dem Gottesgedanken. Die Vernunft denkt sich und Gott als die ewige, sich durchdringende Einheit 94 . Dies zeigt folgende Rückbesinnung. Wir haben die Sätze gefunden: 1. Das vernünftige Selbstbewußtsein kann nichts Äußerlich-Fremdes sich gegenüber dulden, das ihm unbegriffen bloß gegeben wäre (Autonomie der Vernunft); s. o. Abschnitt c) und S. 33. 2. Gott kann nicht bloß als Moment einer Subjekt-Objekt-Relation gedacht werden (Unbedingtheit Gottes als Geist); s. o. Abschnitt d). Beide Sätze finden ihre Erfüllung in einer Vernunft, die die Vorstellung begreifend durchdringt und sich aneignet und sich darin als Moment des absoluten Geistes weiß. In diesem Vernunftbegriff Hegels koinzidieren vernünftige Autonomie und geisthafte Gottesidee, Gewißheit und Wahrheit.

91 92

99 94

Gl 17/102 f , Sk 18/91 ff. Gl 2/408, 410, 412, 413 f., 420, 434, 435, Sk 3/393, 394, 397, 398, 404, 417, 418, H/378, 379, 382, 383, 389, 401, 402; cf. Gl 15/166, Sk 16/150 u. o. Anm. 52). Gl 16/340, Sk 17/329; Gl 17/109 f., Sk 18/98, cf. o. Anm. 64). Gl 15/160, Sk 16/145.

Das Begreifen der Vorstellung: die Vernunftthematik

37

Im Gottesgedanken hat der Geist seine Wesentlichkeit zum GegenstandI9®. Dies madit die Forderung der Vernunft, die religiöse Vorstellung zu begreifen und die Forderung des Gottesgedankens, die Vorstellung ihm gemäß zu durdiläutern, identisch. Es ist der eine absolute Geist, der „untrennbare Zusammenhang des allgemeinen und ewigen Geistes in sich selbst* 9 ·, der als Unbedingtheit der ihre Identität realisierenden Vernunft und als Unbedingheit des alle endlichen Vorstellungsformen durchbrechenden Gottesgedankens sido findet und darin seine Einheit erkennt. In treffender Formel: „Der tätige, subjektive Geist, der den göttlichen Geist vernimmt — und insofern er den göttlichen Geist vernimmt —, ist der göttliche Geist selber" 97 . Bereits diese anfängliche Betrachtung der formalen Interpretationsstrukturen, die sich im Schema: Vorstellung-Begriif artikulieren, schlägt um in den materialen Gehalt der Gottesidee. Auch die anscheinend äußere Behandlungsart des Themas „Sündenfall" erweist sich also bei Hegel vom letzten Gehalt her begründet. Es wird sich sogar darüber hinaus zeigen, daß diese Behandlungsart audi aus der Deutung des Sündenfalles selbst ihre Legitimation gewinnt (s. u. S. 63 f.)

·» Gl 15/166, 283, Sk 16/151, 263. M Gl 10/457, Sk 10/377 (§ 571). " Gl 17/105, Sk 18/93.

KAPITEL 2

Dialektik der Unschuld a) Paradies „Daß das Paradies verloren ist, zeigt uns, daß es nicht absolut als Zustand wesentlich ist" 1 — dieser Satz spricht in geradezu provozierender Weise das dem traditionell-theologischen Denken Andersartige und Anstößige von Hegels Interpretation des Sündenfalls aus. Das Andersartige dabei dürfte sich darin finden, daß — bereits an diesem Punkt und Hegels Sicht in nuce enthaltend — ein Denken sich artikuliert, das nicht eine einzelne Bestimmung für sich allein festhält, sondern ihr Anderes hinzudenkt, also jene eigentümliche Form konkreten Denkens realisiert, die sich in dem Satze ausspricht: „Das Wahre ist das Ganze" 2 und dabei jene Forderung, die religiöse Vorstellung in die Form des Begriffs zu überführen, zur Geltung bringt (s. o. S. 33 f.). Anstößig scheint sich in dem zitierten Satz eine genaue Umkehrung christlicher Wertungen zu vollziehen, wenn die Vorstellung des Paradieses kritisiert wird. Hier erhebt sich sofort die Frage, folgt bei solcher Betrachtung nicht eine positive Wertung der Sünde notwendig? Jedoch gilt es zunächst zu sehen, wie sich die Kritik Hegels näher darstellt. Hegel stellt fest, der erste paradiesische Zustand des Menschen sei, historisch genommen, eine Konstruktion über den Anfang der Geschichte3. Das wahre Bild eines solchen anfänglichen „Naturzustandes" sieht anders aus (s. u. S. 41 ff.). Aber abgesehen von der historischen Frage, ist die Vorstellung einer spekulativen Kritik zu unterwerfen: „Das Paradies ist ein Park, wo nur die Tiere und nicht die Menschen bleiben konnten" 4 . Auf die Frage, warum eigentlich nicht, antwortet Hegel mit der nicht minder provozierenden Feststellung: weil die Unschuld des Paradieses kein dem Menschen angemessener Zustand ist. Diese Deutung der Unschuld muß erläutert werden.

1

Gl Gl » Gl 1 Gl 8

15/287, Sk 16/267. 2/24, Sk 3/24, H/21. 11/93 f., Sk 12/78 f. 11/413, Sk 12/389.

Unschuld als Widerspruch

b) Unschuld als

39

Widerspruch

Sie findet sich bereits in der 11. Habilitationsthese (1801) ausgesprochen: „Virtus innocentiam tum agendi tum patiendi excludit"®. Damit ist das Verlassen des Zustandes unwissender Unschuld als Bedingung wahrer Moralität erkannt. Unschuld als solche ist moralisch indifferent®. Dieses Diesseits von Gut und Böse ist Kindern mit den Tieren gemeinsam7. Daher muß der unschuldige Zustand des Paradieses als ein tierischer bezeichnet werden 8 . Schon hieraus erhellt, daß es eine läppische Forderung ist, die unwissende Unschuld dem ausgebildeten Reichtum des Bewußtseins vorzuziehen. Der Rückgriff auf ein solches Ideal — so wird mit deutlicher Polemik gegen Rousseau festgestellt (dazu s. u. S. 42) — ist ein Rüdtfall in ein vorvernünftiges Stadium®. Was ist aber nun die Unschuld selbst? Sie läßt sich durch eine Doppelaussage charakterisieren: 1. Unschuld ist unmittelbare Einheit mit Gott und Natur. 2. Als solche ist sie Mangel an Fürsichsein, Freiheit, Erkenntnis, Wille. In eins genommen: Unschuld ist noch nicht Geist. Hier macht sich Hegels Grundanschauung vom Menschsein als Hintergrund für seine Lehre von der Unschuld und Sünde geltend. Der Mensch ist Geist. Geist aber ist nie nur an sich und unmittelbar. Geist ist vielmehr gerade Negation des Unmittelbaren, Fürsich des Ansich10. Geist ist nur, indem er sich zu dem macht, was er ist11. Geist ist Entzweiung von sich.

5

Glockner, Hegel 2, a . a . O . S. 244; Sk 2/533; Rosenkranz, a . a . O . S. 159, cf. Gl 11/350, Sk 12/329. • Gl 3/45, 51, 71, Sk 4/223, 229, 247 (§§ 16, 23, 25); cf. Gl 4/543, Sk 6/72, LII/55 f.; Gl 10/102, cf. 97, Sk 10/81, cf. 77 (Zus.); Gl 15/254, Sk 16/234; Gl 16/260, Sk 17/253; radikal: Gl 2/358, Sk 3/346, H/334. 7 Gl 9/40, Sk 9/18 (Zus.); Gl 10/102, Sk 10/81 (Zus.); Gl 11/413, Sk 12/389; Gl 15/285, Sk 16/264 f.; Gl 16/260, Sk 17/253. 8 ebend. cf. Gl 11/65, 72, Sk 12/51, 57; Gl 15/285, Sk 16/264; Gl 16/75, 260, Sk 17/76, 253. • Gl 2/403 f., Sk 3/389, H/374; Gl 10/102, Sk 10/81 f. (Zus.); cf. Gl 18/163, Sk 18/555, cf. auch Hegels Kritik an der sentimentalen Darstellung von Unschuld in der „Idylle": Gl 14/393 f., Sk 15/390 f. 10 cf. Gl 8/92 ff., Sk 8/88 (Zus.); Gl 11/413, Sk 12/389; Gl 19/133, 138, Sk 19/525, 530. 11 Gl 7/267 f., Sk 7/344 (§ 187); Gl 8/94, Sk 8/89 (Zus.); Gl 11/90, 113, Sk 12/75, 99; Gl 15/284, Sk 16/263; Gl 19/100, Sk 19/400.

Dialektik der Unschuld

40

Daher ist alles Reden von der „Natur des Menschen" dialektisch: seine Natur ist es, über die Natur hinauszugehen. Geistsein des Mensdien vollzieht sidi im Transzendieren alles bloß Natürlichen an ihm 12 . Unter dieser Voraussetzung des dialektischen Wesens menschlichen Seins als geisthaft findet sich in der Vorstellung eines Standes der Unsdiuld ein Widerspruch. Es ist der Widerspruch zwischen geistiger Form und natürlichem Inhalt 13 . Denn im Stande der Unschuld herrscht ihre unmittelbare Einheit, die als unmittelbare gerade der Widerspruch zu dem einen in die Einheit aufgenommenen Momente, dem geistigen, ist. Geistige Form schließt unmittelbare Einheit aus. Von der Seite des inhaltlichen Momentes, der Natürlichkeit, aus gesehen, läßt sich sagen, in der — als Unschuld gedachten — Einheit ist eine Gebundenheit des Geistigen an das Natürliche gesetzt, die eben Negation des Geistigen ist, das Geistige selbst naturhaft macht. Von der Seite des Momentes geisthafter Form ließe der Widerspruch sich so betrachten: das unmittelbare Festhalten des natürlichen Inhalts ist, da der Geist das Umgreifende ist, eben nicht unmittelbar, sondern selbst geistig14. Es ist mit der Unschuld gedacht: eine Freiheit, die frei auf sich verzichtet, sich aufgibt, ein Wille, der nicht wollen will. Es gilt also: unmittelbare Unschuld ist nicht geistig. Und: geisthafte Unschuld ist nicht unmittelbar (was auf die Versöhnung weist)1®. Daraus folgt, daß der Mensch nicht unmittelbar unschuldig sein kann, weil er Geist ist und nicht unschuldig bleiben darf, weil er sonst nicht Geist wäre. An dieser Stelle muß eine terminologische Erläuterung vorgenommen werden. Die obigen Sätze enthalten nämlich eine Implikation, die hier noch nicht ausführlich entwickelt zu werden braucht, auf die aber schon jetzt vorblickend hingewiesen wird. Es ist in dem Gesagten impliziert, daß Menschsein wesentlich als Selbstbewußtsein zu verstehen ist. Weil der Mensch Selbstbewußtsein ist, vollendet sich sein Wesen als Geist. Jene Sätze lassen sich gleichermaßen auf den Begriff des Selbstbewußtseins wie auf den des Geistes beziehen, da hier eine Differenzierung beider Begriffe insofern noch nicht nötig erscheint, als ihre Differenz überhaupt erst im Überschreiten des Unschuldsgedankens sichtbar werden

12 13 14

"

Gl Gl Gl Gl

11/479, Sk 12/453; Gl 18/271, Sk 19/107; Gl 19/444, Sk 20/228. 16/260, Sk 17/253. 8/96, Sk 8/90 (Zus.); Gl 16/259, Sk 17/252 f. 16/74, Sk 17/76.

Naturzustand

41

kann. Erst bei Erörterung der Konstitution von Sünde wird ihr genaues Verhältnis thematisiert werden müssen. Daß hier bei Behandlung der Unschuld der Begriff Geist vorgezogen wird, ist darin begründet, daß er zum Unschuldsgedanken größere Nähe hat als der des Selbstbewußtseins. Vorwegnehmend darf gesagt werden, daß sich Unsdiuld und Geist zueinander verhalten wie unmittelbare Einheit zu (durch Entzweiung vermittelter) entfalteter Einheit. Selbstbewußtsein dagegen hat sein Sein gerade in jener Vermittlung. Daher ist Selbstbewußtsein als im Zustand ruhender, dauernder Einheit befindlich gedacht (Paradies), eine contradictio in adjectum. Unsdiuld ist keine angemessene Befindlichkeit für das Selbstbewußtsein. Seine Freiheit erscheint gerade als Transzendieren jedes Ruhepunktes und jeder (vorausgesetzten oder jeweils geleisteten) Einheit. Wir kehren zum Gedankengang zurück. Der mit der Unschuld gesetzte Widerspruch treibt zu seiner Lösung, deren eines Moment das Heraustreten aus der Unschuld (der Sündenfall) und deren anderes Moment das Gewinnen einer geisthaften Einheit (Versöhnung) bilden. Ist Unschuld zu fassen als natürliche Einheit mit Gott, so läßt sich der mit ihr gedachte Widerspruch auch hinsichtlich des Gottesgedankens entfalten. Diese Dialektik kann vom Standpunkt des Menschen aus betrachtet werden; dann ergäbe sich eine Wiederholung des eben Ausgeführten. Oder sie kann vom Gottesgedanken selber her entwickelt werden, was unten im Rahmen des Kapitels: „Sünde und Gottesgedanke" geschehen soll, denn auch die Bewegung zur Lösung des Widerspruchs in der Unschuldsvorstellung hat Konsequenzen für den Gottesgedanken. Paradoxerweise ergibt also der Gedanke der Unsdiuld für Hegel den Satz: der Mensch ist im Stande der Unsdiuld nicht, wie er sein soll16. Dies führt zum Problem der Erbsünde und der Frage: Ist der Mensch von Natur aus gut oder böse? (s. u. S. 90 ff.)

c)

Naturzustand

In engem Zusammenhange mit der üblichen Vorstellung von der Unschuld steht der gesdiichts- und staatsphilosophisdie Gedanke von

»· Gl 15/254, 285, 288 f., Sk 16/234, 265, 267; Gl 16/264, Sk 17/257, cf. die paradoxe Zuspitzung Gl 16/316, Sk 17/306; cf. audi Gl 2/588, Sk 3/562, H/537; Gl 19/133, 138, Sk 19/525, 530.

42

Dialektik der Unschuld

einem ursprünglichen Naturzustand. Wird dieser wie bei Rousseau als ein Ideal dargestellt, zu dem zurückzukehren, Heilung von den Schäden der geschichtlichen Entwicklung bedeuten soll, so wendet sich Hegel scharf dagegen als gegen eine „schale Träumerei" 17 . Solche Forderung bleibt nicht nur in unerfüllbarer Allgemeinheit18, sondern sie gründet sich auf einen historischen Irrtum sowie auf eine Verkennung der (wahren) Natur des Menschen. Der Irrtum Rousseaus erkennt nicht die historische Wirklichkeit jener dunklen Anfänge der Menschheitsgeschichte: weit entfernt von Glückseligkeit und Unschuld stellen sie vielmehr einen Zustand chaotischer Triebhaftigkeit und wilder Roheit dar. Im Naturzustand herrschen Ungerechtigkeit und Gewalt 19 . Aus diesem Irrtum erklärt sich auch Rousseaus falsche Idealisierung der Eingeborenen Amerikas20. Wie der Mensch des Naturzustandes wirklich aussieht, zeigt für Hegel dagegen der Neger21. Realistischer als Rousseau hat Hobbes den Naturzustand gesehen, wenn er ihn als bellum omnium in omnes kennzeichnet24, sosehr freilich Hegel methodische Einwände gegen die Funktion einer solchen Vorstellung in der philosophischen Behandlung des Naturrechts erhebt23. Auch für Hegel ist er der Kampf auf Leben und Tod um die Anerkennung des Selbstbewußtseins24. So handelt es sich bei dem idealen Bilde vom Naturzustand um eine „Fiktion", „Erdichtung" oder auch „geschichtliche Konstruktion"®5. Als einzelne Züge einer phantastischen Ausmalung dieses Zustandes führt Hegel die Vorstellung harmonischer Einheit mit

17 18

« 20 21

22

»

24 25

Gl 10/376, Sk 10/298 (Anm.); cf. Gl 12/349 f., Sk 13/335. Gl 19/510, Sk 20/290. Gl 3/70 f., Sk 4/247; Gl 10/391, Sk 10/312; Gl 11/73, 144, Sk 12/58 f., 129; Gl 12/81, Sk 13/75. Gl 11/443 f., Sk 12/419. Gl 11/137, Sk 12/122, cf. Gl 15/288 f., Sk 16/268; anders „die Vernunft in der Geschichte", a. a. O. S. 218 f. Gl 19/442 ff., Sk 20/227 f. cf. Gl 1/448 ff., 452, Sk 2/444 ff. Zur Frage, ob Hegel in diesem frühen Aufsatz schon Hobbes meint, cf. Glockner, Hegel 2, 309 A. 1. und Fischer, 1. c. 1. Teil, S. 273. Gl 10/283 f., Sk 10/221 f. (§ 432 + Zus.). Gl 1/450, Sk 2/447; Gl 10/390 f., Sk 10/311; Gl 11/36, 72, 93 f., Sk 12/22, 58, 78.

Kritik des Vorstellungskomplexes

43

der Natur2® und die eines Urvolkes mit vollkommener Gottes- und Naturerkenntnis 27 polemisch an. Die Forderung, zur Einfachheit und Ursprünglichkeit des Naturzustandes zurückzukehren — und die sie realisierende Pädagogik 27 » — verkennt aber nicht nur die historische Wirklichkeit solcher anfänglichen Natürlichkeit, sondern ebenso das Wesen des Menschen. Sie enthält eine unwahre Meinung, weil die Geistigkeit des Menschen gerade darin besteht, sich von der Natur zu befreien 28 . Also ist das Verlassen des Naturzustandes Bedingung der Bildung zu wahrer Freiheit und Sittlichkeit 2 8 : ex ilio exeundum, wie schon die 9. Habilitationsthese 30 im Anschluß an Hobbes 81 und Spinoza 82 formuliert. Rousseaus Forderung ist gerade „unnatürlich" 33 . Es zeigt sich also, daß der Argumentationszusammenhang hier dem hinsichtlich der Unschuldsproblematik völlig analog ist, welcher Zusammenhang auch im Verhältnis der 9. und 11. Habilitationsthese erkennbar wird 34 .

d) Kritik des Vorstellungskomplexes Soll zusammenfassend die Art charakterisiert werden, in der Hegel den Vorstellungskomplex von Paradies, Unschuld und Naturzustand Gl 6/238 f. (Heidelb. Enzykl. § 320); Gl 9/40, Sk 9/17 (§ 246 Zus.); Gl 10/162 f., Sk 10/128 f. (§ 405 Zus.); Gl 15/287, 288 f., 290 f., Sk 16/266, 268 f., 270 f. " Gl 9/40, Sk 9/17 (Zus.); Gl 10/162 f., 428, Sk 10/128, 348; Gl 11/36, 93 f., Sk 12/22, 79; Gl 15/280 f., 295, Sk 16/260 f., 274. «»Gl 7/235, Sk 7/304 (§ 153 Zus.); Gl 3/240 f., Sk 4/321; Gl 15/289, Sk 16/268. 2 8 cf. o. Anm. 10—12) u. Gl 7/275, Sk 7/350 (§ 194); Gl 12/349 f., Sk 13/335 f. w Gl 7/267 f., Sk 7/344 (§ 187 Anm.); Gl 10/390 f., Sk 10/311 f.; Gl 11/95 f., 298, Sk 12/81, 278; Gl 18/271 f., 396, Sk 19/107 f., 223 f. 50 Glöckner, Hegel 2, S. 243, Sk 2/533, Rosenkram, 1. c. 159, cf. Gl 10/391, Sk 10/312 (S 502 Anm.). Das „iniustus" der These steht nidit im Widerspruch zu dem oben Ausgeführten, cf. u. Anm. 34). 91 Gl 19/444, Sk 20/238. M (Weltgeschichte) cf. »Die Vernunft in der Geschichte", a. a. O. S. 117. 33 cf. Gl 2/403 f., Sk 3/389, H/374. 84 cf. dazu Glöckner, Hegel 2, 243 f. und Rosenkranz, 1. c. 159. M

44

Dialektik der Unschuld

religionsphilosophisdi begreift, so ergibt sidi ein ambivalentes Bild. Trotz der dargestellten Kritik vermag Hegel einerseits, in diesen Vorstellungen ein Wahrheitsmoment zu entdecken. Diese Vorstellungen, die nidit auf die biblische Religion beschränkt sind, sondern sich vielerorts in der Religionsgeschichte finden*5 bringen nämlich ein wesentliches Moment des Geistes zum Ausdruck: sein An-und-Für-sidi-Sein, seine wesenhafte Identität mit dem Göttlichen88. Wenn aber dies der Wahrheitsgehalt, der vernünftige Kern der religiösen Vorstellung ist, dann ist andererseits mit diesem Positiven die Kritik an seiner vorstellungsmäßigen Form sdion gesetzt: sie erkennt es als unsachgemäß, daß diese Wahrheit des Geistes als Zustand in der Zeit vorgestellt wird 87 . Dieser Modus einer Vergegenständlichung zu „äußerlicher, unmittelbarer Existenz, als Zustand" 88 läßt die wesentliche Wahrheit des Geistes als etwas Vergangenes89 und damit Zufälliges — weil als Zustand, der nicht hätte verloren gehen dürfen! — und Endliches40 erscheinen. Daß das Paradies als ein verlorenes dargestellt wird, zeigt, „daß eine solche Vorstellung nicht das Wahrhafte enthalte, denn in der göttlichen Geschichte gibt es keine Vergangenheit, keine Zufälligkeit" 41 . Dieser Satz läßt den eingangs zitierten, herausfordernden erst ganz verständlich werden (s. o. S. 38). Zugleich läßt er schon erkennen, daß die Religionsphilosophie Hegels sich vor der Aufgabe sieht, den Wahrheitskern der Vorstellung vom Paradies und seinem Verlust als Moment der „göttlichen Geschichte" zu begreifen. Dies wird später zu erörtern sein (s. u. S. 124 f.). Sichtbar ist zunächst, daß die Vorstellung einer unmittelbaren, anfänglichen Einheit mit Gott etwas Gott nicht Gemäßes ist48. Zwar ist die Einigkeit mit Gott das wahrhafte Ansich des Geistes, seine substantielle Bestimmung. Aber dieses Ansich darf nicht als anfänglicher Zustand gedadit werden 48 . Die Natur des Geistes widerspricht dem, denn der 35 36 37 38 39

40 41 42 43

cf. Gl 8/94, Sk 8/88 f. (Zus.); Gl 15/282, Sk 16/262; Gl 16/171 f., Sk 17/169. Gl 15/282, Sk 16/262 f. Gl 15/282, 283, 293, Sk 16/262, 263, 272. Gl 15/284, Sk 16/263. Zukünftigkeit dieses Zustandes wird als nur ein anderer Modus der Vorstellung von derselben Kritik betroffen. Gl 15/293, Sk 16/272; Gl 16/90, Sk 17/91. Gl 15/287, Sk 16/267. Gl 15/280, Sk 16/260. Gl 16/74, Sk 17/76.

Kritik des Vorstellungskomplexes

45

Geist ist nur in selbsttätiger Oberwindung seiner Unmittelbarkeit 44 . Der Geist erreicht seine Einigkeit erst durch Entzweiung 46 . Hier liegt die Wurzel der hegelischen Ablehnung jeder Art von Ursprungs- bzw. Urstandsdenken. Das Erste ist daher nicht das Wahrhafte4® und die Naturreligion nicht die vollkommenste Religion 47 . Das Ansich muß realisiert werden 48 , die Einheit mit Gott Resultat sein49. Die sich hier aussprechende teleologische Kritik ist von höchster Wichtigkeit für Hegels Sündenbegriff, wie mehrfach siditbar werden wird. Sie ist das Prinzip, nach dem die Umformung traditionell-theologischer Motive geschieht. Ihre Notwendigkeit hat diese Umformung für Hegel in ihrer Vernünftigkeit. Das Telos der Vernunft jedoch ist der Geist. In diesem Begriff wird, was als Forderung der Vernunft sich ihrer selbst zu vergewissern, bloß formal erscheinen könnte, seine materielle Erfüllung erfahren bzw. sich als Identität der materialen und formalen Notwendigkeit der Umformung erweisen. Das Eigentümliche der Hegelsdien Kritik liegt demnach darin, daß sie jene Vorstellung ihrem wesentlichen Gehalt nach als notwendig 80 und d. h. mit dem vernünftigen „Begriff" übereinstimmend versteht, ihre verobjektivierende Form aber ablehnt 81 . In dieser Ambivalenz spiegelt sich präzis Hegels dialektische Verhältnisbestimmung von religiöser Vorstellung und philosophisdiem Begriff (s. o. S. 29). Als denkerisdies Motiv dieser Verhältnisbestimmung erscheinen an dieser Stelle zwei Intentionen : a) jeden einzelnen religiösen Gedanken aus seiner vorstellungsmäßigen Isolation zu befreien und als organisches Moment der Vernunft zu begreifen bzw. auf den Einheit setzenden und fordernden Gottesgedanken zu beziehen; b) die vorstellungsmäßige Fixierung einzelner Gedanken aufzulösen in einen Prozeß („göttliche Geschichte", „Verwirklichung des Begriffs"), dem sie teleologisch eingegliedert sind. Dies wird von einschneidender Bedeutung für das Problem „Notwendigkeit der Sünde" (s. u. S. 123 ff.). 44

Gl 15/284, Sk 16/263, cf. o. Anm. 11). Gl 15/284, 288, Sk 16/264, 267. 44 Gl 15/283, Sk 16/262. 47 Gl 15/280, Sk 16/260. 48 Gl 15/284, Sk 16/264. 49 Gl 8/94, Sk 8/89 (Zus.). 50 cf. Gl 15/282 f., 292 f., Sk 16/262 f., 272. « cf. Gl 15/284, Sk 16/263. 48

Dialektik der Unsdiuld

46

So wird auch schon bei der Erörterung dieses Vorstellungskomplexes (Paradies, Unsdiuld, Naturzustand) eine wesentliche Beziehung auf den Gottesgedanken als Eigentümlichkeit der Hegelsdien Interpretation siditbar. Denn das Positive dieser Vorstellung liegt ja darin, Erinnerung und Mahnung an das innere Telos des menschlichen Geistes52, seine wesentliche Einheit mit dem göttlichen Geist, zu sein. Und das Negative dieser Vorstellung liegt deshalb eben in der durdi ihren Vorstellungscharakter gesetzten Tendenz, dieses innere Telos, das gerade Negation der Unmittelbarkeit ist, als unmittelbar gegeben (qua Objektivierung) festzuhalten und eo ipso ins „Böse" zu verkehren.

e) Logik der

Subjektivität

Die Hegeische Rezeption des Begriffs „Unschuld" verdankt sich offensichtlich einem eigentümlichen Verfahren, dessen Sinn jetzt, nachdem jene zur Darstellung gekommen ist, für sich diskutiert werden muß. Die Analyse der Widersprüchlichkeit im Unschuldsgedanken vollzog sich als Überführung einer Struktur (Unschuld) in eine umfassendere (Geist), wobei die letztere der ersten zugrunde liegen und sie erst verständlich machen sollte. Denn unter der Bedingung jener umfassenderen Struktur wurden die Widersprüche in der integrierten sichtbar bzw. von der höheren her die Notwendigkeit, die niedere zu integrieren. Die Klärung dieses Verfahrens muß zugleich den weiteren Gang der Arbeit überhaupt begründen, weil mit der Einführung des Begriffes „Geist" auch der Horizont eröffnet ist, unter dem der Sündenbegriff bei Hegel erörtert wird. Als seiner Logik gehorchend, wird sich somit die Entfaltung des Themas dieser Arbeit zu erweisen haben. Die Analyse der Unschuldsvorstellung hat — wie oben gezeigt — Unschuld als das Moment des Ansichseins interpretiert, das der Geist sith voraussetzt. Wie ist der Horizont beschaffen, in den der Unschuldsgedanke damit einbezogen ist? Es ist deutlich, daß diese Analyse der (vorläufigen) Explikation einer eigentümlichen Struktur dient, die man als „Subjektivität" (Geist, Selbstbewußtsein) bezeichnen kann. Ihrer Logik wird der Begriff Unschuld eingezeichnet. Subjektivität läßt sich dabei beschreiben als aktuose Selbstkonstruktion. Ihr Sein ist ein Sich-von-sich-Abstoßen; sie ist als konsti52

cf. Gl 9/10, Sk 9/17 (§ 246 Zus.); Gl 16/74, Sk 17/76.

Logik der Subjektivität

47

tutiver Rückstoß. Subjektivität ist das, was sich selbst sich voraussetzt. Dies Moment des „Voraus" ist mit dem „Ansidi" bezeichnet. Subjektivität ist so, daß, indem sie ist, sie immer sdion gewesen ist. Es ist für diese Struktur also eigentümlich, daß ihre Bezugnahme auf sidi Selbstunterscheidung impliziert. Sie erfaßt sich so, daß sie, indem sie sich erfaßt, sich als von sich unterschieden erfaßt. Subjektivität ist so sie selbst, daß sie zugleich nicht (mehr) sie selbst ist. Dies „nicht mehr" erscheint als Vergangenheit (s. darüber u. S. 48). Die aufgedeckten Widersprüche in der Vorstellung „Unschuld" resultieren aus (erscheinen als solche unter Bedingung) der Integration in diese Struktur; sie werden nur unter ihrer Voraussetzung siditbar. Der gewissermaßen „feste" Punkt von Unschuld wird Anlaß zu seiner dialektischen Verflüssigung auf dem Wege der Integration in den eigentümlichen Zusammenhang von Selbstkonstruktion, d. h. Subjektivität. Das, was sich selbst erzeugt, indem es sich von jenem Punkt abstößt, und sich darin begreift, ist Freiheit (sich wissende Subjektivität). Insofern ist die beschriebene Integration des Unschuldsgedankens nidit beliebig, sondern die Art, wie Freiheit, die sich als soldie Selbstkonstruktion weiß, allein sich gegenständlich werden kann. Freiheit ist notwendig so; es ist ihre Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit der Freiheit zeigt sich hier als Incitament von Dialektik. Subjektivität begreift sich, indem sie sich in ihren Produktionen begreift. Oder auch: das, woran sie sich begreift, kann sie, um sich zu begreifen, nur als ihre Produktion begreifen. Sie setzt sich etwas voraus und ist zugleich, indem sie dies Vorausgesetzte als von ihr selbst gesetzt weiß. Indem sie sich „etwas" voraussetzt, setzt sie nur sich selbst voraus. „Das Aufheben eines Vorausgesetzten ist der verschwindende Schein; erst in dem das Unmittelbare aufhebenden Tun wird dies Unmittelbare selbst oder ist jenes Scheinen; das Anfangen von sidi selbst ist erst das Setzen dieses Selbst, von dem das Anfangen ist" 53 . Läßt sich einerseits so nach vollzogenem Verfahren dies in seiner eigentümlichen Notwendigkeit einsichtig machen bzw. begreift es sich in dieser, so kann andererseits die Niditbeliebigkeit des Verfahrens auch vom Begriff Unschuld selbst her aufgewiesen werden, der sich an ihm selbst in die Subjektivitätsstruktur überführt. Soll Subjektivität sich in „Unschuld" als voraussetzende Produktion wiederfinden können, so muß M

Gl 4/699, Sk 6/220, LII/186.

48

Dialektik der Unsdiuld

„Unschuld" selber Subjektivität an ihr haben. In der Durchdringung beider Betrachtungsrichtungen gewinnt die Hegelsdie Analyse erst ihre volle Durchsichtigkeit. Zu betrachten ist also der Begriff „Unsdiuld". Ist Unschuld als U n sdiuld bewußt, so ist damit eine Verdoppelung gesetzt, die ihr widerstreitet, die selber nicht mehr nur — und Unsdiuld will ausschließlich sein — Unschuld ist. Der Begriff Unschuld als solcher ist eine Vergegenständlichung, die ihm selber widerspricht; der Akt des Denkens widerspricht dem Gedachten. So impliziert der Unschuldsbegriff seine eigene Aufhebung: Unsdiuld ist nur als vergangen, also nur nicht-unschuldig denkbar. Unsdiuld ist ein Begriff, der sich (nur so denken läßt, daß er sich) von sich abstößt und sich dadurch zum Moment herabsetzt, daß er sich einem Prozeß von Selbstkonstruktion integriert. Der Begriff Unschuld ist selber Selbstaufhebung, Subjektivität. Dies Sidi-von-sidi-Abstoßen, Selbstentzweien des Begriffs Unsdiuld erscheint dem Vorstellen als dessen Vergehen bzw. Vergangensein. Der Begriff setzt Geschichte, um denkbar zu sein. Unschuld „gibt" es also nur als aufgehobene; das Paradies ist eo ipso ein verlorenes. Die in diesen Begriffen vorgestellte Einheit ist nur präsent unter den Bedingungen von Entzweiung. Die Entzweiung setzt sich Einheit voraus. Unschuld ist also nur erfahrbar, wenn es schon etwas anderes gibt. Die erfahrene Dualität von Unschuld und Schuld versteht sich von einer Indifferenz („Unschuld") her. Oder genauer: das Moment der Entzweitheit und das der zu ihr relativen Einheit rekonstruieren ihre Einheit als ursprüngliche. Diese Überlegungen exponieren den (für unser Thema leitenden) Begriff von Subjektivität. Sie bieten eine vorläufige Skizze von deren Struktur in ihrer Einheitlichkeit, als ganzer, die der weitere Gang der Arbeit näher ausführen wird. Was in der Subjektivitätsstruktur als Entzweiung ist, erscheint im Begriff Unschuld als Übersichhinaustreiben. In dieser Tendenz ist er an sich widersprüchlich. Gesetzt erscheint diese Widersprüchlichkeit im Begriff „Fall", der sie entfaltet (c. 3). Indem mit „Unsdiuld" und „Fall" Einheit und Entzweiung auseinander- und gegenübertreten (sich selbst entzweien), wird die Frage nach ihrer Einheit relevant. Sie wird artikuliert im Begriff des Selbstbewußtseins (c. 4). In diesem Zusammenhang wird audi Hegels Konstruktion des Sündenbegriffs zu analysieren möglich. Dabei zeigt sich, daß sowohl Selbstbewußtsein wie auch seine Selbstentfremdung als Sünde nicht beschrieben werden können ohne den

Logik der Subjektivität

49

Begriff absoluter Identität bzw. den Begriff des Absoluten. Die Zweiheit Unschuld — Fall verschiebt sich damit in die: Sünde — Gott (c. 5). Die Diskussion des Verhältnisses '^Selbstbewußtsein — Gottesgedanke und seiner eigentümlichen Variante Sünde — Gott nimmt Bezug auf eine Einheit, die der Begriff des Geistes beschreibt. Von dieser Einheit her die in der so vollzogenen Entfaltung der Subjektivitätsstruktur auftretenden, sich auseinander entwickelnden und sie auslegenden Entzweiungen (Unschuld—Fall, Selbstbewußtsein—Identität, Sünde—Gott) in ihre Einheit dadurdi zurückzunehmen, daß sie ihr inneres Telos erreichen, leistet der Begriff „Versöhnung" (c. 6). In ihm hat sich die eben anfänglich skizzierte Subjektivitätsthematik als Selbstkonstruktion absolut vollendet und weiß sidi als Freiheit (c. 7).

4 Ringleben, Hegels Theorie

KAPITEL 3

Der Fall a) Methodologische

Erwägungen

Die bisherige Darstellung l ä ß t zwei Ergebnisse erkennen, deren Bedeutung f ü r das weitere Verständnis v o n Hegels Sündenlehre f u n d a m e n t a l ist. Einmal geht sie v o n der Voraussetzung aus, d a ß sich in dem M y t h u s Gen. 3 ein „tief spekulativer Sinn" finden lassen müsse, dessen vernünftige Explikation die Forderung religionsphilosophisdien Begreifens der religiösen Vorstellung realisiere. Dieser vernünftige Sinngehalt findet sich darin, d a ß die E r z ä h l u n g v o m Sündenfall sich verstehen läßt als „die Geschichte des menschlichen Geistes" 1 . D a m i t ist jede I n t e r p r e tation im Sinne historisch-tatsächlicher Einmaligkeit im vornherein ausgeschlossen 2 . W a s in Gen. 3 erzählt w i r d , ist der „ewige M y t h u s der Menschwerdung", d. h. es w i r d die N a t u r des Menschen als Menschen in F o r m eines Geschehens dargestellt 3 . Gen. 3 beschreibt etwas in vorstellungsmäßiger Form, was sich a n jedem Menschen wiederholt; A d a m ist der Mensch überhaupt 4 , d. h. er v e r k ö r p e r t den allgemeinen Begriff des Menschen; historisch genommen, w ä r e er der zufällig erste Mensch v o r vielen anderen. Die These, d a ß in der Erzählung Gen. 3 das religiöse Bewußtsein sich seine Anthropologie vergegenständliche, bildet also den Leitfaden f ü r die Auslegung des Sündenfalles u n d seiner Folgen. Sodann erwies sich im vorigen Abschnitt bereits der G e d a n k e der Unschuld als ungenügend. E r charakterisiert ein eigentümliches M o m e n t des menschlichen Seins, das aber als idealer Zustand gedacht dem Wesen des Menschen, insofern er Geist b z w . Selbstbewußtsein ist, widerspricht. Auch eine u m r i ß h a f t e Näherbestimmung des menschlichen Wesens als

1 2

3

4

Gl 8/93 ff., Sk 8/88 fï. (Zus.). Zur historischen Frage des ersten Menschenpaares cf. Gl 10/70, Sk 10/57 (Zus.). Gl 11/93, 413 f., Sk 12/79, 389 f.; Gl 15/285 ff., Sk 16/265 ff., Gl 16/70, 74, 77, Sk 17/72, 76, 78. Gl 8/93, Sk 8/88 f. (Zus.); Gl 16/70, 74, 266, Sk 17/72, 76, 259; Gl 19/105, Sk 19/499.

Methodologische Erwägungen

51

Geist ist in dem Abschnitt bereits gegeben (s. o. S. 39 f.), die ihre konkrete Erfüllung im folgenden erfahren soll. Jedenfalls ist soviel deutlich, daß „Geist" der (zunächst anthropologisch verstandene) Leitbegriff ist, an dem sich die Auslegung der Sündenfallgeschichte inhaltlich orientiert. Das Recht eines solchen Interpretationsmodus ergibt sich — abgesehen von der oben dargestellten Forderung der Vernunft zum Begreifen der Vorstellung — daraus, daß eine Theorie des religiösen Bewußtseins sich vor der Aufgabe sieht, Erfahrungen dieses Bewußtseins, wie sie sidi in der Erzählung vom Sündenfall dokumentieren, zu verstehen, d. h. nach ihrer Struktur und den Bedingungen ihrer Möglichkeit zu erhellen. Schon die Phänomenologie des Geistes fordert diesen Bezug des philosophischen Begreifens zur Erfahrung 5 . Die Frage nadi der Legitimität des Hegeischen Interpretationstypus ist die methodologische Frage nach der Möglichkeit eines allgemeingültigen, philosophischen Begreifens des Sündenbewußtseins. Nach den Voraussetzungen der Philosophie Hegels läßt sich eine solche allgemeingültige Interpretation allein so realisieren, daß die der Sündenthematik zugehörigen Phänomene auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit im Zusammenhang einer Theorie des Selbstbewußtseins hin befragt werden. Solcher Zusammenhang kann sidi nur darstellen in begrifflichen Allgemeinheiten, die als konstitutive Elemente des Selbstbewußtseins fungieren. Die Reflexion auf die Bindungen von Sünde führt auf die Konstitutionsproblematik von Selbstbewußtsein. Die systematische Beziehbarkeit dieser Sündenbewußtsein nach den Bedingungen seiner Möglichkeit konstituierenden Begriffe erweist ihre philosophische Legitimität. Ein Sündenbegriff, der sich nicht als Moment transzendentaler Leistungen des Selbstbewußtseins theoretisieren läßt, ist philosophisch-systematisch unbrauchbar, bzw. er erweist sich seiner eigenen Problematizität gegenüber als unzureichend. Hegels Theorie der Sünde hat ihre Eigentümlichkeit eben darin, transzendentale Gründung und Leistung solcher Begriffe aufzuweisen. Diese Theoretisierung des Sündenbewußtseins bzw. seiner Erfahrungen vollzieht sich daher adäquat im Rahmen einer Theorie des Selbstbewußtseins bzw. in einer sich dem Geistbegriff teleologisch zuordnenden Interpretation gewisser Phänomene des Selbstbewußtseins. Kurz: Religionsphilosophie muß das Phänomen des Sündenbewußtseins aus dem Wesen des Menschen qua Selbstbewußtsein begreifen und denkend e

4*

Gl 2/613, Sk 3/585, H/558, cf. Gl 2/36, Sk 3/38, H/32.

Der Fall

52

zu erhellen versuchen, was es im Ganzen des Menschseins bedeutet. (Daß sie es dabei audi gleichermaßen auf den Gottesgedanken bezieht, davon weiter unten.) Mag sie dabei anders als Theologie verfahren, so benimmt ihr das nidit das sachliche Recht zu ihrer spezifischen Fragestellung. Der Selbstbewußtsein implizierende Geistbegriff als Interpretationsmitte stellt — wie angedeutet — in Hegels Theorie der Sünde dasjenige Prinzip dar, mit dessen Hilfe die empirisch-inhaltliche Vielfalt der Sünde auf eine sie ermöglichende und konstituierende, einheitliche Gegenständlichkeit beziehbar wird, welche allererst allgemeingültige Aussagen ermöglicht. Geist ist dergestalt Ursprung und Telos des Sündenbewußtseins und seiner Theorie. Diese methodologischen Erwägungen erläutern den eigentümlichen Überlegenheitsanspruch der Hegeischen Theorie gegenüber traditionellen Erörterungen der Sündenthematik als Formen eines „materiellen Denkens" (s. o. S. 29), deren wissenschaftlicher Problemgehalt erst im „begreifenden Denken" der Religionsphilosophie angemessen reflektiert wird.

b) Die

Entzweiungsthematik

Es gilt nun, den „Fall" im präzisen Sinn, also die aus dem Stadium der Unschuld heraustretende Bewegung als solche zu verstehen. Dabei ist grundlegend die These, daß der Fall nichts anderes ist als Vollzug der im Unsdiuldsgedanken angelegten Dialektik. Im übrigen ist deutlich, daß es primär (d. h. hinsichtlich der philosophischen Relevanz) nicht um zeitliche Aufeinanderfolge wirklicher, zeitfüllender Zustände geht, sondern um „Momente des Geistes", die nur darstellungstechnisch sich dem sukzessiven Verstehen in einer Folge darbieten. Was sich in der Form des Nacheinander zeitlich auseinanderlegt, ist in der überzeitlichen Idee ein Ineinander ihrer Momente®. Sprachlich schlägt sich dieser Sachverhalt in der folgenden Beschreibung unvermeidlich so nieder, daß der „Fall" im Schema des Vorher — Nachher, also in temporalen Verbformen erscheint, denen er sich der Sadie nach gerade entzieht.

9

„Das Nacheinander in der Zeit ist ein Neben- und Ineinander in der Idee, für weldie die Zeit nur ein allgemeines Schema der Mannigfaltigkeit ist";

Brunstäd, Weltgeschichte, a. a. O. S. 577, A. 17.

Die Entzweiungsthematik

53

Im Geistesmoment der Unschuld ist gedacht eine unmittelbare Einheit des Idi mit seinem göttlichen Grunde und der es umgebenden Welt 7 . Das Idi erlebt diesen doppelten Bezug als ungeschieden einen und sich unmittelbar als Moment dieser Einheit (paradiesischer Friede). Es hat sein Wesen in dieser Integration und läßt sidi charakterisieren als „unbefangenes Zutrauen", „absolutes Befriedigtsein", „schöner Glaube" 8 . Das Zerreißen dieser paradiesischen Einheit 9 vollzieht sich im „Erwachen des Bewußtseins" 10 . Das Ich erfaßt sich als sich selber: es geht in sich10* und wird für sich. Und eben durch dies Für-sich-Werden des Bewußtseins wird für es überhaupt erst ein Anderes als solches. Damit ist der Sündenfall als Entzweiung verstanden 11 . Er ist es in einem zweifachen Sinn: a) Entzweiung vom Ganzen (Gott, Welt) und b) Entzweiung von sich als unmittelbarem Moment des Ganzen. Das Idi blickt „zurück" auf sein An-sich. Indem das Bewußtsein zu sich selber gekommen ist, erfaßt sich das Ich als unterschieden, abgesondert von allem Nicht-Ich. Ihm steht als Idi alles gegenüber, auch jene Einheit mit Gott (sein Ansidi). Während sie „vorher" sein Leben war, ist sie „jetzt" das Gute, von dem es weiß und sich darin unterscheidet. Das Ich ist in den Gegensatz eingetreten12. Indem das Gute als solches dem Ich Gegenstand ist, erscheint auch dessen Anderes als Möglichkeit. Diese liegt unmittelbar im Sich-Untersdieiden vom Guten. Es weiß (jetzt erst) um Gut und Böse. Beide erscheinen als Gegenstände seiner Wahl bzw. Willkür 13 . Es steht ihnen 7

cf. Gl 8/93, Sk 8/88 (Zus.); Gl 16/72, Sk 17/74. Gl 8/92, 93, Sk 8/87, 88 (Zus.); Gl. 11/412, Sk 12/389; Gl 15/280, Sk 16/260. β cf. Gl 10/163, Sk 10/129 (Zus.). " Gl 8/94, Sk 8/88 (Zus.); Gl 13/406, Sk 14/403; Gl 15/287, Sk 16/266; Gl 16/265, Sk 17/258. ,0 » Gl 2/588, 589, 590, 594, 609, Sk 3/562, 563, 564, 568, 581, H/537, 538, 539, 543, 554 f. 11 Gl 8/92, Sk 8/88 (Zus.); Gl 9/40, Sk 9/17 (Zus.); Gl 11/413, Sk 12/390; Gl 15/280, 286 ff., 292, Sk 16/260, 265 ff., 271; Gl 16/222, 264, Sk 17/217, 257, cf. Gl 2/609, Sk 3/581, H/555. " Gl 8/93, Sk 8/88 (Zus.); Gl 15/286, Sk 16/265, cf. Gl 2/588, Sk 3/562, H/537; Gl 14/558, Sk 15/551. 1S Gl 11/413, Sk 12/389; Gl 15/280, 286, Sk 16/260, 265 f.; Gl 10/395, Sk 10/316. 8

54

Der Fall

als Herr gegenüber. Mit dem Fall tritt das Bewußtsein in das entzweite Wissen von sich und das entzweite Wissen von gut und böse. Darum erscheint der Fall als in der Erkenntnis geschehen14: das Idi erkennt in einem Schlage sich und den Gegensatz von gut und böse15. „Die Erkenntnis ist erst das Setzen des Gegensatzes, in dem das Böse ist."1® Die Absonderung vom unmittelbar Guten, die im Erkennen von gut und böse liegt, ist selber das Böse17. Das Aufbrechen der Erkenntnis ist in diesem Sinne Verlust der Unschuld. Mit diesem Heraustreten der reflektierten Erkenntnis hat das Ich seine Unschuld verloren und sich als Freiheit gewonnen18. Indem es sich erkennt, ist es frei von seinem Sein in der unmittelbaren Einheit mit Gott und gewinnt erst die Möglichkeit zu einer freien Einheit mit Gott. Indem es gut und böse erkennt, ist es frei von gut und böse und damit frei zu gut und böse19. So ist das Wissen, das dem Ich zuteil wird, ein „gefährliches Geschenk"20. Die Erzählung vom Sündenfall spiegelt diese gefährliche Ambivalenz. Die Grundbestimmung des Falles findet sidi darin, daß der Mensch nicht natürlicher bleiben darf 21 . Um seine „Natur" zu erfüllen, muß er aus der Gebundenheit des An-sich zur Freiheit des Für-sich gehen22. Unschuld ist Bewußtlosigkeit der Freiheit und ihr Gegensatz; sie ist die „unorganisdie Existenz des Geistes"23. Erst im Doppelschlag von Unmittelbarkeit und Reflexion gewinnt sich die Freiheit des Geistes.

14

15 le 17 18 19 20 21 22 23

cf. Gl 8/92 ff., Sk 8/87 ff. (Zus.); Gl 9/41, Sk 9/18 (Zus.); Gl 10/163, Sk 10/129 (Zus.); Gl 11/412 f., 415, Sk 12/389 f., 391; Gl 15/280, Sk 16/260; Gl 16/264, Sk 17/257; Gl 17/338, 18/121, Sk 18/314, 515; Gl 18/528 f., Gl 19/105, Sk 19/349, 499, cf. an diesen Stellen auch den Topos vom „Baum der Erkenntnis", dazu cf. Gl 16/74, Sk 17/76. Gl 15/282, 287, Sk 16/262, 266; Gl 16/265, Sk 17/258. Gl 16/264, Sk 17/257. Gl 2/588, Sk 3/562 f., H/537 f. Gl 11/413, Sk 12/389; Gl 15/280, Sk 16/260; Gl 16/267, Sk 17/259. Gl 16/74 ff., Sk 17/76 ff.; Gl 10/395, cf. 392, Sk 10/315, cf. 312. ebend. Gl 16/76, Sk 17/78. cf. Gl 8/93, Sk 8/88 (Zus.); Gl 11/413, Sk 12/389. Gl 11/95, 413, Sk 12/81, 389.

Antinomik der Entfremdung c) Antinomik

der

55

Entfremdung

Die Erzählung Gen. 3 macht so etwas wie Folgen des Falles namhaft. Im Rahmen des hier rekonstruierten philosophischen Interpretationsversuches können sich derlei „Folgen", die der Mythus als von Gott verhängte Strafe vergegenständlicht 231 , allerdings nur als mit dem Entzweiungsgeschehen selber schon gesetzte Momente darstellen. Ihre Benennung vollzieht also lediglich eine weitere Explikation dieser Entzweiung bzw. der sich in ihr realisierenden N a t u r des menschlichen Geistes. Wird der Fall als Entzweiung aus ursprünglicher Einheit verstanden, so erfährt das Bewußtsein dies — im Verhältnis zur Unschuld — Andersgewordensein als Entfremdung. Entfremdung bestimmt sein Verhältnis zu den — oben genannten — drei Momenten der ursprünglichen Einheit, die eo ipso in Momente zerfällt. Es findet sich entfremdet von Gott, von sich selbst und von der Welt (Natur). Das Entzweiungsverhältnis in diesen drei Dimensionen ist dabei durch eine eigentümliche Ambivalenz gekennzeichnet, die herauszuarbeiten ist. Die Entfremdung von Gott und vom Guten vollzieht sich im Durchbrach eines reflektierten Wissens um gut und böse. Aber eben dieses Wissen macht den Menschen Gott gleich24. Es macht seine eigentümliche Würde aus und unterscheidet ihn von einer Maschine. Die Erkenntnis des Guten als des Guten, die freilich nur um den Preis der Erkenntnis audi des Bösen erlangt wird, ist Voraussetzung f ü r wahrhafte Sittlichkeit. In dieser Weise setzt Ethos Eigenstand gegenüber Gott voraus. Das ist aber nur die eine Seite. Die andere ist, daß Gott und das Gute dem 2S

»cf. Gl 2/585, Sk 3/562, H/537; Gl 8/95, Sk 8/89; Gl 16/90, 266, Sk 17/91, 259. Die Äußerlichkeit dieser Strafe mit dem Gottesgedanken in der Vorstellung vom „Zorn Gottes" abzugleichen, kann dem vorstellenden Denken nicht gelingen; cf. Gl 2/590, Sk 3/564, H/539. Daß Hegel an dieser Stelle Böhme meint, geht aus Sk 2/552 ff. klar hervor (cf. audi Rosenkranz, a. a. O. S. 182). Audi der Mythus vom gefallenen Liditsohn (Gl 2/589, Sk 3/563, H/538) ist Hegel aus Böhme bekannt, wie ebenfalls Sk 2/552 ff. beweist; cf. audi Gl 9/57, Sk 9/30! Dies ist wohl mißverstanden bei Löcker-Euler, a. a. O. S. 26 f. Das Verhältnis Hegels zu Böhme bedarf einer ausführlichen Untersuchung, cf. Schütte, a. a. O. S. 66 Anm. 19. 84 Gl 8/95, Sk 8/89 f. (Zus.); Gl 11/413, Sk 12/389 f.; Gl 15/287, Sk 16/266; Gl 16/73, 75, 265, Sk 17/75, 77, 258; Gl 17/140, Sk 18/128; Gl 19/105, Sk 19/499, cf. Gl 7/204, Sk 7/265 (Zus.).

Der Fall

56

Bewußtsein dadurch als das Aufgegebene erscheinen. Der gefallene Mensch wird des Gesetzes ansichtig25. Wenn das Gute als durch göttliches Gesetz gefordert erscheint, so setzt das bereits Entfremdung von Gott voraus. Der menschliche Wille ist nicht mehr eins mit Gott. Die Entfremdung von sich selbst ist einmal in der oben geschilderten Weise Zusichselberkommen, Freiheit. Das Ich besitzt sidi, indem es sich weiß. Zum anderen erfährt es sich in seinem Anderssein253. Dies drückt sich unmittelbar im Gefühl der Scham aus, die mit der Reflexion erwacht26 und auch das zwischenmenschliche Verhältnis qualifiziert 263 . Das entzweite Verhältnis zu sich selbst ist durch die Ambivalenz von Freiheit und Verletzlichkeit des inneren Menschen charakterisiert261·. Auch die Entfremdung von der Natur trägt diese Ambivalenz in sich. Einerseits ist sie Bedingung der Erhebung des Menschen über den Zustand der Tierheit. Indem der Mensch zu selbstbewußtem Leben erwacht, weiß er sich als ein Anderer gegenüber der ihn umgebenden Natur. Darin liegt andererseits aber schon, daß auch die Natur sich ihm in ein Anderssein entzieht26c. Sie ist nicht mehr unmittelbar für den Menschen da, „arbeitslos sich darbietend" 26d , sondern fremd und selbständig. Sie gewinnt ein An-sidi. Damit beginnt eine Dialektik zwisdien Ich und Nicht-Ich, in der das Idi sich am Nicht-Idi durchsetzen und zu realisieren strebt. Dies Streben ist die Arbeit. Der gefallene Mensch muß arbeiten. Die Arbeit zeigt beides: das Sich-selber-Machen des Geistes — darin liegt die Hoheit des Menschen — und seine Bedürftigkeit — darin liegt die Endlichkeit des Menschen27. Auch der natürliche Tod ist Konsequenz des entzweiten Verhältnisses zur Natur 28 . Gl 8/96 f., Sk 8/91 (Zus.); Gl 15/281, Sk 16/260 f.; Gl 16/264, Sk 17/257, cf. ebend. Gl 90, Sk 91. 25* Gl 2/588, Sk 3/562, H/537. Gl 8/94, Sk 8/88 (Zus.); Gl 13/406, Sk 14/403 f.; cf. Koppers eindringliche Interpretation, a. a. O. S. 246—248, zum Verhältnis von Begierde und Sdiam. 25

2ea

cf. dazu Kopper, a. a. O. S. 247.

cf. zum Phänomen des Sdimerzes: Gl 10/31, Sk 10/26 (Zus.). Gl 15/307, Sk 16/286. Md Gl 2/588, Sk 3/562, H/537. 27 Gl 16/75, 266 f., Sk 17/77 f., 259 f., cf. Gl 8/95, Sk 8/89; Gl 9/41, Sk 9/18 (Zus.); Gl 12/349 f., Sk 13/336. 28 ebend. 26b

26c

Antinomik der Entfremdung

57

Freilich beschreiben die hier aufgezeigten Antinomien nur unvollkommen den Zustand der Entfremdung. Sie stellen die Folgen der Entzweiung dar, die Hegel, der Erzählung Gen. 3 folgend, ausdrücklich namhaft macht. Reflektiert man auf das theoretisdie Verhältnis von Entzweiung und Entfremdung im Sinne Hegels, so werden die Verhältnisse komplizierter. Im Sinne einer soldien Präzisierung sei die folgende systematische Rekonstruktion vorgeschlagen. Entzweiung ist Entfaltung eines Ganzen in gegensätzliche Momente. So verstanden drückt der Begriff einen doppelten Aspekt aus: Entzweiung ist Entzweiung von Einheit in Momente und zugleich Entzweiung der Momente voneinander in gegensätzliche. Zur Entfremdung wird Entzweiung, wenn die Entzweiten sich in ihrem Gegensatz zueinander verfestigen und in ihrer Isolation voneinander beharren. In dieser Fixiertheit verlieren sie ihre Momenthafligkeit, d. h. die Bezogenheit auf das Ganze, das sich in ihnen entzweit. Jedes der Momente hat so die Tendenz, sich selbst zum Ganzen zu machen, an dem das andere, gegensätzliche Moment nur als unterdrücktes und depotenziertes vorkommt. Versucht man eine schematische Darstellung dieses Verhältnisses und seiner möglichen Konstellationen, so bietet sich mit Vereinfachungen folgende an:

A-B

ursprüngliche Einheit (Ganzheit) Entzweiung (in Momente)

A+

Β

Entzweiung (der Momente)

Entfremdung (E)

Der Fall

58

Es ist schon hier sichtbar, daß Entzweiung selber audi positiv verstanden werden kann. Wenn sie nämlich nicht in die Verfestigung des Entfremdungszustandes (abstrakter Isolation) übergeht, sondern sich die entzweiten Momente als in ihrer Entzweiung aufeinander bezogen und so eine sidi in ihnen entfaltende und durdi wechselseitige Bestimmtheit konkretisierende, die Entzweiung umgreifende Ganzheit darstellen, kann Entzweiung als (lebendiges) Sein der entfalteten Einheit begriffen werden. Damit steht jedes Moment der Entzweiung in einer eigentümlichen Zweideutigkeit. Es steht zwischen der Möglichkeit, als Entfremdetes in abstrakter Identität zu verharren und der Möglichkeit, sich als Einseitiges zu überschreiten in Richtung auf das Ganze, in dem es Leben α)

Gottgleichheit i

Einheit mit Gott

Selbstvergötzung

Gesetzesknechtschaft

Gott als unwesentlich

Freiheit als unwesentlich

ß) Freiheit Gl 11/412 f., 414, Sk 12/388 f., 390; Gl 16/77, 90, 271 ff., Sk 17/79, 91, 263 ff.

Der Fall

60

söhnung finden. Singulär kann Hegel dabei audi — charakteristisch ausdeutend — auf die theologische Tradition vom Protevangelium in Gen. 3 Bezug nehmen 30 . Ausgesprochen aber findet er die Tiefe des Gedankens, daß durch die Entzweiung hindurdi die Versöhnung sich realisiere, erst in Gen. 3, 22 welcher Vers häufig zitiert wird 3 1 . In diesem von der Exegetik — nadi Hegels Vorwurf — oft übergangenen oder unzureichend verstandenen Vers" 2 spricht sich im Munde Gottes wie vorher im Versprechen der Schlange — welche damit in eine auffällige N ä h e zu Gott rückt — die an und für sich seiende Wahrheit der Entzweiung aus: in der Erkenntnis des Guten und Bösen ist der Mensch Gott gleich (geworden). Diese Gottähnlichkeit kann entweder im Schema der paulinischen Adam-Christus-Typologie ausgelegt werden, so daß die Wahrheit des gefallenen A d a m der zweite A d a m ist 33 . Oder sie kann einfach mit dem Gedanken der Ebenbildlichkeit ausgedrückt werden 3 4 . Beide Deutungen versuchen, in Anlehnung an theologische Terminologie den tiefsten Sinn der Entzweiungsproblematik zu formulieren. Hegel betont, daß dieser Sinn die unmittelbare Erzählung transzendiere; er beschreibt die Wahrheit des Falles, wie sie für Gott ist; der gefallene Mensch verbleibt nach der Erzählung im Unglück der Entzweiung 3 5 . Die Gegenläufigkeit der Hegeischen Deutung von Gen. 3 zur gewöhnlichen theologischen Auslegung kommt stärker hervor an einem anderen Punkt. D a der Mythus Sünde als Abfall von der Unschuld, diese also als jenem vorausgehenden Zustand vorstellt, erscheint der Fall als etwas, das nicht hätte sein sollen und von Gott verboten war. Der Fall geschieht nach der üblichen Erklärung als Übertretung des göttlichen Gebotes 8 6 . Der unter dem Leitbegriii des sich realisierenden Geistes sich vollziehenden Interpretation Hegels kehrt sich das Verhältnis um: Entzweiung (Verlassen der unmittelbaren Unschuld) ist Voraussetzung der (geistigen, wahrhaften) Unschuld. Diese Umkehrung erzwingt eine andere A u f f a s sung des Verbotes und des Nidit-sein-Sollens. In der Vorstellung, daß 30 31 32 33 34

35 36

Gl cf. Gl Gl Gl Gl Gl cf.

11/413, Sk 12/389; Gl 16/265 f., Sk 17/258. o. Anm. 24). 15/287, Sk 16/266; Gl 16/265, Sk 17/258. 16/265, Sk 17/258. 8/95, Sk 8/90 (Zus.); Gl 20/167, Sk 11/239; beides verbindend 16/265 f., Sk 17/258. 11/413 f., Sk 12/389 f. Gl 16/73, 90, Sk 17/75, 91; Gl 8/93, Sk 8/88 (Zus.).

Vorspiel des Heils

61

der Fall nicht hätte geschehen dürfen, liegt für Hegel konsequenterweise nur, daß er nicht das eigentliche Ziel des Geschehens ist 3 7 , weshalb er daran festhalten kann, daß Gott das Böse „verbietet" als mit seiner ewigen N a t u r unvereinbar. Auch diese Vorstellung erinnert dergestalt an die (ausstehende) Versöhnung. Im göttlichen Verbot, das sich sachlich gegen das Aufwachen der Erkenntnis, also gegen die Geistwerdung richtet, kann sich ebenso lediglich ein Wissen um die Ambivalenz und Gefährlichkeit dieses Schrittes spiegeln®8. Beide Vorstellungen werden so zu einem Hinweis auf die Momenthaftigkeit des Falles. Die Erzählung Gen. 3 lehrt selber, daß es bei der Entzweiung nicht bleiben kann 8 9 . In den dargestellten Versuch Hegels, die Momenthaftigkeit des Falles und seinen Hinweischarakter bezüglich der Versöhnung in Gen. 3 selber aufzuweisen, geht eine Voraussetzung ein, die noch eigens zu erörtern ist: die These, daß die Erkenntnis, die den Fall vollzieht, es ist, die auch zur Versöhnung führt. Diese These ergibt sich daraus, daß, indem der Fall in die Erkenntnis führt, der Mensch in seine absolute, hohe Bestimmung eintritt, das Gute zu wissen 40 und Imputabilität zu erlangen 4 1 . Dies ist das höchste Bewußtsein 42 , und die Erkenntnis auch des Bösen ist Bedingung wahrhafter, freier Sittlichkeit 43 und wahrhafter Erkenntnis überhaupt 4 4 . Insofern ist diese Erkenntnis selbst etwas Göttliches 48 . Kommt durch die Erkenntnis die Entzweiung von Gott an den Menschen, so kann deren Überwindung nur durch Erkenntnis Gottes geschehen: die Quelle des Übels ist auch Quelle der Versöhnung 4 6 . Dieser Zusammenhang von Erkenntnis und

"

Gl 15/283, 286, Sk 16/262, 265 f.; Gl 16/73 f., Sk 17/75 f. Gl 16/74, 265, Sk 17/76, 258. »» Gl 8/94, Sk 8/89 (Zus.); Gl 15/286, Sk 16/266. 40 Gl 11/65, Sk 12/50 f.; Gl 15/285, Sk 16/264; Gl 16/260, Sk 17/253. 41 Gl 11/65, Sk 12/50 f.; Gl 15/285, Sk 16/264; Gl 16/260, Sk 17/253, cf. Gl 14/552 f., Sk 15/546. 48 Gl 16/74, 75, Sk 17/76, 77. 18 Gl 11/240, Sk 12/221; Gl 15/285, Sk 16/264. 44 Gl 10/163, Sk 10/129 (Zus.). 45 Gl 8/95, Sk 8/90 (Zus.), cf. o. Anm. 21). Die Schlange stellt das Prinzip der Erkenntnis dar: Gl 16/266, Sk 17/258. « Gl 15/286 f., Sk 16/266; Gl 16/265, Sk 17/257. M

62

Der Fall

Versöhnung wird sehr oft ausgesprochen47. Ebenso ist die Arbeit als praktische Realisation der Erkenntnis Folge und zugleidi Überwindung der Entzweiung 48 . In der These spricht sidi der grundlegende Gedanke Hegels aus, daß der Fall in die Erkenntnis Moment der Geistwerdung des Menschen sei und daß ihm als endlichem Geist Gott als absoluter Geist nur im Medium des Geistes gegenwärtig werden könne. Diese Zusammenhänge aber soll das Kapitel über „Sünde und Gott" thematisieren.

e) Der Fall des Denkens Hat die im Fall zu sich erwachende Erkenntnis deutlich einen über das rein Intellektuelle hinausgehenden, das Praktisch-Ethische einschließenden Charakter, so kennt Hegel doch auch einen Sündenfall des Denkens (im engeren Sinn). Dieser Gedanke eines „philosophischen Sündenfalls" ist hier abschließend noch vorzuführen. Er taucht bei Hegel zuerst in einem frühen Aufsatz der Jenenser Zeit auf 49 . Dort wird als Bedingung wissenschaftlicher Philosophie der Mut genannt, sich in den „Sündenfall des Denkens" zu stürzen und „seine Schuld bis zu ihrer Auflösung durchzuführen" 40 . Dieser auf der Ebene des reflektierten Denkens sich vollziehende Sündenfall bedeutet Verlust der „Naivität", in weldier die unphilosophische, die Schuld des Denkens scheuende „schöne Seele" träge verharrt 51 . Dieselbe Anschauung findet sich in frappanter Ähnlichkeit bei Fichte, der in einem Brief an Jacobi ebenfalls in der Philosophie die verbotene Frucht sieht, von der die Menschheit gekostet habe 52 . Ganz ähnlich äußert sich Schiller in den Briefen über die ästhetische Erzie47

48 49 50

51 52

Gl 8/93 ff., Sk 8/88 ff. (Zus.); Gl 11/415, Sk 12/391; Gl 15/392, Sk 16/367; Gl 16/265, 354, Sk 17/258, 342; Gl 18/121, Sk 18/515; Gl 18/529, Gl 19/105, Sk 19/349, 499; Gl 20/167, Sk 11/239. Gl 8/95, Sk 8/89 (Zus.). Gl 1/176 f., Sk 2/174. Audi hier die durchgeführte Erkenntnis als Weg zur Versöhnung cf. auch Gl 16/354, Sk 17/342. a. a. O. ebend. „Wir fingen an zu philosophieren aus Ubermut und brachten uns dadurch um unsere Unschuld; wir erblickten unsere Nacktheit und philosophieren seitdem aus Not für unsere Erlösung", zitiert bei Hirsch, Fidites Rel.-Phil., a. a. O. S. 131.

Der Fall des Denkens

63

hung des Menschen63, die Hegel gekannt hat und denen er viel verdankt« 4 . Bei Hegel bringt dieselbe Notwendigkeit, die den endlichen Geist aus der Unschuld in die Entzweiung und Freiheit treibt, auch den Verlust der Naivität der schönen Seele, der religiös ein „schöner Glaube" 45 entspricht, mit sich. Der in sein Wesen einkehrende Geist muß die unmittelbare religiöse Anschauung verlassen5®, um zum erkennenden Wissen zu gelangen. Nur im Bruch des Denkens mit dem unmittelbaren Glauben realisiert sich seine Freiheit 57 . Dieser Bruch ist so unausweichlich, daß selbst eine Theorie des unmittelbaren Wissens unfreiwillig von seinem Gesdiehensein zeugt 58 . Und weil der Sündenfall in der Erkenntnis besteht, hat die Philosophie in ihm einen ausgezeichneten Gegenstand, in dem ihr eigenes Prinzip zur Sprache kommt 59 . Die Enzyklopädie thematisiert ihn daher an der Spitze der Logik®«. Dies Letzte weist auf die Wichtigkeit des textlich relativ knapp bezeugten Gedankens für unseren ganzen Zusammenhang hin. Er hat auch geschiditsphilosophische Relevanz®03. Der Sündenfall ins philosophische Denken bedeutet, daß dieses sich gegen alles Konkrete in Gegensatz setzt®1. Als ein solches Konkret-Gegebenes gibt sich audi die religiöse Vorstellungswelt dem religionsphilosophischen Denken. Damit ist das denkende Begreifen der Vorstellung als Konsequenz des „philosophischen Sündenfalls" gedacht, als Anbeten der „Schlange der Weisheit"®2. Für die Struktur unseres Themas folgt daraus : die materiale Deutung des Sündenfalles (als Erwachen der Reflexion und Entzweiung der Unmittelbarkeit des Glaubens) begründet ihren eigenen formalen Methoa. a. O. 12/63 (18. Brief A. 1.) und 12/15 (6. Brief). cf. Glockner, Hegel 2, a. a. O. S. 68 ff. 55 Gl 15/280, Sk 16/260. 56 ebend. Gl 291 = Sk 271, cf. Gl 8/92, Sk 8/87 (Zus.). 57 ebend. Gl 236 f. = Sk 217; Gl 16/431, Sk 17/417 (10. Vorlesung). 58 Gl 16/393, Sk 17/380 (5. Vorlesung). 59 Gl 8/95, Sk 8/90 (Zus.). Gl 8/93, Sk 8/88 (Zus.). ««a Gl 18/528 f., Sk 19/349; Gl 17/127 ff., 82, Sk 18/115 ff., 71. 41 Gl 16/354, Sk 17/342. « Gl 2/419, Sk 3/404, H/388, cf. das Anm. 45) über die Schlange Gesagte! 58 54

64

Der Fall

dus (das Begreifen dieser Vorstellung). In dem Abschnitt über die formale Behandlung des Mythus Gen. 3 (s. o. S. 37) zeigte sich bereits eine wichtige materiale Beziehung auf die Gottesidee. Diese Verschränkung der Motive ist hier nodi potenziert, indem sich herausstellt, daß die Hermeneutik von Gen. 3 selbst auch auf die Idee vom Sündenfall bezogen ist. An dieser Stelle der Analyse wird sichtbar: die Deutung des Sündenfalles (material) begründet sich selbst (formal). Die hier auftretende Dialektik erlaubt nun eine wichtige Feststellung hinsichtlich der Funktion des Sündenbegriffs im Denken Hegels. Der den Sündenfall denkende (d. h. den Mythus vom Fall begreifende) Geist hat an ihm nicht einen möglichen, irgendwie vorgegebenen Gegenstand unter anderen, auf den er sich somit zunächst äußerlich bezöge, sondern er bezieht sidi dabei auf eine spezifische Thematik: er begreift in ihm dasjenige, was sein Begreifen selber erst möglich gemacht hat. Eben im Vollzug dieses Begreifens wird es seiner eigenen Ermöglichung ansichtig. Die Vernunft erblickt in ihrem Vollzug die Geschichte, der sie sich verdankt. Der Sündenbegriff erweist sich damit als ein Begriff zur Deutung ihrer eigenen Geschichte. Diese Dialektik läßt sich beziehen auf das allgemeine Verhältnis von vernünftigem Selbstbewußtsein und Geschichte (wie es sich in der Hegelschen Philosophie darstellt). Geschidite erscheint für das Selbstbewußtsein als Erörterungsmodus seiner selbst. Es ist dem Selbstbewußtsein eigentümlich, daß es sich im Blick auf seine eigene Vermittlungsgeschichte erfaßt. Damit es sidi gegenwärtig werden kann, muß es seine eigene Genesis als Geschidite mit darstellen. So läßt sich die Antwort auf die früher aufgeworfene Frage nach dem Sinn einer Bezugnahme auf Gen. 3 im Rahmen der Hegeischen Philosophie folgendermaßen näherbestimmen. Gen. 3 zieht das Erkenntnisinteresse auf sich als derjenige Mythos, der — nach Hegel — Emanzipation vom Mythos thematisiert. Daß er dies nur unter den Bedingungen des Mythos tun kann, daß emanzipative Subjektivität sich hier im Medium des mythischen Bewußtseins ausspricht, macht seine vernünftige Kritik notwendig. In der begreifenden Aneignung der religiösen Tradition vom Sündenfall thematisiert die vernünftige Subjektivität, die sich derart begreifend realisiert, ihre eigene Ermöglichung und Genesis. Der SündenbegrifF erweist seinen Sinn als Moment in der Genesis des Selbstbewußtseins auf dem Wege der rückblickenden Vergewisserung seiner selbst.

KAPITEL 4

Die Konstruktion des Sündenbegriffes Mit dem letzten Satz des vorausgehenden Kapitels ist dem Sündenbegriff eine Funktion zugewiesen, die auf die Konstitutionsproblematik des Selbstbewußtseins verweist. Den SündenbegrifF in diesen Bezügen zu entfalten und so seine Funktion zu präzisieren, soll nun als ausdrückliche Aufgabe erfaßt werden. Wir geraten damit in das Zentrum der Fragestellung nach dem Verhältnis von Subjektivität und Sünde. Der Unschuldsgedanke ließ sich erörtern unter der Indifferenz der Begriffe Selbstbewußtsein und Geist (s. o. S. 40 f.). Der Gedanke des Falles explizierte das Zusichselbstkommen des Ich als Selbstunterscheidung von ursprünglicher Einheit und die Folgen dieser Entzweiung. Inwieweit diese Entzweiungsthematik im Selbstbewußtsein selber ihren Grund hat bzw. welches der Charakter der sich im Fall konstituierenden Ichheit genauer ist, blieb noch unthematisiert. Der Erörterungsgang kommt jetzt in sein Zentrum, indem der innere Zusammenhang von Selbstbewußtsein und Entzweiung als Konstitutionsbedingung für so etwas wie Sünde eigens expliziert werden soll. Was in Kapitel 2 als (widersprüchliche) Einheit erschien und sich in Kapitel 3 auseinanderlegte, das soll in diesem Abschnitt nach Grund und Möglichkeit solcher Einheit und solcher Entzweiung verdeutlicht werden.

a) Konstitution

des Selbstbewußtseins

als Krise

„Sünde ist Erkennen des Guten und Bösen, als Trennung" 1 . Bezieht man diese Formel auf die im vorigen Abschnitt dargestellte eigentümliche Zweideutigkeit des Falles, so wird sichtbar, daß der Sündenbegriff in enger Beziehung zu der als Krise verstandenen endlichen Gottgleichheit steht. Denn der Fall als Konstitution endlicher Gottgleichheit hatte die doppelte Bedeutung: 1

Gl 11/415, Sk 12/391, cf. Gl 16/265, Sk 17/258.

5 Ringleben, Hegels Theorie

66

Die Konstruktion des SündenbegrifFs

1. nur durch Trennung von Gott entsteht ein Gottgleiches als Bedingung freier Gemeinschaft mit Gott; 2. als von Gott Getrenntes ist seine Gottgleichheit für sidi zugleich von Nichtigkeit bedroht, eigentümlich leer und formal 12 . Der Fall zeigte also Trennung von Gott als Voraussetzung für Gottesbegegnung. Diese Bestimmung läßt sich übrigens unschwer ins Medium des religiösen Bewußtseins übertragen. Es ist unmittelbarem (christlichen) Glauben gegenwärtig, daß die unendliche Tiefe des Schuldgefühls eine den Menschen vom Tier abgründlich scheidende, ihn gerade mit der Erfahrung seiner sündigen Gottesferne zur Gottesbegegnung adelnde Gestalt der ihn suchenden göttlichen Liebe ist. Was die Amphibolie des Sündenbegriffes angeht, so entspricht sie der oben aufgewiesenen antinomischen Struktur im Gedanken des Falles (s. o. S. 55 f.). Es ist dieselbe Dialektik der Entzweiungsproblematik, die sich in beiden Begriffen Geltung verschafft. Der Sündenbegriff thematisiert die Krise des menschlichen Wesens. In ihm weiß das religiöse Bewußtsein das Krisenphänomen, als dessen Überwindung vollendet geisthaftes Menschsein sich gibt. Hierin dürfte Hegels Sündenbegriff seine Auszeichnung haben. Er weist auf das Krisenhafte in der menschlichen Identitätsfindung. Seine Dialektik läßt sich daher nicht abgelöst von der Teleologie des Geistbegriffes denken. Diese Exposition muß im folgenden entfaltet werden. Es soll dabei nochmals an den Gedanken des Falles angeknüpft werden. Der Fall zeigte die als Entzweiung aus (vorausgesetzter) Einheit sich vollziehende Konstitution des Selbstbewußtseins. Im Modus der Rekonstruktion wurde hier dem sich als sich selber findenden Ich seine Wahrheit präsent: seine Bezogenheit auf Identität im Absoluten. Die entscheidende Weiterbestimmung liegt nun darin, daß das Selbstbewußtsein in sich selber Entzweiung ist. Der Fall muß verstanden werden als Entzweiung in die Entzweiung. Erst in dieser Entzweiung (Unmittelbarkeit-Entäußerung, Besonderes-Allgemeines) läßt sich der Sündenbegriff lokalisieren. Bezieht man Entzweiung im ersten Sinn (als Fall) und im zweiten Sinn (als Selbstbewußtsein) auf den Sündenbegriff, so läßt sich das Verhältnis im voraus so bestimmen: Der Fall (als Entzweiung des Selbstbewußtseins aus ursprünglicher Einheit) benennt die Bedingung der Möglichkeit von Sünde, das Selbstbewußtsein cf. Gl 4/279 f., Sk 5/267, LI/228.

Konstitution des Selbstbewußtseins als Krise

67

(als Entzweiung in und von sich) die Möglichkeit von Sünde selber. Damit ist zugleich die Bezogenheit der beiden unterschiedenen Bedeutungsweisen von Entzweiung aufeinander angedeutet (cf. dazu u. S. 74). Daß Selbstbewußtsein in sich selber als Entzweiung verstanden werden muß, drückt sich so aus, daß es nur als Prozeß, Aktuosität verstanden werden kann. Es hat seine Identität nicht in einem stabilen „Wesen", sondern vor sich. Es ist nur, indem es sich macht2. Selbstbewußtsein kommt zu sich nur, indem es sich von sich distanziert, also sich entäußert; sein Sein ist nur (prozessuales) Sich-zu-sich-Verhalten. Durch Außer-sichgehen ist es permanente Selbstproduktion seiner Einheit 21 . Entäußerung von sich einschließendes Sich-zu-sich-Verhalten gibt ihm den Charakter von Exzentrizität: nur in und an einem Anderen (als es selbst ist) kann es sich als sich selbst finden. Selbstbewußtsein als Prozeß, Bewegung hat den Charakter des Umweges 2b . Darin liegt die Entzweiung des Selbstbewußtseins in sich als unmittelbarem Ausgangspunkt des Prozesses von dem durch Anderes vermittelten Ziel desselben. Im Prozeß dieser seiner Realisierung tritt Selbstbewußtsein unter die Dialektik von Besonderheit und Allgemeinheit 3 . Zusichkommen des Ich geschieht in Abstraktion von allem Nicht-Ich. Darin erweist sich die Selbstaneignung als allgemein gegenüber jedem Besonderen3*. Das so sich findende Ich ist aber zugleich selber ein Besonderes als einzelnes Individuum. Nimmt man das Moment unmittelbaren Selbstbewußtseins als Ausgangspunkt der ganzen Bewegung für sich, so ist es ein natürlich-Besonderes. (Diese Widersprüchlichkeit birgt eben der Unschuldsgedanke; s. o. S. 39 f.) Demgegenüber erfährt es das Andere als Allgemeines. Darin liegt: es ist nicht Ich selbst (gleichsam wie es als visueller Ausgangspunkt der ganzen Bewegung in natürlicher Besonderheit gegeben ist) und dodi ist es Bedingung seines Zu-sich-selbst-Kommens. Es ist nicht Ich und doch wird nur durch es Ich. Es ist das Andere, an und in dem als Anderem Selbstbewußtsein gerade sich findet. Da jedoch das unmittelbare Selbstbewußtsein als Ausgangspunkt eine Abstraktion

1

Gl 2/25, Sk 3/25, H/22. Gl 4/225, Sk 5/214 f., LI/182. tb Zum Verhältnis von Sein des Selbstbewußtseins und Zeit cf. Gl 14/151, 159 f., Sk 15/156, 164 f. und Kopper a. a. O. S. 244. » Gl 19/102 f., Sk 19/496. 3 * Gl 5/14, Sk 6/253, LII/220, cf. Gl 2/150, Sk 3/147 f., H/143. 5»

68

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

ist, ist sein Gegenüber ein bloß abstrakt Allgemeines. Als das bloß Andere, ihm äußerliche Nidit-Ich bleibt es vom Selbstbewußtsein entzweit. Die Dialektik von Besonderem und Allgemeinem hat so die starre Form einer Antithetik von Idi und Anderem. Nun hat jedes der antithetischen Momente dieselbe Dialektik auch an sich selbst. Das Selbstbewußtsein schließt sich durch das Andere mit sich zusammen. Es ist insofern selber formal allgemein. Dann ist das von ihm ergriffene Andere zum besonderen Moment an dieser seiner Allgemeinheit depotenziert. Hält es sich in dieser formalen Allgemeinheit fest, darin eine ebenso formale Identität findend, setzt es also seine Besonderheit als das Allgemeine gegenüber dem Anderen — so ist es böse4. Das Allgemeine aber als das nur abstrakt gegenüberstehende Andere ist selber ein Besonderes (als eines der Entzweiten). Erst indem es sidi besondert, also im Medium des Selbstbewußtseins realisiert, gelangt es zu seiner konkreten (wahren) Allgemeinheit. Indem derart jedes der Entzweiten die gleiche Dialektik an sich hat, zeigt sich als wahrer Sinn der Entzweiung das Aufeinanderbezogensein von Allgemeinem und Besonderem: das Besondere wird integrierendes Moment des Allgemeinen; das Allgemeine entfaltet sich in seinen besonderen Momenten. Diese Synthese als Telos der Entzweiung verstanden, konstituiert so etwas wie wahres Selbstbewußtsein 5 . Es ist dasjenige Selbstbewußtsein, das seine Besonderheit aufgehoben hat im Allgemeinen als der es erfüllenden und ihm konkrete Realität gebenden Wirklichkeit. Entzweit sich das Selbstbewußtsein in sich als unmittelbar Besonderes (Ausgangspunkt) von sich als mit dem Allgemeinen vermitteltes Besonderes (Ziel), so hat es dagegen seine Identität mit sich als zugleich Realisierung des Allgemeinen und seiner selbst. Die wechselseitige Dialektik von Besonderem und Allgemeinem erfüllt sich, indem das sich als formale Allgemeinheit realisierende Selbstbewußtsein seinen Gehalt am Anderen gewinnt, das eben darin konkrete Allgemeinheit wird. Realisation des Selbstbewußtseins als Prozeß der Identitätsfindung und Konkretisierung des Allgemeinen fallen zusammen6. Auf dem Hintergrund dieser Synthese läßt sich der Gedanke des Bösen nun präzisiert beschreiben. Was geschieht, wenn das Selbstbewußtsein die Möglichkeit, böse zu sein, realisiert? 4

Gl 7/201, Sk 7/260 f. (§ 139). Gl 12/400, Sk 13/385. « Gl 12/247, Sk 13/237. 5

Konstitution des Selbstbewußtseins als Krise

69

Es wurde gesagt: Selbstbewußtsein konstituiert sich als Selbstunterscheidung. In der (möglichen und wirklichen) Abstraktion von allem Nicht-Ich weiß die Ichheit sidi selber. Ihr Fürsich ist somit reine Negativität 7 . Erfaßt sie sich als die negative Macht der Abstraktion 8 , so erfaßt sie sich als Allgemeines gegenüber allem Besonderen, welches gerade dadurch charakterisiert ist, daß von ihm abstrahiert werden kann. Es gilt nun zu sehen, daß die Affirmation dieser formalen Allgemeinheit ihre Negativität selber zu etwas Positivem macht. Und eben diese sich auf sich beziehende Negativität, die darin Positivität ist, bezeichnet der Begriff des Bösen. Der logische Status des Bösen lautet: positive Negativität 9 . Das Bösewerden und -sein bedeutet, daß der in sich gegliederte Prozeß des Selbstbewußtseins gewissermaßen in Stillstand gerät; er wird zum starren Sein fester Unterschiede. Dies geschieht dadurch, daß eines der Momente sich so auf sich bezieht, daß es sich damit vom Ganzen ausschließt und dieses von sich. Seine Reflexion in sich ist zugleich Entgegensetzung gegen Anderes. Diese und nur diese Form der Selbstbeziehung ist böse. Subjektivierung und Verdinglichung sind hier Korrelate. Man könnte pointiert sagen, daß das böse Selbstbewußtsein selber einer Quasi-Verdinglichung erliegt. Hat es seinen Sinn als formale Beziehung auf sich, so wird diese bloße Form in ihrer — bösen — Selbstaffirmation ein sprödes in sich verschlossenes Einzelnes — gleichsam ein bloßes Ding. Strömende Lebendigkeit verwandelt sich in ein exklusives Fixum, und die in formaler Identität erzeugte Leere des Idi hat den negierten Gehalt als Jenseits sich gegenüber91. Ich als bloße Hülse, Äußerlichkeit und seine mögliche Fülle als totes Jenseits, Ich-Ding und dinghafter Gott sind, einander unerreichbar, starr antithetisch geschieden. Jenes Sichergreifen des Selbstbewußtseins ist also ein Sichfestlegen. Indem es seine eigenste Möglichkeit realisiert, nämlich als seine eigene Realisierung zu sein, bindet es sich an das Produkt dieser Realisierung. Das heißt, der Vollzug, in dem Selbstbewußtsein sein Sein hat, wird böse, wenn er sich um seiner selbst willen vollzieht, in sich Identität und Befriedigung findet, Selbstbewußtsein sich also in sich verschließt. „Es ist die Freiheit,

7

Gl Gl • Gl "»Gl 8

15/88, 365, Sk 16/77, 340; Gl 16/4, Sk 17/10, cf. o. Anm. 3 a). 10/395, Sk 10/315 (§ 509 γ); Gl 4/279 f., Sk 5/267, LI/228. 4/543, Sk 6/73, LII/56, cf. Gl 8/111, Sk 8/103 (Zus.). 4/194 f., 279 f., Sk 5/184 f., 267, LI/156, 228.

70

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

die sidi so vergreift, ihr Wesen in diese Abstraktion zu setzen und in diesem Beisichsein sidi schmeichelt, sich rein zu gewinnen" 815 . Das Widersprüchliche im Begriff des Bösen liegt daher darin, daß die Aktuosität, als die Selbstbewußtsein ist, sich in sich reflektiert und als solcher Abschluß in sidi gerade der Aktuosität, die ihn hervorbringt, widerspricht. Die Störung der Aktuosität des Selbstbewußtseins bleibt zugleich an diese als ihre Ermöglidiung gebunden. Das Böse als das, was dem Seinssinn von Selbstbewußtsein entgegen ist, verdankt sich demnach dem Sein des Selbstbewußtseins. Das Selbstbewußtsein bringt als böse seinen eigenen Widerspruch in und aus sich hervor 9c . Während Selbstbewußtsein in der Beziehung nach außen immer in der Gefahr steht, sich in dies Außen zu verlieren, seine Freiheit in seinen Gegenständen zu binden, tritt hier der Fall ein, das Selbstbewußtsein gerade in der formellen Beziehung auf sich sich verliert. Seine Freiheit wird sich selber Gegenstand und Bindung; sie ist an und in sidi selber — unfrei 1 0 . Selbstbewußtsein hat die Möglichkeit, sich als Prozeß so zu vollziehen, daß es den Prozeß gleichsam umbiegt und so abbricht. Diese Möglichkeit erklärt das Böse. Aus einem lebendigen, einem Ganzen (das dadurch selber lebendig ist) integrierten Moment wird ein isoliertes Fürsichsein. Diese Art von Identität widerstreitet dem Sinn von Selbstbewußtsein. Sidi so finden, heißt für Selbstbewußtsein sich verlieren. Es gehört vielmehr zu seinem Sinn, daß es sich nur finden kann, indem es sich entäußert; seine Identität ist nur durch Nichtidentität hindurch, d. h. als Geist denkbar. Aus der dargestellten Dialektik von Selbstbewußtsein muß auch der Satz Hegels begriffen werden, daß das Idi das Gute als solches nur um den Preis der Erkenntnis auch des Bösen erkennt (s. o. S. 53 f.) 11 . Für es ist das Gute nur das Gute, wenn dies als das erkannt ist, was das Böse nicht ist. N u r durch Erkenntnis ex contrario ist Freiheit in der Hingabe an das Gute. Was besagt dieser Zusammenhang von Freiheit und dem Guten über das Selbstbewußtsein? Offenbar spiegelt sich darin die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Identifikation des Selbstbewußtseins mit

"b Gl 4/202, Sk 5/192, LI/163. 8c ebend. 10 Sk 4/282 (§11). 11 Gl 11/240, Sk 12/221; Gl 15/285, Sk 16/264; cf. Gl 7/202, Sk 7/263 (Zus.).

Konstitution des Selbstbewußtseins als Krise

71

etwas. Selbstbewußtsein muß sich distanzieren, um sich hingeben zu können. Findet es seine Identität unmittelbar in etwas, so ist es nicht seine Identität; es hat sich in dem anderen seiner selbst verloren. N u r durch Reflexion auf sich in der Beziehung zu anderem ist es bei sich, d. h. ist es es selbst. Dieses Sich-auf-sich-Zurückbeziehen aber bedeutet zweierlei zugleich: 1. darin und nur darin erscheint das andere als solches oder, was dasselbe heißt, die reflexive Konstitution des Selbstbewußtseins ist Entzweiung; 2. darin und nur darin erscheint das andere als ein Bestimmtes (Etwas), das ein anderes (Etwas) nicht ist. Für unsere Fragestellung folgt: das Gute kann nur als das Gute für das Selbstbewußtsein sichtbar werden, wenn dieses a) sich davon unterscheidend selber weiß und b) jenes (das Gute) als nicht sein Anderes (das Böse) bestimmt. Das freiheitliche Sein von Selbstbewußtsein ist derart der simultane Wissenszusammenhang eines dreifachen reflexiven Als (Etwas als Etwas): Selbstbewußtsein weiß 1. sich als sich, 2. darin das Gute als solches und 3. darin das Böse als Nicht-Gutes. Diese dreifältige Bestimmung (determinatio) durch Negation konstituiert Selbstbewußtsein. Aber in dieser seiner Konstitution wird es der Möglichkeit des Bösen ansichtig, der Möglichkeit, sich mit seiner formalen Identität zu begnügen und sich dadurch in den oben gezeigten Widerspruch mit sich, mit seiner Bestimmung Geist zu sein zu verstricken und so seine absolute Identität von sidi auszuschließen. Der Unschuldsgedanke hatte die Funktion, die Identität des Selbstbewußtseins im Absoluten als dasjenige vorstellig zu machen, das Selbstbewußtsein notwendig denken muß, um seine eigene Realität begreifen zu können. Insofern also jene Einheit sich in der Dialektik des Allgemeinen und Besonderen als ihr Telos geltend macht, ist das Selbstbewußtsein auch im Vollzug dieser Dialektik auf den Gedanken des Absoluten notwendig bezogen. Das dem Selbstbewußtsein möglidie, undialektische Festhalten an seiner formalen Allgemeinheit, in der es ein Besonderes bleibt, ist dergestalt immer auch ein Sich-Abtrennen vom Absoluten. Das Böse ist als Festhalten an der Entfremdung und Vereinzelung Sünde gegen Gott 12 .

» Gl 3/98, Sk 4/274 (§ 78); Gl 16/301, Sk 17/292, cf. Gl 13/155, Sk 14/160.

72

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

Es könnte an dieser Stelle die Frage auftaudien, ob in diesen Feststellungen nicht eine Identität von Sünde und Endlichkeit gesetzt sei, so daß Sünde mit dem Sein des Endlichen als Endlichen 12 » gegeben sei. Diese Frage erliegt einer Vergegenständlidiung der Problematik. Selbstbewußtsein läßt sich nicht als fertiges Ding, sondern nur als Prozeß, als Sidi-Machen denken. Seine kreatürliche Endlichkeit ist also Sünde nur als festgehaltene. Das Böse ist „gewollte und beabsichtigte Endlichk e i t " 1 3 . Als in sich reflektierte und so entfremdete Endlichkeit will sie gleichsam selber unendlich sein. N u r insofern, als Wille zu unendlicher Endlichkeit, ist sie böse 14 . D a m i t ist eine einfache Identität von Schöpfung und Sünde ausgeschlossen. D i e geschaffene Welt als solche ist für Hegel gut14". Gott ist in der Welt bei sich. Das Natürliche als solches ist nidit böse, obwohl an der Erbsündenvorstellung festgehalten wird (s. u. S. 95, cf. 4 1 ) . D e r Wille des endlichen Selbst ist der O r t des Bösen 1 4 b . Indem Selbstbewußtsein als Entzweiung in sich, die sich in der D i a lektik von Besonderem und Allgemeinem Ausdruck verschafft, verstanden wurde, wurde zugleich die Möglichkeit des Bösen sichtbar. Ihr Grund ist die in der Freiheit des Prozesses, als welcher Selbstbewußtsein allein ist, angelegte Möglichkeit des Mißlingens dieses Prozesses. M i ß lingen bedeutet hier das freie Sich-Festlegen des Selbstbewußtseins auf eines der Momente in der Dialektik seiner Realisierung, nämlich das seiner formalen Allgemeinheit, in der es eine nur endliche Identität findet, so daß es sich in dieser Fixierung gerade der Möglichkeit seiner absoluten Identität, der Erfüllung seines freiheitlichen Wesens im Absoluten begibt. Diese mit dem Vollzug seines unstabilen Wesens gesetzte G e f a h r des Mißlingens dieses Vollzuges ist die Krise des Selbstbewußtseins auf dem Wege seiner Identifikation. Sünde als das Böse besteht also in der Selbstabgrenzung und -absperrung des Selbstbewußtseins vom Absoluten, in der es sich über das wahre Verhältnis zum Absoluten und des Absoluten zu ihm So findet Barth „Protestantische Theologie", a. a. O. S. 375, bei Hegel liege die Sünde „in der Endlichkeit als solcher". 13 Gl 12/500, Sk 13/485, Gl 15/199 f., 201, Sk 16/180 f., 183. 14 Gl 15/204, 426, Sk 16/186, 398 f.; Gl 16/184, 301, 346, Sk 17/181, 292, 335. 1 4 a Gl 16/72, Sk 17/74, cf. Gl 15/107, Sk 16/95. 1 4 b Mit diesen Feststellungen ist die Unhaltbarkeit der Einwände insbesondere von H. Groos gegen Hegels „Idealismus" erwiesen, cf. Groos, a. a. O. S. 172, 176.

12a

Konstitution des Selbstbewußtseins als Krise

73

gewissermaßen „täuscht", indem es in der isolierten Beziehung auf sich seine Identität zu finden meint140. Seine wahre Identität findet es demgegenüber gerade im Verhältnis zum Absoluten, d. h. gemessen am Begriff jener exklusiven Identität: in der Nichtidentität. Der Begriff der Versöhnung thematisiert den Bezug auf diese wahre Identität, die Selbstbewußtsein als für sidi seiende Identität und seine Hingabe an Gott (Moment der Nichtidentität) umgreift. Der Versöhnungsbegriff nimmt also Bezug auf eine Identität, die die Täuschung und Verdedkung des Selbstbewußtseins aufhebt. Von hier aus wird nodi einmal die Funktion des Unschuldgedankens als notwendigen Bezugspunktes erkennbar. Er ist Erklärungsbedingung für die Identität von Selbstbewußtsein, nicht wirklicher Urzustand. In dieser sündigen Abgrenzung des Selbstbewußtseins gerät es in die Krise seiner Realisierung. In eigentümlicher Verschränktheit von Möglichkeit und Wirklichkeit gilt hierbei aber, daß schon die Möglichkeit dieser Krise selbst krisenhaft ist. Der Hegeische Sprachgebrauch spiegelt diese Verschränkung derart, daß der Terminus „das Böse" einmal als gleichbedeutend mit „Sünde" erscheint und dabei die Grundverfassung der Entfremdung und Vereinzelung bezeichnet. Daneben wird derselbe Terminus „das Böse" gebraucht für die Aktualisierung dieser Verfassung in Einstellungen und Handlungen, wobei es als deutlich willensbestimmt erscheinen kann 15 . Beide Bedeutungen sind im Einzelfall oft nicht zu unterscheiden. Der Sinn ihrer Verschränktheit ist Ausdruck der Eigenart des Selbstbewußtseins selber, in dem Möglichkeit und Wirklichkeit derart ineinander übergehen, daß es, um seine Wirklichkeit begreifen zu können, etwas als Möglichkeit setzen muß, in dem es sich aber doch wieder präsent wird, und das es also nur als Ausdrude und Produkt seiner Tätigkeit fassen kann. Dieser Zirkel ist das Sein des Selbstbewußtseins, das sich selber immer voraussetzen muß: die Freiheit fängt mit sich selber an. Diese Zirkelstruktur von Selbstbewußtsein legt sich im Zusammenhang unseres Themas vornehmlich in der notwendigen Unterscheidung und Bezogenheit der Begriffe Fall und Sünde aus, die beide als Krise

"'Gl 15 Gl Gl Sk

4/202, Sk 5/192 f., LI/163. 3/94, 219 f., Sk 4/269 f., 61 (§§ 65, 190); Gl 7/200 f., Sk 7/261 (§ 139); 10/396, Sk 10/317 (§ 512); G l 13/367, Sk 14/364; Gl 15/88, 118, 280, 16/77, 105, 260; Gl 19/272, Sk 20/68.

74

Die Konstruktion des Siindenbegriffs

zu verstehen sind. Sie verhalten sich zueinander wie Unterscheidung von Gott zu Entgegensetzung gegen Gott 18 . Die sidi im Fall konstituierende Gottgleichheit ist Krise, aber nodi nicht böse; die als Sünde sich findende Vereinzelung gegenüber Gott ist Krise, aber schon böse. Der Fall ist Entzweiung; in ihm vollzieht sich die Differenzierung zwischen unmittelbarer Unschuld und geisthafter Unschuld (als Telos), und er bezeichnet so eine eigentümliche Schwebe. Sünde ist Entfremdung und in ihr ist Entschiedenheit gesetzt. Sie ist angewiesen auf ihre Überwindung durch Versöhnung, während die Bewegung des Falls auf Vollendung wartet. Mit dem Fall ist das Moment der Offenheit in Richtung auf Identität (sowohl endliche wie unendliche), mit der Sünde das Moment einer gewissen Verfestigung, Insichverschlossenheit in formaler, endlicher Identität bezeichnet, die gegen unendliche Identität exklusiv ist. Fall und Sünde verhalten sich wie latente und akute Krise. Selbstbewußtsein, das sein Wesen in der Entäußerung hat (Dialektik von Allgemeinem und Besonderem), vermittelt beide Weisen von Krise, hat sein Sein geradezu in dieser Vermittlung, wodurch die Verwendung eines Terminus für beide Weisen gerechtfertigt erscheint. Das Selbstbewußtsein verdankt sich der Krise im ersten Sinn als Bedingung seiner selbst und der seines krisenhaften Modus als Sünde: als diese Krise ist es Freiheit. Als Krise im zweiten Sinn ist es Freiheit, die in sich selbst formelle Identität gefunden hat (böse): sie ist Ergreifen und Verfehlen ihres Wesens zugleich. Dies Ineinanderübergehen ist als Einheit und zugleich Differenz (durch wediselseitiges Voraussetzen) von Ermöglichung und Verwirklichung die Dialektik des Selbstbewußtseins selber. Selbstbewußtsein ist eben nicht unmittelbar, sondern — Krise. Wenn gesagt wird, Fall und Sünde verhalten sich wie latente und akute Krise, so sollen mit Hilfe dieser Unterscheidung Gesichtspunkte vorgeschlagen werden, die das, was der biblische Bericht als das eine Geschehen des „Sündenfalls" erzählt, so differenzieren, daß Hegels Deutung dieser Geschichte verständlich wird. Freilich entsteht dabei die Frage: gibt es also doch einen Sündenfall sensu stricto als Fall in die Sünde, der anzusetzen wäre im Übergang von latenter Krise in ihre akute Gestalt? Dann läge der Sündenfall nach Hegel nur an einer anderen Stelle als in der Tradition; da nämlich, wo der als solcher notwen"

cf. Gl 15/112, Sk 16/100.

Konstitution des Selbstbewußtseins als Krise

75

dige Fall — den Gen. 3 beschreibt — böse wird. Das traditionelle Problem der Entstehung von Sünde wäre nur verschoben. Jene Frage legt das Verhältnis von Fall und Sünde, latenter und akuter Krise als Verhältnis von Potentialität und Aktualität aus, so daß, was als bloße Möglichkeit (Fall) nodi nicht böse ist, dies durch einen bestimmten Akt ihrer Verwirklichung wird. In der Bestimmtheit dieses Aktes wäre dann das eigentlich Böse zu sudien. Demgegenüber ist festzuhalten, daß auch die hier als latent beschriebene Krise immer wirklich ist. Sie ist nicht eine Möglichkeit des Selbstbewußtseins, sondern dieses selbst als freiheitlicher Vollzug seiner selbst. Was kommt nun hinzu, um diese Krise böse zu machen? Und inwiefern ist sie darin „akut" zu nennen? Das Bösesein ist zunächst derselbe Vollzug von Freiheit wie der Fall, in ihm ist ebenso die latente Krise wirksam. Auch die Angewiesenheit bzw. Ausrichtung auf Identität gehört zu seinem Seinssinn. Selbstbewußtsein könnte sich nicht verfehlen, wenn es sich (seine Identität) nicht suchte. Insofern ist das Bösesein kein völlig neuer Zustand des Selbstbewußtseins. Aber — und das macht sie böse — diese Intention auf Identität wird formal. Die Freiheit sucht und findet sich im Besonderen statt im Allgemeinen, d. h. hier, sie findet sich in sich selbst statt im Absoluten. Es ist Seinssinn der sich vollziehenden Freiheit, in einem zugleich zu sein als Intention auf Identität (latente Krise) und als deren Erfüllung (Versöhnung). Als dieses Schweben zwischen ihrem krisenhaften Werden und ihrem identifizierten Sein ist die Bewegung der Freiheit. Das Böse ist diese Bewegung der Freiheit derart, daß sie nicht übergeht in ihre absolute Identität — also der Fall nicht Moment wird, das sich dem Absoluten integriert —, sondern gewissermaßen sich anhält, Krise bleibt und damit akute wird. Sünde ist der Widerspruch, stabilisierte Krise der Freiheit zu sein. Selbstbewußtsein zeigt sein Angewiesensein auf das Absolute darin, daß es Identität überhaupt intendiert und sein Bösesein darin, daß es sie in sich, formal findet. Der Übergang von latenter zu akuter Krise wird also nicht durch etwas völlig Neues und Anderes bewirkt, sondern durch ebendieselbe Freiheit im Modus bloßer Formalität. Akut wird die latente Krise, indem sie sich im Festhalten an sich potenziert — und nicht von der Möglichkeit in die Wirklichkeit überführt wird — dadurch, daß sie sich als Krise so vollzieht, daß in ihr Vollzug und Hemmung dieser Bewegung krisenhaft einswerden. Indem die latente Krise des Selbstbewußtseins sich, gerade indem sie Gott sucht, von ihm definitiv scheidet

76

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

und noch in ihrem Verfehlen auf ihn bezogen bleibt, wird sie akut. Latente Krise ist Freiheit auf Gott zu, akute Krise das dialektische Zugleich und Widereinander von formalem Bezug auf Gott (Intention) und materialer Entgegensetzung gegen Gott (Selbstbezug). In diesem Sinn hieß es oben (S. 74) von der in sich formelle Identität findenden Freiheit, als die Sünde ist: sie ist Ergreifen und Verfehlen ihres Wesens zugleidi. Der Übergang von latenter in akute Krise ist demnach nicht ein „Sündenfall" in dem Sinne, daß zwei Zustände aufeinander folgten, die so zu unterscheiden wären, daß der eine Unschuld und der andere böse ist. Latente Krise („Fall") ist als Krise nicht mehr Unschuld, wenn auch an sich noch nicht böse. Ihr Übergang ins schon Bösesein ist lediglich eine eigentümliche Verschärfung des Krisenhaften, eben als Potenzierung ihrer selbst. Dieser Übergang modifiziert sie zum Bösen. In ihm ist Schuld als Moment klar festzuhalten. Dennoch kann man nicht vom Eintritt eines ganz Neuen, somit Unbegreiflichen sprechen. Gerade Schuld wird nach ihrer Möglichkeit audi nur verständlich, wenn der Übergang von latenter zu akuter Krise im dargelegten Sinn ein gleitender ist. Wir fragen zusammenfassend noch einmal: was bedeutet Krise des Selbstbewußtseins? Es bedeutet, daß Selbstbewußtsein sich nur realisieren kann als Emanzipation von seinem Ursprung — es konstituiert sich, indem es sich abstößt von dem, das es darin als seinen Ursprung voraussetzt — und daß zugleich diese Realisierung zu ihrer Erfüllung angewiesen ist auf Hingabe an ein Allgemeines: Subjektivität, als Form, die ihre Aktualität nur an einem Gehalt gewinnt. Diesen Bestimmungen entsprechend gilt Subjektivität für Hegel als notwendiges Durchgangsmoment. Damit ist eine Zuordnung von Sündenbegriff und Theorie der Subjektivität möglich geworden. Es ist die eigentümliche Leistung von Hegels Sündenbegriff, die Krise zu bezeichnen, als deren Realisierung und Überwindung in Riditung auf Identität das Selbstbewußtsein sich begreifen kann. Hegels Terminus für Identität des Selbstbewußtseins unter den Bedingungen von Nichtidentität ist „Geist". Selbstbewußtsein (Ichheit) als sich wissende Selbstbeziehung hat sein Leben in Antithesen. Es identifiziert sich durch Aufhebung seiner eigenen Widersprüche und Spannungen. Als solche Identität ist es Einheit in, mit und unter Mannigfaltigkeit, Synthesis a priori, Begriff16". Gl 4/251 f., Sk 5/240, LI/204.

Konstitution des Selbstbewußtseins als Krise

77

Da Selbstbewußtsein Prozeßcharakter, Aktualität hat, kann Sünde nicht im Sinne einer an ihm wie an einer Substanz haftenden fixen Eigenschaft verstanden werden. Der Sündenbegriff muß vielmehr, soll er wesentlich sein, ein dem Vollzug von Selbstbewußtsein selber integrierendes Moment bezeichnen. Im Horizont von Selbstbewußtsein kann Sünde nur als etwas verstanden werden, das das Selbstbewußtsein nicht bat, sondern das so zu seiner Realisierung gehört, daß es als diese Realisierung ist. Wird Sünde als Krise der Realisierung von Selbstbewußtsein begriffen, so ist eine solche Krise nichts dem Selbstbewußtsein Äußerliches, sondern dies selber wird als krisenhaft verstanden. Prozessualität von Selbstbewußtsein setzt notwendig so etwas wie Krise. Selbstbewußtsein ist selber nur als Krise. Es ist möglich, das so grundsätzlich zu denken, daß das krisenhafte Wesen von Selbstbewußtsein nicht als ein Sonderfall überhaupt möglicher Krisen aufgefaßt würde, sondern daß der Sinn von „Krise" überhaupt nur im Horizont von Selbstbewußtsein zu erfassen wäre. Der vorausstehende Versuch, den Sündenbegriflf mit der Konstitutionsproblematik von Selbstbewußtsein zu verbinden, hat die Voraussetzungen erbracht, um Hegels Definitionen der Begriffe Sünde und böse verständlich zu machen. Sünde hat ihr Wesen in den Merkmalen der Trennung, Entfremdung einerseits17 und Vereinzelung des Fürsichseins andererseits 18 . Diese Weise des Fürsichseins ist seine innerste Reflexion 19 , Vertiefung in sich20 und so sich auf ihre Spitze stellende (als Einzelheit) subjektive Geistigkeit 21 . Als positiv böse erscheint daher solche in sich seiende Negativität 22 .

17

Gl 3/98, Sk 4/274 (§ 78), cf. o. Anm. 10); Gl 11/413, Sk 12/389; Gl 13/155, Sk 14/160; Gl 15/254, 292, Sk 16/234, 271; Gl 16/222, Sk 17/217. 18 Gl 2/507, 512, 514, Sk 3/486, 490, 493, H/465, 469, 471; Gl 3/98, Sk 4/274 (S 78); Gl 10/396, Sk 10/317 (§ 511); Gl 16/264, Sk 17/257. " Gl 10/396, Sk 10/317 (§ 512); Gl 7/201, Sk 7/261 (§ 139). 20 Gl 10/43, Sk 10/35 (§ 386 Α.), cf. Gl 13/97, Sk 14/105. 21 Gl 4/202, Sk 5/192, LI/163; Gl 8/96, Sk 8/90 (Zus.); Gl 10/32, 43, Sk 10/26, 35; Gl 13/15, 198, 366, Sk 14/24, 202, 363; cf. Gl 15/118, 198, 200, 226, Sk 16/105, 181, 183, 207; Gl 16/129, 185, 301, Sk 17/129, 182, 292. 22 Gl 8/111, Sk 8/103 (§ 35 Zus.); Gl 10/456, Sk 10/375 (§ 568); Gl 13/24, Sk 14/33; Gl 15/34 f., 88, 242, 307, 448 f., Sk 16/25 f., 77, 222, 286, 420; Gl 16/171, Sk 17/169.

78

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

Indem diese Negativität als Beziehung auf sich positiv ist, was ihre logische Struktur ausmacht und den Begriff des Bösen in der Logik einen Platz finden läßt 23 , konstituiert sie Entzweiung und Entfremdung von dem, gegen das sie negativ ist. Dies, gegen das das Fürsichsein sich festhält, kann ganz allgemein „Einheit" heißen24. Die Entfremdung des Fürsichseins von etwas, das eigentlidi ein Ganzes ist bzw. sein soll, läßt dies Ganze in Extreme auseinanderfallen, die sich hart und unversöhnt gegenüberstehen. Das Extrem des solchermaßen bösen Fürsichseins ist das sich in seiner Besonderheit als Einzelnes, in seiner abstrakten Freiheit als Negativität und in seiner Endlichkeit als Identität bejahende Selbstbewußtsein. Dasjenige, was eigentlich Einheit und das Ganze ist, wird dagegen nun selber eins der Extreme. Es ist in logischer Hinsicht das Allgemeine 25 . Unter dem Gesichtspunkt des Ethischen steht das Böse ihm als dem Guten gegenüber26. Und in seinem letzten Sinn ist es Gott (das Absolute), vor dem die Sünde sich findet27. Hegels Formulierungen und unser eigener bisheriger Sprachgebraudi lassen erkennen, daß die Begriffe Gott, das Gute und das Allgemeine gleichermaßen gebraucht werden, um den dem Bösen gegenüberstehenden Pol zu benennen. Welches nun ihr genaueres Verhältnis zueinander ist und welches ihre Funktion im Hinblick auf die Subjektivitätsproblematik ist, wird weiter unten zur Sprache kommen. Kapitel 5 wird u. a. zeigen, inwiefern der Gottesgedanke das Allgemeine für Selbstbewußtsein repräsentiert. Das darauffolgende Kapitel präzisiert unter dieser Voraussetzung auch das Verhältnis von Selbstbewußtsein und Begriff des Guten.

23

24 25

M

27

Gl Sk Gl Gl (§ Sk Sk

4/543, Sk 6/72, LII/56, cf. Gl 8/111, Sk 8/103 (§ 35 Zus.); Gl 15/88, 16/77. 15/292, Sk 16/271. 2/506, Sk 3/485, H/464; Gl 3/98, Sk 4/274 (§ 78); Gl 7/201, Sk 7/261 139); Gl 8/96, Sk 8/90 (Zus.); Gl 10/396, Sk 10/317 (§ 512); Gl 13/366, 14/363; Gl 15/112, Sk 16/100; Gl 16/264, Sk 17/257; Gl 19/272 f., 20/68.

Gl Sk Sk Gl Gl

4/543, Sk 6/72, LII/56, cf. Gl 8/111, Sk 8/103 (§ 35 Zus.); Gl 10/396, 10/317 (§ 511); Gl 11/413, Sk 12/389; Gl 13/15, Sk 14/24; Gl 15/254, 16/234. 3/98, Sk 4/274 (§ 78), cf. o. Anm. 10); Gl 13/15, 155, Sk 14/24. 160; 15/112, Sk 16/100; Gl 16/222, 301, Sk 17/217, 292.

Radikalisierung des Sündenbegriffs

b) Radikalisierung des Sündenbegriffs giösen Bewußtseins

79

und die Geschichte des reli-

Die vorausstehende Konstruktion des Sündenbegriffes im Rahmen der Konstitutionsproblematik von Subjektivität zeichnet sich gegenüber der theologischen Tradition durch eine Radikalisierung des Sündenverständnisses aus, wie besonders die letzten Bemerkungen über Sünde als Krisenphänomen zeigen. Diese Radikalisierung ist mit dem Versuch, die transzendentale Konstitution von Sünde einer Theorie des Selbstbewußtseins zuzuordnen, notwendig verbunden. Sie läßt sich an einem einzigen Punkt illustrieren. Bestimmt die Tradition Sünde, indem sie sich am göttlichen Gesetz orientiert, als aberratio a lege divina, so muß ein solcher Gedanke im Horizont dieser Theorie noch einmal hinterfragt werden auf die Bedingung seiner Möglichkeit. So erscheint das Gesetzesverhältnis selber als ein Abgeleitetes, als Folgephänomen der Entzweiungsproblematik (s. o. S. 56). Der Begriff des Bösen wird hier also gewissermaßen tiefer mit der Seinsproblematik des Menschen verbunden, als es unter den Denkbedingungen einer vorkantischen Theologie möglich war. Die spezifisch neuzeitliche Subjektivitätsthematik erzwingt eine Radikalisierung des Sündenbegriffes im dargelegten Sinne. Ihr weiß sich die Hegeische Theorie verpflichtet. Diese Radikalisierung hat freilich auch Konsequenzen für den Gottesbegriff, was im folgenden Kapitel 5 erörtert wird. Der radikalisierte Sündenbegriff unter den Bedingungen von Selbstbewußtsein legte sidi aus in den Merkmalen der Entfremdung und Vereinzelung. Ihnen entspricht als weiteres, jetzt darzulegendes Merkmal das der Singularität von Sünde. Die Begriffe Sünde und das Böse drücken vor aller Aktualisierung in Einstellungen und Handlungen und sie erst ermöglichend eine Grundverfassung von Subjektivität aus. Diese ist primär Thema einer Theorie der Sünde, und erst sekundär sind es die einzelnen Sünden, in denen sie sidi verwirklicht. Sünde als krisenhafte Gottentfremdung des Selbstbewußtseins ist wesentlich singularisch aufzufassen. Die Pluralität von Akten, in denen diese Grundverfassung in Erscheinung tritt und die nach vielfältigen materialen Kriterien so etwas wie einzelne „Sünden" bedeuten, ist demgegenüber für die Theorie prinzipiell von geringerem Interesse. (Cf. dazu die methodologische Reflexion u. S. 84 f.)

80

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

Es ist evident, daß dieser Radikalisierung des Sündenbegriffes als wesentlich singular das Merkmal seiner Universalität entspricht. Ist Sünde so mit dem krisenhaften Wesen menschlicher Identitätsfindung verbunden, wie dargestellt, so ist ihr Begriff universal. Denn ein Sündenbegriff, der Singularität nicht erreicht, behält für das Selbstbewußtsein etwas Akzidentelles, weil das Selbstbewußtsein sich aus jeder seiner Repräsentationen, indem es sie als seine anerkennt, auf sich zurückziehen kann 28 . Damit Sünde unter den Bedingungen sich verstehender neuzeitlicher Subjektivität erörterbar wird, sind in dieser Hinsicht zwei Voraussetzungen zu erfüllen. 1. Der Sündenbegriff muß dieselbe Allgemeinheit wie der des Selbstbewußtseins besitzen. 2. Sünde muß als etwas begriffen werden, das mit der Konstitution von Selbstbewußtsein wesentlich zusammenhängt. Unter diesen Voraussetzungen ist die Singularität des Sündenbegriffes Ausdruck seiner Universalität. Methodisch bedeutet das, daß die Sündenthematik prinzipiell unter den Bedingungen von Allgemeinheit, d. h. vernünftig theoretisierbar ist. Ihr Begriff erweist sich zum Verständnis von Subjektivität als ebenso unverzichtbar wie der Freiheitsbegriff. Beide Begriffe lassen sich nicht unabhängig voneinander denken, wie diese ganze Arbeit zeigen will. Im Folgenden soll in geschichtlicher Dimension die Komplementarität beider Begriffe gezeigt werden. Die Singularität und Universalität des Sündenbegriffes ist nach Hegel Resultat einer geschichtlichen Entwicklung. Erst an ihrem Ende hat das religiöse Bewußtsein den radikalen Begriff von Sünde vor sich. Und eben dieser Vollendung des Sündenbewußtseins bzw. der der Ausarbeitung des Sündenbegriffes im Medium des religiösen Bewußtseins entspricht die Vollendung des Freiheitsbewußtseins. Beide Entwicklungen des Geistes erreichen nach Hegel ihr Telos bekanntermaßen im Christentum. Das bedeutet, Hegels Religionsphilosophie ließe sich schreiben als eine Geschichte des Sündenbewußtseins. Freilich steht dieser Bezug auf die Religionsgeschichte unter den oben dargestellten Bedingungen (cf. S. 64). Die ihrer selbst gewisse Subjektivität vergewissert sich darin ihrer eigenen Genesis. In diesem Bezug auf Religionsgeschichte rekonstruiert das begreifende Bewußtsein der Sünde die Konstitution seiner selbst. Es gewinnt sein Selbstverständnis, indem es seiner Geschichte zusieht. Der Bezug auf Tradition hat den Sinn von Selbstverständigung. 28

Gl 15/253, Sk 16/233.

Radikalisierung des Sündenbegriffs

81

Es kann in unserem Zusammenhang natürlich nicht darum gehen, der Hegeischen Religionsphilosophie eine systematische Rekonstruktion der Religionsgeschichte unter dem Aspekt des Sündenbewußtseins zu entnehmen. Vielmehr haben die beigebrachten religionsgeschichtlichen V o r stufen des Sündenbegriffes nur exemplarischen Charakter. Sie sollen ihn schärfer profilieren und seine zentrale Wichtigkeit im Zusammenhang einer Theorie der Subjektivität als die geschichtliche Auszeichnung einer das Christliche begreifenden Philosophie ex contrario darlegen. a) D e r Logik des Begriffes der Religion entsprechend2^3, gilt generell für die Stufen vorchristlicher Religion, daß in ihnen die Trennung v o n Göttlichem und Menschlichem noch nicht prinzipiell gesetzt ist 29 . D e r heidnische Kultus kennt entsprechend O p f e r nicht als Sühnung verdienter Schuld 30 , sondern nur als Reinigung von je bestimmten V e r unreinigungen. „Eine Sünde im eigentlichen Sinne wird auf diesem Standpunkt nicht getan" 3 1 . W i r d der Gedanke des Bösen dem B e w u ß t sein überhaupt präsent, so bleibt er außerhalb des Selbstbewußtseins. D a auf diese Weise kein Bedürfnis nach Versöhnung entstehen kann, gibt es hier auch keine innere Umkehrung: weder G o t t noch die Freiheit werden als solche gewußt 3 2 . ß) Diese allgemeinen Bestimmungen sind nun in den einzelnen Gestalten der Religionsgeschichte in unterschiedlicher Weise repräsentiert. V o n der unmittelbaren Naturreligion heißt es kategorisch, sie sei ohne Sündenerkenntnis 33 . Darin liegt ihr entscheidender Mangel, denn Sündenbewußtsein ist Bedingung wahrer Religion 3 4 . 7) Die Entsagung von der Welt als Prinzip der indischen Religion hat ebenfalls kein Sündenbewußtsein zur Voraussetzung 3 5 . Die Hingabe an die Abstraktion des Brahma und die Flucht aus der Wirklichkeit

28

» Diese Logik findet sich ausführlicher dargestellt in Exkurs II, Abschnitt c), s. u. S. 178 ff. (Cf. auch Leuze, a. a. O.) 29 cf. Gl 15/249, Sk 16/229. 30 Gl 15/250, Sk 16/230. 31 Gl 15/245, Sk 16/225. 32 Gl 15/244, 241, Sk 16/225, 222 f. 83 Gl 15/292, Sk 16/271 f. 34 ebend. 35 Gl 15/389, Sk 16/364. 6

Ringleben, Hegels Theorie

82

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

sowohl der Laster als auch der Tugenden sind rein abstrakte Negationen, nicht Büßungen. Freiheit k a n n hier nicht gewußt werden 3 6 . ô) E i n Gegensatz von gut u n d böse w i r d erst gewußt in der Religion des Parsismus. Doch ist sie eine bloße Übergangsstufe. D e n n dieser Gegensatz bleibt dem Selbstbewußtsein noch äußerlich, indem er als objektiver K a m p f zweier Prinzipien vergegenständlicht wird 8 7 . U n d er bleibt unaufgelöst als Dualismus stehen. Sodann ist hier das Geistige nodi nidit v o m Physischen geschieden 98 . ε) Demgegenüber bedeutet die ägyptische Religion eine Weiterentwicklung des religiösen Bewußtseins. I n ihr erscheint das Böse als v o n den G ö t t e r n überwunden 3 9 . D a s N e g a t i v e w i r d als dem Göttlichen i m m a n e n t gewußt 4 0 und damit ein Verständnis v o n freier Subjektivität angebahnt 4 1 . D o d i diese Vorstellungen bleiben äußerlich, weil mit dem G e d a n k e n der Substantialität rätselhaft vermischt 4 2 . ζ) Als Religion der geistigen I n d i v i d u a l i t ä t h a t die jüdische Religion ein Bewußtsein des Bösen. Sie f a ß t dies als das sidi in seiner Endlichkeit gegen G o t t festhaltende Individuum. Aber soldie Sünde w i r d als nur dem Natürlichen u n d Menschlichen zugehörig betraditet. D e r substantielle eine G o t t u n d H e r r bleibt frei von jeglicher Negativität 4 3 . So nahe die Vorstellung vom Bösen hier einerseits der Wahrheit k o m m t , so w i r d seine Möglichkeit doch nur im Blick auf das Endliche gedacht. Es behält dadurch etwas Zufälliges, bleibt auf einzelne Sünden beschränkt u n d k a n n nicht als wesentliches Moment e r f a ß t werden 4 4 . Dies zeigt sich in der dem O p f e r zugrundeliegenden Vorstellung v o n der Ü b e r t r a g b a r k e i t der Sühne. Das sündige Selbst reinigt nicht sidi selber, sondern f ü g t sich qua O p f e r nur einen Schaden zu. Irgendein Lebendiges v e r m a g Sünde zu sühnen: darin zeigt sich, d a ß die Freiheit als U n v e r tretbarkeit des Selbstbewußtseins n o d i nidit bewußt ist 48 . D i e letzte 36

Gl Gl 38 Gl 39 Gl 40 Gl 41 Gl 42 Gl 43 Gl 44 Gl " Gl 37

15/399, Sk 16/373 f. 15/421, Sk 16/394; Gl 16/270, Sk 17/262. 17/118, Sk 18/106. 15/451 f., cf. 421, 453 f., Sk 16/423 f., cf. 394, 425. 15/450 f., Sk 16/422 f. 15/454, Sk 16/425. 15/461, 469, Sk 16/432 f., 440. 12/500, Sk 13/485. 16/77, Sk 17/78 f. 16/90 f., Sk 17/91 f.

Radikalisierung des Sündenbegriffs

83

Tiefe des Bewußtseins über gut und böse und ihr Verhältnis ist noch nidit erreicht46. Der Mythus vom Fall kann deshalb im jüdischen Bewußtsein audi nodi nidit in seiner ganzen Wahrheit gedadit werden. Er hat im Judentum geschlafen, wie Hegel sidi ausdrückt, zugleich die relative Isoliertheit dieser Tradition im A T erklärend 47 . η) Hält die jüdisdie Religion im Sündenbewußtsein allein das Moment der Entzweiung fest, ohne sie in ihrer Tiefe denken und so die Versöhnung wissen zu können, so hat die griediisdie Religiosität das Prinzip der Versöhnung auf einseitige Weise an sich. Versöhnung wird hier nämlich als unmittelbar gegeben, daseiend gefaßt 48 . Das Griechentum ist das „Paradies" des Menschengeistes, wie Eden das der Mensdiennatur (war) 49 . Der Geist ruht in sich, ohne die Tiefe der Entzweiung zu kennen und durchlebt zu haben®0. Die glückselige Identität des Geistes in einem Absoluten, das ohne inneren Gegensatz ist, madit so auch das Prinzip der klassisdien Kunst aus51, die mit der griediischen Religion zusammenfällt. Aus demselben Grunde kennt das Griedientum audi das Gewissen nicht52. &) Die Unvollkommenheiten der früheren Stufen des religiösen Bewußtseins und die Einseitigkeiten der beiden ihm vorausgehenden Gestaltungen der Religion (ζ, η) sind korrigiert und zu absoluter Vollendung gebracht im Christentum. In ihm ist der höhere Standpunkt vorhanden, daß die innere Unendlichkeit der Subjektivität als Freiheit und das absolute Wesen Gottes gewußt werden 43 . Erst hier ist Sünde als das erkannt, was sie ist: die in einzelnen Aktualsünden, die als sol die aber zufällig sind, Wirklichkeit gewinnende böse Endlichkeit als Verderbnis der mensdilidien Natur 54 . Indem dies als absolute Entzweiung gedacht wird, kann der Gedanke der Versöhnung allererst zur Geltung

" Gl 47 Gl 48 Gl 4 » Gl 50 Gl 51 Gl 52 Gl 53 Gl 84 Gl 6*

15/277, Sk 16/256. 16/76, 70, Sk 17/78, 72. 10/449, Sk 10/369 (§ 561); Gl 15/241 f., 276, Sk 16/222, 256. 3/237, Sk 4/318. 10/449, Sk 10/369 (§ 561); Gl 15/241, Sk 16/222. 13/15, 97, cf. 368 f., Sk 14/24, 105, cf. 364. 13/44, Sk 14/52, cf. Gl 12/374, Sk 13/360. 15/241, 252, Sk 16/222, 232 f. 15/253 f., Sk 16/233.

84

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

kommen. Der in dieser Bewegung sein Wesen erkennende Geist ist die wahrhafte Existenz der Religion55. Inwiefern die Absolutheit des Christentums sich für Hegel als die Ermöglichung wahrer Freiheit erweist, soll noch eigens dargelegt werden (s. u. S. 189). In den vorausgehenden Erörterungen ist deutlich geworden, wie eng die Möglichkeit der Freiheit mit der der Sünde zusammengehört: sie hat sidi als eine Möglichkeit erwiesen. H a t nun der christliche Versöhnungsgedanke eine Begründungsfunktion für das Gelingen des freiheitlichen Wesens von Subjektivität, so ist deutlich, daß nur hier der Gedanke der Sünde am radikalsten gedacht und zugleich aufgehoben werden kann. Der jetzige Abschnitt wollte den Zusammenhang beider Begriffe lediglich in der geschichtlichen Herkunft seiner Bewußtwerdung nachzeichnen und mußte sich in äußerster Knappheit halten, sollte nicht eine Rekonstruktion der ganzen Religionsphilosophie Hegels aus ihm entstehen. Den folgenden Kapiteln bleibt es vorbehalten, den systematischen Zusammenhang von Sünde und Freiheit unter den Bedingungen der christlichen Versöhnung weiter auszuführen.

c) Transzendentalität des Sündenbegriffs gie des SUndenbewußtseins

und die

Phänomenolo-

Die aufgewiesenen Merkmale des Sündenbegriffes erklären sich aus dem transzendentalen Charakter, den er in der Hegeischen Theorie annimmt. Es ist eben die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit für so etwas, das als Sünde und böse bezeichnet werden kann, gestellt unter den Bedingungen von Selbstbewußtsein, die die Radikalisierung jenes Begriffes herbeiführt. Da die Frage entsteht, in welchem Verhältnis solch ein Begriff von Sünde zu den empirischen Phänomenen des Sündenbewußtseins in ihrer unübersehbaren Vielfalt gedacht werden muß, ist es nötig, das Verfahren, dem dieser Begriff sich verdankt, näher zu klären. Eine Aufhellung des transzendentalen Charakters, den der Hegelsche SündenbegrifF annimmt, ist auch darum angebracht, weil jene Frage sich mit dem Vorwurf einer — gerade am Thema Sünde kraß ersichtlichen — panlogischen Vergewaltigung der lebendig erfahrenen Wirklichkeit zu verbinden pflegt, welche sich dem vernünftigen Begriff 55

Gl 15/34 f., 292, Sk 16/25 f., 271.

Transzendentalität des Sündenbegriffs

85

abgründlich entziehende Wirklichkeit in den Dokumenten des Sündenbewußtseins, seiner Geschichte und seiner Modifikation wie Reue, Buße usw. ihren Ausdruck finde. Schwindet nicht in einer theoretischen Konstruktion wie der Hegeischen der ungeheure Ernst jener Erfahrungen, und wird deren eigentümliche Wirklichkeit nicht durch abstrakte gedankliche Schemata geradezu verfehlt? Kann die Vernunft wirklich Sünde begreifen? — so und ähnlich lauten die Fragen, die sich im Namen der religiösen Unmittelbarkeit polemisch gegen Hegels Philosophie an dieser Stelle erheben. Darauf ist zu entgegnen, daß für die philosophische Reflexion die Frage sich folgendermaßen stellt: Welches ist der den Prinzipien der sich selbst gegenwärtigen Vernunft entspringende und so wissenschaftliche Gegenständlichkeit überhaupt erst konstituierende Begriff der Sünde, der die empirischen Phänomene des Sündenbewußtseins verständlich macht? Nur indem die Mannigfaltigkeit des empirischen Inhaltes der Sündenthematik sich auf die apriorische Einheit eines Gegenstandes (qua transzendentaler Konstitution) beziehen läßt, ist erkenntnistheoretisch „Objektivität" gewährleistet. Aus der Verkennung dieser kritischen Beziehung der philosophischen Vernunft auf den in den Inhalten des Sündenbewußtseins repräsentierten, systematischen Gegenstand einer Theorie der Sünde resultiert der Vorwurf, Hegel löse die Tatsachen der unmittelbaren Sündenerfahrung in „bloße" logische Verhältnisse auf. Dagegen ist die Intention seiner Theorie der Sünde gerade darin zu sehen, die Gegenständlichkeit (d. h. Objektivität der ihr gewidmeten Erkenntnisbemühung) dieser Tatsachen allererst nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit durchsichtig zu machen. Das Schlagwort des „Panlogismus" verkennt völlig, daß in aller Transzendentalphilosophie die Beziehung des mannigfaltigen, empirischen Inhaltes auf die Einheit eines systematischen Gegenstandes diejenige Form ist, in der sich eine transzendentallogische Begründung wissenschaftlicher Objektivität vollzieht55». Der so legitimierte transzendentale Sündenbegriff hat notwendig zwei Eigenschaften, die den erwähnten Vorwurf zu provozieren geeignet erscheinen. Er ist transmoralisch und transpsychologisch. Das Erste ist er in dem radikalen Sinne, daß Moralität selber als eine Gestalt des Bösen denkbar wird, wie die §§ 139 f. der Rechtsphilosophie zeigen können. Indem auch die Kantische Moralität als selber noch Ausdruck der "»cf. Brunstäd „Weltgeschichte", a. a. O. S. 566 ff.

86

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

Entzweiung begriffen wird, erscheint der Charakter religiöser Unbedingtheit an diesem Begriff von Sünde. Andererseits ist der Zusammenhang zwischen Gott und dem Guten so betont, daß Sittlichkeit als Folgegestalt des Versöhnungsgedankens gedeutet wird. Dies ist später noch zu präzisieren (s. u. S. 227 ff.). Die theoretische Bedeutung eines solchen antimoralischen Sündenbegriffs liegt darin, daß als „böse" (bzw. „gut") primär nicht partikulare Strebungen oder Handlungen, sondern ihr Einheitsprinzip („Wille") zu denken ist. Damit wird der Sündenbegriff dem Ich als Ich theoretisch kommensurabel, weil Moment seiner Immanenz: es hat das Gesetz, an dem es zu messen ist, an und für sich selber. Gut- bzw. Bösesein des Ich, wie unter den Bedingungen von Freiheit allein möglich, kann nicht an inneren oder äußeren, partikularen Inhalten abgelesen werden, nach denen sich dessen Moralität bemißt. Der prinzipielle Antimoralismus dieses Konzepts von Sünde — dessen Analogie zum religiösen Problem der Werkgerechtigkeit unübersehbar ist — verdankt sich demnach dem neuzeitlichen emphatischen Begriff von Vernunft. In analoger Weise vermeidet es diese Theorie, in die Begriffsbestimmung von Sünde empirisch-psychologische Modifikationen einzumengen. Diese sollen gerade nach ihrem Ermöglidiungszusammenhang abgeleitet werden. Und lediglich als sekundäre Veranschaulichungen dürfen psychologische Phänomene den Begriff begleiten. In diesem Sinne hat die religionsphilosophische Theorie methodische Priorität vor einer Phänomenologie des Sündenbewußtseins. Das eigentümliche Erkenntnisinteresse einer solchen transzendentalen Konstitutionsanalyse läßt sich näher bestimmen als Interesse des Selbstbewußtseins an sich selber. Denn im Sichzurücknehmen des Selbstbewußtseins aus seinen Aktualisierungen qua transzendentaler Reduktion wird das Selbstbewußtsein seiner selbst (als freies „Aktzentrum") ansichtig. Es geht nicht in seinen Leistungen auf, gleichsam in seine jeweilige Präsenz versenkt, sondern wird sich als Ermöglidiungsgrund solcher Leistungen durchsichtig. Selbstbewußtsein realisiert in transzendentaler Reflexion seine Freiheit. Immerhin kann man feststellen, daß die Leistungsfähigkeit eines solchen theoretischen Begriffes wie des Hegeischen Sündenbegriffes sich auch daran auszuweisen hat, in welchem Maße er in den verschiedenen Bereichen des Empirischen die psychologischen und moralischen Phänomene verständlich machen kann — eben durch Zuordnung zu diesem Begriff. Prüft man die Hegeischen Texte auf diesen Zusammenhang hin, so wird eine Fülle von Material sichtbar, das den unendlichen Reichtum

Transzendentalität des Sündenbegriffs

87

empirischer Bestimmungen und Erfahrungen auf dem Gebiet des Sündenbewußtseins eben als anschaulichen Hintergrund der Theorie voraussetzt und zugleich die Fähigkeit dieses transzendentalen Sündenbegriffes erweist, die unübersehbare Vielfältigkeit der Empirie nach ihrer wesentlichen Struktur durchsichtig zu machen. Derartige Veranschaulichungen finden sich vielerorts bei Hegel, besonders aber in der Ästhetik, deren philosophische Sphäre ja eben auch als die der anschauenden Vorstellung bestimmt ist. Im Sinne einer solchen Veranschaulichung bzw. der Verdeutlichung dessen, daß Hegels Sündenbegriff sie grundsätzlich möglich macht und von Hegel auch geleistet wird, ist die folgende Übersicht gemeint. Das Bösesein gewinnt seine formelle Größe und Festigkeit 56 aus dem Festhalten an der Entzweiung; es ist auf Dauer gestellte Isolation der Partikularität des Selbstbewußtseins. Das Stabilisieren solcher Vereinzelung (Entfremdung) muß als Leistung des Selbstbewußtseins verstanden werden. Die psychologische Möglichkeit zum Bösen entzündet sich an der Entzweiung von gut und böse. Aus ihr erst kann die Isolation jener bösen Strebungen und Leidenschaften hervorgehen, die das Bild der Sünde empirisch bestimmen57. In deren Freisetzen liegt die mit jener Entzweiung gesetzte Willkür 58 . Böse ist das Idi also in seinem Willen bzw. Wollen 59 . In den Begriffen einer vorstellenden (vergegenständlichenden) Psychologie kann als Sitz solcher bösen Selbstbezogenheit das Herz oder Gemüt genannt werden 90 . Im Stehenbleiben bei soldier Natürlichkeit hat die böse-abstrakte Persönlichkeit Schuld®1. Hierbei läßt sich die Unterscheidung machen zwischen einem momentan Bösen und dem Bösen als Grundzug des Charakters 42 . Dieser ist in sich beschränkt und verkümmert, ein verkrüppeltes und fladies Gemüt 54

Gl 12/328, Sk 13/316, cf. Gl 14/33, Sk 15/41. cf. Gl 11/448, 514, 532, Sk 12/423, 487, 505; Gl 15/282 f., Sk 16/262. 58 Gl 7/211, Sk 7/271 (§ 140 Anm. d); Gl 15/280, cf. 118, Sk 16/260, cf. Gl 16/347, Sk 17/336. 5 » Gl 3/94, Sk 4/270 (§ 65 Erl.); Gl 10/396, Sk 10/317 (§ 512); Gl 15/88, Sk 16/77, 420; Gl 19/272, Sk 20/68, cf. o. Anm. 10) u. Gl 7/201, Sk 7/261 f., 264 (§ 139 Anm. u. Zus.). 60 cf. Gl 11/426, 448, Sk 12/402, 423; Gl 13/156, Sk 14/162; Gl 15/145, Sk 16/130, 420; Gl 16/155 f., 333, 386, Sk 17/154, 323, 373. el Gl 15/254, Sk 16/233 f.; Gl 16/239, Sk 17/233. ** cf. Gl 14/123, Sk 15/130. 57

105; 448, 203, 498,

88

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

mit innerer Härtigkeit und Sprödigkeit 63 . Als in sich kahl und gehaltlos entspringt diesem Bösen auch nur Negatives wie Zerstörung und U n glück 64 . Dennoch setzt diese Formalität des Bösen in und aus sich ein eigentümliches Leben, jene „Drachen und Schlangen der eigenen Brust" 6 5 , die die gleiche widersprüchliche Mischung affirmativer Negation darstellen wie jenes selbst. Die gehaltlose Endlichkeit lebt sich aus in ebenso gehaltlosen, einseitigen Leidenschaften als Gestalten der Sünde und des Bösen: Neid, Feigheit, Niederträchtigkeit, Zerrissenheit, Haltlosigkeit, Selbstgefälligkeit und -bespiegelung, Lasterhaftigkeit, Tücke, Bosheit, Begierde, Grausamkeit, Trotz, Hochmut, Hoffart, harte Eigensucht, Gewalt, Heftigkeit — und welche Gesichter jene „brutale Eigenwilligkeit Gott gegenüber" sonst annehmen mag 66 . Eine äußerste Zuspitzung erreicht diese sich formell absolut setzende Subjektivität, wenn sie sich als solche weiß und ausdrücklich bejaht. Diese höchst bewußte, unendliche Negativität eines Selbstbewußtseins, das sich in seiner formellen Unangreifbarkeit als Herr und Meister über jeden Inhalt weiß und auch an jedem Inhalt seine einseitig-abstrakte Macht zur Geltung bringt, ist die „Eitelkeit", die für Hegel in Gestalt der romantischen Ironie ihre ästhetische Verkörperung gefunden hat 67 . Ihre nihilierende Möglichkeit zeigt sich sogar dem höchsten Gedanken der Philosophie, dem des absoluten Geistes, gegenüber als eine existentielle Möglichkeit 68 . Es darf als ein eindrucksvoller Beleg für die Fruchtbarkeit von Hegels Begriff des Bösen gewertet werden, daß die oben dargestellte transzendentale Konstitution von Sünde jedes einzelne der hier exemplarisch aufgeführten empirischen Phänomene des Sündenbewußtseins in seiner Struktur unmittelbar durchsichtig macht. Alle diese Phänomene lassen 83

Gl 1 2 / 2 1 5 , Sk 1 3 / 2 0 5 ; Gl 1 4 / 3 3 , Sk 1 5 / 4 1 .

« 4 Gl 1 2 / 3 0 1 , Sk 1 3 / 2 8 9 , cf. Gl 14/550, Sk 15/543. 65

Gl 14/33, Sk 1 5 / 4 1 .

·« Gl 1 2 / 3 0 1 , Sk 1 3 / 2 8 8 ; Gl 13/15, 97, 366 f., Sk 1 4 / 2 4 , 105, 363 f.; Gl 1 4 / 1 0 6 , 117, 205 f., 202, 434, Sk 15/112, 124, 2 0 9 f., 206, 4 3 1 ; Gl 16/73, 265, Sk 1 7 / 7 5 , 258. « 7 Gl 7 / 2 1 6 ff., Sk 7 / 2 7 7 ff. (§ 140 Anm. f.); Gl 1 2 / 1 0 0 ff., Sk 1 3 / 9 3 ff.; Gl 1 5 / 1 9 8 , 211, 224, 226, 372 ff., Sk 1 6 / 1 8 1 , 193, 205, 207, 348 f.; Gl 1 6 / 3 4 6 , Sk 1 7 / 3 3 4 f.; Gl 2 / 7 4 , Sk 3/75, H / 6 9 f. Zur christlichen Bedeutungsherkunft der „Eitelkeit" cf. H enrió, 68

a. a. O . S. 174 Fn. 20.

Gl 1 0 / 4 5 7 f., Sk 1 0 / 3 7 7 f. (Anm.).

Transzendentalität des Sündenbegriffs

89

sich als psychologisch-moralische Konkretionen jenes transzendentalen Begriffes auf verschiedenen Stufen, in verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichen Modifikationen innerhalb der anthropologischen Gesamtwirklichkeit verständlich machen. Der bereits früher erwähnte (s. o. S. 53 f.) und nach seiner Struktur aus den Bedingungen von Selbstbewußtsein erklärte Satz, daß Erkenntnis des Guten die des Bösen impliziert (s. o. S. 70 f.) 69 , läßt sich ebenfalls psychologisch-moralisch konkretisieren. Er bedeutet dann, daß sittliche Verwirklichung des Guten freie Entscheidung dafür einschließt. Eine solche hat aber zur Voraussetzung, daß das Gute als Gegenstand einer Wahl erscheint, womit sein Gegenteil als die andere Möglichkeit schon gegeben ist. In diesem Sinne also, daß das Ich sich eine sich bestimmende Entscheidung imponiert, hat es die Freiheit zur Schuld, die im Begriff der Imputabilität die Verantwortlichkeit des Menschen für sein Handeln festhält 70 . Das sich als wählendes Subjekt wissende Ich steht den Möglichkeiten seiner Wahl (gut — böse) gegenüber. Diese freie Distanz ist, so sehr sie Ausdruck seiner Freiheit ist, eine Entzweiung vom Guten, in der eine Unangemessenheit diesem gegenüber liegt70®. Die Erfahrung sittlicher Freiheit ist daher verbunden mit der, vom Guten entzweit zu sein (cf. hierzu o. S. 53 f.). Daß das Gute als ein zu verwirklichendes bzw. aufgegebenes erscheint, wirft auf das ihm gegenüberstehende Ich einen Schein von Entfremdung. Dies ist der im Judentum und Christentum eigentümlich ausgeprägte „unendliche Schmerz" des sich von Gott Getrenntwissens 71 . Die unendliche Vielfalt des reuigen, büßenden und sich nach Vereinigung mit Gott in religiöser Sehnsucht verzehrenden Sündenbewußtseins gibt diesem Schmerz seinen Ausdruck. In ihm hat das Leiden an der Tiefe der Entzweiung, die der Geist in sich trägt, sich unmittelbar fromm ausgesprochen. Die Überwindung solcher Trennung

49

Gl 11/240, Sk 12/221; Gl 15/285, Sk 16/264. Gl 11/65, Sk 12/50 f.; cf. Gl 14/552 f., Sk 15/546; Gl 15/285, Sk 16/264; Gl 16/260, Sk 17/253. 70a Das ist das Wahrheitsmoment der Kritik am „liberum arbitrium", cf. u. c. 5 b), S. 131 f. 71 Gl 3/227, Sk 4/68 (§ 207); Gl 11/412 f., 414, Sk 12/388 f., 390; Gl 15/34, Sk 16/25; Gl 16/77, 90, 151 f., 185, 270 ff., 305, Sk 17/79, 91, 150, 182, 262 ff., 296. 70

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

90

von Gott als Sündenvergebung macht daher die „höchste Befriedigung der Seele" aus72. Jener unendliche Schmerz, in dem sich die entzweite Situation des Wissens um gut und böse Ausdruck verschafft, gründet in einer dreifältigen Widersprüchlichkeit, deren Spannungen das Ich zu zerreißen drohen. Einmal hat das Ich als wählen sollend zwischen gut und böse an ihrem Gegensatz teil. Zweitens weiß es sich als auf das Gute bezogen (intentional gut) und darin zugleich von ihm getrennt (faktisch nicht gut). Schließlich weiß es diesen Widerspruch als conditio sine qua non seiner Freiheit, die es als gut bejaht. Indem es sich aber auch als Ort dieser dreifältigen Widersprüdilichkeit wissen kann, erzeugt sich der neue Widerspruch, daß es jene Widersprüchlichkeit ist und doch, insofern es von ihr weiß, über ihr steht, von ihr frei ist als unendliche Beziehung auf sidi. In diesem komplizierten Sinne beschreibt Hegel das ethischreligiöse Selbst als den „Kampf" von gut und böse78. „Ich bin in mir selbst als unendlich gegen mich als endlidi. Ich bin der Kampf" 74 . Weil das Selbstbewußtsein sogar seiner Bosheit gegenüber frei sein, von ihr abstrahieren kann, gewinnt es die Möglichkeit seiner „Absolutheit, Unendlichkeit" 75 . Das mit diesen Worten angedeutete Problem einer absoluten Identität des Selbstbewußtseins jenseits seiner Antinomien kann allerdings erst in dem folgenden Kapitel mit dem Verhältnis von Selbstbewußtsein und Gottesgedanke erörtert werden. Hier war abschließend nur zu zeigen, daß die ethisdien Antinomien des religiösen Bewußtseins, das sich als Ort des Kampfes erfährt, wieder auf die Konstitutionsprobleme des Selbstbewußtseins verweisen.

d) Funktion der

Erbsündenvorstellung

Von der christlichen Religion heißt es bei Hegel: „Der Mensch erscheint in ihr als böse von Hause aus, ist also in seinem Innersten ein Negatives mit sich selbst, und der Geist, wie er in sich zurückgetrieben 78 73

74

75

Gl 11/521, Sk 12/493. Gl 2/590, Sk 3/564, H/539; Gl 13/152, Sk 14/158; Gl 16/72, Sk 17/74; cf. Gl 16/257, Sk 17/250 f. Gl 15/80, 79 f., cf. 188, Sk 16/69, 68 f., cf. 172; Gl 16/77, 257, Sk 17/78 f., 251. Gl 15/89, Sk 16/77.

Funktion der Erbsündenvorstellung

91

ist, findet sich gegen das unendliche, absolute Wesen entzweit" 78 . Dieser Satz spricht einen Gedanken aus, der abschließend dargestellt werden soll, um Hegels Konstruktion des Sündenbegriffes audi nach dieser Seite hin durchsichtig zu machen, nämlich Hegels Deutung der Vorstellung von der Erbsünde. Bereits in der Unschuldsvorstellung fand sich die Einsidit, daß in einem solchen Zustand der Mensdi nicht ist, wie er sein soll und jener daher als festgehaltener böse ist (s. o. S. 40 u. 41). Das muß an dieser Stelle ausgeführt werden. Obwohl die Vorstellung der Erbsünde, wie das Folgende zeigen will, ein wichtiges und unverzichtbares, ja die christliche Religion zutiefst charakterisierendes Motiv ist, verfällt ihre traditionell-theologische, vorstellungsmäßige Ausgestaltung einer kritisdi begreifenden Uminterpretation. Erst die philosophische Auslegung vermag nach Hegel die Widersprüche und Anstößigkeiten dieser Lehre zu klären. Die von Hegel referierte traditionelle Vorstellung von einer natürlichen Vererbung der Sünde im Menschengeschlecht77 sieht sich gewissen (allgemein bekannten) ethischen Einwendungen ausgesetzt, die ihre Problematik bloßlegen. Es ist eine ganz äußerliche Vorstellung, denn 1. soll die Sündhaftigkeit jedes Menschen ihren Grund im zufälligen Tun des ersten Menschenpaares haben 78 ; 2. macht die Vorstellung der Erbsünde eine im Geiste liegende Bestimmung zu etwas Natürlichem, weil eben Vererbbarem und Vererbtem, was audi dem Wortbestandteil „Sünde" unmittelbar widerspricht. Es widerspricht nach diesen beiden Gesichtspunkten der absoluten Freiheit des Selbstbewußtseins, das Schuld nur sich selber zuschreiben kann, daß diese hier auf natürliche Weise, d. h. unbewußt und äußerlich an es kommen soll. Zurechnung über Angeborenes ist widersinnig 79 . Eine „stroherne Orthodoxie", die solche Vorstellungsformen absolut setzt, ruft damit selber die abstrakte Verstandeskritik hervor, die ihrerseits ebenfalls die eigentliche Tiefe des Gedankens durch endliche Bestimmungen verdeckt 80 . Philosophische Vernunft enthüllt und behebt zugleich den Grund dieser Schwierigkeiten. Er liegt darin, daß der allgemeine Mensch, der

» Gl 77 Gl 78 Gl n Gl 80 Gl

15/34 f., Sk 16/25 f. 19/105, Sk 19/498. 8/95 f., Sk 8/90 (§ 24 Zus.). 15/170, Sk 16/154 f.; Gl 19/106, Sk 19/499. 15/170, Sk 16/154 und Gl 19/106, Sk 19/500.

92

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

Mensch als solcher, im Mythus als der erste Mensch vorgestellt wird 81 (s. o. S. 50). Weil nun die Entzweiung im Begriff des Menschen überhaupt liegt, dient das Motiv der Erbschaft als (selber vorstellungsmäßige) Korrektur der Einseitigkeit jener Vorstellung vom Ersten, welcher sündigt. Die natürliche Mitteilung der Sünde soll sie also als allgemein kennzeichnen82. Der in der Vererbungsvorstellung ausgedrückte Gedanke ist, daß das Böse in der Bestimmung des Menschen als solchen liegt83. Hat die Vernunft die Tiefe dieses Gedankens gegen seine verendlichenden Entstellungen in Orthodoxie und Verstandeskritik einerseits zu bewahren, so muß sie andererseits gegen die aufgeklärte Behauptung seines Gegenteils die ihm innewohnende Wahrheit zur Geltung bringen. Dies Gegenteil, das für Hegel widervernünftig und ein auch die Bibel verdrehendes Vorurteil ist84, besteht in der von der Aufklärung vertretenen These, daß der Mensch von Natur gut sei. Gegen die christliche Lehre, daß der Mensch von Natur aus böse ist, wird er hier also als unmittelbar gut angesehen: er ist, was er sein soll und in sidi unentzweit. Sein Wesen ist in harmonischer Übereinstimmung mit sich, substantiell gut 85 . Das Ich weiß sich in unmittelbarer Beziehung auf sich, als von allem sonst abstrahieren könnend, in seiner Unmittelbarkeit als gut. Darin liegt Affirmation seiner abstrakten Besonderheit: es ist gut nach seinen Gefühlen, Meinungen, nach der Willkür und Zufälligkeit seines Empfindens und Wollens88. Sünden und Fehler, von denen immer als einzelnen abstrahiert werden kann, bleiben so äußerlich, akzidentiell: „Das Fehlerhafte ist, was Ich nicht ist." Gegenüber diesen Zufälligkeiten ist das Innere, der Geist ursprünglich gut: „er bleibt außer dem Spiele" und kann sich in seiner Ursprünglichkeit einfach wiederherstellen durch Reinigung und Aufhebung des Äußerlichen87. Damit gibt sich diese Haltung als mit sich selbst versöhnte, feste Endlichkeit zu erkennen, und die Versöhnung besteht bloß im Wissen, denn sie beruht auf der formellen Überzeugung des Gutseins 88 . Es ist klar, daß so aller objektive 81 82 83 84 85 88 87 88

Gl 16/266, Gl 16/266, Gl 19/106, Gl 16/204, Gl 15/189, Gl 15/199, Gl 15/189, ebend.

Sk Sk Sk Sk Sk Sk cf.

17/259; Gl 19/105 f., Sk 19/499. 17/259; Gl 19/105 f., Sk 19/499. 19/499. 17/200. 16/172; Gl 16/258, Sk 17/251, cf. Gl 2/432, Sk 3/415, H/399. 16/181, cf. Gl 16/346, Sk 17/334. 187, 190, Sk 16/172 f., cf. 170 f., 174.

Funktion der Erbsündenvorstellung

93

Inhalt wie Gesetz, Pflicht, Wahrheit sich auflöst. Der unendliche Gott wird ein bloßes Jenseits, und das endliche Ich faßt sich als unendlich89. Religiosität ist hier ein „eitles, leeres Schaukelsystem" zwischen der Erkenntnis der eigenen Fehler und meiner Sehnsucht nach dem Jenseits; denn darin als in meinen Bewegungen bin und bleibe idi unmittelbar bei mir selbst90. Daß das Absolute zu einem jenseitigen Abstraktum wird, und daß das Selbstbewußtsein als von Natur aus gut angesehen wird, gehört so zusammen 91 . In Wahrheit ist die Affirmation des Ich als ursprünglich, von Natur gut ein geistloses Auffassen des Geistes, pure Vergötzung des Soseins; „das seiende Ich" gilt als „letzte wahrhafte Bestimmung des Selbstbewußtseins", als selber absolutes Sein92. In diesen abstrakten Bestimmungen findet Hegel die Voraussetzung und das Prinzip aller für ihn verderblich scheinenden Zeitmeinungen, die auf der aufgeklärten Leugnung der Erbsünde beruhen und dem Pelagianismus ähnlich sind 93 : daß das Gute nur in meiner Uberzeugung, daß darauf Sittlichkeit beruhe, daß das Gute in meiner Natur liege94. In der Kantischen Philosophie findet er den Ursprung dieser Aufklärung über die ursprüngliche Güte des Menschen95, wenn auch Kant selber gegen solche „Ausklärung" in seiner Lehre vom radikal Bösen die Vernunftidee geltend gemacht habe, wie andernorts von Hegel konzediert wird 96 . Es fällt aber auf, daß — von der eben zitierten kurzen Bemerkung in der Geschichte der Philosophie abgesehen — Hegel, wenn er die Lehre von der Erbsünde begründet und verteidigt, sich nirgends dabei auf Kants Religionsphilosophie bezieht. Hegels Explikation der These, daß der Mensch von Natur aus böse ist, vermag sich gerade durch Anknüpfen an die entgegengesetzte, aufgeklärte zu verdeutlichen: er findet in dieser ein Wahrheitsmoment, das — konsequent weitergedacht — selber zum Gedanken der Erbsünde führt. Die Aussage, der Mensch ist gut von Natur, ist wesentlich wahr, aber 88

Gl Gl 81 Gl Sk 92 Gl 93 cf. 94 Gl 95 Gl ·» Gl 90

15/199, cf. 202, Sk 16/182, cf. 184 f.; Gl 16/184, Sk 17/181. 15/190 f., Sk 16/173 f. 15/372 f., 390, cf. 199 f., Sk 16/348, 365, cf. 181 f.; Gl 16/346 f., 17/334 f. 15/226, Sk 16/207. Gl 19/138, Sk 19/530. 15/190, cf. 202, Sk 16/173, cf. 184. 15/190 f., Sk 16/174, cf. Gl 8/96, Sk 8/90 (Zus.). 19/588, Sk 20/364 f.

94

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

eben nur — und darin liegt das Dialektische des Gedankens — wesentlich. An sich ist nämlidi der Mensch Geist, vernünftiges Selbstbewußtsein oder, religiös ausgedrückt, mit und nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen. Als Geist ist der Mensch ein „Spiegel Gottes", der das Gute ist, also selber gut. Genauer: sein Ansich ist gut97. Dies allein begründet die Möglichkeit der Versöhnung98. In der Aussage, der Mensch sei an sidi gut, liegt bereits ihre Schwierigkeit. Das An-sidi ist für Hegel etwas Einseitiges. Es bedeutet den Begriff (hier des Menschen), nidit seine Wirklichkeit. Die ursprüngliche Güte der menschlichen Natur bleibt so etwas Innerlidies, Unrealisiertes99. Mit „Geist" ist aber das gedacht, dessen Wahrheit audi wirklich ist, das das Ganze ist, so daß nur an sich zu sein eben einen Mangel bedeutet. Geistiges Selbstbewußtsein kann nur so gedacht werden, daß es, was es an sich ist, auch für es selbst ist — Fürsich des Ansidi100. Darin liegt, daß Geist als natürliche Unmittelbarkeit eine contradictio in adjecto ist. Ist Geist vielmehr gerade die Bewegung, aus dem Natürlichen herauszutreten, so tritt mit ihr notwendig eine Trennung von Begriff und unmittelbarem Dasein ein101. Nur durch solche Trennung hindurch kann Versöhnung geisthaft gedadit werden. Als von diesem Telos noch geschieden, ist die mensdilidie Natur böse und ihre Bestimmungen sind als sündig aufzufassen102. Dies ist Hegels Deutung der wesentlidien 97

98 99 190

191 192

Gl 16/258, 260, 261, 262, Sk 17/251, 253, 254, 255, cf. Gl 19/101, Sk 19/494. Von hier aus ließe sidi Hegels Sündenbegriff auf den Flatianischen Streit beziehen. Setzt man statt „An sidi" den Begriff „Substanz", so ist Hegels Stellung zu dem Streite deutlich (cf. auch Trillhaas, a. a. O. S. 599). — Eine solche hier freilich vereinzelte Bezugnahme mag exemplarisch den Wandel des Problemhorizontes veranschaulichen, der die Umformung traditionell-theologischer Motive in neuzeitlicher Philosophie bedingt. Gl 16/258, Sk 17/251. ebend. Gl 16/258, Sk 17/252. ebend. cf. Gl 7/70, Sk 7/69 ( § 1 8 ) ; Gl 8/95, Sk 8/90 (§ 24 Zus.); Gl 15/285, Sk 16/265; Gl 19/101, 105 f., Sk 19/494, 499. ebend. Gl 16/259, Sk 17/252. Gl 3/98, Sk 4/274, cf. o. Anm. 10); Gl 7/70, 201, Sk 7/69, 261 (§§ 18, 139); Gl 8/95 f., Sk 8/90 (§ 24 Zus.); Gl 10/367 f., 456, Sk 10/290, 376 (§§ 471, 570); Gl 11/514, 532 f., Sk 12/487, 504 f.; Gl 13/105, 127, 156, Sk 14/112, 133, 162; Gl 15/189 f., 254, 285, Sk 16/173, 233 f., 265; Gl 16/76, 259 f., 261, 269 f., Sk 17/78, 252 f., 254, 262; Gl 19/101, 133, cf. 138, Sk 19/494, 525, cf. 530.

Funktion der Erbsündenvorstellung

95

Glaubenslehre von der natürlichen Sündhaftigkeit des Menschen, die er als wahrhafte Theologie höher als jene aufgeklärte Lehre stellt 103 . Sie läßt sich nodi präzisieren. Im Begriff des Geistes liegt eine Notwendigkeit des Sichaufhebens der Natur 1 0 4 . Es ist die immanente Reflexion des Geistes selbst, über seine Besonderheit und natürliche Unmittelbarkeit hinauszugehen, im Prozeß seiner Einheit seine Natürlichkeit zu negieren 105 . Damit ist Entzweiung gesetzt, die freilidi selber nicht als endgültig festgehalten werden darf, ohne böse zu werden 106 . Zugleich darf nicht das Überschreiten der Unmittelbarkeit als böse gelten, sondern das Überschreiten, Verlassen ist dem natürlichen Ansidi schon immanent. Weil die Unmittelbarkeit die des Geistes ist, so ist sie das Dialektisdie, als Unmittelbarkeit bereits ihre Transzendenz zu sein. Weil der Mensdi (potentiell, an sich) Geist ist, ist sein Natürlichsein ein Mangel, eine Einseitigkeit, die als selber „sdion" geistig, gegen den Geist gerichtet, böse ist 107 . Der Mensch ist von Natur böse, heißt also, daß sein natürliches Noch-nicht-Geist-sein immer schon gewollt ist. Natürlichsein heißt beim Menschen — und bei ihm allein — Sidiverschließen gegen die geistige Einheit, das Gute 108 . Es ist also hervorzuheben, daß in der These, der Mensdi sei böse von Natur weder die Natur als solche (d. h. wenn sie nicht Natürlichkeit des Willens, des Geistes wäre) böse ist, noch die in sich gehende Reflexion (das Erkennen) für sich (d. h. wenn es nicht in jener Entzweiung sidi versteifte). Vielmehr soll mit Erbsünde das dialektische Zugleich gedacht werden, daß der Mensdi in einem von Natur und durch seine Reflexion in sidi böse ist109. Der Gedanke einer Natürlichkeit des Willens ist ein Widerspruch. Denn was diese geistige Form (Wille) umsdiließt, ist ein zufälliger Inhalt; an Besonderheit gebundener Geist aber ist böse110. Indem die Innerlichkeit des Willens ihre inhaltlichen Bestimmungen aus der zufälligen 103

Gl Sk 104 Gl 105 cf. 10 « Gl 107 Gl 108 Gl ,0 » Gl 110 Gl

7/70, Sk 7/69 (§ 18); Gl 8/92, 96, Sk 8/88, 90 (§ 24 Zus.); Gl 16/76, 17/78. 15/122, Sk 16/109; Gl 16/259, Sk 17/252. Gl 10/375, Sk 10/297 (§ 474 A.); Gl 19/101, Sk 19/494. 8/96, Sk 8/90; Gl 16/259, Sk 17/252. 16/259 f., Sk 17/252 f. 7/203 f., Sk 7/264 f. (§ 139 Zus.). 7/201, 203, Sk 7/261 (§ 139), 264 (Zus.). 16/260, Sk 17/253.

96

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

besonderen Natürlichkeit nimmt, bleibt sie selber ein bloß relatives, formales Fürsich und setzt sich in der Besonderheit ihrer Erfüllung dem Allgemeinen und Guten entgegen, ist also böse111. Die Frage nadi dem Ursprung des Bösen wird also auch beim Begriff „Erbsünde" an die Sdiuld des Menschen verwiesen112. Fragen wir zusammenfassend nach der Funktion der Erbsündenlehre im Kontext Hegels, so heben sich zwei Aussagen als bedeutsam hervor: a) Es gibt kein unschuldiges Bleiben in der Unmittelbarkeit. Natürlichkeit als bejaht ist immer vom Geist schon bestimmt, formaler Geist (böse) gegen versöhnten Geist112". b) Gerade durch diese Auffassung wird die Sünde als dem Ich ganz zugehörig und zurechenbar begriffen. Sie wird mit dem Innersten des Menschen identisch gesetzt, das er als ursprünglidi böse erkennen muß 113 . Beziehen wir abschließend die so verstandene Vorstellung von der Erbsünde noch einmal auf die die Konstruktion des Sündenbegriffes leitende Subjektivitätsproblematik, so spricht sidi in dem Gedanken, daß der Mensch von Natur aus böse ist, das Selbstbewußtsein die Erinnerung zu, daß es ein krisenhaft-unfertiges Unterwegs ist, das sidi immer schon in gewisser formeller Identität mit sich vorfindet — eben als Negativität des Vollzugs seiner selbst — und darin die Vollendung seines aktualen Wesens in absoluter Identität gerade von sich auszuschließen tendiert. Die eigentümliche Zirkelstruktur von Selbstbewußtsein läßt es dieser Möglichkeit (Tendenz) nur so ansichtig werden, daß es sie als seine Wirklichkeit immer schon findet (Erbsünde). Diese eigentümlidie Schwebe eines möglich-Wirklichen oder wirklich-Möglichen findet Halt nur im Gedanken einer sie aufhebenden, absoluten Identität, weshalb sich von Erbsünde allein im Hinblick auf den Geist-Begriff reden läßt. Der Mensch ist von Natur böse, weil und insofern er als solcher nicht (noch nicht) Versöhnter ist114. Erbsünde ist „natürliches" Festhalten an der eigenen Unversöhntheit. 111

Gl cf. Sk Sk 112 *cf. 113 Gl 114 Gl 112

7/201, Sk 7/261 (§ 139). o. Anm. 10); Gl 7/202, 204, Sk 7/262, 265 (§ 139 + Zus.); Gl 8/110, 8/102 (§ 35 Zus.); Gl 15/88, 107, 254, Sk 16/77, 95, 233 f.; Gl 16/72, 17/74. Gl 16/316, Sk 17/306. 16/269 f., Sk 17/262. 10/456 f., Sk 10/376 (Ç 570).

Zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde

97

e) Zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde Nachdem im Vorausgehenden die theoretische Konstruktion des Sündenbegriffs, wie sie nach Hegel im Zusammenhang der Konstitutionsproblematik des Selbstbewußtseins zu denken ist und die sich dabei ergebenden Eigenschaften des Begriffs zur Darstellung gelangt sind, soll nun die grundsätzliche Möglichkeit soldier theoretischen Anstrengung reflektiert werden. Zu solchem Rückblick auf die Möglichkeitsgründe des faktisch von Hegel Geleisteten nötigen verschiedene kritische Einwände, die die Möglichkeit einer derartigen Theorie von Sünde grundsätzlich bestreiten. In der Auseinandersetzung mit diesen Einwänden wird sich Hegels Theorie erneut in ihrer Eigenart profilieren. Alle hier einschlägigen Bestreitungen der Hegeischen Sündentheorie lassen sich als verschieden akzentuierte Wendungen einer Kernthese auffassen. Diese besteht in der Grundüberzeugung, daß von Sünde legitim nur als von der je meinigen (als eines Einzelnen) geredet werden kann. Diese These entfaltend, ergeben sich vier grundsätzliche Einwände gegen Hegel, die im folgenden behandelt werden. Sie versichern, der Grundthese entsprechend kurz gefaßt, daß 1. Sünde nicht deduzierbar sei, 2. die Schuld des einzelnen Individuums nicht aufgehoben werden dürfe, 3. Sünde vernünftig nicht begreifbar sei, 4. der Sündenbegriff etwas schlechthin Atheoretisches meine. 1. Der erste Einwand behauptet, wenn Sünde nur je meine sei, so hebe jede (also auch die Hegeische) Deduktion von Sünde den Begriff Sünde auf. Es ist zu fragen, ob bei Hegel eine Deduktion des Sündenbegriffs vorliegt. Von Deduktion kann man sinnvoll nur sprechen, wenn von einem abstrakten („obersten") Prinzip das, was ist, als notwendiges Prinzipiat abgeleitet wird. Das diesem Verfahren Entgegengesetzte geht dagegen gerade von dem, was ist, in seiner unableitbaren Faktizität aus, um eine darin wirksame Gesetzmäßigkeit aufzufinden. — Bereits hier ist deutlich, daß Hegels „Begreifen" etwas anderes als solche Deduktion ist. Im „Begreifen" soll gerade jener abstrakte Dualismus von Prinzip und Faktum überwunden werden. Im Begreifen dessen, was ist, soll gerade verstanden werden, welche konstitutive Funktion das Faktische für das Prinzip hat. Wie bereits die Phänomenologie-Vorrede ausführt, ist das 7 Ringleben, Hegels Theorie

98

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

Prinzip allein zusammen mit seiner Entwicklung Gegenstand des vernünftigen Begreifens 115 . Gerade die Unableitbarkeit der Sünde aus einem höchsten Prinzip (Gott) zwingt also dazu, ausgehend von ihrer Faktizität, zu fragen, was sie für das Verständnis jenes „Prinzips" für eine Bedeutung habe. Weil das Wahre das Ganze ist11®, muß das einer einseitigen Totalisierung in einem abstrakten Gottesbegriff (qua Deduktion) Widerstrebende als Moment der wahren Totalität Gottes als Geist verstanden und so zur Geltung gebracht werden. Verkürzt ausgedrückt : das Faktum wird nicht aus dem Prinzip „deduziert", sondern das „Prinzip" wird mit durch das Faktum definiert. Das, was in Wahrheit Prinzip ist, stellt sich erst am Faktum heraus. Das wahre Prinzip ist nicht das anfängliche Abstraktum einer möglichen, von ihm ausgehenden Deduktion, sondern das sich in der Dialektik von „Prinzip" und Faktum erst konstituierende Prinzip. Als solches ist es in unserer Arbeit im Begriff des Telos notiert. 2. Zweifellos wird Sünde bei Hegel unbeschadet ihrer theoretischen Konstruktion als die des einzelnen Ich verstanden: „Das einzelne Subjekt als solches hat deswegen schlechthin die Schuld des Bösen"m. Es ist verschiedentlich gezeigt worden, wie stark Hegel die Zurechenbarkeit der Sünde als einer des Willens betont (cf. o. S. 72, 87, 95). Darüber hinaus läßt sich dies Moment auf die Selbstbewußtsein wesentliche Dialektik von Besonderheit und Allgemeinheit einleuchtend beziehen. Theorie von Subjektivität muß und kann Schuld als je meine positiv begreifen. Das individuelle Selbstbewußtsein kann im Rahmen dieser Theorie überhaupt nicht von Schuld entlastet werden, weil die individuelle Besonderheit, in der und durch die als Wille Selbstbewußtsein als einzelnes schuldig wird bzw. sündigt, als Moment des Geistes notwendig ist. Konstituiert Vereinzelung zur konkreten Individualität das einzelne Selbstbewußtsein, so könnte dieses sich ohne seinen konkreten Inhalt, der von Sünde durchwoben ist, nicht auf das allgemeine Selbstbewußtsein als auf sein Wesen bezogen finden. Gerade in der individuellen Besonderung erfaßt der Geist sich als allgemein. Diese

115 116 117

Gl 2/13, 24 f., Sk 3/13, 24 f., H/11, 21 f. Gl 2/24, Sk 3/24, H/21. Gl 7/202, cf. 206, Sk 7/262, cf. 267; Gl 8/96, Sk 8/90 f. (Zus.). Dennoch behauptet Schmidt, a. a. O. S. 210, bei Hegel sei der Sünde der „Schulddiarakter" geraubt; ähnlich Groos, a. a. O. S. 172.

99

Zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde

aber hat ihre äußerste Spitze im Phänomen der eigenen Schuld, der Imputabilität (cf. o. S. 89) 1 1 8 . Damit Selbstbewußtsein seines allgemeinen Wesens als Geist ansichtig werden kann, muß es sich als besonderes und d. h. auch als Negation des Allgemeinen erfassen. In seiner schuldhaften Identität als Individuum erfährt das Selbstbewußtsein seine Nichtidentität mit seinem geisthaften Wesen, das seine allgemeine Identität wäre. Indem ihm seine eigene Sünde und Schuld präsent wird, gewahrt das Selbstbewußtsein gerade das, was sein allgemeines Wesen ausmacht: seine Besonderung dient dialektisch dem Allgemeinen, seine Differenz und Entzweiung vom Geist eben diesem. Allerdings steht Hegels Begriff von Sünde nidit unter der Voraussetzung, daß Subjektivität nicht anders als durch „Sünde" definiert ist. Und gerade das ist unausbleibliche Folge, wenn jedem Begreifen von Sünde deren existentielle Jemeinigkeit kontrastiert wird. Dann fallen die letzte Unbegreifbarkeit von Subjektivität als ein „Einzelner" sein (individuum ineffabile) und seine Sünde derart zusammen, daß Subjektivität geradezu mit Sünde identisch ist 119 . Das Geheimnis des Selbstseins vor Gott gewinnt darin dieselbe Unaussprechlichkeit wie seine Sündigkeit. Subjektivität und Sünde erscheinen dann im Medium eines rein negativen Begriffs bzw. ihre Positivität liegt im Arrheton jenseits vernünftigen Begreifens. Demgegenüber ist der positive Begriff von Subjektivität bei Hegel evident. Er definiert Subjektivität nicht durch Unzugänglichkeit (Sünde), sondern durch Zusidiselbstkommen (Versöhnung). Indem sie derart be-

118

Insofern erscheint die These von Trillhaas

fragwürdig, die von Hegel ge-

dachte Geschichte des Geistes, der sich durch aufgehobene Unmittelbarkeit auf versöhnte Einheit hin bewegt, sei „nicht die Geschichte des individuellen Menschen", a. a. O. S. 5 9 8 ; cf. auch die Rede vom Untergehen des Einzelnen im Geistesprozeß, a. a. O. S. 601. Auch für Hegel gilt: „Die christliche Lehre von der Sünde ist nicht ohne die „Kategorie des Einzelnen"

denkbar"

(ebend.), und er begreift dies als notwendig. Hegels Lehre von der Sünde meint also wesentlich

„die Sünde eines Einzelnen", (cf. Trillhaas, a. a. O.

S. 602), und zwar weil er Sünde gerade als (böse) Vereinzelung bestimmt. " · cf. Kierkegaard

„Krankheit zum Tode", a. a. O. S. 120: „Die Kategorie der

Sünde ist die Kategorie der Einzelnheit". Dazu cf. audi das von

Trillhaas,

a. a. O. S. 601, mit grundsätzlicher Zustimmung zitierte Diktum Kierkegaards („Einübung im Christentum", a . a . O . S. 6 8 ) : „Aber die Sünde, daß du und ich Sünder sind (der Einzelne), hat man abgeschafft." 7*

100

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

greifbar wird, wird sie sich zugleich als Freiheit durchsichtig. Die Frage zwischen beiden Begriffen von Subjektivität bzw. Sünde spitzt sich also auf die zu, ob Freiheit explizierbar, weil ihrer selbst gewiß, oder ein unaussprechliches Geheimnis ist. Sie so zu stellen, heißt für Hegel, die erste Möglichkeit bejahen, weil die Unbedingtheit des Sichselbstverstehens (Freiheit) den Vorwurf sinnlos macht, der vom Standpunkt der zweiten aus erhoben wird, daß ein soldies Begreifen die rationalistische Verflachung eines in „Begriffen" nicht mehr Erfaßbaren darstelle. Es geht nämlich bei dieser Frage nicht mehr um die sogenannte Reichweite und Anwendbarkeit des Denkens und seiner Begriffe 120 , sondern um das Sichselberwissen des Geistes als Begriff, die freiheitliche Selbstgewißheit, die Denken ist. 3. In den Zusammenhang des eben Ausgeführten gehört audi der dritte Einwand gegen Hegels Sündentheorie, der die Niditbegreifbarkeit von Sünde behauptet. Danach kann die Vernunft das In-der-Sünde-Sein, Sünde als Zuständlichkeit und ihre Auswirkungen nur beschreiben. Das Sündigen selber aber sei als freies, unableitbares Tun nur innerlich als Vollzug mit- bzw. nachzuerleben, nicht vernünftig zu begreifen 121 . Es ist nach dem Gesagten deutlich, daß der hierbei zugrunde gelegte Vernunftbegriff nicht der Hegels ist122. Gegen jenen postulierten Dualismus von äußerlicher Vernunft und innerem (existentiellem) Erleben ist vielmehr Hegels Einsicht geltend zu machen, daß Vernunft als SichWissen des Geistes jedem aktuellen Vollzug des Sündigens nicht äußerlich gegenübersteht; sie fragt nach den Bedingungen, unter denen solcher Vollzug und sein Erlebtwerden möglich ist und fragt darin durchaus nach sich selber. Inhaltlich gewendet, kommt alles auf die Frage an: wie kann Sündigen als Sündigen, Sünde als Sünde denn überhaupt erfahren werden? 120

121

122

cf. unsere Einleitung o. S. 17 f., besonders die Kritik von Schmidt, die in Anm. 3) zur Einleitung zitiert wird. cf. die kritische Frage von Trillhaas, a. a. O. S. 602, „was eine Rede von .Sünde' bedeuten kann, welche nicht die Sünde eines Einzelnen meint oder die der Einzelne auf das anwenden kann, was er selber als seine Sünde erfährt". (Hinter „oder die der Einzelne" lese idi sinngemäß ein „nidit"). Hierher gehört audi die Behauptung der Niditbegreifbarkeit von Sünde bei Schmidt, a. a. O. S. 206, 212. Danadi läßt sich das Böse „in kein gedankliches System einordnen". cf. Kopper, a. a. O. S. 242 f.

Zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde

101

Geist kann sein Sich-selbst-zuwider-Sein, sein Gegengeistig-Sein, seine sündige Selbstentzweiung dodi nur in und an sich erfahren, d. h. unter der Bedingung seiner Selbstgewißheit. Gerade in der Negativität seiner individuellen Besonderheit (als Sünde) erfährt er überhaupt nur als deren Bedingung die Positivität seines allgemeinen Wesens. Eben als Sich-entzweit-Wissen ist die endlich-geschichtliche Form seines Wissens von sich als Einheit. Audi wüßte er sich nicht als Geist, wenn er sich nicht als entzweit wüßte. Allein unter den Bedingungen der Entfremdung von seinem Wesen weiß Geist seine absolute Identität 1 2 3 . Das heißt religiös: sidi als Sünder zu wissen, ist bereits Gegenwart der Versöhnung unter den Bedingungen der endlichen Existenz (theologisch: gratia praeveniens). Solchen Zusammenhang durchsichtig zu machen, ist Sache der Vernunft. D a m i t ist zugleich die Frage beantwortet, wie der die Sünde D e n kende als selber sündiger Mensch dodi im denkenden Begreifen über die Sünde hinaus sein könne 1 2 4 . Die Antwort liegt darin, daß jedes Wissen der Sünde als solcher über sie bereits hinaus ist. Reflektiertes Wissen (Reflexion der Reflexion) ist immer schon über sie hinaus, indem es notwendig Bezug nimmt auf die vorausgesetzte und intendierte Einheit des Geistes. Indem das sündige Subjekt für sich seine Unwahrheit weiß, weiß es zugleich das Ansich seiner Wahrheit 1 2 5 . Anderes als reflektiertes Wissen der Sünde ist aber dem Menschen als Geist unmöglich. Philosophische Theorie der Sünde ist nichts anderes als denkende Explikation dieses Zusammenhanges, der sie selber ermöglicht. Die These von der Nichtbegreifbarkeit der Sünde als je meiner findet sich nicht nur in der Gestalt, daß Sünde als je meine nicht begriffen werden könne, sondern audi in der, daß sie es nicht dürfe 1 2 6 . Wer Sünde vernünftig begriffen und eingeordnet habe, so wird behauptet, könne seine eigene nicht mehr ernst nehmen 1 2 7 . Wie oben eigene Schuld Denken 123 124

125 124

127

Gl 2/34, Sk 3/36, H/30. Dies hält Barth nidit für „erlaubt", cf. Protestantische Theologie, a. a. O. S. 375. cf. Gl 16/257, Sk 17/250. So hält Schmidt, a. a. O. S. 206 die Erkenntnis der Sünde aus ethischreligiösen Gründen für „nicht erlaubt", cf. auch S. 209 f. Für Barth cf. Anm. 124). Schmidt ergeht sich — gewissen Vorbildern folgend cf. a. a. O. S. 201 — in entsprechenden Vermutungen, in welchem Maße Hegel selber unter der

102

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

ausschließen sollte, so hier dieses deren Anerkennung. Darauf läßt sich sagen: die Weise existentieller Aneignung dieser Theorie von Sünde, die sich bei dem subjektiven Durchschauthaben der Zusammenhänge gleichsam beruhigt und sich von ihnen für seine eigene Person nicht betreffen läßt, tut genau das, was diese Theorie böse nennt. Sie negiert einen objektiven, subjektiv vermittelten Zusammenhang in formeller Selbstbejahung, meint sich der „Anwendung" desselben auf sich enthoben und nimmt ihn gerade in seiner Beschränkung auf objektive Gültigkeit subjektiv nicht ernst128. Indem sie sich unangefochten außerhalb desselben festhält, erweist sie sich als jene Unangreifbarkeit, die Hegel böse nennt. Die bloße Anerkennung als objektiv gültig gründet in einer Selbstaffirmation, die den Geist in der Entzweiung fixiert. Die Struktur dieses Verhaltens gleicht jener Ironie, die auch den Gedanken des absoluten Geistes durch Depotenzierung zu bloßer Objektivität entleert 129 . Es handelt sich um subjektivistischen Mißbrauch einer Theorie, der von ihr selbst thematisiert wird. Seine Möglichkeit ist identisch mit der des Bösen überhaupt und

(seiner) Sünde gelitten habe, cf. a. a. O . S. 211, 212 und 214, 217, 239, 243, 256. Abgesehen von der Frage legitimen wissenschaftlichen Stils, die audi nicht nur eine des Geschmacks sein dürfte, macht sich in derlei Überlegungen der abstrakt-theoretische Dualismus von „theoretisch" u n d „existentiell" („persönlich") geltend, cf. dazu o. im T e x t S. 100 f f . 129

128

Hegel konstatiert selber die Möglichkeit solcher „Willkür" (cf. Gl 15/118, Sk 15/105): „Aber die menschliche Freiheit trägt die Willkür in sich und k a n n sich von ihrer Notwendigkeit, ihrem Gesetze absondern, ihrer Bestimmung entgegenarbeiten und entgegenhandeln. Wenn also die Erkenntnis wohl die Notwendigkeit des religiösen Standpunktes einsähe, wenn der Wille an der Wirklichkeit die Nichtigkeit seiner Absonderung erführe, so hindert dies nicht, daß er nicht auf seinem Eigensinn beharren, sich von seiner Notwendigkeit und Wahrheit entfernt, abgesondert stellen könnte." (Lasson, Begriff d. Rei. S. 9 f., cf. 180, Mskr.) Im folgenden wendet Hegel sich ausdrücklich dagegen, „nach einer seichten Manier des Räsonnements ein Argument gegen die Erkenntnis" daraus zu ziehen, „ d a ß dieser oder jener sie besitze u n d noch von der Religion entfernt geblieben sei". Philosophische Erkenntnis als Begreifen der Religion habe nicht die Intention, „dieses oder jenes Subjekt zur Religion zu bewegen, es religiös zu machen" u n d noch viel weniger die, sich „als den einzigen wesentlichen Weg zur Religion anzugeben", (ebend.). G l 10/457 f., Sk 10/377 f. (§ 571 Anm.).

Zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde

103

kann nicht als Einwand gegen die Theorie dienen, die ihn gerade begreiflich madien will. 4. Schließlich wird gegen Hegel geltend gemacht, daß Sünde, weil je meine, überhaupt theoretisch unexplizierbar sei. Das läßt sich auf die These bringen: von Sünde theoretisch reden, heißt nicht mehr von (meiner) Sünde reden 1 3 0 . Demgegenüber muß dieFrage erlaubt sein, was diese Verschlossenheit des als Sünde Bezeichneten gegen Theorie bedeutet. Welche Funktion hat der in diesem Sinn — als prinzipiell atheoretisch — ausgelegte Gedanke von der konstitutiven Jemeinigkeit der Sünde? Dies Fragen ist sinnvoll und — theoretisch. Es bringt, indem möglich, an den Tag, daß jener Gedanke, will er anders ein solcher sein, sich selber explizieren können, d. h. selber theoretisch sein muß, mag er inhaltlich auch gerade seine Unerreichbarkeit für (andere!) Theorie behaupten. Jener Gedanke der Jemeinigkeit von Sünde ist überhaupt nur denkbar als selber theoretische Explikation, und zwar gerade des (anders) theoretisch prinzipiell Unexplizierbaren. Er intendiert also, weit entfernt, Theorie überhaupt vermeiden zu können, eine nur umfassendere Theorie, nämlich eine, die auch noch das Atheoretische als solches und sein V e r hältnis zum Theoretischen thematisiert. Soll das Theorieunfähige zum Theoretischen ins Verhältnis gesetzt werden — und das muß es, um davon abgegrenzt werden zu können —, so wird es selber theoretisch. Das bedeutet: jeder prinzipielle Einwand gegen Theorie kann sich nur artikulieren als Gegentheorie mit (theoretischem) Überbietungsanspruch. Jedoch muß versucht werden, die positive Bedeutung des Satzes, daß Sünde als je meine (des Einzelnen) schlechthin atheoretisch sei, zu verstehen. Dient er der Verwahrung vor theoretischer „Nivellierung" der Einzigartigkeit und Unbegreifbarkeit von Sünde und Subjektivität als je meiner, so läßt er sich nun verständlich machen als — sich selber freilich nicht ganz durchsichtiger, in vorstellungsmäßiger Gegensätzlichkeit von Theorie und Atheoretischem steckenbleibender — Versuch, eine totale Identifikation von Subjektivität und Theorie zu verhindern. Jener Gedanke hält die Differenz offen zwischen dem Selbstbewußtsein und deriso Vermag die Intention der besonnenen Hegelkritik von W. Trillhaas sich in einer solchen Folgerung nidit wiederzuerkennen, was als wahrscheinlich gelten kann, so bestimmt jene sich eher dahin, das Problem einer adäquaten Theorie von Subjektivität zu bezeichnen. Die Thesen von Schmidt hingegen sind von unentschlossener Halbheit; ihre Theorie-Konsequenzen bleiben unbestimmt, cf. die in Anm. 3) unserer Einleitung genannten Stellen.

104

Die Konstruktion des Sündenbegriffs

jenigen seiner Realisationen, welche Theorie ist. Er will verhüten, daß Freiheit des Selbstbewußtseins mit einem bestimmten, hochgradig spezifischen Vollzug ihrer selbst, dem theoretischen, derart identifiziert wird, daß Theorie als Ersatz für Subjektivität fungieren kann. Daß theoretischer Vollzug nicht total für den freien Vollzug von Selbstbewußtsein einstehen kann, eben weil er nur in dessen Horizont selber begreifbar wird, ist als Protest gegen Theorie eines Atheoretisdien gedacht. Sünde kommt mit Subjektivität hier deshalb in diesen engen Zusammenhang, weil, was für den Vollzug von Subjektivität überhaupt, eo ipso auch für seine Krise gilt, nämlich daß ihr spezifischer Modus als Theorie so wenig, wie er jenen ersetzen, diese beheben kann. Wie Theorie nicht schon wirklidie Subjektivität ist, so ist Theorie der Sünde nicht schon ihre wirkliche Aufhebung. In der einzelnen Jemeinigkeit ihrer selbst und ihrer — sie vermeintlich dazu erst qualifizierenden — Sünde weiß die Subjektivität also ihre innere Unendlichkeit gegenüber allen ihren Vollzügen. Es bringt sich darin die momenthafte Selbständigkeit des Selbstbewußtseins gegenüber den es aktualisierenden Phänomenen zur Geltung. Jener Topos versudit, die Selbstbewußtsein im Prozeß seiner Dialektik wesentliche Spontaneität als die „seine" zu reklamieren. Die theoretische Funktion des atheoretischen Beharrens auf existentieller Unbegreiflichkeit ist überhaupt nur im Horizont der Dialektik von Selbstbewußtsein und seiner Realisierung zu verstehen. Fällt freilich Theorie zusammen mit sich selbst verstehender Subjektivität, wie bei Hegel 131 , so gilt ihr gerade diese das Moment des „Atheoretisdien" festhaltende Verwahrung gegen Theorie als legitimer theoretischer Ausdruck 131

Der Satz: „Es gibt keinen Zugang zur Wirklichkeit, welche den Anspruch erheben kann, ,christlich' zu gelten, als den über die Subjektivität" (cf. Trillhaas, a. a. O. S. 601) beschreibt das Fazit von Hegels Christentumsdeutung (cf. unsere Einleitung). Das gälte auch, wenn statt: „welche" zu lesen wäre: „welcher". Das Verhältnis von Subjektivität und „ein Einzelner sein", das nach Kierkegaard im vorliegenden Satz wohl als Identität aufgefaßt wird (doch cf. die Wendung „das Individuum und die Subjektivität", ebend.), ist freilich ein eigenes Problem der Subjektivitätstheorie. Hegel jedenfalls begreift Subjektivität als gerade durch die Dialektik von Allgemeinheit und Einzelheit konstituiert, was eben für die Sündentheorie relevant ist (cf. o. c. 4, S. 67 f. und c. 6 S. 238 f.).

Zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde

105

ihrer selbst. Was sich als Protest gegen totale Theorie von Subjektivität verschlüsselt, ist derart eben die Dialektik von Subjektivität selbst und ihr — Theoriecharakter. Er bricht nicht aus dem Horizont möglicher Subjektivitätstheorie aus, sondern hält ihn mit einem wesentlichen Moment ihrer Problematik gerade offen. Die Konsequenz der These von der Jemeinigkeit lautet demnach: es gibt keine Theorie über Subjektivität, sondern nur Theorie als Selbstauslegung von Subjektivität.

EXKURS I

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik Zweifellos war in den vorausgehenden grundsätzlichen Erwägungen zur Möglichkeit einer Theorie der Sünde audi sdion implizit von Kierkegaards Kritik an Hegel die Rede. Die dort verhandelten Thesen werden mit mehr oder weniger großer Präzision auf seine Position bezogen. Nun scheint es aber sachlich geboten, sich auch explizit mit Kierkegaards Sündenlehre auseinanderzusetzen. Daß sie selber sich als überbietende Alternative zur idealistischen, speziell Hegeischen Sündenlehre gibt, wie daß sie in solchem Anspruch religionsphilosophisch und theologisch außerordentlich folgenreich geworden ist, rechtfertigt und fordert diese Diskussion. Sicher können dieser Exkurs und der an späterer Stelle der Arbeit folgende (s. u. S. 245 ff.) keine allen Ansprüchen einer ausgewogenen Interpretation gerecht werdende Gesamtdeutung der beiden einschlägigen Bücher Kierkegaards geben1 und brauchen es in unserem Zusammenhang auch nicht einmal. Vielmehr werden im folgenden gerade solche Stellen daraus diskutiert, die, selber von hoher sachlicher Relevanz für Kierkegaards Konzept, eine überraschende Übereinstimmung mit dem idealistischen Denken verraten, obwohl sie als dessen Überbietung und polemisch dagegen gemeint sind. Sollte die hier vorgelegte Interpretation dieser Stellen zutreffend sein, so würde das allein reichen, eine differenziertere Verhältnisbestimmung Kierkegaard — Idealismus (Hegel) la erforderlich zu machen, als die übliche Entgegensetzung sie bietet. Deren Notwendigkeit einsichtig zu machen, kann überzeugend gelingen, auch wenn nicht alle einzelnen Interpretationsfragen beantwortet werden. In diesem Sinne nimmt sich der Exkurs das Recht zur Begrenzung seines Vorgehens.

1

la

cf. H. Fischer, Subjektivität und Sünde, a. a. O. besonders S. 81, 113, cf. S. 62 ff. Auf die Beziehungen besonders zu Fichte weisen die Erläuterungen E. Hirscbs zu beiden Büchern detailliert hin.

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

107

Idi verzichte übrigens darauf, auffallende und relativ vordergründige Übereinstimmungen und Parallelen zu Hegels Deutung der Sündenfallgesdiidite ausführlich zu behandeln. Sie betreffen im „Begriff Angst" a) die Deutung als Mythus, b) die Identifikation: Adam = der Mensch, c) die Auffassung der Unschuld, d) die — ganz formell verstandene — Verwendung von Dialektik 2 , e) den Geistbegrifi 3 . Sollte sich zeigen lassen — was meine Gesamtthese wäre —, daß Kierkegaards Sündenlehre sich als „psychologische" Variation (bzw. Konkretion) der Hegeischen Theorie verstehen läßt, so wäre damit an diesem Punkt eine Erklärung für den oft bemerkten Umstand gewonnen, daß Kierkegaards Kritik an Hegel so wenig präzis dessen Denken und Argumente wirklich trifft, was sidi ja nicht nur mit der Undeutlichkeit des Ineinanders von Kritik an Hegel und an Hegelianern entschuldigen läßt. Die Erklärung für das Nicht-Treffen der Kritik wäre dann die, daß Kierkegaard der Sache nach mit Hegel wesentlich einig ist. Dies in dem Sinne, daß es die Sache Hegels ist, die Kierkegaard gegen diesen zu verteidigen meint. Kierkegaards Theorie der Subjektivität verdankt sich in wesentlichen Strukturen derjenigen, die sie überwinden will; dies zu belegen, ist Aufgabe der beiden Exkurse I und I I I . Kritik an dem, was Grund und Voraussetzung dieser Kritik selber ist, geht ja notwendig ins Leere. Selbstverständlich wäre zur Begründung einer solchen Deutung des Verhältnisses Kierkegaard—Hegel eine durchgreifende Gesamtinterpretation der Schriften Kierkegaards nötig, die hier nicht zu leisten ist. Immerhin glaube ich, Gesichtspunkte benennen zu können, die die Vermutung als begründet erscheinen lassen, daß jene Erklärung zutreffend ist. Für die Kierkegaard-Interpretation entstünde aus dieser Sachlage freilich ein neues Problem: zu klären, wie trotz sachlicher Ubereinstimmung die Polemik gegen Hegel möglich ist3». Das Pathos von Kierkegaards Angriff auf die Hegeische Philosophie, insbesondere die Logik, konzentriert sich in einem emphatischen Begriff von Wirklichkeit 4 . Logik als formelle — sie kann nur „vorbestimmen" — 2

cf. Fischer, a. a. O. S. 88, 97 und Anm. 130.

cf. ebend. S. 92, 94. 3 a Eine scharfsinnige dialektische Verhältnisbestimmung unternimmt H. Schweppenhausen Kierkegaards Angriff auf die Spekulation, Frankfurt/M. 1967. 4 cf. zum Folgenden „Begriff Angst", S. 6 f. 3

108

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

hat an der „Wirklichkeit" keinen legitimen Gegenstand. Wirklichkeit beschreibt das, was der formalen Logik unzugänglich bleiben muß, soll ihre notwendig abstrakte Vereinnahmung jene nicht depotenzieren. Wenn Logik „Wirklichkeit" in sich aufnimmt, so ist eo ipso diese nicht mehr die Wirklichkeit. Diese Grenze der (formalen) Logik illegitimerweise überschritten zu haben, ist der entscheidende Fehler Hegels, der dem Begriff „Wirklichkeit" einen Abschnitt seiner Logik widmet. Er impliziert den für Kierkegaard illusionären Anspruch, Logik könne die Grenzen ihrer Abstraktion und Formalität — die „Ohnmacht des Begriffs" 43 — überwinden. Die Unmöglichkeit des Hegeischen Unternehmens, in der Logik „Wirklichkeit" zu denken, zeigt sich bereits an deren prinzipieller Unfähigkeit, das zur Wirklichkeit wesentlich hinzugehörende Moment der Zufälligkeit in sich aufzunehmen 5 . Hegels Logik hat es nach Kierkegaards Meinung mit dem bloß Notwendigen zu tun®. Dies ist freilich eine Fehldeutung dieser Logik, die der Zufälligkeit als solcher sehr wohl nicht nur einen „Einschlupf" zu gestatten, sondern ihren logischen Sinn zu begreifen in der Lage ist. Wichtiger dürfte etwas anderes sein. Für Kierkegaard ist Wirklichkeit „das Höchste" 7 , weil erst in ihr die Subjektivität zur Geltung kommt: „In der Wirklichkeit kommt das ganze Interesse der Subjektivität zum Vorschein, und nun strandet die Metaphysik" 8 . Weil das Interesse der Subjektivität an sich selber in der (formalen) Logik grundsätzlich nicht artikulierbar ist, ist „Wirklichkeit" höher als diese. „Wirklichkeit" ist also für Kierkegaard konstituiert durch dieses „Interesse". „Erst mit diesem Begriff (sc. „Interesse", J. R.) kommt eigentlich die Wirklichkeit zum Vorschein" 9 . Ehe dies hinsichtlich des Sündenbegriffs weiter verfolgt werden kann, ist erst zu fragen, wie sich dieser polemisch gegen Hegel gewandte Wirklichkeitsbegriff zu Hegels Logik verhält. Kierkegaard begeht — wie

"a cf. „Krankheit zum Tode", S. 120. 5 „Begriff Angst", S. 7. β cf. z . B . „Krankheit zum Tode", S. 93: „im System geht ja audi alles mit Notwendigkeit vor sidi". 7 „Begriff Angst", S. 7. 8 a. a. O. S. 16 Fußnote. 9 a. a. O. S. 19.

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

109

Hirsch riditig bemerkt 10 — eine formelle Unrichtigkeit, insofern als Hegel nidit „den letzten Abschnitt der Logik" überhaupt 11 , sondern den dritten Abschnitt der Wesenslogik mit dem Titel „Die Wirklichkeit" überschreibt und darin diese Kategorie logisch bestimmt. Dieser formelle Fehler Kierkegaards hat freilich erhebliche sachliche Konsequenzen. Denn in der Kategorie „Wirklichkeit" vollendet sich für Hegel eben nicht die Logik überhaupt, sondern nur die Lehre vom Wesen, die man der (vorkantischen) Metaphysik zuordnen kann. „Wirklichkeit" ist für Hegel also als Kategorie nicht die höchste der Logik, sondern eine vorläufige, wenn auch notwendig zu denkende. Die Logik realisiert selber das Unzureichende dieser Kategorie (und der Wesenslogik überhaupt), indem sie sie in der Lehre vom Begriff ihre Aufhebung und Vollendung erfahren läßt. Also audi für Hegel hebt sich Metaphysik in das Umfassende von Freiheit und Subjektivität hinein auf. In der Lehre vom Begriff erst kommt in der Hegeischen Logik das zur Sprache, worauf Kierkegaard mit seinem emphatischen Begriff „Wirklichkeit" insistiert. Das heißt aber: Kierkegaards Polemik gegen Hegel im Namen des Interesses von und an Subjektivität ignoriert das ganze Problem der „subjektiven Logik"! Was nun den Sündenbegriff angeht, so soll nach Kierkegaard das Interesse der Subjektivität an sich selber nur dadurch zur Geltung gebracht werden können, daß bei seiner Behandlung auf die richtige „Stimmung" geachtet wird. Was dem Begriff Sünde entspricht, ist der „Ernst" 12 . Ernst ist die aneignende Verdichtung jenes Interesses der Subjektivität: „Die Innerlichkeit, die Gewißheit ist Ernst" 14 . In dieser „Stimmung" bringt sich Subjektivität als wirkliche zur Geltung: „Die Wiederholung, das ist die Wirklichkeit, und des Daseins Ernst" 15 . Diesem Begriff des Ernstes kontrastiert Kierkegaard nun polemisch die „dialektische Ebenmäßigkeit und Teilnahmslosigkeit" des spekulativen Denkens19. Er läßt völlig unbeachtet, daß das Denken selber unter der Be-

10 11 12 14 15 19

a. a. a. a. a. a.

a. O. a. O. a. O. a. O. a. O. a. O.

S. 241 (Erläut. 12*). S. 6 f., 13 Fußnote. S. 12, cf. 13. S. 157; cf. die ausführliche Erörterung S. 152 ff. S. 155 Fußnote; cf. S. V. III, 157. S. 12.

110

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

Stimmung „Ernst" stehen kann, insofern es Wahrheit intendiert; für den Wahrheitsernst denkerischer Anstrengung hat er nur Karikaturen 1 7 . Es sdieint, als wäre dieser Einwand aufgehoben durch die Kierkegaardsche Zentralthese: „die Wahrheit ist die Subjektivität" 18 , welche eben gegen die „objektive" Wahrheit der Spekulation formuliert ist. Sie kommt der Sache nach bereits im „Begriff Angst" vor: „Wovon ich dagegen rede, ist etwas ganz Schlichtes und Einfältiges, daß die Wahrheit nur f ü r den Einzelnen ist, sofern er sie handelnd erzeugt" 19 . Betrachtet man dies näher, so stellt sich heraus, daß diese zentrale These selber freilich nicht „subjektiv" gemeint ist, sondern als wahr (sein wollend) ein Moment objektiver Geltung impliziert. Ist die „objektive" Wahrheit der Spekulation objektiv, d. h. in letzter Wahrheit, falsdi, so ist Wahrheit als Subjektivität eben objektiv richtig, wahr. Genauer gefaßt, ist es so, daß f ü r Kierkegaard die Wahrheit subjektiv — objektiv (zu denken) ist. Ihre Objektivität impliziert (ist nie ohne) Subjektivität. Kierkegaard intendiert nicht einen „subjektiven", sondern einen ungegenständlidien Wahrheitsbegriff. Das Moment der Subjektivität („Aneignung") bezeichnet Wahrheit als das, was audi objektiv nur ist als zugleich subjektiv. Die Wahrheit ist Identität von Wahrheit und Gewißheit 20 . Der Wahrheit entsprechender „Ernst" bezeichnet also nicht ein bloß „subjektives" Verhalten, sondern ist f ü r jene Identität konstitutiv. In ihm bringt sich die spezifisch idealistische Einsicht zur Geltung, daß gegenständliche Wahrheit eo ipso nie die (ganze) Wahrheit ist, sondern daß zur erkannten Wahrheit konstitutiv ihre Erkenntnis gehört. Die „Wahrheit ist Subjektivität", weil Wahrheit sich und ihre Erkenntnis umgreift; sie ist als Einheit ihrer selbst als Gegenstand und als Begriff Selbstvermittlung, „die Subjektivität". Daß dieser Wahrheitsbegriff, für den Subjektivität konstitutiv ist, sich idealistischen Grundeinsichten verdankt, kommt besonders klar in folgender Formulierung zum Ausdruck: „Der Freiheit Inhalt, intellektuell gesehen, ist Wahrheit, und die Wahrheit macht den Menschen frei. Eben darum aber ist die Wahrheit ein Werk der Freiheit dergestalt, daß

" 18 19 20

cf. a. a. O. S. 48, 50. cf. „Unwissenschaftliche Nachschrift" I, S. 179 ff. „Begriff Angst", S. 143 f. „Die Gewißheit und die Innerlichkeit ist also freilidi die Subjektivität . . a. a. O. S. 147.

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

111

sie fort und fort die Wahrheit erzeugt" 21 . Der unmittelbar folgende Versuch Kierkegaards einer Selbstabgrenzung gegen die „Geistreichigkeit der neuesten Philosophie" (Hegel) als mit dieser Einsicht in der bloßen Immanenz „des ewigen Gedankens" verbleibend 22 , ist wenig überzeugend. Denn zur Frage steht hier gerade, was denn „Gedanke" eigentlich ist! Und so ist überhaupt Kierkegaards Polemik gegen die Abstraktheit des bloßen Denkens bzw. Gedachten 23 selber viel zu abstrakt, um eine sinnvolle, bestimmte Alternative bezeichnen zu können. Auch in dem oben bereits zitierten Satz aus S. 143 f. (s. o. S. 110 bei Anm. 19) kann der beschwörende Hinweis auf das „Schlichte und Einfältige" in der Bestimmung „Einzelner" nicht verdecken, daß Kierkegaard einen allgemeinen Gedanken denkt. Überhaupt ist die Bestimmung des Einzelnen zu unspezifisch, um sein Verständnis von „Subjektivität" profilieren zu können, da Subjektivität eben gerade in der Dialektik von Einzelheit und Allgemeinheit ihr Sein hat — wie Kierkegaard selbst weiß 24 . Zeigt sich die Problematik des Kierkegaardschen Versuches, die idealistische Subjektivitätstheorie mit den Mitteln zu überbieten, die diese selber bereitstellt, schon an der Verhältnisbestimmung von Wahrheit und Subjektivität, Sündenbegriff und Ernst, so wird sie vollends offenbar, wenn man sich der Art zuwendet, wie Kierkegaard selbst den Sündenbegriff einführt. „Aber die Sünde ist kein Zustand. Ihre Idee ist, daß ihr Begriff ständig aufgehoben wird. Als Zustand (der Möglichkeit nach, de potentia) ist sie nicht, indessen sie der Wirklichkeit nach (de actu) oder im Vollzuge (in actu) ist und abermals ist" 25 . Ohne diese Aussagen im einzelnen interpretieren zu müssen, erhellt sogleich, daß hier bereits im Ansatz Sünde und Freiheit genau so durch einander gedacht werden wie bei Hegel. So kann Kierkegaard wenig später sagen: „ . . . die Freiheit ist niemals möglich; sobald sie ist, ist sie wirklich, in gleichem Sinne . . . , wenn Gottes Dasein möglich sei, sei es notwendig" 26 . (Hier hat er übrigens selber eine Möglichkeit vor Augen, den von ihm sonst verpönten Begriff der Notwendigkeit 27 mit dem der Freiheit zusammen21

a. a. O. S. 143. ebend. 2S cf. a. a. O. S. 144, 147 u. ö. 24 cf. a. a. O. S. 79 u. o. S. 99. 25 a. a. O. S. 12. 2 · a. a. O. S. 19 f. 27 cf. S. 19 und 143. 22

112

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

zudenken.) Er spricht die Korrelation von Sünde und Freiheit denn auch direkt aus: „daß die Sünde sich selbst voraussetze ebenso wie die Freiheit und sich ebenso wenig aus etwas Vorhergehendem erklären lasse, wie diese"28. Ebenso: „daß die Sünde sich selbst voraussetzt, daß sie auf die Art in die Welt gekommen sei, daß sie, indem sie ist, vorausgesetzt ist" 29 . Es kann im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit nicht darum gehen, das Verhältnis Kierkegaards zu Hegel zu klären, was audi das Eindringen in den Dschungel von dessen Forschungsgeschichte erfordern würde30. Es dürfte aber unbestreitbar sein, daß solche für Kierkegaards Selbstverständnis fundamentalen Stellen wie die angeführten und unten folgenden seine Selbstabgrenzung — in ihrer vorliegenden Gestalt — gegen insbesondere die Sündentheorie Hegels prinzipiell in Frage stellen müssen. Alle Polemik im einzelnen, deren Adäquatheit im übrigen hier dahingestellt bleiben möge, scheint sidi bis hin zur Bedeutungslosigkeit zu relativieren angesichts solcher grundsätzlichen theoretischen Übereinstimmung in der Sache, d. h. dem wirklich Gedachten und Artikulierten. Der zweite Exkurs wird dieses Urteil bestätigen. Die für den Tatbestand Sünde wie Freiheit gleichermaßen als grundlegend in Anspruch genommene, komplizierte Struktur des SichselbstVoraussetzens ist ein Begriffsmodell von hoher logischer Relevanz, das sich überdies gerade ohne Hegels Logik wohl kaum theoretisch ausarbeiten und verständlich machen läßt. Denn eben der logischen Analyse solcher zirkulären Strukturen ist diese Logik hauptsächlich gewidmet. (Man vgl. mit den Kierkegaard-Zitaten eines aus der „Wissenschaft der Logik", dem sich viele unschwer hinzufügen ließen: „das Anfangen von sich selbst ist erst das Setzen dieses Selbst, von dem das Anfangen ist" 31 .) Die rein logische Bedeutung und Herkunft solcher begrifflichen Strukturen bei Kierkegaard, wie der angeführten, kann auch dadurch nicht verdeckt werden, daß Kierkegaard sich bezüglich ihrer Genese und Relevanz auf „psychologische" oder „existentielle" Erfahrung bezieht. Gerade bei diesem Autor gilt es besonders, nüchtern auf das zu achten, was er wirk-

28 29 30

31

a. a. O. S. 115. a. a. O. S. 29 f. cf. Ν. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, Forsdiungsgesdiidite, Stuttgart 1969. Gl 4/699, Sk 6/220, LII/186.

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

113

lidi denkt und artikuliert. Die faktisch durchgeführten Gedanken relativieren bei ihm oft subjektiv bekundete Intentionen. In die Bezüge dieser logisch relevanten Theoreme Kierkegaards gehört ebenfalls seine Bestimmung der Sünde als „das Plötzliche", durch den „Sprung" sich Setzende 32 . So fällt denn auch für diesen subjektivitätslogischen Zusammenhang von wechselseitigem Setzen (Voraussetzen) von Sprung und Qualität die eigentlich verräterische Formel: ein „Kreis" 33 . Aber nicht nur die logische Fassung des Sündenbegriffs, sondern auch seine Entfaltung vermag sich nicht aus dem Horizont der Hegeischen Theorie zu lösen. Das für Hegels Sündenlehre so charakteristische Moment des Selbstwiderspruches von Sünde, die sich dem verdankt, gegen das sie gerichtet ist, kommt bei Kierkegaard voll zur Geltung: „denn das Böse vermag Gottes nidit zu entraten, sogar bloß um das Böse zu sein" 34 . Er entfaltet diese Widersprüchlichkeit an der Willensthematik — wobei auch er die abstrakte Vorstellung eines liberum arbitrium ablehnt 35 —: „Wofern einerseits die Unfreiheit es vermöchte, sich völlig abzuschließen und sich in sich zu behaupten (zu hypostasieren), wofern sie andererseits dies nicht fort und fort wollte (worin der Widerspruch liegt, daß die Unfreiheit etwas will, dieweil sie den Willen eben verloren hat), so wäre das Dämonische nicht Angst vor dem Guten" 38 . Dazu kommt die Fußnote: „.. . daß die Unfreiheit eine Erscheinung der Freiheit und mit Naturkategorien nicht zu erklären ist. Selbst wenn die Unfreiheit mit den allerstärksten Ausdrücken sagt, daß sie sich selbst nicht wolle, ist es Unwahrheit, und es ist ständig ein Wille in ihr . . ." 37 . Dieser widersprüchliche „Wille der Unfreiheit" 38 schließt die Notwendigkeit von Sünde zwar in dem Sinne aus, daß der Mensch sündigen „muß"39; aber immerhin bemerkt audi Kierkegaard einen höheren Zusammenhang zwischen freiem Gottesverhältnis und Schuld: „wenn der endliche Geist Gott sehen will, so muß er anheben als schuldig"40. Es 32 33 34 35 36 37 38 39 40

8

cf. „Begriff Angst", S. 29. a. a. O. S. 29, 116. a. a. O. S. 115 Fußnote. a. a. O. S. 48, 115 f. Fußnote; für Hegel cf. u. S. 131 f. a. a. O. S. 140. ebend. cf. S. 149 Fußnote. a. a. O. S. 149 Fußnote. cf. a. a. O. S. 115, 116. cf. a. a. O. S. 110 und Fischer, a. a. O. S. 93 mit Anm. 171 ( = 137). Ringleben, Hegels Theorie

114

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

ließ sidi für Hegels Theorie der Sünde zeigen, daß Sünde als der gleiche freiheitliche Selbstvollzug wie Selbstbewußtsein aufgefaßt werden muß. Ebendas ist auch der Grundansatz Kierkegaards. Das ist oben für den Sündenbegriif hinreichend belegt worden 41 , wobei auch der Zusammenhang mit der Freiheitsthematik sichtbar wurde. Daß diese Bestimmungen der Sache nach im Horizont einer entsprechenden Theorie des Selbstbewußtseins stehen, ist für Kierkegaard noch kurz zu zeigen. Audi für ihn ist Selbstbewußtsein ein aktuoses Gefüge der Selbstkonstruktion, das nie unmittelbar ist, sondern nur ist, indem es sich herstellt: „Dies Selbstbewußtsein ist daher Handlung, und diese Handlung wiederum ist Innerlichkeit . . ," 4 2 und: „Die Gewißheit, die Innerlichkeit, die allein handelnd erlangt wird und allein in der Handlung ist . . ." 4 3 . Diese Aussagen sind mit den oben zitierten über das Erzeugen von Wahrheit in Freiheit (s. o. S. 110 f.) zusammenzudenken, um die Übereinstimmung mit der spekulativen Subjektivitätstheorie ganz evident zu machen. Auch der Zusammenhang zwischen Freiheit, die Selbstbewußtsein, und Freiheit, die Sünde ist, wird — im Medium der psychologischen „Zwischenbestimmung": „Angst" — sachlich ebenso gedeutet, wie es sich für Hegel mit dem Terminus „Krise" nahelegte: „Angst ist überhaupt, um das Gesagte mit einem neuen Ausdruck zu bezeichnen, die kritische Wende (discrimen, Zweideutigkeit) der Subjektivität" 44 . (Diese Formulierung stammt zwar aus einem nicht veröffentlichten Entwurf zum „Begriff Angst", ist aber vielleicht gerade wegen ihrer sich auch sprachlich zeigenden Nähe zur idealistischen Theorie unterdrückt worden 45 .) Überhaupt ist Kierkegaard ständig bemüht — was offensichtlich nötig ist — seine Theorie der Subjektivität von jenem „Luftgebilde des deutschen Idealismus", dem reinen Selbstbewußtsein, zu unterscheiden46.

41

cf. auch die unten genannte Parallele, Anm. 134) zu Kap. 6.

42

„Begriff Angst", S. 149.

49

a. a. O. S. 144 und „Krankheit zum Tode", S. 9 3 : „In des Geistes Leben ist kein Stillstand, eigentlich auch kein Zustand, alles ist Aktualität, T a t haftigkeit."

44

cf. a. a. O. S. 260, Erläut. 149.

45

cf. audi „Krankheit zum Tode", S. 21 : „ . . . daß der Zustand des Menschen als Geist betrachtet allezeit kritisdi ist"; „es gibt keine unmittelbare Gesundheit des Geistes".

44

„Begriff Angst", S. 80 (und Erläut. 122 = S. 256), S. 144, 149, 157, 159.

Kierkegaards „Der Begriff Angst" — Erste Antikritik

115

Freilich gilt für diese Versuche, „konkret" zu werden, was oben hinsichtlich der demselben Zweck dienenden Bestimmung „der Einzelne" gesagt wurde: sie bleiben selber teils abstrakt (cf. o. S. I l l ) , teils naiv, wie dort, wo die Konkretheit des Selbstbewußtseins als inhaltliche Unendlichkeit seiner Bestimmungen gedeutet wird 47 . Im Rahmen seiner Deutung des Selbstbewußtseins als eines permanenten Selbstvollzuges („Handlung", cf. o.) wird gegen denkende Analyse des Selbstbewußtseins schließlich seine innere Unabgeschlossenheit geltend gemacht: „Dies Selbstbewußtsein ist nicht Betrachtung, denn wer das glaubt, hat sich selbst nicht verstanden, sintemal er sieht, daß er selbst zu gleicher Zeit im Werden ist, und mithin nichts für die Betrachtung Abgeschlossenes sein kann" 48 . Diese auch für spätere Schriften Kierkegaards (wie die „Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift" 49 ) zentral wichtige Akzentuierung des Werdens bzw. des Selbst als eines Werdenden läßt sich auf die inhaltliche Diskussion einer (bei Hegel übrigens vorliegenden) Alternative nirgends ein. Ist denkende Betrachtung eines Werdenden wirklich unmöglich? Sie ist denkbar als Selbstbetrachtung eines Werdenden bzw. Betrachtung eines Selbstwerdenden. So ist sie wissender Vollzug eines Prozesses, in dem Betrachtung und Werden, Betrachtender und Betrachteter, Sein und Werden lebendig eins sind. Selbstbewußtsein ist eben dieser Prozeß. Ihn wissend (begreifend) zu entfalten, ist Aufgabe einer Logik, die nicht einfach und ausschließlich nur Seiendes — wie Kierkegaard per petitio principii behauptet 50 — sondern Bewegtes zum „Gegenstand" hat — ein Gegenstand, der sich solcher Gegenständlichkeit permanent entzieht und gerade so methodisch in die Erkenntnis eingeht. Diese Logik hat den Begriff „Wirklichkeit" in Kierkegaards Sinn zu ihrem Thema; sie ist — was er für unmöglich hält 51 — Logik der Freiheit.

47

a. a. O. S. 148 f., cf. 78. a. a. O. S. 149. 4 · cf. dort S. 118 ff. 50 „Begriff Angst", S. 9 f., 83 und Fußnote 1. 51 a. a. O. S. 83 Fußnote 1. 48

8*

KAPITEL 5

Sünde und Gottesgedanke Selbstverständlich kann es im Rahmen dieser Arbeit nicht darum gehen, Hegels Gotteslehre als ganze darzustellen. Sie kann vielmehr hier nur insoweit herangezogen werden, als es für die diesem Kapitel vorbehaltene Aufgabe zu untersuchen, wie Hegels Theorie von Fall und Sünde auf seinen Gottesbegriff bezogen ist, notwendig erscheint. Ganz läßt sich auch das nur unter Einbeziehung des Versöhnungsbegriffs verständlich machen. Insofern muß dieses Kapitel mit dem folgenden als Einheit gesehen werden. Die Frage nach dem Verhältnis von Sünde und Gottesgedanke im Denken Hegels konzentriert sich auf das Problem der Notwendigkeit der Sünde (b). H a t Hegel, und wenn ja, inwiefern Fall und Sünde als notwendig begriffen? — diese Frage soll hier geklärt werden, um die sich an diesem Punkt konzentrierende Kritik an Hegels Sündenlehre gerecht beurteilen zu können. Freilich kann dieses Problem nur dann hinreichend entfaltet werden, wenn zuvor deutlich gemacht worden ist, wie Hegel das Verhältnis von Selbstbewußtsein und Gottesbegriff denkt (a). Der hier unternommene Versuch, den Sündenbegriff mit der Konstitutionsproblematik von Selbstbewußtsein zu verbinden, fordert diesen Aufbau der Darstellung. Allein im Rahmen einer Verhältnisbestimmung von Selbstbewußtsein und Gottesbegriff lassen sich Gottes- und SündenbegrifF sinnvoll zuordnen und läßt sich das Problem der Notwendigkeit von Sünde erörtern. Diese Verhältnisbestimmung selber steht im Horizont zweier Fragen, die sich aus der oben dargestellten Dialektik des Selbstbewußtseins ergeben: 1) Warum besondert sich das Allgemeine? 2) Inwiefern ist das Allgemeine so strukturiert, daß Selbstbewußtsein sich in ihm finden kann? Im gemeinsamen Problemfeld beider Fragen sind auch die Probleme Sünde und Gott und Notwendigkeit der Sünde zu lokalisieren. Ihre Erörterung führt zum Gedanken des absoluten Geistes (c). Dessen prozeßhaftes Wesen soll dann noch mit Hilfe der Reflexionskategorien „Form" und „Inhalt" präzisiert werden (d). Beide Unterabschnitte implizieren die Sündenthematik und gehören insofern hierher.

Selbstbewußtsein und Gottesgedanke

a) Selbstbewußtsein und

117

Gottesgedanke

Selbstbewußtsein ist als Vollzug eines Prozesses, in dem es sich als Moment unmittelbarer Einheit voraussetzt, von der es sich abstößt um zu sein — wobei jenes Voraussetzen und dieses Sichabstoßen eine Bewegung ist, die allein ihm Wirklichkeit als Prozeß ermöglicht. Identität unter den Bedingungen soldier Entzweiung zwischen Ursprung und Emanzipation ist nur als eine solche denkbar, die diesen Prozeß in sich aufnimmt, ohne ihn abzubrechen und ohne doch seine innere Gefährdung (krisenhafte Instabilität) zu teilen. Beide Bedingungen sind erfüllt in einem Gottesbegriff, der als der gleiche Prozeß wie Selbstbewußtsein und zugleidi als in sich vollendet und gelungen gedacht wird 1 . In solchem Gottesgedanken nimmt Selbstbewußtsein auf eine Identität Bezug, die sein eigenes Sein als Prozeß im Zustand innerer Vollendung darstellt und so ihm selber Identität ermöglicht. Selbstbewußtsein als prozessuale Identität (Geist) kann sich nicht finden und stabilisieren in einem Sein Gottes, das in starrer Identität mit sich gedacht wird. Gott muß selber als solche durch lebendigen Prozeß vermittelte Identität, Geist gedacht werden 11 . D a endliche Subjektivität als freiheitlich verfaßt gedacht werden muß, kann der Gottesgedanke nur als ebenso strukturiert begriffen werden. Der Freiheit (der endlichen Subjektivität) kann nur Freiheit (der göttlichen Subjektivität) ein Gegenüber sein. Jedes andere, nidit subjekthafte Gegenüber wäre Moment der endlichen Freiheit selbst. Subjektivität ist „unbedingte Form", der jedes bloß Gegebene (und sei es ein „höchstes Wesen" oder „offenbarer G o t t " ) unausweichlich Moment ihrer Realisierung wird. Was der Freiheit äußerlich bleibt, kann ihr nicht wesentlich sein oder werden. Freier Subjektivität gegenüber gibt es nur ohnmächtigen Anspruch oder gleichermaßen freie Subjektivität. Als wirklidie Realität für das sich in freier Bewegung konstituierende Selbstbewußtsein kann Gott nur als gleichfalls Prozeß der Freiheit gedacht werden 2 . Im Zurgeltungbringen dieser Einsicht dürfte Hegels Gotteslehre ihre Auszeichnung haben, und dieser Aspekt

1

8

Gl 11/215, 410, 415 f., 530, Sk 12/197, 386, 392 f., 502; Gl 8/404, Sk 8/351 (Zus. 1). cf. Gl 4/306, Sk 5/291, LI/250; Gl 15/227, 122, Sk 16/208, 109. Gl 11/262, 530, Sk 12/243, 502; Gl 13/5, Sk 14/14; Gl 16/281, 136, Sk 17/273, 135, Barth, „Protestantische Theologie", a. a. O. S. 376, findet

118

Sünde und Gottesgedanke

allein ist es, der hier behandelt werden kann. Eine Theorie der ihrer selbst ansichtig gewordenen Subjektivität erzwingt also einen ihr adäquaten Gottesbegriff. Hegels Philosophie hat daher gerade auch als universale Entfaltung der neuzeitlichen Subjektivitätsthematik ein notwendiges Interesse am trinitarischen Gedanken. Es konzentriert sich auf den Zusammenhang von Identität und Differenz der Sätze: a) Selbstbewußtsein fängt mit sich selber an (Freiheit); b) Gott ist durch den Prozeß seiner Selbstbegründung und -Vermittlung erst Gott (Trinität) 8 . Dies soll in dreifacher Hinsicht erläutert werden. 1. Eine detaillierte Darstellung der Subjektivität Gottes bei Hegel kann hier nidit geleistet werden. Da hierzu verschiedene Darstellungen vorliegen3®, mag es erlaubt sein, sidi mit kurzen Andeutungen zu begnügen, die allein den Sinn haben, jenen uns interessierenden Zusammenhang von Selbstbewußtsein und Gottesbegriff zu profilieren. Bekanntermaßen denkt Hegel die Subjektivität Gottes als Zusichselbstkommen durch und in Entäußerung4. Eben durch Subjektivität ist Gott Gott im Unterschied zu einer „Gottheit" als allgemeinem Wesen. Nur als Insidi-sein, Negation der Negation, hat Gott die konkrete Intensität des Subjektes5. Als absolute Negativität ist er solchermaßen Vermittlung seiner mit sich selbst®. Darin liegt: die göttliche Subjektivität, die im Andern ihrer selbst völlig bei sich ist®*, ist als absolute Freiheit die ewige Einheit von Selbstsein und Entfaltung, von Vollzug und Gelingen. So ist Gott in seiner Entfaltung immer er selbst und hat umgekehrt seine ewige Identität nur in der ewigen Realisierung seiner selbst. Demgegenüber verwirklicht endliche Subjektivität das, was Gott in absoluter Vollkommenheit und Reinheit ist, in endlicher Brediung. Sie ist als krisenhafte Spannung, die sidi realisiert zwischen den Polen der bei Hegel kein „reales unanfechtbares Gegenüber von Gott und Mensch". Er übersieht die für die Identität des Geistes konstitutive Differenz, cf. o. S. 117 ff., 135 ff. 3 cf. Gl 16/296, Sk 17/287. 3 a c f . z . B . die Büdier von Theunissen, a . a . O . passim und Wagner, a . a . O . S. 200 ff. 4 Gl 13/102 f., cf. 114 f., Sk 14/110 f., cf. 122; Gl 15/76, 210, 217 f., Sk 16/65, 192, 199; Gl 16/55 f., 136, 161, 198, Sk 17/59, 135, 159, 193. 5 Gl 4/130, Sk 5/123, LI/102; cf. Gl 16/48, 56, Sk 17/51, 59. • Gl 4/130 f., Sk 5/124, LI/103. «»Gl 15/447, 448 f., Sk 16/419, 420.

Selbstbewußtsein und Gottesgedanke

119

Selbstentfremdung (Verlust der Identität des Selbstbewußtseins in seinen Aktualisierungen) und Gottentfremdung (böse Selbstbeziehung), und in deren Extreme das Selbstbewußtsein auseinanderzubrechen droht. Logisch ist diese Subjektivität Gottes, in seiner Besonderung als das Allgemeine absolut bei sich sein zu können, so daß die Besonderung für sidi nichts anderes als Gestalt des Allgemeinen ist7, — Gott als konkrete Idee 7a . Jedes hypothetisch zu denkende Für-sidi darüber hinaus wäre böse als der Selbstwiderspruch, ein Allgemeines sein zu wollen ohne das Allgemeine, oder nicht sein zu wollen, was man bereits ist und sein muß, um es nicht wollen zu können: Allgemeinheit. Allerdings ist das Allgemeine erst es selbst, wenn es sidi in seiner Besonderung wiederfindet. Ein ihm Unzugängliches am Besonderen wäre Einschränkung seiner Allgemeinheit, d. h. es wäre selber gar nicht als das Allgemeine gedacht. Nur in durchsichtiger Einheit mit dem Besonderen ist das Allgemeine es selbst, ist Gott Gott als auch im Anderen bei sich, absolutes Gelungensein von Subjektivität, Freiheit 8 . Diese aktualisiert das Wesen des Geistes, der sidi in Extreme spaltet und in der Spaltung sich als ihre Einheit zu erkennen vermag. 2. In diesem Gottesbegriff bezieht sidi Selbstbewußtsein auf seine Voraussetzung. Die Erläuterung dieses Satzes soll sidi in der Abwehr zweier Fehldeutungen vollziehen. a) Wird der Umstand für sich festgehalten, daß Selbstbewußtsein den Gottesbegriff sich selber voraussetzt (als Bedingung seiner Identität), so entsteht eine religionskritische Projektionstheorie etwa des Feuerbachsdien Typus. b) Wird das Ansidi-sein der Voraussetzung vom Vollzug des Selbstbewußtseins isoliert, so entsteht der zum Selbstbewußtsein beziehungslose „fremde Gott" eines gewissen Offenbarungspositivismus. Hegels Gotteslehre wird nur verstanden, wenn sie als Überwindung dieser Alternative begriffen wird 83 . In der gedachten Einheit von Iden-

7

Gl 8/334, 404, Sk 8/291, 351 (Zus.); Gl 15/86, 209, 210, 334, 435, Sk 16/75, 191, 192, 311, cf. 408. 7a Gl 15/385, Sk 16/359 f.; Gl 16/12, Sk 17/17. 8 cf. Gl 12/136 ff., Sk 13/128 ff. 8 »Zur Alternative: „Gott oder Idi" cf. audi Gl 1/410 f., Sk 2/410 f., WW 4/399; Gl 6/344 f., Sk 4/458 f.; Gl 19/373, Sk 20/162; cf. Fichte, Nadigel. Werke II, S. 147 f. und FetsAer, (1971) a. a. O. S. 133 Anm. 17.

120

Sünde und Gottesgedanke

tität und Niditidentität zwischen Selbstbewußtsein und Gottesbegriff liegt der entscheidende Beitrag Hegels zur Gottesproblematik beschlossen, worin eben seine eigentümliche Lösung des den ganzen deutsdien Idealismus kennzeichnenden Versudis der Gewinnung einer ungegenständlichen Gottesidee zu sehen ist (cf. u. S. 142). Gegen die zweite der eben genannten undialektischen Auflösungen jenes Zusammenhangs von Selbstbewußtsein und Gottesbegriff ist von Hegel selbst der polemische Begriff des „fremden Gottes" gewendet worden (cf. dazu u. S. 142 f.). Hegel benennt damit eine Gestalt des unversöhnten Bewußtseins, die in seiner Konzeption des GeistbegrifFs ihre Uberwindung erfährt 8b . Für Hegel stellt Gott als die sich selber herstellende Identität die Identität des Selbstbewußtseins dadurch her, daß er Identität zwischen sich und dem Selbstbewußtsein herstellt. Als Prozeß dieses Identitätsgefüges ist Gott der Geist (cf. u. S. 135 ff.). Wie eine Auseinandersetzung mit der religionskritischen Projektionstheorie liest sich Hegels Kritik an der These, das Subjekt könne als Subjekt die Einheit mit Gott aus sich „hervorbringen" 9 . Gegen diese „gemeine Vorstellung" erläutert er in der Religionsphilosophie den Sinn eines Voraussetzens der Versöhnung. Danach ist das Wahrheitsmoment der Projektionsthese in dem Akzent auf der Subjektivität jedes möglichen Inhaltes von Selbstbewußtsein zu sehen: er ist durch mich gesetzt, Produkt. Aber solche Subjektivität ist ein für sich seiendes Extrem, bloße Form und „abstrakte Freiheit", denn ihr Produkt erscheint als „nur ein Gesetztes" 10 . Diese Abstraktion ist als solche erkannt und überwunden, wenn erkannt wird, daß solches Setzen zugleich (notwendiges) Voraussetzen, das Gesetzte also zugleich an sich ist. Denn substantielle Wahrheit hat das einseitig-subjektive Setzen nur in der Voraussetzung einer „göttlichen Einheit" von Subjektivität und Objektivität. Zugleich ist in solcher Voraussetzung, auf die subjektives Setzen bezogen bleibt, seine Einseitigkeit aufgehoben. Die Voraussetzung ist dabei „wesentliche Bestimmung" 11 als Bedingung, unter der allein Subjektivität Wahrheit hat und haben kann. Solchermaßen ist die Voraussetzung notwendig, damit Selbstbewußtsein sich identifizieren kann. Gerade indem Selbstbewußtsein es

cf. Gl 16/195, Sk 17/190 f. " Lasson, Abs. Rei. S. 135 f., cf. Gl 16/278, Sk 17/270. 10 Lasson, a . a . O . S. 136. 11 ebend.

Selbstbewußtsein und Gottesgedanke

121

„projiziert", erfährt es sich bezogen auf die immer schon und notwendig vorausgesetzte Einheit mit dem Absoluten. (Cf. über die Einseitigkeit jenes Denkens audi die Anm. zu § 571 der Enzyklopädie.) Es ergibt sich also: Selbstbewußtsein setzt sich (Moment der Identität) den Gottesgedanken notwendig voraus (Moment der Nichtidentität). Dieser Zusammenhang von Identität und Niditidentität zwischen Selbstbewußtsein und seiner Voraussetzung ist nicht einseitig (wie oben a) und b)) auflösbar. Vielmehr bezieht Selbstbewußtsein sich notwendigerweise auf seinen Grund, um selbst zu sein; allerdings so, daß es diesen Grund gewissermaßen nicht nur hinter, sondern zugleich immer auch vor sich hat, insofern sich in diesem Grund die Einheit darstellt, in der und als die Selbstbewußtsein sich allererst identifizieren kann. M a n könnte dies als Selbstunterscheidung des Selbstbewußtseins von seiner absoluten Identität bzw. seiner Identität im Absoluten charakterisieren, als welche der Bezug auf den Gottesgedanken notwendig ist. Indem das (endliche) Selbstbewußtsein sich in dieser Differenzierung (Ich-Gott) selber differenziert, ist die Auslegung jenes Bezugs nur in und mit den Strukturen des Selbstbewußtseins möglich. Hegel hat in diesem (und nicht im linkshegelianisch-religionskritischen) Sinn den Gottesgedanken als Selbstauslegung von Subjektivität begriffen. Andererseits: im Gottesbegriff setzt Selbstbewußtsein gerade das voraus, das es nur setzen kann als das, von dem es selber gesetzt ist 12 . Im Gedanken des Absoluten „projiziert" Selbstbewußtsein dasjenige, was sich in diesem Projizieren selbst setzt. So ist „Projektion" der Modus, in dem das Absolute sich selber als Absolutes realisiert. D . h. der Gedanke des Absoluten ist indifferent gegenüber der Alternative: Projiziertwerden oder real für sich Bestehen. Indem dieser Gedanke (des Absoluten) gedacht wird, erweist er sich als das, was ihn selber erst ermöglicht. D a s aktive Denken des Gottesgedankens weiß sich als passiven Ort seiner Selbstvergegenwärtigung. Der Gedanke des Absoluten kann nur gedacht werden als vom Absoluten selber erzeugt. Denn das Absolute als solches muß gedacht werden als sich selber und die Bedingung des Wissens von ihm setzend. Dergestalt weiß das Wissen des Absoluten dieses selbst als Bedingung auch seiner selbst, des Wissens von ihm. Indem dies Wissen sich versteht, weiß

12

cf. Theunissen, a. a. O. S. 314 f.

122

Sünde und Gottesgedanke

es, daß das Absolute selber das Wissen von ihm setzt bzw. sich als Wissen von ihm selbst setzt. Das Absolute ist Identität von Sein und Gesetztsein. Versucht man es als Gesetztes (Projiziertes) zu denken, so zeigt sich, daß das Produkt des Setzens sich von diesem abstößt, sich gleichsam verselbständigt („voraus-setzen"), indem es sein Gesetztwerden in ein von ihm selber Gesetztes verwandelt und so sein Sein allem Setzen „voraus" zur Geltung bringt. Das Absolute ist so absolut, daß selber sein Gesetztwerdenkönnen sich noch seinem Sein verdankt, daß es sein Gesetztsein (die Negation seines Seins) gerade als Modus seines Seins durchdringt. Derart umgreift Sein des Absoluten sein Gesetztsein. Audi das Umgekehrte gilt: alles Sein des Absoluten ist vom Gesetztsein durchdrungen. Jedes bestimmte Sein des Absoluten (ζ. B. jedes konkrete Gottesbild) läßt sich als Produkt eines (subjektiven) Setzens lesen. Aber dies kann nach dem Gesagten nicht verstanden werden (sich selbst nicht verstehen), wenn es nicht als vom Absoluten selber gesetzt verstanden wird. Daß das Absolute selber nur als Sidiselbstsetzen, also als absolutes (Durchûà\-)Gesetztsein ist, ermöglicht allererst sein subjektives Gesetztsein. Dieses vollzieht nur, was das Absolute selber ist und tut. Subjektives Setzen Gottes geschieht in Kraft des Sichselbersetzens Gottes, an dem es (gewissermaßen unbewußt) teilnimmt. D. h. religiöse Projektion kann nur begriffen werden als Moment im Prozeß der Selbstvermittlung Gottes. 3. Schließlich soll die Selbstidentifikation des Selbstbewußtseins durch seine Identifikation im Gottesgedanken nach ihren integrierenden Momenten kurz bestimmt werden. Die Analyse scheidet dabei, was in der Dialektik des religiösen Bewußtseins ein lebendiger Zusammenhang ist. a) Selbstbewußtsein bezieht sich glaubend auf den Gottesgedanken und weiß sich darin versöhnt (objektiv). Das ist das religiöse Bewußtsein des Geistes als Nichtidentität. ß) Selbstbewußtsein weiß im Gottesgedanken sich selber, dieselbe Bewegung, die es selbst ist. Das ist das religiöse Bewußtsein des Geistes als Identität. γ) Selbstbewußtsein weiß sein Verhältnis zum Gottesgedanken (in Einheit und Differenz) als Realisierung desselben. Das ist das religiöse Selbstbewußtsein des Geistes als Identität von Nichtidentität und Identität (α und ß). Mit der letzten Bestimmung ist der Begriff des absoluten Geistes thematisiert, auf den der übernächste Abschnitt (c) wieder Bezug nimmt. Im

Das Problem der „Notwendigkeit" von Sünde

123

Rahmen unseres vorliegenden Abschnittes läßt sich dazu formulieren: Selbstbewußtsein weiß den absoluten Geist als das Umgreifende, in dem es selbst und sein Verhältnis zum Gottesgedanken ermöglicht sind und das darin sein Leben gewinnt. Der Zusammenhang dieser Bestimmungen spridit sich bei Hegel so aus: „Der Glaube als der sich im Selbstbewußtsein seiner erzeugende Geist ist (. ..) die Gewißheit von der Wahrheit des absoluten Geistes (.. .). Es ist also näher darin enthalten zuerst das subjektive Selbstbewußtsein; jedoch ist dieses nur auf formelle Weise subjektiv. Denn da es sdion von dem absoluten Inhalt weiß, ist es frei, Bewußtsein der absoluten Wahrheit als seines Selbstes. Dieses wissende Idi tut von sich die Sprödigkeit des Fürsichseins ab, die es als einzelnes, den Gegenstand von sich ausschließendes Eins hat, so wie der substantielle Inhalt sich seiner Substantialität entäußert und sich in diese Form des Eins kleidet. Daß es den absoluten Inhalt weiß, ist das Zeugnis, das es von ihm ablegt, ein Zeugnis, das zugleich Erzeugnis des absoluten Geistes selber ist, der eben darin erst als absoluter Geist sich erzeugt" 13 . Dieses Zitat faßt die Überlegungen dieses Abschnittes a) zusammen und läßt zugleich die Beziehung auf den Begriff des Bösen unsdiwer erkennen. Sie soll der folgende Abschnitt wieder aufgreifen.

b) Das Problem der „Notwendigkeit"

von Sünde

Die Frage, ob in Hegels Sündentheorie Sünde als notwendiges Geistesmoment gedacht sei, ist die wohl zentrale Frage aller theologischen Kritik an dieser Theorie13®. Sie ist nadi Meinung dieser Kritik geeignet, Hegels Denken als ethisch-religiös letztlich destruktiv erscheinen zu lassen. Denn wird Sünde als notwendig begriffen — argumentiert man —, so ist die dem Sündenbegriff implizite Differenz von gut und böse aufgehoben, und damit hat die pantheisierende Dialektik Hegels den

19 13a

Lasson, Begr. Rei. S. 251 f., cf. Gl 15/232 f., Sk 16/213. cf. z.B. Karl Barth, „Protestantische Theologie", a . a . O . S. 375 und KD IV/1 S. 417, cf. ebend. die These, nadi Hegel seien „Schöpfung, Sünde, Versöhnung g l e i à notwendige Momente" des Geistes. Ebenso Schmidt, a . a . O . S. 209 f., 239, 255. Zur einschlägigen Hegel-Kritik J. Müllers cf. Exkurs IV, S. 261 ff.

124

Sünde und Gottesgedanke

Unterschied zwischen Christentum als ethisch-geisthafter Religion und einem ethisch indifferenten Pantheismus zum Verschwinden gebracht. In der Tat hat sich theologische Kritik an der Philosophie Hegels überhaupt gern auf dieses Problem bezogen, um an diesem gleichsam exemplarisch die ethisch-religiöse Negativität dieses Denkens zum Vorschein bringenden Punkt ihre totale Ablehnung der Hegeischen Philosophie und Religionsphilosophie zu legitimieren. Das Gewicht, das das genannte Problem — zumindest in den Augen der Kritik — besitzt, erfordert eine besonders genaue Untersuchung der Frage. Sie zerlegt sich in zwei Aspekte, die in den Abschnitten b) und c) nacheinander behandelt werden: 1. Wie steht es mit der Notwendigkeit von Sünde bei Hegel? 2. Wie ordnet er die Sünde und das Böse dem Geistbegriff zu? Da Hegel das Problem der Notwendigkeit von Sünde leider nur an wenigen Stellen anspricht, ist die Interpretation gezwungen, in Konsequenz seiner bisher dargelegten Sündentheorie weiterzudenken und sich dabei im Gesamtgefüge seiner Philosophie zu orientieren und zu legitimieren. Vom Bewußtsein der damit gegebenen Schwierigkeiten ist auch der folgende Rekonstruktionsversuch bestimmt, wenn er auch eine in sich stimmige Lösung des Problems als bei Hegel tendenziell gegeben meint anbieten zu können. Um einen angemessenen Erörterungsrahmen für das Problem zu gewinnen, müssen zuvor zwei Fragen geklärt sein: 1. das Verhältnis von Notwendigkeit und Entzweiung; 2. das Verhältnis von Notwendigkeit und Gott. 1. Im Rückblick auf die bisher geleistete Darstellung ist unverkennbar, daß Hegel die im Fall vorgestellte Entzweiung für notwendig hält. Bereits die Dialektik des Unschuldsgedankens wies auf diese Notwendigkeit hin (Kap. 2). In Kapitel 3 ergab sich die Entzweiung des Falles als Konstitutionsbedingung für Freiheit und damit als Ermöglichung von Geist überhaupt (cf. o. S. 54, 55 f., 62, 63). Die durch den Fall „freigesetzte" Freiheit wurde bei der Rekonstruktion des Sündenbegriffs wiederholt thematisiert (cf. o. S. 65, 74, 84). Dem entspricht, daß für Hegel die Geschichte vom Sündenfall (Gen. 3) mit der Signatur der Notwendigkeit der in ihr ausgedrückten Entzweiung versehen ist. So charakterisiert er den Gehalt des Mythus explizit als „notwendige" und „ewige" Ge-

Das Problem der „Notwendigkeit" von Sünde

125

schichte (des Mensdien bzw. der Freiheit) 14 . Implizit ist diese Notwendigkeit ausgesagt, wenn der Fall sich für Hegel als Realisierung der „Natur" des „Begriffes", des Mensdien oder auch des Geistes15 und so als „ewiges Moment des Geistes" darstellt 16 . Sogar der aufgeklärten Beteuerung von der „Nützlichkeit" des Sündenfalls mag ein simples Verständnis seiner Notwendigkeit zugrunde liegen. Jedenfalls aber fordert ihre Oberflächlichkeit Hegels Ironie heraus17. Es ist evident, daß die bisherigen Erörterungen zum Problem bereits einige Erkenntnisse erbracht haben. Die Notwendigkeit des Falles liegt in seinem Resultat: der Freiheit der Subjektivität. Die Dialektik, die notwendig aus der Unschuld fallen läßt (Entzweiung) und Sünde als Entfremdung von Gott notwendig möglich macht, ist die Dialektik des Selbstbewußtseins. Die Notwendigkeit der Möglichkeit von Sünde ist also identisch mit der Notwendigkeit der Freiheit 18 . Daß Subjektivität, Freiheit, Geist sei, scheint demnach für Hegel eine unbedingte Notwendigkeit. So kann er in Gen. 3 eine „göttliche Notwendigkeit" 19 expliziert finden, was zum folgenden Punkt 2 überleitet. Freiheit gilt als absolute Bestimmung des Selbstbewußtseins20. Hegels Philosophie weist sich bereits hier an der Unbedingtheit dieses Telos als Freiheitsphilosophie aus. Über ihre sachliche Relevanz hinaus implizieren diese Sätze die höchst folgenreidie methodische Regel, daß „logische Notwendigkeit" für Hegel nicht Verstandes- bzw. Naturnotwendigkeit ist21, sondern Wesensgesetz der Freiheit 22 . Allein diese Einsicht stellt das Problem allererst auf ein Hegels Gedanken erreichendes Niveau und macht viele Einwände gegenstandslos.

14

15

" " 18

" 20 21

»

Gl Sk Gl Gl Gl Gl Gl Gl Gl Gl

11/413, Sk 12/389; Gl 15/285 f., 287, Sk 16/265 f., 266; cf. Gl 9/41 f., 9/18 (§ 246 Zus.). 15/284, Sk 16/263; Gl 16/70 = 77, 72, Sk 17/72 = 78, 74. 16/77, Sk 17/79. 2/432, Sk 3/415 f., H/399. 7/200, Sk 7/261 (§ 139 Anm.). 15/288, Sk 16/267. 16/209, Sk 17/205. 7/204, Sk 7/265 (§ 139 Zus.). 15/23, Sk 16/14; cf. Gl 14/182, Sk 15/186 f.

126

Sünde und Gottesgedanke

2. Von einer „äußeren Notwendigkeit", die selber zufällig ist23, unterscheidet Hegel eine wahrhafte innere Notwendigkeit 24 , die audi die Wahrheit der Zufälligkeit ist25. Diese innere Notwendigkeit ist gedacht als Selbstvermittlung durch ihr eigenes Nichtsein26. Sie ist der Prozeß, der die darin unterschiedenen Momente zur Einheit bringt : vorausgesetzte Ursachen, Bedingungen und Resultat sind darin eins. Sie geht in diesen Momenten mit sich selbst zusammen, findet darin sich selber27. Als solche Reflexion der Einheit in sich ist die wahre Notwendigkeit Setzen der Bedingungen, die so als seiende gesetzt sind, und Setzen des Resultats, das so als gesetzt Sein hat, in einem28. Das ist der Begriff der absoluten Notwendigkeit 29 , bzw. das Absolute ist diese Notwendigkeit 30 . Die absolute Notwendigkeit ist der Begriff Gottes31. (Freilich ist das nidit der höchste Begriff Gottes, weil er sich selber (noch) nicht begreift 32 . So läßt sich sagen: Gott ist die Notwendigkeit; nicht aber: die Notwendigkeit ist Gott 33 .) Die absolute Notwendigkeit hebt alle ihre Bedingungen in sich hinein auf, sie integriert sich audi das Zufällige (den Zufall) — es ist dessen Begriff, sich an ihm selbst zur Notwendigkeit aufzuheben 34 —, indem sie es zum Moment ihrer Selbstvermittlung und Selbstverwirklidiung herabsetzt. So verstanden ist absolute Notwendigkeit (und enthält an ihr selbst) die Freiheit*5. Denn Freiheit ist das Zusammengehen mit sich selbst, das schlechthin für sich ist, von nichts Anderem und Äußerem, nur von sich selbst abhängt 36 . Absolute Notwendigkeit ist als der besdiriebene 23

24 25 26 27 28 20 30 31 32 33 34 35 36

Gl Sk Gl Gl Gl Gl Gl cf. Gl Gl Gl Gl Gl Gl Gl

16/20 f., Sk 17/25 f.; cf. Gl 4/685 ff., Sk 6/207 ff., L I I / l 7 5 f f . ; Gl 8/337, 8/293 (§ 148). 16/21 f., Sk 17/26 f.; cf. Gl 8/347 f., Sk 8/302 f. 16/20, 23, Sk 17/25, 27. 16/20, Sk 17/25. 16/21 f., Sk 17/26. 16/22, Sk 17/26 f. Gl 4/691 ff., Sk 6/213 ff., LII/180ff.; Gl 8/337, Sk 8/293 f. (§ 149). 16/23, 25, Sk 17/28, 29. 16/23, Sk 17/27; Gl 15/338, Sk 16/315. 16/23, Sk 17/27 f. 16/113, Sk 17/113. 16/19, Sk 17/24. 16/25, Sk 17/29 ff. 16/25 ff., Sk 17/29 ff.

Das Problem der „Notwendigkeit" von Sünde

127

Prozeß freies Sich-mit-sich-zusammen-Schließen, absolutes Sichfinden: „Freiheit als die Wahrheit der Notwendigkeit" 37 . Die so begriffene Freiheit (sie ist der Begriff 38 ) ist Gottes Natur 3 9 . Gott ist die absolute Identität von Freiheit und Notwendigkeit 40 . Diese Einsicht macht den häufig erhobenen Vorwurf gegenstandslos, Hegel denke Notwendigkeit als „blindes Geschehen", dem dann ein „wissender Vollzug" der Subjektivität zu kontrastieren sei41. Freilich ist die absolute Notwendigkeit nadi Hegels Worten zunächst „blind" 42 (cf. o.); aber als in ihrer Wahrheit begriffene, als Freiheit, ist sie gerade wissendes Beisichselbstsein, Begriff 43 . Hegel wehrt sich ausdrücklich gegen diesen Vorwurf eines „blinden Fatalismus" 44 . Wir können als Resultat, das die weiteren Überlegungen zum Problem der Notwendigkeit von Sünde leiten kann, festhalten: für Hegel ist im Gottesbegriff absolute Notwendigkeit als absolute Freiheit zu denken. Indem hier Gott als notwendige Freiheit und oben die im Fall konstituierte Freiheit als notwendig erscheinen, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis beider Gestalten von Freiheit, deren Unbedingtheit nicht nebeneinander stehen kann, ohne sich aufzuheben. Eine erste Vermittlung verdeutlichte Abschnitt a) über Selbstbewußtsein und Gottesbegriff (s.o. S. 117ff.). Gottes absolute Freiheit wurde dort gedacht als die Freiheit, in der alle endliche Freiheit sich identifizieren kann. Abschnitt c) wird im Horizont des Geistbegriffs diese Verhältnisbestimmung vollenden (s. u. S. 135 ff.). Das Problem der Notwendigkeit von Sünde konzentriert sidi nun auf die Frage: hat Hegel die wirkliche Sünde, das aktuelle Sündigen als notwendig begriffen? Im Zerfall des Geistes in Extreme bzw. in der seine geistige Einheit (Versöhnung) verhindernden Entzweiung von abstrakt-fürsidiseiender 37

Gl 5/6, 9, 11, cf. 4/721, Sk 6/246, 249, 251, cf. 240, LII/214, 216, 218, cf. 205; Gl 8/348, Sk 8/303 (§ 158). 38 Gl 4/721, cf. 5/5 ff., Sk 6/240, cf. 245 ff., LII/205, cf. 213 ff. 39 Gl 11/47, Sk 12/33. 40 cf. Gl 16/5, Sk 17/10 f. 41 So z. B. Löcker-Euler, a. a. O. S. 85, 33, 78, cf. dagegen audi Gl 15/122, Sk 16/109. « Gl 4/694, Sk 6/215 f., LII/183; cf. Gl 8/331, Sk 8/289 (Zus.). 43 cf. Gl 8/332, Sk 8/290 (Zus.). 44 ebend.

128

Sünde und Gottesgedanke

Selbständigkeit als exklusives Eins des bösen Selbstbewußtseins und dem als „fremder Gott" (im Gesetz) begegnenden Absoluten, demgegenüber das Selbstbewußtsein entfremdet sich festhält, realisiert sich die tiefste Entzweiung des Geistes, der in einen absoluten Gegensatz auseinanderbricht. Die sidi derart im Geist vom Geist verselbständigende Subjektivität ist zu diesem Gegensatz selber nur als geistige fähig 45 . Dieser innere Widerspruch des Bösen verhindert seine absolute Lösung vom Absoluten. Das Sein der Sünde ist der höchste Widerspruch, als solches sich dem zu verdanken, gegen das sie gerichtet ist (Krise). Die im Bösen intendierte Lösung vom Absoluten realisiert sich gerade kraft dessen Absolutheit. Es muß diese voraussetzen nicht nur als das, was sie negiert, sondern auch noch als das, das sie überhaupt in Stand setzt zu negieren. Daß Sünde als dieser Widerspruch ist und geistig ist, ermöglicht Versöhnung als geistige. Der (absolute) Geist zerbricht an diesem Gegensatz nicht, sondern vermag darin bei sich zu sein, weil er sich selbst in diesem äußersten Extrem seiner noch findet als der, der eben auch diesen Gegensatz zu sich noch ermöglicht (hat)4®. D. h. auch Sünde als geistige Trennung von Gott lebt von der Einheit mit Gott, die Geist ist, und setzt solchermaßen Versöhnung voraus. Es läßt sich sagen, Sünde ist als selber geistig Leben des Absoluten und als gegengeistig das Böse. Sie ist nur möglich und wirklich als dieser Widerspruch. Es ist der zwischen ihrer absoluten Notwendigkeit und ihrer absoluten Zufälligkeit. Die erste ist die Notwendigkeit des sich als Geist durch Entzweiung hindurch realisierenden Absoluten47. Die andere ist die als vom Absoluten getrennt zu denkende Wesenlosigkeit, aus der sich die versöhnte Freiheit des Selbstbewußtseins wieder in die Notwendigkeit der absoluten Freiheit Gottes zurückzieht. Versöhnung als Auflösung des Widersprüchlichen an der Sünde bzw. Offenbarwerden seiner Aufgelöstheit stößt das Böse an ihr in die Nichtigkeit und erhebt das Geistige an ihr in die Identität des Absoluten. In diesem „Vorgang" schließt die absolute Notwendigkeit sich mit sich durch Freiheit zusammen48 und solchermaßen das Zufällige von sich aus. In der absoluten

Gl Sk 4 « Gl 4 7 Gl 4 8 Gl 45

11/298, Sk 12/278; Gl 12/210 f., 244 f., Sk 13/200 f., 234; cf. Gl 9/56, 9/29 (§ 248 Anm.). 10/32, Sk 10/26 (Zus.), cf. Sk 4/282 (§ 11); Gl 15/427, Sk 16/400. 2/34, Sk 3/36, H/30. 10/31 f., cf. 32, Sk 10/26, cf. 27 (§ 383 Zus.).

Das Problem der „Notwendigkeit" von Sünde

129

Kraft des Geistes, sich durch Auflösung des sündigen Widerspruchs mit sich selbst zu vermitteln, ist er der absolute Geist 49 . In diesen grundsätzlichen Rahmen einer Lösung des Problems sollen nun, ihn präzisierend und bewährend, wichtige Näherbestimmungen eingezeichnet werden. Zunächst ist zur Bestimmung der Begriffe Notwendigkeit und Zufälligkeit im Sinne unserer Fragestellung folgendes festzuhalten. Die Hegelsche Philosophie beweist zwei hier einschlägige Thesen: 1. Die Freiheit des Begriffs (Subjektivität) ist die Wahrheit der Notwendigkeit 50 . 2. Der Zufall als soldier (Möglichkeit des Zufälligen) ist notwendig, wenn Freiheit sein soll. Die erste These war den Erwägungen des vorigen Kapitels implizit und wurde oben unter 2. expliziert (cf. S. 126). Im Sinne der zweiten These hat Hegel den Zufall als ein Moment von Subjektivität konstruiert 51 . Entgegen der Behauptung alter und häufiger, aber unberechtigter Hegelkritik hat diese Philosophie eine Theorie des absoluten Zufalls bzw. seiner Notwendigkeit 52 . Dem Satz, daß die Möglichkeit des Zufälligen Bedingung der Möglichkeit von Freiheit ist, entspricht der von uns mehrfach erörterte andere, daß die Möglichkeit des Bösen Bedingung der Möglichkeit des Guten ist (cf. o. Kap. 4, S. 70 f., 89 f.). Jedes zufällige bestimmte böse Tun — grundlos 53 wie Freiheit — realisiert zugleich eine notwendige allgemeine und eine selber zufällige bestimmte Möglichkeit und ist so absolut zufällig. Das Zufällige als solches ist demnach definiert durch seine Bestimmtheit als unmittelbare Wirklichkeit; es ist ein beliebiges Sosein, das auch nicht sein kann: „Das Zufällige ist ein Wirkliches, das zugleich nur als möglich bestimmt, dessen Anderes oder Gegenteil ebenso sehr (möglich54) ist" 55 . Aus diesen Bestimmungen ergeben sich für unsere spezielle Frage nach der Notwendigkeit der Sünde die folgenden Klärungen. 49

cf. Gl 9/56, Sk 9/29; Gl 12/244 f., Sk 13/234; Gl 16/184, Sk 17/181. Gl 5/6, 9, 11, cf. 4/721, Sk 6/246, 249, 251, cf. 240, LII/214, 216, 218, cf. 205; cf. Gl 16/159, Sk 17/157. 51 cf. Henrich, Hegels Theorie über den Zufall, a. a. O. S. 159. 52 zu Hegels Kontingenztheorie cf. Anm. 51). « Gl 4/684, Sk 6/206, LII/174. 54 Diese Konjektur auch bei Kroner, a. a. O. II S. 480. 55 Gl 4/683, Sk 6/205, LII/173; Gl 16/20, Sk 17/25. 50

9

Ringleben, Hegels Theorie

130

Sünde und Gottesgedanke

Die Sünde ist nicht selber notwendig, sondern indem sie sidi vollzieht, realisiert sich etwas Notwendiges (Freiheit) im Modus von Zufälligkeit (Mißbraudi). Die Möglichkeit dieses Modus ist conditio sine qua non der Freiheit, also selber notwendig. Seine Wirklichkeit ist er selbst, also Zufälligkeit. Sünde existiert als dieser Widerspruch. Demnach ist von jeder wirklichen Sünde ein Doppeltes zu sagen: insofern sie Freiheit ist, ist sie notwendig, insofern sie (freier) bestimmter Mißbraudi der Freiheit ist, ist sie zufällig. Jede Sünde aktualisiert den Fall: insofern ist sie notwendig; zugleich tut sie es auf böse Weise: das ist zufällig an ihr. Zu klären bleibt der Sinn dieses „Zugleich": welche Bedeutung hat jener Widerspruch im Bösen? Hegel selber notiert ihn in der These, das Böse sei zugleich notwendig und nicht sein sollend56. Die hier gedachte Einheit von „Notwendigkeit" und ihrer Aufhebung erst ist die Natur des Begriffs (der Idee), seine wahre Notwendigkeit 57 . Sie bedeutet, daß das Positive nicht unmittelbar ist, sondern nur als Selbstunterscheidung, Sichabstoßen von seinem Gegenteil. Es setzt sich notwendig negativ, um als das Positive sein zu können. Diesen Zusammenhang zu erkennen, macht das Begreifen aus. Das reine Positive, d. h. Gute in seiner Ursprünglichkeit dagegen ist eine einseitig leere Bestimmung des in äußerlichen Dualismen denkenden Verstandes, der sich durch die widersinnige Vorstellung von einer „Zulassung" des Bösen durch Gott zu helfen sucht58. Für das Begreifen des Begriffes dagegen ist Positivität „Tätigkeit und Unterscheidung ihrer von sich selbst"59. Damit sind Gut und Böse als untrennbare Einheit erkannt: „eins in dem anderen" 60 . „Das Gute und das Böse sind untrennbar, und ihre Untrennbarkeit liegt darin, daß der Begriff sich gegenständlich wird und als Gegenstand unmittelbar die Bestimmung des Unterschiedes hat"« 1 . Das Gute ist überhaupt nur (kann nicht anders sein als) in Selbstunterscheidung vom Bösen; Freiheit ist nur in Selbstunterscheidung von 56 57 58 59 60 el

Gl Gl Gl Gl Gl Gl

7/201 f., Sk 7/262; cf. Gl 15/287, Sk 16/266. 7/203, cf. 202, Sk 7/264, cf. 263 (Zus.). 7/202, Sk 7/264 (Zus.). 7/203, Sk 7/264 (Zus.). 7/202, Sk 7/264 (Zus.). 7/202, Sk 7/263 (Zus.).

Das Problem der „Notwendigkeit" von Sünde

131

ihrem Mißbrauch. Freiheit (das Gute) ist das, was sich nur so realisieren kann, daß es sein Gegenteil setzen muß, um selbst als das, was es ist, sein zu können, d. h. sein Gegenteil aufheben zu können. Geist hat zur notwendigen Bedingung seiner selbst seine Negation. Zugleich hebt er in der notwendigen Realisierung seiner selbst diese Bedingung auf. Denn indem die Bedingung (das Böse) in die Realisierung des Geistes hineingerissen wird (als Bedingung ist), wird sie aufgehoben und d. h. zu etwas anderem. In und mit dem Bösen also vollzieht sich etwas Notwendiges, Freiheit, als deren Vehikel das Böse fungiert. Indem aber Freiheit ist, soll es nicht mehr sein; es wird (reduziert auf) das absolut Zufällige, an dem die Notwendigkeit sich mit sich selbst vermittelt (hat), als Freiheit (geworden) ist. Werden der Freiheit hat also das Böse nur so zu seiner Bedingung, daß sie aus seiner Dialektik und Nichtigkeit hervorgeht, als wahrhaft Grund nodi ihres Gegenteils. Indem Freiheit zu sidi selbst kommt, stößt sie ihre Werdebedingungen als für sich unwahre von sich ab. Sie ist nicht durch die Realität des Bösen bedingt, sondern durch seine Aufhebung. Diese Notwendigkeit realisiert sich aber nur im Wollen des Selbstbewußtseins, d. h. als seine Schuld. Sie ist als die Notwendigkeit der Freiheit nur durch Freiheit, sie ist notwendig vermittelt durch subjektive Schuld 92 . Denn wenn das, was sich im bösen Wollen realisiert, auch die Notwendigkeit des Bösen als die der Freiheit ist, so ist dieses Wollen als Wollen frei (nur möglich), nicht notwendig: der Wille kann böse sein (die Notwendigkeit des Begriffs vollziehen), aber er muß es nicht 63 . Der Gedanke eines „notwendigen Wollens" im Sinne von: wollen müssen, ist unsinnig. Es ist vielmehr gerade notwendig, daß der Wille frei ist, also Schuld hat. Der Wille „muß" das Notwendige frei können: das impliziert Imputabilität. Freilich ist die Betonung dieser Freiheit des Willens, die Zurechenbarkeit begründet, nicht identisch mit der Behauptung eines liberum arbitrium (indifferentiae). Vielmehr ist eine solche Vorstellung bei Hegel der Sache nach ausgeschlossen633, wie kurz zu zeigen ist. Jene Vorstellung meint einen Willen, der in dem Sinne „frei" ist, daß ihm Gut

« Gl 7/201 f., Sk 7/262 (Anm.). 63 cf. Gl 7/204, Sk 7/265 (Zus.). Hegel hat sidi zur Auffassung Luthers bekannt: Gl 16/338, Sk 17/327. 9*

132

Sünde und Gottesgedanke

und Böse als bloße Gegenstände seiner Wahl gegeben sind, denen gegenüber er ein Moment der Neutralität und Indifferenz besitzt und behält. Das Irrige daran ist, daß Gut und Böse nicht einfach nur Objekte des Willens, sondern — was Hegels Theorie zugrunde liegt — Qualitäten der Freiheit selber sind. Freiheit ist nur so, daß, indem sie ist, sie gut ist oder böse ist. Wobei ihr „Böse-sein" auch nur in Kraft ihres (absoluten) Gutseins möglich ist. Somit ist das Verhalten der Freiheit zu Gut und Böse ein Verhalten zu sidi selbst. Die neutrale Distanz zu Gut und Böse, die die Lehre vom liberum arbitrium postuliert, ist also selber ethisch qualifiziert, und zwar als böse. Sie ist genau die Willkür gegenüber gut und böse, deren Entzweiung sich im „Fall" konstituiert und die als festgehaltene Trennung selber das Böse ist 83b . Damit ist die Frage nach dem Ursprung des Bösen84 als mit der Frage nach dessen Wesen zusammenfallend erkannt und zusammen beantwortet*®. Indem als Wesen des Bösen die sich in sich verkrümmende Freiheit begriffen wird, ist sein Ursprung die Freiheit selber. Beider „Mysterium" ist eins66. Im Begriff der Freiheit ist die Einheit von Notwendigkeit und Zufälligkeit gedacht, der gegenüber sich jede Frage nach einem der Freiheit immanenten oder gar transzendenten „Warum" als unangemessene Vergegenständlidiung disqualifiziert. Freiheit entspringt aus sich: ihr Ursprung ist ihr eigenes Wesen; indem sie frei ist, setzt sie in eins ihr Wesen und ihren Ursprung, und zwar sich als ihr Wesen und ihren Ursprung. Die Frage nach einem „Ursprung des Bösen" setzt sodann die unwahre Abstraktion einer ursprünglichen Selbständigkeit von gut und böse voraus. Es wird dabei das Gute als selbständig angenommen und gefragt, wie das Böse aus ihm zu erklären sei. Jenes unmittelbare Gute ist aber untrennbar auf das Böse bezogen 87 . Das Böse ist also gleidiursprünglidi wie jenes Gute. Das wahre Gute konstituiert sich erst, „entspringt" im Jenseits von gut und böse (als untrennbaren Momenten) als die geistige Uberwindung ihrer Einseitigkeit, die selber böse ist.

8

">cf. o. c. 3 S. 54 und Gl 16/261, Sk 17/254, cf. audi c. 4 S. 86. Nach Lämmerzahl, a . a . O . S. 106, 111 und Löcker-Euler, a . a . O . S. 29, cf. 84, hat Hegel diese Frage n i â t beantwortet. 85 cf. besonders Gl 7/200 ff., Sk 7/260 ff. (§ 139 mit Anm. u. Zus.). 88 cf. Gl 7/200, Sk 7/261 (Anm.). 87 Zu dieser Untrennbarkeit s. u. c. 6 b) S. 215 ff., 218 ff. 84

Das Problem der „Notwendigkeit" von Sünde

133

Die Forderung nach der Erklärung eines „Ursprungs" von Sünde und weiter dann Geist, die bei Hegel als letztlich unerklärlich bloß in der Faktizität ihres Soseins beschrieben würden 68 , übersieht schließlich das Dialektische dieses Soseins. Freiheit, Geist werden bei Hegel so in ihrem Sosein durchsichtig, daß ineins damit dessen Bedingungen erkennbar sind. Genauer: das Wesen von Freiheit und Geist wird sich derart durchsichtig, daß es sich als seine eigenen Bedingungen setzend begreift. Freiheit und Geist können sich nur als ihren eigenen Ursprung verstehen; sie verdanken die Bedingungen ihrer Erklärung ebenfalls sich selber. Dies denkend zu vollziehen, wie Hegels Philosophie tut, heißt wahrlich nicht, ein Unerklärbares bloß hinzunehmen. Ist es doch für Hegel zugleich Bedingung der Möglichkeit jeder Erklärung überhaupt. Davon ist der Sündenbegriff tangiert. Oben war gesagt: in Nichtigkeit und Wesenlosigkeit fällt dasjenige an der Sünde, was sich nicht der absoluten Selbstvermittlung der Notwendigkeit integriert. Es ist als solches das Zufällige, das sich der Selbstrealisation der Freiheit entzieht und in der Unwirklidikeit des bloßen Scheins bleibt. Ist die konkret freie, weil der Selbstvermittlung des absoluten Geistes integrierte Subjektivität als „unendliche Form" auch absolute Wirklichkeit, so ist das Sündige, nach Abzug des auch es noch tragenden Geist- bzw. Freiheitsgehaltes, die Zufälligkeit des Unfreien, die in ihrer eigenen Leere zerfällt 69 . Da Gott absolute Wirklichkeit als absolute Freiheit ist, kann das abstrakt Unfreie nur das schlechthin wesenlos Unwirkliche sein. Was sich vom Prozeß seiner Selbstvermittlung ausschließt, zergeht ins Nichts. Diese Nichtigkeit des Sündigen an der Sünde wird unter den Bedingungen der Versöhnung noch einmal thematisch (s. u. Kap. 6, S. 222 ff.). Die Freiheit ist als sich mit sich vermittelnd das Notwendige. Als solches schließt sie das Zufällige von sich aus, bzw. bloß zufällig wird das, was sich von ihrem Prozeß ausschließt. Die sich herstellende Notwen-

88

So Lämmerzahl, a. a. O. S. 106, cf. Barth, „Protestantische Theologie", a. a. O. S. 377: „Dieser Gott . . . ist mindestens sein eigener Gefangener". Barth erkennt nicht die Notwendigkeit als die der Freiheit, als Gottes eigene Notwendigkeit, die sein Sein als Sidi-Wissen ist; cf. audi die Rede, daß bei Hegel Gott „unter" der Notwendigkeit stehe, ebend. « cf. Gl 4/202, Sk 5/192, LI/163; Gl 8/111, Sk 8/103; Gl 10/395, Sk 10/316 (§ 510).

134

Sünde und Gottesgedanke

digkeit der Freiheit setzt erst die Entscheidung (Krise) zwischen notwendiger Wirklichkeit und bloßer Zufälligkeit. Indem behauptet wird, daß auch in der Sünde und durch sie das Notwendige selbst (Freiheit) sich realisiert und dies im Medium des Zufälligen geschieht, könnte die Frage aufgeworfen werden: ist das Notwendige, um sidi mit sich selbst zu vermitteln, durch das Zufällige bedingt? Ist dieses als das, wovon das Notwendige sich abstößt, um zu sich selbst zu kommen, also selber notwendig? Die Antwort muß verneinend lauten. Denn das Sein des Zufälligen ist identisch mit bloßer Möglichkeit70, seine Unmittelbarkeit nur Schein. Es ist eben nicht das Feste, als das es so etwas wie Bedingung sein könnte, sondern das sich selbst Aufhebende und Auflösende 71 . Es vermag dem Prozeß der Notwendigkeit als dem Zustandekommen von Freiheit keinen wirklichen Widerstand zu leisten. Insofern bleibt das Zufällige als solches (d. i. der beliebige einzelne zufällige Inhalt, nicht seine Form als Zufall, die eine allgemeine Möglichkeit darstellt und notwendig ist; s. o. S. 129) von der sich unbedingt durchsetzenden freien Notwendigkeit ausgeschlossen, die ein in sich geschlossener Kreis ist. Diese stößt nicht sich vom Zufälligen ab, es damit als notwendiges Substrat momenthaft setzend. Sondern die Notwendigkeit, indem sie sich konstituiert, stößt das Zufällige vielmehr gerade von sich ab als das, was es erst dadurch ist, nämlich zufällig und wesenlos. Die Freiheit setzt das, was sich ihr nicht integrieren läßt, als das in sich Nichtige und Unfreie. Die Sünde reißt den tiefsten Zwiespalt im Geist auf: die endliche Freiheit bzw. ihr Mißbrauch. Der Geist schließt kraft seiner Absolutheit diesen Abgrund der sündigen Entzweiung dadurch, daß er 1. sich als Freiheit auch noch in der Sünde wiederfindet (insofern sie geistig ermöglicht und auf Geist bezogen ist), 2. zugleich das, was an der Sünde nicht er ist (Moment des Unfreien) in die Nichtigkeit des Zufälligen setzt, 3. mit beidem den Widerspruch, als der das Böse Existenz hat, auflöst und so Versöhnung des von ihm Entfremdeten mit sich und darin audi Selbstversöhnung leistet. In dieser Bewegung ist der Geist als sich durch seinen absoluten Gegensatz mit sich vermittelnd der absolute 70 71

cf. o. S. 129 und Anm. 55). cf. Gl 16/24, Sk 17/29.

Sünde und absoluter Geist

135

c) Sünde und absoluter Geist Zur Darlegung von Hegels Lehre vom absoluten Geist in den Bezügen dieser Arbeit knüpfen wir nochmals an die Grundthese des ganzen Kapitels 5 an. Denn „absoluter Geist" ist der Terminus für eine nur vertiefte Deutung der dialektischen Identität von Selbstbewußtsein und Gottesgedanke, die uns in Abschnitt a) beschäftigte. Selbstbewußtsein findet im Gottesgedanken seine eigene Wahrheit und verdankt dieser seine Selbstidentifikation. Dieser Gedanke hat aber nur Wahrheit, wenn ihm die Einsicht folgt, daß die Bezugnahme auf die im Gottesgedanken dargestellte Identität selber den Bedingungen unterworfen ist, die diese Identität konstituieren. Die Identitätsfindung hat selber den prozessualen Charakter von Selbstbewußtsein. Es läßt sich auch sagen: der prozessuale Charakter dieser Identität (lebendiger Gott) erzwingt einen prozessualen Modus ihrer Aneignung. Selbstbewußtsein ist als Bewegung und Gott ist als Bewegung verstanden; ihre Einheit (Identifikation des Selbstbewußtseins in seiner Wahrheit) muß also ebenfalls als Bewegung gedacht werden. Die Dialektik von Selbstbewußtsein hat ein Spiegelbild ihrer selbst in der Dialektik des Gottesgedankens. Hier taucht die Notwendigkeit einer Dialektik auf, die beide Dialektiken noch einmal übergreift, indem sie sie vermittelnd aufeinander bezieht und in ihrer Einheit erkennt. Das sich in dieser Dialektik Realisierende nennt Hegel „absoluter Geist". Um sich selbst zu begreifen, entfaltet das Selbstbewußtsein zweifache Thematik:

eine

1. seine eigene Dialektik (Subjekt), sich und Gott umfassend; 2. im Gegenbild die Dialektik des Absoluten (Gott), sich und das Subjekt umfassend; 3. die Zuordnung beider Dialektiken erzeugt eine dritte, die in der Lehre vom absoluten Geist auf den Begriff gebracht wird. In diesem Begriff ist der Gedanke gedacht, daß das Sichauseinanderlegen von Selbstbewußtsein und Gottesgedanke einerseits und ihre Zuordnung andererseits zusammen als das Sich-Entfalten der Idee des Absoluten, Gottes als absoluter Geist, verstanden werden müssen. Das bedeutet, daß hinter der dem Selbstbewußtsein gegenüberstehenden Gestalt des Gottesgedankens ein Begriff Gottes auftaucht, der eben dieses Zueinander umgreift. Das Selbstbewußtsein erfaßt sich in seiner Beziehung auf seinen Gottesbegriff, erfaßt sich und seinen Gottesbegriff als

136

Sünde und Gottesgedanke

die Wirklichkeitsgestalt und den Ausdruck des absoluten Geistes, der sich in beiden sein Leben bereitet. Die folgende kurze Erläuterung dieser Sätze ist um die Präzisierung zweier in ihnen liegender Einsichten bemüht: einmal, daß Selbstbewußtsein und Gottesbegriff einander interpretieren und zum anderen, daß die wechselseitige Beziehung ihrer Dialektik sich selber als Leben des absoluten Geistes erfaßt. Die erste Einsicht läßt sich nach allem Obigen auf zwei Sätze bringen: 1. Gott verwirklicht seine Identität nur durch Entzweiung (Selbstbewußtsein) hindurch. 2. Selbstbewußtsein überwindet seine Entzweiung nur in der Identität Gottes. Bezüglich beider Sätze ist deutlich, daß ihre gedankliche Bewegung die aufeinander zu ist, daß sie einander voraussetzen und daß sie nicht aufeinander zurückführbar sind. Damit sind sowohl die religionskritische Projektionsthese als auch die offenbarungspositivistische These von der absoluten Transzendenz Gottes als einseitige Verkürzungen prinzipiell überwunden. Denn die beiden Sätze zeigen in ihrem Aufeinanderangewiesensein einmal, daß Selbstbewußtsein sich in seinem Sein nicht verstehen kann, ohne die Voraussetzung „Gott" vorzufinden bzw. immer schon zu machen (cf. o. S. 120 f.) und zum anderen, daß Gott nicht gedacht werden kann ohne Beziehung auf die „absolute Form" von Selbstbewußtsein. Die Sätze 1 und 2 sind als solche also gleich ursprünglich und notwendig. Die Gleichursprünglichkeit ist mit dem vorletzten Satz ausgesprochen worden. Beider Notwendigkeit zeigt sich darin, daß das Telos „Gott" notwendig ist, damit Selbstbewußtsein sich finden kann, und daß Selbstbewußtsein als Durchgangsmoment notwendig ist, um das Telos Gottes zu erreichen. Damit ist ausgedrückt, daß zwischen dem Telos und seinen Bedingungen eine Zirkelstruktur besteht. Das Telos bestimmt seine eigenen Bedingungen, die es selbst erst ermöglichen. Gott als Telos bestimmt den Prozeß seiner Realisierung und zugleich hat dieser die Funktion, ihn als Telos zu realisieren. Faßt man die zirkuläre Struktur dieses Verhältnisses von Gott und Selbstbewußtsein im Begriff der Entelechie, so läßt sich sagen: Hegel denkt den absoluten Geist als Enteledoie. In diesem Begriff des Geistes als Entelechie ist Gott als absolute Einheit von Zweck und Notwendigkeit gedacht. In der sich vollendenden Bewegung des Geistes wird die absolute Notwendigkeit

Sünde und absoluter Geist inhaltsvoll bestimmt 7 2 , und der Zweck bestimmt sidi zum Endzweck 7 3 .

137 absoluten

D e r absolute Geist — und damit sind wir bei der Erläuterung der zweiten obengenannten Einsicht — ist der in der Bewegung beider Sätze (1 und 2) zueinander abgebildete Prozeß, in dem sich Gottesgedanke und Selbstbewußtsein wechselseitig konstituieren und derart G o t t als absoluten Geist verwirklichen. Es ist deutlich, daß vom Gedanken G o t tes hier ein zweifacher Gebrauch gemacht wird. G o t t wird einerseits als Moment im Prozeß des absoluten Geistes gedacht (das für sich festgehalten der „fremde G o t t " ist; s. u.). So steht ihm als anderes Moment das Selbstbewußtsein gegenüber (das für sich festgehalten böse ist). Andererseits wird G o t t als der sich in der Bewegung beider Momente Auslegende und Verwirklichende begriffen. Das bedeutet, G o t t ist nicht unmittelbar Gott, sondern so, daß er sich zum Moment einer Bewegung macht, in der er seine Absolutheit realisiert. In diesem Sinne ist G o t t für Hegel „Resultat" seiner Selbstvermittlung. G o t t ist Gott, weil er sich und sein Anderes umgreift. E r macht sidi als Moment (d. i. relatum) gewissermaßen selber zum Medium seiner Selbstverwirklichung. Seine wahre Absolutheit umgreift Absolutheit und (Selbst-)Relativierung Gottes. Als diese Einheit von Absolutheit und Relativität, Unendlichkeit und Endlichkeit, die sich miteinander vermitteln, ist G o t t der „absolute G e i s t " . D e r so strukturierte Geistbegriff soll nun noch in drei Gedankenschritten erläutert werden, die zugleich sein Verhältnis zum Begriff Selbstbewußtsein und zum Begriff Sünde verdeutlichen können. 1. D e r absolute Geist ist zu verstehen als konkrete Einheit7*. Das liegt in seiner Bestimmung, absolute Identität der Identität und der Nichtidentität zu sein, denn eine Einheit ist konkret, wenn sie in ihr unterschiedene Momente als solche übergreift 7 ®. Eben dies trifft, wie unsere bisherigen Ausführungen zeigen, für das Verhältnis von Einheit und Differenz in der Beziehung Selbstbewußtsein — G o t t zu, deren

72 73 74

75

cf. Gl 16/26 ff, Sk 17/30 ff. cf. Gl 16/112, Sk 17/112. Gl 11/109, Sk 12/95; Gl 10/470, cf. 465, Sk 10/390, cf. 385; Gl 16/236, Sk 17/230; Gl 15/221, 231, 357, 418, cf. 378, 396 f., Sk 16/202, 212, 333, 391, cf. 353, 370 f. Gl 4/239, Sk 5/228, LI/193; cf. Gl 4/60, Sk 5/57, LI/43.

138

Sünde und Gottesgedanke

Vermittlungsrahmen der Geistbegriff bereitstellt78. Als konkrete Einheit hat Geist also Negation in sich77: er ist nur als Einheit in der Entzweiung 79 , Zusammensdiluß seines Urteils 79 , Uberwindung des inneren Gegensatzes80. Gerade das macht seine Tiefe aus, daß der Geist des Gegensatzes fähig ist und doch einer kraft seiner Absolutheit 81 . Seine göttliche Größe und Kraft bemißt sich geradezu an der Tiefe des Zwiespalts, in dem er einer bleibt 82 . Indem er so in seinem Widerspruch mit sidi identisch bleibt, ist auch sein Gegensatz nodi geistig83. Das bedeutet, daß selbst in der höchsten Entzweiung, der er fähig ist, indem er sich als Einzelheit von seinem allgemeinen Wesen isoliert und so böse ist, ihm nichts Äußeres zustößt, sondern audi dies noch Geist von seinem Geiste ist, in dem er sidi wiederzuerkennen und so den Abgrund zu überbrücken vermag 84 . Selbst was sich so verirrt wie das Böse und die Sünde, ist noch Geist85. Wir sahen früher, daß Verwirklichung des Geistseins als menschliches Selbst nur als Trennung (in der Entzweiung des Falles bzw. der Entfremdung der Sünde) vom allgemeinen göttlichen Geist möglich war. Konkrete Einheit bedeutet in diesem Zusammenhang, daß in beidem — jener Verwirklichung und dieser Trennung — der Geist sich wissen kann, daß er darin von seinem eigenen Tun weiß und sich eo ipso begreift. Es ist gerade die Absolutheit des Geistes, daß er sich nur in Entzweiung und Entfremdung erfährt und weiß. Seine Einheit ist (geschichtlich) nicht als von seiner Entzweiung absdieidbarer, reiner Zustand (Unschuld), sondern seine Einheit ist als Sichwissen nur

7e 77

78

79 80

81

82 83 84 85

Gl 15/221, 231, Sk 16/202, 212; Gl 16/194, Sk 17/190. Gl 11/259 f., Sk 12/240 f.; Gl 10/456, Sk 10/376 (§ 569); Gl 12/137, Sk 13/129; Gl 14/33, Sk 15/40. Gl 10/31 f., Sk 10/26 (Zus.); Gl 11/412, Sk 12/388; Gl 15/435, Sk 16/407; Gl 4/407 f., Sk 5/389, LI/338; cf. Gl 4/671, Sk 6/194, LII/164. Gl 10/456, Sk 10/376 (§ 569); Gl 15/76, Sk 16/65. Gl 11/55, 151, cf. 201, 240, 298, Sk 12/41, 135, cf. 184, 222, 278; Gl 13/14 f., 138, 140, Sk 14/24, 143, 145; Gl 15/427, Sk 16/400; Gl 16/72, 77, Sk 17/74, 79. Gl 16/72, Sk 17/74; Gl 12/210 f., 244 f., Sk 13/200, 234; cf. Gl 4/289, Sk 5/276, LI/236. Gl 9/56, Sk 9/29; Gl 12/244 f., Sk 13/234; cf. Gl 16/184, Sk 17/181. Gl 11/298, Sk 12/278. Gl 10/32, Sk 10/26, cf. Sk 4/282 (§ 11). Gl 9/56, Sk 9/29.

Sünde und absoluter Geist

139

unter den Bedingungen der Entzweiung (geschichtlich) da 8 6 . Geist „gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet"87. So gewendet besagt „konkrete Einheit": indem der Geist sich verliert, e r f ä h r t er sich gerade. Indem der Mensch sich als böse weiß, unter den Bedingungen seiner Schuld, k a n n er v o n sich als gut wissen, weil er sich als a n sich gut weiß. D e r Geist als konkrete Einheit im dargelegten Sinne, also als Einheit, deren Wirklichkeitsgestalt Entzweiung ist, ist absolute Subjektivität 8 8 . Das oben von Gottes Subjektivität Gesagte gilt also auch hier (s. o. S. 118 f.), weil eben Gottes Subjektivität seine Geistigkeit ist 89 , nur d a ß hier G o t t betrachtet wird, insofern er die menschliche Subjektivität mit u m f a ß t , eben als Geist. Auf die Subjektivität des Geistes kommen wir gleich noch einmal zurück. 2. Geist ist konkrete Einheit als sido realisierende, sich herstellende. Geist ist Einheit, insofern sie aus ihrer Selbstunterscheidung in sich zurückkehrt 9 0 . K o n k r e t e Einheit ist also nicht ein ruhendes absolutes Sein, in dem alle Unterschiede immer schon verschwunden sind, sondern absolute, sich produzierende 9 1 u n d durchsetzende Einheit. So ist Geist absolute Tätigkeit, die sich durch Selbstunterscheidung zu dem macht, was sie ist 92 . Geist ist ü b e r h a u p t nur als der, der sich zu dem machen m u ß , was er ist — wie Selbstbewußtsein 9 3 . Sein Sein ist prozessual, er ist der absolute P r o z e ß der Selbstvermittlung u n d Selbstverwirklichung durch

86 87 88 89 99

91 92

95

cf. Kopper a. a. O. 244 f. Gl 2/34, Sk 3/36, H/30. Gl 15/467, Sk 16/437; Gl 16/148, 198, 209, Sk 17/147, 194, 204. Gl 15/97, 409, Sk 16/85, 382. Gl 10/456, Sk 10/376 (§ 569); Gl 11/240, Sk 12/222; Gl 14/33, Sk 15/40; Gl 15/76, Sk 16/65; Gl 16/58, 219, Sk 17/60, 214; Gl 4/660, Sk 6/184, LII/154. Gl 15/467, 468, Sk 16/437, 438. Gl 12/136, 244, Sk 13/128, 233; Gl 13/138, Sk 14/143; Gl 16/198, 219, 228, 551, Sk 17/193 f., 214, 223, 533. Gl 7/267 f., Sk 7/344 (§ 187); Gl 8/94, Sk 8/89 (Zus.); Gl 11/90, 113, Sk 12/75, 99; Gl 15/90, 284, Sk 16/79, 263; Gl 19/100, Sk 19/494; cf. Gl 4/660, Sk 6/184, LII/154.

140

Sünde und Gottesgedanke

Selbstunterscheidung 9 4 . Als solche Bewegung in sich selbst ist G o t t der Geist, ewig lebendiger Gott 9 4 . So ist er a u d i der — in Hegels Sinn — trinitarisdie 9 8 , was wir hier nicht weiter zu präzisieren brauchen. N u r auf eine in unserem Zusamm e n h a n g wichtige Unterscheidung müssen w i r Bezug nehmen. M a n k a n n , wie wir gesehen haben, sich auf den Gottesgedanken in doppelter Weise beziehen: einmal w i r d G o t t als Bewegung in sich, z u m anderen als Bewegung, die die endliche Subjektivität mit umgreift, verstanden. I n theologisdier Terminologie ließe sich beides unterscheiden als „ i m m a nente" u n d „emanente" Trinität. Es ist nun wichtig zu betonen, d a ß mit dieser Unterscheidung nicht zwei a n sich seiende, gegeneinander isolierte Sphären, sondern Momente einer Bewegung gedacht sind. D a s erste Mißverständnis könnte die Unterscheidung „ewiger" u n d „zeitlicher Geschichte Gottes" nahelegen 9 7 . Dadurch w ü r d e Dialektik zu Dualismus. Gegen eine solche, sich aus der dialektischen Bewegung mit H i l f e des Ewigkeitsbegriffes lösende objektive Theologie, die der Fehler der sogenannten rechtshegelianisch-orthodoxen Hegelauslegung w a r , ist die linkshegelianische Kritik insoweit im Recht, als sie die Bezogenheit auf das Selbstbewußtsein überhaupt festhält. D e m hier vorgelegten Verstehensversuch bleibt Selbstbewußtsein der Konzentrationspunkt der Aussagen, wobei zugleich die linkshegelianische Reduktion vermieden werden soll. A u d i die ewige Geschichte Gottes als immanente Trinität bleibt wesentlich auf Selbstbewußtsein bezogen, das in ihr gerade seine Ident i t ä t findet. Selbstbewußtsein tntiß G o t t so voraussetzen. D i e Frage nach den Bedingungen dieser N o t w e n d i g k e i t versucht die vorliegende Arbeit zu beantworten. Jedenfalls gibt sich in dieser Notwendigkeit zu erkennen, d a ß jenes Leben Gottes in sich u n d f ü r sich nur als Moment der Dialektik, nicht als ewige Sphäre χωρίς von ihr verstanden werden kann.

94

95

94 97

Gl 11/530, Sk 12/502; Gl 13/143, cf. 146, 164, Sk 14/148, cf. 152, 169; Gl 16/50 f., 197, 210, 226, 281 f., Sk 17/54, 193, 205, 221, 273. Gl 15/50, 76, 210, 217 f., Sk 16/40, 65, 192, 199; Gl 16/219, 296, cf. 546, Sk 17/214, 287, cf. 528; cf. Gl 10/456, Sk 10/376 (§ 569). Gl 4/407, Sk 5/389, LI/338; Gl 16/296, Sk 17/287, cf. ]. Spielt a. a. O. cf. Theunissen, a. a. O. S. 65 ff.

Sünde und absoluter Geist

141

Das Leben Gottes als Geist ist der durch seine absolute Tätigkeit realisierte Prozeß seiner selbst, dessen einiges Resultat 98 er selber ist: die absolute, göttliche Geschichte". Indem der absolute Geist Prozeß ist, der mit sich selbst zusammengeht, in seiner Bewegung absolut bei sich ist, ist er absolute Freiheit 100 (s. o. S. 126). Und damit ist die absolute Vermittlung menschlich-endlicher Freiheit mit der Freiheit Gottes ermöglicht. Endlich freie Subjektivität ist Moment im Prozeß der absoluten Freiheit Gottes 101 . Indem diese sich als Selbstunterscheidung realisiert, ist sie selbst die endliche Freiheit. So ist das freie Selbstbewußtsein seiner Selbständigkeit als an und für sich seiend gewiß102. Und menschliche Subjektivität kann sidi als Freiheit nicht vollziehen, ohne an der absoluten Selbstvermittlung der göttlichen Freiheit zu partizipieren 103 . Menschliche und göttliche Freiheit sind aktuell als der eine Prozeß des Geistes, der als diese Doppelgestalt, die er zugleich ermöglicht und umfaßt, seine einige Lebendigkeit hat. Diese Ermöglichung endlicher Freiheit als der Negation seiner, in deren Aufhebung er seine absolute Positivität als Geist findet, ist der Sinn jener Selbstverendlichung, als die die Unendlichkeit Gottes 104 und jener Selbstbesonderung, als die die absolute Allgemeinheit Gottes 105 geisthafte Einheit mit und über seinem eigenen Gegensatz ist. So kann sich das Selbstbewußtsein in seiner Besonderheit und Endlichkeit selber als geistig, als in Gott seine Identität findend wissen, weil es sich vom Geist selber freigesetzt weiß 106 . Die endliche Subjektivität findet ihre absolute Befriedigung in Gott als Geist, weil dieser absolute Subjektivität ist107. So ist Gott als Geist die wahre Totali98

99

1M 101 192 103 104

105

10i 107

Gl 15/43, Sk 16/34; Gl 16/53, 247, cf. 319, Sk 17/56, 241, cf. 309; cf. Gl 6/321, Sk 4/437; Gl 4/673, Sk 6/196, LII/165. Gl 13/142, Sk 14/147; Gl 15/447, Sk 16/419; Gl 16/219 f., 222, 308, Sk 17/214 f., 217, 298. Gl 10/32, Sk 10/26 f.; cf. Gl 15/390, Sk 16/365; Gl 16/220, Sk 17/215. Gl 15/240, Sk 16/221; Gl 16/281, Sk 17/273. Gl 11/262, Sk 12/243; Gl 13/5, Sk 14/14. Gl 16/130, Sk 17/129. Gl 12/138, Sk 13/130; Gl 15/75, 209, 210, 334, cf. 435, Sk 16/64, 191, 192, 311 f., cf. 408. Gl 12/138, Sk 13/129; Gl 11/262, Sk 12/243; Gl 15/86, Sk 16/75; cf. Gl 8/334, Sk 8/291 (§ 147 Zus.). Gl 15/227, Sk 16/208; Gl 16/130, 136, Sk 17/129, 135. Gl 12/137, 138, 243, Sk 13/129, 130, 233; Gl 13/138, Sk 14/143.

142

Sünde und Gottesgedanke

tät, die sich und ihr Gegenteil hervorbringt und umfaßt 108 . Indem Gott als absolute Subjektivität gedacht wird, ist er „substanzielles Subjekt und subjektive Substanz" 109 — cf. dazu den 2. Exkurs, u. S. 154 ff. — und als solchermaßen absoluter Geist die Wahrheit des endlichen Geistes110. Der Begriff Gottes als absoluter Geist allein also ermöglicht es, dessen „ewige Natur" zu denken, „ohne daß er dadurch ein Ding würde" 111 . Im Begriff des absoluten Geistes ist Hegels Lösung des religionsphilosophischen Zentralproblems des deutschen Idealismus, des Problems eines ungegenständlichen Gottesbegrijfs, zu sehen112. Denn der Begriff des absoluten Geistes thematisiert einmal gerade die Einheit des Bewußtseins von Gott mit dem Subjekt 113 , und zum anderen impliziert er, daß das Absolute nur durch Selbstunterscheidung des absoluten Geistes in sich „Objekt" des endlichen Geistes ist 114 . Gott ist also nicht ein absolutes Objekt, sondern enthält selber das Moment der Subjektivität 116 ; da der absolute „Gegenstand" des religiösen Bewußtseins Geist ist, bleibt er diesem nicht gegenständlich, sondern umgreift es, und zwar auch für es: es weiß darin sein eigenes Wesen als Selbst116. Wird Gott nicht so als der in absoluter Subjektivität sich selbst umgreifende, als absoluter Geist gedacht, so bleibt er in der Relativität des Objektseins, er bleibt für das gläubige Bewußtsein der „fremde Gott" 117 , der von ihm letztlich getrennt und auf den es nur gegenständlich, d. h. äußerlich bezogen ist. Insofern Gott Geist ist, kann der Mensch sich jedoch in ihn aufgenommen wissen, und zwar nach seinem Wesen als Subjektivität und Freiheit 118 . Die Vermeidung eines Begriffes von Gott, in dem er der „fremde Gott" ist, bedeutet, daß die Differenz von Bewußtsein und Selbstbewußt108

Gl Gl 110 Gl 111 cf. 112 cf. 113 cf. 114 Gl 115 Gl "» Gl 117 Gl cf. 118 Gl 109

13/103, 114 f., Sk 14/110 f., 122; Gl 16/228 f., Sk 17/223. 13/122, Sk 14/129; Gl 16/197, Sk 17/193. 12/138, Sk 13/130. Gl 4/271, Sk 5/259, LI/221. Gl 15/220 f., Sk 16/202 f. Gl 16/194, Sk 17/190. 12/138, Sk 13/130. 13/103, Sk 14/110 f. 11/410, Sk 12/386; Gl 8/404, Sk 8/351 (Zus.); Gl 15/222 f., Sk 16/204. 8/112, Sk 8/103 (§ 36 Anm.); Gl 10/450, Sk 10/370 (§ 561); Gl 15/221, 334, Sk 16/203, cf. 311; Gl 16/194 f., 197, Sk 17/190 f., 193. 16/281, Sk 17/273; Gl 15/82, 231 f., Sk 16/71, 212 f.

Sünde und absoluter Geist

143

sein, die im Selbstbewußtsein selber eine erste unmittelbare Einheit findet119, zur konkreten Einheit geworden und absolut aufgehoben ist, wenn der Gottesgedanke als Bewußtsein des Geistes verstanden werden kann. Indem Selbstbewußtsein sidi auf den Gottesgedanken bezieht, ist es zunädist Bewußtsein. Aber das, was so für es ist, ist sein absolutes Wesen120; es hat darin also Bewußtsein von sieb. Gottesbewußtsein ist an sich auch Selbstbewußtsein. Indem Selbstbewußtsein dies weiß, weiß es den absoluten Geist als Selbstbewußtsein (Identität), das sich selber (Identität) und Bewußtsein des Absoluten (Nichtidentität) umfaßt: Selbstbewußtsein weiß im Gedanken des absoluten Geistes sidi als absolutes Selbstbewußtsein. 3. Damit ist bereits das letzte Merkmal des Geistes als konkreter Einheit genannt (— es kam in den Erörterungen dieses ganzen Kapitels bereits einige Male vor —), die ja den Leitbegriff unserer Erläuterungen bildet. Konkrete Einheit ist als Geist sich wissende Einheit121. Es ist evident, daß konkrete Einheit von Gott als Geist und Selbstbewußtsein selber nur eine geistige sein kann: „Gemeinschaft des Geistes mit dem Geiste" 122 . Das heißt, diese Gemeinschaft muß begriffen werden als Einheit von Gemeinschaft und Unterschiedenheit, von Untrennbarkeit und Differenz, von Selbstbewußtsein und Bewußtsein, Gewißheit und Wahrheit. Solche absolute Einheit ist geistig nur im Sich-wissen erreicht. Das ist nodi in aller Kürze zu zeigen123. Wissen vom Geist ist immer audi Wissen von seinem Gegenteil124. Wissen des Geistes ist aber selbst Geist, ist Sidi-wissen des Geistes. Ein absolutes Sichwissen des Geistes ist also nur denkbar als Sidiwissen in einem Anderen. Dies Andere aber ist Selbstbewußtsein und zugleich Wissen von Gott als Geist. Indem also Selbstbewußtsein sich im und als absoluten Geist weiß, weiß dieser sidi darin. Das bedeutet: Wissen von Gott und Sidiselbstwissen Gottes fallen für Hegel zusammen. Da

119 120

121 122 12S 124

cf. Gl Sk cf. cf. Gl cf. cf.

Gl 2/139 ff., Sk 3/137 ff., H/133 ff. und Gl 2/137, Sk 3/135, H/128. 11/215, 410, Sk 12/197, 386; Gl 12/138, Sk 13/130; Gl 15/222 f., 16/204; Gl 4/202, Sk 5/192, LI/163; Gl 10/380, Sk 10/302 (§ 482 Anm.): Gl 8/404, Sk 8/351. Gl 13/103, Sk 14/110; Gl 16/236, Sk 17/230; cf. Gl 15/90, Sk 16/78. 16/496, Sk 17/480. Theunissen, a. a. O. u. F. Wagner, a. a. O. Gl 8/200, Sk 8/180 (§ 83 Zus.).

144

Sünde und Gottesgedanke

— wie wir oben S. 122 formulierten — das Absolute sich als Wissen von ihm selber setzt, weiß der Mensch von G o t t nur, insofern Gott sich im Menschen weiß 1 2 5 . Wissen von G o t t ist Geist Gottes 1 2 6 , gemeinschaftliches Wissen 1 2 7 . So, als sich im Anderen erscheinend, ist G o t t an und für sich Selbstbewußtsein 1 2 8 . D e r O r t dieses Selbstbewußtseins Gottes ist die Religion 1 2 9 (cf. o. S. 122). Religion ist Erzeugnis des absoluten Geistes im endlichen Geist, der darin sein Wissen von sich, sich selbst als absolut erzeugt 1 3 0 . Gewußt als absoluter Geist wird G o t t aber erst in der christlichen Religion. I h r Glaube weiß seine geistige Subjektivität als absolute Persönlichkeit 1 3 1 . Das absolute Verhältnis, das der christliche Glaube zu G o t t hat, besteht also darin, diesen absoluten Geist in sich wohnen zu haben. Geistige Gegenwart Gottes in seiner Gemeinde, das ist absolutes Selbstbewußtsein des Geistes und Wirklichkeitsgestalt des Geistes in eins 1 3 2 . Als solches Wissen des göttlichen Wesens in sich, ist der Glaube göttliches Selbstbewußtsein 1 3 3 im Sichdurdidringen von endlichem Selbstbewußtsein, das sich in G o t t und Selbstbewußtsein Gottes, das sich im endlichen Selbstbewußtsein findet134. Fassen wir die Beobachtungen zum Begriff „Sichwissen des Geistes" als konkreter Einheit zusammen. I n diesen Begriff ist eingegangen, daß Selbstbewußtsein in seinem Gottesverhältnis sich selber als das Medium erfaßt, in dem der absolute Geist sich realisiert. Das auf G o t t bezogene

125 128 127 128

129 130

131

132

133 134

Gl Gl Gl Gl Sk cf. Gl cf. Sk Gl Sk Gl Gl Sk Gl cf.

16/191, 496, Sk 17/187, 480; Gl 10/454, Sk 10/374 (§ 564 Anm.). 16/398, 496, Sk 17/385, 480. 16/496, Sk 17/480. 10/38, Sk 10/31 (Zus.); Gl 11/412, Sk 12/388; Gl 16/398, 496, 17/385, 480; Gl 15/219, 410, 468, cf. 82, 326, Sk 16/201, 383, 438, 71, 304. 16/191, Sk 17/187. Gl 15/50, 232 f., Sk 16/40, 213 ( = Lasson, Begr. Rei. S. 251); Gl 16/424, 17/410. 8/385, 339, Sk 8/292 (§ 147 Zus.), 295 (§ 151 Zus.); Gl 13/80, 103, 14/88, 111; cf. Gl 16/38, Sk 17/42. 10/380, Sk 10/302 (Anm.); Gl 12/138, Sk 13/130; Gl 14/41, Sk 15/48; 15/50, Sk 16/40; Gl 16/42, 197 f., 281, Sk 17/45, 193, 273; Gl 17/104 f., 18/93. 15/283, Sk 16/263; cf. Gl 11/155, 412, Sk 12/139, 388. Gl 16/394 f., Sk 17/381.

Absoluter Geist als Bewegung von „Form" und „Inhalt"

145

Selbstbewußtsein versteht sich und den ihm präsenten Gott als Präsenz des absoluten Geistes als des wahren Gottes, der darin seine Wirklichkeit hat. In seinem Wissen von Gott (Religion) weiß Selbstbewußtsein sich in Gott (als Moment des absoluten Geistes). In diesem Sich-in-GottWissen weiß es aber auch den Dualismus der Ersdieinung (Subjekt — Gott) so überwunden, daß er sich selbst als Ausdruck der Einheit des einen absoluten Geistes begreift. So ist es Wissen des absoluten Geistes von sich, und in diesem Wissen (absolute Religion) hat Gott Selbstbewußtsein. Ohne dieses Wissen Gottes von sich im subjektiven Wissen von ihm bliebe Gott der „fremde Gott". Geist als Wissen des Geistes bzw. Sich-Wissen des Geistes im Selbstbewußtsein ist so absolute Identität von Gewißheit und Wahrheit. Was Selbstbewußtsein hierin als Wahrheit weiß, weiß es als mit sich identisch, als sein absolutes Wesen, das ihm im Gottesgedanken präsent ist 130 . Indem es also seine Wahrheit weiß, weiß es absolut sich selbst: diese Wahrheit ist eins mit seiner Gewißheit von sich, da Selbstbewußtsein sich in ihr identifiziert. Und seine Gewißheit von sich findet es als die absolute Wahrheit wieder. Indem es zugleich diese Beziehung weiß, weiß es Gott als absoluten Geist als deren Ermöglichung und sich als absoluten Geist als deren Erfüllung13®, weiß es sidi absolut und absolut frei.

d) Absoluter Geist als Bewegung von „Form" und „Inhalt" Es erscheint naheliegend, das Verhältnis Selbstbewußtsein — Gottesbegriff mit Hilfe der Reflexionskategorien „Form" und „Inhalt" zu bestimmen. Einmal tut Hegel dies selber, wie gleich nodi zu erörtern ist. Sodann hob sich bei der Rekonstruktion der Begriffe Fall und Sünde deutlidi das Moment der Formalität von Subjektivität hervor, worin geradezu deren krisenhaftes Wesen bestand137. Dies soll im Folgenden

»»» Gl 4/202, Sk 5/192, LI/163; Gl 8/404, Sk 8/351; Gl 10/380, Sk 10/302 (Anm.); Gl 11/215, 410, Sk 12/197, 386; Gl 12/138, Sk 13/130; Gl 15/222 f., 231 f., Sk 16/204, 212 f.; Gl 16/281, Sk 17/273. 1M cf. Gl 13/104 f., Sk 14/112. 137 cf. c. 4 o. S. 66, 68, 74. 10

Ringleben, Hegels Theorie

146

Sünde und Gottesgedanke

präzisiert werden. Zugleich wird das Phänomen Sünde, um dessen Möglichkeit es dabei audi immer geht, genauer in seinen systematischen Bezügen erkennbar werden. Dem dient der Versuch, das Form-InhaltSchema in die Geistthematik einzuzeichnen. Das endliche Selbstbewußtsein ist für Hegel formell138. Darin liegt, wie wir in Kapitel 4 dargestellt haben, seine Konstitution in Entzweiung. Endliche Subjektivität ist als solche in ihrem Sein unvollendet, ist nur als ein Entzweites, abstrakt-einseitig und auf ihr Anderes konstitutionell angewiesen. Darin gründet zugleich ihre Distanz: Selbstbewußtsein ist als formell inhaltlich ungebunden, steht Inhaltlichem gegenüber. Formalität heißt, daß es unmittelbar weder der eine noch der andere Inhalt ist. Aus dieser konstitutiven Entzweitheit von Formalität folgt ihre Möglichkeit, reflexiv zu sein: als böse. Zugleich bedeutet Formalität des Selbstbewußtsein, daß es als das Umfassende ist, das nur an Anderem zu sich selbst kommen kann. In diesem Sinne ist seine Formalität Potentialität: diese Form gewinnt Aktualität erst an einem Anderen, das eo ipso Gehalt ist139. Indem seine Identität sich in einem Anderen allererst erfüllt, gewinnt Selbstbewußtsein einen Gehalt, d. h. es ist selber bloß formell. Solchermaßen formal gewinnt endliche Subjektivität in der Gottesbeziehung einen absoluten Inhalt. Selbstbewußtsein ist für Hegel subjektive Form für den Inhalt des Absoluten, an dem es substantielle Fülle erhält 140 . Die damit gedachte Totalität setzt Entzweiung voraus, denn sie bezieht sich notwendig auf die Differenz von Selbstbewußtsein als bloßer Form und Gott als substantiellem Inhalt. Entzweiung konstituiert Form und Inhalt als differente. Nun wird, wie gezeigt, von Hegel Gott als Subjektivität gedacht (cf. o. S. 118 f., 139). Als solche ist das Absolute selber Form, und zwar unendliche, absolute Form141. Der absolute Inhalt der endlichen Subjektivitätsform ist unendliche Form. Diese ist aber zugleich auch Form des endlichen Selbstbewußtseins, das so eine (nur abstrakte) Präsenz von 138

139 140

141

Gl 15/203, 223, 224, 232, cf. 362, Sk 16/185, 204, 205 f., 213, cf. 338; Gl 16/129 f., 151, cf. 79, 129, 389, Sk 17/129, 150, cf. 80, 128, 376. cf. c. 4 o. S. 76. Gl 11/55, Sk 12/41; Gl 13/5, 114 f., Sk 14/14, 122; Gl 15/203, 223, Sk 16/185, 204, cf. Gl 16/130, Sk 17/129. Gl 10/450, Sk 10/370 (§ 561 f.); Gl 11/417, Sk 12/393; Gl 15/232 f., 222, Sk 16/213, 203; Gl 16/183 f., Sk 17/180 f.

Absoluter Geist als Bewegung von „Form" und „Inhalt"

147

Unendlichkeit darstellt 142 . In der Unbedingtheit dieser Form, die das Innerste Gottes ausmacht143, liegt die Unwiderstehlichkeit von Subjektivität als unendlidier: sie setzt sich unbedingt durch, ist absolute Negativität 144 . In der Partizipation des Selbstbewußtseins an unendlicher Subjektivität, die als unbedingte Form jeden Inhalt zum Moment ihrer Selbstverwirklichung vermittelt, liegt auch seine Möglichkeit zu jenem unendlichen „Eigen-sinn", der dem Bösen so nahe ist144. Freilich ist im Falle der unendlichen Form als Inhalt der endlichen diese absolute Negativität von Subjektivität Ort einer besonderen Dialektik. Jener absolute Inhalt ist in unmittelbarer Identität absolute Form. Er ist also nur so Inhalt der endlichen Subjektivität, daß er sie — sie durch seine unendliche Subjektivität überhaupt erst ermöglichend — als Moment seiner eigenen Form setzt. Dieses endliche Moment ist als so ermöglicht selber (endliche) Form und als so unterschieden zugleich (endlicher) Inhalt. Der absolute Inhalt läßt also seine endliche Form dadurch selber zu seinem endlichen Inhalt werden, daß er sidi als unendliche Form erweist. Diese Gestalt der Dialektik ist insofern rein, als eine bestimmte Möglidikeit, eben die des Bösen, noch unberücksichtigt blieb. Denn die endliche Subjektivität ist Form nur durch die unendliche. In Kraft unendlicher Subjektivitätsform kann sie deren Negativität gegen sie selber zur Geltung bringen. Dann entsteht eine Entzweiung zwischen unendlidier Form und unendlichem Inhalt. Die endliche Form setzt sich selber als unendliche und sperrt sich dagegen, endlicher Inhalt der unendlichen Form zu sein. Darin ist der wahre absolute Inhalt verendlicht und Moment der endlichen Subjektivität, die sich absolut-formal setzt. Sie setzt sich in der Kraft Gottes gegen Gott; sie ist böse. Indem sich die endliche Form der Dialektik ihres unendlichen Inhalts entzieht, in der sie zum endlichen Inhalt desselben als unendlicher Form würde, wird sie quasiunendliche Form ohne den absoluten Inhalt und gegen ihn. D. h. sie wird absolut leer. Diese Leerheit ist potenzierte Formalität der endlichen Subjektivität. Als böses Fürsichsein ist Selbstbewußtsein leere Form14®. 142 143 144 148 144

10»

cf. Gl 4/185, Sk 5/175, LI/148. Gl 10/450, Sk 10/370 (§ 562). Gl 16/4, 183 f., 197, Sk 17/10, 180 f., 193; cf. Gl 10/443, Sk 10/363 (Anm.). cf. Gl 16/188, Sk 17/184. Über Leere als Moment des Fürsidiseins als sprödes Eins cf. Gl 4/194, cf. 280, Sk 5/184, cf. 267, LI/156, cf. 228.

148

Sünde und Gottesgedanke

Form in ihrer unendlichen Wahrheit 1 4 7 — das ist für Hegel die Subjektivität des Geistes (cf. dazu o. S. 139, 141). Subjektivität als absoluter Geist ist also unendliche Form, die sich (Gott) und ihre endliche Gestalt (Selbstbewußtsein) als Inhalt umfaßt. Sie ist Form, die sich in sidi differenziert und so als Inhalt bestimmt 1 4 8 . So sind hier G o t t und Selbstbewußtsein beide als Inhalt, während sie oben (S. 146) als Inhalt und Form bestimmt waren. Das ist jedoch kein Widerspruch, weil Form und Inhalt als differente beide selber sowohl als Form(momente) wie auch, indem sie sich unterscheiden, als inhaltliche Bestimmtheiten eines indifferenten, bestimmungslosen Ganzen angesehen werden können. J e denfalls ist endliche Subjektivität als Inhalt (Dasein, Wirklichkeit, R e a lität 1 4 9 ) des absoluten Geistes und als notwendiger, weil für dessen Selbstunterscheidung und -Vermittlung konstitutiver, Inhalt zugleich Moment der Form. Auch das Umgekehrte gilt: der absolute Geist legt sich aus in den Gestaltungen Selbstbewußtsein und Gottesgedanke; in ihnen hat er seine Realität, seinen Inhalt. Absoluter Geist ist der eine absolute Gehalt, der sich in den Formen endlicher Subjektivität und des Absoluten darstellt. Selbstbewußtsein und Gottesgedanke als Selbstdifferenzierung des absoluten Geistes, als Formen, in denen er ist, sind so Momente des Inhalts. S o kann auch gesagt werden, daß das Wissen des unendlichen Inhalts als seine Form zu ihm selber gehört 1 5 0 . Aus diesen Überlegungen folgt: Selbstbewußtsein und Gottesgedanke sind in ihrer Einheit als absoluter Geist gedacht beide beides: Form und Inhalt, und sowohl als Form wie als Inhalt Moment der anderen Bestimmung. Die Wahrheit dieses Verhältnisses ist also die Einheit (Untrennbarkeit) von Form und Inhalt. Wahrhafte Form und wahrhafter Inhalt gehören zusammen 151 . Seine geistige Form ist dem Geist als Inhalt wesentlich 182 . Als solche Einheit von Form und Inhalt ist für Hegel der christliche Gott wahrhaft wirklich 1 5 3 . Zu dieser Einheit reali147 148 149

150 151 152 15S

cf. cf. cf. cf. Gl Gl Gl Gl

Gl 10/443, Sk 10/363 (Anm.). Gl 15/200, Sk 16/183; Gl 16/197, Sk 17/193. Gl 11/55, 56, Sk 12/41, 42; Gl 12/138, Sk 13/130; Gl 14/41, Sk 15/48, Anm. 132). 15/227, 232 f., Sk 16/208, 213. 2/46 f., Sk 3/48, H/41; Gl 15/200, Sk 16/183; cf. Gl 10/34, Sk 10/28. 2/24, Sk 3/24, H/20 f.; Gl 17/64, Sk 18/53. 13/105, Sk 14/112.

Absoluter Geist als Bewegung von „Form" und „Inhalt"

149

siert sidi die absolute Selbstbestimmung des Absoluten: indem es seinen Inhalt ausdifferenziert, entsteht seine Form, und nur in seiner Form hat es einen Inhalt, sidi als Inhalt. Denn Inhalt ist entwickelte Form und Form Entwicklung des Inhalts. Indem Form und Inhalt sidi durch Selbstdifferenzierung zu ihrem Gegenteil bestimmen, zeigt sidi, daß Entzweiung nicht nur Form und Inhalt überhaupt erst konstituiert (cf. o.), sondern daß im Begriff Entzweiung Form und Inhalt audi konvergieren: Entzweiung gibt der Form ihren Gehalt und formt den Inhalt in sich. Absoluter Geist ist so in eins Bewegung von Form und Inhalt. Der Inhalt legt sich in seine Formbestimmungen auseinander: Bewegung der Form. Im Durchgang durch seine Form(en) realisiert sidi der Inhalt: Bewegung des Inhaltes. Im Gedanken des absoluten Geistes ist so das absolute Verhältnis von Form und Inhalt realisiert 154 . Beide sind dialektisch eins, indem Inhalt nidits anderes ist als Umsdilagen von Form in Inhalt, Selbsterfüllung der Form, und Form nidits anderes ist als Umschlagen von Inhalt in Form, Selbstformung des Inhalts. Aus dieser dialektischen Einheit läßt sich nun folgern, daß eine Formdifferenzierung, die nicht Bewegung des Inhalts ist (das Böse) und eine Inhaltlidikeit, die sich nicht formal bestimmt (Unschuld, Gott ohne Welt, fremder Gott) gleichermaßen Abstraktionen vom Prozeß des Geistes sind. Ist der absolute Geist absolute Einheit von Form und Inhalt, so ist er es vermittelt, und zwar in dem Prozeß, als der er überhaupt ist. Die dialektisdien Momente des Form-Inhalt-Verhältnisses, die bei der vorausstehenden Erörterung der Beziehung von Selbstbewußtsein und Gottesgedanke zueinander auftraten, müssen sidi also verstehen lassen als Realisation dieses Prozesses. Jede dieser Konstellationen ist also notwendiges dialektisches Moment im Prozeß der Selbstvermittlung des Absoluten. Als Subjektivität kann der absolute Geist sich als Telos nur durch Selbstunterscheidung, Entzweiung von Form und Inhalt hindurch erreichen. Ihre Differenz bildet insofern einen notwendigen Durchgang. Als solche setzt sie das Moment unmittelbarer Einheit im Sinne von Indifferenz zwischen Form und Inhalt voraus. In diesem notwen154

cf. Gl 8/302, Sk 8/265 (Anm.) und Gl 4/671, Sk 6/194, LII/163 f.; Gl 10/34, Sk 10/28 (§ 383 Zus.).

150

Sünde und Gottesgedanke

digen Ausgangspunkt der Bewegung ist ihr Telos auf noch unwahre, weil unmittelbare Weise gedacht. Sind hier wie in der Entzweiung Form und Inhalt nur an sich eins, so werden sie es für sich, indem der absolute Geist als Selbstdifferenzierung von Form und Inhalt je zu ihrem Anderen ihre entwickelte Einheit darstellt. Der Prozeß des Geistes läßt sidi demgemäß als das dialektische Nacheinander von drei Momenten beschreiben a) unmittelbare Einheit (Indifferenz) von Form und Inhalt; b) Differenz von Form und Inhalt. Diese Entzweiung kann sich ζ. B. so darstellen, daß sich Form gegen Inhalt behauptet154 (etwa als subjektive Form gegen den absoluten Inhalt (Fall) und als absolute Form gegen den subjektiven Inhalt (Gesetz); c) dialektische Einheit: Form und Inhalt differenzieren sich in sich selbst und bestimmen sich selbst zu ihrem Anderen (Geist). Diese logischen Momente Einheit, Entzweiung, Geist (a—c), in denen Selbstbewußtsein sein Sein begreift, figurieren im religiösen Bewußtsein als Unschuld, Fall und Versöhnung. Deren Zusammenhang muß sich also beschreiben lassen sowohl als Bewegung von Form wie von Inhalt. Das führt zu folgendem Schema I, das die bisherigen Überlegungen zusammenfassend formal darstellt.

Cf. Schema I, S. 151 Die soeben schematisierte Bewegung von Form und Inhalt durdi die Momente von Indifferenz, Differenz und dialektischer Einheit (Unschuld, Fall, Versöhnung) hindurch muß auch kombiniert werden können mit der Bewegung, als die je das Subjekt wie der Gottesbegriff gedacht werden. Deren prozessuales Sein muß sidi ebenfalls als Bewegung von Form und Inhalt beschreiben lassen. Das führt zum folgenden Schema II, in dem die bisherigen Überlegungen material zu abgekürzter Darstellung gelangen.

Cf. Schema II, S. 153 155 15e

cf. Gl 15/236, Sk 16/217. cf. Gl 16/78, Sk 17/80.

Absoluter Geist als Bewegung von „Form" und „Inhalt" Schema I

als Bewegung der

Form

als Bewegung des Inhalts

151

Unschuld als unmittelbare Einheit

Fall als Entzweiung

Versöhnung als geisthafte Einheit

wahrer Inhalt (Einheit mit Gott)

Inhalt abgelöst gegenüberstehend, geisdos

Vereinigung in der Einheit des Geistes:

in unangemessener, geistloser Form

geistige Form f ü r sich

bloße Form von Einheit

Auflösung der Form

Inhalt geisdos, weil in sich undifferenziert

Inhalt als solcher, als Erfüllung sichtbar (Soll)

Inhalt als wahr und geisthaft, weil in geisthafter Form Formung von Einheit: geisthafter, in sich geformter Inhalt

Die angedeutete Abstraktheit dieser Schemata, die jedes f ü r sich n u r die formale bzw. materiale Seite des in Rede stehenden Prozesses — dazu n o d i in formelhafter V e r k ü r z u n g — zur Anschauung bringen wollen, bringt es mit sich, d a ß allein deren Synopse ihre konkrete W a h r h e i t zu geben vermag. U m der erstrebten Übersichtlichkeit willen sind sie hier getrennt w o r d e n . Jedoch m a g die äußerlich völlig analoge Anlage der Schemata dazu dienen, diese Einseitigkeit zu korrigieren, indem jedes Feld des einen Schemas seine Ergänzung a n dem gleichen des anderen findet. Freilich ist der Wert dieser Schemata überhaupt ein transitorischer. D e n n sie tragen, indem sie Momente des Geistes im Medium des A u ß e r einander (neben- bzw. nacheinander) darstellen müssen, die der Idee nach in eins deren Leben ausmachen, alle Merkmale der Vorstellung. I m m e r h i n ist die in ihnen fixierte Sonderung der Momente insofern notwendig, als erst dadurch das Werden des Ganzen (des Geistes) über-

157

cf. Gl 10/450, Sk 10/370 (§ 561).

152

Sünde und Gottesgedanke

haupt erkennbar wird. Geist ist sicher nicht, was sich so fixieren läßt, aber indem er die Fixierungen als seine Werdemomente wieder aufhebt, vermag er sich zu erkennen. D. h. die Vorläufigkeit solcher Schemata, ihre Unangemessenheit gerade kann, indem sie sich zur Darstellung bringt, das, was sie nicht abbilden können, sichtbar machen, indem sie sich aufheben. Beziehen wir abschließend den Gedanken der Sünde, des Bösen auf die eben entwickelten Schemata, so stellt er sich dar als eigentümliche Modifikation des Entzweiungsmomentes (eben als Entfremdung, dazu s. o. Kap. 3, S. 57 ff.). Sünde ist dasjenige Moment, das an der Genesis des absoluten Geistes teilnimmt (ihre „Notwendigkeit"), aber derart, daß diese darin gehemmt wird (ihre Zufälligkeit). Sie ist das Moment von Subjektivität, das sich der Vermittlung von Form und Inhalt zum Geist entzieht 158 . Dies ist nur möglich, indem es sie in sich selbst leistet — gleichsam ihr unfreiwilliger Tribut an den Geist, von dem sie als Gegengeist noch lebt. Das Böse ist so potenzierte Form; subjektive endliche Form, die sich selber festhält, ihr eigener Inhalt ist (quasi-absolut) und so unmittelbar in pure Inhaltlichkeit umschlägt (unmittelbare Natürlichkeit, Sinnlichkeit)159. Sünde als Reflexion der Form in sich ist im Sichausschließen von der Vermittlung zu gehaltvoller Identität definitiv leere Form (cf. o. S. 147). Demgegenüber könnte der Fall als notwendiges Entzweiungs- und Durchgangsmoment als offene Form bezeichnet werden. Die im Gedanken des Falles gesetzte Offenheit bezieht sidi krisenhaft sowohl auf geisthaft-absolute wie auf sündig-leere Identität. Das Böse erschien oben (s. 149) gleichermaßen als Abstraktion wie Unschuld etc. Diese selber abstrakte Analogie muß nun ergänzt werden. Denn Unschuld als abstrakter Bezugspunkt ist ein undialektisch-notwendiges Moment, weil Freiheit, durch die das Dialektische in die Bestimmungen hineinkommt, in ihr, wie sie für sich ist, gerade nicht gesetzt ist. Das Böse dagegen ist gerade — wie früher gezeigt — als dialektisches Zugleich von Notwendigkeit und Zufälligkeit, weil eben akute Krise der Freiheit. Im Gedanken des Bösen gewinnt — als Mißbrauch von Freiheit — die Dialektik von Form und Inhalt folgende Gestalt. Subjektive Form, 158 159

cf. Gl 16/4, Sk 17/10. cf. Gl 12/215, Sk 13/205; Gl 13/366 f., Sk 14/363; Gl 16/389, Sk 17/376.

Absoluter Geist als Bewegung von „Form" und „Inhalt"

153

die vermittelt durch den absoluten Inhalt selber an absoluter Form partizipieren könnte (d. h. absolute Identität finden könnte), madit sich selber zur absoluten Form, indem sie sidi Inhalt wird. Ihr subjektiver Inhalt ist das, wozu sie sich reduziert, indem sie an sich festhält. Daß subjektive Form sidi absoluter Inhalt wird und absolute Form sich auf subjektiven Inhalt reduziert, madit den Widersprudi des Bösen im Geiste aus. Diese zufällige Synthese von subjektiver Form und subjektivem Inhalt sdieidet sidi selber von Gott als der notwendigen Einheit von absoluter Form und absolutem Inhalt. Vor ihr, die als Einheit der Notwendigkeit, absolutes Wesen ist, ist Sünde nichtig, der bloße Sdiein, als welcher ihr Unwesen allein Sein hat1®9. Schema II

Unschuld

Fall

Versöhnung

als Indifferenz

als Differenz

als dialektische Einheit

von Form und Inhalt

von Form und Inhalt'

von Form und Inhalt

Subjekt

Gottesbegriff

Subjekt

Gottesbegriff

Gottesbegriff

Subjekt

i

O μ« Cl

als Bewegung der Form

PanUnfreiheit theismus

formalfreie Subjektivität156

Geist

ϋ 1 Ί Μ υ Fremder Gott157

.S «Γ

1 *ϊ3

absolutfreie Subjektivität

-C

C ö

"Ñ Π

£ Sittlichkeit als

J3

Bewegung des Inhalts

selbstlose Natur

natürlichtote besonderes Alleinheit Selbst

cf. Gl 15/232, Sk 16/213 u. o. Anm. 69).

υ

Gesetz

e ν

j5 »

als freie Hingabe in die Einheit mit Gott

Gott als Liebe (geisthafter, weil mit Freiheit geeinter Gottesbegriff) Gott als wahres Leben des Subjektes

EXKURS II

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt Bezüglich des permanent erhobenen Pantheismusverdachts ist die Interpretation Hegels in der Lage, sich auf seine eigenen Äußerungen dazu direkt beziehen zu können. Die Selbstdeutung der Hegeischen Philosophie im Verhältnis z u m Pantheismusproblem darf keinesfalls übergangen werden. Diese Selbstdeutung nachzuvollziehen, soll hier durch exemplarische Interpretation einer einschlägigen Passage der Phänomenologie-Vorrede versucht werden, der wir Satz f ü r Satz nachdenken wollen — immer im Blick auf das in Rede stehende Problem (a). D a r a u f folgt eine D a r stellung von Hegels kritischer Auseinandersetzung mit dem Pantheismus u n d Pantheismusvorwurf in seinen anderen Schriften — besonders in der „Wissenschaft der Logik" u n d der Religionsphilosophie (b). D a s hierbei leitende Schema Substanz — Subjekt erweist sich weiterhin als ein Schlüsselprinzip der Religionsphilosophie Hegels. Es gestattet, die religiöse Genesis der Subjektivitätsthematik als das Thema der philosophischen Religionsgeschichte zu rekonstruieren (c). D e n Exkurs beschließen Reflexionen über das Verhältnis von Pantheismus und Sündenbegriff, die die Funktion des Subjektivitätsprinzips im Sinne der bisherigen D a r stellung bestätigen werden (d). D i e zunächst folgende Textinterpretation erhebt natürlich nicht den Anspruch einer Gesamtdeutung der Partie selber u n d ihres Zusammenhangs mit der „Phänomenologie des Geistes" u n d Hegels System als ganzem — auf welches die „Vorrede" ursprünglich abzielt. Vielmehr hebt meine Interpretation allein auf den Gottesbegriff ab. Sie setzt dabei voraus, d a ß — gemäß jener dialektischen Koinzidenz v o n Gottesbegriff u n d Begriff des Absoluten, die sich im Geistbegrifï darstellt (cf. o. S. 135 f.) — Hegels Ausführungen auch hinsichtlich seiner Gotteslehre interpretierbar sind. Für die Legitimität dieses Verfahrens spricht weiterhin, d a ß das Schema Substanz — Subjekt sich als durchgängiges Interpretationsmodell der Gottesbegriffe in der Religionsphilosophie (s. u. Abschnitt c) wie auch in der Phänomenologie selber erweist. Schließ-

Substanz als Subjekt: Versuch einer Interpretation

155

lidi ist die Möglichkeit unserer Deutung durch Hegel selber legitimiert, der sich im folgenden Textzusammenhang (und darüber hinaus) mehrfach auf Aussagen über Gott bezieht, um daran die Subjektivierung der Substanz zu demonstrieren (cf. u. Satz 7, S. 162 und Anm. 11). Die Nummerierung der Sätze des Hegeltextes durch midi und meine Gliederung der Interpretation durch Buchstaben dienen der Übersichtlichkeit und der Möglichkeit von Querverweisen. Jene werden nach dem üblicherweise zitierten Hoffmeisterschen Text (H) geboten. Die entsprechenden Seitenzahlen der Jubiläumsausgabe (Gl) und der SuhrkampWerkausgabe (Sk) sind beigefügt.

a) Substanz ah Subjekt — Versuch einer

Interpretation

1. „Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken." (Gl 222 Sk322f Hi9)

a) Die zentrale Einsicht des Hegeischen Denkens, deren Hauptbestimmungen im folgenden erläutert werden, besteht in der Erkenntnis, daß das Absolute, das mit dem Wahren identisch, die Wahrheit ist1, sowohl Substanz wie Subjekt sei. Das Absolute ist beides, und zwar „eben so sehr" das eine wie das andere. Seine Wahrheit ist also, als Substanz subjektiv und als Subjekt substantiell zu sein. b) Diese Wahrheit ist denkend nicht nur „aufzufassen", sondern auch „auszudrücken". D. h. die Identität von Substanz und Subjekt ist im Denken nicht lediglich zu meinen2 (hier = bloß behaupten, versichern, als unexplizierte und unexplizierbare Vorstellung zugrunde legen, naiv anthropomorph argumentieren — vorstellend denken 8 ), sondern auszusagen, denkend zu explizieren 4 (cf. Satz 11, u. S. 168) — in 1

cf. Gl 2/69, Sk 3/70, H/65: „das Absolute (ist) allein wahr, oder das Wahre allein absolut . . U b e r h a u p t werden „das Absolute" und „die Wahrheit" synonym gebraucht; cf. Gl 2/67, 68, 69, Sk 3/68, 69, 70, H/63, 64, 65. 2 cf. Gl 2/91 f., Sk 3/91 f., H/88. » cf. Gl 2/54, Sk 3/56, H/48. 4 cf. Gl 2/26, Sk 3/26, H/22: „das Bedürfnis . . . vorzustellen"; „nur geradezu als Subjekt gesetzt, nicht aber als die Bewegung des sich in sich selbst Reflektierens dargestellt"; cf. Gl 2/70, Sk 3/71, H/66.

156

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

welcher Explikation eben Philosophie besteht, als „in ihrer Wahrheit ausgeführt u n d ausgebreitet" 5 . I m begreifenden „Begriff" h a t W a h r h e i t erst ihre w a h r e Existenz®. Er ist „unterscheidender Begriff" 7 , u n d die Hauptsache f ü r Philosophie ist, den „Begriff" zu geben 8 . c) Dies w i r d geleistet in der „Darstellung des Systems" 9 . D a s System ist (erst) die geforderte Darstellung des Absoluten, indem es Subjektsein der Substanz u n d Substanzsein des Subjekts begreifl. Hegels System f o r d e r t demnach v o n sich, alles, was ihm Gegenstand ist, zu begreifen als Moment a n u n d in der sich realisierenden Subjektivität Gottes als der Substanz: „aller Inhalt seine eigene Reflexion in sich" 10 . d) Schon hier l ä ß t sich also sagen (was im folgenden bestätigt u n d präzisiert werden soll): in Hegels D e n k e n w i r d die Subjektivität Gottes als die wirkliche Wahrheit verstanden u n d ausgelegt. D e r Gottesgedanke w i r d nicht als abstrakte Vorstellung („persönlicher G o t t " ) zugrundegelegt 11 u n d daraus deduziert (in Unmittelbarkeit des Seins sowohl dieser Vorstellung als auch des Deduzierens; s. u. Satz 2), sondern als Bewegung, als „Selbstbewegung" 1 2 , also als wirkliches Subjekt gedacht. 2. „Zugleich ist zu bemerken, daß die Substantialität so sehr das Allgemeine oder die Unmittelbarkeit des Wissens selbst, als audi diejenige, weldie Sein oder Unmittelbarkeit für das Wissen ist, in sich schließt. —" (Gl 222 Sk323 Hl9)

5

cf. Gl 2/70, Sk 3/71, H/66. « cf. Gl 2/15, Sk 3/15, H/12. 7 cf. Gl 2/16, Sk 3/16, H/13. 8 cf. Gl 2/70, Sk 3/71, H/66. 9 cf. Gl 2/13, Sk 3/13, H/11: „das schwerste . . . , seine Darstellung hervorzubringen", cf. die Betonung der Ausführung, ebend. Gl 2/14, Sk 3/14, H/12: „Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein." Gl 2/27, Sk 3/27, H/23: „daß das Wissen nur als Wissenschaft oder als System wirklich ist . ..". Gl 2/27, Sk 3/28, H/24: „Daß das Wahre nur als System wirklich, oder daß die Substanz wesentlich Subjekt ist . . c f . Anm. 4). 10 cf. Gl 2/51, Sk 3/53, H/45. 11 Zur Dialektik solcher Vorstellung cf. Gl 2/26 f., Sk 3/26 f., H/22 f. und Gl 2/33, 58, 60, 527, Sk 3/35, 59, 62, 504, H/29, 51, 54, 482. 12 cf. Gl. 2/27, cf. 25, 43, Sk 3/27, cf. 26, 45, H/23, cf. 22, 37 f.

Substanz als Subjekt: Versudi einer Interpretation

157

a) Auf dem Standpunkt, wo Gott als Substanz gefaßt wird, hat sowohl Gott als Objekt des Wissens den Charakter unmittelbaren (bloßen) „Seins" als auch das Wissen von ihm selber18. Wissen und Gewußtes sind hier konstituiert in starrer, sich selbst gleicher Allgemeinheit, die ohne Besonderung, Vermittlung in sich einfach nur ist. Das nimmt der folgende 3. Satz auf. b) Wenn dagegen Gottes Subjektivität als solche gedacht wird, kann sie nur als eine sich vollziehende Bewegung („Leben", cf. Satz 4 a) begriffen werden. Zugleich damit verliert audi das Wissen von Gott den Charakter der Unmittelbarkeit und muß sich als durch die Bewegung (Selbstvermittlung), als die allein Gott Subjekt ist, selber vermittelt begreifen 14 . 3. „Wenn, Gott als die Eine Substanz zu fassen, das Zeitalter empörte, worin diese Bestimmung ausgesprochen wurde, so lag teils der Grund hievon in dem Instinkte, daß darin das Selbstbewußtsein nur untergegangen, nicht erhalten ist, teils aber ist das Gegenteil, welches das Denken als Denken festhält, die Allgemeinheit als solche, dieselbe Einfachheit oder ununtersdiiedne, unbewegte Substantialität; und wenn drittens das Denken das Sein der Substanz mit sich vereint und die Unmittelbarkeit oder das Ansdiauen als Denken erfaßt, so kommt es nodi darauf an, ob dieses intellektuelle Ansdiauen nicht wieder in die träge Einfachheit zurückfällt und die Wirklichkeit selbst auf eine unwirkliche Weise darstellt." (Gl 222t Sk323 Hl9f)

a) Dieser Satz kritisiert den Standpunkt der Substantialität und seine Spielarten und tut so die Notwendigkeit seiner dialektischen Identität mit dem der Subjektivität dar. Die Darstellung von dessen Mängel ist zugleidi als eine der positiven Momente dieses zu lesen. b) Gott als „die Eine Substanz" zu fassen, ist der Gedanke Spinozas (s.u. S. 172). Hegels Auseinandersetzung mit dem Pantheismus ist stets eine mit dessen Standpunkt, wie der Abschnitt b) unseres Exkurses näher zeigen wird. Wir dürfen also die hier vorkommenden Aussagen audi als Hegels Kritik des Pantheismus verstehen bzw. als Kritik jener Lehre von Gott. Diese Kritik folgt dem „Instinkt" des Zeitalters Spinozas,

" 14

cf. Gl 2/15, Sk 3/15, H/12 f. cf. Gl 2/26 f., Sk 3/27, H/23.

158

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

das bereits dessen Lehre kritisierte 15 . Hegel kann sie sich aneignen, weil sidi in ihr ein unbewußtes Wissen um die Idee Geltung verschaffte. In der Diskussion zwischen Spinoza und seiner Zeit ist die wahre Idee schon enthalten. Sie ist nur noch als solche zu begreifen, und eben dieses Herausstellen dessen, was schon vorhanden ist, will Hegels Denken leisten. c) Die kritische Aufführung der drei Mängel („teils . . . teils . . . drittens") des Substanz-Standpunktes in seinen Spielarten gehorcht selber einer bestimmten Logik. Diese bestimmt das sich (geschichtlich) entwikkelnde Begreifen jener wahren Idee bis zur immanenten Vollendung, α) Im Gedanken der Substanz ist das Selbstbewußtsein „nur untergegangen". Indem Gott bloßes „Sein oder Unmittelbarkeit für das Wissen" (s. o. Satz 2) ist, kann dieses sidi in ihm nicht wiederfinden1®. Freiheit des Selbstbewußtseins ist in der Substanz ausgelöscht17. Der Idee des Geistes nadi soll Selbstbewußtsein sich aber in Gott (auch) „erhalten", die Substanz für das Selbstbewußtsein „aufgeschlossen" werden 18 . Das wahre Verhältnis ist eins der „Aufhebung" im spezifisdi Hegelschen Sinn. Kapitel 5 unserer Arbeit zeigt, wie für Hegel Selbstbewußtsein in der Hingabe an Gott gerade seine Identität findet: indem Selbstbewußtsein sich als endliches aufgibt, gewinnt es sidi als unendliches. Dies ist nur möglich, weil Gott selber Subjektivität ist. Das auszuschließen, ist der Mangel der Substanz. ß) Diesem Mangel gegenüber besteht das Denken Descartes' und Fichtes auf dem „Denken als Denken", dem reinen Ich. Dieser Standpunkt soll das Selbstbewußtsein als „Gegenteil" der Substanz zur Geltung bringen. Aber diese Antithese ist mit ihrer These identisch: „die Allgemeinheit" des Denkens ist ebenso „Einfachheit", „ununtersdiieden", „unbewegt" wie die Substantialität 19 . Sie ist „das Allgemeine oder die Unmittelbarkeit des Wissens selbst" (s. o. Satz 2). Via negationis läßt sich aus den hier genannten Attributen der Substanz erschließen: für Hegel ist der wahre Gott als subjektive Substanz und substan15

16 17 18 19

Wörtlidi diese Formulierung: Gl 4/672, Sk 6/195, LII/165, cf. Gl 19/375, Sk 20/164. Das „substantielle Wissen" ist „begriiflos" ; Gl 2/17, Sk 3/18, H/15. cf. audi Gl 2/17 f., Sk 3/18, H/15. cf. Gl 2/16, Sk 3/16, H/13. cf. Gl 2/52, Sk 3/54, H/46, cf. Gl 16/507, Sk 17/491.

audi

Substanz als Subjekt: Versuch einer Interpretation

159

tielles Subjekt sich besondernde Allgemeinheit, Unterscheidung von u n d i n sich, Bewegung, nicht-einfach (nämlich: „dreifältig"). D e r gestalt Geist, entspricht ihm geisthaftes Wissen v o n ihm. d ) W a r ß) eine unmittelbare Kritik, die als solche dem Kritisierten im wesentlichen verhaftet blieb, so ergibt sich „drittens" als Weiterbildung des Substantialitätsstandpunktes eine Synthese v o n a) u n d ß), die D e n ken und Sein, Anschauen u n d Substanz 2 0 miteinander „vereint" als „intellektuelles Anschauen". H i e r i n ist die Philosophie Schellings als V e r b i n d u n g spinozistischer u n d fichtischer Motive gekennzeichnet. In dieser Philosophie sieht Hegel eine Synthese von Substanz u n d Subjekt u n d dergestalt das Resultat der neueren Philosophiegeschichte. Aber diese Synthese ist hier selber nodi unmittelbar, d. h. substanzhaft gefaßt. Ihre G e f a h r ist daher, d a ß sie „wieder in die träge Einfachheit zurückfällt", die der Substantialität anhaftet (cf. ο. β). e) Stellt sich die Synthese des dritten Standpunktes als unmittelbar u n d substanzhaft dar, so f a ß t sie die Wirklichkeit Gottes 2 1 „auf eine unwirkliche Weise". D a r a u s ist zu entnehmen, d a ß wirklich f ü r Hegel subjekthaft heißt 2 2 . Wirklichkeit m u ß hier also als nomen agens gelesen werden. Darstellung der Wirklichkeit Gottes auf wirkliche Weise besagt: Denken seiner als Subjekt, Realisierung v o n Gottes Subjektivität im Denken. D a b e i ist dieses Realisieren selber von dieser Subjektivität bestimmt. D e n k e n m u ß an der Subjektivität Gottes teilnehmen, weil es diese sonst — d. h. außerhalb ihrer — relativiert u n d eo ipso objektiviert. S o heißt es: „Das Geistige allein ist das Wirkliche" 2 3 . 4. „Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit Subjekt, oder was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des Sichselbstsetzens, oder die Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst ist." (Gl 2 23 Sk3 23 H 2 0 )

20

21

22 23

Durch Anschauung und Substantialität wird Schellings Denken auch sonst charakterisiert, ζ. B. Gl 15/405 f., Sk 16/379. „die Wirklichkeit" meint hier auch die „absolute Wirklichkeit", cf. Gl 2/22, Sk 3/22, H/19. cf. Gl 2/44, cf. 24, Sk 3/46, cf. 24, H/39, cf. 21. Gl 2/27, Sk 3/28, H/24.

160

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

a) Die erste Satzhälfte (bis „ . . . wirklich ist") artikuliert den Begriff des absoluten Geistes**. Wahre Wirklichkeit muß begriffen werden als Vollzug der substantiellen Subjektivität. Nur als subjekthaft sich vollziehend, ist die Substanz „lebendig"45, und nur als substantiell ist Subjektivität das Wesen der Wirklichkeit. Allein indem Subjektivität als substantielles Wesen der Wirklidikeit und Substanz als in der Bewegung von Subjektivität sich realisierend gewußt wird, kann Geist als wirklich und Wirklidikeit als geisthaft gewußt werden bzw. sich wissen. Hegels Worte sind eine Kurzformel, die die Richtigkeit unserer bisherigen Interpretation der Sätze 1—3 erweist. b) In der zweiten Satzhälfte werden die Bedingungen formuliert, unter denen der Prozeß des Geistes gedacht werden muß („nur insofern . . . " ) . Die Wendung „Bewegung des Sichselbstsetzens" beschreibt die Absolutheit des Geistes als „lebendiger Substanz". Wann ist eine Bewegung „Sidiselbstsetzen"? Dazu sind zwei Bedingungen zu denken. Erstens: ein Sidi-von-sich-Untersdieiden, ein Sichabstoßen von sich, d. i. „Sichanderswerden". Zweitens: gerade darin sich erkennen, zu sich kommen, für sich werden, d. i. „Vermittlung . . . mit sich selbst". Als diese Bewegung ist die Substanz wahrhaft sie selbst, weil audi in ihrem Anderssein nodi bei sich; als so übergreifend ist sie „lebendig". Ansichsein wird wirklich als Fürsidi — das ist Subjektivität. Subjektivität denken, heißt diese Bewegung denken. Gott wird gedacht, wenn diese Bewegung als die Substanz von allem gedacht wird. 5. „Sie ist als Subjekt die reine einfache Negativität, ebendadurdi die Entzweiung des Einfachen;

24

25

Der Satz präzisiert Subjektivität als solche. Das Subjekt ist einfach, d. h. anderes negierend, Seine Negativität ist daher: Sich-auf-sich-Beziehen. Eben das stiftet „Entzweiung des Einfachen" (gen. subj.), das in der Negation von anderem sich konstituiert. Zugleich aber ist jene als Entzweiung (des Einfachen; gen. obj.) in sich, da ihr Selbstbezug vermittelt ist (Sidi-auf-sidi).

cf. ebend. Zum Verhältnis von Spinoza-Kritik, absolutem Geist und Pantheismusproblem cf. E. Hirsch, Idealismus und Christentum a. a. O. S. 138. Leben ist „Selbstbewegung", cf. Gl 2/43, Sk 3/45, H / 3 7 f.

Substanz als Subjekt: Versuch einer Interpretation

161

oder die entgegensetzende Verdopplung,

Subjekt ist so, was sich verdoppelt und sith selbst sich entgegensetzt. Damit ist die Formel des Selbstbewußtseins erreicht: Ich = Ich; Selbstbeziehung als Selbstunterscheidung dessen, was eins ist; Einheit der Entzweiung. Da Ich=Idi, ist das Unterschiedene gleich (gülwelche wieder die Negation dieser gleichgültigen Verschie- tig), sein Gegensatz keiner, d. h. zu negieren denheit und ihres Gegensatzes bzw. negiert (Einheit des Selbstbewußtseins : Fürsich des Fürsidiseins). ist: nur diese sich wiederherstellende Gleichheit

Subjektivität ist als „sich bewegende Sichselbstgleichheit"2® diese Selbstbeziehung der Gleichheit: Voraussetzung einer Gleichheit mit sich, um sich, als in der Beziehung darauf eo ipso sich davon unterscheidend (entzweiend), „wieder" zu finden; d. i. Sich-Gleichwerden: 1. Ausgangspunkt setzen, 2. Entzweiung von sich in diesem Setzen, 3. so sich finden.

oder die Reflexion im Anderssein in sich selbst

= „Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst" (s. o. Satz 4) in folgenden Momenten: 1. Anderssein 2. Anderssein seiner selbst, eigenes A. 3. = Rückkehr zu sich 4. gerade im Anderssein.

— nicht eine ursprüngliche Einheit als soldie, oder unmittelbare als solche —

Als nur unmittelbar seiend schließt Substanz als Ursprung Subjektivität aus (cf. „Unschuld"). So gewinnt sie (er) Wirklichkeit erst in seinem Verlassenwerden26». Diese Entzweiung ist Emanzipation des Fürsichseins, zugleich unvollendet (Fall). Ihr Telos ist entfaltete Einheit: Geist als vermittelter Ursprung. Die subjekthafte Wirklichkeit Gottes ist das wahre Ganze als sich herstellendes Resultat.

ist das Wahre." ( G l 223

Sk323

H20)

6. „Es ist das Werden seiner selbst, der Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfange hat und nur durch die Ausführung und sein Ende wirklich ist." (G1 2 2 3

Sk3 2s

H20)

M

Gl 2/25, Sk 3/25, H/21, «•»cf. Gl 2/348, Sk 3/336, H/325.

11 Ringleben, Hegels Theorie

162

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

a) Dieser Satz denkt Gott als Entelechie27. Seine Wahrheit ist mit der Zirkelstruktur von Subjektivität identisch. Das Fürsich ( = „Zweck") ist für das „Ende" ( = realisiertes Fürsich) schon vorausgesetzt 28 . „Anfang" ist Ansidisein des Fürsich, „Ende" ist Fürsich des Ansich 29 . Solchermaßen ist der Geist Verwirklichung des Fürsich, sich durch Entzweiung herstellendes An-und-Für-sich-Sein, der Anfang als Zweck, Einheit von Begriff und Wirklichkeit 30 , Substanz als Realisierung der Subjektivität. 7. „Das Leben Gottes und das göttlidie Erkennen mag also wohl als ein Spielen der Liebe mit sich selbst ausgesprochen werden; diese Idee sinkt zur Erbaulichkeit und selbst zur Fadheit herab, wenn der Ernst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt." (Gl 2 2 3

Sk3 2 4

H 2 o)

a) Dieser Satz vollzieht die erste ausdrückliche Anwendung der spekulativen Idee der Einheit von Substanz und Subjekt auf den Gottesgedanken und legitimiert so rückwirkend unseren Interpretationsversuch, der die Aussagen der Sätze 1—6 als implizite Aussagen über Gott verstand (cf. auch Satz 3). Dies dokumentiert im Text eindrücklich die Parallele von „Die lebendige Substanz . . . " , womit der vorausgehende Absatz im Hegeltext beginnt (s. o. Satz 4) und „Das Leben Gottes . . . " , womit dieser beginnt. b) Gottes Leben ist nach allem Vorigen seine Subjektivität als Prozeß des Geistes. Hier werden nun die Konsequenzen ausdrücklich gemacht, die sich aus den Bedingungen, unter denen Subjektivität allein zu denken ist (cf. Satz 4 b) und Satz 5), für die Bestimmung des göttlichen Seins als wirklichen Lebens ergeben (s.u. d). Als Geist ist „Leben Gottes" identisch mit dem „göttlichen Erkennen". Gottes Leben ist, sich zu erkennen. So, als für sich, ist er Geist. „Göttliches Erkennen" ist also Gottes Erkenntnis seiner selbst in der Erkenntnis Gottes (gen. subj.): in dem, was Gott erkennt, erkennt er sich selbst. „Göttliches Erkennen" ist aber zugleich auch Erkenntnis Gottes als gen. obj.: in dem, der Gott erkennt,

27 29 29 80

cf. Gl 2/25 f., Sk 3/26, H/22 und o. Kap. 5 c), S. 136 f. cf. Gl 2/25 f., Sk 3/26, H/22; Gl 16/510, Sk 17/494. ebend. cf. Gl 2/25, Sk 3/25, H/22. ebend.

Substanz als Subjekt: Versudi einer Interpretation

163

erkennt dieser sich selbst. (Cf. zum „göttlichen Selbstbewußtsein" c. 5, o. S. 144; cf. auch Satz 2 b), 3 e).) Göttliches Erkennen als Leben Gottes heißt demnach: Gott weiß von sich in seinem Anderssein, das zugleich Wissen von ihm ist31. Das wirkliche Leben des Geistes ist nicht „reine Selbstanschauung", cf. u. Satz 11. c) Die religiöse Vorstellung bedient sich gern zur Veranschaulichung des göttlichen Lebens des Bildes von der Liebe, die sidi selbst in ewiger Vollendung als Einheit mit dem Geliebten genießt. Da sich aus der Tradition wie aus der Hegel zeitgenössischen Theologie und religiösen Literatur hierfür unschwer viele Belege geben ließen, ist wohl kaum zu bestimmen, welche Autoren Hegel an dieser Stelle speziell meint und ob überhaupt. Immerhin erklärt er diese Vorstellung für legitim — und er hat von ihr namentlich in der Religionsphilosophie selbst auch Gebraudi gemacht; man denke auch an die Jugendschriften — unter der Bedingung, daß Gottes Leben als sich findende und erfüllende Subjektivität auch wirklich gedacht wird. Was diese Wirklichkeit ausmacht, benennt der wenn-Satz (s. u. d). Geschieht das nicht, so wird die Idee Gottes zur faden Sentimentalität, die im schlechten Sinne bloß erbaulich ist. Vor solcher Erbaulichkeit hütet sich Philosophie durch die Anstrengung des Begriffs32, indem sie die sich verwirklichende Subjektivität Gottes auch „wirklich" denkt und expliziert, anstatt sich an der trüben Vorstellung einer unbestimmten Göttlichkeit 33 — die ist wie „das gestaltlose Sausen des Glockengeläutes oder eine warme Nebelerfüllung" 34 — als ein bloß „musikalisches Denken" 35 zu betätigen 36 . d) Subjektivität impliziert — wie Satz 4 und 5 ausführen — Negativität 37 . Sie ist nur als deren Überwindung, indem sie Einheit durch Selbstunterscheidung, Zusichkommen in Entzweiung ist. Das Moment der Negativität in sich, der Entzweiung von sich macht den Wirklichkeitsernst der Subjektivität aus. In Gottes Leben ist es als jener „unendliche 31 cf. Gl 2/28, Sk 3/29, H/24. » cf. Gl 2/54, cf. 17, Sk 3/56, cf. 17, H/48, cf. 14. 33 ebend. 34 cf. Gl 2/172, Sk 3/168, H/163. 35 ebend. M cf. auch Gl 2/15 f., Sk 3/15 f., H/12 f. 37 cf. Gl 2/25, Sk 3/26, H/22: „Seine Kraft zu bewegen, abstrakt genommen, ist das Fiirsichsein oder die reine Negativität." Gl 2/25, Sk 3/25, H/21: „das Moment des fürsidiseienden Idi, die reine Negativität. .

11·

164

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

Schmerz", von dem auch die Religionsphilosophie spricht (cf. o. S. 89). Die „Arbeit des Negativen" ist insofern das eigentlich Lebendige der Subjektivität; das, was sie als Prozeß vorantreibt auf sich zu. Zugleich ist sie damit auch die „geduldige", d. h. kontinuierliche, weil gleichermaßen konstitutive Richtung auf ihre eigene Überwindung: Negation des Negativen. „Arbeit des Negativen" ist so ebenfalls gen. subj. und obj. (Das Letzte erweist auch der nächste Satz.) Gottes wirkliche Subjektivität impliziert Negativität, heißt also, sie ist nicht unmittelbar, sondern sich selbst verwirklidiend. 8. „Ansicb ist jenes Leben wohl die ungetrübte Gleidiheit und Einheit mit sidi selbst, der es kein Ernst mit dem Anderssein und der Entfremdung, so wie mit dem Oberwinden dieser Entfremdung ist." (Gl 2 23 Sk3ü4 H 2 0 )

a) Die Wirklichkeit des Geistes als Selbstverwirklichung wäre nicht möglich, ohne eine ihr wesentliche „ungetrübte Gleichheit und Einheit mit sich selbst". Diese ist ihr „An-sich" als Grund und Ziel des Prozesses. Aber das, was ihn ermöglicht, ist nur wirklich als Für-sich-sein (s. u. Satz 9). b) „Ungetrübte Gleichheit und Einheit mit sich selbst" ist das ewige Wesen Gottes in sich selbst. Also nur sein An-sich ist „reine Selbstanschauung" (cf. u. Satz 11). Dies ist theologisch der Gedanke der immanenten Trinität, der Einheit Gottes mit sich als ewiger Sohn, die Hegel in der Phänomenologie als den „nur ewige(n) oder abstrakte(n) Geist" im Element des „reinen Denkens" 38 und in der Religionsphilosophie als „das Reich des Vaters" 39 beschreibt. Hier ist ein Unterschied gesetzt, der keiner ist. Daher ist immanente Trinität nur ein Moment im Prozeß des Geistes (cf. o. c. 5, S. 140). Sie beschreibt noch nicht die wirkliche Subjektivität Gottes, nur ihre Voraussetzung. Weil sie nicht „Ernst" mit der Entzweiung macht, ist in ihr kein wirkliches Fürsichsein gedacht. c) Dieser Wirklichkeitsernst kommt im göttlichen Leben erst als „Anderssein" und „Entfremdung" vor 40 . Insofern in diesen Begriffen das gedacht ist, was wir oben als Fall und Sünde beschrieben (cf. c. 3 38 39 40

cf. Gl 2/584 ff., Sk 3/558 ff., H/534 ff. cf. Gl 16/223 ff., Sk 17/218 ff. Der Geist „gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet". (Gl 2/34, Sk 3/36, H/30).

Substanz als Subjekt: Versuch einer Interpretation

165

und 4) haben, wird an dieser Stelle ihre wichtige Bestimmung für Gottes Subjektivität betont. Sie lassen sich aber nur so auf Gottes Leben beziehen, daß zugleich ihre Negation gedacht wird. Daher ist hier audi von „dem Uberwinden dieser Entfremdung" die Rede. Es meint die Versöhnung, in der Gott das Entzweite mit sich vereint. Entfremdung und ihre Überwindung — das ist die „Arbeit des Negativen" in Satz 7. 9. „Aber dies Ansich ist die abstrakte Allgemeinheit, in welcher von seiner Natur, für sich z« sein, und damit überhaupt von der Selbstbewegung der Form abgesehen wird." ( G l 223

Sk324

H 2 O)

a) Der Gedanke Gottes als absoluter „Gleichheit und Einheit mit sich selbst" (cf. o. Satz 8) ist an sich das Wahre als das Ganze. E r denkt Gottes „Allgemeinheit", aber zugleich auf nur „abstrakte" Weise 41 . Mit dem Prädikat „abstrakt" ist hier ein dreifacher Mangel jenes Gedankens benannt. Erstens ist die Allgemeinheit, als die Gott ist, nur unmittelbar (seiend) vorgestellt. Ihr fehlt das Moment der Vermittlung, durch das sie „die wahrhafte Substanz" 4 2 , d. h. Subjekt ist. Genauer: Gottes Allgemeinheit kann nur als Resultat (cf. Anm. 47) seiner Selbstvermittlung gedacht werden. Denn nur so erweist sich der Gedanke Gottes als wahrhaft allgemein, indem audi seine Vermittlungen umfassend. Das führt zu zweitens. Der unmittelbar gedachten Allgemeinheit steht das Besondere unvermittelt als etwas ganz Anderes gegenüber. Sie ist insofern selber eine nur besondere Allgemeinheit. Wahre Allgemeinheit ist sie nur als sich durchsetzende Allgemeinheit, die sich dadurch herstellt, daß sie sich selber besondert und so für sich wird. Das heißt aber, daß diese ansichseiende Allgemeinheit nur Moment sein kann. Darin liegt drittens, in dieser Allgemeinheit ist Gottes Leben abstrakt im Sinne von „unwirklich", d. h. für Hegel nidit-subjekthaft gedacht. Wirklich ist Gottes Leben erst als für sich seiend. Die Unmittelbarkeit jener Allgemeinheit, die im dreifachen Sinne „abstrakt" heißt, ist mangelhaft, mit einer Negation behaftet. Sie hat diese Negation aber außer sich, nicht in sich, und so ist sie beschränkt bzw. sich selbst nicht genügend. Hätte sie die Negation in sich, als Mocf. Gl 2/24, Sk 3/24, H/21: „Der Anfang, das Prinzip oder das Absolute, wie es zuerst und unmittelbar ausgesprochen wird, ist nur das Allgemeine." » Gl 2/34, Sk 3/36, H/30. 41

166

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

ment ihrer selbst, so wäre sie allgemein und vermittelt, besondert, subjektiv in sich. Denn eben das Negative ist es, was Subjektivität konstituiert (cf. o. Satz 7 d), S. 163 f.). b) Dies spricht der Satz selber aus, indem er sagt, daß die Abstraktheit des Allgemeinen darin gründet, daß von etwas „abgesehen wird", und zwar „von seiner (d. i. des göttlichen Lebens, cf. Satz 7 und 8) Natur, für sich zu sein". Demnach wäre die wirkliche Allgemeinheit Gottes seine Subjektivität als Selbstvermittlung, Selbstbesonderung und Selbstverwirklidiung. In solchem sich realisierenden Fiir-sidi-sein erfüllt sich Gottes wahre „Natur". Ihr entspricht theologisch die „emanente Trinität", in der sich Gottes Wesen verwirklicht. Hegel meint dies im Begriff des „absoluten Geistes", in dem Gottes Sein sich als sein Wissen von sich vollendet. c) Wie der Satz sagt, wird im Fürsichwerden des Ansich die abstrakte Allgemeinheit zur Subjektivität, die also als Selbstbesonderung konkrete Allgemeinheit ist. Dies Fürsichwerden wird hier auch als „Selbstbewegung der Form" bezeichnet43. Es kann nicht Aufgabe der begrenzten Interpretationsabsicht innerhalb dieses Exkurses sein, die logischen Implikationen dieser Formel zu entfalten. Wir folgen im Zusammenhang unserer Fragestellung lediglich den Aussagen der nächsten Sätze, in denen es eben um das Formproblem geht. Hier entnehmen wir zunächst der Formulierung, daß Hegel offenbar Subjektivität als Form denkt 44 . Indem weiter die göttliche Subjektivität als Selbstbewegung der Form erscheint, ist es impliziert, daß Substanz in solcher Bewegung sich allererst als Wirklichkeit realisiert. Ist Gott als Substanz von allem „Selbstbewegung der Form", so ist alles Wirkliche als Moment dieses Formprozesses zu denken. Die Wahrheit jedes Wirklichen ist, Formmoment der (göttlichen) Subjektivität zu sein. 10. „Wenn die Form als dem Wesen gleich ausgesagt wird, so ist es eben darum ein Mißverstand, zu meinen, daß das Erkennen sich mit dem Ansich oder dem Wesen begnügen, die Form aber ersparen könne, — daß der absolute Grundsatz oder die absolute Anschauung die Ausführung des erstem oder die Entwicklung der andern entbehrlich madie." (Gl 228f Sk324 H 2 0 ) 43 44

cf. „Bewegung des Selbstbewußtseins", Gl 2/40, Sk 3/42, H/35. Selbstbewußtsein ist „die absolute Form"! cf. Gl 2/29, Sk 3/30, H/25.

Substanz als Subjekt: Versuch einer Interpretation

167

a) Die „Form als dem Wesen gleich" auszusagen, ist Realisierung der Idee, Substanz als Subjekt und Subjekt als Substanz zu begreifen. Ist Substanz der wesentliche, allgemeine Gehalt, so ist dieser nur als „Selbstbewegung der Form" (cf. Satz 9). D. h. indem er Subjektivität und so Selbstbewegung ist, ist er Form, und umgekehrt, indem die Form sich selbst bewegt, differenziert, ist sie selber wesentlicher Gehalt, Substanz. Selbstbewegung als Selbstdifferenzierung der Form und des Wesens ist prozeßhafte Realisierung der Identität von Substanz und Subjekt. Als soldie Bewegung der Selbstverwirklichung durch Selbstunterscheidung ist Gott f ü r Hegel der trinitarisdie. In seinen Formbestimmungen legt sich Gottes Wesen aus. b) Als Form ist Subjektivität auch „Erkennen" (cf. Satz 7 b). Das Erkennen des Wesens (gen. obj.) kann die Substanz nur als Subjekt begreifen, wenn es an dieser Form selber partizipiert. Seine subjektive Form ist identisdi mit der subjektiven Form der Substanz selber 45 . Denn Erkennen ist, absolut vermittelt, formierendes Tun des Ich und zugleich Selbstbewegung der substantiellen Form4®3. Daher kann es sich nicht „mit dem Ansich oder dem Wesen begnügen, die Form aber ersparen". c) Eben dies zu tun, ist der Mangel des vorher charakterisierten Substanz-Standpunktes (Satz 3 c, a) und β) d), an dessen beide H a u p t varianten hier wieder erinnert wird. Der „absolute Grundsatz" (d. i. Fidites Wissenschaftslehre von 1796) und „die absolute Anschauung" (d. i. Schellings frühe bis mittlere Philosophie 20 ) übersehen demgemäß, daß das Überschreiten ihres Grundprinzips diesem wesentlich ist 46 . Das zum Resultat durchgeführte Prinzip mit seiner Durchführung erst ist

45

cf. Gl 2/37, Sk 3/39, H/32. " « c f . Gl 2/37, Sk 3/39, H/32 f.: „Wenn nun dies Negative zunächst als Ungleichheit des Ichs zum Gegenstande erscheint, so ist es ebensosehr die Ungleichheit der Substanz zu sich selbst. Was außer ihr vorzugehen, eine Tätigkeit gegen sie zu sein scheint, ist ihr eigenes Tun (,) und sie zeigt sich wesentlich Subjekt zu sein. Indem sie dies vollkommen gezeigt, hat der Geist sein Dasein seinem Wesen gleich gemacht; er ist sich Gegenstand, wie er ist, und das abstrakte Element der Unmittelbarkeit und der Trennung des Wissens und der Wahrheit ist überwunden. Das Sein ist absolut vermittelt; — es ist substantieller Inhalt, der ebenso unmittelbar Eigentum des Ichs, selbstisch oder der Begriff ist." 48 cf. Gl 2/27, Sk 3/27 f., H/23.

168

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

die ganze Wahrheit als das sich (im Erkennen) formierende Wesen, wirkliche Subjektivität 47 . Weil das Wesen nur als sich selber reflektierendes überhaupt ist, ist seine Reflexion ihm gleich wesentlich. „Ausführung" des absoluten Grundsatzes bzw. „Entwicklung" der absoluten Anschauung, d. h. Explikation des Prinzips sind gleichermaßen konstitutiv wie das Explizierte selbst (cf. Satz 1—3). 11. „Gerade weil die Form dem Wesen so wesentlich ist, als es sich selbst, ist es nicht bloß als Wesen, d. h. als unmittelbare Substanz, oder als reine Selbstanschauung des Göttlichen zu fassen und auszudrücken, sondern ebensosehr als Form und im ganzen Reichtum der entwickelten Form; dadurch wird es erst als Wirkliches gefaßt und ausgedrückt." (Gl 224 Sk324 H20O

a) Ist „die Form dem Wesen so wesentlich . . . , als es sich selbst", so kommt das Wesen erst in der Form ganz zu sich, ist erst in ihr als Wesen. Denn weil Form dem Wesen wesentlich ist, vollendet sich das Wesen in ihrer Entwicklung zur Wirklichkeit als dem wahren Ganzen 48 . Darf für Form nach allem Gesagten Subjektivität und Erkenntnis gelesen werden, so heißt dies: erst in der wesentlichen Erkenntnis vollendet sich das Wesen als solches. Erkenntnis des Wesens ist also Selbsterkenntnis des Wesens, indem die Substanz sich ihr Selbstbewußtsein gibt49. In diesem Sinne ist Reflexion „als positives Moment des Absoluten" selber zu erfassen50. Damit ist noch einmal gesagt, daß Gottes Subjektivität sich als Selbsterkenntnis in der Gotteserkenntnis vollendet. Bewußtsein Gottes als der wesenhaften Subjektivität ist „göttliches Selbstbewußtsein" (cf. o. Satz 7 b).

47

48

49 50

cf. Gl 2/24, Sk 3/24, H/21: „Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt, oder Sichselbstwerden zu sein." cf. Gl 2/13, Sk 3/13, H/11 und Gl 4/673, Sk 6/196, LII/165: » . . . das Absolute ist wesentlich sein Resultat." cf. Gl 2/24, Sk 3/24, H/21: „Das Ganze aber ist nur das durdi seine Entwicklung sich vollendende Wesen." cf. Gl 2/31, Sk 3/33, H/27. cf. Gl 2/25, Sk 3/25, H/21.

Substanz als Subjekt: Versuch einer Interpretation

169

Dies zum „System" (cf. Satz 1 c) entfaltet, ist „der Geist, der sich so entwickelt als Geist weiß, . . . die Wissenschaft"sl. b) Als sich vermittelnde Bewegung der Einheit von Form und Wesen, Substanz und Subjekt ist Gott der absolute Geist (cf. o. c. 5 d, S. 145 ff.). So ist er zugleich wirkliche Subjektivität. Dem wird — wie Hegel in betonter Wiederholung des im vorigen Satz Gesagten ausführt — der Substanz-Standpunkt nicht gerecht. Er setzt das Wesen als unentwikkeltes Ansich — so Spinoza die Substanz als „unmittelbare", d. h. subjektiv nicht vermittelte, und Schelling als „reine Selbstanschauung des Göttlichen", so daß Entzweiung und Anderssein im Wissen Gottes von sich fehlen (cf. o. Satz 7 b). Es ist aber, wie gezeigt, gleichermaßen „zu fassen und auszudrücken" (cf. o. Satz 1 b), als Form, d. h. als entwickeltes Fürsichsein des Ansich. Deren ganzer „Reichtum" stellt sich dar in dem Subjektivität als Substanz aller Wirklichkeit begreifenden „System". N u r so, indem sie das Wesen als „Wirkliches", Gott als lebendigen Gott anschaut („faßt") und denkend expliziert („ausdrückt"), legitimiert sich Philosophie als wahre.— Es mag erlaubt sein, an dieser Stelle eine vorläufige Summe aus der Interpretation des Hegeltextes bezüglich des Pantheismusproblems zu ziehen. a) Durch die Charakterisierung als Substanz-Standpunkt (mit seinen Näherbestimmungen) ist im Zusammenhang von Hegels zentralen Einsichten eine Präzisierung des Pantheismusbegriffs gewonnen. (Sie wird im folgenden Abschnitt b) dieses Exkurses weitergeführt.) Zugleich ist eben damit — nach Anspruch und Selbstverständnis Hegelscher Philosophie — die prinzipielle Überwindung des Pantheismus geleistet, insofern der Gedanke der Subjektivität unbedingte Bedeutung gewinnt. β) Macht die Hegelsdie Philosophie gegen den Pantheismus aller Spielarten zentral das Prinzip der Subjektivität Gottes geltend, so bleibt sie gleichwohl der kritischen Verwahrungen der Kantisch-Fichtischen Religionsphilosophie eingedenk. Persönlichkeit ist f ü r Hegel gleichfalls nicht Attribut des Absoluten, sondern er denkt Subjektivität als absolut. Subjektivierung der Substanz ist nur möglidi als Substantiierung von Subjektivität. Dadurch kann absolute Subjektivität wirklich gedacht werden. Hegels System behauptet nicht die absolute Persönlichkeit (Gottes), sondern ist nichts anderes als ihre konsequent ausgeführte Darstellung. 51

cf. Gl 2/28, Sk 3/29, H/24.

170

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

γ) Schließlich ist die Einheit von Substanz und Subjekt nodi einmal unter dem Gesichtspunkt des Wissens zusammenfassend zu betrachten. Diese Einheit gibt sich — so folgt aus der vorausstehenden Interpretation der Sätze 1—11 — als ein dialektisches Gefüge von vier Bedeutungsschichten. Und zwar entfaltet sich diese geistige Identität von Subjekt und Substanz (Gott) in folgenden Momenten: 1. als Gewußtes, 2. als Wissen, 3. als das Gewußte verwirklichendes Wissen, 4. als Wissen von sich. 1. Gott ist Selbstbewegung: Geist als Substanz 52 . 2. Gott ist nur in einem Wissen von ihm denkbar (seine Objektivität nicht ohne sie erfassende Subjektivität) : Geist als Subjekt®8. 3. Das Subjekt erfaßt sich als Wirklichkeit der Substanz (als Ausdruck, Moment im Leben des Göttlichen): Geist als wirklich64. 4. Im Wissen des Subjekts von Gott hat Gott sein Wissen von sich: Geist als Selbstbewußtsein55.

b) Kritik

des

Pantheismus

Die Auseinandersetzung Hegels mit dem Pantheismus trägt einen doppelten Akzent. Einerseits will Hegel den Pantheismus in seinem gedanklichen Prinzip herausarbeiten und so die irrigen Vorwürfe gegen dessen angebliches Wesen korrigieren. Andererseits dient ihm gerade die Einsicht in das wirkliche Wesen des Pantheismus zur Kritik aus dem Geiste seiner eigenen Philosophie58". Als auf verschiedene historische Ausprägungen des pantheistischen Prinzips bezieht Hegel sich in seinen Ausführungen auf die eleatische Philosophie (Parmenides), auf den indischen Pantheismus, gelegentlich auf Schelling. Das Vorbild des Pantheismuskritikers dagegen liefert seiner Antikritik an vielen Stellen — historisch erklärlich — Jacobi. Die

52 53 54 55

55a

cf. die „geistige Substanz", Gl 2/28, 29 f., 36, Sk 3/28, 31, 38, H/24, 26, 32. cf. das „Wissen von dem Geistigen«, Gl 2/28, Sk 3/28, H/24. cf. Kap. 5, Anm. 132). cf. das „Wissen von s i i als dem Geiste", Gl 2/28, Sk 3/28, H/24.

cf. audi Goedeivaagen, a. a. O.

Kritik des Pantheismus

171

klassische philosophische Gestalt des Pantheismus ist für Hegel wie für seine Zeitgenossen, als die ganze Debatte bestimmend, das System Spinozas. Unter dem Namen „Spinozismus" sah sich auch Hegels eigene Philosophie dem Pantheismusverdacht ausgesetzt. Es ist bei diesen historischen Bezügen zu beachten, daß Hegel im allgemeinen von den speziellen Näherbestimmungen der einzelnen pantheistisdien Systeme absieht und nur ihr gemeinsames logisches Prinzip diskutiert. Natürlich sind ihm die historischen Unterschiede durchaus präsent*®. Die von — wie noch näher zu zeigen ist — irrigen Vorstellungen über das Wesen des Pantheismus geleitete Kritik an diesem pflegt sich, gerade audi gegenüber dem „Spinozismus", mit dem Vorwurf des „Atheismus" zu verbinden57. Dies ist in der (falschen) Annahme begründet, daß im Pantheismus Gott mit dem Komplex der Endlichkeit identifiziert werde58. Alles soll im Pantheismus Gott sein59. Hierbei gilt als „Alles" die vorhandene Totalität endlicher, empirischer Dinge in ihrer Faktizität®0. Die Philosophie wird also kritisiert als All-Eins-Lehre, Identitätssystem®1, die eine solche Identität von Gott und Welt lehre, daß beide gleiche Substantialität haben und als vereinigte auch behalten. So wäre der Gott des Pantheismus gewissermaßen aus sich und der endlichen Welt äußerlich zusammengesetzt®2. In solcher Einheit würde aber Gott schlechthin verendlicht, als Gott also geleugnet63. Diese „Verunglimpfung" der Philosophie®4 gründet in einer Zweideutigkeit des „Alles", von dem im Pantheismus wie in seiner Kritik die Rede ist®5. Man mißversteht die wahrhafte Allgemeinheit, in welcher der

54

57

e8

» el

« « 84

«

cf. z . B . Gl 11/193 f., Sk 12/176 f.; Gl 12/487—494, Sk 13/471—478; Gl 18/437, Sk 19/262; Gl 19/11, 17, 127, 227 f., 372 ff., 413, Sk 19/411, 417, 519, Sk 20/25, 162 ff., 198 ff. cf. Gl 8/147, 338 f., Sk 8/133, 295; Gl 15/106, 111, Sk 16/94, 99; bes. Gl 19/372 ff., 389, 408 f., Sk 20/162 ff., 177, 194. cf. Gl 8/340, Sk 8/296. Gl 10/461, Sk 10/381; Gl 20/118, Sk 11/191, H/141 f. cf. Gl 15/110, Sk 16/97; Gl 10/462, Sk 10/382. Gl 10/461, 471, 473, Sk 10/381, 390, 393; Gl 15/113, Sk 16/100. cf. Gl 10/461 ff., 472, Sk 10/380 ff. (§ 573 Anm.), 391. cf. Gl 8/147 f., Sk 8/133. cf. Gl 15/109, 111, 224, 341, 406, Sk 16/97, 99, 206, 318, 380. Gl 15/341, 406 ff., Sk 16/318, 380 f.; Gl 16/507 f., Sk 17/492 f.

172

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

Pantheismus Gott faßt, als Allheit der endlichen Existenzen in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit 68 . In Wahrheit denkt der Pantheismus, etwa in Gestalt von Spinozas System, Gott als die absolute Substanz und als solche als die allein wahrhafte Wirklichkeit67. Pantheismus ist in Wahrheit der Standpunkt der Substantialität 68 . Keine Philosophie hat je behauptet, daß Gott die Allheit der endlichen Ersdieinungswelt sei69. Vielmehr bedeutet der Gedanke der absoluten Substanz als des Göttlichen, der absoluten Macht in allem und über alles gerade die Nichtigkeit des Endlichen als solchen70. Dieses negative Moment des substantiellen Gottesgedankens übersieht die Kritik des Pantheismus. Gott ist die Substanz, und nur die Substanz ist wahrhaft 71 . Die Welt hat nur phänomenales Sein; sie ist der endliche Schein72. Pantheismus ist in Wahrheit also AkosmismusSein Prinzip ist die abstrakte Identität der Substanz als des wahren Wesens der endlichen Wirklichkeit 74 . Dieses Prinzip hat übrigens nach Hegel einen gewissermaßen natürlichen Ausgangspunkt im jugendlich-überschwenglichen Naturgefühl als pantheistischem Erlebnis der Weltseele75. Seine theoretische Ausformung findet es in der stoischen Naturanschauung, die pantheistisdi eine verständige Weltseele annimmt 76 . Ebenso ist der Substanzgedanke wesentlicher Ausgangspunkt alles Philosophierens 77 .

«6 Gl 15/341, cf. 406 ff., Sk 16/318, cf. 380 ff.; Gl 12/485 f., Sk 13/470; cf. Gl 15/194, Sk 16/177. «7 Gl 15/106, cf. 406 f., Sk 16/94, cf. 380 f.; Gl 10/465, Sk 10/385 (§ 573 Anm.). «8 Gl 8/112, Sk 8/103 (§ 36 Anm.), 295 (Zus.); Gl 15/109, 406, 408, Sk 16/97, 379, 381; Gl 16/510, 515, Sk 17/494, 498. «9 Gl 15/110, Sk 16/98; Gl 16/509, Sk 17/493. 70 Gl 15/324, 339, 407 u. 111, Sk 16/302, 316, 380 f. u. 99; Gl 16/509 f., Sk 17/493 f.; Gl 8/147 f., Sk 8/133 f.; Gl 20/118 f., Sk 11/191, H/142. 71 Gl 8/148, 339, Sk 8/134, 296. 72 Gl 8/148, Sk 8/133; Gl 19/408, Sk 20/195. 78 Gl 8/148, 340, Sk 8/134, 296; Gl 10/469, Sk 10/387; Gl 19/373, 390, 404, 408, Sk 20/163, 177, 191, 195. 74 Gl 4/91, 127 f., Sk 5/85, 121, LI/69, 100 f.; Gl 15/110 f., Sk 16/98. 75 Gl 10/56, Sk 10/46 (§ 389 Zus.); cf. Gl 3/315, Sk 4/415. 76 Gl 18/437, 440, Sk 19/262, 265; Gl 19/11, Sk 19/411. 77 Gl 19/376, Sk 20/165.

Kritik des Pantheismus

173

Mit der Bestimmung als abstrakte Identität ist zugleich der wahre Mangel des Substanz-Standpunktes ausgesprochen. Der Pantheismus faßt die Substanz als unmittelbare, abstrakte Einheit 78 , und das bedeutet, das Endliche, Bestimmte ist nur abstrakt ausgeschlossen79. Der Substanz fehlt das Prinzip der Differenz 80 ; sie geht nicht selber über zum Negativen, Endlichen81, das in ihr nur untergeht 82 . Sie ist starre Sichselbstgleichheit, die absolute Indifferenz 83 , tot und unsdiöpferisch 84 . Zwar ist der Gedanke der Substantialität als absoluter Notwendigkeit 85 an sich eine wahre Bestimmung Gottes 86 , denn er bezeichnet die Grundlage des Geistes: das Moment absoluter Selbständigkeit, Einfachheit und wesentlicher Allgemeinheit 87 . Aber diese abstrakte wesentliche Identität ist auch nur erst die Grundlage des Geistes. Es ist deutlich, daß die Hegeische Kritik am Substanzbegriff dessen logische Notwendigkeit zugleich mit seiner Grenze im Erfassen der Idee Gottes, wie sie sich für Hegel bestimmt, erkennt 88 . Diese Kritik vollzieht im Medium der Religionsphilosophie eben den Übergang, der in der Logik von der Kategorie der Substanz („Das absolute Verhältnis") zur Subjektivität, zum „Begriff" führt 8 9 . Da für Hegel Gott Geist ist, absolute Notwendigkeit, die zugleich absolute Freiheit ist, muß die Substanz zugleich als Subjektivität gedacht werden (cf. Abschnitt a) dieses Exkurses). Dies nicht zu tun, ist der Mangel des Substantialitätsstandpunktes, des Pantheismus. In immer neuen Wendungen beschreibt Hegel diese Grenze des Substanzdenkens — gerade um seine eigene Philosophie als Begreifen der Subjektivität

78 79 80 81 82 83 84 85 M 87 88 89

cf. Gl Gl Gl Gl Gl Gl Gl Gl Gl cf. cf.

Gl 8/112, Sk 8/103 (§ 36 Anm.). 4/188, Sk 5/178 f., LI/151; Gl 15/122, 324, Sk 16/109, 302. 8/340, Sk 8/296; cf. Gl 10/55, Sk 10/45 (Zus.). 4/104, Sk 5/98, LI/80. 8/341, Sk 8/297. 4/475, Sk 5/454 f., LI/396. 16/517, Sk 17/500 f. 16/507, cf. 503 f., Sk 17/490, cf. 487. 15/338, 407 f., Sk 16/315, 380 f.; Gl 8/339, Sk 8/295 (Zus.). 15/106, cf. 113, 338, 407, Sk 16/94, cf. 101, 315, 380. Gl 8/339, Sk 8/295. Gl 5/6, Sk 6/246, LII/214.

174

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

der Substanz davon zu unterscheiden90. Hier liegt auch der Irrtum der Theologen, die Hegels eigenes Denken des Pantheismus beschuldigen: sie deuten den Geistbegriff aus der ihm gerade untergeordneten Kategorie der Substanz als starr-abstrakter Identität 91 . Die Korrektur des Pantheismus besteht in der Erkenntnis, daß der Geist konkret in sich92, daß Gott als Substanz zugleich absolutes Subjekt 93 , nicht Eines, sondern Einer 94 ist. Subjektivität als unendliche Selbstbeziehung ist exklusiv. Gott kann daher als erscheinendes Subjekt nur einer sein95. Dieser Eine ist er aber als sich geistig durchdringende Einheit von Substanz und Subjekt 98 . Diese Erkenntnis wird zugleich die Mängel des Substanz-Standpunktes völlig zutage treten lassen, indem sie ihre Überwindung bedeutet. Freilich ist eine solche Korrektur nicht schon damit geleistet, daß Gott als Subjekt behauptet wird. So bleibt in der natürlichen Theologie, die Gott allein als Gegenstand des Bewußtseins zu denken vermag, die Kategorie des Wesens, dem das subjektive Moment gerade fehlt, dominierend — trotz der äußerlidien Benennung Gottes als „Geist" und „Person" 97 . Es gilt gerade, die Subjektivität Gottes zu denken (cf. o. S. 155 f.). Ähnlich bleibt auch das Subjektsein Gottes im Judentum höchst abstrakt, „oberflächlich"98, weil er keine subjektive Existenz im Selbstbewußtsein zu erhalten vermag 99 ; wenn auch eine solche aktuale Existenz Gottes im Selbstbewußtsein selber nicht als unmittelbare Identität und

80

91

92

93

94 95 96 97 98 99

Wie Henrich, a. a. O. S. 95, zutreffend bemerkt, dient die Programmformel: Substanz ais Subjekt Hegel zur hinreichenden Abgrenzung von anderen Systemkonzeptionen. cf. Gl 15/224 f., 406, Sk 16/206, 380. Gemeint ist vor allem F. A. G. Tholuck. Hegels Verhältnis zu ihm ist ausführlicher besprochen in c. 6 b), s. u. S. 203 ff. Gl 15/106, 408 f., Sk 16/94, 382; Gl 16/148, Sk 17/147; Gl 10/465, Sk 10/385. Gl 15/109, 339, 408, 409, Sk 16/97, 316, 381, 382; Gl 10/469, Sk 10/389 (Anm.). Gl 16/48, 56, Sk 17/51, 59; cf. Gl 8/339, Sk 8/295. Gl 16/13, 14 ff., Sk 17/18, 20 ff.; Gl 11/417, Sk 12/393. Gl 15/409, Sk 16/382. cf. Gl 15/84, Sk 16/72 f. Gl 10/450, Sk 10/370 (§ 562). cf. Gl 15/372, Sk 16/348.

Kritik des Pantheismus

175

unter Vernachlässigung ihrer Momenthaftigkeit im Geist gedacht werden darf, wenn nicht ein schlechter „Pantheismus" dabei herauskommen soll 100 . Entscheidend ist also nicht, ob G o t t oberflächlich, weil explizit folgenlos das P r ä d i k a t „Persönlichkeit" erhält 1 0 0 » u n d er vielleicht wesentlich doch als Substanz gedacht wird, — sondern ob die göttliche Subjektivit ä t auch wirklich denkend expliziert u n d systematisch folgenreich realisiert werden k a n n . So ist auch der über Spinozas Substanzbegrifï schon hinaustreibende Idealismus des Malebranche noch zu abstrakt, weil ei die Unendlichkeit des Für-sich-seins, Subjektivität, nicht logisch-spekulativ zu explizieren vermag. Seine Thematisierung von Sünde u n d Er^ lösung bleibt daher vordergründig 1 0 1 . Worin liegt dann der Unterschied der Subjektivität Gottes als Geist zu seiner Substantialität im Pantheismus? Z u m Subjekt gehört Selbstbestimmung 1 0 2 . Eben diese als Selbstunterscheidung u n d Selbstvermittlung ist in der Substanz des Spinoza u n d anderer pantheistischer Systeme nicht zu denken 1 0 3 . Deren Einheit ist unbewegt, w i r d nicht durch ihre eigene Tätigkeit u n d Rückkehr in sich für sich seiend 104 . Dies zu denken, also ihre Subjektivität zu denken, ist die Vollendung der Substanz 1 0 5 , ihre „Befreiung z u m Begriff", wie Hegels Logik zeigt 1 0 8 . Nicht in unmittelbarer, abstrakter Identität, sondern in sich herstellender 1 0 7 h a t Substanz ihre Subjektivität. So aber schließt sie ihr Anderes (das Endliche) nicht a b s t r a k t von sich aus, sondern vermag sich in dieser N e g a t i o n ihrer selbst gerade wiederzufinden 1 0 8 . Diese unendliche F o r m

100

cf. Gl 15/224 ff., Sk 16/206 ff. a Zur oberflächlichen „Personifikation" cf. Gl 15/430 u. 420, 465, Sk 16/403 u. 393, 436. 101 cf. Gl 4/188 f., Sk 5/179, LI/151 f. 102 cf. Gl 15/443, Sk 16/415. 103 cf. Gl 4/476, Sk 5/455, LI/396; Gl 16/515, Sk 17/499; Gl 15/339, Sk 16/316. 104 cf. Gl 4/188, 306, 406, Sk 5/178 f., 291, 388, LI/151, 250, 337; cf. Gl 15/339, Sk 16/316. 105 cf. Gl 5/9, cf. 4/675, Sk 6/249, cf. 198, LII/216, cf. 167 f. loe Gl 5/11 f., Sk 6/251, LII/218 f. 107 Gl 16/510, Sk 17/494; cf. Gl 2/25 f., Sk 3/26, H/22. 108 Gl 4/306, Sk 5/291, LI/250. I(M|

176

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

der Substanz als Subjektivität 109 ermöglicht es audi dem endlichen Selbstbewußtsein und Erkennen, sich in der Substanz zu finden und d. h. zu erhalten, was in der abstrakten Identität der Substanz unmöglich ist110. Ihr fehlt wesentlich das subjektive Prinzip der Persönlichkeit111. Die abstrakte Substanz ist von der Subjektivität noch völlig ununtersdiieden 112 , und so kann die Freiheit in ihr nicht zur Geltung kommen; sie geht als bloßes Akzidenz darin unter 113 . Der Geist muß sich daher von der Substanz unterscheiden als freie Ichhaftigkeit, damit die Substanz Subjekt „werden" kann 114 . Dies vollzieht die Philosophie im Denken, indem sie aus dem Prinzip des Spinozismus (der Kategorie „Substanz") heraustritt und zum „Begriff" (der Subjektivität) übergeht. Diesen Übergang vollzieht als „Urteil" von Substanz und Subjekt Hegels Logik (cf. o. S. 173,175), welche derart eine Bestimmung des Geistes selbst wissend nachvollzieht115. Also nur unterschieden von der Substanz kann freie Subjektivität zu ihrem Recht kommen. Zugleich darf sie ihr gegenüber aber nicht abstrakt fixiert werden. Denn die abstrakte Substanz ist selber Produkt des noch ganz abstrakten, subjektiven Denkens; ihre Bestimmung als abstrakte Identität verdankt sich insofern einer „Subjektivierung der Substanz" 116 . Andererseits ist auch eine der endlichen Subjektivität nur abstrakt entgegengesetzte Substanz nicht wahrhaft selbständig119. Gott ist aber in Wahrheit nicht solche subjektive Abstraktion, sondern die konkrete Idee120. So gewinnt die subjektive Freiheit ihr Redit gerade, indem sie sich in der göttlichen Substanz wiederfinden kann, weil diese selber subjektiv ist. Nur wenn Gott auch als Subjektivi-

109 110 111 112

113 114 115

118 119

Gl 4/672, cf. 674, Sk 6/195, cf. 197, LII/164, cf. 166; Gl 8/341, Sk 8/297. Gl 4/306, Sk 5/291, LI/250; Gl 15/122, Sk 16/109. Gl 4/672, Sk 6/195, LII/165. Gl 11/164, Sk 12/147; Gl 15/106, cf. 225, Sk 16/94, cf. 206; Gl 16/148 f., Sk 17/147. Gl 15/324, Sk 16/302. Gl 10/260, Sk 10/203 (Anm.); Gl 11/164, Sk 12/147. cf. Gl 10/260, Sk 10/203 (Anm.). Philosophiegesdiiditlidi cf. den analogen Verlust des Pantheismus in der römischen Welt: Gl 19/16 f., Sk 19/416 f. cf. Gl 16/507, Sk 17/491. cf. Gl 12/247, Sk 13/236.

Kritik des Pantheismus

177

tat bestimmt ist, gibt es Redit, Sittlichkeit, Freiheit 121 und gilt der Mensch als Persönlichkeit122. Wenn derart die unendliche Form der Subjektivität nicht in der Bestimmung als der Substanz nur gegenüberstehendes freies Denken, sondern als mit ihr konkret-identisch aufgefaßt wird, so ist damit der Gedanke des absoluten Geistes gewonnen 123 . Die unendlich für sich seiende Form, das Wissen, ist also das die Substanz „vergeistigende" Prinzip 124 . Wie bestimmt sich nach dieser beherrschenden Kategorie des Geistes nun in Hegels Philosophie das Verhältnis Gottes zur Welt 124a ? Der Geist ist die wahre substantielle Einheit als Prinzip, welches seine eigene Manifestation produziert 125 , indem es sich selbst entfaltet und in sich zurücknimmt und in dieser Tätigkeit sich selbst erscheint128. Ist die Substanz nur Abgrund (für das Endliche), so ist sie als Geist auch produktiver Grund 127 , nicht nur Macht, sondern zugleich Weisheit128, ihr eigener Anfang und eigenes Resultat 129 . Der Geist hat also als absolute Einheit mit sich in seinem Anderen die Welt als aufgehobenes Moment, als bloß Ideelles in sich180. Indem für die Subjektivität des Geistes als Selbstunterscheidung Negativität ein wesentliches Moment ist131, kann der Schöpfungsgedanke mit seiner Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf gerade zu seinem vollen Recht gelangen132. Spricht sich das

120

cf. Gl 15/385, Sk 16/359. cf. Gl 15/454, Sk 16/425. 122 cf. Gl 15/408, Sk 16/381. 125 Gl 10/443, Sk 10/363 (Anm.). 124 Gl 10/453, Sk 10/373 (§ 564). U4a //¿ríc& macht die feine Bemerkung, daß bei Hegel das Verhältnis Gottes zur Wirklichkeit von Mensch und Welt als ein „geisthaftes Sicherschließen" scharf unterschieden gedacht sei „von allem nicht personhaft durdidringlichen bloßen Bedingen"; Geschichte IV, S. 486 f., cf. a. a. O. V, S. 239. 125 Gl 16/510, Sk 17/494. 12β Gl 15/326, cf. 385, Sk 16/304, cf. 359. 127 cf. Gl 8/341, Sk 8/297. 128 Gl 15/339, Sk 16/316. 129 cf. Gl 16/54, Sk 17/57. 134 Gl 15/341, Sk 16/318. 131 Gl 15/90, Sk 16/79. 131 cf. Gl 4/91, Sk 5/86, LI/70; Gl 15/341, Sk 16/318; Gl 19/16, Sk 19/416. 121

12 Ringleben» Hegels Theorie

178

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

Wesen des Pantheismus als abstrakt-substantieller Identität in dem Satze aus: ex nihilo fit nihil138, so vermag eine Philosophie, deren erster Satz bereits in der Logik die dialektische Einheit von Sein und Nichts als Werden lehrt, für sich in Anspruch zu nehmen, mit ihren Mitteln die biblisch-christliche Schöpfungsvorstellung denken zu können 134 . Der gegen die „neuere Philosophie" (incl. Hegels eigener) erhobene Vorwurf eines pantheistischen „Spiritualismus" erfaßt also vom dialektischen Geistbegriff nur das Moment der Einheit, nicht aber das der Unterschiedenheit von Gott und Welt 135 . Aber die Idee Gottes bezeichnet eben audi nicht bloß ein abstrakt Anderes, als Welt es ist, sondern Gottes absolute Subjektivität ist weltumgreifend; Gott ist die 'Wahrheit des natürlich-geistigen Universums136. Gottes Konkretheit liegt im selbsttätigen Sicherschließen der Substanz, die darin ganz bei sich ist137. So ist Gottes Subjektivität seine Gegenwart; indem er in seinem Außersidisein (Welt) unendlidi in sich zurückkehrt, ist er gegenwärtiger, wirklicher Geist; nicht der ansidiseiende, substantielle „Vater", sondern Gott der „Geist", der in seiner Gemeinde wohnt 138 — die sich durchsichtige, absolute Einheit von Substanz und Subjekt, die wissende Substanz im Selbstbewußtsein 139 .

c) Die religiöse Genese des

Subjektivitätsprinzips

Die oben S. 169 erwähnte Formel: Subjektivierung der Substanz und Substantiierung des Subjekts140 beschreibt das genetische Prinzip des Geistes. Es konstituiert die Dynamik der Selbstvermittlung des Geistes in allen Weisen seines Bewußtseins von sich. Demgemäß formuliert die als Programm des Systems gedachte Phänomenologie-Vorrede das uni-

133

Gl Sk 134 cf. 135 cf. 13 « Gl 137 Gl 138 Gl 139 Gl 140 cf.

4/90 f., Sk 5/85, LI/68 f.; cf. Gl 8/213, Sk 8/191 (§ 88, 5.); Gl 17/321, 18/297; Gl 20/403, Sk 11/475, H/411. Gl 4/90 f., Sk 5/85, LI/68 f. u. Gl 8/213, Sk 8/191 (§ 88, 5.). Gl 15/341, Sk 16/318. 15/127, Sk 16/113. 16/319, 424, Sk 17/309, 410. 16/315, Sk 17/305. 17/105, Sk 18/94. Gl 13/122, 138, Sk 14/129, 143.

Die religiöse Genese des Subjektivitätsprinzips

179

versale Bewegungsgesetz von Geist. Die in der „Phänomenologie des Geistes" beschriebene Erfahrung des Bewußtseins läßt sich selber unschwer der Dialektik von Substanz und Subjekt zuordnen, auf die der Text an manchen Stellen deutlich Bezug nimmt 1401 . Im Rückblick hat Hegel diese Zuordnung dann in seinen Vorlesungen audi vollziehen können 141 . Jenes genetische Prinzip ist gleichfalls konstitutiv für die Religion. Ist Religion das sich aus den verschiedenen Gestalten der Dialektik religiösen Bewußtseins erarbeitende Selbstbewußtsein des absoluten Geistes, so muß sie sich unter der Formel: Substanz als Subjekt begreifen lassen. Auf die Systematik der religionsphilosophischen Vorlesungen projiziert, bedeutet das: die Entwicklung des menschheitlichen religiösen Bewußtseins muß verstanden werden können als Inerscheinungtreten der verschiedenen Momente der Dialektik von Substanz und Subjekt in Gestalt historischer Religionen (als Stufen des sich vollendenden Wissens vom Geist). Deren Erscheinungsgesetz gehorcht selber der Logik der absoluten Subjektivierung, die sie in je individuell gebrochener Einseitigkeit darstellen. Der Aufbau der Religionsphilosophie spiegelt also die dialektisch möglichen und je historisch wirklichen Gestaltungen des Verhältnisses von Substanz und Subjekt in ihrem Zusammenhang. Daß die Verwirklichung des Begriffs der Religion durch die Religionsgeschichte hindurch sich für Hegel tatsächlich mit Hilfe jener Dialektik rekonstruieren läßt, ist im folgenden kurz zu zeigen141*. Hegel hat die Religionsphilosophie geschrieben als Erscheinungsgeschichte der Substanz-Subjekt-Dialektik. Zunächst ist festzuhalten, daß das religiöse Bewußtsein selber sich im Verhältnis von Natürlichem und Geistigem erlebt 142 . Dieses konkrete Verhältnis ist Medium des religiösen Wissens selbst. Dem religionsphilosophischen Begreifen dagegen strukturiert sich dieses Medium logisch mit Hilfe der Kategorien Substanz und Subjekt. So hat beispielsweise das religiöse Bewußtsein die Kategorie: Substanz als „Natur" vor sich und die der Subjektivität als „Geistiges".

14

°a cf. Gl 2/523, 538, Sk 3/501, 514, H/479, 492. cf. Gl 15/125 f., Sk 16/111 f. 141 a Über die außerdiristlidien Religionen cf. jetzt Lenze, a. a. O. 14î cf. Gl 15/273, Sk 16/252 f. 141

12»

180

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

Unter diesen Voraussetzungen läßt sich die Tatsache, daß jenes genetische Prinzip des Geistes Baugesetz der Religionsphilosophie ist, bereits an der Haupteinteilung der materiellen Vorlesungen belegen. In der Sphäre der „bestimmten Religion" — die als Sphäre der Differenz zweigeteilt ist und den in die Mannigfaltigkeit bestimmter, einseitiger Religionsformen entzweiten Begriff der Religion repräsentiert, als welche sie audi den Titel „Endliche Religion" tragen kann 143 — dominiert als Hauptgliederung die in „Naturreligion" und „Religion(en) der geistigen Individualität". Indem dieses auf eine Akzentuierung des Substanzbegriffs für die erste, des Subjektbegriffs für die zweite Seite hinweist, ist schon aus dieser Hauptgliederung zu erschließen, daß die Sphäre der „Absoluten Religion" die vollkommene Vereinigung von Substanz und Subjekt darstellen wird und daher audi „die vollendete Religion" heißen kann 144 . Die nähere Einteilung bestätigt und präzisiert diesen Gesamteindruck. 1. Die ganze Sphäre der „Naturreligion" 144a läßt sich als Ausarbeitung der Substanzkategorie im Medium des religiösen Bewußtseins bis hin zu ihrer Auflösung bzw. Überwindung im Begriff der Subjektivität deuten. a) der Ausgangspunkt des Prozesses wird repräsentiert in der Gestalt einer unmittelbaren, neutralen Einheit des Geistigen und Natürlichen, als welche Gott in dieser primitiven Religion (der Zauberei) gewußt wird 145 — eine noch unvollkommene, weil unentwickelte Einheit von Substantialität und Subjektivität. b) Von dieser ersten Stufe der Unmittelbarkeit unterscheidet sidi — sidi sogleich in sich selber unterscheidend — eine zweite Stufe. In ihr erst ist das religiöse Bewußtsein in sidi selbst entzweit, indem die Differenz von Natürlichem und Geistigem für es ist. Es weiß diese Differenz so, daß es vom Geistigen als dem Wahrhaften und Wesenhaften sich als das bloß Natürliche und Nichtige gesdiieden weiß. Gott wird gedadit als die absolute Madit der Substanz, an der das Subjekt nur

14S

cf. Lasson, Best. Rei., a. a. O. S. 3. cf. Lasson, Abs. Rei., a. a. O. S. 3, 5. 144 acf. in der Phänomenologie: „Die natürlidie Religion" Gl 2/526 ff., Sk 3/503 fi., H/481 ff. Der Ausdruck Pantheismus fällt Gl 2/530, Sk 3/507, H/485. 145 Gl 15/274, Sk 16/254. 144

Die religiöse Genese des Subjektivitätsprinzips

181

selbst- und freiheitsloses Akzidenz ist148. Freilich ist dieser Substanzbegriff noch ganz unbestimmt, und seine Entwicklung besteht in seiner Weiterbestimmung. Denn erst als in sich selbst für sich bestimmt, wäre Substanz als Subjekt, Gott als Geist gesetzt147. Allerdings liegt dieses Ziel in gewisser Weise von Anfang an zugrunde, und das Telos des Geistes initiiert denn auch den Fortschritt des religiösen Bewußtseins. Denn indem die Substanz als Gott bewußt wird, ist sie in noch ganz unthematischer Weise audi als Subjekt vorgestellt148. Der hier zugrundeliegende Gottesbegriff ist also der einer unentwickelten Einheit von Substanz und Subjekt, die als Substanz gewußt wird: ein substantielles Substanz-Subjekt. Die Fortbestimmung ergibt sich so, daß die versdiiedenen möglichen Akzentuierungen des substantiellen Substanz-Subjekts (Gottes als der Substanz) so ausgebildet werden, daß die Vollständigkeit ihrer Formen das ihnen von Beginn an einwohnende Prinzip der Subjektivität zur Ausbildung gelangen läßt; es erzeugt sich — und damit ist eine neue Sphäre der Religion erreicht — das subjektive SubstanzSubjekt (Gott als absolutes Subjekt). Beide Gestaltungsreihen — denn audi diese neue Sphäre bildet sich in verschiedenen Formen durch — erfahren die ihre Entwicklung in eins aufhebend-zusammenfassende Vollendung, die in sidi vollständig durchdifferenzierte Einheit, im Begriff des Geistes als absoluten: die sich wissende Einheit von Substanz und Subjekt der absoluten Religion. Hier im Anfang der zweiten Stufe ist aber jener Substanzbegriff nodi ganz unbestimmt. Immerhin liegt im Bewußtsein der Differenz von Substanz und Subjekt überhaupt der Anfang der religiösen Dialektik, wenn auch die Unterscheidung noch nicht in voller Konsequenz ausgebildet ist149. Dieses Bewußtsein der Substanz bildet jedenfalls die allgemeine Grundlage der folgenden Entwicklung. Seine angedeutete Mangelhaftigkeit konkretisiert sich in drei Formen von Religion, die Hegel als fortschreitende Versuche deutet, die Substanz als sich bestimmend zu fassen15®. Sie haben historische Gestalt gewonnen in drei orientalischen Religionen, den „Religionen der Substanz" 161 . 144 147 148 149 150 1,1

ebend. cf. Gl 15/325, ebend. cf. Gl 15/275, cf. Gl 15/325, cf. Gl 15/275,

Sk 16/303. Sk 16/254 f. 355, Sk 16/303, 331. Sk 16/255, cf. Lasson, Best. Rei., a. a. O. S. 119.

182

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

a) Als erste dieser von Hegel pantheistisdi genannten Religionen152 behandelt er die chinesische. In ihr ist die Substanz als einfache wesentliche Grundlage gewußt153. Es kommt uns in diesem Zusammenhang übrigens nicht auf die Näherbestimmungen an, mit denen diese Zuordnung begründet wird, sondern lediglich auf die prinzipielle Systematik. Daher müssen wir auf die Einzelheiten der Ausführung verzichten. ß) Die zweite Hauptgestalt des religiösen Pantheismus ist die indisdie Religion154. Ihr Prinzip ist die eine substantielle Macht als abstrakte Einheit155. Indem Gott hier als Substanz so vorgestellt wird, daß er für sidi seiende, machtvolle Einheit ist, vergeht vor dieser abstrakten Einheit zwar die Freiheit des Menschen als bloß negativ, aber die Wahrheit jener Vorstellung ist zugleich unübersehbar. Indem so die Vielfalt von Bestimmungen in eine substantielle Einheit zurückgeht, die sich als solche durchsetzt, d. h. als bestimmt gewußt wird, ist das Moment der Konzentration in sich gedacht, das für Geist konstitutiv ist. Dieses Sichselbstbestimmen enthält den Anfang der Geistigkeit156. Freilich nur den Anfang; die wahre Einheit ist der in Selbstentfaltung und Selbstzusammenfassung sidi bestimmende Geist, der sich selbst erscheinendes Subjekt ist157. Hier erst ist Gott dagegen nur als Substanz (als das Eine), noch nicht als Subjekt vorhanden158. γ) War die Konzentration der vorhergehenden Form ein Schritt zur Subjektivierung der Substanz hin, so vollzieht die nächste Form einen weiteren, den ihrer Konkretion. In den Religionen des Lamaismus und Buddhismus ist Prinzip die Gegenwart der Substanz in einem Individuum159. Das verhüllte subjektive Moment der Substanz tritt hier also heraus; aber so, daß zugleich die Substanz als solche erhalten bleibt. Ort ihrer Präsenz ist das Akzidentielle, Zufällige eines einzelnen Sub-

152 153 154

155 158 157 158 159

cf. Gl cf. Sk cf. cf. Gl Gl Gl

Gl 15/342, 406, Sk 16/318, 379 f. 15/325, 342, Sk 16/303, 319. Gl 15/355, Sk 16/331; cf. audi Gl 11/193 f., Sk 12/176; Gl 20/117 f., 11/190 f., H/141 f. Gl 15/326, 355, Sk 16/304, 331. Gl 15/355, Sk 16/331. 15/326, cf. 385, Sk 16/304, cf. 359. 15/372, Sk 16/347. 15/327, 400 f., Sk 16/305, 374 f.

Die religiöse Genese des Subjektivitätsprinzips

183

jektes. Das subjektive Moment bleibt ihr also noch äußerlich, weil es selber nur unmittelbares einzelnes Selbstbewußtsein ist160. Die Wahrheit dieser drei Religionen (α—γ) ist der Gedanke der Substanz. Gott als die substantielle Notwendigkeit schlechthin zu denken, ist für Hegel Grundlage von dessen Begriff in allen höheren Religionen1®1. Die Unwahrweit dieses Standpunktes ist es aber, daß die absolute Substanz nicht audi zugleich als Subjekt bestimmt wird. Dann wäre Gott als konkreter Geist erkannt162. Auf dem Substantialitätsstandpunkt bleibt der Geist nodi von der Substanz verschieden. Selbst wo ihre Beziehung thematisch wird, wie in γ), ist sie beiden Bezogenen ganz äußerlidi. c) Die dritte Stufe der Sphäre „Naturreligion " nimmt das Resultat der ihr vorangehenden auf: sie weiß von der Subjektivität und hat die Intention, diese mit der Substanz weiter zu vermitteln. Das kann, dem Mangel der vorausgehenden Religionen entsprechend, nur bedeuten, daß sie die Subjektivität als selber durch Einheit und Allgemeinheit bestimmt zu erfassen versucht1®3. Nur so kann sich die Subjektivität gegen die Substanz behaupten. Dieser Kampf ist ausgebildet in wiederum drei Religionsgestalten; sie bilden den Übergang zur freien Subjektivität. Aber auch hier bleibt die Substanz noch die Grundlage. An ihr muß also die Subjektivität entwickelt werden. Dies geschieht, indem die zu dieser Stufe gehörenden Religionen die Substanz als in sich selbst bestimmte, also subjektive Einheit, als Totalität ausarbeiten. Damit ist das Prinzip des Geistes als Moment an der Substanz selber gesehen1®4. α) Im Parsismus hat die eine Substanz Besonderheit in sich und ist so als bestimmt in sich wesentlich Subjektivität: das absolute Subjekt185. β) Die Verinnerlidiung des dem Parsismus gegenständlichen Gegensatzes von gut und böse vertieft die Subjektivität: Die Negation wird hier als Moment in die Substanz selber gesetzt. Dies ist der Fall in der syrischen Religion, wo der Schmerz jenes Gegensatzes die Voraussetzung für Freiheitsbewußtsein ausbildet16®. 140

cf. cf. 162 Gl 183 cf. 144 cf. "» cf. 148 cf. W1

Gl 15/417, Sk 16/390. Gl 15/338, 407, Sk 16/315, 380 f. 15/408, Sk 16/382. Gl 15/275, Sk 16/255. Gl 15/417, Sk 16/390 f. Gl 15/422, 431, Sk 16/395 f., 404. Gl 15/434 f., Sk 16/406 f.

184

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

γ) In der ägyptischen Religion schließlich findet sich eine rätselhafte Vermischung substantieller und subjektiver Bestimmungen, so daß sich das Subjekt nodi nicht zu seiner Freiheit durchringt167. 2. In den Formierungen, die das religiöse Bewußtsein der ersten Sphäre („Naturreligion") annimmt, hat sich der Gedanke der Substanz immer mehr dem der Subjektivität geöffnet. Die fortschreitende Näherbestimmung der Substanz war zugleich ihre Auflösung, weil Annäherung an ihr Gegenteil. Ein von Hegel vorgenommener Rückblick168 auf die wichtigsten bisher vorgekommenen Gottesbegriffe kann diese Entwicklung noch einmal skizzieren. Gott wurde in den bisherigen Religionen bewußt als : 1. substantielle Macht (als abstrakte Einheit des Unendlichen, in der die Endlichkeit als ihrer Wahrheit untergeht); 2. reflektierte Substantialität (als Macht in sich, sich vom Endlichen unterscheidendes, schlechthinniges Fürsichsein) ; 3. reine allgemeine Substanz-Form (als das Gute, in dem Substanz und Endlichkeit identisch sind). Dem schließt sich als neuer, die zweite Sphäre beherrschender ein Gottesbegriff an, wo Gott bestimmt wird als 4. geistige Subjektivität (freie Macht der Selbstbestimmung, Weisheit und Zweckmäßigkeit). Dieser Gottesbegriff ist charakteristisch für die neue Sphäre der „Religionen der geistigen Individualität oder der freien Subjektivität". Hier ist explizit, was in der ersten Sphäre nur implizit vorhanden war: das Subjekt ist substantiell. Das Göttliche wird als Subjektivität gewußt169. Die freie Subjektiviät macht also die Grundbestimmung dieser Sphäre aus. Der Fortgang ihrer Religionsformen ergibt sich als Entwicklung dieses Prinzips. Diese Weitergestaltungen resultieren aus zwei Momenten der Subjektivität, die ihr substantiell wesentlich sind. 1) Subjektivität ist ausschließlich (Prinzip der unendlichen Negativität) und allgemein: das Natürliche ist hier bloß Akzidenz170, 2) Subjektivität

187 168 149 170

cf. Gl 15/444, Sk 16/416. cf. Gl 16/6 f., Sk 17/12 f. cf. Gl 15/275, Sk 16/255; Gl 16/3 f., Sk 17/9 f. ebend.

Die religiöse Genese des Subjektivitätsprinzips

185

ist unendliche Form als sich unbedingt realisierend: weder leere unbestimmte Substantialität noch die unfreie, bloße Form von Natur können ihr sich entziehen und indifferent gegen sie Bestehen haben 171 . So lassen sich die zu dieser Sphäre gehörenden Religionen als Versuche charakterisieren, in denen das, was Prinzip der vorhergehenden Stufen war, das Wesen, sich in unendlicher Innerlichkeit zusammenzufassen strebt 172 . Diese Innerlichkeit ist Freiheit. Indem Gott als freie Subjektivität gedacht wird, erscheinen seine Selbstbestimmungen als Gesetze der Freiheit. Daß in dieser Sphäre der Religion allgemeine Gesetze, Recht, Sittlichkeit vorhanden sind, ist bezeichnend für das Vorherrschen freier Geistigkeit, für die Substantialität des Gedankens hier 173 . a) Auf der ersten Stufe der Religionen der geistigen Individualität erscheint das Moment der negativen Einheit vorherrschend. In dieser Religion ist das Für-sich-sein, die Reflexion-in-sich das Substantielle: der eine Gott des Judentums 174 ; der Eine statt: das Eine 174a . Er ist der Erhabene und Wesentliche gegen das Unwesentliche 175 . Seine absolute Macht ist Heiligkeit 176 . — Freilich ist seine Unendlichkeit als Subjekt nodi abstrakt 177 , denn er schließt das Unwesentliche nur von sich aus; es ist nicht Erscheinung seiner 178 ; oder, was dem entspricht, als exklusives göttliches Subjekt kann er im endlichen Selbstbewußtsein keine subjektive Existenz gewinnen 179 . So ist seine Persönlichkeit nur „oberflächlich"1791. Erst in subjektiver Einheit mit dem endlichen Subjekt wäre er konkreter Geist; so ist er nur der Anfangende, absolut Erste, nicht aber auch Resultat 180 . b) Was im Judentum unversöhnlich geschieden ist, das Natürliche und Geistige, ist in der griechischen Religiosität vereinigt. Allerdings ebend. cf. Gl 15/98, Sk 16/86. 1 7 3 cf. Gl 15/275, Sk 16/255; Gl 16/3 f., Sk 17/9 f. 1 7 4 Gl 15/276, 372, Sk 16/255, 347; Gl 16/47, Sk 17/50. 1 7 4 1 Gl 16/48, 56, Sk 17/51, 59. 1 7 5 Gl 15/276, Sk 16/256. 17« Gl 16/47, Sk 17/51. 1 7 7 Gl 15/372, Sk 16/347. 1 7 8 Gl 15/276, Sk 16/256. 1 7 9 Gl 15/372, Sk 16/348. J 7 e »cf. Gl 10/450, Sk 10/370 (§ 562). 1 8 0 Gl 16/54, Sk 17/57. 171

172

186

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

nicht unmittelbar — das wäre ein Rückfall auf den Anfang des religiösen Prozesses (cf. o. 1. a), S. 180) —, sondern auf schöne Weise, d.h. unter der Herrschaft des Geistes181. Dies ist derart die Religion der göttlidien Erscheinung; in ihren Göttern erscheint sich hier die freie Subjektivität 182 . Der Mangel dieser Form des religiösen Bewußtseins ist mit seinem Vorzug identisch. Während in der absoluten Subjektivität des einen Gottes das Natürliche, Endliche abstrakt ausgeschlossen blieb, ist es hier mit der Subjektivität versöhnt. Dadurch wird diese aber zugleich als endlich gewußt, weil eben an das Natürliche gebunden als Medium ihrer Erscheinung183. D. h. die formelle Unendlichkeit der Subjektivität wird hier nodi nicht anerkannt, die Sittlichkeit bleibt „unbefangen". Die Folge ist, daß der Mensch als solcher nicht absolute Geltung erhält. Da Freiheit und Ethos nicht als Substanz des Menschen verstanden werden können, ist Sklaverei noch möglich184. c) Geistige Subjektivität ist ihrem Begriffe nach unendlich weder als abstraktes Bestimmen eines fremden, absolut unterworfenen Stoffes (Judentum) noch verendlicht durch Bindung an das zu Bestimmende (Griechentum), sondern sie ist unendlich als Sidiselbstbestimmen. Die unendliche Subjektivität ist sich selbst unendlicher Zweck185. Diese Bestimmung der Zweckmäßigkeit ist von großer Wichtigkeit für den Geist: in ihr schaut er sich als absolute Form an. Als absoluter Zweck ist die substantielle Macht unendliche Subjektivität geworden 185 *, das subjektive Substanz-Subjekt (cf. o. S. 181) hat darin seine vollkommene Ausbildung erreicht. Diese Zweckmäßigkeit ist Prinzip der römischen Religion. Aber dies — in der zweiten Sphäre — höchste Prinzip kommt hier zugleich nur auf äußerlich-endliche Weise zur Geltung. Der absolute Zweck verkehrt sich darin in einen endlichen186, die absolute Subjektivität in eine empirische Person 187 . Da das endliche Subjekt vom göttlichen Gehalt noch getrennt

Gl 15/276, Sk 16/256. ebend. 1 8 3 ebend. 1 8 4 cf. Gl 16/128 f., Sk 17/128 f. 1 8 5 cf. Gl 16/184, Sk 17/180. »85a ebend. 1 8 8 Gl 15/277, Sk 16/257; cf. Gl 16/10, Sk 17/15 f. 1 8 7 Gl 16/184 f., cf. 45 f., Sk 17/181, cf. 49. 181

182

Die religiöse Genese des Subjektivitätsprinzips

187

bleibt, ist es unendliche, leere Form ohne Substantialität 1 8 8 , die sich der göttlichen Macht als Mittel für ihre endlichen Zwecke bedient 189 . Die Endlichkeit wird maßlos und setzt sich selber absolut in ihrer Begrenztheit 1 9 0 . So schlägt die Vollendung der Subjektivität hier um in ihre völlige Entblößung von der Substanz. Diese hat sich in der formellabsoluten Subjektivität gänzlich zersetzt. Auch diese Form ist — um eine Prägung der Phänomenologie heranzuziehen — „die Nacht, worin die Substanz verraten ward, und sich zum Subjekte machte" 1 9 1 . 3. An diesem Punkt ist die Systematik der Entwicklung fast erschöpft. Sie hat alle möglichen Formen des sie strukturierenden Verhältnisses von Substanz und Subjekt durchgebildet, und zwar so, daß sich in diesem Prozeß zwei Gestaltungsreihen („Sphären") ergeben haben, die diese Entwicklung je unter eines der beiden Momente (Substanz bzw. Subjekt) als Hauptakzent treten lassen (Naturreligion — Religion der geistigen Individualität). Was allein noch möglich ist, ist, diese Entwicklung zusammenzufassen. Dazu ist ihr Ergebnis noch einmal zu betrachten. In der ersten Gestaltungsreihe (1. a—c) vollzog sich die Bewegung von der Substanz zum Subjekt auf dem Boden der Substanz selber. Der substantielle Inhalt differenzierte sich immer mehr, bis er die Form von Subjektivität an ihm selber hatte. Allerdings war diese Form noch nicht für sich, also noch nicht frei. Die zweite Gestaltungsreihe (2. a—c) zeigte, von der Subjektivität als für sich seiender Form ausgehend, ihre Tendenz, zur Substanz in ein Verhältnis zu kommen, sich zu substantiieren. Zunächst war die subjektive Form abstrakt-absolut und vom Inhalt getrennt; dann war sie verendlicht eins mit ihm. Schließlich war jeder Inhalt untergegangen in der unmittelbaren Form, die als endliche sich selbst absolut ist. Der Mangel war hier, daß die Form den Inhalt nicht als sich selbst bzw. sich nicht in sich zum Inhalt bestimmen konnte. Beide Gestaltungsreihen schließen sich nicht nur zu einer Entwicklung zusammen, so daß, wie gesehen, absolute unendliche Substanz, in der das endliche Subjekt untergegangen, und absolutes endliches Subjekt, in der die Substanz untergegangen ist, die äußeren Extreme und die

188 189 190 191

ebend. Gl 15/277, Sk 16/257; cf. Gl 16/10, Sk 17/15 f. Gl 16/184, Sk 17/181. cf. Gl 2/538, Sk 3/514, H/492.

188

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

Mitte das absolut unendliche Subjekt, das Substanz nur als endlichen Inhalt von sich getrennt hat, bilden, — sondern die Mangelhaftigkeit ihres jeweiligen Prinzips ergänzt sich an dem der anderen Reihe. So läßt sich die als Subjektivierung der Substanz und Substantiierung des Subjektes sich vollziehende Entwicklung als in Wahrheit eine Bewegung verstehen, in der Substanz und Subjekt eins sind, indem sie einswerden; bzw. ihr Auseinandertreten in ein sich entwickelndes Verhältnis ist nur Explikation ihrer Einheit. Sie können eins werden, weil sie in Wahrheit eines sind. Diese Wahrheit ist Prinzip und Gegenstand der letzten Gestalt des religiösen Bewußtseins, der wahren und derart absoluten Religion, der christlichen191". Hegel deutet sie als Resultat des vorangegangenen Prozesses von Substanz und Subjektivität in Anknüpfung an Gal 4i („Als die Zeit erfüllet war, . . . " ) : „als der Geist sich so in sich vertieft (hatte), seine Unendlichkeit zu wissen und das Substanzielle als in (einem) Subjekte des unmittelbaren Selbstbewußtseins, aber dann in reiner Subjektivität, unendlicher Negativität, eben damit als absolut allgemein (anzuschauen)" 192 . Dies ist die Vollendung der Dialektik im religiösen Bewußtsein, daß die Substanz als Geist, d. h. unendliche Subjektivität und die endliche Subjektivität als substantiell, weil selber Geist bestimmt wird. Prinzip dieser Religion als der absoluten ist die absolute Identität von allgemeinem und einzelnem Geist, Sein des Geistes für sich selbst193. Indem Subjektivität als unendliche Form mit der Substanz als gleich erkannt ist, gibt es nur die eine unendliche, substantielle Subjektivität, die sidi ihr eigener Inhalt und Gegenstand ist194. In der christlichen Religion selber wird dies als Einheit der göttlidien und mensdilichen Natur gedacht. Die mit sidi identische göttlidie Substanz ist diese Einheit als Grundlage, und zugleich ist sie als Subjektivität das diese Einheit Produzierende 195 . Diese Einheit ist zugleich nicht nur eine substantielle als objektive, an sich seiende, sondern sie ist gleicher1M

a Gl 13/122, Sk 14/129. Lasson, Abs. Rei., S. 185 (Mskr.), cf. Gl 16/320, Sk 17/310; Gl 11/415, Sk 12/391. 193 cf. Gl 16/193, Sk 17/189. 1M cf. Gl 16/197, Sk 17/193. 195 cf. Gl 16/208, Sk 17/204. 192

Pantheismus und Sündenbegriff

189

maßen auch subjektive, die für sich, die gewußt ist. Weil die Substanz hier selber Subjektivität ist und sich zur endlichen Subjektivität entäußert, bleibt sie in dieser als einem Moment ihrer selbst bei sich19®. Andererseits kann eben darum die endliche Subjektivität als Geist sich in der substantiellen wiederfinden als gleichermaßen Geist. Sie weiß nicht nur die Einheit Gottes mit sich, sondern audi sich in dieser Einheit. In dieser Konstellation hat Subjektivität — als in geistiger Einheit mit der Substanz — sich vollendet. Ihr Fürsichsein hat sich zur Totalität ausgebildet und sidi substantiell vertieft, sie weiß sich auf diese Weise in sich als unendlich und absolut, sie weiß sich als Freiheit 197 . Damit zeigt sidi aber, daß im Wissen der vollendeten Religion nicht nur die vorausgehende Entwicklung der Religion zusammengefaßt, sondern daß diese Entwicklung zugleich an ihren Höhepunkt gelangt ist, der Begriff von Religion sich realisiert hat. Das in der christlichen Religion verwirklichte Telos des religiösen Wissens ist, daß Freiheit als Substanz gewußt wird. Dies ist für Hegel der Standpunkt der modernen Welt 198 .

d) Pantheismus und

Sündenbegriff

Soll abschließend das Verhältnis von Pantheismusproblem und Sündenbegriff in bezug auf Hegels Theorie der Sünde reflektiert werden, so muß dabei die gewonnene Einsicht leitend sein, daß eben das Prinzip der Subjektivität es ist, das Hegel zur Selbstunterscheidung vom Substanzdenken geltend macht. Dem entspricht übrigens, daß der Pantheismus sich wesentlich nicht zum „System" (cf. o. Abschnitt a), Satz 1 c)) entfalten kann 199 . Der im vorhergehenden mehrfach beleuchteten zentralen Bedeutung des Subjektivitätsprinzips für Hegel — es wurde in Abschnitt a) als für das Systemkonzept als ganzes, in b) und c) als für Logik und Religionsphilosophie relevant erwiesen — entspricht zutiefst die des Sündenbegriffs. Eben in der mit diesem Begriff bezeichneten 198

cf. Gl 16/194, Sk 17/190.

197

cf. Gl 1 6 / 2 1 2 , Sk 1 7 / 2 0 7 .

198

cf. ebend. Substanzdenken als Prinzip des „Orients" und Subjektivitätsdenken als das des „Abendlandes": Gl 8 / 3 3 9 , Sk 8 / 2 9 5 ; Gl 1 0 / 5 5 , 469, Sk 1 0 / 4 5 , 3 8 9 ; Gl 12/407, 486, Sk 1 3 / 3 9 3 , 4 7 0 ; Gl 15/406, Sk 1 6 / 3 7 9 f.; Gl 2 0 / 1 2 7 , Sk 1 9 / 5 1 9 .

199

cf. Gl 1 0 / 5 5 , Sk 1 0 / 4 5 (Zus.).

190

Das Pantheismusproblem — Substanz und Subjekt

Krise von Subjektivität konstituiert sich diese. Subjektivität als E n t zweiung von der Substanz kulminiert im Phänomen des Sündenfalls. D i e im Fall krisenhaft sich konstituierende endlidie Freiheit gewinnt sich als Entzweiung von der Substanz, welche als zugleich Entzweiung in der Substanz deren unendliche Subjektivität realisiert 2 0 0 . Indem für Hegel der pantheistische Standpunkt unmittelbarer G o t t einheit den Unterschied von Gott und Mensch undialektisch zum V e r schwinden bringt, ist es gerade die Funktion des Sündenbegriffs, jenen Unterschied zu markieren 2 0 1 . Daher überwindet nach Hegel eben die systematische Beziehung des Sündenbegriffs auf den Prozeß des göttlichen Lebens den Pantheismus, indem sie dieses Leben als wirkliches, den Ernst und Schmerz der Negation in sich tragend und überwindend, als göttliches Leben in diesem Sinn allererst denkbar werden läßt 2 0 2 . Weil ζ. B . bei Malebranche die unendliche Subjektivität nicht logisch geklärt ist, bleibt auch bei ihm der Gedanke der Sünde (wie der E r lösung) systematisch wirkungslos, und seine K r i t i k am Spinozismus geht nicht weit genug 202 *. Demgegenüber versteht Hegel die christlich gemeinte Einheit von Gott und Mensch als dialektisch vermittelt durch den Prozeß der absoluten Subjektivität, der die Entzweiung der Sünde einschließt und so aufhebt. In diesem Prozeß des göttlichen Lebens realisiert sich die letzte Einheit mit G o t t durch die Trennung hindurch, welche Einheit als Versöhnung gewußt wird. U n d gerade dieses Verständnis Gottes als „Prozeß", welches am ehesten geeignet erscheint, Hegels Denken dem Pantheismusverdacht gleichsam auf neuer Stufe preiszugeben, ist es, weldies die Persönlichkeit als höchstes Moment zu denken erlaubt. Denn Gott als Prozeß ist nicht ein unpersönliches, blindes Geschehen, in dem sich selber verborgene, darüber herrschende Gesetze sich vollziehen, sondern dieser Prozeß ist

cf. Gl 15/161, Sk 16/146; Gl 10/55, Sk 10/45 (Zus.). Auch nach Kierkegaard, „Krankheit zum Tode", S. 120, soll die Lehre von der Sünde gegen die pantheistisdie Aufhebung des unendlichen Qualitätsunterschiedes zwischen Gott und Mensch „sichern". Einen solchen Pantheismus lastet er freilich der Hegelsdien Philosophie an, ebend. S. 118 u. Erl. 117 (S. 181). 202 cf. Gl 2/23, Sk 3/24, H/20 und Satz 7. o. S. 162 ff., sowie Gl 2/34, Sk 3/36, H/29 f. 2 0 2 a cf. Gl 4/188 f., Sk 5/179, LI/151 u. o. S. 175.

200 201

Pantheismus und Sündenbegriff

191

als Wirklichkeit absoluter Subjektivität gerade das Leben des (endlichen) Subjektes. Um dies noch einmal auf den Sündenbegriff selber zu beziehen: Wird Sünde — wie bei Hegel u. a. auch — als das Selbstische gefaßt, also als ichbezogenes Sichabtrennen vom göttlichen Lebensgrund, so ist dieser (in der Nachfolge des augustinischen amor sui203 stehende) Begriff von Sünde an sich nicht schon mit Pantheismus unverträglich. Dies entscheidet sich erst daran, wie jener göttliche Lebensgrund und das Verhältnis des Ich zu ihm gedacht werden. Ist er als indifferente Absolutheit konzipiert, in der das Ich nur untergeht, ohne erhalten zu bleiben204, wie ein Akzidenz in die Substanz sich auflösend eintaucht, so liegt eine pantheistische Denkweise vor. H a t aber das göttliche Leben selber den Charakter von Subjektivität, so bedeutet die Wiedervereinigung des Ich mit ihm, daß dieses im Absoluten gerade sich selbst zu realisieren und identifizieren vermag. Dies ist bei Hegel gedacht. Sünde ist hier als das Selbstische in dem spezifischen Sinn begriffen, daß es nicht Selbstsein gegen einen Gott ist, in und vor dem kein Selbst sich selber finden kann, sondern daß es Selbstsein gegen sein eigentliches, absolutes Selbstsein und ineins damit gegen das Selbstsein Gottes, also auf Kosten dieses ist205.

208

bei Hegel: „Selbstsüduigkeit", cf. Gl 16/164, Sk 17/162; Gl Sk 16/146. 204 cf. Gl 2/22, Sk 3/23, H/19 und Satz 3(c) o. S. 158. "» cf. Gl 15/227, Sk 16/208.

15/161,

KAPITEL 6

Sünde und Versöhnung Hegels Rezeption der christlichen Versöhnungslehre im Zusammenhang unseres Themas darzustellen, bedeutet vor allem zu klären, daß und wie das Neue, als das Versöhnung der Sünde gegenüber sich darstellt, zu dieser nicht beziehungslos (gleichsam als ein absolutes Wunder), sondern vielmehr mit ihrer Entzweiung wesentlich vermittelt ist 1 . Sinn dieser Vermittlung zu klären, heißt zugleich, Hegels Begriff der Versöhnung nach grundsätzlichen Strukturen zu befragen (Abschnitt a). Wegen der damit gesetzten Beschränkung erscheint für unsere Fragestellung auch der Verzicht erlaubt, a u f das schwierige und komplexe Problem der historischen Vermittlung von Versöhnung in der Person Jesu einzugehen 2 . D e r systematische Sinn von Hegels Versöhnungsbegriff ist in den Bezügen unserer Arbeit zu unterscheiden von seiner historischen Erscheinung. H a t der Versöhnungsbegriff bei Hegel die Funktion, die Aufhebung von Sünde denkbar zu machen — wie sich zeigen wird —, so ist damit das Problem gegeben, in welchem Sinne das eine Einheit von gut und böse impliziert — ein Problem, welches häufig polemisch gegen Hegels Sündenlehre gewendet wird. Seiner Untersuchung ist Abschnitt b) gewidmet. Das mit dem Versöhnungsgedanken gesetzte Bewußtsein der 1

2

Dies kritisiert Barth, „Protestantische Theologie", a. a. O. S. 375, an Hegel; Versöhnung sei ein „unbegreiflicher neuer Anfang". Eine Klärung dieses Problems würde sich vermutlich im Horizont der Fragen zu bewegen haben: inwiefern ist es für Hegels Begriff des Geistes notwendig, a) sich historisch darzustellen - was einer Analyse des Grundproblems der Hegeischen Geschichtsphilosophie, das Verhältnis von Dialektik und Geschichte betreffend, gleichkäme; cf. dazu H. W. Schütte, a . a . O . S. 69 Anm. 27 u. S. 71 Anm. 31 — und b) sidi zu diesem Individuum zu vereinzeln. Um den Ergebnissen solcher ausstehenden Untersuchung nicht vorzugreifen, meint das „unterscheiden" im nächsten Satz unseres Textes oben auch nur eine darstellungstechnische Akzentsetzung, nicht aber eine systematische, letzte Trennbarkeit der Aspekte.

Selbstbewußtsein und Versöhnung

193

Nichtigkeit von Sünde führt auf die Thematik der religiösen Aneignung von Versöhnung. Dies ist kurz darzustellen (c). Zu den Folgegestalten subjektiv angeeigneter Versöhnung gehört für Hegel sodann Sittlichkeit. In ihr wird die versöhnte Einheit von Besonderheit und Allgemeinheit des Selbstbewußtseins konkret. Das zeigt der letzte Abschnitt (d).

a) Selbstbewußtsein und

Versöhnung

Den Sündenbegriff auf den der Versöhnung beziehen heißt, Sünde unter dem Gesichtspunkt ihrer Überwindung zu betrachten. Offenbar macht aber diese Bezugnahme nur etwas ausdrücklich, wovon im bisherigen Gang der Arbeit immer schon und nicht zufällig die Rede war. Ein kurzer Rückblick kann das erläutern. Das zweite Kapitel begriff Unschuld als Antizipation von (versöhnter) Einheit. Das dritte beschrieb den Fall als eine Entzweiung, die in jener Einheit ihr Telos hat. Kapitel 4 rekonstruierte den Sündenbegriff Hegels so, daß, indem Selbstbewußtsein als Grund jener vorausgesetzten Einheit und ihrer Entzweiung erschien, zugleich damit seine Identität als Bezug zum Absoluten begriffen wurde. Kapitel 5 schließlich stellte den Bezug auf Geist als Bedingung versöhnter Einheit des Selbstbewußtseins mit dem Absoluten und darin mit sich eigens heraus. (Dem entspricht, daß der Begriff Versöhnung die Dialektik von Substanz und Subjekt religiös vollendet, wie Exkurs I I nachweist.) Inwiefern sich im Gang dieser Kapitel die Logik von Subjektivität entfaltet, wurde schon eingangs bemerkt (s. o. S. 48 f.). Hier ist nun wahrzunehmen, was es systematisch bedeutet, daß in der Einheit des Geistes als dialektischer Einheit von Gott und Selbstbewußtsein, als welche jene Entwicklung sich zusammenfaßt, die Überwindung der Sünde impliziert ist. Denn bei der Darstellung dieser geistigen Einheit (Kapitel 5) wurde auf das darin der Sache nach enthaltene Moment des Aufgehobenseins von Sünde nicht eigens reflektiert. Das hat an dieser Stelle nun ausdrücklich nicht nur aus Gründen sukzessiver Explikation zu geschehen, sondern es hat einen Grund in der Sache selbst, dem Sündenbegriff. Es ist nämlich für Hegels Sündentheorie konstitutiv, daß der Begriff Sünde auf den Begriff Versöhnung hin konzipiert ist 3 . Dies in dem doppelten 3

13

Dies hat Barth, KD IV/1 a.a.O. S. 415, nicht bemerkt, wo er Hegel vorwirft, seine Lehre von der Sünde sei niât von der Versöhnung her konzipiert. Ringleben, Hegels Theorie

194

Sünde und Versöhnung

Sinne, daß Sünde 1. im Begriff Versöhnung ihre Uberwindung erfährt und 2. zugleich nur unter seiner Voraussetzung überhaupt beschreibbar ist. Der Zusammenhang beider Momente macht den teleologischen Charakter des Hegeischen Sündenbegriffs aus, auf den schon früher hingewiesen wurde 4 . Dieser teleologische Zusammenhang von Sündenbegriff und Begriff der Versöhnung gründet im Begriff Gottes, der als Geist Entelechie ist (cf. o. S. 136 f.). Den Sündenbegriff teleologisch denken, bedeutet also für Hegel, ihn auf den Einheit setzenden und fordernden Gottesgedanken zu beziehen. Den Ausgleich zwischen der Einheit und dem ihr Entgegenstehenden leistet dabei der Begriff des „Prozesses" (s. o. S. 139 ff.). Auf den Versöhnungsbegriff teleologisch bezogen ist derart ein Denken, das im Begreifen zu einem Ganzen zusammenschließt, was f ü r das religiöse Vorstellen sich unterscheidet in Akte und Etappen der Geschichte Gottes mit der Menschheit. Überhaupt ist solche teleologische Kritik von Vorstellungsmaterial bei Hegel Prinzip der Umformung traditioneller theologischer Motive. Ihr Wesen ist vernunfthafte Systematisierung, ihre Notwendigkeit eben diese Vernünftigkeit. Einheit zu stiften vermag diese Umformung, indem sie sich auf ein Unbedingtes: Freiheit bezieht. In diesem Begriff sind formale Notwendigkeit der Umformung (als Vernunftinteresse) und ihre materiale Notwendigkeit (als Konsequenz eines geisthaften Gottesbegriffs) identisch. Im folgenden ist nun der Zusammenhang von Sünde und Versöhnung bei Hegel nach den oben angegebenen beiden Momenten zu präzisieren. Als was Hegel Versöhnung denkt, wird dabei zugleich sichtbar werden. 1. Sünde ist ein existierender Widerspruch 5 . Ihre Uberwindung in der Versöhnung ist also dessen Auflösung®. Die widersprüchliche Verfassung von Sünde ist mehrfach zur Darstellung gekommen. Sünde wurde dabei begriffen als die Gestalt sich widersprechender Freiheit. Das Böse ist ein freier Selbstwiderspruch, malum conversio boni. Es ist der Widerspruch des Selbstbewußtseins, seine Identität so zu realisieren, daß es sie (wesentlich) preisgibt. Indem nämlich Selbstbewußtsein seine endliche Identität gegen seine absolute zu realisieren strebt, täuscht es sich gewissermaßen über den Umstand, daß, indem es sich gegen das kehrt, dem es sich dennoch verdankt, es sich nur gegen sich selbst kehrt: „Diese 4

cf. o. S. 45, 59 ff., 66, 76. cf. Gl 20/298, Sk 11/374, H/315. » cf. Gl 16/222, Sk 17/217. 5

Selbstbewußtsein und Versöhnung

195

Selbständigkeit ist bestimmter der Irrtum, das als negativ anzusehen und sich gegen das als negativ zu verhalten, was ihr eigenes Wesen ist. Sie ist so das negative Verhalten gegen sich selbst, welches, indem es sein eignes Sein gewinnen will, dasselbe zerstört, und dies sein Tun ist nur die Manifestation der Nichtigkeit dieses T u n s " 7 . I m Begriff Sünde weiß das religiöse Bewußtsein die Erscheinung wesentlicher Freiheit, die sich paradox gegen sich selbst vollzieht. Sünde ist dergestalt Selbstaffirmation des Negativen, „positive Negativität" 8 . Z u gleich verdankt die böse Selbstidentifikation des endlichen Selbstbewußtseins sich der Möglichkeit von Identität überhaupt, dem Absoluten, das sie tendenziell von sich ausschließt. N o d i und gerade indem sie sich gegen absolute Identität wendet, zehrt sie von dieser, ist endliche unter deren Voraussetzung. Die Bestimmung, die das Böse von Gott unterscheidet (und allein zu unterscheiden vermag) ist Bestimmung Gottes selber (Fürsidi der Freiheit). Als sol die ist es freilich Schein, eine Bestimmtheit des Absoluten, die im Absoluten selber aufgehoben ist (cf. c. 5 b)!). Eben dies ist im Begriff Versöhnung gewußt. I n ihm bringt sich das religiöse Bewußtsein zur Gegenwärtigkeit, daß audi in der Sünde des einzelnen Subjektes als bösem Sich-Entzweien der göttliche Geist einer bleibt. Denn nur durch Teilhabe an ihm vermag jenes überhaupt zu sündigen. D i e Notwendigkeit des Versöhnungsgedankens ist — wie die der Entzweiung — die Notwendigkeit der Einheit des Geistes® als des „Aufgelöstseins der Widersprüche" 1 0 . D e r Begriff Versöhnung hat das Spezifisdie, diese wesentliche, geisthafte Einheit als Resultat auszusprechen 11 . Denn erst als die Macht realer Versöhnung setzt das Absolute sich durch als das wahrhaft Wirkliche und Göttliche. In dem Prozeß, welcher die Selbstvermittlung des (sonst) erscheinungslosen, abstrakten Absoluten mit der entfremdeten Welt manifestiert, ist G o t t wahrhaft Gott, absoluter Geist12. Dieser hat sein Dasein als geisthafte Einigung und Versöhnung

Gl 4/202 f., Sk 5/192, LI/163. cf. c. 4 o. S. 69 u. o. Anm. 9). » cf. Gl 16/219, Sk 17/214. 10 cf. Gl 15/283, 287, Sk 16/262, 266; cf. Gl 8/93, Sk 8/88. 11 cf. Gl 8/94, Sk 8/89; Gl 15/242, Sk 16/223 und o. S. 45, 137, 167 f. und Anm. 47), 48) ( = Exkurs II). » cf. Gl 13/138, Sk 14/143 u. Gl 2/592 f., Sk 3/566 f., H/541. 7

8

13*

196

Sünde und Versöhnung

der einzelnen und allgemeinen, der endlichen und göttlichen Subjektivität 13 und ist derart die wirkliche Wahrheit des Geistes14. Im Begriff Versöhnung weiß Selbstbewußtsein seine absolute Identität, Gott als sein Wesen15. Entsprechend heißt es an der oben zitierten Stelle der „Logik" weiter: „Die Versöhnung ist die Anerkennung dessen, gegen welches das negative Verhalten geht, vielmehr als seines Wesens, und ist nur als Ablassen von der Negativität seines Fürsichseins, statt an ihm festzuhalten" 18 . Derart ist das versöhnte Gottesverhältnis dem Selbst wesentlich". Indem ihm sein Wesen als reines Selbstbewußtsein präsent ist, hat es in dieser Distanz zu sich die Möglichkeit freier Identifikation mit seiner eigenen Endlichkeit. Versöhnt ist es mit sich endlich identisdi, indem es sich absolut mit sich identisch weiß. Was als Sünde Widerspruch ist, ist als Versöhnung gerade Bedingung der Einheit. Damit macht der Versöhnungsbegriff deutlich, inwiefern Selbstbewußtsein sich im Gottesgedanken wiederzuerkennen, in seiner (religiösen) Entäußerung doch bei sich zu sein vermag. Im Gedanken Gottes als der Einheit der das Selbstbewußtsein umtreibenden Antinomien (ζ. B. WissenTun, Wollen-Können, Gut-Böse) hat Selbstbewußtsein ein ideales Wissen von sich selber. Im Bezug auf diese Einheit kann das Selbstbewußtsein aber nur dann Identität finden, wenn dieser Bezug die Rückgängigmachung aller der der idealen Erfahrung des Selbstbewußtseins von sich widersprechenden und mit ihr unvereinbaren Momente (des Bösen) einschließt. Eben das leistet der Versöhnungsgedanke. Auf der Seite des Gottesgedankens stellt sich dies so dar, daß alles, was mit dem Wissen Gottes von sich als der Einheit von Sein und Wissen nicht unmittelbar zusammenfällt, dadurch in die göttliche Identität eingeholt wird, daß diese selbst als sich entfaltend verstanden wird. Dieser Prozeß als objektive Seite der Versöhnung findet seinen theoretischen Ausdruck in der Christologie. In der wissenden Aneignung dieser Einheit Gottes mit ihm als versöhnt vermag Selbstbewußtsein für sich seine Identität in seinen Entfaltungen zu realisieren (als subjektive Seite der Versöh-

13

cf. Gl 14/4 f., Sk 15/12 f. Gl 9/41 f., Sk 9/18 u. Exkurs II a), o. S. 159. 15 cf. o. S. 143 u. Anm. 120, S. 145 u. Anm. 135; Gl 15/83, Sk 16/71 f.; Gl 16/191, 94, Sk 17/187, 94 f. 16 Gl 4/203, Sk 5/192 f., LI/163. " cf. Gl 16/84 f., Sk 17/86. 14

Selbstbewußtsein und Versöhnung

197

nung) 18 . Es weiß dann die Aufgelöstheit des Widerspruchs, als der es böse ist. 2. Sünde ist abusus; sie ist die Wahrheit in Gestalt der Unwahrheit, Freiheit im Modus ihrer Defizienz. In diesem Verständnis liegt die Konzeption des Begriffs Sünde von ihrer Überwindung her. Ihr Widerspruch war — wie unsere Darstellung im ganzen zeigt — nur unter Voraussetzung von dessen Auflösung zu beschreiben 19 . Dieser hier faktisch nachvollzogene Konstruktionszusammenhang begreift sich aber als notwendig. Dem entspricht religiös, daß die Vollendung der Sündenerkenntnis mit der Offenbarung von Versöhnung, als welche das Christentum für Hegel die absolute Religion ist, zusammenfällt (cf. o. S. 83 f.). Im Zusammenhang unseres Rekonstruktionsversuches heißt das für Hegels Theorie der Sünde: indem Freiheit des Selbstbewußtseins sich vollkommen durchsichtig wird, bringt sich zugleich ihr Mißbraudi (das Böse) zur Evidenz. Ihr sich Wissen als die Wahrheit indiziert sich selbst und die Unwahrheit. Dieser Zusammenhang weist in die Wesensdialektik von Freiheit. Freiheit weiß sich als die Wahrheit offenbar nur, indem sie als Selbstunterscheidung von ihrer Unwahrheit ist (cf. dazu c. 7). Eine Konsequenz dieser Konzeption des Sündenbegriffs mag hier angedeutet werden. Sünde ist danach wesentlich immer Sünde gegen Versöhnung. Sie ist negativ teleologisch. Insofern Selbstbewußtsein krisenhaft ist und seine Identität als versöhnte immer audi nodi vor sich hat, gibt es hiernach nur so etwas wie eine „Sünde nach vorn", mit welcher Formulierung der Unterschied zu einer jeden Konzeption bezeichnet werden soll, die Sünde nur als Verstoß gegen ein Gesetz etc. begreifen kann, sich also, weil dieses als gegeben gleichsam immer „hinter" dem Subjekt liegt, im Rahmen eines Ursprungsdenkens bewegt, das Selbstbewußtsein als freiheitlich verfaßt nicht zu denken vermag. Der neuzeitliche Subjektivitätsbegriff einer permanenten Selbstkonstruktion, eines Seins als Transzendieren des eigenen Seins erzwingt einen Begriff von Sünde und Versöhnung, der dessen prozeßhaftem, aktuosem Wesen gerecht zu werden ermöglicht, also selbst ungegenständlich ist. In dieser teleologischen Verfaßtheit des Sündenbegriffs ist impliziert, daß Versöhnung nicht als restitutio in integram konzipiert werden kann. Ein solcher anfänglich-heiler Zustand ist eben nicht denkbar, weil seine Idee der von

cf. dazu u. Abschnitt d) S. 229 ff. " cf. ζ. Β. o. S. 68.

18

198

Sünde und Versöhnung

Freiheit widerspricht, die sich nicht finden kann, indem sie sidi mit einem ihr vorgegebenen Urzustand identifizieren soll. Sondern Freiheit ist so, daß sie ihr wesenhaftes Sein produziert: das Gute als Resultat 2 0 . Insofern der Begriff Versöhnung diejenige Einheit bezeichnet, die, in der Unschuldsvorstellung nur vorläufig intendiert, sich als widersprüchlich entzweit (Fall) und derart erst unvollkommen, weil als noch verborgene Tendenz darstellt, und die der Begriff Sünde als nur im negativen Modus realisiert erfaßt, — repräsentiert er das Telos der Entfaltung von Subjektivität, das religiös sich als Vollendung der Schöpfung ausspricht 21 . Diese Einordnung und Unterordnung des Sündenbegriffs unter den der Versöhnung als vollendeter Einheit legt die kritische Frage nahe, ob derart bei Hegel die Sünde nicht nur ein bloßes Durdigangsmoment, also um ihren eigentlichen ethisch-religiösen Ernst gebracht sei 22 . Anlaß zu dieser Charakterisierung als „Durchgangsmoment" mag die teleologische Verfaßtheit des Hegeischen Sündenbegriffs gegeben haben, wie sie sich etwa in der Bestimmung des Bösen als zugleich notwendig und notwendig nicht sein sollend darstellt. Die Antwort auf diese Kritik liegt in den Klärungen, die zum Problem der Notwendigkeit von Sünde beigebracht wurden (cf. c. 5 b o. S. 123 ff.). Demgemäß wäre beim Gebrauch des Terminus „Durchgangsmoment" folgendermaßen zu differenzieren. 1. Die mit dem „Fall" gemeinte Entzweiung ist als Konstitutionsbedingung des Selbstbewußtseins in dem Sinne Durchgangsmoment, daß sie in sich unvollendet und auf ihre Erfüllung in absoluter Identität angewiesen ist. Diese über sich hinaustreibende Unvollkommenheit kam

20

cf. o. S. 195 und u. Anm. 104). Ähnlich Müller, Dogmatische Abhandlungen, a. a. O. 116.

21

cf. Gl 15/467, Sk 16/438. Hirsdo charakterisiert Hegels Theorie so, daß da der Sündenfall als „Entfaltung der Sdiöpfung" gedadit werde; cf. „Idealismus", a. a. O. S. 95 Fußnote 2. Ähnlich Trillhaas:

„der Sündenfall ist selbst

der erste und entscheidende Sdiritt der beginnenden Heilsgeschichte", a. a. O. S. 594. 22

cf. Löcker-Euler,

a. a. O. S. 76, und Barth,

„Protestantische Theologie",

a. a. O. S. 375 sowie K D IV/1, S. 415. Hegels von Barth zitierter Ausdruck „notwendiger . . . Durdigangspunkt" (cf. Lasson, Abs. Rei. 105) bezieht sich auf die „unendliche Form des Erkennens", nicht auf den Inhalt im „ersten bösen Willen",

wie der

Textzusammenhang

zeigt.

Momenthaftigkeit Hirsch, „Idealismus", a. a. O. S. 240.

Präziser

erfaßt

die

Selbstbewußtsein und Versöhnung

199

bei der Diskussion des Falles unter dem Titel „Vorspiel des Heils" zum Ausdruck 2 3 . Zugleich betont Hegel, daß diese Wahrheit des Falles: seine Momenthaftigkeit nur für Gott sei. Bezüglich der Identitätsproblematik des Selbstbewußtseins wurde diese Momenthaftigkeit der inneren Unvollendetheit endlicher Freiheit als latente Krise (im Unterschied zur Sünde als aktueller Krise) bezeichnet 24 . Diese Freiheit bleibt zugleich momenthaft einbezogen in die sich realisierende Notwendigkeit Gottes 2 5 . Die Notwendigkeit eines solchen Durchgangsmomentes ist die der Versöhnung als Resultat. Versöhnung kann nicht unmittelbar sein, weil sie Wesen des Geistes ist. Dieser ist nur als Überwindung seiner Entzweiung, die er sich voraussetzt, um zu sich zu kommen 2 6 . 2. Sünde als definitive Entfremdung von G o t t im Bösen kann für sich keinesfalls als „Durchgangsmoment" beschrieben werden. Denn als solche, d. h. als unversöhnte bzw. unversöhnt bleibende ist sie nichtige Gottesferne, sich von der Notwendigkeit der Freiheit abtrennender Schein des Wesenlosen 2 7 . Ein Stadium im Geist, das für seine Entwicklung notwendig wäre, ist Sünde auch darum nicht, weil sie in der Weise der Verkehrung den Geist in seiner Ganzheit repräsentiert, sowohl darin, daß sie selbst das Ganze sein will, als auch darin, daß sie es nur im Geist und durch ihn sein kann. Sie ist die verkehrte Existenz des Geistes 2 8 , falsches Bewußtsein seiner Identität, deren Genuß er noch im Modus der Entzweiung ist 2 9 . Die Befriedigung, die im Bösen liegen kann, ist das Negativ zur Selbstaffirmation des Geistes. Sünde ist freilich diese Ganzheit des Geistes, ohne ihrer mächtig zu sein, weshalb sie a u f Vergebung angewiesen ist 3 0 . Ist Sünde an sich selber kein Durchgangsmoment, so kann sie freilich als versöhnte je und je ein solches werden. W i r d die versöhnte Einheit des Geistes, die auch noch Bedingung ihres Seins ist, in der Sünde erfaßt, 23

24 25 24 27 28 29 80

cf. c. 3 Abschnitt d) o. S. 59 ff. Auch W. Trillhaas spricht in diesem Sinne vom Transitorisdien des Sündenfalls, a. a. O. S. 595 f. cf. c. 4, o. S. 74 ff. cf. c. 5 Abschnitt b), o. S. 126 f. und c) o. S. 141. cf. Gl 15/242, 253, 435, Sk 16/223, 233, 407. cf. c. 5 Abschnitt b) o. S. 133 f. und d) S. 152 f. cf. Gl 20/297 f., Sk 11/374, H/315. cf. Gl 11/91, Sk 12/76. cf. Kopper, a. a. O. S. 243.

200

Sünde und Versöhnung

Sünde also als überwunden und aufgehoben in Gott gewußt (Sündenvergebung), so hat sie sich insofern zu einem „Durchgangsmoment'' verwandelt. Sie ist es dann und nur dann in dem spezifischen Sinne, daß auch die in ihr liegende Entfremdung von Gott dessen absolute Einheit mit dem Selbst nicht aufzuheben vermag. Also insofern sich sündige Subjektivität das göttliche Wissen der Einheit zueigen macht, in der Aneignung der Versöhnung wird ihr das eigene Bösesein eine Bestimmung, die der göttlichen Gnade keinen letzten Widerstand bieten und sogar deren Vehikel werden kann, und derart ein „Durchgangsmoment''. Aus der Notwendigkeit, die Möglichkeit solchen Sichdurchsetzens göttlicher Einheit durch Entfremdung hindurch, worin Sünde als überwunden gewußt wird, zu begreifen, versteht sich eben die teleologische Konstruktion des Sündenbegriffs bei Hegel, die das Ganze des Zusammenhangs reflektiert. Freilich bleibt die Möglichkeit eines solchen Denkens nicht unbestritten. Wird hier nicht von menschlicher Vernunft über göttliches Handeln allzu selbstgewiß verfügt? Erschließt sich das Geheimnis der Versöhnung dem reflektierenden Denken wirklich zu solcher Durchsichtigkeit31? Derartige Problematisierungsversuche der Hegeischen Religionsphilosophie stehen nun freilich gerade zu dem Begriff Versöhnung in viel engerer Beziehung, als ihnen selber deutlich sein mag. Denn Versöhnung läßt sich nach Hegel durchaus als Reflexion der Reflexion charakterisieren. Dies ist sie in einem unmittelbaren Sinn, insofern die Entzweiung des Selbstbewußtseins selber Reflexion und mit Versöhnung eben deren Aufhebung gedacht ist. Versöhnung ist Reflexion der Entzweiung (der Reflexion) in die Einheit, die sich in ihr darstellt. Sodann ist Versöhnung Reflexion der Reflexion in einem reflektierten Sinn, der sich jenem unmittelbaren verdankt: was jener als geschehend meint, ist in diesem gedacht. Dieser zweite Sinn setzt den ersten voraus und macht seine intellektuellen Konsequenzen namhaft. Als solche intellektuelle Reflexion der Reflexion (Denken aus der Versöhnung) hat der Versöhnungsbegriff die Funktion, vernünftige Aufhebung von Antagonismen der Vernunft durch Philosophie zu legitimieren. Er entspricht als Prinzip sich als versöhnt begreifender Vernunft genau dem, was früher als „Sündenfall des Denkens" beschrieben wurde32. 31

32

Das wird von Schmidt versichernd bestritten, cf. die o. Einleitung, Anm. 3) genannten Stellen. cf. c. 3 Abschnitt e), o. S. 62 ff.

Selbstbewußtsein und Versöhnung

201

Auf die eben erwähnte Kritik angewendet, bedeutet das: wie Sündigen auf Gott bezogen bleibt, so das Denken auf sein göttliches Wesen. Die Vorrangigkeit der Versöhnung als Bedingung und Woraufhin des Geistes hebt wie die Sünde so auch das endliche Denken auf in einer dialektischen Einheit von Gott und Selbstbewußtsein. Ist die Entzweiung von sündigem Selbst und versöhnendem Gott im Geist des Christentums aufgehoben, so kann sie für das Denken desselben nicht festgehalten werden33. Denken des Geistes, der sich als versöhnt weiß und begreift, kann nicht selber unversöhnt sein. Bliebe Sünde völlig unbegreiflich, so wäre das Denken ihr gegenüber in eben das Entzweiungsverhältnis gesetzt, das in ihrer Versöhnung gerade als überwunden gedacht wird. Derart begreift Vernunft als Denken von Versöhnung sich als Moment des Gedachten selbst, indem es „nicht sich wegläßt, auf die Seite setzt, sondern das Fixe ihres Sichselbstsetzens aufgibt, sowohl das Fixe des reinen Konkreten, welches Idi selbst im Gegensatz gegen unterschiedenen Inhalt ist, als das Fixe von Unterschiedenen, die im Elemente des reinen Denkens gesetzt, an jener Unbedingtheit des Ich Anteil haben" 34 . Denn indem das Erkennen in dem (ihm zunächst fremden) zu Erkennenden sich wiederzuerkennen vermag, ist es selber wesenhaft Versöhnung. Es realisiert diese als das, was sie in jedem Sinne ist: Rückkehr der Subjektivität in sich35. Schließlich läßt sich die Frage aufwerfen, ob die als Versöhnung gedachte Einheit von Selbst und Gott, Besonderem und Allgemeinem nicht letztlich doch eine Veräußerlichung der Subjektivität, eine Assimilation des Selbstbewußtseins mit Äußerem, Fremdem sei. Diese Frage enthüllt sich als Vergegenständlichung dessen, was als Identitätsfindung des Selbstbewußtseins im Absoluten gedacht ist, wenn man diese Identifikation des Selbstbewußtseins, die zugleich seine Konstitution ist, unter dem Verhältnis von Innerem und Äußerem betrachtet. Bereits ihre Erörterung unter Bezug auf die Kategorien Form—Inhalt (c. 5 d) zeigte, daß im Prozeß des absoluten Geistes diese sich nicht als fremde, einander äußerliche gegenüberstehen und erst nachträglich synthetisiert werden, sondern daß sie überhaupt nur in der Einheit in einander übergehender

33

34 35

cf. besonders Gl 15/41 und 34 f., Sk 16/31 f. und 25 f.; Gl 16/354, Sk 17/342, cf. c. 3, o. S. 61 f. cf. Gl 2/35, Sk 3/37, H/31. cf. Gl 11/415, Sk 12/391 und Gl 15/438, Sk 16/410 f.

202

Sünde und Versöhnung

Momente sind. Wie Form und Inhalt als getrennte nidit hinreichen, das Verhältnis von Selbstbewußtsein und Gottesbegriff als geisthaft zu beschreiben, ebensowenig die Kategorien Inneres und Äußeres. Dies ist kurz zu zeigen. Geht man davon aus, daß Selbstbewußtsein als In-sidi-sein das Innere ist, dem Gott als (zunädist) Äußeres begegne, so ist evident, daß dieses „Äußere" als das, woran Selbstbewußtsein sidi identifiziert und allererst strukturiert, eben nidits rein Äußerliches ist, sondern das,was seine Innerlichkeit gerade konstituiert. (Formal ist Innerlichkeit als solche überhaupt erst, indem sie sich von etwas, das nicht sie ist, von Äußerem, unterscheidet und zugleich darauf bezieht, wie im Fall vorgestellt ist.) Gott ist so kein Fremder, sondern das Innere der Innerlichkeit von Selbstbewußtsein, zu welchem als seinem inneren Wesen dieses gleichwohl eine gewisse Distanz hat. Dagegen ist die sich exklusiv auf sidi beziehende Innerlichkeit, als die Subjektivität böse ist, gerade pure Äußerlichkeit: das isolierte Selbst als natürlich-sinnliche Besonderheit. Indem Gott sich veräußerlicht, kann er „verinnerlidit" werden, und indem endliche Subjektivität formal innerlich ist, ist sie gerade nur äußerlich. Indem der Sinn der „äußeren" göttlichen Substanz Subjektivität ist, sie also sich und die endlich-subjektive Innerlichkeit umfaßt, sind die sich unterscheidenden Momente Gott und Ich eben Momente in ihr als Geist. Andererseits umfaßt die endliche Subjektivität sich selbst und den ihr gegenständlichen Gott als Momente im Selbstbewußtsein des Geistes. So weiß Subjektivität sich und ihr Gottesverhältnis als das innere Leben Gottes. Dies zugleich nur, weil sie sich als dessen äußere Erscheinung weiß.

b) Das Problem der Einheit von Gut und Böse Hegels Philosophie bekennt sich ausdrücklich zu dem Versuch, das absolute Gutsein Gottes — der allein gut bzw. das Gute schlechthin ist36 — mit dem Faktum des Bösen abzugleichen. Indem das Böse erkannt wird, soll sein Widerspruch zur Macht und Heiligkeit Gottes versöhnt

36

Gl 15/112, Sk 16/99.

Das Problem der Einheit von Gut und Böse

203

werden 37 . Dies als Überwindung von Sünde und Bösem im Begriff Versöhnung gedacht, gibt Anlaß zu der kritischen Frage, ob und in welchem Sinne eine so konzipierte Versöhnung nicht eine Aufhebung des Unterschiedes zwischen gut und böse — eine von Hegel selbst als „Kühnheit" bezeichnete Formulierung 38 — bzw. die Identität von gut und böse impliziere. 1. Verbindet sich hiermit der Vorwurf des pantheistischen „Identitätssystems" 39 , so muß jene Anfrage zur Anklage werden. Mit dieser besonders von theologischer Seite kommenden Polemik setzt Hegel sich ausdrücklich auseinander, indem er sich auf die Kritik Friedrich-August G. Tholucks, des Wortführers neupietistischer Theologie im frühen 19. Jahrhundert, bezieht 40 — als welchen Hegel ihn übrigens auch ansieht 41 .

37

cf. Gl 19/272 f., Sk 20/68 und Gl 11/42, Sk 12/38. so Gl 20/298 f., Sk 11/374, H/315. Allerdings ist Hegels im Allgemeinen zustimmendes Referat von Gösdiels Rekonstruktion seiner Thesen für diese Frage nicht direkt als Quelle verwertbar, da es im Einzelnen vielfach unentsdieidbar läßt, was bloßes Referat und was geteilte Überzeugung ist. 39 Gl 8/11, Sk 8/18; cf. o. Exkurs II, Abschnitt b), S. 171. Bei Tholuck (s. nächste Anm.) fällt der Ausdruck z. B. Die Lehre von der Sünde, a. a. O. 226, wo er übrigens den an Hegel erinnernden Gedanken einer lebendigen Identität, die Gegensatz und Einheit umfaßt, erwähnt. 40 Zur Deutung Tholucks überhaupt und seines Verhältnisses zur deutschen idealistischen Philosophie cf. E. Hirsch, Geschichte, V, a . a . O . S. 102—115. Hegels Auseinandersetzung mit Tholuck findet sich in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Enzyklopädie von 1827. Die Schriften Tholucks, die Hegel heranzieht, sind folgende: 1. „Blüthensammlung aus der Morgenländischen Mystik, nebst einer Einleitung über Mystik überhaupt und Morgenländisdie insbesondere", Berlin 1825 (cf. Gl 8/12 f., Sk 8/19 f.; Gl 10/468, Sk 10/388; § 573 Anm.). 2. „Die speculative Trinitätslehre des späteren Orients. Eine religionsphilosophisdie Monographie aus handschriftlichen Quellen der Leydener, Oxforder und Berliner Bibliothek", Berlin 1826 (cf. Gl 8/18 f., Sk 8/25 f.). 3. „Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner, oder: Die wahre Weihe des Zweiflers", 1823. Hegel bezieht sich auf die zweite, umgearbeitete Auflage, Hamburg 1825, die anonym erschien (cf. Gl 8/18 f., 20 f., Sk 8/25 f., 27). Eine beiläufige Erwähnung dieser Schrift findet sich: Gl 20/285, Sk 11/361, H/303. Tholuck war 1823—1826 a. o. Professor der Theologie in Berlin; 1826 wurde er nach Halle berufen. Er sandte die unter 2. genannte Schrift an Hegel, 38

204

Sünde und Versöhnung

Überein kommen beide Vorwürfe in einem abstrakten Gebraudi der Identitätskategorie: wenn pantheistisdi alles eins sei, so müßten es audi gut und böse sein 42 .

der sich in einem erhaltenen Brief vom 3. Juli 1826 dafür bei Tholudt bedankt und Kritik an ihrem Inhalt äußert; cf. Briefe, IV, Nr. 514 a, a. a. O. S. 28 f. Diese Kritik betrifft zunächst nur „einige Punkte . . . die idi anders ansehe" (ebend. S. 28), also gelehrte Einzelfragen. Das wesentliche kritische Anliegen Hegels betrifft jedoch etwas Anderes. Er zitiert einen Nebensatz Tholucks, in dem dieser die christliche Trinitätslehre historisch ableitet: „auf ähnliche Weise wie christliche Theologen aus unbestimmten, und nur mit Bezug aufs Praktische hingestellten Ausdrücken des Neuen Testaments ein weitläufiges spéculatives Theorem über die Gottheit ableiteten, . . ." (Tholuck, a. a. O. S. 40). Hegel bezeichnet diese Ableitung zunächst als einen sehr leichten „Übergang" und fragt, ob „die hohe christliche Erkenntnis von Gott als dem Dreieinigen nicht eine ganz andere Ehrfurcht" verdiene, „als sie nur so einem äußerlich historischen Gange zuzuschreiben" (Briefe, IV, a. a. O. S. 29). Dann folgt eine emphatische Polemik gegen den Geist solchen Verfahrens: „In Ihrer ganzen Schrift habe ich keine Spur eines eigenen Sinns f ü r diese Lehre fühlen und finden können. Ich bin ein Lutheraner und durch Philosophie ebenso ganz im Luthertum befestigt. Ich lasse midi nicht über solche Grundlehre mit äußerlich historischer Erklärungsweise abspeisen. Es ist ein höherer Geist darin, als nur solcher menschlichen Tradition. Mir ist es ein Greuel, dergleichen auf eine Weise erklärt zu sehen, wie etwa die Abstammung und Verbreitung des Seidenbaues, der Kirschen, der Pocken usf. erklärt wird." (Briefe, IV, a. a. O. S. 29). Das Pathos dieser Erklärung wie der ihr völlig entsprechenden Erörterungen der Religionsphilosophie (cf. Gl 15/54, 57 ff., Sk 16/44, 47 ff. und Gl 16/400, Sk 17/387) erklärt sidi aus der zentralen Wichtigkeit des Problems für Hegels Denken. Nicht weniger als der Begriff des Geistes steht dabei f ü r Hegel auf dem Spiel, insofern als dieser impliziert, daß wahre Erkenntnis sich nicht in bloßer Objektivität (wie die subjektiv unbeteiligter historischer Forschung), sondern nur in geisthafter Einheit mit dem Erkannten realisieren lasse. Freilich ist diese Frage nach der Wahrheit, nach der Bedeutung des Erkannten für mich, eine Frage der Vernunft nach sich selber. Sie meint also keinesfalls bloß sogen, „existentielles Engagement". Es ist das Pikante an der zitierten Briefstelle, daß gerade Tholuck als dem Vertreter einer Gefühlstheologie hier mangelnder „eigener Sinn für diese Lehre" und den „höheren Geist" darin und so wesentlich subjektive Desinteressiertheit an der religiösen Bedeutung der Sache vor-

Das Problem der Einheit von Gut und Böse

205

Hegels Auseinandersetzung mit Tholuck nun hat ausdrücklich exemplarischen Charakter, indem dieser blind der „gewöhnlichen Heerstraße

gehalten wird. Er wird darin — obwohl sich als deren Oberwinder im Namen religiös-pietistisdier Subjektivität gebend — der geschmähten Aufklärungstheologie eines flachen Rationalismus überraschend ähnlich, wie Hegel selbst deutlich ausspricht (cf. Gl 8/20, Sk 8/26). Diese brieflich geäußerte Kritik findet sich in der Enzyklopädie-Vorrede wieder (cf. Gl 8/18 f., Sk 8/25 f.). Sie faßt sich hier in dem pointierten Diktum Hegels zusammen, Tholuck gehe „cavalièrement" mit dem Dogma um. Hegel konzentriert sich dabei auf Tholucks Behandlung der christlichen Trinitätslehre. In der Schrift über die Sünde hatte dieser geäußert: „So ist das Verfahren derjenigen Dogmatiker, welche die speculative Idee der Dreieinheit zur Basis des Glaubens machen wollen. Ein Fachwerk mag diese seyn, darein sich die Glaubenslehren ordnen lassen, aber ein Fundament ist sie nimmermehr, auf das der Glaube gegründet werden kann", a. a. O. 219 f.; von Hegel abgekürzt zitiert: Gl 8/20, Sk 8/26. (Die sich in allen von mir benutzten Hegel-Ausgaben hier findende, offenbar auf Hegel zurückgehende Seitenangabe: 221 ist falsch; sie muß vielmehr 220 lauten!) — Den ebend. von Hegel gerügten Ausdruck „Fee Morgana" muß man nach Tholuck tatsächlich auf die Trinitätslehre beziehen, insofern sie in der Dogmatik als „Basis des Glaubens" fungieren soll. Der genauere Zusammenhang der Stelle ist folgender. Tholuck sagt bezüglich des Mangels an Erfahrung des christlichen Lebens (als des „Grundsteins aller wahren Überzeugung") a. a. O. 219: „ . . . so mag der Dogmatiker, welcher das Verderben des Menschen ohne eignes Erleben als Basis der Heilslehren erkannt, aus noch so schön geregeltem Gebälk und Gemäuer das System errichten, es wird den am Ufer stehenden doch stets eine Fee Morgana bleiben. . . . Geht aber bei solchen (sc. .speculativen Dogmatikern', die den .Thurm des Systems' ohne eigenes Erleben ,auf einem Wolkenberge errichtet' haben) dann die Sonne der lebendigen Erfahrung auf, so stürzt er (sc. jener ,Thurm') über seinen Wolken zusammen. So ist das Verfahren derjenigen Dogmatiker . . ." usw. wie oben! Tholucks Einschätzung der Trinitätslehre verdankt sich offensichtlich der Sdileiermadiersdien. Schleiermacher hatte 1822 in der 1. Auflage der Glaubenslehre das Dogma zwar als „den wahren Schlußstein" derselben (§ 186, a. a. O. S. 686) bezeichnet, aber doch erklärt, es habe „nicht den gleidien Werth mit den übrigen eigentlichen Glaubenslehren, sondern ist nur ein verknüpfender Saz" (§ 187, a. a. O. S. 688). Ergibt nach Schleiermacher „nur die unmittelbare Analyse unseres christlichen Bewußtseins" (a. a. O.

206

Sünde und Versöhnung

des Auffassens der Philosophie" folge und die „gewöhnliche unklare Vorstellung von Pantheismus" teile48. Seine Kritik wird von Hegel als

S. 689) eigentliche Glaubenslehren, so kann dagegen der Trinitätslehre nur eine „zusammenstellende und verknüpfende" Abzweckung zugestanden werden (ebend.)> weil sie sidi aus jener Analyse nidit gewinnen läßt. An Tholuck erinnert besonders die Formulierung, daß dieser Lehre „niemals das unmittelbare Bedürfnis des Glaubens . . . zum Grunde gelegen hat, eben wegen des bloß combinatorischen Werthes der Lehre" (a. a. O. S. 706). Übrigens wird der Schleiermacher der „Reden" von Tholuck in begeisterten Worten als Vertreter der Mystik gefeiert, cf. „Morgenland. Mystik", a. a. O. 41 f., 45 und 15. Tholucks Verhältnis zur Trinitätslehre bildet nun freilich außer dem in unserm Haupttext behandelten Pantheismus- und Identitätsvorwurf (s. dort) den Hauptpunkt von Hegels Auseinandersetzung mit ihm. Gl 8/19, Sk 8/25 f. äußert sich Hegel nochmals kritisch zur historischen Ableitung der Trinitätslehre durdi Tholuck (cf. o. S. 204), indem er sich auf dessen Satz bezieht: „ . . . daß auch die scholastische Trinitätslehre nidit bloß aus Speculation über biblische Aussprüdie, sondern unter dem Einflüsse platonischer und aristotelischer Philosophie entstanden ist", cf. „Trinitätslehre", a. a. O. 40 f. Hegel bemängelt dabei besonders den anadironistisch-wertenden Gebrauch des Wortes „scholastisch", cf. ebend. Eine Antikritik zu Tholucks eigentlicher Sündenlehre findet sich nun allerdings bei Hegel so wenig, daß er ihr gerade den Mangel an wirklicher „Lehre" vorhält (cf. Gl 8/18, Sk 8/25). Dieser aus der „expansions- und damit geistlosen Intensität" des pietistischen Standpunktes Tholucks resultierende Mangel hängt für Hegel mit dessen Verhältnis zum Dogma überhaupt zusammen. Auch eine christliche, indem mehr als aufgeklärt-moralische Versöhnungslehre könne es bei Tholuck deshalb nicht geben (ebend.). Nur an dem einen Thema der Sündenstrafe wird dies von Hegel für die Schrift über die Sünde illustriert. Tholuck, für den Sünde „Abkehr des menschlichen Willens von Gott, das Streben des menschlichen Willens sich selbst Gesetz zu seyn . . . innerliche Entfremdung der Seele von ihrem Urquell" ist (Die Lehre von der Sünde, a. a. O. 119), identifiziert die (innerliche) Sündenstrafe mit dem „lastenden Schuldbewußtseyn" und dem „Zustande der Unseligkeit" (ebend. cf. 120). Hegel bemerkt richtig, daß dies der Begriff der „natürlichen Strafe" (poena naturalis, ordinaria, universalis) sei, den die Aufklärung entschieden vertreten habe, cf. Gl 8/19, Sk 8/26. Zur theologiegeschichtlichen Frage cf. Κ. G. Bretschneider, Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen

Das Problem der Einheit von Gut und Böse

207

Ausdruck der allgemeinen Zeitbildung verstanden und ist nicht für Tholuck individuell charakteristisch: „man liest dasselbe in hundert Büchern, unter anderen besonders in den Vorreden der Theologen" 44 .

Kirdie . . ., Erster Band, Zweyte verbesserte und sehr vermehrte Auflage, Leipzig 1822, § 58, S. 380 ff. (Dort audi Literatur zur Bestreitung positiver Sündenstrafe durch die Deisten und besonders Bahrdt's Apologie der Vernunft . . ., Basel 1781, cf. a. a. O. 383, Anm. 259). Zugleich hebt Hegel hervor, daß auch Tholuck nicht auf das Denken verzichten könne; ebend. Die von Hegel erwähnte Ableitung von Bestimmungen „aus der Natur Gottes" bezieht sich bei Tholuck auf die Sündenvergebung, cf. a. a. O. 120, 121. Da Hegel sich also mit Tholucks Sündenlehre im eigentlichen Sinne nicht auseinandersetzt, können wir uns oben im Text auf die beiden Fußnoten über Tholuck zum Identitäts- und Pantheismusproblem beschränken (cf. Gl 8/12ff., Sk 8/19 f. und Gl 10/468, Sk 10/388; § 573 Anm.). Daß die genannten Gesichtspunkte es sind, die Hegel zur Kritik an Tholuck reizen, bestätigen audi die beiden brieflichen Erwähnungen Tholucks, die von Hegel erhalten sind. Die erste findet sich in einem Brief Hegels an Daub, der seit August 1826 mit der „Revision des Drucks" der 2. Auflage der Enzyklopädie, die bei Oswald in Heidelberg erschien, beschäftigt war (cf. Briefe III, Nr. 506 [ a . a . O . S. 107], 519 [S. 125 ff.], 531 [S. 149 ff.], 541 [S. 161 f.], 543 [S. 163 ff.]). Hegel erklärt Daub gegenüber im Brief vom 29. 5. 1827 (Brief N r . 543, a. a. O. S. 163 ff.), daß seine Auseinandersetzung mit Tholuck eben der Grund dafür sei, daß die Vorrede „weitläufiger geworden" sei, als er ursprünglich beabsichtigt habe (ebend. S. 164). Sie finde sidi sowohl in dieser neuen Vorrede wie „in den letzten Bogen der Enzyklodädie" — womit zweifellos die lange Anm. zu § 573 über das Pantheismusproblem gemeint ist (cf. Gl 10/459 ff., Sk 10/379 ff.), die audi über Tholuck handelt (Gl 10/468, Sk 10/388), und auf die Hegel in der Vorrede selber verweist (Gl 8/14, Sk 8/20). Hegel hält nun die Kritik des aufgeklärten theologischen Rationalismus sowie der, wie sie sich nenne, neuen Theologie für ein durchaus zeitgemäßes Bedürfnis. Zur letzteren, die sich das „Monopol des Wortführers" in der theologischen Debatte anmaße, scheint er Tholuck zu rechnen. Denn er schreibt, er sei „auch . . . an dergleichen Artikel, besonders an Herrn Tholuck gekommen". Demnach wäre jene „neue Theologie" der Neupietismus, zu dem Tholuck sich bekannte und den Hegel nur als eine Variante der Jacobi-Schleiermacherschen „Gefühlstheologie" begreifen konnte, und in dem er eine solche Antithese zur Aufklärung erblickte, die ihrer These wesent-

208

Sünde und Versöhnung

Was diese Zeitbildung betrifft, so deutet Hegel sie als einen Gefühlsstandpunkt, der sidi als Folge aufgeklärter Vernunftkritik verstehen läßt 45 . D i e Verzweiflung an der endlichen Erkenntnis läßt in der U n mittelbarkeit des Gefühls die Quelle aller Wahrheit suchen. In dieser abstrakten Alternative sind nun die endlichen Denkbestimmungen freilich nicht wirklich überwunden. Sie pflegen sich im faktischen Erkennen (und sei es eins aus dem Gefühl heraus) unbemerkt wieder einzustellen.

41 42

43

44 45

lidi verhaftet blieb. Der zweite Brief Hegels, der Tholuck erwähnt (4. 8. 1828, cf. Briefe III, Nr. 576, a. a. O. S. 224 ff.), ist an Gabler gerichtet und eine Antwort auf dessen Brief vom 28. 9. 1827 (Briefe III, Nr. 568, a. a. O. S. 206 ff.), der seinerseits Tholuck (neben Schleiermacher in einer Klimax: „und vollends Herr Tholuck") kurz dem Rationalismus als neue „Erscheinung(en)" kontrastiert. (In seiner Antwort auf Hegels Brief redet er dann von „ Tholuck oder S. Er räumt ein, daß diese Philosophie jene Konsequenzen vorsichtigerweise nicht immer deutlich ausgesprochen habe — eine These, die Hegel außerordentlich erbittert und auf die er auch sonst zu sprechen kommt, wo er, ohne Tholucks Namen zu nennen, von dessen Pantheismuskritik handelt®®.

der Sünde", a. a. O. 231 Hegel ausdrücklich zu diesen „BegrifFspantheisten". Die „folgerechten" Philosophen sind solche, die nicht nur dem „in Gegensätzen sidi bewegenden Verstand" folgen, sondern zugleich dem „Streben der Vernunft nadi einer höchsten Einheit" nachgeben, cf. „Morgenland. Mystik", a. a. O. 12, 13. — Übrigens bemerkt Hegel zu Recht, daß es eigentlich „jenen ersten Satz des gefährlichen Dilemma* heißen müßte, cf. Gl 8/13, Sk 8/19. " Gl 8/13, cf. 18, Sk 8/19, cf. 25. eä ebend. « cf. Gl 8/10 f., 14, Sk 8/17, 21. 61 Gl 8/11, Sk 8/17; cf. die ironische Wendung, man müsse das Faktum „mit Geist" aufzufassen vermögen: Gl 8/13, Sk 8/19. «s Gl 8/11, Sk 8/18. ®®a cf. aber o. Anm. 39). «'b Von Aufhebung der Sittlichkeit spricht „Die Lehre von der Sünde", a. a. O. 223, 226; cf. auch die o. Anm. 42) genannten Stellen. M Gl 8/12 f., Sk 8/19 f. und Gl 15/111 f., Sk 16/99 f. Man kann also davon ausgehen, daß von Hegel stets Tholuck (mit)gemeint ist, wo theologische Kritik an seiner eigenen Philosophie als „Pantheismus", „Identitätssystem"

Das Problem der Einheit von Gut und Böse

213

Diese Folgen des Identitätsdenkens müßten nach Tholuck darin bestehen, „daß audi der sittliche Maßstab des Menschen kein absolut wahrer ist, sondern eigentlich Gut und Böse gleich und nur dem Schein nach verschieden sei" 67 . Hegels Antikritik bezieht sidi auf Spinozas Philosophie: schon f ü r diese, so will er zeigen, die Gott erst als Substanz, noch nicht einmal als Geist denkt, gilt jener Vorwurf nicht. Er knüpft an den von Tholuck hervorgehobenen Ausdruck „eigentlich" an. Nimmt man dies wörtlich und im Sinne von „an sich", so kann man in der Tat sagen: an sich ist der Unterschied von gut und böse ungültig. An sich — das heißt so aber: in der N a t u r Gottes. In Gott und f ü r Gott als die einzig wahre Wirklichkeit ist jener Unterschied aufgehoben. Er ist — für Spinoza wie für Hegel — die substantielle Einheit, das Gute selbst, wesentlich und allein gut; in Gott ist das Böse nicht 68 . Der Unterschied von gut und böse existiert erst da, wo überhaupt Unterschied zu denken ist, beim Unterschied des Menschen von Gott 89 . Dieser Unterschied ist nur im Entzweiten, denn das Böse ist eben die Entzweiung 70 . „Eigentlich" hat er Sein nur im Menschen, dessen Existenz er gerade ausmacht 71 . Damit ist zugleich die theoretische Variante ausgeschlossen, nach der gut und böse im Absoluten derart eins sind, daß

etc. erwähnt wird. — Die Unterstellung Tholucks lautet: „Zu dem ersten Satz bekennen sidi alle tiefer und schärfer denkenden Philosophen, nur daß sie in ihren Darstellungen die verderblichen Folgerungen, die mit der Annahme dieses Satzes verbunden sind, nidit immer entwickeln", „Morgenland. Mystik", a. a. O. 13. 87 Wörtlich: „Diese Folgen sind nämlich, daß audi der sittliche Maßstab des Menschen kein absolut wahrer ist, sondern eigentlich Gut und Böse gleich und nur dem Schein nach verschieden ist", „Morgenland. Mystik", a. a. O. 13 (im Zusammenhang des Wesens von Mystik). Von Hegel angeführt: Gl 8/13, 15, Sk 8/19, 21. Tholuck führt diese „auf dem absoluten Standpunkte" stattfindende Überzeugung von der „Identität des Guten und Bösen, von dem nur relativen und subjectiven Werthe des Gewissens, von der inneren Nothwendigkeit, die . . . die wahre Freiheit sei", „Morgenland. Mystik", a. a. O. 22, als verderbliche Wirkungen der die Reinheit der Mystik trübenden „consequenten Reflexion" an. ω cf. Gl 8/15, Sk 8/21 und Gl 15/111 f., Sk 16/99 f. «· Gl 15/111 f., Sk 16/99 f.; cf. Gl 16/72, Sk 17/74. 70 Gl 8/15, Sk 8/21. 71 ebend.

214

Sünde und Versöhnung

„böse" nur eine subjektive Ansicht bezeichnet72. Hiergegen betont Hegel, daß der Gegensatz des Bösen gegen das Gute ein, wenn audi relatives, Recht habe. Falsch sei nur, das Böse als ein Positives und Festes zu nehmen. Es ist das Negative, das nur als Schein der Negativität in sich den Schein des Bestehens für sich hat 73 . Derlei Alternativen verfangen sich allzuleidit in abstrakten Verstandesbestimmungen, die für gültig genommen werden, obwohl sie ganz äußerlich bleiben 74 . Eine bloße Indifferenz von gut und böse, wie sie das Gefühl als solches repräsentiert 75 , ist dem wahren Verhältnis ebenso inadäquat wie das Festhalten an ihrem fixen Gegensatz, das sich beispielsweise bei Görres findet76. „Gut und böse, als die Pole des Gegensatzes, als diskrete Pole aufgefaßt, von welchen jeder den anderen ausschließt und f ü r sich bleibt, sind gleich böse" 77 . Also audi im Sinne einer Befreiung des Guten von der ihm als Glied jenes Gegensatzes anhaftenden und ihm widersprechenden Einseitigkeit ist der eingangs erwähnte Versuch Hegels zu verstehen, denkend das Böse mit dem Guten zu versöhnen 78 . Wie stellt sich nun nach Hegel diese wahre Einheit dar 79 ? Im Folgenden soll Hegels Verständnis dieser Einheit zunächst nach ihrer formalen Seite (also als Einheit) betrachtet werden (2.), wie sie in der „Phänomenologie des Geistes" und in der „Wissenschaft der Logik" — übrigens immer in dem Bemühen der Richtigstellung von Mißverständnissen und polemischen Entstellungen des von Hegel Gemeinten — konzipiert wird. Audi bereits 1807 hat Hegel Anlaß, jene verstandesmäßig-abstrakt mißdeutete Einheit zu kritisieren, was wiederum das bloß Zeitbedingte, äußerlich Veranlaßte der exemplarischen Bezugnahme auf Tholuck 1827 erweist. Die Verdeutlichung dessen, was „geisthafte Einheit" besage, ist ein ebenso dauerhaftes wie zentrales Anliegen dieser Philosophie. 3. soll schließlich versucht werden, diese Einheit inhaltlich als die von gut und böse darzustellen. 72 73 74 75 76 77

78 79

cf. Gl 8/111, Sk 8/103 (Zus.). ebend. cf. Gl 8/110, Sk 8/102 (Zus.). cf. Lasson, Begr. Rei. S. 108. cf. Gl 20/435, 439, Sk 11/491, 498, H/426, 432. Gl 20/299 f., Sk 11/375, H/316. Über die Ohnmacht des abstrakt Guten cf. Gl 15/427, Sk 16/400; Gl 16/534 f., Sk 17/517. cf. o. S. 202. cf. Theunissen, a. a. O. S. 163.

Das Problem der Einheit von Gut und Böse

215

2. In der Phänomenologie kommt Hegel zweimal näher auf die Einheit von gut und böse zu sprechen; in der Vorrede und im Kapitel über „Die offenbare Religion" 8 0 . Die Logik behandelt das Problem der Einheit anläßlidi der von Sein und Nichts und der des Unendlichen mit dem Endlichen. Wir versuchen, diese Aussagen auf das Problem der Einheit von gut und böse zu beziehen. Zunächst ist festzuhalten, daß gut und böse der Vorstellung als bestimmt unterschiedene Gedanken gelten, als „bewegungslos für eigene Wesen", „deren eines drüben, das andre hüben ohne Gemeinschaft mit dem andern isoliert und fest steht" 8 1 . Wie aber ist die Einheit beider Bestimmungen zu denken, die religiös als Versöhnung des göttlichen Wesens mit dem Bösen vorgestellt ist 82 ? Soll diese Einheit eine geistige sein, so geht es nicht an zu sagen, das Böse sei an sich dasselbe wie das Gute. Denn dies gilt Hegel als ungeistige Ausdrucksweise, die eben die Mißverständnisse wecken muß, die er korrigieren will 83 . Jene Aussage widerspricht sich selbst, ihr Gehalt seiner Form, denn: „Indem das Böse dasselbe ist, was das Gute, ist eben das Böse nicht Böses noch das Gute Gutes, sondern beide sind vielmehr aufgehoben" 84 . Als Moment der Wahrheit (des Geistes) ist das Böse nicht mehr es selbst; als solches kann es ihr nicht angehören 85 . Gerade weil die Ausdrücke „gut" und „böse" audi für Hegel das Moment „vollkommenen Andersseins" bezeichnen, ist es falsch, sie zur Charakterisierung der Einheit zu benutzen, in der sie gerade als aufgehoben gedacht werden sollen 86 . Sich widersprechend hält die Formulierung „Einheit von gut und böse" selber eben das fest, was sie negieren will: deren Untersdiiedenheit. Sie benennt gerade das, als

80

In der Vorrede (Gl 2/38 f., Sk 3/40 f., H / 3 3 f.) spricht Hegel vor allem über die Einheit von wahr und falsch, bezieht sich aber audi immer auf die analoge von gut und böse ausdrücklich. Auch Gl 4/543, Sk 6/72, L I I / 5 5 f. wird beides zusammen erörtert. Wir entnehmen diesem Verfahren die E r laubnis, auch die Aussagen, die dem Wortlaut nadi auf „wahr — falsch" gehen, audi auf „gut — böse" zu beziehen. Das gilt auch für die Zitate aus dieser Textpartie zu Punkt 3 ) !

81

Gl 2/38, 590, Sk 3/40, 564, H / 3 3 , 539.

82

Gl 2/593, Sk 3/567, H / 5 4 1 .

M

Gl 2/593, Sk 3/567, H / 5 4 2 .

84

ebend.

86

cf. Gl 2/39, Sk 3/41, H / 3 4 .

M

cf. ebend.

216

Sünde und Versöhnung

was sie außer ihrer Einheit sind: gut und böse als unversöhnter Gegensatz. Die Formulierung als solche fixiert das Gegenteil dessen, was sie meint 87 . Freilich ist von dem Unterschied auch nicht zu abstrahieren, der in ihr zugleich mit ausgesprochen wird 88 . Weil der Unterschied ist und zugleich sich aufhebt — was jene Formulierung gleidisam mimetisch darstellt — ist die Kategorie „Einheit" unzureichend 89 . Einheit ist ein „unglückliches Wort", da sie eine „abstrakte bewegungslose Sidiselbstgleichheit" bezeichnet, der die Momente als ebenso unbewegte Seiende angehören 90 . Will man sich solchen „ungeschickten" Weisen, vom Geist zu reden, anpassen, so führt das notwendig auf widersprüchliche Sätze, die zugleich gelten; derart heißt es dann, daß gut und böse eins sind und daß sie nicht eins sind, daß sie dasselbe und ebenso nicht dasselbe, sondern schlechthin verschieden sind 91 . In solchen Sätzen, die teils die Einheit, teils die Differenz ausdrücken und abstrakt gegensätzlich bleiben, wechseln Einheit und Trennung der Bestimmungen nur ab. Einheit und Trennung erweisen sich darin als selber untrennbar 92 . Eine Auflösung der Schwierigkeit besteht auch nicht darin, beide Bestimmungen für gleich richtig und gleich unrichtig zu erklären; ihr Widerspruch bliebe dabei bestehen98. Ihre Ungetrenntheit und Untrennbarkeit muß dagegen positiv, als die wahre affirmative Einheit gedacht werden 94 : „daß in dem Einen die Bestimmung des Andern liegt, die einfache Einsicht in diese ihre Untrennbarkeit haben, heißt sie begreifen; diese Untrennbarkeit ist ihr Begriff"*5. Der Fehler jener paradoxen Behauptungen ist der, daß „dasselbe eine ebenso äußerliche Vergleichung" darstellt, wie die Reflexion nur auf den Gegensatz („nicht dasselbe") es ist96. Denkformen wie diese 87 88

89 90 91 92 93 94 95

98

cf. ebend. cf. Gl 4/98 f., Sk 5/92 f., LI/75 f. In der Phänomenologie wird dies nodi nicht reflektiert. Gl 4/100, Sk 5/94, LI/77. Gl 4/173, Sk 5/163 f., LI/138. Gl 2/593, Sk 3/567, H/542. Gl 4/99 f., 177, Sk 5/94, 168, LI/76, 141. Gl 4/177, Sk 5/168, LI/141. Gl 4/100, Sk 5/94, LI/77. Gl 4/179, Sk 5/170, LI/144. Einheit heißt, daß jedes „sein Anderes in ihm als sein eignes Moment liegen hat": Gl 4/167, Sk 5/158, LI/133. cf. audi Gl 4/541, Sk 6/70, LII/54.

Das Problem der Einheit von Gut und Böse

217

bzw. Identität — Niditidentität haben eben nur den Wert von Abstraktionen. Philosophie erkennt es für ein Unredit an der Vernunft, sie „für etwas Wahres, Festes, Wirkliches zu nehmen" 97 . Im Begreifen ihres „Begriffs" werden die getrennten Gedanken zusammengebracht 98 . Dieser Begriff ist die Idealität beider als Momente. Ihn zu fassen, macht eben die Natur des spekulativen Erkennens aus: es ist Denken „der entgegengesetzten Momente in ihrer Einheit". „Indem jedes, und zwar faktisch sich an ihm zeigt, sein Gegenteil an ihm selbst zu haben und in diesem mit sich zusammenzugehen, so ist die affirmative Wahrheit diese sidi in sich bewegende Einheit" 99 . Ihre Wahrheit ist also der Geist, worin die Abstraktionen als aufgehobene vereinigt sind. Diese Wahrheit ist zugleich nur als „ihre Bewegung" 100 . Im Geist und als Geist sind sie wirklich, denn Geist ist „das Wirkliche, sich selbst Setzende und in sich Lebende" 101 . So ist er „der Prozeß, der sich seine Momente erzeugt und durchläuft, und diese ganze Bewegung macht das Positive und seine Wahrheit aus. Diese schließt ebensosehr das Negative in sich, dasjenige, was das Falsche (das Böse102) genannt werden würde, wenn es als ein solches betrachtet werden könnte, von dem zu abstrahieren sei"103. Beziehen wir dies auf das Gute, so heißt, es geistig zu denken, seine Positivität als Resultat seiner sich erzeugenden Bewegung zu denken 104 , die das Böse als überwundenes Moment in sich trägt. Es ist so als Prozeß, in dem es sidi herabsetzt, nur eine seiner Bestimmungen dem Bösen gegenüber und damit selbst nur ein Böses zu sein, und diesen Unterschied seiner von sidi selbst zur Affirmation seiner aufzuheben und durch diese Vermittlung als wahrhaft Unendlich-Gutes zu sein105. Durch das Böse ist das Gute erst unendliche Beziehung auf sich106. 97 98 99 100 101 102 103 104

105

l0e

Gl 2/594, Sk 3/567 f., H/542. cf. hierzu und zum folgenden: Gl 4/177, Sk 5/168, LI/142. cf. ebend. Gl 2/594, Sk 3/568, H/542; cf. Gl 4/100, Sk 5/94, LI/76. Gl 2/44, Sk 3/46, H/39. Meine Einfügung gemäß Anm. 80. Gl 2/44, Sk 3/46, H/39. Die Frage nach dem „Ursprung des Bösen" (cf. c. 5 o. S. 132) verliert damit an Gewicht gegenüber der nadi dem „Ursprung des Guten", als einem erst zu produzierenden. Paraphrase eines Satzes über das Unendliche als Prozeß seiner Einheit mit dem Endlichen; cf. Gl 4/172, Sk 5/163, LI/138. cf. Gl 4/177 f., Sk 5/168, LI/142.

218

Sünde und Versöhnung

3. Die Abwehr jener falsch verstandenen Identität ist etwas Anderes als ihre wahre systematische Entfaltung, wenn audi diese in jener vorausgesetzt ist. Diese Voraussetzung soll jetzt eigens dargestellt werden, wodurch das Vorhergehende erst näher bestimmt und das Verhältnis von gut und böse zu den Thesen dieser ganzen Arbeit in Beziehung gesetzt werden kann. Wir knüpfen noch einmal an den zentralen Gedanken an. Nach Hegel ist endliche Subjektivität nur durch Partizipation an der absoluten, menschliche Freiheit nur als Moment der Freiheit Gottes. Daraus folgt, daß die Bestimmungen „gut" und „böse" nicht als ein Verhältnis zu moralischen oder religiös-inhaltlichen Normen gedeutet werden können. Vielmehr sind sie zu denken als Seinsweisen der Freiheit (cf. auch o. S. 132). Meint „gut" freie Einheit mit dem Absoluten bzw. die Einheit der Freiheit mit dem Absoluten, so folgt notwendig die Kritik der Unschuldsvorstellung: ein bloß seiendes, nicht sich herstellendes Gutsein ist eo ipso nicht gut. In diesem Sinne ist Hegels Wendung zu verstehen: „unschuldig, aber nicht wohl gut" 107 . Entsprechend „gibt" es nicht einfach ein Böses 108 . Die unschuldige Indifferenz von gut und böse ist selber böse, weil das Gute eben das ist, was es selbst sein soll, sich realisieren soll. Unschuld ist unmittelbare Einheit von gut und böse im Sinne ihrer UnUnterscheidbarkeit; gut und böse dürfen aber nicht eins sein, wenn das Gute sein soll. Unschuldig sein heißt, noch nicht gut und insofern böse, aber auch, noch nicht böse und insofern gut sein. Diese widersprüchliche Einheit gilt als aufgelöst in der Entzweiung des Falls bzw. in der Entfremdung der Sünde. Hier sind gut und böse antinomisch geschieden. Die Unaufgelöstheit ihres Dualismus und Gegensatzes widerspricht nun freilich seiner Aufhebung im Versöhnungsgedanken. Hier wird eine Überwindung der Antinomie gewußt, die jedoch nicht die unmittelbare Einheit der Unschuld ist. Offenbar treten gut und böse unter dem Gesichtspunkt der Versöhnung in eine entfaltete, in sich differenzierte, konkrete Einheit, die der von Gott und Selbstbewußtsein analog, die geistig ist. Welches ist ihr wahres Verhältnis? Betrachten wir diese Kategorien nach dem, was sie an sich selber sind. Gut ist: Identität des Fürsichseins im Absoluten oder auch das

107 108

Gl 2/588, Sk 3/562, H/537. Gl 2/38, Sk 3/40, H/33.

Das Problem der Einheit von Gut und Böse

219

Besondere, das sich als Moment des Allgemeinen setzt. Böse ist: Identität des Fürsichseins in steh als selber absolut, das Besondere, das sich selber als allgemein setzt. Während Gutsein heißt, in der Suche nach Identität auf das Absolute so bezogen zu sein, daß sie darin gefunden wird, ist das Bösesein in der Identitätssuche so auf das Absolute bezogen, daß es sich selber das Absolute vertritt, Identität (vermeintlich) in sich findet, indem es sich absolut wird. Böse ist die Tendenz auf das Absolute als Selbstwiderspruch. Aber eben diese Bezogenheit auf das Absolute ist gut am Bösen; das Böse ist darin an sich gut 1 0 9 , es setzt, um selber sein zu können, das Gute voraus. S o läßt sich formulieren: „böse" ist das Gute, das sich als sein eigener Widerspruch (im Modus des Bösen) verwirklicht. Andererseits liegt in dieser Beschreibung, daß das Gute, insofern es Fürsichsein ist, tendenziell böse ist. In Erscheinung zu treten, vermag diese Tendenz nach Hegel in Gestalten eines bloß an sidi seienden Guten, das als abstrakt, für sich gegen das Andere, als böse Geltende festgehalten, selber böse ist (cf. o. S. 2 1 4 ) . Die abstrakt-subjektive gute Gesinnung im Bild der „schönen Seele" ist Hegels Paradigma für dies Bösesein des (einseitig) „Guten" 1 1 0 . Es ist wahrhaft gut nur als Ü b e r windung auch dieser Möglichkeit des Bösen. S o läßt sich zugespitzt formulieren: „gut" ist das Böse, das sich überwunden hat, und zwar wesentlich. Gut ist das Böse, das sich im Modus seiner Negativität, gut verwirklicht. Was macht die Möglichkeit solcher Formulierungen deutlich? Offenbar die Untrennbarkeit von gut und böse 1 1 1 : „Das Gute und das Böse sind untrennbar, und ihre Untrennbarkeit liegt darin, daß der Begriff sich gegenständlich wird und als Gegenstand unmittelbar die Bestimmung des Unterschiedes h a t " 1 1 2 . Das Gute ist nicht ohne Wissen des Bösen, also ohne das Böse wirklich das Gute — eben weil es nicht unmittelbar, sondern nur als Negation seiner Negation sein kann. U n d das Böse ist

108

114 111 118

Dieses dialektische Wesen des Bösen verkennt die Vorstellung vom Teufel, die eine undialektisch-abstrakte Fixierung des Bösen an sidi als besonderes Subjekt darstellt; cf. Gl 2/38, Sk 3/40, H/33; Gl 14/373, Sk 15/371; Gl 15/374, Sk 16/349; Gl 16/173, Sk 17/170. Hegel sagt dazu ironisch: „so schlimm . . . ist das Böse . . . nicht", Gl 2/38, Sk 3/40, H/33! cf. Gl 20/299 f., Sk 11/375, H/316 und Gl 2/503 ff., Sk 3/482 ff., H/461 ff. cf. o. S. 216. Gl 7/202, Sk 7/263 (Zus.).

220

Sünde und Versöhnung

in seiner Positivität nur als Negation des Guten, es ist als böse nur gegen und unter wesentlicher Voraussetzung des Guten bestimmbar. Das heißt aber, das Gute hat das Böse als Moment an ihm und setzt es voraus, wie umgekehrt das Böse das Gute als Moment an ihm hat und es voraussetzt. Gut und böse lassen sich nur als Einheit denken; sie sind untrennbar. Diese Einheit darf nicht als äußerliche Verbindung mißdeutet werden, so daß die empirische Trivialität herauskäme, an jedem Bösen sei auch immer etwas Gutes und umgekehrt. Ihre Einheit ist eine des Begriffs, der den Unterschied einschließt; das Böse ist also nidit einfach Bestandteil des Guten 118 . Die Untrennbarkeit wird übersehen oder außer Acht gelassen, wenn man sie jedes für sich, isoliert voneinander, eines als bloßes Gegenteil des anderen festzuhalten versucht. Ihre Wahrheit ist das Ganze, indem sie notwendig aufeinander bezogen sind. Gut und böse sind Reflexionsbestimmungen. Eine solche hat die „Beziehung auf ihr Anderssein an ihr selbst"114. Solche Bestimmungen, wie audi positiv-negativ, deren sich die Beschreibung oben nicht zufällig bedienen mußte, haben keinen Sinn ohne einander: „es ist an ihnen selbst ihr Scheinen ineinander, das Scheinen seines Andern in jedem, vorhanden" 115 . So ist „das Positive nur als Beziehung auf ein Negatives, oder das Positive ist an ihm selbst der Unterschied von sich selbst, wie ebenso das Negative"11®. Eben dies gilt auch für die Bestimmungen gut und böse, wenn man sie logisch zu denken versucht117. Auch sie werden unmittelbar als durch einen festen Gegensatz geschieden vorgestellt wie positiv und negativ 118 . Das Gute erscheint solcher äußerlich bleibenden Ansicht als das nur Positive, das Böse als das nur Negative. Betrachtet man aber diese Bestimmungen an ihnen selbst, wie oben, so zeigt sich, daß das Gute nur ist als Negation des Bösen; es hat selber den Charakter von Negativität, weil seine Substanz wesentlich ein Negatives, indem nur als Selbstunterscheidung vom Bösen, ist119. Es ist als Tugend: „der 1,3

cf. Gl 2/39, Sk 3/41, H/34. Gl 4/504, cf. 500, 535, Sk 6/35, cf. 31 f., 64 f., LII/22, cf. 19 f., 49. 115 Gl 4/138, Sk 5/131, LI/109. "« Gl 2/124, Sk 3/123, H/117; cf. ausführlicher Gl 4/541 f., Sk 6/70 f., LII/54 f. 117 Daher führt die Anmerkung der „Wissenschaft der Logik", die den Gegensatz von „positiv" und „negativ" thematisiert, zugleich auch den logisdien Begriff des Bösen ein; cf. ζ. Folgenden Gl 4/541 if., Sk 6/70 ff., LII/54 ff. 118 Gl 16/234, Sk 17/228. 119 cf. Gl 2/38, Sk 3/40, H/34. 114

D a s Problem der Einheit von Gut und Böse

221

höchste, vollendete Kampf" 1 2 0 . Und das sich in sich verschließende Böse ist als exklusive Identität gerade ein Positives. Dies zu erkennen, vermeidet den logisdien wie ethisch-religiösen Fehler, das Böse als das nur Andere, Negative im Sinne bloßer Abwesenheit des Guten zu verstehen 121 . Das Böse ist nicht einfach der Mangel des Guten, so daß gut und böse nur äußerlich unterschieden wären, sondern das Böse ist in sieb dem Guten entgegengesetzt; es ist positiv gegen das Gute: „Das Böse besteht in dem Beruhen auf sich gegen das Gute; es ist positive Negativität" 1 2 2 . Das reflektierte Verhältnis von gut und böse, „daß jedes wesentlich das Scheinen seiner im Andern und selbst das Setzen seiner als des Andern ist" 1 2 3 , läßt sich im Blick auf die eben versuchte inhaltliche Diskussion beider Begriffe resümierend so bestimmen 124 . 1. Gut und böse setzen sich gegenseitig voraus; jedes setzt das Andere voraus und bezieht sich vermittelst des Anderen auf sich selbst. 2. Gut und böse setzen sidi selbst voraus: a) um das Andere als Anderes von sich unterscheiden zu können, b) um vermittelst des Aufhebens des Anderen sich auf sich beziehen zu können. 3. Gut und böse setzen jedes das Andere als Moment der eigenen Selbstaffirmation voraus; jedes hat es als solches an sich selbst, umfaßt sich und sein Gegenteil. 4. Gut und böse sind so jedes das Ganze, oder das Ganze ist eben diese Untrennbarkeit beider, die darin als unlösbare Beziehung und unverwechselbare Unterschiedenheit die Bewegung von Momenten darstellen. Ihr Verhältnis muß demnach begriffen werden als Selbstexplikation dieses Ganzen, das als es selber nur wird, indem es sich von seinen einseitigen Ausgestaltungen unterscheidet, sie setzend und aufhebend 2ttgleich, um so als Selbstuntersdieidung von seinem Gegenteil (eben der so oder so bestimmten Einseitigkeit) wahrhaft es selbst, das Ganze zu sein. Es verGl 4/543, Sk 6/72, LII/55. cf. Gl 2/38, Sk 3/40, H/34. Damit wird der entsprechende Vorwurf von H. Groos, a. a. O. S. 160 hinfällig. « « Gl 4/543, Sk 6/72, LII/56. 1 M cf. Gl 4/541, Sk 6/70, LII/54. 1 M Der folgende Präzisierungsversudi (1.—4.) verdankt sich der von Hegel Gl 4/206 f., Sk 5/196 f., LI/166 f. erörterten Logik von Repulsion und Attraktion. 120 m

222

Sünde und Versöhnung

wirklicht sich, indem es sich von seinem Gegenteil abstößt, dieses dabei umfassend. Dieses Ganze ist das absolut Gute. Es ist als Einheit zweier Ganzer (cf. o. 4.) bzw. zweier Einheiten von gut und böse. Wir fanden nämlich 1. die Einheit von gut und böse als das Böse (im Modus des Bösen, als Widerspruch des Bösen, auf sein Gegenteil bezogen zu bleiben) und 2. die Einheit von gut und böse als das Gute (das sittlich Gute, das sein Gegenteil überwunden umgreift). In der ersten Einheit ist das Ganze von gut und böse nur erst an sich, in der zweiten für sich. Ihre Einheit wird in der Versöhnung als das absolut Gute gewußt. Denn beide Einheiten enthalten das absolut Gute als ihre Einheit, in der ihre Widersprüchlichkeit und damit sie selbst aufgehoben sind. Dieses stellt ihre zur Totalität ausgebildete Einheit dar, in der sich das Gute durch Selbstunterscheidung zu vollkommener Durchsichtigkeit gebracht hat. Das Gute ist, als das Ganze und sein eigenes Moment, Selbstbewegung125 ; es ist als Versöhnung mit dem Bösen in und an ihm, dem Guten selbst126. Indem gut und böse im absoluten Sinne eins sind, sind sie die sich herstellende Notwendigkeit der Freiheit. Wie das, was an der Sünde notwendig ist, Moment von Gottes sich realisierender Notwendigkeit ist127, so ist das, als was das Böse eins ist mit dem Guten, es ebenso. Das Gute ist derart die Freiheit des sich absolut im Absoluten wissenden Geistes. c) Die Nichtigkeit von Sünde Versöhnung ist Aufhebung des Widerspruchs, als der Sünde existiert. Derart manifestiert Versöhnung die Nichtigkeit von Sünde, indem sie die Einheit des Geistes als die Absolutheit Gottes offenbart und verwirklicht. Sünde ist Flucht vor der Freiheit, die das, wovor sie flieht, in sich selbst hat. Es ist ihre innere Verfangenheit, von dem nicht wissen zu wollen, was sie doch weiß, um auch nur wollen zu können. Dieser konstitutive Selbstwiderspruch des Bösen erscheint als seine Ohnmadit. Gerade in seiner äußeren Entgegensetzung ist es nichts als eine verzweifelte Vergeblichkeit: seine Negation bleibt mit dem Negierten unauflöslich verkettet. Wo es ganz es selbst sein will, ist es lediglich negatives Abbild. Das Selbst-sein-Wollen des Bösen ist so ein Nicht-selbst-sein-Können. 125 126 127

cf. Gl 4/516 f., Sk 6/47, LII/33. cf. Gl 15/421, Sk 16/394. cf. c. 5 Absdinitt b) o. S. 130.

Die Nichtigkeit von Sünde

223

Seine eigenste Intention ist nur seine Aufhebung, sein Tun allein Gestalt von dessen Nichtigkeit 128 . Indem Gott als die absolute Notwendigkeit die wahre Wirklichkeit ist, hat das Böse keine wahrhafte Selbständigkeit 129 . Was dem Bösen den Schein von Selbständigkeit gibt, ist allein seine Negativität in sich selbst; das Sichauflösende erscheint als positiv, allein seine Positivität ist geliehen130. Diese „Abstraktion des Bösen" 181 wird in der Versöhnung als solche manifestiert. Denn im Begriff Versöhnung wird die göttliche Notwendigkeit als sich durchsetzende Einheit des Geistes, als konkret gewußt. Indem dieses absolute Beisidi-sein als der göttliche Geist gewußt wird, der die Entzweiung so überwindet, daß er darin zu sich kommt, wird gewußt, daß für Gott das Böse nicht ist. In seiner konkreten Wirklichkeit als absolute Freiheit ist diese Abstraktion nicht, darin ist vielmehr ihre Auflösung gedacht. Indem Gott als der allein Gute, das Gute als das Absolute begriffen werden muß 132 , kann der Schein von affirmativer Existenz (das Böse) nicht bestehen. Im absolut-Guten sind beide einseitigen Formen, die des Bösen und die des endlich-Guten, das ein Böses sich entgegen bzw. neben sich hat, schlechthin überwunden 183 . Vor und für Gott ist das Böse nicht134. Darin ist seine absolute Nichtigkeit gedacht135. 128 129 180

131 132 133 134

136

Gl 4/203, Sk 5/192, LI/163. Gl 15/426, Sk 16/399; cf. Gl 2/366, Sk 3/353, H / 341. cf. Gl 8/111, Sk 8/103 (Zus.); cf. die Rede vom Verbrechen als „Scheinexistenz", Gl 7/300, Sk 7/373 (Zus.). cf. Gl 16/76, Sk 17/78. cf. o. Anm. 36) (zu S. 202). cf. Gl 15/427, Sk 16/400. cf. übereinstimmend Kierkegaard·. „Wofern die Freiheit im Guten bleibt, weiß sie schlechthin nichts vom Bösen. In diesem Sinne kann man von Gott sagen, . . . daß er vom Bösen nichts wisse. Damit sage ich keineswegs, das Böse sei nichts als das Negative, das „Aufzuhebende", sondern daß Gott von ihm nichts weiß, von ihm nichts wissen kann und will ist des Bösen absolute Strafe. . . . da Gott der Unendliche ist, so ist sein Ignorieren die Vernichtung bei lebendigem Leibe; denn das Böse vermag Gottes nicht zu entraten, sogar bloß um das Böse zu sein", cf. „Begriff Angst", a. a. O. S. 115, Fußnote. Zur „Positivität" von Sünde bei Kierkegaard cf. Exkurs III, S. 256 f. Gl 10/395, Sk 10/316 (§ 510). Der Ausdruck „nichtig" bei Hegel ζ. Β. auch Gl 16/91, Sk 17/92.

Sünde und Versöhnung

224

Versöhnung macht das Böse als an und für sich überwunden denkbar 139 , indem das Gute als absolut vollbracht gewußt wird 137 . Darin liegt einerseits — wie Hegel bemerkt — ein gewisser Unterschied zur Kantisdi-Fichtischen Ethik, die das Gute als im unendlichen Prozeß des Sollens immer nur aufgegeben versteht 138 . Andererseits ist in diesem absoluten Wissen zwar die Sünde als aufgehoben gewußt; aber etwas anderes ist ihre Beseitigung unter den Bedingungen der Endlichkeit 139 . Der Begriff Versöhnung bedeutet Manifestation der Nichtigkeit von Sünde, nicht ihre reale Vernichtung. Damit ist freilich nicht gesagt, daß Versöhnung folgenlos sei. Denn sie ist wirklich im subjektiven, religiösen Wissen, für das und in dem sich die Nichtigkeit der Sünde manifestiert. Das christliche Bewußtsein erfährt Versöhnung als Sündenvergebung. Indem es sich als von Gott angenommen und in seiner Entzweiung mit ihm eins wissen kann, erfährt es die Macht der Sünde als durch göttliche Verzeihung gebrochen140. Die Beziehung auf Gott, der in der Entzweiung ein Geist bleibt und das Getrennte mit sich wiedervereinigt, hebt das religiöse Bewußtsein über seine Endlichkeit hinaus. Ist es als endliches eins mit seiner bösen Tat, die sein Sein als böse qualifiziert141, so weiß es sie für die unendliche Freiheit des göttlichen Geistes, in der es sein Selbstbewußtsein hat, als ein Nichtiges142. Indem dies Bewußtsein sein absolutes Wesen weiß und darin ein unendliches Selbstbewußtsein seiner Identität gewinnt, vollzieht sich eine innere Umkehr. Es ist als Bewußtsein Gottes allgemeines Bewußtsein, das das Unredit seiner Einseitigkeit abgestreift und dessen Wille als Prinzip seiner Taten sich innerlich bekehrt hat 143 . Im Wissen Gottes als des unendlichen Geistes vollzieht sich so die „Reinigung der freien Seele vom Bösen" 144 . Dabei meint „freie Seele" nicht einen 136

cf. Gl 16/336, Sk 17/325.

137

cf. Gl 15/238, Sk 16/219.

138

cf. Gl 16/336, 534 f., Sk 17/325, 5 1 7 ; ähnlich sdion 1 8 0 2 : Gl 1/422 f., Sk 2 / 4 2 2 f., W

139

worauf Kopper

4/407 f. aufmerksam madit, a. a. O. S. 245.

140

cf. Gl 16/336, Sk 17/325.

141

cf. Gl 16/305, Sk 17/295.

142

ebend.

143

cf. Gl 16/135 f., 155 f., 335 f., Sk 17/134 f., 154, 325; GJ 15/255, Sk 16/235 und Abschnitt d) S. 230.

144

cf. Gl 16/156, Sk 17/154: „die freie Seele kann sich reinigen von diesem Bösen".

Die Nichtigkeit von Sünde

225

von der Sünde unberührten „guten Kern" der Menschennatur, die Hegel ja als durchgängig böse denkt 145 . Vielmehr ist in dieser Wendung Befreiung, Freiwerden der Seele und Reinigung vom Bösen eins. Es ist die Freiheit, die das religiöse Bewußtsein als Distanz zu seinem Innersten erst im Verhältnis zu Gott gewinnt. In diesem unendlichen Wissen wird die Sünde als vergeben, als bei Gott nichtig gewußt. Die Sündenvergebung gewährt so die „höchste Befriedigung der Seele" 148 , weil diese sidi darin ihrer Freiheit als Geist vergewissert. Diese Freiheit spricht sidi aus als die religiöse Gewißheit, daß der Geist das Geschehene ungeschehen machen kann 1 4 7 . Mag von der Handlung die Erinnerung bleiben, wesentlich streift der Geist sie von sich ab. Dergestalt ist das gläubige Bewußtsein der Lossprediung von Sünden das Wissen der geistigen Manifestation der Nichtigkeit von Sünde. „Die Wunden des Geistes heilen, ohne daß Narben bleiben; die Tat ist nicht das Unvergängliche, sondern wird von dem Geiste in sidi zurückgenommen, und die Seite der Einzelheit, die an ihr, es sei als Absicht oder als daseiende Negativität und Schranke derselben vorhanden ist, ist das unmittelbar Verschwindende" 148 . Freilich ist die Gewißheit der Versöhnung keine des endlichen Geistes als solchen. Insofern im Begriff Versöhnung die Einheit mit Gott gewußt wird, ist die Differenz von endlichem und unendlichem Selbstbewußtsein darin so enthalten und ausgedrückt, daß jenes das Unwesentliche, Überwundene, Aufgehobene und dieses das Wahrhafte, absolute Identität gerade als Distanz zur endlichen, als Freiheit in Gott Gewährende repräsentiert. Das geistige Einheit konstituierende Bewußtsein dieser Differenz macht unmöglich, d a ß Versöhnung in die Verfügung der endlichen Subjektivität gerät. Versöhnung aus eigener Kraft — das ist eben die Formel f ü r das Böse, wie umgekehrt als Ursprung der Sünde gerade die Intention angesehen werden kann, „aus eigener Kraft das Wahre zu erkennen" 149 . N u r indem Versöhnung als objektive, d. h. als die des unend-

145 148 147

148

149

cf. c. 4 Abschnitt d) o. S. 90 ff. cf. Gl 11/487, Sk 12/461. cf. ζ. Β. Gl 16/135 f., 155, 305, 335, Sk 17/135, 154, 295, 324 f.; Gl 13/161, Sk 14/166. Gl 2/513, Sk 3/492, H/470. Diesen Satz kritisiert E. Hirsch, Idealismus, a. a. O. S. 139. Gl 8/92, Sk 8/87.

15 Ringleben, Hegels Theorie

226

Sünde und Versöhnung

liehen Geistes, als allgemein gewußt wird, kann ihre subjektive Aneignung die geisthafte Befreiung vermitteln, in welcher das Böse das Nichtige ist. Solche Versöhnung ist allein für den Glauben, „diese Richtung des Geistes in sich auf Gott" 1 5 0 . Allererst im Sidizurückziehen des Selbstbewußtseins aus der endlichen Negativität des Bösen ist es Rückkehr in das Positive unendlicher Freiheit 151 . Diese subjektive Aneignung der befreienden Versöhnung als Sündenvergebung drückt sich für Hegel aus in einer Haltung, die als Beziehung auf Gott das Nichtige sein läßt, was es ist: nichtig. Sie weiß ihre Einheit im Geist, indem sie das darin Wesenlos-Verschwindende nicht eigens festhält. Darin nämlich wäre Entzweiung als unüberwindlich gesetzt, und das Prinzip der Vereinigung, der Geist selber, ausdrücklich und als solches verneint. Diese Fixierung von sündiger Trennung als unaufhebbar ist die höchste Potenz böser Separation. Hegel bezieht sich zu ihrer Deutung auf die biblische Rede von der „Sünde wider den Geist" 1 5 2 . Ihre „Unvergebbarkeit" ist Ausdruck dafür, daß sie gegen das Prinzip Vergebung selber gerichtet ist. Sie ist für sich gesetzte Negation des allgemeinen Geistes als diejenige Sünde, die die Möglichkeit geistiger Einheit mit Christus als sündenvergebend ausdrücklich verneint 153 . Als mit diesem Verständnis des Versöhnungsglaubens, dem die Sünden das Nichtige werden, unvereinbar weiß Hegel auch gewisse Gestalten von Frömmigkeit, die scharfer Kritik anheimfallen: „Das Laster ist nur dieses, wenn die Sünden dem Menschen wesentlich sind und das Verderben dieses, sie für etwas Wesentliches zu halten" 1 5 4 . Diese Frömmigkeit hat sogar in abstraktem Verständnis der Versöhnung und äußerlicher Indoktrination der Dogmatik zu Techniken selbstquälerischer Einbildung des Bösen und künstlichen Versuchen geführt, sich ein Sündenbewußtsein aufzuzwingen 155 .

150 151 152

153 154 155

cf. Gl 13/161, Sk 14/166. cf. Gl 13/161, Sk 14/166 f. cf. Gl 16/315 f., 336, Sk 17/305, 325. Dieser Zusammenhang erscheint phänomenologisch als der von „Verzeihung" und „hartem Herzen", cf. Gl 2/511 ff., Sk 3/490 ff., H/469 ff. cf. Gl 17/106 f., Sk 18/95. cf. Gl 18/274, Sk 19/110. cf. die Schilderung Gl 11/533, Sk 12/505, in der Motive aus der Zeit der „Jugendschriften" weiterleben, cf. ζ. Β. Nohl, a. a. O. S. 208 ff.

Versöhnung und Sittlidikeit

227

Solchen Entartungen gegenüber ist es „die erhabenste Moral" — die Hegel bereits bei Spinoza ausgesprochen findet — „daß das Böse das Nichtige ist und der Mensch diesen Unterschied, diese Nichtigkeit nicht soll gelten lassen"15e. Ist das Böse fixierte Entgegensetzung gegen Gott, so ist das Gute gerade deren realisierte Nichtigkeit: „seine Wahrheit nur (zu) setzen in Gott und seine Richtung auf Gott" 1 5 7 . Indem für Hegel die Erscheinung des mit Gott versöhnten Guten Sittlichkeit ist158, ist die Nichtigkeit der Sünde im Bewußtsein ihrer Vergebung eine Bedingung von Sittlidikeit. So kann Hegels Konzeption von Sittlichkeit aus diesem Prinzip der „Freigabe des Zufälligen" heraus dargestellt werden159. Sittlidikeit realisiert dergestalt die Freiheit, die das Zufällige als aufgehobenes Moment in sidi hat 160 .

d) Versöhnung

und

Sittlichkeit

Unter den Bedingungen des Christentums denkt Hegel Sittlidikeit als verwirklichte Versöhnung. Dies ist hier abschließend zu erläutern, weil erst darin das im Begriff Sünde Negierte konkret erscheint. Daß Sittlichkeit Folgegestalt von Versöhnung ist, bedeutet so wenig ihre Beiläufigkeit, daß sie vielmehr gerade als Vollendung von Religion überhaupt begriffen werden muß, wie audi umgekehrt der Versöhnungsglauben vollendete Sittlidikeit erst möglich macht. Diese sich an ihrer systematischen Stellung als drittes und höchstes Moment im Aufbau von Religion („Kultus") bereits äußerlich dokumentierende Bedeutung der Sittlichkeit bei Hegel läßt sich kurz so charakterisieren161. Der Begriff Religion stellt sich immer dar in der Doppelung von Wissen und Gewußtem: das Gottesverhältnis als bewußte Einheit von Selbstbewußtsein und Gottesgedanke, von religiöser Subjektivität und ihrer Vorstellung. Es ist so die höchste Möglichkeit von Bewußtsein überhaupt, d. h. Unterscheidung implizierende Erscheinung des Geistes. Im religiösen Wissen als Wissen erscheint Gott dem Subjekt. Dieser ihr Gl 15/112, Sk 16/100. ebend. 1 5 8 dazu s. u. Abschnitt d) S. 234 ff. 1 5 9 cf. H enriáis eindringlichen Versuch, a. a. O. S. 171—180. 1β» cf. Gl 8/328, 326 f., Sk 8/286, 285 (Zus.) und c. 5 b) o. S. 129 f. 1 4 1 cf. zum Folgenden: Lasson, Begr. Rei., a. a. O. S. 224 f., cf. 66 ff.

156

167

15»

228

Sünde und Versöhnung

•wissensmäßiger Charakter rechtfertigt Hegels Bezeichnung dieser Seite von Religion als „theoretisch". Die Subjektivität des Geistes vollendet sidi aber erst in der Überwindung audi dieser Unterscheidung (Entzweiung), die religiöses Bewußtsein konstituiert. Als Subjektivität muß Entzweiung als Selbstdarstellung von Einheit, Erscheinung für ein Anderes als Sidi-selbst-Ersdieinen, Selbstbewußtsein gedacht werden. Dies zu denken, ermöglicht der Begriff Versöhnung, in dem Bei-sidi-sein des Geistes als aus seiner Entzweiung resultierend gewußt wird. Seine Verwirklichung benennt Hegels Begriff des „Kultus". Dessen reale („weltliche") Gestalt muß daher als Verwirklichung des religiösen Wissens begriffen werden. In ihr bringt sich der Geist als Sittlichkeit in wirklicher Subjektivität zur Gegenwart. Sittlichkeit ist Geist als selbstbewußte Praxis. In der Praxis also vollendet sich religiöses Bewußtsein, das, für sich theoretisch, erst als weltlich-realer Selbstvollzug nicht nur seine letzte innere Entzweiung, sondern zugleich seine Beschränkung auf eine besondere Sphäre überwindet und wirklicher Geist ist. In dieser äußeren Vollendung erreicht der Geist sein innerstes Wesen. Hegel denkt Geist wesentlich als Praxis1*2. Seine Philosophie als totale Theorie der Freiheit muß den sogen. Primat der praktischen Vernunft universal zur Geltung bringen162*. Indem solche Praxis die des Geistes ist, hat sie als geisthaft selber die Gestalt innerer Einheit von Theorie und Praxis. Ihr Theoriemoment ist ihr Sidi-selbst-Wissen als Praxis; Theorie der Praxis als Selbstauslegung dieser Praxis. Daß Praxis sich dergestalt durchsichtig ist, indem sie an sich selbst für sich ist, ihre eigene Theorie in sich trägt — das verhindert ihren Rückfall in eine 162

Man vgl. die Stellung und Bedeutung der „praktischen Idee" in Logik und Enzyklopädie! Ihr Primat gründet im Verständnis des Geistes als Sidiselber-Machen. Diese Dimension des Hegelsdien Denkens wird vielfadi verkannt; es gilt als „rein theoretisch". So, um nur ein Beispiel von theologischer Hegelkritik in dieser Richtung zu zitieren, wirft Barth Hegel vor, die Wahrheit „nur theoretisch" aufzufassen („Protestantische Theologie", a. a. O. S. 374; cf. auch S. 376, w o vom „abstrakt denkenden Menschen" als thematischer Mitte der Hegelsdien Philosophie die Rede ist!). Barth formuliert dagegen (ebend.), nur eine Theorie der Praxis des Menschen könne die Wahrheit erfassen, d. h. er formuliert gerade Hegels Überzeugung. 162 »cf. Gl 10/443, Sk 10/354 (Anm.).

Versöhnung und Sittlichkeit

229

Gestalt purer Unmittelbarkeit. Als dieses Moment von Selbstreflexion der Praxis, die der Geist ist, hat Philosophie ihr Sein. Sie ist SidiWissen des Geistes. Philosophie ist gedankliche Explikation eines Moments des Geistes selbst; sie hat ihm gegenüber nichts Neues und Höheres, sondern ist lediglich Freisetzung des ihm konstitutiv immanenten theoretischen Prinzips. Sie artikuliert das Selbstbewußtsein sittlicher Praxis als höchster, allumfassender Wirklichkeitsgestalt. Philosophie stellt dar, daß Freiheit nur ist als Wissen von sich. Diese allgemeinere Exposition der Sittlichkeitsthematik bei Hegel soll nun in drei Hinsichten erläutert werden. Wir betrachten: 1. die subjektive Aneignung von Versöhnung, 2. ihre notwendige „Weltlichkeit" und 3. Sittlichkeit selber als Einheit des Allgemeinen und Besonderen. 1. Die erste Konsequenz von Versöhnung ist ihre Aneignung im Subjekt. Damit ist ausgedrückt, daß subjektive Aneignung zur Versöhnung nicht äußerlich, zufällig hinzutritt, sondern ihr wesentlich zugehört. Sie folgt aus dem, was sie zugleich erst realisiert. Subjektive Aneignung verwirklicht Versöhnung, aber so, daß sie sich von dieser her allererst versöhnt weiß. Sie weiß als sich vorausgesetzt, was sie selber setzt. D a ß Gott die Welt versöhnt habe, macht subjektive Aneignung dieser Versöhnung erst möglich, welche Versöhnung darin zugleich wirklich wird. So hat jeder Mensch „an sich selbst die Versöhnung zu vollbringen" 168 , sie in sich Wirklichkeit werden zu lassen, in welcher Wirklichkeit allgemeiner Geist und besonderer Geist aktuell versöhnt, konkretidentisch sind. Gerade indem Versöhnung vorausgesetzt ist, kann subjektive Aneignung mehr sein als zufälliges Gefäß ihrer Erscheinung. Denn indem Subjektivität sich auf dieses Ansidi als Voraussetzung aneignend bezieht, das ihm als nicht von ihm hervorgebracht 164 vorgegeben ist, kann sie gerade darin zu der Entäußerung gelangen, die ihre Versöhnung ist. Das ist zu erläutern. Christlich gilt die Versöhnung als das Gute schlechthin als vollbracht. In ihr wird das Böse als an und f ü r sich überwunden angeschaut 165 . Damit ist dem einzelnen Subjekt aufgegeben, sich die Versöhnung zuzu163 194 165

cf. Gl 11/523, 532, Sk 12/496, 504. cf. Gl 15/237 f., Sk 16/218. cf. Gl 15/238, 254, Sk 16/219, 234; Gl 16/335 f., Sk 17/324 f.; Gl 8/422, 445, Sk 8/367, 387 (Zus.).

230

Sünde und Versöhnung

eignen, sie subjektiv zu übernehmen, für sich an ihr Teil zu haben und darin ihrer Wahrheit gewiß zu sein166. In dieser Vorausgesetztheit liegt unendlicher Trost 167 und eine absolute Möglichkeit zu Reue und Buße 188 . Diese Möglichkeit wird anschaulich im Tode Christi. Hier erlebt das Subjekt im Anderen sich selbst169 und wird in den Prozeß sündenüberwindender Versöhnung so einbezogen, daß es ihn als seinen eigenen Prozeß ansieht. Eben dies ist Aufgabe des Kultus: er macht als Inhalt gegenständlich, was der absolute Geist ist170. So weiß das Subjekt in der Geschichte Gottes seine eigene; es erfährt sich einbezogen, verflochten in die eine Bewegung, die die Gottes zum Selbst wie die des Selbst zu Gott ist171. Dieser Prozeß der Identifikation ist aber eine innerliche „Umkehrung": indem das Subjekt sich in den absoluten Inhalt als in sein Wesen versenkt, ist es zugleich mit dem Absoluten wieder vereinigt und selbst ein anderes, weil versöhntes 172 . Das Sichgewinnen durch Sichpreisgeben in Gott ist wahres Opfer, die wahre Demut und durch Befreiung von der Selbstsucht als Wurzel der Sünde reine Liebe173. Die so sich vollziehende Entäußerung des endlichen Geistes in dem absoluten als seinem Wesen ist dessen Befreiung. Indem er diesen unendlichen Abstand zu sich gewinnt, seine Substanz als ein Anderes anzuschauen, gewinnt er sich in Freiheit und weiß sich als unendlich 174 . Distanz zu sich ist aber eben durch Bezug auf ein Vorausgesetzes möglich. Gerade in der Versöhnung aneignenden Distanz zum eigenen endlichen Sein wird der Geist frei von dessen seiender Exklusivität und findet im Absoluten sein Wesen als konkrete Freiheit 175 .

" · cf. Gl 15/254, 238, Sk 16/234, 219. 187 cf. Gl 16/112 f., Sk 17/112. 168 Gl 15/255, Sk 16/235; Gl 16/333, 335 f., Sk 17/322, 325. " · Gl 16/305, Sk 17/296. 17e cf. Gl 15/90, Sk 16/78. 171 cf. ebend. und Gl 15/255 f., Sk 16/235 f. 172 cf. Gl 15/83, 226, 244, cf. 244, Sk 16/72, 207, 225, cf. 224; Gl 16/135 f., 137, Sk 17/135, 136. 175 ebend. cf. Gl 15/161, 199, Sk 16/146, 182. Zur erlebnismäßigen Auswirkung solcher Aneignung der Versöhnung cf. Gl 14/33 f., 558, 573, Sk 15/41, 551, 566. 174 cf. Gl 15/161, 252 f., Sk 16/146, 232 f. 175 cf. Gl 15/226, Sk 16/207.

Versöhnung und Sittlichkeit

231

Diesen Sinn hat nach Hegel die reformatorische Bestimmung des Glaubens: im Absoluten Freiheit zu haben 178 . Sein Wesen ist „Andacht" als subjektive Gegenwart von Versöhnung; die subjektive Versenkung in Gott als das absolute Wesen verliert sich darin nicht in jenseitige Ferne, sondern kommt vielmehr versöhnt zu sich, indem sich ihr Gottes Nähe als eigene Gegenwart öffnet 177 . Besteht derart subjektive Aneignung der Versöhnung gerade in der Entäußerung der exklusiven Subjektivität, dem Wesen des Bösen, und in der Identifikation in unendlicher Subjektivität, so macht dieser doppelte Bezug (Entäußerung und Identifikation) auf Versöhnung als vorausgesetzte deutlich, daß Subjektivität gerade in solcher Aneignung Versöhnung auch verwirklicht 178 . Versöhnung konstituiert Geist als Identität endlichen Selbstbewußtseins mit sich als unendlich durch die Nichtidentität des Bezugs zum Absoluten hindurch. Denn indem die andächtige Hingabe an Gott auch Bewußtsein meiner selbst impliziert, gilt: „sofern ich nur Andacht habe als mich gegen Gott aufgebend, bin ich nur als Reflexion zugleich aus Gott in mich"179. Das Resultat dieser Bewegung ist also subjektive Identität in wahrhafter Endlichkeit: das endliche Selbstbewußtsein, das sich als endlich weiß. Im Wissen des unendlichen Wesens ist diese endliche Identität vermittelt durch ihre Negation 180 . Das Selbst tut Verzicht auf seine Endlichkeit, indem es sie im Bewußtsein Gottes ausdrücklich anerkennt und darin frei gewinnt bzw. übernimmt. Wahrhafte Endlichkeit, das ist die, die sich nicht exklusiv festhält, böse ist, indem sie selbst unendlich sein will, sondern sich in Gott aufhebt, d. h. indem sie unendlich ist, sich endlich preisgibt bzw. endlich nur ist als unendliche Hingabe. Endliche Identität konstituiert sich versöhnt so und ist nur so, daß sie sich als Moment absoluter Identität begreift. Durch Integration in den absoluten Geist — religiös — findet endliche Subjektivität

17

« cf. Gl 15/161 f., Sk 16/146; Gl 17/105, Sk 18/94. Gl 16/195, Sk 17/191. 178 Merkwürdig mutet daher die ζ. B. auch von Löcker-Euler vertretene These an, bei Hegel fehle das „persönliche Risiko", „Wagnis", a. a. O. S. 33, 82. Erlösung geschehe danach nur als „allgemeiner Sinnvollzug" und „ohne freien Einsatz", ebend. S. 77. 179 Gl 15/207, Sk 16/190. 180 Gl 16/191, 281, Sk 17/187, 273.

177

232

Sünde und Versöhnung

ihre Identität. Sie kann so sie selbst sein, daß sie absolut (im Absoluten) sie selbst ist. Als derart sich herstellende Identität ist Subjektivität Moment im Prozeß des absoluten Geistes. Freilich sind Hegels Formulierungen vom endlichen Selbst als Moment des göttlichen Lebens181 gegen ein analoges, pantheistisdies Mißverständnis wie die von Gott als „Prozeß" zu präzisieren182. „Moment" beschreibt gerade nicht einen statischen Zusammenhang von seiendem Ganzen und seienden Teilen, sondern die freiheitliche Konstitution der Freiheit. Indem das „Moment" lebendiges Moment absoluter Freiheit ist, ist es selber frei. Gerade nach seiner Freiheit und Subjektivität ist es als Moment 183 . Das kann man von zwei Seiten zeigen. Einmal, das endliche Selbst gewinnt gerade nicht als endlichseiend Identität im Absoluten; es ist vielmehr als Selbstaufhebung seines Seins im Geist versöhnt 184 . Sich unendlidi als endlich zu wissen, ist Negation endlicher Selbstaffirmation; darin ist das Selbstbewußtsein, wie Hegel sagt, „actualiter endlidi" 186 . Dies ist das wahre Sein des Endlichen, sich als endlich zu setzen. In diesem Sinne meint „Moment" die Aktuosität sidi transzendierender endlicher Freiheit. Sodann läßt sich der Sinn dieser Momenthaftigkeit audi vom Begriff Gottes als Prozeß her zeigen. Als subjektive Substanz ist Gott in sich als die Bewegung gedadit, sich mit sich zu vermitteln. So ist er in sich bewegt, sich seinen Inhalt erzeugend. „Moment" kann nur eben dieselbe Bewegung in sich sein — als Erfüllung des substantiellen Prozesses184. Selbstbewußtsein als Moment in Gott besagt, daß endliche Subjektivität als Selbstkonstruktion wesenhaft und frei partizipiert an der substantiellen Selbstkonstruktion, die Gott ist. Freiheitlich verfaßte Subjektivität ist in ihrer Momenthaftigkeit begriffen als die Weise, in der absolute Freiheit da ist, als ihre endliche Ausdrucksgestalt. Zum Scheinproblem wird damit im Horizont adäquater Freiheitstheorie das traditionelle Problem, wie sich „Gnade", als die der göttliche Geist auch nach Hegel Wiedergeburt bewirkt 187 , zur menschlichen Freiheit 181

cf. u. a. Gl 15/89, 208, 210, 407, Sk 16/77, 190, 192, 380 f.; Gl 16/191, 194, 282, Sk 17/187, 190, 273. 182 cf. dazu Exkurs II, S. 190 f. 183 cf. Gl 16/281, Sk 17/273. 184 cf. o. Anm. 180) und Gl 15/226, Sk 16/207. 185 cf. Gl 15/208, Sk 16/190. 18 « cf. Gl 15/208, 210, Sk 16/190, 192; Gl 16/191, Sk 17/187. 187 Gl 16/336, Sk 17/325.

Versöhnung und Sittlichkeit

233

verhalte. Denn ist Versöhnung Geist, so ist ein isolierbarer, für sich fixierbarer „menschlicher Anteil" gerade das Ungeistige, das Versöhnung überwinden will 188 . Glaube ist selber Gegenwart des göttlichen Geistes im Subjekt, und im Glauben realisiert das Subjekt sich als Geist189. Die Form subjektiver Lebendigkeit gehört eben selber zur göttlichen Objektivität 190 , wie auch Subjektivität nur ist als Einheit ihrer selbst und ihrer Objektivität 191 . So ist der Mensch nicht passives Medium der Gnade, wie ein Stein einer fremden Wirkung ausgeliefert 192 , sondern sein Tun ist zugleich das Gottes und umgekehrt 193 . Gott ist nur durch ihn, seine Freiheit, in ihm und doch ist es die Freiheit Gottes, die sich darin gegenwärtig macht. Menschliche und göttliche Freiheit sind eine als eine sich in sich unterscheidende Bewegung194. Diese ihre Einheit ist „über den Verstand", weil sie die Vernunft der Freiheit ist 195 . Es ist ein Prozeß, in dem der Geist sich realisiert und zugleich sich als solcher Vollzug da ist. Sein Moment zu sein besagt, Moment seiner Wirklichkeit zu sein. Subjektivität, die als ihre Aneignung Versöhnung darstellt, ist so als wesentliches Moment des Geistes, der Versöhnung leistet, als seine Realität erfaßt. Es wird sich zeigen, wie das auf die Begriffe Sittlichkeit und Gewissen den größten Nachdruck legt. Subjektivität als absolutes Moment zu erkennen — darin attestiert Hegels Philosophie sich, den „großen Fortschritt unserer Zeit" denkend mitzuvollziehen. Freilich schließt das die Nötigung ein, audi zu erkennen, wie denn diese „wesentliche Bestimmung" wahrhaft bestimmt ist196. Diese Bestimmung zu explizieren, leistet der Begriff Sittlichkeit. 2. Um die Notwendigkeit von Sittlichkeit als Folgegestalt der Versöhnung zu erkennen, muß sie zu der Notwendigkeit in Bezug gesetzt werden, die der Gottesgedanke selber darstellt. Dabei wird sich zeigen, daß es die der Notwendigkeit immanente Zweckmäßigkeit ist, die Sitt188 189 190 191 192

193 194 195 1M

Gl 16/336, Sk 17/326. ebend. Gl 16/212, Sk 17/208. Gl 16/195, Sk 17/191. Gl 16/337, Sk 17/326; Gl 15/238, 262, Sk 16/218 f., 242; cf. Gl 12/306, Sk 13/293. Gl 15/238, Sk 16/219; Gl 16/337, Sk 17/326; cf. Gl 15/256, Sk 16/235 f. Gl 16/117, Sk 17/117. cf. Gl 16/345, Sk 17/334. cf. Gl 16/194 f., Sk 17/190 f.

234

Sünde und Versöhnung

lichkeit notwendig denken läßt. Wie in Kapitel 5 erläutert wurde, ist Notwendigkeit von Hegel als der Prozeß der Freiheit gedacht 1 · 7 . Sie ist so Prozeß absoluter Selbstvermittlung, die Tätigkeit, sich in sidi Bestimmtheit zu geben und als solche Selbstbestimmung allererst zu sein. Dieser Prozeß ist das Leben Gottes als absolute Zweckmäßigkeit, in welcher absolute Notwendigkeit sich als Freiheit realisiert. Notwendigkeit ist als bestimmt in sich, als inhaltsvoll Zweckmäßigkeit 198 . Absolute Notwendigkeit bestimmt sich selbst als Zweck: Gottes Zweck ist nur er selbst, indem er in seiner Realität sich mit sich vermittelt. Sein Sein ist Sich-Wissen, sein Zweck, daß sein Begriff ihm gegenständlich sei 19 *. Als solche subjektive Macht, in der Wollen und Vollbringen, Absicht und Wirken unmittelbar identisch sind, die ewig ist, wozu sie sich macht, als Einheit von Anfang und Ziel, Grund und Resultat 200 , ist Gott wahrhafte, weil absolut realisierte Zweckmäßigkeit. Diese ist Einheit des Begriffs Gottes und seiner Realisation, seiner göttlichen Subjektivität und ihrer Objektivität 2 0 1 . Sie ist zugleich als die Natur Gottes vollziehend absolut innerliche Zweckmäßigkeit: die wahrhafte Erfüllung der göttlichen Idee durch sich selbst, Gott als vernünftige Organisation in ihm selbst, als absolut konkret 202 . Solchen Zweck, der Gott selber ist, seine göttliche Bestimmtheit als Inhalt absoluter Form 203 , begreift Hegel als den höchsten. E r ist das Gute als der allgemeine Endzweck der Welt schlechthin204. Gott als soldier sich in sich realisierende Zweck des Guten, als Subjektivität, die in ihrer Objektivität bei sich ist, ist absolute Entelechie, der Geist 205 . Qua Versöhnung realisiert sich göttliche Zweckmäßigkeit in endlicher Subjektivität. In ihr gibt sie sich, sie in sich von sich unterscheidend, die Realität, die sie geisthaft sein läßt. Daher ist endliche Subjektivität, partizipierend an göttlicher, selber wesentlicher Zweck, Selbst197

cf. c. 5 b) o. S. 126 f.

198

cf. Gl 1 6 / 2 6 ff., Sk 1 7 / 3 0 ff.

199

cf. Gl 1 6 / 6 3 , Sk 1 7 / 6 6 .

200

cf. Gl 1 6 / 9 , Sk 1 7 / 1 5 ; Gl 11/67, Sk 1 2 / 5 3 .

201

cf. Gl 1 6 / 1 6 1 , Sk 17/159.

202

ebend. Gl 16/163, Sk 1 7 / 1 6 1 .

203

Gl 16/161 f., Sk 17/160.

204

Gl 1 6 / 5 3 3 , Sk 1 7 / 5 1 6 ; cf. Gl 10/394, Sk 10/314. Entsprechend ist das Böse

205

cf. c. 5 c) o. S. 136.

der „an und für sich nichtige Zweck", cf. Gl 1 0 / 3 9 5 , Sk 1 0 / 3 1 6 (§ 510).

235

Versöhnung und Sittlidikeit

zweck. Daß der Mensch als Selbstzweck gedacht werden muß, macht seine Ebenbildlichkeit im Verhältnis zu Gott aus20*. Damit ist aber gesagt: endliche Subjektivität muß als geistig selber an und für sich sein, sie muß selber als Einheit ihrer als Subjektivität und als Objektivität sich realisieren. Als Selbstzweck, Selbstbestimmung ist es ihr notwendig, sich zu äußern, sich Realität zu geben207. Diese Notwendigkeit ist Ausdruck ihrer Geisthaftigkeit. Daß sie als Subjektivität göttlicher Zweck sei, hat ihr also audi objektiv zu werden. Das bedeutet, daß Versöhnung als ihr angeeignetes Ansió der Subjektivität audi für sich werden muß. Nur so kann Versöhnung Anundfürsichsein, substantielle Subjektivität, göttlichen Geist darstellen. In der subjektiven Aneignung von Versöhnung, die wir bisher betrachtet haben, ist Versöhnung demgemäß nur erst an sich, audi sofern sie sich als christliche Gemeinde darstellt 208 . Versöhnung ist darin erst an sich verwirklicht, weil sie den Charakter bloßer Innerlichkeit hat bzw. insofern sie ihn hat. Es ist der Sinn dieser gläubigen Innerlichkeit selber, sich zu äußern. Was das gläubige Subjekt als Versöhnung in sich weiß, will in sein äußeres, weltliches Dasein ausstrahlen. Denn im Prozeß der Wiedervereinigung endlicher Subjektivität mit ihrem göttlichen Wesen (Kultus) hat sie ein unendliches, substantielles Selbstbewußtsein gewonnen (s.o. 1.). Dieses als Bewußtsein seiner Wahrheit vermag sein ganzes, nicht nur innerliches, sondern ebenso äußerliches Dasein zu durchdringen. Weil der Mensch Subjektivität ist, reflektiert sich sein religiöses Wissen in sein weltliches Sein 209 . Dies ist audi der Religion wesentlich, weil der göttliche Zweck, der sich als Versöhnung vollzieht, selbst sich wesentlich verwirklicht, und zwar allgemein210. Eben darin 208

cf. Gl 16/42, 9, Sk 17/45, 15; Gl 11/64, 427, Sk 12/50, 4 0 3 ; Gl 1 4 / 2 4 8 ; Sk 15/249. Das imponiert individueller Sittlichkeit als solcher bereits Unbedingtheit: „Die Religiosität, die Sittlidikeit eines beschränkten Lebens eines Hirten,

eines Bauern,

in ihrer concentrierten

Innigkeit,

und

— Be-

schränktheit auf wenige und ganz einfache Verhältnisse des Lebens, hat unendlichen Werth, und denselben Werth als die Religiosität und Sittlichkeit einer ausgebildeten Erkenntnis, und eines an Umfang der Beziehungen und Handlungen reichen Daseyns." (Gl 11/68, Sk 12/54) 207

cf. Gl 16/7, Sk 17/13.

Me

cf. Gl 11/156, 426, Sk 12/140, 402.

209

cf. Gl 15/85 f., Sk 16/74.

210

cf. ebend.

Sünde und Versöhnung

236

ist die christlich geglaubte Versöhnung geistig, daß sie die individuelle Persönlichkeit sich als an und für sidi seiende Subjektivität wissen läßt. Versöhnt weiß das Subjekt sich als „göttliche Persönlichkeit", als Gegenwart des göttlichen Geistes, weiß es Subjektivität als unbedingte Wirklichkeit211. Die versöhnte Einheit Gottes mit der von ihm getrennten Subjektivität ist so notwendig welthafl, weil Persönlichkeit sich als welthaft weiß. Versöhnung ist ihrem Wesen nach auch Versöhnung der Welt 212 . Versöhnte, aber abstrakte Innerlichkeit muß sich also in ihrer weltlichen Objektivität auslegen, welche ihr wesentlich ist213. Der zunächst innerliche Glaube kann und muß, weil er Gegenwart des göttlichen Geistes ist, sich als Ausgangspunkt welthafter Objektivierung begreifen; er muß die wirkliche Welt zur Ausdrucksgestalt des absoluten Geistes machen wollen 214 . Die Freiheit von der Welt hat sich konkret in dieser, sie verwandelnd, zu realisieren: das Licht unendlicher Freiheit soll die Welt durchscheinen215. In solcher Welthaftigkeit realisiert sich die göttliche Zweckmäßigkeit vollkommen. Ihr eigener Prozeß ist es, der qua religiös-freier Subjektivität das Weltliche ergreift und sich gemäß weiterbildet. Dies gestaltet sich als Sittlichkeit; ihr Wesen ist also Realisierung des Göttlichen im weltlichen Leben 216 . Hegel denkt Sittlichkeit als notwendige Einbildung der Versöhnung in die weltlichen Verhältnisse. Als Sittlichkeit vollendet sich Versöhnung so, daß sie, von ihr selber hervorgebracht, den Dualismus von religiösem Individualismus und weltlichem Leben überwindet. Das religiöse Wissen ist zunächst ein Bereich für sich; es tritt der Weltlichkeit gegenüber als wesentliches Wissen der Subjektivität von sich: das Innere des Herzens entzweit sich seinem äußeren Dasein217. In dieser abstrakten Gegenüberstellung bleibt aber das Weltliche als vermeintlich unwesentlich sich selber überlassen. Das Ewige, Wahre, was religiös gewußt wird, bleibt ohne Einfluß darauf, das Unendliche vermittelt sich nicht wirklich mit dem Endlichen — ein Dualismus, der für Hegel das römisch-katholische Christentum 211 212 213 214 215 214 217

cf. Gl Gl Gl Gl cf. cf.

Gl 11/155, Sk 12/139. 11/415, Sk 12/391. 11/535 f., Sk 12/508. 11/429, Sk 12/405; Gl 10/380, Sk 10/302; Gl 15/256, Sk 16/236. 11/426, Sk 12/402; cf. Gl 15/256, Sk 16/236. Gl 11/530, 532, 535 f., Sk 12/502, 504, 508; Gl 14/528, Sk 15/522. Gl 16/491, Sk 17/475; Gl 11/156, 429 f., Sk 12/140, 405.

Versöhnung und Sittlichkeit

237

charakterisiert218. Demgegenüber begreift er die Durchheiligung des Weltlichen als Prinzip des Protestantismus219. Freilich geht es dabei um eine geistige Versöhnung dieser Entzweiung. Das Beispiel einer rein weltlichen Versöhnung überhaupt findet Hegel im antiken Rom. Da äußert sich die Abstraktheit der Einheit von Subjektivität und Allgemeinem darin, daß das Subjekt zufällige Person und das Allgemeine nur äußerlich-willkürliche Macht werden kann 220 . Ist dagegen in der Religion der Versöhnung das göttliche Wesen als unser Wesen, seine allgemeine Substanz als auch die unsrige gewußt, so kann subjektives Wissen und Wollen sich nur als „Spiegel" dieser Grundsubstanz bestimmen. Gott ist als absolute Substanz hier selber Subjektivität, zweckhafte Selbstverwirklichung und kann daher allgemeiner Inhalt menschlicher Subjektivität sein. Das Wesen Gottes selber erschließt sich so als allgemeine Substanz der Sittlichkeit 221 . Was als subjekthafte Aneignung von Versöhnung eine noch abstrakte Form war, kann sich entfalten zu einem „System der sittlichen Welt" 2 2 2 , unendlichfreies Selbstbewußtsein in Gott sich darstellen als Bewußtsein allgemeiner „Gesetze der Freiheit" 223 . So erscheint Religion selber als Moralität, das religiöse Prinzip auch als weltliche Freiheit 224 . Frei von der Endlichkeit in ihr wirken und leben, das Unendliche objektiv, Erscheinung werden zu lassen, das ist für Hegel „reale Demut" 225 . Der Begriff Sittlichkeit drückt für Hegel also die notwendige Welthaftigkeit von Religion aus. Darin erweist der göttliche Geist sich als solcher, indem er die Wirklichkeit durchdringt und sie so zu sich befreit 226 . Indem Subjektivität sich welthaft realisiert, ihre göttliche Allgemeinheit als wirklich anschaut, wird sich Gott als Geist in der Welt gegenwärtig227. Sittlichkeit vollendet Versöhnung, durch die sie ermöglicht ist, so, daß sie ihre Verwirklichung darstellt. cf. Gl 16/491, Sk 17/475 f.; Gl 11/156, 530, Sk 12/140, 502. » cf. ζ. Β. Gl 10/438 f., 445, Sk 10/358 f., 365 (§ 352 Anm.) und Gl 11/86 f., 429, 530 ff., cf. 519 ff., Sk 12/72, 405, 502 ff., cf. 492 ff. 220 cf. Gl 11/155, Sk 12/139. 221 cf. Gl 11/215, Sk 12/197; Gl 16/97, Sk 17/98. 2 2 2 Gl 11/532, Sk 12/504. 2 2 3 Gl 11/535 f., Sk 12/508. 224 Gl 15/86, Sk 16/74 und Gl 11/429, Sk 12/405; Gl 16/343 f., Sk 17/332. 2 2 5 Gl 15/206, Sk 16/189. 2 2 e Gl 10/438, 439, Sk 10/358, 359. 2 2 7 cf. Gl 16/186, Sk 17/182. 218 21

238

Sünde und Versöhnung

3. Ist Sittlichkeit das Telos von Subjektivität als Geist (versöhnt), so muß Sünde begriffen werden als Negation dieses Telos bzw. als seine negative Realisation. Läßt sich die Notwendigkeit von Sittlichkeit für das Sein von Subjektivität beschreiben, so ist damit Sünde als wesentliche Verfehlung des der Subjektivität Notwendigen, der Freiheit, erwiesen. Sünde ist böse Vereinzelung gegen das Allgemeine, das als Bestimmtheit des Geistes das Vernünftige ist228. Die Rekonstruktion des Sündenbegriffs in c. 4 bezog sich auf diesen Zusammenhang erst als auf einen faktischen. Sünde wurde dort beschrieben als freie Abweichung von der Synthese des Besonderen und Allgemeinen dergestalt, daß Sünde selber diese Synthese des Selbstbewußtseins ist — aber in exklusiver, böser Einseitigkeit. Die zu dieser Beschreibung vorausgesetzte wahre Synthese von Besonderheit und Allgemeinheit des Selbstbewußtseins ist in ihrem konkreten Sinn Sittlichkeit229. Das dort faktisch Vollzogene muß nun auf seine Notwendigkeit hin durchsichtig gemacht werden. Warum muß Subjektivität sich notwendig in der Unterscheidung von Besonderheit und Allgemeinheit auslegen? Inwiefern konstituiert diese ihr Sein? Wurde Sittlichkeit bisher überwiegend unter dem Gesichtspunkt des Gottesgedankens (Versöhnung) verstanden, in dem Subjektivität sich reflektiert, so nimmt der Gedankengang sich hier abschließend wieder zurück in die Subjektivitätsthematik. Erscheint unter gewissen Gesichtspunkten Subjektivität als für sich leere Form, die Inhalt allein durch Objektivität erreichen, ihre Besonderheit in der Öffnung zum Allgemeinen konkretisieren kann, so müssen solche Formulierungen, wo sie bei Hegel selbst wie bei seinen Kritikern vorkommen, als in bestimmtem Zusammenhang verkürzt angesehen werden. Indem sie ein Moment für sich betonen, zugleich dessen innere Unvollendetheit ausdrückend, lassen sie leicht den Schein eines äußerlichen Verhältnisses auf die Beziehung zum anderen fallen. Subjektivität erscheint dann als zufällig-gleichgültige Form, Objektivität als ihr fremder Inhalt. Obgleich solchem Schein eindeutige Aussagen Hegels entgegenstehen, zieht Hegel-Kritik daraus ihre vermeintliche Plausibilität. Als nach Hegels Begriff geisthaft muß Subjektivität dagegen als Einheit der Momente gedacht werden, die sie in sich unterscheidet. Subjek228 229

cf. Gl 16/264, Sk 17/257. cf. Gl 15/393 f., Sk 16/368.

Versöhnung und Sittlidikeit

239

tivität konstituiert sich als Selbstdifferenzierung in sich als subjektive „Form" und sich als objektiven „Inhalt". Die allgemeine Objektivität, ihr als selber Besonderem gegenübertretend, ist also die Subjektivität selbst als Moment ihrer Selbstuntersdieidung. N u r wenn Subjektivität sich in sidi nicht konkret differenziert, ihr Sein nicht in der Entzweiung und Einigung von Form und Inhalt, Besonderheit und Allgemeinheit hat, sich also nicht in diesen Momenten als sich selber setzt — nur dann ist Subjektivität „leere" Form, also nicht wahrhaft wirkliche Subjektivität, und der „Inhalt" bloße Äußerlichkeit, also nicht geistig. Subjektivität als Form und Objektivität als Inhalt bezeichnen in Wahrheit Momente des Geistes als wirklicher Subjektivität. Geistige Subjektivität ist so, daß sie sidi und ihr Anderes umfaßt. Im Umgreifen dieser von ihr hervorgebrachten Spannung hat sie ihr wirkliches Leben. Die Notwendigkeit dieser Selbstdifferenzierung ist die Notwendigkeit des Zustandeskommens von Subjektivität überhaupt. Denn nur als sidi so von sidi unterscheidend, kann sie sich wissen, d. h. sein. Sich selbst konstruierende Identität (Freiheit) setzt notwendig eine Unterscheidung sich voraus (Form — Inhalt, Allgemeines — Besonderes), als deren Einigung sie sich konstituieren und begreifen kann. Was der Freiheit derart notwendig ist, ist allein die Notwendigkeit ihres Seins. Ist die Dialektik von Allgemeinheit und Besonderheit (cf. c. 4 o. S. 67 f.) als Selbstauslegung von Subjektivität notwendig zu denken, so fällt der häufig erhobene Vorwurf hin, bei Hegel werde die Subjektivität zugunsten des Allgemeinen (Objektivität, Sittlichkeit, Staat) depotenziert. In der Beziehung zum Allgemeinen geht Subjektivität nicht unter, sondern sie konstituiert sich gerade an ihm und identifiziert sich darin 230 . Wer die dialektische Einbeziehung des Besonderen ins Allgemeine als Auslöschung des Subjektiven versteht, übersieht, daß nach Hegel in dieser Beziehung zugleich audi das Allgemeine sidi besondert, konkretisiert. Solches Mißverständnis bleibt im vorläufigen Schema einer abstrakten Allgemeinheit, die sich das Besondere bloß subsumiert, befan230

Dies verkennt audi W. Trillhaas, a. a. O. S. 601, wo er zweimal davon spricht, daß in dem Prozeß des Geistes als der Wirklichkeit „der einzelne" bzw. „das Individuum und die Subjektivität" „völlig untergeht". Auch macht die These, daß in „jenem Prozeß des Geistes . . . die Individualität" nur „Moment der Idee des Staates" (cf. Gl 7/337, Sk 7/405, Zus.), sei, nicht ihre Bestimmtheit und damit Grenze ausdrücklich, daß hier allein vom „objektiven Geist" geredet wird. Es geht aber nicht an, Hegels Wirklich-

Sünde und Versöhnung

240

gen — wie etwa in der Gattung das Individuum gleichgültig, Exemplar ist. Weil für Hegel die „Aufhebung" des Besonderen im Allgemeinen eben zugleich das Wirklichwerden des Allgemeinen im Besonderen ist, bleibt dieses als „Moment" (dazu s. o. S. 232) erhalten. So weiß die Religion, daß der Mensch in der Gotteskindsdiaft sein wahres Selbst gewinnt. Aufhebung des bloß Subjektiven heißt in diesem Zusammenhang Negation des endlichen durch Identifikation mit seinem unendlichen Selbst. Diese Überlegungen bewähren sich konkret an dem Problem der Inhaltlichkeit des Sittlichen. Wir erläutern dazu die These, daß für Hegel Sittlichkeit als versöhnte Gestalt der Einheit von Besonderheit und Allgemeinheit immer und prinzipiell inhaltlich ist 231 . Das imponiert auch dem Sündenbegriff, insofern er sich in sittlicher Schuld darstellt, Inhaltlichkeit. Zwar bezeichnet der Sündenbegrifi bei Hegel das Moment exklusiver Formalität der endlichen Freiheit; aber diese konstituiert sich als böse doch nur an und gegen (mögliche) Inhaltlichkeit. Dadurch ist Sünde selber immer zugleich Form und Inhalt. Dies eben, weil Sittlichkeit als versöhnt-geisthaft Einheit von Form und Inhalt ist. Was Sittlichkeit konkret ist, ist Sünde negativ und abstrakt. Genauer ist das Verhältnis so zu beschreiben. Da endliche Freiheit sich als solche nur konstituieren kann, indem sie sich in der Differenzierung Besonderheit — Allgemeinheit auslegt, d. h. sich als Besonderheit im Unterschied von ihrer Allgemeinheit als zu verwirklichender und sich als Allgemeinheit im Unterschied zu jedem besonderen Inhalt erfaßt (cf. c. 4 o. S. 67 f.), ist ihr formales Sein als in sich strukturiert audi inhaltlich. Indem die formale Subjektivität sich ein Allgemeines gegenübersetzt, wird sie gerade zur Besonderung genötigt, also dazu, ihre formale Allgemeinheit aufzugeben zugunsten inhaltlich-konkreter Freiheit. Umgekehrt gilt: jede besondere sittliche Forderung als eine des Allgemeinen realisiert gerade die Allgemeinheit der formalen Subjektivität, aber als

keitsbegriff darauf zu reduzieren. Der Staat repräsentiert die endlich-irdisdie Allgemeinheit. Was hier Hegels Staatstheorie angelastet wird, ist identisch mit dessen Deutung der römischen

Welt,

wo der „Untergang

des

Indivi-

duums im Allgemeinen" (Gl 16/178, Sk 17/175) konstitutiv ist. Als bloße Versicherung cf. bei Löcher-Euler, vität erstarrt in der Kälte der Objektivität". 231

cf. Gl 11/58, Sk 12/44.

a. a. O. S. 3 3 : „die Subjekti-

Versöhnung und Sittlichkeit

241

konkrete, in der Selbstbesonderung sich gewinnende, am Inhalt sich findende. Das bedeutet: Freiheit, insofern sie Form ist, differenziert sich zu ihrem eigenen Inhalt 232 . Sie realisiert ihre eigene Unbedingtheit als Form gerade in solcher Selbstbesonderung, d. h. eigenen Inhaltlichkeit. Die Autonomie in Kants Begriff des kategorischen Imperativ, dessen Formalität als durch beliebige Inhalte komplettierbar Hegel schon in der Phänomenologie kritisiert 283 , ist so gewahrt, daß sie als ihre Inhaltlidikeit selber setzend begriffen wird. Die Freiheit ist sich ihr eigener Gehalt — so ist sie Form und Inhalt zugleich. So kann entsprechend Sünde als Sünde gegen Versöhnung und Sittlichkeit nur als inhaltlich-sittliche Schuld konkret erfahren werden, wenn auch zugleich formal sich verfehlende Freiheit darin sich realisiert. Die Dialektik von Freiheit verhindert, daß der Begriff Sünde als bloß formal, als Schuld ohne bestimmten Inhalt gedacht werden kann 234 . Sittlichkeit ist das wirkliche Leben von Subjektivität, Sünde ihr Scheinleben. Insofern sie sich in der Dialektik von Besonderheit und Allgemeinheit auslegt, kann diese als Prozeß der Substantiierung der 232

233

234

Gl 16/98, Sk 17/98! cf. Gl 16/5, Sk 17/10 f., wo von Gott gesagt wird, seine Selbstbestimmungen seien die „Gesetze der Freiheit", deren Inhalt sie selbst und nur von ihrer Form hervorgebracht sei. Den konkreten („objektiven") Prozeß, in dem Freiheit sich in der Herstellung ihrer Inhaltlidikeit verwirklicht, beschreibt Hegels Rechtsphilosophie. Die Frage nach Hegels genuinem Beitrag zur Ethik muß an eben diese Zusammenhänge verwiesen werden. Daß Hegels Philosophie als Theorie der Freiheit den Primat der praktischen Vernunft aus dem Wesen des Geistes begreift (cf. o. Anm. 162 a), revidiert vielleicht manche traditionellen ethischen Fragestellungen, rüdst dafür aber das Ethische ins Zentrum des Begreifens. Zugespitzt könnte man sagen, daß es bei Hegel keine „Ethik" mehr gibt, weil er das Ethische als universal relevant denkt. Das ist Hegels Beitrag zur Ethik. „Gesetzprüfende Vernunft", Gl 2/327 ff., Sk 3/316 ff., H/306 ff. Es ist dies ein fester Topos von Hegels Kantkritik, für den sich Belege audi von vor 1806 und aus späterer Zeit unschwer geben lassen. Insofern wird man schwerlich dem Urteil von Hirsch zustimmen können, der behauptet, bei Hegel werde „das Böse . . . seiner sittlichen Beziehung entkleidet und so zu einem Begriff sehr allgemeinen Charakters" (Idealismus, a. a. O. S. 94). Er kennzeichnet Hegels Begriff des Bösen eben als den „mystischen Sdiuldgedanken, den Gedanken der Schuld ohne bestimmten

16 Ringleben, Hegels Theorie

242

Sünde und Versöhnung

Subjektivität beschrieben werden 235 . Bezogen auf die unsere Darstellung leitende Subjektivitätsthematik läßt sich also sagen: Als Sittlichkeit reflektiert sich die Identifikationsproblematik des Selbstbewußtseins im Modus des Gelingens23® (Versöhnung). Das impliziert das Doppelte, daß Sittlichkeit als Substanz der Subjektivität begriffen werden muß, und daß diese Substanz selber nur im Modus von Freiheit zur Erscheinung kommen kann. Einmal, indem Selbstbewußtsein Gott als sein Wesen, seine Allgemeinheit weiß, denkt es in Gott den Grund seiner Sittlichkeit. Im Gottesbegriff vergewissert die Subjektivität sich der Gestalt ihrer Substantialität als Sittlichkeit237 oder umgekehrt: als sittlich weiß Selbstbewußtsein seine unendliche Subjektivität, sidi als absolute Entscheidung in sich und aus sich238. Derart hat die Subjektivität in substantieller Sittlichkeit ein Bewußtsein ihrer unendlichen Freiheit 239 . Denn als solche Gewißheit ihres absoluten Wesens als sich herstellender Einheit von Besonderem und Allgemeinem, die Sittlichkeit als göttliche Zweckhaftigkeit ist, gewinnt sich Subjektivität als Vernunft 240 , als Selbstbewußtsein

235 238

237

238 239 240

Inhalt" (ebend. cf. S. 108, Fußnote 1). Die hier gerügte Formalität bedingt eine solche nach Hirsdi audi im Versöhnungsbegriff Hegels: „Das Endliche wird in der Versöhnung aufgehoben, d. h. seiner Eigenheit entkleidet, es wird aber nicht vor Aufgaben gestellt, darinnen es sidi verzehren kann. Die Freiheit wird wirklich in der Versöhnung; aber diese Freiheit hat keinen Gehalt als sidi selber" (a. a. O. S. 108). Hier wird Hegel das attestiert, was er selber an Kant zu überwinden notwendig fand, daß Freiheit sich als formale der einzige Gehalt sei (cf. o. Anm. 233). Zu fragen wäre umgekehrt, ob der Freiheit etwas absolut Anderes als sie selber Gehalt sein kann! Die in dieser Möglichkeit liegende Gefahr der „Heteronomie" kann eben nur überwunden werden, wenn die Freiheit sidi als Inhalt wiederfinden kann, d. h. sidi selber als Inhalt setzt und ihrer Formalität als deren Anderes im eigenen Gehalt gegenübertritt. cf. Henrich, a. a. O. S. 96 ff. Sittlichkeit ist des Menschen „zweite Natur", cf. Gl 11/72, Sk 12/57 und Enzyklopädie, § 513! cf. Gl 10/415, Sk 10/336; Gl 16/94 f., 129, cf. 239, Sk 17/95, 128, 233; Gl 12/354 f., 316, Sk 13/340 f., 304. cf. Gl 16/129, Sk 17/128. cf. Gl 10/365, 444, Sk 10/288, 364; Gl 15/393 f., 399 f., Sk 16/368, 373 f. Gl 10/440, Sk 10/360; Gl 11/70, Sk 12/55; Gl 16/95, 98, Sk 17/95, 98.

Versöhnung und Sittlichkeit

243

der Freiheit. N u r indem Gott als „Gott freier Menschen" gewußt wird, kann Freiheit als Sittlichkeit substantiell gewußt werden 241 . Sodann ist diese Identifikation des vernünftigen Selbstbewußtseins in seiner Sittlichkeit Prozeß als freiheitliche Selbstkonstitution. Diesem kommt selber der Charakter subjektiver Freiheit wesentlich zu. D a ß Sittlichkeit als Realisation von Freiheit nur in Freiheit, selber frei geschehen kann, legt unaufhebbare Bedeutung auf das individuelle Gewissen und die subjektive Gesinnung. Eben aus diesem Grunde erfährt Sittlichkeit unter den Bedingungen griechischen Geistes Hegels Kritik: sie ist nur Sitte, ohne die unendliche Innerlichkeit des Gewissens, ohne „die absolute Reflexion des Selbstbewußtseins in sich"242, letztlich also noch unfrei, weil unbewußt, Freiheit gleichsam als natürlich, Sittlichkeit als bloß substantiell, nicht auch subjektiv 243 . Gesinnung dagegen als das subjektive Bewußtsein von der Substanz, darin Sittlichkeit erst sie selbst als eigene wird 244 , ist eo ipso konstitutiv. Was Vernunft wahrhaft ist, wird sie erst als Freiheit, d. h. sittliche Gesinnung 245 . Gerade und nur indem Freiheit des Subjektiven konstitutives Moment in der Sittlichkeit ist, findet Subjektivität Befriedigung des Interesses, das sie an sich selber hat 2 4 6 . Diese Unaufgebbarkeit hat für Hegel gleichfalls das Gewissen248*. Im Gewissen spiegelt sich für ihn die „absolute Berechtigung des subjektiven Selbstbewußtseins" 247 . Weiß es sich religiös als unbedingt, weil der Einzelne als soldier Gegenstand der Gnade, seine subjektive Freiheit also in Gott absolut gültig ist 248 , so ist es zugleich sittliches Prinzip24®. Im Gewissen als eigenem Bewußtsein der absoluten Wahrheit bewährt sich erst die Wirklichkeit der Vernunft 250 . Gilt Hegel die Innerlichkeit des individuellen Gewissens 241

Gl 16/93 f., 92, Sk 17/94 f., 93. cf. Gl 16/129, Sk 17/128 f. 24 > Gl 10/433, 448, Sk 10/353, 368; Gl 16/98, 99, Sk 17/98, 99; Gl 11/153 f., 428, Sk 12/137 f., 404. 244 cf. Gl 16/127, Sk 17/126. 244 Gl 11/110, cf. 158, 164, Sk 12/96, cf. 142 f., 147. 248 cf. Gl 10/376 f., Sk 10/298. 24< a cf. dazu Lübbe, a. a. O. 247 Gl 7/196 f., Sk 7/254 f. (§ 137 + Anm.). 248 cf. Gl 11/428, Sk 12/404; Gl 19/256 f., Sk 20/51 f. 248 Gl 10/445, cf. 435, Sk 10/365, cf. 355 f. 250 Gl 10/440, Sk 10/360. 242

16*

244

Sünde und Versöhnung

einerseits als letztes Heiligtum und Sitz der Religion, so andererseits als der Ort, wo die Objektivität des Sittlichen, ζ. B. der Staat, allererst lebendig, d. h. frei da ist251. Darin aber sind Substanz und Subjekt versöhnt : „Die Subjektivität ist selbst die absolute Form und die existierende Wirklichkeit der Substanz" 262 . Aber nicht als bloße Gewohnheit (wie im Griechentum), sondern als durdi den innerlichen Kampf subjektiver Freiheit sich herstellend, wiedergeboren, ist Sittlichkeit rein, weil wirklich freie Subjektivität 253 . Derart ist diese Innerlichkeit des Sittlichen unaufhebbar. Denn daß der göttliche Geist als Gewissen dem Selbstbewußtsein gegenwärtig ist, konstituiert Sittlichkeit254. Dies impliziert jedoch, daß es etwas gibt, gegen das und gegen das allein jene sich aufheben soll: den Geist selbst als ihr allgemeines Wesen255. Daß sie dies kann bzw. auch nicht tun kann, bezeichnet ihre Freiheit als ihre Unbedingtheit wie als Möglichkeit des Bösen. Selbstbewußtsein ist als freie Negativität die gemeinsame Wurzel des Bösen und der Moralität 256 . In diesem Zusammenhang ist es zu verstehen, wenn Hegel das Gewissen und das Böse als zwei ineinander übergehende Formen betrachten kann 257 . Es ist evident, daß die Möglichkeit dieses Obergehens als Ausdruck letzter Unverfügbarkeit von Freiheit begriffen werden muß. Das Umschlagen-Können ins Gegenteil ist der Freiheit konstitutiv, Freiheit ist krisenhaft 258 . Dies zeigt nodi einmal die Unverzichtbarkeit des Begriffs Sünde für Freiheitstheorie. Daß Gelingen von Freiheit als Sittlichkeit nicht zum Verlust von Freiheit, indem gleichsam zum Automatismus werden darf, hält der Begriff Sünde als Bewußtsein ihrer Krise fest. 251 252 253 254 255 258 257

258

Gl 11/87, Sk 12/72. Gl 7/234, Sk 7/303 (§ 152, cf. ebend. §§ 147, 258, 260). Gl 11/154, Sk 12/138, cf. Gl 16/128 f., Sk 17/128 f. Gl 10/435, Sk 10/355. cf. Gl 11/428, Sk 12/404. cf. Gl 7/200, 203, Sk 7/260 f., 264 (§ 139 u. Zus.). Gl 7/200, Sk 7/261 (Anm.) und Gl 10/396, Sk 10/316 f. (§ 511 f.). Zu diesem Gedanken in der Phänomenologie cf. Hirsch, Idealismus, a. a. O. S. 128, cf. 129. In solcher Amphibolie hat Subjektivität für Hegel „teils eine ganz partikulare, teils eine hochbereehtigte Bedeutung" (Gl 7/77, Sk 7/78 = § 26 Zus.) und kann gleichermaßen Quelle des Fortschritts wie des Verderbens sein (cf. Gl 11/345, Sk 12/323).

E X K U R S III

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik Läßt sich Hegels Philosophie als universale Entfaltung der Subjektivitätsthematik begreifen, so seine Logik als Logik der Freiheit. Logik als begriffliche Ausarbeitung von Freiheit und Freiheit als das Thema der Logik bilden eine Konstellation dialektischer Einheit von Denken und Gedachtem, in der Freiheit nicht einfach ein „Gegenstand des Gedankens"1 ist und Bewegung, Werden, Übergang gerade für Logik konstitutiv sind2. Der erste Exkurs schloß — gegen Kierkegaard — mit dem Blick auf eine solche Möglichkeit des Denkens8. In der Tat leugnet Kierkegaard diese im „Begriff Angst": „Das Gute läßt sich schlechterdings nicht definieren. Das Gute ist die Freiheit" 4 . Die jetzt zu diskutierende „Krankheit zum Tode" gibt freilich eine solche „Definition" und arbeitet die Freiheitsthematik in der Unterscheidung: Verzweiflung (Sünde) — Glaube in einer Weise aus, die nidit anders als ein Begreifen von Freiheit genannt werden kann. „Das wahre Verhältnis der Freiheit ist dieses: frei ganz in des Guten, der Freiheit Macht sein, oder in des Macht, in des Macht man nur sein kann, indem man frei ist, und in dessen Macht zu sein, das Freiwerden bedeutet"5. Dieser Satz könnte in Hegels Religionsphilosophie stehen. Das gilt auch für die zentrale Formel, die eben diese Freiheit als Zustand des Selbst ohne Verzweiflung beschreibt: „indem es sich zu sich selbst verhält, und indem es es selbst sein will, gründet sich das Selbst durchsichtig in der Macht, welche es gesetzt hat" e . Kierkegaard versteht somit Freiheit des Selbst als sich im Absoluten seiner absoluten Identität vergewissernde endliche Identität. Er begreift, daß und wie ein Verhältnis zu cf. „Begriff Angst", S. 115 Fußnote. cf. a. a. O. S. 83 Fußnote 1. s s.o. S. 115. 4 a. a. O. S. 114 Fußnote. 5 „Krankheit zum Tode", S. 167, Erläut. *9 (2./3. Fassung). ' a. a. O. S. 10, cf. 169, Erläut. *9 (1./2. Fassung). Zum Terminus „durchsichtig" cf. „Begriff Angst", S. 131 Fußnote 2. 1

2

246

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

G o t t Bedingung des Selbst-Werdens ist 9 a : „wer keinen G o t t h a t , der h a t auch kein Selbst" e b . D a s endliche Selbst findet in G o t t sein Wesen — wie Hegel sagt — und derart ist es frei. D i e oben zitierte Formel definiert also ganz hegelisch Freiheit als dialektische Einheit von Selbstverhältnis u n d Gottesverhältnis, als Geist 7 . Geist ist a u d i f ü r Kierkegaard Leben der Freiheit, Aktuosität: „ I n des Geistes Leben ist kein Stillstand, eigentlich auch kein Zustand, alles ist Aktualität, Tathaftigkeit" 8 . Dementsprechend folgt, „ . . . d a ß der Z u s t a n d des Menschen als Geist betrachtet allezeit kritisch ist" 9 . U n d Hegels Kritik der Unmittelbarkeit als Unschuld findet sich konsequent w i e d e r : „es gibt keine unmittelbare Gesundheit des Geistes" 1 0 . K r a n k heit des Geistes ist Verzweiflung; sie muß offenbar der Gesundheit als Freiheit vorausgehen 1 0 " (dazu gleich). Diese Gesundheit bedeutet f o r m a l , „ d a ß m a n Widersprüche lösen k a n n " 1 1 ! D a die „Gesundheit" des Geistes (Freiheit) nicht unmittelbar sein k a n n , muß ihr „ K r a n k h e i t " (Verzweiflung) vorausgehen. Diese h a t also mit der Konstitution v o n Freiheit zu t u n . Ihre Möglichkeit entsteht, „indem Gott, der den Menschen zu dem Verhältnis gemacht hat, ihn gleichsam aus seiner H a n d losläßt, d. h. indem das Verhältnis sich zu sich selbst verhält" 1 2 . In der Konstitution des Selbst, das auch „ F ü r sich" heißen kann 1 3 , ist die Freiheit begründet, f ü r die erst G u t u n d

cf. a. a. O. S. 9 f., 25 f. und Erläut. 17. «b a. a. O. S. 37. 7 Ein Unterschied zu Hegel liegt in der Umstandslosigkeit, mit der Kierkegaard auf den Schöpfungsgedanken Bezug nimmt. Das „Setzen" des Selbst durch göttliche „Macht" wird undialektisdi eingeführt, cf. a. a. O. S. 9. 8 a. a. O. S. 93. Daß eben dies eine Notwendigkeit von Freiheit ist, entgeht Kierkegaard, der „Notwendigkeit" dem System Hegels vorwirft; cf. ebend. 9 a. a. O. S. 21. 10 ebend. 10a cf. a.a.O. S. 26: „denn allein dann ist das Selbst gesund und von Verzweiflung frei, wenn es eben dadurch, daß es verzweifelt hat, sich selbst durchsichtig sich gründet in Gott". 11 a. a. O. S. 37. 12 a. a. O. S. 11. 13 a.a.O. S. 168, 170, Erläut. *9 (1./2. Fassung). Kierkegaard kann audi von der „unendlichen Form des negativen Selbst" sprechen; cf. a. a. O. S. 68, 69, 70.

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

247

Böse ist 13a und die als Krise des Geistes Möglichkeit der „Krankheit" ist. Ihre Verwirklichung ist „wie ein Fall" 1 4 . Die Möglichkeit der Gesundheit des Geistes ist zugleich die seiner Krankheit: die Ambivalenz der Freiheit. Damit rückt die Einschätzung von Verzweiflung unter ein doppeltes Licht; sie ist dialektisch zugleich Vorzug und Mangel 1 4 3 : Ihre Möglichkeit als die des Geistes ist „ein ungeheurer Vorzug" vor dem Tier und zugleich das „größte Unglück und Elend", „Verlorenheit" 1 5 . Noch mehr: da Geist nicht unmittelbar ist, gewinnt die Krise der Verzweiflung den Charakter einer zu überwindenden Durchgangsphase; denn: „Um aber zur Wahrheit zu gelangen, muß man durch jegliche Negativität hindurch" 1 6 ! Verwies bisher der ganze Gedankenzusammenhang unübersehbar auf Hegel, so hier die Formulierung selbst. Von dieser Krankheit gilt: „es ist das größte Unglück sie nie gehabt zu haben — eine wahre Gottesgabe sie zu bekommen, wiewohl sie die allergefährlichste Krankheit ist, wenn man sich von ihr nicht heilen lassen will" 1 '». So kann das Verzweifeln „dienlich" sein u n d nur, wenn es das ist und bis „zu Ende" verzweifelt, kann „das Leben des Geistes hindurchbrechen von dem Grunde her" 1 7 . Indem Verzweiflung die Möglichkeit der Erlösung offen hält i e , ist sie „der Durchgang zum Glauben" 1 9 und zugleich sein erstes Moment 2 ". Es ist ohne weiteres deutlich, daß hier der gleiche Zusammenhang von Notwendigkeit und Unberechtigtsein der Sünde gedacht ist wie bei Hegel 21 . Er ist begründet in der weiteren Übereinstimmung, daß Kierkegaard den Sündenbegriff audi in den systematischen Bezügen der Konstitution von selbsthafter, endlicher Freiheit denkt. Auch Kierkegaards "»„Begriff Angst", S. 114, Fußnote, 115. 14 „Krankheit zum Tode", S. 10. 14a ebend. 15 ebend. w a. a. O. S. 41. 18a a. a. O. S. 22. Im Folgenden deutet Kierkegaard per negationem an, Verzweiflung sei ein „Glück", was an die Formel „felix culpa" erinnert. Zu dieser cf. Müller, Die diristl. Lehre von der Sünde, Bd. I, a. a. O. 518 und Dogmat. Abhandlungen, a. a. O. 115. 17 a. a. O. S. 59. 18 cf. a. a. O. S. 62. 19 a. a. O. S. 67, cf. 20, 26. 20 a. a. O. S. 117 Fußnote. 21 cf. o. S. 130.

248

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

Interpretation der Sündenthematik weiß sich als „teleologisch" in Richtung auf Geist 2 2 . Verzweiflung ist keine Naturbestimmung des menschlichen Selbst 2 8 , sondern dies ist als Geist Freiheit, d. h. „Tathaftigkeit" 2 4 und eo ipso permanente „Verantwortung" 2 5 . Der Zusammenhang von Freiheit, in dem Verzweiflung und Sünde konstruiert werden, begründet für jede ihrer Gestalten Schuld — was Hegel gleichermaßen festhält 2 6 . Es ist dies der Widerspruch des Bösen, in Freiheit unfrei zu sein, oder auch, die Freiheit unfrei zu intendieren: „Durch Verzweifeln ist daher . . . der Mensdi frei in der Gewalt einer fremden Macht, frei oder mit Freiheit unfrei unter ihr fronend, oder er ist frei-unfrei in seiner eigenen Gewalt. Wofern man die fremde Macht den Herrsdier nennen will, so ist der Verzweifelte frei, selbstverschuldet ein Fronknecht dieses Herrschers. U n d falls man sagen will, er sei unfrei in seiner eigenen Gewalt, so front er also bei sich selbst, ist sein eigener Knecht. Dies ist das Mißverhältnis" 2 7 . Darin, daß Freiheit ihren eigenen Mißbrauch möglich macht, liegt der Ursprung des Bösen. Sie wäre nidit Freiheit, wenn sie nicht so wäre. Der gleiche Widerspruch ist es, daß das Böse dasjenige negiert, in dessen Kraft es negiert: das Absolute. Dieser Selbstwiderspruch ist sowohl bei Hegel wie bei Kierkegaard 2 8 konstitutiv für das Böse: „der Trotz, welcher eigentlich Verzweiflung vermöge des Ewigen ist, der verzweifelte Mißbrauch des Ewigen, das im Selbst ist, um verzweifelt man selbst sein zu wollen. Eben deshalb aber weil der Trotz Verzweiflung vermöge des Ewigen ist, ist er dem Wahren in gewissem Sinne sehr nahe" 2 9 . Verzweiflung als wesentlich Verzweiflung am Ewigen ist nur möglidi inkraft dieses Ewigen 3 0 . Verdankt sich Kierkegaards Begriff der sündigen Verzweiflung einer Konstruktion in den Bezügen sich konstituierender Freiheit als Identi22 23 24 25

2,1 27 28 29

cf. a. a. O. S. 122 Fußnote. a. a. O. S. 11. cf. a. a. O. S. 93, zitiert o. S. 246. a. a. O.S. 11 und 167, Erläut. *8 (3. Fassung), S. 167, Erläut. *9 (1./2. Fassung) heißt es „Schuld". cf. o. S. 98 und S. 131. a. a. O. S. 167, Erläut. *9 (2./3. Fassung). cf. o. Exkurs I, S. 113. „Krankheit zum Tode", S. 67. a. a. O. S. 61, 17.

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

249

tätsfindung des Selbstbewußtseins ebenso wie der Hegels31, so muß er audi in seiner Entfaltung zurückbezogen werden können auf diesen. Es läßt sich zeigen, daß die Hauptformen, die der Begriff Verzweiflung annimmt, zu Hegels Sündenbegriff konvertibel sind. Sünde zeigte sich bei Hegel als Stabilisierung des Selbstbewußtseins in endlicher Identität gegen absolute Identität 32 . Diesen Sündenbegriff konstituiert somit das dialektische Ineinander von zwei Momenten: 1. endliche Identität, 2. gegen absolute Identität. Kierkegaards Grundgestalten von Sünde als Verzweiflung lassen sich nun vollständig aus diesem Begriff ableiten, indem man sie als durch unterschiedliche Akzentuierung von je einem der beiden Momente entstehende Abwandlung ihrer Einheit erklärt: 1. Indem das Selbst verzweifelt seine endliche Identität ergreift, will es „verzweifelt nicht es selbst" (im absoluten Sinne) sein; 2. indem das Selbst seine endliche Identität gegen das Absolute ergreift, will es „verzweifelt es selbst" sein. Umgekehrt finden sich in beiden Formeln Kierkegaards beide Momente der Hegeischen Fassung des Sündenbegriffs: 1. „verzweifelt nicht man selbst sein wollen": indem das Selbst verzweifelt nicht es selbst (im absoluten Sinne) sein will, ist es (verzweifelt) es selbst im endlichen Sinne; 2. „verzweifelt man selbst sein wollen": indem das Selbst verzweifelt es selbst (im endlichen Sinne) sein will, tut es das kraft seiner Möglichkeit, absolut es selbst zu sein. — Diese Konvertibilität der Kierkegaardschen Formulierungen zu Hegels Grundbegriff dokumentiert, daß in ihnen kein prinzipieller theoretischer Fortschritt Hegel gegenüber erreicht worden ist. Sie haben ihre Bedeutung nur als stärker empirisch-psydiologisch akzentuierte Ausgestaltung jenes Grundbegriffs. Das Verfahren, Kierkegaards Abwandlungen auf den Hegelschen Grundbegriff hin durchsichtig zu machen, liefert mit seiner Differenzierung von endlicher und absoluter Identität überdies eine notwendige Präzisierung, um die Formeln Kierkegaards selber verständlich zu machen. Denn offensichtlich läßt sich nur mit Hilfe dieser Differenzierung der eigentümliche Zirkel erklären, daß in jenen Formeln mit dem „verzweifelten Wollen" bereits ein „Selbst" gesetzt ist, das sich andererseits im Gewollten („nicht man selbst sein" — „man selbst sein") erst konstituieren soll.

31 32

cf. o. Kap. 4 a), S. 65 ff. cf. ebend.

250

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

Im übrigen erklärt Kierkegaard selber ihre wechselseitige Reduktibilität 33 , ohne allerdings einen Grundbegriff explizit aufzustellen, in dem sie derart eins wären, daß sie als seine Abwandlungen auch ineinander übergehen könnten. Angedeutet findet sich ein soldier Grundbegriff freilich als Zusammenhang zwischen Selbst-Konstitution und Gottesverhältnis (s. o. S. 246). Nahe kommt ihm eine nicht gedruckte Formulierung: „Verzweiflung ist das MißVerhältnis zwischen dem Zeitlichen und dem Ewigen in dem aus dem Zeitlichen und dem Ewigen zusammengesetzten Menschen"34. So kann als Formel für alle Verzweiflung gelten: „Verzweiflung am Ewigen und über sich selbst" 35 ; d. h. das gestörte Gottesverhältnis wird als grundlegende Form aller Verzweiflung 36 , auch der „über das Irdische"37 empfunden. Fehlt auch ein expliziter Grundbegriff, so versteht Kierkegaard doch die von ihm aufgestellten Modifikationen immerhin als „nur bedingte Gegensätze" 38 . Er führt diesen ihren dialektischen Zusammenhang zurück auf den synthetischen Charakter des Selbst: „weshalb denn das Eine stets das sich Entgegengesetzte ist" 39 . Trotz des Anspruchs bloßer „Existenzdialektik" ist die sachliche Verwurzelung dieses Gedankens in Hegels Logik unübersehbar. Vermag sich Kierkegaards Begriff der Verzweiflung als Sünde nicht aus dem Kontext Hegelscher Religionsphilosophie zu lösen, so auch nidit seine empirisch-psychologisch konkreten Gestalten. Ihnen allen lassen sich von Hegel konstruierte Typen religiösen Bewußtseins zuordnen, die bei Hegel freilich nidit als Gestalten der Verzweiflung, sondern als noch defiziente Gestalten des Begriffs absoluter Religion (als versöhnter Einheit von Selbstbewußtsein und Gottesgedanke) erscheinen. Aber auch Kierkegaard kann sie als Gestalten von Religion verstehen. So lassen sich für die „Verzweiflung der Unendlichkeit" 40 , die von Kierkegaard

33 34 35 36

37 38 39 40

„Krankheit zum Tode", S. 9, 16. a. a. O. S. 167, Erläut. * 7 (1./2. Fassung). a. a. O. S. 60, 61. a. a. O. S. 50: „verzweifeln heißt das Ewige verlieren"; cf. S. 170, Erläut. *9 (1./2. Fassung). a. a. O. S. 60, 70. a. a. O. S. 47. a. a. O. S. 26, 29. a. a. O. S. 26 ff.

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

251

als „das Phantastische" 41 bestimmt wird, dessen „abstrakter Unendlichkeit" 42 ein bestimmtes Gottesverhältnis entspricht43, durchaus Parallelen in Hegels Religionsphilosophie angeben44. Ebenso für die „Verzweiflung der Endlichkeit" 45 . Ihre Begrenztheit und Borniertheit 46 entspricht der von Hegel vielerorts kritisierten „Verständigkeit". Als Prinzip ist sie für Hegel in der römischen Religion wirksam 47 . Kierkegaard selber versteht die „Verzweiflung der Möglichkeit" 48 als Modifikation des Hegelschen „unglücklichen Bewußtseins" 49 . Die „Verzweiflung der Notwendigkeit" 50 hat zwei Formen. Der „Fatalismus" ist eine: „sein Gott ist Notwendigkeit" 51 . Eben dies gilt für die Hegeischen „Religionen der Substanz", in denen die Freiheit des Selbst untergeht 52 . Die zweite Form der Spießbürgerlichkeit ist als „geistlose Verständigkeit" 53 auch von Hegel in ihrer affirmativen Endlichkeit häufig kritisiert worden. Es ist nach Kierkegaard der Triumph seines ethisch-religiösen Begriffes von Geist, daß die Verantwortlichkeit für jeden seiner Zustände aus seinem Wesen als Freiheit heraus unaufhebbar ist (s. o. S. 246). So ist für ihn auch die Unwissenheit um den Geist selber geistig bestimmt, Verzweiflung 54 . Damit gilt auch „Geistlosigkeit" als Schuld55. Auch die Unwissenheit darüber, was Sünde ist, ist Sünde56. Die Konsequenz dieser Gedanken bezüglich der Freiheitstheorie ist einleuchtend. Aber gerade dies macht sie in hohem Maße „spekulativ", und sie finden sich — was

41

a. a. O. S. 27. cf. a. a. O. S. 28. 43 a. a. O. S. 28 f. 44 cf. z. B. „Die Religion der Phantasie", Gl 15/355 ff., Sk 16/331 ff., Lasson, Nat. Rei. 69. 45 „Krankheit zum Tode", S. 29 ff. 46 a. a. O. S. 29. 47 cf. Gl 16/156 ff., Sk 17/155 ff. und Gl 2/367 ff., Sk 3/355 ff., H/342 ff. 48 „Krankheit zum Tode", S. 32 ff. 49 a. a. O. S. 172, Erläut. *28. 50 a. a. O. S. 34 ff. 51 a. a. O. S. 37. « cf. Gl 15/324 ff. u. 274 ff., Sk 16/302 ff. u. 254 ff. 53 „Krankheit zum Tode", S. 38. " a. a. O. S. 39 ff. 58 cf. a. a. O. S. 101 f. 56 a. a. O. S. 96, cf. 79 f., 87 ff. 42

252

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

nach Kierkegaard nidit sein dürfte — genau so bei Hegel 5 7 : „Ich bin ein solches, das nach der Natur handelt, und insofern bin ich, sagt man oft, nach dieser Seite schuldlos, insofern ich nämlidi kein Bewußtsein darüber habe, was ich tue, ohne eigenen Willen bin, es ohne Neigung tue, sondern midi durch Triebe überraschen lasse. Aber hier in diesem Gegensatze verschwindet die Schuldlosigkeit; denn eben das natürliche, bewußt- und willenlose Sein des Menschen ist das, was nicht sein soll, und es ist damit vor der reinen Einheit . . . zum Bösen erklärt. Es liegt in dem Gesagten, daß das Bewußtlose, Willenlose wesentlich selbst als das Böse zu betrachten ist"* 8 . Weil Hegels Philosophie den Menschen als Geist, Freiheit begreift, gilt ihr: „Die Aufgabe, die Forderung ist unendlich" 59 . Zur Sünde im christlichen Sinne qualifiziert sich Verzweiflung für Kierkegaard dadurch, daß sie und wenn sie „vor Gott" ist 60 . Diese Bestimmung ist „das entscheidend Christliche" in der Definition von Sünde 61 . In dieser Definition bleiben gewissermaßen alle Bestimmungen von Verzweiflung in Gültigkeit, und sie entläßt audi nicht inhaltlich neue Gestalten aus sich62. Nur daß Verzweiflung „vor Gott" ist, d. h. sidi bewußt auf Gott bezieht 63 , durch die Gottesvorstellung als solche qualifiziert ist 64 , — das potenziert sie unendlich zur Sünde 65 . Indem erst im Christentum, d. h. in der diristlichen Offenbarung gewußt wird, daß der einzelne Mensch vor und für Gott sei66, kann auch erst hier gewußt werden, was Sünde ist. Ihr Begriff muß von Gott offenbart werden 67 und ist derart der „entscheidende qualititave Unter57

58 58

el 62

63 94 85 66 67

Dies kam bereits bei der Unschuld (s. o. S. 40) und im Kontext der Erbsündenlehre Hegels (s. o. S. 95 f.) zur Spradie, cf. audi Gl 15/241, Sk 16/222. Lasson, Abs. Rei. 118 f., cf. Gl 16/272, Sk 17/264. ebend. cf. Gl 16/316, Sk 17/306! „Krankheit zum Tode", S. 75, 79, 80, 81, 123. cf. a. a. O. S. 81, 84. Hier ist von den Grundgestalten der Sünde die Rede. Ihre Potenzierungen im diristlichen Bewußtsein sind lediglich deren konsequente Weiterentwicklung; cf. a. a. O. S. 109 ff. a. a. O. S. 78, 79. a. a. O. S. 75, 79, 114. a. a. O. S. 75, 78, 79, cf. 100. a. a. O. S. 81, 84. a. a. O. S. 94, 95, 96.

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

253

schied" zwischen Christentum und Heidentum 88 . Sünde kann vollständig also erst mit Bezug auf die Offenbarung definiert werden 69 . Der Grund für diese Potenzierung der Sünde liegt nadi Kierkegaard in der spezifisch christlichen Qualifikation jedes Selbsts als Gott gegenüber70. Indem diese christlich, d. h. offenbart ist, ist sie für ihn eo ipso dem spekulativen Begreifen verschlossen: „Dies, daß der einzelne Mensch — vor Gott sei, bekommt die Spekulation niemals in den Kopf" 7 1 . Dagegen ist festzustellen, daß dieser Gedanke der spekulativen Religionsphilosophie Hegels nicht nur „in den Kopf" kommt, sondern gerade den Zielgedanken derselben ausmacht. Sie will entscheidend begreifen, daß und wie in dieser christlichen Bestimmung die Freiheit des Menschen absolut gewußt werde. Demgegenüber wird dieser Gedanke bei Kierkegaard nur als suggestive Deklaration genutzt: „Und welche unendliche Realität erhält nicht das Selbst dadurch, daß es dessen sich bewußt wird für Gott da zu sein" 72 . Wie unbestimmt ist — und bleibt auch im Folgenden — das gegenüber dem Hegeischen explizierten Unternehmen, eben diese ganz unbestimmte „unendliche Realität" 73 begreifend darzustellen, in ihr die Freiheit und sie als Prinzip aller Wirklichkeit und allen Erkennens verstehend zu erfassen und auszuarbeiten. Was bei Kierkegaard wie eine überschwengliche Ahnung anmutet, erscheint bei Hegel in vernünftiger Artikulation. Und nicht nur in ihrem Wesen und ihren Konsequenzen weiß Hegel diese Freiheit wirklich auszusprechen und darzustellen, sondern ebenfalls in ihren Voraussetzungen: eben das leistet die Religionsphilosophie als Geschichte des religiösen Bewußtseins. Auch hierin tritt anstelle der abstrakten und ganz unspezifischen „unendlichen qualitativen Untersdiiedenheit" Kierkegaards eine bestimmt-gegliederte, das Werden vernünftiger Freiheit denkende Verhältnisbestim68 a. a. O. S. 89. «» a. a. O. S. 96, 101. 70 a. a. O. S. 77, 101. 71 a. a. O. S. 82. Ob Kierkegaard mit seiner Folgerung aus diesem diristlidien „vor Gott", daß nämlich „des Menschen Sünde Gott beschäftigen solle", sich nicht in Widerspruch zu seiner Erklärung setzt, „daß Gott vom Bösen nidits wisse" („Begriff Angst", S. 115 Fußnote; zitiert o. Anm. 134 zu Kap. 6 c), ist fraglich. 7! a. a. O. S. 78. 75 cf. ähnlich unbestimmt: „unendliche Betonung", a. a. O. S. 78 und „unendliches Selbst", a. a. O. S. 79.

254

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

mung von vorchristlichem und christlichem Bewußtsein. Arm ist dagegen die ebenso unbestimmt qualitative wie eo ipso unbestimmt quantitative 74 (ausgesprochene) Einsicht Kierkegaards in diesen entscheidenden Zusammenhang: „Je mehr Gottesvorstellung, desto mehr Selbst; je mehr Selbst, desto mehr Gottesvorstellung" 75 . So richtig es ist, daß Sünde als „eine Bestimmung von Geist" 7 8 begriffen werden muß, so ist dies Begreifen doch nodi nicht durch das „vor Gott" hinreichend geleistet, das selber von Kierkegaard nicht weiter bestimmt wird. Denn als Auszeichnung des christlichen Sündenverständnisses gilt doch nicht der bewußte Bezug auf irgendeine Gottesvorstellung, sondern der auf die christliche. Freilich liegt hier wohl eine Unausgeglichenheit im Gedankengang Kierkegaards vor. Denn einerseits ist auch die nicht durch das „vor Gott" qualifizierte Verzweiflung in allen ihren Formen bezogen auf das Ewige, als die Macht, die das Selbst gesetzt hat. Verzweiflung konnte gerade definiert werden als Verzweiflung am Ewigen (s. o. S. 250). Und derart schließt sie auch nach Kierkegaard die „Vorstellung vom Selbst" ein, „daß etwas Ewiges in ihm ist" 7 7 . Und warum sollte andererseits auch nichtchristliches Sündenbewußtsein (z. B. das jüdische) sich nicht „vor Gott" wissen können! Daß in diesem Sündenbewußtsein schon der christliche Begriff von Gott und Sünde gewußt sei, ist damit nicht gesagt. Hiergegen steht — ebenso unbestimmt wie das „vor Gott" — Kierkegaards Votum, daß „der Heide" „der Gottesvorstellung ermangelte" 78 . Klärung könnte nur eine Näherbestimmung des christlichen Gottesbegriffes erbringen. Sie würde auch die spezifisch christliche Sündenlehre ins redite Lidit setzen. Dazu ist hier folgendes anzudeuten, was unten noch einmal aufgenommen wird. Freilich ist es christliches Selbstverständnis, daß Gott erst „offenbart", was Sünde in Wahrheit ist. Aber dies doch so, daß er zugleich sich offenbart. Es ist die Selbstoffenbarung des christlichen Gottes, in der der christlidie Begriff von Sünde mitgesetzt ist. Dieser Gott offenbart sich als der Versöhnende. Im Wissen um Versöhnung 74 75 76 77

78

Kierkegaard, quantitierend! cf. die Rede vom „Maßstab", a. a. O. S. 78 u. ö. a. a. O. S. 79. a. a. O. S. 80. a.a.O. S. 61. Zumindest ist diese „Vorstellung" nicht deutlich abgegrenzt gegen die Sünde qualifizierende „Gottesvorstellung", cf. audi a. a. O. S. 75, 79, 114. a.a.O. S. 117.

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

255

weiß der christliche Glaube die Wahrheit der Sünde. Wahrheit madit die Unwahrheit offenbar. Nur wo Gott absolut gewußt wird, kann der Sündenbegriff in seiner Tiefe gedacht werden. Dies begreift Hegel als im Christentum möglich und wirklidi. Hier wird die Sünde auch nach Hegels Auffassung am tiefsten gewußt und in ihrem wahren Wesen erkannt — wie die Freiheit 79 . Hier findet sich der tiefste Schmerz um die in ihrem ganzen Ausmaß erfahrene Entzweiung von Gott 80 . Daß Kierkegaard dies diristliche Sündenbewußtsein psychologisch konkreter bestimmt und seine Potenzierungen aufdeckt, liegt an der bei Hegel fehlenden seelsorgerlidi-erbaulichen Abzweckung der „Krankheit zum Tode" 81 . Allerdings ist nach Hegel das Wesen der Sünde absolut gewußt, weil zugleich ihre absolute Aufhebung gewußt wird. Das führt zum weiter unten zu erörternden Problem der Positivität von Sünde, die Kierkegaard zu einem entscheidenden Kriterium seiner Sündentheorie gegenüber der spekulativen macht. Es ist in c. 6 dieser Arbeit gezeigt worden, daß für Hegel der Versöhnungsbegriff das spezifisch Christliche ausdrückt, und daß der Sündenbegriff von ihm her konzipiert ist. Sünde wird bei Hegel von vornherein so verstanden, daß sie ihre Wahrheit und Aufhebung als Auflösung ihres Selbstwiderspruchs im Begriff Versöhnung findet. Der Sündenbegriff Hegels ist teleologisch auf Versöhnung (Geist) bezogen82. Kierkegaard deklariert ein solches Verfahren, die Lehre von der Versöhnung als spezifisch christlich anzusetzen, als „oberflächliche Betrachtung" 83 . Eben die Sündenlehre markiere den entscheidenden Unterschied zwischen Christentum und Heidentum 84 . Soll aber das „Anfangen" bei der Sündenlehre 85 nun nicht nur einen darstellungstechnischen Sinn haben — was selber „oberflächlich" wäre —, so setzt sich Kierkegaard mit diesen Aufstellungen in Widerspruch zu seinem eigenen, faktisch geübten Verfahren: „die Definition des Glaubens, nach der ich in dieser ganzen Schrift das Steuer richte wie nach einem verläßlichen Seezeichen"88. 79

cf. o. S. 83 f. cf. o. S. 59, 89. 81 cf. dazu a. a. O. S. 3 f. 82 cf. o. Kap. 6, S. 193 f. 85 „Krankheit zum Tode", S. 89. 84 ebend. 85 ebend. ** a.a.O. S. 81. 80

256

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

Diese Definition des Glaubens, die „Gesundheit" des Geistes als Überwindung seiner Krise beschreibt87, ist eine der -wahren Freiheit (s. o. S. 245). Sie ist durchsichtige Einheit von Gottesverhältnis und Selbstbeziehung und stellt derart das Telos dar, in dem die Verzweiflung als Sünde zur Versöhnung gelangt89. Kierkegaard beschreibt diese versöhnte Freiheit in der gleichen Weise wie Hegel als dialektische Einheit von Identität und Niditidentität im Selbstbewußtsein, das in der Entäußerung an Gott gerade sich unendlich findet: „Die Entwicklung muß mithin darin bestehen, daß man unendlich von sich selber loskommt in Verunendlidiung des Selbst, und daß man unendlich zu sich selber zurückkehrt in der Verendlidiung" 89 . Daß dieser Prozeß der Identitätsfindung den Menschen als Geist teilnehmen läßt am Absoluten, ist in biblischer Sprache durchaus realisiert: „vermöge des Ewigen hat das Selbst den Mut, sich selbst zu verlieren, um sich selbst zu gewinnen" 90 . Wie oben festgestellt wurde, fehlt bei Kierkegaard eine explizite Grundformel für Sünde. Sie ließe sich aber durch Negation der Definition des Glaubens prinzipiell gewinnen. So kommt dieser die systematische Funktion zu, das Prinzip zu benennen (Versöhnung), von dem her Sünde sich in allen ihren Gestalten begreifen läßt. In der auch bei Kierkegaard wichtigen Lichtmetaphorik (s. o. S. 245 und Anm. 6) ließe sich sagen: dem Wesen des Geistes als vollendeter Durchsichtigkeit seiner selbst lassen sich die Phänomene des sündigen Bewußtseins als Weisen seiner „Verdunklung" 91 teleologisch zuordnen. Kierkegaards eigentümlicher Überlegenheitsanspruch der Spekulation gegenüber gründet sich auf den entscheidenden Charakter von „Positivität", den sein Sündenbegriff annimmt 92 . Ihn könne ein spekulativer Begriff von Sünde nicht erreichen oder wahren. Als orthodox 93 gibt sich daher seine Ablehnung eines „pantheistischen" Sündenverständnisses, wonach Sünde nur eine Negation sein soll wie: „Schwachheit, Sinnlichkeit, Endlichkeit, Unwissenheit", etwas bloß

87

a . a . O . S. 47, 81, 134, cf. 10. zum Terminus „teleologisch" cf. a. a. O. S. 122 Fußnote. 8 » a. a. O. S. 26. 90 a. a. O. S. 67. 91 Ein in der „Krankheit zum Tode" häufig auftretender Terminus. 92 cf. a. a. O. S. 96 fï. 93 ebend., cf. Erläut. 87 (S. 178). 88

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

257

Negatives 94 . Was Hegel betrifft, so ist zunächst festzustellen, daß er weder Sinnlichkeit als solche95 noch Endlichkeit als solche98 für sündig erklärt. Er setzt das Positive, Sünde als Schuld Konstituierende in den Willen 97 , wie Kierkegaard es für christlich legitim erklärt 98 . Das Verständnis der Sünde als bloß negativ bezeichnet einseitig und unzureichend das Moment negierter Absolutheit in ihrem Begriff. Es fehlt dabei — die allerdings entscheidende — Bestimmung, daß diese Negation als Freiheit positiv, nicht Zustand, Geschick, Passivität ist. Dies ist bei Hegel in die logische Bestimmung des Bösen aufgenommen: „positive Negativität" 99 . Nun wirft Kierkegaard allerdings dem von ihm wahrgenommenen spekulativen Versuch, Sünde als Position zu begreifen 100 , vor, durch Begreifen eo ipso über die Sünde hinaus zu sein, sie also wieder zu etwas Negativem zu machen401. Zu diesem Vorwurf ist folgendes zu bedenken. Die von Kierkegaard wirklich ausgesprochene Bestimmung der Sünde als einer bloßen Position ist selber unzureichend; es fehlt ihr das mitgemeinte, aber nicht explizierte Moment des Unberechtigten von Sünde. Entsprechend (durch eine charakteristische Isolation) verkürzt ist Kierkegaards formale Definition der Sünde als durch Gott offenbart (s. o. S. 252 f.). Denn diese Offenbarung erhellt ja gerade Sünde als Sünde, als das zu Negierende und in diesem Sinn als negative Position. Kierkegaard selber kann andernorts über Sünde sagen: „ihr Begriff ist, überwunden zu werden" 102 . Die oben beschriebene ambivalente Auffassung der Verzweiflung als Durchgangsmoment (s. o. S. 247) tut auch genau das, was hier der Spekulation vorgehalten wird: sie begreift das dialektische Wesen von Sünde als positive Negativität. Diese kommt audi darin zur Geltung, daß mit der Offenbarung der Sünde zugleich auch das offenbart ist, was die Sünde negiert: Versöhnung. Dies verschweigt Kierkegaard an

94 95 M 97 98 99 100 101 1OT

ebend. cf. o. S. 95. cf. ebend. S. 72. cf. o. S. 98. „Krankheit zum Tode", S. 95. cf. o. S. 69 und Anm. 9). „Krankheit zum Tode", S. 178, Erläut. 88. a. a. O. S. 97, 120. „Begriff Angst", S. 12.

17 Ringleben, Hegels Theorie

258

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

dieser Stelle103, obwohl er sich bei seiner Definition der Sünde darauf immer bezieht. Seine eigene Beziehung von Sünde und Versöhnung wird, wie oben gezeigt, nur undeutlich thematisch. Also von Gott wird qua Versöhnung die Position der Sünde negiert. Dieser Negation der Sünde entspricht ihr Begreifen als Position. Eben dies aber nadivollzieht denkend die spekulative Philosophie. Insofern sie als begreifend die Sünde negiert, sie zu etwas Negativem macht, versteht sie, was Gott offenbarend tut. Dies läßt Kierkegaards Polemik gegen das spekulative Begreifen unberücksichtigt104. Er hält als verschiedene Akte Gottes abstrakt getrennt 105 , was dem Denken als zusammengehörige Momente eines Ganzen einsichtig wird. Dieses Ganze ist die sich in der Dialektik von Position und Negation auslegende Freiheit. Ihre Unbegreifbarkeit letztlich ist es, was bei Kierkegaard die Unbegreifbarkeit der Sünde motiviert. Begreifbar ist sie angeblich allein Gott; dem Menschen bleibt sie, obschon sein Wesen, unbegreifliches Arrheton 106 . Dennoch bietet Kierkegaard einen eigenen Versuch, „zu erhellen, daß die Sünde eine Position ist" 107 . Dieser läuft schließlich darauf hinaus, ihre Positivität aus der Bestimmung „vor Gott" abzuleiten 108 . Das Selbst, das als „vor Gott" unendliche Realität hat (s. o. S. 253), wendet diese gegen ihren Ursprung: negative Positivität. Die unendliche Potenzierung zur gegengöttlichen Haltung verdankt sich der Gottesbeziehung des Selbst, die es unendlich madit: „Dies ist der Ausdruck dafür, daß die Sünde eine Position ist; dies, daß sie vor Gott ist, ist eben das Positive in ihr" 109 . So hat Hegel begriffen, daß Negation des Absoluten nur in dessen Kraft möglich ist. (Formale) Absolutheit wendet sich gegen sich selbst und ist derart endlich. Verendlichte Absolutheit oder absolute Endlichkeit, das ist das Böse. Es ist evident, wie dieser Versuch Kierkegaards eben von den Denkmöglichkeiten Gebrauch macht, gegen die er sich polemisch wendet. Überdies ist es ein Selbstwiderspruch, der103

„Krankheit zum Tode", S. 100 bringt er beide Gedanken einmal zusammen, entzieht sich aber bestimmten Konsequenzen durch die pathetische Versicherung, sowohl die Position der SUnde wie auch deren Beseitigung könne „der menschliche Verstand niemals begreifen". 104 cf. a. a. O. S. 97, 120. 105 cf. a. a. O. S. 100. 1M cf. o. S. 99 f. 107 cf. a. a. O. S. 99 f. 108 a. a. O. S. 100. 10 « ebend.

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

259

art begreifend zu „erhellen", was zuvor als unauflösliches Paradox und dem Glauben vorbehalten deklariert wurde 110 ; etwas wirklich zu tun, dessen Möglichkeit ausdrücklich geleugnet wird. Abschließend gibt die „Krankheit zum Tode" Anlaß, noch einmal zu diskutieren, womit der erste Exkurs (s.o. S. 107 f.) begann: das Verhältnis des spekulativen Denkens zur „Wirklichkeit". Wirklichkeit als Wirklichkeit der Subjektivität heißt jetzt die „Wirklichkeit des einzelnen Menschen". Hier wie im „Begriff Angst" ist sie „das Höchste" 111 . Sie ist angeblich der Hegeischen Philosophie unzugänglich, denn die Spekulation könne den einzelnen Menschen nicht denken, sondern allein den Begriff Mensch112. Dieser, als auf die „Generation", „die ganze Menschheit" gehend 113 , ist ein „Abstraktum" 114 . Seine prinzipielle Verallgemeinerung bzw. Allgemeinheit ist die „Ohnmacht des Begriffs", der den Einzelnen als solchen gerade nicht denken kann 115 . Dieser liegt in seiner Einzelheit „unterhalb des Begriffs", für ihn unerreichbar 116 . Es ist eindeutig, daß sich diese Argumentation einer vordialektischen Bestimmung des Verhältnisses Begriff — Begriffenes bedient. Kierkegaard argumentiert subsumtionslogisch. Hegels Logik denkt das Begriffene nidit als Einzelnes („Exemplar"), zu dem der „Begriff" allgemeine Gattung („Oberbegriff") wäre. Gegen diese klassische Logik ist gerade Hegels Lehre vom Begriff konzipiert. Danach wäre zu sagen: der einzelne Mensch qua Subjektivität ist der Begriff. Er ist selber Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit 117 ; ihre Dialektik konstituiert gerade Subjektivität. Der „Begriff" ist nicht das leere Allgemeine der Verstandeslogik, sondern Allgemeinheit als Selbstbesonderung. Audi hier zeigt sich Kierkegaards Neigung gegen Hegel ex non concessis zu argumentieren: er kritisiert einen Gedanken von einem 110 1,1 112 1,3 114 115 114 117

17*

cf. a. a. O. S. 98, 106. a. a. O. S. 120; „Begriff Angst", S. 7. a. a. O. S. 120. ebend. a. a. O. S. 122 Fußnote. a. a. O. S. 120. a. a. O. cf. 123. Man könnte fragen, ob Kierkegaard nicht selber die Möglichkeit eines Denkens realisiert hat, das „das Individuum als es selbst und zugleich das Gesdiledit" begreift und so der hier gestellten Alternative überhoben ist; cf. „Begriff Angst", S. 25 f., 29, 32 u. ö.

260

Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode" — Zweite Antikritik

Standpunkt aus, den jener gerade überwinden will; was aber selbst zur Diskussion steht, kann schlechterdings nidit als Argument gebraucht werden. Zu dem von Kierkegaard nur aufgestellten und durch moralischen Vorwurf („leichtsinnig") kurzerhand erledigten Problem der spekulativen Sündenerkenntnis eines (selber sündigen) Einzelnen 118 sowie zu der problematischen Kategorie des Einzelnen darf auf die obige Erörterung verwiesen werden 119 . Das angeblich schlechthin dem Begreifen Unerreichbare: als Sünder ein Einzelner zu sein, wird trotz dieser Versicherung von Kierkegaard zwar nicht explizit begriffen, aber doch in eine Konstellation gebracht, die schon in ihren Andeutungen durchaus auf die Möglichkeit eines solchen Begreifens verweist. Auch diese Stelle spiegelt die oft zu bemerkende Eigentümlichkeit Kierkegaards, etwas andern zu bestreiten, was er faktisch selber tut. In der Tatsache, daß der Sünder sidi in seiner Sünde als Einzelner verstehen muß, erkennt nämlich Kierkegaard „eine Scheidung, die in einem andern Sinne mit der Vollkommenheit des Daseins sowohl in Übereinstimmung ist als auch teleologisch in Richtung auf sie zu liegt" 120 .

118

„Krankheit zum Tode", S. 123. » cf. o. S. 100 ff. und Exkurs I, S. 111, 115. 120 „Krankheit zum Tode", S. 122 Fußnote. ll

EXKURS IV

Die Hegelkritik J. Müllers Innerhalb der sogen. Vermittlungstheologie des 19. Jahrhunderts verdient die Hegelkritik von Julius Müller als außerordentlich einflußreidies Dokument theologischer Beschäftigung mit Hegel und seiner Sündentheorie genauere Beachtung1. Sie repräsentiert einen Typ der Auseinandersetzung mit Hegels Philosophie, für den eine gewisse Indirektheit und historische Distanz charakteristisch ist. Das zeigt sich nicht nur in der fraglosen Selbstverständlichkeit, mit der Etikettierungen wie „Pantheismus" auf sie angewendet werden, sondern viel mehr noch darin, daß diese Philosophie gewissermaßen nidit für sich selber erfaßt und diskutiert wird, sondern daß ihr Bild weithin mitbestimmt ist durch den Blick auf ihre theoretischen und praktischen Folgen bei denen, die sich auf sie berufen: die „Hegel-Schüler". Oft ununterscheidbar wird bei Müller die Kritik an jener Philosophie als Kritik an diesen vorgetragen. Die polemisdie Berufung auf „hegelisdi" denkende Zeitgenossen hat so die Funktion einer Enthüllung der Mängel von Hegels Denken

1

J. Müller (1801—1878), Anhänger und Freund Tholucks, war TheologieProfessor in Göttingen (1832), Marburg (1835) und Halle (seit 1839). Zu den Grundzügen seiner Theologie und ihrer geschichtlichen Einordnung cf. Hirsch, Geschichte V, a. a. O. 392 ff. Müllers Hegelkritik findet sich vor allem in seinem zweibändigen Hauptwerk „Die christliche Lehre von der Sünde", und zwar von der 2. Auflage an in endgültiger Fassung. Wir zitieren die 3. Auflage (1849), wobei einfache Seitenzahl immer deren 1. Band meint, während der zweite durch vorgestellte II gekennzeichnet ist. Die 1. Auflage (1839, 1. Bd.) wird von uns nur gelegentlich herangezogen. Andere Schriften Müllers werden ausdrücklich genannt. — Kurz skizziert wird Müllers Kritik an Hegel bei Dannenberg, a. a. O. 104 f., W. Trillhaas hält sie „erheblicher Mißverständnisse" Hegels für überführt, cf. a. a. O. S. 600. Die wohl ausführlichste Besprechung und spekulative Kritik von Müllers Monographie insgesamt findet sich in W. Vatkes „Beitrag zur Kritik der neueren philosophischen Theologie" in: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, Jahrgang 3, Leipzig 1840, Nr. 2 ff.

262

Die Hegelkritik J. Müllers

selbst. Diese Tendenz bestimmt die Erörterungen Müllers in seinem Buche so sehr, daß faktisch seine Sicht Hegels bestimmt ist durch die derer, die er für dessen legitime Sdiüler hält 2 . Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß er die Hegeische Philosophie für die eigentliche Quelle aller ihm verderblich erscheinenden „ Zeitphilosophie " hält 8 . Auch bei Müllers gleich genauer darzustellender, ausdrücklicher Diskussion von Hegels Theorie des Bösen, die sich detailliert auf Hegel-Texte bezieht 4 , dient ihm häufig die Bezugnahme auf sogenannte Hegelianer zur Bekräftigung seiner Interpretation 5 . Bei diesem häufig indirekten Bezug auf Hegel ist es nicht verwunderlich, daß Müller die sachlichen Übereinstimmungen seiner eigenen Sündenlehre mit der Hegeischen verborgen bleiben, die dennoch in mancher Hinsicht zu konstatieren wären®. Überhaupt muß auch die folgende Erörterung insofern ein einseitiges Bild von Müllers eigener Theologie — die überaus große Gelehrsamkeit und der eindringende Scharfsinn der umfänglichen Monographie über die Sünde verdienen 2

cf. II, 160, 296 f. (Strauß), II, 31 f., Fn. 223 f. mit I, 550 f. (Vatke), 164 f., Fn. II, 185 (Martensen), 391 f. mit 550 (Baur), 339 f. (Göschel), 295 (Rosenkranz), 402 Fn. (Solger), II, 174 Fn. 2 (Zeller), II, 196 (Marheineke), II, 238, 237 (Daub). Im Falle Vatkes kann sogar die Meinung eines „Hegelianers" mit der des „Systems" identifiziert werden, cf. 168 mit 149, 151, 180 f., 367 u. II, 220. 3 cf. 153, Fn. 2, 163 f., 169. 4 Vor allem aus der Phänomenologie, Rechtsphilosophie, Enzyklopädie und Religionsphilosophie. 5 cf. 539 f., Fn. 3, 543, Fn. 1, 545 f. Fn. 1, 547 Fn. 1 (Vatke), 541 f., 542 Fn. 550 f. (Strauß) und 555 Fn. 2. • Dies würde eine genaue weitläufige Analyse von Müllers Hauptwerk zeigen können, zu der hier nidit der Ort ist. Exemplarisch und als sogleich auffallend seien nur genannt die generelle These, das Subjekt finde die Wahrheit seines Seins im absoluten Wesen: 114, 152, 156, 159, 220 f., 408, die Bestimmung der „Position in der Negativität des Bösen": 179, cf. 173, 182, 357, 394, 404, 413 und die Verhältnisbestimmung von formaler und realer Freiheit: II, 35 f., 569, cf. Antirel. Richtungen, a. a. O. 33 f., 35 f. Schließlich cf. audi unser Kap. 6 Anm. 20. An einer Stelle verrät sogar der Wortlaut Müllers Übereinstimmung mit dem, was er an Hegel kritisiert, cf. 400 Fn. mit 34, II, 196 u. Dogmat. Abhandlungen, a. a. O. 115. Eine ausdrücklich zustimmende Bezugnahme auf Hegel findet sich nur in Nebenpunkten: 104, II, 65 Fn. cf. II, 285 Fn. Bloß referiert wird Hegel 164 Fn., 339 Fn., 383 Fn. 2, 402 Fn.

Die Hegelkritik J. Müllers

263

höchsten Respekt — geben, als diese wegen der Konzentration auf Müllers Hegelkritik hier kaum selber zur Darstellung gelangen kann. Audi Müllers positiver Begriff von Spekulation 7 und seine N ä h e zu Schellings Philosophie 8 können dementsprechend nicht gewürdigt werden. Müllers Hegelkritik findet sidi einerseits durch das ganze Werk verstreut und hat dabei einen pauschalen und durchaus unspezifischen Charakter. Sie konzentriert sich auf die beiden allgemeinen Vorwürfe des „Panlogismus" 9 und des „Pantheismus" 10 . Dabei wird Hegels N a m e teils ausdrücklich genannt, meist aber deutlich auf seine Philosophie angespielt. Diese doppelte Kritik kommt überein in der Behauptung, mit dem Vorherrschen der Kategorie Notwendigkeit werde in diesem pantheistischen Denken auch das Böse, die Sünde logisch begriffen und so aufgehoben 11 . Diese These wird uns unten noch genauer beschäftigen. Neben dieser gelegentlichen und allgemeinen Kritik an Hegel 1 2 gibt es dann andererseits eine ausführliche Diskussion von Hegels Sündentheorie mit gewichtigen Argumenten 13 , der wir uns nun zuwenden. 7

cf. 1 ff. cf. das emphatische Bekenntnis (1843) zu diesem als dem „größten Philosophen der gegenwärtigen Zeit", von dessen Gedanken eigentlich Hegels Logik zehre, die jene aber total mißverstehe, Antirel. Richtungen, a. a. O. 19 ff. sowie die teilweise positiven Schelling-Diskussionen im Hauptwerk! • cf. 7, 204 Fn., 552 („Panlogismus"), 224, 244, II, 554 („logischer Enthusiasmus"), 14, 19, 395, II, 183 Fn. (Selbstbewegung des Begriffs) und 7 (Hegels Panlogismus). 10 Zu Müllers Pantheismusbegriff allgemein cf. 5 ff., 166. Mit Anspielung auf Hegels Philosophie cf. den Pantheismusvorwurf überhaupt 156, 295, 365, 543 Fn., 559, II, 157, 160 (cf. 161 f., 166, 168 f., 179, 185), 172. Die Kritik des „idealistischen Pantheismus", der eine unmittelbare Gott-Mensdi-Einheit behauptet, findet sich: 203, 157, 328, II, 490, cf. 161 Fn. u. Dogmat. Abhandlungen a . a . O . 76, 118. Zum Vorwurf der „antireligiösen Zeitphilosophie", cf. o. Anm. 3). Von Hegels „logischem Pantheismus" wird II, 241 gesprochen. Zum Pantheismusverdacht cf. unseren Exkurs II, o. S. 154 ff. 11 cf. II, 32 („logisches Notwendigkeitssystem") und II, 335 (Pantheismus leugnet die Sünde). Nach 35 und II, 335 f. begreift die spekulative Theorie die Notwendigkeit des Bösen, und nach 24 (cf. VI) hebt diese Erkenntnis die Sünde auf. " Es finden sich auch kritische Bemerkungen zu einzelnen Thesen Hegels in der Logik (100, II, 227 Fn., 240 ff.) und der Enzyklopädie (520 Fn., II, 180 Fn.), die hier übergangen werden können. " 536—558. 8

264

Die Hegelkritik J. Müllers

Zwar erörtert Müller die Hegeische Sündenlehre im Rahmen eines allgemeineren Modells, für das die „Ableitung des Bösen aus den Gegensätzen des individuellen Lebens" charakteristisch ist14, aber er anerkennt immerhin, daß die Theorie Hegels als eine „besondere Modifikation" 16 jenes Theorietypus sich der völligen Subsumtion darunter entzieht. Die „eigenthümlidien Bestimmungen", in denen sich jenes Grundmodell nun bei Hegel einen abweichenden Ausdruck verschafft — gemäß dem „Zusammenhang eines ausgebildeten philosophischen Systems"1* —, werden somit nicht nur von Müller als Thema seiner Prüfung von Hegels Theorie in Ansprudi genommen, sondern müssen zugleich das Kriterium einer Prüfung seiner Kritik sein können. Will Müllers Hegelkritik sich gerade an den spezifisch Hegeischen Denkbestimmungen orientieren, so muß sie selber sich daran messen lassen, ob ihr dies auch tatsächlich gelingt. 1. Obwohl Hegel von Müller „ein oft sehr energisches Bewußtsein von der Tiefe des Bösen" und ein entschiedener Fortschritt über Spinozas Konzept des Bösen hinaus attestiert wird 17 , so findet Müller letztlich dodi Hegels Begriff vom Wesen der Sünde sowie der Versöhnung unzureichend18. Den „letzten Grund" für dies Ungenügen der Hegeischen Theorie, deren Kritik im einzelnen gleich folgt, findet Müller im Primat der logisch-spekulativen Notwendigkeit, der auch das Böse nur „zu einem nothwendigen Moment im absoluten Prozesse" werden kann 19 . Dieser Primat folgt aus dem grundsätzlichen Fehler Hegels, „das Wesen des Geistes einseitig als Denken" zu fassen20. Allerdings ist diese Kritik Müllers 21 selber nur Ausdruck seiner eigenen einseitigen Fassung des Denkens als eines „bloßen Modus" des Geistes22, insofern er nur unter dieser Voraussetzung Hegel vorwerfen kann, den Willen als eine besondere Weise des Denkens diesem unterzuordnen, eben „nur als Modus

14

cf. 495 ff. 508, 536, »· 536. 17 cf. 551 f., 558 und 541 f. 18 cf. 538 f. 19 cf. hierzu und zum Folgenden 551 f. sowie o. Anm. 9) u. 11). 20 552. 21 Ähnlich: Antirel. Richtungen, a. a. O. 11, 29 u. 8 ff., 15. 22 Als rein subjektive Tätigkeit wird das Denken gefaßt: II, 159, 183 Fn. 15

Die Hegelkritik J. Müllers

265

der Intelligenz" 2 3 . In Wahrheit wird bei Hegel nicht ein abstraktes Denken als Höchstes gesetzt — als sogenannte panlogistische Hypostasierung eines besonderen Geistesvermögens —, dem die anderen „Vermögen" dann zu subsumieren wären (wie ζ. B. der Wille), sondern es wird gerade die vernünftige Einheit von Denken und Wille gedacht. Weil Hegels konkrete Vernunft die Einheit des Denkens mit dem Willen, weil sie die in beiden als besonderen Tätigkeiten sich darstellende eine allgemeine Freiheit des Selbstbewußtseins ist, ist auch das Denken nicht mehr „bloßes Denken", sondern ebenso ein „Modus des Willens" wie umgekehrt dieser eine Weise der Vernunft. Ihre konkrete Einheit als der Begriff der Freiheit ist für Hegel — was Müller ebenso einseitig, wie sein Bild von Hegels Denken es ist, im Willen finden will — das „ursprüngliche Princip der Realität, ja das eigentlidie Princip wirklicher Existenz" 2 4 . Die Selbstverwirklichung dieser Freiheit denkt Hegel nun freilich als „nothwendigen Proceß" und sie selber als vernünftig, und d. h. auch vernünftig nachvollziehbar. Aber diese Notwendigkeit, die sidi dann auch im Bösen noch realisiert, ist eben allein die der Freiheit. Deren Notwendigkeit macht das Wesen des Logischen aus, ihr Vollzug ist die „reale Auseinandersetzung der logisdien Vernunft" 2 5 . Der „Monismus des logischen Gedankens" 2 8 muß bei Hegel als Monismus der Freiheit begriffen werden. 2. Müller beginnt seine Kritik mit einer Darlegung von Hegels Begriff des Bösen als willentlich festgehaltener Natürlichkeit 27 . D a er bei diesem Referat das Verhältnis von Natürlichkeit und Für-sich-sein, von Inhalt und Form unbeachtet läßt, muß er in Hegels Konzept das Wesen des Bösen nur unzureichend erkannt finden. E r übersieht, daß audi für Hegel „die innerste Tiefe des Bösen", die er bei ihm verdeckt glaubt, im bösen Selbstsein als exklusivem Für-sidi besteht, wodurch zu Müllers eigenem „Realprincip der Sünde", der Selbstsucht, keine D i f ferenz besteht 28 . Und so ist auch die Behauptung unzutreffend, Hegel müsse die „geistigsten und . . . schlimmsten Gestalten" des Bösen ver23

552.

24

cf. ebend.

25

ebend.

2

« ebend.

" 28

cf. 537 f. cf. dazu 170 ff. Für Hegel cf. o. im Text S. 191 mit Anm. 2 0 3 ! Diese Parallele wäre Müller vielleicht nicht verborgen geblieben, hätte er in die

266

Die Hegelkritik J . Müllers

kennen, wie ζ. Β. eine gewisse „ruchlose Selbstvergötterung des menschlichen Geistes . . . auf den Höhen der ausgebildeten Intelligenz", da gerade diese in Hegels Begriff der „Ironie" gemeint ist29. 3. Das Hauptanliegen der Hegelkritik Müllers ist im Folgenden darauf gerichtet, eine von Hegel behauptete Notwendigkeit des Bösen und die daraus folgenden fatalen Konsequenzen nachzuweisen. Sein Beweis dieser „höhern spekulativ-logischen Notwendigkeit" 3 0 setzt ein bei der Hegeischen Bestimmung des Bösen als „das was nicht sein soll, d. i. was aufgehoben werden soll" 81 . Er argumentiert, daß dieser Gedanke, das Böse sei, was nicht bestehen, nicht bleiben, sondern überwunden werden soll, nicht besagen könne, es solle überhaupt nicht geschehen. Denn, um überwunden werden zu können, müsse es doch zuvor dasein. Hegels Begriff des Bösen als des Aufzuhebenden schließe also gerade die „allgemeine Nothwendigkeit des Bösen" ein82. Offenkundig verdankt sich dieser Beweis Müllers einer logisdien Unkorrektheit. Daß das Böse das Nichtseinsollende, Aufzuhebende ist, besagt dodi nur: wenn es ist, ist es als das, was nicht sein soll, dessen Sinn allein seine Aufhebung ist. Hegels Bestimmungen sagen also nicht, daß das Böse überhaupt sein muß, sondern lediglich, daß es nur als das zu Uberwindende existieren kann. Freilich muß etwas, um aufgehoben werden zu können, dazu „zuvor da sein", d. h. aber bei Hegel nur: der Begriff des Bösen schließt notwendig die Aufhebung, das Unberechtigte seines Seins ein, keineswegs aber die notwendige Realisierung dieses Begriffs. Solche kann allein eine zufällig-freie sein. Und es heißt: wenn es denn ist und faktisch aufgehoben wird, geschieht ihm nur sein Recht, indem dabei manifest wird, was es eigentlich ist, nämlich eine unberechtigte, bloß faktische Existenz. Darstellung das für Hegels Begriff konstitutive Verhältnis zu Gott mit einbezogen. Sie wird übrigens nodi konstatiert in der 1. Auflage (1839) a. a. O. 350 f . ; cf. auch in der 3. Auflage, a. a. O. 261 ! 29

cf. 538. Zum Begriff „Ironie" cf. o. in unserem Text S. 88, 102. Der begründende

kurze

Hinweis

Müllers

auf

eine

angebliche

„Herkunft

des

Geistes aus der Natur" in diesem Zusammenhang übersieht die Dialektik, daß Selbstvermittlung nur durdi Selbstunterscheidung vom Anderssein zu denken ist. 30

cf. 539.

31

ebend. und Fn.

32

cf. ebend.

Die Hegelkritik J. Müllers

267

Die Müllersdie These von der angeblidien Notwendigkeit des Bösen bei Hegel kann also nur als erschlichen bezeichnet werden 33 . Indem die folgende Argumentation Müllers weithin auf diesem Beweis der Notwendigkeit, der dann überall vorausgesetzt wird, ruht, verliert jene erheblidi an Gewicht. Es wird sich zeigen, daß Müllers kritische Thesen nur unter der Voraussetzung einer falsdien Vorstellung von Hegels Begriff des Bösen möglich sind. Besonders ist ihm Hegels Konzeption des Bösen als des Sichselbstwidersprechenden entgangen. Nach Hegel ist das Böse zu begreifen als zufälliges Faktum des Daseins dessen, was notwendig das Nichtseinsollende, Aufzuhebende ist. Dasein des Aufzuhebenden aber ist dessen Selbstwiderspruch. Das Böse ist nicht nur der Begriff eines Widersprüchlichen, sondern als faktisch seiend auch der Widerspruch zu seinem Begriff, nicht sein zu sollen. Als solcher ist das Böse das Aufzuhebende und dergestalt zu begreifen. Diesem bloß faktisch vorhandenden Widerspruch als solchem Notwendigkeit zusprechen zu wollen, wäre völlig sinnlos. Er meint gerade Verkehrung des Notwendigen und weist so freilich im zufälligen Modus der Depravation auf das hin, was Notwendigkeit vollendet: Freiheit. 4. Müllers Kritik setzt hier (und an mehreren Stellen noch, wie sich zeigen wird) eine Identifikation der Begriffe „Entzweiung" und „das Böse" voraus. Demgegenüber ist die Entzweiung des Menschen mit seinem Wesen für Hegel gerade Verwirklichung dieses Wesens und nicht das Böse34. Dies entsteht erst, wo Entzweiung in Entfremdung übergeht. Gehört jene derart zum dialektischen Begriffe des Menschen, daß sie seine notwendige, so diese derart, daß sie seine zufällige Realisation ist. Die Müller offenbar so anstößige These35 Hegels von einer notwendigen Entzweiung des Mensdien „mit seinem Wesen, mit seiner Wahrheit" 36 hat ihren Sinn in der Dialektik von Unschuld und Versöhnung. Als an33

34 35 34

In diesem Zusammenhang wird von Müller audi nicht erörtert, ob nicht jedes Sollen bzw. Nidit-sein-Sollen notwendig kontrafaktisch zu denken ist. Kann das, was (eigentlich!) nicht sein soll, überhaupt intendiert werden, ohne in irgendeinem Sinne zu sein? Ζ. B. das Böse zu wissen, ist für Hegel nicht mehr rein gut, weil nicht mehr ganz eins mit dem Guten! Anders dazu Müller: II, 221, 285 Fn. cf. 540 f. cf. audi II, 466. 540, cf. Hegel Gl 15/284, Sk 16/264.

Die Hegelkritik J. Müllers

268

fängliche „Unschuld" ist die wesenhafte Wahrheit des Menschen zwar intendiert, aber nodi in selber unwahrer, weil unfrei gegebener Form. Nun ist aber für Hegel „die Form dem Wesen so wesentlich . . . als es sich selbst" 37 . Entzweiung als Realisierung der Freiheits-Form dient also gerade der wesentlichen Einheit. Das wahrhafte Telos des Geistes, versöhnte Freiheit im Absoluten, bestimmt notwendig noch die Bedingungen seiner Genesis als frei. Freiheit kann nur durch sich, frei zustande kommen. So verkennt Müller Hegels Gedanken, daß Realisierung des Wesens Entzweiung von ihm einschließt bzw. umgekehrt, daß die Form der Realisierung des Wesens ihm nicht unwesentlich sein kann. Weil das „Wesen des Geistes" nur dialektisch gedacht werden kann, muß es als durch Selbstentzweiung seine wahre Einheit produzierend gedacht werden. Müller dagegen sieht nicht, daß die Entzweiung um des Wesens willen zugleich eine von ihm, bzw. daß das Wesen der Entzweiung zugleich Entzweiung vom Wesen sein muß 88 . 5. Die Identität der Begriffe Entzweiung und das Böse steht dem Hegelkritiker so fest, daß er auch die von ihm angeführte — in die richtige Lösung weisende — Differenzierung „einiger Schüler Hegels", dergemäß „jene Nothwendigkeit dem Moment des Fürsichseins zugeschrieben (werde), insofern es dem Allgemeinen immanent bleibt und die Möglichkeit der Lostrennung aufhebt, nicht aber, insofern es sich wirklich losreißt" 39 , um ihre eigentliche Pointe bringt. Diese liegt gerade darin, daß auch im bösen Fürsichsein, „insofern es sich wirklich losreißt", die Notwendigkeit der Freiheit sich noch realisiert. Auch die Zufälligkeit des wirklichen Bösen hebt nicht völlig die Immanenz im Allgemeinen auf, deren es gerade bedarf, um überhaupt sein zu können, was es ist: das Streben, selbst allgemein zu sein auf Kosten des Allgemeinen. Das Böse, zufälliger Modus des Notwendigen, hat dann aber als solches „innerhalb des Systems" durchaus Anspruch darauf, begriffen zu werden. Müller argumentiert dagegen aus einem undialektischen Begriff des „Logischen"40. 6. Auch Müllers Destruktion des Hegeischen Schuldbegriffes41, der „im Grunde nur tautologisch wiederholt, was im Begriffe des Bösen 37 38

Gl 2/24, Sk 3/24, H/23 f., cf. unseren Text S. 168. So auch 540 Fn. 3.

39

541.

40

cf. ebend. 546 f., cf. 509.

41

Die Hegelkritik J. Müllers

269

schon unmittelbar enthalten ist" 42 , gründet sich auf jene vermeintliche „intelligible Notwendigkeit" des Bösen 43 . Sie als die „der Entzweiung, die das Böse ist", sei unausweichlich dem Begriffe des Menschen widersprechend und die Möglichkeit des Menschen, im Einzelfall sich audi anders, d. h. nidit böse entscheiden zu können, eine abstrakt-leere 44 . N u n gilt freilich die Unausweichlichkeit der Entzweiung, insofern sie Zusichkommen des Idi ist („Fall") 48 . Das aber, was sie allererst zur bösen (Entfremdung) macht, das Sich-Festhalten des Fürsichseins, Beharren gegen sein Momentsein im Absoluten, bzw. daß die Freiheit, indem sie ist, zugleich sich verkehrt zu ihrem eigenen Mißbrauch — das ist nidit mehr als notwendig, sondern nur als zufällig frei 46 , als Schuld zu denken. Im Ubergang vom momenthaften Fürsichsein zu seiner bösen Fixierung schlägt Vollzug von Notwendigkeit um in schuldhafte Zufälligkeit, Mißbrauch: die Möglichkeit solchen Umschlagens ist die konstitutionelle Krise der Freiheit. Deren Teleologie schließt die Möglichkeit ihrer freien Verkehrung als Schuld notwendig ein. U n d so trifft auch Müllers Behauptung, jede Erklärung des Schuldbewußtseins aus dem Zweck, das endliche Subjekt in der Zurechnung des Bösen bei sich selbst zu behaften, müsse jenes auflösen, weil ein durchschauter Zweck keiner mehr sei und der Mensch in soldier Erkenntnis gerade von sidi absehe 47 , jedenfalls nicht Hegel. Nach Hegel erfährt das Subjekt im Schuldbewußtsein als den tiefsten Schmerz innerlicher Zerrissenheit den „Kampf" seines Idi mit sich selber 48 . Des42 a

ebend., cf. audi 361. In der Preisgabe des Schuldbegriffs zugunsten einer „höheren Notwendigkeit" findet audi die 1. Auflage des Budies den „unversöhnlichen Zwiespalt dieser Philosophie mit dem Christentum", cf. a. a. O. 351.

44

cf. 546.

45

Die Folgerung, daß für Hegel also „der Sündenfall selbst noch ohne Sünde wäre" (551 Fn. 2) zieht Müller gelegentlich selber einmal; dodi nur, um an ihrer ihm fraglosen Ungereimtheit die „Amphibolie" von Hegels Begrifflichkeit zu demonstrieren. Dazu cf. u. Anm. 89). Unter den Bedingungen einer Logik der Freiheit muß „Willkür" eben als zufällige Verkehrung des Notwendigen, Freiheit im Selbstwidersprudi gedacht werden. Derart stellt Müller wiederum eine falsche Alternative, wenn er sagt: „Die Sünde ist Willkür, aber nidit Zufall", cf. Dogmat. Abhandlungen, a. a. O. S. 123. cf. 298. cf. in unserem Text o. S. 59, 89 f.

44

47 48

270

Die Hegelkritik J. Müllers

sen Überwindung kann nur in der subjektiven Aneignung der objektiven Versöhnung, die zugleich Selbstpreisgabe des endlichen Idi an sein absolutes Wesen ist, geschehen49. Daß bloß formelle Durchschauthaben eines höheren „Zweckes" dagegen würde das Ich gerade in seiner Entfremdung und Isolierung vom Absoluten fixieren, und die vermeintliche Überlegenheit seiner „absoluten" Einsidit wäre als Unfähigkeit, sich ins Absolute aufzuheben, eben wiederum das Böse50. 7. Jener Subreption einer „höheren Notwendigkeit" des Bösen verdankt sich weiter auch die verfehlte Unterscheidung Müllers von „Gesdiehen des Bösen überhaupt" und „Beharren des Bösen"51. Nach Müller soll Hegel jenes als notwendig und dieses als nicht sein sollend behaupten. Demgegenüber ist festzustellen, daß Hegel das Böse selber gerade als „Beharren" begreift: es ist dessen Sein bzw. Geschehen zu beharren. Das Böse ist eben das sidi isolierende Festhalten des formell-subjektiven Moments im Freiheitsvollzug. Es ist das Aufsichbestehen und so Beharren eines, das Sinn nur als Übergehendes, Sich-Integrierendes hat. Das Durdigangsmoment ist notwendig, aber nicht böse; sein AufsidiBeharren ist (erst) das Böse und zufälliger Mißbrauch des Notwendigen. Es ist das, was absolut nicht sein soll und deshalb nur sein kann, weil das Absolut-Notwendige ist. Müller substantialisiert gleichsam das Böse als Subjekt „seines Geschehens überhaupt" und seines möglichen „Beharrens". Gerade dieser Ansatz ist aber bei Hegel überwunden. Das Böse ist gerade das Aufzuhebende wie zugleich Sich-Aufhebende, weil es eben nur der ohnmächtige Anspruch auf substantielle Subjekthaftigkeit, deren Usurpation ist, die das nur bestätigt, das zu usurpieren sie tendiert. Es ist nur als Beharren, als scheinhafte Selbst-Hypostasierung. 8. Die Unzulänglichkeit der Müllerschen Unterscheidung von Geschehen und Beharren des Bösen macht dann audi seine Kritik hinfällig, daß bei Hegel das Letzte, also „das eigentlich Böse völlig unbegriffen" bleibe 52 . Denn als jener faktisch-existente Widerspruch, das Notwendige zufällig verkehrt zu sein, ist das Böse begriffen. So zwar, daß es „nicht in seiner Notwendigkeit erkannt ist" — was unmöglich ist —, sondern dergestalt, daß seine Unableitbarkeit als faktisch-zufällig gerade als 4

» cf. o. Kap. 6 d) S. 229 ff. cf. auch o. in unserem Text, S. 102 f. 51 cf. 544. Sie folgt aus seiner Deutung der Bestimmung des Bösen als des Aufzuhebenden, cf. o. S. 266 und 539. 82 cf. 544 f. 50

Die Hegelkritik J. Müllers

271

Bedingung erkannt wird, die Notwendigkeit der Freiheit als sich frei realisierende zu denken. Daher ist die Rede von einem „Ursprung des Bösen" dialektisch 53 . Das Begreifen dieser „Unbegreiflidikeit" des Bösen als Faktum steht damit nicht „als ein unüberwindlicher Widerspruch gegen das Absolute dieser Philosophie" 5 4 , sondern entspricht gerade den Bedingungen, unter denen ein Begreifen von Freiheit steht. D a Hegel das Absolute nicht als ein sozusagen als fertig Gegebenes, vielmehr als Sidi-selbst-Produzierendes denkt, führt das Begreifen unableitbarer Z u fälligkeit nicht zu „absolutem Dualismus" 5 5 , sondern gehört in die Theorie der Genese sidi realisierender Freiheit. D i e „Totalität des begreifenden Denkens" 5 6 gewinnt sidi Hegelisch gerade erst im Einholen seiner faktischen Grenze. 9. Was Müller dem Denken Hegels als Selbstwiderspruch bzw. Selbstwiderlegung vorhält, daß danach einerseits das Böse „nur sei, um aufgehoben zu werden" 5 7 und andererseits Hegel selber gewisse gegen die eigene Aufhebung sich verhärtende Formen des Bösen anerkenne 5 8 — das fällt ζ. T . schon mit der oben erörterten fehlerhaften Unterscheidung von Sein und Beharren des Bösen. Darüber hinaus wird hier der Theorie selber als Widerspruch angelastet, was sie gerade als ihr Thema ansieht: das Böse als freier Selbstwiderspruch seines Begriffs. Das Böse selbst wird von Hegel eben als derjenige Sachverhalt gedacht, der seinem eigenen Begriff frei widerstreitet bzw. dessen Realisation sich tendentiell selbst zuwider ist. N u r eine Theorie, die sich diesem einzigartigen Sachverhalt stellt, daß die Wirklichkeit eines bestimmten Begriffs darin auf ihn bezogen ist (und bleibt), daß sie ihm nicht entspricht, gewahrt überhaupt das Böse. I n diesem dialektischen Phänomen artikuliert sidi als kritisches Verhältnis von Begriff und Freiheit, woran eine Logik der Freiheit sich bewähren muß. M u ß das Böse selber als Beharren auf sich gedacht werden, so gibt es empirisch freilich verschiedene Formen und Grade solchen Beharrens bzw. auch Steigerungen desselben. Sie hängen ζ. B . davon ab, in welcher 53

cf. unseren Text, S. 132. Audi Müller vertritt diese Unbegreiflichkeit des Bösen: II, 231 ff.

54

546. ebend.

55 54

cf. ebend.

57

cf. 547.

58

Dies ist aber nadi 548 vom System selber entschieden gefordert!

272

Die Hegelkritik J. Müllers

Ausdrücklichkeit das sich in sich festhaltende Ich sich und sein Sichfesthalten darin -weiß. So mag es empirisch Formen des als solchen gewollten Beharrens, des Beharren im. Beharren geben. Hegel registriert eine solche beispielsweise im Phänomen der romantischen Ironie als höchster Spitze der „Eitelkeit" 6 9 . Auch besteht kein Anlaß, von seinem Begriff des Bösen aus das Erfahrungsdatum einer fürs individuelle Subjekt unlösbaren Verstrickung in Sünde zu leugnen 60 . Hegels Begriff von Versöhnung hat vielmehr gerade den prinzipiellen Sinn, der Leistung des empirischen Einzelsubjektes unverfügbar zu sein 61 . 10. Eine weitere Konsequenz der von Müller für Hegels Theorie postulierten Notwendigkeit der Sünde liegt darin, daß er diese als eine bleibende bzw. als eine des Bleibens der Sünde fassen muß 82 . Denn bei Hegel sei — nach Müllers Ausdruck 68 — „die Wirklichkeit des Bösen die nothwendige Vermittlung des Guten", d. h. solange bleibend wie dieses. Damit das Gute sein könne, müsse auch sein bedingender Gegensatz permanent sein. Die Subsumtion der Hegeischen Theorie unter den Titel „Ableitung des Bösen aus den Gegensätzen des individuellen Lebens" 84 soll sich in diesem Zusammenhang legitimieren. Zunächst macht sich in Müllers Kritik die oben schon nachgewiesene, undifferenzierte Gleichsetzung der Entzweiung mit dem Bösen bemerkbar. Alles, was er für die Notwendigkeit einer gegensätzlichen Spannung für das Zustandekommen „wahrer Lebendigkeit" beibringt, gilt bei Hegel von der Entzweiung. Ihr Eintreten ist notwendige Bedingung, daß der Geist frei, eben Geist sei. Aber seine notwendige „Lebendigkeit" hat der Geist in und aus der Entzweiung nur, insofern diese Moment, Ausdruck der Einheit des Ganzen bleibt, d. h. vorübergehende, gerade nicht sich verfestigende ist. Entzweiung wird zum Bösen allererst, wo das in ihr sich absondernde Moment sich im Gegensatz zum Ganzen fixiert, dieses tendentiell selber ist. Diese freie Verschärfung zur Entfremdung ist eine bloß faktisch-zufällige Erscheinung notwendiger Entzweiung. cf. o. Anm. 29). Anders Müller, 548. Zur empirisdien Konkretion seines Sündenbegriffs bei Hegel cf. o. im Text S. 86 ff. el cf. o. im Text S. 225 u. 229 f. 82 cf. 548 f. «» 548, cf. 540. «* 495, cf. 508. 59

80

Die Hegelkritik J . Müllers

273

Als solche ist aber nicht das Böse ein bleibendes Moment des Systems, sondern gerade seine Aufhebung, es nur als Verschwindendes65. Was in sidi nichtig ist, kann nicht als bleibende Voraussetzung gedacht werden. Insofern ist auch nicht einmal der Schein von Positivität, selbständidem Bestehen am Bösen Bedingung der Realisation des Geistes, sondern jener ist umgekehrt nur aus dieser zu verstehen. Das zufällige Sein des Bösen ist nicht Bedingung des Zustandekommens von Geist als absolutem. Sondern die Selbstproduktion des Absoluten ist gerade Selbstunterscheidung, Sichabstoßen von dem, was eodem actu wesenlos, nichtig ist68. Weil Müller undialektisch an dem festhält, was eben als Sichauflösendes zu denken ist, entgeht ihm, daß für Hegel das Sein des Absoluten (des Guten) unmittelbar das Nichtsein des Bösen ist. Darum verhält es sich auch genau umgekehrt als Müller meint, der Hegel den Gedanken nur einer aktuellen, aber keiner grundsätzlichen Aufhebung des Bösen unterstellt: „eine immerfort geschehende, aber nie geschehene"*'3 ; eben weil diese Aufhebung als prinzipiell, als „geschehen" gewußt wird (Versöhnung), kann sie auch als eine „immerfort geschehende" (gleichsam empirisch) angeschaut werden. Einigermaßen seltsam mutet an, wie Müller gerade in diesem Zusammenhang einen progressus in infinitum (als den des sich notwendig perpetuierenden, nur aktuell jeweils aufzuhebenden Bösen) „als letztes Resultat" des Hegeischen Systems „aus seiner eigenen Mitte" hervorbrechen sieht68, da Hegel selber es sich als entscheidenden Schritt über Fichtes unendlichen Prozeß des Sollens hinaus anredinet, das Gute als absolut vollbracht und eo ipso das Böse als grundsätzlich überwunden begreifen zu können69.

65

Z u r Nichtigkeit des Bösen bei Hegel cf. o. S. 2 2 2 ff. und zum wahren Sinn

M

cf. o. im T e x t S. 133 f.

einer „Einheit von Gut und Böse" o. S. 2 1 4 , 2 1 5 ff. 67

549, cf. 2 9 3 . Im nächsten Satz gibt Müller selbst zu, daß bei Hegel „an sidi . . . die Entzweiung freilich aufgehoben, das Böse überwunden" sei und in der „Vergebung der Sünden" geglaubt und begriffen werde, vermißt aber Auskunft darüber, „wie es zur wirklichen Aufhebung im Subjekt" kommen soll (549). Angesichts von Hegels Erörterungen dieses Themas in der Religionsphilosophie erscheint dieser V o r w u r f schwer verständlich, cf. o. im T e x t

S. 2 2 9 ff. ββ 5 4 9 . «» cf. o. S. 223 f. und 2 2 9 . 18 Rîngleben, Hegels Theorie

274

Die Hegelkritik J. Müllers

11. Wie oben schon angedeutet, ist der Prozeß des Geistes als der seiner durch Uberwindung des Bösen sich realisierenden absoluten Einheit die Wirklichkeit absoluter Subjektivität. Daß das Böse nicht mehr ist, ist Moment ihre Zustandekommens. Entgegen entsprechenden Aussagen Hegels, daß für Gott als den absolut Guten das Böse schlechthin nicht sei70, versucht Müller dennoch, das perennierende Böse als Bedingung der Lebendigkeit Gottes selbst als des absoluten Geistes aufzuweisen. Was oben für den Prozeß des endlichen Geistes gezeigt werden sollte, findet hier seine Anwendung auf Gott selbst: das negative Moment des Bösen muß bleiben, soll der absolute Prozeß mit ihm nicht sein bewegendes Prinzip verlieren und zum Stillstand kommen71. Dies durch besonders starke Vereinfachung entstellte Bild von Hegels Gedanken soll Müller ein Zitat aus der Religionsphilosophie belegen. Dort heißt es: „Wenn diese Unangemessenheit verschwände, so verschwände auch das Urtheil des Geistes, seine Lebendigkeit, so hörte er auf Geist zu sein" 72 . Nun hat freilich Hegel kurz vorher das Böse immer auch als eine Erscheinungsform dieser Unangemessenheit bezeichnet73. Der Zusammenhang des Textes geht allerdings auf die Möglichkeit des Bewußtseins von Versöhnung als „des Aufhebens, der Nichtigkeit des Gegensatzes"74, und dementsprechend fährt Hegel an der von Müller zitierten Stelle fort: „Die weitere Bedingung aber ist diese, daß dieser Unangemessenheit ungeachtet die Identität beider sey"7i. Was das nun für das Böse bedeutet, erhellt dann aus den kurz darauf folgenden Sätzen: „Das Böse, die eine Seite ist abstract bestimmt worden als nur das Andere, Endliche, Negative, und Gott als das Gute, Wahrhafte auf die andere Seite gestellt. Aber dies Andere, Negative enthält in sich selbst audi die Affirmation, und das muß im endlichen Seyn zum Bewußtseyn kommen, daß das Princip der Affirmation darin enthalten ist, daß in diesem Princip der Affirmation das Princip der Identität liegt mit der anderen Seite .. ." 7β . Diesen Sätzen läßt sich eindeutig entnehmen, daß Hegel Versöhnung in der Tat nicht als bloßes Zum-Verschwinden-Brin70 71 72 73 74 75 76

cf. o. im Text S. 202 und 223. Ohne Nennung Hegels dasselbe: 560; cf. 195. 550, cf. Gl 16/280, Sk 17/272. cf. ebend. cf. Gl 16/277 ff., Sk 17/269 ff. cf. a. a. O. Gl 16/281, Sk 17/272 f.

Die Hegelkritik J . Müllers

275

gen des Bösen denkt, aber dodi als seine Überwindung. Die „Unangemessenheit", die im Bösen liegt, „verschwindet" also nicht, sondern wird in Hegels Sinn „aufgehoben". Und allein als solche, umgewandelt, bleibt sie. Was Müller nicht wahrnimmt, ist, daß das Böse, wenn es Moment der Einheit mit Gott ist, die es nicht hindern kann, nicht mehr das Böse ist, daß die „Unangemessenheit" als in versöhnte Einheit aufgenommene nur nodi die konstitutive, momenthafte Entzweiung endlicher und unendlicher Subjektivität ist 77 . Diese allerdings bleibt mit und in der Einheit als deren „Lebendigkeit", als „Urtheil des Geistes". Die Aufhebung des Bösen ist die Auflösung des Widerspruchs, als der es existiert. I m Prozeß des Geistes (der Versöhnung) manifestiert sich die Differenz im Bösen zwischen der es tragenden Freiheit („Princip der Affirmation") als seiner konstitutiven Absolutheitsbeziehung und dem Wesenlos-Zufälligen an ihm. Das Sidiherstellen der versöhnten Einheit des Geistes ist das Sichidentifizieren der Freiheit audi durch das Böse hindurch. Gegen die absolute Wirklichkeit der Freiheit ist das Böse das prinzipiell Wehrlose, weil von ihr selbst Ermöglichte. Versöhnung heißt Manifestation der Einheit, von der das Böse lebt, um gegen sie zu sein, an ihm selbst, d. h. seine Aufhebung. Es ist die Absolutheit des Geistes, im Anderssein des Bösen noch sich wiederzufinden, frei zu sein. 12. Als Hegels Meinung entstellend ist auch Müllers in diesem Kontext angedeutete These von der „Unangemessenheit alles Endlichen zum Unendlichen" als der „treibenden Macht" des göttlichen Lebens zu beurteilen 78 . Als solche „treibende Macht" wäre besser die in der Differenz von endlicher und unendlicher Freiheit sich auslegende und selbst realisierende absolute Freiheit zu benennen. Denn Müller kann Hegels Theorie nicht vom Prozeß der alles Endliche verschlingenden Substanz unterscheiden 79 . Das Vorurteil des Pantheismus verdeckt den entscheidenden Gedanken der absoluten Selbstwerdung der Freiheit. Für Hegel hat Gott Wirklichkeit als absoluter Geist nicht im Prozeß endlosen Vergehens endlicher Geister, sondern im versöhnenden Sichzusammensdiließen mit denselben in Glaube und Geist zur Freiheit: der Geist in

77

Diese von Müller als „treibende Macht" des göttlichen Lebensprozesses in Anspruch genommene Unangemessenheit

(550, cf. dazu gleich unten) ist

eben nicht unmittelbar identisch mit dem Gegensatz des Bösen zu Gott. 78

cf. 550.

79

cf. audi die problematische Folgerung in der 2. Fußnote S. 550.

18»

276

Die Hegelkritik J. Müllers

seiner Gemeinde 80 . In der Befreiung des Individuums zu wahrhafter Endlichkeit und versöhnter Subjektivität 81 , nicht in dessen bloßer Vernichtung ist der absolute Geist lebendig, er selbst. 13. Aus mangelnder Einsicht in die Dialektik der Freiheit resultiert daher auch Müllers — seine Kritik an Hegels Begriff des Bösen abschließend zusammenfassende — Konstruktion eines „verhängniß vollen Dilemma" 82 , das sich für Hegel aus dem Primat der Notwendigkeitslogik ergebe: das Böse entweder als ein „Zufälliges, schlechthin Bedeutungsloses" fassen zu müssen83, was als ganz oberflächliche Ansicht seinen Gegensatz gegen das Gute, jedes Schuldbewußtsein und selbst die Erlösung samt der Dogmatik sowie die Bedeutung der Negativität für Hegels System selber zunichte machen würde 84 , oder es als notwendiges und „integrierendes Moment der Idee selbst" zu denken 85 , was als seine vernünftige Rechtfertigung ebenfalls den spezifischen Begriff des Bösen verflüchtigen würde 88 . Obwohl Müller in den Texten ein „Schwanken" Hegels zwischen beiden Seiten dieses Dilemma findet87, hält er schließlich doch die zweite für „die wahre Lehre des Systems vom Bösen"88. Die Möglichkeit, daß der von ihm vorschnell bewertete Textbefund Indiz dafür ist, daß für Hegel die konstruierte Alternative so gar nicht bestehe, zieht er nicht in Erwägung 89 . Nun ist in der Tat das, was für Müller in das Dilemma eines Entweder-Oder auseinanderfällt, im Sinne Hegelsdier Dialektik keines: 80 81 82 8S 84 85 89

87 88 89

cf. o. im Text S. 144. cf. o. 231 f. cf. dazu 552 f. 552. cf. 553. 552. 554. Audi nach 295, 333 führt eine spekulative Notwendigkeit der Sünde in sittliche Indifferenz von gut und böse (cf. audi 345 f., VIII und II, 554) sowie zur Aufhebung der Erlösung (343). cf. 554. 5 55. Überhaupt neigt Müller zu polemischen Wertungen wie „geschmeidige und amphibolisdie Natur" (538, cf. 540 Fn. 3, 551 Fn. 2), „elastische Natur" (548 Fn.), „Schwanken" (548, Fn., 554 und Fn. 2), „Oscillationen" (554), um Hegels Begrifflidikeit zu charakterisieren, wo es das Problem dialektischen Denkens zu thematisieren gelte.

Die Hegelkritik J. Müllers

277

das widersprüchliche Ineins beider Seiten gilt Hegel gerade als der spezifische Begriff des Bösen. Das Böse selbst und für sidi ist ein existierender Widerspruch als zufällig-faktischer Mißbrauch des Notwendigen. Im Bösen kommt zur Erscheinung, daß die Notwendigkeit als die der Freiheit frei verkehrt werden kann. Diese Existenz selbst als Widerspruch zu ihrem Wesen ist als Realität zufällig. Daß das Böse da ist, ist selber absolut zufällig. Daß aber das Notwendige auch zufällig zur Existenz kommt, im kontingenten Faktum des Bösen eben, läßt Freiheit denken. Gerade im Begreifen dieser Kontingenz erweist sich die Logik als eine der Freiheit. Das Böse ist der zufällige Selbstwidersprudi der Freiheit, zu dem sie sich als notwendig voraussetzt, und aus dem sie sich als notwendig gewinnt. Davon zu unterscheiden ist der Begriff des Bösen unter den Bedingungen von Versöhnung 90 . Diese ist als seine Aufhebung Trennung der beiden Seiten des Widerspruchs durch Herstellung von Eindeutigkeit. Was Müller als jenes Dilemma beschreibt, trifft eben das Böse, insofern es nicht mehr das Böse, versöhnt ist (die zweite Seite des Dilemma) und das Böse, insofern es nur nodi das Böse, nichtig ist (die erste Seite). Versöhnung heißt eben, daß das Böse das bloß Nichtige wird im Prozeß der Selbstdurchsetzung des AbsolutWirklichen. Es verliert den von ihr geborgten Schein selbständiger Realität angesichts der sich herstellenden Freiheit als der wahren Realität. In der absoluten Selbstrealisierung des Notwendigen wird es, sich und d. h. seinen Widerspruch, auflösend, was es an sich ist, wesenlos. Der absolute Prozeß der Freiheit läßt die Schlacke leerer Scheinhaftigkeit hinter sich zurück. 14. Müllers ausführliche Kritik an Hegels Begriff des Bösen hat natürlich Folgen für seine Einschätzung von Hegels Versöhnungsbegriff 91 . Ihrer Erörterung wenden wir uns abschließend zu. Die Müllersche Kritik an Hegels Versöhnungsbegriff setzt ein bei der — wie Müller weiß — nicht von Hegel selber stammenden Formel:

M

Aus dieser Unterscheidung dürfte sich audi Hegels Sprachgebrauch erklären lassen. Was Müller als Schwanken erscheint, ist der Unterschied, ob der Akzent auf dem Bösen für sich oder auf seiner Uberwindung liegt bzw. auf dem Zufälligen oder dem Notwendigen in ihm. Dieser kann nach jener Kritik von Müller nur kurz verhandelt werden (555 ff.), da die Unzulänglichkeit des einen Begriffs die des anderen, als des seiner Überwindung, nach sidi zieht, cf. 539.

Die Hegelkrhik J . Müllers

278

Versöhnung des Bösen mit dem Guten 92 . Zu Recht besteht Müller in diesem Zusammenhang auf dem Unterschied der — christlich entscheidenden — Versöhnung des Menschen mit Gott und jener sogenannten Versöhnung von Gut und Böse. Die Versöhnung im ersten Sinne impliziert sodann selber eine wesentliche Differenz zwischen „dem mit dem Bösen behafteten Wesen und dem Bösen selbst" 93 . Aber diese Unterschiede gewahren, kann doch nicht heißen, jede Beziehung zwischen jeweils beiden Themen zu leugnen. Denn ist nach Müller selbst das Versöhnungsgeschehen identisch mit einer Aufhebung des Bösen94, so ist es legitim und unabweisbar zu fragen, wie solche Identität und Aufhebung zu denken ist. Was ist das Böse, wenn es durch die Versöhnung „in ihm", d. h. dem Menschen, „aufgehoben wird" 95 ? Unter welchen Bedingungen ist diese Aufhebung zu denken? Der Notwendigkeit solcher Fragen verdankt sich aber Hegels Versuch, Versöhnung auch als Aufhebung des Bösen ins Gute hinein zu begreifen96. Gleichermaßen verlangt auch jene andere Differenz zwischen dem Bösen selbst und dem mit ihm „Behafteten" selber eine Klärung bzw. die Beziehung zwischen beiden. Denn ein bloß äußerlich akzidentelles Verhältnis kann — christlich — nicht gemeint sein. Vielmehr ist das Böse als das dem Menschen eigene, als seine Tat, in die er mit seinem ganzen Wesen verstrickt ist, wie Müller zu betonen sonst nicht müde wird, anzuerkennen. Wie muß dann aber Versöhnung als Auflösung dieser Identität gedacht werden? Auch hier stellt sich also das sachliche Problem, den Zusammenhang des Bösen selbst mit Versöhnung zu klären, theoretisch zwingend. Da Müller einen undialektischen Begriff des Bösen hat, in dem dessen konstitutiver Widerspruch, in Kraft dessen zu sein, was es verkehrt, nicht entschieden gedacht wird, kann er im Bösen nur das absolut (zur Existenz) Unberechtigte sehen, das — ohne Anspruch auf „Vermittlung und Versöhnung mit dem ihm entgegengesetzten Guten" — nur 92

cf. 555

und Fn. 2. Zur Erörterung

des Sadiproblems

dürfen wir

auf

unseren Abschnitt: Das Problem der Einheit von Gut und Böse verweisen, o. S. 202 ff. 93

cf. 556.

94

cf. ebend.

95

ebend.

M

Als sub specie dei geschehend konzipiert auch Müller selbst eine versöhnte Aufhebung des Bösen: II, 266.

Die Hegelkritik J . Müllers

279

„schlechthin vernichtet werden" soll97. Das Problem, wie das Böse als absolut Unberechtigtes, sozusagen a priori Vernichtetes, denn trotzdem überhaupt Existenz haben könne, wird von ihm hier nicht gesehen, sondern durch die Formel verdeckt, daß es „nur durch das Umschlagen des Willens in Willkür und Anmaßung da ist" 98 . Wie solches „Umschlagen" möglich ist, wäre aber gerade die Frage einer Theorie der Sünde. Eben dieser paradoxe Sachverhalt, daß das Unberechtigte doch existiert und dergestalt möglich sein muß, konstituiert Hegels Begriff vom Bösen. 15. Zu der seine Erörterung der Hegeischen Philosophie abschließenden Polemik Müllers gegen eine angebliche Verwechselung von Versöhnung und Spekulation bei Hegel99 ist — unter Übergehung verzerrender Einzelheiten der Darstellung — grundsätzlich festzustellen, daß für Hegel „Versöhnung" zunächst Thema philosophischen Begreifens ist. Deren Aneignung im individuellen Selbstbewußtsein bleibt unaufhebbare Bedingung ihrer Wirklichkeit 100 . Die dem Begreifen dieses Sachverhaltes gewidmete Theorie steht sodann selber notwendig unter den Bedingungen des von ihr Begriffenen bzw. weiß sich selber als dessen theoretische Folge — nicht Ersatz! ermöglicht101. — Auch in dieser Polemik macht sich Müllers Hegel gegenüber gerade problematische Voraussetzung einer vor-dialektischen Verhältnisbestimmung von Erkennen und Realität, Denken und Wollen, Erfahrung und Begriff 102 überall geltend. Einen Maßstab dennoch anzulegen, dessen Gültigkeit vom zu Messenden gerade verneint ist, kann nur irrelevante Ergebnisse zutage bringen. — Unsere damit ans Ende gelangte Untersuchung von Müllers Hegelkritik hat als durchgängiges Merkmal seiner Erörterungen die unbemerkte und unüberwundene Diskrepanz zwischen einem vorstellungsmäßig-ver-

"

cf. 556.

»8 ebend.; cf. 5 5 8 : „lediglich That der Willkür". »" cf. S. 556 f. 100

cf. o. im Text 229 ff. Pauschal anders Müller über das Verhältnis von

101

Das für Hegels Verständnis des Problems Einschlägige wird o. im Text be-

Glaube und Wissen bei Hegel, cf. Dogmat. Abhandlungen, a. a. O. 26 f. handelt: S. 61 f. („Versöhnung durdi Erkennen") und S. 2 0 0 f. (Erkenntnis der Versöhnung). C f . audi zum Verhältnis: Versöhnung und Sittlichkeit o. S. 227 ff. cf. 556, 557, 558.

280

Die Hegelkritik J . Müllers

ständigen Dualismus einerseits und dem Anspruch dialektischen Denkens andererseits gefunden. Eben dieser durch und durch undialektische Charakter von Müllers Denken 1 0 3 hat zur Folge, daß ihm Subjekt und Objekt, Logik und Ethos prinzipiell auseinanderfallen müssen. So wird einerseits das Denken selber von ihm einseitig subjektiviert 104 , und andererseits ist in seiner Vorstellung Metaphysik als solche nur mit fremder Objektivität bzw. mit einer dem Subjekt äußerlich bleibenden Notwendigkeit befaßt 1 0 5 . Logik gilt ihm als leerer Formalismus unter Dominanz der Kategorie Notwendigkeit 1 0 8 . D a ß indessen die von ihm so stark betonte prinzipielle Bedeutung von Freiheit und Persönlichkeit 107 auch eine neue, andersartige Metaphysik impliziert, scheint er wahrzunehmen 1 0 8 , indem er zur Erkenntnis dieser „höchsten Gegenstände" des praktisch-sittlichen Interesses 109 auch „ganz andere, konkretere Begriffe" als die traditionellmetaphysischen fordert 1 1 0 . Allerdings vermag er deren Erarbeitung nicht als Anliegen gerade der nadikantischen und Hegeischen Systembildung Um dies noch an einem Punkte zu illustrieren: Müllers undialektisches Auffassen Hegelscher Bestimmungen zeigt sich exemplarisch auch an seinem Umgang mit der „Negation der Negation" (cf. 540 Fn. 3). Sein Bemühen, diesen Gedanken numerisch festzulegen („um hier nicht drei Negationen statt zweier zu bekommen", ebend.) ist verfehlt. Denn für Hegel ist Natürlichkeit gerade „an sich" die Negation des Geistes (als sein Anderssein). Als willentlich festgehaltene ist diese Negation gesetzt und hat als solche ein Moment der Positivität (positive Negativität des Bösen). Die Wirklichkeit des Geistes ist Negation dieser gesetzten Negation. — Hegel selbst betont wiederholt, daß die Bewegung des Begriffs sich in Zahlen nicht adäquat ausdrücken lasse, weil deren abstrakt identische Formalität gerade das sachliche Verhältnis ineinander übergehender Gedankenbestimmungen, die dialektische Notwendigkeit fortlasse; cf. Gl 5/343 f., Sk 6/564 f., LII/497 f.; Gl 2/589 f., Sk 3/563 f., H/538 f. 104 cf. II, 159, 183 Fn. 1 0 5 cf. II, 185, 191 und II, 219 sowie Dogmat. Abhandlungen, a. a. O. 76. 10 ° cf. 204, Fn., 243 f. 1 0 7 cf. ζ. Β. 534 und 536, stark an Hegel erinnernde Stellen. Cf. audi Antirelig. Richtungen, a. a. O. 23 f. 1 0 8 ζ. B. in Gestalt eines „Erkennens, das aus einer Praxis stammt", II, 605, mit Hinweis auf das Johannes-Evangelium. 1 0 9 cf. 243 f. und Antirelig. Richtungen, a. a. O. 8 ff., 11, 28. 110 cf. 389 f.

103

Die Hegelkritik J. Müllers

281

zu identifizieren, weil eben sein unkritischer Begriff von Logik, Metaphysik, Notwendigkeit etc. vorkantisch ist. So bleiben ζ. B. „Freiheit Gottes" und eine bloß „logische Notwendigkeit" ganz äußerlich kontrastiert 111 . Und wo Freiheit als Prinzip der Theoriebildung ihm begegnet, da setzt Müller dem den in diesem Zusammenhang unspezifisch-abstrakten, auch theoretisdi nicht hinreichend entfalteten Begriff der „Liebe Gottes" entgegen112. Was in Müllers eigenem theoretischen Entwurf — wie zu zeigen wäre — unterblieben ist, ist eine genauere und adäquate Verhältnisbestimmung von endlichem und absolutem Selbstbewußtsein 113 . Solche als grundlegendes Strukturmoment einer Theorie der Freiheit hätte — wie von Hegel her zu vermuten ist — ihm zumindest ein Verständnis für das Anliegen dialektischen Denkens eröffnet. So aber bleibt Müller noch, in dem emphatischen Begriff von „Persönlichkeit" signalisiert, bloße Forderung, worauf Hegel die theoretische Anstrengung einer entschiedenen „Arbeit des Begriffs" gerichtet hat: das Problem einer Metaphysik der Subjektivität unter den Bedingungen der Neuzeit.

111

112 114

cf. 126 und 21 f., audi Dogmat. Abhandlungen, a. a. O. 76, cf. ebend. 28, 104. So 149 Fn. und Dogmat. Abhandlungen, a. a. O. 117. Dabei hätten ζ. B. auch die Müller so wichtigen Begriffe von „Abhängigkeit" und „Kreatürlichkeit" allererst präzisiert werden können.

KAPITEL 7

Subjektivität als Freiheit Hegels Rezeption und Umformung christlich-theologischer Motive erweist sich bestimmt durch die Logik der Freiheit von Subjektivität. Indem Hegel Theologie als einen bestimmten Erörterungsmodus der Freiheitsthematik begreift, zeigt sich deren Notwendigkeit in eins mit der der Freiheit. Denn daß Theologie Freiheitstheorie im Modus religiösen Wissens repräsentiert, ist für diese keineswegs zufällig und vorläufig. Daß die Theologie, indem sie von ihren spezifischen Gegenständen handelt, Freiheit zugleich immer mit erörtert, ist der Freiheitsthematik selber wesentlich. Freiheit selber stellt sich notwendig so dar, daß, indem sie von etwas Anderem spricht, sie darin mittelbar von sich spricht. Indem sie scheinbar etwas Anderes darstellt, bringt Freiheit sich mit zur Darstellung. Diese wesentliche Indirektheit von Freiheit macht Theologie notwendig. Das entschiedene Selbstbewußtsein von Freiheitstheorie, die sich in anderer Theorie gerade ihrer selbst bewußt wird, bestimmt Hegels Auseinandersetzung mit den Themen der diristlichen Tradition. Es begreift sich bei Hegel zugleich als spezifisch neuzeitlich: „Das ist der ungeheure Unterschied, der damit in die moderne Welt eingetreten ist, daß überhaupt gefragt wird, ob die Freiheit der Menschen als etwas an und für sich Wahrhaftes anerkannt werden soll oder ob sie von der Religion verworfen werden darf" 1 . Indem Freiheit das Bewußtsein ihrer Wahrheit als an und für sich gültig einmal erlangt hat — und das ist für Hegel Prinzip des Protestantismus, Freiheit religiös als schlechthin notwendig zu wissen —, wird freilich das „Soll" ihrer Anerkennung unbedingt und das „Nidit-Dürfen" ihrer Verwerfung absolut identisch mit einem Nicht-mehr-Können. Diese „ungeheure Revolution in der christlichen Welt" als ein „ganz anderes Selbstbewußtsein über das Wahre" 2 weiß sich in Gestalt von 1 2

Gl 15/262, Sk 16/241 f. Gl 15/203, Sk 16/185.

Subjektivität als Freiheit

283

Hegels Christentumsphilosophie wie seiner Philosophie überhaupt in ihren theoretischen Konsequenzen. Nachdem die vorliegende Arbeit solchermaßen Hegels Sündentheorie unter den Bedingungen der Freiheitsthematik dargestellt hat, kann hier abschließend nodi versucht werden, die dabei zum Ausdruck gekommenen Strukturmomente subjekthafter Freiheit für sich namhaft zu madien. Indem sie sich zu diesem allgemeinen Horizont Hegelscher Freiheitstheorie erweitert, zeigt die Arbeit zugleich die Bedingungen auf, unter denen sinnvolle Kritik an Hegels Sündentheorie allererst denkbar wird 3 . a) Hegel denkt Freiheit als wissendes Zu-sich-Kommen bzw. selbstbewußtes Beisidisein. Beschreibt die erste Formulierung mehr das genetische Moment von Freiheit, die nur als resultierend ist, so die zweite ihren Evidenzcharakter. Aber als absolutes Selbstbewußtsein ist Freiheit deren Identität; sie weiß sich als Resultat ihrer Genesis und darin, nur als diese und umgekehrt, ihre Evidenz ist die ihres Zustande-kommens. Selbstbewußtsein ist für Freiheit konstitutiv, ist Freiheit. Als solches ist Freiheit negative Selbstkonstitution 4 . „Geist ist nur aufhebend das, was er unmittelbar ist, davon zurücktretend" 5 . b) Dies bestimmt das zweite Moment: Freiheit ist wissende Einigung von Selbstentzweiung. Das erscheint so, daß Freiheit sich nur in Alternativen auslegen kann (wie: endlich-unendlich, formell-reell, leer-wahrhaft, abstrakt-konkret, (bloß) subjektiv-substantiell) 6 . Sie bestimmt sich wesentlich durch einen Gegensatz, als dessen Uberwindung allein sie sich

s

Einen Versuch, Hegel eben in Richtung der Freiheitsthematik zu kritisieren, hat W. Pannenberg vorgelegt in seinem Aufsatz: Die Bedeutung des Christentums in der Philosophie Hegels, a. a. O. S. 78 ff., besonders S. 107 ff. Ob dieser sidi durch Konzentration auf die in der Tat entscheidende Problematik auszeichnende und der Schwierigkeit solcher Kritik voll bewußt bleibende Ansatz Pannenbergs mit der Bestimmung der absoluten „Zufälligkeit" von Freiheit Hegels Gedanken wirklich zu überbieten vermag, erscheint mir allerdings fraglich. Freilich macht die andeutende Knappheit seiner kritischen Bemerkungen noch weitere Näherbestimmung nötig. 4 cf. dazu Exkurs II a), Satz 5, o. S. 160 f. ( = Gl 2/23, Sk 3/23, H/20). 5 So bereits in der „Jenaer Realphilosophie" II, Hamburg 1967, S. 179. • Aus der unübersehbaren Fülle möglicher Belege — beinahe auf jeder Seite Hegeltextes finden sich solche Alternativen — gebe ich in der Reihenfolge des Textes je einen für jede Alternative: Gl 15/240, Sk 16/221; Gl 16/403, Sk 17/390; Gl 8/349, Sk 8/304; Gl 15/397, Sk 16/371; Gl 16/129, Sk 17/128.

Subjektivität als Freiheit

284

wissen kann; sie hat die Trennung als wesentliches Moment in sich6*. Was ist der Sinn soldier alternativen Selbstauslegung? Offenbar ist sie Bedingung für die Konstitution von Freiheit. Freiheit hat etwas vorläufig Uneindeutiges; sie ist sie selbst nur als sich herstellende Eindeutigkeit. Freiheit hat keine vorgegebene Evidenz, vielmehr ist sie die Evidenz der (jeder gegebenen) Evidenz. Sie ist Durchsiditigkeit ihrer selbst als Sich-Durchsiditigwerden. Für sich hat Freiheit Eindeutigkeit nur als Überwindung ihrer Uneindeutigkeit. Daher muß sie zunächst unbestimmt, bloße Möglichkeit sein. Denn wäre sie etwas Bestimmtes, Wirkliches (als gegeben), so könnte sie nicht Selbstbestimmung, Selbstverwirklidiung sein. Daß ihre unmittelbare Bestimmtheit sich aufhebt, bedeutet, daß sie als Selbstbestimmung wird. Freiheit ist das Ungegebene schlechthin, weil sie das Sidi-Herstellende ist. c) Sodann ist ein Glied dieser Alternativen immer negativ bestimmt, als eine eigentümliche Verfehlung von Freiheit. Genauer: es kann sich negativ bestimmen, als selber freier Mißbrauch. Darin ist der Freiheit bewußt, gegenständlich, daß sie nur zu sich kommt als Uberwindung ihrer Defizienz, ihres Mißbraudis. Freiheit konstituiert sich als Gegenstoß zu sich selber. Sie stößt sich von sich als (freie) Nichtfreiheit ab, um so erst sie selbst, Freiheit zu sein. Indem sie sich negativ darstellt, stellt sie allererst sieb (positiv) dar. Sie konstituiert sich am eigenen Gegensatz. Dieser Zusammenhang besonders beleuchtet die theoretische Bedeutung des Begriffs Sünde. Im Sündenbegriff weiß Freiheit ihre wesenhafte Gefährdung, als prinzipiell und faktisch zugleich, und darin gerade sich selber. Hegel betont mehrfach, daß der Gedanke der Sünde dem Subjekt eben seine Freiheit präsent macht, wenngleich im Modus des faktischen Verlust; indem es seine Sünde erkennt, weiß das Subjekt zugleich seine Freiheit 7 . So kennzeichnet gerade die Erbsündenlehre das Christentum als Religion der Freiheit8. Darin spricht sich das Wissen der Freiheit aus, daß sie nicht einfach ist, sondern sich aufgegeben ist; sie weiß sich als wesentlich krisenhaft. Der Sündenbegriff hütet das „Mysterium der Freiheit" 9 . In der Sünde «» Gl 16/265, Sk 17/257. 7

cf. Gl 15/35, 292, Sk 16/26, 271.

8

cf. Gl 7/70, Sk 7/69 (Zus.) und c. 4 d), o. S. 90 ff. u. 96.

9

cf. Gl 7/200, Sk 7/261 (Anm.), wo es als eins mit dem des Bösen bezeichnet wird; cf. audi Gl 11/65, Sk 12/51.

Subjektivität als Freiheit

285

weiß Freiheit sich selbst, indem sie weiß, was sie nicht ist; sie wüßte nidit sich, wenn sie nidit wüßte, was Sünde ist. Weil Freiheit sich gerade in ihrem Mißbrauch als Sünde wesentlich weiß, erweist sich der Begriff Sünde als unverzichtbar für Freiheitstheorie. d) In den unter b) und c) skizzierten Momenten liegt noch eine weitere strukturelle Eigentümlichkeit von Freiheit beschlossen. Freiheit stellt sich immer doppelt dar; sie ist immer auch das Andere, von ihr sich Unterscheidende. Sie untersdieidet sich in sich selbst und ihren Modus. Daher gibt es ein Sein der Freiheit auf unfreie Weise und eines auf freie Weise. Auf freie Weise frei sein, frei in der Freiheit sein ist das Gute, auf unfreie Weise frei sein, unfrei in der Freiheit sein das Böse. Was besagt diese Verdoppelung der Freiheit selbst, daß sie immer ist als zugleich auch ihr eigener Modus? Ist „Modus" Gegebenheitsweise, Erscheinungsbedingung, Aneignungs- bzw. Seinsform, so zeigt er sich, qua Freiheit nichts Anderes, Fremdes, ihr Unvermitteltes zu sein. Freiheit umgreift sich und. ihren Modus, als Gehalt bestimmt sie ihre Form. Ihr An-sich ist immer audi für sich, d. h. in dieser Selbstverdoppelung manifestiert sich die Unbedingtheit von Freiheit, ihr Anundfürsichsein. Freiheit ist Selbstbedingen, von Freiheit. Sie bestimmt ihre eigenen Voraussetzungen als sich selbst. Sie kann nur sie selbst sein, wenn sie auch das bestimmend umgreift, was sie nicht ist. Indem sie wird, macht sie ihr Woher und Wie zu sich selber: sie ist ihr eigener Ursprung. Derart ist Freiheit gedacht bzw. notwendig zu denken als das unbedingt Sichdurchsetzende, absolut Bestimmende; selbst ihr Nichtsein, ihre Abwesenheit bestimmt sie als ihr Werk. N u r indem sie sich verdoppelt, sich sich voraussetzt, kann sie ihr eigenes Resultat sein. e) Schließlich liegt in allem Gesagten, daß Freiheit schlechthin notwendig ist. Das läßt sich zweifach erläutern. Es besagt 1. daß Freiheit die Notwendigkeit selber ist, sofern sie sich weiß. Freiheit weiß, was Notwendigkeit als Prozeß ist. Von der Freiheit gilt daher, was von der absoluten Notwendigkeit, deren Sich-Wissen sie ist, gilt: Freiheit ist nur, weil sie ist; sie hat sonst keine Bedingung noch Grund. — Sie ist aber ebenso reines Wesen; ihr Sein ist die einfache Reflexion-in-sidi; sie ist, weil sie ist. Als Reflexion hat sie Grund und Bedingung, aber sie hat nur sich zum Grunde und Bedingung. 19

Ringleben, Hegels Theorie

286

Subjektivität als Freiheit

Sie ist Ansidisein, aber ihr Ansichsein ist ihre Unmittelbarkeit, ihre Möglichkeit ist ihre Wirklichkeit. Sie ist also, weil sie ist19. 2. Freiheit ist notwendig, heißt sodann: sie hat notwendig Sein. Indem Freiheit gewußt wird, ist sie. Sie kann nicht gedacht werden, ohne zu sein. Denn Wissen von Freiheit ist notwendig Sich-Wissen der Freiheit, weil ihre Selbstkonstruktion Selbstbewußtsein ist. Indem das Wissen der Freiheit sich selber weiß (Sichwissen des Wissens), ist es frei. Freiheit weiß (denkt) nur sidi, oder auch: was sich weiß, ist frei. Indem Freiheit selbstbewußt gewußt wird, ist sie da. Diese Unbedingtheit von Freiheit reflektiert sich im Gottesgedanken. In Gestalt des argumentum ontologicum weiß die Freiheit sich als Selbstkonstruktion11. Dies schließt ein, daß die Notwendigkeit zu sein, die der Freiheit immanente Notwendigkeit ist. Ihr Sein ist die (einzig denkbare) Notwendigkeit der Freiheit. Daß sie sei, ist ihr notwendig, und sie weiß es. Freiheit ist derart als Wissen ihrer Notwendigkeit.

10 11

cf. dies vom schlechthin Notwendigen gesagt: Gl 4/693 f., Sk 6/215, LII/182. cf. Gl 16/211 f., Sk 17/207. Audi Fichte sieht den Zusammenhang, cf. Nadigel. Werke II, a . a . O . S. 300ff. (WL 1804); gleichfalls Kierkegaard, „Begriff Angst", a. a. O. S. 19 f. (hier zitiert Exkurs I, o. S. 111).

LITERATURVERZEICHNIS

a) Quellen G. W. Fr. H e g e 1 : Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden. Hrsg. von H. Glockner, Stuttgart 1927 fi. G. W. Fr. H e g e 1 : Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832—1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion E. Moldenhauer und K. M. Markus, Suhrkamp 1970. G. W. Fr. H e g e 1 : Gesammelte Werke. Hrsg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Band 4. Jenaer kritisdie Schriften, hrsg. von H. Buchner und O. Pöggeler, Hamburg 1968. G. W. Fr. H e g e 1 : Phänomenologie des Geistes, hrsg. von J . Hoffmeister, Hamburg 1952«. G. W. Fr. H e g e 1 : Wissenschaft der Logik, Erster Teil, hrsg. von G. Lasson, Unveränderter Abdruck 1963, Hamburg. — : Wissenschaft der Logik, Zweiter Teil, hrsg. von G. Lasson, Unveränderter Nachdruck 1966, Hamburg. G. W. Fr. H e g e 1 : Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Erster und Zweiter Band, hrsg. von G. Lasson, Nachdruck 1966, Hamburg. G. W. Fr. H e g e l : Die Vernunft in der Geschichte, hrsg. von J . Hoffmeister, Hamburg 1968 (unveränderter Nachdruck). G. W. Fr. H e g e l : Berliner Schriften, 1818—1831, hrsg. von J . Hoffmeister, Hamburg 1956. Hegels theologische Jugendsdiriften, — hrsg. von Dr. H. Nohl, Tübingen 1907, Unveränderter Nachdruck 1966, zitiert: „Nohl". Briefe von und an Hegel — hrsg. von J . Hoffmeister, Bde. I—IV, Hamburg 1961*, zitiert: Briefe IV. J . G. F i c h t e : Nachgelassene Werke, hrsg. von I. H. Fichte, Bonn 1834 (Unveränderter Nachdruck 1962), 3 Bde., zitiert: „Fichte, Nachgel. Werke I I " . S. K i e r k e g a a r d : Gesammelte Werke, 11. und 12. Abteilung: „Der Begriff Angst", übersetzt von E. Hirsch, Düsseldorf 1958, zitiert: „Begriff Angst". 19*

Literaturverzeichnis

288

24. und 25. Abteilung: „Die Krankheit zum Tode", übersetzt von E. Hirsdi, Düsseldorf 1957, zitiert: „Krankheit zum Tode". 16. Abteilung: „Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken", übersetzt von H . M. Junghans, Düsseldorf 1957. Julius M ü l l e r : Die christliche Lehre von der Sünde. Erster Band. Vom Wesen und Grunde der Sünde. Breslau 1839. — :Das Verhältnis der dogmatischen Theologie zu den antireligiösen Richtungen der gegenwärtigen Zeit. Eine dogmatische Vorlesung. Breslau 1843, zitiert: „Antirelig. Richtungen". — : D i e christliche Lehre von der Sünde. Dritte, vermehrte und verbesserte Ausgabe. Breslau 1849. Zwei Bände. — : Dogmatische Abhandlungen. Bremen 1870. F. S c h i l l e r : Werke, 12 Bde., hrsg. von K. Goedeke, Stuttgart 1867 (Cotta). F. S c h l e i e r m a c h e r : Der christliche Glaube nadi den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweiter Band 1822. F. A. G. T h o l u c k : Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner, oder: Die wahre Weihe des Zweiflers. Hamburg 1823, 1825«. (anonym) — : Blüthensammlung aus der Morgenländischen Mystik, nebst einer Einleitung über Mystik überhaupt und Morgenländische insbesondere. Berlin 1825, zitiert: „Morgenland. Mystik". — :Die speculative Trinitätslehre des späteren Orients. Eine religions-philosophische Monographie aus handschriftlichen Quellen der Leydener, Oxforder und Berliner Bibliothek. Berlin 1826, zitiert: „Trinitätslehre".

b) Allgemeine

Literatur

F. B r u n s t ä d : Untersuchungen zu Hegels Geschiditstheorie I. InauguralDissertation, Berlin 1909, zitiert: „Untersuchungen". — ¡Vorlesungen über die Philosophie der Gesdiidite von G. W. Fr. Hegel. Mit einer Einleitung und Anmerkungen hrsg. von F. B. Leipzig 1907 (Reclam), zitiert: „Weltgeschichte". A. C h a p e l l e : Hegel et la religion. 2 Bde. Paris 1964. 1967. H . C o l d e h o f f : Das Problem der Uberwindung der Vorstellung in Hegels religionsphilosophischem Manuskript. Phil. Diss. Mündien 1973. P. C o r n e h l : Die Zukunft der Versöhnung. Eschatologie und Emanzipation in der Aufklärung, bei Hegel und in der Hegeischen Schule. Göttingen 1971.

Allgemeine Literatur

289

I. F e t s c h e r : Hegels Lehre vom Menschen. Stuttgart — Bad Cannstatt 1970. —: Hegel — Größe und Grenzen. Kohlhammer 1971. H . F i s c h e r : Subjektivität und Sünde. Verlag „Die Spur" 1963. K. F i s c h e r : Hegels Leben, Werke und Lehre. 2 Bde. Darmstadt 1963 (Nadidr. 2. Aufl., Heidelberg 1911). Chr. F r e y : Reflexion und Zeit. Ein Beitrag zum Selbstverständnis der Theologie in der Auseinandersetzung vor allem mit Hegel. Gütersloh 1973. H . G e r d e s : Das Christusbild Sören Kierkegaards. Verglichen mit der Christologie Hegels und Schleiermachers. Düsseldorf — Köln 1960. H . G l o c k n e r : Hegel. 2 Bde. Stuttgart 1954 ( = Jubiläumsausgabe, Bde. 21, 22). T. G o e d e w a a g e n : Hegel und der Pantheismus. Hegel-Studien Bd. 6, Bonn 1971, S. 171 ff. K. H a r l a n d e r : Absolute Subjektivität und kategoriale Anschauung. Eine Untersuchung zur Systemstruktur bei Hegel. Meisenheim/Gl. 1969. D. H e n r i c h : Hegel im Kontext, edition suhrkamp 510. Frankfurt/M. 1971. E. H i r s c h : Fichtes Religionsphilosophie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes. Göttingen 1914. — : Schöpfung und Sünde in der natürlich-gesdiiditlidien Wirklichkeit des einzelnen Menschen. Tübingen 1931. — : Geschichte der neuern evangelischen Theologie. 5 Bde. Gütersloh 19643, zitiert: „Geschichte IV". Tr. K o c h : Differenz und Versöhnung. Eine Interpretation der Theologie G. W. Fr. Hegels nach seiner „Wissenschaft der Logik". Gütersloh 1967. R. Κ r ο η e r : Von Kant bis Hegel. 2. Auflage. 2 Bde. in 1 Bd. Tübingen 1961, zitiert: „Kroner I" bzw. „Kroner II". R. L e u ζ e : Die außerchristlichen Religionen bei Hegel. Göttingen 1975. Th. L i t t : Hegel. Versuch einer kritischen Erneuerung. Heidelberg 1961s. Κ. L ö w i t h : Von Hegel zu Nietzsche. S. Fischer 1969. H . L ü b b e : Zur Dialektik des Gewissens nach Hegel. Hegel-Studien Beih. 1, Bonn 1964, S. 247 ff. W.-D. M a r s c h : Gegenwart Christi in der Gesellschaft. München 1965. W. P a n n e n b e r g : Gottesgedanke und menschliche Freiheit. Göttingen 1972. Tr. R e n d t o r f f : Kirche und Theologie. Die systematische Funktion des Kirdienbegriffs in der neueren Theologie. Gütersloh 19702. J. R i 11 e r : Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel. Frankfurt/M. 1969. — Subjektivität. Frankfurt/M. 1974.

290

Literaturverzeichnis

Κ. R o s e n k r a n z : G. W. F. Hegels Leben. Darmstadt 1969 (2. unveränd. Nadidr. der Ausgabe Berlin 1844). A. S a r 1 e m i j η : Hegeische Dialektik. Berlin 1971. E. S c h m i d t : Hegels Lehre von Gott. Gütersloh 1952. — : Hegels System der Theologie. Berlin 1974. H.-W. S c h ü t t e : Tod Gottes und Fülle der Zeit. Hegels Deutung des Christentums. Zeitschrift für Theologie und Kirdie, 66 (1969), S. 62 ff. W. S c h u 11 ζ : Theologie und Wirklichkeit. Ausgewählte Aufsätze. Kiel 1969. H . S c h w e p p e n h ä u s e r : Kierkegaards Angriff auf die Spekulation. Frankfurt/M. 1967. W. S e e b e r g e r : Hegel oder die Entwicklung des Geistes zur Freiheit. Stuttgart 1961. J. S p l e t t : Die Trinitätslehre G. W. F. Hegels. Freiburg — München 1965 (Symposion 20). M. T h e u n i s s e n : Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Berlin 1970. N . T h u l s t r u p : Kierkegaards Verhältnis zu Hegel. Forschungsgeschichte. Stuttgart 1969. F. W a g n e r : Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel. Gütersloh 1971.

c) Literatur zum Thema K. B a r t h : Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Zürich I960 3 zitiert: „Protestantisdie Theologie". — : D i e Kirchliche Dogmatik. Vierter Band. Die Lehre von der Versöhnung. Erster Teil. Zürich I960 8 , zitiert: K D IVj. Fr. Β i 11 i c s i c h : Das Problem des Übels in der Philosophie des Abendlandes. II. Bd.: Von Eckehart bis Hegel. Wien 1952, S. 333—356. E. B l o c h : Subjekt — Objekt. Erläuterungen zu Hegel. Erw. Ausgabe. Frankfurt/M. 1962, bes. S. 331 ff. ( = Gesamtausg. Bd. 8). W. Β r ö c k e r : Der Mythos vom Baum der Erkenntnis, in : Anteile. M. Heidegger zum 60. Geburtstag. Frankfurt/M. 1950, S. 29—51. M. B u b e r : Drei Bilder von Gut und Böse. Theologische Zeitschrift 7 (1951), S. 1 ff. H . G r o o s : Der deutsche Idealismus und das Christentum. München 1927, S. 157 ff. H . G ü n t h e r : Das Problem des Bösen in der Aufklärung. Bern — Frankfurt/M. 1974.

Literatur zum Thema

291

E. H i r s c h : Die idealistische Philosophie und das Christentum. Gesammelte Aufsätze. Gütersloh 1926, zitiert: „Idealismus". J. Κ ο ρ ρ e r : Hegels Auslegung des Sündenfalls. Annales Universitatis Saraviensis. Vol. V, Fase. 3/4. Saarbrücken 1956, S. 241—250. E. L ä m m e r z a h l : Der Sündenfall in der Philosophie des deutschen Idealismus. Neue deutsche Forschungen. Abt. Philosophie. Bd. 3. Berlin 1934, zu Hegel: S. 104—113. E. L ö c k e r - E u l e r : Philosophische Deutung von Sündenfall- und Prometheusmythos. Phil. Diss. Heidelberg 1933, zu Hegel: S. 19—34. K. L ü t h i : Gott und das Böse. Eine biblisch-theologische und systematische These zur Lehre vom Bösen, entworfen in Auseinandersetzung mit Schelling und Karl Barth. Zürich — Stuttgart 1961. M. M e t z g e r : Die Paradieseserzählung. Die Geschichte ihrer Auslegung von J. Clericus bis M. L. de Wette. Bonn 1959. W. P o s t : Philosophische Theorien über das Böse. Concilium 6 (1970). H. 6/7, S. 430 ff. W. S c h u l t z : Die Grundprinzipien der Religionsphilosophie Hegels und der Theologie Schleiermachers. Berlin 1937, S. 132—157. W. A. S c h u l z e : Gott und Mensch. Zwei Studien zum deutschen Idealismus. I. Gen. 3 im deutschen Idealismus. Theol. Zeitschrift 11 (1955), S. 426 ff. H. S p r e c k e l m e y e r : Die philosophische Deutung des Sündenfalls bei Fr. Baader. Würzburg 1938. P. T i l l i c h : Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung. Ges. Werke. Bd. I. Stuttgart 19592, S. 11—108. W. T r i l l h a a s : Felix culpa. Zur Deutung der Geschichte vom Sündenfall bei Hegel. in: Probleme biblischer Theologie. G. v. Rad z. 70. Geburtstag. München 1971, S. 589—602. H. W e i s i n g e r : Tragedy and Paradox of the Fortunate Fall, London 1953. N. P. W i l l i a m s : The Ideas of the Fall and of Original Sin, London 1927. H. W i m m e r h o f t : Die Lehre vom Sündenfall in der Philosophie Schellings, Baaders und Fr. Schlegels. Phil. Diss. 1934.

ZITIERVERFAHREN Die Jubiläumsausgabe und die Suhrkamp-Werkausgabe werden durdi die Siglen Gl bzw. Sk bezeichnet. Zitiert wird mit zum Siglum hinzugesetzter Bandzahl und durdi: / abgesetzter Seitenzahl (ζ. B. Gl 4/353). Alle Zitate sind nach den beiden Ausgaben gegeben, so daß auf das Gl-Zitat immer die Parallelstelle von Sk folgt. Stellen aus der Phänomenologie des Geistes und aus der Logik werden zusätzlich audi nach der Hoffmeister-Lassonsdien Ausgabe (Philosophische Bibliothek Meiner) geboten (Siglen: H, L I , LH). Bei den „Berliner Schriften" wird gleichfalls neben Gl 20 Sk 11 die Hoffmeistersche Ausgabe (H) zitiert. Zitate aus der Lassonschen Ausgabe der Vorlesungen über Religionsphilosophie sind durdi „Lasson" und dessen hinzugesetzten Halbbandtitel („Absol. Rei.", „Begr. Rei.") gekennzeichnet. Der 4. Band der historisch-kritischen „Gesammelten Werke" (s. o. a) wird unter der Abkürzung WW 4 zitiert. Zur Erleichterung der Identifikation von Zitaten mag die folgende Inhaltsangabe und Gliederungsübersicht der benutzten Ausgaben dienen. Gl Gl Gl Gl Gl Gl

1 2 3 4 5 6

Sk Sk Sk Sk Sk

2 3 4 5 6

WW 4 H LI LH

Gl 7 Sk 7 Gl 8 Sk 8 Gl 9 Sk 9 Gl 10 Sk 10 Gill Gl 12 Gl 13 Gl 14 Gl 15 Gl 16 Gl 17 Gl 18 Gl 19 Gl 20

Sk 12 Sk 13 Sk 14 Sk 15 Sk 16 Lasson Sk 17 Lasson Sk 18 Sk 19 Sk 20 Skll H

Jenaer Aufsätze Phänomenologie des Geistes Philosophische Propädeutik Wissenschaft der Logik I Wissenschaft der Logik II Heidelberger Enzyklopädie und Aufsätze (teilweise = S k 4 ) Rechtsphilosophie System d. Philosophie I = Enzykl. I (Logik) System d. Philosophie II = Enzykl. II (Naturphil.) System d. Philosophie III = Enzykl. III (Phil. d. Geistes) Philosophie der Geschichte Ästhetik I Ästhetik II Ästhetik III Philosophie der Religion I Philosophie der Religion II Geschichte der Philosophie I Geschichte der Philosophie II Geschichte der Philosophie III Berliner Schriften

NAMENREGISTER Augustinus, Α.: 191

Hobbes, Th.: 42f.

Barth, Κ.: 72, 101, 117, 123, 133, 192, 193, 198, 228 Baur, F. Chr.: 262 Böhme, J. : 55 Bretsdineider, K. G.: 206 Brunstäd, F.: 17, 52, 85

Jacobi, F. H.: 62, 170, 207, 210 Jesus: 25, 192

Coldehoff, H.: 32 Creuzer, F.: 23 Daub, Κ.: 207, 262 Descartes, R . : 158 Fetsdier, I.: 119 Feuerbach, L.: 119 Fichte, J. G.: 31, 62, 106, 119, 158, 159, 167, 169, 224, 273, 286 Fisdier, H.: 106, 107, 113 Fischer, K.: 42 Flacius, M.: 94 Gabler, G. Α.: 208 Glockner, H.: 39, 42, 43, 63 Goedewaagen, T.: 170 v. Görres, J.: 214 Göschel, K. F.: 203, 262 Groos, K.: 72, 98, 221 Henrich, D.: 88, 129, 174, 227, 242 Hirsdi, E.: 62, 106, 109, 160, 177, 198, 203, 225, 241 f., 244, 261

Kant, I.: 13, 18, 31, 35, 36, 79, 85, 93, 109, 169, 224, 241 f., 280 Kierkegaard, S.: 14 f., 17, 19, 99, 104, 106 ff., 190, 223, 245 ff., 286 Kopper, J.: 56, 67, 100, 139, 199, 224 Kroner, R.: 18 f., 34, 129 Lämmerzahl, E.: 132 f. Lessing, G. E.: 24 Leuze, R . : 81, 179 Löcker-Euler, E.: 55, 127, 132, 198, 231, 240 Lübbe, H.: 243 Luther, M.: 131, 204 Malebranche, Ν.: 175, 190 Marheineke, Ph. Κ.: 262 Martensen, H. L.: 262 Metzger, M.: 24 Müller, Julius: 123, 198, 247, 261 ff. Pannenberg, W.: 261, 283 Parmenides: 170 Paulus: 60 Rosenkranz, K.: 39, 43, 55, 262 Rousseau, J. J.: 39, 42 f.

294

Namenregister

Schelling, F. W.: 159, 167, 169, 211, 263 Sdiiller, F.: 62 Schleiermadier, F. D. E.: 205 f., 208 Schmidt, E.: 14, 98, 100, 101, 123, 200 Schütte, H. -W.: 55, 192 Schweppenhausen H.: 107 Solger, K. W. F.: 262 Spinoza, B.: 43, 157, 159, 160, 171 f., 175, 213, 227, 264 Splett, J.: 140 Strauß, D. F.: 262

170,

207, 103,

Theunissen, M.: 13, 118, 121, 140, 143, 214 Tholudt, F. A. G.: 174, 203 ff., 261 Thulstrup, N.: 112 Trillhaas, W.: 14 f., 94, 99, 100, 103, 104, 198, 199, 239, 261 Vatke, W.: 261, 262

169,

Wagner, F.: 118, 143 Wimmerhoft, H.: 35 Zeller, E.: 262

BEGRIFFSREGISTER aberratio a lege divina: 79 das Absolute, absolut: 49, 66, 71, 72 f., 75, 78, 83 f., 93, 121 f., 126, 128, 135, 137, 146, 148 f., 154, 155 f., 165, 167 f., 169, 191, 194 f., 213, 218 f., 222, 223 f., 230 ff., 245, 249, 256, 258, 269 ff., 273, 275 Abstraktion, abstrakt: 67 ff., 90, 92 f., 98, 111, 120, 132, 149, 151, 152, 165 f., 172 f., 182, 195, 208, 212, 214, 217, 219, 223, 239, 259 Adam: 50, 60, (91 f.), 107 Akosmismus: 172 Alles: 171, 211 Allgemeines — Besonderes: 67 f., 71, 75, 78, 95 f., 98 f., 101, 104, 111, 116, 119, 141, 157, 159, 165 f., 193, 201, 219, 229, 238 ff., 259 amor sui: cf. Selbstsucht Andacht: 32, 231 Aneignung: 109, 193, 196, 200, 226, 229 ff., 270, 279 Angst: 113, 114 Anschauung, intellektuelle: 157, 159, 166 f., 169 An-sich: 44 f., 46, 53, 56, 94, 101, 119, 160, 162, 164 ff., 169, 178, 188, 213, 219, 235, 285 f. An-und-Für-sich: 30, 44, 60, 162, 235, 285 Arbeit: 56, 58, 62, 162, 164, 165 Aufklärung: 29, 31, 35, 92 f., 125, 205 ff.

Begriff: 18 f., 23, 34 f., 45, 76, 100, 108, 109, 127, 129, 130, 156, 158, 163, 167, 175, 216, 220, 259, 263, 280 Bewußtsein, religiöses: 13, 23, 24 f., 32, 51, 66, 80, 122, 142,150,179 ff., 195, 224, 227 f., 250, 253 f. — , unglückliches: 251 das Böse, böse: 28, 46, 54, 61, 68, 69 ff., 72 ff., 79, 81 f., 85, 87 f., 92 ff., 102, 123, 128, 130 ff., 134, 137, 138, 146 f., 149, 152 f., 194 f., 199 f., 208, 213 ff., 219, 220, 222 ff., 231, 234, 238, 240, 241, 244, 252, 258, 262, 264 ff., 284, 285 cf.: Gut und Böse, Widerspruch Ursprung des — : 96, 132, 217, 248, 271 Christentum, christlich: 13, 38, 80 f., 83 f., 89, 90, 104, 124, 148, 178,188 f., 190, 197, 201, 229, 236, 252, 253, 254 f., 282, 284 cf.: absolute Religion culpa: cf. felix culpa

66, 144, 227, 257,

Deduktion: 97 f. Durchgangsmoment: 59, 76,136, (149), 152, 198 ff., (247), 257, 270 das Eine — der Eine: 118, 174, 182, 185

296

Begrifísregister

Einheit: 30, 33, 35, 36 f., 39 f., 41, 44 f., 48 f., 53, 58, 76, 78, 95, 101, 120, 137ff., 148, 149 f., 161, 164, 181, 185, 188, 190, 193, 195 f., 212, 214 fí., 225, 233, 256, 274 f. der Einzelne: 99, 100, 104, 110, 111, 115, 252 f., 259 f. Emanzipation: 64, 76, 117, 161 Endlichkeit: 56, 72, 78, 82, 83, 92, 137, 141, 171, 173, 175 f., 184, 186, 196, 209, 224, 231 f., 237, 251, 257, 258, 274 fi. Entelechie: 136 f., 162, 194, 234 Entfremdung: 48, 55 ff., 74, 77 f., 101, 125, 134, 138, 152, 164 f., 195, 199 f., 206, 267, 269, 272 Entzweiung: 45, 48 f., 52 ff., 57 ff., 65, 66 ff., 71, 72, 74, 79, 83, 89, 101, 117, 124 f., 127 f., 136, 138 f., 146, 147, 149 f., 152, 160 f., 163, 190, 195, 198 f., 200 f., 213, 224, 226, 267 f., 272, 275, 283 Erbsünde: 41, 72, 90 ff., 252, 284 Erfahrung (Empirie): 51, 52, 84 f., 86 f., 88, 100 f., 112 Erkenntnis: 39, 54, 61 f., 63, 65, 95, 101, 102, 162 f., 166 ff., 198, 201, 202, 225, 260, 279, 280 Erzeugen: 111, 114, 121, 123 cf. Produktion Fall, Sündenfall: 37, 41, 48 f., 50 ff., 65 f., 73 ff., 76, 83, 124 f., 132, 150 ff., 161, 164, 190, 193, 198 f., 218, 247, 269 — des Denkens: 62 ff., 200 felix culpa: 247 Form, absolute (unendliche, unbedingte): 117, 133, 136, 146 f., 153, 166, 177, 185, 186, 188, 198, 234, 244, 246

Form — Inhalt: 23 f., 27 f., 33, 37, 40, 45, 63 f., 76, 95, 145 ff., 187, 201, 238 ff., 285 Formalität, formal: 66, 68 f., 71, 74, 75, 87, 96, 107 f., 120, 145 ff., 187, 202 Freiheit: 13 f., 15, 40, 41, 43, 47, 49, 54, 56, 58, 69 ff., 75 f., 80, 81, 83 f., 89, 100, 102, 104, 110 ff., 117 ff., 124 ff., 133, 141, 142, 145, 176 f., 182, 184 f., 186, 189, 194 f., 197 f., 199, 218, 222 ff., 229, 231 ff., 236 f., 239, 240 ff., 245 ff., 262, 265, 268, 269, 271, 275 ff., 282 ff. Für-sidi: 53, 70, 77, 94, 96, 123, 126, 147, 160, 162, 163, 164 ff., 169, 175, 177, 184, 187, 188 f., 196 f., 218 f., 235, 246, 265, 285 das Ganze, Totalität: 19, 33, 38, 53, 57 f., 70, 78, 98, 141 f., 146, 148, 151, 161, 165, 168, 183, 189, 194, 199, 220, 221 f., 258, 271, 272 Gebot: 60 gegenständlidi — ungegenständlich: 25 ff., 30, 32, 36, 37, 44, 47, 48, 52, 53, 55, (69), 72, 85, 110, 115, 120, 130, 132, 142, 197, 201, 219, 230 Geist: 35, 37, 39 ff., 44 f., 46, 49, 50 f., 52, 54, 59, 62, 66, 70, 76, 94 ff., 98 f., 100 f., 107, 114, 117, 118, 119, 120, 122 f., 124 f., 127 ff., 131, 133, 138, 139, 150 ff., 158, 162 f., 164, 170, 173, 177, 178 f., 185, 188 f., 192, 194, 199, 204, 212, 217, 227 ff., 228, 229 ff., 234, 237, 238, 239,245 ff., 251 f., 256, 264 f., 274 f., 283 absoluter — : 13, 31, 36, 62, 88, 102, 116, 122 f., 127 f., 133, 134, 135 ff., 160, 166, 169, 178, 179, 181, 195,

Begrifîsregister 202, (223, 224), 230, 235 fî., 272 f., 275 Gemeinde: 144, 178, 235, 275 f. Geschichte: 23 ff., 31, 41 f., 48, 64, 80 f., 99, 138 f., 179, 192, 194 — , göttliche, ewige: 25, 31, 44, 45, 124, 140 f., 230 Gesetz: 56, 79, 93, 102, 128, 150, 153, 185, 197, 237, 241 Gesinnung: 243 f. Gewissen: 83, 213, 233, 243 f. Gewißheit — Wahrheit: 28, 34 ff., 110, 143 ff., 167, 230 Glaube: 63, 66, 123, 144, 226, 231, 233, 236, 245, 255 f., 259, 275, 279 Gnade: 232 f., 243 G o t t : 29 ff., 36 f., 41, 45, 49, 53 f., 55 f., 58, 71, 72, 74, 75 f., 78, 81, 83, 86, 93, 98, 116 ff., 133, 135 ff., 139 f., 142 f., 143 ff., 146 ff., 154 f., 156 ff., 171 ff., 180 ff., 194, 196 ff., 202, 222 ff., 227, 230, 232, 234, 237, 242 f., 246, 250 ff., 266, 274 ff., 286 fremder — : (69), 119 f., 128, 137, 142 f., 145, 149, 153, 202 persönlicher — : 31, 144, 156, 169, 174, 185, 190 f. cf. Subjektivität Gottes — und die Welt: 72, 149, 177 f., 234, 235 ff. Gottgleichheit: 55, 60, 65 f., 74 Gottesebenbildlichkeit: 60, 94, 235 gratia praeveniens: 101 das Gute, gut: 53 f., 55 f., 61, 70 f., 78, 86, 89 f., 92 ff., 130, 132, 184, 198, 202, 213 ff., 223, 227, 234, 245, 272 ff., 285 G u t und Böse: 39, 53 f., 65, 70 f., 78, 82, 83, 86, 87, 89 f., 123, 129, 130 f., 131 f., 183, 192, 196, 202 f., 208, 213 ff., 246 f., 273, 276, 278

297

Heidentum: 81, 253, (254), 255 Idealismus, deutscher: 17, 72, 106, 110, 111, 114, 120, 142 Identität: 44, 49, 66, 68, 71 ff., 83, 96, 99, 101, 117, 118, 119, 121 f., 135 f., 137, 141, 143, 152 f., 170, 171 ff., 188, 194 ff., 202, 203, 217, 218 f., 224, 231 f., 239, 245, 248 f., 256, 274 Identitätssystem: 171, 203, 212 Imputabilität: 89, (96, 98), 99, 131 Indifferenz: (123), 173, 191, 208, 211 f., 214, 276 Innerlichkeit: 95, 109, 110, 114, 185, 202, 235, 243, 244 Interesse: 64, 86, 108, 109, 243, 280 Ironie: 88, 102, 266, 272 Jemeinigkeit: 97, 98, 99, 103 ff. Jenseits: 69, 93, 132 Kampf: 90, 221, 244, 269 Katholizismus, römischer: 236 konkret: 38, 68, 115, 118 f., 137 ff., 176, 183, 212, 218, 229, 234, 240 f., 265 Krise: 66, 72, 73 ff., 79, 96, 104, 114, 117, 134, 145, 190, 199, 244, 246, 256, 269, 284 Kritik: 19 f., 24, 29, 31, 32, 35, 38, 45, 64, 194 Kultus: 227 f., 230, 235 Leben, göttliches: 136, 140 f., 153, 157, 159 f., 162 ff., 190, 202, 234, 274 ff. liberum arbitrium: 89, 113, 131 f. Liebe: 66, 153, 162 f., 230 Linkshegelianer, Rechts — : 16, 17, 121, 140 Logik: 15, 16 f., 107 ff., 112, 115, 125, 173, 176, 245, 259, 263, 264 f., 268, 271, 280 f.

298

Begriffsregister

Metaphysik: 14, 31, 108, 209, 280f. moderne Welt: cf. Neuzeit Moment: 36, 45, 48, 52, 55, 57 ff., 59, 68, 70, 104, 123, 125, 137, 148, 151 f., 165 f., 168, 175, 177, 189, 201, 202, 216, 217, 221 f., 232, 233, 239 f., 276 cf. Durchgangsmoment Moralität: 85, 218, 237, 244 Mythus: 23 ff., 35 f., 50, 55, 59, 64, 92, 107 N a t u r : 39, 56, 58, 95 f., 153, 172, 179 f., 185, 188, 266 — religion: cf. Religion — zustand: 38, 41 ff., 46 Natürlichkeit: 40, 43, 54, 67, 82, 87, 94 ff., 152, 179 f., 184, 185 f., 202, 265, 280 Negativität: 69, 78, 82, 88, 96, 101, 147, 160, 163 f., 177, 184, 188, 195, 196, 214, 220, 223, 225, 226, 244, 257 Neuzeit: 13, 15, 16, 79 f., 86, 94, 118, 189, 197, 233, 281, 282 Nicht-Ich: 53, 56, 67 f., 69 Nichtigkeit: 66, 102, 128, 133 f., 153, 172, 193, 195, 199, 222 ff., 234, 273, 277 Notwendigkeit, notwendig: 14, 16, 28, 33 f., 35, 45, 47, 63, 102, 108, 111, 113,116,123 ff., 136,140,152, 183, 194, 197, 198 f., 213, 222, 233 f., 238, 239, 246, 247, 263, 264 f., 266 f., 269, 276 f., 280, 285 f. Opfer: 81, 82, 230 Orthodoxie: 29, 91, 140, 256 Panlogismus: 84 f., (208), 263, 265 Pantheismus: 123, 153, 154, 157, 160, 169, 170 ff., 182, 189 ff., 203 ff.,

210 f., 212, 232, 256, 263, 275 Paradies: 38, 41, 43 ff., 48, 53, 83 Pelagianismus: 93, 211 Positivität: 69, 77 f., 99, 101, 130, 195, 214, 217, 220, 223, 226, 255, 256 ff., 262, 273, 280 Praxis: 228 f., 280 Produktion: 47, 67, 139, 188, 198, 268, 271, 273 cf. Erzeugen Projektion: 119 ff., 136 Protestantismus: 231, 237, 282 Prozeß: 14 f., 34, 45, 48, 67, 70, 72, 77, 95, 99, 115, 117 f., 126, 133 f., 135, 136, 141, 149, 160, 164, 166, 190, 194, 195, 196, 217, 230, 232, 233 f., 239, 241 f., 264, 273 f. Psychologie: 26, 85 f., 87, 107, 112, 114, 249, 255 Recht: 177, 185 Rechtshegelianer: cf. Links — Reflexion: 20, 32, 54, 56, 63, 71, 77, 86, 95, 101, 146, 155, 161, 168, 200, 213, 229, 231, 243, 285 Religion: 144 f., 179, 189, 227 f., 244 absolute —: 83 f., 180 f., 188 f., 197, 250 cf. Christentum ägyptische —: 82, 184 buddhistische — : 182 f. chinesische — : 182 griechische — : 83, 185 f., (243 f.) indische —: 81 f., 170, 182 — der geistigen Individualität: 82, 180, 184 f., 187 jüdische — : 82 f., 89, 174, 185 f. Lamaismus : 182 f. Naturreligion: 45, 81, 180, 183 f., 187 Parsismus: 82, 183 römische: 176, 186 f., (237, 240), 251 — der Substanz: 181

Begriffsregister syrische — : 183 — der Zauberei: 180 Religionsgeschichte: 23, 29, 44, 80 f., 154, 1 7 9 — kritik: 29, 35, 119, 120, 121, 136 restitutio in integram: 197 Resultat: 45, 125, 137, 141, 165, 167 f., 185, 195, 198, 199, 234, 283, 285 Scham: 56, 58 Schein: 133 f., 153, 172, 195, 199, 214, 223, 270, 277 Schlange: 6 0 , 61, 63 Schmerz: 56, 59, 89 f., 162, 163 f., 183, 190, 255, 269 Schöne Seele: 62 f., 219 Schöpfung: 72, 123, 198, 246 Schuld: 66, 76, 81, 87, 89, 91, 96, 97, 98, 113, 131, 139, 240, 241, 248, 251, 257, 268 f. Selbstbewußtsein: 18, 25, 36, 40 f., 46, 48 f., 51 f. 64, 65 ff., 80, 86, 98 f., 103 f., 114 f., 117 ff., 122, 135 ff., 140 ff., 145 ff., 157 f., 161, 163, 166, 168, 170, 174, 178, 183, 185, 188, 193 ff., 218, 227, 231, 235, 238, 242 f., 265, 281, 282 f., 286 Selbstsucht, amor sui: 191, 230, 265 Sich-Wissen: 47, 71, 100 f., (121 f.), 133, 138 f., 143 ff., 163, 166, 170, 181, 189, 196, 202, 228, 285 f. Sittlichkeit: 43, 55, 61, 86, 93, 153, 177, 185 f., 2 2 7 f., 233, 235, 236 f., 240 ff. Sollen: 60, 151, 224, 267, 282 Spinozismus: 171, 176, 190 Staat: 239 f., 244 Stoa: 172 Subjektivität: 13 ff., 34, 46 f., 48 f., 64, 76, 79 f., 82, 83 f., 88, 96, 9 9 f., 103 ff., 108 ff., 117 ff., 120, 125, 128, 129, 133, 141 f., 146 f., 152 f.,

299

155 ff., 173, 174 ff., 178 ff., 189 ff., 196, 198, 200, 202, 218, 228, 231 f., 233 ff., 238 ff., 244, 259, 275, 282 — Gottes (absolute, unendliche): 117, 118 f., 139, 141 f., 146 f., 156, 157, 159, 162 ff., 168 ff., 174 ff., 181, 184 f., 186, 188, 190 f., 202, 218, 231, 234, 274 f. Subjekt — O b j e k t : 30, 36, 110, 142, 233, 234, 238 Substantialität: 82, 123, 157 ff., 172 ff., 183, 185, 186, 242 Substanz: (82), 94, 142, 154, 155 ff., 172 ff., 178 ff., 189, 193, 202, 211, 220, 237, 242 f., 251, 275 Substanz-Subjekt: 142, 155 f., 160, 167, 169, 174, 178, 181, 186, 188, 235, 241 f., 244 Sünde 13 ff., 48 f., 59, 65 ff., 72 ff., 76 ff., 79 ff., 84 ff., 87 f., 90 ff., 97 ff., 111 ff., 123 ff., 138, 145, 152 f., 164, 175, 189 ff., 192 ff., 218, 222 ff., 230, 238, 240 f., 245, 248 f., 252, 253, 254 ff., 263, 264, 269, 272, 284 f. — wider den Geist: 226 Sündenbewußtsein: 51 f., 81 ff., 84 ff., 89, 197, 255, 256 — fall: cf. Fall — Vergebung: 90, 199 f., 207, 224 f., (226), 227, 273 System: 108, 156, 169, 178, 189, 205, (237), 268, 273 Telos, teleologisch: 45, 46, 49, 51 f., 59, 66, 71, 74, 80, 94, 98, 125, 136, 149 f., 1 6 1 , 1 8 1 , 189, 193, 1 9 4 , 1 9 7 , 198, 200, 238, 248, 255, 256, 260, 268, 269 Teufel: 219 Theologie, theologisch: 22, 29, 32, 36, 38, 45, 52, 60, 79, 91, 94, 95, 101,

300

Begriffsregister

123 f., 140, 163, 164, 166, 174, 204 f., 207, 209, 212, 261, 282 Theorie: 51 f., 79 f., 85 f., 97 ff., 103 ff., 193, 228 f., 249, 281, 282 f. Tod:56 — Christi: 230 Totalität: cf. das Ganze Trinität: 118, 140, 159, 164, 166, 167, 204 ff. Tugend: 82, 220 f. Umformung: 22, 36, 45, 91, 94, 194, 282 Unschuld: 38 ff., 43, 46 ff., 50, 52 f., 59 f., 62, 65, 67, 71, 73, 74, 76, 91, 96, 107, 124 f., 138, 149,150 ff., 161, 193, 198, 218, 246, 252, 267 f. Ursprung: 48, 52, 76, 117, (121), 132 f., 161, 285 — des Bösen: cf. das Böse Ursprungsdenken: 45, 197 Vergegenständlichung: cf. gegenständlich Vernunft: 14, 16, 17 ff, 32 ff., 36 f., 45, 64, 84 f., 86, 91, 100 f., 194, 200 f., 204, 212, 217, 233, 238, 242, 265 praktische —: 228 f., 241 Versöhnung: 15, 40, 41, 49, 59, 62, 73, 74, 83 f., 92, 94, 96, 99, 101, 116, 120, 122, 123, 128, 133, 134, 150, 151, 153, 165, 186, 190, 192 ff., 202, 214, 215, 222 ff., 227 ff., 242, 254 f., 257 f., 264, 267 f., 272, 275, 277 ff. Verstand: 28, 91, 130, 211, 212, 233, 251, 258

Verzweiflung: 245 ff. Voraussetzung, voraussetzen: 46 f., 73, 112, 117, 119, 120 ff., 136, 194, 195, 197, 229, 230 Vorstellung: 23, 25 ff., 32, 36, 44, 45, 63, 91, 103, 151, 155 f., 163, 182, 194, 227. Wahl: 53, 89 f., 131 f. Wahrheit: 33, 36, 110 f., 120, 155 f., 161, 178 cf. Gewißheit — Wahrheit Welt: 53, 55, 72, 149, 177 f., 195, 228, 229, 234, 235 ff. moderne —: cf. Neuzeit Wesen: 37, 67, 132 f., 142, 145, 153, 166 ff., 174, 195 f., 201, 202, 230, 231, 237, 244, 258, 262, 268 Widerspruch: 33, 39 f., 41, 46 f., 48, 70, 75 f., 113, 119, 128, 130, 134, 138, (152), 153, (191), 194 f., (199), 218, 219, 222 f., 246, 248, 267, (268), 271, 277, 278 Wille: 31, 40, 56, 72, 86, 87, 95 f., 98, 102, 113, 131 f., 198, 249, 257, 264 f., 279 Willkür: 53, 58, 87, 92, 102, 132, 269, 279 Wirklichkeit: 107 ff., 115, 133 f., 145, 148, 157, 159 f., 166, 172, 217, 223, 236, 239, 259, 275, 277 Zufall, Zufälligkeit, zufällig: 27, 28, 33, 44, 82, 108, 126, 129 f., 131, 133 f., 152, 227, 269, 273, 276 f., 283 Zulassung: 130 Zweck, Zweckmäßigkeit: 136 f., 161 f., 184, 186, 234 f., 236, 242