Hegel-Studien Band 45: 2011 9783787334643

Texte Und Dokumente Ernst-Otto Onnasch: Ein neuer Brief Hegels an die Gebrüder Ramann in Erfurt Miszelle Peter Kriege

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Hegel-Studien Band 45: 2011
 9783787334643

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HEGEL-ST U D IE N / BA N D 45

HE G E L- STU DIEN

In Verbindung mit der Hegel-Kommission der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste herausgegeben von

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45

2010

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© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2011. ISSN 0073-1578 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Marcel Simon-Gadhof. Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Münzer“, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

I N H A LT

TEXTE UND DOKUMENTE E r n s t - O t t o O n na s c h Ein neuer Brief Hegels an die Gebrüder Ramann in Erfurt ................. 11

MISZELLE Pete r Kriege l Eine Schwester tritt aus dem Schatten. Überlegungen zu einer neuen Studie über Christiane Hegel ................................................... 19

ABHANDLUNGEN B i r g i t S a n d k au l e n „Die Seele ist der existierende Begriff.“ Herausforderungen philosophischer Anthropologie ........................................................... 35 B e nno Z ab e l Fichtes Recht und Hegels Staat. Anmerkungen zu einer philosophischen Debatte des Deutschen Idealismus ............................. 51 S t e p h a n K ra f t Hegel, das Unterhaltungslustspiel und das Ende der Kunst. Zur Rezension von Ernst Raupachs Lustspiel „Die Bekehrten“ und zur Stellung der modernen Komödie in Hegels Ästhetik .............. 81

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Inhalt

C h ri stoph e B outon Die helle Nacht des Nichts. Zeit und Negativität bei Hegel und Heidegger. ......................................................................... 103

L I T E R AT U R B E R I C H T E U N D K R I T I K Mariafilomena Anzalone:Volontà e soggettività nel giovane Hegel. [Wille und Subjektivität beim jungen Hegel.] (Maria Letiza Pelosi, Napoli) .................................................................... 125 Klaus Vieweg /Wolfgang Welsch (Hgg.): Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne (Rainer Adolphi, Berlin) ........................................................................... 129 Ryosuke Ohashi: Die Phänomenologie des Geistes als Sinneslehre. Hegel und die Phänomenoetik der Compassion (Eveline Cioflec, Bucharest) ............. 142 Francesca Iannelli: Oltre Antigone. Figure della soggettività nella „Fenomenologia dello spirito“ di G. W. F. Hegel. [Über Antigone hinaus. Gestaltungen der Subjektivität in Hegels „Phänomenologie des Geistes“.] (Gabriella Baptist, Cagliari) ...................................................................... 146 Erzsébet Rózsa: Hegels Konzeption praktischer Individualität.Von der „Phänomenologie des Geistes“ zum enzyklopädischen System (Kai-Uwe Hoffmann, Berlin) ................................................................... 148 Chong-Fuk Lau: Hegels Urteilskritik. Systematische Untersuchungen zum Grundproblem der spekulativen Logik (Lucia Ziglioli, Pavia) ............ 154 Italo Testa: La natura del riconoscimento. Riconoscimento naturale e ontologia sociale in Hegel (1801–1806). [Die Natur der Anerkennung. Natürliche Anerkennung und Sozialontologie bei Hegel (1801–1806).] (Filippo Ranchio,Venezia / Frankfurt a. M.) ........................................................... 158 Luigi Ruggiu / Italo Testa (Eds.): Lo Spazio Sociale della Ragione. Da Hegel in Avanti. [Social Space of Reason. From Hegel onwards.] (Eleonora Montuschi, London) ................................................................ 163 Takeshi Gonza: Hegel ni okeru Risei, Kokka, Rekishi. [Vernunft, Staat und Geschichte bei Hegel.] (Keiji Sayama, Sapporo) ........................................ 166 William E. Conklin: Hegel’s Laws. The Legitimacy of a Modern Legal Order (Alfredo Bergés, Bochum) ........................................................................ 169

Inhalt

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Hans-Christoph Schmidt am Busch: Religiöse Hingabe oder soziale Freiheit. Die saint-simonistische Theorie und die Hegelsche Sozialphilosophie (Wolfgang M. Schröder, Tübingen) ........................................................... 174 Alberto L. Siani (Ed.): G. W. F. Hegel: L’Arte nell’Enciclopedia. [Die Kunst in der Enzyklopädie.] (Markus Ophälders, Milano) ....................................... 176 Annemarie Gethmann-Siefert / Lu De Vos / Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hgg.): Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste (Niklas Hebing, Bochum) ........................................................................ 181 Annemarie Gethmann-Siefert / Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hgg.): Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. Beiträge zur Begründung der Kunstgeschichtsforschung bei Hegel und im Hegelianismus (Annika Döring, Bochum) ........................................................................ 186 Holger Gutschmidt:Vernunfteinsicht und Glaube. Hegels These zum Bewusstsein von etwas „Höherem“ zwischen 1794 und 1801 (Wolfgang M. Schröder, Tübingen) ............................................................................................... 189 Franco Biasutti: Momenti della filosofia hegeliana. Ethos, Arte, Religione, Storia. [Momente der Hegelschen Philosophie. Ethos, Kunst, Religion, Geschichte.] (Gabriella Baptist, Cagliari) ................................................... 191 Angelica Nuzzo (Ed.): Hegel and the Analytic Tradition (Elena Ficara, Berlin) ..... 193 Martin Hundt (Hg.): Der Redaktionsbriefwechsel der Hallischen, der Deutschen und der Deutsch-Französischen Jahrbücher (1837–1844). 3 Bände (Michael Quante, Münster) ...................................................................... 197 Karl Marx: Ökonomisch-Philosophische Manuskripte. Kommentar von Michael Quante (Andreas Arndt, Berlin) ................................................................ 202 Klaus-M. Kodalle /Tilman Reitz (Hgg.): Bruno Bauer (1809–1882). Ein „Partisan des Weltgeistes“? (Andreas Arndt, Berlin) .............................. 208 Birgit Sandkaulen /Volker Gerhard /Walter Jaeschke (Hgg.): Gestalten des Bewußtseins. Genealogisches Denken im Kontext Hegels (Volker Rühle, Hildesheim / Madrid) .................................................................... 214 Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre (Patrick Tschirner, Hagen) ......... 220 Giuseppe Cantillo / Giannino Di Tommaso /Vincenzo Vitiello (Eds.): Logica ed esperienza. Studi in ricordo di Leo Lugarini. [Logik und Erfahrung. Studien zum Gedenken an Leo Lugarini.] (Christian Belli, Roma) ............ 226

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Inhalt

BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 2009 Zusammenstellung und Redaktion: H o l g e r G l i n k a ( B o c h u m ) ............................................................. 231 Nachträge zum Berichtszeitraum 2006 .............................................................. 252 Nachtrag zum Berichtszeitraum 2007 ................................................................ 259 Nachträge zum Berichtszeitraum 2008 .............................................................. 272 Autoren ............................................................................................................. 285 Siglenverzeichnis ...............................................................................................

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SIGLEN

AA

Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1900 ff.

AA

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Hans Michael Baumgartner, Wilhelm G. Jacobs, Hermann Krings und Hermann Zeltner. Stuttgart 1976 ff.

B

Briefe von und an Hegel. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister und Rolf Flechsig bzw. Friedhelm Nicolin. Hamburg 1960–1981.

GA

Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Herausgegeben von Reinhard Lauth und Hans Jacob. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964 ff.

GW

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg 1968 ff.

KFSA

Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Paderborn / München /Wien 1958 ff.

KGA

Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Berlin / New York 1980 ff.

SW

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Sämmtliche Werke. Herausgegeben von K. F. A. Schelling. Stuttgart und Augsburg 1856–1861.

TWA

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a. M. 1970.

V

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Hamburg 1983 ff.

W

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Sämtliche Werke.Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Berlin 1832–1845.

TEXTE UND DOKUMENTE

e n r s t - o t t o o n na s c h EIN NEUER BRIEF HEGELS AN DIE GEBRÜDER R A M A N N I N E R F U RT * Vor kurzem hat mein Kollege Erik-Jan Bos einen verschollenen Brief von Descartes an Marin Mersenne in der Bibliothek des Haverford College (Pennsylvania, USA) wiederaufgefunden.1 Er wies mich darauf hin, daß sich in der Briefsammlung von Charles Roberts (1846–1902), die dieser bei seinem Tode seiner Alma Mater vermacht hatte, vermutlich auch ein Brief Hegels befände. Meine Nachforschungen führten zu dem Fund eines bislang tatsächlich unbekannten Briefs Hegels an die Brüder Ramann in Erfurt.2 Der Brief betrifft eine Weinbestellung bei der Firma Ramann in Erfurt. Betrieben wurde die Weinhandlung von Christian Heinrich (1764–1816), später zusammen mit seinem Bruder Ephraim Ramann. Offenbar hat die Firma Ramann die Korrespondenz mit ihren Kunden bestens aufbewahrt, denn im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts taucht eine beträchtliche Anzahl von Briefen der großen Dichter und Denker aus Weimar und Jena im Manuskript- und Antiquariatshandel auf, wie etwa Briefe von und an Goethe,3 Wieland, Schiller, aber auch von Schelling4 oder den Brüdern Schlegel. Diese Briefe dürften alle * Diese Untersuchung ist zustande gekommen dank der Unterstützung des Autors durch die Niederländische Organisation für wissenschaftliche Forschung (NWO). Besonders danke ich Herrn Prof. Dr. Michael Franz (Tübingen) und Frau PD Dr. Annette Sell (Bochum, Hegel-Archiv) für ihre hilfreichen Hinweise. 1 Siehe z. B.: New York Times. 25. Februar 2010. C1. – Erik-Jan Bos, Two Unpublished Letters of René Descartes: On the Printing of the Meditations and the Groningen Affair, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 92 (2010), 290–302. 2 Der Brief befindet sich in der Charles Roberts Autograph Letters Collection. Ich danke dem Head of Special Collections des Haverford College, John F. Anderies, für die überaus freundliche Zusammenarbeit sowie für die Erlaubnis, den Brief hier mitteilen und abdrucken zu dürfen. 3 Goethe hat zwischen 1798 und 1826 bei den Erfurtern Wein, Champagner und andere Spirituosen eingekauft, davon verzeichnet die Datenbank der Klassik Stiftung Weimar zwischen 1798 und 1826 25 Briefe von Goethe, und zwischen 1800 und 1816 43 Briefe an Goethe. 4 Zwischen Oktober und Dezember 1802 sind von Schelling fünf Briefe belegt. – Siehe: Schelling: AA. Briefe 2. Briefwechsel 1800–1802. Herausgegeben von Thomas Kisser. Stuttgart-

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aus dem Firmenarchiv stammen. Überliefert ist nämlich, daß bald nach dem Tode Goethes verschiedene Zeitungen darüber berichteten, daß die Erfurter Weinhandlung „eine große Sammlung Goethebriefe besitze“, die alsdann „von Geschäftsfreunden und anderen Bekannten des Weinhauses erbettelt“5 wurden. Wie viele solcher Briefe die Weinhandlung besaß, läßt sich aus der Tatsache ermessen, daß die Firma 1900 noch einen kleinen Prospekt drucken kann, in dem „etliche Weinbestellungen der Weimarer Dichter abgedruckt und facsimiliert“6 sind. Es läßt sich nicht mehr feststellen, von wem Charles Roberts den hier mitgeteilten Brief erstanden hat. Es liegt aber auf der Hand, daß auch er aus dem Archiv der Firma Ramann stammt. Wie aus dem englischsprachigen Eintrag in Blei auf der Adreßseite hervorgeht, hat Roberts den Brief vermutlich für 20 Mark erstanden. Auch von Hegel sind eine beträchtliche Anzahl Briefe an den Erfurter Weinhändler erhalten.7 In der Hoffmeister-Ausgabe der Briefe Hegels sind im ersten Band drei Briefe vom 8. August 1801 (Nr. 30), 25. Mai 1802 (Nr. 35) und vom 2. Juli 1802 (Nr. 36) überliefert;8 im 4. Band werden noch vier weitere Briefe vom 5. April 1803 (Nr. 36a), 28. November 1803 (Nr. 43a), 9. Februar 1806 (Nr. 58a, nur belegt) und vom 18. August 1806 (Nr. 67a) nachgetragen.9 Sicher nicht zu unrecht bezeichnet Georg Lasson diese Briefe als ein „amüsantes Gegenstück“ zu den philosophischen Briefen Hegels. Sie zeigen uns Hegel in besseren finanziellen Verhältnissen. Zum einen deshalb, weil französische Weine damals erheblich teurer waren als deutsche. Zum anderen, weil die ca. 70 Liter Bordeauxwein, die Hegel in dem hier vorgestellten Brief bestellt, zwei Monate später, d. h. Ende November, bereits weggetrunken sind. Am 28. November 1803 ordert Hegel in Erfurt nämlich einen halben Eimer bzw. etwa 35 Liter französischen Weißwein (Brief 43a). Wegen der plötzlichen Umstellung von Rot- auf Weißwein könnte man sogar vermuten, daß es vor dieser Novemberbestellung noch eine Bestellung gibt, die diesen Wechsel motiviert. Bad Cannstatt 2010. – Der editorische Bericht zu den Ramann-Briefen ist extrem knapp und bietet keine Hintergrundinformationen. Ebensowenig finden sich in den Anmerkungen inhaltliche Mitteilungen zu den Briefen. 5 Siehe dazu: Hans Werner Rothe: Goethes Erfurter Weinlieferant und vom Erfurter Weinbau. – In: Das Weinblatt. Neustadt. 43/44 (1949), 262–265. 6 Siehe dazu den Bericht von Ernst Müller in: Jahresberichte für neuere deutsche Literaturgeschichte. Berlin. 13 (1906), 2, 591–603; hier: 593. – Ich habe die kleine Broschüre leider nicht konsultieren können. Die einzigen Exemplare befinden sich meines Wissens in der Universitätsbibliothek von Erfurt, Standort FB Gotha, Sign. Buch 4º 00172/04 (Magazin), sowie der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, Sign. G 1710 (Magazin), ein weiteres Exemplar ibid., Sign. 2695. 7 Ein frühester Bericht über zwei solcher Briefe stammt von: Georg Lasson: Beiträge zur HegelForschung. 2. Heft. Berlin 1910. 48 f. 8 Siehe: Hegel: B 1, 63; 67 f. 9 Siehe: Hegel: B 4/2, 9; 12 f.

Ein neuer Brief Hegels an die Gebrüder Ramann in Erfurt

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In dem hier vorgestellten Brief vom 19. September 1803 bestellt Hegel einen Eimer „Pontak“. Einen solchen Wein – und zwar ebenfalls einen Eimer – bestellte er auch im Vorjahr, nämlich am 2. Juli 1802 bei den Ramanns.10 Pontac ist die damalige Bezeichnung für einen tiefroten und auch sehr guten Bordeauxwein. Der Name Pontac ist ein Familienname, der bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht, als Jean de Pontac (1488–1589) das heute so berühmte Château Haut-Brion gründet. Mit dem Wein- und Rebenhandel wurde die Familie Pontac bereits im 16. Jahrhundert steinreich. Auch die in Frankreich heute allerdings kaum noch angebaute tiefrote Rebsorte Pontac hat ihren Namen von dieser Familie. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert ging der Anbau dieser Rebsorte stark zurück; die Pontac-Traube wird zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur noch als Zusatz verwendet, um Weine dunkler zu machen. Mit „Pontac“ (auch mit „k“ geschrieben) werden um 1800 in der Regel dunkle Bordeauxweine bezeichnet, besonders Weine aus dem Medoc sowie die schweren Rotweine aus dem Cahors.11 Um 1800 unterscheidet die deutschsprachige Weinliteratur Pontac und echten (veritable) Pontac. Der Weinkenner von 1800 schreibt dazu: „Pontac ist überhaupt der Name den verschiedene gedeckte rothe Weine in Frankreich führen. Aechter Pontac wird nur um den Ort desselben Namens gezogen. Er wurde sonst größtentheils für den Hof aufgekauft, und was davon übrigblieb, kauften die Engländer zu hohen Preisen begierig weg. Der Tonneau der besten Sorte gilt 2000 bis 2400 Livres.“ Nach diesem Weinführer folgt dem echten Pontac in Qualität der Medoc, dann der „Chateau Margaux …, hernach der Kahors, die dikste Sorte unter dem Pontac.“12 Echter Pontac war damals 3 bis 5 mal so teuer wie ein Haut-Brion.13 Ein anderes zeitgenössisches Wörterbuch der Warenkunde von 1806 schreibt: „Pontac nennt man aber in Frankreich überhaupt verschiedene gedeckte rothe Weine. Von diesen gibt es auch unter denen von Montauban in Quercy oft recht gute Sorten. Dieser wird in Barriques von 29 Veltes verkauft, hat einen ganz eigenthümlichen Geschmack, und geht über Bordeaux sehr viel nach England, Holland, Hamburg, Stettin u.s.w. Man schätzt ihn gewöhnlich um so höher, je dicker und gedeckter er von Farbe ist, und hält ihn überhaupt für einen guten Magenwein, für sehr heilsam gegen Skorbut, Ruhr u. a. Uebel, daher er in Siehe: Hegel: B 1, 68 (Brief Nr. 36). Siehe: Johann Riem: Die Getränke der Menschen: oder Lehrbuch, sowohl die natürlichen, als auch künstlichen Getränke aller Art näher kennen zu lernen. Dresden 1800. 183. 12 Siehe: Der Weinkenner. Ein Unterricht über Vaterland, Natur, Handel, Verbesserung und Verfälschung der Weine. Berlin 1800. 87 f. – Es ist nicht klar, ob es sich bei den Preisen um Großhandelspreise oder Preise für den Endabnehmer handelt. Zum weiteren Vergleich kostete damals eine Flasche Champagner etwa einen Thaler. 13 Siehe: Johann Riem. Die Getränke der Menschen … A. a. O. 181. 10 11

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Kriegszeiten vorzüglich stark für die Gegenden gesucht wird, wo Kriegsheere stehen.“14 Bei Hegels Weinbestellung handelt es sich also um einen sehr guten Bordeauxwein, aber nicht um einen echten Pontac, der damals in Erfurt vermutlich auch nicht erhältlich war. Um die Jahrhundertwende wird freilich auch gefälschter Pontac gehandelt; ein dunkelroter Wein, versetzt mit Saft von Heidelbeeren, Himbeeren und Holunderbeeren.15 Einen solchen Wein hat Hegel gewiß nicht bestellt. Denn, wie aus dem Brief vom 2. Juli 1802 (Nr. 36) hervorgeht, zahlte er für einen Eimer Pontac 26 Thaler, und das ist viel Geld, wofür man damals sehr guten Wein bekam. Man wird davon ausgehen dürfen, daß auch der Eimer, den Hegel in vorliegendem Brief bestellt, etwa gleichviel wird gekostet haben. Übrigens bestellte Hegel am 8. August 1801 einen Eimer Medoc bei den Erfurtern für 24 Thaler (Brief Nr. 30), was nur 2 Thaler weniger ist, als er für den Pontac zahlte. Damals kostete eine Tonne echter Pontac 2400 Livres,16 das ist umgerechnet etwa 600 Thaler, womit ein solcher Wein auf etwa 54 Thaler pro Eimer käme (1 Tonne Wein ist ca. 800 Liter, bzw. ca. 11 Eimer von je ca. 70 Litern).17 Der erwähnte Margaux kostete die Hälfte eines echten bzw. veritablen Pontacs, was in etwa übereinstimmt mit der 1802 von Hegel bezahlten Summe für seinen Pontac.18 Hegel trank in Jena also nicht irgendwelchen, sondern sehr vorzüglichen Bordeaux. In fast allen Briefen Hegels ist die Bezahlung für seinen Wein in irgendeiner Siehe: Gottfried Christian Bohns Waarenlager, oder Wörterbuch der Produkten- und Waarenkunde. Des wohlerfahrnen Kaufmanns zweyte Abtheilung. 1. Band. Herausgegeben von Gerhard Philipp Heinrich Norrmann. Hamburg 1805. 230. – Siehe auch: Ibid. Band 2. Hamburg 1806. Lemma: Pontac, 378. – Siehe ferner: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet. 12. Band. Herausgegeben von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber. Leipzig 1824. Lemma: Bordeauxweine, 20: „Die schweren dicken Weine von Cahors führen in Teutschland gemeiniglich den Namen Pontac, aber der eigentliche Pontac wächst auf einem kleinen Districte um die Stadt Pontac, ist dunkel von Farbe, pikant von Geschmack, von sanftem Feuer und lieblichem Veilchengeruche; er kömt blos in den königlichen Keller.“ 15 Siehe: Oekonomisch-technologische Encyclopädie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft und der Kunstgeschichte. Von Johann Georg Krünitz. 115. Theil. Berlin 1810. Lemma: Pontac, 101 f. 16 Für eine Übersicht der damaligen Preise für französischen Wein siehe: Johann Riem: Die Getränke der Menschen … A. a. O. 180 f. 17 Der Eimer ist ein Hohlmaß, das bis in die Antike zurückreicht, abgeleitet ist es von der Amphora. Zu den in Thüringen bzw. Erfurt verwendeten Hohlmaßen für Wein siehe: Münzen, Maße und Gewichte in Thüringen. Hilfsmittel zu den Beständen des Thüringischen Staatsarchivs Rudolstadt. Bearbeitet von Dr. Peter Langhof unter Mitwirkung von Jens Beger und Bernd Lippert. Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt. Informationsheft 7. ³2006. 14. 18 Nicht zum Vergleich, sondern nur als Beispiel kostet heute ein Chateau Margaux Grand Cru Classé aus dem Spitzenjahr 2005 etwa 1000 Euro; weniger gute Jahrgänge gibt es schon für 200 Euro (pro Flasche 0,7 Liter). 14

Ein neuer Brief Hegels an die Gebrüder Ramann in Erfurt

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Art und Weise immer ein Problem. Dasselbe Bild lassen übrigens auch die Briefe Goethes an den Erfurter Weinhandel erkennen. Auch er ließ anschreiben und zahlte oft abschlägig.19 Hegels Ausgaben für Wein sind durchaus beträchtlich, besonders in Anbetracht seines ersten akademischen Gehalts in Jena, das 100 Thaler pro Jahr betrug (das war freilich zu wenig, um allein davon einen Haushalt bestreiten zu können).20 Daß er auch später noch beträchtliche Summen für seinen Wein ausgab, bestätigt sein Haushaltsbuch von 1811. Diesem zufolge gibt er in Nürnberg 100 Thaler an Wein aus, das sind fast ein Viertel der gesamten jährlichen Haushaltskosten; nimmt man die anderen Genußmittel wie Kaffee und Schnupftabak mit hinzu – zusammen etwa 50 Thaler –, verbrauchte Hegel fast ein Drittel seines Gesamthaushalts – für 1811 waren das 479 Thaler – für Genußmittel.21

Transkription und Papier Im folgenden liegt eine diplomatische Transkription des Briefes vor, wobei aus drucktechnischen Gründen das überstrichene m und n in mm bzw. nn aufgelöst ist. Antiquaschrift wird in der Transkription in serifenloser Schriftart dargestellt. Der Brief ist geschrieben auf gutem Papier (18,75 cm breit und 23,25 cm hoch). Dem Wasserzeichen zufolge stammt das Papier aus der Moschendorfer Mühle (Bayern bei Hof), die von Johann Albrecht Wunnerlich betrieben wurde. Hegels Gebrauch dieses Papiers ist für die Jenaer Zeit belegt.22 Auf der Briefseite steht unten links in Blei und nicht von der Hand Hegels „G.W.F. Hegel, der grosse Philosoph“ darunter die Zahl „1092“. Die Zahl „250“ oben links ist ein Eintrag des Haverford College. Auf der Adreßseite findet sich in Blei und in anderer Hand als auf der Briefseite der Eintrag „G.W.F. Hegel 20 marks“. Vermutlich handelt es sich hierbei um einen Eintrag von Charles Roberts, der das Blatt für 20 Mark erstanden haben könnte. Über „Gebrüder“ befindet sich ein Abdruck vermutlich eines Stempels mit den leserlichen Buchstaben „R¿¿¿KA“23, daneben eine rote vertikale Linie; auch dies sind später entstandene Vermerke. Siehe dazu: Jochen Klauß: Genie und Geld. Goethes Finanzen. München 2009. 147–150. Siehe die Gehaltsbewilligung vom 24. Juni 1806 in: Hegel: B 4/1, 93. 21 Vgl. das Haushaltsbuch von 1811. – In: Ibid. 181–203; bes. 201. 22 Siehe: Der handschriftliche Nachlaß Georg Wilhelm Friedrich Hegels und die Hegel-Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin–Preußischer Kulturbesitz. Teil 2: Die Papiere und Wasserzeichen der Hegel-Manuskripte analytische Untersuchungen. Herausgegeben von Eva Ziesche und Dierk Schnitger. Wiesbaden 1995. 31 f.; 94. 23 ¿= nicht eindeutig entzifferbarer Buchstabe 19 20

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Briefseite (vgl. Abb 1): Jena 19 Sept 1803

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P.P.

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Die Summe, die ich Ihnen mit einer neuen Bestellung25 zu überschicken bereit gelegt hatte, ist durch eine unvorgesehene Auslage so vermindert worden, daß ich auf eine andere Einnahme warte, um Ihnen einen grössern Belauff mit einemmal zu übermachen; und ersuche Sie mir wieder einen Eymer von dem Pontack, den ich das letzemal von Ihnen erhielt, mit der baldmöglichsten Fuhre26 zu übersenden; ich werde diese oder die nächste Woche Ihnen alsdann einen Saldo überschicken können; ich bin mit aller Hochachtung dero27 gehors. Diener D.28 Hegel

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Adreßseite (vgl. Abb. 2): Jena den.29 19. Sepbr 1803 30 Doct. Hegel.

An Die Herrn Gebrüder Ramann frey in Erfurt P.P. ] Abk. für praemissis praemittendis [d. h. unter Vorausschickung des Vorauszuschickenden, d. h. Anreden, Titel usw.] 25 mit einer neuen Bestellung ] über der Zeile 26 Fuhre ] wahrscheinliche Lesung 27 dero ] möglich auch: dero. 28 D. ] zeitgenössische Abk. für Doktor 29 den. ] aufgelöste Kurznotation 30 Doct. ] Abk. für Doktor 24

Ein neuer Brief Hegels an die Gebrüder Ramann in Erfurt

Abb. 1: Briefseite, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Haverford College (Pennsylvania, USA)

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Abb. 2: Adreßseite

Abb. 3: Wasserzeichen

MISZELLE

pete r kriege l E I N E S C H W E S T E R T R I T T AU S D E M S C H AT T E N Überlegungen zu einer neuen Studie über Christiane Hegel

ab st rac t: Christiane Hegel, H.s unmarried sister, suffered from mental disease in her later years; she committed suicide only a few month after H.s death. Her life, in the shadows of the celebrated philosopher, attracted the attention of interpreters like Derrida and Kimmerle, and unfortunately was the object of suspicious and fanciful stories. In her biography of Christiane, Alexandra Birkert destroys some of these fairy tales and gives us a reliable historical account of Christiane’s private and political life – always with respect to H.

Alexandra Birkerts biographische Nachforschungen1 arbeiten sich an einer notwendigen Paradoxie ab. Zum einen gilt es, Christiane Hegel (geb. 7. April 1773 Stuttgart, gest. 2. Februar 1832, Selbstmord in der Nagold bei Bad Teinach) als eigenständige Person darzustellen, ohne dabei ihr Leben nur in den Schatten ihres Bruders zu stellen. Andererseits würde ihr wohl niemand eine ausführliche Biographie widmen, wenn sie nicht die Schwester des Philosophen gewesen wäre. Das Verdienst dieses Buches besteht im wesentlichen darin, sich dieser Paradoxie wirklich gestellt zu haben. Dies ist aber für den bisherigen literarischen Umgang mit Christiane Hegel alles andere als selbstverständlich. Stigmatisierend und nicht ohne Wirkung schrieb Johannes Hoffmeister: „Das ganze Verhältnis zwischen Christiane Hegel und ihrem Bruder deutet auf einen sehr starken Geschwisterkomplex ihrerseits hin, der die Eifersucht auf Marie Hegel [1791–1855, Hegels Ehefrau, mit ihm verheiratet seit dem 15. Sept. 1811] und schließlich auch ihren Freitod kurz

1 Alexandra Birkert: Hegels Schwester. Auf den Spuren einer ungewöhnlichen Frau um 1800. Ostfildern 2008. 349 S.

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Pete r Kriege l

nach dem Tode des Bruders erklärt.“2 Hoffmeisters Rede von einem Geschwisterkomplex ist ganz auf die Abwertung Christiane Hegels abgestellt. Auch die Studie von Hans-Christian Lucas, der sich im philosophischen Umfeld von Jacques Derridas Buch über Hegel mit dem Titel Glas3 mit Christiane Hegel beschäftigte, kommt nicht wirklich von der Perspektive des Geschwisterkomplexes los, der ganz eigene und dabei unhinterfragte biographische Erfordernisse in die Welt setzt: „Trotz der durch den Bruder erzwungenen Distanz bleibt aber Christiane […] auf Hegel fixiert. – Nach seinem Tod ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie ihrem Leben in der Nagold ein Ende setzt.“4 Aber anders als bei Hoffmeister wird Hegel nun negativ in den unhinterfragt übernommenen Geschwisterkomplex einbezogen. Es war 1974 Jacques Derrida, der anhand der Kritik der Behandlung der Familie innerhalb der Hegelschen Philosophie auf eine aufs Ganze gehende Kritik der spekulativen Philosophie Hegels abzielte. Derridas bewußt als randgängig entworfene, kritische Verfahrensweise akzentuiert dabei im Rahmen der Kritik der Verwandtschaftsverhältnisse besonders die Schwester. Wenn Derrida die Schwester – in eine rhetorische Frage gekleidet – als „l’inconcevable“5, als das „Unbegreifliche“6 bezeichnet, meint er damit, eine prinzipielle Grenze der Art von Vernunft aufzeigen zu können, die Hegel entwerfe. Nach Derrida bringt Hegel mit seiner Auffassung von der Schwester, die außerhalb des begehrenden Geschlechterverhältnisses als Person den Bruder anerkennt und von ihm anerkannt wird,7 eine verdeckte Alternative zu seiner eigenen systemtragenden Konzeption eines Kampfes um Anerkennung hervor: Die Anerkennung der Schwester als Andere des Anderen entziehe sich der Instabilität jener Anerkennungsform, die auf einem permanenten Kampf beruhe8 und mit dem Anderen nur als sein entgegengesetztes Anderes in Beziehung trete. Aber Hegel verfolge demgegenüber nur seinen Systemgedanken weiter: Aus der Sicht von Derridas antisystematischer Strategie der Hegel-Kritik deuten sich dann einseitige Abhängigkeiten, um nicht zu sagen desaströse Folgen an: „Mit dem Bruder […] geht die Schwester ein positives, aber nicht natürliches Anerkennungsverhältnis ein. Sie hängt von ihm in ihrem Fürsich ab.“9 Dabei hatte es bei Hegel selbst auf Gleichheit abzielend geheißen: Die „beyden Verhältnisse [(1) von Mutter und Vater und (2) von Eltern und Kindern, P. K.] bleiben

2 3 4

Siehe: B 2, 374. Paris 1974 (frz.), München 2006 (dt.). Siehe: Hans-Christian Lucas: Zwischen Antigone und Christiane. – In: Hegel-Jahrbuch 1984/85.

431. 5 6 7 8 9

Siehe: Jacques Derrida: Glas. Paris 1974. 170 (linke Spalte). Siehe: Jacques Derrida: Glas. München 2006. 168. Siehe: Hegel: GW 9, 246 f. Siehe: Jacques Derrida: Glas (1974), 168; Glas (2006), 166. Siehe: Jacques Derrida: Glas (1974), 184; Glas (2006), 182.

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innerhalb des Uebergehens und der Ungleichheit der Seiten stehen, die an sie vertheilt sind. – Das unvermischte Verhältnis aber findet zwischen B r u de r und S ch we s te r statt. Sie sind dasselbe Blut, das aber in ihnen in seine R u h e und G l e i c h g ew i c h t gekommen ist. Sie begehren daher einander nicht, noch haben sie diß Fürsichseyn eins dem andern gegeben, noch empfangen, sondern sie sind freye Individualität gegeneinander.“10 Derridas Angriff auf Hegels System der Philosophie inszeniert sich auch als ein investigativ motivierter Übergang zur Heranziehung des Biographischen, um zu belegen, daß weder Hegel als Person noch die Subjektivität des Ganzen seiner Philosophie in der Lage seien, die von ihm selbst in Aussicht genommene reelle Anerkennung von Bruder und Schwester gegeneinander zu realisieren; damit wird implizit zum einen der Hegelschen Philosophie bestritten, daß es ihr wirklich ernst sei mit den freien Individualitäten, und zum anderen kommt der Griff ins Biographische dabei so konstruktiv und selbstgewiß daher, daß es sich nahelegt, diesen erst recht gegenkritisch zu hinterfragen. Das gilt gerade auch angesichts der an sich immer brüchigen Einheit von Werk und Person, die Derrida trotzdem nicht davon abhält, Hegel aufgrund der Systemform seiner Philosophie unterschwellig verantwortlich zu machen für eine Fremdheit seiner Schwester gegenüber, welche Fremdheit sich dann nur als strukturell verfehlter Eingriff in deren Leben realisieren kann. Eine Gegenkritik erweist sich als um so notwendiger, wenn man zudem bedenkt, daß Derrida in seiner Hegel-Kritik sich nicht unwesentlich von seiner Rekonstruktion des konkreten Bruder-Schwester-Verhältnisses zwischen Christiane und ihrem Bruder abhängig macht. Der gangbare und an sich legitime Weg, sich Hegel und seiner Schwester Christiane auch als historischen Individualitäten zu nähern, wird durch Derridas Verfahren, das er selbst als eines der ‚Differance‘ vorstellt, mehr verstellt als geöffnet. Die Gestimmtheit der ‚Differance‘, sich gegen die fixierten Identitäten der Differenz – auch des Geschlechterverhältnisses – geltend zu machen, schützt sie in Glas nicht davor, sich einer wie auch immer spielerischen, aber dennoch bestimmt werdenden, medialen Konsequenzmacherei zu bedienen, die sich in ihrer Notwendigkeit in fiktive biographische Realitäten verläuft. Das bestätigt sich, wenn Heinz Kimmerle, Derrida folgend, mit Nachdruck hervorhebt, was im Resultat für das Verhältnis von Christiane zu ihrem Bruder zu gelten habe: „Das Geschlechtsverhältnis zwischen Mann und Frau [bei Hegel, P. K.] bleibt oppositionell. Das bestätigt sich in Hegels Umgang mit Christiane, die ihn bedingungslos liebt, und die er deshalb innerlich und äußerlich auf Distanz zu halten sucht. Der gesamte Briefwechsel, der dies dokumentiert, ist in Glas abgedruckt.“11 Erstens findet sich bei Derrida nur eine hinterfragbare Auswahl des 10 11

Siehe: Hegel: GW 9, 247. Siehe: Heinz Kimmerle: Derrida zur Einführung. Hamburg 31992. 64.

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angesprochenen Briefwechsels. Zweitens geschieht dies nicht kommentarlos: „Im November 1815 in einem Briefentwurf von Christiane an Hegel: ‚[…] ich habe Eure Hausordnung gestört, das ist mir sehr leid, nicht Euern Hausfrieden, dies beruhigt mich […].‘ Christiane läßt sich daraufhin nahe bei ihrem Vetter, dem Pfarrer Göriz, nieder.“12 Derrida selbst redet nicht direkt von einer durch Hegel erzwungenen Ferne Christianes, aber er legt dies durch die denkwürdig unkritische Komposition der zitierten Stelle mehr als nahe, indem das von ihm gebrauchte Wort „daraufhin“ jedenfalls ein solches Verständnis des Vertriebenwordenseins kontextuell eher vorbereitet als dementiert. Kimmerle und Lucas nehmen dies im Sinne des besagten Zwanges einfach auf. Lucas hält dann Derridas Spur folgend dafür, daß Christianes unbegreifliche, sich der Differenz entziehende Schwesterlichkeit für Hegel und seine Philosophie eine unbewußt wirkende Grenzziehung andeutet, die letztlich gegen Hegels „phallokratische Vernunft“13 gerichtet gewesen sei, wobei dann wieder unbestimmt auf die erzwungene Ferne als Beleg zurückverwiesen werden kann. Solch ein zirkelhaftes Verfahren ermöglicht es weder über Vernunftmodelle zu streiten, noch nützt es der notwendigen Rekonstruktion von Biographien. Auch Heinz Kimmerle folgt nicht kritisch der Spur, was denn Derrida da überhaupt „dokumentiert“. All das Aufnehmen Derridas durch Lucas und Kimmerle weist hinter Derrida zurück auf den Geschwisterkomplex Hoffmeisters, der hier einer Umwertung gegen Hegel unterzogen wird, ohne daß er dabei von Derrida, Lucas oder Kimmerle daraufhin hinterfragt wird, ob es ihn denn überhaupt gegeben hat. So jedenfalls tritt die Beschäftigung mit Christiane Hegel nicht aus dem Schatten Hoffmeisters heraus. Dies ist um so mißlicher, als es nicht auszuschließen ist, daß negative Urteile über Christiane Hegel – sozusagen im Vorfeld des Geschwisterkomplexes Hoffmeisters – zurückgehen auf eine, vielleicht sogar absichtsvolle Familientradition, die aber erst nach Hegels Tod einsetzte; nachweislich hatte Hoffmeister Kontakt mit den Nachfahren der Familie Hegels. Alexandra Birkert bietet jedenfalls eine kritische Erklärung für die negativen Urteile der Familie über Christiane nach ihrem Tod an, von der noch zu reden sein wird. Erst eine wirkliche biographische Forschung eröffnet den Weg zu Christiane Hegel. Damit soll dennoch nicht bestritten werden, daß dabei auch Hegel selbst kritisch in den Blick gerät, wie könnte es auch anders sein; aber gegen die zu problemlos eingängigen Konstruktionen und Traditionen des Geschwisterkomplexes gilt es sowohl Christiane als auch ihren Bruder freizusetzen (12; 250 f.). Auch die Diskussion der Beziehung zwischen Hegels Leben und Hegels Philosophie gewinnt dadurch, weil ihr das falsch psychologisierende Joch der bloßen Beziehungsunmittelbarkeit der versagenden Schwester oder des versagenden Bru12 13

Siehe: Jacques Derrida: Glas (1974), 200; Glas (2006), 198. Siehe: Hans-Christian Lucas: Zwischen Antigone und Christiane. A. a. O. 436.

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ders genommen wird. Das zu kommentierende Buch von Alexandra Birkert ist ein entscheidender Beitrag zur Klärung der Situation zwischen Christiane und Wilhelm, wie Hegel in seiner Familie genannt wurde. Alle, die sich demnächst – aus welcher Perspektive auch immer – mit Christiane Hegel und ihrem eigenen sozialen Umfeld beschäftigen, werden an die Recherchen dieses Buches anknüpfen müssen. Daß Christiane Hegel in bezug auf ihren Bruder so betont als Schwester herausgestellt wird, hat seinen Grund darin, daß sie unverheiratet und kinderlos blieb. Das Verhältnis der Geschwister Hegel zueinander, zu denen noch der jüngere Bruder Ludwig (24. Mai 1776–1812 [in Rußland auf Seiten Napoleons und des württembergischen Königs gefallen]) gehörte, erhielt früh eine eigene tragische Qualität dadurch, daß am 20. September 1783 ihre Mutter einer Epidemie zum Opfer fiel; sie starb an Typhus. Hans Friedrich Fulda sieht Christiane nun zur „Hausfrauen- und Ersatzmuttertätigkeit“14 gedrängt. Durch ihre „allmählich neurotisch werdende[] geschäftige[] Fürsorglichkeit“15 habe sich dann jener Lebenslauf vorgezeichnet, der Christiane ganz auf ihren Bruder fixiert habe. „So verschmilzt das Schicksal des Bruders in ihrem Erlebnishorizont mit dem eigenen, um Kindheit und Jugend betrogenen Leben, wird aber durch Hegels Erfolg zum grausamen Problem für sie. Sie wird manisch depressiv oder ‚gemütskrank‘, wie man sagte. … Aber man verkenne den grausamen Mechanismus nicht, der da am Werk ist: Im Jahr nach dem plötzlichen Tod ihres großen Bruders wird Christiane Hegel sich das Leben nehmen.“16 Solchen unkritischen Fortschreibungen des schon sattsam bekannten Geschwisterkomplexes widerspricht die Autorin zum einen umfassend durch die Rekonstruktion von Christiane Hegels Lebenslauf und ihres Selbstmordes und zum anderen insbesondere durch ein eigenes Kapitel über Christianes Krankheit (250–264; gegen Fulda: 251, 263). Im folgenden können nur einige wichtige Punkte der umfassenden Rekonstruktion des Lebens von Christiane Hegel durch Alexandra Birkert hervorgehoben werden:

Das Leben Christiane Hegels in Stuttgart 1773–1801 und 1821–1831 Christiane Hegel war es zeitbedingt als Mädchen und Frau generell nicht möglich, eine offizielle höhere Bildung zu erwerben. Um so erstaunlicher ist es, wenn sie als Erwachsene nicht nur in Hausarbeiten, wie Nähen und Stricken, Unterricht erteilt, um eine ökonomische Selbständigkeit zu erreichen, sondern 14 15 16

Siehe: Hans Friedrich Fulda: G. W. F. Hegel. München 2003. 277; ebenso 30. Ibid. 277. Ibid. 277 f.

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sie konnte auch so ausgezeichnet Latein und Französisch, daß sie insbesondere im Französischen Privatunterricht erteilte (266). Sie ist ihrem Geburtsort Stuttgart so verbunden, daß sie vom August 1821 bis Dezember 1831 wieder dort lebte, bevor sie zu einer Kur nach Bad Teinach abreist. Karl Rosenkranz erzählt: „Sie hatte sich nie verheirathet. Einen ihrer wärmsten Verehrer, Gotthold, hatte sie aus vielleicht zu peinlichen Rücksichten ablehnen zu müssen geglaubt. Er war, ohne seine Liebe zu ihr je aufgegeben zu haben, fern von ihr unverheirathet gestorben. […] Sie verfertigte viel Gedichte […]; einige derselben worin sie ihre Liebe irdisch begräbt, um sie in den ewigen Himmel der Erinnerung hinüberzuheben, sind wahrhaft schön. In ihren Gedichten liebte sie, wie ihr Bruder, den Schiller’schen Ton.“17 Die Gedichte sind nicht überliefert, obwohl es möglich wäre, daß einige – den damaligen Gepflogenheiten gemäß – anonym gedruckt wurden. Alexandra Birkert ermittelt als den Verehrer – wenn auch aufgrund der unzureichenden Quellenlage nicht mit letzter Sicherheit – den Advokaten und Dichter Gotthold Stäudlin (1758–1796). Nachdem C. F. D. Schubart am 10.10.1791 gestorben war, übernahm Stäudlin seit Oktober 1792 als alleiniger Herausgeber dessen Vaterlandschronik, aber diese wurde im März 1793 vom Reichshofrat in Wien verboten. Dies entzog Stäudlin seine ökonomische Lebensgrundlage; er wurde zwar nicht ausdrücklich des Landes verwiesen, obwohl die württembergische Regierung ihn ausdrücklich dazu aufforderte, aber nach dem Tod seines Vaters im Mai 1794 mußte er vor seinen Gläubigern fliehen. Er hielt sich zunächst in dem Städtchen Nagold auf, also an dem Fluß, in dem Christiane Hegel 1832 Selbstmord beging. Versuche, von Lahr aus mit einer neuen Zeitschrift Klio Fuß zu fassen, scheiterten schon 1795. Im September 1796 beging er Selbstmord in der Ill bei Straßburg. Sowohl das Verbot der Chronik als auch die Weigerung des Württembergischen Herzogs, in Stäudlins Fall einer Schuldenstundung zuzustimmen, haben politische Gründe. Gotthold Stäudlin war ein begeisterter Anhänger der Französischen Revolution. Die angesprochenen Familienrücksichten, die Christiane Hegel in dieser Rekonstruktion dazu brachten, ihren Verehrer abzuweisen, gehen am ehesten zurück auf die Polarisierungen, die Gotthold Stäudlins Fall in Stuttgart auslöste; einigen galt er als politisch diskreditiert und aufgrund seiner Schulden als jemand, der seine Familie ruinierte. Rosenkranz überliefert über Christiane Hegels Entscheidung, ihren Bewerber abzulehnen: „Seit dieser Zeit nagte ein tiefer Schmerz an ihrem Leben […].“18 Hegel selbst hatte 1793 zu Stäudlin ein ausgesprochen gutes Verhältnis. Stäudlin hatte – über Schiller – versucht, Hegel die Hofmeisterstelle bei Charlotte von Kalb zu vermitteln, die dann Hölderlin antrat, während Hegel sich für die Schweiz entschied und Hofmeister in Bern wurde – eine 17 18

Siehe: Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben. Berlin 1844. 424 f. Siehe: Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben. A. a. O. 425.

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Stelle, die ihm sein Jugendfreund August Hauff (1772–1809) vermittelte. In diesem Stuttgarter Beziehungsgeflecht nun aber erscheint Christiane Hegel nicht nur als Privatperson, Tochter, Schwester, mögliche Braut etc., sondern auch als politischer Mensch. Als Justinus Kerner 1849 seine Lebenserinnerungen veröffentlichte, taucht darin Christiane Hegel als Kassiberschmugglerin für einen politischen Gefangenen auf der Festung Hohenasperg bei Ludwigsburg auf. Dieser Gefangene, der schon genannte August Hauff, der Vater des Dichters Wilhelm Hauff (1802–1827), dessen Patin dann Christiane Hegel wurde, war Anfang 1800 im Rahmen der sog. Jakobinerverfolgung in Württemberg inhaftiert worden. Auch wenn August Hauff schon im Mai 1800, dem Zeitpunkt, als der württembergische Herzog Friedrich I. vor den Franzosen aus Stuttgart floh, wieder freikam, verweist die Jakobinerverfolgung insgesamt darauf, daß es nach 1792, dem Beginn des 1. Koalitionskrieges gegen das revolutionäre Frankreich, das zur Republik wurde, im deutschen Südwesten Bestrebungen gab, auch Württemberg – im Schutz der französischen Außen- und Kriegspolitik – zur Republik, oder gemäßigter: zu einem Verfassungsstaat zu machen. Gleichzeitig aber markiert diese Jakobinerverfolgung das vorläufige Ende der Verfassungsbestrebungen in Württemberg. Die Folgen für Christiane Hegel faßt die Autorin so zusammen: „Hegels tatkräftige Unterstützung der württembergischen Revolutionäre im Spätsommer 1799 macht, mit Blick auf Christianes Lebensgeschichte, vor allem eines deutlich: Als sein Frankfurter Kurierdienst Ende März 1800 in der Stuttgarter Jakobineruntersuchung aufflog, geriet seine Schwester in eine äußerst schwierige Situation. Hier dürfte nicht nur das Initialerlebnis für Christianes spätere Psychose zu suchen sein, die sich bezeichnenderweise in der zwanghaften Vorstellung äußerte, als verschnürtes Postpaket verschickt zu werden. Hegels Engagement dürfte auch den letzten Ausschlag gegeben haben, dass Christiane im Spätsommer 1801 Stuttgart, ja Württemberg verließ. Sie war keineswegs die einzige, die sich damals mit Emigrationsgedanken trug […].“ (123) Die politische Haltung Christiane Hegels gilt es also in bezug auf das Verhältnis zu ihrem Bruder weiterzuverfolgen. Sie tritt damit aus dem Schatten des bloßen Schwesterseins, auf das von Hoffmeister bis Derrida vornehmlich abgehoben wird, heraus.

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Exkurs: Hegel in Frankfurt und der revolutionäre Brief des Leutnants Penasse an Emmanuel Joseph Sieyès vom Spätsommer 1799 Daß Hegels Name in den württembergischen Untersuchungsakten zur sog. Jakobinerverfolgung genannt wurde, war seit längerem – wenn auch kaum wahrgenommen – bekannt.19 Doch erst Alexandra Birkert gelingt es, den Kontext weiter aufzuklären. Carl Friedrich von Penasse (1773–1846), der mit Hegels Bruder Ludwig gleichzeitig Student an der Stuttgarter Carlsschule war und Jura studierte, trat 1797 in den württembergischen Militärdienst ein. In den Untersuchungsprotokollen von 1800 gibt er an, „von je her eine Vorliebe vor demokratische Regierungsverfassungen“ (115) gehabt zu haben. Im Spätsommer 1799 hatte sich Penasse schriftlich an Sieyès gewandt, als dieser in das Direktorium eintrat; das war offiziell Landesverrat und konnte nicht mit der normalen Post geschehen. In einem Brief vom 20. März 1800 an die Untersuchungskommission faßt Penasse den Inhalt dieses Briefes an Sieyès kurz zusammen. Er sieht „den Geist der fränkischen Revolution, als auch das Sistem“ der fränkischen „Regierungsverfassung“ ganz darauf ausgerichtet, „dem alten RegierungsSistem auf immer den Krieg“ anzukündigen. Sieyès solle „den Hauptpunkt“ der französischen „Kriegsoperationen auf Teutschland“ legen und nicht auf Italien, denn „Schwaben“ sei als ein „durch seine Cultur, Charakter und kriegerischen Geist seiner Einwohner vorzüglicheres Land“ weit eher „zur Freiheit“ bestimmt; es sei bisher bloß „mit einer Abneigung gegen das fränkische undisziplinierte Heer beseelt“ (sämtliche Zitate 122). Im Grunde wird hier die Konzeption eines revolutionären Krieges vertreten, dabei muß man allerdings einbeziehen, daß auch gemäßigtere politische Optionen, die nicht auf eine Republik, sondern eher auf eine Art konstitutioneller Monarchie abzielten, wie sie im Umfeld der sich auf ein ‚altes Recht‘ berufenden Opposition der traditionellen Landstände gegen den württembergischen Herzog angedacht waren, auch auf französische Hilfe von außen angewiesen gewesen wären. Der Aufstieg Napoleons nach 1799 verabschiedete dann den republikanischen Revolutionskrieg zugunsten einer kriegerischen Konzeption von französischer Vorherrschaft, in der der bald ausgearbeitete Code Napoleon zwar wirksam war, aber nicht unbedingt i. S. einer Beförderung der freien Nationenbildung anderer. Napoleon rettete letztlich den württembergischen Herzog vor der Opposition im eigenen Lande und machte ihn 1806 auch zum König von Württemberg. Im Spätsommer 1799 hegte Penasse allerdings noch Pläne zu einer süddeutschen Republik. In einem Verhör Penasses, das um den 20. März 1800 stattfand, fällt dann Hegels Name. Um den Brief illegal und unerkannt nach Frankreich befördern zu können, sei er über einen Magister Hegel in Frankfurt geleitet worden. Daß Hegel, der selbst 19

Siehe: Hellmut G. Haasis: Gebt der Freiheit Flügel. Band 2. Hamburg 1988. 825.

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mit den Verfassungsdebatten in Württemberg nach 1796 vertraut war und nur auf Anraten von bis heute unidentifizierten Freunden davon abgehalten wurde, selbst publizistisch einzugreifen, etwa den Inhalt des von ihm weitergeleiteten Briefes nicht hätte gekannt haben sollen, erscheint mehr als unwahrscheinlich. Man muß sogar danach fragen, ob nicht etwa Penasse einer dieser politischen Freunde gewesen sei, zumindest waren der unbekannte politische Freundeskreis oder sogar die unbekannten politischen Freundeskreise Hegels in bezug auf Penasse so wenig konspirativ, daß ihm Hegels Name bekannt war. Man muß also erwägen, ob Hegel nicht selbst 1798–1800 Anhänger einer politischen Konzeption des revolutionären, republikanischen Krieges war, der in Deutschland, das für ihn kein Staat mehr war, eine unabhängige Staatsgründung anstoßen sollte. Das Original des Briefes von Penasse wurde bisher nicht aufgefunden; von einer möglichen, aber unwahrscheinlichen Antwort von Sieyès ist ebenfalls nichts bekannt. Mit der Namensnennung Hegels erklärt sich dann aber auch, warum die Autorin Christiane Hegel in Sorge um ihren Bruder sieht; andere Verdächtige landeten als Gefangene des Herzogs nicht nur auf dem Hohenasperg, sondern wurden von ihm auf seiner Flucht im Mai 1800 aus Stuttgart mitgenommen. Erst der Frieden von Luneville 1801, der den Herzog zum Verbündeten der Franzosen machte, erzwang durch die Franzosen eine Amnestie aller politischen ‚Verbrechen‘ in Württemberg seit 1789.

Christiane Hegels Leben zwischen 1801 und 1821 und ihr Aufenthalt in der Staatsirrenanstalt Zwiefalten 1820/21 Von 1801 bis Juli 1814 war Christiane Hegel die Gouvernante der Kinder von Joseph von Berlichingen (1759–1832) und seiner Frau Sophie (1770–1807). Es handelte sich um fünf Töchter, die zwischen 1793 und 1803 geboren waren. Aus erhaltenen Antwortbriefen Hegels an seine Schwester von 1814 geht hervor, „dass sie nicht bloß eine Untergebene“ (165) gewesen ist, sondern man habe ihr die Kinder „anvertraut“ (165), somit – schreibt Hegel an Christiane – war „[d]eine Stellung […] ein Amt, das Du nach Deinem eigenen Wissen und Gewissen zu verwalten“ (166) hattest, was insbesondere für die Zeit nach dem Tod der Mutter gegolten hat. Sie wurde so zu einer Art von Ersatzmutter, was Joseph von Berlichingen in einem späteren Dankschreiben an Christiane Hegel indirekt anerkennt: „Ich misskenne nicht, was Sie an den Kindern geleistet haben; abgesehen von dem Wissenschaftlichen, haben Sie ihnen eine strenge Moralität und unbefangene Heiterkeit beigebracht […].“ (163) Christiane Hegel war also nicht nur als Erzieherin tätig, sondern übernahm auch die Aufgaben einer Lehrerin, wozu u. a. die Grundlagen in Latein und Französisch gehörten. Sie war seit ihrer Stuttgarter Zeit mit den Problemen der Mädchenbildung

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vertraut. 1786–1790 hatte Jakob Friedrich Abel (1751–1829), der an der Carlsschule Philosophieprofessor war und auch Hegel privat unterrichtete, öffentliche Vorlesungen nur für Mädchen und Frauen gehalten, um wie er später in seinen Lebenserinnerungen schrieb, „Frauenzimmer von Stand eine höhere als die gewöhnliche Bildung zu geben.“ (44) Eingedenk dessen, daß Christiane Hegel noch in den 1820er Jahren in Stuttgart mit Abel in einem freundschaftlichen Verhältnis stand, ist es alles andere als unwahrscheinlich, daß sie schon in ihrer Jugend auch seine Vorlesungen hörte; was dann aber auch die Grenzen dieser anvisierten Bildung aufzeigt, denn offiziell akademisch gebildete Lehrerinnen gab es noch nicht. Was die Beendigung des Arbeitsverhältnisses angeht, so schrieb Joseph von Berlichingen 1814 an Christiane Hegel: „Ihre Gesundheit ist von der Art, dass ihr Anstrengung schädlich wird, daher kann das fernere Unterrichten der Kinder nicht mehr wohl Ihre Sache sein […].“ (173) Sie war also körperlich und geistig erschöpft, daran hatte auch die neue Stiefmutter im Hause Berlichingen ihren Anteil, dabei kamen auch Standesunterschiede zum Tragen. Insofern ist die Vertrauensstellung, die Christiane Hegel in der Familie von Joseph von Berlichingen einnahm und die dieser anerkannte, ein Glücksfall für sie, da er ihr nun, was zwar üblich war, aber wozu er rein rechtlich nicht gezwungen gewesen wäre, eine Rente von 100 Gulden aussetzte. Dies ist eine Summe, die aber allein zum Leben nicht ausreicht. Christiane Hegel war zeitlebens darum bemüht, soweit ihr dies gesundheitlich möglich war, durch Lehrtätigkeiten selbst etwas zu verdienen; das war später in Aalen von 1815 bis 1820 so und auch nach 1821 in Stuttgart. Sonstige Einkünfte bezog sie aus ihrer Erbschaft. Je älter sie wurde, desto regelmäßiger und selbstverständlicher wurde sie durch Hegel unterstützt. Von Juli bis November 1815 kam es in Nürnberg zu einem letzten Wiedersehen der Geschwister Hegel. Nachdem Christiane Hegel ihre Tätigkeit als Gouvernante aus gesundheitlichen Gründen hatte aufgeben müssen, bot Hegel ihr noch im April 1814 an, „auf immer“ (184) zu ihm und seiner Familie zu ziehen. Doch im Juli 1815 redet Hegel Niethammer gegenüber nur von einem „Besuch“ (184) Christianes. Zum einen war sie zu krank, um – wie zunächst geplant – der Familie Hegels mit ihren zwei kleinen Kindern eine Hilfe sein zu können, andererseits zeigte sich, wie weit sich die Geschwister zwischenzeitlich auseinandergelebt hatten. Alexandra Birkert macht dies nicht unwesentlich am Politischen deutlich. Christiane Hegels Aufenthalt in Nürnberg fällt zeitlich zusammen mit dem Höhepunkt des württembergischen Verfassungskampfes von 1815. Rosenkranz berichtet, daß sich bei Hegels Schwester „eine lebendige Theilnahme für die Württemberger Kammerverhandlungen“20 zeigte. Denkt man daran zurück, (1) daß die württembergische Opposition in den 1790er Jah20

Siehe: Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben. A. a. O. 425.

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ren auch von den traditionellen Landständen, die ein ‚altes Recht‘ einforderten, getragen wurde, (2) daß der radikalere Flügel dieser Opposition republikanisch und damit antimonarchisch gesinnt war und (3) daß dies das gesellschaftliche Milieu war, in dem Christiane Hegel politisch sozialisiert wurde, und nimmt man (4) hinzu, daß sie am Beispiel der von Berlichingen mitbekommen hatte, wie der württembergische König im Zuge der Auflösung der Reichsunmittelbarkeiten sein Territorium um die angrenzenden Fürstentümer fast verdoppelte, ohne die alte landständische Verfassung auf Neuwürttemberg zu erweitern, so werden Differenzen zu Hegels sog. Zweiten Württemberg-Schrift deutlich, wo er gegen die Landstände die Partei des Königs ergreift. Diese Differenzen scheint auch Rosenkranz andeuten zu wollen, wenn er die „lebendige Theilnahme“ Christiane Hegels auf die „Kammerverhandlungen“ bezieht, gerade in denen aber wurde dem König Opposition gemacht. Dennoch kann von einem dauerhaften Zerwürfnis der Geschwister oder gar von einer erzwungenen Ferne Christianes durch Hegel keine Rede sein. Der Autorin gelang es, Kinderbriefe von Hegels Söhnen von 1821 an ihre Tante Christiane aufzufinden. Der achtjährige Karl (1813–1901) schrieb: „[…] und reise mal zu uns hieher es ist recht schön in Berlin“ (193) – wozu es dann bis zu Hegels Tod nicht mehr gekommen ist. Erst wenn man die Sichtweise des Geschwisterkomplexes hinter sich gelassen hat, wird die eigentlich dramatische Geschichte der Geschwister Hegel sichtbar. Marie Hegel, Hegels Ehefrau, kam offensichtlich nach dem Selbstmord von Christiane Hegel in den Besitz ihres Nachlasses, auf einem Briefkonzept von Hegels Schwester notierte sie mehr als 16 Jahre zurückschauend: „Sie hatte uns Gemüthskrank verlassen.“ (189) Gemeint war damit Christiane Hegels Abreise aus Nürnberg im November 1815. Aber Alexandra Birkert hat da ihre Bedenken, weil das betreffende Briefkonzept Christiane Hegels eine andere Sprache spricht. Christiane Hegel entschied sich, nicht nach Jagsthausen, dem damaligen Wohnsitz der von Berlichingen zurückzukehren, sondern zu ihrem Vetter Louis Göriz nach Aalen zu gehen: „Aalen ist im Ganzen nicht mehr als ein großes Dorf und (ich) kann dahier ruhig und ohne Zwang leben.“ (190) Ein solche bewußte Lebensplanung spricht gegen eine wirkliche ‚Gemütskrankheit‘. Bisher wurde, um ein zerrüttetes Verhältnis zwischen Christiane und Marie Hegel zu belegen, meistens auf ein Briefkonzept von Louis Göriz von 1820, als Christiane Hegel wirklich psychisch so krank war, daß sie in die Staatsirrenanstalt Zwiefalten kam, Bezug genommen, in dem – ihre Ankunft in Aalen 1815 betreffend – die Rede davon ist, daß sie „entzweyt“ mit sich selbst „Tage lang laut jammernd und schreyend auf unserm Sopha“ lag und „wie ein tiefer Haß gegen Deine Schwägerin – eine hohe Unzufriedenheit mit Deinem Bruder […] der fortdauernde […] Gegenstand Deiner Gespräche war […].“ (189) Aber diese Darstellung von Göriz, in der er selbst dann als hilfsbereiter und aufmunternder Verwandter

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erscheint, wird in der Überlieferung durchkreuzt durch einen von der Autorin neu aufgefundenen Brief Christiane Hegels an Wilhelm Christian Neuffer, einen alten Studienkollegen Hegels und nun Pfarrer, vom 25. Oktober 1815, also noch von Nürnberg aus, in dem es heißt: „Meinem Bruder geht es recht gut hier, er hat eine äußerst liebenswürdige Frau und gesunde Kinder, er freute sich sehr Ihres Bedenkens […].“ (192) Das spricht nicht für zerrüttete Verhältnisse. Den eigentlichen Ausschlag gibt dann aber der Umstand, daß Göriz Christiane Hegel schlecht behandelte und sie wohl auch finanziell übervorteilte. Damit nutzte er das Vertrauen aus, das Hegel ihm entgegenbrachte und das sich auch daran zeigte, daß Hegel ihn im März 1820 „mit förmlicher vormundschaftlicher Vollmacht“ (222) für seine Schwester ausstattete, als diese schon Anzeichen einer psychischen Erkrankung zeigte. Es muß Christiane Hegel einige Mühe gekostet haben, ihrem Bruder massiv klar zu machen, daß Göriz unzuverlässig war. Diese Briefe sind nicht erhalten, aber am 12.8.1821, d. h. um die Zeit, als seine Schwester die Staatsirrenanstalt gerade wieder verläßt, um sich aufgrund ihrer eigenen Entscheidung in Stuttgart niederzulassen, schreibt Hegel ihr: „Daß Du nicht wieder in ein Verhältnis mit dem Dekan Göriz kommen kannst, – es scheint mir immer mehr, daß dies Verhältnis die Ursache Deiner Krankheit gewesen –, versteht sich nach Allem, was Du mir geschrieben, von selbst.“ (224; vgl. 215) Göriz hatte Christiane Hegel in dem schon zitierten Briefkonzept nicht nur „Herrschsucht, Anmaßung, […] Geiz; Bosheit und Verdorbenheit des Herzens“ vorgeworfen, sondern auch „Ansprüche auf Gelehrsamkeit“ (263); das beleuchtet mehr, welchem Druck Christiane Hegel bei Göriz in Aalen ausgesetzt war, als daß er mit einer solchen entfremdenden Charakterisierung dauerhaft bei ihr oder ihrem Bruder durchgedrungen wäre. Dadurch bedingt, daß Hegel erkennen mußte, daß sein jahrelanges Vertrauen in Göriz seiner Schwester geschadet hatte, sieht die Autorin, wenn man schon von einem Komplex Hegels seiner Schwester gegenüber sprechen wolle, dann einen Schuldkomplex aufkommen, der zu einer „auffälligen Fürsorglichkeit Hegels und seiner Frau Marie“ (199; vgl. 242) Christiane Hegel gegenüber führte. Bei Christiane Hegel dürfte dies trotz allem dennoch zu zusätzlicher Distanz geführt haben. Aufgrund der Unzuverlässigkeit der Nachrichten von Göriz über Christiane Hegels Krankheit und der möglicherweise eben durch diese Nachrichten getrübten Erinnerung von Marie Hegel, daß Christiane Nürnberg im November 1815 ‚gemütskrank‘ verlassen habe, ist es fraglich, ob Hegel selbst seine Schwester jemals krank gesehen hat. Leider macht die Autorin diese Problematik nicht explizit zum Thema. In einem Brief vom März 1820 Hegels an Göriz, als also Hegel noch Vertrauen zu ihm hatte, heißt es: „Von dem frühern Anfall, der sie befiel, wie sie noch bei Herrn von Berlichingen war, ist sie doch wieder in kurzer Zeit genesen; aber sie hatte freilich eine unglückliche, gereizte Stimmung davon behalten […].“ (220) Nirgends in der verbliebenen Überlieferung argu-

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mentiert Hegel gegenüber seinen Briefpartnern, auch nicht Christiane selbst gegenüber, so, als sei sie in Nürnberg akut krank gewesen; d. h. er ist letztlich auf die Nachrichten dritter angewiesen, um sich ein Bild von ihrer Krankheit zu machen. Nun paßt aber die Beschreibung, die Göriz in dem schon zitierten Briefkonzept von Christianes psychischer Krise Ende 1815/Anfang 1816 gibt, daß sie „jammernd und schreyend“ ihrer „Unzufriedenheit“ Ausdruck verlieh, mehr zu einer Rasenden und Tobenden als zu der Diagnose, die der Irrenarzt Dr. Elser im Juni 1820 in Zwiefalten stellte: „Nach der Äußerung des Arztes besteht ihre Krankheit in einem stillen melancholischen Wahnsinn, daher glaubt er auch, dass er zur Heilung derselben keine besondere Zwangsmittel werde nötig haben […].“ (253; vgl. 255, 262) Und in der Tat war Christiane Hegel nie Zwangsmitteln wie Isolierung, Einsperrung oder Fesselung ausgesetzt. Hegels Hinweis, daß sie schon einmal schnell genesen sei, weist da in die richtige Richtung, denn nach ihrer Entlassung im August 1821 gelang es ihr relativ schnell, wieder in die Stuttgarter Gesellschaft integriert zu werden. Überhaupt ist sie nie offiziell in die Staatsirrenanstalt eingewiesen worden, sie war dort nur Privatpatientin. Es muß sogar vermutet werden, daß sie nie entmündigt wurde, denn ihre Diagnose spricht dagegen, daß ärztliche Gutachten eine solche überhaupt befürwortet hätten (241). Im März 1820 verließ sie Aalen und ihren Vetter Göriz und begab sich zu den Berlichingen in Jagsthausen. Da ihre Geistesverwirrung offenkundig war, dachte Josef von Berlichingen zunächst an eine Privatpflege und verständigte Hegel in Berlin, der völlig überrascht war. Christiane war zunächst in Neuenstadt für kurze Zeit in Privatpflege, ging dann nach Stuttgart, um dann am 20. Mai 1820 in Zwiefalten anzukommen. Hegels Briefe erreichten sie ob der schnellen Ortswechsel nicht. Sie formulierte später, daß ihr Bruder sie im Stich gelassen habe (229) und meinte damit mehr als die verpaßten Briefe. In ihrem von der Autorin neu aufgefundenen Kassenbuch notiert Christiane Hegel nach ihrer Entlassung: „Von H. Dekan M. Göriz wurde ich vom May 1820 bis auf den August 1821 auf Ansinnen Ms. Bruders, Prof. in Berlin administriert […].“ (240 f.) Die Kritik ist unüberhörbar: Christiane Hegel wollte nicht nach Zwiefalten. Sie muß dies auch Göriz gegenüber geäußert haben, denn dieser schreibt im Juni 1820: „Mit meinem Willen wärst Du nie nach Zwiefalten gekommen.“ (229) Daß Hegels Schwester in Zwiefalten Privatpatientin blieb und nicht noch offiziell eingewiesen wurde, hing sowohl mit dem Spezifischen ihrer Krankheit als auch mit ihrer Genesung zusammen. Ihr Leiden war auch psychosomatisch; sie hatte Eßstörungen, was ihre schwache Konstitution verstärkte. Die Geldsorgen, die sie seit ihrem Weggang aus Stuttgart 1801 permanent hatte, lösten bei ihr zunehmend übersteigerte Existenzängste aus. Die zeitweiligen Geistesverwirrungen von 1814 und 1820/21 gingen Hand in Hand mit – modern gesprochen – Depressionen, unter denen auch Hegel in seiner späten Berner Zeit 1796 zu leiden gehabt hatte (252). Mit zunehmendem Alter

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kamen bei Christiane Hegel wohl auch permanente körperliche Schmerzen hinzu; was bei ihrer Lebensgeschichte die Disposition zu weiteren psychischen Krisen verstärkte. Hegel selbst charakterisiert sie 1820 als eine Frau, der die nur „unzuverlässige Zusicherung“ ihrer Existenz jetzt erst recht schädlich sei, „indem ihre Unabhängigkeit immer ein Hauptpunkt war, der sie beschäftigte.“ (222 f.) Damit ist auch Allgemeines angesprochen: Um 1800 gab es für Frauen diese anvisierte Unabhängigkeit eigentlich nicht, zumal wenn sie unverheiratet und kinderlos blieben.

Christiane Hegels Selbstmord, ihr Testament und Ludwig Fischer (1807–1837), Hegels unehelicher Sohn Hegel hatte einen unehelichen Sohn, der im Februar 1807 in Jena geboren wurde. Die Mutter war seine Zimmerwirtin Christiane Charlotte Johanna Burkhardt (1778–vor 1817). Hegel verließ Jena einen Monat nach der Geburt. Von 1811 bis 1817 lebte Ludwig, nachdem Hegel ihn der Obhut seiner Mutter entzogen hatte, in Jena bei seiner Pflegemutter, der Buchhändlerwitwe Sophie Bohn.Von 1817 bis 1823 holten Hegel und seine Frau ihn nach Heidelberg und nahmen ihn dann nach Berlin mit. Ludwig trug in Berlin, wohl auch schon in Heidelberg, den Namen Hegel, bis es wegen einer kleinen Veruntreuung (283) zu einem Zerwürfnis kam und ihm sein Vater den Namen Hegel wieder aberkannte (283). Ludwig führte dann wieder den Namen Fischer, d. h. den Mädchennamen seiner leiblichen Mutter. Von Juni 1823 bis Juni 1825 hielt er sich in Stuttgart auf, um unter der Aufsicht von Alexis Bohn, einem ihm seit langem bekannten Sohn von Sophie Bohn, eine Lehre als Handlungsgehilfe zu absolvieren. Am 27. Februar 1832, also nach dem Selbstmord von Christiane Hegel, schreibt Marie Hegel an ihre Mutter: „auf welche Weise überhaupt Christiane von Ludwigs Existenz erfahren hat, […] begreife ich nicht. Es war meinem Hegel ein Grund L.[udwig] nicht nach Stuttg. zu schicken, weil er fürchtete Christ. möchte etwas von ihm erfahren, aber die Vortheile […] schienen überwiegend […].“ (287 f.) Christiane Hegel erfuhr erst ganz von dem Schicksal Ludwigs, als sie dessen Pflegemutter Sophie Bohn im Dezember 1825 kennen lernte (287), also erst nachdem dieser Stuttgart wieder verlassen hatte, um in den Diensten der holländischen Kolonialarmee nach Ostindien zu gehen, wo er Ende August 1831 an einer Seuche starb. Die Todesnachricht erreichte die Familien aber erst nach dem Tod von Hegel und seiner Schwester. Offensichtlich wußte Ludwig Hegel in Heidelberg und Berlin nicht, daß Hegel sein Vater war. Entsprechend wurde er Hegels ehelichen Söhnen gegenüber nur als ein junger Verwandter (306) oder gar nur als aufgenommener Pflegesohn eingeführt, wofür auch die merkwürdige, eigenmächtige Entziehung des Familiennamens durch Hegel

Eine Schwester tritt aus dem Schatten

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spricht. Ludwig Fischer schrieb am 11. Juli 1825, als er Stuttgart bereits wieder verlassen hatte: „Hr. Hegel hat durch meinen Prinzipal förmlich von mir Abschied genommen und nicht einmal direkt an mich geschrieben.“ (286) Diese Formulierung zeigt eine enorme Distanz, denn aus demselben Brief geht hervor, daß Ludwig Fischer nun wußte, daß „Hr. Hegel“ sein leiblicher Vater war; von Seiten der Familie Hegel war somit Christiane Hegel die einzige verbliebene Verwandte, die ihm gegenüber aufgeschlossen blieb. Der Beleg, daß Hegels eheliche Söhne nicht wußten, daß Ludwig ihr Halbbruder war und nicht nur ein entfernter Verwandter, findet sich in einem Brief von Marie Hegel an ihre Mutter vom 27. Februar 1832: „Hegel wollte mit ewigem Stillschweigen den unsäglichen Verdruß u Kummer den ihm u mir dieser von ihm aufgegebene, verlorene Sohn gemacht hat, bedacht wissen u was nun wirklich längst vergessen u überwunden war, was vor meinen Kindern nie zur Sprache kommen sollte, fällt ihnen, während ich den Brief der Tante lese, befremdend in die Hände […].“ (307) Es handelt sich bei dem, was da Hegels Söhnen in die Hände gefallen war, um Begleitbriefe oder sogar um das Testament Christiane Hegels selbst, das sie bereits im September 1831 aufgesetzt hatte und erst am 30. Januar 1832, zwei Tage vor ihrem Selbstmord, in Bad Teinach unterzeichnete, wo sie sich aufgrund einer neuerlichen körperlichen und psychischen Krise zur Kur aufhielt. In ihrem Testament bedenkt sie alle drei Kinder Hegels gleich, vielleicht wollte sie Ludwig doch noch ein von ihm ersehntes Medizinstudium ermöglichen. Diese Nennung Ludwig Fischers als leiblicher Sohn Hegels ist es wohl, was vor den anderen „Kindern nie zur Sprache kommen sollte“. In Bezug auf dieses Testament Christiane Hegels schrieb Marie Hegel dann noch: „Dieß sind die Dinge, die sich nicht so leicht abschütteln u vermindern lassen, u schwerer verletzen als ein wirkliches Unglück.“ (307) Während Christiane Hegel wohl nur eine familiäre Ungerechtigkeit ausgleichen wollte, wird ihr Testament als „Unglück“ aufgefaßt. Und es ist wohl dieses „Unglück“, welches ihren Ruf in der Familie zerstörte, was in diesem verschwiegenen Sinne auch die bisherigen Urteile über sie in der Hegel-Forschung beeinflußte. Interessanterweise nimmt Christiane Hegel es sich in ihrem Testament als Frau heraus, sowohl für den verstorbenen Hegel seine anzuerkennende Vaterschaft offen zu legen, als auch ein uneheliches Kind gleich als Erben einzusetzen. Das verweist – worauf die Autorin leider nicht eingeht – historisch auf die Aufwertung der Frauenrechte in der Französischen Revolution um 1793, die dann im Code Napoléon teilweise wieder zurückgenommen wurden: Uneheliche Kinder waren dann wieder benachteiligte Erben den ehelichen Kindern gegenüber – was das ihnen nicht ausdrücklich zugewidmete Erbe von nahen Verwandten betraf. Mit dem gängigen Bild von Christianes Hegels Selbstmord, daß sie in ihrer Fixierung auf den Bruder diesem bald in den Tod folgen mußte, räumt die Autorin auch gründlich auf. Schon Rosenkranz wußte, daß Christiane aufgrund

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ihrer Krankheit schon vor Hegels Tod verschiedene Selbstmordversuche unternahm. Noch Anfang Januar 1832 schrieb sie an ihre Schwägerin Marie, sie möge ihr ein leicht zugängliches Werk ihres Bruders übersenden, um seine philosophischen Werke näher kennen zu lernen (302), was nicht unbedingt auf einen ohnehin geplanten Selbstmord nur ca. drei Wochen später hindeutet. Was aber die allgemeinen Selbstmordabsichten verstärkt haben könnte, war eine zunehmende Vereinsamung Christiane Hegels nach 1825 in Stuttgart. Sie wurde körperlich so schwach, daß sie kaum noch das Haus verlassen konnte; auch das Unterrichten mußte sie einstellen. Ihr wird bewußt gewesen sein, daß Hegels Tod auf das gleiche Datum, den 14. November 1831 fiel, wie der 90. Geburtstag ihrer 1783 ebenfalls an einer Seuche, nämlich an Typhus, verstorbenen Mutter. Das zunehmende Gefühl familiärer Vereinsamung drängt sich da geradezu auf. Und doch haftet dem vollzogenen Selbstmord von Christiane Hegel auch etwas Spontanes an. Die Untersuchungen von Alexandra Birkert zu Christiane Hegel sind ein gelungenes Beispiel dafür, daß nur akribische historische Forschung es vermag, gängige Urteile über vorgeblich längst abgehandelte Personen zu revidieren. Auch was die Zeitumstände um 1800 angeht, so ergeben sich – nicht nur was die Französische Revolution anlangt – neue Anstöße für die Forschung.

ABHANDLUNGEN

b i r g i t s a n d k au l e n „DIE SEELE IST DER EXISTIERENDE BEGRIFF“ Herausforderungen philosophischer Anthropologie

ab st rac t: Although H.s anthropology is situated at the significant transition point between nature and spirit in the Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, it has found some marginal attention only since a few years in continental H.-scholarship. Even more obvious is the general lack of interest in contemporary anthropology as well as in the favourite discussion topics of the current Anglophone “Hegel-Renaissance.” In contrast the article underlines the importance of H.s anthropological thinking: Firstly by pointing out its superiority in comparison with three paradigmatic types of modern anthropology (i.e. the quantitative model of naturalism, the quantitative-qualitative model developed by Scheler and Plessner and finally the qualitative-holistic model formed by Herder and Gehlen); and secondly by emphasizing a conflict within H.s position itself. This conflict concerns nothing less than the concept of the self in so far as the formation of the specific human self-relation is not yet involved in processes of social recognition but is initially to be seen in the “Selbstgefühl” of the individual feeling soul.

I. Nimmt man Themen und Fragestellungen gegenwärtiger Diskussionen in den Blick, fallen zwei Interessenfelder und eine seltsame Lücke auf. Virulente Aufmerksamkeit gilt einerseits dem Problemkomplex Anthropologie und andererseits Hegel, wie insbesondere die anglophone sog. „Hegel-Renaissance“ dokumentiert. Ein Interesse an Hegels Anthropologie gibt es jedoch in beiden Fällen nicht. Warum nicht? Schließlich ist Hegels Text nicht an einem dunklen Ort versteckt, sondern an einer der wichtigsten Stellen seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften plaziert. Im entscheidenden Übergang von der Natur zum Geist bildet die Anthropologie das Scharnier und liefert so als erstes Moment des subjektiven Geistes zugleich der gesamten Hegelschen Geistphilosophie das Hegel-Studien 45 (2010) · © Felix Meiner Verlag · ISSN 0073-1587

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Fundament. Eben diese Positionierung scheint es aber offenbar zu sein, die dem Rekurs auf Hegels Anthropologie nicht günstig ist. Für den Problemkomplex Anthropologie hat Odo Marquard in den siebziger Jahren das wirkmächtige Verdikt verhängt. Danach hat Hegel die Anliegen der Anthropologie nicht etwa gewürdigt als vielmehr einer „Degradierung“ unterworfen.1 Motiv dieser Kritik ist die These, daß das Unternehmen der Anthropologie den Status einer neuen postmetaphysischen Fundamentaldisziplin der Moderne für sich reklamiert und dabei den Fokus auf die Naturbestimmtheit des Menschen legt. Damit erübrigt sich eine Lektüre Hegels, der eine solche anthropologische Selbst-Behauptung geradezu drastisch unterläuft, wenn er das Problemfeld der Anthropologie sowohl zu einer Teildisziplin des Systems relativiert als auch damit einhergehend in den Aufhebungsprozeß der Geistphilosophie zieht. Daß umgekehrt diese Geistphilosophie im Zentrum der anglophonen HegelRenaissance steht, beleuchtet das Problem von der anderen Seite. Zwar fällt hier der von Hegel konzipierte Übergang von der Natur zum Geist durchaus ins Gewicht. Denn wenn der Geist „als die Wahrheit der Natur geworden ist“2, dann kommt damit so etwas wie eine evolutionäre Perspektive ins Spiel, die schon als solche zeigt, daß der in den USA über lange Zeit kultivierte Schrecken vor einem Gespenst namens „Idealismus“ nichts anderes als ein fatales, nämlich spiritualistisches Mißverständnis Hegels war. Die Entdeckung aber, welche Fülle von Einsichten seine Geistphilosophie enthält, tut der Hinsicht auf die Anthropologie wiederum nicht gut. Was hier vor allem interessiert, so etwa Robert Brandom, ist das von der Natur spezifisch unterschiedene, auf Naturbedingungen nicht reduzible „normative Reich des Geistes“3, der geschichtlich-kulturell vermittelte Zusammenhang also sozialer Praktiken und Institutionen, und derlei ist in der Anthropologie noch gar nicht präsent, deren Führungsterm denn auch nicht „Geist“, sondern „Seele“ heißt. Hegel, so scheint es, hat sich somit gleich in doppelter Weise vertan. Aus dem Blickpunkt anthropologischer Fragen hat er den fundamentalen Anspruch der Anthropologie bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, und aus dem Blickpunkt einer aktuell an Hegel orientierten Sozialphilosophie des Geistes lenkt eine Verhandlung über die Seele ebenfalls vom wesentlichen Erkenntnisinteresse Siehe: Odo Marquard: Anthropologie. – In: Joachim Ritter (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 1. Basel 1971. 368. – Die behauptete „Degradierung“ sieht Marquard insbesondere darin, daß Hegel die Anthropologie „zwang, in den Zusammenhang der Geschichtsphilosophie wieder einzutreten“. 2 Siehe hierzu Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). – In: Hegel: GW 20, § 388 (S. 387). 3 Siehe: Robert Brandom: Selbstbewusstsein und Selbst-Konstitution. – In: Christoph Halbig / Michael Quante / Ludwig Siep (Hgg.): Hegels Erbe. Frankfurt a. M. 2004. 46–77: hier 56. 1

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ab.4 Zielt die auffällige und zumal extrem aufwendige enzyklopädische Erweiterung der Geistphilosophie um die Anthropologie demnach ins Leere?5 Im Gegenteil bin ich überzeugt, daß gerade Hegels Anthropologie an den Nerv seines Denkens rührt und aus diesem Grund auch über systematisch attraktive und provokative Potentiale verfügt. Das möchte ich im folgenden in drei Schritten zeigen. Erstens umreiße ich den Problemkomplex Anthropologie in Form von drei exemplarischen Denkmodellen, die ich zweitens mit den Vorzügen von Hegels Entwurf konfrontiere. Vor diesem Hintergrund argumentiere ich dann drittens für die These, daß Hegels Anthropologie eine Herausforderung sogar für seine eigene Geistphilosophie darstellt, die in der Konsequenz dann auch die Grundannahmen der gegenwärtigen anglophonen Hegel-Rezeption betrifft.

II. Zum ersten Schritt. Anthropologie ist ein unübersichtliches und oft auch weltanschaulich okkupiertes Feld, das permanent an den Rändern auszufransen droht. Das kann und will ich hier nicht verfolgen. Im Interesse einer Exposition der wesentlichen Punkte konzentriere ich mich rein typologisch auf drei Grundmodelle, mit denen ich mich auf paradigmatische, hier aber nicht im Detail zu diskutierende Positionen beziehe. Gemeinsam ist ihnen, soviel sagt immerhin der um 1500 geprägte Name „Anthropologie“, die Frage nach dem Zu ergänzen ist hier, daß auch die kontinentale Hegel-Forschung dem Programm seiner Anthropologie bislang nur sporadische Aufmerksamkeit geschenkt hat. Mit dem neu erwachten Interesse am „Leib-Seele-Problem“ scheint sich das nun allmählich zu ändern. – Vgl. neben dem nach wie vor grundlegenden Beitrag von: Reiner Wiehl: Das psychische System der Empfindung in Hegels ‚Anthropologie‘. – In: Dieter Henrich (Hg.): Hegels philosophische Psychologie. – In: Hegel-Studien. Beiheft 19. Bonn 1979. 81–139; neuerdings: Ludwig Siep: Leiblichkeit, Selbstgefühl und Personalität des Geistes. – In: Lothar Eley (Hg.): Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse‘. Stuttgart 1990. 203–226; Michael Wolff: Das Körper-Seele-Problem. Kommentar zu Hegel, Enzyklopädie (1830), § 389. Frankfurt a. M. 1992; Achim Lohmar: Anthropologie und Vernunftkritik. Hegels Philosophie der menschlichen Welt. Paderborn 1997; Hans Friedrich Fulda: Anthropologie und Psychologie in Hegels ‚Philosophie des subjektiven Geistes‘. – In: Ralph Schumacher (Hg.): Idealismus als Theorie der Repräsentation? Paderborn 2001. 101–125; Rainer Schäfer: Das prozedurale Leib-Seele-Konzept bei Hegel. – In: Edith Düsing / Hans-Dieter Klein (Hgg.): Geist und Psyche. Klassische Modelle von Platon bis Freud und Damasio. Würzburg 2008. 193–229; Christoph J. Bauer: Eine ‚Degradierung der Anthropologie‘? Zur Begründung der Herabsetzung der Anthropologie zu einem Moment des subjektiven Geistes bei Hegel. – In: Hegel-Studien 43 (2008), 13–35. 5 Welchen Aufwand Hegel wirklich getrieben und welche Bedeutung er dem Problemkomplex Anthropologie offenkundig zugeschrieben hat, lassen jetzt auch die im Rahmen der Akademie-Ausgabe von Christoph J. Bauer edierten Vorlesungsmitschriften zur Philosophie des subjektiven Geistes erkennen, in denen der Teil zur Anthropologie regelmäßig den bei weitem größten Umfang einnimmt. Als rein taktische Neutralisierung der romantischen Naturphilosophie, wie Marquard insinuiert, ist dieser Aufwand nicht plausibel erklärt. 4

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Menschen, die sich unter den Bedingungen der Moderne ganz neu stellt.6 Die Antwort fällt indes höchst unterschiedlich aus, je nachdem, ob sie einem – nach meiner Formulierung – 1. quantitativen, oder 2. quantitativ-qualitativen oder 3. qualitativ-holistischen Ansatz entspringt. Das erste Modell verfährt naturalistisch. Auf Evolutionstheorie und Neurobiologie gestützt, dominiert es gegenwärtig in der „philosophy of mind“, stößt aber auch auf Widerspruch, wie die bemerkenswerte „Plessner-Renaissance“ zeigt. Kennzeichnend ist, das dokumentiert bereits das Gründungsmanifest dieses Modells in La Mettries L’homme machine, die Annahme einer durchgehenden natürlichen Kontinuität, so daß komplexere Organisationsformen wie der menschliche Körper und insbesondere das menschliche Gehirn sowie darauf wiederum basierende komplexere kognitive Vermögen als quantitative Folge von Stufen oder Schichten der physischen Wirklichkeit zu bestimmen und bestenfalls zu erklären sind.7 „Wir sind eine Spezies des Tierreiches“, notiert jüngst auch Ernst Tugendhat, und insofern wir uns von anderen Tieren unterscheiden, müssen diese Eigenschaften auf „natürliche Weise entstanden sein“8. Gegen eine solche reduktionistische Sicht protestiert das zweite Modell, exemplarisch vertreten von Scheler und Plessner, aufs Schärfste. Der Mensch ist kein Tier – jedoch ist er auch kein cartesisches Ich oder ein kantisches transzendentales Subjekt. In anthropologischer Perspektive setzt darum auch dieses Modell beim Lebewesen Mensch im Kontext der ganzen lebendigen Natur an, um in quantitativer Stufenfolge zu zeigen, inwiefern Pflanzen, Tiere und Menschen gewisse Kräfte und Fähigkeiten (Scheler) bzw. gemeinsame Organisationsformen (Plessner) teilen. Was aber den Menschen eigentlich zum Menschen macht, führt in einem qualitativen Sprung aus der Skala des Lebens hinaus. Scheler und Plessner nennen dieses menschliche Spezifikum „Geist“, und beide sprechen von der „exzentrischen“ Position des Geistes zum Leben, die den Menschen in radikale Distanz zur Umwelt und zu sich als psychophysischem Lebewesen versetzt.9 6 Konkret sind es drei Momente, deren Herausforderung die Anthropologie als neu aufkommende Krisendisziplin reflektiert und je anders zu verarbeiten sucht: der durchgreifende Erfolg der modernen Naturwissenschaften erstens, der Geltungsverlust traditionell religiöser Weltbilder zweitens und nicht zu vergessen das Programm einer Metaphysik drittens, wie es sich im cartesischen Substanzendualismus von Körper und Geist manifestiert. 7 Vgl. zur Diskussion dieses Modells auch den Beitrag von Michael Quante, der in Hegels Ansatz zu Recht „eine attraktive Alternative zu dem gegenwärtig vorherrschenden Paradigma in der Philosophie des Geistes“ sieht, sich dabei aber nicht eigens auf Hegels Anthropologie bezieht. – Siehe: Michael Quante: Schichtung oder Setzung? Hegels reflexionslogische Bestimmung des NaturGeist-Verhältnisses. – In: Hegel-Studien 37 (2004), 107–121. 8 Siehe: Ernst Tugendhat: Anthropologie statt Metaphysik. München 2007. 13 f. 9 Die Formel von der exzentrischen Positionalitätsform des Menschen wird bekanntlich vor allem mit Plessner in Verbindung gebracht. – Siehe: Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. 3. Aufl. Berlin / New York 1975.

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Nach dem dritten Modell schließlich ist weder die durchgehend quantitative Skalierung noch deren quantitativ-qualitative Unterbrechung akzeptabel. Im ersten Fall wird im Versuch einer kausalen Ableitung von Eigenschaften über den Menschen als Menschen gar nichts gesagt, im zweiten Fall wird die Behauptung seiner „Sonderstellung“ mit dem Riß zwischen animalischer und geistbestimmter Existenz bezahlt. Adäquat verfährt Anthropologie deshalb nur, sofern sie die ganze menschliche Existenz unter die qualitativ-holistische Perspektive eines, so Gehlen, „strukturellen Sondergesetzes“10 rückt. Gehlens überaus lobender Rekurs auf Herder leuchtet dabei ein.11 Denn tatsächlich denkt schon Herder, anläßlich seiner Kritik von Condillacs naturalistischer Herleitung der Sprache, über eine Tiere und Menschen definitiv voneinander unterscheidende Grundkraft nach, die die „ganze Haushaltung“ des Menschen in allen seinen sinnlichen und geistigen Dispositionen durchherrscht.12 Im Kontrast zu Herders Auszeichnung der „Besonnenheit“13 ist dann aber Gehlens Ansatz pragmatistisch auf das Handeln als spezifisch menschliche Lebensform fokussiert. Wie verhält sich Hegels Entwurf zu diesen Modellen? Bevor ich zu dieser Frage übergehe, ist hier noch eine abschließende Bemerkung am Platz. Obwohl ich mich mit der skizzierten Typologie wenigstens näherungsweise auf Gehlens einleitende Überlegungen zum Problemfeld Anthropologie berufen kann, erscheint es mir signifikant, daß sie Gehlens Vorlage zum Trotz in den Debatten um Anthropologie explizit keine Rolle spielt. Die hier diskutierten Optionen kreisen letztlich allein um das Problem, welcher der vielen anthropologischen Entwürfe die Frage nach dem Menschen hinreichend grundsätzlich und umfassend beantworten kann. So kommt es gleichsam quer zu den Modellen zum Streit zwischen biologischen und ‚eigentlich‘ philosophischen Anthropologien, zum Streit um den Geltungsbereich von Natur oder Kultur und Geschichte und insbesondere zur steten Mahnung, daß Anthropologie sich unbedingt von Metaphysik freihal288 ff. – Ohne hier auf die Frage möglicher Übernahmen anzuspielen, findet sich der Gedanke des „weltexzentrisch gewordenen Seinskernes“ des Menschen jedoch wörtlich auch schon bei Scheler. – Siehe: Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. – In: Späte Schriften. Gesammelte Werke. Band 9. Herausgegeben von Manfred S. Frings. Bern / München 1976. 69. 10 Siehe: Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 13. Aufl. Wiesbaden 1986. 28. 11 „Die philosophische Anthropologie hat seit Herder keinen Schritt vorwärts getan, und es ist im Schema dieselbe Auffassung, die ich mit den Mitteln moderner Wissenschaft entwickeln will. Sie braucht auch keinen Schritt vorwärts zu tun, denn dies ist die Wahrheit.“ – Siehe: Ibid. 84. 12 Siehe: Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. – In: Ders.: Frühe Schriften 1764–1772. Werke in zehn Bänden. Band 1. Herausgegeben von Ulrich Gaier. Frankfurt a. M. 1985. 717. – „Der Unterschied“, so Herder, „ist nicht in Stufen, oder Zugabe von Kräften, sondern in einer ganz verschiedenartigen Richtung und Auswickelung aller Kräfte“. – Siehe: Ibid. 13 Siehe: Ibid. 719.

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ten muß: was regelmäßig dazu führt, Schelers Entwurf als noch viel zu metaphysiklastig von Plessner zu trennen und umgekehrt die – typologisch besehen gar nicht bestehende – Nähe zwischen Plessner und Gehlen zu betonen. Daß Hegels Anthropologie in solche Rechtfertigungs- und Abgrenzungsprobleme einer in der Moderne sich neu konstituierenden Disziplin nicht verstrickt ist, halte ich für den ersten ihrer Vorzüge. III. Zum zweiten Schritt. Bekanntlich hat Heidegger das Unternehmen philosophischer Anthropologie mit äußerster Skepsis betrachtet. Entweder stellt es als „regionale Ontologie des Menschen“ eine unter vielen anderen Ontologien dar oder es erhebt fundamentalphilosophische Ansprüche, ohne über die „Unbestimmtheit dieser Idee“14 hinauszugelangen. Anschließend an das eben Gesagte nehme ich diese Kritik auf und wende sie wiederum positiv. Insofern Hegel die Anthropologie konsequent als Einzeldisziplin behandelt und alle Grundlegungsfragen an die Logik verweist, liegt hier erstens tatsächlich so etwas wie eine anthropologische Regionalontologie vor. Damit verbunden ist jedoch zweitens die Pointe, daß Hegel die Frage nach dem Menschen in dieser Region gar nicht vollständig beantworten will.Vielmehr schreibt er die „Erkenntniß des Wahrhaften des Menschen, wie des Wahrhaften an und für sich“15 der Entwicklung der gesamten Geistphilosophie zu. Was genau heißt das aber? Nach Hans-Friedrich Fuldas Deutung läuft dies darauf hinaus, daß es in der Anthropologie dem Titel zum Trotz überhaupt noch nicht um spezifisch Menschliches, sondern um Tieren und Menschen gemeinsame „psychophysische Sachverhalte“ geht: die menschliche Differenz also erst in spätere Etappen des subjektiven und objektiven Geistes fällt.16 Wäre diese These richtig, dann hätte Hegel unter dem Titel „Anthropologie“ allerdings ein so erstaunlich idiosynkratisches Projekt verfolgt, daß es sinnlos wäre, es in eine Diskussion mit den drei anthropologischen Modellen zu ziehen. Im Gegenteil läßt sich aber gerade in dieser Diskussion zeigen, daß Hegels Ansatz sich nicht wie eine merkwürdige vierte Variante, sondern typologisch als eigentümliche ‚Kombination‘ dieser Modelle verhält und genau deshalb unter dem Führungsterm „Seele“ in Dimensionen spezifisch menschlichen Lebens vordringen kann, deren basale Signatur den Anthropologien mit Fundamentalanspruch gerade entgeht. Siehe: Martin Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik. Fünfte, vermehrte Auflage. Frankfurt a. M. 1991. 208 ff. 15 Siehe: Hegel: GW 20, § 377 (S. 379). 16 Siehe: Hans-Friedrich Fulda: Anthropologie und Psychologie. A. a. O. – Sowie: Ders.: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. München 2003. 184 ff. 14

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Inwiefern Hegel die drei Modelle ‚kombiniert‘, ist zunächst einmal nicht schwer zu sehen. Mit dem ersten Modell teilt er seinem strikt antidualistischen und prozeduralen Geistbegriff gemäß den Ansatz einer durchgehend kontinuierlichen Entwicklung: „Der Geist ist“, wie anfangs schon zitiert, „als die Wahrheit der Natur geworden“. Indessen ist Hegel kein Naturalist. Dem steht seine Affinität zum zweiten Modell entgegen: die Auffassung nämlich, daß mit dem Geist etwas qualitativ Neues in die Welt kommt, das als Anderes der Natur aus natürlichen Bedingungen nicht ableitbar ist. In diesem Sinne hat „das Werden oder Uebergehen“ des Geistes aus der Natur „die bestimmtere Bedeutung des freien Urtheils“.17 Noch bevor man aber folgert, dieses Urteil entspreche als ur-teilende Trennung der Exzentrizität des Geistes zum Leben, denkt Hegel wiederum anders. Für unsinnig erklärt seine Anthropologie ja nicht nur den cartesischen Dualismus von materieller und immaterieller Substanz. In Gestalt der Seele hintergreift Hegel auch die Kluft zwischen Leben und Geist und bringt so nicht etwa eine ‚geistverlassene‘ Region als vielmehr den Geist zunächst in seiner Unmittelbarkeit zum Vorschein, den er mit Aristoteles als die Potenz der Verwirklichung des Geistes bestimmt. Indem so aber Hegels Geistkonzept die Distinktionen zwischen Leib, Seele und Geist holistisch in sich integriert und sich im Appell an das „Selbstgefühl von der lebendigen Einheit des Geistes“ auch der „Zersplitterung desselben in die verschiedenen, gegeneinander selbständig vorgestellten Vermögen, Kräfte oder […] Thätigkeiten“ widersetzt,18 ist es schließlich auch noch dem dritten Modell verwandt. Dessen Ansatz einer integralen Strukturverschiedenheit zwischen menschlichem und tierischem Leben vermittelt Hegels Anthropologie allerdings genealogisch, womit man im Resultat der ‚Kombination‘ in einer eigens auszuleuchtenden Region angelangt ist, die weder ins Animalische noch auch ins sogenannte Vor- oder Unterbewußte zielt, sondern für die es kein besseres Wort gibt als die Bestimmung menschlicher Lebens-Welt in ihren ursprünglichsten Manifestationen. Es ist klar, daß es Hegels Grundlagenwissenschaft der Logik ist, die dieser anthropologischen ‚Kombinatorik‘ zugrunde liegt und sie allererst ermöglicht. Darauf komme ich später zurück. Im Moment geht es mir um den ganz konkreten Gewinn, den Hegel erzielt und der nach allem nicht einfach in dem Nachweis besteht, daß auch die menschliche Existenz an Naturfaktoren gebunden ist, von deren Einfluß sie sich dann mehr oder weniger erfolgreich distanzieren kann. Unter dem Titel der „natürlichen Seele“ nennt Hegel solche Faktoren zwar: von klimatischen Bedingungen über Rassen- und Nationalverschieden-

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Siehe: Hegel: GW 20, § 388 (S. 387 f.). Siehe: Ibid. § 379 (S. 380).

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heiten bis hin zu charakterlichen Dispositionen, den Unterschieden der Lebensalter und des Geschlechts. Aber dies ist nicht der entscheidende Punkt, weil so der äußerliche Eindruck entsteht, als sei Anthropologie für die Natur und Geistphilosophie im engeren und eigentlichen Sinne für die Freiheit zuständig – eine Differenz, die Hegels Erkundung der Seele gerade unterläuft. Entscheidend ist vielmehr, daß und wie Hegel in Gestalt der Seele die genuine Ausbildung unseres spezifisch menschlichen Selbstverhältnisses geltend macht. Dabei sind genau diese drei Momente zu beachten. Um die Ausbildung eines solchen Selbstverhältnisses handelt es sich, weil es ein leiblich spürbarer Prozeß zunehmender Individualisierung ist, den Hegel ganz plastisch darstellt: von der faktischen Vereinzelung verschiedener natürlicher Individuen führt er über das Erwachen der Seele aus dem Schlaf zur Sphäre des Empfindens, die die symbolische Verinnerlichung sinnlicher Empfindungen und umgekehrt die Verleiblichung affektiver Stimmungen übergreift, und von hier aus schließlich zur maßgeblichen Gestalt der „fühlenden Seele“. Maßgeblich ist sie deshalb, weil sie, wie Hegel ausdrücklich sagt, „nicht mehr blos natürliche, sondern innerliche Individualität“19 ist. Um den Gewinn eines Selbstverhältnisses handelt es sich, weil die Zentriertheit schon des tierischen Organismus als Selbstbezüglichkeit des Fürsichseins in diesem Prozeß ausdrücklich freigelegt und im „Selbstgefühl“ der Seele schließlich auch eigens wahrgenommen wird.20 Und bei allem handelt es sich um die genuine Ausbildung solchen Fürsichseins, weil es hier (noch) nicht um die Unterscheidung des Selbst von Anderem und seine Beziehung zu Anderem, sondern darum geht, daß sich das Selbst zueignet, was es selber ist. Die Differenz, die jedem Selbst-Verhältnis in seiner Einheit eingeschrieben ist, tritt somit hier als eine innerliche und innerlich auszuarbeitende Differenz auf. Sie besteht, mit Hegels Reflexionstermini gesagt, als „unmittelbares Urtheil“21 zwischen dem substantiellen Ansichsein der Seele, dem Insgesamt dessen also, was ihr begegnet und ihre leibliche Befindlichkeit ausmacht, und dem Fürsichsein dieses Ansich-

Siehe: Ibid. § 403 (S. 401). Mit der Zentriertheit des tierischen Organismus hat zu tun, daß Hegel in seiner Naturphilosophie auch den Tieren Selbstgefühl zuschreibt. – Siehe: Ibid. § 356 f. (S. 356 f.). – Dieses (in der Wissenschaft der Logik [siehe: Hegel: GW 12, 185] zumal ausdrücklich im Feld der „Sensibilität“ angesiedelte) Gefühl ist aber nicht zu verwechseln mit dem Befund der Anthropologie, insofern im Falle der menschlichen Existenz die als „Urtheil“ gekennzeichnete innerliche Differenz entscheidend hinzukommt. – Siehe dazu insbes. die Argumentation von: Reiner Wiehl: Das psychische System der Empfindung in Hegels ‚Anthropologie‘. A. a. O. 137, wonach diese spezifisch „seelisch-menschliche Selbstunterscheidung“ dazu führt, daß die menschliche Seele im Kontrast zur animalischen Umweltgebundenheit mit dem Selbstgefühl zugleich ein „Weltgefühl“ i. S. des Gefühls ihrer eigenen Welt entwickelt. 21 Siehe: Hegel: GW 20, § 398 (S. 394). 19

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seins, das die „Totalität ihrer besondern Welt“ als „einfache allgegenwärtige Einheit“ umschließt22 und sich dann im Selbstgefühl als solches abhebt.23 Mit einem Wort: Was Hegel interessiert und was in der Tat von größtem Interesse ist, ist die lebensweltlich verankerte Genese menschlicher Subjektivität, die sich im Gefühl ihrer selbst nicht gegen leiblich-mundane Beziehungen, sondern in deren individueller Aneignung vollzieht. Diesem subtilen und faszinierenden Gedanken wende ich mich gleich noch einmal eigens zu. Was aber die systematischen Vorzüge gegenüber den drei anthropologischen Modellen betrifft, so liegen sie nach allem bereits jetzt auf der Hand. Ohne in den Verdacht eines abwegigen Spiritualismus oder reinen Mentalismus zu geraten, gelingt es Hegel erstens im vergleichenden Bezug auf das naturalistische Modell, mit der Genealogie des Selbst-Verhältnisses genau die jemeinige Innenperspektive freizulegen, die sich dem szientistischen Beobachterstandpunkt per se entzieht und sich nicht nur nicht als komplexe Eigenschaft eines physischen Systems, sondern gar nicht in Objektstellung erklären läßt. Dieses strukturelle Desiderat der Hirnforschung ist ja, wenngleich ohne Bezug auf Hegels Anthropologie, sattsam diskutiert.24 Daß Sprache und Handlung charakteristische Spezifika des Menschen sind, bestreitet Hegel zweitens gegenüber dem qualitativ-holistischen Modell natürlich nicht. Indem er aber den Strukturunterschied von tierischer und menschlicher Existenz deutlich tiefer, auch noch vor Herders Grundkraft der „Besonnenheit“, ansetzt, kann er mit der leibhaften Ausbildung des individuellen Selbstbezugs einschlägige Prämissen für die Ausbildung von Sprache und Handlungsvollzügen eruieren. Geradezu pikant erscheint mir schließlich drittens der Vorzug Hegels gegenüber dem quantitativqualitativen Modell des Sprungs zwischen Leben und Geist. Nicht allein, daß die Exzentrizität des Geistes sowohl bei Scheler als auch bei Plessner mit der unbefragten, aber nicht besonders überzeugenden These begründet wird, daß das Eigentliche des Menschen in der Leistung universaler VerSiehe: Ibid. § 403 (S. 402). Vgl. den einschlägigen Passus im Ganzen: „Die fühlende Totalität ist als Individualität wesentlich diß, sich in sich selbst zu unterscheiden und zum Urtheil in sich zu erwachen, nach welchem sie besondere Gefühle hat und als Subject in Beziehung auf diese ihre Bestimmungen ist. Das Subject als solches setzt dieselben als seine Gefühle in sich. Es ist in diese Besonderheit der Empfindungen versenkt, und zugleich schließt es durch die Idealität des Besondern sich darin mit sich als subjectivem Eins zusammen. Es ist auf diese Weise Selbstgefühl – und ist diß zugleich nur im besondern Gefühl.“ – Siehe: Ibid. § 407 (S. 411 f.). 24 Vgl. dazu jüngst mit Referenzen auf die einschlägige Diskussion: Dieter Sturma: Naturalismus, Selbstbewusstsein und das psychophysische Problem. – In: Georg Gasser / Josef Quitterer (Hgg.): Die Aktualität des Seelenbegriffs. Interdisziplinäre Zugänge. Paderborn 2010. 219–233; Stephan Otto: Die Wiederholung und die Bilder. Zur Philosophie des Erinnerungsbewußtseins. Hamburg 2007. 236– 256; sowie die geistreiche dialogische Inszenierung der Problematik bei: Konrad Cramer / Jürgen Stolzenberg: Geist und Materie. Ein Dialog. – In: Katja Crone / Robert Schnepf / Jürgen Stolzenberg (Hgg.): Über die Seele. Frankfurt a. M. 2010. 353–370. 22

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objektivierung besteht.25 Und auch nicht allein, daß Scheler und Plessner diese Leistung einem Selbstbewußtseinsakt zuschreiben, der Subjektivität überhaupt in Gegenstellung und Bezogenheit auf den Objektivitätsentwurf ist. Eigentlich entscheidend ist der in der aktuellen Plessner-Forschung nicht zufällig erbittert umstrittene Befund, daß mit genau dieser Beschreibung des Menschen nichts anderes als Kants und Fichtes transzendentaler Idealismus im Gewand der Anthropologie zum Vorschein kommt.26 Schöne Ironie der Geschichte: Sofern Anthropologie ihrem Anspruch nach nicht nur ein anticartesisches Unternehmen ist, sondern sich im Gefolge der Klassischen Deutschen Philosophie auch als ein Kontrastprogramm zur idealistischen Transzendentalphilosophie darstellen soll, war offenkundig Hegel, aber nicht den Begründern der Fundamentaldisziplin Anthropologie im 20. Jahrhundert klar, daß man ein solches Kontrastprogramm nur dann mit Erfolg durchführen kann, wenn man sich hütet, Subjektivität je schon mit dem Gedanken des allgemeinen Ich zu identifizieren.

Vgl. dazu bei Scheler: „Das Tier hat keine ‚Gegenstände‘: es lebt in seine Umwelt ekstatisch hinein, die es gleichsam wie eine Schnecke ihr Haus als Struktur überall hinträgt, wohin es geht – es vermag diese Umwelt nicht zum Gegenstand zu machen. Die eigenartige Fernstellung, diese Distanzierung der ‚Umwelt‘ zur ‚Welt‘ (bzw. zu einem Symbol der Welt), deren der Mensch fähig ist, vermag das Tier nicht zu vollziehen […]. Gegenstand-Sein ist also die formalste Kategorie der logischen Seite des Geistes.“ – Siehe: Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. A. a. O. 34. – Mit der den Tieren fehlenden „Gegenständlichkeit“ argumentiert genauso Plessner an der fraglichen Stelle des spezifischen Bruchs zwischen zentrischer und exzentrischer Positionalität. – Siehe: Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. A. a. O. 270 ff. – Meine Kritik dieses Gedankens gilt natürlich nicht der Behauptung, daß Tiere kein Gegenstandsbewußtsein haben, sondern der Verabsolutierung dieser Fähigkeit, mit der der Mensch vermeintlich erst zum Menschen wird. In direkter Konsequenz ihres Ansatzes können weder Scheler noch Plessner menschlichen Lebensformen Rechnung tragen oder sie gar nur in ihren Überlegungen berücksichtigen, deren Selbst- und Weltverständnis (noch) nicht durch Verobjektivierung gekennzeichnet ist. Der sog. „primitive Mensch“ wird von Scheler dementsprechend in die Nähe zum Tier gerückt (siehe: Ibid. 35), was für diesen Typ Anthropologie zugleich eine evident ruinöse These ist. 26 Während Scheler sich in seiner Bestimmung des Geistes ausdrücklich auf Kants transzendentale Apperzeption bezieht, womit schon Kant „jene neue Einheit des cogitare […] im wesentlichen klargestellt“ habe (siehe: Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. A. a. O. 39), folgt Plessner weitgehend implizit, aber deutlich erkennbar über Kant hinausgehend insbesondere dem Entwurf Fichtes, d. h. dem in den drei Grundsätzen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre entwickelten Strukturzusammenhang von absolutem Ich, endlichem Ich und Nicht-Ich (vgl. hier v. a. in den Stufen des Organischen. A. a. O. 292 ff.). Daß sich Plessner, wiederum implizit, Hegels Reflexionslogik bedient, sowohl um die quantitative Stufenfolge des Organischen als auch deren qualitativen Umschlag in die exzentrische Positionalität herbeizuführen, er also plakativ gesagt auf Hegelschem Weg zur transzendentalen Subjektivitätsstruktur Fichtes gelangt, kann man außerdem als eigentümlichen Zug dieses Anthropologieentwurfs vermerken. – Vgl. zur Diskussion Plessners: Stephan Pietrowicz: Helmuth Plessner. Genese und System seines philosophisch-anthropologischen Denkens. Freiburg / München 1992, der die ‚Fichte-These‘ vertritt, und gegenläufig dazu: Olivia Mitscherlich: Natur und Geschichte. Helmuth Plessners in sich gebrochene Lebensphilosophie. Berlin 2007. 25

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IV. Warum abschließend nun noch ein dritter Schritt fehlt, ist klar. Hegels Überlegenheit über die drei anthropologischen Denkmodelle bezeugt die systematische Attraktivität seiner Anthropologie – gleichwohl gilt: Seine Genealogie des Geistes drängt über die Anthropologie hinaus. Was genau bedeutet das aber jetzt? Eine relativ unproblematische Antwort könnte zunächst etwa so lauten. Erstens hat sich inzwischen geklärt, warum Hegel die Geistphilosophie um die Anthropologie erweitert hat. Dem Enzyklopädie-Projekt gemäß gehört hier gewiß auch die Berücksichtigung und Verarbeitung des psycho-somatischen Wissensstands hinzu. Ausschlaggebend ist aber, wie eben anläßlich Schelers und Plessners schon gesehen, daß Hegel am Ort der Anthropologie seine seit jeher virulente Kant- und Fichte-Kritik endgültig ausbuchstabieren kann. Wenn Philosophie die einseitige Form einer „Metaphysik der Subjektivität“ mit allen ihren theoretischen und praktischen Folgen überwinden will, muß das Ich im Übergang von der Natur zum Geist in der Lebenswelt konkreter Subjektivität verankert werden. Genau aus diesem Grund trifft die Anthropologie in den Zentralnerv von Hegels Denkeinsatz, der gegenüber Kant und Fichte entschieden ontologisch gelagert ist.27 Zweitens aber ist hier auch nicht stehenzubleiben, denn die Pointe und das Defizit dieser Lebenswelt der Seele liegen darin, zur Welt des ausgebildeten Bewußtseins noch gar nicht vorgedrungen zu sein. Die Umgestaltung der Natur zum „normativen Reich des Geistes“ ist im Verhältnis des leiblich existierenden Individuums zu seiner eigenen Welt auf den Weg gebracht, aber dies ist erst nur ein Freiheitsversprechen, das seiner Verwirklichung in der sittlichen Welt noch harrt. Daß diese Version in etwa die Linie wiedergibt, auf der Hegel selbst argumentiert, bestreite ich nicht, ebensowenig, daß es unverzichtbar ist, alle die Dimensionen der menschlichen Existenz zu beachten, von denen Hegels Geistphilosophie im weiteren handelt. Dennoch erscheint mir die skizzierte Version zu einfach, weil bei näherem Hinsehen gar nicht klar ist, was es heißen kann, die Seele in den Aufhebungsprozeß des Bewußtseins zu ziehen. Was man statt dessen entdeckt, ist ein höchst bemerkenswerter Konflikt, der die Attraktivität von Hegels Anthropologie nicht mindert, sondern unterstreicht, und der nicht Greifbar ist Hegels Neueinsatz auf dem Feld der Philosophie des Geistes seit den Jenaer Systementwürfen. Die hier bereits sichtbaren Veränderungen im Konzept von Anschauung und Empfindung hintergreift Hegel jetzt aber mit der Erweiterung der Geistphilosophie um die Anthropologie wie gesehen in einer noch basaleren Schicht, die sich insbesondere gegenüber Fichte als eine konzeptionelle Umkehrung verstehen läßt. Während Fichte aus der transzendentalen Ich-Struktur das Gefühl des endlichen Ich abzuleiten sucht, setzt Hegel umgekehrt in Gestalt der Seele im Gefühl konkreter Subjektivität an. 27

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zufällig die beiden zentralen Momente der Seele, das Gefühl nämlich und ihre Individualität betrifft. Und wie konfliktträchtig die Hinsicht auf diese Momente wirklich ist, spitzt sich an entscheidender Stelle im anthropologischen Rückgriff Hegels auf die Logik zu: „die Seele ist der existirende Begriff, die Existenz des Speculativen“28. Stellt man in Rechnung, was am Ort der Wissenschaft der Logik selber steht, daß nämlich das „Ich oder das reine Selbstbewußtsein“ der zum „Dasein“ gekommene Begriff ist,29 dann sieht man förmlich anstatt einer unproblematischen Version zwei gegenläufige Versionen der Anthropologie aufeinanderstoßen. Bevor ich diesen Konflikt auseinanderlege, wird hier zunächst spruchreif, daß der Bezug auf Hegels Logik auf jeden Fall unerläßlich ist: als Bezug auf eine Metaphysik, die man am besten als ihrerseits genealogisch verfaßte Strukturwissenschaft des Wirklichen bezeichnen kann. In diesem Sinne spricht Hegel in beiden Versionen, der der Seele und der des Ich, vom „Begriff“, von dem gilt, daß er Identität und Differenz, Einheit und Vielheit sowohl unterscheidet als auch in sich vermittelt und damit diejenige Strukturform der Wirklichkeit darstellt, in der sie sich in ihrer ganzen Konkretion transparent wird. Und ebenfalls in beiden Versionen führt Hegel diese Befreiung zur Transparenz des Begriffs mit seinem prominenten Gedanken zusammen, wonach die Substanz als Subjekt zu begreifen ist. „Subjektivität“ steht hier mithin nicht in Opposition zu Objektivität oder zum Sein, sondern ist der Inbegriff eines Selbstverhältnisses, das die substantiell längst vorliegenden Verhältnisse im Übergreifen des Anderen als Anderen seiner selbst aufschließt und so sich selbst einsichtig wird. Inwiefern ist es aber ein Unterschied, ob man das „Dasein“ dieser Subjektivitätsstruktur mit der Seele oder mit dem Ich identifiziert? Logisch-strukturell besehen läßt sich dieser Unterschied wie gesehen nicht packen. Faktisch aber ist er riesengroß, weil es im Fall der Seele ein individuelles Individuum ist, das das bezeichnete Selbstverhältnis im Gefühl seiner selbst realisiert. Nirgends sonst in seinem ganzen Werk spricht Hegel so extensiv wie intensiv über Individualität: eben weil er in der Anthropologie ein ganz neues und, wie sich gezeigt hat, noch gegenwärtig relevantes Verständnis der Seele freigelegt hat, mit dem er deutlich schärfer noch als in der Wissenschaft der Logik gegen die Vorstellung von der Seele als einem „Ding“ argumentieren kann.30 Siehe: Hegel: GW 20, § 403 (S. 402). Siehe: Hegel: GW 12 (S. 17). – Vgl. dazu auch: Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule. Stuttgart / Weimar 2003. 354 f. 30 Siehe: Hegel: GW 12, 19. – Bereits in der Wissenschaft der Logik zeichnet Hegel mit der Idee des Lebens und der Idee des Erkennens ja nicht nur die realphilosophische Entwicklung der Naturphilosophie einerseits und der Geistphilosophie andererseits vor. Bereits hier skizziert er dann auch mit der Hinsicht auf die Seele den spezifischen Einsatz der ausdrücklich so genannten Anthropologie. Bezeichnend ist aber, daß der „für sich selbst seyende Begriff […] in unmittel28

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Daß die Seele kein „Ding“ ist und das aporetische „Leib-Seele-Problem“ trotz und nach Kants Kritik der rationalen Psychologie im Rekurs auf die „einfache Innerlichkeit“31 der Seele auflösbar ist, ist aber noch nicht alles. Größte Aufmerksamkeit verwendet Hegel nun auch auf die terminologische Differenz zwischen Empfindung und Gefühl, um hinsichtlich der Empfindung „mehr die Seite der Passivität, des Findens“ zu markieren und im Kontrast dazu am Gefühl dessen „Selbstischkeit“32 hervorzuheben, den Charakter des rückbezüglichen Fürsichseins also, in dem das Individuum seiner selbst im Bezug auf seine sich ihm so erschließende Welt inne ist. Und so verwundert es schließlich nicht, daß Hegel genau da, wo er dem individuellen Selbstverhältnis die Realisierung des logischen Begriffs bescheinigt, von der Totalität der Monade, also von Leibniz spricht.33 Sofern der Weg von der Substanz zum Subjekt logisch vorgezeichnet ist, wird demnach hier in der Anthropologie nicht Spinozas Monismus subjektivitätsphilosophisch aufgehoben. Vielmehr ist es Leibniz’ Metaphysik der individuellen Substanzen, die zur Lebens-Welt individueller Subjekte befreit wird.34 In diesem Gedanken Hegels stecken Potentiale, die bis hin zu Wolfgang Cramers Theorie des Geistes noch überhaupt nicht ausgeschöpft sind, ganz zu schweigen von dem derzeit interdisziplinär auffälligen „emotional turn“, dem Hegels Anthropologie der Seele förmlich vorgearbeitet hat.35 barem Daseyn“ zugleich noch ganz auf diejenige „dunkle Region“ eingeschränkt wird, die dem „Naturgeist“ zukommt. Basalerweise bedeutet das, daß der Geist „in der Sympathie mit der Natur lebt, und ihre Veränderungen in Träumen und Ahndungen gewahr wird“. Jedoch gehört, so Hegel weiter, „zu dieser unvernünftigen Seite“ ferner auch „das Verhältniß des Vorstellens und der höhern geistigen Thätigkeit, insofern sie im einzelnen Subjecte dem Spiele ganz zufälliger körperlicher Beschaffenheit, äusserlicher Einflüsse und einzelner Umstände unterworfen ist“. – Siehe: Ibid. 197. – Über solche Ausführungen geht Hegel mit der Ausarbeitung der Anthropologie in der Letztfassung der Enzyklopädie ganz deutlich hinaus. Und dies gilt sogar noch einmal, wenn man anhand der jetzt edierten Vorlesungsmitschriften von 1822 und 1825 die Stufen dieser Ausarbeitung der „fühlenden Seele“ untereinander und diese wiederum mit dem Text der Enzyklopädie von 1830 vergleicht. 31 Siehe: Hegel: GW 20, § 403 (S. 401). 32 Siehe: Ibid. § 402 (S. 400). 33 „Die Seele ist an sich die Totalität der Natur, als individuelle Seele ist sie Monade; sie selbst ist die gesetzte Totalität ihrer besondern Welt, so daß diese in sie eingeschlossen, ihre Erfüllung ist, gegen die sie sich nur zu sich selbst verhält.“ – Siehe: Ibid. § 403 (S. 402). 34 Daß Hegels Programm der Bestimmung der Substanz als Subjekt auch der Durchführung seiner Anthropologie zugrunde liegt, vermerken auch: Michael Wolff: Das Körper-Seele-Problem. Kommentar zu Hegel, Enzyklopädie (1830), § 389. A. a. O. 142, und: Reiner Wiehl: Das psychische System der Empfindung in Hegels ‚Anthropologie‘. A. a. O. 101 ff. – In beiden Fällen spielt jedoch der entscheidende spinozanische Hintergrund dieses Programms und dementsprechend auch dessen auffällige anthropologische Variante in der Orientierung an Leibniz keine Rolle. – Vgl. zu Hegels programmatischer Auseinandersetzung mit Spinoza von Verf.: Die Ontologie der Substanz, der Begriff der Subjektivität und die Faktizität des Einzelnen. Hegels reflexionslogische ‚Widerlegung‘ der Spinozanischen Metaphysik. – In: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism 5 (2008), 235–275. 35 Mit dem Umstand, daß Hegels Anthropologie bislang eher im Schatten des Interesses

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Indessen kommt dieser Version die Ich-Version in die Quere, in der es gerade nicht um das individuelle Subjekt, sondern um den Zusammenschluß des Ich als Allgemeinem mit dem Ich als je Einzelnem geht,36 mit der Folge, daß das individuelle Ich, sofern es sich diesem Zusammenschluß absoluter Subjektivität nicht fügt, als Partikularität schlechter Einzelheit aus dem „normativen Reich des Geistes“ ausgeschlossen wird. Aus dieser Perspektive signalisiert Hegel denn auch schon allenthalben in der Anthropologie, daß das Fürsichsein der Seele aufgehoben werden muß. Es ist mit seiner ihm erschlossenen Welt gleichsam noch zu verwachsen und kann deshalb – bis hin zu den Risiken psychischer Erkrankung – noch nicht souverän zwischen sich als dem Subjekt und sich als dem Objekt seiner Lebensgestaltung unterscheiden. Dies gelingt erst mit dem Eintritt in die Welt des Bewußtseins, mit dem sich das Selbstgefühl in die abstrakte Selbstbeziehung des Ich im Denken transformiert und das Ich als allgemeines Selbstbewußtsein von den Kontingenzen der Lebenswelt abgezogen wird, die ihrerseits dann der normativen Umgestaltung offen stehen.37 Warum fällt es Hegel gleichwohl schwer, diese Version anthropologisch wirklich durchzuführen, so daß er sich in widersprüchliche Aussagen über die Irreduzibilität des Individuellen und dessen notwendige Aufhebung im Allgeliegt, hängt zweifellos zusammen, daß man insbesondere auch die Thematik des Gefühls und des Selbstgefühls in der Regel nicht mit Hegel in Verbindung bringt. So geht auch Karl Ameriks im Anschluß an Manfred Frank nicht auf Hegels Konzept des Selbstgefühls ein. – Siehe: Karl Ameriks: Die Schlüsselrolle des Selbstgefühls in der ästhetischen und historischen Wende der Philosophie. – In: Thomas Grundmann et al. (Hgg.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt a. M. 2005. 389–416. – Was die Lage bei Hegel selbst betrifft, so hat, wenn ich recht sehe, Ludwig Siep (siehe: Leiblichkeit, Selbstgefühl und Personalität des Geistes. A. a. O.) als einziger bisher den Versuch unternommen, Hegels anthropologische Hinsicht auf Leiblichkeit und Selbstgefühl auch für die späteren Etappen des subjektiven und objektiven Geistes fruchtbar zu machen. Die Frage ist allerdings, inwieweit nicht das „Selbst“ in den späteren Adressen an das Selbstgefühl einer so grundlegenden Transformation unterworfen wird, daß der für das Gefühl entscheidende individuelle Selbstbezug darüber verlorengeht. 36 Vgl. dazu die entsprechende Formulierung in der Wissenschaft der Logik: GW 12, 17. 37 Diesen Übergang zur Etappe des Bewußtseins bezeichnet die „wirkliche Seele“ als das „höhere Erwachen der Seele zum I c h , der abstracten Allgemeinheit insofern sie für die abstracte Allgemeinheit ist, welche so D e n k e n und S u b j e c t für sich und zwar bestimmt Subject seines Urtheils ist, in welchem es die natürliche Totalität seiner Bestimmungen als ein Object, eine i h m ä u ß e r e Welt, von sich ausschließt und sich darauf bezieht, so daß es in derselben unmittelbar in sich reflectirt ist, – das B e w u ß t s e y n .“ – Siehe: Hegel: GW 20, § 412 (S. 421). – Es ist im übrigen aufschlußreich, daß Hegel genau in dem Augenblick, in dem das Ich thematisch wird, sogleich auf den „Spinozismus“ zu sprechen kommt, also die gewissermaßen ‚alte‘, im Übergang von der Wesens- in die Begriffslogik als „Widerlegung“ Spinozas vorgezeichnete Fährte des Programms der Bestimmung der Substanz als Subjekt wieder aufnimmt. Zu „bemerken“ ist hier nämlich, „daß der Geist in dem Urtheile, wodurch er sich als I c h , als freie Subjectivität gegen die Bestimmtheit constituirt, aus der Substanz, und die Philosophie, indem ihr diß Urtheil absolute Bestimmung des Geistes ist, aus dem Spinozismus heraustritt.“ – Siehe: Ibid. § 415 (S. 423). – In Hinblick auf den soeben verlassenen Bereich der Anthropologie ergibt diese Bemerkung offenkundig keinen plausiblen Sinn.

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meinen und über die Irreduzibilität des Selbstgefühls und dessen notwendige Aufhebung im Denken verstrickt?38 Offenkundig hat er mit der fulminanten Entdeckung der Anthropologie der Seele zumindest geahnt, daß man gewiß den menschlichen Weltbezug sowohl erweitern als auch unter die normativen Erwartungen einer mit anderen geteilten Welt stellen, und daß man gewiß auch die Subjektivität des Fürsichseins einem intersubjektiven Prozeß wechselseitiger Anerkennung aussetzen kann: daß man aber das Gefühl, daß ich die- oder derjenige bin, die oder den dies alles betrifft, zugleich nicht als ein Moment behandeln kann, das in die allgemeine Form der Selbstbeziehung aufhebbar oder umgekehrt als schlechte Einzelheit zu disqualifizieren ist. * Wie angekündigt komme ich zum Schluß auf die anglophone Hegel-Renaissance kurz zurück, die erfreulicherweise dazu zwingt, sich gleichsam von vorn mit dem zu befassen, was man für die Hegelschen „essentials“ hält. Daß dabei letztlich alles an der Deutung von Hegels Logik hängt, ist klar, und zwar bis hin dazu, ob es stichhaltig ist, den Übergang von der Natur zum Geist als eine normative Setzung zu begreifen, die nicht onto-logisch begründet, sondern soziokulturell vom Geist selbst konstruiert ist.39 Es wäre reizvoll, solche und

Vgl. dazu einerseits Hegels Aussage im zentralen § 403, in dem der fühlenden Seele bescheinigt wird, „der existierende Begriff“ zu sein: „Diese e i n f a c h e I n n e r l i c h k e i t ist und bleibt die Individualität in aller Bestimmtheit und Vermittlung des Bewußtseyns, welche später in sie gesetzt wird.“ – Siehe: Ibid. § 403 (S. 401 f.). – Demgegenüber heißt es andererseits im Kontext der folgenden Erörterung der Verrücktheit, daß hier „das ausgebildete, verständige Bewußtseyn zu anticipiren [ist], welches Subject zugleich n a t ü r l i c h e s Selbst d e s S e l b s t g e f ü h l s ist. In dieser Bestimmung ist es fähig, in den Widerspruch seiner für sich freien Subjectivität und einer Besonderheit, welche darinn nicht ideell wird und im Selbstgefühle fest bleibt, zu verfallen. Der Geist ist frei, und darum für sich dieser Krankheit nicht fähig.“ – Siehe: Ibid. § 408 (S. 412 f.). – Daß pathologische Erscheinungen des Geistes nur als Widerspruch zwischen dem ausgebildeten Bewußtsein und der Befindlichkeit der Seele erklärt werden können, in dem die seelische Disposition sich gegenüber ihrer Aufhebung im Bewußtsein verselbständigt, ist eine bei anderer Gelegenheit zu diskutierende interessante These Hegels. Hier kommt es darauf an, daß der Gedanke der (gelingenden oder scheiternden) Sublimierung des „natürlichen Selbst des Selbstgefühls“ auf einen anderen Sachverhalt zielt als die zuerst genannte Bestimmung der allem weiteren zugrundeliegenden Struktur der „einfachen Innerlichkeit“. Wenn man so will, kann man diesen Unterschied darin sehen, daß für die Hinsicht auf Individualität und Selbstgefühl im einen Fall inhaltliche Aspekte entscheidend sind, während es im Fall der „einfachen Innerlichkeit“ um die Form der Selbstbeziehung geht. Indessen löst dies das Problem nicht, sondern ist gerade die Anzeige dessen, daß Hegel nämlich zwischen diesen beiden Hinsichten schwankt und im Fluchtpunkt des Ich der Verführung nachgibt, den formalen Aspekt des Selbstverhältnisses der Seele zur allgemeinen Form der Selbstbeziehung buchstäblich zu abstrahieren. 39 Siehe: Robert B. Pippin: Naturalness and Mindedness: Hegel’s Compatibilism. – In: European Journal of Philosophy 7 (1999), 194–212; und: Terry Pinkard: Speculative Naturphilosophie and the development of the empirical sciences: Hegel’s perspective. – In: Gary Gutting (Ed.): Continental Phi38

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andere Theoreme daraufhin zu befragen, ob sie nicht in mancher Hinsicht eher einer Mischform aus dem von mir exponierten quantitativ-qualitativen und qualitativ-holistischen Modell ähneln als dem, was ich als Hegels spezifische Denkform herausstellen wollte.40 An dieser Stelle geht es mir indes allein um die Grundannahme, die mit dem eben genannten Setzungstheorem einhergeht und die darauf hinausläuft, aus Hegels je schon sozialphilosophisch gelesener Geistphilosophie den Anerkennungs-Holismus eines durch und durch sozialisierten Subjekts zu beziehen. Denn demgegenüber gibt Hegels Erkundung der Seele in der Anthropologie, und sei es im Konflikt mit der logischen Ich-Version, etwas Entscheidendes zu bedenken: die Einsicht nämlich, daß aller Geltung des normativen „Reichs der Gründe“ voraus Individuen im Modus konkreter Subjektivität sich selbst erschlossen sein müssen, um identifizierbare Adressaten intersubjektiver Erwartungen und Verpflichtungen zu sein.41

losophy of Science. Oxford 2005. 19–34. – In seiner scharfsinnigen Analyse dieser Option kommt Sebastian Gardner zu dem Ergebnis, daß der Versuch, dem „harten Naturalismus“ einen solchermaßen antimetaphysisch gelesenen Hegel als Alternative entgegenzustellen, letztlich mißlingen muß. – Siehe: Sebastian Gardner: The Limits of Naturalism and the Metaphysics of German Idealism. – In: Espen Hammer (Ed.): German Idealism. Contemporary Perspectives. London / New York 2007. 19–49. – Ähnlich kritisch argumentiert auch Stephen Houlgate, der deshalb gleichfalls für eine ontologisch-metaphysische Lesart von Hegels Logik plädiert. – Siehe: Hegel and Brandom on Norms, Concepts and Logical Categories. – In: Espen Hammer (Ed.): German Idealism. Contemporary Perspectives. A. a. O. 137–152. 40 Hierzu gehört insbesondere auch, daß Pippin in Hegels Geistkonzept Fichtesche Züge hervorhebt (siehe: Naturalness and Mindedness: Hegel’s Compatibilism. A. a. O. 204), während nach meiner Darstellung der Einsatz der Geistphilosophie in der Anthropologie den Setzungsakt des Fichteschen Ichs gerade im Gegenteil hintergreift. 41 Wenn ich recht sehe, verfolgt Pirmin Stekeler-Weithofer einen ähnlichen Gedanken, wenn er die These vertritt, daß die Herr-Knecht-Beziehung nicht wie üblich im sozialphilosophischen Duktus der Anerkennungsproblematik, sondern als allegorische Bearbeitung einer „intrapersonalen Beziehung“ zu verstehen ist, die der Verständigung über intersubjektive Beziehungen vorausliegt.Vor dem Hintergrund meiner Überlegungen zur Anthropologie würde dies dann allerdings einschließen, daß dieser „allegorische Kampf zwischen Geistseele und Leibseele“ seinerseits wiederum den ursprünglichen Gewinn des Selbstverhältnisses der Seele in ihrer „einfachen Innerlichkeit“ zur Voraussetzung hat. – Siehe: Pirmin Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie. Frankfurt a. M. 2005. 412 ff.

b e nno zab e l F I C H T E S R E C H T U N D H E G E L S S TA AT Anmerkungen zu einer philosophischen Debatte des Deutschen Idealismus

ab st rac t : For the present debate on the conditions of modern statehood, including corresponding forms of socialisation, and, furthermore, concepts of political and economical participation, the German Idealism does not seem to be more than a metaphysical narration (Lyotard) that reformulates the reality of social negotiations in the mode of an abstract “ideology of freedom” while eliding the actors’ life-practical interests. Regulative, or as Foucault said, governmental theories of legal state (Rechtsstaat) focus on an individualism that is based on economical welfare and enclosed by power interests of governing elites. But in contrast to this (post-)modern approach, the German Idealism points out that social communication is not restricted to a cooperation of “rational egoists.” However, the way of justification and argumentation diverges what can be exemplified by means of H. and Fichte. Whilst in Fichte’s conception the sense and organization of legal interaction is limited by the institutions of Sittlichkeit – as morality –, H. wants to integrate the structures of law in the contexts of Sittlichkeit in the sense of ethical and political life-forms. For post-metaphysical thinking such a theory of spirit (Geist) must remain metaphysics of state and reason. H.s Not- und Verstandesstaat is seen as a civil society without making explicit how this model of practice might generate the necessary orientation of social acting and judging.The state appears as the well-known Leviathan – a conception that, for H., would possibly lack in reflection.

I. Konstellationen Will man die Prinzipien des Rechts und den Geist der Gesetze verstehen, so muß man über Freiheit reden. Freiheit aber ist ohne Rückgriff auf die wirklich geübte Praxis gemeinschaftlichen Handelns und Ur teilens, deren Standards und Konventionen, nicht zu begreifen oder erklärbar. Und erst das Bezugsnetz von Reflexion, Freiheit und Handeln bringt die Bedeutung des Rechts als Ermöglichungsbedingung einer über sich selbst aufgeklärten condition humaine zur Geltung. Angesprochen ist damit eine Einsicht, die für Fichte und Hegel gleichermaßen den Kern praktischer Philosophie ausmachen. Im Ausgang von Kants radikaler Neubestimmung menschlicher Wissens- und Praxisformen entwerfen beide das Programm einer säkularisierten Struktur- und BewußtseinsHegel-Studien 45 (2010) · © Felix Meiner Verlag · ISSN 0073-1587

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B e nno Z ab e l

geschichte der Vernunft.1 Vor allem Fichte beansprucht mit seinem Konzept der Wissenschaftslehre, die ja auch die materialen Disziplinen der Rechts- und Sittenlehre umfaßt, die transzendentalphilosophischen Prämissen Kants weiterzuentwickeln, während sich Hegel mit seiner spekulativ-dialektischen Methode der Begriffsexplikation von dieser, wie er sagt, „antinomischen Verstandesreflexion“ zunehmend distanziert und schließlich auf eine Philosophie des Geistes zusteuert. Die Erwähnung solch methodisch-systematischer Differenzen wäre überflüssig, wenn sich daraus nicht handfeste Konsequenzen für die freiheitsphilosophische Bestimmung von Recht und Staat ergäben. Daß das gerade bei Fichte und Hegel der Fall ist, soll im Folgenden gezeigt werden.2

II. Strukturen der Rechtsbegründung A. Tätige Vernunft und selbstbewußte Akteure Fichtes Rechtsphilosophie beruht auf dem Prinzip rein performativ begriffener Freiheit.3 Freiheit wird hier als Vollzug kooperativ zu verwirklichender Sinnorientierungen, oder, wie er selbst formuliert, als „reelle Tätigkeit des Vernunftwesens in der Weltanschauung“4 begriffen. Systematisch knüpft diese Sicht an die „transzendentale Deduktion des Selbstbewußtseins“ an. Sie enthält eine strikte Unterscheidung von Legalität und Moralität. Diese verweist zugleich auf die dem Rechtsverhältnis immer schon zugrunde liegenden Strategien der Siehe dazu bereits: Pirmin Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins. Frankfurt a. M. 2005. 365. 2 Vor allem Ludwig Siep hat hier wichtige Vorarbeiten geliefert. – Siehe: Ludwig Siep: Einheit und Methode von Fichtes „Grundlage des Naturrechts“. – In: Klaus Hammacher (Hg.): Der transzendentale Gedanke. Hamburg 1981. 290–306. – Ludwig Siep: Philosophische Begründung des Rechts bei Fichte und Hegel. – In: Giornale di Metafisica. Nuova Serie. Genova 1983. 263–280. – Ders.: Naturrecht und Wissenschaftslehre. – In: Michael Kahlo et al. (Hgg.): Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. Frankfurt a. M. 1992. 71–91. – Zu nennen sind darüber hinaus die Analysen bei: Peter Baumanns: Fichtes ursprüngliches System. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972. – Christoph Binkelmann:Theorie der praktischen Freiheit. Berlin / New York 2007. – Heinz Heimsoeth: J. G. Fichtes Aufschließung der gesellschaftlichgeschichtlichen Welt. – In: Filosofia. Torino. 13 (1962), 584–594. – Dieter Henrich: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1971. 41 f. – Reinhard Lauth: Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. Hamburg 1984. – Andreas Wildt: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart 1982. 197 f. 3 Die Quellenangaben beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, auf: Johann Gottlieb Fichte’s sämtliche Werke. Herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte. 8 Bände. Berlin 1845– 1846. ND Berlin 1971 (zitiert als SW I–VIII). – Sowie: Johann Gottlieb Fichte’s nachgelassene Werke. Herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte. Bonn 1834–1835. ND Berlin 1971 (zitiert als SW IX–XI). – Benutzt wird zudem: J. G. Fichte –Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Herausgegeben von Reinhard Lauth, Erich Fuchs und Hans Gliwitzky † (zitiert als GA). 4 Siehe: Fichte: Grundlage des Naturrechts. – In: SW III, 18. 1

Fichtes Recht und Hegels Staat

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Selbstvergewisserung, wie sie nicht zuletzt in der Sittenlehre thematisch werden.5 Im Einzelnen: Mit der Methode der transzendentalen Deduktion des Selbstbewußtseins hatte Fichte zu zeigen versucht, welche Denk-, Reflexionsund Handlungsmuster als notwendige Bedingungen generischen bzw. philosophischen Wissens angenommen werden müssen. Im Zentrum steht ein strukturell pragmatischer Ansatz. „Ich soll in meinem Denken vom reinen Ich ausgehen, und dasselbe absolut selbständig denken, nicht als bestimmt durch die Dinge, sondern als die Dinge bestimmend“.6 Fichte faßt dabei den Begriff des Seins nicht als ersten und ursprünglichen, sondern lediglich als abgeleiteten und damit nur als einen negativen Begriff auf, der „durch den Gegensatz der Tätigkeit“ bestimmt ist. Das Sein selbst hingegen bestimmt Fichte als – verminderte oder eingeschränkte – Aktivität des Ich. Das „einzige Positive“, so dann auch die Pointe, ist dem Idealisten die Freiheit.7 Formuliert ist damit vor allem das Konzept einer dynamischen Einheit von theoretischer und vollzugsgeleiteter Wissensgenese; ein reflexionslogisches Konzept, das, spätestens mit der Wissenschaftslehre nova methodo, auch eine Ablösung von Kants philosophischem System der drei Kritiken bedeutet.8 Der praktische Teil der Wissenschaftslehre soll ferner diejenigen Bedingungen des Bewußtseins der freien Wirksamkeit angeben, vermöge dessen überhaupt etwas vom Ich Unterschiedenes bestimmt werden kann. Fichte will auf die Weise die (vorläufige) Struktur des allvermittelnden Sollens und Strebens von seiner Abstraktheit befreien und in eine konkrete Theorie des Erkennens und Handelns überführen. In der Anwendung der Wissenschaftslehre treibt die Naturrechtslehre, und auf diese können wir uns hier beschränken,9 die Zum Verhältnis von (Natur-)Rechts- und Sittenlehre bei Fichte insbesondere: Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Köln 1986. 204 f. – Wolfgang H. Schrader: Recht und Sittlichkeit. Zur praktischen Philosophie J. G. Fichtes. – In: Philosophisches Jahrbuch. München. 80 (1973), 50–64. – Hansjürgen Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre. Freiburg / München 1975. 6 Siehe: GA I, 4. 220. 7 Siehe: GA I, 4. 251 f. – Zum gesamten Programm der Wissensbegründung in der Wissenschaftslehre siehe etwa: Klaus Düsing: Strukturmodelle des Selbstbewußtseins. – In: Fichte-Studien. Amsterdam. 7 (1995), 7–26. – Dieter Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht. – In: Dieter Henrich et al. (Hgg.): Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer zum 65. Geburtstag. Frankfurt a. M. 1966. 188–232. – Wolfgang Janke: Sein und Reflexion. Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin / New York 1970. – Ders.: Vom Bilde des Absoluten. Berlin / New York 1993. – Christian Klotz: Reines Selbstbewußtsein und Reflexion in Fichtes Grundlegung der Wissenschaftslehre (1794–1800). – In: Fichte-Studien. Amsterdam. 7 (1995), 27–48. – Wolfgang H. Schrader: Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J. G. Fichtes. StuttgartBad Cannstatt 1972. 8 Zu dieser Entwicklung Fichtes siehe: Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. A. a. O. 203 f. – Walter Schulz: J. G. Fichte. Vernunft und Freiheit. Pfullingen 1962. 9 Die späteren Modifikationen in der (Natur-)Rechts- bzw. Staatslehre sind für den hier zu diskutierenden Problemzusammenhang grundsätzlich ohne Belang, da die vorliegend interessie5

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Explikation des (reellen) Selbstbewußtseins über den Rahmen der transzendentalen Prinzipienanalyse hinaus. In den Vordergrund tritt nunmehr die Frage, wie die deduzierte Einheit der selbstbezüglich tätigen Vernunft in einem welt- und insofern auch erfahrungsbezogenen Wesen „zur Sprache“ kommen kann. Fichte versucht darauf eine Antwort zu finden, indem er das Programm der reinen Prinzipienanalyse auf den Handlungsrahmen technisch-praktischer Kommunikation appliziert.10 Notwendig dafür ist der Aufweis eines sich tatmächtig realisierenden Freiheitsbewußtseins. In der Grundlage des Naturrechts wird letzteres durch die Form reflektierter Wechselbezüglichkeit entwickelt.11 Ausgangspunkt ist ein Bewußtseinsakt resp. Handlungsschema, aufgrund dessen sich das prima facie vernünftige Wesen als wirksam auf ein Objekt und bestimmt durch ein Objekt erfahren kann. Repräsentiert wird diese Praxis des sich im anderen als frei wissend bekanntermaßen in den Strategien der Aufforderung und Anerkennung; gemeinsam begründen sie den Status des selbstbestimmten Individuums und die Kontexte zukunftsorientierter Intersubjektivität.12 Angesprochen ist damit zugleich ein Handeln, das die Selbstbeschränkung auf der einen Seite notwendig zu einer Freiheitsverwirklichung auf der anderen Seite werden läßt. Folgerichtig heißt es dann in § 4 der Grundlage: „Das endliche Vernunftwesen kann nicht noch andere endliche Vernunftwesen außer sich annehmen, ohne sich zu setzen, als stehend mit demselben in einem bestimmten Verhältnisse, welches man das Rechtsverhältnis nennt.“13 Allerdings soll das so deduzierte Rechts- und Anerkennungsverhältnis nur dann fortbestehen, wenn es auch tatsächlich von beiden Seiten realisiert wird. Die „freie Wechselwirksamkeit“ der Akteure ist also nur eine durch den jeweiligen Vertrauensvorschuß bedingte, mit der Konsequenz, daß das einseitige Aufgeben der Selbstbeschränkung auch den oder die anderen renden Aspekte der Intersubjektivitäts-, Zwangsrechts- und (Gesellschafts-)Vertragsbegründung weitgehend unverändert geblieben sind. 10 Auf diese Logik des methodischen Vorgehens verweist bereits Reinhard Lauth: Zur Idee der Transzendentalphilosophie. München / Salzburg 1965. 114 f. 11 Dezidiert schon die Formulierung von § 1 der Naturrechtslehre. – Siehe: SW III, 17. 12 Zur fichteschen Struktur der Intersubjektivität vgl. etwa: Helmut Girndt: J. G. Fichtes und G. H. Meads Theorie der Interpersonalität. – In: Klaus Hammacher (Hg.): Der transzendentale Gedanke. A. a. O. 373–387. – Reinhard Lauth: Le problème de l’interpersonnalité chez J. G. Fichte. – In: Archives de Philosophie. Paris. 25 (1962), 325–344. – Die von Fichte prominent gemachten Redeformen über Aufforderung und Anerkennung beleuchten im übrigen: Peter Baumanns: Fichtes ursprüngliches System. A. a. O. 181. – Edith Düsing Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. A. a. O. 240. – Eberhard Heller: Die Theorie der Interpersonalität in J. G. Fichtes Spätwerk, dargestellt in den „Thatsachen des Bewußtseyns“ von 1810 / 1811. München 1974. 59 f. – Wolfgang Schild: Anerkennung als Thema in Hegel ‚Grundlinien der Philosophie des Rechts‘. – In: Ders. (Hg.): Anerkennung. Würzburg 2000. 37 f. – Ludwig Siep: Einheit und Methode von Fichtes „Grundlage des Naturrechts“. A. a. O., der dort auch die methodisch-konzeptionellen Probleme herausarbeitet. – Hansjürgen Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre. A. a. O. 92. – Andreas Wildt: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. A. a. O. 271 f. 13 Siehe: SW III, 41.

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von seiner Verpflichtung entbindet.14 Die Realität des Rechtsbegriffs wird hier durch eine Kopplung der „Sinnenwelt“, des endlichen Bewußtseins, an die Idee und das allgemeine Wissen der Freiheit, i. S. des philosophischen Bewußtseins, begründet. Insofern überführt die Deduktion des Rechtsverhältnisses die Reflexionsformen des reinen Selbstbewußtseins in die Verständigungsprozesse einer faktischen Gemeinschaft individueller Vernunftwesen, also in Verständigungsund Einwirkungsprozesse, die i. S. des fichteschen „Realitätsanspruchs“ als raum-zeitliche Bedingungen ein „notwendiges Faktum“ individueller Kooperation sind.15 Fichte will damit nicht die transzendentale Struktur des Rechtsverhältnisses von einem empirischen-historischen Sachverhalt abhängig machen; wichtiger ist ihm wohl die Betonung einer handlungsgeleiteten Wechselwirkung der Akteure, die für ihn zugleich Ausdruck einer reflektierten „Erfahrung des Bewußtseins“ (Siep) ist. Nicht zu übersehen ist jedoch, daß auch diese selbst-bewußten Verständigungsprozesse auf die Matrix des methodischen Individualismus bezogen bleiben. Es gibt für Fichte keine Verpflichtung, die unabhängig vom praktischen Verhalten des anderen wäre; gerade deshalb ist für ihn das Verhalten der Individuen, das zu einer Anerkennungsgemeinschaft führt, nur eine theoretische Konsequenz. So gewiss ich den Anderen anerkenne, schreibt Fichte am Ende von § 4 der Grundlage, „so gewiss ist er durch seine erste problematische Äußerung gebunden, oder verbunden, durch theoretische Konsequenz genötigt, mich kategorisch anzuerkennen, und zwar gemeingültig, d. h. mich zu behandeln wie ein freies Wesen“. Aber in Ansehung der Realität rechtlichen Handelns und Urteilens ist das allein eine hypothetische Aussage, denn, so die Argumentation in § 7, es läßt sich kein absoluter Grund angeben, „warum das ver nünftige Wesen konsequent sein und zu Folge desselben das aufgezeigte Gesetz sich geben sollte“. Im Gegenteil, aus dem Selbstbewußtsein sei gerade nicht gesetzt, daß immerfort vernünftige Wesen auf das Subjekt desselben in vernünftiger Weise einwirken müßten, und lasse sich daraus auch nicht ableiten, „ohne die Konsequenz, die erwiesen werden soll, selbst als Erweisgrund zu brauchen“.16 Fichtes Rechts- und Anerkennungsverhältnis als bloß faktischer und damit willkürlicher Vollzugsstruktur haftet eben dadurch etwas äußerst Labiles und Zufälliges an. Behauptet wird gleichsam ein allgemeingültiger Schwebezustand des Rechts, der sein Provisorium erst im unbedingten Verpflichtungs- und

Siehe: SW III, 49 f. (Corollarium zu § 4 der Naturrechtslehre) Zum Verständnis dieses „notwendigen Faktums“ bei Fichte vgl. die Darstellung bei: Ludwig Siep: Einheit und Methode von Fichtes „Grundlage des Naturrechts“. A. a. O. – Dieter Henrich wiederum erläutert die Rede von der Faktizität des Sittlichen bei Kant. – In: Ders.: Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft. – In: Walter Schulz et al. (Hgg.): Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. Tübingen 1960. 77–115. 16 Siehe: SW III, 87. 14

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Sittlichkeitsstreben der Moral verlieren soll.17 Für das von der Moral strikt unterschiedene Recht folgt daraus, daß die fehlende Anerkennung des einen zu einer (jedenfalls temporären) Dementierung des Vernunftanspruchs durch den anderen führt. Beraubt mich der andere meiner Freiheit, „so bin ich immer genötigt, die Handlung ihm, dem gleichen Sinnenwesen C zuzuschreiben“. Demnach, so Fichte weiter, kann ich, mit vollkommener Konsequenz, die hier mein einziges Gesetz ist, „ihn für diesen Fall behandeln, als bloßes Sinnenwesen, so lange, bis beides, Sinnlichkeit und Vernünftigkeit in dem Begriffe von seiner Handlung wieder vereinigt ist“.18 Spätestens an dieser Stelle taucht das Problem auf, das mit dieser Deduktionslogik einer „reellen philosophischen Wissenschaft“ verbunden ist. Für Fichte war ja die Begründung des Rechts- und Anerkennungsverhältnisses nur deshalb möglich, weil sich die handelnden Akteure wechselseitig einen Vertrauensvorschuß und d. h. einen Vernunftkredit gegeben haben. Wenn dieser Kredit verbraucht ist, fehlt es offensichtlich an einer Basis für die „freie Wechselwirksamkeit“ prima facie vernünftiger Wesen. Wenn nämlich dieses Bewußtsein nicht (mehr) gewährleistet ist, wie soll dann eine Wiederherstellung des Rechtsverhältnisses aussehen? Formen der Anerkennung stehen dafür nicht zur Verfügung; letztere sind wegen der Freiheitsverletzung des anderen gerade ausgeschlossen.19 Durch die damit entstehende Asymmetrie der Kommunikation droht zugleich eine Regression der Vernunft. Insofern stößt vor allem eine (erneute) Aufforderung auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Der ver nünftige und hier ebenso konsequent Handelnde darf den anderen als Unvernünftigen ansprechen, schließlich hat sich dieser wissentlich seines Vernunftstatus begeben. Gleichzeitig treibt er so aber die Ermöglichungsbedingungen des Rechts in eine aus Freiheitsgesichtspunkten kaum noch beherrschbare Mißtrauens- und Ir rationalitätsspirale hinein. Denn mit der Umstellung auf „bloße Natur“, so scheint es, folgt nun auch der vernünftige Teil des Kommunikationsgefüges zwar nachvollziehbaren, aber in der Sache rein partikularen Interessen. Eine freiheitsbasierte und reflektierte Verständigung rückt damit in weite Ferne. Fichte hat im Rahmen seiner transzendentalen Deduktion des Rechtsbegriffs offen gelassen, wie eine Lösung dieses Problems aussehen könnte. Denkbar wäre, daß das Anerkennungsverhältnis immer schon mit Blick auf den Staats(vertrags)gedanken zu interpretieren ist und von dort auch eine wei„Das Rechtsgesetz findet darum eine Anwendung nur“, so Fichte, „inwiefern das Sittengesetz noch nicht allgemein herrscht, und als Vorbereitung auf die Herrschaft desselben.“ – Siehe: Fichte: Rechtslehre. – In: SW X, 502. – Und kurz darauf heißt es: Der Staat „geht […] darauf aus, sich aufzuheben, denn sein Ziel ist die Sittlichkeit, diese aber hebt ihn auf.“ – Siehe: SW X, 542. 18 Siehe: SW III, 49. 19 In diesem Sinne auch die Analyse bei: Hansjürgen Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre. A. a. O. 87 f. 17

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tergehende Legitimationsgrundlage erhält. Wir werden an anderer Stelle darauf zurückkommen.20 B. Innovationen des Geistes Hegel beginnt nicht mit dem willkürfreien Vollzug, sondern mit einer Topographie von Lebensformen, die als solche erst eine Analyse personalen Handelns und Urteilens möglich macht. Insoweit die Freiheit des Vollzugs Thema ist, knüpft dieses Projekt einer Sozialtheorie, nicht zuletzt dessen Rechtsbegriff, an wesentliche Einsichten Fichtes an. Gleichzeitig sind die methodischen Differenzen und inhaltlichen Absetzbewegungen unverkennbar. Sie führen in den Grundlinien und der Berliner Enzyklopädie zu einer völlig eigenständigen Konzeption.21 Auch in Hegels Selbstverortung innerhalb der rechts- und freiheitsphilosophischen Tradition, die spätestens in den Jenaer Jahren einsetzt,22 bleibt der gemeinsame gedankliche Ausgangspunkt offenkundig. Hegel identifiziert ihn über sämtliche Rezeptionsphasen hinweg mit der transzendentalphilosophischen Wende Kants, also mit der Verabschiedung der klassischen Metaphysik zugunsten einer an den Leistungen der Subjektivität orientierten Wissensbegründung und -artikulation.23 Ähnlich wie Fichte bestimmt Hegel Subjektivität – das (gedachte)

Verwiesen sei dazu insbesondere auf die Ausführungen unter Punkt III. Zur Rechtsphilosophie Hegels siehe hier nur die Arbeiten von Shlomo Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates. Frankfurt a. M. 1976. – Dieter Henrich / Rolf-Peter Horstmann (Hgg.): Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik. Stuttgart 1982. – Axel Honneth: Leiden an Unbestimmtheit. Stuttgart 2001. 17 f. – Jean-François Kervégan: Hegel und die Vergesellschaftung des Rechts durch den Staat. – In: Rechtshistorisches Journal. Frankfurt a. M. 12 (1993), 443–465. – Adriaan Peperzak: Hegels praktische Philosophie. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991. – Robert Pippin: Die Verwirklichung der Freiheit. Der Idealismus als Diskurs der Moderne. Frankfurt a. M. 2005. 71. – Michael Quante: Hegels Begriff der Handlung. Stuttgart-Bad Cannstatt 1993. 111 f. – Manfred Riedel: Studien zu Hegels Rechtsphilosophie. Frankfurt a. M. 1969. – Ders. (Hg.): Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Frankfurt a. M. 1975. – Wolfgang Schild: Bemerkungen zum „Antijuridismus“ Hegels. – In: Gerhard Haney et al. (Hgg.): Recht und Ideologie in historischer Perspektive. Freiburg 1998. 124–161. – Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar der Texte in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Frankfurt a. M. 2000. 150 f. – Ludwig Siep: Hegels Metaphysik der Sitten. – In: Dieter Henrich / Rolf-Peter Horstmann (Hgg.): Metaphysik nach Kant? Stuttgart 1988. 263–274. – Ludwig Siep: Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels. München / Paderborn 2010. – Stephan Stübinger: Das „idealisierte“ Strafrecht. Frankfurt a. M. 2007. 61 f. – Charles Taylor: Hegel. Frankfurt a. M. 1975. – Benno Zabel: Die Vernunft des Leviathan. (im Erscheinen) – Zitiert wird, falls nicht anders ausgewiesen, nach der Theorie-Werkausgabe Hegels in 20 Bänden, herausgegeben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel (Sigle: TWA unter Hinzufügung des jeweiligen Bandes). 22 Sichtbar wird diese Positionierung bereits in der Differenzschrift von 1801. Markant dann im Naturrechtsaufsatz von 1802 und erstmals systematisch entwickelt in der Phänomenologie des Geistes (1807). 23 Auf Hegels Kantkritik kann vorliegend nicht näher eingegangen werden, zum aktuellen Diskussionsstand siehe etwa die Arbeiten von: Robert Brandom: Making it Explicit. Cambridge, 20

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Ich – als sich bewußt werdende und sich dabei unterscheidende Tätigkeit, die aber immer schon auf vorgängige Differenzierungs- und Reflexionsformen verweist. Hegel nennt sie in ihrem Vollzug die „absolute Reflexion“ und will damit die Einheit von Selbstbezug und unterscheidender Selbstbestimmung insgesamt zum Ausdruck bringen. Die philosophische Begründung generischen bzw. allgemeinen Wissens stellt sich dabei als ein wechselseitiges Konstruieren und Rekonstruieren, als eine systematische Explikation der Ermöglichungsbedingungen individuellen wie gemeinschaftlichen Denkens und Handelns dar. Anders als Fichte, aber auch anders als Kant, greift Hegel dafür nicht auf die Logik der transzendentalen Deduktion zurück; im Gegenteil: Für Hegel sind die For men selbstbewußter Sinndeutung über die dort vollzogene Kritik überhaupt nicht angemessen darstellbar. Ausschlaggebend ist für Hegel der Rückgriff auf sein Modell der dialektischen Begriffsanalyse.24 Die Begründung des je verfügbaren, allgemeinen Wissens einer Epoche ist danach immer schon als Reflexion, d. h. als Nach-Denken über eine gleichsam vorfindliche Praxis, die Institutionen unseres Ur teilens und Orientierens in der Welt, zu verstehen. Deshalb geht es auch nicht (nur) um schon voraussetzbare Kriterien der Wahrheit oder eines wie auch immer bestimmten Sollens, dem schließlich eine reelle, also wirklichkeitsbasierte, Verständigung individueller Akteure korrespondieren müßte. Die Rede über anerkannte Wissens- und Handlungsformen bezieht sich vielmehr immer auch schon auf eine grundsätzlich als ver nünftig wahrgenommene gemeinsame Entwicklung derselben in der Zeit. Hegel behauptet hier eine Strukturgeschichte der Vernunft – und ist sich insoweit mit Vico und Montesquieu einig –, die auf der Ebene der begrifflichen Erfassung unserer Lebensformen notwendig den Typus einer „erfahrungsgesättigten Normativität“ impliziert. In genau diesem Sinne ist die heute berühmt-berüchtigte These von Vernünftig-

Mass. 1994. – Übersetzung: Expressive Vernunft. Frankfurt a. M. 2000. 122 f. – Ders.: Selbstbewußtsein und Selbst-Konstitution. – In: Christoph Halbig et al. (Hgg.): Hegels Erbe. Frankfurt a. M. 2004. 46–77. – Jürgen Habermas: Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu? Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt a. M. 1991. 9–30. – Dieter Henrich: Selbstverhältnisse. Stuttgart 1982. 173 f. – Ders. (Hg.): Kant oder Hegel? Über Formen der Begründung in der Philosophie. Stuttgart 1983. – Robert Pippin: Rigorism and the „New Kant“. – In: Volker Gerhardt et al. (Hgg.): Kant und die Berliner Aufklärung. Berlin / New York 2001. 313–326. – Gerold Prauss: Moral und Recht im Staat nach Kant und Hegel. Freiburg / München 2008. 24 Zu Hegels Verständnis der (antiken) Dialektik siehe etwa: Klaus Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik. 3., um ein Nachwort erweiterte Auflage. Bonn 1995. (Hegel-Studien. Beiheft 15) – Christel Fricke (Hg.): Das Recht der Vernunft. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995. – Hans Georg Gadamer: Hegels Dialektik. Tübingen 1971. – Dieter Henrich: Hegel im Kontext. A. a. O. 73. – Manfred Riedel: Hegel und die antike Dialektik. Frankfurt a. M. 1990. – Pirmin StekelerWeithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins. A. a. O. 176; 363. – Ders.: Das Vernünftige ist wirklich. – In: Thomas Rentsch (Hg.): Zur Gegenwart der Philosophie. Dresden 2008. 385–407. – Benno Zabel: Schuldtypisierung als Begriffsanalyse. Berlin 2007.

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keit des Wirklichen in der „Vor rede“ den Grundlinien der Philosophie des Rechts zu lesen.25 Wir bestimmen also nicht irgendwelche Phänomene und tatsächlichen Gegebenheiten als verbindlich und sinnvoll, sondern nur solche, die wir auch als in ihrer geschichtlichen Genese reflektiert anerkannt ansehen. Hegel nennt eben diese „gediegen“. Sie sind dann in der Sache belastbar und können als allgemein handlungsleitend gelten. Die Prüfung der Gediegenheit geschieht im Rahmen eines Gebens und Nehmens von Gründen, der kooperativen Verständigung und Kommunikation: In ihm kommt der Begriff des Geistes zu sich selbst. Dementsprechend heißt es dann auch in § 4 der Grundlinien: „Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist.“ Abgegrenzt wird diese Begriffs- und Strukturbestimmung in zweierlei Richtung: Zum einen im Hinblick auf die (positive) Rechtswissenschaft als formelle Einzelwissenschaft. Diese hat es vornehmlich mit Definitionen zu tun und insoweit anzugeben, „was Rechtens ist, d. h. welches die besonderen gesetzlichen Bestimmungen sind“.26 Freilich, so Hegel, werde die Richtigkeit der Definition in Übereinstimmung mit den vorhandenen Vorstellungen gesetzt. Weshalb bei dieser Methode das, „was allein wissenschaftlich wesentlich ist, in Ansehung des Inhalts die Notwendigkeit der Sache an und für sich selbst (hier des Rechts), in Ansehung der Form der Natur des Begriffs, beiseite gestellt [wird]“.27 Die philosophische Rechtswissenschaft hingegen, so sagt es § 1 der Grundlinien, „hat die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande“. Damit ist der Unterschied klar: Philosophisch kann es immer nur um die durch das Recht repräsentierten Tiefenstrukturen des Allgemeinen gehen; die einzelne Ausgestaltung dieses Allgemeinen, samt dem individuellen Vollzug, man denke an das konkrete Gesetz, die zeitbedingte Formierung der Dogmatik oder dann auch an die einzelne Rechtsprechung, sind nicht die Sache des Philosophen, sondern betreffen die – zweifellos wichtigen – Rationalitätsstandards, das Systematisierungsinteresse der Einzelwissenschaft und ihren Einzelgebrauch.28 Abgegrenzt wird das o.g. Anliegen auch noch nach einer anderen Seite, nämlich in bezug auf die genetische Bestimmung des Rechtsbegriffs. Hegel nimmt hier den Faden der fichteschen Argumentationslogik wieder auf, wenn er das Recht als beständigen Prozeß der Selbstreflexion endlicher Vernunft, d. h.

Die Mißverständnisse dieser Formulierung sind inzwischen Legion; die krasseste Einschätzung lieferte wohl Hubert Kiesewetter: Von Hegel zu Hitler. Hamburg 1974. 26 Siehe: TWA 7, § 2 Anm. 27 Ebd. 28 Dazu ausdrücklich TWA 7, § 3. 25

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des subjektiven Geistes, aufweist. In diesem Gewordensein des Rechts liegen für Hegel wie für Fichte die Voraussetzungen der Selbsterfassung des Willens, insbesondere aber die Bedingungen der Möglichkeit personaler und wechselseitiger Freiheit beschlossen.29 Im System der Enzyklopädie werden diese Voraussetzungen dann durch die Ausdifferenzierung des Geistes in die Kontexte der Anthropologie, der Phänomenologie und Psychologie repräsentiert und konturiert; gleichzeitig wird auf diese Weise der Weg zu dem geebnet, was Hegel als „die wesentliche Entwicklung des substantiellen Inhalts der Idee“ bezeichnet, „eine Entwicklung, in welcher der Begriff die zunächst selbst abstrakte Idee zur Totalität ihres Systems bestimmt, die als das Substantielle, unabhängig von dem Gegensatze eines bloß subjektiven Zwecks und seiner Realisierung, dasselbe in diesen beiden For men hat“.30 Freilich tritt an dieser Stelle wieder der eigenständige – „wesenslogische“ – Charakter des hegelschen Rechtsbegriffs hervor. Denn in der Entfaltung oder, wie wir heute sagen würden, in der Explikation des (sittlichen) Daseins kommt es nunmehr darauf an, die Gesamtheit der objektiven Gestaltungen des Geistes auch und gerade für den Einzelnen als vernünftige zu kennzeichnen und sie insofern, wie § 29 der Grundlinien ausdrücklich betont, als Dasein des freien Willens – oder eben als die verwirklichte Idee der Freiheit zu begreifen. – Ob und in wieweit allerdings der so formulier te Anspruch realisiert, ob also die angesprochene Totalität des Systems ohne totalitäre Überformungen individueller (Selbst-)Orientierungen eingelöst wird, kann erst ein Blick auf die ausgearbeitete Staats- und Institutionenordnung zeigen.31

C. Transzendentale vs. spekulative Argumente Eines ist aber zunächst deutlich geworden: Die Rechtsphilosophien Fichtes und Hegels beruhen auf je unterschiedlichen methodischen Voraussetzungen. Während Fichte das deduktive Prinzip Kants bis in den pragmatischen Teil seiner Wissenschaftslehre verlängert, ordnet Hegel sein System des (objektiven) Geistes auf der Grundlage einer logischen Strukturanalyse. Die in der hegelschen Logik entworfene spekulative Methode kann dabei, mit Rüdiger Bubner, als Metakritik, als sinnstiftende Reflexion auf unsere wesentlichen Begriffe und praxisrelevanten Ideen verstanden werden.32 Mit der Rede vom Begriff will Hegel

Siehe zur sog. Willensdialektik der Rechtsphilosophie: TWA 7, §§ 4 ff. Siehe: TWA 7, § 28. 31 Wir werden dies im folgenden noch vertiefen. 32 Zu Hegels Logik siehe hier nur die Analysen von: Rüdiger Bubner: Von der Logik zur Sprache. Stuttgart 2007. – Klaus Düsing: Hegels Dialektik. – In: Hans-Dieter Klein (Hg.): Philosophia perennis. Frankfurt a. M. 1993. 126–138. – Hans Friedrich Fulda: Hegels Logik der Idee und ihre epistemologische 29

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in hochstufiger Form darauf aufmerksam machen, daß wir es häufig – so auch im Recht – mit unterschiedlichen, partiell auch widersprüchlichen Funktionsbestimmungen unserer Urteile, Handlungen und Lebensformen zu tun haben, die aber als Repräsentanten eines kohärenten Weltmodells zu einer Synthese geführt werden müssen. Kommentierend heißt es dazu in § 31 der Grundlinien: „Das bewegende Prinzip des Begriffs, als die Besonderungen des Allgemeinen nicht nur auflösend, sondern auch hervorbringend, heiße ich Dialektik“. Und weiter: „Die höhere Dialektik des Begriffs ist, die Bestimmung nicht bloß als Schranke und Gegenteil, sondern aus ihr den positiven Inhalt und Resultat hervorzubringen und aufzufassen. […] Diese Dialektik ist dann nicht äußeres Tun eines subjektiven Denkens, sondern die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte her vortreibt.“ Und am Ende des gleichen Paragraphen wird formuliert: „Etwas vernünftig betrachten heißt, nicht an den Gegenstand von außen her eine Vernunft hinzubringen und ihn dadurch bearbeiten, sondern der Gegenstand ist für sich selbst vernünftig; hier ist es der Geist in seiner Freiheit, die höchste Spitze der selbstbewußten Ver nunft, die sich Wirklichkeit gibt und als existierende Welt erzeugt“. Hegel gebraucht den Titel Idee nicht für utopische Forderungen im Hinblick auf ein vorzustellendes Gutes oder Richtiges. Es geht vielmehr um die These, daß sich unser Wissen und Handeln notwendig im Spannungsfeld einer konkret erlebten Praxis und daran gekoppelter Zielvorstellungen bewegt.33 Der oben bereits zitierte § 1 der Grundlinien, wonach „die philosophische Rechtswissenschaft die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung, zum Gegenstand“ hat, gewinnt vor diesem Hintergrund erst seinen vollen Sinn. Fichte dagegen glaubt die Genese des reellen Selbstbewußtseins nur im Wege einer „ursprünglichen Einsicht“ (Henrich) begründen zu können. Ausschlaggebend ist eine Logik der Widerspruchsvermeidung und das daran gekoppelte Prinzip der produktiven Einbildungskraft, das den gegenläufigen „Strategien“ der Selbstsubjektivierung des Ich, nicht nur das Wissen über eine natur- und freigesetzlich begründete Welt vermittelt, sondern – daran wurde schon erinnert – zugleich den Nachweis erbringen soll, daß aus den Formen der Selbstreflexion des Absoluten erfahrbare Kontexte des Weltverstehens deduzierbar sind. Fichtes Bemühungen laufen deshalb notwendig auf die Frage hinaus, wie das Ich sich seines Handelns bewußt zu werden vermag; die Suche nach einer überzeugenden Antwort mündet wiederum in die

Bedeutung. – In: Christoph Halbig et al. (Hgg.): Hegels Erbe. A. a. O. 2004. 78–137. – Terry Pinkard: The Logic of Hegel’s Logic. – In: Michael Inwood (Ed.): Hegel. Oxford 1985. 85–109. – Pirmin StekelerWeithofer: Hegels Analytische Philosophie. Paderborn 1992. – Michael Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt a. M. 1980. 33 Zu dieser (logischen) Redeform Pirmin Stekeler-Weithofer: Das Vernünftige ist wirklich. A. a. O. 385.

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bereits aufgewiesene transzendentale Deduktion des Rechts. – Hegel hat dieser Methode seit seiner Differenzschrift immer wieder den Vorwurf gemacht, daß sie bei der Antinomie von Ich und Nicht-Ich, bei dem Gegensatz von reinem und individuellem Selbstbewußtsein, stehen bleibe und auf diese Weise zu einem Staatsbegriff führe, der vor allem die Abgrenzung und Entgegensetzung praktischer Wirkungssphären betone – ein Problem, das sich für Hegel durch die dichotomische Unterscheidung von Vernunft und Natur noch zusätzlich verschärft.34 Letzteres gerät schnell in Vergessenheit, wenn man Hegels spekulative Begriffsanalyse und die damit verbundene Idee einer Erfahrungsgeschichte des (objektiven) Geistes seinerseits wegen ihrer alles in sich aufhebenden Dialektik und ihres unausweichlichen wie machtvollen Holismus kritisiert und bestenfalls als philosophiehistorisches Konzept anerkennt.35

III. Zum Verhältnis von Recht, Person und Staat A. Vom Zwangsrecht zum Vertragsschluß 1. Fichtes Theorie des Staates ist, wie die Naturrechtslehre im zweiten Teil betont, „angewandtes Naturrecht“.36 Dem vorausgegangen sind bereits die „Deduktion der Anwendbarkeit des Rechtsbegriffs“ in den §§ 5–7 und die „Systematische Anwendung des Rechtsbegriffs“ in den §§ 8–16 der Naturrechtslehre. Die Frage nach der „Anwendbarkeit des Rechtsbegriffs“ zielt, neben den physischen Daseins- und Einwirkungsbedingungen der Akteure, vor allem darauf, „wie eine Gemeinschaft freier Wesen, als solcher, möglich“37 ist. Fichte versucht also in der Tat, das in den §§ 1–4 der Naturrechtslehre entwickelte Anerkennungsverhältnis in die entsprechenden Kontexte eines gesetzlich verfaßten Kommunikations- und 34 Prononciert vorgetragen im Naturrechtsaufsatz. – Siehe: TWA 2, 454. – Die Kritik findet sich, ausgearbeitet und im Kontext des enzyklopädischen Systems, in der Geschichte der Philosophie wieder. Siehe: TWA 20, 390. 35 Vgl. dazu vor allem die Positionen von: Rolf-Peter Horstmann: What is Hegel’s legacy and what should we do with it? – In: European Journal of Philosophy. Sheffield. 7 (1999), 275–287. – Herbert Schnädelbach: Warum Hegel? – In: Information Philosophie. Lörrach. 4 (1999), 76–78. 36 Zu Fichtes Staats(rechts)lehre siehe: Christoph Binkelmann: Theorie der praktischen Freiheit. A. a. O. 130 f. – Bärbel Frischmann: Fichte über den Rechtsstaat als Sozialstaat. – In: Fichte-Studien. Amsterdam. 29 (2006), 45–56. – Georg Geismann: Fichtes „Aufhebung“ des Rechtsstaates. – In: Fichte-Studien. Amsterdam. 3 (1991), 86–117. – Heinz Heimsoeth: J. G. Fichtes Aufschließung der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt. A. a. O. 584. – Ingeborg Maus: Die Verfassung und ihre Garantie: das Ephorat (§§ 16, 17 und 21). – In: Jean-Christophe Merle (Hg.): Grundlage des Naturrechts. Berlin 2001. 139–159. – Richard Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18. Jahrhundert. München 1962. – Ludwig Siep: Naturrecht und Wissenschaftslehre. – In: Michael Kahlo et al. (Hgg.): Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. A. a. O. 71–91. 37 Siehe: SW III, 85

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Handlungsregimes zu plazieren, denn, so die klar an Kant angelehnte Formulierung, eine Kooperation mehrerer ist nur dann möglich, wenn es sich „jedes freie Wesen zum Gesetze mache, seine Freiheit durch den Begriff der Freiheit aller übrigen einzuschränken“.38 Allerdings unterliegt auch diese Prämisse dem fichteschen Modell der durch die Denknotwendigkeit des Rechts forcierten Logik des Hypothetischen, eine Logik, die, soll sie einen Rechtszustand garantieren, auf die „Realisierung des Reellen“, des lebens- und freiheitserhaltenden Staates, zielen muß. Das Reelle sind hier die praktisch handelnden Akteure selbst; und zwar als bedürfnisgeleitete, durch Selbststilisierung und Sicherheitsstreben charakterisierte Wesen. Problematisch sind diese Interaktionsformen deshalb, weil ihnen immer schon das Potential der Freiheitsverletzungen innewohnt; insofern beurteilt Fichte dieses Vereinigungsband als „Schweben der Einbildungskraft“, das sich gerade aus dem zu erwartenden rechtswidrigen Angriff erklärt und vom dem niemand weiß, welchen Bürger er treffen wird.39 Spätestens mit der Erfahrung des Vertrauensverlustes ist es jedoch auch mit dem, wie Fichte sagt, „Treu und Glauben“ vorbei. Erschüttert ist nicht nur der Glaube an die bestehende Stabilität der Gemeinschaft, sondern auch die zukünftige Basis wechselseitiger Kommunikation und Sicherheit. D. h. aber nichts anderes, als daß Treu und Glauben einen belastbaren Rechtszustand nicht garantieren können. „Von dem Ungrunde des gegenseitigen Mißtrauens können die Parteien nicht überzeugt werden, indem eine solche Überzeugung nur auf einen befestigten, und vor aller Nachgiebigkeit, und Schwachheit gänzlich gesicherten guten Willen aufgebaut werden könnte; ein Glaube, den kaum jemand in sich selbst, geschweige denn in einen anderen setzen kann“.40 Es läßt sich gut erkennen, wie in den §§ 8 ff. der Naturrechtslehre die bereits analysierte Struktur des Rechts- und Anerkennungsbegriffs ihre unmittelbare Fortsetzung findet. Das fiktive Urrecht der Individuen wandelt sich hier zum konfliktorientierten Status der Personen. Fichte bricht damit die hypothetische Vernunftgemeinschaft auf eine praktische Kooperation „rationaler Egoisten“ herunter, die ihre Angelegenheiten grundsätzlich im Kalkül „universellen Mißtrauens“ verhandeln; denn, so die These, das „vernünftige Wesen ist nicht absolut durch den Charakter der Vernünftigkeit verbunden, die Freiheit aller Vernunftwesen außer ihm zu wollen. […] In der Moral zeigt sich eine Verbindlichkeit, dies zu wollen. Man kann im Naturrechte jedem nur sagen, das und das werde aus seiner Handlung folgen“.41 Die Verbindlichkeit im Recht kann also nicht durch ein Gesetz der sittSiehe: SW III, 92. „[…] der Begriff desjenigen überhaupt, was zu beschützen ist, ist im Schweben“. – Siehe: SW III, 202. – Siehe zum ganzen auch: Richard Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18. Jahrhundert. A. a. O. 190. 40 Siehe: SW III, 139. 41 Siehe: SW III, 88. 38 39

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lichen Selbstbestimmung und -beschränkung, sondern ausschließlich durch das Zwangsrecht hergestellt werden. Indes, das Zwangsrecht als solches führt nur zu Gewalt und Gegengewalt oder, bestenfalls, in eine „Aporie der Ungewissheit“; notwendig ist vielmehr die Einsicht der Akteure, daß die wechselseitige Freigabe mit einem wechselseitigen Sicherheitsversprechen verbunden sein muß und daß dies nur durch eine freiwillige Unterwerfung unter einen Dritten möglich ist, der zugleich die Herrschaft des (positiven) Gesetzes, die alles entscheidende Rechtsmacht, repräsentiert. „Die Sicherheit der Rechte aller“, so heißt es in der Begründung des gemeinen Wesens, „wird nur durch den übereinstimmenden Willen aller, durch die Übereinstimmung dieses ihres Willens gewollt.“42 Fichte entwickelt damit in der Naturrechtslehre – vor allem Siep hat darauf hingewiesen – eine doppelte Theorie der Verbindlichkeit: eine Verbindlichkeit theoretischer Konsequenz, die sich auf den Gesetzescharakter des Rechts- und Anerkennungsverhältnisses bezieht, und eine Verbindlichkeit reeller Konsequenz, die eben das Eingehen einer Rechtsgemeinschaft mit Zwangsrechten zum Gegenstand hat.43 Gleichzeitig entschärft er auf diese Weise das dem hypothetischen Kommunikationsparadigma immanente Problem der nicht auflösbaren Asymmetrie zwischen berechenbaren und willkürlichen, also letztlich ungewissen Verhaltensformen; und zwar dadurch, daß er die Kooperation der Individuen nicht mehr an das interne, aber labile „Gleichgewicht der Kräfte“, an eine „Anscheinsvernunft“, sondern an die gehorsamverpflichtende und insofern sicherheitsgewährleistende Norm oder, wie wir heute sagen würden, an das Gewaltmonopol des Staates bindet.44 Die §§ 13 ff. der Naturrechtslehre, aber auch die Diskussion der Staatsrechtslehre in den §§ 17 ff., thematisieren schließlich die einzelnen Verwirklichungsbedingungen der Rechtsgemeinschaft als Rechtsbzw.Vernunftstaat. Fichte hat diese Bedingungen in eine komplexe Vertragskonstruktion überführt, die sich wesentlich von den Modellen der vormodernen Tradition (man denke hier nur an Hobbes, Locke oder Pufendorf), mit ihrer Unterscheidung zwischen Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag abgrenzt.45 Ausgangspunkt ist eine for male Stufung der Verpflichtungsniveaus. Sie setzt bei der Begründung einer rechtsdurchsetzenden Zwangsgewalt ein und erweitert sich dann zu einem Staatsbürgervertrag, der sich selbst wieder in einen Eigentums-, Schutz-, Vereinigungs- bzw. Unterwerfungsver trag sowie einen davon nochmals unterschiedenen Abbüßungsvertrag ausdifferenziert. Die Logik dieser Konstruktion spiegelt den von Fichte dargestellten Erfahrungshorizont und die Siehe: SW III, 151. Siehe: Ludwig Siep: Naturrecht und Wissenschaftslehre. – In: Michael Kahlo et al. (Hgg.): Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. A. a. O. 71; 85 f. 44 Zum Gewaltmonopol siehe: Christoph Möllers: Staat als Argument. München 2000. 45 Die entsprechenden Entwicklungs- und Begründungslinien analysiert: Wolfgang Kersting: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages. Darmstadt 1994. 42 43

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damit verbundenen Reflexionsformen des reellen Bewußtseins im wesentlichen wider. Durch die eingegangenen Verpflichtungen stattet der Einzelne die Macht der Allgemeinheit mit formellen und materiellen Kompetenzen und sich mit zunehmenden Rechten aus, bis er sich im Einigungs- und Unterwerfungsvertrag als Teil eines organisierten Ganzen bestimmen kann, wobei Fichte die daran geknüpften Erwar tungen an eine effektive Machtbegrenzung und Gewaltenteilung durchaus sieht.46 Allerdings steht auch dieses – grundsätzlich sanktionierte – Gegenseitigkeitsverhältnis unter einer „auflösenden Bedingung“, nämlich der Rechtsverletzung und des Unrechts im Staat. Nirgends wird deutlicher, daß Fichte auch sein „angewandtes Naturrecht“ unter die Kautelen des methodischen Individualismus stellt. Der Bürger wird rechtlos und gilt als vogelfrei. Die Exklusion kann zwar durch den genannten Abbüßungsvertrag verhindert werden; allein, die Tatsache, daß die Rechtsgewährleistungsstandards des Gemeinwesens nun doch wieder – jedenfalls partiell – vom (exzentrischen) Verhalten des Einzelnen abhängig sein sollen, ist höchst problematisch, ganz abgesehen davon, daß Fichte nicht offenlegt, wie ein rechtlos gestelltes Individuum überhaupt Rechte aus und durch einen (Abbüßungs-)Vertrag geltend machen kann.47 Damit treten nun im Rahmen der realen Sphäre des Staates erneut die Schwierigkeiten auf, die doch ursprünglich den Grund dafür geliefert haben, den Naturzustand resp. die hypothetische Anerkennungsgemeinschaft zugunsten einer reellen Ordnung mit Zwangsrechten zu transzendieren. 2. Ohne Zweifel, darauf ist immer wieder hingewiesen worden, ist die fichtesche Konzeption der Rechts- und Staatsbegründung durch diejenige Lockes, Kants und Rousseaus, besonders aber durch das Vertragsmodell Hobbes’ beeinflußt.48 Letzteres irritiert zunächst, wenn man sich die unterschiedlichen methodischen Auf die Problematik des Ephorats kann vorliegend nicht näher eingegangen werden; ausführlich diskutiert wird sie bei: Marco Rampazzo Bazzan: Das Ephorat bei J. G. Fichte. – In: Fichte-Studien. Amsterdam. 27 (2006), 117–134. – Ingeborg Maus: Die Verfassung und ihre Garantie: das Ephorat (§§ 16, 17 und 21). A. a. O. 139. – Richard Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18. Jahrhundert. A. a. O. 228 f. 47 Siehe zu den verbleibenden Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Abbüßungsvertrages: Alessandro Lazzari: Eine Fessel, die nicht schmerzt und nicht sehr hindert“: das Strafrecht. – In: Jean-Christophe Merle (Hg.) Grundlage des Naturrechts. Berlin 2001. 173–186. – JeanChristophe Merle: Strafen aus Respekt vor der Menschenwürde. Berlin / New York 2007. 77. – Georg Mohr: Recht als Anerkennung und Strafe als „Abbüßung“. Trifft Hegels Kritik der Präventionstheorie Fichtes Begründung der „peinlichen Gesetzgebung“? – In: Barbara Merker et al. (Hgg.): Subjektivität und Anerkennung. Paderborn 2004. 243–270. –Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre. A. a. O. – Rainer Zaczyk: Das Strafrecht in der Rechtslehre J. G. Fichtes. Berlin 1981. 79 f. 48 Siehe: Hansjürgen Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre. A. a. O. – Richard Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18. Jahrhundert. A. a. O. 176 f. – Ludwig Siep: Naturrecht und Wissenschaftslehre. – In: Michael Kahlo et al. (Hgg.): Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. A. a. O. 71–91. 46

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Prämissen, vor allem den freiheitstheoretischen Anspruch Fichtes vor Augen hält. Bei genauerem Hinsehen erklären sich jedoch die Konvergenzen: So ist die Rechtsphilosophie Fichtes, und zwar nicht nur die Naturrechtslehre des Jahres 1796, sondern – mutatis mutandis – auch die späteren Konzeptionen des Geschlossenen Handelstaates (1800), der Rechtslehre des Jahres 1812 und letztlich auch der Staatslehre (1813) mit dem vorrangigen Ziel verbunden, die Subsistenzbedingungen des Einzelnen aufzuweisen und zu garantieren.49 Fichte greift hier auf die Idee vom homo oeconomicus bzw. homo rationalis sensibilis zurück und verknüpft deren Profil mit seinem Realitäts- und Praxisbegriff. Die Konsequenz ist eine umfassende Anthropologisierung des Kommunikationsparadigmas, wie sie in der Charakterisierung der egoistischen Bedürfnisstruktur, des Sicherheitsstrebens und der Erwartungsenttäuschung der Akteure zum Ausdruck kommt. Entscheidend ist allerdings, daß Fichte die daraus erwachsende Logik des Mißtrauens an das Rechtsgesetz koppelt und damit generalisiert. In der Sache hat sich Fichte hier dem schon von Hobbes favorisierten Leistungs-LegitimationsParadigma weitgehend angenähert. Die zwangsbewährte Neutralisierung des Vertrauensverlustes wird im Gegenzug durch eine individuelle Anerkennung der staatlichen Übermacht „honoriert“.50 Freilich schmilzt so der Freiheitskern seiner Rechtsphilosophie auf ein Minimum zusammen. Zurück bleibt bloß die Gewißheit einer „höheren Freiheit“.51 Fichte ist sich der Problematik durchaus bewußt; aber das reelle Recht als Garant der Konfliktbefriedung verlangt offensichtlich nach einer solchen Form der Beschränkung. In der Rechtslehre (1812) heißt es dann auch: „Nun wird […] der Rechtszustand eingegangen, lediglich um der Freiheit willen. Aber durch die Vorkehrungen, die wir treffen, sie zu schützen, sehen wir das ganze Gegenteil erfolgen, ihre Vernichtung.“52 Gerade deshalb geht das gesamte systematische Bestreben, nun im Gegensatz zu Hobbes, auf eine Überwindung dieser zwingenden äußerlichen Notwendigkeit und auf eine fortschreitende Verwirklichung sittlicher Freiheit. Aber von welchen Freiheiten ist hier die Rede? Die Freiheit des Rechts, der Individuen, erscheint nur als Desiderat der reellen und durch Zwang vermittelten Herrschaft des Zu den bestehenden Differenzen der rechtsphilosophischen Modelle siehe etwa: Georg Geismann: Fichtes „Aufhebung“ des Rechtsstaates. A. a. O. – Christian Stadler: Dimensionen und Wandlungen des Fichteschen Rechtsbegriffs im Vergleich Jena – Berlin. – In: Fichte-Studien. Amsterdam. 27 (2006), 57–66. – Makoto Takada: Zur Umwandlung der Staatslehre des späten Fichte. – In: Fichte-Studien. Amsterdam. 27 (2006), 129–138. 50 Genealogisch analysiert hat diese Struktur in letzter Zeit: Benno Zabel: Die ordnungspolitische Funktion des Strafrechts. – In: Albin Eser et al. (Hgg.): Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Berlin. 120 (2008), 68–106. 51 Instruktiv dazu: Carla de Pascale: Freiheit und Notwendigkeit beim späten Fichte. – In: Albert Mues (Hg.):Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806. Hamburg 1989. 453–470. 52 Siehe: SW X, 535. 49

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Gesetzes, der technisch-praktischen Ver nunft; während erst die sittliche Freiheit die wahre und deshalb auch wirkliche Bestimmung des Menschen zur Geltung bringt.53 Fichtes Verhältnisbestimmung von Recht und Moral, von Recht und Sittlichkeit, ist genau durch dieses Spannungs- und Bedingungsverhältnis geprägt. Insoweit ist das Recht die Voraussetzung, die Bedingung der Sittlichkeit. Nur heißt das auch, daß eine ausschließlich vom Recht regierte Gemeinschaft in der fichteschen Philosophie nicht vorstellbar wäre. Vielmehr geht es immer zugleich um eine (moralische) Vervollkommnung der Gesellschaftsmitglieder, um die Ausbildung zur freien, nämlich autonomen Selbständigkeit usw. Freilich war sich Fichte nicht darüber im klaren, wie dies zu bewerkstelligen war. Soll es der Staat selbst als „sittlicher Staat“ sein, der die Spannung zwischen rechtlicher Notwendigkeit und sittlicher Freiheit auflöst? Oder kann es nur um eine langfristige Überwindung des Staates gehen, insofern das „letzte Ziel“ des Staates seine Aufhebung durch die Sittlichkeit ist?54 Zu einem eindeutigen, auch geschichtsphilosophisch erhellenden Standpunkt hat sich Fichte letztlich nicht durchgerungen.55 Es ist Hegel, der sich mit seiner Philosophie des (objektiven) Geistes dieses Problems erneut annehmen und es „auf seine Weise“ lösen wird.

B. Institutionen der Freiheit 1. Hegels Theorie des modernen Staates ist reflektierte Institutionenanalyse. Der bereits analysierte Grund des gemeinschaftlichen Handelns und Ur teilens wird jetzt im Kontext ihrer freiheitsverwirklichenden Formen, d. h. in den Strukturen und Verfahren einer sinnstiftenden Verfassung verortet.56 Im Unterschied zu Fichte und anknüpfend an seine eigene Philosophie des Selbstbewußtseins geht es Hegel nicht darum, mit dem Recht, wie auch immer man es versteht, zugleich dessen funktionale, also technisch-praktische Anwendbarkeit deduzieren zu wollen, sondern um eine topische, zeit- und situationsvariante Bestimmung

53 Hintergrund dieser Unterscheidung ist offenkundig die Überzeugung Fichtes, zwischen einer pragmatisch-reellen und normativ-praktischen Freiheit sinnvoll unterscheiden zu können. 54 Siehe in diesem Sinne die Rechtslehre: SW X, 542. 55 Siehe zu Fichtes Geschichtsphilosophie: Klaus Hammacher: Die ethische Teleologie in Fichtes System als Grundlage seiner Geschichtsphilosophie. Aachen 1958. 56 Zum hegelschen Staatsbegriff: Shlomo Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates. A. a. O. – Bernard Bourgeois: Der Begriff des Staates. – In: Ludwig Siep (Hg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts. Berlin 2005. 218–242. – Franz Rosenzweig: Hegel und der Staat. Frankfurt a. M. 2010. 401 f. – Herbert Schnädelbach: Die Verfassung der Freiheit. – In: Ludwig Siep (Hg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts. A. a. O. 243–265. – Zur Verfassungskonzeption siehe insbesondere: Hans-Christian Lucas/ Otto Pöggeler (Hgg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986. – Zusammenfassend: Benno Zabel: Hegels Rechtsphilosophie. (http: //www.enzyklopaedie-rechtsphilosophie.de)

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der immer schon erfahrungsgesättigten Gehalte des Normativen. Gefunden ist so zumindest der Schlüssel für das bei Fichte ungelöste Problem der Vermittlung von Notwendigkeit und Freiheit. Denn, so Hegels pointierte Formulierung: „die Wahrheit der Notwendigkeit ist die Freiheit“.57 Artikuliert wird damit eine Einsicht, die für den modernen Staat, die moderne Gesellschaft, aber vor allem für den Einzelnen von zentraler Bedeutung ist. Institutionen bilden eine Art Garantiefunktion personaler Selbstbestimmung, Ermöglichungsbedingungen individueller Autonomie. Insofern sind sie „abgekühlte“ oder doch rationalisierte Praxen der Sinnver mittlung und Konfliktlösung. Voraussetzung ist freilich, daß sie Verwirklichungsformen der Freiheit manifestieren.58 Für Hegel sind das etwa die moderne bürgerliche Gesellschaft, das Eigentum, die Ehe und die Familie, aber auch die Universität oder die Sozialfürsorge. Sie entsprechen dem modernen Prinzip der Subjektivität, d. h. der Vernunft freiheitlichen Lebens. Nur ist das nicht selbstverständlich, wie Hegel selber sieht. Institutionalisierte Strukturen können auch zum Hemmnis individueller Autonomisierungsbestrebungen werden. Hegel erinnert hier, aus der Perspektive des beginnenden 19. Jahrhunderts, an Reste feudaler Abhängigkeitsverhältnisse oder patriarchal geführte Großfamilien. Die Probleme reichen bis in die Gegenwart. Man denke nur an For men religiös motivierter Intoleranz oder an pater nalistisch organisierte Lebensbedingungen. 2. Begrifflich bleibt nun allerdings das, was Hegel als „objektiv ver nünftig“ bezeichnet, d. h. die Abgrenzung zwischen freiheitlicher Daseinsform und freiheitsbehindernder Normkonzepte, zunächst noch unklar. Wesentlich scheint für Hegel immerhin der Verweis auf die Struktur- und Entwicklungsgeschichte handlungsleitender Praxisformen zu sein. Insofern zielt er auf eine rationale Rekonstruktion der Genese, auf eine Gründegeschichte, aber auch auf Erklärungen der Ursachen eines möglichen Verfalls bestimmter Institutionen. Die Geschichte der Ausprägung von Freiheit und des Rückfalls in Unfreiheit ist keine bloße Erzählung. Sie ist nicht i. S. einer deskriptiven Historie überlieferter „Tatsachen“ mißzuverstehen. Für ein kritisches Selbstbewußtsein und eine auf anzuerkennende Gründe abzielende Institutionenanalyse hätte ein bloß historiographisches Projekt überhaupt keinen Wert. Es geht vielmehr um die Einsicht in den substantiellen Sinn veränderlicher Reflexionsstandards – im Blick auf das jeweils schon bekannte und immer schon partiell erreichte Ziel.59 Siehe: TWA 8, § 159 (Enzyklopädie). Siehe: Terry Pinkard: Innen, Außen und Lebensformen. Hegel und Wittgenstein. – In: Christoph Halbig et al. (Hgg.): Hegels Erbe. A. a. O. 2004. 254–294. – Robert Pippin: Die Verwirklichung der Freiheit. Der Idealismus als Diskurs der Moderne. A. a. O. 59 f. 59 Es ist daran zu erinnern, daß das bekannte oder auch erreichte Ziel, von dem aus die Freiheits- und Institutionenanalyse erfolgt, nicht das „Ende der Geschichte“, schon gar nicht den 57 58

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Unumgänglich ist eine Vergegenwärtigung langfristiger Anerkennungsprozesse; sie sind Ausdruck ideengestützter Emanzipationsleistungen autonom handelnder Akteure und damit Inbegriff dessen, was wir condition humaine nennen. Erst mit dieser Reflexion auf die je per sonalen Verhältnisse in der Zeit und deren expliziter Kontrolle, so die Überzeugung Hegels, kommt schließlich die Realentwicklung der praktischen Ver nunft und ihr impliziter Geist zu sich selbst. Festzuhalten ist deshalb, daß es nur diese Vergewisserung des ewig Gegenwär tigen der guten Gründe in der gewordenen Gestalt des bewußten Lebens sein kann, die auch eine belastbare Unter scheidung zwischen dem verfehlten Rekurs auf die Vernunft und dem richtigen Verständnis institutionellen Handelns und Ur teilens er möglicht. Denn in der rationalen Rekonstruktion der anzuerkennenden Gründe selbst haben wir die anerkannten Institutionen immer schon als weitgehend vernünftige begriffen und damit zugleich unsere Zeit „in Gedanken erfaßt“.60 Insoweit darf die Rede von der Ver nunft weder als vermeintlicher Appell an ein wie auch immer faßbares „Großsubjekt“ fehlgedeutet, noch auf ein ‚absolutes‘ metaphysisches Wissen mit zugehörigem transzendenten Wahrheits- und Richtigkeitsanspruch bezogen werden. Vernunft ist für Hegel ein Prozeß reflektierter und begründeter Kommunikation und damit notwendige Bedingung rechtlicher Praxis. Wenn uns die Ar tikulation eines solchen Freiheits- und Institutionenkonzepts zu emphatisch, die (geschichtliche) Entwicklung der Vernunft zu geglättet erscheint, kann das immer auch Folge unseres eigenen Zeitgeistes sein. In jedem Fall aber geht es einer solchen Analyse um eine normativ begründete Matrix, zentrale Praxen des Zusammenlebens als inter subjektiv abgesicherte Kooperationsformen zu begreifen.61 Hegels Leistung besteht vor allem darin, das damit einhergehende Potential gesehen zu haben. Denn als Kooperationsformen bestimmen sie gestufte, jedenfalls aber voneinander unter schiedene Normierungs- und Verbindlichkeitssphären, wie sie uns im Recht, der Moral oder der Religion begegnen. Als intersubjektiv „absoluten Standpunkt“ meint (mißverständlich hier: Karl Löwith: Von Hegel zu Nietzsche. – In: Ders.: Sämtliche Schriften. Band 4. Stuttgart 1988. 46 f., aber auch: Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band. 2. Tübingen 1992. 6 f.), sondern nur darauf verweist, daß die Betrachtung aus der Gegenwart heraus erfolgt und erfolgen muß und deshalb auch nur die bisher erreichten Standards der Freiheitsverwirklichung als Maßstab der Beur teilungen dienen können. In diesem Sinne ist dann auch Hegels Rede von der Idee (des Rechts) zu verstehen: Mit ihr bezeichnet Hegel die als angemessen bewerteten Praxisformen, wie etwa die Strukturen des je funktionierenden Staates, wobei die Evaluierung der entsprechenden Kriterien und Standards immer die idealtypische Perspektive der Rechtsverwirklichung einschließt (weshalb es Hegel nie nur um den realen und durchaus verbesserungswürdigen oder sogar -bedürftigen preußischen Staat von 1820 ging). 60 Siehe: TWA 7, „Vorrede“. 14. 61 Siehe zu den Details: Bernard Bougeois: Der Begriff des Staates. – In: Ludwig Siep (Hg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts. A. a. O. 218–242. – Walter Pauly (Hg.): Der Staat – eine Hieroglyphe der Vernunft. Staat und Gesellschaft bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Baden-Baden 2009.

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können sie bezeichnet werden, weil es, wie eben gezeigt, immer die handelnden Akteure sind, die durch ihre Strategien der Kommunikation, Par tizipation und Teilnahme die Sinnpotentiale einer grundsätzlich anerkannten Kultur konkreter Freiheit bestätigen und weiterentwickeln. In der hegelschen Strukturanalyse ist es insbesondere der objektive Geist, das System der praktizierten Institutionen, in dem die entsprechenden Freiheitsspielräume zueinander in Beziehung gesetzt sind. Nur hier gibt es Verwirklichung einer sonst bloß vorgestellten Freiheit. In seiner Explikation werden dann auch die Konsequenzen der erhobenen Geltungsansprüche zur Sprache gebracht.62 Die Objektivität des Geistes verweist zugleich darauf, daß diese Sphären nur dialektisch zu verstehen sind, d. h. als Kontextualisierung des Subjekts in den reflektierten Praxisformen einer staatlich verfaßten Ordnung. Denn eines ist für Hegel klar, nämlich „daß – als Angelegenheit des Subjekts – seine Vernunft dem Menschen im Recht entgegenkommen muß“.63 Hegel insistiert hier auf eine auch heute durchaus vertraute, wenngleich nicht notwendig explizite Überzeugung, wonach es immer auch des Blicks aus der Perspektive des als vollkommen ver standenen (Rechts-)Zustandes bedarf, der schließlich das Projekt der gesellschaftlichen und individuellen Wirklichkeit konstituiert. Nur sind die entsprechenden Orientierungsmuster so verfaßt, daß sie die Beschränkungen und Probleme realen Wissens in bezug auf die Qualität der je faktischen Zielvorstellungen aufheben und transzendieren (anders wären gesellschaftliche Veränderungen gar nicht denkbar) – was auch bedeutet, daß die mit dieser Praxis verbundene Offenheit und damit die Unvorhersehbarkeit der realen Entwicklungen berücksichtigt werden müssen; wie eben auch der Begriff des (rechtlichen) Fortschritts per se noch nichts darüber aussagt, wie die reale Entwicklung tatsächlich verlaufen wird.64 Freilich ist zuzugeben, daß Hegels spekulative Rekonstruktion des Rechts nicht nur auf eine analytische Pragmatik setzt, sondern auch den affirmativen Kern vernünftigen Ur teilens und Begründens herausschält. Das ist heute kein einfach zu vermittelndes Projekt, da die Differenz empirisch-einzelner Historie und einer Vernunft- und Gründegeschichte nicht mehr bekannt oder anerkannt ist. DaSiehe: Walter Jaeschke: Genealogie des Rechts. – In: Birgit Sandkaulen et al. (Hgg.): Gestalten des Bewußtseins. Hamburg 2009. 284–301. – Jean-François Kervégan: Hegel, Carl Schmitt. Paris 2005. – Gertrud Lübbe-Wolff: Die Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie. – In: Birgit Sandkaulen et al. (Hgg.): Gestalten des Bewußtseins. A. a. O. 328–350. – Frederick Neuhouser: Foundations of Hegel’s social theory. London 2000. 17 f. – Alan Patten: Hegel’s Idea of Freedom. Oxford 2002. 121 f.; 157 f. – Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. A. a. O. 199 f. 63 Siehe: Karl-Heinz Ilting (Hg.): Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Vorlesungen über Rechtsphilosophie. 1818–1831. Dritter Band. Philosophie des Rechts. Nach der Vorlesungsmitschrift von H. G. Hotho 1822/23. Stuttgart-Bad Cannstatt 1974. 96. 64 Kommentiert bei: Bruno Liebrucks: Wege zum Bewußtsein. Frankfurt a. M. 1966. 492 f. – Walter Pauly: Hegel und die Frage nach dem Staat. – In: Der Staat. Berlin. 39 (2000), 381–396. – Wolfgang Schild: Anerkennung als Thema in Hegel ‚Grundlinien der Philosophie des Rechts‘. A. a. O. 37 f. 62

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bei geht es Hegel gerade nicht um eine in der Transzendenz verortete Ver nunft oder ‚Letzt‘-Begründung. Wichtiger ist ihm, die bereits erwähnten Akteure in ihrer Doppelrolle als bedürfnisgeleitete Individuen und Bürger subjekte, als homo oeconomicus und homo rationalis, zu begreifen. „Das Dasein des freien Willens“ zielt insoweit immer auf den Einzelwillen, der dann aber nicht als naturalisiertes Phänomen in einer ansonsten durch Nor men strukturierten Praxis, sondern als normkonstitutive Motivation und weltgestaltende Entscheidung zu nehmen ist.65 Hegels Akteure sind in diesem Sinne selbständig und verantwortlich; ihre Intentionen for mulieren sie nicht solipsistisch; im Gegenteil, sie werden durch eine Vielzahl sozialer Konventionen und ebensolcher Eigenschaften begrenzt. Die damit einhergehenden Zumutungen der Freiheit will er ihnen keineswegs ersparen, auch deshalb nicht, weil er sie nicht für Zumutungen hält. Das gilt für den Heranwachsenden ebenso, wie für den souverän agierenden Akteur. Die Praktiken der Selbstorganisation werden oder sind vielmehr Ausdruck zu entwickelnder bzw. entwickelter Kompetenz, der zweiten Natur, der deutera physis. Hegel stellt sich damit in die Tradition (post-)aristotelischer Gesellschafts- und Staatsmodelle; deren moder ne Transformation gelingt ihm durch eine systematische Neuplazierung konfligierender Gründe, individueller Interessen und allgemeiner Forderungen in, so würden wir heute sagen, verschieden genormte Kontexte der Orientierung (Seelmann). Hegel selbst nennt sie in seiner Rechtsphilosophie: abstraktes Recht, Moralität und Sittlichkeit.66 3. Die Rede von Kontexten der Orientierung, d. h. von Funktionsarealen des abstrakten Rechts, der Moralität und der Sittlichkeit, konkretisiert und strukturiert nicht nur das hegelsche Programm der Vernunft- und Daseinsanalyse, sondern auch seine Theorie des rationalen Handelns. Funktionsareale sind sie insoweit, als sie (positiv-)rechtliche, politische und ökonomische Positionen des Einzelnen wie der Allgemeinheit aus je unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. In diesem Sinne können sie auch als Aufweis unterschiedlicher Reflexions- und Freiheitsverwirklichungsniveaus gelesen werden.67 Deutlich wird auch hier die dialektische Methode Hegels: So entspricht die Begründung der konkreten Rechts- und Statusverhältnisse keiner deduktiven Konstruktion, wie Bezug nehmen darauf Gabriel Amengual: Subjektivität in der Rechtsphilosophie Hegels. – In: Barbara Merker et al. (Hgg.): Subjektivität und Anerkennung. Paderborn 2004. 195–212. – Robert Pippin: Idealism as Modernism: Hegelian Variations. Cambridge, Mass. 1997. 31 f. – Michael Quante: Hegels Begriff der Handlung. A. a. O. 66 Siehe: TWA 7, §§ 34 f.; 105 f.; 142 f. – Karl-Heinz Ilting: Die logische und systematische Form der Rechtsphilosophie. – In: Manfred Riedel (Hg.): Materialien zu Hegelschen Rechtsphilosophie. A. a. O. 52–80. – Emil Angehrn: Freiheit und System bei Hegel. Berlin / New York 1977. 180 f. – Ludwig Siep: Hegels Metaphysik der Sitten. A. a. O. – Wolfgang Welsch / Klaus Vieweg (Hgg.): Das Interesse des Denkens. Paderborn 2007. 191 f. 67 Siehe: TWA 7, § 33, Zusatz. 65

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das noch bei Kant, aber eben auch bei Fichte, der Fall war; im Grunde setzt sie konsequent das Prinzip der ‚spekulativen‘ Rekonstruktion fort. Die Bedeutung der einzelnen Funktionsareale wird im Modus eines idealtypisch vorgestellten Orientierungswissens erzählt und bestimmt. Sichtbar werden somit die jeweiligen Aspekte des Rechts, subjektive wie objektive, deren Vereinseitigungstendenzen undVer mittlungspotentiale.Insoweit zielt das Freiheitsverwirklichungsniveau des abstrakten Rechts auf ein formal-objektives Ordnungsmuster.68 Hegel entwickelt hier die (legalen) Strukturen der Rechtsverhältnisse als notwendige Bedingung kooperativen Handelns und ver nunftgeleiteten Ur teilens. Im Mittelpunkt der Analyse steht die personale Qualität des Rechts. Das ist in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Zum einen, weil der Begriff des Willens im Sinne von § 29 nunmehr in der Person resp. der Persönlichkeit als Universalprinzip konkretisiert wird, die Entfaltung dieses Universalprinzips vom abstrakten Recht bis hin zur Sittlichkeit dementsprechend auf die Freiheitsgrade und ihre institutionelle Verwirklichung verweist; zum anderen, weil, ähnlich wie bei der „Daseinsbestimmung des freien Willens“, auch hier ein weiteres Relatum angesprochen ist, nämlich das der Person als individueller Träger von Rechten und Pflichten, siehe § 36 Grundlinien.69 Das Potential des abstrakten Rechts sieht Hegel in der Explikation unmittelbarer Freiheitsformen, denn „das Recht ist zuerst das unmittelbare Dasein, welches sich die Freiheit auf unmittelbare Weise gibt“;70 d. h. im Modus des Eigentums, des Vertrages sowie des Unrechts, des Verbrechens und der Strafe. Im Gegensatz zu traditionellen, insbesondere vertragstheoretischen Begründungsmodellen möchte Hegel zeigen, daß die Rede über Eigentum,Vertrag oder Strafe nicht aus einer Konstruktion par tikularer Positionen herzuleiten ist, sondern immer schon auf dem Prinzip der personalen Interaktion fußt. Zugleich kommt es Hegel aber darauf an, das formelle Element, die „Bestimmtheit der Unmittelbarkeit“ zu betonen, als die Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit des Personalen (Willens) und damit des Rechts noch nicht miteinander ver mittelt sind. Die Normen des Handelns und Ur teilens werden als der freien Person äußerliche, nicht aus ihr selbst entwickelte Bestimmungen aufgefaßt, die deshalb auch nicht zum Gehalt der selbstbewußten Freiheit des Siehe: Wolfgang Bartuschat: Zum Status des abstrakten Rechts in Hegels Rechtsphilosophie. – In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Frankfurt a. M. 41 (1987), 19–42. – Axel Honneth: Leiden an Unbestimmtheit. A. a. O. 39. – Jean-François Kervégan: Hegel und die Vergesellschaftung des Rechts durch den Staat. A. a. O. – Wolfgang Schild: Bemerkungen zum „Antijuridismus“ Hegels. – In: Gerhard Haney et al. (Hgg.): Recht und Ideologie in historischer Perspektive. Freiburg 1998. 124–161. – Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. A. a. O. 199 f. 69 Dort heißt es dann auch expressis verbis: „Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstrakte Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechts aus. Das Rechtsgebot ist daher: sei eine Person und respektiere die anderen als Personen.“ 70 Siehe: TWA 7, § 40; ähnliche Notiz zu § 37. 68

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agierenden Individuums gehören. Insofern kann es sich bei den oben erwähnten Freiheitsformen auch nicht um staatlich verfaßte Praxen des Rechts handeln. Der häufig anzutreffenden Deutung, Hegel habe mit der Struktur des abstrakten Rechts die vollständigen Funktionen des Zivil- und Strafrechts, mutatis mutandis, des öffentlichen Rechts entwickeln wollen, ist deshalb entschieden zu widersprechen.71 Wenn Hegel hier die genannten Institute einführt, so um sie als Bedingungen der Möglichkeit für die Verwirklichung der Freiheit auszuweisen. Ein vorgreifender Blick auf die §§ 209 ff. der Grundlinien bestätigt diese Sichtweise: Jene Bestimmungen im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft regeln die wesentlichen Fragen der Rechtspflege und machen damit deutlich, daß Recht im umfassenden Sinne immer auch Verfahrensrecht meint und sich deshalb nur in den gemeinschaftlich anerkannten Institutionen, der Legislative, Exekutive und Judikative, repräsentieren kann. Für das abstrakte Recht bleibt freilich die Aufgabe, das dialektische Moment der zugrunde liegenden Strukturentwicklung herauszustellen. Denn ohne diese (abstrakten) Rechts- und Freiheitsfor men sind zwar recht-staatliche Verhältnisse nicht zu denken, das wollte Hegel ja gerade zeigen. Zeigen will er aber auch, daß diese Norm- und Konfliktkontexte noch gar nicht gewußt, d. h. (inter-)subjektiv angeeignet sind; daß eine moderne Theorie des Rechts aber diesen Prozeß der individuellen Aneignung und Teilnahme offenlegen und vor allem begründen muß, jedenfalls dann, wenn sie mehr sein will, als ein gediegenes Machtver teilungskonzept. Das Konzept der Moralität dagegen for muliert die handlungsbezogenen Kriterien reflektierten Urteilens.72 Das hier interessierende Modell der hegelschen Rechts- und Institutionenanalyse hat demnach offenzulegen, welche Bedeutung die damit einhergehenden Strategien der Selbstvergewisserung für die Strukturen gemeinschaftlicher Kommunikations- und Aushandlungsfor men haben. Hegel stellt dem abstrakten Recht kein alter natives Normorientierungsparadigma gegenüber, sondern plädiert für einen Wechsel der Perspektive und d. h. für den subjektiven Standpunkt der Freiheit. In diesem Sinne geht es auch aus Sicht der Moralität um die Nar rative der Vernunft als verobjektivierter Geist, aber eben nicht mehr im Kontext der rein formellen Personalität, sondern notwendig als Explikation Siehe zu entsprechenden Positionen: Vittorio Hösle: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität. Band 2: Philosophie der Natur und des Geistes. Hamburg 1987. 503 f. – Günther Jakobs: Norm, Person, Gesellschaft. Vorüberlegungen zu einer Rechtsphilosophie. Dritte, erheblich veränderte Auflage. Berlin 2008. 85. – Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. A. a. O. 199 f. 72 Das Moralitätskapitel und die sich daraus ergebenden Probleme diskutieren: Claudio Cesa: Hegel und die Kantische Moralität. – In: Christel Fricke (Hg.): Das Recht der Vernunft. A. a. O. 291–309. – Francesca Menegoni: Elemente zu einer Handlungstheorie der „Moralität“ (§§ 104–128). – In: Ludwig Siep (Hg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts. A. a. O. 125–146. – Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. A. a. O. 219 f. – Allen Wood: Hegels’s Critique of Morality. – In: Ludwig Siep (Hg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts. A. a. O. 147–166. 71

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der Subjektivität und folglich als Bestimmung des Subjektseins der Subjekte.73 Für Hegel manifestiert sich diese Perspektivenverschiebung in der Behauptung einer unantastbaren Sphäre der Selbstreflexion über die jeweils richtigen Handlungs- und Begründungsmaßstäbe. Auch deshalb ist der moralische Standpunkt (zunächst) immer expressiv-reflektierend. Es wird nur explizit gemacht, was schon anerkannt ist. Wenn man das nicht sieht, droht er in die Willkür reiner Urteilsfreiheit zu kollabieren. Insofern ist er, wie Hegel bereits im Natur rechtsaufsatz for muliert, „die Sittlichkeit, insofern sie am Einzelnen als solchem sich ausdrückt“.74 Die hier zur Sprache kommende Differenz zwischen einer Identität mit sich und einer Anerkennung des Allgemeinen, die in der Tat ein zentrales Spannungsfeld subjektiver Freiheit artikuliert, versucht Hegel in der Rechtsphilosophie von 1821 durch eine Matrix kontroverser Bestimmungsformen des Willens zu entwickeln.75 Hegel verfolgt mit diesem Modell zugleich ein pragmatisch-institutionelles Anliegen.76 So ist der moralische Standpunkt in Wirklichkeit gleichermaßen an die Kontexte der Orientierung gebunden, wie sie bereits für das abstrakte Recht kennzeichnend waren. Indes, im Subjektiven werden die Bezüge zum Eigentum, zum (Not-)Recht, wie auch zu den sonstigen Praxen individueller Freiheit, bloß als je eigenes Wissen erfahren. Damit werden sie fälschlicherweise einer vermeintlich unbedingten Pflicht – Hegel charakterisiert diese als die Eitelkeit des ironischen Subjekts – als der bloß scheinbar höchsten Spitze des Moralischen unterstellt. Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist die so zu Tage tretende Widersprüchlichkeit des gestaltenden Willens. Denn das bloß einzelne Subjekt kann das Verhältnis zwischen Pflicht in „der Tätigkeit der Besonderung“ und dem schon anerkannten Allgemeinen (Guten) nicht angemessen vermitteln. Im Gegenteil, es macht gerade seinen „Charakter“ (in der Reflexion) aus, von allen besonderen Praxisformen auch abstrahieren zu können. Es ist diese Option einer potentiellen Auflösung aller gegebenen Verbindlichkeit, die letztlich dazu führt, daß die 73 „Der moralische Standpunkt“, so Hegel in § 105 seiner Grundlinien, „ist der Standpunkt des Willens, insofern er nicht bloß an sich, sondern für sich unendlich ist […]. Diese Reflexion des Willens in sich und seine für sich seiende Identität gegen das Ansichsein und die Unmittelbarkeit und die darin sich entwickelnden Bestimmtheiten bestimmt die Person zum Subjekte.“ 74 Siehe: TWA 2, 467. 75 Siehe: TWA 7, §§ 115 f.; 119 f.; 129 f. 76 Dagegen wird immer wieder behauptet, Hegel verfechte mit seinem moralischen Konzept ein rein „theoretizistisches“ Unter nehmen, das insoweit auch als „wert- und normfreie Handlungstheorie“ interpretiert werden könne (in diesem Sinne etwa: Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. A. a. O. 223). Eine solche Sichtweise macht sich freilich einen Norm-, Praxis- und Handlungsbegriff zu eigen, der an dem hegelschen Konzept praktischer Philosophie im Wesentlichen vorbeigeht. Hegels Anliegen scheint es aber gerade zu sein, die unterschiedlichen Qualitäten implizit normativer Ur teile analysieren und zur Geltung bringen zu wollen. – Siehe: Dean Moyar: Die Verwirklichung meiner Autorität. Hegels komplementäre Modelle von Individuen und Institutionen. – In: Christoph Halbig et al. (Hgg.): Hegels Erbe. A. a. O. 209–253.

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institutionellen Strukturen als labil erscheinen und daß in der Realität Rechte und Ansprüche nicht in der erwünschten Vollkommenheit durchsetzbar sind. Dazu müßten sich die handelnden Akteure immer auf vernünftige Gründe und ebensolche Maßstäbe stützen, was sie nicht tun. Für das Feld des Moralischen und des Richtigen überhaupt kann es daher nie Garantien geben. Deswegen ist es aber nicht schon dem Zufall, also der subjektiven Willkür, überlassen.77 Die Kontexte der Sittlichkeit begründen die reflektierten Formen anerkannten, d. h. im umfassenden Sinne institutionell abgesicherten Orientierungswissens.78 Erst dieses Orientierungswissen bestimmt für Hegel den Handlungs- und Beurteilungsspielraum, der für eine konkrete Verwirklichung des Rechts als Freiheit, modern gesprochen, für einen grundrechtlich verfaßten Status der Personen erforderlich ist.79 Insofern ist die Sittlichkeit die Einheit von abstraktem Recht und Moralität. In ihr realisieren sich die abstrakten und moralischen Zuordnungsbeziehungen als allgemein gewußte und deshalb anerkannte. „Das Sittliche ist die subjektive Gesinnung, aber des an sich seienden Rechts“, so dezidiert § 141 der Grundlinien. Hegel macht damit auf etwas aufmerksam, was auch für unser gegenwärtiges Staats- und Rechtsverständnis von großer Bedeutung ist. Vernünftige Praxen des Gebens und Nehmens von Gründen, des gemeinsamen Aushandelns sinnstiftender Kriterien, stellen sich nicht „einfach so“ her; sie müssen vielmehr durch bestimmte Daseinsbedingungen, durch ein Netz kooperativer Verfahrensformen zur Geltung gebracht und operationalisiert werden.80 Für Hegel waren es die bereits genannten Kontexte, die die damit verbundenen Standards der Rationalisierung absichern sollten. Das betrifft die Rückbindung des Einzelnen an den geschützten Raum des Privaten wie auch die Ausbildung personaler Kompetenzen, namentlich der Kinder, die Öffnung der individuellen Bedürfnisse zur Seite des Ökonomischen, der Rechtspflege und der Wohlfahrt sowie, und nicht zuletzt, das politische Verhältnis der Akteure als Bürger eines freiheitlichen Staatswesens. 77 Siehe dazu: Wolfgang Bartuschat: Zum Status des abstrakten Rechts in Hegels Rechtsphilosophie. A. a. O. – Henning Ottmann: Die Genealogie der Moral und ihr Verhältnis zur Sittlichkeit. – In: Birgit Sandkaulen et al. (Hgg.): Gestalten des Bewußtseins. A. a. O. 266–278. – Allan Wood: Hegels’s Critique of Morality. A. a. O. 78 Siehe zu den unterschiedlichen Deutungs- und Interpretationsmustern: Shlomo Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates. A. a. O. 211 f. – Axel Honneth: Leiden an Unbestimmtheit. A. a. O. 141 f. – Diethelm Klesczewski: Die Rolle der Strafe in Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft. Berlin 1991. – Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. A. a. O. 245 f. – Pirmin Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins. A. a. O. 357 f. 79 Verdeutlichend: Gertrud Lübbe-Wolff: Über das Fehlen von Grundrechten in Hegels Rechtsphilosophie. – In: Hans-Christian Lucas / Otto Pöggeler (Hgg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. A. a. O. 421–446. 80 In diesem Sinne: Andreas Anter: Die Macht der Ordnung. Tübingen 2004. – Friedrich A. v. Hayek: Die Verfassung der Freiheit. Tübingen 1971. – Mario Rainer Lepsius: Interessen, Ideen und Institutionen. Wiesbaden 22009. – Christoph Möllers: Staat als Argument. A. a. O.

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4. Vieles an der konkreten Darstellung Hegels: das Modell der Gewaltenteilung, aber auch das Fehlen originär ausgewiesener Grundrechte, ist uns heute fremd, scheint sogar als freiheitswidrig.81 Indes, Hegel verficht mit seiner Theorie des Staates keine Verabsolutierung historisch wirksamer Beur teilungsstandards – vor allem darin unterscheidet er sich von den natur rechtlichen Staatsmodellen seiner Vorgänger, Fichte eingeschlossen; wichtiger ist das Anliegen, die Gehalte und Manifestationen der Freiheit, insbesondere das Prinzip wechselseitiger Selbstbestimmung, auf die je geschichtlich gewordenen und deshalb auch veränderlichen Bedingungen des Staates zu beziehen.82 Gerade insoweit hat sein Verweis auf die Bindung freiheitlicher Lebensformen an die zeit- und konfliktangemessenen Institutionen einer Gesellschaft nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil, man kann den gegenwär tigen Demokratie- und Verfassungsstaat selbst nur als Realisierungsversuch der hegelschen idée directrice begreifen, im Sinne einer handlungsgerichteten Zielbestimmung, eines institutionalisierten Leitgedankens, wonach jede Epoche, jede Gruppe von Akteuren, ihre Formen der Autonomisierung und Freiheitsverwirklichung finden muß. Im Gegensatz zu späteren, vor allem durch die „positivistische Wende“ beeinflußten Modellen83 verteidigt Hegel ein normpragmatisches Konzept vernünftiger Begründung, in dem formale und materiale Aspekte ‚vermittelt‘ werden. Die Rede von einer stabilen Rechtsordnung, von einem Verwaltungs-Staat etc. verweist dann immer auch darauf, daß Strukturen der Institutionalisierung, wie Eigentum und Vertrag, Familie oder Rechtspflege, auf solchen begründeten Normen beruhen, die freilich nur durch die performative Anerkennung der Menschen im realen Tun ihre wirklich praxisorientierende Bedeutung erhalten. In diesem Sinne versteht Hegel das positive Recht des Staates, das trotz seiner notwendig formalen und verfahrensgeleiteten „Natur“ praktisch gewordene, wenngleich immer auch endliche Vernunft ist.84

So etwa: Axel Honneth: Leiden an Unbestimmtheit. A. a. O. 17. – Gertrud Lübbe-Wolff: Über das Fehlen von Grundrechten in Hegels Rechtsphilosophie. A. a. O. 421–446. – Ludwig Siep: Verfassung, Grundrechte und soziales Wohl in Hegels Philosophie des Rechts. – In: Robert Alexy et al. (Hgg.): Rechtsund Sozialphilosophie heute. ARSP-Beiheft. Stuttgart. 44 (1991), 361–375. 82 Siehe: Ernst-Wolfgang Böckenförde: Staat, Gesellschaft, Freiheit. Frankfurt a. M. 1976. 60. – Robert Pippin: Modernism as a Philosophical Problem. Oxford 1991. 148. 83 Siehe hierzu nur: Maurice Hauriou: Die Theorie der Institution und deren Gründung. Essay über den sozialen Vitalismus. – In: Roman Schnur (Hg.): Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou. Berlin 1965. 27–66; hier: 34 f. – Hans Kelsen: Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit. Wien 1960. 84 Siehe: TWA 7, §§ 211 f. 81

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C. Wie vernünftig ist der Staat? Hegel antwortet also auf die fichtesche Frage nach der angemessenen Vermittlung von Notwendigkeit und Freiheit, von Recht und Sittlichkeit, mit einem Konzept der gestuften Freiheitsverwirklichungsniveaus. Recht, Moralität und Sittlichkeit stehen sich nicht in der Weise gegenüber, als der Staat die Verwaltung und Kontrolle des (positiven) Rechts und folglich die Notwendigkeit des Zwangs über nähme und die Verwirklichung der moralischen und sittlichen Freiheit anderen (Partial-)Praxen oder, in der Formulierung Fichtes, „höheren Zweigen der Vernunftcultur“85 zukäme.Vielmehr versteht Hegel den modernen Staat grundsätzlich als Verwirklichung von Freiheit. Diese Bestimmung des Staates als Inbegriff der Freiheit schließt personale Lebens- und Praxisformen jenseits des Staates kategorisch aus: Es gibt keine Person ohne Institutionen. Aber nicht nur das, für Hegel wird mit dieser Sicht auf den fait culturel überhaupt erst das „Recht des Allgemeinen“ sichtbar. Fichte hätte aus seiner allein subjektiven Sicht ein solches Verständnis womöglich als eine selbst bloß subjektive und daher unzulässige Affirmation angesehen, die zu einer Vermengung juridischer und moralischer Standards führe; und im Übrigen die rechtlichen Handlungsund Konfliktkoordination überfordere. Aber Hegel beharrt einmal mehr darauf, daß der moderne Staat „die Wirklichkeit des substantiellen Willens [ist], die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vernünftige.“86 Man könnte auch sagen, das durch Institutionen vermittelte, nur in bezug auf sie begründete ‚Wissen‘ und ‚Können‘ ist das einzige, über das wir alle gemeinsam verfügen; wenngleich es in der speziellen Form des Rechts(-wissens) in den je partikularen Lebensumständen und Epochen unterschiedliche Bedeutung für unser Handeln erlangen kann. – Dennoch klingt der Appell an eine staatliche Vernunft in heutigen Ohren, die offener für Fichtes Individualismus sind, mehr als befremdlich. Nach der vermeintlichen oder wirklichen Verabschiedung von Meta- und Großerzählungen (Lyotard) ist mit der Vernunft kein Staat mehr zu machen. Der Staat erscheint dem heutigen Individuum wieder nur als der – hoffentlich gezähmte – Leviathan, mit dem es sich mehr oder weniger notgedrungen zu ar rangieren gilt.

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Siehe: Fichte: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. – In: SW VII, 11. Vorl. 166. Siehe: TWA 7, § 258.

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IV. Fichte, Hegel und die Moderne Die sich selbst als nachmetaphysisch feiernde Moderne hat Fichte und Hegel ins Unterbewußtsein verschoben. Ihre Konzepte sind in das moderne Staatsund Rechtsverständnis transformiert worden. Dort tauchen sie als Strukturmomente neuer Ordnungs- und Machtdispositive auf.87 Der (Vorsorge-)Staat der Gegenwart wird in der Regel als liberaler Interventionsstaat begriffen. Den privatisierten Interessen und Idiosynkrasien, nicht weniger den Ökonomisierungspraktiken des Marktes steht, so die These, ein gouvernementales Management gegenüber, dessen vor rangiges Ziel es ist, die Subsistenzbedingungen der Akteure und, soweit es Risiko- und Konfliktprävention zulassen, deren Freiheitsspielräume zu sichern. Das „rechtsphilosophische Erbe“ Fichtes und Hegels ist dennoch unverkennbar. Denn in Anschlag gebracht wird so nicht nur das fichtesche Modell einer Gemeinschaft „rationaler Egoisten“,88 sondern auch das, was Hegel als „Not- und Verstandesstaat“ oder, noch pointierter, als „System der Atomistik“ bezeichnet hat.89 Ausschlaggebend ist jedoch, daß diese Strukturmomente des Staates nunmehr ohne den von beiden, wenn auch in unterschiedlicher Form, exponierten Bezug zur Sittlichkeit auskommen möchten. Weder ist der Staat, wie bei Fichte, die notwendige Bedingung einer wie auch immer zu verwirklichenden Sittlichkeit noch ist sie, wie bei Hegel, der Rechtsgemeinschaft als immanent gedacht. Nun ist unbestritten, daß jede Zeit ihr Verständnis von Staat und Gesellschaft auf den Begriff zu bringen hat. Klar ist aber auch: Die Moderne unterläuft die normativen Orientierungsmuster der überliefer ten Wert- und Traditionsarsenale. Der Effekt ist eine soziale und ökonomische Neuformierung gemeinschaftlicher Lebensformen. Zur Geltung kommt so die Wucht neuer Ordnungs- und Gerechtigkeitskonzepte, die aber im Bewußtsein der Akteure als nur noch begrenzt beherrschbare Beschleunigung, vor allem aber als Destabilisierung sozialer Prozesse wahrgenommen wird.90 Indes, auch eine moderne Rechtsphilosophie und eine daran anknüpfende Theorie des Staates sollte zeigen können, woher die Sinnkriterien des Guten, Gerechten, Vernünftigen etc. kommen, die es ihr er möglichen, die partikularen Interessen und normativen Erwartungen der Akteure auf die Standards gemeinschaftlichen Handelns und Urteilens zu verpflichten; denn auf diesem Sinnstiftungspotential

Zu entsprechenden Staats- und Gesellschaftsanalysen siehe etwa: Giorgio Agamben: Homo sacer. Frankfurt a. M. 2002. – Ulrich Bröckling et al. (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt a. M. 2000. – Michel Foucault: Analytik der Macht. Frankfurt a. M. 2005. 148 f. – Günther Jakobs: Norm, Person, Gesellschaft. A. a. O. 28 f. 88 Siehe die obige Darstellung. 89 Siehe: TWA 7, § 183; TWA 10, § 523. 90 Siehe: Hartmut Rosa: Beschleunigung. Frankfurt a. M. 2005. 161 f. 87

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beruht die Legitimation jeder freiheitlich verfaßten Ordnung und Institution (Böckenförde). V. Zusammenfassung Die hier vorgestellten Rechtsphilosophien Fichtes und Hegels entwickeln, wie gezeigt, in ganz unterschiedlicher Weise eine kritische Begriffs- und Strukturgeschichte der Freiheit. Während Fichte auf einen restriktiven, an der politischen Anthropologie orientierten Rechtsbegriff abhebt und die Praxen der Moralität und Sittlichkeit strikt davon unterscheidet, komponiert Hegel auf der Basis seines spekulativen Holismus einen Wissens- und Rechtsbegriff, der sämtliche Kontexte institutionalisierten Handelns und Ur teilens umfaßt. Beiden, Fichte wie auch Hegel, geht es um die Bestimmung vernunftbegründeter Freiheitsansprüche, wobei deren Verwirklichungsbedingungen auf eine Kultur sinnintegrativer Selbstbewußtwerdungsprozesse zurückgeführt werden. Vor allem Fichtes transzendentale Deduktion des Naturrechts als „reelle Wissenschaft“ verstrickt sich hierbei in eine Reihe von Inkonsistenzen, die Hegels Sozialtheorie des Geistes weitestgehend beheben kann – wenngleich „auf Kosten“ eines für uns heute sehr weitgespannten, dem gegenwärtigen (nicht zuletzt juridischen) Sprachgebrauch kaum noch entsprechenden Staatsbegriffs. Entscheidend ist allerdings für beide, daß die Rede über Recht und Staat mit einem Vertrauen in das sinnkritische Potential der Vernunft verbunden ist. Die sog. nachmetaphysische Moderne kann mit einem solchen Projekt nur noch wenig anfangen. Fragen der Rechts- und Staatsorganisation werden, wie bei Foucault, im Modus diverser Macht- und Ordnungsdispositive, inklusive damit einhergehenden gouvernementalen Strategien, verhandelt. Allerdings bleibt zumeist offen, inwiefern in diesen Theorien die nicht bestrittene Orientierungs- und Sinnstiftungsaufgabe einer Gemeinschaft integriert werden kann. Daß die Begründung einer solchen Orientierungs- und Sinnstiftungsaufgabe der Gemeinschaft auch heute noch mit einer Philosophie des Selbstbewußtseins möglich ist, haben die vorliegenden Überlegungen wenigstens andeuten wollen.

s t e p h a n k ra f t H E G E L , DA S U N T E R H A LT U N G S L U S T S P I E L U N D DA S E N D E D E R K U N S T Zur Rezension von Ernst Raupachs Lustspiel Die Bekehrten und zur Stellung der modernen Komödie in Hegels Ästhetik

ab st rac t : The theory of comedy reached a high level of abstraction in the first half of the 19th century.The subjects discussed when dealing with comedy were rarely humor or the effect on the audience. Commonly it was ‘final’ questions that were at issue – for H. most prominently the famous end of art. The latter was also an excessive consumer of light comedy genres. That one can hardly find evidence of his reflections on this subject in the posthumous edition of the Ästhetik is primarily due to the interventions of his student and editor Gustav Heinrich Hotho. A text published during H.s lifetime in which he intensely discussed a contemporary production, however, is extant today – his hitherto hardly acknowledged and extremely positive review of Ernst Raupach’s comedy Die Bekehrten of 1826. The first part of the present article focuses on this review and its genesis. How H. conceived of a modern light comedy in the context of his system of aesthetics is addressed in the second part. Traces of his preoccupation found in transcripts of his Berlin lecture-series as well as in the published version of the Vorlesungen über die Ästhetik will serve to substantiate this conception.

Die Theorie der Komödie erreichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen hohen Grad an Abstraktion. Wenn von ihr die Rede war, ging es nur selten um Komik oder um Publikumswirkung, sondern zumeist um ‚letzte‘ Fragen – bei Hegel vor allem um die nach dem berühmten Ende der Kunst. Zugleich war letzterer selbst ein exzessiver Konsument von theatralen Unterhaltungsgenres. Daß im postumen Druck der Ästhetik von seinen durchaus existenten Überlegungen hierzu kaum noch etwas zu finden ist, liegt vor allem an den Eingriffen seines Schülers und Editors Heinrich Gustav Hotho. Es gibt jedoch einen zu Lebzeiten Hegels veröffentlichten Text, in dem sich dieser intensiv mit einem zeitgenössischen Unterhaltungsstück auseinandergesetzt hat – seine bisher kaum beachtete und sehr positive Rezension von Ernst Raupachs Komödie Die Bekehrten aus dem Jahr 1826. Diese Besprechung und ihre Entstehung stehen im Mittelpunkt des ersten Teils des vorliegenden Beitrags, der im weiteren die Frage verfolgt, wie sich Hegel eine moderne Unterhaltungskomödie innerhalb seines Systems der Ästhetik vorgestellt hat. Zu diesem Zweck werden in einem zweiten Schritt die Spuren seiner Beschäftigung in Mitschriften zu Hegel-Studien 45 (2010) · © Felix Meiner Verlag · ISSN 0073-1587

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seinen Berliner Vortragsreihen und in der edierten Fassung der Vorlesungen über die Ästhetik hinzugezogen. I. Hegel war bekanntlich ein geselliger Mensch.1 In seiner letzten und am besten dokumentierten Lebensstation in Berlin etwa ist er schon bald nach seiner Ankunft Mitglied der sogenannten „Gesetzlosen Gesellschaft“2 geworden und hat auch ansonsten am geselligen Leben rege teilgenommen. Dazu sein erster Biograph Karl Rosenkranz: Die zweite [Stellung, SK] nahm Hegel ein, dessen umgängliches Naturell, das ihm noch überall, wo er gelebt, zahlreiche Bekannte, ja Freunde erworben, sich auch in Berlin bewährte. […] So spann sich denn eine Bekanntschaft an die andere, so schlang sich ein Kreis in den andern, zuletzt bis zu einer schon schwer übersehlichen Mannigfaltigkeit, die als ein Ganzes zu überblicken, und in ihren Schattierungen zu untersuchen, ihm aber wohl kaum in den Sinn kam.3 Eine Form der Geselligkeit, der Hegel insbesondere anhing, stellte der rege Besuch von Oper und Theater dar. Theodor Mundt erinnert sich: Sah man doch dafür den Mann, sobald die Universitätsglocke sechs geschlagen und er eben seinen Satz beendigt hatte: ‚daß die Musik die Kunst des leeren Träumens‘, nun hastig in das gradüberliegende Opernhaus hinüberschweifen, wo eine Oper von Gluck gegeben wurde.4 Hegels Operninteresse war schon vielfach Thema der Forschung.5 Und bekannt sind auch die Versuche seiner Schüler, dieses Interesse nicht zu bekannt werden zu lassen. Zentral zu nennen ist hier die postume und vor deutlichen Eingriffen nicht zurückschreckende Redaktion der Vorlesungen über die Ästhetik durch Heinrich Gustav Hotho.6 Siehe: Günther Nicolin (Hg.): Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hamburg 1970. Passim. – Vgl. grundlegend zum privaten Hegel: Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Hegel’s Leben. Berlin 1844. V.a. 352–362. 2 Siehe dazu: Andreas Arndt /Wolfgang Virmond: Hegel und die „Gesetzlose Gesellschaft“. – In: Hegel-Studien. Bonn. 20 (1985), 113–116. 3 Siehe: Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Hegel’s Leben. A. a. O. 353 f. 4 Siehe: Günther Nicolin (Hg.): Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. A. a. O. 301. 5 Siehe u. a.: Carl Dahlhaus: Hegel und die Musik seiner Zeit. – In: Otto Pöggeler / Annemarie Gethmann-Siefert (Hgg.): Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Bonn 1983. 333–350; Gunter Scholtz: Musikalische Erfahrungen in Oper und Singakademie. – In: Otto Pöggeler (Hg.): Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik. Wiesbaden 1981. 86–94. 6 Siehe hierzu detailliert: Annemarie Gethmann-Siefert: Hegel über Kunst und Alltäglichkeit. Zur 1

Hegel, das Unterhaltungslustspiel und das Ende der Kunst

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Anders als im Bereich der Oper ist der Hegel’sche Geschmack und sein spezifisches Interesse auf der Seite des zeitgenössischen Theaters mit wenigen, zumeist kanonisierten Ausnahmen, wie etwa Schillers Dramatik im allgemeinen oder Goethes Faust im besonderen, bislang weitestgehend unbeachtet geblieben. Dabei stand speziell sein Komödieninteresse dem an der Oper nur wenig nach. Berichte von seinen Besuchen sind vor allem durch seine Briefe von Auslandsreisen überliefert.7 In Wien etwa ließ er selbst das Leopoldstädter Theater nicht aus, um sich das dort beheimatete traditionelle Kasperlspiel anzusehen: Die ewige Geschichte vom Harlekin mit seiner Colombine; da habe ich einmal diese Geschichte in ganzer Ausführlichkeit angesehen, – dies ist eine ganze Hecke von lustigen Unsinnigkeiten, – Gassenhauer, Tanzmusik, rast und tollt dies drittehalb Stunden ohne Rast und Ruhe fort. Diese Vorstellung hat mich sehr unterhalten, viel mehr als das erste Drama, – man hat kaum Zeit zum Lachen.8 Das Problem dieser Briefe ist, daß eine größere analytische Tiefe angesichts der Schwärmerei über himmlische Stimmen in der Oper und nicht endendes Gelächter in der Komödie dann eben doch nicht erreicht wird.

II. Nun gibt es neben diesen reinen Bekundungen des Gefallens auch noch eine von Hegel selbst veröffentlichte, sehr positive Rezension einer zeitgenössischen Komödie – und zwar von Ernst Raupachs Bekehrten aus dem Jahr 1826. Dieser Text ist bislang in der Forschung noch kaum wahrgenommen worden. Der kommentierten Edition in den Gesammelten Werken9 steht lediglich ein knappes Inhaltsresümee von Helmut Schneider10 und ein schwerpunktmäßig die Editionsgeschichte beleuchtender Artikel im Hegel-Handbuch von Walter Jaeschke gegenüber.11 Rehabilitierung des ästhetischen Genusses. – In: Ursula Franke / Annemarie Gethmann-Siefert (Hgg.): Kulturpolitik und Kunstgeschichte. Perspektiven der Hegelschen Ästhetik. Hamburg 2005. 37–63. 7 Siehe zu den hier besonders einschlägigen Reisen nach Wien und Paris: Kurt Rainer Meist: Halkyonische Tage in Wien. – In: Otto Pöggeler (Hg.): Hegel in Berlin. A. a. O. 153–161, und: Otto Pöggeler. Hauptstadt der zivilisierten Welt: Paris. – In: Ibid. 162–170. 8 Siehe: Briefe von und an Hegel. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister.Vier Bände in fünf Teilbänden. Hamburg 31969 ff. Band 3. 58. 9 Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Über die Bekehrten. – In: Hegel: GW 16, 3–15. (Im folgenden: ÜdB) 10 Siehe: Helmut Schneider: Komödie des Lebens – Theorie der Komödie. – In: Otto Pöggeler (Hg.): Hegel in Berlin. A. a. O. 79–85. 11 Siehe: Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule. Stuttgart 2003. 286 f.

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Der heute fast vergessene Ernst Raupach beherrschte in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts die Berliner Bühnen. Berühmt waren unter seinen nicht weniger als 117 Stücken12 vor allem die 16 Hohenstaufendramen. Bis ins 20. Jahrhundert hinein gespielt wurde das Volksdrama Der Müller und sein Kind.13 Hinweise auf einen persönlichen Kontakt zu Hegel bieten einige Raupach betreffende Stellen in den Briefen des Philosophen14 sowie ein Vermerk von Hegels Sohn Karl, der Raupach auf Abendgesellschaften in seinem Elternhaus gesehen hat.15 Wesentlich weiter geht hier Max Bendiner, der mit Blick auf die Rezension der Bekehrten sogar davon ausgeht, daß Raupach sich in seiner Komödienkonzeption von dem Philosophen habe beeinflussen lassen.16 Konkret belegen kann er seine These, über die weiter unten noch zu handeln sein wird, allerdings nicht. An anderen Stellen hingegen läßt sich der Verdacht, daß Hegel im Berliner Kulturbetrieb nicht nur Beobachter, sondern auch Akteur war, durchaus erhärten. Denn nicht nur mit dem Verfasser des Stücks, sondern auch mit dem Herausgeber des Publikationsorgans seiner Rezension war er verbunden. Der Besitzer der Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit war Hegels Bekannter Moritz Gottlieb Saphir,17 der auch der Gründer des literarischen Vereins „Tunnel über der Spree“18 war. Hegel ermunterte seine Schüler, in der Schnellpost Besprechungen zu veröffentlichen, und erwog angeblich sogar, ein Nebenblatt, den Kritischen Beiwagen, selbst zu übernehmen.19 Siehe dazu: Karl Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. 2. Ausgabe. Fortgeführt von Edmund Goetze. Band 8.1. Dresden 1905. 646–668; hier v. a. 660–668. 13 Siehe: Ernst Raupach: Der Müller und sein Kind. Hamburg 1835. 14 Siehe etwa die Briefe von und an Hegel. A. a. O. Band 3. 107 und 141–144. – Einige der insgesamt nur wenigen Studien zu Raupach ignorieren diesen Zusammenhang vollständig. – Siehe: Pauline Raupach: Raupach. Eine biographische Skizze. Berlin 1853; Curt Bauer: Raupach als Lustspieldichter. Breslau 1913; Gertrud Maria Rösch: Theater für den königlichen Hof. Eine Studie zu Ernst Raupach und zum Berliner literarischen Leben im Vormärz. – In: Imprimatur. Wiesbaden. NF 17 (2002), 81–104. 15 Siehe dazu: Günther Nicolin (Hg.): Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. A. a. O. 451–454; hier: 453. 16 Siehe dazu: Max Bendiner: Ernst Benjamin Salomo Raupach. (Artikel) – In: Allgemeine Deutsche Biographie. Band 27. Leipzig 1888. 430–445; hier v. a. 436 und 443. 17 Siehe zu einem Duell mit Karl Schall, bei dem Saphir Hegel gar zum Sekundanten bat: Helmut Schneider: Komödie des Lebens – Theorie der Komödie. A. a. O. 79–85. – Siehe weiterhin die Berichte von Karl von Holtei, Franz Grillparzer und Heinrich Laube in: Günther Nicolin (Hg.): Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. A. a. O. 296 f., 316 und 534–547; hier: 536 f. – Siehe zum Unbehagen der Schüler Hegels über diesen Kontakt Willibald Alexis: Ibid. 301 f. 18 Siehe zur Person Saphirs: Peter Sprengel: Moritz Gottlieb Saphir in Berlin. Journalismus und Biedermeierkultur. – In: Günter Blamberger (Hg.): Studien zur Literatur des Frührealismus. Frankfurt a. M. 1991. 243–275. – Siehe weiterhin: Anton Schlossar: Moritz Gottlieb Saphir. (Artikel) – In: Allgemeine Deutsche Biographie. Band 30. Leipzig 1890. 364–369. 19 Siehe August Kuhn in: Günther Nicolin (Hg.): Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. A. a. O. 385. 12

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Wahrscheinlich war Moritz Gottlieb Saphir auch selbst der Verfasser der am 7. Januar 1826 in der Schnellpost erschienenen ersten, durchaus zwiegespaltenen Rezension zur Uraufführung der Bekehrten. Einerseits werden die Schauspielerleistungen gelobt und dem Stück eine erfolgreiche Zukunft prophezeit. Andererseits wird aber auch Kritik geübt. Raupach, so stellt der Rezensent resümierend fest, sei hier deutlich unter sein Niveau gegangen: Es ist reich an einzelnen guten Szenen und Situationen, und von einer reichen Ader Witz durchströmt, die aber leider nicht immer eine reine goldne ist und zuweilen in das Gebiet der Trivialität greift, welches ein so edler Genius, wie der des geschätzten Verfassers, vermeiden muß.20 Dies war nun der Punkt, an dem Hegel, der der Uraufführung ebenfalls beigewohnt hatte, meinte eingreifen zu müssen. Er verfaßte eine anonyme Antikritik, die im selben Blatt in insgesamt fünf Folgen zwischen dem 18. und dem 28. Januar 1826 erschienen ist.21 Auf das Bild von der modernen Komödie, das daraus hervorscheint, soll hier näher eingegangen werden.Vorausgeschickt werden müssen dem allerdings doch noch einige Hinweise zur Stellung dieser Gattung in Hegels Denken generell.22

Siehe: [Moritz Gottlieb Saphir:] Rezension von Ernst Raupachs Die Bekehrten. – In: Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit. Berlin 7. Januar 1826. 21 Siehe dazu den editorischen Bericht zu ÜdB. – In: Hegel: GW 16, 449 f. 22 Ausführlicher entwickelt wird dieser Zusammenhang in einem speziellen Hegel-Kapitel meiner demnächst erscheinenden Studie zur Theoriegeschichte der Komödie. – Siehe zu Hegel und der Komödie bisher v. a.: Wolfgang Heise: Hegel und das Komische. – In: Sinn und Form. Berlin. 16 (1964), 811–830; Anne Paolucci: Hegel’s Theory of Comedy. – In: Maurice Charney (Ed.): Comedy. New Perspectives. New York 1978. 89–108; Michael Schulte: Die Tragödie im Sittlichen. Zur Dramentheorie Hegels. München 1992; Ders.: Hypokrisie und Maske. Zum Verhältnis von Tragödien- und Komödientheorie in Hegels rechtsphilosophischer Schrift Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts und im Religionskapitel der Phänomenologie des Geistes. – In: Klaus Deterding (Hg.): Wahrnehmungen im poetischen All. Festschrift für Alfred Behrmann zum 65. Geburtstag. Heidelberg 1993. 207–253; Gerhard Gamm: Komödie oder Tragödie. Die moderne Welt im Lichte Hegels und Nietzsches. – In: Lettre international. Berlin. 27 (1994), 67–71; Helmut Schneider: Hegels Theorie der Komik und die Auflösung der schönen Kunst. – In: Jahrbuch für Hegelforschung. St. Augustin. 1 (1995), 81–110; Mark William Roche: Tragedy and Comedy. A Systematic Study and a Critique of Hegel. Albany 1998; Ders.: Hegels Theorie der Komödie im Kontext hegelianischer und moderner Überlegungen zur Komödie. – In: Jahrbuch für Hegelforschung. St. Augustin. 8/9 (2002/2003), 83–108. – Der in der Literaturwissenschaft sicherlich am meisten beachtete jüngere Beitrag zum Thema stammt von: Werner Hamacher: (Das Ende der Kunst mit der Maske). – In: Karl Heinz Bohrer (Hg.): Sprachen der Ironie – Sprachen des Ernstes. Frankfurt a. M. 2000. 121–155. 20

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III. Ein zentraler Unterschied zwischen Oper und Komödie besteht darin, daß erstere eine Erfindung der Neuzeit ist und deshalb von Hegel auch nur in diesem historischen Kontext diskutiert werden kann. Die Komödie hingegen spielt bei ihm natürlich auch schon in ihren römischen und vor allem in ihren griechischen Ausprägungen eine große Rolle. Im berühmten Unterabschnitt zum „geistigen Kunstwerk“ im Religionskapitel der Phänomenologie des Geistes vollzieht er einen Dreischritt vom griechischen Epos über die Tragödie zur Komödie, in dem er sein an diese Trias angeknüpftes Theorem vom Ende der Kunst als der avanciertesten Möglichkeit des Weltverständnisses entwickelt. Wenn Hegel schreibt: „Die Religion der Kunst hat sich in ihm vollendet und ist vollkommen in sich zurückgegangen“23, so bezieht sich das „ihm“ auf das einzelne Selbst, wie es in der den Schluß- und Höhepunkt dieser Bewegung markierenden Komödie erscheint. Das Ende der Kunst, das mit eben dieser Gattung erreicht wird, geht dabei mit keinem Gefühl des Verlusts einher.Vielmehr stellt es einen Glückszustand dar: Was dies Selbstbewußtsein anschaut, ist, daß in ihm, was die Form von Wesenheit gegen es annimmt, in seinem Denken, Dasein und Tun sich vielmehr auflöst und preisgegeben ist, es ist die Rückkehr alles Allgemeinen in die Gewißheit seiner selbst, die hiedurch diese vollkommne Furcht- und Wesenlosigkeit alles Fremden, und ein Wohlsein und Sich-wohlsein-lassen des Bewußtseins ist, wie sich außer dieser Komödie keins mehr findet.24 Allerdings ist durchaus ernst zu nehmen, daß Hegel in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich von „dieser Komödie“ spricht. Die Rede ist hier nämlich einzig von der alten attischen Komödie, von der allein Stücke von Aristophanes überliefert sind. Während diese also eine herausgehobene Rolle einnimmt, steht die neue attische Komödie nach dem Muster Menanders in den ästhetikgeschichtlichen Überlegungen Hegels klar hintan. Zugleich war sie es allerdings, die über die römische Komödie von Plautus und Terenz und deren Wiederaufnahmen seit der italienischen Renaissance bis in das späte 18. Jahrhundert hinein praktisch das alleinige Muster für das europäische Lustspiel bildete – und sie war es auch, in deren Tradition mit fast der gesamten zeitgenössischen Unterhaltungskomödie eben auch die Lustspiele Raupachs standen. Die neue Komödie zeichnet sich gegenüber der alten durch einen eher gezähmten Humor, eine Verlagerung des Geschehens in die Privatsphäre mit einer 23 Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes. Herausgegeben von HansFriedrich Wessels und Heinrich Clairmont. Hamburg 1988. 486. 24 Siehe: Ibid. 487 f.

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Dominanz der Liebesthematik sowie durch enger kausal gefügte Handlungen anstelle von zuvor eher assoziativ verknüpften Episodenreihen aus. Gerade in dieser letzten Hinsicht kann die neue Komödie auch als ein Mittelgenre zwischen der alten Komödie und der schon viel länger über folgerichtige Handlungen verfügenden Tragödie verstanden werden. In Hegels frühem Aufsatz Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts aus dem Jahr 1802 wird die neue mit der alten Komödie verglichen und durchgehend abgewertet. Die Abwesenheit von Substanz, die nach Hegel allen Subformen dieser Gattung eignet, korreliert nach ihm bei der alten Komödie vor allem positiv mit der Befreiung von einer als unzutreffend erkannten Prätention. Dies führt zu einer „absoluten Lebendigkeit“. In der modernen Verlachkomödie, die vor allem von Attacken gegen eine Figur lebt, die aus ihrer Haut nicht heraus kann, wird dieselbe innere Leere von Hegel hingegen als äußerst schal empfunden: Auf einer andern Seite aber ist die andere Komödie; deren Verwickelungen ohne Schicksal und ohne wahrhaften Kampf sind, weil die sittliche Natur in jenem selbst befangen ist; die Knoten schürzen sich hier nicht in spielenden, sondern in für diesen sittlichen Trieb ernsthaften, für den Zuschauer aber komischen Gegensätzen, und die Rettung gegen sie wird in einer Affectation von Charakter und Absolutheit gesucht, die sich beständig getäuscht und abgesetzt findet.25 In der Phänomenologie des Geistes aus dem Jahr 1807 taucht die neue Komödie als solche dann gar nicht mehr auf und spielt auch in den verschiedenen Heidelberger und Berliner Vorlesungen zur Ästhetik, die Hegel vor dem Jahr 1826 gehalten hat,26 keine Rolle. Bei einer möglichen vagen Erinnerung an eine schon weit zurückliegende Beschäftigung besteht im Zuge der Rezension der Bekehrten für Hegel also durchaus die Möglichkeit eines Neuansatzes und einer Neubewertung.

Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts … – In: Hegel: GW 4, 417–485; hier: 460 f. 26 Die letzte Vorlesung Hegels zur Ästhetik vor 1826 fand im Sommersemester 1823 statt. – Siehe die edierten Mitschriften zu den Berliner Vorlesungen der Jahre 1820/21 und 1823: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesung über Ästhetik. Berlin 1820/21. Eine Nachschrift (Ascheberg). Herausgegeben von Helmut Schneider. Frankfurt a. M. u. a. 1995; Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von Heinrich Gustav Hotho. Herausgegeben von Annemarie Gethmann-Siefert. Hamburg 2003. 25

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IV. Die Bekehrten,27 um den Anlaß für diese Wende in der Komödienbetrachtung Hegels nun auch selbst genauer in die Blick zu nehmen, waren eines der frühesten Lustspiele Ernst Raupachs, der sich diesem Genre erst 1825 nach einer ganzen Reihe von Erfolgen mit Tragödien und Schauspielen zugewandt hat. Das Stück spielt in einem zeitlosen Italien im aristokratischen Milieu. Die Titelfiguren Clotilde und Torquato waren vor längerer Zeit bereits miteinander verlobt gewesen, hatten diese Verbindung jedoch wieder gelöst, nachdem bei Clotilde der Verdacht aufgekommen war, Torquato sei ihr untreu geworden. Auf der Seite Clotildes war es das Mißtrauen, auf der Torquatos die Empörung über diese Unterstellung, die sie beide auf Distanz zueinander gehen ließen. Äußerlich scheinen sowohl Clotilde als auch Torquato mit dieser Geschichte abgeschlossen zu haben. Innerlich sind sie einander jedoch weiterhin zugetan. Der Erbonkel Torquatos, ein älterer Graf, hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, die beiden wieder zusammenzuführen. Damit Clotilde nach der Trennung nicht durch eine anderweitige Vermählung für seinen Neffen verloren geht, heiratet er sie erst einmal selbst, wobei die Ehe selbstredend körperlich nicht vollzogen wird. Auch bei Clotilde kommt deshalb mit der Zeit der Verdacht auf, daß hier etwas nicht in Ordnung sein könne: Ich liebte meinen Gatten, liebt ihn sehr, Wie eine Tochter liebt, und all’ sein Thun, Und jedes Wort gab deutlich zu erkennen, Er wollt’ in mir nur eine Tochter sehn. Mir aber war, als spräch’s in meinem Herzen, Ich müßt’ ihn anders lieben, doch das Wie Verschwieg die Stimme.28 Dies bekennt sie zu Beginn des Stücks einem vermeintlichen alten Eremiten, der in Wirklichkeit aber niemand anderes ist als ihr angeblich mittlerweile verstorbener Ehemann selbst. Der Graf hat seinen Tod simuliert und dann vom Papst die Ehe mit Clotilde annullieren lassen. Zur Regelung seines Nachlasses hat er sie und Torquato nun wieder in seinem Haus versammelt und sich selbst unerkannt hinzugesellt. Hegel als jemandem, der ja – wie oben angedeutet – auch komische Opern schätzt, kommt eine derartige, ja doch arg konstruierte Vorgeschichte keinesfalls problematisch vor. Zudem gehe es in einem Lustspiel ja vor allem um das, was dann konkret auf der Bühne selbst passiere: 27 28

Siehe: Ernst Raupach: Die Bekehrten. Hamburg 1827. Siehe: Ibid. I 1. 9.

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Ob solche Großmuth für sich allzu abentheuerlich, ob sie für ein Lustspiel zu abentheuerlich sei, darüber ließe sich wohl hin und her reden […]. Doch ist hierbei daran zu erinnern, daß die Voraussetzung, welche jedes Drama hat, auf Handlungen und Begebenheiten beruht, die der Eröffnung desselben im Rücken liegen; […] was uns wesentlich angeht, ist die dadurch herbeigeführte Situation für sich; sie ist das Gegenwärtige, das interessant und im Lustspiel pikant sein soll.29 Als ein Beispiel für eine zumindest ebenso unwahrscheinliche Exposition führt Hegel dann immerhin den King Lear an. Daß gerade Shakespeare hier zum Vergleichspunkt dient, zeigt nachdrücklich, wie wichtig Hegel das Raupach’sche Stück und wie durch und durch ernst gemeint sein Eintreten für dieses ist. Der Plan, der vom Diener des Grafen, dem Narren Burchiello, ausgeheckt worden ist, besteht nun darin, daß man Clotilde von einer Wiederaufnahme einer Verbindung mit Torquato abraten solle. Denn man weiß ja – so meint Burchiello –, daß Frauen immer genau das Gegenteil von dem tun, was man ihnen sagt. Der sicherste Weg, bei ihnen an sein Ziel zu gelangen, ist also der, ihnen das eigentlich Gewünschte zu verbieten. Zu diesem Zweck wird auch Fiammetta, Clotildes Kammermädchen, in die Intrige eingespannt. Der Graf erscheint ihr als sein eigener Geist und beschwört sie, eine sich anbahnende erneute Liaison ihrer Herrin mit Torquato zu hintertreiben, wenn ihr ihr Leben lieb sei. Nun erweist es sich aber zum einen, daß Clotilde und Torquato einander mittlerweile schon ganz von allein wieder näher gekommen sind, und zum anderen, daß Fiammetta ihre Sache ein wenig zu gut macht. Als Folge bringt die wohlgemeinte Intrige die beiden Liebenden eher wieder auseinander als, wie gewünscht, zusammen. Als kritisch erweist sich vor allem, daß Fiammetta Clotilde von einer Person berichtet, die Torquato in Mailand zurückgelassen habe. Ihre Herrin zweifelt daraufhin erneut an seiner Treue, wodurch es zum zweiten Mal zum großen Bruch zu kommen droht. Erst als sich im letzten Moment herausstellt, daß es sich in Wirklichkeit nur um den Pagen Torquatos handelte, kann sich die Verwirrung lösen. Clotilde und Torquato werden programmgemäß ein Paar, bevor sich ganz zum Schluß auch Fiammetta und Burchiello zusammentun. Es handelt sich hier offensichtlich um ein Verwechslungslustspiel der eher leichtgewichtigeren Sorte, und auch die Auflösung ist schon nach dem ersten Akt unschwer vorauszusehen. Daß Saphir es in seiner Besprechung nicht ganz ernst nehmen wollte, erscheint nachvollziehbar, und zumindest auf den ersten Blick enthüllt sich auch nicht, warum Hegel für diesen dann auch bald wieder vergessenen Text meinte in die Bresche springen zu müssen. 29

Siehe: ÜdB, 7.

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V. Das weitgehende Ignorieren der Raupach-Rezension in der Forschung hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß der Blick auf Hegels Konzept der neuen Komödie lange Zeit durch Hothos Edition der Ästhetik präformiert war. Erst ein Blick auf erhaltene Schülermitschriften der Ästhetikvorlesungen, die teilweise bereits publiziert sind, ermöglicht eine adäquate Einschätzung der Stellung dieses Beitrags. Durch einen genauen Blick zuerst auf die Rezension selbst und dann auf die weitere Entwicklung der Stellung Hegels zur neuen Komödie wird deutlich werden, daß es entgegen dem ersten Ansehen sehr wohl eine Reihe von genau benennbaren Gründen gibt, warum gerade dieses Lustspiel von ihm in den Vordergrund gestellt worden ist. Als ersten wichtigen Punkt seiner Analyse kommt Hegel bald nach Beginn seiner Besprechung auf das Verhältnis von Zufällig-Komischem und ErnsthaftWesentlichem im Lustspiel zu sprechen. Die Zeit von Aristophanes, in der die Komödie sogar Politisches und Religiöses thematisieren und eben auch verspotten konnte, sei zwar vorbei, doch müsse darauf geachtet werden, daß die Gattung nicht zum Possenspiel verkomme. Dabei zeige sich das Ernsthafte in der neuen Komödie nicht mehr in der behandelten Thematik, sondern nun in der Struktur. Die neue Komödie ist ein Mischspiel aus ernsten und somit enger kausal gefügten Handlungsstrukturen, die der Tragödie entnommen sind, und komischen Elementen aus der Tradition der alten Komödie. Beide Ebenen sind regelmäßig miteinander verbunden: und will daher nur dieß noch bemerken, daß mir in dem neuen Lustspiele gerade darin das richtige Verhältniß getroffen scheint, daß die ernsthaften Verwickelungen, die Verwickelungen der tiefern edleren Leidenschaften, der würdigen Charaktere, aus den komischen Verwickelungen der untergeordneten Personen herkommen.30 Diese Definition Hegels ist intrikater, als sie zunächst erscheint. In der traditionellen neuen Komödie liegt bekanntlich immer wieder die Grundsituation vor, daß ein als ernsthaft porträtiertes junges Liebespaar gegen Widerstände vereint werden soll. Die komischen Figuren teilen sich dabei in zwei einander entgegengesetzte Gruppen. Auf der einen Seite stehen die Gegner des Paars – zumeist satirisch gezeichnete Väter oder Onkel – die dem Liebesglück im Wege stehen. Auf der anderen Seite stehen die Dienerfiguren, die den Liebenden beim Erreichen ihres Ziels helfen. Die Probleme des Liebespaars gehen also durchaus regelmäßig auf die komischen Figuren zurück, jedoch nicht – wie Hegel hier schreibt – auf die „komischen Verwickelungen der untergeordneten Personen.“ 30

Siehe: ÜdB, 5.

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Denn die Diener sind ja normalerweise vielmehr dazu da, die von anderen hervorgerufenen Probleme gerade wieder zu lösen. Daß diese Umkehrung des Üblichen auf kein Versehen oder eine sprachliche Nachlässigkeit Hegels zurückgeht, zeigen Die Bekehrten selbst in aller Deutlichkeit. Die Liebenden sind schon dabei, ihr Problem ohne Eingriff von außen zu lösen, als ihnen ausgerechnet durch die wohlgemeinte Intrige ihrer Helfer wiederum und gegen deren Willen neue Hindernisse in den Weg gelegt werden. Daß die komische Intrige durch den Grafen initiiert wird, interessiert Hegel dabei kaum. Nach ihm folgt er allein einem Plan Burchiellos.31 Den Grafen selbst zeichnet ansonsten vor allem aus, daß er ein würdiger Herr ist, der gerade nicht dem Verlachen preisgegeben wird. Im weiteren Verlauf sind es dann auch tatsächlich allein Fiammetta und Burchiello, die die Intrige weiter vorantreiben, die aber am Ende natürlich ‚plangemäß‘ fehlgehen muß. Eine solche Bewegung ist nach Hegel besonders komisch: A la fin, für gut erfunden halte ich es ferner, daß der Zweck, der durch das Gespenst in unserm Stücke erreicht werden soll, vermittelst dieses Mittels selbst nahe in’s Scheitern geräth. Dieser Rückschlag der List gegen die pfiffigen Urheber derselben ist für sich auf einen ganz consequenten Zusammenhang gebaut, und scheint mir überhaupt die Seele einer ächt komischen Handlung.32 Die Intrige sollte also vor allem an sich selbst zuschanden gehen. Hegels Vorstellung von der positiven Substanzlosigkeit der Komödie manifestiert sich somit gleich auf mehreren Ebenen. Der Zwist der Liebenden beruht auf einem Mißverständnis. Somit ist er grundlos und also vollständig aufhebbar. Genauso substanzlos ist die für die Handlung überflüssige und am Ende ja auch fehlgehende Intrige der Diener. Und die hieraus entstandene Gefahr löst sich durch das rechtzeitige Eintreffen des Pagen Torquatos schließlich ebenfalls in ein Nichts auf. Aus dieser spezifischen Konstellation ergibt sich eine vollständige Trennung von komischer und ernsthafter Handlung, die Hegel auch als generell anzustrebendes Ziel hervorhebt.33 Aus dem Stück von Raupach heraus entwickelt er somit eine Lehre von den zwei distinkten Sphären der Komödie. Das Lächerliche und die kausal gefügte ernste Handlung nach dem Modell der Tragödie, die man beim Übergang von der alten zur neuen attischen Komödie miteinander kombiniert hat, sollen nun innerhalb ein und desselben Stückes wieder getrennt gehalten werden. 31 32 33

Siehe: ÜdB, 8. Siehe: ÜdB, 8. Siehe: ÜdB. 9.

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„In unserem Stück werden die Hauptpersonen zwar bekehrt“, heißt es gegen Ende der Besprechung, „doch sind sie Gottlob! nicht ironisch“34. Die nicht unproblematische Kategorie der Ironie spielt in den Bekehrten aber durchaus ihre Rolle. Vor allem der Narr Burchiello ist mit einem deutlichen Zug zur Selbstironie gezeichnet. Und indem sie primär über eine Negation funktioniert, ist auch die Intrige selbst ironisch angelegt. Clotilde soll zu etwas gebracht werden, indem man ihr das genaue Gegenteil einflüstert. Doch genau dieser auf einer ironischen Verkehrung basierende Plan droht wiederum in sein Gegenteil umzukippen und ist somit nochmals in sich ironisch. Die ironische Handlung kapselt sich durch diese auf sich selbst zurückweisende Umkehrung schließlich in sich selbst ab. So kann innerhalb eines zutiefst ironischen Stücks die Liebeshandlung selbst genau hiervon absolut freigehalten werden. Hegels Versuch einer Neudefinition der neuen Komödie baut also vor allem auf einer Einschränkung auf. Das Ziel besteht darin, die Sphären des Ernsthaften auf der einen und die des Ironischen auf der anderen Seite möglichst sauber voneinander zu trennen – sauberer als dies in der Komödienpraxis gewöhnlich der Fall ist. Gegen Ende seiner Rezension erhebt sich Hegel dazu, die Komödie Raupachs als ein Muster nicht nur für die künftige Lustspiel-, sondern sogar für die Dramenproduktion im allgemeinen zu proklamieren: Unter den vielen Formen von Drama, in denen sich unsere dramatischen Autoren sich herumversuchen, ist diejenige, die Herr Raupach in diesem Stücke gewählt hat, gewiß vorzüglich werth, angebaut zu werden.35 Für die oben angeführte These Max Bendiners, Raupach habe hier bewußt auf Hegel zugearbeitet, scheint angesichts der Paßgenauigkeit der vorliegenden Komödie für die Argumentation Hegels durchaus einiges zu sprechen. Der zentrale Unterschied zur modernen Lustspieltradition besteht darin, daß der Grundsatz einer kausalen Verknüpfung der Handlung, der die neue von der alten unterscheidet, partiell zurückgenommen wird. Die Bekehrten machen darin wieder einen Schritt auf die alte Komödie zurück, daß sie dem heiteren Spiel eine gewisse Autonomie gewähren. Die Frage allerdings, ob dem nun wirklich ein programmatisches Kalkül von Seiten Raupachs zugrunde liegt, oder ob die nicht vorhandene Verknüpfung nicht vielleicht einfach nur eine Hegel besonders entgegenkommende Zufälligkeit dargestellt hat, kann hier natürlich nicht letztgültig beantwortet werden. Für die zweite Version spricht allerdings, daß die weitere Komödienproduktion Raupachs keinesfalls eine konsequente Fortführung dieses Modells darstellt. 34 35

Siehe: ÜdB, 12. Siehe: ÜdB, 13.

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Der Schleichhändler etwa aus dem Jahr 182836 weist zwar durchaus noch einige Strukturähnlichkeiten zu dem von Hegel herausgearbeiteten Modell auf. So ist es auch hier so, daß Intrige und Happyend dezidiert nicht kausal aufeinander bezogen sind. Und auch die Bedeutung des Zufälligen ist hier stärker betont als dies in der Gattung der Komödie gewöhnlich eh schon der Fall ist.37 Aber daß die „würdigen Personen“ aus dem Bereich des Ironischen ferngehalten würden, läßt sich hier noch weniger stichhaltig behaupten als zuvor bei den Bekehrten. Vollends eine Rückkehr zur konventionellen Verlach- und Bestrafungskomödie findet sich dann etwa beim Wechsler aus dem Jahr 1832.38 Alles das, was Hegel als das Besondere der Bekehrten hervorgehoben hat, ist hier endgültig wieder verschwunden. Einem alten Geizhals wird eine typische Komödienintrige vorgespielt, die schließlich gelingt, so daß er am Ende in die von ihm zuvor nicht gewünschte Heirat seiner Tochter mit ihrem Liebsten einwilligen muß. Wenn es also tatsächlich einen konzeptionellen Einfluß Hegels auf Raupach gegeben haben mag, so ist er bei diesem nur für eine kurze Phase wirksam geblieben – von einer Ausbreitung in die allgemeinere Komödiendichtung oder gar der Bildung eines neuen Komödienstils ganz zu schweigen. Und angesichts der sehr eng gefaßten und kaum Variationen erlaubenden Konzeption Hegels wäre einem solchen wohl auch kein dauerhafter Erfolg beschieden gewesen. Bei aller Unbedeutsamkeit für die zeitgenössische Praxis darf diese höchst ambivalente Überlegung Hegels gleichwohl nicht unterschätzt werden. Denn auch wenn es ihm hier vordergründig vor allem um die Beschränkung und Einhegung der Ironie zu tun ist, so bekommt das Komische damit doch zugleich einen Bereich zugewiesen, in dem ihm erlaubt wird, ohne jegliche didaktische Funktionalisierung zu prozessieren. Als sorgfältig gehegte Erinnerung wird das Gefühl der Befreiung, das von der alten Komödie aristophanischer Prägung ausgeht, hier also tatsächlich erneut aktualisiert.

Siehe: Ernst Raupach. Der Schleichhändler. – In: Ders.: Dramatische Werke komischer Gattung. Zweiter Band. Hamburg 1832. 1–128. 37 Max Bendiner hält die hervorgehobene Bedeutung des Zufalls für das, was die Komödien Raupachs am stärksten mit der Theorie Hegels verbindet. – Siehe: Max Bendiner: Ernst Benjamin Salomo Raupach. (Artikel) A. a. O. 443. – Allerdings stellt diese Kategorie einen Zentralbegriff letztlich aller zeitgenössischen Komödientheorien dar und ist keinesfalls ein Spezifikum der Hegelschen Gattungsauffassung. 38 Siehe: Ernst Raupach: Der Wechsler. Hamburg 1832. 36

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VI. Im Anschluß an die Raupach-Rezension taucht die neue Komödie 1826 erstmals auch in Hegels Ästhetikvorlesung auf. Am aussagekräftigsten ist hier die Mitschrift von Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler. Zur modernen Komödie notiert er: Die moderne Komödie ist sehr verschieden von der antiken. Es steht das Drama in der Mitte, die Pflicht oder das Recht trägt den Sieg davon; das Laster wird bestraft, und die sich mit eingelassen haben, werden wenigstens beschämt und gehen zu einer Besserung über; [es kommt zu einer] Versöhnung der Guten mit sich selbst in ihnen.39 Das klingt erst einmal nach einer eher nüchternen Bestandsaufnahme des status quo der traditionellen Verlachkomödie, und tatsächlich wird direkt im Anschluß die klassische französische Komödie als das zentrale Beispiel genannt. Kontrastiert wird diese Komödienform allerdings anschließend mit einer weiteren Form, der so genannten „absoluten Komödie“: Der Gegenstand der absoluten Komödie ist, dass die Torheit sich für sich selbst vernichtet, [daß] ein großer Zweck sich vorgesetzt wird, aber nur ein gemeinter ist, indem der Zweck ausgeführt werden soll, so sind es die Mittel selbst, die ihn zerstören. In den modernen Komödien sind auch die Mittel Bediente, Kammermädchen, die ihrer Herrschaft helfen, aber durch Eigennutz, Mißverständnis den Zweck gefährden und zerstören. Wenn die Komödie wahrhafte Lustigkeit in sich hat, wie bei Aristophanes, so sind die Personen voll ihres Zwecks, so fertig, vollständig, daß sie an sich ebenso unbekümmert sind, indem ihre Zwecke ihnen mißlingen.40 Die neue Komödie geht hier gleichsam wieder auf die alte zu. In der kurzen Passage, in der Hegel über den sich selbst zerstörenden Zweck spricht, der sich in der modernen Komödie als einer „absoluten“ vor allem in den Fehlhandlungen von Bedienten manifestiere, ist der Bezug auf die Raupach-Rezension mit Händen zu greifen41 – freilich ohne daß Die Bekehrten selbst konkret genannt worden wären. Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Nach Hegel. Im Sommer 1826. Mitschrift Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler. Herausgegeben von Annemarie Gethmann-Siefert / Bernadette Collenberg-Plotnikov. München 2004. 234. – Die Einfügungen in Klammern finden sich bereits in der Vorlage. 40 Siehe: Ibid. 41 Die Validität dieser Notizen von Kehlers erweist sich durch einen Blick auf eine weitere Mitschrift eines anonymen Hörers, die in unter dem Titel Ästhetik / nach Prof. Hegel in der Stadtbibliothek Aachen unter der Signatur Ms 571 aufbewahrt wird. Dort heißt es fast gleichlautend: „Der Gegenstand der absoluten Komödie, wie er auch in der alten Kunst ist, daß die Thorheit 39

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Auffällig ist dabei noch, daß im Jahr 1826 die Gattung der Komödie weniger deutlich als zuvor mit der These vom Ende der Kunst verbunden wird. Nach der Mitschrift Hothos aus dem Jahr 1823 ist die von ihm besuchte Vorlesung noch geradezu crescendoartig darauf zugelaufen. Am Ende heißt es dort mit Bezug auf das aristophanische Lustspiel sowohl „Im Komischen hat die Kunst ihr Ende“, als auch „Die Kunst in ihrem Ernst ist uns Gewesenes.“42 In der Mitschrift der 1826er-Vorlesung findet sich ein Hinweis auf die Verbindung der These vom Ende der Kunst mit der Gattung der Komödie nur noch an der Stelle, an der Tragödie und Komödie prinzipiell voneinander unterschieden werden. Die Tragödie [wurde bereits] im allgemeinen Teil [behandelt]. Es ist das Substantielle, was sich [in der Tragödie] darstellt. In Entzweiung, Verwicklung kommt, aber den Sieg davonträgt und sich als die Macht über die Entzweiung zeigt. Die Versöhnung ist deswegen der Ausgang der Tragödie. – In der Komödie ist das Allgemeine nur Gemeintes, welches sich durch die Tat, durch die es sich vollbringen will, zerstört. [Sie ist] die Auflösung der Kunst.43 Ab dem Moment jedoch, in dem die Beschäftigung mit der Gattung selbst ins Zentrum rückt, verschwindet diese These offensichtlich aus dem Blick. Auch im Resümee wird sie nicht wieder aufgegriffen. Viktor von Kehler notiert an der entsprechenden Stelle lediglich: Das ist die Übersicht über die Philosophie der Kunst, über die verschiedenen Formen, in die sich das Kunstwerk ausbreitet; in der letzten, dem Drama, laufen alle Streben zusammen. Über Poesie und Drama allein könnte man eine Vorlesung halten, die ein halbes Jahr dauerte das Nationelle bietet [ein] besonderes Interesse dar.44

sich selbst vernichtet, das ein thörichter Zweck vorgesteckt wird, und hier sind es die Mittel selbst, die diesen Zweck zerstören. So Herrschaften und ihre Bedienten, Kammerjungfern dgl. die einerseits ihren Herren helfen, andrerseits durch Schuftigkeit oder Dummheit dgl. ihre Herren in Gefahr bringen.“ Eine Abschrift wurde mir von Frau Annemarie Gethmann-Siefert zur Verfügung gestellt. – Siehe zu dieser Mitschrift auch: Annemarie Gethmann-Siefert: Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Die Nachschriften und Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen. – In: Hegel-Studien. Bonn. 26 (1991), 92–110; hier: 99. 42 Beide Zitate stammen aus: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von Heinrich Gustav Hotho. A. a. O. 311. 43 Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Nach Hegel. Im Sommer 1826. Mitschrift Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler. A. a. O. 227. –Weitestgehend deckungsgleich hiermit ist die anonyme Mitschrift aus Aachen. – Siehe dazu nochmals die FN 41. 44 Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Nach Hegel. Im Sommer 1826. Mitschrift Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler. A. a. O. 235.

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Nun ist bekannt, daß Hegel gerade um das Jahr 1826 herum seine These von der Unmöglichkeit vollendeter Kunstwerke in der Moderne auf den Prüfstand stellte. Bisher wesentlich einschlägiger als die Beschäftigung mit der Komödie Raupachs sind dabei die Überlegungen zur niederländischen Malerei und zu Goethe – hier vor allem zum Faust und zum West-östlichen Divan. In allen Fällen ist die Möglichkeit einer zumindest ästhetischen Gleichwertigkeit mit der antiken Kunst und Literatur erwogen und zumeist auch positiv entschieden worden. Bald darauf allerdings affirmiert Hegel in der 1827er-Fassung der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften die grundlegende These vom Ende der Kunst als der avanciertesten Möglichkeit des Weltverständnisses erneut.45 Es zeigt sich hier wieder das, was im Kleinen schon bei der Behandlung der Komödie im Rahmen der 1826er-Vorlesung erkennbar wurde. In der systematischen Reflexion neigt Hegel zu einer Forcierung der These vom Ende der Kunst. Im Rahmen der Betrachtung konkreter Kunstwerke scheint sie hingegen an Strahlkraft zu verlieren. Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, daß bei der Frage nach dem Ende der Kunst stets sorgfältig zwischen ästhetischen Urteilen und erkenntnistheoretischen Schlüssen unterschieden werden muß.46 Wenn Hegel ein Kunstwerk als ästhetisch gelungen betrachtet, so bedeutet dies selbstredend nicht zugleich, daß damit die Kunst auch wieder zur höchsten Form der Erkenntnis avanciert. Daß die beiden Urteilsebenen der konkreten Kunstbetrachtung und der philosophischen Systematik nicht spannungsfrei und unabhängig voneinander existieren, zeigt sich nochmals exemplarisch an der neuen Komödie. In der 1826er-Vorlesung kann das ästhetische Urteil über ein als gelungen verstandenes modernes Lustspiel die philosophische These partiell in den Hintergrund treten lassen. In der Vorlesung der Jahre 1828/29 entspricht einer erneuten Fokussierung auf die These vom Ende der Kunst in ihrer höchsten Möglichkeit dann wiederum das weitgehende Verschwinden der positiven ästhetischen Einschätzung der Gattung oder auch nur einzelner ihrer Vertreter.Was hingegen konstant bleibt, ist die Sonderstellung der alten Komödie, die in einer anonymen Mitschrift erneut als die eigentliche klar hervorgehoben wird: Die Komödie ist die letzte Form der Kunst; so daß sie selbst die Auflösung der

Siehe dazu den Abschnitt: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der absolute Geist. – In: Hegel: GW 19, §§ 553–574. 46 Siehe dazu etwa: Annemarie Gethmann-Siefert / Barbara Stemmrich-Köhler: Faust: die „absolute philosophische Tragödie“ – und die „gesellschaftliche Artigkeit“ des West-östlichen Divan. Zur Editionsproblematik der Ästhetikvorlesungen. – In: Hegel-Studien. Bonn. 18 (1983), 23–64. 45

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Kunst ist, worin die Kunst selbst nach ihrem Inhalt vernichtet wird. Diesen wesentlichen Sinn hat die alte Komödie gehabt.47 Und am Ende der Ausführungen zur alten Komödie heißt es dann: Aristophanes ist eins der wesentlichsten Symptome des Untergangs der schönen griechischen Welt, in ihm ist offenbart der Widerspruch zwischen den Göttern dem Gehalt, und der Subjektivität. Die Kunst ist die Darstellung der Durchdringung und Belebung beider. Indem wir also die letzte Form der Kunst betrachten, so haben wir auch zugleich das darüber Hinausgehen, und sind am Schlusse derselben.48 Bis hierhin scheint weitgehend eine Rückkehr zur Position aus der 1823er-Fassung vorzuliegen. Hegel wird gemerkt haben, daß sich mit den Bekehrten keinesfalls, wie erhofft, ein neues Komödienparadigma etablieren konnte – nicht einmal bei Raupach selbst. Allerdings hinterläßt die Beschäftigung mit dem modernen Lustspiel doch auch ihre Spuren. In einer Art Nachtrag wird auch sie noch kurz abgehandelt – oder besser: abgefertigt: Die moderne Komödie hat blos den Sinn, daß über zufällige Schiefheit gelacht werde. Da ist nicht ein wahrhafter Gehalt in nichtiger Existenz dargestellt, sondern schon das selbst Nichtige.Vornehmlich hat die Komödie die Intrigen zum Mittel ihrer Ausführung, welche sich an das Persönliche wendet, einen ganz particulairen persönlichen Zweck hat, und ihn durch Täuschung zu vollbringen sucht mit Vorgebung eines wesentlichen Zweckes.49 Auch allein die vage Möglichkeit einer gelungenen modernen Komödie scheint hier wieder völlig aus dem Blick geraten zu sein. Deutlich wird hier noch einmal das Besondere der Stellung der Komödie im Gefüge der Hegelschen Ästhetikvorlesungen. Einerseits handelt es sich um ein sekundäres Genre, das in eine Art Anhang zur wesentlich umfangreicheren Diskussion über die Tragödie verbannt wird. Andererseits ist die Komödie aber auch immer diejenige Gattung, die die Vorlesung als Ganze beschließt und an der damit implizit die Aufgabe hängt, entweder selbst ein Resümee zu produzieren oder zumindest ein solches einzuleiten. Problemlos erscheint dies in der Vorlesung des Jahres 1823, denn hier beschränkt sich Hegel noch auf die alte

Diese anonyme Mitschrift mit dem Titel Ästhetik / von Hegel wird in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz unter der Archivsignatur Ms. Germ. Qu. 2328 aufbewahrt und umfaßt insgesamt 100 Blätter; hier: Bl. 99b. – Sie wird zur Zeit von Annemarie Gethmann-Siefert, Elisabeth Weisser-Lohmann und Karsten Berr, die mir freundlicherweise Einsicht gewährt haben, ediert. Die Hervorhebungen befinden sich sämtlich bereits in der Vorlage. 48 Siehe: Ibid. Bl. 99b. 49 Siehe: Ibid. Bl. 100b. 47

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Komödie, anhand derer er die für ein solches Vorlesungsende ja ganz besonders gut geeignete These vom Ende der Kunst überhaupt erst entwickelt hat. Die neue Komödie, die 1826 als Thema hinzukommt, stellt hier vor allem deshalb einen Störfaktor dar, weil damit die generelle These vom Ende der Kunst an einem empfindlichen Punkt getroffen wird – nämlich dort, wo das Fazit für das Gesamtprojekt gezogen werden soll. Die erste Reaktion Hegels ist unentschieden. Die These wird zwar abgeschwächt, aber doch nicht völlig verabschiedet. Vor allem aber wird sie aus dem direkten Umfeld der Gattungspräsentation entfernt. 1828/29 nimmt Hegel die These dann in alter Stärke wieder auf. Dabei wird die neue Komödie, nachdem sie einmal in diese einbezogen worden ist, nicht wieder aus der Darstellung verbannt, sondern bleibt als eine seltsam querlaufende Sedimentschicht des Textes erhalten. VII. Dies ist die Situation, auf die Hotho trifft, als er die Ästhetikvorlesung Hegels ediert. Während die Ausführungen zur alten Komödie in der Grundstruktur weitgehend seinen eigenen älteren Notizen folgen,50 muß er für die neue auf fremdes Material zurückgreifen.51 Getrennt sind die beiden Passagen durch eine Überlegung zur modernen Tragödie. Die Ausführungen zum modernen Lustspiel beginnen mit einer Skizze der traditionellen Verlachkomödie.War es bei der Raupach-Rezension und implizit auch noch in der 1826er-Vorlesung das Ziel Hegels, möglichst Parallelen zur alten Komödie aufzuzeigen, so werden hier wie schon in der Mitschrift der Jahre 1828/29 vor allem die Differenzen hervorgehoben. Dies geschieht selbstredend zuungunsten der neuen Komödie: Was zuletzt die moderne Komödie angeht, so wird in ihr besonders ein Unterschied von wesentlicher Wichtigkeit, den ich bereits bei der alten attischen Komödie berührt habe: der Unterschied, ob nämlich die Torheit und Einseitigkeit der handelnden Personen nur für andere oder ebenso für sie selber lächerlich erscheint […]. Das Prosaische hat hier darin seinen Grund, daß es den Individuen mit ihrem Zwecke bitterer Ernst ist. Sie verfolgen ihn deshalb mit allem Eifer dieser Ernsthaftigkeit und können, wenn sie am Ende darum betrogen werden oder sich ihn selbst zerstören, nicht frei und befriedigt mitlachen, sondern sind bloß die geprellten Gegenstände eines fremden, meist mit Schaden gemischten Gelächters.52 50 51 52

Siehe: Hegel: TWA 15, 552–555. Siehe: Hegel: TWA 15, 569–572. Siehe: Hegel: TWA 15, 569 f.

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Es ist also gerade die zentrale Eigenschaft des Erhabenseins über die eigene Verstrickung, die den komischen Protagonisten der modernen Komödie abgeht. Zugleich sind auch die verfolgten Zwecke selbst durch und durch nichtig. Der Geizige schadet in seiner manischen Fixierung auf das Geld nicht nur den anderen, sondern auch und vor allem sich selbst. Auch die häßliche Abstraktion so fester Charaktere, wie z. B. Molieres Geiziger, deren absolute, ernsthafte Befangenheit in ihrer bornierten Leidenschaft sie zu keiner Befreiung des Gemüts von dieser Schranke gelangen läßt, hat nichts eigentlich Komisches.53 Und auch der Zerknirschte und Reuige, der im Aufklärungslustspiel wieder auf den Pfad der Tugend und Vernunft gebracht wird, ist zumeist nicht in diesem vollgültigen Sinne ‚befreit‘. Obwohl er durch den Schaden ein klein wenig klüger geworden ist, bleibt er der Düpierte. Und dort, wo über das Falsche gelacht wird, kann die moderne Komödie sogar schädlich wirken: Eine so franke Lustigkeit aber, wie sie als stete Versöhnung durch die ganze Aristophanische Komödie geht, belebt diese Art der Lustspiele nicht, ja sie können sogar abstoßend werden, wenn das in sich selbst Schlechte, die List der Bedienten, die Betrügerei der Söhne und Mündel gegen würdige Herrn, Väter und Vormünder, den Sieg davonträgt.54 Das, was hier kritisiert wird, ist das genaue Gegenbild von Hegels Interpretation der Bekehrten. Hiernach regiert im Lustspiel vor allem ein schadenfrohes Gelächter über Personen, die, bei aller Nichtigkeit ihres Begehrens, nicht aus ihrer Haut können und deshalb wohl eher Mitleid verdienten. Empörend sind weiterhin der sinnlose Spott über „würdige Herren“ als Vertreter der älteren Generation sowie die unkontrollierte Ausbreitung von Gelächter und Ironie in alle Bereiche des Lebens. Und auch der knappe Hinweis auf eine mögliche Alternative bleibt recht allgemein und unverbindlich: Umgekehrt jedoch hat auch die moderne Welt dieser im ganzen prosaischen Behandlungsweise der Komödie gegenüber einen Standpunkt des Lustspiels ausgebildet, der echt komischer und poetischer Art ist. Hier nämlich macht die Wohligkeit des Gemüts, die sichere Ausgelassenheit bei allem Mißlingen und Verfehlen, der Übermut und die Keckheit der in sich selber grundseligen Torheit, Narrheit und Subjektivität überhaupt wieder den Grundton aus und stellt dadurch in vertiefterer Fülle und Innerlichkeit des Humors, sei es nun

53 54

Siehe: Hegel: TWA 15, 570. Siehe: Hegel: TWA 15, 571 f.

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in engeren oder weiteren Kreisen, in unbedeutenderem oder wichtigerem Gehalt, das wieder her, was Aristophanes in seinem Felde bei den Alten am vollendetesten geleistet hatte. Als glänzendes Beispiel dieser Sphäre will ich zum Schluß auch hier noch einmal Shakespeare mehr nur nennen als näher charakterisieren.55 Von der konkreten Konzeption der neuen Komödie, die Hegel für eine Zeit als mögliche Nachfolgerin der alten angesehen hat, ist in dieser Parade von Gemeinplätzen nichts mehr enthalten. Entweder hat Hotho die positive Einschätzung aus dem Jahr 1826 nicht auf Raupach zurückbezogen und damit auch nicht verstehen können, oder er hat diese Spur aktiv unkenntlich gemacht, indem er zuerst das Konzept einer gelungenen neuen Komödie stark verallgemeinerte und es dann eher willkürlich mit Shakespeare als dem hier noch am ehesten vorzeigbaren Namen verbunden hat. Und um nicht mit diesem eher ernüchternden Befund schließen zu müssen, wird von Hotho das weiter oben bereits auszugsweise zitierte Schlußwort angefügt, das die These vom Ende der Kunst noch einmal und unter Auslassung der neuen exklusiv mit der alten Komödie verknüpft. Die Verbindung des einen Ziels, das in der Vollständigkeit in der Darstellung liegt, mit dem anderen, nämlich in ein allgemeingültiges Schlußwort überzuleiten, gelingt dabei nur mühsam. VIII. Die wirklich positiven und konstruktiven Überlegungen zur neuen Komödie bleiben bei Hegel Episode. Und auch dort, wo sie ihre stärkste Ausprägung erreichen, geht es nie um einen Widerruf der These vom Ende der Kunst in ihrer höchsten Wirkmöglichkeit, sondern immer nur um die Frage, ob das in der Antike Erreichte in der Moderne zumindest auf der ästhetischen Ebene wieder eingeholt werden könnte. Aber auch auf dieser findet die wirkliche Fortsetzung dessen, was die aristophanische Komödie ausgemacht hat, nicht im Lustspiel, sondern woanders statt. Es ist vor allem die genuin moderne Gattung des neuzeitlichen Romans, die den logischen Anschlußpunkt zur alten Komödie in Form nicht eines Rückzugs oder einer partiellen Wiederholung, sondern vielmehr einer Steigerung darstellt. Diese ist es, die eigentlich ihre Erbschaft übernimmt und das von ihr Begonnene weiter kultiviert. Stilbildend sind dabei die komischen Romane von Cervantes, Laurence Sterne, Jean Paul und Theodor Gottlieb von Hippel.56

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Siehe: Hegel: TWA 15, 572. Siehe dazu: Hegel: TWA 14, 229–231.

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Nach der Ironisierung der Figuren im Epos und der Selbstironisierung und Selbstdemaskierung der handelnden Personen in der alten Komödie ist es nun in einer weiteren Steigerung die synthetisierende Stimme des Erzählers, die mit den vermeintlichen Gewißheiten spielt und über sich zu lachen beginnt. Doch auch hierbei bleibt es nicht. Die eigentliche Spitze ganz am Ende der romantischen Kunstform besteht nach Hegel schließlich darin, daß sich diese im modernen Roman total gewordene Subjektivität in einem letzten Umschlag erneut objektiviert und sich somit gleichsam der Kreis, der mit dem ersten Einspruch gegen die Objektivität der Götter im antiken Epos begonnen hat, wieder schließt. Der Text, in dem Hegel diesen objektiven Humor verwirklicht sieht, ist Goethes West-östlicher Divan.57 „Die Auflösung der romantischen Kunstform im objektiven Humor“, vermerkt Helmut Schneider hierzu, wiederholt und vollendet die Auflösung der klassischen Kunstform in der Komödie. […] Das relative Ende der Kunst in der Zeitphase, die Hegel erlebt hat, ist also nur die Weiterentwicklung der Auflösung der antiken Kunst.58 Die Windungen dieser erneuten Verschiebung und die Besonderheiten des objektiven Humors sollen hier nicht mehr in extenso nachgezeichnet werden. An dieser Stelle mag es genügen zu bemerken, daß man, was die Komödientheorie selbst angeht, damit an einem gewissen Ende angelangt ist. Ein Ende ist es vor allem deshalb, weil das, was die Gattung einmal ausgemacht hat, nun in eine allgemeinere und nicht mehr genrespezifische Diskussion über Ironie, Humor und die Erscheinungsmöglichkeiten der nachantiken Literatur überhaupt eingegangen ist. Kurz gesagt, besteht das Verdienst der Komödie hiernach vor allem darin, daß sie den Entwicklungen, die zur modernen Literatur geführt haben, einige der entscheidenden Grundimpulse verliehen hat. Auch hierin ist Hegels Gedankengang durchaus typisch für seine Zeit. Ganz ähnliche Überlegungen finden sich etwa ausgerechnet bei den Romantikern Friedrich und August Wilhelm Schlegel.

Siehe zum Übergang von der Komödien- und Dramentheorie hin zu dieser nicht mehr an bestimmte Gattungen gebundenen Fassung des objektiven Humors: Annemarie GethmannSiefert: Drama oder Komödie? Hegels Konzeption des Komischen und des Humors als Paradigma der romantischen Kunstform. – In: Annemarie Gethmann-Siefert / Lu de Vos / Bernadette CollenbergPlotnikov (Hgg.): Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste. München 2005. 175–189. 58 Siehe: Helmut Schneider: Hegels Theorie der Komik und die Auflösung der schönen Kunst. A. a. O. 105. 57

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IX. Hegel hat sich gern Komödien angesehen, dabei offensichtlich viel gelacht, sich aber auch Gedanken über die Theoretisierbarkeit seiner Interessen gemacht. Für einen kurzen Moment schien es ihm anläßlich eines seltsam aus der Zeit gefallenen Stückes so, als könne die Komödie ihre zentrale Rolle als literarische Leitgattung zurückgewinnen, die sie einst im Übergang von der alten zur neuen Komödie verloren hat. Aber auch wenn sich dies bald darauf als ein Irrtum erwiesen hat, wurden von Hegel anläßlich von Raupachs Bekehrten Reflexionsketten in Gang gesetzt, die den Blick dafür zu schärfen helfen, wie bei ihm der Zusammenhang von Gattungstheorie und allgemeiner Ästhetik zu fassen ist, wie von Hegels Schülern mit dem auf sie gekommenen Material umgegangen wurde und wie es zu diesem seltsam uneindeutigen und höchst verwirrenden Schluß der Ästhetik in der Edition Hothos eigentlich gekommen ist.

c h ri stoph e bouton D I E H E L L E N AC H T D E S N I C H T S * Zeit und Negativität bei Hegel und Heidegger

ab st rac t : In dieser Studie wird die These vertreten, daß die Zeit, die Heidegger mit den Begriffen „Ekstase“ und „Horizont“ faßt, eine Negativität enthält, die Heidegger selber niemals ausdrücklich ausarbeiten wollte, die indessen H. deutlich unterstrichen hat. Um eine solche Interpretation zu rechtfertigen, werden zunächst Heideggers ausführliche Kritiken an der logischen Negativität des Begriffs bei H. (insbesondere in seiner unveröffentlichten Abhandlung Die Negativität) und an der natürlichen Negativität der Zeit (in Sein und Zeit und den Vorlesungen dieser Periode) erörtert. Sodann wird gezeigt, daß die dialektische Auffassung der Zeit als Negativität, die H. in seinen Jenaer und Berliner Naturphilosophien entwickelt hat, diesen Einwänden Heideggers zu widerstehen vermag und daß H.s Begriff der Negativität es ermöglicht, zwischen dem zeitlichen und dem negativen Weg der Fundamentalontologie, zwischen dem Verständnis des Seins im Lichte der Zeit und dem Verständnis des Seins im Lichte des Nichts eine Verbindung herzustellen. Gemäß dieser Hypothese wäre die „helle Nacht des Nichts“, die Heidegger in seinem Vortrag Was ist Metaphysik? (1929) erwähnt, der andere Name der Zeit.

„Deutlichkeit ist eine gehörige Verteilung von Licht und Schatten.“1

Erstaunen war der Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag. In der von Heidegger nicht veröffentlichten Abhandlung Die Negativität. Eine Auseinandersetzung mit Hegel aus dem Ansatz in der Negativität, die sich mit Hegel befaßt und in den Jahren 1938/39 und 1941 entstanden ist, betont Heidegger, daß die Für die Übersetzung bedanke ich mich herzlich bei Tristan Coignard. Hamann-Zitat von Heidegger in Der Satz vom Grund. – Siehe: Heidegger: GA 10, 13. – In der vorliegenden Abhandlung beziehe ich mich auf folgende Bände der Heidegger-Gesamtausgabe (Sigle: GA): GA 2: Sein und Zeit. (1927) Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a. M. 1977; GA 9: Wegmarken. (1919–1961) Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Franfkurt a. M. 11976; 2., durchgesehene Auflage 1996; 32004; GA 10: Der Satz vom Grund. (1955–1956) Herausgegeben von Petra Jaeger. Frankfurt a. M. 1997; GA 21: Logik. Die Frage nach der Wahrheit. (Wintersemester 1925/26) Herausgegeben von Walter Biemel. Frankfurt a. M. 11976; 2., durchgesehene Auflage 1995; GA 24: Die Grundprobleme der Phänomenologie. (Sommersemester 1927). Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a. M. 11975; 21989; 31997; GA 31: Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung in die Philosophie. (Sommersemester 1930) Herausgegeben von Hartmut Tietjen. Frankfurt a. M. 11982; 2., durchgesehene Auflage 1994; GA 32: Hegels Phänomenologie des Geistes. (Winterseme* 1

Hegel-Studien 45 (2010) · © Felix Meiner Verlag · ISSN 0073-1587

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„Grundbestimmung“ der Hegelschen Philosophie die Negativität sei.2 In diesen ergiebigen und zum Teil fragmentarischen Notizen geht Heidegger kommentierend mehrere Hegelsche Themen durch, die der „Einleitung“ zur Phänomenologie des Geistes – die Macht des Geistes, den Tod zu ertragen, der absolute Herr –, der Wissenschaft der Logik – die Identität des Seins und des Nichts – und den Grundlinien der Philosophie des Rechts – mit dem Diptychon „was vernünftig ist, das ist wirklich / und was wirklich ist, das ist vernünftig“ – entnommen sind. Es ist dabei auffallend, daß Heidegger kein Wort über eine andere Form der Negativität verliert, die nicht minder entscheidend als die der Logik ist: die abstrakte Negativität der Zeit, die in der Naturphilosophie (§§ 257–259) dargelegt wird. Allerdings erwähnt Heidegger auch nicht die sittliche Gestalt der Negativität, also die Freiheit,3 die in der Philosophie des Geistes ausgeführt wird. Es geht nicht darum, ihm eine lückenhafte Auseinandersetzung mit Hegel vorzuwerfen! Hier soll vielmehr untersucht werden, ob seine Kritik an der logischen Negativität des Begriffs auch für die natürliche Negativität der Zeit gilt.4 Ausgangspunkt dafür ist die These, daß sein Schweigen über die Frage der Zeit in der Abhandlung Die Negativität eine Verneinung, eine Verdrängung der Negativität der Zeit ist. Anders gesagt: Die Zeit, über die Heidegger mit den Begriffen Ekstase und Horizont nachdenkt, enthält eine Negativität, die er niemals ausdrücklich ausarbeiten wollte, die indessen von Hegel deutlich unterstrichen wurde. Es soll hier nicht behauptet werden, daß die Fragestellung von Sein und Zeit schon bei Hegel vorhanden war, und wir nehmen diesbezüglich Heideggers Äußerungen zur Kenntnis, in denen er mehrfach auf radikale Weise zur Hegelschen Auffassung der Zeit auf Distanz geht und ihr seine Nähe zu Kant entgegensetzt. Für Heidegger ist „das Wesen des Seins […] die Zeit“, während für Hegel „das Sein […] das Wesen der Zeit, das Sein nämlich qua Unendlichkeit“ ster 1930/31) Herausgegeben von Ingtraud Görland. Frankfurt a. M. 11980; 21988; 31997; GA 65: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis). (1936–1938) Frankfurt a. M. 11989; 2., durchgesehene Auflage 1994; 32003; GA 68: Hegel. 1. Die Negativität. (1938/39); 2. Erläuterung der „Einleitung“ zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“. (1942) Herausgegeben von Ingrid Schüßler. Frankfurt a. M. 11993; 22009. 2 Siehe: Heidegger: GA 68, 6. – Für eine ausführliche Untersuchung der Abhandlung siehe: Otto Pöggeler: Hegel und Heidegger über Negativität. – In: Hegel-Studien. Hamburg. 30 (1995), 145–166. – Siehe auch: Joji Yorikawa: Das System der Philosophie und das Nichts. Studien zu Hegel, Schelling und Heidegger. Freiburg / München 2005. 97–111; sowie: Bernard Mabille: Hegel, Heidegger et la question du néant. – In: Revue de Métaphysique et de Morale. Paris. 4 (2006), 437–456. – In diesen Aufsätzen ist das Problem der Zeit nicht angegangen. 3 „Die höchste Form des Nichts für sich wäre die F r e i h e i t , aber sie ist die Negativität, insofern sie sich zur höchsten Intensität in sich vertieft und selbst und zwar absolute Affirmation ist.“ – Siehe: Hegel: GW 20, § 87, Anm. (S. 124). 4 Was das Problem der Verknüpfung der Negativität des Begriffs mit der Negativität der Zeit, die hier nicht besprochen wird, betrifft, kann verwiesen werden auf. – Karin de Boer: Begriff und Zeit. Die Selbstentäußerung des Begriffs und ihre Wiederholung in Hegels spekulativem System. – In: Hegel-Studien. Hamburg. 35 (2000), 11–49.

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ist; somit ist der Weg zum Sein für Hegel nichts anderes als die „Verabschiedung der Zeit als Weg zum Geist, der das Ewige ist“5. Auf diesen etwas schematischen Gegensatz werden wir noch zurückkommen. Selbst wenn er, ausgehend von der Rolle, welche die Geschichtlichkeit in Hegels Philosophie spielt, eine nuancenreichere Beachtung verdient, spiegelt dieser Gegensatz die Tatsache wider, daß sich die Hauptthese von Sein und Zeit, nach der das Sein nur im Horizont der Zeit verstanden werden kann, sicherlich nicht in der Hegelschen Logik befindet, sei es auch nur, weil die Logik zeitlos ist.6 Müßte es dementsprechend nicht als überraschend empfunden werden, daß die Abhandlung Die Negativität, die sich im wesentlichen mit der Wissenschaft der Logik befaßt, die Frage der Zeit nicht aufwirft? In Wirklichkeit hätte die Negativität der Zeit, wie sie von Hegel aufgefaßt wurde, in diesem Zusammenhang eine erneute Untersuchung verdient. Denn es kann vermutet werden, daß diese das fehlende Bindeglied ist zwischen der Fragestellung von Sein und Zeit, welche die Verbindung zwischen dem Sein und der als dessen Horizont aufgefaßten Temporalität in den Mittelpunkt stellt, und andererseits der Abhandlung Die Negativität, die im weiteren Verlauf des Vortrags des Jahres 1929 Was ist Metaphysik? die gegenseitige Zugehörigkeit von Sein und dem als Nichten verstandenen Nichts beschreibt.

I. Die Negativität ernstnehmen In seiner Abhandlung Die Negativität übt Heidegger in dreifacher Hinsicht Kritik an Hegels Auffassung der Negativität. 1. Hegel nimmt die Negativität nicht ernst. In ihrem Prozeß der Negation der Negation ist die Negativität immer schon in der Positivität des Absoluten aufgelöst, das Nicht ist im Ja aufgehoben: „Hegels Negativität ist keine, weil sie mit dem Nicht und Nichten nie ernst macht, – das Nicht schon in das ‚Ja‘ aufgehoben hat.“7 Hat Hegel allerdings nicht betont, daß seine Philosophie „de[n] Ernst, de[n] Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen“8 vollends anerkennt? Um das Gegenteil behaupten zu können, stützt Siehe: Heidegger: GA 32, 209; 212. – Zu Heideggers Interpretation der Phänomenologie des Geistes siehe: Annette Sell: Martin Heideggers Gang durch Hegels „Phänomenologie des Geistes“. Bonn 1998. Bes. 112 (Hegel-Studien. Beiheft 39): „Auch hier wird wieder Heideggers Haltung gegen Hegel deutlich, so daß sich keine Brücke von seinem zu Hegels Ansatz bauen läßt.“ 6 Dies widerspricht dem, was folgende Forscher behaupten: Peter Rohs: Der Grund der Bewegung des Begriffs. Bonn 1978. 43–62. (Hegel-Studien. Beiheft 18); sowie: Ryosuke Ohashi: Zeitlichkeitanalyse der Hegelschen Logik. Zur Idee einer Phänomenologie des Ortes. Freiburg / München 1984. 7 Siehe: Heidegger: GA 68, 47. 8 Siehe: Hegel: GW 9, 18. 5

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sich Heidegger auf einen anderen Auszug der „Einleitung“ zur Phänomenologie des Geistes, in dem Hegel den Verstand lobt als die Macht, die aufteilt, nichtet, analysiert, als „die ungeheure Macht des Negativen“, als das Leben, „das ihn [den Tod] erträgt, und in ihm sich erhält“. Hegel schreibt, daß der Geist „seine Wahrheit nur [gewinnt], indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet.“ Der Geist flüchtet nicht vor dem Negativen, er verweilt in ihm, und dieses „Verweilen ist die Zauberkraft, die es [das Negative] in das Seyn umkehrt.“9 Heidegger kommentiert den vorherigen Auszug folgendermaßen: „Aber mit diesem ‚Tod‘ kann es gar nie ernst werden, keine katastro möglich, kein Sturz und Umsturz möglich; alles aufgefangen und ausgeglichen. Alles ist schon unbedingt gesichert und untergebracht.“10 Die Zerrissenheit wird von ihrer Überwindung ausgeglichen, die Negation der Negation ist Bejahung, Position einer neuen Bestimmung, welche die vorherigen integriert, so daß Aufhebung eine Aufbewahrung ist. Von Anfang an wird das Negative zugunsten des Positiven geopfert. Es läßt sich eine vergleichbare Kritik in Beiträge zur Philosophie finden. Heidegger erwähnt „die Innigkeit“ von „Seyn oder Nichtseyn im Wesen des Seyns selbst“, was er „den ursprünglichen Streit“ nennt, und unterscheidet sie sogleich von der Negativität bei Hegel, die zum Verschwinden bestimmt ist, weil sie im absoluten Wissen überwunden wird.11 2. Hegel hat die Negativität subjektiviert. Im oben zitierten Auszug aus der „Einleitung“ der Phänomenologie wird gesagt, daß die Macht des Negativen die Energie des Denkens, des reinen Ichs ist. Heidegger führt diesen Passus an, um Hegels Auffassung der Negativität in die Geschichte der Metaphysik und in ihre das Sein vergessende Reduzierung zur Subjektivität einordnen zu können. Die Negativität ist das Wesen der Subjektivität; als Verneinung der Verneinung „gründet [sie] im Ja zum unbedingten Selbstbewußtsein“12. Sie entstammt der Auffassung des Seins als „Vor-stellen und Vor-gestelltheit des Vor-stellens; unbedingte Subjektivität.“13 Heidegger stützt sich hier auf wohlbekannte Hegelsche Formulierungen: „die Substanz ist Subjekt“, „was wirklich ist, das ist vernünftig“, aber er vernachlässigt die Unterscheidung zwischen Begriff und Vorstellung vollkommen.14 Eben weil die Negativität auf Grund der ontologischen These, die ihr zugeordnet wird, auf Siehe: Hegel: GW 9, 27. Siehe: Heidegger: GA 68, 24. 11 Siehe: Heidegger: GA 65, 264. 12 Siehe: Heidegger: GA 68, 14. 13 Siehe: Heidegger: GA 68, 12. 14 Siehe: Bernard Mabille: Hegel, Heidegger et la métaphysique. Recherches pour une constitution. Paris 2004. 28–76. 9

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einen rationellen Prozeß des Denkens, des Subjekts beschränkt wird, wäre die Gefahr, die von ihr ausgeht, entschärft und ihr tödliches Gift beseitigt. Mit dieser Annahme steht eine weitere, Hegel zugeschriebene These in Zusammenhang: die These des ontologischen Vorrangs der Gegenwart – das Sein als beständige Anwesenheit –, die als charakteristisch für die Geschichte der Metaphysik gilt. Das „absolute Wissen“ bei Hegel offenbart, so diese These, die „sich selbst gegenwärtige Gegenwart, die in der Anwesung sich spiegelnde Anwesenheit.“15 Dennoch läßt sich dieser Punkt nicht leicht mit der Negativität als Werden vereinbaren, die „Un-beständigkeit – Verleugnung der Beständigkeit“16 ist. 3. Hegel hat die Frage nach dem Ursprung der Negativität nicht gestellt. Dieser dritte Kritikpunkt taucht in der gesamten Abhandlung wie ein Leitmotiv auf.17 Da die Negativität von Anfang an in den Bereich der Begriffe und der Gedachtheit gestellt wird, da sie „gesetzt [wird] mit dem Denken, das hier besagt: „Ich stelle etwas vor im allgemeinen“, wird die Frage nach ihrem Ursprung nicht gestellt, genausowenig wie die nach dem unbedingten Denken, das „damit auch nichts [hinterläßt], was in seinem Sinne unbewältigt, unentschieden wäre“18. Indem es sich selbst denkt, vergißt das Denken die Frage nach seinem eigenen Ursprung, nach dem Sein in seinem „abgrundlichen Unterschied“ zum Seienden zu stellen. Hat Hegel den ontologischen Unterschied mit seiner berühmten Identifikation des Seins und des Nichts am Anfang der Wissenschaft der Logik nicht vorausgeahnt: „ D a s re i n e S ey n u n d d a s re i n e N i c h t s i s t d a s s e l b e “ ? Das Sein als „unbestimmte Unmittelbarkeit“, als Nicht-Bestimmtheit, ist ein Nicht-Seiendes, wenn es wahr ist, daß für Hegel jedes Seiende eine Bestimmtheit ist.19 Aus diesem Grund ist das Sein dasselbe wie das Nichts. Der ontologische Unterschied besteht darin, daß das Sein nicht ein Seiendes ist, daß es sich nie mit einem Seienden gleichsetzen läßt. Wie Levinas feststellte,20 ist das Sein, über das Heidegger nachdenkt, nicht ein Sein, es hat eine entschieden verbale und intransitive Bedeutung, es ist das Sein-Ereignis aller Seienden, es zielt auf die schlichte Tatsache, daß jedes Seiende ist. Da es nichts Seiendes ist, ist das Sein ein Nicht-Seiendes, genauer ein Nichten in einer ganz eigenartigen Bedeutung, die sich sowohl von der logischen Negation als auch von der physischen Siehe: Heidegger: GA 68, 32; 51. – Siehe auch: Ders.: GA 31, 110 f.: „Auch bei Hegel, der die Problematik der abendländischen Metaphysik in eine neue Dimension hinaufhebt, indem er Sein als Substanz radikaler begreift – im Sinn des Subjekts –, auch hier und gerade hier in einem absoluten Sinne bedeutet Sein ‚beständige Anwesenheit‘ (absolute Gegenwart).“ 16 Siehe: Heidegger: GA 68, 16. 17 Siehe z. B.: Heidegger: GA 68, 14; 22 f.; 29; 39. 18 Siehe: Heidegger: GA 68, 37 f. 19 Siehe: Heidegger: GA 68, 19 f. sowie Hegels Seinslogik (1812): Hegel: GW 11, 44. 20 Siehe: En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger. Paris 1988. 56. 15

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Vernichtung unterscheidet. Im Vortrag des Jahres 1929 Was ist Metaphysik? unterstrich Heidegger bereits die rätselhafte Verbindung von Sein und Nichts, als er sich mit der Aussage Hegels zum Beginn der Logik auseinandersetzte. Sein und Nichts gehören zusammen, nicht einfach, wie Hegel annimmt, in ihrer Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit, sondern weil das Sein in seinem Wesen endlich ist.21 In seiner Abhandlung Die Negativität kommt Heidegger auf diesen Ausdruck zurück und führt weiter aus, daß die Endlichkeit des Seins die „Wesenszugehörigkeit des ‚Nichtens‘ “ zu ihm kennzeichnet.22 Hegel habe diese erahnt, ohne sie ganz zu verstehen, wegen seiner Auffassung des Nichts als reine Unbestimmtheit, als reine Unmittelbarkeit, welche das Nichts mit dem Sein zur „leeren Nichtigkeit“23 herabsetze. Doch das Nichts des Seins ist nicht mit der reinen Unbestimmtheit gleichzusetzen. Im Gegenteil: Das Sein ist das abgründigste Nichts, das es gibt, weil es nicht das „Leerste und Allgemeinste“, sondern „das Reichste, Einzige, die Mitte, die nicht vermittelt und daher zurückzunehmen“24 ist. Einer der Erträge der Abhandlung Die Negativität besteht darin zu zeigen, daß sich der ontologische Unterschied auf zwei Ebenen abspielt, zwischen dem Sein und dem Seienden – das wurde von Hegel geahnt – und auch – was schwieriger zu fassen ist – zwischen dem Sein und dem Nichts. Die Hegelsche Identität von Sein und Nichts, die sich von ihrem Unterschied mit dem Seienden ableiten läßt, ist in dieser Hinsicht ‚zu identisch‘, denn sie verfehlt den ontologischen Unterschied auf der zweiten Ebene: Sie setzt voraus, daß Sein und Nichts dasselbe sind und versetzt sie beide in eine leere Unbestimmtheit, welche die Negativität zunichte macht: Hegels „Negativität“ gerade nicht aus dem Nichts und dessen Selbigkeit mit dem „Sein“ zu begreifen; weil hier kein „Unterschied“.25 Eben weil Hegel den Unterschied von Sein und Nichts verfehle, beschränke er das Nichts schlicht auf eine Nichtigkeit und verfehle dadurch seine Nichtungskraft. Für Heidegger ist „das Nichts […] das ab-gründig Verschiedene vom Seyn als Nichtung“. Das Nichts ist nicht nur das Nicht-Seiende, es ist eher eine dem Sein eigene Nichtung, die Öffnung eines Abgrunds, es ist die „Wesung des Seyns selbst als des ab-gründig-abgrundhaft Nichtenden.“26 Siehe Was ist Metaphysik? (1929) in: Heidegger: GA 9, 120. Siehe: Heidegger: GA 68, 47. – Die Endlichkeit des Seins bedeutet auch seine Zeitlichkeit. – Siehe: Heidegger: GA 32, 145. – Siehe auch: Annette Sell: Martin Heideggers Gang durch Hegels „Phänomenologie des Geistes“. A. a. O. 124. 23 Siehe: Heidegger: GA 68, 14. – Eine vergleichbare Kritik befindet sich in: Heidegger: GA 65, 266. 24 Siehe: Heidegger: GA 68, 46. 25 Siehe: Heidegger: GA 68, 19. 26 Siehe: Heidegger: GA 68, 47 f. 21 22

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II. Zeit und Negativität bei Hegel Diese Formulierungen wirken auf den Leser schwindelerregend.Was genau will Heidegger damit sagen? Der aporetische Stil des Textes läßt manchmal Fragen offen: Diese Absage an den alles gründenden Unterschied drückt sich darin aus, daß Hegel sagt, die Unterscheidung von Sein und Nichts sei keine. Dieser gründende Unterschied ist jedoch das, was in „Sein und Zeit“ (vgl. Vorlesung SS 27, Schluß) die „ontologische Differenz“ genannt wird.Welche „Negativität“ ist hier im Spiel?27 Warum nicht die Negativität der Zeit, wären wir versucht zu fragen? Die Negativität der Zeit scheint ein geeigneter Anwärter für jene ontologische Funktion, die sich am Verflechtungspunkt von Sein und Nichts befindet, da sie sich mehreren Kritikpunkten, die Heidegger gegenüber der logischen Negativität anführt, entzieht. Gehen wir von Wissenschaft der Logik zur Naturphilosophie über. Die Zeit ist „das Seyn, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist“28. Die zeitliche Negativität ermöglicht die Verknüpfung von Sein und Nichts in ihrer Identität und ihrem Unterschied. Zeit ist für Hegel nicht einfach ein Nichts, sondern eine kontinuierliche Negation, die dem Sein der Natur eigen ist. Zeit ist weder ein Nichts noch ein Sein, sie ist das kontinuierliche und gegenseitige Übergehen vom Einen ins Andere, vom Sein ins Nichts, vom Nichts ins Sein. Diese doppelte Negation bezeichnet die Negativität der Zeit. Die Vergangenheit ist das Sein in seinem Übergehen zum Nichts, und die Zukunft ist das Nichts in seinem Übergehen zum Sein: Die Gegenwart ist nur dadurch, daß die Vergangenheit nicht ist; umgekehrt hat das Sein des Jetzt die Bestimmung, nicht zu sein, und das Nichtsein seines Seins ist die Zukunft; die Gegenwart ist diese negative Einheit. Das Nichtsein des Seins, an dessen Stelle das Jetzt getreten ist, ist die Vergangenheit; das Sein des Nichtseins, was in der Gegenwart enthalten ist, ist die Zukunft.29 Die Negativität der Zeit ist nicht subjektiv (2. Kritikpunkt), sie gehört weder zum Bereich des Vorstellens noch zum Bereich des reinen Denkens, das sich selbst denkt. Hegel beruft sich in seiner Analyse auf Kants Autorität, wenn er Siehe: Heidegger: GA 68, 20 f. Siehe Hegels Naturphilosophie: Hegel: GW 20, § 258. – Ich möchte an dieser Stelle auf eine ausführlichere Analyse der Hegelschen Auffassung der Zeit in der Naturphilosophie in meinem Aufsatz verweisen: Zeit und Negativität bei Hegel. – In: Wiener Jahrbuch für Philosophie. Wien. XXXVII (2005), 79–93. 29 Siehe Hegels Naturphilosophie in der Enzyklopädie: Hegel: TWA 9, § 259, Zusatz (S. 54 f.). 27

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schreibt, daß „die Zeit […] wie der Raum eine rein e Fo r m d e r Sin n lich ke i t oder des A n s c h a u e n s , das unsinnliche Sinnliche“30 ist. Dennoch interpretiert er die reine Anschauung von Raum und Zeit nicht mit Bezug auf das kantische Gemüt, sondern mit Bezug auf die abstrakte Äußerlichkeit, die seiner Ansicht nach die Natur charakterisiert: „Wenn von dem abgesehen wird, was in dem Kantischen Begriffe dem subjectiven Idealismus und dessen Bestimmungen angehört, so bleibt die richtige Bestimmung übrig, daß der Raum eine bloße Form, d. h. eine A b s t r a k t i o n ist und zwar die der unmittelbaren A e u ße rl i c hke i t “ 31. Anders gesagt: Es geht lt. Hegel darum, den Raum – und das gilt auch für die Zeit – nicht zu einer rein subjektiven Form des menschlichen Geistes zu machen. Zeit ist nicht die Bedingung der Anschauung des Werdens, sie ist eher „das angeschaute Werden“. Daß sie wie der Raum eine „reine Form“ ist, bedeutet einfach, daß sie ursprünglich „etwas ganz Abstraktes, ganz Einfaches“ ist, daß sie „auch nur noch eine Form, eine Abstraktion“32 ist. Hegel gesteht Kant zu, daß Zeit wie Raum kein wirkliches Ding ist. Dennoch bedeutet die Idealität der Zeit nicht, daß Zeit eine Form unserer Sinnlichkeit ist. Obwohl er diese kantische Formulierung verwendet, überträgt er sie in sein eigenes Denken und ersetzt die transzendentale Idealität durch einen anderen Typus von Idealität. Somit ist Zeit „die abstrakte Idealität“, d. h. „die ideelle Negativität“33, die jedes beharrende Sein als Nicht-Seiendes setzt. Die Idealität der Zeit bezeichnet ihre Negativität, ihre Fähigkeit, jedes endliche Sein aufzulösen. Wenn man alle Konsequenzen aus diesen Analysen zieht, scheint die Zeit nichts Subjektives zu sein: „so geht auch die Zeit der Unterschied der Objectivität und eines gegen dieselbe subjectiven Bewußtseyns nichts an.“34 Gegen Kant unternimmt Hegel in dieser Hinsicht eine regelrechte „Entsubjektivisierung“ der Zeit, indem er sie unabhängig vom Bewußtsein begreift. Nehmen wir mit Heidegger an, daß in der Logik „alles aufgefangen und ausgeglichen“ wird und daß die „Los-lösung“ „Behalten, der vollständige Ausgleich in Allem“35 ist. Dies gilt überhaupt nicht für die Natur. Im Gegensatz zur logischen Negativität des Begriffs, die der Schaffung von neuen Momenten durch Siehe: Hegel: GW 20, § 258, Anm. (S. 247). Siehe: Hegel: GW 20, § 254, Anm. (S. 244). 32 Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesung über Naturphilosophie 1821/22. Nachschrift von Boris von Uexküll. Herausgegeben von Gilles Marmasse und Thomas Posch. Frankfurt am Main 2002. 36. (Wiener Arbeiten zur Philosophie. Reihe B: Beiträge zur philosophischen Forschung. Herausgegeben von Stephan Haltmayer. Band 6) 33 Siehe: G. W. F. Hegel: Naturphilosophie. Band I. Die Vorlesungen von 1819/1820 [Nachschrift Gottfried Bernhardy, Chr. B.] in Verbindung mit Karl-Heinz Ilting herausgegeben von Manfred Gies. Napoli 1982. 16 f. (Istituto italiano per gli studi filosofici. G. W. F. Hegel. Vorlesungen) 34 Siehe: Hegel: GW 20, § 258, Anm. (S. 247). 35 Siehe: Heidegger: GA 68, 24. 30 31

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die Überwindung der vorherigen entspricht, ist die zeitliche Negativität abstrakt, zerstörerisch, ihr Ergebnis ist das reine Nichts, das rückkehrlose Verschwinden in die Vergangenheit, der Tod ohne Aufhebung. Mit der Zeit wird die Negativität den Kriterien Heideggers entsprechend (Kritikpunkt Nr. 1) ernstgenommen. Hegel vergleicht somit die Zeit mit dem Gott Kronos – „der Alles gebährende und seine Geburten zerstörende Ch ron o s .“ 36 Zeit ist diesbezüglich „die Abstraktion des Verzehrens“37, die alle Ereignisse, die in ihr vorgekommen sind, in die Vergangenheit verschlingt – sie ist in der Natur das „Grab“ der Ereignisse.38 Auch wenn der Geist manche vergangene Ereignisse auferstehen und somit die historische Zeit entstehen läßt, ist der Verlust nicht ganz auszugleichen. Die Vergangenheit ist der Hades, das Reich der Toten.39 Setzt die Negativität der Zeit bei Hegel den ontologischen Vorrang der Gegenwart, der lt. Heidegger die Metaphysik charakterisiert? Einerseits scheint es tatsächlich der Fall zu sein. Das Jetzt genießt in der Natur „ein ungeheures Recht“. Da das Jetzt als Sein begriffen wird – „es ist nichts als das einzelne Jetzt“40 –, sind Vergangenheit und Zukunft, die Negationen des Jetzt sind, vom Siegel des Nichts gekennzeichnet. Sie haben nur deswegen eine Existenz, weil sie mit dem Jetzt verbunden sind, die Vergangenheit als Jetzt, das nicht mehr ist, und die Zukunft als Jetzt, das noch nicht ist. Doch andererseits: In Wirklichkeit enthält das Jetzt in sich die Negativität der Zeit, die den ontologischen Vorrang der Zeit zugleich setzt und sprengt. Denn „dies Ausschließende in seiner [des Jetzt] Aufspreizung ist aufgelöst, zerflossen, zerstäubt, indem ich es ausspreche“41. Das Sein des Jetzt besteht darin, schon nicht mehr zu sein, wenn es ist. Das Jetzt „zerstäubt“ das Sein, weil es „die Negativität des Außersichseins“42, ein „Außersichkommen“43, „das außersichkommende Außersichsein“44, „die außer sich kommende Negativität“45 ist. Die Zeit treibt das Sein aus sich selbst heraus, sie zerstreut Siehe: Hegel: GW 20, § 258, Anm. (S. 248). Siehe: Hegel: TWA 9, § 258, Zusatz (S. 50). 38 „Geschieden sind Zukunft und Vergangenheit nur in unserem Gedanken, in der Natur ist nur das Jetzt. Die Geschichte lebt nur im Geiste; es ist alles vorbei, was geschehen ist, die Zeit ist das Grab dessen, was war, aber der Geist bewahrt das Vergangene auf.“ – Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesung über Naturphilosophie 1821/22. Nachschrift von Boris von Uexküll. A. a. O. 37. 39 Siehe: Hegel: TWA 9, § 259, Zusatz (S. 54). 40 Siehe: Hegel: TWA 9, § 258, Zusatz (S. 50). 41 Ibid. 42 Siehe: G. W. F. Hegel: Naturphilosophie. [Nachschrift Gottfried Bernhardy 1819/1820] 13. 43 Siehe: Hegel: GW 20, § 258, Anm. (S. 247). 44 Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesung über Naturphilosophie 1821/22. Nachschrift von Boris von Uexküll. A. a. O. 41. 45 Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Natur. Berlin 1819/ 1820. Nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier. Herausgegeben von Martin Bondeli und Hoo Nam Seelmann. – In: Ders.:Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Band 16. Hamburg 2002. 23. 36 37

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es in eine Konstellation von gegenwärtigen, zukünftigen und vergangenen Momenten, die sich gegenseitig äußerlich sind. Zweites Argument gegen die Idee des Vorrangs der Gegenwart bei Hegel: In der Negativität der Zeit bleibt nichts bestehen. Das einzig Permanente in ihr ist ihre Unruhe, d. h. eben das Fehlen jeglicher Permanenz. Die Zeit ist „das Übergehen, sie hebt sich selbst auf, sie ist das Dialektische ihrer selbst, das sich selbst Negieren; sie kommt nicht zu einem Moment des Bestehens“46. Im Unterschied zu der im Raum existierenden Negation bezieht sich die Negativität der Zeit ständig auf sich selbst, sie negiert kontinuierlich ihre eigenen Momente. Die Zeit ist die sich auf sich beziehende abstrakte Negativität. Wie die Jenaer Vorlesungen über die Naturphilosophie , entfaltet sich die Negativität der Zeit in Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, so daß keine der drei Dimensionen eine Vorrangstellung erhält.47 Die Negativität der Zeit ist eine Dialektik, die drei Momente enthält, die an dieser Stelle zusammengefaßt werden, um die Hegelsche Auffassung der Zeit als Negativität zu verdeutlichen. 1. Position des Jetzt: die Gegenwart Das erste Moment der Zeit ist die , die Hegel in Anlehnung an Aristoteles als „Punkt“ und „Grenze“ bezeichnet. Die Grenze setzt ein Sein und negiert es unmittelbar gleichzeitig, indem sie einen Bereich bestimmt, der sich jenseits von diesem Sein befindet. Da die Negation immer wesentlich Negation von etwas, „bestimmte“ Negation ist, ist das Jetzt durch sein Negieren ein „in diesem seinen Negieren sich unmittelbar auf das Andere beziehend[es] und sich selbst negierend[es] Jetzt“. Als Negieren ist das Jetzt nämlich einerseits Beziehung auf das, was es negiert, „Beziehung auf sein Gegenteil“, das jenseits von ihm gesetzt ist. Andererseits ist aber das, was das Jetzt negiert, das, worauf sich die Negativität des Jetzt notwendigerweise richtet: das Jetzt selbst. Somit ist das Jetzt unmittelbar das Gegenteil seiner selbst, es „hebt selbst auf“48.

Siehe: G. W. F. Hegel: Naturphilosophie. [Nachschrift Gottfried Bernhardy 1819/1820] 21. – Hegel sagt auch: „In dem, was wir in der Zeit gesehen haben, ist kein Beharren, keine Gleichgültigkeit […]. Dies ist überhaupt der Mangel der Zeit. Sie ist das Wesenlose, weil sie nur das reine Verzehren ist […].“ – Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesung über Naturphilosophie 1821/22. Nachschrift von Boris von Uexküll. A. a. O. 41. 47 Was Hegels Auffassung der Zeit in den Jenaer Systementwürfen II/III (1804/05; 1805/06) betrifft, möchte ich auf mein Buch verweisen: Temps et esprit dans la philosophie de Hegel. Paris 2000. 101–235. – Siehe auch: Violetta L. Waibel: Raum und Zeit in den Jenaer Systemkonzeptionen. – In: Heinz Kimmerle (Hg.): Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels. Berlin 2004. 99–116. 48 Siehe: Hegel: GW 7, 194. 46

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2. Negation des Jetzt: die Zukunft Indem sich das Jetzt selbst negiert, geht es zu seinem Gegenteil, zu einem Anderen über, auf das es sich im wesentlichen bezieht: zur Zukunft. Die Zukunft ist dementsprechend „das Wesen der Gegenwart“; indem sie sich selbst negiert, ist sie die Selbstnegation des Jetzt. In der Zukunft wendet sich die Negativität der Zeit gegen sich selbst und negiert ihre eigene Herkunft, die Gegenwart. Was zum unmittelbaren Verschwinden des Jetzt führt, ist seine Negierung durch die Zukunft. Wenn das Jetzt der Zukunft „nicht widerstehen kann“, wenn sich nichts, was ist, seiner eigenen Negation durch die Zukunft widersetzen kann, so liegt es daran, daß die Negativität der Zukunft dem gegenwärtigen Sein nicht von außen zukommt, aber daß sie im Gegenteil im Sein enthalten ist, daß sie nichts anderes ist als die Negativität selbst der Gegenwart, die sich selbst negiert. So ist die Gegenwart selbst diese Zukunft, welche ist, was die Gegenwart negiert. Da das Negierende nichts ist, ohne das, was es negiert und umgekehrt, ist die Zukunft von ihrem Anderen, von der Gegenwart, unzertrennlich. Als solche gibt es also die Gegenwart und die Zukunft nicht, „nur diese Beziehung beider aufeinander“49 gibt es. 3. Die Negation der Negation des Jetzt: die Vergangenheit Dem Wesen selbst der Negativität entsprechend, negiert „die Negation der Gegenwart […] ebenso sich selbst“50. Es handelt sich dabei um die Negation der Gegenwart, d. h. der Zukunft, die sich ihrerseits selbst negiert und zu ihrem Anderen übergeht. Die Selbstnegation der Zukunft führt zur Vergangenheit. Das, „worin“ das durch die Zukunft negierte Jetzt verschwindet, ist die Vergangenheit, dieses Grab, wo das, was nicht mehr ist, ruht. Die Vergangenheit ist also die Negation der Negation der Gegenwart. Indem die doppelte Negation selbst Affirmation ist (‚duplex negatio‘ ist „wieder affirmatio“51), ist die Negation der Negation des Jetzt Affirmation des Jetzt. Die Vergangenheit, das andere Unmittelbare der Zukunft, ist somit erneut „die Gegenwart“52. Anders gesagt: Das Jetzt ist gesetzt und negiert sich in der Zukunft. Die Zukunft negiert sich in der Vergangenheit. Die Vergangenheit negiert sich ihrerseits und ein neues Jetzt entsteht. Der Status der Zeit entscheidet sich in diesem letzten Moment. Entweder das neue Jetzt ist ein abstraktes Jetzt, ein Jetzt ohne Vergangenheit, und die Zeit ist in diesem Fall nichts anderes als die ins Unendliche gehende Wiederholung des Jetzt, das sich selbst immer identisch ist, weil es nie von der Vergangenheit bereichert wird, von der es stammt. Die Geburt des

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Ibid. Ibid. Siehe: Hegel: GW 7, 34. Siehe: Hegel: GW 7, 195.

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neuen Jetzt erfordert das restlose Verschwinden des vorhergegangenen. So ist die abstrakte Negativität der Natur, wo die Zeit sich auf ein immer wiederbegonnenes Jetzt beschränkt. Oder das neue Jetzt ist ein durch die Vergangenheit bereichertes Jetzt, eine Gegenwart, die konkret in sich die vorhergegangenen Momente, durch die sie bereichert wird, einschließt. Das Verschwinden des Jetzt in der Vergangenheit hat somit als Wahrheit das Entstehen einer Gegenwart, die die Vergangenheit erhält. Diese zweite Modalität ist eine konkrete Negativität, die der geschichtlichen Zeit des Geistes entspricht. Zeit ist nämlich nicht nur die unendliche Wiederholung des Jetzt, die schlechte Unendlichkeit der Natur, unter deren „Sonne […] nichts Neues“53 geschieht; sie ist auch die konkrete, durch eine wahre Unendlichkeit charakterisierte Gegenwart, die dialektisch Jetzt, Zukunft und Vergangenheit in sich vereint. Das Jetzt der natürlichen Zeit ist eine einfache, vorübergehende Grenze zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, die Gegenwart der geschichtlichen Zeit wird im Gegensatz dazu durch die Vergangenheit bereichert und mit der Zukunft geschwängert. In den Vorlesungen zur Naturphilosophie aus den Jahren 1805–1806 zieht Hegel die Folgen aus der strategischen Rolle der Vergangenheit in der Dialektik der Zeit. Indem die Vergangenheit nicht nur eine der Dimensionen der Zeit ist, sondern auch „die vollendete Zeit“, „die Zeit als Totalität“, ist sie somit „die Wahrheit der Zeit“54. Hegel macht im weiteren Verlauf des Textes deutlich, daß „es […] die Wahrheit der Zeit [ist], daß nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit das Ziel ist.“55 An dieser Stelle ist es unmöglich, Koyré zuzustimmen und zu sagen, „daß die vorherrschende Dimension der Zeit die Zukunft ist“56. Es kann auch nicht behauptet werden, daß es einen Vorrang der Vergangenheit bei Hegel gibt, was Heidegger in seinen Vorlesungen von 1930/31 tut: „für Hegel [macht] das Ehemals, d. h. die Vergangenheit, das Wesen der Zeit [aus]“57. Denn die Vergangenheit, die Hegel hier meint, ist kein isoliertes Moment der Zeit, sondern die Totalität der drei zeitlichen Dimensionen – die konkrete Gegenwart.

Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Die Vernunft in der Geschichte. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister. Hamburg 61994. 70. 54 Siehe: Hegel: GW 8, 12. 55 Siehe: Hegel: GW 8, 21. 56 Siehe: Alexandre Koyré: Hegel à Iéna. Études d’histoire de la pensée philosophique. Paris 1995 (11934). 177. (Coll. TEL) 57 Siehe: Heidegger: GA 32, 211. – In Logik. Die Frage nach der Wahrheit, heißt es, „die Gegenwart ist für Hegel nicht nur Gegenwart, sondern Gegenwart des Vergangenen“. – Siehe: Heidegger: GA 21, 265. 53

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III. Die Kritik an der Hegelschen Auffassung der Zeit Mit der Zeit stehen wir einer Negativität gegenüber, die ein Nichten und nicht einfach ein Nichts ist, die den ontologischen Vorrang der Gegenwart als konstante Gegenwärtigkeit nicht beachtet, die nicht subjektiv, nicht an ein Bewußtsein gebunden ist und die den Tod ernstnimmt. Warum hat Heidegger in seiner Abhandlung Die Negativität kein Wort darüber verloren? Die Antwort auf diese Frage ist vermutlich in der Kritik an Hegels Begriff der Zeit zu suchen, die Heidegger im wesentlichen in den Vorlesungen von 1925/26,58 in § 82 von Sein und Zeit und am Ende der Vorlesungen von 1930/31 über Die Phänomenologie des Geistes ausgeführt hat.59 Vergegenwärtigen wir uns die wesentlichen Angriffspunkte: 1. Hegels Begriff der Zeit ist „die radikalste und zu wenig beachtete begriffliche Ausformung des vulgären Zeitverständnisses“60. Hegel nehme die Jetzt-Zeit wieder auf, die seit Aristoteles als unendliche Reihenfolge von Jetzt verstanden wurde. 2. Hegel sieht die temporale Funktion der Zeit, d. h. die Funktion der Zeit für die Interpretation des Seins nicht.61 Dieser Punkt findet sich in der bereits erwähnten, sehr deutlichen Gegenüberstellung wieder, welche die Vorlesungen von 1930/31 beschließt, nämlich derjenigen von Heideggers These – Zeit ist das Wesen des Seins – und der Hegel zugeschriebenen These: Das Sein in seiner Unendlichkeit ist das Wesen der Zeit.62 3. Hegel gewährt, ohne es zu rechtfertigen, dem Vergehen einen Vorrang vor dem Entstehen. Der zerstörende Charakter der Zeit als Verzehren wird nicht erläutert und bleibt ein Rätsel. Dieser Kritikpunkt wird in den Vorlesungen von 1925/26 erwähnt,63 doch in § 82 von Sein und Zeit nuanciert.64 Denn in der Definition selbst von Zeit – das Sein, das, indem es ist, nicht ist und, indem es nicht ist, ist – kommt kein Vorrang zwischen dem Geborensein und dem Verschwinden zum Vorschein. 4. Hegel macht aus der Zeit ein Milieu, eine Innerzeitigkeit, in die der Geist „fällt“, auf Grund der formellen Identifizierung zwischen Geist und Zeit, die auf dem Begriff der „ Ne g a t i on d e r N eg ati o n“ 65 beruht. Siehe: Heidegger: GA 21, § 20. Siehe: Heidegger: GA 32, § 13, b). 60 Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 161986. § 82 (S. 428). 61 Siehe: Heidegger: GA 21, 257. 62 Siehe: Heidegger: GA 32, 211. 63 Siehe: Heidegger: GA 21, 259; 261. 64 „Andererseits ist Hegel konsequent genug, um in der eigentlichen Zeitdefinition dem Verzehren und Vergehen keinen Vorrang zuzugestehen […].“ – Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. § 82, a) (S. 431 f.). 65 Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. § 82 (S. 434). 58 59

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5. Hegel gewährt der Vergangenheit einen Vorrang, während der eigentliche Sinn der Zeitlichkeit die Zukunft ist. Diese Kritikpunkte wurden bereits von anderen Forschern untersucht.66 Heidegger mißversteht die Dialektik der Zeit, wie sie in den Jenaer Vorlesungen von 1804/05 begegnet, in denen sich – wie bereits erläutert wurde – die Idee eines Vorrangs der Vergangenheit komplexer herausstellt als das, was er darüber schreibt.67 Die Kritikpunkte tendieren außerdem dazu, die Rolle des Begriffs der Negativität in der Hegelschen Definition der Zeit zu unterschätzen. An zwei Stellen in § 82 von Sein und Zeit identifiziert Heidegger die Negation der Negation als „Punktualität“68, die als dem Raum immanente, sich selbst negierende Negation den Übergang von Raum zu Zeit ermöglicht. Doch er kehrt dadurch die Beziehung zwischen Raum und Zeit um. Das Verständnis der Negation der Negation als Punktualität führt dazu, daß der Raum zur Wahrheit der Zeit wird, während bei Hegel das Gegenteil der Fall ist: Die Zeit als Negativität ist die Wahrheit des Raums, der durch die Vermittlung des Punktes in sie übergeht. Dieser Vorrang der Zeit über den Raum ist übrigens Hegel und Heidegger gemein.69 Die Negation der Negation ist die Negativität und nicht die Punktualität. In seinem Kommentar zu § 257 der Enzyklopädie betont Heidegger den zweiten Begriff und läßt den ersten beiseite. Im Text steht dennoch, daß die „Negativität, die sich als Punkt auf den Raum bezieht und in ihm ihre Bestimmungen als Linie und Fläche entwickelt […] für sich gesetzt […] die Zeit [ist]“70. Nach Hegel kommt die Negativität im Raum nicht zu ihrem Recht, die Negativität bleibt in ihm in der anfänglichen Form des Punktes wie gelähmt: Das „ist der Mangel des Raums. Der Raum ist dieser Widerspruch, Negation an ihm zu haben, aber so, daß diese Negation in gleichgültiges Bestehen zerfällt.“71 Der Raum ist „die Negativität paralysiert in der Gleichgültigkeit des räumlichen Bestehens“72. Der 66 Siehe v. a.: Denise Souche-Dagues: Une exégèse heideggerienne: le temps chez Hegel d’après le § 82 de „Sein und Zeit“. – In: Revue de Métaphysique et de Morale. Paris. 1 (1979), 101–119; Jere Paul Surber: Heidegger’s Critique of Hegel’s Notion of Time. – In: Philosophy and Phenomenological Research. 39 (1979), 3, 358–377; Oscar Daniel Brauer: Dialektik der Zeit. Untersuchungen zu Hegels Metaphysik der Weltgeschichte. Stuttgart 1982. 135–144; S. F. Baekers: Die Zeit als Mitte der Philosophie Hegels. – In: Hegel-Studien. Bonn. 30 (1995), 121–143; hier: 126 f.; 131 f.; – Stefan Majetschak: Die Logik des Absoluten. Spekulation und Zeitlichkeit in der Philosophie Hegels. Berlin 1992. 266 ff. 67 Heidegger behauptet, er habe die Lasson-Ausgabe von 1923, die den Titel Jenenser Logik trägt und die Vorlesungen von 1804/05 enthält, flüchtig durchgesehen. – Siehe: Heidegger: GA 21, 263. 68 Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 430; 432. 69 Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. § 70. 70 Siehe: Hegel: GW 20, 247. 71 Siehe: Hegel: TWA 9, § 257, Zusatz (S. 48). 72 Siehe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesung über Naturphilosophie 1821/22. Nachschrift von Boris von Uexküll. A. a. O. 35.

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Punkt ermöglicht den dialektischen Übergang von der paralysierten Negativität des Raums zur befreiten Negativität der Zeit. Aber in seiner zeitlichen Dimension ist der Punkt nicht wirklich ein Punkt, er ist das Jetzt, das seine Negativität den drei Momenten der Dialektik der Zeit entsprechend entfaltet: Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Heidegger kann Hegels Begriff der Zeit nur um den Preis einer Verneinung, der Verneinung der Negativität des Jetzt, in die „vulgäre Zeit“ einschließen. Aber die Negativität – so wird man einwenden – ist ein der Fundamentalontologie fremder Begriff; es gibt also keinen Grund dafür, daß diese Ontologie der Negativität den geringsten Wert beimißt. In Wirklichkeit zeigt die Abhandlung Die Negativität das Gegenteil. Der „ontologische Unterschied“ setzt eine Negativität voraus, die es zu erläutern gilt, ein Nichten im Herzen selbst des Seins. Allerdings ist diese Negativität absolut nicht mit der Zeit verbunden. Einzig die logische Auffassung der Hegelschen Negativität wird untersucht, als wäre das Problem der zeitlichen Negativität schon im Voraus geregelt. Dementsprechend verfolgt das Denken über das Sein zwei unterschiedliche Wege: den zeitlichen in Sein und Zeit sowie auch mit den Kant-Interpretationen – Kant und das Problem der Metaphysik (GA 3), Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft (GA 25) – und den negativen Weg, der diskreter in dem genannten Vortrag Was ist Metaphysik? und in der Abhandlung Die Negativität eingeschlagen wird. Bei dem ersten Weg geht es darum, das Sein im Lichte der Zeit zu denken und zu zeigen, daß die Zeit der Horizont für jegliches Verstehen des Seins ist. Bei dem zweiten Weg wird das Sein vom Nichts ausgehend in einer konstruktiveren Auseinandersetzung mit Hegel gedacht. Können diese beiden Wege zusammengebracht werden?

IV. Vom zeitlichen zum negativen Weg Um darauf eine Antwort zu finden, wollen wir in großen Schritten den zeitlichen Weg verfolgen. Heidegger gibt an, daß die Zeit der Horizont für jegliches Seinsverständnis, des Seins des Daseins, der menschlichen Existenz genauso wie für das Verstehen des Seins der anderen Seienden, des Zuhandenen und des Vorhandenen ist. Die ersten beiden veröffentlichten Abschnitte in Sein und Zeit zeigen, wie die Zeit in der Form der ekstatischen Zeitlichkeit „der ontologische Sinn der Sorge“ (§ 65) ist, d. h. die Bedingung für die Möglichkeit der Existenz des Daseins. Sämtliche Existenzialen des Daseins – Entwurf, Entschlossenheit, Faktizität, Geworfenheit, Besorgen, usw. – sind nur im Horizont der drei Ekstasen der Zeitlichkeit, der Zukunft, der Gewesenheit und der Gegenwart möglich. Die Zeitlichkeit ist der Horizont aller Seienden, des Daseins wie der anderen Seienden, die das Dasein selbst nicht ist. Diese These wird gleich am Anfang

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von Sein und Zeit angekündigt: Es „soll gezeigt werden, daß das, von wo aus Dasein überhaupt so etwas wie Sein ausdrücklich versteht und auslegt, die Zeit ist. Diese muß als der Horizont alles Seinsverständnisses und jeder Seinsauslegung ans Licht gebracht und genuin begriffen werden“73. Die Zeitlichkeit hat zwei Aspekte, die beide Seiten desselben Phänomens sind. Als Zeitlichkeit ist sie der Horizont des Seins des Daseins. Als Temporalität ist sie der Horizont des Seins im allgemeinen: „In der Exposition der Problematik der Temporalität ist allererst die konkrete Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Seins gegeben“74. Allerdings ist dieses Programm im veröffentlichten Teil von Sein und Zeit, der mit folgenden Fragen schließt, nicht verwirklicht worden: „Führt ein Weg von der ursprünglichen Zeit zum Sinn des Seins? Offenbart sich die Zeit selbst als Horizont des Seins?“75 Die Antwort darauf hätte im dritten Abschnitt des ersten Teils von Sein und Zeit stehen sollen. Doch Heidegger habe diesen Text 1926, kurze Zeit, nachdem er ihn verfaßt hatte, verbrannt, weil er mit ihm nicht zufrieden war.76 In Ermangelung dieser ersten Fassung, die verloren ist, kann die Vorlesung des Sommersemesters 1927, die den Titel Die Grundprobleme der Phänomenologie trägt, als eine „neue Ausarbeitung“ des dritten Abschnitts betrachtet werden.77 In dieser Vorlesung verwendet Heidegger zum ersten Mal den Ausdruck „ontologische Differenz“ und beruft sich darauf in der Abhandlung Die Negativität.78 Am Ende der Vorlesung von 1927 setzt sich Heidegger erneut mit dem Problem der Temporalität des Seins auseinander. Die Zeitlichkeit ist ekstatisch-horizontal. Jede der drei Ekstasen besteht aus einem horizontalen Schema, welches das Seinsverständnis des Seienden möglich macht: „Sein verstehen wir demnach aus dem ursprünglichen horizontalen Schema der Ekstasen der Zeitlichkeit“79. Die Ekstase der Gegenwart zielt auf das horizontale Schema des praesens, das eine Bedingung für die Möglichkeit der Zuhandenheit ist. Anders gesagt: „Zuhandenheit besagt formal Praesenz, Anwesenheit“80. Was bedeutet dies? Jeder Umgang mit einem zuhandenen Seienden – Ding, Zeug, Werkzeug usw. – ist nur auf der Grundlage des Seinsverständnisses dieses Typs von Seiendem, der Zuhandenheit, möglich, die selbst nur möglich ist, weil das Seiende im Horizont des praesens wahrgenommen wird, weil es da zuhanden, in Reichweite ist.

Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. § 5 (S. 17). Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 19. 75 Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 437. 76 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmanns Nachwort zu Sein und Zeit. – In: Heidegger: GA 2, 582. 77 Siehe: Heidegger: GA 24, 1. 78 Siehe: Heidegger: GA 68, 20. 79 Siehe: Heidegger: GA 24, 436. 80 Siehe: Heidegger: GA 24, 439. 73 74

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Dieses praesens ist keine volle Positivität, es enthält eine Negation. Heidegger gibt an, daß das horizontale praesens vom horizontalen Schema der Abwesenheit untrennbar ist: „Alles Positive wird vom Privativen her besonders deutlich. Den Gründen, warum das so ist, können wir jetzt nicht nachgehen. Sie liegen – beiläufig gesagt – gleichfalls im Wesen der Zeitlichkeit und in der in ihr verwurzelten Negation“81. Heidegger vertieft eine Analyse, die er bereits in Sein und Zeit (§ 16) durchgeführt hat. Wenn das Dasein Dinge verwendet, die sich in seinem Umkreis vorfinden, denkt es nicht ausdrücklich daran, es beachtet sie nicht. Erst wenn ihm ein Ding fehlt, was zu einer Unterbrechung des Umgangs mit dem zuhandenen Seienden führt, offenbart sich dessen Charakter der Zuhandenheit. Das Ding ist nie so anwesend, als wenn es abwesend ist.Von einem zeitlichen Standpunkt her betrachtet bedeutet dies, daß es in der Gegenwart Ungegenwärtiges und in der Anwesenheit Abwesenheit gibt. Heidegger schließt daraus, daß es „ein horizontales Schema der Absenz“ gibt, das „zur Ekstase des Ungegenwärtigen“ gehört, „das das Vermissen ermöglicht“82. Negation ist im Wesen der Zeitlichkeit verwurzelt. Was genau ist ihre Bedeutung? Der einzige Hinweis ist, daß das horizontale Schema der Absenz eine Modifikation des horizontalen Schemas des praesens ist – dessen Negation. Das „Absentiale“ ist eine Negation des „Praesentialen“. Davon ausgehend ist es nur noch ein Schritt bis zur Einsicht, daß die Negativität im Herzen der Zeitlichkeit ist. Diesen Schritt macht Heidegger in ausdrücklicher Berufung auf Hegel. Es sei deshalb der gesamte Passus zitiert: Grundsätzlich gefragt: Inwiefern liegt in der Temporalität überhaupt und zugleich in der Zeitlichkeit ein Negatives, ein Nicht? Oder gar: Inwiefern ist die Zeit selbst die Bedingung der Möglichkeit von Nichtigkeit überhaupt? Weil die zur Zeitlichkeit (sowohl zur Ekstase der Gegenwart als zu den anderen Ekstasen) gehörende Modifikation der Praesenz zur Absenz, der Anwesenheit zur Abwesenheit, einen Charakter der Negativität hat, des Nicht, nichtanwesend, erhebt sich die Frage, wo die Wurzel dieses Nicht überhaupt liegt. Eine nähere Betrachtung zeigt, daß auch das Nicht bzw. das Wesen des Nicht, die Nichtigkeit, ebenfalls nur aus dem Wesen der Zeit interpretiert werden kann und daß von hier aus erst die Möglichkeit der Modifikation, z. B. der Anwesenheit zur Abwesenheit, aufzuklären ist. Am Ende ist Hegel einer fundamentalen Wahrheit auf der Spur, wenn er sagt: Sein und Nichts sind identisch, d. h. gehören zusammen. Die radikalere Frage ist freilich: Was macht eine solche ursprünglichste Zusammengehörigkeit überhaupt möglich?83 81 82 83

Siehe: Heidegger: GA 24, 439. Siehe: Heidegger: GA 24, 442. Siehe: Heidegger: GA 24, 443.

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Heidegger läßt diese Fragen unbeantwortet. Er behauptet lediglich, daß Zeitlichkeit in ihren beiden Aspekten, als Ekstase und Horizont, als Zeitlichkeit und Temporalität, Negativität enthält, die insbesondere die Modifikation der Praesenz in Absenz erklärt. Um im Horizont des praesens die Zusammengehörigkeit von Präsenz und Absenz näher zu erläutern, beruft er sich auf Hegels Identifikation von Sein und Nichts. An diesem genauen Punkt scheinen der zeitliche und der negative Weg der Fundamentalontologie zusammenzuführen. Die Zeit ist sowohl Horizont des Seins als auch Negativität, kontinuierliche Nichtung des Seienden. Doch Heidegger führt die Analyse nicht weiter, er erwähnt an keiner Stelle die Auffassung der Zeit als Negativität, als Übergehen des Seins ins Nichts und des Nichts ins Sein. Dafür müßte er das Urteil des § 82 von Sein und Zeit ücknehmen und zugeben, daß sich der Hegelsche Begriff von Zeit nicht auf die Konzeptualisierung einer vulgären Auffassung von Zeit reduzieren läßt. Wenn wir die Analyse weiterführen, können wir annehmen, daß nicht die Negativität vom Wesen der Zeit ausgehend interpretiert werden muß, sondern daß umgekehrt das Wesen der Zeit vom Begriff der Negativität ausgehend gefaßt werden muß, was Hegel verstanden hatte. Heidegger beschränkt den Begriff der Absenz auf die Nicht-Zuhandenheit, die Abwesenheit eines Seienden im Raum. Doch die Modifikation der Anwesenheit in Abwesenheit, die den Horizont des praesens , hat einen anderen möglichen Sinn, vollkommen zeitlich: den Sinn eines Übergehens der Gegenwart in die Nicht-Gegenwart, in die Vergangenheit. Gleichermaßen kann die Modifikation der Abwesenheit in Anwesenheit zeitlich gefaßt werden: das Übergehen der Zukunft in die Gegenwart. Vergangenheit und Zukunft sind zwei spezifische Modalitäten der zeitlichen Abwesenheit. In ihnen ist die Negativität der Zeit offenkundiger als im Horizont des praesens. Nicht mehr und noch nicht sind in dieser Perspektive keineswegs Formen der vulgären Zeit, die von der ursprünglichen Zeitlichkeit abgeleitet sind, es sind ursprüngliche Formen der Negativität der Zeit. Doch Heidegger weigert sich, den Begriff der Negativität, den er bei dem negativen Weg dem Sein zuordnet, auf die horizontale ät anzuwenden. Man nimmt diesen Vorbehalt wahr, wenn es um und insbesondere um die Vergangenheit geht. Wie Ricœur festgestellt hat, besteht das Eigene der Vergangenheit darin, nicht mehr zu sein und gewesen zu sein.84 Einerseits sind die Ereignisse nicht mehr, und in dieser Hinsicht offenbart sich die Negativität der Zeit, die Modifikation der Anwesenheit in Abwesenheit; andererseits kann niemand dafür sorgen, daß das, was war, nicht gewesen ist. Die Vergangenheit ist zugleich verschwunden und wie in Stein gemeißelt, sie ist selbst eine rätselhafte Zusammengehörigkeit des Seins und des Nichts, der Anwesenheit und der Abwesenheit. Aber Heidegger gibt 84 Siehe: Paul Ricouer: La marque du passé. – In: Revue de métaphysique et de morale. Paris. 1 (1998), 7–31.

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ausschließlich der Anwesenheit der Vergangenheit, der Gewesenheit, den Vorzug gegenüber der Abwesenheit, der Vergangenheit, die als uneigentlich und nicht ursprünglich angesehen wird.85 Der eben zitierte Auszug aus der Vorlesung von 1927 ist nach unserem Kenntnisstand eine der wenigen Stellen, wo der zeitliche und der negative Weg der Ontologie Heideggers zusammenlaufen, ohne miteinander übereinzustimmen. Es wird angegeben, daß die Negativität sowohl die Ekstase der Gegenwart als auch die anderen Ekstasen betrifft. Wie sieht es mit der Zukunft und der Vergangenheit aus? Welche sind deren horizontale Schemen? Die Horizonte der Ekstasen der Zukunft und der Vergangenheit können sich per definitionem nicht auf das praesens, nicht auf die Zeitlichkeit des Zuhandenen reduzieren lassen. Treiben die Zukunft und die Vergangenheit das Sein nicht eher in die Nicht-Gegenwart und hüllen dabei die Seienden in einen Halbschatten der Abwesenheit? Es kann vermutet werden, daß eine Analyse der horizontalen Schemen der Zukunft und der Vergangenheit die der Zeit eigene Negativität, zumindest ihre Abwesenheitsdimension, offenbaren würde. Doch Heidegger gibt diesbezüglich nur ganz wenige Angaben. In § 69 c) von Sein und Zeit widmet er dem Problem der horizontalen Schemen einige Abschnitte: „Mit dem faktischen Dasein ist je im Horizont der Zukunft je ein Seinkönnen entworfen, im Horizont der Gewesenheit das ‚schon sein‘ erschlossen und im Horizont der Gegenwart Besorgtes entdeckt“86. Die Skizze der drei horizontalen Schemen läßt im Gegensatz zur Vorlesung von 1927, die eine detailliertere Analyse des horizontalen Schemas der Anwesenheit entwickelt, der Negativität keinen Platz. Wie sieht es in dieser Vorlesung mit den beiden anderen horizontalen Schemata aus? Heidegger weicht dem Problem leider aus: „Um den Blick auf die ohnehin schwer zu fassenden Phänomene der Zeitlichkeit nicht zu sehr zu verwirren, beschränken wir uns auf die Explikation der Gegenwart und ihres ekstatischen Horizontes, der Praesenz“87. Für einen Denker, der den ontologischen Vorrang der Gegenwart kritisiert, kommt eine derartige methodische Einschränkung überraschend! Der zeitliche Weg der Ontologie führt zur Unvollendung, wenn nicht zum Scheitern.

85 86 87

Siehe: Heidegger: GA 24, 375. Siehe: Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 365. Siehe: Heidegger: GA 24, 435.

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V. Zeit und Negativität bei Heidegger Gibt es andere Übereinstimmungspunkte zwischen dem zeitlichen und dem negativen Weg der Ontologie? Im Vortrag von 1929 findet sich nicht der geringste Hinweis auf die Zeitlichkeit. Heidegger führt Überlegungen über das Nichts aus, das nicht als Vernichtung, sondern als Nichtung verstanden wird. Das Nichts nichtet,88 so die umstrittene Formel. Als solches gibt „das Nichts […] nicht erst den Gegenbegriff zum Seienden her, sondern gehört ursprünglich zum Wesen selbst.89 Im Sein des Seienden geschieht das Nichten des Nichts“90. Das Nichts ist nicht eine einfache Negation des Seienden, es ist eine dem Wesen des Seienden eigene Nichtung, die dem Seienden als solchem die Offenbarkeit ermöglicht. Daher die Formel: „die helle Nacht des Nichts der Angst“91. Als Negation des Seienden,Versinken in das Nicht-Seiende, ist das Nichts eine Nacht, die das Dasein in die Angst stürzt. Als Wesen des Seins ist die Nacht des Nichts eine Offenbarkeit des Seins, und deswegen ist sie „hell“. Welches ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Zeit, deren enge Korrelation mit dem Sein Heidegger zwei Jahre vorher in Sein und Zeit unterstrichen hat? Welches ist ihr Platz in dem Spiel von Sein und Nichts? Sie taucht in der Einleitung von 1949 erneut auf, die daran erinnert, daß „[‚in Sein und Zeit‘] ‚Sein‘ nicht etwas anderes als ‚Zeit‘ [ist], insofern die ‚Zeit‘ als der Vorname der Wahrheit des Seins genannt wird“92. Doch um diese These zu veranschaulichen, erwähnt Heidegger die griechische Auffassung des Seins als „Anwesenheit des Anwesenden“: „im Anwesen waltet ungedacht und verborgen Gegenwart und Andauern, west Zeit“93. Die Zeit wird keineswegs mit dem Nichts oder der Nichtung in Zusammenhang gebracht, sie wird ganz im Gegenteil als Horizont der Anwesenheit, d. h. nach wie vor von der Gegenwart ausgehend gedacht. In der Abhandlung Die Negativität verschwindet das Thema der Angst, aber es findet sich eine kurze Anspielung auf die Zeit. Heidegger beschreibt das Nichten des Nichts wie eine Lichtung. Der Terminus bedeutet gleichzeitig das, was das Seiende beleuchtet, es sichtbar macht, aber auch die Lichtung, die durch die Abschaffung der Bäume einen sichtbaren Raum freimacht. Er fügt noch folgendes hinzu: „Diese Lichtung aber ist nicht erklärbar aus Seiendem, sondern sie ist das ‚Zwischen‘ und Inzwischen (im zeit-räumlichen Sinne des ursprünglichen So in Was ist Metaphysik? (1929). – Siehe: Heidegger: GA 9, 114. – Zur Polemik, die durch diese Formel ausgelöst wurde, siehe: Claude Romano: Il y a. Paris 2003. 295–344; „Une phénoménologie du néant est-elle possible? Autour de la controverse Carnap-Heidegger“ (9). 89 Randnotiz f (1949) lautet: „Wesen des Seins“. 90 Siehe Was ist Metaphysik? in: Heidegger: GA 9, 115. 91 Siehe Was ist Metaphysik? in: Heidegger: GA 9, 114. 92 Siehe die „Einleitung“ (1949) zu Was ist Metaphysik? – In: Heidegger: GA 9, 376. 93 Ibid. 88

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Zeit-Raums)“. Darüber werden wir nicht mehr erfahren. Ist es trotz allem möglich, eine Verbindung zwischen dem als Nichtung und Lichtung verstandenen Begriff des Nichts und der Zeit herzustellen? Rufen wir die vier positiven Bestimmungen des Nichts, die von Heidegger in Abschnitt IV der Abhandlung über Die Negativität erwähnt werden, in Erinnerung.94 Das Nichts ist 1. Wesen des Seins, 2. Lichtung der Seienden und des Seins, 3. Nichten, 4. Ab-grund, im Sinne, daß das Nichts ein Nichten, das zur „Versagung des Grundes, jeder Stütze und jedes Schutzes im Seienden“ führt. Die beiden ersten Bestimmungen lassen sich auf die als Temporalität verstandene Zeit anwenden. Heidegger hat diesbezüglich seine Position in der Vorlesung über die Phänomenologie des Geistes zusammengefaßt, indem er betont, daß die Zeit das ursprüngliche Wesen des Seins sei.95 Es muß aber ihm zufolge festgestellt werden, daß das Nichts in seiner abgründigen Dimension auch das Wesen des Seins ist!96 Demzufolge sind Zeit und Nichtung zwei Seiten einer und derselben Wirklichkeit: des Seins. In den Vorlesungen von 192797 und 1930 hat Heidegger die Metapher des Lichts verwendet, um die ontologische Dimension der Zeit zu beschreiben: „In der Helle, in der das als beständige Anwesenheit verstandene Sein steht, kommt das Licht zum Vorschein, das diese Helle spendet. Es ist die Zeit selbst. Das Sein wird, sowohl im vulgären Seinsverständnis als auch in der ausdrücklichen Seinsproblematik der Philosophie, verstanden im Lichte der Zeit“98. Genau wie das Nichts ist die Zeit Licht, Lichtung, welche die Offenbarkeit des Seins und des Seienden möglich macht. Doch es kann eingewendet werden, daß das Nichts eher ganz das Gegenteil ist, es ist mit der Nacht, mit der Abschaffung jeglichen Lichtes vergleichbar. Wollte man an der Metapher festhalten, so müßte man sagen: Wenn das Nichts eine Nacht ist, ist es in Wirklichkeit eine helle Nacht, denn als Sein erhellt es jedes Seiende, macht es möglich. Ist die helle Nacht des Nichts nicht ein anderer Name für die Zeit? Wie steht es mit den beiden anderen Bestimmungen des Nichts? Um sie auf die Zeit anwenden zu können, muß man auf Hegel zurückkommen. Die als Negativität verstandene Zeit ist sicherlich ein Nichten, sie ist eine der Natur und dem Geist eigene kontinuierliche Aktivität der Negation. In welcher Hinsicht ist die Zeit dennoch auch Abgrund? Heidegger gibt uns einen Hinweis, wenn er etwas später das Wortspiel Hegels erwähnt: „‚Werden‘ – (d. h. etwas wird was es ‚ist‘ – geht in sich, seinen Grund zurück = Zu Grunde gehen)“99. Indem sie Siehe: Heidegger: GA 68, 45–49. „Die Zeit ist das ursprüngliche Wesen des Seins.“ – Siehe: Heidegger: GA 32, 211. 96 „[…] das Nichts ist das abgründige Gegen zum Seyn, aber als dieses dessen Wesen.“ – Siehe: Heidegger: GA 68, 15. 97 Siehe: Heidegger: GA 24, 437; 465. 98 Siehe: Heidegger: GA 31, 114 f. 99 Siehe: Heidegger: GA 68, 52. 94 95

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jedes Ding und jedes Ereignis in das „Grab“ der Vergangenheit, in das Schattenreich reißt, ist die Zeit ein Nichten, das uns auf abgründige Weise den Grund entzieht, eine Bewegung des Zugrundegehens.

VII. Schluß Warum, so könnte man fragen, habe ich es unternommen, die Negativität in Heideggers Auffassung der Zeit ausfindig zu machen? Weil Hegels Begriff der Negativität es möglich macht, zwischen dem zeitlichen und dem negativen Weg der Fundamentalontologie, zwischen dem Verständnis des Seins im Lichte der Zeit und dem Verständnis des Seins im Lichte des Nichts eine Verbindung herzustellen. Die Zeit ist eine Negativität, die ursprünglich dem Wesen des Seins angehört und sich gemäß den drei Dimensionen der Gegenwart, der Zukunft und der Vergangenheit entfaltet. Die Negativität offenbart sich genauso in der Gegenwart – mit dem kontinuierlichen Übergehen in die Nicht-Gegenwart – wie auch in der Zukunft und in der Vergangenheit, in dem Noch-nicht und dem Nicht-mehr.Warum hat sich Heidegger geweigert, die Negativität in seine Auffassung der Zeit einzubeziehen, obwohl ihn seine Überlegungen dazu einluden? Die Antwort auf diese Frage erklärt sich nicht nur durch seine Vorbehalte gegenüber Hegels Begriff der Zeit. Sie erklärt sich vielleicht auch durch die Schwierigkeit, die Vergangenheit und die Zukunft als Horizont des Seins zu denken. Die Korrelation von Zeit und Sein für die Dimension der Gegenwart – die ständige Anwesenheit setzt die Gegenwart voraus – läßt sich gemäß dem von Heidegger regelmäßig angeführten Beispiel gut erfassen, die Korrelationen zwischen Zukunft und Sein einerseits und Vergangenheit und Sein andererseits sind schwerer zu begreifen. In welcher Hinsicht sind Vergangenheit und Zukunft, die eher im Nichts zu münden scheinen, zwei Horizonte des Seins?

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Mariafilomena Anzalone: Volontà e soggettività nel giovane Hegel. [Wille und Subjektivität beim jungen Hegel.] Luciano: Napoli 2008. 286 pp. Mariafilomena Anzalones Untersuchung Volontà e soggettività nel giovane Hegel ist den Jugendschriften Hegels gewidmet, wobei dank der konsequenten philologischen Analyse eine lebendige Schilderung der deutschen Philosophie der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden ist. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte sowie die Herausarbeitung des Themas des Willens innerhalb der Hegelschen Subjektivitätsreflexion von den Entstehungsjahren bis zu den wichtigsten systematischen Arbeiten vor der Veröffentlichung der Phänomenologie des Geistes. Die Autorin setzt bei den Schriften der Gymnasialzeit an in der Überzeugung, daß eine Herausarbeitung der Genealogie des Themas des Willens bei Hegel notwendigerweise auf einer Rekonstruktion der umfangreichen Hintergrundarbeiten Hegels seit den Stuttgarter Jahren basiert. Diese Überzeugung wird durch die Analyse von Texten aus jener Zeit belegt, wodurch ein Szenario vielfältiger geistesgeschichtlicher und philosophischer Bezüge entsteht, die für den Werdegang Hegels entscheidend waren. Analysiert werden u. a. das Tagebuch und die Exzerpte, die Hegel in jenen Jahren zu verfassen beginnt und die seine Lektüren widerspiegeln. Die Auszüge enthüllen – wenngleich nicht immer ausdrücklich auf das Problem des Willens bezogen – die Ursprünglichkeit des Hegelschen Interesses für psychologische und anthropologische Fragen. Zugleich zeigen sie den Einfluß der Popularphilosophie als einer vielschichtigen Strömung der deutschen Spätaufklärung auf Hegels Denken. Auf deren Genese und Entwicklung und insbesondere auf den Einfluß des Lockeschen Empirismus wie des Aufrufs zum Nachdenken seitens Christian Thomasius eingehend arbeitet Anzalone heraus, wie sehr die Zentralstellung des Weltlichen in der Popularphilosophie im Einklang mit dem Geist der frühen Untersuchungen Hegels steht, die vielfältige Aspekte des menschlichen Lebens begreifen wollen, eingebettet in den allgemeineren Rahmen einer „pragmatischen Menschheitsgeschichte“. Hegel erhält durch die Lektüre von Mendelssohns Phädon nicht nur Kenntnis von der Debatte über die menschliche Bestimmung, die in Deutschland durch Johann Joachim Spaldings Betrachtung über die Bestimmung des Menschen (1748) ausgelöst wurde; er kommt dadurch auch mit dem für jene Zeit typischen Menschenbild in Berührung, wonach die sinnlich-erfahrbare und die rationale Dimension keinen radikalen Gegensatz bilden. Dieses Menschenbild findet sich auch in dem von Rousseau inspirierten Werk Der neue Emil oder von der Erziehung nach bewährten Grundsätzen (1775) von Johann Georg Heinrich Feder sowie in der Kleinen Seelenlehre für Kinder (1784) von Joachim Heinrich Campe. Durch letztere wird der junge Hegel mit dem Basedowschen Philantropismus bekannt, worin die

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empirische Psychologie Wolffscher Prägung wie auch das anthropologische Modell der Pädagogik Lockes zum Tragen kommen. Aus diesem Menschenbild heraus beginnt Hegel in Tübingen, sich mit der Philosophie Kants zu beschäftigen. Dies belegen seine Exzerpte bezüglich der Rezensionen der Eleutheriologie oder über Freiheit und Nothwendigkeit von Johann August Heinrich Ulrich – dessen Gegenstand die Freiheit im moralischen Handeln ist – und der Untersuchung Über das Verhältnis der Metaphysik zu der Religion von August Wilhelm Rehberg, in deren Mittelpunkt die Beziehung zwischen Metaphysik und Religion steht. Die Auseinandersetzung mit Kant, die zu Beginn der Tübinger Jahre bedeutsam werden sollte, vollzieht sich somit nach Meinung der Autorin vor dem Hintergrund eines Bildungswerdegangs, der Hegels Bereitschaft förderte, Berührungspunkte zwischen Vernunft und sinnlicher Erfahrbarkeit zu suchen, anstatt die beiden konstitutiven Bereiche der menschlichen Subjektivität als einander entgegengesetzt zu betrachten. Aus der Analyse der Tübinger Fragmente geht – parallel zu den religiösen Thematiken – die Psychologie als neues wichtiges Interessensgebiet Hegels hervor. Als Nachweis führt die Autorin Dokumente an, die die Kontinuität des Hegelschen Psychologie-Studiums belegen. Das Interesse des Philosophen an der Psychologie war, so die Autorin, durch die Debatte geweckt worden, die die Veröffentlichung der beiden Kritiken sowie Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft hervorgerufen hat. In ihrem Mittelpunkt stand die Frage, ob und inwiefern die gleichzeitige Förderung von Moral und Religion den menschlichen Willen beeinflussen kann. Dies wird in erster Linie im sog. Tübinger Fragment deutlich, das die Bedeutung der Gefühle und deren Fähigkeit betont, den Willen zum Handeln zu bewegen und in Richtung eines moralischen und religiösen Handelns zu lenken. In den von Anzalone untersuchten Tübinger Schriften tritt so eine erste Idee einer Struktur der menschlichen Subjektivität sowie von deren Verständnis innerhalb der lebendigen Einheit ihrer Elemente zu Tage. Um zu zeigen, daß die scheinbar entgegengesetzten Dimensionen der Subjektivität in Wirklichkeit erst in der Einheit des sich gegenseitigen Durchdringens lebendig und belebt werden, verwendet Hegel eine Reihe von Metaphern, die zwar keinen ausgereiften theoretischen Diskurs ergeben, aber die Intuition vom grundlegend Menschlichen voll zum Ausdruck bringen. Diese Intuition steht für die Autorin, Adriaan Theodoor Peperzak folgend, dem Schillerschen Ideal der schönen Seele deutlich näher als dem moralischen Subjekt Kants, denn die sinnlich erfahrbare Dimension erscheint nicht der rationalen Dimension untergeordnet, sondern zeigt sich als von dieser beseelt und belebt. Mit diesem Standpunkt distanziert sich Hegel entschieden von den Positionen Kants, die er im übrigen in vielerlei Hinsicht weiterhin anerkennt. Von besonderem Interesse ist der gemeinhin von der Kritik vernachlässigte Versuch Hegels, eine begründend-konstitutive Dimension der menschlichen Natur aufzuzeigen, von der das Manuskript zur Psychologie und Transzendentalphilosophie (1794) Zeugnis ablegt. Entgegen der allgemeinen Haltung der Kritik sieht die Autorin in diesem Werk einen weiteren Baustein für ein von Hegel bereits in Stuttgart und Tübingen an den Tag gelegtes Verständnis dafür, die menschliche Natur erkenntnistheoretisch abzuhandeln. Durch sorgfältige Analyse des Manuskripts stellt Anzalone zahlreiche Verbindungen zu den Quellen her. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Notizen zu den

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Tübinger Psychologie-Vorlesungen Johann Friedrich Flatts zu – von einem Studienkameraden Hegels um 1789/90 verfaßt – sowie den Gehalten und Theorien Flatts, die Hegel erreicht haben mußten (siehe Herman Boerhaave, Charles Bonnet, Albrecht von Haller, Johannes Nikolaus Tetens). In ihrer Analyse des Fragments 28 arbeitet die Autorin zudem den Einfluß Fichtes heraus, im Einklang mit der von Hegel postulierten Notwendigkeit eines Mediums, das die reine Form des Willens als intelligible Dimension des Menschen mit den sinnlich erfahrbaren Inhalten des empirischen Bewußtseins verbindet. Dieses Medium im Impuls erkennend, vollzieht Hegel für Anzalone einen entscheidenden Schritt für seine Willens- und Subjektivitätstheorie. In der Politik dagegen distanziert sich Hegel, wie sein Kommentar zur Metaphysik der Sitten von 1798 zeigt, entschieden von der Spaltung in Moralität und Legalität, auf der Kants Staatsmodell beruht. Für Hegel ist die Aussöhnung der Widersprüche des menschlichen Lebens – auch in der Politik – nur möglich, wenn der Mensch in seiner Ganzheit betrachtet wird. Hegels Blickwinkel in der Frankfurter Zeit prägt der Kontrast zwischen einem harmonischen und vollendeten Menschenbild im Einklang mit der schönen Sittlichkeit der Griechen und einer fragmentierten, widersprüchlichen, für die Moderne typischen Sichtweise, deren höchster Ausdruck die Philosophie Kants ist. Wie die Analyse von Der Geist des Christentums und sein Schicksal und zahlreicher Fragmente der Jahre 1797 bis 1800 zeigt, bezichtigt Hegel Kant ausdrücklich, die Spaltung des Menschen von außen nach innen verlagert und eine Machtbeziehung geschaffen zu haben, auf deren Grundlage der rationalen Dimension implizit mehr Wert beigemessen wird als der sinnlich-erfahrbaren Dimension. Unter Bezugnahme auf ein harmonisches Menschenbild, dem er sich bereits in Tübingen erstmals intuitiv widmete, postuliert der Philosoph in Frankfurt die Notwendigkeit, den Menschen in der lebenden Einheit seiner vielfachen Dimensionen zu begreifen und zu verstehen. Deutlich wird dieses Bedürfnis nach Vereinigung in den in Kapitel 3 der Untersuchung betrachteten Jenaer Schriften (Differenzschrift, Glauben und Wissen, Naturrechtsaufsatz) wie auch in den ersten systematischen Arbeiten Hegels, die parallel zu den Vorlesungen von 1803/04 und 1804/05 entstehen. In diesen Werken beschränkt sich Hegel, wie die Autorin zeigt, nicht auf die Bekräftigung der Notwendigkeit, das mit Kants Moralphilosophie eingeführte antinomische Menschenbild zu überwinden. Vielmehr schlägt er einen Perspektivenwechsel vor, indem er die Frage nach der Freiheit von der subjektiven Dimension der Innerlichkeit trennt und verabsolutiert und die Überwindung der Spaltung hin zu einer lebendigen Einheit von Singularität und Universalität sucht. Das Nachdenken über die Formen der Subjektivität und die „Modernität“ des Subjektbegriffs der frühen Jenaer Jahre führt Hegel ab 1803 zu einer bedeutenden Veränderung seiner Perspektiven; einer der auslösenden Faktoren ist für die Autorin – welche die entsprechende These von Karl Rosenkranz, Franco Chiereghin und Otto Pöggeler aufgreift und erweitert – wiederum die Philosophie Fichtes. Das veränderte Verständnis von Rolle und Funktion des Subjekts sollte weitreichende Folgen für die Entwicklung des Willensbegriffs und dessen Einordnung in das im Entstehen begriffene Hegelsche System haben. Deutlich wird der Wandel in den Vorlesungen von 1805/06, denen das letzte Kapitel

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des Buches gewidmet ist. Nach Ansicht Anzalones ist darin die Lösung vieler Probleme enthalten, die das Denken Hegels von Jugend an begleiten; zwar handelt es sich bei diesem Teil der Arbeit um ein Provisorium, doch es birgt bereits entscheidende theoretische Errungenschaften. Eine dieser Lösungen betrifft die Anerkennung der Rolle des modernen Subjektivitätsprinzips: Subjektivität nicht mehr lediglich als Bewußtsein, das sich selbst absolut setzt, das den absoluten Gegensatz zur objektiven Welt und anderen Subjekten nicht hinter sich läßt und daher im Namen der Ganzheit zu verneinen ist; vielmehr Subjektivität als Bewegung der Selbstwerdung, der Negation, die als handelnder Wille das ‚Sich geben‘ des Geistes animiert und hervorruft. Die Hegelsche ‚Entdekkung‘ des Subjektivitätsprinzips bedingt nicht nur eine Neudefinition von Rolle und Funktion des Subjekts innerhalb der politischen Praxis, sondern geht auch mit einer umfassenden Charakterisierung der Formen und Strukturen individueller Subjektivität einher. Hegel zeigt vor allem, wie die Subjektivität aus der Natur entsteht und wie sie sich zum Bewußtsein entfaltet. Diese Ausrichtung, die in mancher Hinsicht die Grundzüge der künftigen Hegelschen Psychologie und eine Kritik an der Methode der zeitgenössischen Spielarten der Psychologie vorwegnimmt, erzeugt ein Bild des Subjekts – vor allem des handelnden Subjekts –, das der Kantischen Vision recht fernsteht. Der Wille, in welchem Hegel nur wenige Jahre zuvor einen hohlen, abstrakten Begriff zu sehen schien, wird nun zum ‚roten Faden‘ für die Entwicklung des Geistes. Hier setzen auch die Auseinandersetzung mit der kontraktualistischen Tradition (v. a. Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau) und die Bekräftigung der Notwendigkeit eines Prozesses an, durch den der Einzelwille zum universellen Willen wird: ein Prozeß, der nicht mit der Geburt des Staates endet, sondern vom Staat genährt wird und in den moralischen Gesinnungen der Bürger eine emblematische Darstellung der Fähigkeit des Einzelwillens findet, eine universelle Forderung vorzubringen und sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Wille und Subjektivität bilden so die theoretische Grundlage für eine aktuelle ethisch-politische Indikation. Mariafilomena Anzalone gelingt eine lebendige und detailreiche Rekonstruktion der die Studienjahre Hegels begleitenden Debatte, wodurch ihre Arbeit zu einer Orientierungshilfe für das deutsche Kulturmilieu des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts wird. In der Recherche wird nicht nur der philologische Blickwinkel evident, sondern auch, daß sie weit mehr als eine bloße historische Rekonstruktion ist. So tritt neben einem profunden Interpretationsvermögen des Hegelschen Denkens auch die Suche nach Aspekten und Anstößen zu Tage, die sich heute als fruchtbar erweisen können. Zum Abschluß folgt ein deutlicher Hinweis auf eine moralische Notwendigkeit, von der Autorin als Aufforderung formuliert, „die Fülle und Bedeutung des subjektiven Willens nicht zu ersticken, denn er birgt das Risiko, sich andernfalls als absoluter Machtwille zu gerieren“ (257). Gegen dieses Risiko beruft sich Anzalone auf das unitarische Menschenbild, dem Hegel durch seine Überlegungen Stimme verleiht – ein Menschenbild, das auch in der zeitgenössischen Debatte sehr aktuell sein kann. Maria Letiza Pelosi (Napoli) Übersetzung: Brigitte Stanglmeier

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Klaus Vieweg /Wolfgang Welsch (Hgg.): Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne. Suhrkamp: Frankfurt a. M. 2008. 690 S. Ruhm ist nicht selten auch eine Bürde. Die Phänomenologie des Geistes ist ein Werk, das in vielerlei Facetten durch seine Wirkungsgeschichte gespiegelt wird. Unter den großen Büchern der Denkgeschichte gehört sie zu denen, von denen die breiteste Faszination ausging und die zugleich mit jeder Initiative der Aneignung vielleicht nur noch sperriger wurden, schwerer zu verdauen. Wirklichkeitsgehalt der Philosophie und spekulative Durchdringung schienen hier in exemplarischer Sublimität verwoben, und die Interpretationen haben ihr das nachgetan. Das Buch hat immer neue Lektüren entzündet und ein immer neues Verwerfen vormaliger Lesarten und Deutungsthesen. Sie betreffen vor allem ein – an der Phänomenologie zu lernendes – kritisches Überdenken und Vertiefen des neuzeitlichen Verständnisses von Subjektivität, des Programms ‚Vernunft‘, von Erkenntnis-Wahrheit und wissenschaftlichem ‚Wissen‘, von dem, was Tätigsein bedeutet, und von Wirklichkeitsmacht sozialer Normen. Das Werk steht als ein Versprechen – wenn man sie verstanden habe, habe man die Moderne begriffen: den Weg der Moderne und ihre Probleme, unsere Herkunft und Gegenwart. Anläßlich des 200. Jahrestags der dramatischen Fertigstellung des Manuskripts am Vorabend der den Zusammenbruch des alten absolutistischen Europas besiegelnden Schlacht von Jena und Auerstedt hat im Oktober 2006 an der Universität Jena eine auf neue Aufschlüsselung angelegte Tagung stattgefunden, deren Beiträge nun in diesem Band versammelt sind. In der Tat verkörpern sie einen neuen Stand der Auseinandersetzung. Gegenüber früheren Interpretationen sind, so gut wie durchweg, die Hegelschen Denkstücke ein Stück argumentativer und nüchterner angegangen. Und der Band zeigt einen Blick auf die Phänomenologie in einer Vielheit der Stimmen und Perspektiven. Große Deutungen aus einem Guß – einer Hand – hatten meist auch effektiv etwas Spezielles als Gravitationszentrum bzw. waren in der Behandlung der Teile sehr unausgewogen; der Band antwortet dem mit einem „kooperativen“ Unternehmen, und er zielt entschieden auf das Werk in seiner ganzen Breite. Zusammengebracht sind dabei insbesondere die klassische (‚kontinentale‘) hermeneutische Tradition und eine HegelAktualisierung aus dem Geist der Analytischen Philosophie. Der Band folgt dem Aufbau der Phänomenologie, der Abfolge der Kapitel und Themengegenstände, von der ‚Einleitung‘ und der ‚Sinnlichen Gewißheit‘ bis zum ‚Absoluten Wissen‘. Um den Gehalt und die neuen Gedanken der einzelnen Beiträge (insges. 33) sowie des Unternehmens als ganzen vorzustellen, seien sie im folgenden bewußt systematisch, nach prinzipiellen Problemkomplexen gruppiert. 1. ‚Erfahrung‘? Ein erster gilt grundlegend und übergreifend dem Verständnis dessen, was dieser „Weg der Erfahrung“ eigentlich ist, den die Phänomenologie im großen Gemälde der Gestalten vorführt; verbunden damit ist die Frage, was das Konzept von Kritik ist, das der Gang des Werks exemplifiziert. – So zunächst eine allgemeine Grundklärung in dem Beitrag von S. Sedgwick (95–111), daß Hegel in seiner Thematisierung der Frage der natürlichen Einstellung in der ‚Einleitung‘ sich im Grunde keineswegs gegen die unbefangenen „realistischen Ambitionen“ (98) des natürlichen Bewußtseins richte, son-

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dern gegen (philosophische) Theorien über dessen Wissenswirklichkeit. Immer schon im Wissen, muß auch mögliche rationale Reflexion – Kritik – dem Rechnung tragen. Der mit der Phänomenologie begründete neue Theorieweg, gegen die empiristische wie die rationalistische Tradition der neuzeitlichen Philosophie, ist eine ‚hermeneutische‘ Kritik, von innen heraus. – Dann aber vor allem sind Lesarten herausprofiliert, die die in der Vergangenheit schon einmal durchvariierten Deutungsoptionen auf höherer, reflektierterer Ebene noch einmal neu begründen. Hier stehen am einen Pol Deutungen, die den Stufengang von Gestalt zu Gestalt in einer Art ‚existentiellen‘ Weise begreifen – als Etappen der Erschütterung einer Weltsicherheit, Verzweiflung, Frustration, als Zusammenbruch einer Orientierung usw. (so in einigen der Beiträge). Argumentativ stärker sind ver mittelnde Positionen. R. Pippins Einleitungsbeitrag des ganzen Bandes (13–36) versucht die Metaphorik, deren Hegel sich bedient, wo er – an überhaupt wenigen Stellen – den Entwicklungsgang in der Phänomenologie explizit thematisiert, als rationale Momente dessen, was „Geist“ qua Sich-zu-sich-selber-Machen ausmacht, zu explizieren. Und R. Beuthan (79–94) führt die Entwicklung auf die „Performanz der Reflexion“ (93) zurück: einmal eingetreten, bedeuteten Reflexionseinsichten (in unser Immer-schon-Geist-sein) irreversible Schritte des mentalen Kosmos, die in jeweiligen neuen ‚verbesserten‘ Strukturen geronnen sind – im ganzen eine große Erfahrung („ErInnerung“ unseres Geist-seins), statt zerfallend in disparate Erfahrungsfelder oder -episoden, und – so müßte man Beuthan weiterdeuten – ein Selbst-Aufbau performativ generierter ‚Ich‘-Verhältnisse. (Dagegen finden sich Vorbehalte gegenüber der in der Phänomenologie konzeptionellen Homogenisierung ‚skeptischer‘ Momente der Bewußtseinsentwicklung bei E. Csikós: 270–285.) – Den Gegenpol jedoch zum Existenziellen, und den offensivsten Rekonstruktionszugriff, bilden Interpretationen, die die Stufen der Erfahrung und Weise der Kritik als logisch-theoretischen Prozeß ausdeuten: als Abfolge von ‚Ontologien‘ sowie von entsprechenden Selbstkonzeptionen der Subjektivität und ihres Wirklichkeits-Erkennens (so insbesondere in den Beiträgen von R.-P. Horstmann [58–78] und A. F. Koch [135–152]). Sie machen sich fest am Voraussetzungs- und Entwurfscharakter aller Aussagen des Bewußtseins, seinen Wirklichkeitsunterstellungen und Geltungsansprüchen. Stets entwirft der Intellekt bestimmte sehr spezifische ‚Ontologien‘ (eingeschlossen eine Selbstbeschreibung des ontologischen Charakters des Mentalen) – die aber dann in der Durchführung des ‚Wie-weiß-ich-das-eigentlich?‘ jeweils sukzessive sich aushöhlen und in ein Anderes, anfangs das gerade Gegenteil, umschlagen. Mit der Propositionalität des Bewußtseins sind bestimmte Setzungen an Gegenstands- wie Erkenntnisannahmen verbunden, die es – sobald gelebt und sich verwirklichend – in einen Sog der Selbsttransformation führen. Für Koch (der dies in analytischer Weise in bezug auf die ersten zwei Kapitel des Werks rekonstruiert) ergibt sich die Dynamik der Phänomenologie so aus der Spannung zwischen jeweiliger (vorausgesetzter) Ontologie und (faktischer, praktizierter) Epistemologie. Die Logik des Gangs ist die Logik von Selbstdestruktion-und-„Nachfolgeontologie“, auf einem Weg, bis Ontologie und Epistemologie kategorialiter in Ausgleich kommen; der Weg der Erfahrung, so müßte man wohl folgern, wäre insofern diejenige des Verlangens nach einer konsistenten Ontologie. Horstmann bezieht eine entsprechende Deutung auf das Theorieprogramm der Phänomenologie als ganzer. Was die Hegelsche Philosophie – und

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die Phänomenologie in einer spezifischen Weise – begründen wolle, stellt sich hier dar als das Unternehmen, die Breite der strukturell ganz verschiedenen „Objektarten“ unseres mentalen Kosmos und Bezugnahmen (Einzelnes & Allgemeines, Entitäten & Ereignisse, Individualsubjektives & intersubjektive Gültigkeiten sowie ‚Institutionen‘ usf.) zu begreifen, welche gleichwohl nicht additiv, in einem Nebeneinander pluralistischer Logiken stehen sollen, sondern als in einer monistischen Position – einem Monismus der Vernunft – integriert. Hegels entsprechendes „neues Paradigma in der Erkenntnistheorie“ (64) ziele auf eine „Theorie der Objektarten und deren Erkenntnisbedingungen“ (58), um aus der tatsächlichen Gesamtheit dieser ‚Welten‘ heraus seine monistische Option zu begründen; Horstmann benennt diese in Etappen zu vollziehende via negationis als „transzendentalistisches Argument“ (69) und versteht sie als „‚metaphysische‘ Funktion der Phänomenologie“ (73). In einem Weg der konzeptionellen Erweiterungen des intentionalen Objekts (Objekttypus) ergebe sich dabei zugleich ein immer differenzierteres Selbstkonzept des Subjekts: eine Abfolge der Objektarten, bis das Subjekt in seiner ihm wesentlichen Gegenstands- und Wahrheitswelt sich selbst, ontologisch sein Eigenes zu erkennen vermag. 2. Die Abenteuer des theoretischen Subjekts. Unter den inhaltlichen Themenkreisen der Phänomenologie bilden in dem Band zunächst die Beiträge, die die Fragen des theoretischen Bewußtseins unter dem Blickwinkel von Hegels Auseinandersetzung mit den Theorieerbschaften der Neuzeit erörtern, eine deutlich eigene Gruppe. – Vorbereitend steht hier der Aufsatz von Chr. Klotz (171–186). Er weist auf den Zusammenhang des generellen ‚Selbstbewußtsein‘ / ‚Ver nunft‘-Übergangs in der Phänomenologie mit der Kritik an der „Reflexionsphilosophie der Subjektivität“ in Glauben und Wissen hin. In analoger Weise wie heute Davidsons oder McDowells Kritik am Schema-Inhalt-Dualismus (vgl. 174A) habe auch Hegel (an der Theoriestelle des ‚Selbstbewußtseins‘) das konzeptionell Dualistische im neuzeitlichen Subjektdenken zu überwinden gezeigt – bei Hegel die Kritik jedoch in einer Perspektive, daß sonst auch alle höheren Subjektphänomene und Bestimmungen niemals über Endlichkeiten hinauskommen können und deshalb – genau weil die Eigenwirklichkeit des Gegenständlichen nur negiert – auch das Selbst-Verständnis leer bleibe, in Theorie wie besonders in Erkenntnispraxis (vgl. 180–182, 171). – Vier Beiträge geben in vergleichbarer Ausrichtung Interpretationen von Kapitelbausteinen der Phänomenologie. Sie thematisieren dabei ein Spektrum von Aspekten des neuzeitlichen Vernunftprojekts, Hegels Beitrag zu dieser Debatte: B. Bowman (153–168, in bezug auf das ‚Kraft und Verstand‘-Kapitel: über das Problem der ‚Erklärens‘) und O. D. Brauer (474–488: über den „neuen Kampf um Anerkennung“ zwischen Aufklärung – qua Avantegarde-Anspruch radikalen Wissens – und Glauben qua tradierten alltagsweltlichen Überzeugungsfestigkeiten) sowie T. Pierini (311–324) und M. Quante (325–349). Letztere beide unternehmen es, den konzeptionellen Ertrag der wohl am meisten zeitbedingten Kapitel der Phänomenologie, der über die ‚Beobachtende Vernunft‘, vor Augen zu bringen. Was Hegel dort zeige, sei nichts Geringeres als die strukturelle Selbstverschleierung des Projekts der (neuzeitlichen) wissenschaftlichen Welterschließung. Pierini deutet Hegels Ausführungen als den Aufweis, wie die Vernunft, in ihrem Weg der Verallgemeinerung und Suche nach den ‚erklärenden‘ Gesetzlichkeiten der Dinge, prinzipiell im organischen Gegenstand – oder allgemeiner: in

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einer Entwicklung hin zu ‚systemischen‘ Zusammenhängen – ein Telos des Erklärungsprozesses hat. Solange dies Wirkliche der (rational verfaßten) Welt aber nicht als Geist begriffen ist bzw. sich begreifen läßt, d.i. als etwas, das wie die Vernunft selbst aus einem Gedanken bewegt wird, vermag die Vernunft, in ihrer Beobachtungs-Haltung, das Konkrete nur als Bündel einzelner, letztlich statischer Determinationen aufzutun; an der äußern Gestalt vermag sie nicht die innere Logik zu erfassen, der Gegenstand entzieht sich ihr immer, das gesuchte vereinigende Vernünftige ist ihr gerade objektivistisch verdeckt. Von Quante ist diese Hegelsche Argumentation zu einer interessanten theoretischen Perspektive ausgebaut. Er liest Hegels so befremdend breite Thematisierungen jener Parawissenschaften der Zeit, in denen der Zugriff der vernünftigen Beobachtung sich auf das Mentale selbst richtet (von induktiv gewonnenen ‚Gesetzlichkeiten‘ des Wie-das-Denken-denkt bis zur ‚Schädellehre‘), gegen den Strich. In bezug auf das Mentale manifestiert sich das konzeptionell Schiefe des Programms der ‚Beobachtung‘ erst recht. Denn entweder kommt es zur Dekomposition des Gegenstands, Dekomposition der Wirklichkeit Bewußtsein in einzelne modulare ‚Ver mögen‘; oder, wenn es auf „Sinn“-Akte und -Ganzheiten ausgeht, verkennt das vermeinte Nur-Beobachten(-und-Verallgemeinern) die eigenen konstituierenden Prozesse dabei. In einem methodologischen Selbstmißverständnis glauben diese Unternehmungen der Vernunft das Beobachten als neutral-passivisches reines Entdecken. Vielmehr läßt sich nur in einer bewußten verstehenden Interpretation das Verhältnis von Außen und Innen integral zusammenbringen, d. h. nicht-reduktionistisch und nicht in – allemal unkontrollierten – Kausal-Projektionen des Erkennens. Und bei diesem Verstehen-Inter pretieren aber ist gerade auch das individuelle Meinen des subjektiven Handlungsbewußtseins und über meine Absichten kein reines Wahrheitskriterium; auch das Individuum kann, so wie es in der Tat reflexiv zu spielen vermag mit seinem Sich-Äußern und Sich-Geben (Erscheinen), sich über sich selbst täuschen. Alles ist darum (Quante kategorisiert das als Hegels „sozial-externalistische Konzeption des Mentalen“ [338 / 348]) als getätigte Taten im sozialen Raum zu begreifen – ohne daß dabei das (transpersönliche) Teilnehmerwissen und -verstehen durch einen den Naturwissenschaften nacheifernden Objektivismus ersetzt werden könnte. – Spezielle Interpretationen komplettieren diesen neuen Blick. So etwa mit einer herausfordernden Überlegung R. Ohashi (115–134). Er entwickelt, alles übergreifend, eine doppelte These: daß Hegels Werk, das so gezielt mit der ‚Sinnlichen Gewißheit‘ des Bewußtseins einsetzt, auch durchaus eine „Phänomenologie des Sinnlichen“ (115) – und zwar im ganzen – ist, da auf vielen der Ebenen der Prozeß des Geistes mit Erfahrungen von Endlichkeit, Zeitlichkeit usf., d. h. Erfahrungen seines wesenhaften Erscheinens im Element des Sinnlichen verwoben ist; daß dabei aber, zweitens, das Geistige in Hegels Konzeption nicht intellektualistisch oder rationalistisch gefaßt ist, nicht polarisiert herrschaftlich, sondern als Gang der Erziehung und Kultivierung des Sinnlichen zum humanen sensus communis. Die Genese des „Gemeinsinns“, der nicht kollektivistisch gemeint ist, sondern als Differenzen der Andersheit und des Individuellen einbefassend, als Verstehen und Hineinversetzen, sei das verborgene Leitthema der Phänomenologie (vgl. 129). – Schließlich stehen zwei Beiträge, die darauf hinweisen, wie, in Hegels Phänomenologie reflektiert, mit dem neuzeitlichen Diskurs auch Fragen und Themen zentral geworden sind, die gerade mit der neuzeitli-

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chen Leitmethode des Wissens, derjenigen der: ‚Wissenschaft!‘, nicht in adäquater Tiefe zu fassen sind. Wo die zunächst in der ‚Beobachtung‘ sich manifestierende Souveränität der Vernunft zur ‚Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst‘ aufbricht, ist die aussagekräftigste Aufnahme und Auseinandersetzung nicht diejenige, die sich an den Wissenschaften (und deren betreffender Konstruktion eines Vernunftsubjekts) festmacht – Ökonomie, Psychologie / Soziologie, philosophische Ethik oder Gesellschaftstheorie –, sondern der Ort sind die schwierigen Wege der modernen Selbstfindung, wie sie in der Literatur das Medium ihres Ausdrucks haben. Es ist die Literatur, worin das Werden eines individuellen Charakters als Erkämpfen und schuldigwerdendes Irren, die Erfahrungen des Wechselprozesses von In-sich-Gehen und Indie-Welt-Gehen, von Eigengesetz und Welt-Gesetzlichkeiten in großen Gestalten (bes. in exemplarischen extremen Möglichkeiten, wie der Figur des Karl Moor in Schillers Räubern u. a.) vor Augen gestellt ist, als Dokument und Orientierungsverständigung einer neuen Epoche, Epoche der Individuierung – so M. A. Werle (350–368). Parallel arbeitet A. Speight (504–519) an der späteren Gestalt des Handelns in reinem inneren Einklang mit sich (‚Gewissen‘, als Problem-Gestalt die ‚schöne Seele‘) heraus, wie auch hier die Literatur die Verständigung darüber aufgeschlossen hat, besonders das Thema einer reinen Sprache des Authentischen (vgl. 508 f.). Beiden jedenfalls geht es darum, es als Hegels Einsicht zu zeigen, die zum neuzeitlichen Subjekt-Diskurs gehörende Szientifizierung der Philosophie wieder auf nicht-szientifische Verständigungs-Einsichten hin zu öffnen. 3. Agieren und ‚Ich’-Verständnis (Über den Prozeß der Zivilisation). Die erkenntnis(-onto-)logischen Vergrundsätzlichungen beim Gesamtkonzept der ‚Erfahrungsgeschichte‘ und bei der Analyse des Vernunft-Projekts signalisieren einen veränderten Blick auf die Phänomenologie, und dies erstreckt sich auch auf das Kapitel, das bereits die unterschiedlichsten, gemeinhin konkretisierenden Interpretationen erfahren hat: ‚Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft‘. Nachdem im Zusammenhang mit den konkret gesellschaftspolitischen Bewegungen und Theoriediskussionen die letzten drei Jahrzehnte hier noch einmal einen Schub – unter der Konjunktur des „Anerkennungs“-Themas – gebracht haben, präsentiert der Band einige ganz neue subjektlogische Lesarten. Den klassischen Deutungen – historisch / politisch (Feudalismus u. a.), theologisch / anthropologisch / psychoanalytisch (Verhältnis von Mensch und Gott-„Herr“), moralisch (als Gleichanerkennung von Gruppen wie Andersfarbigen, Frauen usw.) – fügen sie eine Vertheoretisierung (und Subjektivierung) des Problems hinzu: das Verhältnis der beiden „Selbstbewußtseine“ nicht als konkrete Interaktionserfahrung, gar geschichtlichen Kampf. Entsprechend begreifen sie den von Hegel explizierten Prozeß als nicht das Zur-Wirklichkeit-Kommen des modernen sozialen Selbst, gar konkret bezüglich gesellschaftlicher Entwicklungen, sondern als das elementare Werden unserer Subjektivität überhaupt. – Neben den Beiträgen von R. Bodei (238–252: das Verhältnis als Menschwerdung des Menschen – Überwindung der Tierheit, Lernen von „Wer ten“ jenseits des Bloß-Physischen im Durchgang durch das Stadium des Gehorsams) und J. Karásek (253–269: das Verhältnis als Bereichskonkretisierung der allgemeinen Logik-Figur von ‚Etwas-und-Anderes‘) stehen die programmatisch subjekttheoretischen Entwürfe von A. Honneth (187–204) und P. Stekeler-

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Weithofer (205–237). Honneth fokussiert seine Deutung ganz auf eine kleine 1½-seitige Zentralstelle, die mit dem Thema der strukturellen „Verdopplung des Selbstbewußtseins“ den Übergang zum eigentlichen ‚Herrschaft-und-Knechtschaft‘-Kapitel macht. Dort sieht er die elementare subjekttheoretische Spannung thematisiert zwischen Begehren: als Vollzug und Erfahrung meines lebendigen Seins – geltend gemachte, nicht zu überspringende Leiblichkeit, gegen die Versuchungen der Bewußtseinsphilosophie –, und andererseits „ontologisch[em]“ „Bedürfnis“, den Seinscharakter der Wirklichkeit bestätigt zu bekommen (200). Die eigentliche Sache, um die es bei Hegel gehe, sei, wie in einem komplexen Selbstkonzept diese Polarität zwischen begehrender Negierung des Seins und ontologischem Halt in der Welt überstiegen ist – verstanden als der notwendige Entwicklungsschritt, eine Festigkeit des reifen Selbst gerade durch Überwindung des kindlichen Omnipotenz-Bewußtseins zu gewinnen (vgl. 198 f.). Das Ergebnis begreift Honneth hier als „transzendentales Faktum“ oder auch „transzendentale Erfahrung“: im Geschehen der „Begegnung“ (sic!) – human-unmittelbare Reaktion auf das Sein des Mitmenschen – eine „Protomoral“ zu generieren durch wechselseitige, im Anderen gespiegelte Abstandnahme von der eigenen Ego-Zentrierung in bezug auf die Welt. Und aus diesem transzendentalen Status erwachse auch erst das konkret-soziale und historische Potential des Hegelschen Themas (188, 192, 202 f.). – Auch StekelerWeithofer verortet die Hauptintention und -aussage des Kapitels in einer Ebene weit unter – vor – eventuellen konkreten äußeren Prozessen. Die von Hegel so wortgewaltig beschriebene Bedeutung der Arbeit, des realen Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft sowie des Kampfes auf Leben und Tod haben in dieser Lesart allenfalls metaphorischen Stellenwert. Als Hegels eigentliches Anliegen vielmehr deutet der Beitrag, wie aus dem unmittelbaren Selbstbewußtsein, das sich aus unserem leibhaften, agierenden, auch bedürftig-ausgesetzten Sein einstellt, ein „geistiges Selbstbewußtsein“ werden kann bzw. muß. ‚Ich‘-sein ist (denkendes) Urteilen und andererseits leibliches Leben und Tun – und in diesem Leib-Bezug denke Hegel tiefer als Nietzsche, Heidegger, Ryle oder Derrida (vgl. 225, 232). Der als ‚Herrschaft und Knechtschaft‘ vorgestellte Prozeß meine deshalb ein zum einen intrapersonales Entwicklungsgeschehen des Selbst – wie wir lernen müssen, in unserer situativen leibverkörperten Praxis diese geschickt zu machen für unsere selbstgesetzten Handlungs- und Kommunikationsabsichten, d. h. die Souveränität unseres Selbst nicht an ‚die Umstände‘ zu verlieren – und meine das sozusagen kulturelle Geschehen, in unserem konkreten Benehmen und Verstehen die normative Höhe einer erreichten allgemeinen Lebensform bzw. den gattungsmäßigen Stand des Humanen zur befestigten Geltung zu bringen: beides zu begreifen als (innergeistige) „Kontroll“-Akte. Aber der Hegelsche Prozeß meine nicht eine soziale Beziehung, gar einen Kampf zwischen Personen (allenfalls qua Rollen-Aspekten) (vgl. 225 f., 233 f.). Im Ganzen vielmehr sei es das weit grundlegendere Werden der Subjekt-Souveränität, wie die wahre Kraft des Geistes darin liege, die begehrende Lebendigkeit aufzunehmen und (in „symbolischer“ Formung) umzuleiten (232 f.) – ein Hegel hart an der Grenze zu Max Scheler. 4. Potentiale des „Geistes“. Die mit der analytischen Philosophy of Mind lancierten Programme einer ‚Naturalisierung des Geistes‘ haben zentrale Theorievoraussetzungen der Tradition des Idealismus unter einen nochmals gesteigerten Druck gebracht.

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Bezeichnenderweise sind es gerade Interpretationen vor allem des ‚Geist‘-Teils der Phänomenologie, die in mehreren Beiträgen dem antworten, und sie antworten weniger mit formalen oder meta(-methodo-)logischen Argumenten als vielmehr mit dem sachmaterialen Phänomenpotential Hegels. Allen geht es dabei gewissermaßen darum, die schwierige von Hegel gesehene Aufgabe begreifbar zu machen, das, was die Phänomenologie an der an der Antike illustrierten „Sittlichkeit“ zusammengetragen hat an Bedingungen eines eine Gemeinschaft verbindenden und tragenden „Geistes“, auch unter Gegebenheiten moderner Subjektivität und moderner Lebenswirklichkeiten, auch moderner Naturalitäts-Dimensionen, nicht unterbestimmt zu lassen – oder anders gesagt: was geformte Sozialität und was Normativität des „Geistes“ modern heißen muß. – Als erstes steht der Beitrag von J. McDowell (369–393), zu verstehen als Reaktion auf die erste Welle der jüngeren angelsächsischen Hegel-Renaissance, die Hegel auf dem Weg über Wittgenstein erschlossen hatte und „Geist“ mit „Lebensform“ konnotiert hatte. McDowell, der seinerseits mit Mind and World (1994) eine neue Annäherung an das Hegelsche Konzept unter analytischem Vorzeichen angestoßen hatte, entwickelt hier eine Auseinandersetzung mit den Interpretationen von R. Pippin, den er, um die Motivationen und basics seiner eigenen Bezugnahme zu profilieren, als Verkörperung der Hegel-Deutung in jener Renaissance rekonstruiert. Was er gegen exemplarisch Pippin geltend macht, ist, daß dieserlei Deutung eine wichtige aus Hegel zu beziehende Einsicht durch eine falsche konzeptionelle Metavoraussetzung entschärft („ein Stück faszinierende Philosophie verpaßt“, 383). Pippin habe, aus Angst vor relativistischen Konsequenzen – zu ergänzen wäre wohl: auch weil zu total am Sprach-Modell orientiert – Hegels Vernunft- und Geistkonzept in einer dem Transzendentalen äquivalenten Weise verstanden (vgl. 388, 391 f.). Die wichtige Argumentationserkenntnis, daß gerade nur im sozialen Kontext – der Teilnahme und erfahrenen Verwobenheit – ein Konzept für ‚mein-eigenes-Handeln‘ sich bilden kann, sei bei Pippin dahin ‚transzendentalisiert‘, daß das, wodurch ich dies konkret verwirkliche – „Gründe“ zu haben und „Gründe“ anderer in Rechnung zu stellen –, auch in selber Weise bestimmt sei durch das, was in den etablierten sozialen Praxen als solches Als-rationaler-Akteur-dazugehören gilt. (Illustriert daran, wie Pippin ein zentrales Hegelsches Denkstück, die Handlungskonzeption des ‚Vernunft‘-Kapitels, umdefiniere: 378–388.) Statt zu sehen, daß das Leben im Kontext von sozialen Normen in einem „Realismus“ zu begreifen ist – es ‚gibt‘ die Handlungen außer mir in der sozialen Welt, und ich potentiell in einem prüfenden Blick gegenüber etablierten Begründungen –, sei in diesem ‚Wittgensteinianischen‘ Hegel-Verständnis beides in einem „sozialen Konstruktivismus“ verschmolzen. (Pippin selber, und auch dessen eigener Beitrag in dem Band [s.o.], ist freilich keineswegs so polar, wie McDowell hier die Aporien eines solch verabsolutierten Konstruktivismus anhand von Hegel-Interpretationen Pippins exemplarisch überwinden will.) – Daß in der von McDowell repräsentierten Hegel-Rezeption ihrerseits eine Einseitigkeit liegt, an der sie entschieden weiterzudenken wäre, sucht I. Testa (286–307) zu zeigen. Der Prozeß eines Werdens durch Erziehung, Erfahrung und Bildung – das Gewordene meine „zweite Natur“ (so Mind and World), die dann Gegebenheiten der Regungen meiner Subjektivität setzt – bleibe bei McDowell auf das Individual-Innere – Sinnen, Trachten, Empfinden, Urteilen – beschränkt, Hegel aber denke wesentlich zugleich die „äußere

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zweite Natur“ von zum Habitusprofil gewordenen Lebensformen, sozialen Beziehungen, institutionalisiertem Verhalten. In dieser bilde das Ineinander von Subjektivem und Objektivem, von Hineingeborenwerden wie Geformtwerden und durch bestimmte hexis gefestigten Institutionen, die jeweilige geistige Substanz, und die Individuen erfahren darin ihre geistigen Anerkennungen. Testas Interpretationsgedanke ist derjenige der „notwendigen Verleiblichung[en] des Geistes“ (305) – Ausformungen der natürlichen humanen Vermögen zu einem bestimmten sozialen Habitus, bestimmten Sich-Geben und -Benehmen, auch Verleiblichungen des wechselseitigen (‚intersubjektiven‘) Reagierens-auf-… Die Wirklichkeit eines sozialen Raums werde konstituiert durch diese erworbenen verkörperten Ausdrucksweisen; die Subjekt-Anerkennung bestehe hier – ansonsten der Kampf – gerade in solchen gewordenen irreflexiven Selbstverständlichkeiten, einem Anerkanntsein. Während Testa (ähnlich z.T. McDowell) aus verschiedenen Hegelschen Texten Bausteine für seine Deutung zusammenträgt, beginnt L. Siep (415–438) mit einem Schritt des Zurücktretens. Es geht ihm um eine allgemeine Rekonstruktion des von Hegel gesehenen Problems, den Prozeß von Subjektsein und objektiven Bestimmungen, den „Geist“ meint, oder von Substantialität und Subjektivität, in seiner ganzen modernen Schwierigkeit zu begreifen. Siep verbindet dies mit einem kritischen Blick auf die Hegelsche Argumentation mit „Geist“, in der der Gedanke neben tief gesehenen strukturellen Bedingungen zugleich vor-moderne ontologische (neuplatonische!) Modell-Konnotationen transportiere (415 f., 436). Festgemacht ist diese Rekonstruktion an der subjektiven Instanz in jenem Prozeß: dem Agieren im Einklang mit ‚meinem Gewissen‘ – dem „Gewissen“ als Interpreten des Allgemeinen in Situation (vgl. 434 f.). Denn modern stehen in jenem Prozeß auf objektiver Seite komplexe Formen des verrechtlichten Sittlichen, und erfordert subjektiv ein sozusagen kompetentes „Gewissen“ einen Prozeß der Bildung, ist nicht mehr einfach die natürliche Stimme in mir; und zudem müsse dynamisch eine Offenheit für „kollektive Erfahrungen“ gegeben sein sowie für Interpretation, für soziale dialogische Aushandelung und Akzeptanz (423 f., 435–437). Handelndes und beurteilendes Gewissen als ungebrochen konkordant in einer moralischen Identität resp. Kultur in Einklang zu haben, eine ungebrochene moralische Evidenz und Selbstverständlichkeit des Handelns, ist darum „heute noch weniger lösbar als zu Hegels Zeiten“ (426; vgl. 425–434). Der Beitrag plädiert denn am Ende für eine Rückorientierung hin auf einen (freilich offenen und existenzumfassenden) Begriff praktischer Vernunft, an der Stelle der implizierten Ansprüche des Hegelschen „Geist“-Konzepts. – Siep hat als Anknüpfung seiner Rekonstruktion die Antigone-Interpretation der Phänomenologie plaziert, worin er eine nicht auf die antike Sittlichkeit beschränkte Problematik des Handelns thematisiert sieht (vgl. 420 ff.). Bei letztlich gleicher Fragerichtung eine geradezu gegenteilige Akzentuierung entwickelt der Beitrag von E. Rózsa (455–473). Beim Problem der modernen „praktischen Individualität“ sei Antigone eine strukturell veraltende Gestalt und vielmehr Kreon unterschwellig moderner werdend. Zu praktischer Subjektivität gehören stets Person-Ideale, und diese setzen sich für Rózsa zusammen aus charakteristischen praktischen „Einstellungs“-Strukturen (wie: Handeln gemäß ‚Gesetz des Herzens‘ oder als ‚Ritter der Tugend‘) und exemplarischen Verkörperungen (wie eben: ‚Antigone‘) – bei beidem bleibt Historisches in

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„kultureller Erinnerung“ aufbewahrt und als Muster und Orientierung aktualisierbar (vgl. 460 f.). Als solche große Möglichkeiten aber steht nicht alles gleich; gerade ‚Antigone‘ bleibe eine überfrachtungsanfällige Gestalt aus einer sich aufgelöst habenden Welt. Denn gegenüber der Individuierung, die modern innerhalb der Wirklichkeiten objektiver Ordnungen wie sittlicher Institutionen ihr Werden und ihre Entfaltung hat, gebe Hegel ihr, indem er sie (in der Phänomenologie) in die Entscheidungen und Imperative dieses werdenden Modernen plaziert und zudem gegen diese – als die ‚Welt des Mannes‘ – polarisiert, die Bedeutung eines ‚ideologischen‘ Rollen-Ideals Frau. ‚Antigone‘ wird zu einer Gestalt nicht individueller Subjektivität, sondern ihre Größe ganz durch Erfüllung des Von-alters-her-Geziemenden habend, Aufgehen in den natürlichen sittlichen Regungen, ohne eigene Innerlichkeit: eine sittliche ‚Naturalisierung‘ und zugleich Essentialisierung dessen zum Muster von Frausein überhaupt (vgl. 462 ff.; dies Theoriemanöver Hegels als ausgesprochen kritisch, auch weil theoretisch unnötig, gesehen: „Risse in seinem Konzept“, 467). ‚Kreon‘, der Mann, dagegen wird zu einer Gestalt der – der Frau vorenthaltenen – Entwicklung: der Wirklichkeitserfahrung, der Bezogenheit auf die Gegebenheiten der menschlichen Ordnungen, und in prosaischer, durchaus unpathetischer Bürgerlichkeit (Kreon als „Bürger“: 464 f.); auch Gestalt erlaubter begehrender Subjektivität. Die von Siep und Rózsa in Blick genommene grundlegende Problematik wird von zwei weiteren Beiträgen in internen Interpretationen der Phänomenologie behandelt (und insofern denn auch in einem bedingungslosen ‚pro Hegel‘ beantwortet). Die „Erfahrungen“ des ganzen ‚Geist‘-Teils seien, daß die Aufgabe menschlichen Handelns – und dies das von Hegel zu zeigen Beabsichtigte – genau eben nicht rein lösbar ist. Zu „Geist“, so U. Schlösser (439–454), gehört die Bewahrheitung und die Bezeugung, und dies in der doppelten Dimension von Handeln (So-Handeln) und – als Errungenschaft der Neuzeit – Sprechen (So-Urteilen), d. h. dessen Performativität. Doch daß mein Tun das betreffend Richtige ist / war, kommt in beidem nicht zur Erfahrung der Affirmation des – in bzw. vor ‚meiner‘ Gemeinschaft – Allgemein-Richtigen, in der meine subjektive Perspektivität und die Konkretheit der (von mir zu übernehmenden) Einzelsituativität aufgehoben wären. Die Verwirklichung des „Geistes“ habe deshalb stets eine Gebrochenheit und Tragik und bedürfe dessen, daß ich für mein Schuldig-geworden-sein, das mein Entscheiden bedeutet, stehe: und dadurch die „Versöhnung“ mit dem Anderen ermögliche, worin das Gemeinschaftliche über unseren Taten – dem Handeln-müssen und Urteilen-müssen – steht (vgl. 453 f.). – In analoger Weise zeigt Chr. Halbig (489–503) die Aktualität der bei Hegel entwickelten Argumente in gerade dem betreffend negativen Ergebnis innerhalb des in der Phänomenologie vorgeführten Gangs: ein Problem – hier: das Handeln aus „Gewissen“ – als komplexer und komplizierter gesehen zu haben denn in den heute verfolgten Theorieansätzen. Entlang der Frage, was eigentlich „eigne Überzeugungen“, die ich in meinem Handeln wiederfinden können will (‚nur das-und-das kann ich mit mir / meinem Gewissen vereinbaren …‘), sind, rekonstruiert der Beitrag als Hegels Einsicht, daß hinter diesem berechtigten (modernen) Verlangen nach Subjektivität auch ein „normatives Vakuum“ vom Handeln Besitz ergreifen kann. Für Hegel gebe es keine gerechtfertigten, nur subjektiven moralischen Gründe; daß meine Subjektivität sich als anerkannt erfahren will, dürfe nicht

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heißen, daß das Handeln seine Berechtigung woanders als in dem Bezug auf betreffend objektive Pflichten hätte – nur mein „Gewissen“, als Instanz anders zu handeln, reicht nicht aus (vgl. 498, 501–503). 5. Das Wissen der Religion. Dem Blick des Bandes auf den großen Anspruch der Phänomenologie – und mit ihr überhaupt der Hegelschen Philosophie – als ganzer (s. u. 6.) fügt sich ein eine signifikante systematische Aufwertung des ‚Religion‘-Kapitels. Drei diesem Teil gewidmete Beiträge beschränken sich entsprechend nicht so sehr auf Religion und Religiöses im engeren Sinne, als daß sie vielmehr auf das prinzipielle Verhältnis von Geist und Natur zielen („Selbstbewußtsein des Geistes“). – F. Duque (523–539) sieht in Hegels Deutung der ‚natürlichen Religion‘ die grundsätzliche Ambivalenz des „Geist“-Verständnisses seiner Philosophie eingeschrieben, einerseits dem Kontingenten und Geschichtlichen der Wirklichkeit der Gestalten nicht ihren Raum vorzuenthalten, dies aber doch als einen großen Prozeß zu begreifen, in dem die Vielheit des Religiösen durch gewissermaßen einen gemeinsamen generellen ‚Gegner‘ – die Natur – zur Einheit einer genealogischen Entwicklungslinie zusammentritt. Geist gewinne, wie gerade hier an der ‚natürlichen Religion‘ bes. markant zur philosophischen Bestimmung geworden, sein Selbstbewußtsein in einem „‚Kreuzzug gegen die Natur‘“, gegen die unterirdische Macht der Natur und ihr Ungeregeltes. Eine Heiligkeit der Natur, als des nicht Menschlich-Gemachten, werde durch Sittlichkeit (des Geistes) verdrängt; der Natur werde durch Unterjochung und „Vernichtung mittels Technik und Kunst“ etwas Bleibendes abgerungen – und eine Religion desto höher und reiner, je weiter dies als die Macht des (geistigen) Gottes vorgestellt (530, 533, vgl. 535). – Zu praktisch entgegengesetzter Interpretation kommt der Beitrag von F. Menegoni (562–577), anhand des Abschnitts über ‚Die offenbare Religion‘. Gerade indem sie das z.T. Fremdgewordene der Hegelschen Thematisierung der Religion und des Diskussionskontextes der Zeit an sich heranläßt, vermag sie ein Potential an einem bislang noch wenig beachteten Punkt zu sehen – Hegels Konzept des Offenbarens, d. h. des Geistes als Offenbaren. Denn Offenbaren bedeute: ein Sich-Zeigen (Sich-zugänglich-Machen), Sich-Schenken, Ablassen von Verschlossenheit und Selbstherrlichkeit. Unter dem Gesichtspunkt des Offenbarens können darum die Inhalte der Religion wieder zum Tragen kommen (statt alle Ausprägung auf moralische Gesinnung zu reduzieren) und kann doch zugleich eine Verschiedenheit der Traditionen einander anerkennen. Menegoni sieht gerade hier bei Hegel eine Aktualität, Grundlagen für einen interreligiösen bzw. -kulturellen Dialog gegeben zu haben (vgl. 564, 577). – Alle drei Beiträge zum ‚Religions‘-Kapitel gehen signifikant weit über den Text der Phänomenologie hinaus. Dies vielleicht am stärksten der von T. Pinkard (540–561) über den mittleren Abschnitt, das Paradigma der ‚Kunstreligion‘. Die tiefe systematische Bedeutung des dort ganz neu Gesehenen zeigt sich ihm durch Überblendung von Hegel und Wittgenstein. Das Problem von Substantialität und Subjektivität deutet er denn als das Verhältnis von Lebensweltselbstverständlichkeiten eines blinden Regelfolgens und andererseits den Vorstellungswelten (und insofern „Gründen“) der individuellen Akteure; die Frage nach der integralen Zusammengehörigkeit von beidem läuft so konkret auf das zu, wie aus den stillschweigenden Überzeugungen, die in einem „Geist“ liegen, ein verfügbares Wissen über potentielle Handlungsmöglichkeiten wird. Die Idee des Beitrags ist, daß für Hegel, hier innerhalb des ‚Religions‘-

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Kapitels gezeigt, die primäre kulturelle Gestalt auch dieser subjektiven Dimension bei den Griechen gestiftet wurde, nämlich auf dem Weg über Kunst. Den Griechen sei gerade auch das zu danken, Muster, was es hieße, ein Subjekt zu sein – innerhalb einer geteilten bestimmten Lebensform doch zugleich Subjekt (und darin ein Fenster zum Menschlich-Allgemeinen) –, in der Kunst begründet zu haben: in einer Stufenfolge von gesungener Expression (‚Hymnus‘), ‚Epos‘ der großen mythischen Personen, dann ‚Tragödie‘ des Held-seins im menschlich Realen (mit der Gefahr der Selbstzentriertheit und des ethischen Fanatismus) und schließlich der ironischen Distanz gegenüber allem Pathos (‚Komödie‘). Daß bei Hegel die Entwicklung weitertreibt, hinaus über die ‚Kunstreligion‘ und insofern die Antike, sei denn so zu reformulieren, daß die ‚Kunstreligion‘ einen kulturellen Zustand verkörpert, worin wohl – und erstmals – „Lösungen der existentiellen Probleme, die jede Lebensform erzeugt“, zur Gestalt werden konnten, indes heute „überholte Lösungen“ (559). Denn die dabei gezeichneten Muster bleiben ästhetische Muster, ihr ‚Wissen‘ eine blinde Evidenz; mit der Rechtfertigung bewußten und zugleich auf die Mit-Gemeinschaft offenen Subjekt-Handelns in der Wirklichkeit ist Kunst überfordert, sobald des Lebens der Subjektivität willen es um Veränderungen auch der Realitäten, der „Lebensform“ selber, ginge (gegenteilig bez. des Potentials von – gerade moderner – Kunst: Werle und Speight, s.o.). Statt der Dopplung von Verschmolzensein mit der Substantialität und Heraustreten einer ‚Stimme des Subjekts‘ in der Performativität der Kunst bedarf es, so Pinkard, des realen Ineinandergreifens von in der Tat blindem Regelfolgen, auch von zum Habitus gewordenen Subjekt-Regeln – eine Festigkeit auch dort, wo keine „Gründe“ greifbar – und der Ergänzung durch ein historisches Narrativ der Erfahrungen, in dem das Versagen früherer Lebensformen – Kunst vermöge nur Veranschaulichung der erreichten affirmativen Überzeugungen zu geben – in den Vorstellungswelten präsent ist (vgl. 560 f.). 6. Absoluter Idealismus. In all den Debatten um die Hegelsche Philosophie, seit den 1830er und 1840er Jahren, ist es immer wieder darum gegangen, ob nicht ein großartiges und unverlierbares Programm besser ohne seinen letzten Schritt geblieben wäre. Diesen Prozeß noch einmal, anhand der Manifestation dieser Philosophie in der Phänomenologie, aufnehmend, suchen zwei Beiträge des Bandes – K.Vieweg (581–600) und H. F. Fulda (601–624) – den Übergang ins ‚Absolute Wissen‘ intern zu begründen; zwei interessante Ausblicke schließlich – V. Hösle (627–654) und W. Welsch (655–688) – stellen die Frage, wie der Primat des Logischen unter heutigem Problemhorizont zu präzisieren wäre. – Vieweg macht die Begründung fest am Verhältnis von Glauben und Wissen. Erst im denkenden Begreifen Ziel und Festigkeit des Geistes zu haben ergebe sich aus der Vorstellungshaftigkeit (mytho-logische Mitteilungsform, Denken in Bildern) – und insofern Angreifbarkeit – der Überzeugungen des Religiösen, auch und gerade der ‚geistig‘ wahrsten; hinzu der Pluralität der religiösen Überzeugungssysteme und so Problematik der Relativität. Erst die Überführung in Begriff und Begründung – zu ergänzen wäre wohl: auch über alles hinaus, was noch ‚bloß‘ Theologie wäre – befreie sowohl die Religion ins Sicherere ihrer gelebten Verwirklichung, wie dadurch umgekehrt der Geist die Realitäten der Welt erst wirklich als freie Äußerlichkeit und nüchterne Gegenständlichkeit zu nehmen offen ist: in beiderlei Hinsicht die Verwindung des letzten Skeptizismus (vgl. 585). – Fulda folgt, in einer dichten Auslegung, dem Schlußka-

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pitel selbst. Er sucht das ‚absolute Wissen‘ als nicht einfach hingesetzt zu zeigen, Synthese-Idee resp. -Postulat der letzten Entwicklung, sondern daß es, dem Programm in der ‚Einleitung‘ des Werks entsprechend (vgl. 605 f.), durchaus als „Gestalt“, d.i. in der Weise seines Erscheinens entfaltet ist und in der Phänomenalität seiner Selbstprüfungen. Auch in diesem abschließenden Kapitel (in der gedruckten Phänomenologie freilich nicht gänzlich befriedigend: vgl. 603) ruhe die Hegelsche Begründung wesentlich auf einem Weg der Erfahrung: wie das Bewußtsein, gerade auch in der Existenz als natürliches der getätigten Wissenssysteme, dessen inne wird, denkender Geist zu sein, und sich in der großen Gemeinschaftlichkeit des Geistigen („mit anderen seinesgleichen“, 611) in Unternehmungen der denkenden Erfassung der Welt verwirklicht – die Geschichte der menschlichen Wissenssysteme als das Werden dieses wissensreflexiven Bewußtseins („erscheinendes absolutes Wissen“). Die beiden abschließenden Ausblicke dann plazieren, wie zuvor schon mehrere der Beiträge bei speziellen Themenfeldern, Hegels Denken in den heutigen Wissenschaftsdiskurs. Ihr Blick geht über die Phänomenologie (im engeren Sinne des Buchs) hinaus. Welschs Idee zielt auf ein großes Konzeptionelles: das Logische mit dem Zeitlichen / Geschichtlichen zusammenzubringen, aber einem Geschichtshaften, das über die Entwicklung der internen Selbstkonzepte des Bewußtseins hinausgeht – reales Werden im Sein in kosmologischer Evolution. Hier habe Hegel zwar das Prinzip der Genealogie, ja des Selbstgenerativen zum Typus seines neuen Denken gemacht, dies aber, in einer Polarisierung, ganz auf ‚das Logische‘ verlagert – und so für ‚das Reale‘, den Geist und vollends die Natur, als solches nur mindere Weisen eines generativen Geschehens sehen können, wie dann auch umgekehrt für die Logizität und den Geltungsgehalt unserer Denkbestimmungen keine Dimension einer „Real-Genese“ erwogen werden kann (vgl. 672). Welsch möchte, als ein Weiterdenken im Geiste Hegels, dies öffnen auf eine „Onto-Logik“ hin, die „nicht logik-lastig“ ist (687) – daß in kosmischer Hinsicht evolutiv Schichten von Seinsgestaltungen wie Prozeßdimensionen zu Wirklichkeiten geworden sind, für die – als wie sie nun faktischerweise bestehen – dies philosophisch herauszuformulierende Logische gilt. Dazu seien zugestandenermaßen vielfältige „Revisionen“ (684–686) am originalen Hegelschen Konzept nötig, bez. Logizität, Zufall, Absolutheit, Singularität, Immanenz, Naturalität u. a.m. – Revisionen durch die nachhegelsche Denkentwicklung selbst, in einer Art ‚List der Vernunft‘, dagegen bereits vollbracht sieht Hösle. Das ‚absolute Wissen‘, im reinen Hegelschen Sinne, war „nicht die letzte Bewußtseinsform, die […] der Menschheitsgeist hervorgebracht hat“ (631 f.); doch Hegel stehe als stets wiederkehrende Theorieanforderungen auch für das Über-Hegel-hinaus. Wenngleich inkognito, blieben auch alle späteren großen Fundierungsunternehmungen Erben des ‚absoluten Wissens‘. Auch für das, was seither, bes. im 20. Jh. sich etabliert hat, bleibe Hegel das Modell einer Bedeutung, Konzeption und eines Anspruchs der Philosophie, das, wie noch allemal erfahren werden mußte, nicht ohne Preis verabschiedet werden kann. – Damit hat Hösle, übergreifend, gewissermaßen auch das Credo aller Beiträge des vorliegenden „kooperative[n] Kommentar[s]“ zur Phänomenologie formuliert. 7. Neues Klima. Der Band steht für ein Stadium der Interpretation und Aneignung, spiegelt Veränderungen der Reflexion und die Veränderungen des Umgehens mit dem

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Klassiker Hegel. Ein entsprechendes Projekt wäre vor 30, aber wohl selbst noch vor 10 Jahren signifikant anders ausgefallen. Es sind neue Themen, neue Weisen des Argumentierens und eine neue Sprache. Und es ist auch ein neuer Kontext der Erschließung, in den die Beiträge sich positionieren, sich einbringen wollen. So stehen denn alte Fragen idealistisch-‚systematischen‘ Philosophierens und aktuelle Probleme – z. B. ‚Naturalisierung‘ des Geistes – in dichter wechselseitiger Befruchtung. Die meisten der Texte, dies zu früheren Zeiten nicht immer eine Tugend, zumal in bezug auf die Phänomenologie, sind sehr strukturiert geschrieben und mit klar formulierten Thesen. (Angesichts dessen mag man es als läßliches Manko nehmen, daß, offenbar aus Gründen des Umfangs, dem Band ein Register beizugeben nicht mehr möglich war.) Gegenüber dem „Wirklichkeitshunger“ (Honneth, 187) früheren Klimas, der vieles auch überdeckt hatte, sind die Analysen nicht nur nüchterner, sondern, gerade deshalb, in etlichen Beiträgen auch thematisch näher an den Phänomenalitäten gelebten Lebens. Es kommen – und mit entschiedenem konzeptionellen Gewicht – Themendimensionen wie: Leiblichkeit, Sinnlichkeit, natürliches Bewußtsein, konkret historische Erfahrungen mit kontingenten Faktizitäten oder überhaupt Individualität in den Blick. Ebenso auch macht die Verbindung hermeneutisch-‚kontinentaler‘ und analytischer Traditionen des Denkens, die in weiten Teilen des Bands sich findet, sich darin geltend, ‚Erkenntnis‘ als Erkenntnispraxis, getätigtes Erkenntnisverständnis zu begreifen und ‚Handeln‘ als strukturiert durch Einstellungen oder Subjektzuschreibungen; fast überall hereinkopiert hat sich die Leit-Perspektive, die Phänomenologie als Erörterung von (Etappen von) „Selbstkonzepten“ und dgl. zu lesen. Hegels Phänomenologie, auch noch 200 Jahre danach, bleibt ein schweres, sperriges, zum Teil fremdes Werk. Was am Unternehmen dieses „Kommentar“-Bandes am nachhaltigsten beeindruckt, ist die Haltung dahinter: der Theorieanspruch, den er sich trotz des oft Odysseehaften, auch hartnäckigen Abwegen früherer Interpretationen nicht abhandeln lassen will. Die Beiträge stemmen sich dagegen, daß die Phänomenologie zerfällt in einzelne funkelnde Denkstücke. Auch wo man an der einen oder anderen Stelle widersprechen möchte, die Deutungen und Perspektiven geben das Niveau der Argumentation vor. – Der gewichtigste Einwand gegen den Band ist denn vielleicht, daß die Beiträge diese Diskussion nicht auch schon unter einander angefangen haben. Das Programm einer „Kooperation“ kommt, äußerlich, ein wenig zu harmonistisch daher; bis auf eine Ausnahme (McDowell gegen Pippin, s.o.) sind keine wirklichen Differenzen angesprochen oder gar durcherörtert. Dabei läge gerade darin ein nicht unerhebliches Potential dessen, was die Auseinandersetzung mit diesem „Schlüsselwerk der Moderne“ an Bedeutung für das heutige Denken haben könnte. Die Leistung des Bands auszuschöpfen ist also in die Hand des Lesers gelegt. Rainer Adolphi (Berlin)

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Ryosuke Ohashi: Die Phänomenologie des Geistes als Sinneslehre. Hegel und die Phänomenoetik der Compassion.Verlag Karl Alber: Freiburg / München. 2009. 191 S. In seinem Buch Phänomenologie des Geistes als Sinneslehre zeigt Ryosuke Ohashi, wie Hegels Phänomenologie des Geistes auf das Sinnliche hin gelesen werden kann und des weiteren, wie mit dieser Lesart eine Brücke zur buddhistischen Lehre des ‚großen Mitgefühls‘ (Compassion) geschlagen werden kann. Die Grundthese der Interpretation von Hegels Phänomenologie des Geistes lautet: „Das gesamte Werk könnte sogar in einer gewissen Umkehrung als ‚Phänomenologie des Sinnlichen‘ dekonstruiert werden.“ (115) Damit wird eine originelle und spannende Lesart der Hegelschen Phänomenologie vorgeschlagen. Bereits in seiner Habilitationsschrift: Zeitlichkeitsanalyse der Hegelschen Logik. Zur Idee einer Phänomenologie des Ortes. Freiburg / München 1984, hat Ohashi eine Auslegung der Zeitlichkeit auf den Ort hin unternommen und logisch die Augenblickstätte als Zusammenhalt der Zeitlichkeitsmodi hervorgehoben, wobei die Ortskategorie an der reinen Gegenwart ausgerichtet ist. In dem hier zu besprechenden Buch wird die Orthaftigkeit nun aus der Perspektive der Erfahrung zum Leitfaden der Untersuchung. Eine derartige Ausrichtung der Interpretation wird in der „Einführung“ hervorgehoben, wo der Anspruch, die Tiefenschichten des Sinnlichen zu erörtern, formuliert wird: Das Sinnliche werde sich auf den verschiedenen Ebenen der Erfahrung als unterschiedlich ausgeprägt zeigen. Ausgangspunkt hierfür ist der wechselseitige Charakter des Sinnlichen: nicht an subjektive Erfahrung gebunden, sondern zwischen der Welt und dem Erfahrenden verortet zu sein. Paradigmatisch wird hierfür das Sehen und Sich-Sehen-lassen der Welt angeführt (9). Dieser spezifische Charakter des Sinnlichen wird schon bei Aristoteles in De Anima deutlich, am ausgeprägtesten aber bei Merleau-Ponty ausgearbeitet (10). Überzeugend ist, daß der Autor es nicht bei dem in der Geschichte der abendländischen Philosophie überbewerteten Paradigma des Sehens beläßt, sondern die wechselseitige Struktur auch im Hören und Hören-lassen hervorhebt (14 f.). Das ständige Geschehen der Geräusche und deren Möglichkeit, einen „Zwischenzustand“, d. h. weder zu laut noch zu leise zu sein, einzunehmen, wird unter Berufung auf Aristoteles betont. Gehört werden aber nicht nur Geräusche, sondern auch „das Wort Gottes“, was als ein Hören im Nicht-Hören gedeutet wird. Dadurch wird die Zugegenheit des Sinnlichen auch jenseits der Sinnlichkeit hervorgehoben (16). Im Anschluß werden auch die übrigen Sinne: der Geruchs-, der Geschmacks- sowie der Tastsinn erwähnt (17). Dazu heißt es: „Alle Ausdrücke deuten an, dass die sinnliche Erfahrung durch eine existenzielle Wendung oder Kehre zu der Erfahrung wird, in der die Ichheit des menschlichen Subjekts zunichte geht und zum ‚Nichts‘ wird.“ (17) Mit Kitaro Nishida wird ein Zeichen für die Interpretation gesetzt: Das Sehen wird als eine „Wendung der Seinsweise des Selbst aufgefasst“ (13). Indem der Autor daran anschließt und die Erörterung des Sehens auf eine Erörterung des Sinnlichen erweitert, stellt er in Aussicht, daß in dem Buch „das ‚Sinnliche‘ als der Ort des Sichzeigens der Welt schließlich mit dem ‚großen Mitgefühl‘ (Compassion) des Mahayana-Buddhismus im Einklang steht.“ (13) In Gestalt des Aristoteles findet Ohashi den Vorboten zu seiner Interpretation des

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Sinnlichen und hebt bei diesem v. a. die Bedeutung des Zwischen von Empfindung und Gegenstand in der Sinneslehre hervor, aber auch – in Analogie dazu – die Mitte des Gemeinsinnes für den Übergang von der Sinnesempfindung zum Geist (20). Der Gemeinsinn wird bei Aristoteles als das Selbstbewußtsein der fünf Sinne unterstrichen, der Ort, an welchem die Sinne mit dem geistigen Denkvermögen verknüpft werden. Bei Descartes kommt dem Gemeinsinn die Rolle zu, die von den äußeren Sinnen empfangene Gestalt zu übernehmen und an die Einbildungskraft weiterzuleiten, womit diesem eine entscheidende Rolle im Erkenntnisprozeß zufällt (27). Andererseits gewinnt der Gemeinsinn, indem er an den gemeinschaftlichen Sinn anknüpft, „eine Geistigkeit als Inhalt der Moralphilosophie.“ (31) Als „Schlüssel des Buches“ (21) steht der Gemeinsinn dafür ein, das Sinnliche in den Tiefenschichten des Geistes hervorzuheben. Somit wird das Sinnliche eindeutig von der Angebundenheit an die Sinnlichkeit losgelöst und – mittels der Hervorhebung des Gemeinsinnes – als auf sämtlichen Stufen des geistigen Lebens angesiedelt verdeutlicht. Als „sozial-gemeinschaftlicher“ Sinn ist der Gemeinsinn auch schon bei Aristoteles zu finden, jedoch nicht in seiner zentralen Bedeutung für die Sinneslehre erkannt worden (31). Mit Blick auf das Verhältnis zwischen dem Ich und dem Anderen erscheint der Gemeinsinn, welcher als Mitfühlen aufgefaßt werden kann, nie homogen. Die heteronome Andersheit der Menschen läßt eher von einem ungemeinsamen Gemeinsinn: „sensus communis non-communionis“, sprechen, wobei diese Fremdheit oder heteronome Andersheit in der Entwicklung des Geistes zunehmend tiefer empfunden wird (33). Auch bei Hegel ist das Sinnliche vom sensus communis non-communionis, vom gemeinsamen Ungemeinsamen her zu verstehen, auch wenn der Begriff „Gemeinsinn“ in der Phänomenologie des Geistes nicht erscheint: Das Vernommene ist zugleich ähnlich und verschieden, bis hin zum Anderen. Im Hauptteil des Buches (II. Teil) befaßt sich der Autor mit den einzelnen Teilen der Phänomenologie des Geistes und zeigt schrittweise, wie das Sinnliche aufgewiesen und so die Phänomenologie des Geistes als Sinneslehre aufgefaßt werden kann (57 f.). Vorangestellt ist diesem eine Erörterung der Tragweite des Sinnlichen in Hegels Phänomenologie, welche den weitaus kürzeren, dafür aber maßgeblichen Teil des Buches ausmacht (I. Teil). Die „sinnliche Gewißheit“, die jeder Erfahrung zugrundeliegt, ist „als ‚Moment‘ auf jeder Stufe des gesamten Weges immanent“ (42). „Je höher der Standpunkt des Bewusstseins ist, desto tiefer wurzelt auch das Sinnliche.“ (44) Das Geistige führt – wie auch bei Platon – zu einer Erziehung des Sinnlichen (52) und erscheint nicht anders als „notwendig im Element des Sinnlichen, und zwar so lange, als e[s] nicht das Sinnliche tilgt, d. h. begeistert.“ (47) Das Sinnliche wiederum verweist auf den Gemeinsinn, zunächst auf der Stufe der Sinnesempfindung durch die situierte Wahrnehmung, welche von einem Gefühl – mit Heidegger zu sprechen einer Stimmung – begleitet wird und somit innerlich ist, aber darin eben zugleich mit dem Anderen. Gleichzeitig ist der Andere als ein anderes Ich, welches auch empfindet, zugegen. Im Selbstbewußtsein erscheint dieser Gemeinsinn in Form von Herr und Knecht, wobei die jeweiligen Selbstgefühle als „Gegensätze beinhaltende[n] Gemeinsinne“ (55) aufgefaßt werden können. Da der Gemeinsinn nicht durchgängig homogen ist, muß ihm Nicht-Gemeinschaftlichkeit zugeschrieben werden, trotz allem scheinbaren Widerspruch (ibid.).

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Die Textinterpretation der Phänomenologie des Geistes erstreckt sich über mehr als einhundert Seiten und löst Schritt für Schritt dasjenige ein, was in der „Einleitung“ und in dem ersten Teil angekündigt worden ist. Diese entsprechend dem analysierten Text in sechs Kapitel unterteilte detaillierte Analyse ist als solche ergiebig und läßt sich kaum ohne großen Verlust skizzieren. Daher möchte ich im folgenden lediglich einige Aspekte hervorheben. Das Sinnliche meldet sich im Wissen, ist somit im Bewußtsein zugegen, weist aber über diese Stufe auf verborgene tiefere Schichten hinaus. Schon bei der „sinnlichen Gewißheit“ wird der verborgene Aspekt des „Sinnlichen“ hervorgehoben (60). Auch wenn es nicht um ein Vermögen der Sinnlichkeit geht wie etwa bei Aristoteles, handelt es sich dennoch um eine Sinneslehre (61). Am deutlichsten tritt dies gerade durch den Übergang zur „Wahrnehmung“, den Schritt zum Allgemeinen, hervor, in welchem das Sinnliche durch das Aufzeigen und die Negation der „sinnlichen Gewißheit“ nicht verlorengeht, sondern vertieft wird (62). Wird mit der „Wahrnehmung“ bereits der „gesunde Menschenverstand“ als Gemeinsinn angesehen – was als eine tiefere Schicht des Sinnlichen begriffen wird –, so wird im Abschnitt über den „Verstand“ die Frage aufgeworfen, wie das Sinnliche beschaffen sein muß, um Verstandescharakter aufzuweisen (69). Als mögliche Antwort wird das Gefühl als ein Urteil begleitend angeführt, wobei dieses Gefühl gleichermaßen einen Aspekt des Sinnlichen ausmacht und den Übergang von der sinnlichen zur übersinnlichen Welt ermöglicht (69). So kann gelten: „Das Urteilen des Verstandes trifft nicht bloß das Jenseits des Sinnlichen, sondern es trifft auch in die sinnliche Welt und erhält somit selber das Vermögen der Sinnlichkeit in sich.“ (68) Das Selbstbewußtsein wird als Horizonteröffnung des Gemeinsinnes interpretiert. Kennzeichnet die Begierde das Selbstbewußtsein (73), so werden Furcht und Genuß als das jeweils Sinnliche im Herr-Knecht-Verhältnis hervorgehoben und als „Gefühle der Ungemeinsamkeit des gemeinsamen Verhältnisses“ hervorgehoben, wobei das Gefühl als verinnerlichte Form der Sinnlichkeit gilt (75). Dem Sinnlichen eröffnet sich der Horizont des „ungemeinsamen Gemeinsinnes“, und dem „Element des Sinnlichen“ kommt somit in der Analyse der „Vernunft“ der Name Sympathie zu, welcher im Abschnitt der tätigen Vernunft in der Phänomenologie des Geistes als Begriff des „Pathos“ vermerkt wird (81). „Sym-pathie“ ist von der individuell-emotionalen „Sympathie“ zu unterscheiden (99) und gilt als Weltgefühl, als der Ausdruck für den verinnerlichten Gemeinsinn auf der Ebene des Pathos, wobei letzterer „das besonders emotionale Gefühl bzw. Passion als die tief in der Gesinnung wurzelnde Sinnlichkeit“ (98) bezeichnet. Zwar kündigt sich die „Sittlichkeit“ schon in der „Vernunft“ als die sittliche Gesinnung an, ist aber hier nur als Übergang zum Geist aufzufassen. Das Sinnliche auf der Ebene des Sittlichen ist erst für den Geist zu vermerken, da erst auf dieser Ebene das Gesellschaftliche hinzutritt. Das Pathos wird auf dieser Ebene zur Erschlossenheit der Welt, indem es das Sinnliche, in dem das „Wissen“ enthalten ist, bezeichnet (116). Es „ist das ‚Allgemeine‘, weil es in der Gemeinschaft in der Weise der ‚Sym-pathie‘ gemeinsam besessen wird“, wird aber in der Tätigkeit des Individuums „individualisiert“ (116). So erscheint Pathos in den individuellen Handlungen als „ungemeinsame

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Sym-pathie“, als der verinnerlichte „ungemeinsame Gemeinsinn“, das ungemeinsame Weltgefühl (117). Das innere Gefühl des Individuums aber, die Einsamkeit, ist zugleich Weltgefühl, indem die Anderen gerade durch die Abgrenzung davon zugegen sind. Das Sinnliche wird somit zum „Weltpathos“ (122). Diese wird im Gewissen „die Diskontinuität und Ungleichheit mit Anderen“ als „Gemeinsamkeit“ spiegeln (149). Die Versöhnung aber, das gegenseitige Anerkennen, wäre dann „die große Verwirklichung der ‚ungemeinsamen Sym-pathie‘“, was als „großes Mitgefühl“ bezeichnet wird, „in dem das Andere trotz aller grundsätzlichen Fremdheit dennoch anerkannt und umspannt wird“ (150). In der geoffenbarten Religion ist nicht mehr die „Ungemeinsamkeit“ zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft vordergründig, sondern jene „zwischen dem Geist und dessen Äußerung, zwischen ihm und den Gestalten des Andersseins vom absoluten Geist“ (157). Die göttliche und die menschliche Natur ist dieselbe, wobei diese Natur von der Sinnlichkeit vermittelt wird, d. h. gesehen, gehört, gefühlt wird. Die „ungemeinsame Sym-pathie“ von Gott und Mensch ist darin zu sehen, daß das absolute Wesen durch sein Herabsteigen sein „höchstes Wesen“ erreicht (160). In Analogie dazu teilen Boddhisattva und die leidenden Menschen eine „ungemeinsame Sym-pathie“, wobei Boddhisattva – anders als Buddha – durch sein scheinbares Herabsteigen sein höchstes Wesen erreicht (160). Im Pathos des Todes Gottes stirbt das Sinnliche aber nicht, was im Abschnitt zum absoluten Wissen gezeigt wird. Im „absoluten Wissen“ findet mit der Tilgung der Zeit auch die Aufhebung des Sinnlichen statt; dennoch ist das Sinnliche als aufgehobenes zugegen. Die Gelassenheit des Pathos ist der Ausdruck des Sinnlichen auf dieser Ebene und wird der Apatheia, welche fälschlicher Weise aus der Aufhebung des Sinnlichen abgeleitet werden könnte, entgegengehalten (170), welcher Ausdruck nicht zuletzt an Ohashis frühe Beschäftigung mit Heidegger erinnert. – Siehe: Ekstase und Gelassenheit. Zu Schelling und Heidegger. München 1975. (Münchner Universitäts-Schriften. Bd. 16. Dissertation) – Gezeigt wird, daß – trotz aller Unterschiede – „das Pathos des Absoluten und die Compassion des Boddhisattva einander ‚entsprechen‘“ (173). In beiden Auffassungen ist „das Entlassen der ‚Form des Selbst‘ auch das Entlassen der ‚Form des Anderen‘.“ (172) Das Sinnliche bleibt dabei doch erhalten, Tilgung und Aufhebung des Sinnlichen bedeuten eher „das Entlassen und Aufopfern der Form des Sinnlichen“, wobei „die Freiheit des Sinnlichen von sich selbst“ die „tiefste Tiefe derselben“ ist (177). Auf diese Weise bleibt das „ungemeinsam-gemeinsame“ Pathos auch auf dieser Ebene erhalten, allerdings nur durch das Vergessen seiner selbst (173). Die durchgehende Charakteristik des sensus communis non-communionis kann wie folgt zusammengefaßt werden: das Andere in seiner Andersheit sein zu lassen und dennoch zu vernehmen – was keine Gleichgültigkeit ausmacht, sondern eine Hinwendung, die auch einen ethischen Charakter aufweist. Offenbar wird dadurch eine mögliche Ethik des Pathos, des Gefühls. Letzteres ist dabei nicht übergreifend oder vereinnahmend, sondern eröffnend für das Andersartige oder das Andere. Mit Ausnahme einiger Verweise wird die Brücke zur buddhistischen Lehre erst im Schlußteil hervorgehoben. Allerdings ist der vorbereitende Teil, welcher geduldig das Sinnliche in der Phänomenologie des Geistes aufzeigt, für die Analogie notwendig: Gera-

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de weil die buddhistische Lehre der Compassion nicht lediglich das Mitgefühl für den anderen meint, sondern eine Lehre vom Sinnlichen durchgehend durch die Stufen des Geistes darstellt, ist weiterführend zu erkennen, inwiefern diese Stufen auch in der Hegelschen Phänomenologie des Geistes gefunden werden können. In der Schlußüberlegung erfährt der Leser auch, daß Phänomenoetik als alternativer Begriff zur Phänomenologie gewählt worden ist und daß damit das Vernehmen in der Noese oder die Intuition hervorgehoben wird, die, so der Autor, als Grundlage aller Phänomenologie dient (179). Damit scheint sich der Autor zu einer Husserlschen Lesart der Phänomenologie, welche den Vergleich der jeweiligen Traditionen auf die Stufe des Transzendentalen verlegt, zu bekennen. Eine transzendentale gemeinsame Ebene wird, wie eingangs mit der Wendung oder Kehre angekündigt, zu einem Ort (des Sinnlichen oder der Compassion) durchbrochen, an dem die in ihr noch zurückgebliebene Subjektivität verlassen wird und Kulturen, in denen die Welt sich zeigt, trotz ihrer Unterschiede so belassen werden können, wie sie jeweils begegnen. Weil auf dieser eher Heidegger nahestehenden ‚phänomenoetischen‘ Ebene das Gemeinsam-Ungemeinsame vernommen wird, dieses aber im Buddhismus und in Hegels Phänomenologie des Geistes unterschiedlich zur Sprache kommt, ist nicht nur ein solcher Vergleich im Detail, sondern auch im Großen möglich. Unabhängig davon, ob diesem hier erahnten phänomenologischen Ansatz – und somit einer Phänomenoetik – zugestimmt wird, bleibt Ohashis neues Buch in der Analyse des Sinnlichen als sensus communis non-communionis auf allen Ebenen des Geistes sehr überzeugend, ebenso wie die vorgeschlagene Analogie zur buddhistischen Lehre. Ohashis Untersuchung behandelt nicht nur entscheidende Fragen im Kontext interkultureller Philosophie, sondern sie bietet mehr noch eine originelle Lesart der Phänomenologie des Geistes. Im Zusammenhang mit asiatischen Interpretationen Hegels ist die Betonung der „Sinnlichkeit“ ein neuer Schritt. Auch wenn Nishida, welcher vom Autor auch erwähnt wird, den Ort der Logik durchaus in die Nähe der Hegelschen Philosophie rückt, so ist die hier besprochene Arbeit nicht der typischen Topologie der Kyoto-Schule zuzurechnen, sondern setzt vielmehr auf die phänomenologische Seite der Welt-Lehre. So wird der transzendentale Ansatz überwunden zugunsten einer sinnlichen Verortung: einer in der Compassion verankerten phänomenologischen Lehre des Vernehmens oder einer Sinneslehre. Eveline Cioflec (Bucharest)

Francesca Iannelli: Oltre Antigone. Figure della soggettività nella „Fenomenologia dello spirito“ di G. W. F. Hegel. [Über Antigone hinaus. Gestaltungen der Subjektivität in Hegels „Phänomenologie des Geistes“.] Roma: Carocci editore 2006. 142 pp. (Biblioteca di testi e studi / 367, Filosofia) In ihrer hauptsächlich der Phänomenologie des Geistes gewidmeten, aber auch durch Hinzuziehung von Manuskripten und Vorlesungsnachschriften zur Kunstphilosophie sowie zur Philosophie der Weltgeschichte bereicherten Studie untersucht Francesca Iannelli die Entwicklung der Subjektivitätsproblematik in Hegels Geistperspektive: von

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der klassischen Ambiguität der sowohl ausgeglichenen als auch tragischen Gestalten der Antike durch das erlebte Unglück der mittelalterlichen christlichen Zeit hindurch bis zum postrevolutionären Menschen der Moderne, der endlich frei ist, das Absolute weiß und sein Anderes anzuerkennen fähig wird. Im 1. Kapitel über „Die griechische polis des Charakters und des komischen Selbst und seines Untergangs in der römischen Welt“ (27–61) steht erwartungsgemäß zunächst Antigone im Mittelpunkt der Erörterung. Mit ihrer eröffnenden Verteidigung der Rechte des Einzelnen, mit ihrer ersten bewußten Vergeistigung des Todes ist sie jedoch durch ihre einseitige Haltung, durch die sie schuldig geworden ist, lediglich als ein anfänglicher Schritt auf dem Weg der Subjektivierung zu verstehen; daher ist es notwendig, über Antigone und über die zusätzlichen phänomenologischen Gestaltungen der Antike zu einer Subjektivität weiterzugehen, die dazu fähig sei, mit seinem Anderen auszukommen. Dies ist der Schritt, der vom Christentum geleistet wird, mit dem eine allgemeine Freiheit zwar schon behauptet wird, wenn auch zunächst in nur abstrakter Weise (2. Kapitel „Christentum und Unglück“, 63–80). Durch seine inneren Widersprüche, die es als paradigmatische Erfahrung einer geistigen Geburt ausweisen, zerreißt das unglückliche Bewußtsein die Kompaktheit des antiken Menschen, obwohl es aus seinen Entäußerungen und Entfremdungen ins Unendliche – durch die Andacht und ihre Suche nach dem Grab (Kreuzzüge), durch die Arbeit und deren Erfahrung der inneren Gebrochenheit von Abhängigkeit und Selbstständigkeit sowie schließlich durch den Gehorsam, seinen Verzicht und seine Aufopferung – nicht wieder zu sich selbst gelangen kann, wenn nicht dank der befreienden geschichtlichen Wende der Reformationszeit und der nachfolgenden Unterwerfung des modernen Menschen unter die Allgemeinheit der Vernunft, d.h. unter sein eigenes geistiges, nicht mehr bloß jenseitiges Wesen. Wenn Antigone in einer Art Hypertrophie des Eigenen ihre einseitige Familienperspektive nicht zu überwinden vermag, wenn das unglückliche Bewußtsein sich dagegen im Jenseits verliert und vernichtet, sucht die Moderne jene fruchtbare Reziprozität zwischen dem Ich und seinem Anderen, die allererst die Freiheit gewährt (3. Kapitel „Moderne Welt und Subjektivität: vom Gewissen zum absoluten Geist“, 81–128). Besonders der Paragraph über „Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung“ im 6. Kapitel der Phänomenologie des Geistes ist lt. Verf.in von großer Bedeutung, da sich Hegel dort mit den Verdiensten und Grenzen der damaligen deutschen philosophischen Diskussion auseinandersetzt, die die Absolutheit des modernen postrevolutionären Subjektes thematisieren wollte. Weder das zu sich zurückgekehrte Gewissen, das in der Überzeugung und in einer wirklichen Handlung die Dualität der Kantischen Moral zu vermeiden beabsichtigt und dabei die Züge von Jacobis philosophischer Ansicht trägt (samt dem autarkischen Narzißmus einer selbstgenügsamen Innerlichkeit), noch das mystische Selbst der auch als Mangel an intersubjektiver Beziehung charakterisierten kleinen Gemeinde (Schleiermacher) noch die einsame und selbstbezogene schöne Seele, mit der insbesondere Novalis angesprochen ist, können jedoch auf sich Verzicht leisten, um mit dem Anderen in wahrhaften Kontakt zu treten und ihn anzuerkennen, was erst mit der versöhnenden Verzeihung des im Endlichen notwendig vorhandenen Bösen geschehen kann. „Von dem griechischen Charakter,

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der sich selbst als das Absolute und sein Anderes als ein Nichts wahrnimmt, und von dem mittelalterlichen christlichen Bewußtsein, das sein Anderes als das Absolute und sich selbst als ein Nichts weiß, ist man zu einem eigentlich modernen Selbst übergegangen, für das das Absolute weder das eine Selbst noch das andere, sondern deren Beziehung ist. […] Wenn Antigone (oder Kreon) bei der Anerkennung des Anderen sich selbst verlor und das unglückliche Bewußtsein nur beim Vergessen des ganz Anderen: Gottes selbst, existieren konnte, ist dagegen das moderne Subjekt dieses Selbst, das auch in der vollständigsten Entäußerung ein Selbst bleibt und dazu fähig ist, wieder zu sich zu gelangen.“ (110) Im letzten Schritt des 6. Kapitels der Phänomenologie des Geistes ist nach Iannelli in beispielhafter Weise schon die Stufe des absoluten Wissens erreicht, mit der sämtliche einseitig subjektivistischen Positionen als überholt gelten, mit denen die zeitgenössische deutsche Philosophie damals experimentierte (über Jacobi, Schleiermacher und Novalis hinaus ist bei der Skizzierung einer neuen Zeit kultureller Befreiung im Paragraphen zum Gewissen etwa auch an Fichte, Hölderlin und Friedrich Schlegel zu denken). Im „Schlußwort. Hegelianische Anregungen in der globalisierten Zeit“ (129–135) fragt Iannelli, inwieweit Hegels Profil einer modernen Individualität heutzutage noch von Interesse sein mag. Trotz der veränderten Perspektive einer inzwischen ‚virtuell‘ gewordenen Erfahrung bleiben allerdings einige von Hegel schon klar identifizierte Probleme noch die unsrigen, so z. B. die Frage nach der ungerechten Verteilung des Reichtums oder der Skandal nach wie vor mit Gewalt geführter Auseinandersetzungen auf internationaler Ebene, welche jeweils drohen, die antiken Konflikte zwischen Antigone und Kreon i.S. tragischer Schicksale zu reanimieren. V. a. Hegels Motiv einer friedlichen gegenseitigen Anerkennung, wie es in der Dialektik der Verzeihung und in den affirmativen Versöhnungsbemerkungen am Ende des Geistkapitels der Phänomenologie exemplarisch aufscheint und wie es wiederholt von der zeitgenössischen Philosophie – etwa bei Taylor oder Honneth – auch im Zusammenhang der interkulturellen Beziehungen aufgenommen worden ist, scheint der Verf.in nicht nur weiterhin zeitgemäß, sondern auch äußerst zukunftsträchtig. Gabriella Baptist (Cagliari)

Erzsébet Rózsa: Hegels Konzeption praktischer Individualität. Von der „Phänomenologie des Geistes“ zum enzyklopädischen System. Paderborn: mentis 2007. 258 S. (Herausgegeben von Kristina Engelhard und Michael Quante) Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen, die thematisch dadurch miteinander verbunden sind, daß sie erstens der Verortung des Problems der Individualität in Hegels praktischer Philosophie nachgehen und zweitens die Frage eines möglichen Gewinns dieser Konzeption für heutige Debatten zu beantworten versuchen. Dabei soll der Ansatz der praktischen Individualität als ein Leitmotiv herausgearbeitet werden, welchem im System keine ausgewiesene systematisierende und organisierende Funktion zukommt.

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Die Einzeluntersuchungen werden in zwei Phasen untergliedert: „I. Individualität und Identität in der Phänomenologie des Geistes“ (19–81) und „II. Praktische Individualität im enzyklopädischen System“ (83–250). Die Rechtsphilosophie von 1820 wird dabei ebenfalls herangezogen. In dem einleitenden Aufsatz beabsichtigt Rózsa, die „Wege zur personalen Identität“ (21) zu entwickeln. Dies geschieht vor dem Hintergrund eines Vergleichs der Positionen von Freud und Hegel, die darin übereinstimmen sollen, daß die jeweils vorgelegten Konzeptionen personaler Identität auf ein Wirklichkeitsprinzip angewiesen sind. Mit einem solchen Nachweis geht zugleich der Anspruch einher, „die Anschlussfähigkeit der hegelschen Philosophie an spätere Deutungen wie denen Sigmund Freuds exemplarisch“ (10) aufzeigen zu können. Bei genauer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß die Übereinstimmungen eher marginal sind und die Divergenzen überwiegen. Freud gehe es vorwiegend um eine Analyse des Unbehagens in der Kultur, welches auf einen dem Individuum zukommenden Grundkonflikt zwischen Lust und Unlust zurückzuführen sei. Sein angebotener Lösungsansatz ist dabei therapeutischer Natur. Das Wirklichkeitsprinzip komme zum Einsatz, wenn die dem Ich angehörende Innenwelt und die Außenwelt durch das betroffene Individuum deutlich voneinander getrennt werden. Zudem wird diesem Prinzip die Aufgabe der Vermittlung beider Welten zugewiesen. Obwohl zwar rein „thematische Berührungspunkte“ (31) zwischen Freud und Hegel vorhanden sind, wird die Relation von Individuum und Wirklichkeit in der Phänomenologie des Geistes vollkommen anders aufgefaßt, denn bei „Hegel wird die Wirklichkeit nicht im Rahmen eines Realitätsprinzips zu einer Komponente von Anpassung oder zu einem Behandlungsinstrument des Unbehagens instrumentalisiert“ (42). Hegels Ansatz unterscheide sich von der therapeutischen Konzeption, die Freud geliefert hat, unter anderem dadurch, daß er eine philosophischpraktische Theorie im Sinn hatte. Ein solcher konzeptioneller Vergleich, den Rózsa vorlegt, kann nun zwar durchaus einige interessante Parallelen zutage fördern; unklar bleibt jedoch, warum es überhaupt notwendig ist, die „Anschlussfähigkeit der hegelschen Philosophie an spätere Deutungen“ (10) deutlich machen zu müssen. Im Gegensatz zu den bisherigen Schwerpunkten der Forschung, die bezüglich des Begriffs der Individualität zumeist das Konzept der Herrschaft und Knechtschaft oder die Thematik des unglücklichen Bewußtseins diskutierten, zielt der zweite Aufsatz auf den Nachweis ab, „dass Hegel unter Punkt B die ‚Gestalten‘ des Selbstbewusstseins auch als verschiedene Verhaltensweisen phänomenologisch darstellt […] und dass er sie zugleich in einen engen Zusammenhang mit den in diesem Kapitel behandelten theoretischen Fragen der Vernunft im Hinblick auf die Individualitätsproblematik stellt.“ (44) Dieser Ansatz soll vor dem Kontext der aktuellen Debatte der Eliminierung der Theorie zugunsten einer praktischen Philosophie, die pragmatistisch ausgelegt wird, ausgearbeitet werden. Es ist hervorzuheben, daß die Verf.in neuere Überlegungen aus dem angelsächsischen Raum insofern schätzt, als diese die Verhaltensweisen als Praktiken auslegen, die zwar auf einer phänomenologischen Ebene: nämlich derjenigen der beobachteten und dargestellten Formationen und Varianten als Verhaltensweisen (49), als theorieunabhängig ausgewiesen werden können, aber, im Gegensatz zu diesen Positionen, auf einer zweiten Ebene theoretisch fundiert und in den systematischen Begründungszusammenhang eingefügt werden müssen. Die Kritik an neueren Theorien,

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die die philosophisch-praktischen Ansätze aus dem theoretischen Rahmen reißen, ist durchaus zu unterstützen. Es wäre nun zu erwarten, daß Rózsa, wie behauptet, zwei voneinander zu unterscheidende Ebenen in bezug auf die jeweilige Gestalt ausweist, wobei die phänomenologische ihren Status zunächst als unabhängig von der theoretischen bestimmt. So könnte man bei der Analyse der sog. Praktiken auf phänomenologischer Ebene „zunächst sogar auf theoretische Fragestellungen“ (46) verzichten, obwohl diese von einem „starken theoretischen Anspruch beeinflusst ist“ (ibid.), der auf der zweiten Ebene rekonstruiert werden soll. Rózsa will damit offenbar zeigen, daß die auftretenden Phänomene eine vorwiegend praktische Bedeutung besitzen (52). Es wird versucht, dies am Beispiel der Selbstverwirklichung des Individuums deutlich zu machen. Problematisch ist hier jedoch, daß nicht unzweideutig erklärt werden kann, was es bedeutet, daß etwas „in erster Linie kein theoretisches Verhalten ist“ (51), wenn bei dem Versuch der Begriffsklärung auf die „Grundannahme der Einheit von theoretischem und praktischem Verhalten des Geistes“ (51, FN 18) verwiesen wird, die „nur in einem geschichtlich-kulturellen Raum zu verstehen ist“ (50). In dieser Hinsicht besteht Erklärungsbedarf. Der dritte Aufsatz mit dem Titel „Bildung, Reichtum und das Problem des Selbst“ will zeigen, daß die Phänomenologie des Geistes eine Theorie des modernen Individuums anbietet. Rózsa bezieht sich bei diesem Nachweis auf zwei Aspekte der Theorie, die genauer untersucht werden sollen. Der erste Aspekt verweist darauf, daß in die Theorie des Individuums wirtschaftsphilosophische Ansätze einfließen. Diese Beziehung soll ferner einen thematischen und entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen der Phänomenologie des Geistes und der Rechtsphilosophie darstellen, wobei auch auf Unterschiede aufmerksam gemacht werden soll. Der zweite Aspekt ist der von Charles Taylor aufgeworfene Zusammenhang zwischen ökonomischer Bestimmung des Subjekts, Selbstbestimmung des modernen Individuums und Selbstbewußtseinstheorie, womit Hegel einen ganz neuen Weg eingeschlagen habe. Vergebens sucht man in der anschließenden Untersuchung eine befriedigende Analyse, die deutlich macht, daß wirtschaftsphilosophische Überlegungen, die nicht auf die Konzeption von Herrschaft und Knechtschaft zurückgreifen, eine bedeutende Rolle für die Theorie des Individuums spielen. Da die „Probleme der modernen Wirtschaftsform“ (73) vorwiegend im Rahmen der Bildung auftauchen, liegt hier der Fokus der Untersuchung. Leider werden im ersten Abschnitt für die Fragestellung relevante Begriffe lediglich erwähnt, ohne deren unmittelbare Bedeutung für die Theorie des Individuums herauszuarbeiten. Ähnlich verhält es sich im zweiten Abschnitt. Hier werden die Theorie der Selbstbestimmung und Selbstidentifikation nachgezeichnet und Themen aufgezeigt, die auch in der Rechtsphilosophie wieder auftauchen, wobei auf die unterschiedlichen Verwendungsweisen und Kontexte hingewiesen wird. Der Zusammenhang zu explizit wirtschaftsphilosophischen Topoi bleibt jedoch auch hier offen. Ausdrücklich geschieht dies erst im dritten Abschnitt, in welchem die Termini Arbeit und Genuß hervorgehoben werden. Die Verf.in ergeht sich meistens in Andeutungen und verzichtet auf eine ausführliche Analyse, was im Rahmen einer Aufsatzsammlung durchaus berechtigt sein kann. Diese nur andeutende Vorgehensweise ist auch darauf zurückzuführen, daß in der Phänomenologie des Geistes nur „einige wirtschaftliche Kennzeichnungen der moder-

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nen Welt integriert“ (81) sind und eine ausgeführte Wirtschaftsphilosophie erst in der Rechtsphilosophie vorliegen würde. Die zweite Abteilung, die sich der praktischen Individualität im enzyklopädischen System widmet, wird eingeleitet mit einem Aufsatz zu Hegels Bildungstheorie, die in die Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft der Rechtsphilosophie eingebettet ist. Im ersten Abschnitt wird eine Unterscheidung zwischen Erziehungs- und Bildungsbegriff vorgenommen, welche auf der Zuordnung von Erziehung und Familie bzw. Bildung und bürgerlicher Gesellschaft basiert. Das zweite Verhältnis wird hierbei genauer untersucht, weil auf dieser Ebene die sozialontologischen und wirtschaftsphilosophischen Aspekte der Gesellschaft entwickelt werden. Durch die Verortung der Bildung im enzyklopädischen System kann die Vorrangstellung gegenüber der Religion herausgearbeitet und der Bedeutungszuwachs der Bildung für die bürgerliche Gesellschaft deutlich gemacht werden. Der zweite Abschnitt, der sich der Entwicklung der konkreten Person widmet, zeigt auf, daß Bildung als das Bindeglied zwischen formeller Allgemeinheit und besonderer Subjektivität aufzufassen ist. In diesem Sinne erweist sich die Bildung als Vorbereitung auf die „in den bürgerlichen Verhältnissen verwurzelte Lebensführung“ (96). Daß Hegels später Bildungsbegriff auch unmittelbar mit wirtschaftsphilosophischen Themen in Verbindung steht, macht der anschließende Abschnitt deutlich. Die bezüglich der Phänomenologie des Geistes zum Teil nur angedeuteten Konstellationen werden nun konkretisiert und anhand des Textes der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften ausgeführt. Zu den Ergebnissen der Untersuchung gehört zum Beispiel, daß theoretische und praktische Bildung des Individuums Grundanforderungen der modernen Wirtschaft sind. Die Funktion des Bildungsbegriffs besteht aber nicht nur darin, die Bedingungen für die ökonomische Orientierung in der bürgerlichen Gesellschaft auszuweisen, sondern auch in der Beeinflussung und Konstitution sozialer Strukturen. Dies geht aus dem vierten Abschnitt hervor. In einem abschließenden Exkurs werden aktuelle Aspekte der Theorie aufgezeigt. Hierzu gehören u. a. die Legitimierungsfunktion der Bildung oder das „Recht der einzelnen Völker aufs Anderssein“ (102). Im fünften Aufsatz entwickelt Rózsa einen Interpretationsansatz, der im Gegensatz zu den meisten Deutungsvarianten die Rechtsphilosophie von 1820 nicht als Theorie der Institutionen auslegt, sondern als eine Theorie der Subjektivität auszeichnen möchte, ohne welche man die Theorie der Institutionen „nicht angemessen erklären“ (108) kann. Dies wird dadurch begründet, daß die Institutionen nur auf der Basis von „kollidierenden Strukturen und Spannungsverhältnissen“ (108) verständlich sind, die auf die grundlegende Frage nach der Identität des Subjekts zurückgehen. Die Ausdifferenzierung des Individuums, die im Bereich des Praktischen stattfindet, bringt jedoch auch Probleme mit sich, die Rózsa unter dem Thema „das Verhaltensproblem des modernen Subjekts“ (104) zusammenfaßt. Der sechste Aufsatz, der als das Zentrum der Untersuchung zu verstehen ist, widmet sich der Subjektivitätsproblematik in der Berliner Zeit, unter Berücksichtigung des Begriffs der Besonderheit. Hierzu sind zwei Bemerkungen vorauszuschicken. Die Verf.in sieht zwar erstens, daß die Besonderheit als logische Kategorie einen „wichtigen Stellenwert“ (121, FN 1) in der Wissenschaft der Logik besitzt, die logischen Im-

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plikationen für das Verständnis der Individualität werden jedoch ausgespart. Dies trifft zweitens auch auf die metaphysischen Implikationen für die Subjektivitätsproblematik zu, denn Rózsa nähert sich dem Thema ausschließlich aus einer Perspektive, die die entsprechenden Sachverhalte als „normativ“ und „praktisch“ (121) auffaßt. Obwohl Rózsa grundsätzlich nicht die Bedeutung der Logik- und Metaphysikkonzeptionen für die Interpretation der Individualität bestreitet, scheint sie doch wohl die These zu vertreten, daß hierdurch der Weg zu einer Fruchtbarmachung der Hegelschen Philosophie für heutige Diskussionen verschlossen wäre. Eine Herauslösung von Teilaspekten aus den systeminternen Zusammenhängen ist jedoch immer dann problematisch, wenn sie das Original verfälscht. Hierbei sollte stets gekennzeichnet werden, wann und warum die Vorgaben verlassen werden, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, daß es sich hierbei um genuin Hegelsche Gedanken handelt. Die Verf.in hält sich nicht immer an diese Regel, und es wird auch deutlich, daß die von ihr gelieferte Interpretation hier ihre Schwierigkeiten offenbart. Dies läßt sich exemplarisch an Abschnitt 1.1. „Hegels Alternative zu Kant: Einfügung der Freiheit in die unmittelbaren, beliebigen Motivationen“ (125) aufweisen. Durch die Fokussierung auf die normativ-praktische Seite der Argumentation in dem Kapitel „Der praktische Geist“ der Enzyklopädie wird die theoretische Seite als „integriert“ (126) bzw. als das die Motivationen und Praktiken des Individuums überprüfende, sortierende und umzuordnende Element ausgewiesen (130). Daß die theoretische Seite hier die praktische explizit fundiert (siehe: GW 19, § 468), d. h. Freiheit ausschließlich auf der Grundlage des Denkens zu realisieren ist, aus welcher sie unmittelbar hervorgeht und deshalb eine Erhebung zum „denkenden Willen“ (ibid., § 469) anvisiert wird, was in der „Einheit des theoretischen und praktischen Geistes“ (ibid., § 482) mündet, wodurch die Kontingenz aufgehoben wird, fällt zunächst aus dieser Perspektive der Betrachtung heraus. Dies hätte durch eine immanente Interpretation verhindert werden können, ohne auf mögliche Anregungen, die Hegels Ansätze für aktuelle Debatten liefern könnten, verzichten zu müssen. In dem anschließenden Unterkapitel 1.2. scheint dieser Mißstand beseitigt zu sein, denn hier wird darauf hingewiesen, daß die Vernunft „als letztes Fundament aller Motivationen und Aktivitäten“ (131) dient und der reflektierte Wille zugleich ein theoretisches und praktisches „Verhalten“ (133) ist. Dennoch bleibt die ursprünglich problematische Herangehensweise erhalten, insofern die „philosophisch-spekulative Dimension vernachlässigt“ (135) wird, was nicht nur, wie Rózsa selbst sagt, „begrenzt gerechtfertigt“ (135) ist, sondern generell in Frage gestellt werden sollte. Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie zu einer Reihe durchaus interessanter Erwägungen kommt. Nicht nur wird Hegels rechtsphilosophische Moralitätskonzeption als Zentrum einer Theorie des modernen Individuums ausgewiesen (140), was sich u. a. auf das Recht eines jeden Individuums auf Selbstbestimmung zurückführen läßt. Auch das Verständnis der Sittlichkeit als Erweiterung der Individualitätstheorie ist hervorzuheben. Der Freiheitsbegriff ist demzufolge nicht auf das einzelne Individuum restringiert, sondern immer zugleich in einem intersubjektiven und institutionellen Kontext zu erfassen. Zudem wird der wechselseitige Einfluß von Sittlichkeit und Individuum offengelegt. Während dem Sittlichen eine das Individuum „stabilisierende Funktion“ (144) zukommt, bereichern und beleben die besonderen Individuen umgekehrt die Sittlichkeit.

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Die individuelle Freiheit wird in Hegels Rechtsphilosophie deshalb systematisch integriert und nicht preisgegeben. Im vorletzten Aufsatz wird Hegels Wirtschaftsphilosophie auf den Prüfstand gestellt und die Rolle des Prinzips der Besonderheit darin ausgearbeitet. Dieser Teil der Untersuchung, der auch auf Ergebnisse der Habilitationsschrift der Verf.in zurückgreift, ohne jedoch die Vorurteile der vormaligen ostmitteleuropäischen Hegel-Forschung zu übernehmen, will die These vertreten, daß „Hegels Theorie der modernen Wirtschaft nicht als Ökonomie, sondern als Wirtschaftsphilosophie aufgefasst werden muss“ (182). Dadurch soll ein Messen an ökonomischen Theorien verhindert werden. Die These, daß es sich um Wirtschaftsphilosophie und nicht um Ökonomie handelt, wird durch Hegels „Unzufriedenheit“ (185) mit den auf dem Verstand basierenden empirischen Einzelwissenschaften begründet. Dies wird insbesondere in den Grundlinien der Philosophie des Rechts deutlich, da in der Bedürfnissphäre, dem ersten Moment der bürgerlichen Gesellschaft, sowohl „der Verstand der subjektiven Zwecke“ als auch das „Scheinen der Vernünftigkeit“ (186) in signifikanter Funktion auftreten. Die Ökonomie als Einzelwissenschaft sei unfähig, die beiden zur modernen Wirtschaft gehörenden Seiten zu erkennen. Diese Thematik wird im zweiten Abschnitt einer vertieften Untersuchung zugeführt. Zuvor liefert Rózsa Grundrisse von Hegels Wirtschaftsphilosophie. Diese werden im Rahmen folgender Thesen entwickelt: (a) Die Wirtschaftstheorie wird als eine „systematisch-philosophische Bearbeitung von Problemen der modernen Gesellschaft“ (186) ausgelegt. (b) Moderne Wirtschaftsprobleme sind nur im Kontext des der Rechtsphilosophie intern vorliegenden Komplexes von philosophischen Wissenschaften zu verstehen. (c) Die Theorie der Wirtschaftsphilosophie wird in der Rechtsphilosophie in ihrer Gesamtstruktur entwickelt. (d) Hegels „Begriff von Praktiken im Feld der modernen Wirtschaft“ (188) ist vor dem Hintergrund von (b) und (c) zu interpretieren. (e) Das Zentrum der Wirtschaftsphilosophie ist die bürgerliche Gesellschaft, die „Makrostrukturen“ und „Mikrowelten“ (189) vereinigt. Und schließlich ist (f) die Ökonomie als „Strukturebene“ (189) der philosophischen Wirtschaftstheorie auszuweisen. Im dritten Abschnitt beobachtet Rózsa die Auswirkungen, die das Prinzip der Besonderheit der bürgerlichen Gesellschaft auf verschiedene Bereiche hat. Hierzu gehören die wirtschaftliche Situation, der Status des Individuums in der modernen Gesellschaft und die Weise, wie das Individuum in dieser sich selbst auffaßt. Neben vielen interessanten Untersuchungsergebnissen ist die Erkenntnis, daß das konsenssuchende Individuum unentwegt einer mit Spannungen und Entzweiungen beladenen Wirklichkeit ausgesetzt ist, die „nicht zu überwinden, aber zu vermitteln sind“ (199), besonders hervorzuheben, weil daran die Relevanz des Bildungsbegriffs aufgezeigt werden kann. Die Bildung wird gekennzeichnet als die stabilisierende Sphäre der Vermittlung, die dem Individuum die Möglichkeit bietet, sich adäquat in der jeweiligen wirtschaftlichen Situation zu verhalten. Der abschließende Aufsatz konzentriert sich schließlich auf einen Bereich der Kunstphilosophie, und zwar auf die Spannung zwischen Prosa und Innerlichkeit. Um sich nicht allein auf die Vorlesungen über die Philosophie der Kunst von 1823 verlassen zu müssen, werden auch Hegels unmittelbar überlieferte Texte zu diesem Thema in den Grundlinien der Philosophie des Rechts mit einbezogen. Die Untersuchung verzichtet er-

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neut auf eine Bezugnahme zu „logischen“ (217), „epistemischen und metaphysischen“ (216) Kontexten. Obwohl diese durchaus als interessante und wichtige Dimensionen (217, 222) gekennzeichnet werden, würde z. B. eine einseitige, aus der Perspektive der Entwicklung des absoluten Geistes geführte Auslegung „Schwierigkeiten“ (222) hervorrufen, die darauf zurückgeführt werden müssen, daß „der Begriff die Anschauung wie auch die Philosophie der Kunst notwendigerweise überholt“ (222). Daraus ließe sich aber kein systematischer Gewinn für die Kunstphänomene ziehen. Rózsa möchte demgegenüber die Wechselwirkungen zwischen systematischer und phänomenologischer Ebene von Hegels Kunstauffassung ausleuchten. Auf der Grundlage dieser Methodik kann schließlich die Vielschichtigkeit des Prosabegriffs und dessen enge Verknüpfung mit dem Begriff der Innerlichkeit ausgewiesen werden. Durch die Verbindung der Innerlichkeit „als Prinzip und Form mit dem prosaischen Stoff“ schaffe Hegel eine Alternative für die kritisierte „Kunst im Romantischen“ (229). Insgesamt bietet das Buch einen Einblick darüber, welche Bedeutung dem Begriff der praktischen Individualität in Hegels Schriften zwischen 1807 und 1830 zukommt und liefert so einen Beitrag zum Verständnis seiner praktischen Philosophie. Zudem werden interessante Untersuchungsergebnisse zum Thema Wirtschaftsphilosophie herausgearbeitet, die heutzutage immer mehr in den Hintergrund getreten ist. Als problematisch ist jedoch zu erachten, daß das logische und metaphysische Zentrum der Hegelschen Philosophie oft ausgeblendet wird, was zu einer unausgewogenen Darstellung der Thesen führt. Kai-Uwe Hoffmann (Berlin)

Chong-Fuk Lau: Hegels Urteilskritik. Systematische Untersuchungen zum Grundproblem der spekulativen Logik. Wilhelm Fink Verlag: München 2004. 319 S. Hegels Urteilskritik ist eine systematische Untersuchung, die deren zentrale Rolle in bezug auf die gesamte Hegelsche Philosophie beweisen möchte. Durch die Urteilskritik übt Hegel eine Kritik an der traditionellen Logik und Ontologie – sofern diese als Denken der Dichotomie von Substanz und Akzidens verstanden werden – und schlägt stattdessen eine spekulative Konzeption der Substanz als Subjekt vor (5). Die Argumentation wird in den drei zentralen Kapiteln (2, 3 und 4) entwickelt, denen eine Einleitung voransteht (Kapitel 1) und der eine kurze abschließende Erläuterung folgt (Kapitel 5). Im ersten, einleitenden Kapitel illustriert der Autor die Grundsätze, die die Untersuchung leiten, und den theoretischen Rahmen, in den sich eine Forschung dieser Art eingliedert. Zunächst erklärt Lau, daß er den Arbeiten Dieter Henrichs, die im Hintergrund der gesamten Untersuchung stehen (11–20), sehr viel verdanke. Indem er Henrich folgt, behauptet er die Notwendigkeit, den Hegelschen Monismus nicht als bloße Negation der Ontologie zu verstehen, sondern vielmehr als metaphysische Perspektive, die in der Lage ist, die Ontologie – d. h. das „natürliche Weltverstehen“ – und deren Negation aufzunehmen. Nur in diesem metaphysischen Rahmen ist es möglich, die

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Bedeutung der Urteilskritik in der Hegelschen Philosophie zu verstehen, da die Einheit von Logik und Ontologie sich genau in der Urteilslehre zeigt. Der Autor erklärt im Anschluß, daß er die drei hauptsächlichen Hegelschen Abhandlungen des Urteils – die „Vorrede“ der Phänomenologie des Geistes, den „Vorbegriff“ der Enzyklopädie und die „Lehre vom Begriff“ in der Wissenschaft der Logik – für drei Versionen einer einzigen Urteilskritik hält. Obwohl diese These nachvollziehbar ist, wäre es vielleicht nötig, sie durch einen Vergleich dieser Texte zu beweisen, da es trotz der nachweisbaren Kontinuität der Hegelschen Reflexion unleugbar ist, daß sich einzelne Elemente in den verschiedenen Abhandlungen unterscheiden. Von diesen Fassungen hält der Autor jene für besonders wichtig, die in der „Vorrede“ der Phänomenologie des Geistes entfaltet wird und in der Hegel-Forschung als Behandlung des „spekulativen Satzes“ bekannt ist. Lau entscheidet so, seine Untersuchung auf diese zu konzentrieren; mit dieser Entscheidung stellt er sich gegen eine ganze Richtung der Hegel-Forschung, welche lange die Theorie des „spekulativen Satzes“ als eine Episode im Hegelschen Denken gelesen hat, die später von Hegel aufgegeben wurde. In der langjährigen Debatte über die Beziehung zwischen der Theorie des „spekulativen Satzes“ und der späteren Lehre des Urteils in der Wissenschaft der Logik bezieht Lau Stellung für eine zusammenhängende Lektüre der verschiedenen Abhandlungen und liest die Theorie des „spekulativen Satzes“ als „das Movens der dialektischen Bewegung auf das gesamte System“ (25). Aufgrund dessen, daß Rationalität und Sprachlichkeit für Hegel Gleiches bedeuten (100) – Hegel übernimmt die alte Auffassung des logos, der gleichermaßen Vernunft und Rede ist –, interpretiert der Autor die Hegelsche Urteilskritik als Kritik der natürlichen Sprache: Hier steht nicht nur die logische Form des Denkens infrage, sondern auch die Möglichkeit, dieses Denken darzustellen und es wirklich werden zu lassen. Es ist vielleicht nützlich, die Aufmerksamkeit auf diese Passage zu lenken: Ungewöhnlich für eine Behandlung der Hegelschen Urteilslehre ist nämlich der Verweis auf seine Auffassung der Sprache. Dennoch ist es genau der Hegelsche metaphysische Monismus, der diesen Schritt erforderlich macht: Das Wissen ist für Hegel immer mitteilbar, und eine Analyse der Formen des Wissens ist deswegen auch immer eine Analyse der Möglichkeiten der Darstellung dieses Wissens. Was der Autor „das Dilemma der Sprache“ (107) nennt, d. h. die Schwierigkeit, in der Sprache das Wahre auszudrücken, führt Hegel nicht zur Ausarbeitung irgendeiner Auffassung der Unaussprechlichkeit des Absoluten, sondern es treibt ihn an, sich die wesentliche Frage zu stellen, wie man das Wahre adäquat ausdrücken kann (115). Man kann also die Wahl des Autors gut verstehen, das zweite Kapitel („Systembedingung und Urteilskritik“) der Erörterung der Hegelschen Auffassung des Wahren und der Möglichkeit ihrer sprachlichen Darstellung zu widmen. Hegel ersetzt eine Auffassung der Wahrheit als Übereinstimmung durch eine Auffassung der Wahrheit als Identität, als Mit-sich-Übereinstimmung (53). Im Unterschied zur klassischen Theorie ist das Wahre für Hegel nicht mehr in der Aufrechterhaltung der Übereinstimmung mit etwas dem Wissen Äußerlichem gegeben, sondern weil das Wahre selbst „wirkliche Wirklichkeit“ ist. So erstattet Hegel lt. Verf. dem logischen Moment der Wahrheit ein ontologisches Moment zurück (54). Eine weitere Eigentümlichkeit des Hegelschen Begriffs der Wahrheit ist, daß er für seine Entwicklung das negative Moment der Kritik

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am Unwahren benötigt (36). Die Urteilskritik als unangemessene Weise, das Wahre auszudrücken, ist also ein unbedingt notwendiges Moment der Darstellung des Wahren. In Bezug darauf distanziert sich Verf. von einer vereinfachenden Lektüre, die die Phänomenologie des Geistes als Bewahrerin des negativen Teils sieht, d. h. der Kritik am Unwahren, und die Wissenschaft der Logik im Gegensatz dazu als tatsächliche Darstellung des Wahren. Dieselben logischen Bestimmungen des Denkens brauchen nämlich ein kritisches Moment, das ihnen gestattet, ihre unvermeidbare Bestimmtheit aufzuheben und sich in einem einzigen System der Begriffe zu vereinen (76). In der Wissenschaft der Logik liegt also ein Moment der Kritik gegen die Logik selbst vor: Nach Lau ist das die spezifische Aufgabe der Urteilskritik. Nach der Behandlung des Hegelschen Begriffs der Wahrheit läßt der Autor eine Analyse der Natur der sprachlichen Darstellung des Wahren folgen, in welcher er deren problematische Züge zeigt. Es wird, wenn auch in groben Zügen, die Hegelsche Abhandlung des Zeichens als kleinster sprachlicher Einheit in der Philosophie des subjektiven Geistes wiedergegeben. Der Autor stellt nicht die Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Theorie des Zeichens dar; er macht aber aufmerksam auf die Anwesenheit einer intersubjektiven Dimension der Sprache in der ersten Fassung dieses systematischen Moments (Jenaer Entwurf I), die Hegel später aufgibt. Lau behauptet mit Recht, daß das Verlassen des intersubjektiven Elements in der Abhandlung des Zeichens im Subjektiven Geist – das die modernen Theoretiker der Sprache empören könnte – nicht als Zeichen einer Hegelschen Vernachlässigung dieses wesentlichen Aspekts in der Natur der Sprache zu lesen ist. Es ist vielmehr die Folge des Reifungsprozesses seines Begriffs der universalen Subjektivität (95). In der absoluten Subjektivität – und nicht in der Beziehung zwischen einzelnen Subjekten – finden der Ursprung der Sprache und die logische Form der sprachlichen Strukturen ihr Fundament. Hegel erkennt die geschichtlich-kulturelle Bestimmung der Sprache, aber – aufgrund der Identität zwischen Sprache und Vernunft – hält er die Sprache für fähig, diese Begrenztheit aufzuheben (113). Im dritten Kapitel („Spekulation und der spekulative Satz“) dringt man zum eigentlichen Kern der Fragestellung vor. Hegels Problem, das schon in den Jugendschriften deutlich ist (162–168), ist das Ausfindigmachen einer Form der sprachlichen Darstellung, die in der Lage ist, das Absolute (d. h. das Wahre) auszudrücken, und zwar trotz der endlichen Form des Urteils (119). Es wird hier wieder das negative Moment der Hegelschen Konstruktion thematisiert, das nun als Dialektik der Grenze verstanden wird. Der Autor untersucht die Paare Endlichkeit – Unendlichkeit und Verstand – Vernunft, um zu zeigen, wie das Moment der Kritik des Endlichen für die Spekulation notwendig ist: Das Endliche ist für das Verstehen des wahren Unendlichen wesentlich, und es stellt ein konstitutives Moment von diesem dar, genau wie der Verstand für die Vernunft notwendig ist. Es ist daher unmöglich, den Hegelschen Begriff der Spekulation zu verstehen, ohne durch die Arten des Denkens als Reflexion hindurchzugehen, obwohl Hegel diese als unangemessen kritisiert: Die Spekulation ist nicht frei vom Moment der Reflexion, sondern sie ist, nach Bubner, eine „Reflexion der Reflexion“ (145). Was Lau bis hierhin behandelt hat, kann so erscheinen, als wäre es bloß eine lange äußerliche Vorbemerkung zur Frage des Urteils; es ist aber notwendig, um die Beson-

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derheit der Hegelschen Urteilslehre zu verdeutlichen. Die Hegelsche Kritik an der traditionellen Art, das Urteil zu verstehen, beabsichtigt nicht, diese durch eine alternative Form des Urteils oder des Satzes (nämlich des „spekulativen Satzes“) zu ersetzen, wie Düsing behauptet hat. Von dieser These distanziert sich Lau, meiner Meinung nach, zu Recht (176–183). Die traditionelle Art, die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat als zwei „ursprüngliche Getrennte“ zu verstehen, ist trotzdem ein notwendiges Moment für das Verstehen der wahren Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat: „Der spekulative Satz ist somit wesentlich eine Satz- bzw. Sprachkritik, die aber keinesfalls in der Zerstörung des natürlichen Satzverhältnisses endet“ (188). Die These des Autors geht dahin, daß genau der kritische Aspekt der Spekulation wesentlich ist: Die Theorie des „spekulativen Satzes“ ist v. a. eine Kritik des natürlichen Satzes. Im vierten Kapitel („Logik und Ontologie“) wird, im Lichte der Hegelschen Urteilskritik, die Zerstörung der traditionellen Metaphysik der Substanz zugunsten eines „subjektivitätontologischen Monismus“ (194) behandelt. Die Verbindung zwischen Urteilslehre und Ontologie wird dadurch gezeigt, daß dargestellt wird, daß die Hegelsche Kritik am natürlichen Weltverstehen – welches auf einer ontologischen Auffassung des Objekts als der schon seit immer gegebenen und vom Akzidens unabhängigen Substanz basiert (228) – sich nicht nur durch eine Kritik am natürlichen Urteil erfüllt, sondern auch durch die Kritik an der vermutlichen Existenz eines unmittelbaren Objektes. Durch die Analyse der Hegelschen Theorie des Namens (208–216) und der Kritik am unmittelbar Gegebenen der „Sinnlichen Gewißheit“ (217–224) zeigt Verf., wie ein Objekt, das unabhängig von Prädikationen ist, für Hegel einen eigentlich leeren Inhalt darstellt. So werden systematische Momente, die auch weit voneinander entfernt sind, von Lau herbeigezogen, um zu zeigen, daß sich eine Urteilstheorie für Hegel immer auf eine Ontologie bezieht und umgekehrt. Der komplexen Hegelschen Metaphysik, die die Substanz als Subjekt denkt, muß eine adäquate Urteilstheorie entsprechen, die in der Lage ist, die traditionelle Unterscheidung zwischen Subjekt und Prädikat zur Einheit einer absoluten Subjektivität zurückzubringen. Der „spekulative Satz“ ist, im Unterschied zum natürlichen Urteil, durch eine doppelte Bewegung gekennzeichnet: den Gang des Denkens vom Subjekt zum Prädikat und die Rückkehr von diesem zum Subjekt. Die Eigentümlichkeit der Hegelschen Philosophie liegt in dieser Bewegung der Rückkehr, die vom Prädikat in das Subjekt zurückkommt, um seine Einheit mit sich selbst zu erlangen. Dadurch wird auch deutlich, daß das Korrelat des wahren Objekts des Erkennens nicht das Subjekt des Satzes ist, sondern das Subjekt des Denkens (239). Die Bewegung des Urteils entsteht aus diesem Prozeß, der die absolute Subjektivität als einzige wahre Substanz ist. Lau hat also nun alle Elemente, um im zweiten Teil des vierten Kapitels Hegels monistische Metaphysik im Vergleich zu den anderen Versuchen des Monismus zu charakterisieren. Dieser Vergleich erfolgt natürlich mit der Philosophie Spinozas, dessen Monismus nicht in der Lage ist, die Bestimmungen in sich aufzunehmen; deswegen kennzeichnet er sich, nach Henrich, als „Theoria negativa“ (262). Hingegen hat die Hegelsche Metaphysik verstanden, daß die wahre Substanz diejenige ist, die in der Lage ist, die Akzidenzien in sich aufzunehmen (264). „Die Substanz als die Grundkategorie der Ontologie überhaupt findet ihre Rehabilitation nun in der Subjektivität, und zwar

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als Begriff, der die Wahrheit der Substanz ist. Diese Rekonstruktion entspricht der Bewegung des spekulativen Satzes vom Prädikat zurück zum Subjekt, die zugleich die Aufdeckung der Wahrheit des Begriffs bedeutet.“ (268) Meiner Meinung nach hat Laus Arbeit das große Verdienst, daß sie die Bedeutung der Lehre des „spekulativen Satzes“ klärt: Diese Lehre ist nicht ein Versuch Hegels, irgendeine neue Form der Sprache herauszufinden, sondern vielmehr die Kritik der natürlichen Sprache und deren zwangsweise unangemessene Art, das Wahre auszudrücken. Leider wird in der Arbeit die Hegelsche Abhandlung des Urteils in der Wissenschaft der Logik nicht behandelt: Ein Vergleich zwischen dieser, welcher auch die Beziehung zwischen Urteil und Schluß betrachten würde, und der Theorie des „spekulativen Satzes“ wäre nicht nutzlos gewesen und hätte vielleicht die These des Autors verstärkt. Das erklärte Ziel der Arbeit: zu zeigen, wie die Urteilskritik in die Mitte der gesamten Hegelschen Philosophie gestellt werden muß, wird durch die Analyse der Hegelschen Hauptkategorien, durch einen Vergleich mit den anderen großen Modellen der Urteilskritik (dem Aristotelischen und dem Kantischen) sowie durch eine Auseinandersetzung des Autors mit den bedeutsamsten Interpretationen der Hegel-Forschung erreicht. Hegels Urteilskritik bietet ein umfassendes Bild der gesamten Hegelschen Metaphysik als holistischen Systems, und dieses Paradigma scheint heute das überzeugendste in der Hegel-Forschung zu sein. Das wissenschaftliche Interesse von Laus Arbeit liegt in der Entscheidung, den logischen und ontologischen Monismus des Hegelschen Systems aus seinem Inneren heraus zu demonstrieren, nämlich von der Bewegung aus, die das eine Substanz-Subjekt erzeugt und die, indem sie sich selbst erkennt und beurteilt, das Ganze realisiert. Lucia Ziglioli (Pavia)

Italo Testa: La natura del riconoscimento. Riconoscimento naturale e ontologia sociale in Hegel (1801–1806). [Die Natur der Anerkennung. Natürliche Anerkennung und Sozialontologie bei Hegel (1801–1806).] Milano-Udine: Mimesis 2010. 499 pp. Bekanntlich bildet zumindest seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts der Begriff der Anerkennung einen Gegenstand intensiver Auseinandersetzung innerhalb der Hegel-Forschung; er gilt sogar als ein wichtiges und verbreitetes Paradigma für die politische Philosophie und Sozialphilosophie der Gegenwart, die zunehmend Bezug auf Hegel nimmt. Daher scheint Italo Testas kühne These, die Anerkennung sei bisher nur ein aufscheinendes, in ihrem theoretischen Potential noch nicht ausgereiftes Paradigma geblieben (11), auf den ersten Blick schwerlich vertretbar zu sein. Verf. des zu besprechenden Bandes nennt aber einige bedenkenswerte und überzeugende Gründe, welche die bisherigen Ergebnisse der Forschung zum Thema ‚Anerkennung‘ als einseitig und begrenzt beurteilen lassen. Da die Anerkennung beinahe ausschließlich als eine praktische und politische Kategorie betrachtet worden ist, sind verschiedene andere Facetten und Dimensionen des Phänomens verlorengegangen, insbesondere der wesentliche Beitrag der Anerkennung zu epistemologischen und ontologischen Fragen. Der Man-

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gel an systematischer Rekonstruktion ihrer lexikalischen und begrifflichen Evolution im Rahmen der deutschen Philosophie zum Ende des XVIII. Jahrhunderts hat sodann die hermeneutische Beschränkung der Anerkennung auf den Bereich der praktischen Philosophie ermöglicht, die jedoch der historischen Vielfalt von Bedeutungen und Gebrauchsweisen des Worts ‚anerkennen‘ nicht gerecht wird. Diese speziellen Lücken der Forschung zeitigen erhebliche Konsequenzen für ein angemessenes Verständnis der Hegelschen Behandlung der Anerkennung: Mit Ausnahme der Beziehungen zu Fichte fehlt noch eine detaillierte Darstellung nicht nur der Entstehung des Begriffs innerhalb der theoretischen Konstellation der Debatte über die Anerkennung, an die Hegel mehr oder weniger explizit anknüpft, sondern auch der Bedeutung des Themas für dessen gesamtes philosophisches Projekt (also nicht nur für seinen praktischen Teil). Testas Werk richtet sich zunächst einmal gegen dieses hermeneutische Vakuum. Er konzentriert sich auf eine Analyse der Schriften aus der Jenaer Zeit vor der Phänomenologie des Geistes (1801–06), indem er den Anspruch erhebt, die Anerkennung als einen Leitfaden für eine einheitliche Interpretation dieser Periode verwenden zu können. Der Band behandelt drei zentrale Themen, denen die inneren Abschnitte des Essays entsprechen: (i) epistemische Anerkennung; (ii) natürliche Anerkennung; (iii) Sozialontologie der Anerkennung. (i) Der erste Teil ist der epistemologischen Funktion der Anerkennung gewidmet (Kap. I), während das zweite Kapitel die historisch-philosophische Konstellation der Positionen innerhalb der Debatte über die Anerkennung erforscht, mit denen Hegel sich auseinandergesetzt hat. Verf. kritisiert damit die Beschränkung der Anerkennung auf den Bereich der praktischen Philosophie, indem er ihre konstitutive Rolle „nicht nur für die Theorie des Selbstbewußtseins und des personhood, sondern auch für die Erkenntnis- und Rationalitätstheorie“ (35) zeigt. Hier ist das Interesse Hegels für die skeptizistische Tradition – insbesondere den griechischen Skeptizismus (Tropen) – von entscheidender Bedeutung: Gemäß Verf. gelte Hegel die Pyrrhonische Lehre der Gleichgültigkeit widerstreitender dogmatischer Gründe zugleich als Voraussetzung für seine Kritik an der Aufklärungsphilosophie und als ‚Embryo‘ der grundlegenden logischen Struktur der anerkennenden Beziehungen. Die theoretische Umgestaltung der Figur der Antinomie, die – als absolute Bezogenheit entgegensetzter endlicher Bestimmungen gedacht – lt. der Differenzschrift das methodische Prinzip der „Reflexion als Vernunft“ (d. h. der Philosophie) ausmacht, übernimmt eine kritische Funktion gegen die geläufige post-cartesianische Strategie, die gesamte Erkenntnistheorie auf der Basis der Unmittelbarkeit des einzelnen Bewußtseins des Subjekts begründen zu können. Denn das skeptische Prinzip der Antinomie richtet sich gegen jede Absolutierung einer endlichen Bestimmung, in diesem Fall gegen eine Form subjektiven Dogmatismus, indem sie die notwendige Einheit mit ihrer entgegengesetzten Bestimmung immer wiederherstellt. Die kritische Funktion der Tropen stellt auch dasjenige Modell der Konstitution des Selbstbewußtseins in Frage, das der Kantianismus in eine skeptischen Krise (Schulze) geführt hatte: Der Bezug auf die alte Skepsis ermöglicht daher die Entwicklung einer pragmatischen und anti-repräsentationalistischen Erkenntnistheorie, die auf eine grundlegende intersubjektivistische Konstitution des erkennenden Subjekts und der ihm gegenüberstehenden objektiven Welt verweist.

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Die lexikalische Analyse des Wortes ‚anerkennen‘ in der deutschen Sprache des XVIII. Jahrhunderts sollte nicht nur eine historische Rechtfertigung für die erkenntnistheoretische Dimension des Begriffs liefern, sondern auch die komplexe Vielfalt seiner Gebrauchsweisen darstellen, welche die gesamte philosophische Konstellation der Hegelschen Aneignung der Anerkennung bildet. Verf. unterscheidet und diskutiert ausführlich vier verschiedene Bedeutungen des Begriffs: Man kann sprechen von einem normativen Sinn der Anerkennung (als Anerkennung der Gültigkeit von Normen und Gesetzen), von einer praktisch-moralischen Bedeutung (eng verbunden mit dem menschlichen Gefühl der Ehre, die lt. Ernst Platners Definition im Resultat als „eine äußere Anerkennung unserer Vorzüge“ [92] zu denken sei), von einem theoretischen Gebrauch (hier ist von der Verbindung zwischen Wahrnehmung, Gedächtnis und Bewußtsein seiner selbst die Rede) und schließlich von einer logischen Bedeutung (Anerkennung als Urteilstheorie, insofern das Urteilen das Anerkennen der Wahrheit eines Satzes impliziert). Zwei Aspekte dieser Rekonstruktion sind besonders interessant: (a) die Hervorhebung des kognitiven Zusammenhangs zwischen Gedächtnis / Erinnerung und Anerkennung sowohl in der transzendentalen Deduktion bei Kant (der von Anerkennung als „Recognition“ spricht) als auch in der rationalistischen Psychologie eines Christian Wolff (Anerkennung als „recognitio“). Die Ergebnisse der Forschungen dieser beiden Autoren scheinen ein gemeinsames Ziel zu teilen, und zwar die Behauptung der Einheit von Selbstbeziehung (subjektivem Bezug auf sich selbst) und objektiver Beziehung auf die Welt innerhalb der reinen Selbst-Anerkennung des Bewußtseins. (b) Die zentrale Rolle Platners und seiner Philosophischen Aphorismen für die Entwicklung des Begriffs der Anerkennung: Er gilt als „der deutsche Autor, der zum ersten Mal das Wort ‚Anerkennung‘ für die Kennzeichnung der anerkennenden Funktion des Gedächtnisses gebraucht hat“ (116). Die Anerkennung wird damit der Angelpunkt seiner Erkenntnistheorie und seiner Deutung der Konstitution des Bewußtseins, und die schon von Kant selbst implizit angedeutete anerkennende Struktur der transzendentalen Apperzeption verliert ihren abstrakten und formellen Charakter zugunsten einer realen, konkreten Form des Selbstgefühls. Die Erwähnung solcher Autoren ist für die Hegel-Forschung besonders relevant, weil einerseits die hier nur kursorisch vorgestellten Standpunkte noch nicht als philosophische Quellen des Hegelschen Verständnisses der Anerkennung in Betracht gezogen worden sind und weil andererseits diese komplexe Konstellation die Bedeutung des Einflusses von Fichte auf Hegel grundsätzlich relativiert. Fruchtbar sind zudem die Erörterungen (im dritten Kapitel dieses ersten Teils) zu einzelnen Schriften Hegels, z. B. den Rezensionen zu Bouterweks und Werneburgs Werken aus der Erlanger Litteratur-Zeitung (1801/02), welche hier – dem Verf. sei Dank – eine wohlbestimmte Rolle in Hegels Bestimmung der Anerkennung spielen. (ii) Mit dem zweiten Teil des Bandes setzt eine detaillierte Auseinandersetzung mit Hegels Schriften ein. Hier wird die andere zentrale hermeneutische These des Essays eingeführt: Anerkennung bestehe aus zwei unterscheidbaren Stufen, einer (erst-)natürlichen Anerkennung, zu der wir einfach als Lebewesen fähig sind, und der geistigen, zweit-natürlichen Anerkennung, die wir erst durch die Erziehung in einer bestimmten Lebensform und durch gewisse Gewohnheiten bildende Sozialisationsprozesse erwerben können. Die Rekonstruktion von Hegels Jenaer Schriften versucht zu beweisen, daß

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die Struktur der Anerkennung schon auf der Ebene der vormenschlichen natürlichen Welt vorhanden ist, so daß von einer „Naturphilosophie der Anerkennung“ (163) die Rede sein kann. In der Differenzschrift wird die Anerkennung schon auf der Ebene der sexuellen Beziehungen im Tierreich explizit eingeführt: Die Anerkennung – als natürlicher Mechanismus für die Regulierung der Begattung – ermöglicht eine wechselseitige kognitive Identifizierung der Partner in ihrer sexuellen Differenz und eine praktisch-axiologische (auch wechselseitige) Zuschreibung eines jeweils spezifischen erotischen Wertes. Im System der Sittlichkeit wird die Anerkennung als „das höchste Resultat des natürlich-tierlichen Prozesses“ (198) gedacht, i. S. der Hervorbringung einer ersten Form von Individualität, von präreflexiver Orientierung, welche die natürliche Vorform des Bewußtseins von sich selbst ist. Testa liest auch die Jenaer Vorlesungen zur Naturphilosophie von 1803/04 (insbesondere die Philosophie des Organismus) als eine Analyse desjenigen Individuationsprozesses, der ein organisches Selbst mit elementaren anerkennenden und kommunikativen Fähigkeiten ausstattet. In den Jenaer Philosophien des Geistes (1803/04 bzw. 1805/06) präsentiert sich die natürliche Dimension der Anerkennung auf der Stufe der sexuellen Reproduktion, der Liebe und der familiären Kindeserziehung, welche die erste Form der natürlichen Gemeinschaft darstellt. Diese Formen der Interaktion bilden die natürliche Dimension der Anerkennung, insofern es das natürliche Selbst ist, das anerkannt wird, d. h. das noch nicht geformte und erzogene Individuum, das noch keine geistige zweite Natur erworben hat. Wenn man nun das Verhältnis zwischen diesen zwei Dimensionen der Anerkennung berücksichtigt, scheint es plausibel zu sein, von einer genealogischen Rekonstruktion des Geistes und der Normativität geistiger Beziehungen aus ihren natürlichen Bedingungen heraus zu sprechen: Hegel habe nicht nur gezeigt, daß der Geist seinen Ursprung in der Natur hat, sondern auch, daß seine höheren Entwicklungsstufen noch immer die Natur als ihre Bedingung haben und nicht unabhängig von ihr existieren können. Zwischen Natur und Geist bestehe also eine gewisse dialektische Kontinuität: Deswegen solle die Philosophie des Geistes beschreiben, wie sich im Ausgang von den Formen des natürlichen Anerkennens über den Kampf um Anerkennung die Formen des geistigen, zweit-natürlichen Anerkennens herausbilden können. Der quantitativ umfangreichste Teil des Bandes ist der Analyse und Interpretation der Philosophien des Geistes von 1803/04 bzw. 1805/06 gewidmet. So beabsichtigt Verf., sowohl seinen genealogischen Vorschlag anhand der Texte zu überprüfen als auch eine erste systematische Fassung der Hegelschen Theorie der Anerkennung zu geben, welche die verschiedenen Dimensionen des Phänomens innerhalb eines einheitlichen theoretischen Gerüstes zu umfassen beansprucht. (iii) Das gilt insbesondere für die Philosophie des Geistes von 1805/06, deren Interpretation den dritten und abschließenden Teil des Bandes ausmacht. Hier gewinnen die in den anderen Jenaer Schriften auftauchenden Elemente erst eine einheitliche und systematische Form. In dem Abschnitt „Intelligenz“ werden die epistemische Leistung der Anerkennung als Vermögen kognitiver Identifizierung und die Verflochtenheit zwischen individueller und intersubjektiver Anerkennung thematisiert; durch die Analyse des „Willens“ behauptet Hegel sodann die Einheit des praktischen und des theoretischen Moments im Rahmen einer Theorie des Erkennens als Anerkennen; die Katego-

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rie der „geistigen Anerkennung“ dient schließlich zur Darstellung der interaktionistischen Struktur gesellschaftlicher Institutionen (des Rechts, des Marktes und des Staates), in denen sich die verschiedenen Stufen der normativen Dimension der Anerkennung verleiblichen müssen. Nur innerhalb dieses sozialen Raumes von gemeinschaftlichen Institutionen können diejenigen Interaktionen, welche die noch in ursprünglichnatürliche Umwelt eingetauchten, lebendigen Organismen bilden können, eine vernünftige Stabilisierung, eine institutionelle Verfestigung und eine normative Potenzierung finden.Von hier aus führt Testa seinen letzten hermeneutischen Vorschlag ein: Die Hegelsche Anerkennungstheorie sei auch als ein sozialontologisches Paradigma zu deuten. Es handele sich nämlich um eine Theorie über die Genese und die Struktur derjenigen (individuellen und sozialen) Fähigkeiten, „die das Einrichten einer gemeinschaftlichen Welt ermöglichen und zugleich die Logik rekonstruieren, die von den kausalen natürlichen bis zu den normativen Beziehungen des Geistes führt“ (83). Der Verweis auf die Sozialontologie, die zudem durch einen kurzen „Exkursus“ (215 ff.) über die Theorie John Rogers Searles ergänzt wird, zeigt eine grundlegende Tendenz des Bandes, d. h. den Versuch, Hegel in die aktuelle systematische Diskussion als eine mögliche Option zu integrieren (insbesondere sind hier die Positionen zur Anerkennung von Axel Honneth, Robert B. Brandom und Paul Ricœur von großer Bedeutung). Einer der wichtigsten Vorzüge dieses innovativen und äußerst originellen Bandes besteht in einer Erweiterung der Grenzen der Hegel-Forschung zum Begriff der Anerkennung, der hier als ein Schlüsselbegriff der Hegelschen Erkenntnistheorie, der Ontologie, der praktischen Philosophie und sogar der Naturphilosophie geltend gemacht wird. Die sehr kühnen hermeneutischen Thesen des Verf.s gleichen sich durch eine ausführliche historische und philosophische Rekonstruktion der Jenaer Schriften aus, die stets als der endgültige Prüfstein für die theoretische Auslegung in Betracht gezogen werden. Für die Erläuterung der theoretisch-kognitiven Bedeutung des Anerkennens hätten vielleicht die Partien über Logik und Metaphysik (1804/05) eine größere Beachtung verdient, während Verf. sie lediglich am Rande in dem erwähnten kurzen „Exkursus“ (367–371) behandelt. Was schließlich die Genealogie der geistig-anerkennenden Beziehungen aus Formen von (erst-)natürlichen Interaktionen heraus betrifft, scheint es manchmal undeutlich zu sein, inwiefern diese Erklärungsstrategie keinen reduktionistischen Ansatz impliziert. Obwohl Testa deutlich für ein dialektisches Verständnis des Verhältnisses zwischen erster und zweiter Natur plädiert, hätte ich noch ausdrücklicher und eingehender jede ‚essentialistische‘ Betrachtungsweise des menschlichen natürlichen anerkennenden Vermögens abgelehnt, das die Methode der Genealogie mit einer Form von ‚natürlichem Dogmatismus‘ infizieren könnte. Filippo Ranchio (Venezia / Frankfurt a. M.)

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Luigi Ruggiu / Italo Testa (Eds.): Lo Spazio Sociale della Ragione. Da Hegel in Avanti. [Social Space of Reason. From Hegel onwards.] Milano: Mimesis 2009. IV, 491 pp. This insightful collection of articles consists of the proceedings of a conference by the same title that took place in 2008 in Venice – one in a number of events and research activities promoted by Luigi Ruggiu at the University of Venice, and which opened up a fruitful and substantial season of international and multidisciplinary discussion on the importance and originality of Hegel for contemporary debate in philosophy and beyond. This volume carves its own ‘space’ of reflection in the aftermath of the philosophical shift from Wilfrid Sellars’ well known perspective of the ‘logical space of reasons’ (as in his Empiricism and the Philosophy of Mind. Minneapolis 1956) to its subsequent interpretation as a ‘social space’ (as for example in Brandom’s Making It Explicit. Cambridge, Mass. 1994) – namely that complex structure of contextualised inferences where knowledge becomes a form of intersubjective exchange among people committed and entitled to assess the correctness and reliability of propositional contents. The reference to Sellars is not accidental. It was indeed he who initiated the interest of analytic philosophy in Hegelian philosophy and in the conceptual resources which such philosophy can offer to the resolution of some of the deepest problems posed by post-empiricism – in particular, its controversial relation to ontology. It was through this route that Hegel became a figure of reference for American pragmatism, and later a focus for a dynamic and exciting encounter between Anglo-American and European Hegelian scholarship. Equally it is no accident then that this book elects Hegel as the father figure that makes the shift from the logical to the social space of reasons conceptually possible. Given the motley panorama of contemporary interpretations of Hegel, this collected work is both timely and unique: it firmly and critically positions itself visà-vis revived forms of traditional neo-idealist interpretations of Hegel’s philosophy, and at the same time it does not shy away from confronting a series of controversial and still open ontological issues which have been hastily brushed aside by certain anti-Hegelian scholarship. The profile that emerges from the pages of this volume is not (just) that of a philosopher who brings the metaphysical impasse of post-Kantian philosophical discourse to its final resolution. It is rather that of a philosopher who is able to offer essential clues to investigate the new forms of rationality which originates from the gap left open by post-metaphysic philosophy, and more specifically to ‘understand the contemporary social space in rational terms and at the same time rethink rationality starting from its roots in social practices.’ (translated from Introduction, p.ii) The ‘sociality of reason’, as Pinkard defines it (see: Hegel’s Phenomenology: The Sociality of Reason. New York, NY 2000), takes centre stage in the valuable and important attempt to re-launch the meaning and role of philosophy in contemporary world. There are at least three domains where, by breaking free from traditional philosophical reflection, Hegel’s legacy offers direction to such a meaning and role (they are all well known domains, so a cursory reference to them will suffice): 1) a change in perspective regarding subjectivity. The Hegelian subject of knowledge ceases to be an epistemological subject (in the Cartesian or Kantian fashion) and

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becomes a human subject, a subject with a history and even (as recounted in Hegel’s Phenomenology) a biography; 2) a change in perspective regarding knowledge. Hegel, unlike his predecessors in the Cartesian tradition, argues for a rationality in context. As a consequence reason becomes necessarily interrelated with the particular conceptual schemes of the different disciplines of knowledge where reason is exercised, and more generally with the historical moment(s) where reason emerges and operates; 3) a change in perspective regarding the object of knowledge. Hegel rethinks the Kantian idea of the object of knowledge beyond and outside the limits of phenomenic experience, aiming at privileging the role that a historical and social horizon of human practices has on the depiction of such an object. By rejecting any form of representationalism, the conceptual contexts where knowledge is pursued become an integral part of knowledge itself and of what it is knowledge of. All these domains in their various and yet specific ways provide a suitable milieu of inquiry for contemporary debates in philosophy and in the human sciences, and are able to galvanize an equally various, multidisciplinary array of scholars into bringing into focus themes and aspects which are at the core of contemporary discussion. It must indeed be noticed that not all the authors included in this volume are ‘Hegelian’, nor do they share the socially-alert philosophical reconstruction of Sellars’ image of the space of reasons articulated by Brandom. Nonetheless, each from their own understanding of the ‘space of reasons’ shows how the Hegelian conceptual armory can be fruitfully confronted, as well as eclectically used, to promote and further the debate in a large number of domains of analysis. This is indeed amply demonstrated by the thematic sections of this volume. In sect I of the volume, the Fragestellung of the objective spirit solicits an interesting exploration of the idea of community, and in particular the problems of collective identity and social institutions (Luigi Ruggiu, Vincent Descombes, Vincenzo Vitiello, Giuseppe Cantillo, Diego Zucca). The Hegelian idea of objective spirit (despite its different interpretations) is what for example can account for the presence of ‘the social’ in individuals’ minds: if interpreted as an impersonal precondition to the existence of social institutions it can explain the way in which individuals take part in the social practices of their communities, and what motivates them to act as a collectivity, that is as a social group rather than a mere multitude of atomistic entities. The never ending debate between individualism and holism seems to find in the Hegelian category of objective spirit a tool for thinking of the social identity of individuals beyond an ontology of mere intentions, and rather in terms of a policy (partly ethical and partly political) of pre-contextualized commitments. Similar issues are raised in the final section of the volume, where further digging into the theory of Geist (paired, for example, with the Hegelian conception of Sittlichkeit) sheds light on the normative, ethical, rule-bound nature of social institutions and the source of their legitimization (sect.V: Jean-Françoise Kervégan, Raimo Toumela, Francesca di Lorenzo, Franca D’Agostini, Francesco Mora). A shared interest in the ontological commitments of a Hegel-type institutionalism (either in its weak or strong interpretations) brings to the fore an interesting reflection on how individual reasons

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can combine with universal constraints in the composition of a well adjusted concept of social community, and more generally, of social reality. In the light of this reflection, even a not particularly Hegelian notion of collective intentionality, for example in the version put forward by John Rogers Searle, might find in the Hegelian attention to rationality and language its explanatory kin. The theme of community and that of intentionality return in sect II and sect IV respectively. The former expands on the broader dimension of a globalized society, and the problems posed by a plural understanding of the public spheres of reason are addressed in terms of the Hegelian vision of a Weltgeschichte (sect II: Nancy Frazer, Giacomo Marramao, Salvatore Natoli, Giovanni Bonacina). Contemporary societies are institutionally, politically, ethically pluralistic. The reality of a ‘bounded society’ has been superseded by the existence of trans-national and trans-social forms of social interaction, which themselves engender structural tensions between different values and different reasons in public debates on global issues. Universality and differentiation need to be recomposed in a way such that a new ‘glocal’ society (global and local) finds in them suitable resources for survival, rather than just opportunities for conflict of identity and political confusion. Hegel’s dialectical perspective shows us one possible way of how ‘to keep things together’. The latter theme is further explored in the context of the theory of consciousness and self-consciousness as emerging from Hegel’s Phenomenology, in an attempt to reconcile the natural dispositions and the social abilities of the individual subject (sect IV: Robert Brandom, Stefano Poggi, Italo Testa, Danielle Macbeth, Kenley Dove). Reason and experience, internal and external motivation, normativity and nature, rather than being disjunctive poles, all mutually point at the intrinsically interactive and intersubjective/interpersonal structure of rationality. Central to this reconciliation between the natural and the social is the category of recognition (Anerkennung), that natural disposition which allows human animals to evolve out of their status of being ‘mere’ animals and to develop a form of life (to use here an anachronistic expression) peculiar to them. The Hegelian strategy (strategies) of recognition – when aptly interpreted – can elicit an original reflection on the highly contested concept of personhood, its different levels of identification, and their practical role in organizing our lives, there included the complex dynamics of the relations between peoples and between cultures (sect. III: Charles Larmore, Heikki Ikäheimo, Ugo Fabietti, Biagio De Giovanni). An idea of recognition goes hand in hand with those of identity, dignity, freedom – those universal ideas which arguably allow particularities and differences to thrive without necessarily subduing them to a logic of mutually hostile prevarication. This rather general description of the thematic sections of this volume does not by any means do justice to the originality of individual perspectives, which could only be fully appreciated by dealing specifically with each single contribution to this volume. Taken as a whole, however, it does at least give an idea of the deep issues and challenges at stake, both for Hegelian scholarship and for its applications beyond the scope of Hegel’s own philosophical system. This volume certainly proves to be one of a kind: a thought provoking addition to the larger debate, and a compelling

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demonstration of how this debate can profit from cross-disciplinary expertise and analysis. Eleonora Montuschi (London)

Takeshi Gonza: Hegel ni okeru Risei, Kokka, Rekishi. [Vernunft, Staat und Geschichte bei Hegel.] Iwanami-Shoten [Iwanami-Verlag]: Tokio 2010. 393 S. Das vorliegende Buch behandelt die Geschichts- und Rechtsphilosophie des reifen Hegel vor dem Hintergrund der philosophischen Entwicklung des jungen Hegel. Der Autor macht in der Vorrede seinen Standpunkt deutlich: Er verstehe Hegels Geschichtsphilosophie nicht als Urtyp einer geschichtlichen Entwicklungsstufentheorie, sondern als Resultat aus Erfahrungen der Kulturberührung, weil die westlich-christliche Kultur selbst nichts anderes als ein geschichtliches Ergebnis ihrer Berührungen bzw. Auseinandersetzungen mit heterogenen Kulturen sei. Dies gilt nach seiner Ansicht auch für Hegels gesamte Philosophie. Die Entwicklung von Hegels Denken läßt sich somit als Vereinigung heterogener Gedanken von unterschiedlicher Herkunft auffassen. Unter diesem Gesichtspunkt versucht Gonza die Entwicklung von Hegels Geschichts- und Rechtsphilosophie aufgrund der einschlägigen Vorlesungsnachschriften und -manuskripte zu rekonstruieren, wobei er sich bemüht, die allgemein verbreiteten Ansichten in Frage zu stellen und neue Interpretationsmöglichkeiten zu erproben. Im ersten Teil (Kap. 1–3) verfolgt der Autor die Entwicklung der Geschichtsphilosophie, indem er die Vorlesungsnachschriften von 1822/23 mit dem Vorlesungsmanuskript und den Vorlesungsnachschriften von 1830/31 vergleicht. Aus der Einleitung zu den Vorlesungen von 1822/23 geht hervor, daß Hegel den Endzweck der Weltgeschichte, den er „die Vernunft in der Geschichte“ nennt, aus der „Natur des Geistes“ erklärt, wobei er den Geist nach der christlichen Trinitätslehre als „Im-anderen-bei-sich-Sein“ versteht. Die Weltgeschichte ist also der Gang der Selbsterkenntnis des Geistes, die wiederum mit der Selbsterkenntnis Gottes gleichzusetzen ist. Anstelle dieses theologischen Leitmotivs tritt, so Gonza, in den Vorlesungen von 1830/31 der Freiheitsgedanke in den Vordergrund, so daß die Weltgeschichte als „der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ anzusehen ist, wobei die Freiheit als das „Bei-sich-selbst-Sein“, die Unabhängigkeit von einem Anderen aufgefaßt wird. Die Weltgeschichte ist nun der Stufengang der Entwicklung der Freiheit, welcher Gedanke uns in der einfachen Formel bekannt ist, daß in der orientalischen Welt Einer frei ist, in der griechischen und römischen Welt Einige und in der germanischen Welt Alle frei sind. Diese Änderung beklagt der Autor, weil im Freiheitsbegriff als Bei-sich-selbst-Sein jenes Spannungsverhältnis des Geistes zu dem Anderen seiner selbst, das vom Geistbegriff als Im-anderen-bei-sich-Sein in den ersten Vorlesungen noch zu spüren ist, verlorengegangen sei. Dies wirkt sich auch auf die Geschichtsschreibung aus: Die Weltgeschichte, die nach der Konzeption der ersten Vorlesungen als Resultat des Dialogs zwischen heterogenen Kulturen aufzufassen ist, ist als geradliniger Stufengang der Erweiterung der Freiheit anzusehen, welche Ansicht auf die Hierarchisierung verschiedener Epochen oder Kulturen hinausläuft. Gonza

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stellt daher die These auf, daß Hegels Geschichtsphilosophie in ihrer ersten Gestalt eine alternative Lesart zuläßt, nämlich die Weltgeschichte als Resultat der Berührungen der unterschiedlichen Kulturen und somit als wiederholte Vorgänge der „Horizontverschmelzung“ durch die Umbildung des Fremden zu verstehen. Im zweiten Teil (Kap. 3–6) werden zentrale Aspekte von Hegels Staatslehre, u. a. deren Souveränitätsbegriff, thematisiert, nicht weil der Autor sich dafür stark machen will, sondern weil die bisherige Forschung ihre Aufmerksamkeit zumeist nur auf die Lehre der bürgerlichen Gesellschaft gerichtet hat. Dies hat – wie er im Überblick über die Debatten um die Rechtsphilosophie zu Recht bemerkt (Kap. 6) – seinen guten Grund: Da der wirkungsmächtige Vorwurf Hayms, daß Hegels Rechtsphilosophie – v. a. deren Staatslehre – nichts anderes als ein Beleg für seine Akkomodation an die preußische Restauration sei, bis zur Nachkriegszeit nachklang, ist es für viele Hegel-Forscher zur vorrangigen Aufgabe geworden, dieses Bild von Hegel als reaktionärem preußischen Staatsphilosophen zu widerlegen. Ritter z. B. versteht Hegels Philosophie im Zusammenhang mit der Französischen Revolution, und nach ihm lokalisiert Riedel ihren geschichtlichen Standort „zwischen Tradition und Revolution“. Beide heben dabei den modernen bzw. emanzipatorischen Charakter der Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft hervor. Dagegen deutet Avineri im Verweis auf die Stein-Hardenbergschen Reformen Hegels Verhältnis zum damaligen Preußen eher als Indiz seiner liberalen Einstellung. Was für viele Interpreten, gleichgültig, ob sie pro oder contra Hegel argumentieren, lange als Kriterium für seinen politischen Standort galt, ist die Nähe bzw. Ferne zum preußischen Staat. Um sich aus einem solchen interpretatorischen Rahmen zu befreien, versucht Gonza, Hegels Rechtsphilosophie aus anderen geschichtlichen Zusammenhängen zu erhellen. Er schlägt zum einem eine alternative Lesart vor, nämlich unter Hegels Kontinuität mit der Tradition nicht die Rezeption des aristotelischklassischen Naturrechts, sondern die Anknüpfung an die hebraistisch-theologische Tradition seit Augustinus zu verstehen, ebenso wie unter seiner Diskontinuität nicht die Erfahrung der Revolution, sondern den auf die Niederlage gegen Frankreich folgenden Untergang des Heiligen Römischen Reichs und die politisch-gesellschaftlichen Reformen in den Rheinbundstaaten. Im 4. Kap., dessen deutsche Fassung in den Hegel-Studien 41 (113–147) unter dem Titel Die Reichsauflösung, Rheinbundreformen und das Problem der Staatssouveränität. Entstehung der Hegelschen Souveränitätstheorie und ihr geschichtlicher Hintergrund erschienen ist, rekonstruiert Gonza die Entstehung von Hegels Souveränitätslehre, indem er ihre geschichtlichen Hintergründe im Rekurs auf neuere verfassungsgeschichtliche Forschungen über Reichs- und Rheinbundpublizistik erhellt. Zum anderen legt der Autor im 5. Kap. die Entstehung von Hegels Staatslehre unter dem doppelten Gesichtspunkt der Verbindung von Republikanismus und Protestantismus sowie der Rezeption der Souveränitätslehre und der Tradition des Konstitutionalismus dar. Er versucht zu zeigen, daß die spezifische Bemühung des reifen Hegel darin bestehe, seinen jugendlichen Republikanismus mit dem Subjektivitätsprinzip des Protestantismus zu versöhnen, indem er in seiner Staatslehre den republikanischen Gedanken des sittlichen Ganzen mit dem Gedanken der Subjektivität des Souveräns verbindet. Im dritten Teil (Kap. 7–8) geht der Autor im Anschluß an von Henrich und Pöggeler angeregte Forschungen über den jungen Hegel der Entwicklung des Hegelschen

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Denkens bis zur Phänomenologie des Geistes nach, wobei besonders die folgenden zwei innovativen Punkte Beachtung verdienen: Im 7. Kap., das die Politik und Religion des jungen Hegel aufgreift, versucht Gonza, in der endgültigen Fassung vom „Geist des Christentums“ eigene Gedanken des Frankfurter Hegel zu identifizieren, die nicht auf die philosophische Zusammenarbeit mit Hölderlin zurückzuführen sind, während die bisherige Forschung, vertreten z. B. durch Jamme und Kubo, eher parallele Entwicklungen sehen will. Dem Autor zufolge teilt Hölderlin zwar mit Hegel jenen Gedanken der Entwicklung von der ursprünglichen Vereinigung über die Trennung zur Wiedervereinigung, aber weder im Hyperion noch im Tod des Empedokles findet sich eine klare Unterscheidung zwischen den beiden Vereinigungen, so daß bei Hölderlin Anfang und Ende wie bei einer Kreisbewegung zusammentreffen. Daher sei der Gedanke des Lebens, der im Systemfragment von 1800 als „Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ formuliert ist, allein Hegel zuzuschreiben. Im 8. Kap. geht Gonza der Genese des Geistbegriffs in der Jenaer Zeit nach. Für die Entstehung des Geistbegriffs sind nach ihm die folgenden drei Quellen einschlägig: 1) das Religionsverständnis in dem von Rosenkranz und Haym überlieferten Vorlesungsmanuskript über Naturrecht, nach dem u. a. die Idee des Gottmenschen und die Trinitätslehre als die „spekulative Idee des Geistes“ aufgefaßt werden, 2) der Geistbegriff in der „Metaphysik“ der Jenaer Systementwürfe II, nach dem der Geist sich selbst entäußert und im Gegenteil seiner selbst sich selbst anschaut, und 3) die Vollendung des Geistbegriffs im Religionskapitel der Phänomenologie, in dem die Trinitätslehre in die Transzendentalphilosophie aufgenommen wird. Gonza behauptet daher, daß die berühmte Auffassung der Substanz als Subjekt in der „Vorrede“ der Phänomenologie im Zusammenhang mit den Gedanken im Religionskapitel gedeutet werden müsse. Das Buch ist gekennzeichnet durch die kontinuierliche Bemühung, dem japanischen Publikum ein ausgewogenes Bild von Hegels Philosophie zu vermitteln. In der japanischen Hegel-Forschung hat z. B. die Beziehung zum Marxismus eine große Rolle gespielt, weil sich hauptsächlich marxistisch geprägte Intellektuelle mit Hegel auseinandergesetzt haben. Dementsprechend hat die Lehre der bürgerlichen Gesellschaft lange im Mittelpunkt des Interesses gestanden, während die „berüchtigte“ Staatslehre immer im Hintergrund geblieben ist. (Dafür bezeichnend ist, daß die volkswirtschaftliche Studie Hegel als Ökonom von Priddat die Aufmerksamkeit der japanischen HegelForschung in besonderem Maße auf sich zog und zügig ins Japanische übersetzt wurde.) Gegen diese Einseitigkeit versucht Gonza, wie oben gesehen, im Anschluß an neuere europäische Forschungen Hegels Staatslehre ins rechte Licht zu rücken. Auch Hegels Verhältnis zur christlichen Religion ist in Japan zumeist viel weniger angemessen berücksichtigt worden als in den christlich-europäischen Ländern. Um diesem Mißstand abzuhelfen, macht Gonza immer wieder auf das christliche, v. a. protestantische Prinzip in Hegels Denken aufmerksam. Das Buch bemüht sich dabei oft, einen Schritt über den Standard der heutigen Hegel-Forschung hinauszugehen, indem es den herrschenden Ansichten alternative Deutungen entgegenstellt und zu aktuellen politischen Diskussionen wie z. B. dem Multikulturismus oder dem „Ende der Geschichte“ Stellung nimmt. Eben deshalb ist ein baldiges Erscheinen seiner deutschen Ausgabe zu wünschen, damit es über den

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japanischen Gelehrtenkreis hinaus auch die internationale Hegel-Forschung anregen kann. (Neben dem oben erwähnten 4. Kap. steht eine deutschsprachige Fassung des 1. Kap. zur Verfügung: „Kann ‚die Vernunft in der Geschichte‘ Allgemeingültigkeit für das Menschengeschlecht in Anspruch nehmen? Entstehung der Hegelschen Geschichtsphilosophie und ihr theologisch-verfassungsgeschichtlicher Hintergrund.“ — In: The Hokkaido Law Review. Hokkaido. 52 [2002], 6, 2192–2164. – Das 3. Kap. wird unter dem folgenden Titel bald erscheinen: Die europäische Neuzeit als Säkularisationsbewegung. Der Realisierungsprozess der Freiheit und ihre Begründung in Hegels Vorlesungen über die Geschichtsphilosophie 1830/31. – In: Christoph Jamme und Yoichi Kubo [Hgg.]: Wie systematisch ist der Systematiker Hegel?. Keiji Sayama (Sapporo)

William E. Conklin: Hegel’s Laws. The Legitimacy of a Modern Legal Order. Stanford, California: Stanford University Press 2008. xii, 381 pp. (Jurists: Profiles in Legal History. William Twining, General Editor) Die vorliegende Arbeit unternimmt eine Analyse der Grundlinien der Philosophie des Rechts, die sich an folgender Frage orientiert: „why is a legal unit binding in a culture which adscribes to the autonomy of a thinking being?“ (1) Aus dem Titel des Buches ist sein Thema zu entnehmen: die Legitimität moderner Verfassungen: „Objective freedom raises the issue of the legitimacy of institutions and their laws in a culture of the autonomous thinking individual.“ (11) Conklins Frage nach der Legitimität neuzeitlicher Institutionen ist letztlich die Frage nach der Form des Geltens. Der Standpunkt, der die Form des Geltens als die Seinsweise des Rechts begreift, ist unvereinbar mit den Denkformen, die das Recht als eine Wirklichkeitsform des Vorhandenseins auffassen. Deswegen kritisiert Conklin zutreffend vom Hegelschen Standpunkt aus die Methodologie des heutigen „Rechtsdenkens“ („legal reasoning“, 83), denn sie setze Inhalte voraus, die es aus der Tätigkeit des Denkens nicht ableiten könne: „The ‘givens’ are usually posited in a text called ‘the Constitution’ or in the intent of the Founding Fathers or in unwritten conventions such as the ‘rule of law’ or the ‚independence of the courts’.“ (Ibid.) In dieser Hinsicht nennt der Verf. den Hegelschen Standpunkt „antimethod“, denn „he attempts to explicate the activity of thinking immanent in the movements of legal conciousness before the official ever posits the fundamental interest or objectivity of a statute.“ (Ibid.) Hegels Rechtsdenken erhebe das „Innerste“, d. h. das Faktum der Freiheit, zum Prinzip des Rechts. Seine Überlegenheit liege darin, daß es nicht mehr mit Fakten, mit Gegebenheiten operiere, die der Subjektivität, dem Denken äußerlich sind. Der Inhalt des abstrakten Rechts wird anhand dieser Frage thematisiert: „how legitimacy emanates from the increasing self-consciousness of subject“ (115). Hinsichtlich der Objektivität der Normen sei zwischen zwei bewußtseinsgeschichtlichen Phasen zu unterscheiden: „the objectivity of nature“ und „the objectivity of consciousness“ (116). Die „Objektivität des Bewußtseins“ „generates abstract right“ (125). Die Person

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sei als „pure self-reference“ (117) die erste und abstrakte Gestalt der „Objektivität des Bewußtseins“. Die Herausbildung der Rechtspersönlichkeit sei zugleich das Heraustreten aus der Objektivität der „natürlichen“ Sittlichkeit. Verf. faßt die Rechtsperson als „a monad isolated and indifferent to other persons as persons“ (118) auf. Die äußere Sphäre der Person, das Eigentum, sei der zweite Begriff der „Objektivität des Bewußtseins“. Aufgrund des monadischen Charakters der Rechtsperson sei der Vertrag „the first such moment of recognition“ (115). Das Verbrechen trete immer als Dasein des freien Willens auf mit einem Anspruch auf Allgemeinheit. Es sei die Negation der Legitimität der „Objektivität des Bewußtseins“: „Why is the legitimacy of the objectivity of consciousness challenged by a criminal, according to Hegel? Because the legitimacy of the objectivity of consciousness rests with the free will of an observed individual“ (140). Die Strafe sei die Wiederherstellung der Legitimität des abstrakten Rechts durch die Negation der Negation, durch die Rehabilitierung der Allgemeinheit des Rechts. In der Gestalt des Verbrechens und der Strafe vollziehe sich die Reflexion des Willens in sich („the turn to intentionality“, 147). Auf dieser höheren Ebene erhalte die Frage nach der Legitimität der Rechtsverhältnisse eine neue Dimension (vgl. 148). Bezüglich der zweiten Sphäre des objektiven Geistes, der Moralität, verweist Conklin auf Gestalten der Subjektivität und Entwicklungslinien, die aus einem Selbstmißverständnis der Freiheit des subjektiven Willens entstehen: den „romantischen Subjektivismus“ und die Trennung von Legalität und Moralität bei Kant und Fichte. Beide Standpunkte führen lt. Conklin zu den Aporien eines „juristischen Formalismus“ (149): „Hegel finds both elements of intentionality problematic because the arbitrariness of the will displaces ethicality in both traditions.“ (Ibid.) Verf. charakterisiert den „romantischen Subjektivismus“ durch die sich verfehlenden Gestalten der Subjektivität, die in § 140 der Grundlinien dargestellt werden. In dieser Entwicklungslinie wird das Gute erstens zu einem Anschein („illusion of objectivity“, 153) depotenziert und zweitens auf eine willkürliche Setzung des subjektiven Willens („arbitrariness of the will“, ibid.) reduziert. Der „juristische Formalismus“ könne insofern das Böse zur Folge haben. In der zweiten Tradition werde durch die Trennung von Legalität und Moralität die „Intentionalität“ der Handlung („moral intentionality“, 155), die „Sinnlichkeit“, außer Acht gelassen. Diese Abstraktion führe zur Auffassung des Rechts als einer Wirklichkeit jenseits der menschlichen Sphäre der Freiheit. Das Recht werde dadurch als „transcendental referent“ (156), als „a reified legality external to human subjectivity“ (157) begriffen. Nach der Thematisierung der Fehlentwicklungen der Subjektivität beschäftigt sich Conklin mit der Rückbindung des subjektiven Willens an die allgemeine Objektivität des Rechts, d. h. mit der Überleitung in die Sphäre der Sittlichkeit. Diese „Vereinigung“ des subjektiven Willens und der Allgemeinheit des Rechts vollzieht sich lt. Conklin durch immanente Vernunftstrukturen der Sittlichkeit, die in Anerkennungsverhältnissen bestehen. Hegel fasse die Subjektivität als eine „monadische“ Entität auf und „needs to incorporate intersubjectivity into his theory of law“ (177). Deswegen fragt Conklin nach der Triebkraft, die zur Anerkennung zwischen „monadischen“ Subjekten führe. Liebe sei die vereinigende Kraft der Sittlichkeit. Dies sei ein Einfluß von Hölderlin. Um diese Interpretation zu begründen, analysiert Conklin die sittliche Gestalt

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der Familie. Nach diesem Beweis weitet er dieses Prinzip problemlos auf alle Gestalten der Sittlichkeit aus: „Contrary to Kant, love (not sexual desire) generates the desire to marry and form a family. So too, love drives the individual to bond with social organizations, such as guild or corporation, and, ultimately, with institutions of the state and of the international legal order.“ (181) Die Liebe sei eine besondere Manifestation der allgemeinen Triebkraft des Geistes, die Conklin als mysteriös charakterisiert: „Hegel explains that there is something ingrained in the individual’s subconscious that drives her or him on and on to recognize other social beings. This ‘something’ is love or, more generally, spirit.“ (187) In Bezug auf die sittliche Gestalt der Familie wird die Ambivalenz der Hegelschen Rechtsphilosophie hervorgehoben. Die Familie sei bei Hegel einerseits mit dem Standpunkt seiner Zeit behaftet. Die natürliche Unterscheidung zwischen Mann und Frau sei die Grundlage für die auch „natürliche“ Unterscheidung innerhalb der Familie zwischen „Innen“ und „Außen“. In Hegels Philosophie finde man anderseits das Begriffspotential für die Überwindung der Fixierung auf diese geschichtliche Gestalt der Familie. Hegels Begriffsinstrumentarium rekonstruiere, wie der Geist die Naturbestimmungen zu Naturmomenten depotenziere und die natürlichen Bestimmungen in sittliche Bestimmungen transformiere. Hegel begreife sämtliche Rechtgestalten als geschichtliche Objektivationen des selbstbewußtwerdenden Willens. Problemlos lasse sich durch das Hegelsche Begriffsinstrumentarium die Fixierung auf eine bestimmte geschichtliche Gestalt der Familie kritisieren und die weiteren Gestalten der Familie als eine weitere Vergeistigung der Naturmomente rekonstruieren. Zum Beweis zählt Verf. ohne Kriterium sowohl Gestalten der Familie als auch Analogien im Gebrauch des Terminus „Familie“ auf: Familie als Stamm; Familie in der bürgerlichen Gesellschaft; Familie in der „organischen Verfassung“ (201); Familie als „ethnic nation“ (202) und „the family of nations“ (203). Sämtlich seien sie Objektivationen unterschiedlicher Stufen des Selbstbewußtseins der Freiheit. Die Gefahr des „juristischen Formalismus“ im Bereich des Familienrechts liege darin, die Gesetze vom Prozeß der Selbsterkenntnis des Geistes abzulösen. Die Gesetzgebung sollte vielmehr die Objektivierung dieses Prozesses sein. Die Transformation der Gestalt der Familie erklärt sich nicht nur aus der Triebkraft der Selbsterkenntnis des Geistes, sondern auch aus Triebkräften, die nicht mehr der Logik der Freiheit folgen. Die bürgerliche Gesellschaft löst die Familie auf. Die Analyse der Familie wird leider auf die Wirkung der Triebkraft der Selbsterkenntnis reduziert. In der Analyse der bürgerlichen Gesellschaft beschäftigt sich Verf. mit folgender Frage: Worin besteht der Sittlichkeitscharakter der sittlichen Gestalt, die sich durch einen Verlust der Sittlichkeit charakterisiert? Die Dynamik der „monadischen“ Subjekte sei in dieser Sphäre durch den „Besitzindividualismus“ (215) bestimmt. Der Sittlichkeitscharakter liege in einer immanenten Entwicklung des Selbstbewußtseins, die zur Bindung der isolierten Subjekte an die allgemeine „Objektivität des Bewußtseins“ führe. Die Bindung sei Resultat eines Vermittlungsprozesses durch „intermediate organizations“ und durch den „äußerlichen Staat“: „The corporation, in brief, becomes an instrument of the objectivity of consciousness, independent of subjectivity.“ (217) Unter die Kategorie von „intermediate organizations“ werden die Familie, die Korporation, die Stände und

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sogar „charitable Institutions“ subsumiert: „Voluntary charitable associations are a better solution than employment and poverty.“ (219) Anschließend stellt er die Funktionen des äußerlichen Staates dar: Erziehung; Besteuerung und Wohlfahrtspflege; Welthandel; Distributionspolitik; Rechtspflege. In Bezug auf die Rechtspflege zählt er die Möglichkeitsbedingungen ihrer Legitimität auf: Bekanntmachung der Gesetze, Öffentlichkeit der Rechtspflege, Geschworenengerichte usw. Die Legitimität beruhe auch hier letztendlich in der „Vereinigung“ zwischen dem besonderen Willen und der Allgemeinheit, zwischen dem Individuum und der „Objektivität des Bewußtseins“. Eine Gestaltung des Rechts, die der Überwindung der Trennung von Allgemeinheit und Besonderheit unfähig sei, habe den Formalismus, „the reification of legal reasoning“ (225), zur Folge. Hegels Begriff des Staates wird mittels einer Klassifikation der Verfassungstheorien in zwei Gruppen thematisiert. Die erste Gruppe charakterisiere sich durch ihre Äußerlichkeit in bezug auf das Bewußtsein. Die „äußerlichen“ Verfassungsformen seien das Produkt der Fixierung auf eine geschichtliche Bewußtseinsform. Als statische Formen bleiben sie der geschichtlichen Entwicklung des Selbstbewußtseins äußerlich. Die Ablösung von der immanenten Entwicklung des Selbstbewußtseins bringe eine Trennung zwischen dem subjektiven Willen und der „Objektivität des Bewußtseins“ hervor. In einer solchen Trennung könne von Legitimität nicht mehr die Rede sein. Zur ersten Gruppe gehören lt. Conklin diese drei Theorien: (a) die Auffassung der Herausbildung der Verfassungen als eine unmittelbare Produktion, als ein „Machen“; (b) die Projektion von Verfassungen als Ableitung von apriorischen Rechten; (c) die Auffassung des allgemeinverbindlichen Willens des Staates in Form des Vertrags. Die Verfassungstheorien der zweiten Gruppe fassen nach Conklin die Verfassung als eine immanente Entwicklung auf: die Auffassung der Verfassung als eine historisch gewachsene Lebensform (historische Rechtsschule und Gewohnheitsrecht) und Hegels organische Verfassung. Eine Reduktion der immanenten Entwicklung auf einen bloß historischen Prozeß könne den Systemcharakter einer Verfassung nicht fassen. Der Prozeß der Systematisierung, z. B. mittels einer Kodifikation, schließe in sich eine Selbstverständigung der Gerechtigkeitsauffassung eines Volkes. Die organische Verfassung sei nun die einzige immanente Verfassungsform, die zugleich der immanenten Kritik der Selbsterkenntnis des Geistes unterworfen sei. Ohne Erfolg wird die Organizität des Staates bei Hegel erörtert. Denn Conklin stellt die Struktur der Staatsgewalten bei Hegel nicht als Gewaltendifferenzierung dar, sondern als „separation of powers“ (256). Das Verdienst des Buches liegt einerseits in der adäquaten Formulierung einer Hauptfrage des neuzeitlichen Naturrechts und der Hegelschen Rechtsphilosophie: Wie läßt sich die Verbindlichkeit der Normen in einer Sittlichkeit rekonstruieren, die durch das Recht des subjektiven Willens vermittelt ist? Worauf beruht die Legitimität der Institutionen in der neuzeitlichen Welt? Er liegt andererseits in der Zusammenstellung einzelner Fragen, die hinsichtlich dieser Problematik eng verbunden sind, z. B.: (a) Der Gegensatz zwischen der Form des Geltens und der Form des Vorgegebenseins; (b) der Entstehungsprozeß einer Sittlichkeit der Freiheit als Herausbildung der Subjektivität und zugleich als Heraustreten aus einer „natürlichen“ Sittlichkeit („objectivity of nature“); (c) der Zusammenhang zwischen der Geschichtlichkeit der Rechtsgestalten und der Triebkraft der Selbsterkenntnis des Geistes.

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Die Schlüssel für die Lösung dieser Fragen ist der Begriff des Geistes, und zwar aus folgenden Gründen: Der Geist ist ein System von Tätigkeiten und Produkten, die die Welt der Freiheit und die Form des Geltens produziert. Das einzige Faktum in der geistigen Welt ist die Freiheit. Das Faktum der Freiheit hat nur eine ratio cognoscendi. Die Geistphilosophie ist ein Vermittlungsmodell: Der Geist ist ein mit der Natur vermitteltes Selbstverhältnis. Die Triebkraft des Geistes ist eine Dialektik, die von der Natur zur Freiheit treibt. Die Geschichte ist die Seinsweise des Geistes. Die Explikation des Begriffs des Geistes ist die Geschichte der Freiheit: ein Weg zur Freiheit und zum Bewußtsein derselben. Aber gerade dieser Begriff wird am wenigsten erörtert. Der Geistbegriff wird bei Conklin nur durch einen äußerlichen Bezug auf das Daimonion des Sokrates und eine bestimmte Formel Hegels dargestellt: „An inward daimonic force drives the individual to become conscious of her or his relationship with objectivity. This daimonic force is, I believe, the ‘God’ that Hegel characterizes as ‘the march of God in the world’. Such a march of the divine emanates from within the individual’s consciousness.“ (37) Die Immanenz und der metaphysikkritische Charakter des Geistesbegriffs gehen so verloren, und der Geistbegriff erhält fast einen mythologischen Beigeschmack. Deswegen bleibt Conklin nur, von dem „göttlichen Charakter“ des Geistes („divinelike character“, 69) zu reden. Verf. kann keine befriedigende Antwort auf seine berechtigte Frage erhalten, weil er mit einem verfehlten Instrumentarium operiert: (a) der Einbeziehung der Anerkennungsproblematik in die Sphäre des objektiven Geistes; der leeren Rede der Intersubjektivität als äußerlicher Dimension „monadischer“ Subjekte; der Ausweitung des subjektiven Prinzips der Liebe auf die gesamte Totalität des Rechts; (b) der Rekonstruktion der Welt des Rechts als „objectivity of consciousness“. Ad (a): Die Rechtsverhältnisse werden als Anerkennungsverhältnisse analysiert, ohne die Berechtigung der Einbeziehung der Anerkennungsproblematik in die Sphäre des objektiven Geistes zu begründen. Die Rede von Anerkennung hat sich so sehr in der Hegel-Forschung eingebürgert, daß sie keine Begründung mehr zu erfordern scheint. Der systematische Ort für die Anerkennungsproblematik ist jedoch die Stufe der Phänomenologie. Die Anerkennung wird in sämtlichen Stufen des objektiven Geistes enthalten und vorausgesetzt. Sie ist insofern nicht mehr der eigentliche Inhalt der Philosophie des objektiven Geistes. Der Kampf um Anerkennung findet nur dort statt, wo die Verhältnisse des Naturzustandes herrschen. Durch die Herausbildung eines Rechtszustandes ist dieser Kampf zu einem Ende gekommen. Diese Relativierung der Problematik der Anerkennung kann auch geschichtlich begründet werden. Der Kampf um Anerkennung wütet lediglich auf einer geschichtlichen Stufe, in der nicht alle Menschen als frei erkannt und anerkannt werden, in der sich der Rechtszustand kaum herausgebildet hat. – Siehe: GW 20, § 432, Zusatz. – Die Gestalten der Subjektivität bei Hegel sind lt. Conklin „monadische“ Entitäten. Daher ist der Vertrag lt. Conklin die erste Gestalt der Anerkennung und die Intersubjektivität ein erratischer Block, den Hegel nachträglich in die Sphäre des objektiven Geistes einbeziehen muß. Es ist jedoch sogar trivial zu sagen, daß die Interpersonalität eine konstitutive Dimension des Personbegriffs sei. Die Zurechnung, die eine wesentliche Bestimmung des Personbegriffs ist, wird von anderen

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Personen vollzogen. In dem geistigen Dasein einer Person sind bereits die anderen Personen mitgesetzt. Die Liebe wird bei Conklin als allgemeine Triebkraft zur Anerkennung anderer Subjekte und dadurch zur Herausbildung der Gestalten der Sittlichkeit dargestellt. Der Begriff der Liebe ist jedoch ein zu subjektives Prinzip, um mittels dessen die Welt der Freiheit rekonstruieren zu können. Aus diesem Grund ist nach der Frankfurter Zeit von Liebe mit einem ähnlichen Anspruch nicht mehr die Rede. Ad (b): Die Rechtsgestalten werden als Bewußtseinsformen dargestellt. Die konkrete Wirklichkeit des Rechts sei eine „Objektivität des Bewußtseins“. Damit wird nur die halbe Wahrheit formuliert. Die Herausbildung der Sphäre des Rechts ist nur dadurch möglich, daß der freie Wille zu einem Bewußtsein seiner Allgemeinheit gekommen ist. Die Rechtsgestalten sind immer in diesem Sinne Taten des selbstbewußtwerdenden Willens. Die Prozesse der Welt der Freiheit lassen sich außerdem ohne den Anteil des Bewußtseins nicht rekonstruieren. Diese Wahrheit muß jedoch durch eine andere Wahrheit ergänzt werden. Die Logik des Rechts ist die Verwirklichung einer im Begriff der Freiheit liegenden Struktur. Das „Fürsichsein“ des Willens ist nur ein Moment der immanenten Logik des freien Willens. Die Rechtsgestalten sind daher eigentlich nicht Bewußtseinsformen, sondern Daseinsformen des freien Willens. Bewußte Willensakte können diese Logik nicht außer Kraft setzen. Die wichtigsten Prozesse dieser Logik konstituieren eine Notwendigkeit der objektivierten Freiheit, die sich hinter dem Rücken des Bewußtseins vollzieht. Alfredo Bergés (Bochum)

Hans-Christoph Schmidt am Busch: Religiöse Hingabe oder soziale Freiheit. Die saint-simonistische Theorie und die Hegelsche Sozialphilosophie. Hamburg: Felix Meiner Verlag 2007. 2005 S. (Hegel-Studien. Beiheft 48) Hegel ist nicht Saint-Simon. Indes rezipieren manche ihrer frühen Schüler beide. Kundig in Hegelschen Positionen scheinen etwa die Saint-Simonisten Jules Lechevalier, Eugène Lerminier und Henri Lagarmitte, zumal sie Hegels Philosophie durch deren „organischen“ und „religiösen“ Charakter den Lehren ihres eigenen Meisters nahe stehen sehen. Umgekehrt machen die Hegel-Schüler Friedrich Wilhelm Carové, Moritz Veit und Eduard Gans die saint-simonistischen Doktrin in Deutschland bekannt (freilich meist durch kritische Einlassungen). Da fragt sich doch grundsätzlich: Gibt es in der Tat prägnante Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der Hegelschen und der saint-simonistischen Theorie? Und ferner: War Hegels Sozialphilosophie für SaintSimonisten eine Inspirationsquelle? Stellte der Saint-Simonismus eine für Hegelianer anschlußfähige Position dar? Schmidt am Buschs konzise Studie, die sich thematisch ohne Vorgängerin sieht (18), geht diesen Fragen systematisch nach – und noch ein Stück weiter: Markiert werden sollen nicht nur die metaphysischen, ferner allgemein ontologischen und anthropologischen Prämissen der saint-simonistischen Doktrin und der Hegelschen Sozialphilosophie; auch die „Aktualität“ beider Theoriekomplexe soll bewertet werden (11).

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Offenkundig ist in einer 205-seitigen Studie für jeden dieser spannenden Aspekte nur begrenzter Raum. Aber der Autor macht auf seine Weise etwas Pointiertes daraus. Seine Studie, gegliedert in zwei Hauptteile mit jeweils pragmatisch restringiertem Fokus, beschwört mit Frankfurter Akzent die Modernität von Hegels Sozialphilosophie letzter Hand. Näherhin untersucht und als grundlegend unterschiedlich, zumal nicht synthesefähig erwiesen (23 u. 177 ff.) werden die saint-simonistische (Teil I, 27–91) und die Hegelsche Sozialtheorie (Teil II, 93–176) in ihren allerspätesten Formen (13), beschränkt auf grundbegriffliche und institutionentheoretische Hinsichten (24 f.). Dabei rekonstruiert Teil I nicht das Werk von Saint-Simon selbst, sondern profilbildende Schriften seiner Schüler: einerseits die Vademecum-artig zusammengestellte Doctrine de Saint-Simon von 1828/29 (hier besonders das sog. „Fähigkeitsrecht“ und die Konzeption der „association universelle“), andererseits saint-simonistische Publizistik vor allem in der Tageszeitung Le Globe, vereinzelt auch in Le Producteur und L’Organisateur. Dagegen setzt Teil II unmittelbar Hegels Sozialphilosophie in Form der Grundlinien der Philosophie des Rechts zu saint-simonistischen Theorien in Beziehung. Bewußt unberücksichtigt bleiben Hegels frühere Arbeiten zur Sozial-, Rechts- und Staatsphilosophie. Auch entfällt (weil andernorts schon von anderen geleistet; 25, bes. Anm. 54) ein sachlich (gemäß der vom Autor aufgestellten Leitalternative zwischen „religiöser Hingabe“ und „sozialer Freiheit“) gebotener Vergleich Hegelscher und saint-simonistischer Religionstheorie. Die Sympathien des Autors liegen erkennbar bei Hegel, dessen Arbeitsbegriff der Autor schon seine lesenswerte Dissertation gewidmet hat. Nunmehr wird, allgemeiner, Hegels Sozialphilosophie rekonstruiert, und zwar so, daß gesellschaftliche Institutionen als „Instantiierungen der Struktur des freien Willens, mithin als Elemente sozialer Freiheit“ (25 u. 94 ff.) deutlich werden. Daraus wird dann ein Doppeltes erschlossen: (1) Aus saint-simonistischer, quasi „sozialreligiöser“ Perspektive erscheint Hegels Sozialphilosophie in gerechtigkeitstheoretischer Hinsicht als defizitär, wird dort doch ein durchaus „kritischer“, spannungsreicher Gesellschaftszustand entworfen, in dem die Menschen vielfach einander entfremdet sind und bleiben; (2) umgekehrt wirkt die Position der Saint-Simonisten aus Hegelscher Perspektive als „Verteidigung eines vormodernen Gesellschaftsmodells, in dem für das Prinzip der individuellen Autonomie keine Geltung vorgesehen ist“ (ebd). Damit ist auch die Aktualitätsfrage geklärt: Hegels Theorie bleibt inspirierend, die der Saint-Simonisten ist heute obsolet. Diese schöne Klarheit hat ihren Preis. Schmidt am Buschs Studie entfaltet den zeit-, ideen- und personell-konstellationsgeschichtlichen Hintergrund der verglichenen Denkrichtungen nur sehr selektiv (142) und argumentiert damit tendenziell eher „geschichtslos“ systematisch. Außerdem fehlen grundlegende hermeneutische Klärungen zur Frage, ob und wie ein so heterogen und kompromissartig zustande gekommenes Pamphlet wie die Doctrine de Saint-Simon von 1828/29 einfach auf gleicher Ebene wie Hegels selbstverfaßtes Kompendium zur Rechtsphilosophie gültig verglichen werden könne. Zudem läßt Schmidt am Busch die „religiöse“ Vorgeschichte der reifen Hegelschen Sozialphilosophie weitgehend unkommentiert, namentlich Hegels frühes (von der Tübinger bis zur Berner und Frankfurter Zeit leitendes) Projekt einer „Volksreligion“, die höchste gefühlsmäßige und moralische Einheit unter Menschen stiften könnte.

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Kurz: Schmidt am Busch isoliert „Positionen“ der Theorie bewußt von ihrem werkund sozialgeschichtlichen Kontext. Das kann man machen, aber es geht – wohl sogar in Hegels Sinn – auch anders. So bleibt im Ergebnis zweierlei Erfreuliches: ein Lob für den Autor, der in eine lohnende Forschungsrichtung vorangeschritten ist, und ein Motiv für die beati sequentes, die sich auf diesem Weg vielleicht noch Umfassenderes vornehmen. Wolfgang M. Schröder (Tübingen)

Alberto L. Siani (Ed.): G. W. F. Hegel: L’Arte nell’Enciclopedia. [Die Kunst in der Enzyklopädie.] Pisa: Edizioni ETS 2009. 91 pp. Das handliche Buch über die Kunst in Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse verfolgt der Absicht seines Herausgebers zufolge einen didaktischen Anspruch: Der Sinn des Buches, so Siani, bestehe in einer Einführung in Hegels Ästhetik mittels einer Reihe von Paragraphen aus der Enzyklopädie, welche neu übersetzt und kommentiert würden (vgl. 5). Dies liegt auch in der Politik der Reihe parva philosophica, in der es erscheint und in welcher Leonardo Amoroso 2007 (zweite Auflage 2009) schon das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus herausgegeben und kommentiert hat. Handlich ist dieses Buch nicht nur seiner äußeren Erscheinung nach, sondern auch in seiner inneren Anlage: Es skizziert den architektonischen und systematischen Grundriß der Hegelschen Ästhetik in knappen Zügen, wie sie in der Enzyklopädie gegeben werden, integriert diesen jedoch immer wieder durch intelligent ausgewählte Zitate aus anderen Schriften Hegels bzw. der Hegel-Forschung, v. a. der aktuellsten aus der Gruppe um Annemarie Gethmann-Siefert. Der Text gliedert sich in drei Teile: eine Vorrede, in der Absicht und Motivation der Textauswahl dargelegt werden; sodann werden die §§ 556–563 der 1830er Enzyklopädie (GW 20, 543–549) in deutscher Sprache samt paralleler Übersetzung incl. Kommentar gegeben. Dadurch, daß die Wahl auf die der Kunst gewidmeten Paragraphen der Enzyklopädie fällt, wird der Akzent auf die Stellung der Kunst in Hegels philosophischem System gelegt, wobei die geschichtliche und, wenn man so will, phänomenologische Entwicklung der Kunst ein wenig in den Hintergrund gerät. Diese Wahl wird allerdings von Siani dadurch motiviert, daß sie – wenn man von dem Kapitel über die Kunstreligion in der Phänomenologie des Geistes absieht, wo der systematische Charakter der Kunst sich ja noch mit demjenigen der Religion vermischt – auf den einzigen und zudem reifsten Text fällt, in dem Hegel selbst sich mit der Kunst auseinandersetzt. Gerade die Ästhetik Hegels bereitet ja vom philologischen Standpunkt aus ganz besondere Schwierigkeiten, die erst seit kurzem durch die Veröffentlichung von studentischen Mitschriften von Hegels Vorlesungen über Ästhetik, die sich ja über gute zehn Jahre erstrecken, in Angriff genommen werden. Wenn man diese Zeugnisse mit der von Hotho besorgten, 1842 erschienen Ästhetik vergleicht, so stellt sich heraus, daß dieser gegenüber Hegels Beschäftigung mit der Kunst wesentlich weniger systematisch und – wie Siani mit Bezug

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auf Gethmann-Siefert kommentiert – ein wirkliches work in progress war (vgl. 8). Dies allerdings läßt natürlich die systematische Stellung und die philosophisch-wissenschaftliche Rechtfertigung der Kunst weitgehend unangetastet, und dies rechtfertigt Sianis Entscheidung, sich auf diese zu konzentrieren und sie an den gegebenen Stellen zu ergänzen (vgl. 10 f.). Zu dieser eher theoretischen und philologischen Motivation gesellt sich schließlich auch die didaktische, denn einer Einführung in Hegels Reflexionen zur Kunst aus sozusagen spekulativer Perspektive kommen die Kürze und die konzentrierte Form der Enzyklopädie-Partien in besonderer Weise entgegen. Nicht daß es in Italien in der Vergangenheit nicht ähnliche Versuche gegeben hätte, Hegels Ästhetik in der Form einer Anthologie von kommentierten Texten einem breiteren Publikum zugänglich zu machen; zu verweisen wäre hier etwa auf den von Paolo Gambazzi und Gabriele Scaramuzza herausgegebenen Band Arte e morte dell’arte (Milano 1997). Dadurch jedoch, daß hier die Ästhetik die Textgrundlage stellt, umfaßt der Band mehr als 400 Seiten. Die Partien der Enzyklopädie jedoch erlauben beides: eine synthetische und dennoch umfassende Behandlung, ohne dabei an Wissenschaftlichkeit und philologischer Präzision zu verlieren – im Gegenteil: Im Kommentar kann sich der Herausgeber nicht nur der didaktischen Seite widmen, sondern auch eine umfassende Interpretation der Hegelschen Ästhetik vorlegen, die auch die großen Probleme – wie etwa dasjenige des „Todes der Kunst“ – überzeugend behandelt. Derjenige Teil des Bandes, der Hegels Text wiedergibt, entbehrt des kritischen Apparates, was wiederum dem einführenden Charakter entgegenkommt. Was die Übersetzung betrifft, sei hier nur kurz angemerkt, daß sie hält, was Siani in der Vorrede verspricht, und zwar dem Text so treu wie möglich zu bleiben, auch wenn dies in der italienischen Fassung teilweise etwas fremdartig klingen mag. Es ist jedoch hinzuzusetzen, daß sich diese etwas fremden Töne doch stark in Grenzen halten und die Treue zu Hegels Terminologie und Sprachgebrauch sie mehr als aufwiegt. Der italienische Text gibt nämlich eine sprachliche, an seinen schwäbischen Ursprung mahnende Eigenart Hegels recht gut wieder, die einer Übersetzung normalerweise zum Opfer fällt, und zwar diejenige, die Modulationsmöglichkeiten der Sprache möglichst voll auszuschöpfen. Das geht, wie Szondi bekanntlich mit dem Begriff der Parallelstellen nachgewiesen hat, so weit, daß selbst ein und dasselbe Wort an verschiedenen Stellen nicht dasselbe bedeutet. Dem versucht hier die Übersetzung Rechnung zu tragen, indem sie zumindest sprachlich ähnliche Termini, wie etwa Innigkeit und Innerlichkeit, ihrer allerdings begrifflichen Verschiedenheit entsprechend zumindest annäherungsweise unterschiedlich überträgt. Insgesamt hat Siani mit seiner Übersetzung eine exzellente Arbeit geleistet, die bei vielen Texten Hegels noch aussteht. Im Kommentarteil des Buches beschränkt sich Siani ganz und gar nicht auf die analytische Auslegung der Hegelschen Paragraphen, welche allein schon als hervorragend bezeichnet werden kann und die erklärte Absicht des gesamten Bandes ohne Probleme in die Tat umsetzt. Hierüber hinaus enthält dieser Teil noch eine ganze Reihe mehr. Zunächst einmal wird Hegels Interesse an Kunst in seinen Jugendjahren kurz beschrieben, um dann ihre Behandlung in der Phänomenologie des Geistes zu thematisieren, wobei vor allem unterstrichen wird, daß Kunst – wie alle geistigen Phänomene – ohne ihren Bezug zur jeweiligen Religion nicht adäquat eingeschätzt werden kann (vgl. 44).

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Diese Verschränkung jedoch lockert sich im Laufe der langen Beschäftigung Hegels mit der Kunst, bis sie ganz aufbricht und Kunst zu einem unabhängigen und spezifischen Feld für die philosophische Reflexion wird. Diese Entwicklung, während der die Vorlesungen zur Ästhetik und die drei Fassungen der Enzyklopädie sich gegenseitig beeinflussen, erlaubt es, der Hothoschen Veröffentlichung der Ästhetik gegenüber eine kritische Stellung einzunehmen. Anstatt, wie Hegel selbst vorgibt, von den Paragraphen der Enzyklopädie aus die Systematik am Material zu entwickeln, greift Hotho stark und willkürlich ein und unterzieht den Gang der Vorlesungsmitschriften, die ihm vorlagen, einer von außen angesetzten rigiden Systematisierung (vgl. 43). Im zweiten Abschnitt thematisiert der Herausgeber Hegels polemische Absichten nicht nur gegenüber der einseitigen Kantischen Rationalität oder der Entfremdung des modernen Menschen, sondern auch gegenüber seinen Zeitgenossen: vor allem Schelling, A. W. und F. Schlegel, Schleiermacher, Tieck und Novalis, für welche die Kunst allen anderen Lebensbereichen gegenüber den absoluten Vorrang hatte. An dieser Stelle – und v. a. weil der Autor sich in der Vergangenheit mit dem Verhältnis von Ästhetik und Politik als grundlegend für den deutschen Idealismus befaßt hat (vgl. 50) – wäre eine Thematisierung des Problems wünschenswert gewesen, das Hölderlin für Hegel und v. a. für den ästhetischen Theoretiker Hegel darstellt, doch hätte dies den Rahmen des Buches womöglich gesprengt. Im dritten Teil wird Hegels Ästhetik nun als polemische Antwort auf die romantische Ästhetisierung behandelt, wobei richtigerweise darauf hingewiesen wird, daß vor aller geschichtlich-politischen oder kulturellen Motivation die systematische Artikulierung der philosophischen Wissenschaften in der Enzyklopädie zu dem zentralen Urteil Hegels vom Vergangenheitscharakter der Kunst führt. In der griechischen Klassik war die subjektive Reflexion noch nicht entwickelt, Individuum und ethische Substanz befanden sich in unmittelbarer Eintracht, und die Kunst war hierfür der angemessenste Ausdruck. In der Moderne jedoch entwickeln sich sowohl die subjektive Reflexion als auch v. a. das Recht auf subjektive Freiheit, welche Siani unter Heranziehung der Grundlinien der Philosophie des Rechts als den zentralen Punkt bezeichnet, der die Antike von der Neuzeit trenne (vgl. 53). Subjektive Freiheit und Reflexion will Hegel denn auch mit seinem Urteil über die Kunst vor den reaktionären Versuchen, das Recht der modernen Subjektivität wieder zu schwächen, in Sicherheit bringen. Vor diesem Hintergrund erscheint die These vom Tod der Kunst wesentlich weniger als geistige Verschließung oder simpler Klassizismus denn als ungemein fortschrittlich, argumentiert Siani unter Bezugnahme auf Gethmann-Siefert. Der vierte Abschnitt des Kommentars stellt die Frage, was denn der absolute Geist eigentlich sei. Hierbei greift der Herausgeber auf die nicht abgedruckten Paragraphen 552 und 554 zurück, um ihn kurz, aber angesichts der nicht geringen Schwierigkeiten, welche diese Frage aufwirft, sehr effizient zu skizzieren als frei, rational, universal, konkret, ewig, wirklich und real. Der absolute Geist entspricht dem Göttlichen und stellt damit die Grundlage des Religiösen dar, was nicht mit der geoffenbarten Religion zu verwechseln ist. In seinem Bereich findet eine fortschreitende Aufhebung des Gegensatzes von Subjekt und Substanz statt, deren erstes Moment die Kunst darstellt. Mit dem fünften Abschnitt wird nun die Analyse der die Kunst direkt betreffenden Paragraphen der Enzyklopädie eingeleitet, wobei jedem einzelnen von ihnen jeweils ein

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eigener Abschnitt gewidmet wird, wodurch die Erläuterungen an Klarheit gewinnen. Kunst wird zunächst charakterisiert als unmittelbar, endlich und anschaulich, d. h. als Ideal, das sich einen angemessenen äußeren Leib erschafft und demnach noch nicht als reiner Geist im wahren Sinn. Das Kunstwerk ist sinnlich wahrnehmbar und der Natur verbunden, was als Schönheit definiert wird. Durch die Dialektik von Form und Inhalt befreit sich der Geist zunehmend von diesem natürlichen Element, was seitens des Publikums als Auflösung der substantiellen ethischen Gemeinschaft (das antike Griechenland) durch das freie, subjektive Selbstbewußtsein erlebt wird. Das Problem der Nachahmung der Natur wird als einseitig, abstrakt und sinnlos bezeichnet und daher in sein Gegenteil verwandelt, weil nicht Kunst die Natur abzubilden, sondern sich ihrer zu bedienen habe. Es gibt jedoch auch natürliche Formen, welche schon einen geistigen Inhalt offenbaren. Unter Rückgriff auf § 411 wird eine Parallele aufgestellt zwischen dem künstlerischen Ideal und dem menschlichen Körper, was dazu führt, in der Skulptur die perfekte Schönheit zu erblicken (vgl. 65). Die Universalität des durch die Kunst sich darstellenden Geistes ist jedoch noch nicht systematisch, da die Arbeit des Begriffs die zufällige Vielheit ihrer Formen noch nicht in eine Einheit verwandelt hat. Im § 560 geht es dann um den Künstler, der gegenüber dem geistigen und universalen Wahrheitsgehalt des Werkes von sich selbst keinerlei Spur zu hinterlassen habe. Siani charakterisiert diese These wiederum als gegen die Romantik und ihren Geniekult gerichtet und als Widerspiegelung der gesellschaftlichen Stellung des Künstlers in der klassischen Antike (vgl. 69). Dementsprechend ist aber auch die Freiheit des Geistes in dieser, auf der Grundlage der Kunstreligion aufgebauten Gemeinschaft nicht effektiv und konkret durch Reflexion mit sich selbst vermittelt, sondern abstrakt und naturgebunden. Auch ist der Künstler lediglich Vermittler von ethischen und religiösen Werten und dementsprechend nicht Herr seiner selbst, nicht frei, sondern von außen inspiriert. Bei der Besprechung der erhabenen oder symbolischen Kunstform nimmt Siani noch einmal die Gelegenheit wahr, den offenen Charakter der Hegelschen Ästhetik gegenüber Hothos systematisierter Darstellung hervorzuheben, indem er die in der Enzyklopädie von 1830 enthaltene Beschreibung mit der Formulierung von 1817 konfrontiert. Diese Kunstform, deren vielfältige Wandlungen auch durch die einzelnen Vorlesungen hindurch verfolgt werden kann, ist sicherlich die problematischste, aber auch die, von der aus die Kunst unserer eigenen Epoche verstanden werden könnte (vgl. 74 f.). Die Beschreibung der romantischen Kunstform beschränkt sich auf das Wesentliche, zeigt aber klar ihre systemarchitektonischen Grundstrukturen auf. V.a. wird hervorgehoben, daß die Tatsache, daß in dieser Form das Göttliche sich aus der Äußerlichkeit in die Innerlichkeit zurückgezogen hat, der Kunst die Möglichkeit eröffnet, ihre Inhalte zu vermenschlichen (vgl. 79). Durch ihre immer größere Entfernung vom Göttlichen, die mit ihrem Übergang in die romantische Kunstform anhebt, bereitet sich die schöne Kunst jedoch den eigenen Untergang vor, zunächst tragisch und schließlich komisch, wodurch die geoffenbarte Religion an ihre Stelle tritt, welche nicht mehr unmittelbar anschaulich ist, sondern direkt zum Geist spricht. Im vorletzten Abschnitt rekapituliert Siani kurz die behandelten Thematiken, um ihnen eine abschließende einheitliche Form zu verleihen, und im letzten versucht er, eine aktualisierende Interpretation des sog. „Todes der Kunst“ zu geben. Zunächst wird

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unterstrichen, daß die Philosophie der Kunst es mit der geistigen, kulturellen und politischen Funktion von Kunst zu tun habe und daß diese geschichtlichen Bedingungen unterliegt (vgl. 85 f.). Sie ist nicht mehr dem Kult verbunden und demzufolge freier, was sich auch auf das Publikum auswirkt. Des weiteren wird hervorgehoben, daß sie allein nicht mehr ausreicht, um unsere höchsten geistigen Bedürfnisse zu befriedigen, was zur Notwendigkeit der Interpretation führt. Es gibt also eine Zukunft für die Kunst, welche frei und unerschöpflich ist, und diese Zukunft hängt eben gerade von ihrer Fähigkeit ab, sich vom Paradigma der klassischen Kunst freizumachen (vgl. 87 f.). Die Geschichte der romantischen Kunstform erzählt von dieser Befreiung, die durch die Reformation und die Aufklärung (also durch die entscheidenden Bestandteile von Hegels eigener Philosophie) in ihre wirklich entscheidende Phase eintritt (vgl. 89). Wir selbst, so Siani, befinden uns nicht am Ende dieser Entwicklung, sondern haben noch an ihr teil. Die Kunst unserer Epoche wird mit gewandelten Akzenten noch von den gleichen Widersprüchen durchzogen, die Hegel an der romantischen Kunst aufzeigt, allen voran demjenigen zwischen totaler Vermarktung und Sakralisierung oder ideologischer Militanz und spielerischem Desengagement (vgl. 90). Hier wäre vielleicht ein Verweis auf das Problem der zunehmenden Vergeistigung in der Kunst am Platze gewesen, welche nicht allein ein Problem moderner Kunst ist und von Hegel nicht nur anhand der romantischen Kunst – namentlich an Schillers Dramen – veranschaulicht wird, sondern im Grunde das theoretische Rückgrat der gesamten Einteilung in die einzelnen Kunstepochen darstellt (vgl. aber 79). Siani beschließt seine schlüssige und überzeugende Interpretation mit der Hegelschen Bemerkung, daß gerade im Angesicht des Todes der Kunst die Kunstwissenschaft, d. h. die Ästhetik zu einer Notwendigkeit werde, die der Antike nicht bekannt war. Ihre Aufgabe besteht auch heute noch in der Bestimmung dessen, was Kunst und ihre Funktion sind und sein können, und sie tut dies auf der Grundlage ihrer Geschichte und in Hinsicht auf unsere Gegenwart, denn die Philosophie hat es immer, wie Hegel sagt, mit „ewig Gegenwärtigem“ (TWA 12, 104) zu tun. Abschließend kann wohl ohne Übertreibung gesagt werden, daß dieses Buch der Idee nach sehr originell, philologisch bestens verankert sowie theoretisch gehaltvoll ist und einen außerordentlichen Beitrag für die Didaktik leistet. Es wäre durchaus nachzudenken über die Möglichkeit, diesen Band auch in deutscher Sprache erscheinen zu lassen. Markus Ophälders (Milano)

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Annemarie Gethmann-Siefert / Lu De Vos / Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hgg.): Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste. München: Wilhelm Fink Verlag 2005. 351 S. (Neuzeit und Gegenwart. Philosophie in Wissenschaft und Gesellschaft. Schriftenreihe mit Unterstützung der FernUniversität Hagen herausgegeben von Annemarie Gethmann-Siefert zusammen mit Klaus Düsing, Volker Gerhardt, Carl Friedrich Gethmann, Jürgen Mittelstraß, Otto Pöggeler, Ludwig Siep) Leo Tolstoi stellt am Ende des 19. Jahrhunderts in seiner gleichnamigen kunsttheoretischen Abhandlung erneut die Frage Was ist Kunst? und versucht, sie mit der gesamten Tradition der neuzeitlichen Ästhetik im Rücken von seinem Standpunkt aus zu beantworten. Wer eine solch fundamentale Frage stellt, darf sich nicht scheuen, eine ebenso selbstbewußte, aber auch notwendig verkürzende Antwort zu geben. Und Tolstoi scheut sich nicht. Kunst sei das, was jeden Menschen anspreche, was kein künstlerisches Privatvergnügen sei, sondern eine große Masse von Rezipienten die ästhetische Ausformung eines Inhalts nachvollziehen lasse – kein elitäres Werk für eine Minderheit also, oder Produkt eines vereinzelten Bewußtseins in phantastischer Entfesselung, sondern ein Schaffen, das die Allgemeinheit ansprechen und für sich einnehmen kann. Eingedenk unübersehbarer, grundsätzlicher Differenzen zeigt Tolstoi im Verständnis der Kunst als Summe von Werken für das Allgemeine – sei es ein allgemeines Gefühl oder ein allgemeiner Geist – sowie in der Verurteilung des künstlerischen Subjektivismus eine Gemeinsamkeit mit der ästhetischen Position Hegels. Lu De Vos, einer der drei Herausgeber des Sammelbandes sowie einer von insgesamt 21 Referenten, die in ebendiesem ihren Vortrag auf dem gleichnamigen internationalen Kolloquium an der FernUniversität Hagen veröffentlicht haben, setzt sich in seinem Beitrag vertiefend mit dem oben angedeuteten Kontext des Allgemeinen in der Kunstphilosophie Hegels auseinander. Er deutet es bezogen auf die gegen Hotho als begriffslogische und eben nicht wesenslogisch interpretierte Bestimmung des Ideals aus und betont auf diese Weise Hegels Verständnis der Kunst als das geschichtlich existierende Wahre und das Leben der Idee. Indem dieses Ideal sich historisch in den Kunstformen verwirklicht, kann das von Tolstoi geforderte allgemeine Interesse bei Hegel von der klassischen Kunst, die Werke für eine Gemeinde von Anschauenden umfaßt, noch befriedigt werden. Werde diese Stufe allerdings historisch überschritten, scheitere die romantische Kunstform am Verlust der unmittelbaren Nachvollziehbarkeit der Anschauung, da das Werk verinnerliche, sich in sich vereinzele und dazu tendiere, zu einer lediglich subjektiven Angelegenheit ohne substantiellen Bezug zu werden. So wie De Vos also Hegel aspektreich interpretiert, würde dieser Tolstois Kunstbegriff für die Neuzeit und Moderne nur noch normativ geltend machen und den Werken dieser Epochen generell kein Siegel der Kunst aufdrücken. Einen weiteren produktiven Vorschlag, was aus Hegels Ansatz in diesen Fragen gewonnen und wie er für aktuelle Debatten anschlußfähig gemacht werden kann, formuliert die Herausgeberin Bernadette Collenberg-Plotnikov in ihrem Beitrag. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist eine Analyse der gegenwärtigen Situation der empirischen Kunstwissenschaft, in welcher nach der Befreiung von der Tradition und der Durchsetzung eines offenen Kunstbegriffs allmählich die Sehnsucht nach einem

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Rückgang zur normativen Ästhetik wach werde, die in der jahrzehntelang gefeierten Unübersichtlichkeit endlich wieder Ordnung schaffen soll. Weil diese Erlösung jedoch keine Lösung wäre – in Anbetracht der Lehren, die man aus der Einhausung in einem zu engen Definitionsradius gezogen hat –, biete Hegels Ansatz das begriffliche Potential, jenseits der Normierung rational über Kunst zu sprechen. Denn er zeige einerseits die historische Notwendigkeit, mit der sich die schöne Einheit der klassischen Kunst zur Vielheit der jüngeren Kunstbegriffe ausdifferenzierte und verweise andererseits auf die Bedingung einer systematischen Ästhetik, dieser Vielheit eine begriffliche Grundlage zu geben, welche die Vermittlung von Sinnlichem und Geistigem mit Wahrheitsanspruch als allgemeinverbindlich festschreibe. Das sind Offenheit und Grenze des Kunstbegriffs Hegels, der Normativität so weit zuläßt, wie das Abrutschen in einen Relativismus aufgehalten werden kann. Wenn Collenberg-Plotnikov zu Recht betont, bei Hegel lasse sich die geschichtliche Wahrheit der Kunstwerke aus ihrem Gebrauchs- und Handlungszusammenhang bestimmen, wird deutlich, daß Hegels Position am Schwachpunkt, den Rilke in seinem Essay Über Kunst an Tolstoi bemängelt, gerade nicht leidet: nämlich daß allein auf die Wirkung der Kunst geschaut und darüber die Behandlung ihres Wesens vergessen werde. Hegel weiß, das Wesen der Kunst liegt in ihrem Sein wie in ihrem Wirken. So unterstreicht auch Brigitte Hilmer in ihrer Untersuchung diese Zusammenführung, indem sie Hegels Kunstverständnis als realisierende Vermittlung von Bedeutung in sinnlicher Verkörperung deutet. In diesem Sinne sei dessen Ästhetik in erster Linie eine Inhaltsästhetik – und gerade in diesem vielfach kritisierten Umstand sieht sie mit guten Gründen die große Stärke Hegels. Indem sie sich an Arthur C. Dantos Definition der Kunst als ‚embodied meaning‘ sowie an Goodmans Exemplifikationstheorie orientiert – und damit an zwei selbstausgesprochen von Hegel beeinflußten Philosophen –, stellt sie heraus, daß die Ästhetik Hegels für aktuelle Debatten in besonderem Maße ergebnisreich sei, da von ihr u. a. gelernt werden könne, künstlerischen Ausdruck nach verschiedenen Verhältnismöglichkeiten von Gehalt und Gestaltung philosophisch zu durchdringen. – Ebenfalls im Anschluß an Danto und Goodman fragt José Ma Ripalda weitergehend nach alternativen Formen des Kunstschaffens nach dem Ende der Kunst, speziell in der Postmoderne, und erkennt in Positionen, die Hegel weiterzudenken versuchen, die Chance, ästhetisch Wesenhaftes sinnvoll gegen Instrumentalisierungen durch Populärkultur, Werbung oder Massenevents abzugrenzen – beispielhaft in Goodmans Bestimmung als ‚Darstellung von etwas für etwas‘. – Daß Hegels Ästhetik im 20. Jahrhundert aber nicht nur im deutsch- und englischsprachigen Raum Spuren hinterlassen hat, sondern auch in Frankreich, führt Jean-Louis Vieillard-Baron in Hinblick auf André Malraux vor; so vor allem bezüglich der Frage nach der Wahrheit der Kunst. Der Verf. arbeitet heraus, daß sich beide Denker insbesondere im wesentlichen Aspekt ihres Kunstbegriffs treffen, die ästhetische Bedeutung nicht auf die Autorintention oder andere bloß historisch relevante Inhalte zu reduzieren, sondern ihr Universalität einzuräumen – als überzeitliche Weltanschauung bzw. historisch-bedingte Ausdrucksform der allgemeinen Idee. – U.a. wegen dieses Aspekts dürfte auch Beate Bradls Unternehmen von Interesse sein, die von Hegel verteidigte Erkenntnisleistung der Kunst näher zu bestimmen.

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Diese sowie viele weitere Aufsätze des Sammelbandes werfen somit neue Forschungsfragen auf bzw. behandeln klassische Aspekte und Probleme aus einer veränderten Perspektive. Zudem hebt die Herausgeberin Annemarie Gethmann-Siefert in ihrer Einleitung hervor, daß sämtliche Beiträge grundsätzlich die Besonderheit gemeinsam haben, sich zur Textgrundlage nicht mehr die Edition Hothos im Rahmen der Freundesvereinsausgabe gewählt zu haben, sondern die Vorlesungsnachschriften der Studenten. Das selbstgesetzte Ziel der Herausgeber sei es demgemäß gewesen, der Veröffentlichung „den Charakter einer Monographie zu Hegels ursprünglicher Philosophie der Kunst“ (9) zu geben, wodurch es auch ermöglicht werde, die „vielen Ungereimtheiten und Verfremdungen der Druckfassung der Ästhetik“ (11) zu korrigieren. – So erhellt Otto Pöggeler, daß Hegel nicht nur im Kolleg von 1820/21 ein negatives Urteil über Caspar David Friedrich und sein Schaffen fällt – auch in größeren Zusammenhängen besehen war er dem Maler gegenüber äußerst skeptisch eingestellt und mußte es in Pöggelers Augen sogar sein. Denn im politischen Klima der Restaurationszeit betrachtete Hegel die ideologische Haltung Friedrichs als überaus problematisch, wenn nicht gefährlich. Der Beitrag wirft schließlich die generalisierende These auf, deren breitere Diskussion sich sicherlich lohnen würde, Hegels ästhetisches Urteil sei oftmals politisch motiviert bzw. aus der politischen Einschätzung erwachsen. – Ebenfalls unter Bezug auf die Berliner Nachschriften, jedoch ohne Rückschluß auf politische Motive, zeigt Alain Patrick Olivier, wie Hegels Schweigen über Beethoven anders als bei Hotho als Ablehnung der elitär bloß an den Kenner gerichteten Instrumentalmusik begriffen werden könne, deren Verwurzelung in der romantischen Ästhetik des Unsagbaren, entwickelt zu einer absoluten Musik des begriffslosen Schauens des Göttlichen, Hegels Rationalismus zuwiderlaufe. Doch der Band versammelt nicht nur Beiträge zu Hegels Verhältnis zu Künstlern seiner Zeit; auch zwei Studien zur Rezeption Schellings sowie Giovanna Pinnas klarsichtige Abhandlung zur Ironie bei Solger lassen sich finden. – Neben Dietmar Köhlers Aufarbeitung des Einflusses Schellings auf die Ausführungen zu Kunst und Spekulation in Hegels Jenaer Entwürfen stellt Wolfgang Hogrebe Aspekte der Ästhetik Schellings heraus, die der Berliner Hegel bei der Ausarbeitung seiner Kunstphilosophie angeregt haben. Dafür gilt: Wenn zwei Philosophien einander genähert werden, entsteht die Gefahr, über die Gemeinsamkeiten die oft tiefergehenden Unterschiede zu vergessen. Hogrebe weist jedoch auf beides differenziert hin. Bei Schelling wie Hegel sei zwar Geschichtlichkeit eine Zentralbestimmung der Ästhetik, es gebe aber gerade in Hinblick auf Geschichte entscheidende Unterschiede. Für Schelling sei sie nicht die Wirklichkeit des Geistes, sondern vielmehr die Zwischenzeit des Seins; was bei ihm alter Mythos sei, der nach seinem Verfall wieder in einen neuen Mythos gerettet werden müsse, sei bei Hegel die klassische Kunstform, deren orientalische Vorgängerin bei Schelling gar nicht berücksichtigt werde. Es muß wohl nicht betont werden, daß Hegel anders als Schelling die künstlerische Vermittlung des Absoluten nicht als finale Heilserscheinung des Eingangs ins Symbolische am Ende der Zeit versteht. Nichts wäre ihm fremder. Hogrebe weist aber darauf hin, daß Hegel in der romantischen Kunstform eine Rückkehr zum Symbolischen sehe, und greift mit der These über Hegel hinaus, der Kreislauf der Kunstformen wiederhole sich offenbar auf einem höheren Niveau der Geschichte der Kunst.

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Ebenfalls mit Fragen die romantische Kunstform betreffend setzt sich eine ganze Reihe weiterer Beiträge auseinander; so auch Jeong-Im Kwon in Beziehung auf den Aspekt der formellen Bildung in Hegels Verständnis der Moderne. Kunst bilde zu einer umfassenden Selbst- und Welterfahrung heran und deute in Formen der Gesellschaftskritik alternative Lebenskonzepte an. – Bestimmt Kwon eher allgemein moderne Kunst als eine solche, die zur Reflexion heranbildet und sich dafür geeignete ästhetische Formen suchen muß, greift Gethmann-Siefert in ihrer Untersuchung zwei dieser Formen heraus, um sie geschichtsphilosophisch vor dem Hintergrund des Übergangs von klassischer zu romantischer Kunst auszudeuten. Dies sind die antike Komödie und der moderne Humor. Die Verf.in gewinnt aus Hegels Bestimmungen einen Beleg für die Unplausibilität, die These vom Vergangenheitscharakter als ein tatsächliches Ende der Kunst in der Moderne zu deuten. Da die nachklassischen ästhetischen Kategorien, wie das Komische und das Nicht-mehr-Schöne oder Häßliche, eine Kunstrezeption der von Kwon benannten Reflexion und Kritik ermöglichen, müsse dahingehend vielmehr von einer Neuorientierung gesprochen werden, worin das Ästhetische andere Bestimmungen finden könne. – Diese These wird von Francesca Iannelli unterstützt, indem sie ausführlich aufzeigt, wie die moderne Kunst gegenüber der klassischen zur Reflexion statt zur Kontemplation motiviert. – Mit Gabriella Baptist kann dem hinzugefügt werden, daß die Reflexivität im Ästhetischen insbesondere von der Poesie geleistet werden könne – als eine Kunstart an der Grenze der Kunst i. S. des Ausdrucks freier Form im Begrifflichen. Denn das sprachlich vermittelte ästhetische Spiel neige dazu, ins Reich des Denkens zu führen. – Zu weiteren Facetten der Neuorientierung der Kunst neben der Reflexion zählt Klaus Vieweg auch den Autoritätsverlust und Distanzabbau durch den Humor, den er überraschenderweise nicht im Zusammenhang der Ironie, sondern einer sog. ‚poetischen Skepsis‘ abhandelt. Bei den modernen Humoristen finde Hegel die Möglichkeit einer Verknüpfung von antiker Skepsis und moderner Freiheit des Selbstbewußtseins, wodurch sich die Kunst der Aura der Heiligkeit entledige. Einen Verlust des Heiligen hebt auch Erzsébet Rózsa im Übergang zur modernen Kunst hervor, gelangt zu dieser Einsicht aber nicht durch die Annahme einer Verlängerung antiker Konzepte, sondern durch die Darstellung einer aus dem modernen Ideal entwickelten Erneuerung des ästhetischen Prinzips und daraus erklärbarer neuer ästhetischer Inhalte. Mit der Durchsetzung der Innerlichkeit werden das Alltägliche – und somit sozialgeschichtliche Aspekte – in der Kunst bedeutsam. Am Beispiel der niederländischen Malerei als ein Phänomen des Aufbruchs vom religiösen zum weltlichen Kreis verdeutlicht sie die ästhetische Heimkehr des Subjekts ins Weltliche und Gegenwärtige, wo das Gemüt eine Versöhnung mit der Prosa der Welt erfahre. – Daß Hegel die niederländische Kunst auch bezüglich der Landschaftsmalerei überaus geschätzt hat, demonstriert Karsten Berr zur Darlegung der These, Hegel ermögliche sich durch dieses Genre, das grundsätzlich ausgeklammerte Naturschöne als geistig vollzogene Natur wieder zu integrieren – und zwar nicht i. S. des romantischen substanzlosen Subjektivismus der Landschaft als Spiegelung subjektiver Empfindung, sondern durch das Konzept der niederländischen Malerei, Landschaft als gestaltete Kulturlandschaft zur Selbstanschauung eines Volkes zu begreifen. Auch darin findet die Kunst nach ihrem Ende eine Chance, wieder substantiell zu werden.

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Geht man allerdings davon aus, daß bei Hegel ein differenzierungsbedürftiges Ende der Kunst im Vordergrund seiner geschichtsphilosophisch begründeten Ästhetik steht, muß sich im Kontext des kontinuierlich an seinem Selbstbegriff arbeitenden Geistes ebenso beantworten lassen, wessen Anfang dieses Ende ist. Zwei Beiträge des Bandes beleuchten zwei verschiedene, sich nicht ausschließende Übergänge, von denen einer in der Sittlichkeit von Staat und Gesellschaft, der andere in der Religion mündet. Elisabeth Weisser-Lohmann konzentriert sich auf die politischen und sozialen Aspekte des Ästhetischen, festgemacht an der Hegelschen Antigone-Deutung und den Erläuterungen um das Schlagwort der ‚Tragödie im Sittlichen‘. Sei dies allerdings beim frühen Hegel noch der ästhetische Schlüssel zur politischen Philosophie, gebe die spätere rechtsphilosophische Theorie der bürgerlichen Gesellschaft den Bezug zur Ästhetik auf. Die Versöhnung der sittlichen Sphären durch das göttliche Gesetz werde abgelöst von Institutionen der modernen Sittlichkeit zum Ausgleich von Interessen vereinzelter Vertreter der bürgerlichen Gesellschaft. – Von der Fragestellung Klaus Düsings ausgehend, läßt sich hinsichtlich der Geschlossenheit der klassischen Kunstform problematisieren, daß das Bild vom sittlich-heiteren antiken Griechenland im Zusammenhang der Götterstatuen hinsichtlich der attischen Tragödie fragwürdig werde. Die Tragödie als Darstellung einer von sittlichem Konflikt und Schicksal getragenen Handlung könne nicht identisch sein mit dem Ideal der Skulptur, da die sprachlich-geistige, stärker verinnerlichte Tragödie gehaltvoller sei als sinnlich Schönes. In Anschluß an diese beiden Beiträge könnten auch die Konsequenzen der Verfestigung der Sittlichkeit für die klassische Kunst und ihr Verhältnis zur romantischen weiterführend diskutiert werden. – Demgegenüber beschäftigt sich Walter Jaeschke eingehend mit dem Verhältnis von Kunst und Religion und stellt heraus, daß eine enge Verbindung beider Formen des absoluten Geistes in mindestens zweierlei Hinsicht unerwünscht sei: Die meisten Künstler wollen nicht von der Religion dominiert oder instrumentalisiert werden – viele Anhänger der Religion sehen die Gefahr einer Preisgabe des frommen Ernstes an die schöne Frivolität sowie eine Tendenz zur Blasphemie. Jaeschke unterstreicht, daß Hegels Geistphilosophie aber eine Unterordnung der Kunst unter die Religion gerade verhindern wolle. Kunst brauche zwar einen absoluten Inhalt, dieser habe jedoch keine absolute Form, d. h. er werde nicht notwendig in der Form des Religiösen vermittelt. Und Religion sei erst recht nicht die alleinige Quelle aller Kulturinhalte. Doch der Verf. begnügt sich nicht mit der Darstellung, sondern entwickelt den Hegelschen Standpunkt der Kunst umfassend im Rahmen der absolut-geistigen Bestimmungen: Geist ist geschichtlich – und aus diesem Grunde sei Kunst zum einen an Religion gebunden und habe sich zum anderen von ihr befreit. Da am Ende der Religion der Geist sich nämlich säkulare Inhalte anstelle der religiösen geschaffen hatte, konnte die Kunst sich von der Dominanz absoluter Inhalte – und dadurch von der Bindung an die Religion – befreien. So kann ebenfalls aus dieser Perspektive eine veränderte Bedeutung der Kunst für die moderne Welt festgehalten werden, die nach ihrem Ende im unendlichen Inhalt des allgemein Menschlichen vollends autonom wird. Am Ende des Durchgangs aller Beiträge des Bandes kann ein Blick zurück geworfen werden. Der Weg durch die einzelnen Untersuchungen war zugleich ein Erkundungsgang in der Welt der Ästhetik Hegels, die sich dabei in ihrem ihr so eigenen

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Reichtum und ihrer zur Ganzheit zusammengeschlossenen Vielfalt gezeigt hat. Doch die Wanderschaft bliebe der Welt, die sie durchwandert, nur äußerlich, wenn sie sie bloß durchwanderte. Karl Rosenkranz schreibt im Kapitel seiner Hegel-Biographie über das Kunstinteresse, daß „unter den Philosophen, die als Systemgründer sich auszeichneten, bis jetzt Hegel als der einzige dasteht, welcher das ganze Reich der Kunst mit eigenthümlichem Geist durchdrungen hat“. Der Sammelband von Gethmann-Siefert, De Vos und Collenberg-Plotnikov vollbringt es, wiederum das Reich dieser Durchdringung mit dem nötigen Problembewußtsein und in der gebotenen Breite an Themen und Teilaspekten der Philosophie Hegels in der allein fruchtbaren gleichberechtigten Paarung von historischer Kenntnis und systematischer Schärfe zu durchdringen. Niklas Hebing (Bochum)

Annemarie Gethmann-Siefert / Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hgg.): Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. Beiträge zur Begründung der Kunstgeschichtsforschung bei Hegel und im Hegelianismus. München: Fink Verlag 2008. 288 S. (HegelForum. Herausgegeben von Annemarie Gethmann-Siefert / Michael Quante / Elisabeth Weisser-Lohmann) Der vorliegende Sammelband Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte enthält Beiträge des gleichnamigen an der FernUniversität Hagen durchgeführten Colloquiums. Untersucht wurde der Einfluß Hegels und seiner Schüler auf die Entwicklung der Kunstgeschichtsforschung: In seiner Berliner Ästhetik-Vorlesung unternimmt Hegel eine philosophische Bestimmung der Kunst, die sowohl eine Theorie und Kritik als auch eine Geschichte der Künste ermöglichen sollte und von Hegels Schülern zu einem umfassenden Konzept der Kunstgeschichte weiterentwickelt wurde (11). Den im vorliegenden Band gesammelten Beiträgen ist die Grundannahme gemeinsam, mit den Überlegungen Hegels bzw. seiner Schüler zur Begründung der Kunstgeschichtsforschung einem historischen Anspruch zu genügen sowie das Ziel, diese „spekulative Kunstgeschichte“ (15) auch in ihren Stärken zu beleuchten, um sie heutigen Debatten über die „unterschiedlichen Facetten der Kunstgeschichtsschreibung“ (15) zugänglich zu machen. Die Beiträge sind in drei Themengebiete unterteilt: I. Die kulturelle Funktion der Kunst; II. Historische Quellen zum Verhältnis von Ästhetik und Kunstgeschichte und III. Historizität versus Konstruktivität: „Spekulative Kunstgeschichte und Kunstkritik“. Mit der kulturellen Funktion der Kunst haben sich Elisabeth Weisser-Lohmann, Giuseppe Cantillo, Jean-Louis Vieillard-Baron und Erzsébet Rózsa beschäftigt. WeisserLohmann geht es in ihrem Beitrag um die Bestimmung der öffentlichen Funktion der Kunst: Hegel betrachte die Sittlichkeit als „Gestalt des Rechts“ (24). Die Kunst, welche die Sittlichkeit durch Anschauung vermittle (24 u. 28), sei damit durch den Staat zu schützen: „Zur Sicherung der rechtlichen Gestalt der Sittlichkeit muss es dem Staat einmal darum gehen, durch Einsicht und Bildung die Bedingungen der Freiheit für jedermann durchsichtig zu machen. Diese Aufgabe übernehmen die Wissenschaften, aber auch das Museum, als Ort geschichtlichen Lernens.“ (31) Der Staatszweck soll Hegel

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zufolge Handlungen zum Zweck der Selbstbestimmung und Allgemeinheit ermöglichen (23). Mit der Forderung nach Veröffentlichung von Kunstwerken, die es dem einzelnen ermöglichen soll, einen Ausgleich zwischen Individualität und Allgemeinheit zu finden, fordert Hegel vom Staat kulturpolitische Ziele (33). Daraus ergibt sich eine enge Wechselbeziehung zwischen Kunst und Politik, die Weisser-Lohmann als besondere Forderung Hegels an den Staat „über eine bloße Kulturverwaltung hinaus“ (33) anschaulich darlegt. – Cantillo fragt nach der Kunst als „lebendiges Wissen“ (35) in der Jenaer Philosophie des Geistes und in den Vorlesungen über Ästhetik und macht die kulturelle Funktion der Kunst deutlich, indem er den Wert, den sie für Hegel hat, betont: Sie ist nicht nur schön oder nützlich, sondern strebt auch nach Wahrheit. Hegel zufolge ist die schöne Kunst der Antike beendet, denn der Mensch hat sich als Subjekt erkannt und erkennt das Göttliche, das zuvor als Seiendes durch die Kunst in der Anschauung vermittelt worden ist, nicht mehr in der Mythologie. Stattdessen wandelt sich die Kunst zu einer neuen Möglichkeit der Kommunikation und sucht nach neuen Erkenntnissen, die der Erweiterung der Wahrnehmung des Menschen dienen soll (50). Cantillo weist auf die Aktualität dieser These Hegels hin, die sich noch in den Avantgarde-Bewegungen des 20. Jahrhunderts findet. – Vieillard-Baron untersucht den Zusammenhang zwischen Kunst, Religion und Geschichte. Ihm ist für seine Analyse und verständliche Darstellung dieses komplexen Themas anhand der Phänomenologie des Geistes sowie der Enzyklopädie von 1817 sehr zu danken. – Rózsa thematisiert die Möglichkeit der Versöhnung durch Kunst sowie deren Grenzen. Sie hebt den großen Gewinn Hegels hervor, durch die Versöhnung eine „neuartige Leistungsfähigkeit und Bereicherung“ der Kunst erwirkt zu haben und vertritt die These, Hegels Anliegen bestehe in der Frage nach der Funktion der Kunst in der modernen Welt, nicht in der Frage nach dem Ende der Kunst (95). Wie bei Cantillo, der dies betont, kann auch bei Rózsa ein Hinweis auf die Aktualität der These Hegels von der neuen Funktion der Kunst ausgemacht werden. Mit historischen Quellen zum Verhältnis von Ästhetik und Kunstgeschichte haben sich Sándor Radnóti, Irmgard Siebert, Bernadette Collenberg-Plotnikov, Francesca Iannelli und Jeong-Im Kwon beschäftigt. Radnóti fragt nach Schellings Beitrag zur Anwendung der Winckelmannschen Kunstcharakteristika auf die Ästhetik. Er vollzieht Schellings Argumentation nach (100): Die Trennung von Kunst und Wissenschaft führt zu einem Ausschluß der Niederländer von der Kunstphilosophie. Svetlana Alpers zufolge (siehe deren Buch The Art of Discribing. Dutch Art in the Seventeenth Century. Chicago 1983. 100 f.) waren die Niederländer nämlich von wissenschaftlichen (optischen) Geräten beeinflußt, um die empirische Welt möglichst exakt darzustellen, während die Italiener ein narratives Moment in den Vordergrund stellten. Radnótis Beitrag zeichnet sich durch eine gut verständliche Darstellung der Gedanken Schellings aus, jedoch übernimmt er dessen These, die niederländische Kunst basiere auf Wissenschaftlichkeit und sei daher von der Kunstphilosophie auszuschließen, allzu unkritisch, indem er ihr teilweise zustimmt (100) und sie mit neuerer kunsthistorischer Forschungsliteratur (Alpers) zu untermauern sucht. Alpers hat mit ihrem Buch jedoch nicht die niederländische gegenüber der italienischen Kunst diskreditiert, sondern eine Gegenposition zu früheren Forschungen zur niederländischen Malerei eingenommen. Während in der

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Kunstgeschichtsforschung oftmals die niederländische Kunst als humanistisch motiviert gesehen wurde, da sie Embleme verwendet hätte zur Übermittlung moralischer Botschaften, stellt Alpers dagegen gerade die Stärke der niederländischen Malerei in ihrer exakten Naturwiedergabe heraus. Radnóti scheint Alpers pointiert gegenzulesen i. S. eines Versuchs der Weiterführung der Gedanken Schellings bis ins 20. Jahrhundert. Dieser Versuch scheitert zudem an dem von Radnóti selbst angeführten Beispiel Dürers: Dieser hat sich perspektiventechnisch – Grundlage für seine wissenschaftlichen Werke – in Italien ausbilden lassen (siehe: Johann Konrad Eberlein: Albrecht Dürer. Reinbek bei Hamburg. 2003. 70 f.; 80 ff.). – Siebert befaßt sich mit Jacob Burckhardts Versuch, die Kunstgeschichte auf eine historische Basis zu stellen. Dabei macht sie auf zentrale Lükken aufmerksam, die durch Burckhardts Charakteristik der Kunstgeschichte als Kulturgeschichte geblieben sind (108). Burckhardt hat mit seinem Konzept der Ordnung der Kunst nach Aufgaben – nicht nach Künstlern – eine Alternative zur traditionellen Kunstgeschichtsschreibung geliefert. Gleichwohl ist jedweder Stil einer sakralen Aufgabe verpflichtet. So findet sich auch bei Burckhardt eine geschichtliche Verbindung zwischen Religion und Kunst. Daher ist die Kunst auch (kultur-)geschichtlich gewachsen. Obwohl von religiösen Aufgaben inspiriert, betrachtet Burckhardt die Kunst als etwas in ihrem Grunde Eigenes und Geheimnisvolles (118 f.). Siebert bietet mit ihrer Darstellung des Kunstverständnisses Burckhardts einen Einblick in ein interessantes Gegenkonzept zur „spekulativen Kunstgeschichte“ (13). – Collenberg-Plotnikov betrachtet Hothos Vorlesung zur Ästhetik als Weiterentwicklung des Hegelschen kunstphilosophischen Konzepts, zeigt, wie es zum Bruch zwischen Ästhetik und Kunstgeschichte gekommen ist und erklärt, warum dies sinnvoll ist, um einen „methodischen Zirkel“ zu vermeiden, in dem sich „[ä]sthetische Theorie und Deutung der Empirie [gegenseitig] stützen […] und […] sich damit jener Kritisierbarkeit, die wissenschaftliche Argumentation auszeichnet, [entziehen].“ (148) – Iannelli stellt an exemplarisch ausgewählten Briefen zwischen Heinrich Gustav Hotho, Friedrich Theodor Vischer und Kuno Fischer die nachhegelsche Diskussion um die Anerkennung der Kunstgeschichte als geschichtliche Wissenschaft dar. Kwon behandelt die Wirkung der Ästhetik Hegels auf die Methodik der Kunstgeschichte und das Kunstverständnis. Mit dem Verhältnis von Historizität und Konstruktivität befassen sich Lu De Vos, Francesca Iannelli, Takako Shikaya, Karsten Berr, Alain Patrick Olivier und Claudia Melica. De Vos stellt anhand von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, Hothos Ästhetik und Hegels Überlegungen zur Skulptur die Probleme der philosophischen Diskussionen um Hegels Ästhetik dar: Hotho, der Hegels Ästhetik-Vorlesung nach dessen Tod fortführt, läßt sein eigenes systematisches Konzept in Hegels Ästhetik einfließen. – Auch Iannelli betont den Einfluß Hothos auf die nachhegelschen Ästhetikdebatten (209) und macht diesen deutlich an Vischers Definition des Häßlichen, dessen Wandlung sie ausführlich rekonstruiert und mit Hothos und Hegels Konzeption des Häßlichen vergleicht. Dabei hebt sie Hegels Verdienst der Definition des Häßlichen als eigenes Moment der Kunst hervor (227). Iannelli weist mit ihrem Beitrag den Einfluß Hothos auf nachhegelsche Diskussionen nach und zeigt dessen Wirkung exemplarisch an Vischers Konzeption des Häßlichen. Für die Beseitigung möglicher Mißverständnisse im Umgang mit Hegels Ästhetik und die Betonung der besonderen Leistung

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Hegels ist ihr sehr zu danken. – Shikaya vollzieht Hegels Konzeption der Architektur einleuchtend nach und hebt sie von ihrer Rezeption im Hegelianismus ab. Nachdem Shikaya Hegels Leistungen würdigt, die sie durch Hothos Einfluß vernachlässigt glaubt, widmet sie der Aktualität des Hegelschen Konzepts ein eigenes Kapitel (240 f.). – Berr befaßt sich mit dem Thema der Landschaftsmalerei bei Carus und Hegel. Sein Beitrag zeichnet sich durch eine durchaus kritische Darstellung aus, die sich für das Verständnis der Problematik, mit der er sich befaßt, als sehr vorteilhaft erweist. – Olivier, der sich bereits ausführlich mit Hegels Bezugnahme auf die Musik beschäftigt hat, stellt einen sehr verständlich abgefaßten Beitrag zur Rezeption des Don Juan bei Hegel, Hotho und Kierkegaard zur Diskussion. Melica beleuchtet den Begriff der Liebe in Hegels Bestimmung der romantischen Kunst und geht dabei auf dessen Zusammenhang mit der Religion ein: „Der Inhalt, den die romantische Kunst repräsentiert, ist […] auch die unendliche Liebe Gottes.“ (274) Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. Beiträge zur Begründung der Kunstgeschichtsforschung bei Hegel und im Hegelianismus lohnt die Lektüre in jedem Fall. Neben einem großen Überblick über verschiedene Themen, die im Zuge der Kunstgeschichtsforschung bei Hegel und im Hegelianismus aufkommen – wie beispielsweise die öffentliche Funktion der Kunst, die Bedeutung des Häßlichen in der Ästhetik und Hegels Rezeption nicht nur des Don Juan –, wird in vielen Beiträgen (u. a. bei Shikaya) auf Hothos Einfluß auf die Ästhetik Hegels hingewiesen. Damit erhält der Leser Hinweise, die für das Verständnis von Hegels Ästhetik unabhängig von deren Beeinflussung durch Hotho äußerst wertvoll sind. Annika Döring (Bochum)

Holger Gutschmidt: Vernunfteinsicht und Glaube. Hegels These zum Bewusstsein von etwas „Höherem“ zwischen 1794 und 1801. Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 240 S. Wie viel innere Kontinuität zeigt Hegels philosophische Entwicklung? Sind die Frühschriften schnell überwundene oder prägnant vorarbeitende Etappen auf dem Weg zum Haupt- und Spätwerk? Ein solides Stück Grundlagenforschung zu dieser Frage verbirgt sich hinter dem etwas altfränkisch klingenden Titel von Gutschmidts eindrücklicher Göttinger Dissertation. Diese untersucht, inwiefern Hegels Theologische Jugendschriften und die Differenzschrift das Entstehen der Hegelschen Systemphilosophie „motiviert“ haben (9). Formal wählt Gutschmidt einen Dreischritt zur Klärung seiner Leitfrage. Nach einem knappen Vorwort, das leider keinen breiteren Überblick über den einschlägigen Forschungsstand gibt (9–17), folgt ein umfänglicher erster Hauptteil (18–151), der der Exegese der Schriften aus der Tübinger, Berner und Frankfurter Zeit gewidmet ist. Gutschmidt rekonstruiert, wie Hegels frühes Projekt einer „Volksreligion“ in der Tübinger und Berner Zeit den Bedingungen höchster gefühlsmäßiger und moralischer Einheit unter Menschen nachforscht, bis in Hegels Frankfurter Zeit die Religion für ihn nur noch eine (wenn auch eine besondere) unter anderen solchen Einheitsvorstellun-

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gen wird (142). Ein kürzerer zweiter Hauptteil bringt eine luzide Analyse von Hegels Theorieentwurf der Jenenser Epoche (152–213). Entfaltet wird, wie die Differenzschrift mit ihrer Vernunfttheorie von transzendentaler Anschauung, Reflexion und System in abstrakter Form Hegels Arbeit am Gottes- und Bewußtseinsbegriff der späten Frankfurter Zeit aufgreift. Abschließend skizziert Gutschmidt die Bedeutung des Ertrags seiner Studie für eine „mögliche Rekonstruktion von Hegels später Konzeption von Dialektik“ (214–221). Thematisch wie methodisch beschränkt der Autor sich weitgehend auf eine Analyse Hegelscher Primärtexte, auch in Abgrenzung von der „Konstellationsforschung“ Dieter Henrichs und seiner Schüler (10 f.). Gegen diese wendet Gutschmidt ein, daß sich nicht zwingend darlegen lasse, ob und inwiefern „Konstellationen“ die wirklichen Gründe oder Absichten, die zu einem Gedankengebäude geführt haben, angeben. Insofern sei jede solche Kontextforschung letztlich doch von ihrer Bewährung an den Primärquellen abhängig (11). Also: Ad fontes! Inhaltlich argumentiert der Autor für zwei Kernthesen. Eine erste hält dafür, daß sich ein gewichtiger Teil der Entwicklung Hegels in der Zeit der Theologischen Jugendschriften als Arbeit an zentralen Begriffen der Differenzschrift verstehen läßt: an den Konzepten ‚transzendentale Anschauung‘, ‚Reflexion‘ und ‚System‘ (214). Damit soll nicht übersehen, sondern vielmehr erläutert werden, daß und warum sich die nach Prämissen einer „Vereinigungsmoral“ fragenden Jugendschriften von den Überlegungen der Differenzschrift unterscheiden, welche auf die Entwicklung und Bestimmung allgemeiner ontologischer Begriffe zielen. In der Tat kann Gutschmidt zeigen, daß mindestens ab Hegels späten Frankfurter Schriften zur systematisch-begrifflichen Exposition des „Lebens“ eine besondere Erkenntnisbeziehung des Bewußtseins zum Absoluten in den Blick kommt, die die Wahrheit eines philosophischen Systems metaphysisch absichern kann. Eine zweite Kernthese setzt spezifischer bei der Differenzschrift an. Gutschmidt sieht eine systematische Perspektive eröffnet, wenn man den „Standpunkt der Wissenschaft“ aus Hegels reifen Schriften „unter Mithilfe der Analyseergebnisse der Differenzschrift als eine spannungsreiche Synthese von Transzendentaler Anschauung und Reflexion“ versteht (220). Diese These wird indes nur skizziert, nicht detailliert erörtert – was aber in angekündigten weiteren Studien des Autors zu Hegel noch nachgeholt werden soll. Dieses angekündigten Nachtrags wird es denn auch bedürfen, um die Tragweite des von Gutschmidt skizzierten Deutungsansatzes genauer prüfen zu können. Wünschenswert gewesen wäre auch eine etwas ausführlichere Kommentierung der Sekundärliteratur zum Thema. So hätte Gutschmidt das Eigenständige und Herausfordernde seiner Untersuchung noch besser profilieren können. Gleichwohl: Gutschmidts kundige und gründliche, meist glänzend geschriebene Studie ist ein wichtiger und innovativer Beitrag nicht nur zur systematisch-philosophischen Erschließung der Leitthemen des Hegelschen Frühwerks. Sie umreißt auch einen schlüssigen und vielversprechenden Ansatz zur Interpretation der inneren Entwicklungslogik des Hegelschen Gesamtwerks. Auf weitere Hegel-Analysen aus der Feder des Autors darf man gespannt sein. Wolfgang M. Schröder (Tübingen)

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Franco Biasutti: Momenti della filosofia hegeliana. Ethos, Arte, Religione, Storia. [Momente der Hegelschen Philosophie. Ethos, Kunst, Religion, Geschichte.] Pisa: ETS 2008. 178 S. (philosophica, 53, serie blu. A cura di Leonardo Amoroso) Ein Leitfaden hält die sechs Studien zusammen, die hier in revidierter Form nochmals erscheinen und deren gemeinsame Perspektive sonst durch die vorhergehende zerstreute Veröffentlichung in Zeitschriften und Sammelbänden notgedrungen schwächer zum Ausdruck gekommen ist. Es geht um die entschiedene Bewertung der weiterhin im Panorama des zeitgenössischen Denkens meistenteils verschmähten Philosophie des Absoluten bei Hegel und deren Beleuchtung auch i. S. einer ethisch-politischen Deutung. Wenn die Sittlichkeit das Reich der ‚verwirklichten Freiheit‘ darstellt, sind Kunst, Religion und Philosophie die konkreten Momente des ‚absolut freien Geistes‘, daher zeigt sich der Begriff der Freiheit dem Autor gemäß als konstitutives und treibendes Moment der letzteren Stufen des Geistes, was auch die Wahl der zu untersuchenden Themen innerhalb von Hegels Philosophie der Kunst, der Religion und der Philosophiegeschichte erklärt. Die Sittlichkeit als problematische Grenze und Verbindungsbrücke zwischen endlichem und absolutem Geist steht zunächst im Mittelpunkt der Auseinandersetzung (I.: „Zwischen Freiheit und Natur. Sklaverei und Verschiedenheit der Rassen“, 17–54), wobei sich besonders die Frage nach der Gleichheit als zentral erweist, jenem Leitstern Rousseaus, jener Parole der Französischen Revolution, die damals die jungen Tübinger Stiftler begeistert hatte und die sich auch in der Folgezeit als wichtige Grundlage der politischen Theorie und Praxis durchsetzen würde. Den angeblichen Gegensatz von Freiheit i. S. einer ‚geistigen‘ Anlage des Bewußtseins und Gleichheit als in der gemeinsamen menschlichen ‚Natur‘ begründet beseitigt Biasutti jedoch sogleich, indem er betont, wie „Hegels Perspektive sich sozusagen diesseits oder jenseits einer solchen Antinomie stellt, da die Gleichheit in den Termini der Freiheit ausgedrückt wird“ (28) und umgekehrt die Freiheit (als Wille des Allgemeinen) die gegenseitige Anerkennung von Gleichgestellten voraussetzt. In der Perspektive der angestrebten Versöhnung zwischen der Freiheit (aller) und der Gleichheit (von Vernunftwesen) werden besonders das Problem der Sklaverei sowie die damals weithin erörterte Frage nach den verschiedenen menschlichen ‚Rassen‘ gestellt; dabei erhellt, wie die wahrhafte menschliche Natur gar nicht in einer physischen und animalischen Naturalität, sondern vielmehr in der ‚zweiten‘ Natur eines stetigen Zu-sich-Kommens des Menschlichen innerhalb der Konstruktionen der geschichtlichen Entwicklungen zu finden sei, in denen Natur und Geist, Volkscharakter und ethisch-politische Entscheidung, Differenzen des Kontingenten sowie Einheitsformen des Rationalen ineinander verschmelzen. Die von den Napoleonischen Kriegsplünderungen begünstigte Neubewertung der Holländischen Malerei und deren Nachwirkungen in der deutschen Kultur der damaligen Zeit (etwa durch Friedrich Schlegel und Goethe oder die Kunstsammlung der Brüder Boisserée), aber auch die Kunstreisen Hegels im Rahmen der Vorbereitung seiner Ästhetik-Vorlesungen werden vom Autor sodann zunächst kurz in Erinnerung gebracht, um die Eigenart von Hegels philosophischer Bewertung der Malerei in ihrem Zusammenhang mit der Subjektivitätsproblematik herauszuarbeiten (II.: „Der ‚Zauber

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der Farbe‘. Die Deutung der Holländischen Malerei“, 55–79). In der Nachfolge von Winckelmanns Sendschreiben über die Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Mahlerey und Bildhauerkunst (1755, bereits mit Bezug auf die Werke der Holländer), aber auch aufgrund eines direkten Kunsterlebnisses weist nach Hegel die Zauberei des Farbenscheins auf ein thaumazein hin, das im Sinnlichen das Geistige zu fassen vermag, was in der gestalteten Natur, in der einfachen Fröhlichkeit einer autonomen Existenz und in der Glorifizierung des Weltlichen sogar im Religiösen Zeichen der Freiheit wiederfindet. Der schon in Jena aufgearbeitete Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und Kunst, aufgrund dessen auch die Verherrlichung der Griechen erklärbar wird, findet seine Entsprechung nach Biasutti in dem problematisierten Verhältnis der Kunst zur Religion und deren Beziehung – über die Gemeinde – zur gesellschaftlichen Praxis und also wiederum zur Immanenz (III.: „Die systematische Entwicklung von der Kunst zur Religion in den Jenaer Schriften“, 81–89). Gegen die Einseitigkeiten einer soziologischen oder politischen Deutung der Religionsphilosophie stellt allerdings Biasutti durch „Die Entwicklung der Idee der Religion“ (91–132) bei Hegel deren enge Verbindung zur Thematik des Bewußtseins sowie zur enzyklopädischen Systementfaltung fest. Dabei gilt einerseits die phänomenologische Gestaltung des unglücklichen Bewußtseins – „transzendentale Risiken des religiösen Bewußtseins“ (116) – als zentral, andererseits wird aber auch die Nähe und Distanz von Religion und Philosophie in bezug auf die Idee und auf das Problem des Absoluten überhaupt problematisiert. „Kunst, Religion und Philosophie, gerade als Gestalten des absoluten Geistes, entsprechen auch bestimmten geschichtlichen Epochen, sind zur realen, zeitlichen Dimension gehörige Unterscheidungen“ (129–130), d. h. determinieren sich als Objekte eines Bewußtseins des Absoluten, entsprechen jedoch auch der logischen Entwicklung von der Anschauung zur Vorstellung bis zum Begriff des Absoluten selbst. Obwohl die Eigenheit des Nexus zwischen Religion und Philosophie darin bestehe, daß beide in derselben geschichtlichen Epoche der christlich-germanischen Welt ihren Höhepunkt finden – und daher bilde der philosophische Begriff des Absoluten nur die spekulative Zukunft von dessen Vorstellung, die sich jedoch zeitlich parallel entfalte –, betont Biasutti trotzdem, daß die philosophische Idee doch die Spitze dieser Dialektik dargestellt, was auch die radikale Säkularisierung der Religion in der Moderne bedingt (siehe 132; dazu auch 33, wonach ein mit der Wissenschaft, der Aufklärung und der Französischen Revolution versöhntes Christentum „auf der konkreten Ebene der Geschichte zum Träger des Prinzips einer absoluten Immanenz [wird], d. h.: Gott ist nunmehr jeder Mensch, und die Welt des Heiligen muß innerhalb der Glaubensgemeinschaft als Seele der politischen Gesellschaft gesucht werden“). Was die letzte Stufe eines Wissens des Geistes von sich innnerhalb der Wissenschaft angeht, bleibt Spinoza nach Hegel als ‚Hauptpunkt der modernen Philosophie‘ und trotz aller Einwände gegen die mathematisierende Methode ohne weiteres der notwendige Ausgangpunkt jedweder philosophischen Behandlung des Unendlichen und des Absoluten („Aktualität der Hegelschen Geschichtsschreibung: Der Fall Spinozas“, 133–154). Gerade auch dank dieser Hervorhebung wird Hegels Deutung des holländischen Philosophen wieder in den Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit dem

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Pantheismus der Renaissance und insbesondere mit Giordano Bruno gestellt, was auch die nachfolgende philosophische Geschichtsschreibung beeinflussen wird, wie Biasutti anhand der Spinoza-Deutung bei Spaventa, Sigwart, Dilthey, Gentile, Wolfson, Troilo, Corsano, Deregibus und Giancotti zeigt. Der Anhang über „Rosmini und eine mögliche Quelle von Hegels Logik“ (155–167) beschließt die Abhandlung mit dem Verweis auf die frühere direkte Auseinandersetzung des italienischen Philosophen (schon in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts) mit der Wissenschaft der Logik, als Hegels Werke in Italien meistens nur aus zweiter Hand in französischen Zusammenstellungen und Übersetzungen bekannt waren. Besonders Rosminis Würdigung von Hegels Verweis auf die Infinitesimalrechnung in der vierten Anmerkung zum Werden innerhalb der Seinslogik und die hergestellte Verbindung von Mathematik und Dialektik sind nach Biasutti von großem Interesse. Rosminis Unterstellung, Hegel könnte die Abhandlung De nihilo geometrico (1758) von Giuseppe Torelli gekannt haben – des Herausgebers der in der 1792er Oxford-Edition in griechischer und lateinischer Sprache erschienenen Werke des Archimedes –, erweist sich als wichtiges Indiz, um mögliche zusätzliche Quellen von Hegels Interesse an der Frage nach dem Unendlichen aufspüren zu können. Reich an Detailarbeit, aber auch solide in der Gesamtschau, zeigen Biasuttis Untersuchungen an einigen nur auf den ersten Blick marginalen oder inzwischen ganz und gar marginalisierten Fragen der Hegel-Forschung die geschichtliche und philosophische Relevanz von Hegels Ringen mit dem Absoluten, dessen ethische Verwurzelung und wissenschaftliche Prägnanz wiederholt zum Ausdruck kommen. Gabriella Baptist (Cagliari)

Angelica Nuzzo (Ed.): Hegel and the Analytic Tradition. London / New York, NY: continuum 2010. vii, 208 pp. (Continuum Studies in Philosophy) Der Titel „Hegel und die analytische Tradition“ steht für einen komplexen Zusammenhang, der in den letzten 10 Jahren seit Wolfgang Welschs Antrittsrede an der Friedrich-Schiller-Universität Jena „Hegel und die analytische Philosophie“ (1999) bis Paul Reddings Analytic Philosophy and the Return of Hegelian Thought von 2007 (siehe Michael Quantes Rezension in: Hegel-Studien 43 [2008], 188–192) vermehrt zum Gegenstand historiographischer Aufmerksamkeit gemacht worden ist. Die Arbeiten, die sich bislang mit diesem Thema beschäftigt haben, erforschen Fragen, die schwerlich auf einen einzigen Nenner zurückführbar sind: Die Ablehnung Hegels, die seit Russell und Moore zum Wesen orthodoxer analytischer Philosophie gehört; das Programm einer Wiederaufnahme Hegels in der anglo-amerikanischen, pragmatistisch orientierten Philosophie, das mit der Gründung einer Hegel Society of America, die 1970 ihren ersten Kongreß „Hegel and the Sciences“ veranstaltet, zusammenfällt; die bewußte Anlehnung an Hegel durch Autoren, die sich aus der analytischen Schule der Russellschen und Fregeschen Semantik herausgebildet haben (wie Brandom); schließlich das unbewußte Auftauchen Hegelscher Themen und Lösungen bei Autoren, die zum analytischen Kanon gehören

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und die sich nicht explizit auf den deutschen Philosophen beziehen. Quer zu dieser hauptsächlich diachronischen Vielfalt steht dann die Vielschichtigkeit, die sich aus der Frage nach dem Verhältnis Hegels zu den verschiedenen Feldern und Disziplinen ergibt, z. B. zur Philosophy of Mind oder zur analytisch geprägten Kunstphilosophie und Ästhetik oder zur analytischen Epistemologie. Der vorliegende von Angelica Nuzzo (City University of New York) herausgegebene Band spiegelt die Mannigfaltigkeit der bisherigen Forschung zu „Hegel und die analytische Philosophie“ wider, da er Aufsätze versammelt, die sowohl die Frage nach der Unvereinbarkeit Hegelscher Philosophie mit dem analytischen Kanon (wie Tom Rockmores „Some Recent ‘Realist’ Readings of Hegel“, Terry Pinkards „Hegel’s Nonanalytic Option“, Joseph Margolis’ „The Point of Hegel’s Dissatisfaction with Kant“ und David Kolbs „The Necessities of Hegel’s Logic“) als auch (wie John McCumbers „Hegel and Natural Language“, Katharina Dulckeits „Unlikely Bedfellows? Putnam and Hegel on Natural Kind Terms“, Angelica Nuzzos „Vagueness and Meaning Variance in Hegel’s Logic“, Franca D’Agostinis „Was Hegel Noneist, Allist or Someist?“ und Kenneth R. Westphals „Hegel, Russell and the Foundations of Philosophy“) diejenige nach der Präsenz Hegelscher Motive bei analytischen Autoren untersuchen, die sich entweder von Hegel distanzieren bzw. ihn gar nicht berücksichtigen (wie Russell, Quine oder Putnam) oder bewußt an Hegel anknüpfen (wie Routley und Priest). Was die behandelten „analytischen“ Themen und Disziplinen betrifft, stellt dieser Band jedoch ein Unikum in der Sekundärliteratur dar, welcher der zukünftigen Forschung entscheidende neue Impulse geben kann. Während die bisherige Forschung zu „Hegel und die analytische Philosophie“ sich hauptsächlich auf die Bedeutung Hegels für die zeitgenössische Philosophy of Mind und Epistemologie konzentriert hatte, untersucht dieses Buch die in der anglo-amerikanischen Hegel-Renaissance der letzten Jahrzehnte als ‚dornig‘ angesehene und meistens vernachlässigte Frage nach der Bedeutung der Hegelschen Logik und Metaphysik. Im Mittelpunkt der Beiträge stehen Themen wie Fragen nach der ‚Vagheit‘, nach der dialektischen Logik oder nach Hegels möglichem Beitrag zur zeitgenössischen analytischen Metaphysik, die für die kanonische Forschung untypisch sind. Obwohl Nuzzo in der „Einleitung“ daran erinnert, daß die Beziehung zwischen Hegel und der analytischen Philosophie komplex und diversifiziert ist, legt sie der Konzeption des Bandes eine genaue und einheitliche hermeneutische Hypothese zugrunde. Die analytische Hegel-Renaissance sei – so Nuzzo – durch eine dialektische Notwendigkeit gekennzeichnet: Es sei nicht möglich, nach Hegel zu philosophieren, ohne sich mit seinem System auseinanderzusetzen. Die analytische Philosophie bilde hierzu keine Ausnahme: „Dialectically, even sheer negation of historical and conceptual influence […] presupposes a certain conception and an implicit recognition of what is negated“ (2). Andererseits bilde die Hegel-Renaissance in der analytischen Philosophie eine fruchtbare Gelegenheit, die Rolle Hegels in der zeitgenössischen Philosophie insgesamt zu verorten. Während die sog. analytische Philosophie als Reaktion gegen Hegel entstanden sei, könne die kontinentale Philosophie – von Existentialismus zu Phänomenologie und Hermeneutik, von Marxismus zu Historismus und Dekonstruktion – als positive Aufnahme Hegelscher Themen und Strategien betrachtet werden. Da

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aber die analytische Philosophie der letzten Jahrzehnte begonnen habe, sich an Hegel zu wenden und die kontinentale immer häufiger an die analytische anknüpfe, hieße dies, daß wir im Begriff sind, das Ende des analytic-continental divide zu erreichen, und zwar „we may be close to acknowledging both the dialectical relation [between analytic and continental philosophy] and the necessity of such relation for the advancement of philosophical discourse as such“ (3). In dem Buch werden zunächst logische Fragen in den Mittelpunkt der Analyse gestellt: Das Verhältnis der Hegelschen Dialektik zur Transzendentalphilosophie Kants und zu post-kantianischen Wissenschaftsauffassungen (Margolis); das Verhältnis der Hegelschen Logik- und Sprachauffassung zu zeitgenössischen Konzeptionen der Sprache (Kolb, Nuzzo und McCumber). Dann wird die Frage nach Hegels möglichem Beitrag zu den metaphysischen (und meta-metaphysischen) Debatten über „Natural Kind Terms“ (Dulckeit), die Existenz oder Nicht-Existenz widersprüchlicher Gegenstände (D’Agostini), Idealismus und Realismus (Rockmore) und über Fundationalismus (Pinkard und Westphal) betrachtet. In dem Aufsatz „The Point of Hegel’s Dissatisfaction with Kant“, der das Buch eröffnet, rekonstruiert Joseph Margolis den Übergang von Kants transzendentalphilosophischer Auffassung zu Hegels dialektischer Logik in folgender Überzeugung: „Hardly any theorist of importance in the last two centuries has ventured an innovative strategy of any kind that is not primarily informed by the contest between Kant and Hegel“ (29). Der Übergang vom Transzendentalismus zur Dialektik stimme – so Margolis – mit der Überwindung von Kants strikt aprioristischer Notwendigkeit durch Hegels Auffassung dialektischer Notwendigkeit überein, derzufolge Apriori und Aposteriori sich gegenseitig bedingen. Dies erlaubt Margolis, über die Bedeutung Hegels für den amerikanischen Pragmatismus nachzudenken. – Die Frage nach der logischen Notwendigkeit (bei Hegel und in der analytischen Philosophie) wird dann von David Kolb in „The Necessities of Hegel’s Logic“ im Ausgang eines Vergleichs unterschiedlicher Versionen der Wissenschaft der Logik vertieft. Die Änderungen in entscheidenden Passagen der Wissenschaft der Logik zeigen, daß die der dialektischen Entwicklung immanente systematische Notwendigkeit vielschichtig ist. Daß die logische Entwicklung in der Sprache ihren Sitz hat, erhellt lt. Kolb den pluralistischen Charakter ihrer Notwendigkeit. – In „Vagueness and Meaning Variance in Hegel’s Logic“ interpretiert Angelica Nuzzo Hegels Dialektik als Analyse und Revision sowohl der natürlichen als auch der traditionellen philosophischen Sprache, eine Revision, die mit der Bewegung dialektischer Begriffe zusammenfalle. Nuzzo analysiert die Rolle der Sprache in der Wissenschaft der Logik und weist auf zwei Aspekte hin, die zur „Sprache der Dialektik“ im wesentlichen gehören: Die Vagheit oder Unbestimmtheit, die lt. Nuzzo mit dem Widerspruch, der der dialektischen Bewegung innewohnt, unzertrennlich verbunden sei, sowie die Bedeutungsverschiebung, die es ermöglicht, daß das Denken sich immanent bewegt. Vagheit und Bedeutungsverschiebung, die in Hegels Philosophie von fundamentaler Bedeutung sind, werden insbesondere in der zeitgenössischen analytischen Logik und Rechtsphilosophie untersucht: Eine nähere Beschäftigung mit neuen Resultaten der analytischen Forschung hierzu könne, so Nuzzo, die Hegel-Forschung voranbringen; und wiederum könne eine genaue Kenntnis des Hegelschen Ansatzes der analytischen

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Philosophie den Zugang zur Frage nach der geschichtlichen Natur des Denkens, die von der Vagheit und Verschiebung der Bedeutungen unzertrennlich ist, eröffnen. – John McCumber fragt in „Hegel and Natural Language“, ob es möglich sei, bei Hegel über eine natürliche Sprache in der analytischen Bedeutung dieses Ausdrucks zu sprechen. Zu diesem Zweck analysiert er die Hegelsche Auffassung der Sprache in der Enzyklopädie im Ausgang von einer kritischen Auseinandersetzung mit Brandoms Inferentialismus und Russells Theorie definiter Beschreibungen. Sein Fazit lautet: „Hegel’s account of language is ‘naturalistic’ in the contemporary sense, in which the alternative to the natural is the conceptual or the mental, but not in his own sense, in which the alternative to the natural is the historical and the cultural“ (91). – Lt. Terry Pinkard („Hegel’s Nonanalytic Option“) ist Hegels Position „anti-analytisch“, da sie sozialer und historischer Natur sei: „The analysis of key philosophical terms needs to be put in terms of how those terms function in a form of life“ (108). Hegels philosophische Wende stimmt lt. Pinkard (wie für Brandom) letztlich nicht mit einer anti-analytischen Position schlechthin, sondern mit der Herausforderung überein, die klassische analytische Philosophie durch einen analytischen Pragmatismus à la Wittgenstein und Austin zu revidieren. – Auch Tom Rockmore („Some Recent Analytic ‘Realist’ Readings of Hegel“) betont einige Mißverständnisse, die eine im weiten Sinne verstandene analytische Interpretation Hegels kennzeichnen. Er rekonstruiert die analytische Debatte über Idealismus und Realismus und die verschiedenen Bedeutungen von Realismus in der zeitgenössischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Seiner Ansicht nach bestehe die typische Tendenz neuerer angloamerikanischer Aneignungen Hegels, die stark von diesen Debatten beeinflußt seien, darin, ihn als einen metaphysischen Realisten – und daher „nicht idealistisch“ – zu interpretieren. Diese Tendenz führe sogleich einige Idiosynkrasien des angloamerikanischen Umgangs mit dem Idealismus vor Augen, demzufolge man kein Realist sein könne, wenn man Idealist sei und umgekehrt – oder gemäß dessen der objektive Idealismus mit einem metaphysischen Realismus und der subjektive und absolute Idealismus mit einem theologischen Standpunkt verwechselt werde. Lt. Rockmore stellt dagegen der Hegelsche Standpunkt eine Form des säkularisierten Idealismus dar, der mit einem empirischen Realismus vereinbar ist. – Franca D’Agostini („Was Hegel Noneist, Allist or Someist?“) verteidigt – wie Rockmore – die These, daß Hegels Idealismus keinen Anti-Realismus impliziere. Anders als Rockmore betont sie jedoch die Fruchtbarkeit einer Integration Hegelscher Ontologie und Metaphysik in die zeitgenössischen analytischen Debatten. Sie rekonstruiert insbesondere die Auseinandersetzungen um die Existenz kontroverser Entitäten wie Universalien, unvollständiger und widersprüchlicher Gegenstände und fragt in Anknüpfung an David Lewis’ Unterscheidung, ob Hegel „Noneist, Allist, or Someist“ gewesen sei, d. h. ob er vertreten habe, daß nur einige der Dinge, die sind, existieren oder daß alles existiere oder ob er die Frage nach der Existenz tout court eliminiert habe. In D’Agostinis Interpretation bilden Hegels Überlegungen über Dasein, Existenz und Wirklichkeit und der Doppelsatz in der „Einleitung“ zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts – der als „Restriktionsregel des Existenzprädikats“ gedeutet wird – eine Hypothese, die in der Lage ist, die analytische Debatte und insbesondere die sog. „noneistische“ Option besser zu begründen. – Wie D’Agostini unterstreicht auch Katharina Dulckeit („Un-

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likely Bedfellows? Putnam and Hegel on Natural Kind Terms“) die Fruchtbarkeit der Hegelschen Position für die analytische Debatte. Lt. Dulckeit liefert Hegels Behandlung der Indexikalität in dem Kapitel über die „sinnliche Gewißheit“ der Phänomenologie des Geistes – und allgemeiner die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem – grundsätzliche Hinweise, um die offengebliebenen Fragen und Probleme von Putnams Theorie natürlicher Arten zu lösen. – Den Mittelpunkt von Kenneth R. Westphals „Hegel, Russell and the Foundations of Philosophy“ bildet die Frage nach der Haltbarkeit des fundationalistischen Modells rationaler Rechtfertigung. Westphal konfrontiert insbesondere Russells Modell des „knowledge by acquaintance“ mit Hegels Kritik an der „sinnlichen Gewißheit“ in der Phänomenologie des Geistes und betont den Vorrang der Hegelschen Lösung der Begründungsfrage. Hegel verteidige eine rationale Rechtfertigung besonderer Art, derzufolge jeder Begründung ein selbstkritisches Moment immanent sei. Hegels Position befinde sich somit jenseits der Dichotomie von Realismus und Relativismus: „Hegel showed that genuine rational justification must and can only be social and historical, and only this kind of justification can preserve realism about the objects of our empirical knowledge“ (179). Diese Position ermögliche, die Probleme des Russelschen Ansatzes zu umgehen. Insgesamt bildet Hegel and the Analytic Tradition einen grundsätzlichen Beitrag zu der in den letzten Jahrzehnten zum Gegenstand intensiverer historiographischer Forschungen erhobenen Frage nach dem Verhältnis Hegelscher Philosophie zur analytischen Philosophie. Die in dem Buch gesammelten Aufsätze spiegeln die Vielfältigkeit und Lebendigkeit dieses historiographischen Zusammenhangs wider. Sie stellen darüber hinaus wichtige neue Fragen in den Raum: nach der „Vagheit“ und Bedeutungsverschiebung bei Hegel und in heutigen Debatten; die Frage nach dem Stellenwert dialektischer Logik und Metaphysik für zeitgenössische Diskussionen im Felde von Metaphysik und philosophischer Logik – Fragen, die von der kanonischen Forschung zu „Hegel und die analytische Philosophie“ bisher vernachlässigt worden sind und die der zukünftigen Forschung wichtige neue Impulse geben können. Elena Ficara (Berlin)

Martin Hundt (Hg.): Der Redaktionsbriefwechsel der Hallischen, der Deutschen und der Deutsch-Französischen Jahrbücher (1837–1844). 3 Bände. Berlin: Akademie Verlag 2010. XXV; XIX; 1369 S. (Bände 1 und 2); 281 S. (Band 3: Apparat). Zu Lebzeiten wurden sie als junghegelianische Rotte bezeichnet und für eine Hegelianische Drachensaat gehalten, die es auszumerzen gelte; mit Berufsverboten belegt, als politische Opposition inhaftiert, mundtot gemacht oder ins Exil getrieben haben viele Autoren des Vormärz und der jung- bzw. linkshegelianischen Schule für ihre politischen Einstellungen und ihre philosophischen Überzeugungen einen hohen Preis zahlen müssen. Auch die Philosophiegeschichte ist lange Zeit mit ihnen wenig zuvorkommend umgegangen, galten sie doch als zweit- oder drittklassige Denker und

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ihre Schriften als bloße Epiphänomene des Verwesungsprozesses, in dem der absolute Idealismus und das philosophische System ihres Übervaters Hegel sich auflöste. Zwar hatte Carl Schmitt darauf hingewiesen, daß man in den Schriften dieser Autoren nahezu alles an philosophischen und politischen Entwicklungen (und Katastrophen) finden kann, was sich im 20. Jahrhundert vollzog. Aber diese Beobachtung blieb weitgehend folgenlos; diese in sich nicht sehr homogene Gruppe von Autoren des Vormärz und des Junghegelianismus wurde entweder gänzlich ignoriert oder aber zu einem schwachen Nachhall Hegels oder zu einer Vorstufe des Marxismus, die in der wahren Lehre überwunden war, herabgesetzt. Neben der Tatsache, daß diese Autoren im doppelten Schatten von Hegel und Marx standen (und stehen), und zusätzlich zu dem Faktum, daß ihre zum Teil sehr bewegten Biografien es ihnen schwer gemacht haben, überhaupt ein wissenschaftliches Werk zu hinterlassen, hat auch die Art ihrer literarischen und wissenschaftlichen Produktion dazu beigetragen, daß diese Autoren weitgehend dem Vergessen anheim gefallen sind. Zu nennen sind hier vier Faktoren: Erstens findet ein Großteil der Debatte in einer hektischen und rhetorisch aufgeheizten Atmosphäre statt, so daß viele Texte großspurig und überladen daherkommen (was ihre argumentative Qualität und sachliche Relevanz häufig verdeckt). Die umfangreiche und den Diskussionskontext erhellende Korrespondenz, die in dieser Edition zugänglich gemacht wird, präsentiert die auf der literarischen Bühne häufig ‚pompös‘ auftretenden Autoren von einer anderen Seite und macht deutlich, daß es sich bei den Jungehegelianern „nicht um das Wirken einer Handvoll besonders skurriler Philosophen, sondern um eine gesellschaftlich wirksame Bewegung handelte“ (I, xxiii). Zweitens erscheinen viele dieser Texte anonym, und die Frage der Autorschaft (bzw. Ko-autorschaft) läßt sich häufig nicht mehr mit Sicherheit klären. Es ist unbestreitbar ein Verdienst der vorliegenden Edition, daß durch den Redaktionsbriefwechsel einige der in der damaligen Zeit verwendeten Pseudonyme aufgeklärt und die entsprechenden Artikel zugeordnet werden konnten (siehe dazu III, 194–206). Obwohl wir auch mit dieser Herausgabe noch keine vollständige Edition aller Briefe der zentralen Autoren in den Händen halten, kann man dem Herausgeber doch zugestehen, daß man nun eine „repräsentative Übersicht über den damals tatsächlich geführten Briefwechsel“ (I, xxv) gewinnen kann (lt. Martin Hundt läßt der Briefwechsel darauf schließen, daß der tatsächliche Redaktionsbriefwechsel zu den in dieser Edition versammelten Hallischen, Deutschen und Deutsch-Französischen Jahrbüchern der Jahre 1837–1844 ungefähr das Doppelte der jetzt vorgelegten Briefe betragen hat). Angesichts der Tatsache, daß diese Ausgabe nicht nur das Zehnfache der von Nerrlich vorgelegten Sammlung umfaßt, sondern auch die Originalgestalt des Textes so weit als möglich wiederherstellt und mit den drei Jahrbuchprojekten, die im Grunde als eine Zeitschrift zu behandeln sind, die thematische Einheit dokumentiert, kann man mit dieser Edition die Forschung zum Vormärz und Junghegelianismus sicher auf eine philosophiegeschichtlich wesentlich solidere Basis stellen. Drittens entwickeln diese Autoren neue Publikationsformen, indem sie in zumeist kurzlebigen Journalen und Zeitschriften publizieren, die sich oft auch deshalb eines nur kurzen Daseins erfreuen, weil sie durch Zensur verstümmelt oder durch die Po-

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lizei beschlagnahmt werden. Vereinzelt finden sich in den hier abgedruckten Briefen Textstellen, die der Zensur zum Opfer fielen, aber auch Korrekturhinweise zu teilweise sinnentstellenden Druckfehlern und ähnliches läßt sich gelegentlich entdecken. Die Publikationsform des Junghegelianismus ist jedoch nicht nur ein äußerliches Merkmal, sondern leitet sich auch aus dem inhaltlichen Selbstverständnis der Junghegelianer und ihrer Sympathisanten ab, die mit ihren Schriften keine fachwissenschaftlichen Beiträge liefern, sondern gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch eingreifen wollten, indem sie sich an eine interessierte bürgerliche Öffentlichkeit wandten. Im Wirken der Junghegelianer fand, so drückt es Hundt aus, „ein ‚Volk der Dichter und Denker‘“ eine ihm angemessene Ausdrucksform und „bereitete sich eben in einer ihm eigenen Weise auf die bürgerlich-demokratische Umgestaltung der Gesellschaft vor“ (I, xxiv). Die vierte Eigentümlichkeit, die zumindest teilweise erklären hilft, weshalb diese Autoren häufig unbeachtet blieben, hat ebenfalls einen Grund in der Sache: Für die Junghegelianer und ihren Einzugskreis ist klar, daß sie für ihre Ziele nicht nur die Begrenzung der universitären Fachwissenschaften überwinden, sondern auch die engen Disziplinengrenzen sprengen mußten. Zum Teil liegt dies daran, daß die Bedingungen der Zensur eine indirekte Kommunikation über Fragen der Religion und der Politik im – politisch unverdächtigen – Medium der Literatur erzwang. Zu einem anderen Teil ist es aber auch in der These begründet, daß sich eine kritische Haltung gegenüber der eigenen Gesellschaft und der eigenen politischen Ordnung nicht auf einzelne Aspekte beschränken darf, sondern eine veränderte Einstellung (i. S. der Emanzipation und der Selbstbestimmung) verlangt, die alle Bereiche des gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens einschließt. Bei den diesen Redaktionsbriefwechsel konstituierenden Autoren handelt es sich „um eine gesellschaftlich wirksame Bewegung […], in der sich die Namen von Vertretern fast aller damals vorhandenen geistigen Berufe finden: Professoren und Privatdozenten nahezu aller deutschen und Schweizer Universitäten, darunter vorwiegend Philosophen, Philologen und Theologen, ein bedeutender Teil der Dichter und Schriftsteller der Zeit, Journalisten und Verleger, Pfarrer und Lehrer, Juristen und Ärzte, Pädagogen und Naturwissenschaftler“ (I, xxiii) – kurz gesagt: „es war der fortgeschrittene Teil der Intellektuellen dieser Jahre“ (ebd.). Es herrscht heute, dies zeigen auch die internationalen Forschungsbeiträge zu den Junghegelianern, ein weitgehender Konsens darüber, daß – wie der Herausgeber der vorliegenden Edition Martin Hundt schreibt – „das Wirken der Junghegelianer […] zweifellos ein wichtiges Kapitel“ (I, xxiii) im Prozeß des Verfalls und Untergangs der Hegelschen Philosophie gewesen ist, das „zugleich eine Weiterentwicklung“ der Philosophie darstellte. (Siehe dazu die diskutierte Literatur in: Michael Quante: Philosophie der Krise: Dimensionen der nachhegelschen Reflexion. – In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 63 (2009), 313–334; sowie: Ders.: After Hegel. The Realization of Philosophy through Action. – In: Dean Moyar (Ed.): Routledge Companion to 19th Century Philosophy. London 2010. 197–237; und: Ders. / David Schweikard: Weltdeutungen und Ideologien. – In: Walter Demel / Hans-Ulrich Thamer (Hgg.): Entstehung der Moderne. 1700–1914 [= WBG Weltgeschichte. Band V). Darmstadt 2010. 209–263.] Man wird Hundt auch in seiner Einschätzung folgen können, daß „durch das relative Vergessen des Junghegelianismus […] eine Lücke in der Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts“ (I, xxiv) klafft, die durch

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eine systematische Erforschung und Rekonstruktion der drei Projekte, die maßgeblich von Arnold Ruge initiiert wurden und in dieser Edition in ihrem inneren Zusammenhang erkennbar werden, sich teilweise wird schließen lassen. Die Junghegelianer haben einige der Grundprobleme der Moderne – beispielhaft genannt seien hier die Themenkomplexe Säkularisierung und Religion, Atomisierung der Gesellschaft sowie die Frage nach den zulässigen Form einer demokratischen Legitimation politischer Institutionen – thematisiert sowie in ihren Schriften Lösungswege angedeutet und hypothetisch beschritten, von denen (oder aus deren Scheitern) wir auch heute noch lernen können. Auch wenn in den Worten des Herausgebers die Begeisterung für den eigenen Forschungsgegenstand und sicherlich auch deutlich wird, daß er der Gefahr einer gewissen Übertreibung nicht ganz entkommen ist, so hat Hundt doch mit seiner Einschätzung auch nicht vollkommen Unrecht, wenn er schreibt: „Niemals wieder gab es in der deutschen – vielleicht überhaupt in der Weltgeschichte – eine mehr als fünf Jahre bestehende, von Prinzipien der Weltphilosophie geleitete und diese Philosophie zugleich weiterentwickelnde Zeitschrift mit einer solchen sowohl zeitgenössischen als auch nachwirkenden gesellschaftlichen Effizienz wie die Hallischen, Deutschen, schließlich Deutsch-Französischen Jahrbücher. Sie waren kein Periodikum wie Dutzende andere, sondern ‚die Fahne‘ (Ruge) einer die gesellschaftliche Praxis suchenden und sich dabei weiterentwickelnden Philosophie sowie zugleich die Stimme einer anhebenden Oppositionswelle“ (I, xxiv). Das 20. Jahrhundert hat mit den Weltphilosophien und -ideologien so seine eigenen Erfahrungen gemacht, aber davon unberührt bleibt zum einen, daß die junghegelianische Bewegung – in ideeller und teilweise auch personeller Hinsicht – die Revolution von 1848/49 mit vorbereitet hat. Und zum anderen ist festzuhalten, daß Arnold Ruges Idee einer Zeitschrift, die kulturelle, philosophische und politische Fragen in einem bürgerlichen Forum behandelt, einen Strukturwandel der Öffentlichkeit eingeleitet oder zumindest teilweise vorweggenommen hat, der aus dem Selbstverständnis unserer gegenwärtigen Demokratien nicht mehr verschwinden sollte. Es kann selbstverständlich weder Ziel noch Zweck einer Rezension sein, auf die 1.222 Briefe, die in den drei Bänden der vorliegenden Edition vorgelegt worden sind, näher einzugehen. Aufgrund fehlender Kompetenz verzichte ich auch darauf, die im Vorwort des ersten Bandes vom Herausgeber benannten und begründeten Editionsprinzipien und Editionsentscheidungen zu kommentieren. Stattdessen möchte ich hier abschließend noch kurz auf den kommentierenden Text „Der Junghegelianismus im Spiegel der Briefe“ von Martin Hundt eingehen, der sich im dritten Band dieser Edition findet (III, 1–78). Hundts Ausführungen sind getragen von der Überzeugung, daß „der Junghegelianismus – als zeitgemäße Weiterführung von Reformation und Aufklärung – ein Großereignis nicht nur der deutschen Geschichte, sondern der Weltgeschichte des Geistes“ (III, 1) gewesen ist. Er weist auf die Synthese aus einer die Aufklärung und die Reformation weiterführenden Religionskritik von Feuerbach und Strauß sowie einer die Demokratie vorantreibenden Politischen und Rechtsphilosophie hin. Die Bezüge zu Eduard Gans und die komplexe Beziehung zu Heinrich Heine, die Hundt zufolge ein „beklemmendes Problem“ (III, 24) darstellt, weil Heine in den konservativ oder gemäßigt eingestellten Kreisen der Junghegelianer als Zyniker und unseriöser Denker

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galt, werden detailliert präsentiert und für den Sachzusammenhang fruchtbar gemacht. Indem der Kreis der ‚üblichen Verdächtigen‘ sowohl hinsichtlich der Gruppe der Junghegelianer selbst (III, 33 ff.) als auch hinsichtlich ihrer ideengeschichtlichen Bezüge (III, 13 ff.) erweitert und differenziert wird, gelingt es Hundt, ein komplexes und die meisten Forschungsergebnisse überbietendes Bild dieser Bewegung zu zeichnen. Genauso wichtig ist Hundts Einsicht, „die Bewegung nicht allein auf die Philosophie zu begrenzen. Sie war ebenso eine theologische, juristische, literarische, geschichtswissenschaftliche, pädagogische“ (III, 35), die u. a. auch in die damals entstehende Germanistik prägend ausgestrahlt hat. Selbst eine Verbindung zur damals sich regenden „emanzipatorischen Frauenbewegung“ (III, 40) läßt sich verzeichnen, auch wenn die Einstellung vieler männlicher Junghegelianer in diesem Punkt als mindestens „zwiespältig“ zu bezeichnen ist (ebd.). Dies teilt der Junghegelianismus bekanntlich mit dem später sich weiterentwickelnden Sozialismus, dessen Anfänge durch Marx in der Bewegung präsent und von 1843 bis 1844 auch in Ruges Denken nachweisbar gewesen sind. Sicher zuzustimmen ist Hundt mit Bezug auf Ruges Verhältnis zum Sozialismus und Kommunismus in der von Moses Hess und Karl Marx in diesen Jahren entwickelten Form: Es ist lediglich ein Ausdruck einer philosophiegeschichtlichen Fehlkonstruktion, Ruges Denken auf einen nicht zu Ende geführten Übergang von „bürgerlichen auf proletarische Positionen“ (III, 42) zu verkürzen. Vielmehr, und dies macht einen Teil der systematischen Aktualität dieses fast vergessenen Philosophen aus, liegt eine von Hegels Rechts- und Geschichtsphilosophie getragene bürgerlich-demokratische Konzeption vor, die m.E. vielen sich heute als nicht- oder antimetaphysisch begreifenden liberalen Positionen in der gegenwärtigen politischen Philosophie verwandt ist. Problematisch erscheint mir dagegen Hundts Einschätzung des Beitrags von Bruno Bauer zur junghegelianischen Bewegung. Nicht nur, daß Bauers nachhaltige Wirkung im Bereich der Religionskritik nicht erwähnt wird, er gilt Hundt sogar „als Totengräber des Junghegelianismus“ (III, 43). Für Hundt ist die Bauersche Gruppierung „Die Berliner ‚Freien‘“ eine „‚Linksabweichung‘ und in dieser Hinsicht eigentlich schon nicht mehr dem Junghegelianismus zuzurechnen“ (ebd.). Selbst wenn, wofür einiges spricht, Bruno Bauers radikal vollendete Religionskritik eine Ursache der Spaltung der Bewegung und ein Katalysator für die Hinwendung etwa von Karl Marx zum Sozialismus und Kommunismus gewesen ist, so gehört doch Bauers Religions- und Politische Philosophie zweifelsohne zum Kern des junghegelianischen Denkens. Angesichts der umsichtigen und differenzierten Darstellung, die Hundt in seinem überaus lesenwerten Kommentar zu dieser Edition vorgelegt hat, mutet dieser Abschnitt wie der Versuch an, im nachhinein Ruges Erbe für eine nicht dogmatische, demokratisch orientierte Politische Philosophie zu gewinnen. Nur so wird für mich auch Hundts Behauptung, Marx und Engels hätten in der Heiligen Familie und der Deutschen Ideologie „keine Kritik am Junghegelianismus, sondern an dessen von Bauer zu verantwortender Fehlentwicklung“ (III, 44) vorgetragen, verständlich. Dies ist mit den beiden genannten Schriften von Marx (und Engels) kaum zu vereinbaren und daher letztlich genauso wenig einleuchtend wie Hundts Konstruktion von Bruno Bauers Schuld am Ende der Deutsch-Französischen Jahrbücher: „Auch am Ende der DFrJ trug Bauer indirekt Mitverantwortung. Als sein Buch Das entdeckte Christenthum bei Fröbel in Zürich erscheinen sollte, war vorab

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ein Exemplar bei der Staatsanwaltschaft einzureichen. Bluntschli, der vorher schon versucht hatte, Fröbel in den ‚Kommunistenprozess‘ gegen Weitling einzubeziehen, veranlasste einen Prozess wegen ‚Religionsstörung‘. Das Literarische Comptoir erlitt einen Verlust von 7.000 Gulden und geriet in Zahlungsunfähigkeit.“ (Ebd.) Jeder, der Bruno Bauers religionskritische Schriften dieser Jahre studiert, wird Martin Hundt zugestehen, daß Bauer wenig Sinn für politisches Augenmaß bewies und sich in seiner Kritik stets im Prinzipiellen bewegte, nicht im Bereich der politisch-pragmatischen Gesichtspunkte. Daraus folgt aber nicht, daß Bauers Argumente keine Konsequenzen der junghegelianischen Religionskritik gewesen wären. Vor allem aber folgt daraus nicht, daß ein zensierter und politisch verfolgter Autor Schuld an diesen Repressionen hat. Hier, und soweit ich sehe, auch nur an dieser Stelle, gäbe es guten Grund, die informative und überaus lesenswerte Abhandlung von Martin Hundt zu revidieren. Vermutlich darf man die Einschätzung Martin Hundts, es werde „künftigen Forschern über den Junghegelianismus unglaublich vorkommen, wie Darstellungen zu diesem Thema im 20. Jahrhundert nahezu ohne die meisten dieser Briefe auskommen konnten“ (I, xxiv f.), als der Begeisterung des Herausgebers über das Geleistete geschuldete Emphase bezeichnen. Es ist aber wahrscheinlich, daß seine Begeisterung für diese Autoren und diesen kurzen Abschnitt der Philosophiegeschichte sowie die jetzt vorliegende Edition des Redaktionsbriefwechsels der Hallischen, Deutschen und DeutschFranzösischen Jahrbücher viel dazu beitragen wird, daß es diese künftigen zum Junghegelianismus arbeitenden Forscher überhaupt geben wird. Über jeden Zweifel erhaben ist jedenfalls, dass durch die Leistung Martin Hundts und derjenigen, die sein Projekt unterstützt haben, diese künftigen Forscher auf solideren Quellengrundlagen arbeiten und sich diesen „auch als ‚Ausgang‘ (Engels)“ bezeichneten Teil der „klassischen deutschen Philosophie“ (I, xxv) erschließen können – übrigens nicht nur, wie Hundt meint, als Grundlage „für jede Forschung über die Philosophie Hegels und über das Entstehen des Marxismus“ (ebd.), sondern auch in seinem Eigenrecht. Michael Quante (Münster)

Karl Marx: Ökonomisch-Philosophische Manuskripte. Kommentar von Michael Quante. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 2009. 411 S. (Suhrkamp Studienbibliothek 15) Erst durch „die weltpolitischen Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte“ (216), so Michael Quante am Beginn seines ausführlichen Kommentars, bestehe die Chance, Marx jenseits politischer Okkupationen seiner Theorie zu lesen, und noch dazu philologisch fundiert auf der Grundlage der historisch-kritischen Marx-Engels Gesamtausgabe (MEGA). Auf dieser Ausgabe fußt auch der Text der 1844 entstandenen Ökonomisch-philosophischen Manuskripte von Marx (zu den Abweichungen vgl. 8); beigegeben ist ferner ein Auszug aus Marx’ Notizen zu James Mills Élements d’Économie Politique, ebenfalls 1844 entstanden und hier abgedruckt unter dem von Quante gewählten Titel „Das Konzept der Anerkennung“ (188). Im Blick auf die Diskussionen um das Verhält-

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nis des „frühen“, philosophischen, zum späteren, ökonomietheoretisch (und naturwissenschaftlich) geprägten Marx (vgl. die Darstellung 331–341) positioniert sich der Herausgeber bereits eingangs so, daß zwar die gesamte Konzeption des Kapital nicht schon in den Manuskripten enthalten sei, das Kapital aber auch nicht „ohne die philosophische Grundposition“, die Marx erstmals und ausführlichsten in den Manuskripten entfaltet habe, zu verstehen sei (216). Der Kommentar beginnt mit einer „Historischen Einführung“, die im wesentlichen die linkshegelianischen Debatten zwischen 1841 und 1845 skizziert. Für die Position der Manuskripte zentral ist dabei Ludwig Feuerbach, zu dem Marx auch um 1844 ein durchaus ambivalentes Verhältnis hatte, wobei die Manuskripte einen Höhepunkt des affirmativen Bezugs darstellen, der m.E. darin begründet sein dürfte, daß Marx hier seine neugewonnenen kommunistischen Positionen experimentell dort mit Feuerbachschen Denkfiguren unterlegt, wo die verheißene Kritik der „Nationalökonomie“ (wie Marx sie damals noch nennt; später spricht er nur noch von „politischer Ökonomie“) noch nicht zureicht, die kapitalistische Produktionsweise zu kritisieren und politisch-gesellschaftliche Alternativen zu formulieren. Dieser Übergangscharakter wird bei Quante kaum thematisch, da er die ökonomietheoretische Seite und damit den Stellenwert der Manuskripte in der Entwicklung der Kritik der politischen Ökonomie weitgehend ausblendet. Dies liegt offenbar daran, daß implizit ein Philosophieverständnis zugrunde gelegt wird, das Philosophie und besondere, empirische Wissenschaften stark trennt. So heißt es zu Feuerbachs Anthropologie, man könne sie „zwar mit guten Gründen immer noch philosophisch nennen“, sie weise zugleich aber auch „starke empirische Züge“ (227) auf. In gleicher Weise stellt Quante später die „szientistischen Tendenzen im Denken von Marx“ heraus, die sich „gegenüber den philosophisch-anthropologischen Aspekten“ immer mehr in den Vordergrund schöben (315; 232 werden gar „genuin philosophische“ den „ökonomischen Denkmotiven“ gegenübergestellt). Sicher gibt es solche Tendenzen bei Marx; das eigentliche Problem besteht aber m.E. darin, daß er (wie ja auch Hegel; man denke nur an seine positiven Urteile über den Empirismus in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte und die ständige Durcharbeitung ausgedehnten empirischen Materials in der Ausarbeitung der Realphilosophie) eine Vermittlung von empirisch-einzelwissenschaftlichen Erkenntnissen und Verfahrensweisen mit den Denkfiguren der spekulativen Logik (so weit Marx sie affirmieren kann) anstrebt. Die Gegenüberstellung philosophischer Aspekte auf der einen und einzelwissenschaftlicher bzw. empirischer Aspekte auf der anderen Seite verfehlt diese grundlegende Konstellation des (Hegelschen und) Marxschen Denkens. Sie verfehlt auch die genauere Bestimmung der Marxschen Positionen im linkshegelianischen Diskurs: seine Ablehnung einer abstrakten Negation der Philosophie bei gleichzeitiger Forderung nach einer nicht nur deklaratorischen Orientierung auf die Empirie, die auf den inneren Zusammenhang der erscheinenden Wirklichkeit zielt. Hierüber erfährt man ebenso wenig wie über Marx’ ablehnende Haltung zu den neuen, unvermittelten Unmittelbarkeiten der Linkshegelianer und namentlich Feuerbachs; gerade hierin liegt ein starkes Motiv für Marx’ fortgesetzte Bezugnahmen auf Hegel. – Unklar bleibt, welche späteren materialistischen Studien in philosophiegeschichtlichen Arbeiten Feuerbachs gemeint sein sollen, die Marx an Feuerbach besonders geschätzt habe, die aber erst nach Marx’

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Bruch mit der linkshegelianischen Bewegung entstanden seien (228): Die großen philosophiehistorischen Darstellungen Feuerbachs sind vor dem Wesen des Christentums entstanden. Als Erratum ist die Schreibung „Schuffenhauser“ statt „Schuffenhauer“ in Anm. 4 (221) zu notieren. Das „philosophische Grundgerüst“ der Manuskripte stellt Quante unter den fünf Leitbegriffen „Arbeit“, „Entfremdung“, „gegenständliches Gattungswesen“, „Anerkennung“ und „Natur“ vor. Hinsichtlich des Marxschen Arbeitsbegriffs schließt er sich im wesentlichen an Ernst Michael Lange: Das Prinzip Arbeit (Frankurt a. M. u. a. 1980) an (235), wobei konkurrierende Interpretationen (z. B. die von Peter Ruben und Peter Furth) nicht diskutiert werden. Demnach sei Marx’ Begriff der Arbeit an einem Entäußerungs- bzw. Vergegenständlichungsmodell orientiert, bei dem im Unterschied zu Hegel Entäußerung und Entfremdung gleichgesetzt werden (237). Marx müsse sich von dem „für Hegel zentralen Fall“ des Entäußerungsmodells absetzen, nämlich „der Schöpfung der Welt durch Gott“ im religionsphilosophischen Kontext (237 f.). Ob es einen solchen zentralen Fall für Hegel tatsächlich gibt, darüber läßt sich zumindest streiten; ebenso darüber, ob in der Kritik Feuerbachs an Hegel die „Differenz zwischen der Struktur des endlichen, empirischen Selbstbewußtseins und der Struktur des unendlichen, göttlichen Selbstbewußtseins“ (238) nivelliert werde, denn einerseits geht es Feuerbach in der Religionskritik um das Gattungswesen und nicht um das individuelle endliche Bewußtsein (auf letzteres als entscheidende Instanz beruft sich erst Max Stirner), andererseits gibt es für Hegel kein göttliches Selbstbewußtsein außerhalb und unabhängig von unserer denkenden Aneignung der Resultate der Arbeit des Geistes. Das Entäußerungsmodell der Arbeit wird nun so verstanden, als sei das Resultat der Arbeit – ihr Gegenstand, das Produkt – nichts weiter als die Vergegenständlichung eines subjektiven Zwecks, was jedoch für materielle Gegenstände unplausiblel sei (vgl. 242). Diesen „Defekt“ will Quante dadurch „‚reparieren‘“, daß von Sachverhalten bzw. Tatsachen anstelle von Gegenständen gesprochen und damit das Marxsche Arbeitskonzept in eine allgemeine Handlungstheorie transformiert wird (243). Diese enthält dann – da ja das Modell der Realisation eines subjektiven Telos „repariert“ werden soll – „an entscheidender Stelle ein ‚idealistisches‘ und anti-szientistisches Element“, das in bezug auf das Handeln darin bestehe, daß „alle Eigenschaften des Gegenstandes […] in dem subjektiven Zweck, der durch die Handlung den Gegenstand hervorbringt“, enthalten sein müssen: „Nichts ist in den Handlungsprodukten, was nicht zuvor im Handlungsprozeß gewesen wäre“ (246). Ich bezweifle, daß Marx diesen Satz tatsächlich unterschrieben hätte, und schon gar nicht hätte er dies wohl im Blick auf das Kapital getan, in dem Quante das skizzierte Vergegenständlichungsmodell noch immer wirken sieht (234; dabei wird freilich die Gebrauchswertseite ausgeblendet, die sich auf die natürliche, durch Arbeit nur transformierte Seite der Arbeitsprodukte bezieht). Man könnte Marx’ Auffassung auch anders verstehen, indem man darauf verweist, daß – was doch wohl Marx’ Überzeugung war – die Realisation des subjektiven Zwecks unter objektiven, gegenständlichen Realisationsbedingungen steht, die durch die vorgefundenen Eigenschaften der Arbeitsgegenstände (und Arbeitsmittel) vorgegeben sind; „Vergegenständlichung“ bedeutet dann nicht das Sich-Objektivieren eines subjektiven Zwecks im Sinne einer starken Identität von subjektivem und objektivem Zweck, sondern ein Sich-Einbilden

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des arbeitenden Subjekts in den Arbeitsgegenstand als Umformung gemäß dessen gegebenen Eigenschaften. Dabei scheint es mir nicht abwegig zu sein, Handeln in einem über die materiell-gegenständliche Arbeit hinausgehenden Sinn hinsichtlich seiner objektiven, „gegenständlichen“ Bedingtheit, am Modell der Arbeit zu orientieren. Sachlich verknüpft mit dem Problem der Arbeit ist Marx’ These vom gegenständlichen Gattungswesen des Menschen, die, wie Quante zurecht notiert, in Anlehnung an Ludwig Feuerbach und Moses Heß formuliert wurde (262). Dennoch sei auch hier ein Einfluß Hegels zu verorten, weil Hegel für die Marxsche Theorie „generell wichtig“ (sic!) und Feuerbach durch Hegel geprägt sei; schließlich habe Marx auch „im Rahmen der Vorarbeiten zu seiner Dissertation die Naturphilosophie Hegels intensiv studiert“ (263). Tatsächlich zielt Marx’ Dissertation auf ein Problem der Hegelschen Geschichte der Philosophie, nämlich die Einordnung und Differenz von Demokrit und Epikur; die Vorarbeiten beziehen sich nahezu ausschließlich auf antike Quellen und nicht auf Hegels Naturphilosophie, deren Gattungsbegriff (263 eingehender referiert) von Marx gar nicht diskutiert wird. Das Marxsche „Modell des Gattungswesens“ wird dann als „Synthese“ der drei Quellen vorgestellt, wobei jetzt Hegel wiederum für das „Vergegenständlichungsmodell des Handelns“ (267) einsteht. Aus dieser Mixtur (Quante spricht ausdrücklich – und nicht ganz zu Unrecht – von „mangelnder Präzision“ in Marx’ Ausführungen zum Gattungswesen, an deren Stelle „Rhetorik und Enthusiasmus“ [268] treten) entstehe ein „geschichtsphilosophischer Essentialismus, der historische Prozesse als Realisierungen der Wesenseigenschaften von Entitäten über die Zeit hinweg begreift“ (270). Diese geschichtsphilosophische Dimension führt Quante auf „idealistische Prämissen“ zurück, die Marx von Hegel übernehme (273). Abgesehen von der Frage, ob Hegels Geschichtsdenken als idealistisch angesehen werden muß, und abgesehen davon – was Quante nahe zu legen scheint –, ob Geschichtsphilosophie notwendig essentialistisch ist, trifft diese These m.E. nicht den Kern. Vielmehr rekurriert Marx hier auf das im linkshegelianischen Diskurs verbreitete Entfremdungsmodell, genauer: das Modell der Entfremdung und Aufhebung der Entfremdung, das Quante im Abschnitt zuvor analysiert hatte (247–262) und das sich an Hegels Phänomenologie des Geistes orientiert (vgl. 229), die dabei als ideale Darstellung des Geschichtsverlaufs, als eine Art historische Dialektik fehlinterpretiert wird. In diesem Zusammenhang wäre zumindest der Hinweis angebracht gewesen, daß Marx spätestens seit seiner ProudhonKritik (Misère de la philosophie. Réponse a la philosophie de la misère de M. Proudhon, Paris 1847) einen Paradigmenwechsel vollzieht und bei Hegel nicht mehr auf die Phänomenologie des Geistes, sondern auf die Wissenschaft der Logik zurückgeht (eine Andeutung darauf findet sich aber 329). Die an der Phänomenologie des Geistes festgemachte Entfremdungsromantik ist bei Marx zweifellos Platzhalter einer wissenschaftlichen Kritik der bürgerlichen Produktionsweise und einer wissenschaftlich begründeten Perspektive ihrer Überwindung, zu der Marx 1844 die Voraussetzungen fehlten. In dieser Hinsicht ist Quante zuzustimmen, wenn er schreibt, Marx könne hier seinen Anspruch, „die begrifflich notwendigen Zusammenhänge der Phänomene zu explizieren“ (274), nicht einlösen. Eine solche Platzhalterfunktion hat das Entfremdungstheorem, bei dem Quante vier Dimensionen unterscheidet (vgl. 250–255), generell: (1) Arbeiter – Produkt der

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Arbeit; (2) Arbeiter – Arbeiten als Tätigkeit; (3) Entfremdung vom Gattungswesen; (4) Entfremdung zwischen Individuen. Mit „Entfremdung“ werden hier ganz unterschiedliche Sachverhalte beschrieben, aber kaum erklärt. Die ersten beiden Punkte betreffen, in Marxens späterer Terminologie, den kapitalistischen Produktionsprozess als Verwertungsprozeß. Was 1844 auf einer phänomenalen Ebene als Entfremdung gefaßt wird, wird im Kapital auf der Grundlage der Warenanalyse abgleitet, wobei die Unterscheidung von Wert bzw. Tauschwert auf der einen und Gebrauchswert auf der anderen Seite, über die Marx zum Zeitpunkt der Niederschrift der Manuskripte noch nicht verfügte, entscheidend ist. Von einem Gattungswesen im Sinne eines Gattungssubjekts ist im Kapital nicht die Rede. Ein gewisser Anklang findet sich etwa im dritten Band des Kapital, wenn gefordert wird, die Menschen sollten „ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn“ (MEW 25, 828). Die Rede von der menschlichen Natur hat hier aber kaum noch die aufgeladene Bedeutung des Gattungswesens. Was schließlich die letzte Form der Entfremdung betrifft, so beschreibt sie Marx im Kapital als „Verdinglichung“, die sich aus der Form der kapitalistischen Produktion ergibt und die Georg Lukács in Geschichte und Klassenbewußtsein (Berlin 1923) eingehend analysiert hat. Daß Verdinglichung nicht aus der Produktion entspringe, sondern auf Vergessenheit der Anerkennung beruhe, hat jüngst Axel Honneth gegen Lukács ins Spiel gebracht (Verdinglichung, Frankfurt a. M. 2005). Anerkennung scheint dem jungen Marx auch als Remedium gegen Entfremdung zu dienen, und so hat Quante denn auch Auszüge aus Marx’ Notizen zu Mill, die im Umkreis der Manuskripte entstanden, dem Band unter dem von ihm gewählten Titel „Das Konzept der Anerkennung“ beigegeben und auch ausführlich kommentiert (275–300). Dabei betont Quante mit Recht, daß bei Hegel das Konzept der Anerkennung – entgegen vielen heutigen Inanspruchnahmen – nach der Phänomenologie des Geistes, etwa in den Grundlinien der Philosophie des Rechts, keine entscheidende Rolle mehr spiele (277). In Bezug auf Marx unterscheidet Quante dann die Verwendung von „Anerkennung“ als „evaluative Kritikfolie“ einerseits und als „evaluativer Gegenentwurf“ andererseits. Was den Aspekt der Kritik betrifft, ist zu berücksichtigen, daß Marx 1848 und noch zehn Jahre später die Kritik der kapitalistischen Produktionsweise beim Geld und damit der Zirkulationssphäre, den Tauschverhältnissen und ihren vertragsrechtlichen Formen, und nicht, wie im Kapital, bei der Produktionsweise ansetzt. „Anerkennung“ ist 1844 die Folie einer moralisierenden Kritik, welche Egoismus, Habgier und Schacher als treibende Kräfte der Produktion für den Austausch identifiziert. Nur aus dem transitorischen Charakter der Manuskripte für die Durchführung der Kritik der politischen Ökonomie läßt sich erklären, daß Marx in dieser Weise argumentiert. Daraus läßt sich nicht auf eine generelle ethische Fundierung dieser Kritik in einem „Essentialismus des Gattungswesens“ schließen, welcher „ein Handeln-Sollen in der Perspektive der Beteiligten, welche die Wesensstruktur realisieren“, nach sich ziehe und somit einen „ontologisch fundierte[n] ethische[n] Imperativ“ begründe (293). Wenn Quante schreibt, der Gegenentwurf werde von Marx „nur negativ als Abwesenheit von Zweck-Mittel-Verkehrungen und Ausschaltung jeder in-

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direkten Vermittlung“ (299) bestimmt und dadurch Defizite seiner Anerkennungstheorie begründet sieht, so ist dieses Defizit vielmehr dem geschuldet, daß die Kritik qua Anerkennungsfolie das Kritisierte nur defizitär zu bestimmen vermag. Aber auch unter den Voraussetzungen seiner an den Produktionsverhältnissen und nicht an der 1844 mit den Anerkennungsverhältnissen überformten Zirkulationssphäre orientierten Kritik im Kapital hält Marx an der Anti-Utopie (298) fest, wie der Schluß des Nachwortes zur 2. Auflage des ersten Bandes deutlich macht, der eine strikt negative Dialektik skizziert, die aus der Negation des Bestehenden nicht die positiven Strukturen eines Neuen abzuleiten vermag. Hinsichtlich des Marxschen Naturbegriffs behauptet Quante, er fungiere „als Nachfolger und materialistische Alternative zum Hegelschen Geistbegriff“ (303). Daß die menschliche Geschichte als naturbedingt und damit (im Prinzip auf der Linie des frühen Schelling) als Fortsetzung der Naturgeschichte apostrophiert wird, kann diese starke These kaum stützen. Unhegelsch ist gewiss Marx’ Rede von der Naturgeschichte, aber auch für Hegel ist der Geist nur als aus der Natur herkommend. So ist die in der menschlichen Geschichte werdende Natur (304) das Pendant des Geistes: als sog. „zweite Natur“, die hier von der „ersten“ zu unterscheiden ist. Sofern für Marx auch diese zweite Natur als spezifisch menschliches Naturverhältnis noch von der ersten bedingt ist, kann sie sich nicht, wie bei Hegel der Geist qua Idee, von der Natur losreißen. Die „komplexe Einheit“ von Mensch und Natur (305) in den Manuskripten ist also m.E. nicht auf eine Substitution des Geistes durch die Natur, sondern darauf zurückzuführen, daß Marx gegen Hegel (a) dem zeitgenössischen Paradigma einer Naturgeschichte folgt und (b) die Konzeption der Hegelschen absoluten Idee verwirft. Natur und Geist (bei Marx: erste und zweite Natur) sind nun nicht mehr Daseinsweisen der Idee und durch die Idee vermittelt; von dorther ist es nur folgerichtig, wenn Marx im Horizont der universalhistorischen Entfremdungsgeschichte in den Manuskripten die Gleichung Kommunismus = Naturalismus = Humanismus aufmacht (304), wobei jedoch betont werden muß, daß der Kommunismus für Marx ausdrücklich nicht Ziel der Geschichte ist. Neben dem Realismus, der unstrittig sein dürfte, sieht Quante eine dritte Dimension des Naturbegriffs in Marx’ Hinwendung zu den Naturwissenschaften, welche eine „Leerstelle“ füllten, welche durch die „Absage an Theologie und Philosophie als die fundamentalen Begründungsund Erklärungsinstanzen des Menschen“ (307) erzeugt würden. Daß die intendierte Aufhebung der Philosophie keine bloße Absage bedeutet, hatte Marx indessen noch 1844 eindeutig zum Ausdruck gebracht, als er der „praktisch politischen Partei“ vorwarf, „jene Negation dadurch zu vollbringen, daß sie der Philosophie den Rücken kehrt und abgewandten Hauptes – einige ärgerliche und banale Phrasen über sie hermurmelt“ (Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung). Für Marx bedeutet die Aufhebung der Philosophie ihre konkrete Vermittlung mit empirisch-einzelwissenschaftlichen Erkenntnissen und Problematiken – auch und gerade, wie dies im Rekurs auf Hegel im Kapital immer wieder der Fall ist, in einer philosophisch begründeten Kritik einzelwissenschaftlicher Bornierungen. Es geht um den Einsatz, die Überprüfung und die Begründung philosophischer Denkmittel im Rahmen der besonderen Wissenschaften und nicht um eine abstrakte Alternative. Insofern läuft die Suche nach einem genuin philosophischen Marx ebenso ins Leere wie seine szientistische Reduktion.

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Schließlich werden noch die Abschnitte der Manuskripte kommentiert, in denen Marx die Gretchenfrage hinsichtlich der Hegelschen Dialektik stellt („Wie halten wir es nun mit der hegel’schen Dialektik?“). Zu Recht betont Quante, daß bereits hier – auf dem Höhepunkt der Marxschen Anlehnung an Feuerbach – eine tiefgreifende Kritik an Feuerbach vorliegt (325). In diesem Zusammenhang spricht Marx sogar von einer „Feuerbachischen Dialektik“, die bei ihrem Urheber bekanntlich der Dialog von Ich und Du ist. Leider geht Quante auf diesen Aspekt nicht ein, der zu der Frage Anlaß gibt, wieweit Marx tatsächlich in der intersubjektiven Anerkennung ein tragfähiges Gegenkonzept sieht. Unterbestimmt bleibt auch die Kritik der Feuerbachschen Berufung auf Unmittelbarkeiten, wenn Marx gegenüber Feuerbach die Negation der Negation geltend macht, um dessen direkte und unvermittelte Aufstellung der Gegenposition zu Hegel zu kritisieren. Es geht Marx in seiner Hegelkritik daher m.E. um mehr als eine „Begründung der philosophischen Entdeckungen Feuerbachs“ (324), nämlich darum, in einer doppelten Bewegung mit Feuerbach gegen Hegel und zugleich aber auch mit Hegel gegen Feuerbach (und andere Linkshegelianer) zu argumentieren, um ein kritisches Verhältnis zu beiden Positionen zu gewinnen. Mit der Kritik an Hegel ist Marx dabei, wie Quante zum Schluß betont, nie fertig geworden. – Hinweise zur Rezeptionsgeschichte und zum Forschungsstand, ein eingehender und nützlicher Stellenkommentar (der über die kritische Gesamtausgabe hinausgeht), ein Glossar sowie ein Literaturverzeichnis schließen den Kommentar ab. Die von Michael Quante vorgelegte Ausgabe signalisiert, daß Marx zunehmend wieder ein Gegenstand auch akademischer Diskussionen ist, nachdem vielerorts lange die Auffassung vorherrschte, es reiche, seiner Theorie den Rücken zuzukehren und abgewandten Hauptes einige ärgerliche und banale Phrasen über sie herzumurmeln. Deshalb ist es auch in jeder Hinsicht zu begrüßen, daß Quante eine sachliche Gesprächsebene mit Marx sucht und ihn nicht nur als einen philosophischen Sparringspartner behandelt. Das Hauptproblem seiner Interpretation sehe ich darin, daß seine Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und besonderen Wissenschaften bei Marx immer wieder in eine abstrakte Alternative abgleitet und damit auch die entwicklungsgeschichtliche Perspektive zu kurz kommt. Andreas Arndt (Berlin)

Klaus-M. Kodalle /Tilman Reitz (Hgg.): Bruno Bauer (1809–1882). Ein „Partisan des Weltgeistes“? Würzburg: Königshausen und Neumann 2010. 402 S. Der vorliegende Band vereinigt die Beiträge einer Tagung, die 2009 anläßlich Bruno Bauers 200. Geburtstag an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und in Bauers Geburtsstadt Eisenberg (Thüringen) durchgeführt wurde. Daß Bauers Geburtstag ansonsten, wie Hermann Detering anmerkt, „in aller Stille“ stattfand (75), also eigentlich eher eine endgültige Beisetzung anzuzeigen schien, hebt die Bedeutung des Unternehmens hervor. Bauer war unbequem in jeder Hinsicht: radikaler Kritiker der Evangelien und schließlich nicht nur des Christentums, sondern aller Religion; Philosoph

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des Selbstbewußtseins und dabei von einer maßlosen Selbstüberschätzung und polemischen Energie; Weggefährte und bald theoretischer Gegner Marx‘; später Propagandist eines zaristischen Imperiums und glühender Verfechter eines rassischen Antisemitismus. Schon zu Lebzeiten hatte Bauer sich weitgehend ins Abseits gestellt und fiel daher auch nach seinem Tod weitgehend dem Vergessen anheim – mit Ausnahme weniger Theologen, über die Detering sorgfältig abwägend berichtet (75–84) und unter denen Albert Schweitzer, Wilhelm Wrede und Gustav Volkmar herausragen. Philosophisch blieb Bauer im Schatten Marx‘ und Engels‘ und v. a. aus deren Polemiken in der Heiligen Familie (1845) und der Deutschen Ideologie (1845–1847) im Gedächtnis. Die Annäherung an Bauer führt demnach vielfach auf vermintes Terrain, aber sie erschließt auch eine Epoche intellektueller Auseinandersetzungen, in der viele Diskussionsebenen ineinandergreifen und die insgesamt nur unzureichend erforscht ist – bis heute, wo sie generell in das Halbdunkel weitgehenden Vergessens gerückt ist. Dabei zeigt jedoch gerade der Fall Bruno Bauer exemplarisch, daß die sog. nachhegelsche Epoche der Philosophie mit Hegel keineswegs „fertig“ war und Affirmation und Kritik der Hegelschen Philosophie vielfach ineinander verschlungen sind. Und er zeigt auch, daß die philosophische Auseinandersetzung zunehmend von politisch-gesellschaftlichen Positionierungen überlagert und schließlich durch einen weitgehenden Auszug aus der Philosophie abgebrochen wurde. Die Beiträge des Bandes sind in vier Abteilungen gegliedert: „Evangelienkritik und Religionskritik“, „Bauer im junghegelianischen Kontext“, „Der späte Bruno Bauer“, „Rezeptionslinien und Rezeptionschancen“. Um letztere ist es, nimmt man die dort versammelten Beiträge als einigermaßen repräsentativ, nicht sonderlich gut bestellt, was freilich nicht an den Beiträgen, sondern an der Vergessenheit Bauers und seiner Epoche liegt. Angelika Landau befaßt sich mit „Bruno Bauer in der Wahrnehmung Fontanes“, die ihr zufolge eher eine bewußte Nichtwahrnehmung war, denn sie erfolgte nach dem „Wahrnehmungsmuster […] ‚mir gänzlich unsympathisch‘, das immer wieder zur Ausblendung geführt hatte“ (334); erst nach Bauers Tod mischt sich Bedauern darüber ein, daß die Geschichte Bauers und der Junghegelianer, die trotz allem bedeutend gewesen seien, nun bereits in Vergessenheit geraten sei. Zwei weitere Beiträge zur Rezeption Bauers sind Carl Schmitt gewidmet, dessen Theorie des Partisanen (1963) auch im Titel des vorliegenden Bandes als Anspielung aufgegriffen wird (vgl. 24). Reinhard Mehring zeigt in seinem Beitrag „Carl Schmitts Bruno Bauer“ – auch unter Rückgriff auf bisher unbekannte Texte –, daß Schmitts Bild Bauers als Projektion und Stilisierung seines eigenen Ego zu verstehen ist. V.a. wird deutlich, daß Schmitt sich letztlich affirmativ auf den Antisemitismus Bauers und der „1848er-Renegaten“ (350) beziehen will, was es ihm auch erlaubt, Bauer gegen den „Juden“ Marx ins Feld zu führen. Diese unappetitliche Melange wird von Schmitt dadurch zu verfeinern versucht, daß er (gegen Bruno Bauer) den Antisemitismus christlich grundiert, um seine Prostitution an den NS-Staat als christlich-katholisches Handeln zu verbrämen. Daß Schmitt es eigentlich besser wissen konnte und mußte, macht Rolf Rieß deutlich, der unter dem Titel „Eine Freundschaft im Dienste Bruno Bauers“ den Briefwechsel zwischen Schmitt und dem Gymnasialdirektor Hans Körnchen ediert (351–373); letzterer versorgte Schmitt mit detaillierten Dossiers über Bruno Bauer, widersprach aber entschieden Schmitts Pro-

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jektion seines Christentumverständnissess auf Bauer. Eine Aktualisierung Bruno Bauers nimmt Ichiro Tamura („Die Massenkritik des jungen Bauer und ihre Bedeutung in der späten Moderne“) vor, und zwar ausdrücklich gegen die Bauer-Kritik von Marx: Bauer habe schon in der „frühen Moderne“ (sic!) den ausschließenden Gegensatz von Masse und Kritik gesehen, den Panajotis Kondylis in der spätmodernen Massengesellschaft diagnostiziert habe (384). Hans Martin Saß dagegen („Bruno Bauer oder die Selbstermächtigung des Revolutionärs“) ordnet Bauer einem Spektrum von Revolutionsmodellen ein, welches die Junghegelianer erschöpfend repräsentiert hätten. Bauer sei v. a. Aufklärer, bis hin in seine Antithetik von Masse und Kritik (399). Hier wäre freilich zu diskutieren, ob Bauer nicht vielmehr einer enttäuschten Aufklärung zuzurechnen ist, die aus früheren Illusionen der Selbstermächtigung in die Resignation umkippt, die sie ebenso elitär wie das frühere Revoluzzertum als radikale Einsicht auszugeben weiß. Saß thematisiert die revolutionären Modelle als Ergebnis einer „Theoriebildung im Gruppenprozess“ (385) im Kreis der Junghegelianer und schließt damit ausdrücklich an das ehemals von Jürgen Frese initiierte Projekt „Theoriebildung als Gruppenprozess“ an; ein Hinweis darauf wäre, in memoriam Jürgen Frese, zu wünschen gewesen. Bauers theologische Wirkung blieb deshalb marginal, weil er die kritische Fortbildung der Theologie unter die Prämisse der Auflösung der Theologie stellte, wie Hermann Detering in seinem bereits eingangs erwähnten Beitrag resümiert (84). Gerald Hartung analysiert Bauers kritische Auseinandersetzung mit dem Christentum daher auch unter dem treffenden Titel „Bruno Bauer, der Robespierre der Theologie“ (29– 45). In seiner frühen Evangelienkritik, die am Johannesevangelium ansetzt, versucht Bauer – darin Strauß überbietend – zu zeigen, daß die Berichte über das Leben Jesu auf gar keinem historischen Kern beruhen, sondern auf einem Reflexionsprodukt, einer gegen das Judentum gerichteten Christologie, die erst die Figur des Christus schafft. Auch diese Position radikalisiert Bauer noch, indem er später Philo von Alexandrien zum eigentlichen Schöpfer des Christentums durch eine Synthese des griechischen logos und des universalisierten jüdischen Gottes erklärt. Karsten Lehmkühler („Offenbarung und Heilige Schrift bei Bruno Bauer“, 47–62) zeigt, daß Bauers exegetische Schriften aufgrund solcher Zuspitzungen in ihrer Bedeutung unterschätzt würden, habe er doch die redaktionskritische Methode vorweggenommen und viele Ergebnisse der späteren historischen Bibelkritik antizipiert. Daß Bauers Positionen auch in der damaligen theologischen Diskussionssituation durchaus nicht von vornherein verfemt waren, arbeitet Arnulf von Scheliha („Der Entzug von Bruno Bauers venia docendi und die Argumente der gutachtenden theologischen Fakultäten“, 63–73) anhand der bereits 1843 publizierten Gutachten heraus, die deutlich machten, daß es bei dem 1842 erfolgten Rauswurf Bauers aus der Bonner Fakultät wohl eher um staatliche Interessen ging. Erwin Bader stellt in einem Vergleich Marx’ mit Bauer die geläufige Sicht des Marxschen Religionsverständnisses in Frage („Das Religionsverständnis bei Marx in Bezug auf Bruno Bauers theologische Ansichten“, 85–100): Marx zeige sich „gespalten zwischen der Kritik, das Christentum seiner Zeit sei zu schwach, um die sozialen Verhältnisse wirklich zu verbessern, und dem Respekt vor der christlichen Anregung zu eben jener Verbesserung“ (99). Richtig ist, daß Marx – anders als Bauer – Religion nicht abstrakt kritisieren, sondern als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse begreifen

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will. Damit dürfte es aber kaum gedeckt sein, z. B. Marx’ Brief an Arnold Ruge vom Mai 1843, in dem er die „Selbstverständigung (kritische Philosophie) der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche“ als „Beichte“ bezeichnet, als „durchaus Positive Einstellung zur Beichte“ im kirchlichen Sinne zu interpretieren (98). Ebensowenig kann seine These, Hegel habe – entgegen den in Bauers Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel, den Atheisten und Antichristen (1841) insinuierten Position – einen Theismus mit einem „lebendigen Gott“ (89) vertreten, als unumstritten gelten. Giacomo Rinaldi („Selbstbewusstsein und Substantialitätsverhältnis in Bruno Bauers Religionsphilosophie“, 101–113) bescheinigt Marx dagegen einen „rohen Dogmatiusmus“ seiner „materialistischen Weltanschauung“ im Vergleich zu Bauer (101), kritisiert aber auch Bauer am Maßstab einer Deutung der Hegelschen Religionsphilosophie, die in ihr das „tertium“ zwischen Theismus und Atheismus durch die „idealistische Auffassung des Absoluten“ als eines unendlichen Selbstbewußtseins erkennen will (112). Hier zeigt sich, daß die Diskussion über das Religionsverständnis Hegels und der nachhegelschen Philosophie noch immer nicht zu allgemein akzeptierten Ergebnissen geführt hat. Vom Urteil über den Status der Religion in Hegels Philosophie hängt offenbar auch die Bewertung des junghegelianischen Religionsverständnisses ab: Spricht es nur die Konsequenz des Hegelschen Gedankens aus oder radikalisiert es diesen religionskritisch? Dieser Frage geht auch Wolfgang Eßbach im Blick auf Bauers Verhältnis zu Feuerbach nach („Bruno Bauers Religionskritik. Die Auseinandersetzung mit Feuerbach“, 115–130). Eßbach rekonstruiert zunächst im Rekurs auf Heinrich Heine das Spannungsfeld der junghegelianischen Diskurse zwischen Französischer Revolution und Hegelscher Philosophie. Die Beziehung zwischen deutscher Philosophie und Französischer Revolution war tatsächlich jedoch schon von Hegel selbst (v. a. in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie) wie auch von anderen Protagonisten der klassischen deutschen Philosophie und namentlich von Friedrich Schlegel betont worden; neu im nachhegelschen Kontext ist nicht dieses Verhältnis, sondern die erwartete unmittelbare Aktualität einer politischen Revolution in Deutschland. Bauers Kritik an Feuerbach bezieht sich denn auch auf dessen postchristliche religiöse Verbrämung der Politik und der menschlichen Gattung. Hierin erkennt Bauer ein substanzialistisches Denken, dem er das freie Selbstbewußtsein entgegensetzt. Die zweite Abteilung des Bandes wird mit einem Beitrag von Christine Weckwerth eröffnet („Bruno Bauer als ein Stachel der Marxschen Philosophiekritik und Gesellschaftstheorie“, 133–149), in dem sie zu einer ähnlichen Diagnose gelangt: Marx habe Bauers Philosophie des Selbstbewußtseins als subjektivistisch interpretiert und ihr einen gesellschaftlichen Objektivismus entgegengesetzt, damit jedoch die von Bauer angemahnten Probleme individueller Selbstbestimmung ausgeblendet. Auch in dieser Hinsicht sei der junghegelianische Diskurs insgesamt jenseits der verkürzten Wirkungslinie Hegel-Feuerbach-Marx wieder differenziert in den Blick zu nehmen. Junji Kanda befaßt sich mit Marx’ Dissertation, die – bisherigen Lesarten zufolge – zum Zweck einer akademischen Karriere unter Bruno Bauers Protektion verfaßt worden sei („Bruno Bauer und die Promotion von Karl Marx“, 151–163). Kanda kann zeigen, daß dies insofern eine Legende ist, als die Jenaer Promotion in absentia kaum zu einer akademischen Karriere berechtigte (und wohl von den Jenaer Gutachtern nicht einmal gele-

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sen wurde). Ob Marx in seiner Dissertation aber tatsächlich, wie Kanda meint, einem abstrakten Logizismus und idealistischen Konstruktionen huldigte (151) und deshalb zu einer „grotesken“ (159) Deutung Demokrits und Epikurs kam, mag dahingestellt bleiben. Die auch für das Verhältnis Marx’ zu Bauer entscheidende Stellungnahme zum Konzept einer Verwirklichung der (hegelschen) Philosophie wird leider nicht diskutiert. Ernst Müller („Bruno Bauers implizite Ästhetik. Zur posthegelianischen Figur der ‚Auflösung der Religion in der Kunst‘ – mit einem Seitenblick auf Marx“, 165–176) beleuchtet Bauers Projekt, die Evangelien radikal als ästhetische Produkte zu verstehen, mit der Konsequenz, daß Religion in Kunst und nicht – wie bei Hegel – in Philosophie aufzuheben sei. Die „Auflösung der Religion in die Kunst“ erfolgt bei Bauer in der Komödie, wo sie – „zur Politik wird. Das ‚nach der Kunst‘ ist weder Religion noch Philosophie, sondern […] radikale Politik oder Revolution durch freie Souverenität des Subjekts“ (174). Marx habe eine zeitlang an Bauers Projekt mitgearbeitet, dann jedoch eine grundsätzliche Wendung von der Radikalisierung einer verselbständigten ästhetischen Religionskritik zu den Bedingungen der Kritik in der erscheinenden Wirklichkeit selbst vollzogen, die ihn von Bauer entfernt und auch vor seinem Antisemitismus bewahrt habe. Martin Hundt stellt die Frage: „War Bruno Bauer Junghegelianer?“ (177–184) Für Hundt beantwortet sich diese Frage dadurch, daß er den Junghegelianismus „objektiv“ als „Teil der bürgerlich-demokratischen Opposition“ definiert, die ein Bündnis mit den „realen Kräften“ der Opposition eingehen mußte, um Erfolg zu haben (182). Bauers abstrakter Fanatismus habe diesem Bündnis geschadet und sei unter den Junghegelianern keineswegs allseits akzeptiert gewesen. Ob es sinnvoll ist, die verwirrenden Diskurse der Linkshegelianer „objektiv“ bereinigen zu wollen, bezweifle ich. Tilman Reitz („Idealistische und junghegelianische Kulturpolitik. Philosophisches Engagement nach 1789 und vor 1848“, 185–197) setzt in dieser Hinsicht andere Akzente, wenn er Bauers Position innerhalb der den Junghegelianern gemeinsamen Frage der Verwirklichung der Philosophie bestimmt. Bauer gehe den Weg einer theoretischen Praxis als kulturpolitischer Verwirklichung der Philosophie. Die Bedingungen dieses Weges allerdings seien nach wie vor der Hegelschen Philosophie des absoluten Geistes als (kultureller) Weltdeutung eingeschrieben, wobei die Notwendigkeit der Religion für die Weltdeutung das von Bauer und den Jungehegelianern insgesamt aufgegebene Problem sei (197). Ulrich Pagel („Die enttäuschte Aufklärung. Max Stirners ‚Einziger‘ als Versuch der argumentativen Überwindung von Bruno Bauers ‚reiner Kritik‘“, 199–210) wendet sich dann Stirner zu, dessen Individualismus eine Antwort auf die von Bauer in seiner Religionskritik beanspruchten Evidenzerfahrungen sei. Bauer will damit die Evidenz „heiliger“ Autoritäten unterminieren, während Stirner an die Stelle der „philosophisch-kritischen Evidenzproduktion“ Bauers im Rekurs auf „alltagssprachliche Vertrautheit“ kontextualisierte „Ad hoc-Evidenzerfahrungen“ produzieren wolle (208). Beiden gemeinsam sei der Ausstieg aus diskursiven Begründungsverfahren. Jean-Claude Wolf („Stirner zitiert Bauer“, 211–227) legt eine vergleichbare Strategie frei, wenn er zeigt, wie Stirner Bauer umdeutet, um seinen Partikularismus des „Einzigen“ zu plausibilisieren. Lawrence Stepelevich („Max Stirner contra Bruno Bauer“, 229–237) dagegen sieht in Stirner gegenüber Bruno Bauer einen legitimen Erben der Hegelschen Phänomenologie: der „Einzige und sein Eigentum“ repräsentiere die Aneig-

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nung des substantiellen Inhalts des Geistes durch das Ich und damit das absolute Wissen (237). So originell diese Deutung ist, so muß doch bezweifelt werden, daß sich das von Hegel gemeinte Ich gegen die Allgemeinheit des Selbstbewußtseins bei Bauer und Feuerbach ausspielen läßt, wie Stepelevich es nahelegt. Die dritte Abteilung des Bandes zum späten Bruno Bauer beginnt mit einem Beitrag von Douglas Moggach („Politische Heteronomie und republikanische Freiheit bei Bruno Bauer“, 241–249), der Bauers Interpretation der Hegelschen Subjektwerdung der Substanz als Annäherung an Fichte sieht (242 f.). Damit ist auf einen Grundzug junghegelianischer Diskurse verwiesen, der bereits bei Cieszkowski aufscheint und auch bei Moses Hess deutlich hervortritt und insgesamt noch nicht zureichend aufgearbeitet wurde. Massimiliano Tomba („Bruno Bauers kritische Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution“, 251–262) zeigt, daß Bauers Haltung zur Französischen Revolution zunehmend von einem Aristokratismus gegenüber der „Masse“ und ihren nivellierenden Tendenzen geprägt ist, der „viele Aspekte der konservativen Revolution des 20. Jahrhunderts antizipierte“ (262). Den wohl anstößigsten Themenkomplex im Zusammenhang mit dem späten Bruno Bauer behandelt Julia Schulze Wessel: „Vom gemäßigten zum radikalen Antisemiten. Bruno Bauer und die ‚Judenfrage‘“ (263–275). Während Bauer in seiner Schrift zur „Judenfrage“ 1843 antijudaistische und antisemitische Stereotypen zwar bediene, aber noch immer an einer allgemein menschlichen Emanzipation festhalte, werden die Juden später aus dieser Geschichte und damit letztlich aus der Menschheit ausgegrenzt, wobei der Antisemitismus zunehmend biologistisch und rassistisch begründet werde. Zynisch gestehe Bauer den Juden nur noch das Recht zu, als „unnütz Gesinde“ abgetrennt von der übrigen Gesellschaft weiterleben zu dürfen (273). Wie widersprüchlich die gesellschaftlich-politischen Auffassungen Bauers sind, zeigt Peter Landau in seinem Beitrag „Bruno Bauer und die Frauenrechte“ (277–284): Überraschenderweise sieht Bauer in den Frauen aufgrund ihrer Andersartigkeit gegenüber dem Mann einen entscheidenden Faktor für die Umgestaltung der Gesellschaft, wobei er sich an einem romantisch idealisierten Bild des Mittelalters orientiert. Ob sich dieses Bild, wie Landau meint, auch historisch bestätigen läßt, sei dahingestellt. Jürgen Gebhardt wendet sich den weltgeschichtlichen Reflexionen des späten Bruno Bauer zu, die hinter seinem Konzept eines neuen Cäsarentums stehen („Der Aufstieg des Imperatorentums und die neue Weltordnung. Weltgeschichtliche Betrachtungen im Spätwerk Bruno Bauers“, 285–305). Bauer teilt die Überzeugung der Junghegelianer, daß die Geschichte – im Gegensatz zur Auffassung Hegels – noch nicht am Ende sei, wobei er jedoch auf ein antithetisches Geschichtsmodell setzt, in dem das Alte von dem Neuen destruiert statt in es aufgehoben wird. Das erwartete Cäsarentum solle eine neue, europäisch geprägte Menschheit heraufführen, wobei Bauer eine Parallele zum antiken römischen Kaiserreich sieht, welches das Christentum heraufgeführt habe. Manfred Lauermann („Politisch-theologische Fragmente beim späten Bruno Bauer. Begriffsgeschichtliche Erkundungen“, 307–323) deutet diese theoretischen Zusammenhänge als eine „politische Theologie“, welche als eine „Diskursantizipation von Religionssoziologie […] oder von Wissenssoziologie“ (313) gelesen werden könne. Der material- und perspektivenreiche Band schlägt eine Schneise in das unübersichtliche Gestrüpp der junghegelianischen Diskurse. Daß die Beiträge zwar gewisse

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konvergierende Tendenzen erkennen lassen, jedoch zu keinem halbwegs einheitlichen Bild Bruno Bauers gelangen, ist Ausdruck der Forschungs- und Diskussionssituation. Zureichend zu bestimmen bleibt v. a. Bauers Platz in der junghegelianischen Bewegung, einschließlich seines genauen Verhältnisses zur Hegelschen Religionsphilosophie. Hier sind weitere vergleichende Studien vonnöten, denn gerade in dieser Epoche ist vieles (nicht mehr) bekannt, geschweige denn erkannt. Andreas Arndt (Berlin)

Birgit Sandkaulen /Volker Gerhard /Walter Jaeschke (Hgg.): Gestalten des Bewußtseins. Genealogisches Denken im Kontext Hegels. Hamburg: Meiner 2010. (Hegel-Studien. Beiheft 52) „Genealogisches Denken“ ist nach Nietzsches wirkungsmächtiger Radikalisierung ein Denken, das seine eigenen Grundlagen vorbehaltlos in Frage stellt, indem es nach ihrer geschichtlichen Herkunft und den Veränderungen fragt, die sie hervorgebracht haben und der es selbst unterliegt. Diese radikale Verzeitlichung des Denkens wirft immer auch neues Licht auf seine Vergangenheit, deren „Hieroglyphenschrift“ (Nietzsche) sich in Zeiten tiefgreifender Veränderungen stets als wesentlich komplizierter erweist, als es die Traditionsbildungen der Gegenwart wahrhaben wollen. Insofern sind die Probleme eines genealogischen Denkens überaus gut geeignet, Hegels spekulative Dialektik im Licht heutiger Erfahrungen – und d. h. auch nach all den Destruktionen, Dekonstruktionen und Verabschiedungen, die sie auf sich gezogen hat – neu zu lesen. Denn unter dem Generalverdacht, daß sich hinter dem Titel eines „absoluten Wissens“ nichts anderes verbergen könne als die letzte hybride Konsequenz der „abendländischen Metaphysik“, blieb Hegels Anspruch, gerade mit dieser Konsequenz den epochalen Veränderungen der zeitgenössischen Moderne und dem „bacchantischen Taumel“ einer sich verzeitlichenden Wahrheit Rechnung zu tragen, fast völlig unterbelichtet. Die Fragestellung des hier zu diskutierenden Tagungsbandes zielt deshalb nicht nur ins Zentrum von Hegels Phänomenologie, sondern sie ist auch geeignet, die Reichweite ihres Problembewußtseins vor dem Hintergrund der heutigen Ausdifferenzierungen, Spezialisierungen und Fragmentierungen des Wissens und der Erfahrung zu ermessen. Birgt ihr systematischer Anspruch für das Problem des Zusammenhangs sich ausdifferenzierender und verzeitlichender Erfahrungen noch zukunftsweisende Denkanstöße? Läßt sich mit Hegel heute noch an der Idee einer „Vernunft in der Geschichte“ und damit an der Verbindlichkeit von geschichtlicher Erfahrung festhalten, die sich zugleich als radikal endlich weiß? Es scheint klar und steht auch in den Beiträgen dieses Bandes nicht in Frage, daß solche Fragen an Hegel dort ihre Grenze finden, wo die Dynamik der spekulativen Logik in ein „absolutes Wissen“ mündet, von dem Hegel selbst sagt, daß es „die Zeit tilgt“. Haben wir es hier nicht mit einem Versuch zu tun, den genealogischen Denkprozeß selbstgenügsam abzuschließen und alle Gegensätze, die ihn motiviert hatten, in einem zeitlosen Selbstverhältnis des Denkens aufzuheben?

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Daß der Bildungsprozeß der Phänomenologie des Geistes in der tautologisch geschlossenen Selbstbeziehung einer absoluten Subjektivität kulminiere, darin sind sich im Grunde alle Beiträge einig, die sich mit der genealogischen Dynamik des spekulativen Denkens auseinandersetzen. In der ersten, dem Problemfeld der Erkenntnis gewidmeten Sektion rekonstruiert Jürgen Stolzenberg die unterschiedlichen „Geschichten des Selbstbewußtseins“ bei Fichte, Schelling und Hegel als Arbeit an dem Problem, die Beziehung auf Anderes und damit auch sein geschichtliches Sein als konstitutives Moment seines Zu-sich-Kommens zu begreifen. Da er jedoch eine Bewertung der unterschiedlichen Konsequenzen in der Schwebe läßt, bleibt auch die Frage unerörtert, ob sich in den Transformationen vom „Ich“ zum geschichtlichen „Geist“ wirklich das Thema „Selbstbewußtsein“ als das zentrale und verbindende Thema dieser drei Denker durchhält. Geht es ihnen in gleicher Weise um die „restlose“ Aufhebung von Andersheit in die autologische Form subjektiver Selbstbeziehung? Oder steht am Anfang des spekulativen Denkens nicht eher ein Bruch mit ihrer transzendentalen Zentralstellung, der das Problem des Selbstbewußtseins im Horizont seiner zeitlichen und sprachlichen Genese in neu stellt? Auch Gunnar Hindrichs rekonstruiert Hegels Philosophie im Sinn einer „Geschichte des Selbstbewußtseins“, die er als Modell einer Geltungsreflexion begreift, welche sich in der kritischen Reflexion ihrer geschichtlichen Formen legitimiert. Indem sich diese Reflexion aber selbstbezüglich schließe, so seine Kritik, bietet sie der Erfahrung des Unbekannten und dem Eigensinn eines „wahrhaft Anderen“, radikal Neuen keinen Raum mehr. Als Beispiel für diese Erfahrung – die für ihn an eine Abkehr von allem Vorangegangenen gebunden ist –, führt er gegen Hegel die moderne Avantgardekunst ins Feld (76). Aber hat, so könnte man mit Hegels Begriff der „bestimmten Negation“ zurückfragen, der Einbruch neuer Erkenntnisse in eine Gegenwart nicht immer eine geschichtliche Dimension, die ihn aus einer Transformation des Vergangenen hervorgehen läßt und insofern auch im Bruch noch mit diesem verbindet? Diese komplexe Zeitform reduziert sich in der avantgardistischen Beschwörung des Neuen auf das Fortschrittsmodell des permanenten Traditionsbruchs, der das Unbekannte gegen das Bekannte lediglich ausspielt und sich zu seinem Fürsprecher macht. Aus dieser Perspektive wird Hegels Einsicht unterlaufen, daß sich der Einbruch einer fremden Erfahrung in den Horizont eines Selbst immer auch an ein Ungedachtes, Unbewußtes in diesem Selbst und d. h. an eine Erinnerung wendet, die den Zusammenhang von Selbstheit und Andersheit neu denkbar werden läßt. Michael Hampe konfrontiert Hegels Denken geschichtlicher Veränderung mit dem Programm einer „historischen Ontologie“ der Konstitution geschichtlicher Wissensformen bei Michel Foucault und Ian Hacking. Auch für ihn gelangt die genealogische Radikalität des spekulativen Denkens an die Grenze seines systematischen Anspruchs: Diesem liege, so Hampe, letztlich eine zeitlos verabsolutierte begriffliche Ordnung zugrunde, die sich der Historisierung entziehe. Diese immer wieder vorgetragene Kritik hat sich zu einem Topos verfestigt, der keiner Nachfrage mehr bedürftig scheint. Auch Hampe befragt das „absolute Wissen“ nicht als Konsequenz einer Transformation des „natürlichen Bewußtseins“, sondern behandelt es innerhalb dieses Denkrahmens als Gegenstand einer subjektiven Erkenntnisintention. Von hier aus kann der Anspruch auf „Ganzheit“ (85) – Hegel spricht frei-

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lich eher in Begriffen der „Vollendung“ einer Konsequenz – in der Tat nichts anderes sein als eine subsumtive Integration aller Gegenständlichkeit in ein zeitlos verabsolutiertes Selbstverhältnis. Sieht man von dem Bruch ab, den der spekulative Begriff des „Geistes“ mit fundamentalen Voraussetzungen einer subjektiven Erkenntnisbegründung vollzieht und liest die Phänomenologie des Geistes in den von Fichte vorgezeichneten Bahnen einer ‚Historiographie des menschlichen Geistes‘, dann kann sich die Genealogie des spekulativen Geistes in der Tat nicht anders denn als jenes teleologische Fortschrittsmodell präsentieren, das Hegel seit der Differenzschrift doch selbst unermüdlich kritisiert hat. Als Konsequenz dieser Kritik stellt die Phänomenologie des Geistes – und diese noch kaum beachtete Tatsache ist für die Formprobleme eines genealogischen Denkens von fundamentaler Bedeutung – die Genese des Geistes als einen „gedoppelten Proceß“ (GW 9, 32) dar: ein in sich gegenläufiges Werden, in dem die Vergeistigung geschichtlicher Positionen – die Reflexion der Ein- und Ausschlußverhältnisse ihrer Selbstbezüglichkeit – und die geschichtliche Konkretisierung neuer Gesichtspunkte aus dieser Reflexion ineinandergreifen. Es gibt hier kein geschlossenes Selbstverhältnis mehr, das nicht aus einer veränderten Position als „Sein für Anderes“ ansprechbar wäre, und es ist diese Logik des Ineinandergreifens von Sehen und Sichtbarwerden, die Hegel als „Geist“ anspricht. Dessen „Darstellung“ läßt sich dann nicht mehr auf die Repräsentation einer gegenständlich gedachten Geistesgeschichte im Blick eines selbstbezüglichen Beobachters verstehen, ohne den Anspruch dieser Logik von vornherein zu unterlaufen. Geschichtlich „wirklicher Geist“, so Hegel, „ist das Subject der Bewegung, und er ist ebenso das Bewegen selbst, oder die Substanz, durch welche das Subject hindurchgeht […]“ (GW 9, 419). Jener häufig zitierte Geist, der am Ende der Phänomenologie des Geistes „die Zeit tilgt“ (ibid. 429), hebt durchaus nicht die „Negativität“ dieses „gedoppelten“ zeitlichen Werdens auf – das sich vielmehr in der Wissenschaft der Logik fortsetzt und auch hier kein definitives Ende findet –, sondern er befreit es von der Zeitauffassung des natürlichen Bewußtseins, das die Zeit im Rahmen einer Subjekt-Objekt-Unterscheidung nur als „leere Anschauung“ (ibid.), d. h. als räumliches Kontinuum endlosen Fortschreitens auffaßt. Ein Wissen, das, so Hegel, „nicht nur sich, sondern auch das Negative seiner selbst“ erkennt (ibid. 433) und sich in dieser Erkenntnis selbst verändert, ist „absolut“ nun gerade nicht mehr im Sinn der abschließenden Integration dieses Negativen in ein zeitloses Selbstverhältnis. „Absolut“ – und damit käme sie der von Hindrichs skizzierten Kunsterfahrung schon sehr viel näher (76) – ist diese Erfahrung vielmehr in einer konsequenten Befreiung der Veränderungen, denen sie auch künftig ausgesetzt ist, von den Voraussetzungen und Unterscheidungen eines sie als Objekt beobachtenden Subjekts. Was dies für ein Wissen sein könnte und ob Hegel dessen Darstellung konsequent durchführt, wäre erst auf dem Boden dieser Problemstellung und nicht schon durch das allzu geläufige Verdikt gegen den ‚absoluten Denker‘ zu entscheiden. Hilfreich könnte dabei durchaus ein Blick auf Hegels Begriff des „Lebens“ sein, dem die zweite Sektion des Bandes gewidmet ist. Denn Leben ist in der Tat „absolut“ zu nennen, insofern es sich jeder Vergegenständlichung durch fixierende Begriffe entzieht und diese selbst als Lebensformen sichtbar werden läßt. Daher entspricht der Begriff des Lebens genau jener immanenten Negativität, die Hegel zufolge jede Lebens-

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form „über sich hinausreißt“ und sie daran hindert, sich selbstbezüglich abzuschließen. Und auch das Leben impliziert eine „gedoppelte“ Prozessualität, in der sich Fortentwicklung und Verfall in jedem Augenblick ununterscheidbar durchdringen. Diese Zeitlichkeit reduziert sich nur aus der Perspektive eines Beobachters auf die Vor- und Nachzeitigkeit linearer Prozesse. So etwa, wenn Pirmin Stekeler-Weithofer das Leben des spekulativen Begriffs als teleologische Entwicklung einer „Gesamtpraxis des begrifflich kodierten Wissens und Könnens […] der Menschen“ (119) deutet. Sein Versuch, Hegels spekulative Wissenschaft als Selbstreflexion der Prozesse gegenstandsbezogener Wissenschaft zu aktualisieren, verpflichtet sie zugleich auf deren Voraussetzungen und bringt das „absolute Wissen“ nur noch als Ziel einer „vernünftigen Gesamtentwicklung der humanen Lebensform“ in den Blick, das dem Anspruch von Wissenschaft eingeschrieben sei. Einmal abgesehen von der Frage, ob dieses Vertrauen wirklich berechtigt ist, kann doch das Modell der Evolution rational kontrollierbaren Wissens den Zusammenhang bewußter und unbewußter Momente in den Veränderungen geschichtlichen Lebens, dem Hegels Begriff der „Negativität“ Rechnung zu tragen sucht, nicht mehr erfassen. Auch der Beitrag von Volker Gerhard zum Thema „Leben“ geht über den Vorstellungshorizont evolutionärer Entwicklung und wissenschaftlich beobachtbaren Lebens nicht hinaus. Ausgehend von der These, „die Philosophie“ habe die – von wem? – „proklamierte Wende zu den Lebenswissenschaften“ (135) verschlafen, will er Hegels Denken für diese Wende fruchtbar machen. Sein berechtigter Hinweis auf das „Ineinander von Wachstum und Vernichtung, Aufbau und Zerstörung“, das in Hegels Begriff des Lebens wirksam sei, bleibt jedoch in seinen systematischen Konsequenzen für ein Denken, das sich selbst als Figur und Moment dieses Lebens begreift, unentfaltet, ja er geht schließlich in der Interpretation des Geistes als „technische Verfügung“ unter (149). Gerhards Beitrag führt ebenso wie Hans-Peter Krügers „Rückblick“ auf Hegel aus der Sicht Plessners auf ein Problem, das Hegel selbst zu Beginn der Differenzschrift aufgeworfen hat: Impliziert ein historischer „Rückblick“, der geistesgeschichtliche Problemstellungen auf ihre Aktualität für die Gegenwart befragt, nicht ein Zeitverständnis, das ein fundamentales Problem genealogischen Denkens schon im Ansatz unterläuft: die Einbeziehung des jeweils gegenwärtigen Gesichtspunktes in ein geschichtliches Werden, in der sich mit einer neuen Sicht auf die Vergangenheit immer auch Veränderungen für die Gegenwart ergeben, die von deren aktuellem Gesichtspunkt aus nicht kalkulierbar sind? „Lebendiger Geist“ – dies wußte Hegel durchaus – ist in seinen geistesgeschichtlichen Figurationen keine Gegebenheit, auf die eine Gegenwart jederzeit als auf dieselbe zurückkommen und darin ‚bei sich selbst‘ bleiben könnte. Für ein geschichtliches Denken, das sich selbst nicht nur als Subjekt, sondern auch als veränderliches Moment geschichtlichen Werdens – als dessen Erinnerung und Fortleben – begreift, kann es, worauf Hegel schon in der Differenzschrift mit Nachdruck insistiert, nicht mehr um die Unterscheidung zwischen „Vorgängern und Nachgängern“ gehen, sondern es stehen gerade auch die Kriterien dieser Aussonderung von aktuellen und inaktuellen Momenten der Vergangenheit auf dem Spiel. Zwischen der Skylla einer Unterwerfung von Geschichte unter die Kriterien eines vorausgesetzten Selbstbewußtseins und der Charybdis der Auflösung des Selbst

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im „bacchantischen Taumel“ einander historisch relativierender Wahrheiten stellt sich das Problem spekulativer „Wissenschaft“, dem die III. Sektion des Bandes gewidmet ist. Hier setzt sich Birgit Sandkaulen mit Hegels Konzept einer „Bildung des Bewußtseins zur Wissenschaft“ auseinander, das, auch ihrer Kritik zufolge, Bildung als Prozeß am Ende in ein „absolutes Wissen“ überführen und überflüssig machen solle. Wird damit, so ihre kritische Frage, nicht die Einsicht der zeitgenössischen Bildungsbegriffe Herders, Fichtes, Schillers oder Humboldts in die Unabschließbarkeit geschichtlicher Bildungsprozesse unterlaufen? Doch Hegels Kritik an der „schlechten Unendlichkeit“ dieser Konzeptionen richtet sich durchaus nicht gegen deren Offenheit. Sie wendet sich vielmehr gegen einen Begriff von Offenheit, der sich einer Reduktion zeitlichen Werdens auf das Modell linearer Progression verdankt: in dieser Perspektive – und hier wäre zwischen den Positionen Herders und Humboldts auf der einen und Fichtes und Schillers auf der anderen Seite zu differenzieren – kann sich das Subjekt der Bildung in ihrem Verlauf jederzeit seines Fortschritts und einer sukzessiven Erweiterung seines Horizontes gewiß sein. Gegen dieses Konzept subjektzentrierter „Bildung“ konzipiert Hegel die spekulative „Erfahrung“ als „Negativität“, die das Bewußtsein in jedem Moment ‚über sich hinausreißt‘ und auf seinen Tod bezieht.Von hier aus könnte dann auch ein anderes Licht auf den Ausdruck „absolut“ fallen, dessen Verständnis eine „Umkehrung des Bewußtseins“ anspricht (GW 9, 61), die gegenüber der Sichtweise des in sie verwickelten Subjekts Autonomie gewinnt und ihre Konsequenz erst der Erinnerung eines radikal veränderten Gesichtspunktes erschließt. Dieser für das Problem genealogischen Denkens fundamentale Begriff der Negativität, der eine Begründung der Behauptung eines teleologischen Erkenntnisfortschritts in der Phänomenologie des Geistes zumindest sehr erschweren würde, findet jedoch in keinem der Beiträge des Bandes Beachtung. Auf seiner Grundlage wären dann auch die Offenheit der zeitlichen Bewegung, die eine Bewußtseinsform über sich hinausreißt und die Geschlossenheit einer individuellen geschichtlichen Lebens-Form, die in dieser Bewegung Konturen gewinnt, indem sie sich verändert, keine Widersprüche, sondern – vergleichbar etwa dem Leibnizschen Monadenbegriff, der hier weiterwirkt – irreduzible Momente eines unteilbaren „lebendigen“ Werdens. Dieses wäre dann eher als Intensivierung und Differenzierung einer Erfahrung anzusprechen, deren „Ziel“ nicht in einem zeitlosen Zustand, sondern darin bestünde, sich von den Voraussetzungen eines beobachtenden Bewußtseins zu befreien, das ihren Verlauf auf lineare Progression festlegt. In diese Richtung eines autonomen Prozesses weist auch der Beitrag von Olaf Breidbach, der das „Selbst“ der spekulativen Erfahrung im Licht neurophysiologischer Erkenntnisse in den Begriff „des Gehirns“ übersetzt, das sich gegenüber der idealistischen Begründung eines transzendentalen Selbstbewußtseins dadurch auszeichne, daß es zugleich als welthaftes Produkt der natürlichen Evolution beschreibbar sei. Diese Lektüre zielt über einen teleologisch gerichteten Prozeß hinaus auf die evolutionäre Entwicklung einer selbstreferentiellen „Struktur“, des Gehirns, „die zwar als Verlauf, aber nicht in einem möglichen Programm zu beschreiben ist.“ (210). Damit ist ein neuer Aspekt des phänomenologischen Entwicklungsprozesses angesprochen, der es erlaubt, sein „Selbst“ als konstitutive Bedingung der Möglichkeit von Welt aufzufassen und es zugleich auch als welthaft und in seiner immer nur perspektivischen und verän-

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derlichen Existenz sichtbar werden zu lassen. Während aber Hegel „Geist“ geschichtlich im Spannungsfeld von „Ich“ und „Wir“ denkt, in dem sich jedes Selbst in der Sicht anderer Gesichtspunkte reflektiert, begreift Breidbach – die naturalistische Beobachtung legt das nahe – „das Gehirn“ als eine selbstreferentielle und zugleich empirisch vorliegende Struktur. Wie aber und von wo aus ließe sich die Einheit seiner Momente denken, die es einmal als identisches Selbst und dann als beobachtbare Struktur bestimmen? Denn daß das Gehirn selbstreferentielle „Einheit“ und als solche Möglichkeitsbedingung des Erscheinens von Welt ist, daß es Welt „konstruiert“ und „sich“ von Welt affizieren läßt, ist durchaus keine beobachtbare Tatsache, sondern führt auf das Feld transzendentaler Begründungsprobleme. Breidbachs Rede von einer „selbstreferentiellen Einheit“ nimmt insofern sehr viel mehr in Anspruch, als der beobachtende Blick auf das Gehirn als organische Struktur hergibt. Eine Reflexion dieses Mehr müßte dann über den Konstruktivismus einer „beobachtenden Vernunft“ hinausführen, an der Breidbach dezidiert festhält, und er müßte mit Hegels Begriff des Geistes das unvermittelte ‚sowohl als auch‘ von geistiger Einheit und organischer Differenziertheit aufheben, in das er seinen Begriff eines „selbstreferentiellen Organs“ einspannt. Eben diesen für ein genealogisches Denken bedeutsamen Schritt vollzieht der Beitrag Robert Pippins, der nach dem Status der Literatur in Hegels Phänomenologie des Geistes fragt. Er begreift die phänomenologische Erfahrung als ein dynamisches Spannungsfeld, das sich in der Konstellation von Verstand und ästhetischer Erfahrung bildet und differenziert. Die Einsicht, daß Erfahrungsprozesse nicht aus einer Außenperspektive beschreibbar sind, sondern einer Neuinszenierung bedürfen, die ihrem lebendigen Werden isomorph ist, begründet, so Pippin, in Hegels Phänomenologie des Geistes die „Unentbehrlichkeit“ künstlerischer Erfahrungen und Verfahrensweisen als konstitutives Moment der Darstellung philosophischer Gedanken. Diese Interpretation öffnet der Phänomenologie des Geistes wieder jene Dimension eines autonomen schöpferischen Erfahrungsprozesses, die Gunnar Hindrichs in seiner Kritik an Hegel der Kunst vorbehalten hatte: die Unverfügbarkeit ihrer Veränderungen für die gegenwärtige Intention des in sie involvierten Selbst. Von hier aus bietet sich eine ganz andere Aussicht auf jenes merkwürdige „absolute Wissen“: Es besteht dann gerade nicht in einem intentional formulierbaren Endzustand, sondern darin, die Erfahrung von den intentionalen Festlegungen eines gegenstandsbezogenen Denkens zu befreien und die Autonomie „lebendigen“ Werdens zu erreichen, die das Subjekt in die Eigendynamik geschichtlicher Entwicklungen einbindet: Erst hier, so die Pointe Pippins, können subjektive Intentionen nämlich in ihren wirklichen Implikationen und Konsequenzen aus einer veränderten Sicht erinnerbar und erfahrbar werden. Die anderen Beiträge des Bandes gehen eher auf konkrete inhaltliche Aspekte von Hegels genealogischem Denken ein. Stefano Poggi plädiert für seine Einbeziehung in die umfassende „Neuorierentierung des gesamten begrifflichen Apparates“ im Denken des 19. Jahrhunderts. Von hier aus ließe sich dann über die Trennung von Natur- und Geistesgeschichte hinaus neues Licht auf das Verhältnis der Philosophie zu den sich in dieser Neuorientierung herausbildenden Einzelwissenschaften werfen. Henning Ottmann mobilisiert gegenüber dem radikalen Autonomiestreben von Nietzsches Genealogie der Moral Hegels „Überordnung der Sittlichkeit“ über die Moral. Ob freilich

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eine hierarchische Überordnung der Konsequenz von Hegels genealogischem Denken entspricht und ob eine „Philosophie der Normalität“, die Ottmann auf den Spuren Joachim Ritters daraus ableitet, den Katastrophen und Brüchen der Spätmoderne noch gewachsen wäre, ist durchaus fraglich. Den Begriff der Sittlichkeit thematisiert Gertrude Lübbe-Wolffs Beitrag im Blick auf gesellschaftlich konstituierte Institutionen, deren rechtskonstitutive Funktion die Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie ausmache. Denn von hier aus lassen sich die Probleme der Rechtsgeltung jenseits der Dichotomie zwischen der Äußerlichkeit positiven Rechts und der Innerlichkeit der Moral stellen. Walter Jaeschke und Jean-Francois Kervégan thematisieren Hegels Rechtsbegriff in der Konsequenz seiner Aufhebung der Dichotomie von Natur und Geschichte: Jaeschke entfaltet Momente einer von Hegel nicht explizierten Genealogie des Rechts unter dem Stichwort „von der Natur zur Freiheit“, das mit seiner Unterscheidung den genealogischen Prozeß ebenfalls als Progression evolutionärer Entwicklung bestimmt, und Kervégan sieht in Hegels Vermittlung von Vernunft und Geschichte die Möglichkeit angelegt, Recht unter geschichtlichen Bedingungen so zu denken, daß sich seine Normativität und seine Veränderbarkeit nicht ausschließen müssen. Bereits die Vielfalt der Aspekte, unter denen dieser Tagungsband die Probleme genealogischen Denkens bei Hegel und im Kontext seiner Philosophie thematisiert, macht deutlich, daß das hier umrissene Feld noch sehr viele Reflexionspotentiale und Herausforderungen birgt. Deutlich wird an seinen Beiträgen aber auch die Insistenz jener kritischen Einsicht Hegels, daß es hierbei um mehr geht, als um die „geschichtliche Ansicht“ einer zur Tradition geronnenen Überlieferung: Über die Aktualisierung brauchbarer und die Aussonderung überholter Theoreme hinaus stehen vielmehr mit jeder geistesgeschichtlichen Interpretation immer auch die Perspektiven und Problemstellungen gegenwärtigen Philosophierens auf dem Spiel. Hegels früh formulierte Einsicht, daß sich die schöpferische Konsequenz einer Philosophie – ihr „lebendiger Geist“ – nicht einer Beobachterperspektive erschließt, sondern allein in ihrem Nachleben entfaltet, birgt auch unter den Bedingungen der Spätmoderne für ein genealogisches Denken durchaus noch uneingelöste Potentiale. Volker Rühle (Hildesheim/Madrid)

Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre. Amsterdam / New York, NY: Rodopi 2009. 374 S. (FichteStudien-Supplementa. Band 22. Im Auftrage der Internationalen Johann-GottliebFichte-Gesellschaft. In Zusammenarbeit mit Istituto Italiano per gli Studi Filosofici herausgegeben von Helmut Girndt, Wolfgang Janke, Wolfgang M. Schrader, Hartmut Traub) Wolfgang Janke beabsichtigt in einem historisch-systematischen Vergleich über Schellings, Fichtes und Hegels Spätphilosophie, die Sichtweise einer dreifachen Vollendung des Deutschen Idealismus zu etablieren, die Schellings Philosophie der Offenbarung und

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Fichtes späte Wissenschaftslehre ab 1804 als selbständige Vollendungsgestalten neben Hegels Philosophie begreift. Auf diese Weise soll das immer noch gängige Schema Richard Kroners ‚Von Kant über Fichte und Schelling zu Hegel‘ durchbrochen und ersetzt werden, denn das Ziel Jankes besteht darin, durch diesen Vergleich den Vorrang von Fichtes später Wissenschaftslehre herauszuarbeiten. Ähnlich wie Walter Schulz in bezug auf Schelling versteht es Janke als seinen Auftrag, Ungerechtigkeiten und Einseitigkeiten der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte in bezug auf Fichte auszugleichen und richtigzustellen. Mit der vorliegenden Studie realisiert Janke ein Vorhaben, das er am Ende seiner Exegese der Wissenschaftslehre 1805 im Jahr 1999 angekündigt hat. Aber entgegen dieser Ankündigung ist die zehn Jahre später erschienene Untersuchung keine Unterminierung der „gängigen Parteinahmen mit alternativer Fragestellung“, sondern eine gezielt ‚parteiliche Studie‘ zugunsten Fichtes. (Siehe: Wolfgang Janke: Johann Gottlieb Fichtes ‚Wissenschaftslehre 1805‘. Methodisch-systematischer und philosophiegeschichtlicher Kommentar. Darmstadt 1999. 206.) Den „Vorrang des einzig wahren Systemgrundes auf der Höhe absoluten Wissens“ (41) in der Gestalt von Fichtes später Wissenschaftslehre – und dies ist die leitende These der gesamten Untersuchung – begründet Janke dadurch, daß dessen Philosophie als einzige bei „transzendentaler Besinnung“ bleibe: Allein die Wissenschaftslehre verwechsle nicht das absolute Wissen mit dem Absoluten selber, sondern verstehe es als Bild und Erscheinung des Absoluten. Die Wissenschaftslehre stehe im Unterschied zu den beiden konkurrierenden Vernunftwissenschaften nicht auf dem Standpunkt des Absoluten und begründe das Differenzprinzip bzw. die Negativität überhaupt nicht durch einen Abfall (Schelling) oder als Selbstentfaltung des Absoluten in der Form der absoluten Idee (Hegel). Die transzendentale Besinnung oder absolute Reflexion beinhaltet, „den Zusammenhang und den Unterschied von absolutem Wissen und dem Absoluten selbst“ (32) zu bedenken. Das absolute Wissen sei zwar als selbständige Form das Prinzip der Erscheinung, aber der Ursprung seiner eigenen Lebendigkeit – das Sein des absoluten Wissens als lebendiges Absolutes – bleibt ihm selbst unbegreiflich. Für Janke bedeutet dies – und darin wird das Ziel der gesamten Studie am adäquatesten ausgedrückt –: „In eins widerlegt diese absolute Reflexion die Systembildungen Spinozas und Schellings, unausgesprochen auch die Hegels“ (252 f.). Das Werk ist in folgender Weise aufgebaut: Es besteht aus einer umfassenden Einleitung, drei Hauptabschnitten und sog. ‚Nachschriften‘, die das Werk einem Fazit vergleichbar abrunden. Alle drei Hauptabschnitte sind im wesentlichen nach einem dreigliedrigen Schema aufgebaut: Einleitungs- und Anfangsproblem, Entfaltung der Grundprinzipien, Wahrheitstheorie. Janke konzentriert sich in seinem Vergleich fast ausschließlich auf Grundlegungsfragen der theoretischen Philosophie. In der Einleitung beschreibt Janke die öffentlichen und in privater Korrespondenz ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen Fichte, Schelling und Hegel im Zeitraum von 1795 bis 1807. Weiterhin skizziert er darin seinen eigenen methodischen Zugriff und grenzt diesen von alternativen Interpretationslinien der Forschung ab, die jeweils Hegels (R. Kroner) oder Schellings (W. Schulz) Spätphilosophie als die Vollendungsgestalt des Deutschen Idealismus verstehen (1–41). Im ersten Hauptteil schlägt Janke einen weiten Bogen von Schellings Identitätsphilosophie von 1801 bis zur Ausge-

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staltung der Philosophie der Offenbarung und der damit verbundenen Unterscheidung zwischen positiver und negativer Philosophie (43–108). Im zweiten Hauptteil über Hegel wendet sich Janke zunächst der frühen (1806/07) und der späten (ab 1817) Systemkonzeption im Sinne der Zwei- oder Dreiteilung zu. In groben Zügen zeichnet er daran anschließend das Programm der Phänomenologie des Geistes (1807) als Einleitung zum Standpunkt eines Vernunftsystems nach. In den folgenden Abschnitten analysiert er die Anfangspartien der Seinslogik (Sein, Nichts, Werden, Sollen und Schranke), die Schlußpartien der Begriffslogik sowie den Übergang von der Ideenlogik zur Naturphilosophie. Die Disziplinen der Philosophie des Geistes werden allerdings nicht behandelt (109–172). Der dritte und mit Abstand umfangreichste Hauptteil über Fichtes Philosophie wird noch einmal in zwei Hauptstücke unterteilt. Im ersten Hauptstück werden die Themen ‚veränderte Lehre‘, Natur, Liebe und Geschichtsphilosophie vor allem auf der Basis der populären Schriften, wie den Grundzügen … (1806) und der Anweisung … (1806), durchdiskutiert. Hier kommt es Janke darauf an, viele Vorurteile, Verzerrungen und Mißverständnisse auszuräumen und richtigzustellen, wie z. B. Fichtes Position zum Judentum (173–229). Im zweiten Hauptstück entwirft Janke eine Rekonstruktion der zu Lebzeiten Fichtes unveröffentlicht gebliebenen, späten Wissenschaftslehre ab 1804. Auch wenn Janke hier Auszüge aus Texten wie den Wissenschaftslehren von 1807 und 1812 oder den Thatsachen des Bewußtseyns (1810/11) einarbeitet, kompiliert er die nachkonstruierte Wissenschaftslehre insgesamt so, daß sie dem Aufbau und Schema der Version von ²1804 entspricht (229–337). In den abschließenden ‚Nachschriften‘ hebt Janke auf der Basis der Wissenschaftslehre 1805 noch einmal den Vorrang von Fichtes Spätphilosophie hervor und unterstreicht auf diese Weise erneut die Hauptthese seines Werks. Weiterhin plädiert Janke dafür, Fichtes Philosophie insgesamt als Diagnose und Therapie unseres gegenwärtigen Zeitalters zu nutzen (339–358). Im Folgenden werde ich ein paar ausgewählte Themen und Thesen der Studie genauer besprechen. Der Schelling-Teil ist insgesamt sehr gelungen. Alle Analysen sind sehr komprimiert und werden in einer überzeugenden und stringenten Argumentation auch für unkundige Leser gut nachvollziehbar präsentiert. Die vorgetragenen Ergebnisse sind vor allem auch deshalb so überzeugend, weil Janke sowohl vom Standpunkt Fichtes aus eine vernichtende Kritik an Schellings Identitätsphilosophie (1801) und der transzendentalen Theogonie (1804) vorträgt als auch zeigt, daß Schellings Ansätze auf allen ihren Entwicklungsstufen von sich aus Inkonsistenzen und Widersprüchlichkeiten aufweisen. So bleibt beispielsweise der Ursprung der quantitativen Differenz als Negativitätsprinzip der Identitätsphilosophie nicht nur ungeklärt, sondern die Potenzenlehre enthält in sich unvermittelte Momente: Potenzen sind Abstufungen der Indifferenz, und die absolute Vernunft ist die absolute Totalität aller Potenzen. Zugleich sei jede Potenz ein Ausdruck des Ganzen und insofern eine relative Totalität. In welchem Verhältnis absolute und relative Totalität stehen, wird von Schelling allerdings nicht beantwortet (54). Auch das Differenzprinzip in der Schrift Philosophie und Religion (1804) wird auf zirkuläre Weise eingeführt, und letztlich wird „das Ereignis des Abfalls zu einem Unerklärlichen erklärt“ (71). Die Hauptkritik an Schelling ist, daß Formen des Denkens auf das Absolute selbst übertragen werden. Diese Analysen sind auch insofern relevant, da Schelling auch in seiner Spätphilosophie an der Identitätsphilosophie als negativer Philosophie festhält.

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Weitaus weniger kritisch sind Jankes Ausführungen zur positiven bzw. Offenbarungsphilosophie. Dies mag vor allem daran liegen, daß für Janke dieses Projekt Schellings in der Tradition einer kritischen Selbstbegrenzung der Reichweite des Vernunftvermögens steht. Nach Schelling bleibt eine reine Vernunftwissenschaft wie Fichtes Wissenschaftslehre oder Hegels Logik ein defizientes Gesamtsystem. Das aus der Perspektive der Vernunftwissenschaft a priori Unbegreifliche des reinen Daß der Wirklichkeit soll durch die positive Philosophie in ein a posteriori Begreifliches verwandelt werden. Empirisch erfahrbar sei die Faktizität in den Freiheitsakten, in denen Gott sich geschichtlich offenbare und welche in den Mythen und im Christentum wiederzufinden sei (90). Was in diesem Teil fehlt, ist eine kritische Analyse Jankes von Schellings Vorgehensweise in der Offenbarungsphilosophie. Denn auch wenn die positive Philosophie ihrem Programm nach der Tradition der kritischen Selbstbegrenzung der Vernunft zugeordnet werden kann, so wird in der Durchführung, d. h. in der geschichtlichen Rekonstruktion der Freiheitsakte Gottes, diese kritische Besinnung wieder übersprungen. Es ist im wesentlichen diese anfänglich kritische Besinnung, die Janke gegen Hegel ins Feld führt, und es ist die Kritik des späten Schelling an Hegels Philosophie, die Janke nun wieder auf den Schild hebt. Meines Erachtens ist es nicht unangebracht, Janke die Absicht vorzuwerfen, Hegel lediglich widerlegen zu wollen, was auch in seiner permanenten (teilweise unsachlichen und ungerechten) Polemik gegen ihn deutlich wird (35, 156 f., 168 f. und 183). Es geht Janke in diesem zweiten Hauptteil nicht um eine produktive Aneignung und auch nicht darum, Übereinstimmungen zwischen Fichte und Hegel – wie z. B. in der Dialektik des absoluten Begriffs – kenntlich zu machen. Diese Haltung läßt sich an äußerlichen Dingen, aber auch an inhaltlichen Punkten festmachen: Im Unterschied zu Fichte wird nicht die Akademieausgabe zitiert, und die angeführte Forschungsliteratur ist nicht (wie bei Fichte) auf dem neusten Stand, sondern stammt überwiegend aus den 1960er und 1970er Jahren. Für Janke bildet die Phänomenologie des Geistes (1807) die einzige Hinführung zum Standpunkt der philosophischen Wissenschaften, obwohl diese Funktion ab der zweiten Auflage der Enzyklopädie (1827) vom Vorbegriff erfüllt wird. Neben diesen äußerlichen Aspekten ist es die inhaltliche Auseinandersetzung, die weniger überzeugend und vor allem von Interessen geleitet ist. Die Hauptangriffspunkte sind das Anfangsproblem, die Logik als Darstellung Gottes und der Übergang von der absoluten Idee zur Naturphilosophie. Die Analysen zum Anfang der Seinslogik (1812/²1832), der bei Hegel zugleich unmittelbar und vermittelt ist, sind so überzeugend und klar, daß man fast den Eindruck gewinnen könnte, Janke sympathisiere mit diesem alternativen Konzept. Auch wenn Janke Hegels Konzept gegen Trendelenburgs Angriffe verteidigt, behauptet er dann doch, daß hier ein „Dilemma“ vorliege, weil nicht klar werde, ob der Anfang unmittelbar oder vermittelt sei (140). Die angekündigte Lösung des Anfangsproblems durch eine Analyse der absoluten Idee leistet Janke nur indirekt, er greift sich aber dafür zwei weitere Aspekte heraus, die Hegels Logik und Enzyklopädie unglaubwürdig erscheinen lassen sollen. Janke etikettiert Hegels Logik als „Onto-theo-Logik“. Dieser von Kant, Heidegger und Peter Baumanns jeweils unterschiedlich gebrauchte Terminus wird von Janke hier in der Deutung Heideggers verwendet, d. h. Janke versteht Hegels Philosophie als

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„vollendete Metaphysik“ (125) und gerade nicht als nachmetaphysischen Ansatz. Aus Jankes Verwendung des Begriffs ‚Metaphysik‘ wird aber auch nicht deutlich, wie sich dieser von der vorkritischen Metaphysik, mit der sich Hegel sehr differenziert auseinandergesetzt hat, abheben soll. Die Rechtfertigung für den Terminus ‚Ontotheologie‘ zieht Janke aus der Formulierung der Wissenschaft der Logik, wonach diese „die Darstellung Gottes“ (GW 21, 34) sei, bzw. der Enzyklopädie (1830, § 85), in der es heißt, die „logischen Bestimmungen überhaupt [können] als die metaphysischen Definitionen Gottes angesehen werden“ (GW 20, 121). Janke nimmt dieses Bild wörtlich, aber nicht in dem Sinne, daß die Logik als Darstellung Gottes angesehen werden kann, sondern diese selbst ist. Der Inhalt der Logik wäre daher nicht nur die Aufstellung der objektiven Denkbestimmungen, sondern bestünde auch in einer Gotteslehre. Bestätigt findet Janke seine Interpretation in der Rede von der „freien und reinen Persönlichkeit“ innerhalb der Begriffslogik (1816). Obwohl Janke ausschließlich Belege angeführt, oder besser gesagt: anführen kann, daß das Wesen der reinen Persönlichkeit „die absolute Dialektik“ ist (GW 12, 251) bzw. der Begriff, der sich zur absoluten Idee entfaltet, „die Persönlichkeit hat“ (GW 12, 236) und ferner die Idee als Totalität des Begriffs und der Objektivität das unbedingt oder absolut Vernünftige ist, behauptet Janke, daß es sich hierbei um die Restituierung der reinen Persönlichkeit Gottes handle (144–146). Anstatt der Aussagekraft der eigens angeführten Zitate zu folgen, daß hier nicht von Gott die Rede ist, hält Janke daran fest, daß der Inhalt der Hegelschen Logik die Darstellung Gottes sei. Janke sieht nicht, daß sich die Vernunft als das Unbedingte oder das Absolute begreift, daß aber der systematische Ort der Gotteslehre bei Hegel die Religionsphilosophie ist. Es ist Jankes Annahme, daß Vernunftwissenschaften den Gottesgedanken zum Inhalt haben, und er sieht bei Hegel letztlich eine Identifizierung von Gott und Vernunft. Diese Dominanz des Gottesgedankens hat aber auch für Fichtes späte Wissenschaftslehre Konsequenzen, die er in der vorliegenden Studie als „negative Theologie“ (273) versteht. In seiner ersten großen Studie Sein und Reflexion bezeichnet er die späte Wissenschaftslehre noch als „Mystik“, in der sich die „unio mystica“ durch die „Selbstbesinnung des Begriffs“ ereigne. (Siehe: Wolfgang Janke: Fichte – Sein und Reflexion. Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970. 302–304.) Auch wenn Janke diese Position einige Jahre später revidiert (siehe: Ders.: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes. Berlin/New Vork 1993. 338), ist es fraglich, ob diese neue Bezeichnung Fichtes Anliegen gerecht wird. Meines Erachtens stellt sich die Frage, ob es in beiden Vernunftsystemen wirklich vorrangig um Gott geht – oder nicht vielmehr um die Darstellung des reinen Wissens, das sich zur Totalität entfaltet (Hegel) bzw. sich in seiner Entfaltung zur Totalität in Beziehung setzt (Fichte)! Der dritte Angriffspunkt ist das freie Sichentlassen der Idee zur Natur. Janke stilisiert diesen Punkt so hoch, als ob damit das gesamte System Hegels steht oder fällt, da die Natur nach seiner Deutung nicht zur Totalität der absoluten Idee gehöre und die Logik somit defizitär bleibe (148 f.). Janke sieht nicht, daß es in Hegels Vernunftwissenschaft allein um den Begriff geht und mit der absoluten Idee als vollständig sichtbarer Struktur desselben eine Abgeschlossenheit und Totalität erreicht ist. Man gewinnt bei Janke den Eindruck, als sei es die Aufgabe, die Natur zu erschaffen oder aus den objektiven Denkbestimmungen abzuleiten. Jankes Deutung ist auch mit der These verbunden, daß

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es einen unüberbrückbaren Sprung zwischen allen drei Systemteilen gebe (150). Für Janke sind diese drei Aspekte ausreichend, um Hegels System insgesamt als widerlegt und inkonsistent zu beurteilen und dessen Logik als „Illusion“ zu entlarven (172). Um den Übergang zu erleichtern, behandelt Janke die Kritik Hegels an der frühen Wissenschaftslehre, die er auch mit gewissen Einschränkungen zu teilen scheint (156–172). In der damit verbundenen Frage nach der ‚veränderten Lehre ab 1804‘ teilt Janke die Position Ludwig Sieps, „daß Fichte aufgrund von Überlegungen, die mit den Argumenten Hegels übereinstimmen, 1804 eine Position erreicht, die sich der Hegelkritik entzieht“ (259). Für Janke bedeutet dies, daß sich die Wissenschaftslehre sowohl hinsichtlich des „prinzipiellen Gehalts […] ausgedehnt“ als auch hinsichtlich der methodischen Form „erweitert“ (174) hat, wenngleich frühere Theorieelemente unter veränderten Bedingungen eingearbeitet wurden. Fichte spreche nicht mehr vom absoluten Ich, sondern vom absoluten Wissen als Bild und Erscheinung des Absoluten, das zwischen einer absolut unerzeugbaren Urtätigkeit und der begrifflich-anschaulichen Nachkonstruktion schwebe. Das Ich sei nicht mehr als unbedingtes, „absolutes Subjekt“ und „schrankenlose Urtätigkeit der Tathandlung“ zu verstehen, sondern es sei die Tätigkeit eines „entgegensetzenden Sichsetzens“ und erweise sich als Resultat und Effekt absoluter Vernunfttätigkeit (302). Das Herzstück des Fichte-Teils besteht in der Rekonstruktion der Wissenschaftslehre. Daß sich Janke hier v. a. auf die Wissenschaftslehre ²1804 konzentriert, liegt daran, daß sich seines Erachtens die Wissenschaftslehre in den Jahren 1804/05 in ihrem Kerngehalt herausgebildet habe, denn auch die Wissenschaftslehren 1810 bis 1814 bauten „auf Prinzipien, die in der zweite Periode [1804–1807] zur Darstellung gekommen waren“ (23). In der mehr als 100-seitigen Rekonstruktion liegt der Schwerpunkt auf der propädeutischen Wahrheits- und Vernunftlehre (229–290). Die Darstellungen der historischen (Kant, Spinoza) und systematischen (Phänomene des Bewußtseinslebens) Einführungen, die Analysen zum ‚Begriff des Begriffs‘ (‚Durch‘, ‚Als‘, ‚Von‘), zur systematischen Auseinandersetzung zwischen Idealismus und Realismus, zur notwendigen Funktion des Glaubens und zum lebendigen Absoluten als Inkludenz sind sehr präzise, gut nachvollziehbar und übertreffen Jankes frühere Darstellungen dieser Theorieelemente an Klarheit und Präzision. Aber wie auch in anderen Werken Jankes sind die genetischen Ableitungen der eigentlichen Wissenschaftslehre innerhalb der Erscheinungs- und Scheinlehre (290–318) und der Principien-Vorlesung von 1805 (318–337) vergleichsweise knapper und auf Grund der Konzentriertheit an der Grenze der Verständlichkeit. In den Kapiteln zur Erscheinungslehre konzentriert sich Janke auf die reine Gewißheit im Unterschied zur rein subjektiven als „Wahrheitsgrund der Erscheinung“ (290). In der daran anschließenden Erörterung rekonstruiert er Fichtes Teleologie der Sollensformen. Das Sollen ist im Unterschied zur frühen Wissenschaftslehre nicht mehr Ausdruck einer bloß gesollten, unerreichbaren Einheit, sondern erweist sich ab 1804 als Grundgesetz allen Wissens und daher als Prinzip der Erscheinung. Diese Ausführungen, v. a. zur Erscheinungslehre, sind letztlich – auch im Unterschied zum gesamten Werk – nur mit guten Vorkenntnissen zu bestreiten. Dies ist insofern bedauerlich, da sich der Vorrang von Fichtes Spätphilosophie bislang ausschließlich auf das Postulat der transzendentalen Besonnenheit stützte. Die faktische Einsicht des lebendigen Absoluten als esse in mero

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actu im XV. Vortrag der Wahrheitslehre wird allerdings erst durch die genetisch-evidenten Einsichten der Erscheinungslehre plausibel. Erst hier wird deutlich, daß das lebendige Absolute kein jenseitiges, sondern das Sein des Wissens selber ist, und daß es trotz der In-sich-Geschlossenheit durch die Selbstbeschreibung (Nachkonstruktion) des absoluten Wissens einen Zugang dazu gibt. Janke kommt mit dieser Studie das bleibende Verdienst zu, erstmalig alle drei großen Spätphilosophien des Deutschen Idealismus in einer umfassenden Weise verglichen und einen ersten vollständigen Rekonstruktionsversuch der späten Wissenschaftslehre auf der Basis vieler Versionen vorgelegt zu haben. So wegweisend Jankes Schritt in der Durchbrechung tradierter Interpretationsschemata ist, umso kritischer ist das Ziel dieser Studie zu hinterfragen. Denn bei Lichte betrachtet reduziert sich Fichtes Überlegenheit auf die transzendentale Besonnenheit. So wird nicht deutlich, warum Fichtes Lösung für das Anfangs- und Einleitungsproblem der Hegelschen überlegen sein soll; Fichte kann auch keine ausgearbeitete Naturphilosophie und keine so umfangreiche und historisch gesättigte Philosophie des Geistes vorweisen, um nur einige Aspekte zu nennen. Meines Erachtens weist ein systematischer Vergleich in die richtige Richtung, aber nicht mit dem Ziel, die Überlegenheit eines Systems zu ermitteln, denn unter dem Blickpunkt des Vorrangs stellen sich alle drei Systeme als unvergleichbar heraus. Patrick Tschirner (Hagen)

Giuseppe Cantillo / Giannino Di Tommaso /Vincenzo Vitiello (Eds.): Logica ed esperienza. Studi in ricordo di Leo Lugarini. [Logik und Erfahrung. Studien zum Gedenken an Leo Lugarini.] Bibliopolis: Napoli 2008. 337 pp. (Istituto italiano per gli studi filosofici. Serie studi XXXVI) Eine Erläuterung der Wendung „Das Wahre ist das Ganze“ (GW 9, 19) könnte den Zugang zum Kern der Philosophie Hegels verschaffen. Dies war Leo Lugarinis Überzeugung, dessen wertvolle Untersuchungen zur Philosophie Hegels dazu beigetragen haben, die komplexen Implikationen dieser Maxime herauszuarbeiten. Seine Recherchen haben sich im besonderen auf das logische und systematische ,Problem des Ganzen‘ konzentriert und dabei einen bedeutenden Impuls für die Hegel-Forschung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Italien gegeben. Die Beiträge zu einer Tagung versammelnd, die zu Ehren Lugarinis in L’Aquila am 22.–24. Mai 2006 stattgefunden hat, stellt der Band ein sehr gelungenes Beispiel für den Einfluß und die Fruchtbarkeit seines Denkens dar. Er bezeugt nämlich, daß und wie die Verknüpfung zwischen dem ,Wahren‘ und dem ‚Ganzen‘ innerhalb des Hegelschen Denkens dekliniert werden müsse. Da hier die Argumentationen der vierzehn Essays des Buches nicht näher erläutert werden können, haben wir uns auf die drei Hauptaspekte zu beschränken, welche die Mannigfaltigkeit der in diesen Essays behandelten Themen in sich vereinigen sowie deren Zusammenhang mit Blick auf Lugarinis Überlegungen zu erhellen. Der erste Aspekt betrifft den historischen und politischen

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Kontext, in dem ‚das Bedürfnis der Philosophie‘, d. h. die Aufgabe der Rekonstruktion des Ganzen, in Hegels früher Philosophie entsteht; der zweite Aspekt betrifft das Thema der Philosophie als ‚Wissenschaft‘ und ‚System‘, das die deutschen Philosophen nach Kant beschäftigt hat; der dritte Aspekt schließlich umfaßt den spezifischen Sinn des Begriffs vom ,Ganzen‘ in Hegels System. 1. Luigi Ruggius Beitrag („Logica metafisica e politica a Jena: il ruolo metodico del lavoro“ [Metaphysische und politische Logik in Jena: die methodische Rolle der Arbeit, 41–81]) hebt den vielschichtigen Zusammenhang zwischen Logik, Metaphysik und Politik in Hegels Jenaer Zeit hervor. Das „Bedürfnis der Totalität“, von dem die Philosophie ausgeht, ließe sich dem Verf. zufolge schon im Fragment Daß die Philosophie … feststellen. Es geht ihm darum, diese ursprüngliche Motivation der Philosophie Hegels in einen breiteren historischen Rahmen zu stellen, um sie schließlich als eine politische und metaphysische Umdeutung von Rousseaus ‚allgemeinem Willen‘ aufzufassen. Die Überwindung der Entzweiung stellt aber für die Moderne keine bloße Rückkehr zu der politischen und metaphysischen Einheit der Antike und zu ihrem Begriff der Freiheit dar. Anders als in der Antike spielt die Arbeit nämlich in der Freiheit der Moderne die entscheidende Rolle. Während Aristoteles’ politisches Ideal auf der radikalen Unvereinbarkeit von Arbeit und Freiheit gegründet sei, habe Hegel durch den Einfluß von Adam Smiths Wertelehre die positive Bedeutung der Arbeit für die Entwicklung des modernen Begriffs der Freiheit entdeckt. Dieser Analyse liegt die Aufdeckung des sozialen Charakters menschlicher Arbeit bei Hegel zugrunde. Der Konzeption von Arbeit als Produktion komme eine zentrale Rolle bei der Gliederung des Hegelschen Systems zu, weil sie einerseits die Form der Realisierung des Geistes enthält und andererseits deutlich macht, daß solche Tätigkeit keine bloße Äußerlichkeit erzeugt, sondern das eigene Anderssein des Geistes, worin er sich anerkennen kann. Das Problem der Freiheit innerhalb des Hegelschen Systems ist auch das Thema des Beitrags von Biagio De Giovanni („Hegel: la libertà dei moderni“ [Hegel: die Freiheit der Modernen, 233–263]), der den historisch-politischen Sinn dieser Thematik hervorhebt. Diesbezüglich ist der Verf. der Meinung, daß ein Vergleich mit Kants praktischer Philosophie den Standpunkt Hegels erhellen könnte. Während Kant im Rahmen einer moralischen Betrachtung die Freiheit als die Unabgängigkeit des Selbstbewußtseins von der ,Materie‘ darstellt, hält Hegel dies noch für unzureichend, um der Freiheit ein politisches Fundament zu geben, durch das allein sie sich im konkreten Leben der Menschen etablieren kann. 2. Als ein anderer locus classicus der Hegel-Forschung kann die Beschäftigung mit der stufenweisen Verschiebung des ,Problems des Ganzen‘ von einer praktischen, politischen und metaphysischen auf eine logische und wissenschaftliche Ebene gelten. Die Möglichkeit, die Einheit von ,natürlicher Notwendigkeit‘ und ,geistiger Freiheit‘ wiederherzustellen, hängt nämlich Hegel zufolge u. a. von dem korrekten Verständnis der Beziehung zwischen ,endlichem‘ und ,unendlichem‘ Wissen ab, die auf den Unterschied zwischen ,Wissenschaft‘ und ,Wissenschaften‘ verweist. Der Beitrag von Félix Duque („La notte profonda della scienza e il giorno superficiale delle scienze“ [Die dunkle Nacht der Wissenschaft und der oberflächliche Tag der Wissenschaften, 15–39]) streift genau diese Thematik und zeigt, inwiefern angesichts der Bestimmung des Hegelschen Unendlichkeitsbegriffs die Rolle der natürlichen und reinen Wissenschaften

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– v. a. der Mathematik – entscheidend gewesen ist. Hierzu behauptet der Verf., daß Hegels berühmte Einwände gegen die Newtonianische Physik keiner Ablehnung der mathematischen Methode tout court gleichkommen, sondern einer Zurückweisung der Idee einer „Mathematisierung der Welt“, deren Folgen in der Konzeption der Philosophie als bloßes Kalkül (Bardili) zu finden seien. Trotz ihrer Abstraktheit hat Hegel zufolge die Mathematik als erste unter der Wissenschaften eine tiefere Auffassung der Beziehung ,Endlichkeit-Unendlichkeit‘ ermöglicht, da sie zu einer Trennung der Idee der Unendlichkeit von jener der Transzendenz geführt habe. Dem Verf. zufolge nimmt Hegel im wesentlichen deshalb einen solchen mathematischen Blinkwinkel ein, um die Vorherrschaft der ‚alten Metaphysik‘ zu überwinden. Die Hegelsche Überführung der Metaphysik in Logik führt geradewegs zum Vergleich mit der theoretischen Philosophie Kants, dessen transzendentale Methode den Weg hierzu eröffnet hat. Klaus Düsing bemüht sich in seinem Beitrag („Appercezione e unità sintetica in Kant e Hegel“ [Apperzeption und synthetische Einheit bei Kant und Hegel, 82–98]), deutlich zu machen, inwiefern die Hegelsche ,Frage nach der Totalität‘ von Kantischem Ursprung sei. Die Totalitätsidee, die Kant mit seinem Grundsatz der synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption entfaltet, stellt nach Düsing den Ausgangspunkt der Hauptthese der Hegelschen Logik dar: nämlich der Idee der Selbstbestimmung des Ganzen oder der logischen Subjektivität. Aus der transzendentalen Einheit und aus ihrer metaphysischen Vertiefung, d. h. aus der Idee des intuitiven Verstandes in der Kantischen Kritik der Urteilskraft (§ 77), habe Hegel seine Konzeption der ,absoluten Identität‘ abgeleitet und somit den Standpunkt der Transzendentalphilosophie definitiv verlassen. Über den theoretischen und logischen Bereich hinaus erweitert sich in einer kosmologischen Betrachtung die Perspektive bis zu dem Problem des Ganzen in der Philosophie Hegels. Diesen Blickwinkel eröffnet Francesca Michelinis Beitrag („L’attività della mancanza: la finalità naturale in Hegel tra biologia e tradizione filosofica“ [Die Aktivität des Mangels: die natürliche Zweckmäßigkeit bei Hegel zwischen Biologie und philosophischer Tradition, 123–145]).Verf.in beschränkt sich nicht nur auf den Dialog mit Kant, sondern versucht die Relevanz des Aristotelischen Zweckbegriffs angesichts der Thematisierung von Teleologie- und Lebensbegriffen innerhalb von Hegels Logik hervorzuheben. Um die Rehabilitierung des Teleologiebegriffs bei Hegel vollständig zu erfassen, müsse man ihn – so Michelini – ebenfalls mit der Hegelschen Umdeutung der ,Totalität‘ in Verbindung bringen. Diese Umdeutung steht in einem wesentlichen Zusammenhang mit Hegels Auseinandersetzung mit dem Zweck-Begriff. Sie sei lt. Verf.in nicht auf die Kantischen Thesen in der dritten Kritik zurückzuführen, die letztlich auf dem Standpunkt der Vorstellung verharrten, sondern vielmehr auf die Aristotelische Argumentation über die causa finalis, die nichts anderes als die Idee einer Totalität ohne vorherige Planung bzw. eines Zweckes ohne Absicht entwickele. Michelini zufolge überwinde Hegel durch seine Idee der Selbstbestimmung des Ganzen dennoch den Aristotelischen Standpunkt, da er anhand seiner Idee der widersprüchlichen Identität zu einer tieferen Auffassung des ,Lebens‘ gelange. Infolgedessen komme der Hegelsche Standpunkt der gegenwärtigen Philosophie der Biologie sehr nahe, welche den Gegensatz von Teleologie und Teleonomie durch den Grundsatz der Autopoiesis (Maturana und Varela) aufzulösen versucht.

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3. Im Zentrum von Lugarinis Auseinandersetzung mit Hegels „Lehre vom Begriff“ steht die These, daß die innere Struktur des ,Ganzen‘ nur durch die Idee des Lebens vorstellbar ist. Die immanente Relation zwischen der Idee des ,Lebens‘ und jener des ,Ganzen‘ tritt im Beitrag von Giuseppe Cantillo („Oltre i cancelli del sistema. Logica e ontologia della vita in Hegel“ [Jenseits der Pforten des Systems. Logik und Ontologie des Lebens bei Hegel, 265–296]) klar hervor. Gemäß Verf. stellt die Realisierung des Begriffs eine Entäußerung dar, die keinem absoluten Anderssein, sondern einer ,Objektivierung‘ gleichkommt. Die Realisierung stellt ebenso die innere Bewegung des Organischen dar, das keine Form außer sich hat, sondern als Einheit in der Mannigfaltigkeit existiert. Die Überlegenheit des Begriffsstandpunkts entgegen jenem des Seins und des Wesens besteht demnach genau darin, daß er eine Auffassung des Absoluten als Leben ermöglicht. Aufgrund solcher Gleichwertigkeit von Absolutem und Leben ergebe sich lt. Verf. – wie schon bei Lugarini – die Möglichkeit, das System Hegels als offene Totalität zu fassen. Das ist auch das Thema des Beitrags von Rossella Bonito Oliva („Tempo dell’individuo e tempo storico. Fattuale e concettuale alla luce della dialettica hegeliana“ [Zeit des Individuums und Zeit der Geschichte. Das Tatsächliche und das Begriffliche im Licht der Hegelschen Dialektik, 99–122]), der sich auf das zirkuläre Verhältnis von Begriff und Zeit in der Philosophie Hegels konzentriert. Im Gegensatz zu Heideggers Interpretation, derzufolge im Hegelschen Denken die Zeit aus dem Begriff ausgeschlossen sei, behauptet Bonito Oliva, daß der Begriff ein zeitliches Wesen habe, insofern er eine widersprüchliche und sich in Bewegung befindliche Einheit darstellt. Der Ko-Implikation von Begriff und Zeit verdanke Hegels System seine Offenheit, deren endgültiger Prüfstand in der Philosophie der Geschichte zu finden sei. Die Verf.in vertritt die These, daß die begriffliche Fassung der Geschichte zu keiner Überschreitung der Ebene des endlichen Geistes führt, sondern zur Skizze einer Totalität jenseits der Bruchstückhaftigkeit und Mannifaltigkeit der Ereignisse, d. h. zu einem Entwurf, der im übrigen die Tätigkeit der menschlichen Intelligenz überhaupt beschreibt. Grundlegend für Lugarinis Auslegung der Philosophie Hegels war ohne Zweifel das Verständnis Hegelscher Themen durch den Vergleich mit den Klassikern.Wie Enrico Berti in seinem Beitrag („Brentano e la Metafisica di Aristotele“ [Brentano und die Metaphysik des Aristoteles, 205–231]) erwähnt, hat Lugarini im Rahmen der zeitgenössischen Debatte über die Aristotelische Ontologie tiefgehende Überlegungen über die Metaphysik des Aristoteles angestellt. Anläßlich des Brentano-Zeller-Streits hat er gegen Brentano die Meinung vertreten, daß Aristoteles weder Ontologie noch Theologie betreibe, sondern nur eine Untersuchung über die ersten Ursachen anstelle. Darüber hinaus hat Lugarini sich mit den wichtigsten philosophischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts, z.B. mit der Phänomenologie, dem Nihilismus und v.a. mit der Ontologie Heideggers auseinandergesetzt. In seiner Interpretation der gegenwärtigen Philosophie versucht Lugarini wiederum ausgehend vom ,Problem des Ganzen‘ hervorzuheben, inwiefern die Thesen der gegenwärtigen Philosophie – insbesondere über Negativität und Subjektivität – auf ein (leider wesentlich modifiziertes) Hegelsches Erbe zurückzuführen seien (siehe: Bruno Minozzi: „Aristotele, Hegel e Heidegger nella ricerca storiografica di Leo Lugarini“ [Aristoteles, Hegel und Heidegger in Leo Lugarinis historiographischer Forschung, 161–179]).

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Lugarinis weitblickende Lehre besteht wahrscheinlich genau darin, daß die Philosophie Hegels weiterhin einen unvermeidlichen Bezugspunkt darstellt, um dieses wesentliche Problem sowohl der antiken als der gegenwärtigen Philosophie bewältigen zu können. Die für den Hegelschen Standpunkt charakteristische Auffassung des ,Ganzen‘ als negative und an sich widersprüchliche Totalität stellt einen furchtbaren Ausgangspunkt für eine denkende Auseinandersetzung mit diesem philosophischen Problem dar, und der vorliegende Band bietet dafür einen konkreten und einleuchtenden Beleg. Christian Belli (Roma)

BIBLIOGRAPHIE

a b h a n d lu n g e n z u r h e g e l - f o r s c h u n g 2009 Zusammenstellung und Redaktion: Holger Glinka (Bochum)

Diese fortlaufende Berichterstattung sucht das nicht selbständig erschienene Schrifttum über Hegel, also Abhandlungen aus Zeitschriften, Sammelbänden usw. möglichst breit zu erfassen und durch kurze Inhaltsreferate bekanntzumachen. Sofern Abhandlungen bereits mit Inhaltsreferaten versehen sind, werden diese hier übernommen. Neu erschienene Bände des Hegel-Jahrbuchs werden in der Abteilung Literaturberichte und Kritik als ganze rezensiert; gleiches gilt für Sammelbände sowie Periodika-Sondernummern, die ausschließlich der Philosophie Hegels gewidmet sind. In der Bibliographie werden die einzelnen Abhandlungen solcher Bände nicht mehr angezeigt. Die Beiträge werden alphabetisch nach dem Namen der Autoren angeordnet. Nicht alle vorgesehenen Inhaltsreferate konnten bis Redaktionsschluß fertiggestellt werden. Sie werden im nächsten Band nachgeholt. Für diesen Band haben Berichte verfaßt oder bearbeitet: Erzsébet Rózsa (Debrecen) und Holger Glinka vom Hegel-Archiv (Bochum). Die über Hegel arbeitenden Autoren sind freundlich eingeladen, durch Einsendung von Sonderdrucken die Berichterstattung zu erleichtern. Allen, die solche Hilfe bisher schon geleistet haben, sei besonders gedankt.

Hegel-Studien 45 (2010) · © Felix Meiner Verlag · ISSN 0073-1587

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Akinci, Semiha: On Knowing: Whether One Knows. — In: Memory in the Ontopoiesis of Life: Memory in the Orbit of the Human Creative Existence. Book Two. Dordrecht. 102 (2009), 143–148. I will start with a poem, which I intend to tie up to this poem firstly in response to one of my frequent lamentations concerning the lack of imagination common to most of us and secondly of Kant for the lead he gave the Romantic Idealist by refusing the possibility of knowing the realm of physical noumena. I have since regretted that, I do not do a good Job of defending my criticism of the transcendental philosophy, confining myself rather to pointing out some of the unfortunate consequences of that approach, as rendered explicit in the evil of H.s teaching. I would take the opportunity offered by this article to amend this failing by offering an internal criticism of the conception of knowledge on which the transcendental philosophy apparently rests. I will try to bring out the connection with the poem.

Anderson, Douglas R.: Pragmatism after Hegel. — In: Acta Philosophica Fennica. Helsinki. (86), 29–40.

Arrese Igor, Hector Oscar: La critica de Hegel a la teoria fichteana de la soberania popular. [Hegels Kritik an Fichtes Theorie der Volkssouveränität.] — In: Revista Latinoamericana de Filosofia. Buenos Aires, ARG. 35 (2009), 2, 307–329. In this paper I focus on the theory of the popular sovereignty and the ephorate expounded by Fichte in his Foundations of Natural Right of 1796/97. In the first place, I expound the foundation of the principle of right and of the state, in order to understand the necessity of the popular control of the government. Finally, I reconstruct and evaluate H.s critic of Fichte’s theory in his writing of 1802 about the natural right.

Banham, Gary: The Continental Tradition: Kant, Hegel, Nietzsche. — In: Mullarkey, John / Lord, Beth (Eds.): The Continuum Companion to Continental Philosophy. London 2009. 33–51.

Bancaud, Florence: The aesthetics of ugliness from Hegel to Rosenkranz’ “aesthetics of resistance” or of resignation to the “arts that are not more beautiful?” — In: Études Germaniques. Paris. 64 (2009), 4, 899–917.

Bavaresco, Agemir: Freedom Scenarios in Press and Public Opinion in Hegel’s Works. — In: Kriterion. Revista de Filosofia. Belo Horizonte, BR. 50 (2009), 119, 63–92.

Bavaresco, Agemir / Konzen, Paulo Roberto: Cenarios da liberdade de imprensa e opiniao publica em Hegel. [Szenerien von Pressefreiheit und öffentlicher Meinung bei Hegel.] — In: Kriterion. Revista de Filosofia. Belo Horizonte, BR. 50 (2009), 119, 63–92. How can the new technology of information associated with new settings of press freedom and the phenomenon of public opinion contradiction in the Internet era accomplish the mediation of

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the opinion in a globalized society? Or still, starting from the assumption of press freedom, how to ensure that society will solve the contradiction of the public opinion? The phenomenon of public opinion is conflicting because it has in itself, at the same time, the universality of constitutional principles of law and ethics, and the peculiarity of the citizens’ rights and concerns. This contradiction finds its solution through mediation of press freedom within a frame of democratic legality. This is the power of the contradiction: to make effective the mediation of the dialectic tension between the opposite poles of the universal and the singular in the press freedom, ensuring the right of every citizen to express publicly his opinion. This is H.s theory of public opinion: the press freedom and the congress, while political space, are privileged spheres of mediation of the contradictory phenomenon of public opinion.

Berr, Karsten: „Schöne Natur“. Zur Hegels ästhetischer Natur-Deutung. — In: Gethmann-Siefert, Annemarie /Weisser-Lohmann, Elisabeth (Hgg.): Wege zur Wahrheit. Festschrift für Otto Pöggeler zum 80. Geburtstag. München 2009. 239–260.

Berthold, Daniel: Passing-over: The Death of the Author in Hegel’s Philosophy. — In: Southern Journal of Philosophy. Memphis, TN. 47 (2009), 1, 25–47. Criticism of H. has been a central preoccupation of “postmodern” philosophy, from critical theory and deconstruction to Lacanian psychoanalytic theory and Foucauldian “archaeology.” One of the most frequent criticisms is that H.s invocation of “absolute knowledge” installs him in a position of authorial arrogance, of God-like authority, leaving the reader in a position of subservience to the Sage’s perfect wisdom. The argument of this article is that this sort of criticism is profoundly ironic, since H.s construction of the role of the Sage possessing absolute knowledge is in fact an elaborate mask covering over a radical project of disappearance of the author by which it becomes the reader who is left to author the text. The article explores H.s commitment to his own death as an author in his invention of a new method of demonstration, his epistemology, his philosophy of language, his theory of desire, and even in the seemingly least likely place of all, his portrait of “absolute knowledge.”

Berthold, Daniel: Talking Cures: A Lacanian Reading of Hegel and Kierkegaard on Language and Madness. — In: Philosophy, Psychiatry & Psychology. Baltimore, ML. 16 (2009), 4, 299–311. In examining H.s and Kierkegaard’s theories of language, I argue that both entail conceptions of the therapeutic power of language to heal us from madness and despair. I show that whereas H. quite straightforwardly celebrates the emancipatory power of language, Kierkegaard is more ambivalent; on the one hand, he devotes his life to a maieutic authorship in service of aiding the reader, but on the other, he believes that ultimately it is only faith in God that can cure us, and that faith requires silence. I use Lacan’s psychoanalytic account of the role of language to explore H.s view that language constitutes the self and Kierkegaard’s experimentation with an indirect form of communication that he hopes will enable him to fulfill each of his apparently conflicting goals, to write and yet to remain silent.

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Bertram, Georg W.: Kunst und Alltag: Von Kant zu Hegel und darüber hinaus. — In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Hamburg. 54 (2), 203–217. If one wants to determine the relationship between ordinary life and art one has to start with the groundbreaking Kantian insight that the beautiful reflects the working of the human faculties of the understanding. However, I argue that the Kantian conception of aesthetic reflection is not satisfying, for Kant does not succeed in explaining the objective purport of the aesthetic reflection. I resort to H. to resolve this problem. But his explanation, too, falls short of grasping the multiplicity of ways in which works of art make a contribution to a self-determined way of life. However, in H. there is a hint how to deal with this problem: Reflection has to be understood as practical and not as cognitive. A conception of aesthetic reflexivity in terms of practical self-determination allows grasping that there is no gap between ordinary life and art.

Bicca, Luiz: Hegel: o ceticismo na dialetica. [Hegel: vom Skeptizismus zur Dialektik.] — In: O que nos faz pensar. Rio de Janeiro, RJ, Brasil. 25 (2009), 53–78. This paper seeks to present a map of the influences of ancient scepticism on modern dialectical philosophy – something which, after Kant, mainly takes place in H.s writings – furnishing a succinct description of the way in which that influence made itself felt.

Bienenstock, Myriam: Sensation et sentiment selon Hegel. — In: Bouton, Christophe /Vieillard-Baron, Jean-Louis (Éds.): Hegel et la philosophie de la nature. Paris 2009. 115–133.

Bienenstock, Myriam: Religiao e ‚Religiao natural‘ na Fenomenologia do Espirito de Hegel. [Religion und ‚natürliche Religion‘ in Hegels Phänomenologie des Geistes.] — In: Balsemão Pires, Edmundo (Ed.): Still Reading Hegel. 200 Years after the Phenomenology of Spirit. Coimbra 2009. 225–243.

Bonacina, Giovanni: Historical Hegel in Philosophy and New Italian Tradition. — In: Rivista di Storia della Filosofia. Milano. 64 (2009), 4, 791–797.

Brito, Emilio: The Holy Spirit according to Hegel. — In: Ephemerides Theologicae Lovanienses. Louvain Journal of Theology and Canon Law. Leuven. 85 (2009), 4, 423–438.

Buterin, Damion: Knowledge, Freedom and Willing: Hegel on Subjective Spirit. — In: Inquiry. An Interdisciplinary Journal of Philosophy. Leiden. 52 (2009), 1, 26–52. This paper argues that H.s depiction of knowledge, as presented in the Encyclopaedia philosophy of subjective Spirit, is founded on what he deems to be the practical interests of self-consciousness. More specifically, it highlights the significance of the will in H.s understanding of the cognitive process. I begin with a survey of the relation between category-formation and the notion of self-determining freedom in the Logic, and therewith draw attention to the unity of thinking and

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willing in the Concept. I then indicate how H.s philosophy of subjective Spirit should be read as the applied logic of the Concept, according to which the socially constituted self-conscious I seeks to realise its claims to freedom through its theoretical cognitions of objects. As part of what could be called H.s integrative theory of the faculties, I finally argue that the will underscores both the determinate character of our theoretical cognitions and the reflexivity of knowledge in general. On this score, I maintain that H., whose relation to Kant and Fichte I also consider, is of the view that it is with reference to willing that we can account for the self-referential nature of reason in toto as the actualised unity of theoretical-practical subjectivity.

Bubbio, Paolo Diego: Solger and Hegel: Negation and Privation. — In: International Journal of Philosophical Studies. Leiden. 17 (2009), 2, 173–187. This paper has two related goals. Firstly, after briefly clarifying the theoretical core of Solger’s thought, it will analyse his metaphysics from H.s point of view, emphasizing that sacrifice is, for Solger, the fundamental structure of the relationship between the finite and the Infinite. Secondly, it will investigate the main reasons behind H.s criticism of Solger, showing that they have different conceptions of privation and negation and concluding that Solger and H. have different aims. H.s aim consists in recomposing the unity of finite and infinite, whereas Solger’s thought is structured on the rupture between these two.

Chen, Chia-Ming: Modern Subjects’ Inherent Difficulty in Practicing Transnational Justice: Situating Hegel’s Modern Moral Subject in the Transnational Context. — In: Conference Papers. Western Political Science Association. Sacramento, CA. 2009. 42 pp. In this essay, I offer a more critical reading of the “moral perspective” based on an interpretation of H.s views on morality and the modern subject. Although H. is notorious for his enthusiasm in the modern state, which is a strong system through and through, I suggest his view on morality alone allows for a non-systematic understanding of the “moral perspective.” The “moral perspective” is in this reading a moral settlement that pays respect for three kinds of subjective activity, freedom of insight, freedom of choice of pursuits, and ethical will. The need of such moral settlement is only evoked by actual encounters of particular wills when people actualize their internal ends in the external world. One contemporary theory of transnational justice consistent with this critical reading of the “moral perspective” is Iris M.Young’s critical theory of communicative democracy. My reading of moral settlement agrees with her that our transnational causal connections engender moral obligations beyond national boundaries. But Young’s proposal of transnational institutions of justice also reveals the weakness of the “moral perspective” in transnational spheres. She, like most theories of transnational justice who see justice as the first virtue of political institutions, overlooks practicing justice is also one among the sources of our deepest conflicts. In addition to Bernard Yack’s and Judith Shklar’s accounts of our stubborn dispositions associated with justice or injustice, I use H.s insight of the modern subject’s various pathologies while experiencing deep disagreements on justice to elaborate modern subjects’ inherent difficulty in practicing transnational justice. If H.s views on morality and the modern subject are correct, by their understandings of their causal relations and moral responsibilities alone, modern subjects are incapable of achieving consensus on transnational justice through ordinary democratic processes.

Church, Jeffrey: The Freedom of Desire: Hegel’s Response to Rousseau on the Problem of Civil Society. — In: American Journal of Political Science. Houston, US-TX. 54 (2009), 1, 125–139.

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The ever-growing body of literature on civil society can benefit from a return to the original theoretical articulation and defense of the concept in the work of H. Specifically, this article suggests that Jean-Jacques Rousseau’s influential critique of civil society remains unanswered and argues that H. responded with a sweeping and sympathetic institutional design that remains relevant today. H. agrees with Rousseau that commercial society aggravates the dissatisfaction of its members, and that educating individual desire through institutional design is necessary to solve this difficulty. However, modern states need not adopt Rousseau’s extreme and impracticable solution. H.s concrete, market-based associations of civil society render desires satiable and elevate them to accord with the common good, while still maintaining the freedom and distinctness of a pluralistic modern society.

Clarke, James Alexander: Fichte and Hegel on Recognition. — In: British Journal for the History of Philosophy. London. 17 (2009), 2, 365–385. The article presents the interpretation of philosopher H. on mutual recognition. It discusses the proper understanding of the account of recognition in Foundations of Natural Right by Johann Gottlieb Fichte, which grasps the full meaning of H.s account on the recognition in the System of Ethical Life. It delineates the argument of Fichte which states that the sciences of right and morality are distinct autonomous disciplines. It cites Fichte’s hypothesis of egoism, his idea on the relationship between right and morality, and his insights on free efficacy. He also claims that recognition can occur only if it is mutual or reciprocal. Neohouser’s arguments on “Fichte and the Relationship between Right and Morality” are also presented.

Crisafi, Anthony / Gallagher, Shaun: Hegel and the extended mind. — In: AI & Society. Berlin. 1 (2009), 25, 123–129. We examine the theory of the extended mind, and especially the concept of the “parity principle”(see: Clark and Chalmers. – In: Analysis. Oxford. 58 [1998], 1, 7–19), in light of H.s notion of objective spirit. This unusual combination of theories raises the question of how far one can extend the notion of extended mind and whether cognitive processing can supervene on the operations of social practices and institutions. We raise some questions about putting this research to critical use.

De Boer, Karin: Kant, Hegel, en het begrip „immanente kritiek“ in de moderne filosofie. — In: Tijdschrift voor Filosofie. Leuven. 71 (2009), 3, 475–498. Throughout the twentieth century, critical philosophy has proceeded by confronting a particular position by a criterion that it considered to be contained within itself. This method has been extremely productive. I argue, however, that it relies on a tension between particularity and universality the implications of which have not been sufficiently acknowledged. In order to expose this tension I go back to the roots of this method in modern philosophy, that is, to Kant’s first Critique and H.s essay entitled “On the Essence of Philosophical Critique as Such and its Relation to the Present State of Philosophy in Particular” (1802). The fact that Kant and H. drew most divergent criteria from what they considered to be pure reason seems to compromise not merely their universality, but also their alleged immanence in the philosophical systems under critique. Even though the method initiated by Kant and H. is haunted by the tension between particularity and universality, I do not wish to suggest that the idea of immanent critique should be abandoned altogether. Contemporary critical philosophy should rather affirm that paradigms tend to conceive of their own particular principles as universal, and by that very gesture – the essence of ideology – tend to oppose themselves to contrary paradigms.

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De Boer, Karin: The Eternal Irony of the Community: Aristophanian Echoes in Hegel’s Phenomenology of Spirit. — In: Inquiry. An Interdisciplinary Journal of Philosophy. Leiden. 43 (2009), 4, 311–334. This essay re-examines H.s account of Greek culture in the section of the Phenomenology of Spirit devoted to “ethical action.” The thrust of this section cannot be adequately grasped, it is argued, by focusing on H.s references to either Sophocles’ Antigone or Greek tragedy as a whole. Taking into account H.s complex use of literary sources, the essay shows in particular that H. draws on Aristophanes’ comedies to comprehend the collapse of Greek culture, a collapse he considered to result from the tragic conflict constitutive of Greek culture as a whole. The essay thus aims to shed light on H.s abstruse remarks on womanhood and, more generally, to demonstrate that H.s peculiar employment of literary sources constitutes an essential element of the method he employs throughout the Phenomenology of Spirit.

De la Maza Samhaber, Luis Mariano: Comienzo, negatividad y experiencia en la confrontacion de Heidegger y Hegel. [Anfang, Negativität und Erfahrung in der Gegenüberstellung von Heidegger und Hegel.] — In: Veritas: Revista de Filosofía y Teología. Casablanca, CHI. 4 (2009), 21, 323–339. Der Artikel untersucht einige der wichtigsten späteren Arbeiten Heideggers, die durch die Suche nach einem neuen Anfang für die Philosophie gekennzeichnet sind. In dieser Perspektive kommt die Frage nach dem Anfang im Kontext mit den Konzepten der Negativität und der Erfahrung bei H. in den Blick.Verf. kommt zu dem Schluß, beide Denker leisten einen Beitrag zu der Frage nach einer möglichen Konvergenz von Hermeneutik und Spekulation.

De la Maza, Luis Mariano: El sentido del reconocimiento en Hegel. [Das Gefühl der Anerkennung bei Hegel.] — In: Revista Latinoamericana de Filosofia. Buenos Aires, ARG. 35 (2009), 2, 227–251. H.s philosophy receives often the objection that in his later phase the central place of recognition that was characteristic in the Jena period has been displaced by an abstract and formal theory of free will. This assert presupposes the identification of recognition with intersubjectivity as interaction of individuals. But there are also other aspects that define from the beginning H.s conception of recognition: Sittlichkeit, struggle, spirit, general will, self-consciousness, reconciliation, formation. I try to demonstrate that the most determinant concept in H.s theory of recognition is the concept of formation, that crosses and threads as a train of thought all other aspects.

Di Giovanni, George: Jewish and Post-Christian Interpretations of Hegel: Emil Fakkenheim and Henry S. Harris. — In: Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Chicago, IL. 40 (2009), 2, 221–237. Despite the radically different interests that motivate Emil Fackenheim’s and Henry Harris’s respective interpretations of H., the two have significant points of commonality. They in fact come the closest precisely at points where they seem to differ most. The need and the possibility of ‘reconciliation’ is the theme that animates both interpretations, and both also agree in their assessment of H.s treatment of ‘evil.’ There are nevertheless crucial differences separating the two, which the essay details. The essay concludes wondering, on the one hand, how seriously Harris recognizes that, in a post-Holocaust world, ‘reconciliation’ calls for existential conditions such as H. could

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never have imagined; and on the other hand, how much Fackenheim would be willing to admit that his immersion into history will necessarily bring violent consequences in train for which there will have to be an accounting.

Dominguez Hernandez, Javier:The Romantic and Romanticism in Schlegel, Hegel, and Heine: A Debate about the Political Culture of Art and Its Era. — In: Revista de Estudios Sociales. Bogotá, D.C., COL. 34 (2009), 46–58. Given their literary and philosophical achievements, German Romanticism and German Idealism enjoy a good reputation, covering up the political and ideological virulence that its main protagonists – such as Schlegel, H. and Heine – had to face. This article distinguishes between Romantic and Romanticism. Schlegel devised a typology of Romantic art. This European art form, which developed under the preserve of Christianity, gradually lost its sacred character as it became modern Romanticism, well characterized by Heine’s “Romantic School,” is the conversion of this Romantic aesthethic into a medievalizing and conservative ideology in the context of a political culture hostile to German Enlightenment, which was criticized by Heine for historical, political and social reasons, and by H. for philosophical reasons. In terms of philosophy, the Romantic thought criticized by H. was not that of Schlegel but that of Schelling.

Duffy, Simon: The Role of Mathematics in Deleuze’s Critical Engagement with Hegel. — In: International Journal of Philosophical Studies. Leiden. 17 (2009), 1, 463–482. The role of mathematics in the development of Gilles Deleuze’s (1925–1995) philosophy of difference as an alternative to the dialectical philosophy determined by the H.ian dialectic logic is demonstrated in this paper by differentiating Deleuze’s interpretation of the problem of the infinitesimal in Difference and Repetition from that which H. presents in the Science of Logic. Each deploys the operation of integration as conceived at different stages in the development of the infinitesimal calculus in his treatment of the problem of the infinitesimal. Against the role that H. assigns to integration as the inverse transformation of differentiation in the development of his dialectical logic, Deleuze strategically redeploys Leibniz’s account of integration as a method of summation in the form of a series in the development of his philosophy of difference. By demonstrating the relation between the differential point of view of the Leibnizian infinitesimal calculus and the differential calculus of contemporary mathematics, I argue that Deleuze effectively bypasses the methods of the differential calculus which H. uses to support the development of the dialectical logic, and by doing so, sets up the critical perspective from which to construct an alternative logic of relations characteristic of a philosophy of difference. The mode of operation of this logic is then demonstrated by drawing upon the mathematical philosophy of Albert Lautman (1908–1944), which plays a significant role in Deleuze’s project of constructing a philosophy of difference. Indeed, the logic of relations that Deleuze constructs is dialectical in the Lautmanian sense.

Düsing, Edith: Der Tod Gottes in Religionsphilosophie und Nihilismus. Hegel und Nietzsche (mit Ausblick auf Heidegger). — In: Gethmann-Siefert, Annemarie /WeisserLohmann, Elisabeth (Hgg.): Wege zur Wahrheit. Festschrift für Otto Pöggeler zum 80. Geburtstag. München 2009. 125–143.

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Ficara, Elena: Hegel’s Dialectic in Twentieth-Century Continental Philosophy: Benedetto Croce and Gilles Deleuze. — In: Idealistic Studies. An Interdisciplinary Journal of Philosophy. Charlottesville,Va. 39 (2009), 1–3, 87–97. In this paper I consider Benedetto Croce’s interpretation and critique of H.s dialectic in Ciò che è vivo e ciò che è della filosofia di Hegel (1906) and I compare it with a very similar critique elaborated by Gilles Deleuze around sixty years later (in Difference et repetition [1968], Nietzsche et la philosophie [1962] and Qu’est-ce que la philosophie? [1991]). Even if they are two very different authors, belonging to very different traditions and contexts, both Croce and Deleuze criticise H. with a very similar argument, namely by saying that H. did not adequately take into account the concept of difference, and subordinated it to opposition (or negation). In addition, albeit by taking different roads, both Croce and Deleuze thought that philosophy has its own specific logic, and this logic is a logic of concept.

Fritzman, J. M.: “Geist” in Mumbai: Hegel with Rushdie. — In: Janus Head: Journal of Interdisciplinary Studies in Literature, Continental Philosophy, Phenomenological Psychology, and the Arts. Pittsburgh, PA. 11 (2009), 1, 99–118. This article demonstrates that H. and Rushdie are contemporaries, and that the Phenomenology of Spirit and Midnight’s Children are each others counterpart – philosophical and literary, respectively. It shows that the narrative structures of the Phenomenology of Spirit and Midnight’s Children are identical, and both texts culminate in the remembrance of their narrative journeys. It argues that authenticity is constituted by the inauthentic. Recognizing that both texts remain open to the future, this article concludes by urging that India is now the land of the future and that Midnight’s Children is the continuation of the Phenomenology of Spirit.

Fritzman, J. M.: Surprised by Geist: Hegel’s Dialectic as Fish’s Artifact. — In: Journal of Speculative Philosophy. Baltimore, ML. 23 (2009), 1, 51–68. This article interprets the argumentative strategy of H.s Elements of the Philosophy of Right in light of the three sets of categories Stanley Fish articulates in his Self-Consuming Artifacts: rhetorical and dialectical presentations, self-satisfying and self-consuming artifacts, and self-satisfying and selfconsuming epistemologies.Typically, a self-satisfying artifact is presented rhetorically and expresses a self-satisfying epistemology, as a self-consuming artifact is presented dialectically and expresses a self-consuming epistemology. H.s argumentative strategy, however, is a dialectically presented selfconsuming artifact that expresses a self-satisfying epistemology. This article has five sections. The first describes Fish’s categories.The second explains H.s rejection of edifying philosophy.The third examines H.s argumentative strategy in the preface to the Elements of the Philosophy of Right. The fourth discusses H.s imminent future. The final section suggests that the Sittlichkeit of modernity is, paradoxically, the recognition that Sittlichkeit is impossible.

Gethmann-Siefert, Annemarie: Kunst „für uns“. Hegel über den Zusammenhang von Deuten und Handeln. — In: Gethmann-Siefert, Annemarie /Weisser-Lohmann, Elisabeth (Hgg.): Wege zur Wahrheit. Festschrift für Otto Pöggeler zum 80. Geburtstag. München 2009. 159–175.

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George, Theodore: What Is the Future of the Past? Gadamer and Hegel on Truth, Art and the Ruptures of Tradition. — In: Journal of the British Society for Phenomenology. Stockport, UK. 40 (2009), 1, 4–20.

Goldstein, Joshua / Cameron, Gavin: What is So Terrible About the Terror? Hegel, the French Revolution, and Contemporary Terrorism as Re-enactment of Modernity. — In: Conference Papers. Western Political Science Association. Sacramento, CA. 2009. 1–24. The article examines the relation between modernity and terrorism, as well as the tension between fidelity to the demands of justice and those of the state’s existential preservation to determine what makes the Terror of the French Revolution so terrible. It elaborates on H.s account of the Terror in his Philosophy of Right and Phenomenology of Spirit. The significance of H.s account of the Terror for understanding and combating contemporary terrorism is also discussed.

Goodfield, Eric: The Sovereignty of the Metaphysical in Hegel’s Philosophy of Right. — In: The Review of Metaphysics. A Philosophical Quarterly. Washington, DC. 62 (2009), 4, 849–873. The article analyzes the metaphysical and political component of H.s Philosophy of Right. According to the author, the relationship of metaphysics and politics in H.s political thought has been questioned. The author argues the separability of philosophical form and political in H. He also elaborates that the metaphysical component of H. informs his conception of state. He also highlights the relationship of H.s philosophical project with the conception of the universalist state.

Gouin, Jean-Luc: De l’Architectonique de la Raison Hegel ou de la Logophonie comme chant du signe. — In: Revue Philosophique de Louvain. Leuven. 107 (2009), 2, 203–238. The important H.ian thesis of the integral, and therefore absolute, rationality of being is well known. Hence, it seems useless to speak of a H. of the Logic, for example, as opposed to a H. of politics, of history, of nature, of aesthetics or of the religious. Such “regional” logics are ultimately reducible to one and the same fundamental structure of sense and that of “the” sense. This article aims precisely at providing convincing evidence for the hypothesis of the basic intelligibility of the real as residing in the so-called SNRR Gyroscope (or matrix system) subject – negativity – result – reconciliation.

Hanly, Peter: Hegel’s Voice: Vibration and Violence. — In: Research in Phenomenology. Leiden. 39 (2009), 1, 359–373. This essay is a consideration of H.s account of the voice. Responding, in the first instance, to Derrida’s discussion of what he terms H.s ‘semiology,’ the article attempts to map out complexities in H.s account of voice that tend to resist absorption into the trajectory that Derrida has outlined. H.s discussion of music in the Aesthetics will be the focus, and an attempt is made to link the emergence of the musical voice to the fundamental determinations of time and of sound in the Philosophy of Nature. Finally, the essay will connect H.s understanding of music with the primordial appearance of voice in the anthropology of the Philosophy of Spirit.

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Hellbeck, Jochen: With Hegel to Salvation: Bukharin’s other Trial. — In: Representations. Berkeley, CA. 107 (2009), 56–90. The article focuses on the 1938 trial of Bolshevik philosopher Nikolai Bukharin for conspiracy during the administration of Joseph Stalin, leader of the Soviet Union. The trial was considered part of Stalin’s “purges” of the 1930s, referred to as the Great Terror. The author considers the writings of Bukharin while he spent a year in prison, especially the transcript of his final plea delivered at his trial and his letters to Stalin, and compares it to the diary kept by Russian playwright Aleksandr Afinogenov during the 1930s.

Herla, Julien: Hegel et le commencement objectif de la philosophie. — In: Revue Philosophique de Louvain. Leuven. 107 (2009), 1, 41–69. Le présent article porte sur le problème du commencement objectif de la philosophie dans le système de H. Son but est de mettre en évidence les différents textes, en particulier leurs destinataires respectifs, dans lesquels H. pose puis résout ce problème. Dans cette perspective, il se divise en trois parties. Tout d’abord, dans l’Introduction à la première édition de l’Encyclopédie des sciences philosophiques, H. énonce clairement la difficulté d’instituer un commencement en philosophie pour la raison que celui-ci doit être nécessairement un immédiat-médiatisé. II établit ensuite, au début de la Science de la Logique, la non-vérite de l’alternative entre un commencement immédiat et un commencement médiatisé, pour finalement démontrer, dans l’Idée absolue, la nécessité et la vérité d’un commencement de la philosophie à la fois immédiat et médiatisé.

Horstmann, Rolf-Peter: La contradiccion en Hegel. [Der Widerspruch bei Hegel.] — In: Revista Latinoamericana de Filosofia. Buenos Aires, ARG. 35 (2009), 2, 189–206. In this paper, I argue against the idea of dealing with H.s philosophy as if it were based on obscure and inexplicable principles that can only be accepted as a fact for which no rational or philosophical explanation is available. In order to do it, I consider the aspect of H.s method which is connected with the concept of contradiction. H.s own conceptions of contradiction and objects can be considered as being in accordance with those postulates which are the results of his criticism of traditional metaphysics. The shortcomings of traditional metaphysics are seen by H. as a consequence of its incautious use of the subject-predicate structure of language which, as he holds, is inappropriate to express something true about objects as they really are; nevertheless, H. is convinced, at the same time, that this way of speaking about objects is unavoidable. H. tries to solve the resulting dilemma by introducing the concept of contradiction as a methodological rule by means of which the deficiencies of traditional metaphysics could be avoided.

Houlgate, Stephen: McDowell, Hegel, and the Phenomenology of Spirit. — In: Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Chicago, IL. 41 (2009), 1/2, 13–26. In this essay I challenge John McDowell’s controversial claim that “the real topic” of H.s master / slave dialectic is the relation between “two aspects of the consciousness of a single individual.” I first consider McDowell’s interpretation of Kant, and then, by analysing briefly H.s account of self-consciousness prior to the master / slave dialectic, I defend the more traditional view that that dialectic describes the relation between two separate individuals. I also criticize McDowell’s conception of absolute knowing, which, as I understand it, underlies his contention that the master / slave dialectic examines the relation between apperceptive spontaneity and empirical consciousness within a single self.

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Houlgate, Stephen: Phenomenology and De Re Interpretation: A Critique of Brandom’s Reading of Hegel. — In: International Journal of Philosophical Studies. Leiden. 17 (2009), 1, 29–47. Brandom’s interpretation of H. in Tales of the Mighty Dead is subtle, tightly argued and hugely impressive. It takes no account, however, of H.s distinctive conception of phenomenology and as a result – for all its subtlety – offers a somewhat distorted picture of H. In the opening chapters of H.s Phenomenology we learn that perception is committed as much to the unity of differences as to exclusive difference, that neither perception nor understanding is committed to holism as Brandom understands it, and that the understanding is not governed by the law of non-contradiction but in fact understands the world to be a thoroughly contradictory place. All of this, however, gets lost sight of in Brandom’s de re interpretation of H.s Phenomenology.

Hoy, David Couzens: The Ethics of Freedom: Hegel on Reason as Law-Giving and Law-Testing. — In: Westphal, Kenneth R. (Ed.): The Blackwell Guide to Hegel’s “Phenomenology of Spirit.” Oxford, UK. 153–171. In the concluding subsections of reason, reason becomes moral, and reveals the emptiness of some contemporary Kantian procedures of testing our maxims to see whether they count as moral rules. H. argues that spirit provides the cultural and historical context which enables one to be who one is: there is no ‘I’ without a ‘we.’ H. does not simply change the topic, from the ‘I’ of reason to the ‘we’ of spirit; he provides an interpretive explanation of the transition from individual reason which projects itself as universal, to collective spirit, the ‘we’ which makes possible individual forms of reason.

Hsueh-chu, Maria Chang: Hegel on the Cognition of God. — In: The Philosophical Review. Durham, NC. 38 (2009), 33–62. In H.s philosophy God is “the sole object of philosophy,” in other words, philosophy has to attain in God the complete knowledge, to relate everything to God and to explain everything through God; thus philosophy in essence is a theology and is a worshiping of God. In the context of H.s philosophy, God is considered to be both the final result and the precondition of philosophy, both its final goal and its starting point. H.s speculative philosophy has been formed in the context of the dialogue between various philosophical theories. Regarding knowledge about God, H. rejects the validity of the “three agnosticisms” of the Enlightenment: the rationalist theology of Wolff, the critical philosophy of Kant and Jacobi’s theology of feeling. The agnosticism of Wolff ’s rational theology was founded on objective view, whereas Kant’s critical philosophy and Jacobi’s philosophy of feeling refuted the possibility of knowing God based on subjective standpoints. H. held that these three theories are all based on the faculty of intellect rather than on the one of reasoning. He argued that reasoning can attain knowledge not only of the existence of God but also about God Himself.

Hühn, Lore: Ironie und Dialektik: Zur Kritik der Romantik bei Kierkegaard und Hegel. — In: Kierkegaard Studies. Berlin / New York. 2009. 17–40. On the Concept of Irony is based on a subtle critical dispute with H. Kierkegaard associates H. with Socratic irony, as the repressed prehistory of H.s own speculative dialectics. This prehistory is centered in the concept of absolute infinite negativity, which makes irony comparable to doubt in terms of epistemology and to despair in terms of Daseins-analysis. This constellation analysed by Kierkegaard marks a clear refusal of H.s speculative dialectics and already provides all the crucial

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arguments against H.s philosophy, which claims to be a form of Christian thought, originally opposed to paganism, that becomes pagan itself.

Jamros, Daniel P.: Jesus and Hercules: Hegel Reflects on the Resurrection. — In: Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Chicago, IL. 40 (2009), 2, 173–219. H.s early essay called The Spirit of Christianity and Its Fate contains his longest analysis of the resurrection of Jesus, which he attributes to the spirit of the early Christian community. To represent its practice of the love he taught, the community made him into a god. Furthermore, because it withdrew from life in the world, the community knew its love as deficient, and portrayed this defect by adding the separate human individuality of its teacher to his divinity. The risen Christ (both human and divine) lives only in the subjective mind of the community, as an expression of its feeling. However, H. does recognize divine objectivity in the “one” source of the universe, the Father of Jesus.

Jenkins, Scott: Hegel’s Concept of Desire. — In: Journal of the History of Philosophy. Baltimore, Md. 47 (2009), 1, 103–130. The article presents a commentary on the concept of desire by philosopher H. The author offers his views on H.s work Phenomenology of Spirit and dissects its details on self-consciousness and desire. He also evaluates the philosophical and ethical concepts of H. to show how desire relates to self-consciousness.

Jimenez Colodrero, Andres: El liberalismo autoritario hegeliano o Hegel entre Hobbes y Schmitt. [Hegels autoritärer Liberalismus oder Hegel zwischen Hobbes und Schmitt.] — In: Revista Latinoamericana de Filosofia. Buenos Aires, ARG. 35 (2009), 2, 363–386. Was H.s political philosophy, in a proper sense, “liberal?” For Renato Cristi the answer is a negative one. Without being a reactionary, H. never developed a “progressive liberalism,” as many contemporary interpreters tend to think; instead it consisted of an “authoritarian liberalism” with a strong emphasis in authority than in freedom. H. built his theory of the state with an absolute power monarch whose task should be to pacify civil society’s struggling tendencies. By this way, H.s thought will be close to the classical authoritarian formulations of Thomas Hobbes and Carl Schmitt. Cristi’s thesis has to be analyzed both historically and conceptually, with special regard to his sources.

Kaag, John: American Interpretations of Hegel: Josiah Royce’s Philosophy of Loyalty. — In: History of Philosophy. Quarterly. 26 (2009), 1, 83–101. There are three kinds of bookshelves in Robbins Library, located on the second floor of Emerson Hall.There are those that Harvard students use frequently; these are almost always picked over, leaving only a few copies of Rawl’s A Theory of Justice and Russell’s Philosophical Essays behind. There are those that are seldom used, save the few days during exams when students are forced to revisit the history of philosophy. And then there are those that remain largely neglected; these hold the works of American pragmatism. Next to this shelf, in a truly forgotten corner of Robbins, is a very old-looking collection. This collection consists of the generous gifts from the personal libraries of the university’s faculty. George Santayana, for example, donated his copies of William James’ Varieties of Religious Experience and Josiah Royce’s The World and the Individual. Royce bequeathed his personal copies of Kant’s first critique, the Metaphysics of Morals, and James Martineau’s A Study of

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Religion. In many instances, the notable owners of these volumes used them as makeshift notebooks, providing commentary and translations that demonstrate important turns in their thinking. Such is the case with two volumes that will serve as the focus of this article: Royce’s copies of H.s Phenomenology of Spirit and Logik. On the flysheets and in the margins of the books, Royce provided a detailed interpretation of these texts, the study of which dramatically alters the chronology and study of Royce’s concepts of loyalty and communities of interpretation. In these books, we get to return to the unique conversation that Royce had with H. and to appreciate fully the affinities and differences that emerge in the discussion.

Kalliopi, Nikolopoulo: Plato and Hegel on an Old Quarrel. — In: Epoché: A Journal for the History of Philosophy. Charlottesville,VA. 13 (2009), 2, 249–266. This paper addresses the relationship of ancients to moderns by focusing on the “quarrel” between art and philosophy that has led to two articulations of the end of art – one in antiquity, another in modernity: Plato, who expelled the poets from his city on account of art’s irrationality, and H., for whom art was no more the necessary vehicle for truth. Following Giorgio Agamben’s cue in The Man Without Content, I opt for a symptomatic reading of Plato’s condemnation of art, by foregrounding his ambivalence toward poetry. I conclude that, whereas H. found poetry wanting, Plato understood poetry’s truth to be tragically excessive.

Kelley, Theresa M.: Restless romantic plants: Goethe meets Hegel. — In: European Romantic Review. Leiden. 20 (2009), 2, 187–195. This essay investigates the problem that Goethe’s 1790 Versuch über die Metamorphose der Pflanzen presents to H.s representations of plant nature. Goethe’s essay argues for a view of plant vitality and inner direction operating in and on mechanisms of plant development. Precisely because Goethe’s essay revises and critiques the Naturphilosophie account of spirit in nature, he is in one sense H.s potential ally. But because Goethe also argues that an inner directed, apparently spiritual dimension of plant development is at work in its mechanical processes, he is also H.s necessary antagonist. As H. constructs an intricate, vexed account of plant unrest that rejects contemporary claims for plant life and inner-directedness in successive versions of his Philosophy of Nature, his consideration of Goethe’s analysis of plant metamorphosis shifts between critique and admiration. H.s remarkable claim that the plant sacrifices itself for others (a curious, if brief, moment of plant agency) is directed against Goethe and, more subtly, against H.s own reluctant notice of the categorical restlessness of plants. This set of differences, half masked by points of agreement, registers key antinomies in the nineteenth-century debate about individuality, singularity, species, and botanical nature and the unsettled ground of Romantic nature.

Köhler, Dietmar: Absoluter Begriff versus formale Anzeige. Zur Konstitution philosophischer Grundbegriffe bei Hegel und Heidegger. — In: Gethmann-Siefert, Annemarie /Weisser-Lohmann, Elisabeth (Hgg.):Wege zur Wahrheit. Festschrift für Otto Pöggeler zum 80. Geburtstag. München 2009. 101–116.

Kwon, Jeong-Im: Wahrheit und Kunst in der Moderne. Überlegungen zur Aktualität der Hegelschen Bestimmung der Kunst. — In: Gethmann-Siefert, Annemarie /WeisserLohmann, Elisabeth (Hgg.): Wege zur Wahrheit. Festschrift für Otto Pöggeler zum 80. Geburtstag. München 2009. 125–143.

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Lumsden, Simon: Philosophy and the Logic of Modernity: Hegel’s Dissatisfied Spirit. — In: The Review of Metaphysics. A Philosophical Quarterly. Washington, DC. (2009) 63, 1, 55–89. The article focuses on the arguments of philosopher H. concerning the general corruption of natural man in modernity. It explores H.s explanations regarding the reflective thought in the modern man and the freedom of thought and society. Furthermore, it discusses the political and social philosophy of the philosopher towards modernity.

Martín Navarro, Alejandro: The extravagant subjectivity (about Hegel’s judgment on Novalis). — In: Anales del Seminario de Historia de la Filosofia. Madrid. 26 (2009), 169–184. Taking into account H.s suggestion on Novalis’ thought, we will outline the main characteristics of the concept of subjectivity for this author. Firstly, we will show the context in which this theory emerges. Secondly, we will elaborate on its relation with the question of Statement. Lastly, we will point out some aspects of Novalis’ philosophy related to his conception of Subject, such as the questions of art, religion and men’s destiny in history.

Mead, Aaron: Hegel and Externalism About Intentions. — In: Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Chicago, IL. 41 (2009), 1/2, 107–142. My aim in this paper is to suggest that intentions are, as G. E. M. Anscombe puts it, not exclusively “private and interior” act-descriptions that agents alone determine. Rather, I argue that the true intention of an action is frequently constrained, and sometimes even determined, by the intersubjective and retrospective view of an action. I begin by offering an interpretation of H.s account of intention in The Philosophy of Right – an interpretation that fits well with work by Charles Taylor and Michael Quante, but not with a recent paper by Arto Laitinen. Next I offer examples that support the view – consistent with my reading of H. – that sometimes the intersubjective and retrospective account of an action trumps the agent’s prior subjective act-description. Finally, I suggest that the H.ian view I sketch might be taken as a kind of externalism about intentions, on the order of externalism about epistemic justification.

McCumber, John: To Be is to Be an Anecdote: Hegel and the Therapeutic Absolute. — In: SubStance: A Review of Theory and Literary Criticism. Madison, WI. 38 (2009), 1, 56–65. The article talks about H.ian anecdotes. According to the author, one cannot assume that H. posits a static difference between anecdote and examples, a differentia for some common genus. The author argued that for H., all language is anecdotal for it conveys a “Beispiel” that has been linguistically “aufgehoben.” The author believes that any H.ian anecdote is also universal and therefore abstract simply because it is linguistic.

Morfino, Vittorio: The Syntax of Violence. Between Hegel and Marx. — In: Historical Materialism. Milano. 17 (2009), 1, 81–100. This article aims to show that the theory of violence in Marx and Engels is driven by a conceptual syntax which can be found in two important chapters of H.s Science of Logic (‘Actuality’ and

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‘Teleology’). These categories are the timeless schemata of the appearance of historical violence in H.s Outlines of the Philosophy of Right. However it is possible to find in Marx’s writing on violence a sort of counter-movement that cannot be inscribed in the process of the becoming-subject of substance.

Murphy, Gaelan: The Lost Souls of Liberalism: Hegel and the Irrationality of Freedom. — In: Conference Papers. Western Political Science Association. Sacramento, CA. 2009. 31 pp. My argument in this paper is that H.s political philosophy is a balm for the lost souls of liberal individualism. I argue that politically, the free and equal individuals of the liberal, democratic, State must be reconciled to their fundamental inequality and powerlessness with regard to the State and the mass of public opinion. Philosophically, the free, rational, self-interested, morally autonomous, liberal individual exists in contrast to the world that gave birth to him. Thus the individual knows himself as an individual only insofar as he is able to rebel against society and oppose his judgment to the judgment of others. He thus vacillates between passive acceptance of institutional and cultural norms (if he is a good Kantian) and violent rejection of the status quo (if he is not). In either case he is unable to be what he is supposed to be: at home in the world as a free individual governed by peaceful equality. H.s political philosophy teaches us that by being good citizens, by understanding ourselves in relation to the world of other people, we do not limit or lose our freedom, we discover it, we do not lose our individuality, we find it.

Newell, Waller R.: Redeeming Modernity: The Ascent of Eros and Wisdom in Hegel’s Phenomenology. — In: Interpretation: A Journal of Political Philosophy. Flushing, NY. 37 (2009), 3–28. The article focuses on the H.s phenomenology. It notes that the ontological core of his phenomenology is summarized in the formulation that Truth is the unity of subject and substance, an ontology in which Being is understood mainly in relation to strife. It cites that his phenomenology tries to prove that the unified knowledge of the world sought by science is intrinsically linked to the scope of faith, and the intelligibility of religion with science.

Ng, Karen: Hegel’s Logic of Actuality.— In: The Review of Metaphysics. A Philosophical Quarterly. Washington, DC. 63 (2009), 1, 139–172. The article explores the transformation of transcendental idealism into absolute idealism completed by German philosopher H. It highlights the works of H. and German philosopher Immanuel Kant on the conditions of knowledge and the necessary forms of thinking in any object. Furthermore, it outlines the perception of H. regarding the truth and objectivity.

Perinetti, Dario: Inferencia y racionalidad en Hegel. [Schluß und Rationalität bei Hegel.] — In: Revista Latinoamericana de Filosofia. Buenos Aires, ARG. 35 (2009), 2, 253–285. H.s logic is usually read as a book in metaphysics. Against this reading, I will argue that it ought rather to be read as a philosophy of logic, the main feature of which is its critique of formalism.The following claims capture the core of H.s antiformalism: (1) formalism cannot explain logical validity; (2) logical properties cannot be reduced to grammatical properties; (3) the content of every concept can be accounted for in terms of the inferential relations it holds with other concepts; (4)

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logical validity can be accounted for in terms of the relations a reasoning maintains with some conceptual contents (ideas).This conception of logic results from a radicalisation of a Kantian thesis and aims at a normative theory of conceptual practices, not at an ontology.

Phillips, John W. P.: Physics and Formal Adventure: From Aristotle to Heidegger with Derrida and Hegel.— In: Parallax. Leiden. 15 (2009), 2, 4–14. The article discusses the concept of force underlying the basic premises of every area of human knowledge, from politics and law to philosophy and the physical sciences. A history of philosophical writings on force is outlined, including ones by classical Greek philosopher Aristotle, 19thcentury German philosopher H., and the 20th-century thinkers Martin Heidegger and Jacques Derrida.

Prozorov, Sergei: Giorgio Agamben and the End of History Inoperative Praxis and the Interruption of the Dialectic.— In: European Journal of Social Theory. London. 12 (2009), 4, 523–542. The article presents a conception of the end of history, developed on the basis of Giorgio Agamben’s critical engagement with Alexandre Kojeve’s reading of H. Departing from Agamben’s concept of inoperosity as an originary feature of the human condition, we argue that the proper or ‘second’ end of history consists not in the fulfilment of its dialectical process but rather in the radical interruption of the dialectic that terminates the teleological dimension of social praxis. Introducing the figure of the ‘workless slave’ into the scenario of the Master-Slave dialectic, the article demonstrates how the dialectic of history may be ended in a non-dialectical fashion through inoperative praxis that subtracts itself from the struggle for recognition. In the conclusion, the implication of this reading of the end of history for the understanding of Agamben’s ‘coming politics’ is addressed.

Quante, Michael / Schweikard, David P.: ‘Leading a universal life’: the systematic relevance of Hegel’s social philosophy. — In: History of the Human Sciences. London. 22 (2009), 1, 58–78. This article starts from two observations.The first is that some of the most prominent debates in social and political philosophy over the last few decades have been deeply obscured by the confusion of ontological / methodological and normative questions. And the second is that the renewed interest in H.s social philosophy has not yet yielded anything like a widely shared view as to whether it should be banned as a totalitarian or reappraised as a liberal account. The aim of this article is first to specify systematically the ontological / methodological and normative dimensions of social philosophy by giving precise definitions of core concepts and paramount positions. Secondly, it is argued that H.s social philosophy can be characterized as combining what is called vertical holism with liberal communitarianism. This, thirdly, sheds new light both on the nature of fundamental questions in social philosophy and on the systematic relevance of H.s social philosophy.

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Raters, Marie-Luise:Von Hegel zu Darwin. Die Wurzeln von Deweys Pragmatismus im angelsächsischen Idealismus am Beispiel der Ästhetik. — In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie. Stuttgart / Bad Cannstatt 34 (2009), 3, 395–414. This article traces the influences which American pragmatist philosophy and Dewey’s pragmatist aesthetics in particular received from the various idealist traditions of (a) the English romantic philosopher-poets, (b) Cambridge H.ians in the vein of Josiah Royce, (c–f) three different generations of Oxford H.ians, from Bosanquet to Collingwood, and, most directly relevant for Dewey’s philosophical development, (g) the late 19th century St. Louis H.ians William Torrey Harris and George Silvester Morris. Another important influence for Dewey’s pragmatism, as well as already for Bosanquet, was Darwinian evolutionary thought with its emphasis on the needs for adaptation. Central points of interest in the development of Dewey’s aesthetics which he shared to some degree with the British and American idealists were the concept of aesthetic experience, the cognitive relevance of imaginative experiences and the practical relevance of fine art for developing shared forms of life.

Ross, Nathan: “Nothing Human is foreign to me”. On the Role of Difference in Hegel’s Aesthetics. — In: Philosophy Today. Chicago, IL. 53 (2009), 4, 337–346.

Roy, Ayon: Hegel contra Schlegel; Kierkegaard contra de Man. — In: PMLA. Publications of the Modern Language Association of America. 124 (2009), 1, 107–126. At the turn of the nineteenth century, Friedrich Schlegel developed an influential theory of irony that anticipated some of the central concerns of post-modernity. His most vocal contemporary critic, the philosopher H., sought to demonstrate that Schlegel’s theory of irony tacitly relied on certain problematic aspects of Johann Gottlieb Fichte’s philosophy. While Schlegel’s theory of irony has generated seemingly endless commentary in recent critical discourse, H.s critique of Schlegelian irony has gone neglected. This essay’s primary aim is to defend H.s critique of Schlegel by isolating irony’s underlying Fichtean epistemology. Drawing on Søren Kierkegaard’s The Concept of Irony in the final section of this essay, I argue that H.s critique of irony can motivate a dialectical hermeneutics that offers a powerful alternative both to Paul de Man’s poststructuralist hermeneutics and to recent cultural-studies-oriented criticism that tends to reduce literary texts to sociohistorical epiphenomena.

Rózsa, Erzsébet: Das Mittelmäßige im Tragischen. Hegels antike und moderne Antigone in der Phänomenologie des Geistes. — In: Gethmann-Siefert, Annemarie /WeisserLohmann, Elisabeth (Hgg.): Wege zur Wahrheit. Festschrift für Otto Pöggeler zum 80. Geburtstag. München 2009. 195–210. Die Antigone der Phänomenologie des Geistes ist ein Individuum mit Größe, die kaum ein Beispiel für andere ihrer Zeit oder für andere Zeiten – etwa für uns – darstellen kann. H. hat jedoch diesen Anspruch aufgestellt. Der Hauptgrund ihrer Einmaligkeit ist der, den H. selber in der Phänomenologie des Geistes aufzeigt: ihr Lebenskontext ist die reine Sittlichkeit, die sich von der wirklichen Sittlichkeit radikal unterscheidet. Ihre Welt, die reine Sittlichkeit, die den Boden des Tragischen in ihr darstellt, muß untergehen. Die wirkliche Sittlichkeit stellt dagegen eine gerade beginnende Welt dar, die sich in der modernen Welt entfalten wird. Diese wirkliche Sittlichkeit wird später zum lebensweltlichen Fundament der Mittelmäßigkeit der modernen Charaktere, die H. sowohl in seiner Ästhetik als auch in der Rechtsphilosophie thematisiert und aus der Perspektive der Kunst

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negativ beurteilt. Die Verf.in verweist darauf, daß H. schon in einigen Zusammenhängen der Phänomenologie des Geistes die antike Antigone der reinen Sittlichkeit mit der modernen Antigone der wirklichen Sittlichkeit mit ihrer Mittelmäßigkeit verschmolzen hat.

Rukavina, Katarina: Truth in the Art Reflections on Cognitive Aspects of Visual Art. — In: Filozofska Istrazivanja. Zagreb, Kroatien. 29 (2009), 3, 567–586. The theorizing of seeing and visible has been a typical and essentially defining philosophical problem since the very beginning of philosophy. Plato and Aristotle define the basic ways of approaching to reality. Whether it is considered to be illusion (idealism) or sensory givenness (materialism), it always remains presented. We try to analyze different aspects which point out the cognitive side of visual arts (painting above all) and which we recognize as consciousness of reality. The historical development of art, considering its cognitive character, appears explicitly with H. for the first time. The necessary consequence of such development, according to H., is so called the end of art which means that art emerging does not correspond to its ultimate definition and meaning. His prediction of the death of art can be seen in the major part of the 20th century art, which abandons mimetic presentation and aims at abstraction and the destruction of visual in narrow sense. In spite of that, we are going to try to present even such an approach as the presentation of something or as making something visible. That “something” is, in our opinion, nothing else but the consciousness of reality.

Russon, John: Emotional Subjects: Mood and Articulation in Hegel’s Philosophy of Mind. — In: International Philosophical Quarterly. New York. 49 (2009), 1, 41–52. In his discussions of “sensibility” and “feeling,” H. has a compelling interpretation of the emotional foundations of experience. I begin by situating “mood” within the context of “sensibility,” and then focus on the inherently “outwardizing” or self-externalizing character of mood. I then consider the different modes of moody self-externalization, for the sake of determining why we express ourselves in language. I conclude by demonstrating why the notions of emotion and spirit are necessarily linked.

Sass, Louis: Madness and the Ineffable: Hegel, Kierkegaard, and Lacan. — In: Philosophy, Psychiatry & Psychology. Baltimore, ML. 16 (2009), 4, 319–324. The article presents the author’s insights on the essay Taking Curses: A Lacanian Reading of Hegel and Kierkegaard on Language and Madness by Daniel Berthold. The author discusses the interest of authors H. and Søren Kierkegaard which center on the relationship between self-experience, language and the potential existence of an ineffable realm. The author cites key issues toward nonlinguistic realm including the validation of human orientation to ineffable.

Schwab, Philipp: Zwischen Sokrates und Hegel: Der Einzelne, die Weltgeschichte und die Form der Mitteilung in Kierkegaards “Über den Begriff der Ironie”. — In: Kierkegaard Studies. Berlin / New York 2009. 127–151. The article examines the relation of irony and indirect communication on the basis of Kierkegaard’s dissertation. The first goal is to show a structural parallel between the two theories as they both can be conceptualized as a representation of the unrepresentable (“Darstellung des Undarstellbaren”). The second goal is to analyse the structural heterogeneity of Kierkegaard’s doctoral thesis. Although the representation of the unrepresentable may be demonstrated in On the Concept

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of Irony, it first has to be placed within the ambiguous design of the dissertation. In doing so, special attention is being paid to the contrast of an ‘existential’ perspective which understands Socrates’ irony as a standpoint and a world-historical perspective influenced by H. This contrast can especially be shown in the concept of ‘irony as mastered moment.’

Storey, David: Spirit and / or Flesh: Merleau-Ponty’s Encounter with Hegel. — In: PhaenEx. Journal of Existential and Phenomenological Theory and Culture. 4 (2009), 1, 59–83. This paper has four parts. First, I attempt to pinpoint how and why Merleau-Ponty was driven to go beyond Husserlian phenomenology, and did so for what are, largely, H.ian reasons. Second, I trace the parallels between H.s “metaphysics of spirit” and Merleau-Ponty’s “ontology of the flesh,” stressing the thinkers’ consensus about the nature of philosophical method. Third, I identify Merleau-Ponty’s criticisms of H.s approach, and assay his claim that H.s system actually constitutes a lapse into a precritical, pre-Kantian, naive metaphysics. Fourth and finally, I examine how Merleau-Ponty’s critique of H. is tied to his investigation into the evolution of the concept of nature through the history of Western philosophy. My basic intention is to determine whether and to what extent Merleau-Ponty evades the very charges he levies against H., and my basic claim is that he does. I conclude by suggesting some parallels between Merleau-Ponty’s later thought and the account of nature in Whitehead’s process philosophy that might tell us where to seek help for developing his later, enigmatic ideas once precedents in Continental thought have been exhausted.

Thanassas, Panagiotis: Hegel’s Hermeneutics of History. — In: Archiv für Geschichte der Philosophie. Berlin / New York. 91 (2009), 1, 70–94. ”To him who looks at the world rationally, the world looks rational in return. The relation is mutual.” This emblematic sentence illustrates H.s philosophy of history as a hermeneutics of history which, opposed to the apriorism explicitly rejected, searches for its “empirical” verification in trying to “accurately apprehend” history. The much-celebrated “end of history” is not so much an empirical assertion about historical reality as a methodological requirement for an interpretative strategy founded upon the logical category of “true” or “genuine infinity.”

Tufano, Giuseppe: El saber absoluto como problema en la Fenomenología del espíritu de G. W. F. Hegel. [Das absolute Wissen als Problem in Hegels Phänomenologie des Geistes.] — In: Pensamiento: Revista de investigación e Información filosófica. Madrid. 243 (2009), 65, 161–175. This article deals with absolute knowing as the spirit’s last form, introducing a double perspective (epistemological and logico-ontological). Through this it is finally possible to focus on the H.ian proposal in the Phenomenology. Furthermore, the article concentrates on the relationship between religious and absolute knowing from an epistemic and a structural point of view, aiming at an original understanding that is capable of restoring the conceptual horizon of the nascent speculative logic to which absolute knowing is related.

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Vieweg, Klaus: Pobreza y riqueza: Derecho de socorro y derecho de resistencia en Hegel. [Armut und Reichtum: Recht auf Notwehr und Recht auf Widerstand bei Hegel.] — In: Estudios de Filosofia. Medellín. 39 (2009), 137–152. In the Philosophy of Right, H. devotes special attention to one of the most worrying problems of modern societies and states: the unbalanced distribution of richness and its consequent chain of social inequalities and unjustness. In his analysis, H. stresses the idea that the conformation of a just civil society and a rational state or state of law, depends entirely on the recognizance, on the part of these spheres, of the rights of all the individuals who shall enjoy with dignity material possessions, that will enable them not only the assurance of the material conditions of existence, but also the participation and enjoyment of material and spiritual goods that sustain and give dynamics to “life in common.” According to H.s diagnosis, such a recognizance has, certainly, its point of departure in the realms of abstract law and stretches into the realm of morality, in which realms the individual is recognized as a person and as a moral being, but it is only in the superior realm of ethics where the recognizance of all the rights that guarantee an honorable life, acquires universal validity and need, since it is this said sphere, concretely in the sphere of the state, where the said recognizance can take a hold in the different legal and juridical stances that conform it. Such is the path through which the political philosophy of H. tries to offer a solution to a problem that, such as the one pointed out, is still a threat to societies at present and questions the selfsame structures of power. Independently of the viability of the offered solution, the political philosophy of H. begs for a pertinent and unquestionable actuality.

Waszek, Norbert: Die Hegelforschung mit Wilhelm Dilthey beginnen? — In: SchmiedKowarzik,Wolfdietrich / Eidam, Heinz: Anfänge bei Hegel. Kassel 2009. 13–30. (Kasseler Philosophische Schriften. Neue Folge. Band 2)

Wesche, Tilo: Hegel und die Wahrheitstheorien der Gegenwart: Ein Streit unter Nachbarn. — In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Berlin. 57 (2009), 3, 355–375. H.s concept of truth and contemporary theories of truth could mutually profit from one another in two regards. H.s unity of truth and rationality makes an attempt to undermine the antagonism of internal and external concepts of knowledge and gives an account for truth in ethics. Ethical truth is accounted for by an external concept of practical rationality without assigning truth an epistemic design. To understand practical rationality, we must account for irrationality as a case of self-deception which seems to be incompatible with an external concept of rationality. H.s ‘inclusive monism’ elucidates a concept of rationality which complies with the requirements for ethical truth.

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Augusto, Roberto: La crítica de Schelling a l’idealisme i a la filosofia de Hegel: la distinció entre filosofia positiva i filosofia negativa. [Schellings Kritik am Idealismus und an Hegels Philosophie: die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Philosophie.] — In: Turró, Salvi (Ed.): Fonamentació i facticitat en l’idealisme alemany i la fenomenologia. Societat Catalana de Filosofia. [Grundlegung und Faktizität im Deutschen Idealismus und der Phänomenologie. Katalanische Gesellschaft für Philosophie.] Barcelona 2006. 75–82. This paper analyzes the distinction between the positive and the negative philosophy, key concept in the Schelling’s “Spätphilosophie.” For it we study first his critic to the idealism in the Freiheitsschrift of 1809 and later we will stop in the interpretation that this author does of H.s philosophy. These two aspects of the Schelling’s philosophy will allow us to understand better the difference between his conception of positive and negative philosophy.

Bárcenas, Alejandro: Historia y Eticidad en la Antígona de Hegel. [Geschichte und Ethik in Hegels Antigone.] — In: Apuntes Filosóficos. Caracas,VE. 29 (2006), 17–27. This essay explains the role of history and ethical life (“Sittlichkeit”) in the first section of the chapter entitled ‘‘Spirit’’ in the Phenomenology of Spirit in which H. interprets the meaning of Sophocles’ Antigone as the best expression of the ancient Greeks’ ethical life in its preliminary and most immediate state. It is argued, first, that H.s understanding of the ethical life was developed as an alternative, based on history, to Kant’s notion of morals (“Sitten”) and, second, that H. considered the ancient Greek mode of living limited by its immediacy and, therefore, never hoped to revive it during his own time.

Bayar Bravo, I¢ıl: Hegel and Liberalism. — In: FLSF: Süleyman Demirel Üniversitesi Felsefe Bolumu Dergisi. [Süleyman-Demirel-Universität, Institut für Philosophie.] Isparta, TR. 2 (2006), 111–120. The issue of this article is to examine the relationship of H.s political philosophy to traditional liberalism. In contradiction to the thinkers who propose that H.s opinions prepared the liberalism, H.s view on political philosophy and state in fact seems as the critique of liberalism. This article tries to expose a justification for this claim. While H.s notion of state recognizes many rights and freedoms associated with liberalism, his views on political philosophy, state and freedom can never be received as traditional liberalism.

Brooks, Thom: Plato, Hegel, and Democracy. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Nottingham. 53–54 (2006), 24–50. Nearly every major philosophy, from Plato to H. and beyond, has argued that democracy is an inferior form of government, at best.Yet, virtually every contemporary political philosophy working today endorses democracy in one variety or another. In this paper, I will take up the criticisms and positive proposals of two such canonical figures in political philosophy: Plato and H. At first glance, each is rather disdainful, if not outright hostile, to democracy. This is also how both have been represented traditionally. However, if we look behind the reasons for their rejection

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of (Athenian) democracy and the reasons behind their alternatives to democracy, I believe we can uncover a new theory of government that does two things. First, it maps onto the so-called Schumpeterian tradition of elite theories of democracy quite well. Second, perhaps surprisingly, it actually provides an improved justification for democratic government as we practice it today than rival theories of democracy. Thus, not only are Plato and H. not enemies of modern democratic thought after all, but each is actually quite useful for helping us develop democratic theory in a positive, not negative, manner.

Cesa, Claudio: Notes sur “Dialectical Memory, Thinking, and Recollecting: Logic and Psychology in Hegel” de Angelica Nuzzo. [Bemerkungen zu Angelica Nuzzos “dialektischen Gedächtnis, Denken und der Erinnerung: Logik und Psychologie bei Hegel”.] — In: Brancacci, Aldo / Gigliotti, Gianna (Eds.): Mémoire et souvenir. Six etudes sur Platon, Aristote, Hegel et Husserl. Napoli 2006. 121–137.

Domínguez Hernández, Javier: Goethe y Hegel. — In: Colombia Diálogos: Revista del Departamento de Filosofía Universidad de Puerto Rico. Puerto Rico, CO. 41 (2006), 88, 69–91.

Fischer, Lars: Hegel in Support of Jewish Emancipation: A Deliberate Political Act? — In: The Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Charlottesville, VA. 37 (2006), 2, 127–157. Shlomo Avineri first suggested some forty years ago that H.s remarks in favor of Jewish emancipation in the Philosophy of Right were initially made in Heidelberg to support the majority of students within the Allgemeine Burschenschaft there who – against the general consensus within the “Burschenschaften” movement as a whole – insisted on the admission of Jewish students to their fraternity. While Avineri’s account needs to be modified in some respects, the publication of the Wannemann transcript of H.s lectures in Heidelberg has since confirmed that these remarks were indeed made in Heidelberg and clearly did constitute a deliberate political act.

Fortaleza de Aquino, João Emiliano: Diferenca e singularidade: Notas sobre a critica de Hegel a Spinoza. [Unterschied und Einzelheit. Bemerkungen über Hegels Spinoza-Kritik.] — In: Philosophica: Revista do Departamento de Filosofia da Faculdade de Letras de Lisboa. Lisboa. 28 (2006), 109–133. This essay intends to discuss the starting point of H.s criticism of Spinoza. According to H., Spinoza’s idea does not manage, even though it wants to, to give an absolute foundation to difference and self-conscious singularity; that is why the Dutch thinker did not reach the specificity of the modern conception of freedom, as it is represented by Christianity and effectively developed in modernity by the mediation of the particularity in the civil-bourgeois society. H. hopes to demonstrate his thesis analyzing Spinoza’s concepts of substance, attributes and modes: there is not between them, according to H.s criticism, an immanent negative development. Consequently, Spinoza’s thought ends up in an impasse: or the finite modes keep a juxtaposed existence to substance or they annihilate themselves because of it. To H., it is the second alternative that characterizes Spinoza’s thought.

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Gaiger, Jason: Catching Up with History: Hegel and Abstract Painting. — In: Deligiorgi, Katerina (Ed.): Hegel: New Directions. Montreal, QC 2006. 159–176. This paper examines contrasting interpretations of abstract art from a H.ian perspective that have been put forward by Stephen Houlgate and Robert Pippin. Drawing on recently published textual sources, it challenges the assumptions behind both positions and defends an alternative set of proposals based on the claim that the contemporary relevance of H.s aesthetics lies in his acknowledgment of the irreducibly historical character of art rather than a prior set of normative commitments.

Gimigliano, Roberta: Storia della filosofia e filosofia della storia: Hegel, Heidegger, Burckhardt nella lettura di Karl Löwith. [Geschichte der Philosophie und Philosophie der Geschichte: Karl Löwiths Lektüre von Hegel, Heidegger und Burckhardt.] — In: Archivio di Storia della Cultura. Morano. 19 (2006), 97–129. This essay aims at defining the relationship between theoretical purpose and historical research in Karl Löwith’s thought. Focusing on three symbolic moments of his reflection, the author reconstructs the trajectory followed, according to Löwith, by Western thought after H.s identification of philosophy and history and suggestion of its possible overcoming. The movement outlined leads from H.s absolutization to Heidegger absolute relativization of history, ending with Löwith’s own proposal of an anthropological reading of history, which draws its inspiration from Burckhardt and aims at redeeming thought from its remission to the destiny of Being or the history of the Spirit and at restoring it in its human dimension.

Herrera, José Rafael: Tres consideraciones sobre el sentido histórico de la „Fenomenología del Espíritu“ de Hegel. [Drei Überlegungen zur historischen Bedeutung von Hegels “Phänomenologie des Geistes”.] — In: Apuntes Filosóficos. Caracas,VE. 29 (2006), 99–119.

Herrera, José Rafael: Historia y eticidad en la filosofía de Hegel. [Geschichte und Ethik in Hegels Philosophie.] — In: Apuntes Filosóficos. Caracas,VE. 28 (2006), 81-101.

Houlgate, Stephen: Time for Hegel. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Nottingham. 53–54 (2006), 125–132. In this essay I argue against Heidegger’s claim that H. merely repeats Aristotle’s “vulgar” conception of time. Unlike Aristotle, H. does not simply assume that being is presence and time, but rather argues for this claim by starting from nothing but space. Furthermore, H. shows (contra Heidegger) that the temporality of “Dasein” is not the originary time of which H.ian time is merely a vulgar derivative. On the contrary, truly primordial time is the self-negating presence that space proves to be. This is presupposed, along with space and materiality, by “Dasein”’s ecstatic temporality.

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Kobe, Zdravko: Completion of Nihilism in Hegel. — In: Problemi: revija za kulturo in družbena vprašanja. [Zeitschrift für Kultur und soziale Fragen.] Ljubljana, SI. 44 (2006), 3–4, 93–111. The article initially presents the charge of nihilism that Jacobi addressed against Fichte and against philosophy as such in the atheism controversy. H. and Schelling agreed on validity of the objection, yet they regarded the nihilism as a necessary consequence of an arbitrary limitation of philosophy to the formal reflection and saw their duty precisely in the cognitive integration of that nothing. But if Schelling intended to fulfil it promptly and easily by simply affirming the absolute identity, H. insisted that the cognition of nothing should be carried out reflectively, as the work of the concept, and should have a determinate outcome. In this sense, H.s speculative idealism is a conceptual completion of nihilism.

Koch, Anton Friedrich: Hegel on Indexicality and Sense Certainty. — In: Filosofický časopis. Prague. 54 (2006), 6, 835–853. The first part is devoted to H.s method and to the specifics of his theory of consciousness as a theory of the mental. The second part presents an approach to detailed analyses of the first chapter of the Phenomenology. The primary form of consciousness would like, by means of its minimal conceptual apparatus (indexical expressions), to receive the variety of what is offered to it. The relating of sense-based certainty to the variety of individual things soon, however, displays itself as aporetic because the indicators have no descriptively-determinable content. Its aporetic situation is diagnosed as being the consequence of its own requirement to relate straight to individual things, without the contribution of concepts, albeit in the mode of knowledge. In the third part, the author finally shows that we can relate to individuals in space and time (in thought and speech) by means of indicators which create a system of coordinates.

McGrath, Sean J.: Boehme, Hegel, Schelling, and the Hermetic Theology of Evil. — In: Philosophy and Theology. Charlottesville,VA. 18 (2006), 2, 257–286. Building on recent research exposing H.s debt to esoteric Christianity (both Gnostic and Hermetic traditions), the aim of this paper is to show how H. and Schelling resolve an ambiguity in Böhme’s theology of evil in opposing ways. Jacob Böhme’s notion of the individuation of God through the overcoming of opposition is the central paradigm for both H.s and Schelling’s understanding of the role of evil in the life of God. Böhme remains ambiguous on the question of the modality of evil: Is it necessary to God’s self-unfolding, or is it rather an anarchic act that God permits in the interest of preserving the autonomy of finite freedom? If the former, Böhme becomes much more closely aligned to Gnosticism by identifying finitude with evil. This identification is shown to be exactly H.s solution to the ambiguity, one H. opts for in the interest of maintaining the absolute rationality of the system. Hermeticism opposes Gnosticism on this point: for the Hermeticist, finitude, material being, nature is not evil but ‘of God’, the means of his individuation. This conflict in interpretations of Böhme illuminates an often overlooked but essential difference between Gnosticism and Hermeticism. Schelling remains faithful to the Hermetic tradition by sacrificing system for the sake of preserving the contingency of evil, and disidentifying finitude and evil.

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Müller, Marco Lutz: O direito abstrato de Hegel: um estudo introdutorio (2a parte). [Das abstrakte Recht bei Hegel: eine einleitende Studie (zweiter Teil).] — In: Analytica. Rio de Janeiro. 10 (2006), 1, 11–41. Through the conceptual genesis of the contract in the alienation of property H. shows the appearance of the plurality of the proprietors’ wills and the merely formal character of their reciprocal recognition, and establishes an essential link between the contract and the realm of property, which allows him to subvert the classic juridical distinction between personal rights and real rights. The contingency contained in the real possibility of nonexecution of what was stipulated implicates, according to the logic internal to the contract, the necessary conceptual passage from contract to delict (“unjust”), whose modalities are unfolded according to the aggravation of the opposition between the subjective private will and the objective universality of the right, culminating in crime as an extreme and exemplary form of the denial of right. Concerning crime, H. criticizes the penal theories founded in social criteria starting from a retributive conception of the punishment that, as “retaliation,” is conceived as a second negation that denies the first negation of the right contained in the crime, which thereby reestablishes the right, and justifies the punishment as a right of the criminal himself.

Nuzzo, Angelica: Dialectical Memory,Thinking, and Recollecting: Logic and Psychology in Hegel. — In: Brancacci, Aldo / Gigliotti, Gianna (Eds.): Mémoire et souvenir. Six etudes sur Platon, Aristote, Hegel et Husserl. Napoli 2006. 89–120.

Pagallo, Ugo: La „logica del Quarto“ in Hegel ovvero: Il sapere assoluto come „nodo“ della „Fenomenologia dello Spirito“ tra sistema e metodo. [Die „Logik des Vierten“ bei Hegel oder: das absolute Wissen als „Knoten“ der „Phänomenologie des Geistes“ zwischen System und Methode.] — In: Apuntes Filosóficos. Caracas, VE. 29 (2006), 181–200. The paper aims to introduce you to a peculiar aspect of H.s reflection, a feature of his thought that might be called ‘‘logic of the Fourth,’, through the analysis of some of the most important work of the German philosopher as in the case of Science of Logic and the Lectures on the History of Philosophy. Two hundred years after his Phenomenology of the Spirit – and a century after Benedetto Croce’s invitation to determine ‘‘what’s alive’’ and ‘‘what’s dead’’ in H.s – the goal is hence double. On the one hand, we examine the contradictions of H.s ‘‘absolute knowledge’’ in the light of the theoretical relation between system and method. On the other hand, the ‘‘logic of the Fourth’’ enlightens which are the aspects of H.s reflection that are more contemporary to the current investigation, specially when studying the adaptative complex systems and their evolution.

Perez Cortes, Sergio: Identidad, diferencia y contradicción en la „Lógica“ de Hegel. [Identität, Differenz und Widerspruch in Hegels „Logik“.] — In: Signos Filósoficos. Iztapalapa, MX. 8 (2006), 16, 23–55. Within all philosophical systems there are some categories that are fundamental to the understanding of the whole. This is the case of categories such as identity, difference and contradiction in H.s philosophy. In the second book of the Logik, such categories are set in what appears to be the heart of the H.ian project: to establish a critical relation with transcendental philosophy that leads to a post-Kantian metaphysics, evident above all in the unity of the thinking subject and the

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thought object. That is why, this paper is structured into three main sections: (1) the relation that H. establishes with the Critique of Pure Reason, (2) an analysis of the categories of identity, difference and contradiction as they appear in the two versions of the Logik and, (3) some conclusions that arise from the vindication of the category of contradiction, without a doubt, the most controversial among the notions of the philosophy of the concept.

Pinkard, Terry: La Formas de Vida segun Hegel. [Die Formen des Lebens nach Hegel.] — In: Apuntes Filosóficos. Caracas,VE. 29 (2006), 201–224. This essay explains H.s use of the term “forms of life” (“Lebensformen”) from his earlier works, in which it expresses a kind of “organic” unity between concepts and intuitions, to its use in the Phenomenology of Spirit as “shapes of spirit.”

Rauschenbach, Brigitte: Hegel und der französische Feminismus. — In: Dialektik. Zeitschrift fur Kulturphilosophie. Hamburg. 2 (2006), 269–282. This essay explores the impact of H. on feminism in France. It shows how the discussion notably on the Phenomenology of Spirit has shaped the feminist theory of Simone de Beauvoir, Luce Irigaray and Judith Butler. In this context H. becomes a point of reference of the antagonistic concepts of equality and difference, and eventually of the deconstruction of sexual identity.

Rendon Arroyave, Carlos Emel: Dominio y servidumbre: La critica de Hegel a Fichte en el escrito sobre „La Diferencia“. [Herrschaft und Knechtschaft: Hegels Kritik an Fichte in der „Differenzschrift“.] — In: Estudios de Filosofia. Medellín, CO. 33 (2006), 35–51. This article is a revision of the criticism that H. makes to conception of nature that underlies Fichte’s theoretical and practical philosophy. In H.s Difference between the Philosophical System of Fichte and Schelling (1801), H. directs his reflection to the relation between dominance and submission that Fichte’s philosophy establishes between reason and nature. And this, to such a degree, that it turns out to be the base for the deduction of natural right, whose main purpose is to show the possibility of auto-conscience and, with it, that of the human community in general. H. shows that Fichte’s deduction is contradictory, and from his critique he will lay down a new concept of nature.

Safatle, Vladimir: Linguagem e negação sobre as relações entre pragmática e ontologia em Hegel. [Sprache und Negation: über die Beziehungen zwischen Pragmatik und Ontologie bei Hegel.] — In: Dois Pontos. Curitiba, São Carlos, BR. 3 (2006), 1, 109–146. (Series: Subjetividade e linguagem) [(Reihe: Subjektivität und Sprache)] This article aims to discuss the H.ian theory of language focusing in the crossbreed between pragmatic and ontology. We need to understand the way that H. considers the pragmatic of language from the start point of the ontological negation’s manifestation in the field of consciousness’s linguistics experiences.

Soares Teixeira, Francisco Jose: O encontro de Hegel e Marx com a Economia Politica Classica. [Hegels und Marx’ Begegnung mit der Klassischen Politischen Ökonomie.] — In: Kalagatos – revista de filosofia. Bairro de Fátima, Fortaleza / Ce, BR. 3 (2006), 5, 69–101.

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Solomon, Robert C.: Hegel en Jena: Liberación y Espiritualidad en la Filosofía. [Hegel in Jena: Befreiung und Spiritualität in der Philosophie.] — In: Apuntes Filosóficos. Caracas,VE. 29 (2006), 225–246. By setting philosophy in a new direction H. rendered philosophy truly historical and formulated a powerful conception of what I will call naturalized spirituality. Those are the two themes I would like to pursue in this essay, what it means to say that H. rendered philosophy historical and what is meant by “naturalized spirituality.”

Stepelevich, Lawrence S.: Ein Menschenleben: Hegel and Stirner. — In: Moggach, Douglas (Ed.): The New Hegelians: Politics and Philosophy in the Hegelian School. Cambridge 2006. 166–175. H., in his lectures on the Philosophy of Spirit, presents the course of a human life in four stages: childhood, adolescence, maturity, and old age. Max Stirner, who, in the spring semester of 1827, had attended H.s lectures on this subject, also presented these four stages in the first chapter of his work, The Ego and His Own. This chapter, “A Human Life,” provides an insight not only into the basis of his critique of Ludwig Feuerbach’s philosophy as that of an “adolescent,” but also of Stirner’s own emotional development.

Vasquez, Eduardo: Hegel contra sus interpretes. [Hegel gegen seine Interpreten.] — In: Apuntes Filosóficos. Caracas,VE. 29 (2006), 249–276. In our opinion, translations that have been done to H.s works to Spanish do not tend to lead the reader to the right interpretation of H.s thoughts. H.s interpreters like A. Kojeve, M. Heidegger and N. Hartmann dismiss H.s dialectic and even ignore Feuerbach as well as Marx’s existence.Thus, we have worked on a H.ian glossary of terms, regarding the different ways his works have been translated and our criticisms to those translations, “The Unknown Hegel.”

Vieira, Leonardo Alves: Hegel e a historia mundial. [Hegel und die Weltgeschichte.] — In:Veritas: Revista de Filosofia. Porto Alegre, BR. 51 (2006), 1, 69–83. In this study, the history of the world as conceived by H. is investigated on the basis of Sections 330–360 of his Philosophy of Right. H.s theory is afterwards linked to Kant’s theses concerning the pax perpetua. Finally, Kant’s and H.s approaches on war and peace shall be assessed by comparing them to Hobsbawm’s views on the political international scene of the 20th and 21st centuries.

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Acosta López, María del Rosario: Tragedia como libertad y teodicea: acerca de una relación entre Schiller y Hegel. [Tragödie als Freiheit und Theodizee: über eine Beziehung zwischen Schiller und Hegel.] — In: Estudios de Filosofia. Medellín, CO. 36 (2007), 173–204. This work will show how thought on the tragic as a literary genre but, farther from it, as a metaphor for the characteristic dualities of modernity, played a fundamental role in the configuration and the development of the thought of both authors. Both for Schiller and for the young H., tragedy became the theoretical frame and the referential space of a proposal that, in the first case tries to recuperate the possibility of liberty for man in the world and, in the second case, interprets the movement of thought in reality. Along the text both the similarities they share and the differences between the two authors will be emphasized, starting from the way in which each of them understood and assimilated the tragic to his own reflection.

Adams, Sarah LaChance:The Need of Philosophy in Hegel. — In: Southwest Philosophy Review: The Journal of The Southwestern Philosophical Society. Huntsville, AL. 23 (2007), 1, 89–96. The author considers two meanings of “the need of philosophy” in H.s writing. “The need of philosophy” implies that consciousness has a need for philosophy and that philosophy itself has a need for dichotomy. The subjective need for philosophy is the motivation for an individual to get involved with philosophy, for there is the possibility of finding truth there.Yet, this already assumes an insurmountable separation from the truth. Still, the fact that philosophy also has a need for dichotomy tells us that, for H., it can overcome the most hostile of oppositions.

Andersen, Nathan: Hegel on Community and Conflict. — In: Florida Philosophical Review: The Journal of the Florida Philosophical Association. Orlando, FL. 7 (2007), 1, 28–40. This paper considers H.s analysis of conscientious conflict in the Phenomenology of Spirit as a resource for thinking through the possibility and nature of true community. H.s account speaks to the growing awareness that ideals of tolerance and of multicultural acceptance lack force in the face of the realities of intercultural conflict and violence that are increasingly manifest in our world. He shows that even with the best intentions, there can be no genuine community rooted in bare assertions of mutual acceptance. Differences and conflict are not only inescapable, but can be productive insofar as we learn to interpret the inevitable conflicts that arise from these differences as legitimate expressions of the true nature of a shared situation. Genuine communities cannot be built either upon the mere celebration or violent suppression of differences, but only as “we” learn to take conflict and differences seriously and learn from them who “we” are together and allow these discoveries to shape who we will become.

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Anonymous: Freedom of Conscience and Subjective Right in Hegel’s Political Philosophy. — In:The Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Charlottesville, VA. 39 (2007/2008), 1/2, 165–166. The article discusses the dissertation about the freedom of conscience and subjective right in reference with H.s political philosophy. This paper investigated the status of liberty of conscience. It highlights the conception of liberty and its compatibility with liberal conceptions of freedom of conscience.

Arrizabalaga, Gotzon: Space and Real Space in Hegel (in Basque). — In: Ontology Studies: Cuadernos de Ontologia. San Sebastián, ES. 7 (2007), 386–391. Appraisals of H.ian philosophy changed along history. Some of its parts were appreciated and positively valued: among others, its conjectures about history or the progress and development of the conscience, as well as its ethical or aesthetic reflections. Its “logic,” too, is still appreciated by the philosophers, although some of its conceptions have been discarded. Nevertheless, other parts deserved contempt and indifference of the scientific community, for example its “philosophy of nature.” The developments and speculations that appear there are deemed a delusion and pure deliria. Despite this, it cannot be denied that some of its ideas have an ontological and epistemological interest. In proof of it, we will analyse the conceptual development of the concept of space.

Bal, Metin: Hegel’de „Sanat’ın Sonu“ Ne Anlama Gelir? [Zu Hegel: Was bedeutet das „Ende der Kunst“?] — In: T. C. Maltepe Üniversitesi. Fen Edibiyat Fakültesi Dergisi. İstanbul. (2007), 1, 17–26. This article tries to illuminate what the phrase “end of art” attributed to H. means with respect to the history of aesthetics and philosophy of art. The phrase “end of art” is explained in context of the relation between art and truth. H. ascribes rational value to art as well as to philosophy and religion. Hence, he reconstitutes the lost relation between art and truth. Although for H., in comparison with philosophy and religion, art cannot prove adequate to the articulation of the Absolute, it survives its existence in various genres.

Balsemão Pires, Edmundo: „Es giebt nichts als Freiheit“.Vida e Individuação na recepção da K.d.U. de Kant: Goethe, F. Schlegel e Hegel. [Leben und Individualität in der Rezeption von Kants K.d.U.] — In: Ribeiro dos Santos, Leonel (Coord.): Kant: Posteridade e Atualidade. Colóquio Internacional. Centro de Filosofia da Universidade de Lisboa. [Kant: Nachwelt und Gegenwart. Internationales Kolloquium. Zentrum für Philosophie, Universität Lissabon.] Lisboa 2006. 457–477.

Benjamin, Andrew: What if the Other were an Animal? Hegel on Jews, Animals and Disease. — In: Critical Horizons. A Journal of Philosophy and Social Theory. Durham. 8 (2007), 1, 61–77. The article analyzes the philosophy of H. on Jews, animals and disease in his book Philosophy of Nature. It points out that disease in the book is related to race and racial identity in addition to animality. Also noted is the play out of the connection between particular and universal, which is underpinned by the philosophy about the connection between the individual and the state of

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civilization, in H.s discussion of disease. H. views Jews as an anomaly in the enactment of tolerance within governmental actions.

Bodei, Remo: The Roots of Hegel’s “Master-Slave Relationship.” — In: Critical Horizons. A Journal of Philosophy and Social Theory. Durham. 8 (2007), 1, 33–46. The article examines the master-slave dialectic conceptualized by philosopher H. It is said that H. has supported philosopher Aristotle in the notion that individuals who risked their own life are recognized as masters while those who decided to preserve it for their freedom are referred to as servants. The phenomenological discourse of H. is said to have taken place on the abstract level of self-consciousness. The arguments by critics about the non-existence of master-slave dialectic are discussed.

Breckman, Warren: Die Rückkehr des Königs. Radikaldemokratische Adaptionen eines hegelianischen Motivs bei Jean-Luc Nancy und Slavoj Žižek. — In: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Der französische Hegel. – In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Sonderband 12. Berlin 2007. 205–218.

Calheiros de Lima, Erick: Genese do „Espirito Etico“ na Filosofia do Espirito de Jena. [Die Entstehung des „sittlichen Geistes“ in der Jenaer Philosophie des Geistes.] — In: Cadernos de Ética e Filosofia Política. São Paulo, BR. 10 (2007), 1, 79–102. This paper intends to investigate the development of the “ethical spirit” in H.s Jena writings. Based on H.s notion of consciousness as “middle” (“Mitte”), discussed in the philosophy of the spirit (1803/04), the task is firstly to analyze the methodological conditions for the foundation of ethical life’s unfolding on a consciousness theory. Then the aim is to consider the development of ethical spirit as a movement in which its intersubjective constitution and the relation of the individual to the ethical substance are articulated. Finally, starting with H.s conception of practical reason as ethical life, delineated in the Phenomenology, I argue that, besides the connection between consciousness theory and conceptual development of ethical life, H. maintained that twofold constitution of the ethical spirit.

Cantillo, Giuseppe: Su Hegel e il diritto naturale [Über Hegel und das Naturrecht.] — In: Studi Filosofici: Annali del Dipartimento di Filosofia e Politica. Napoli. XXX (2007), 225–246.

Creel, Richard E.: The wisest essay I ever read. — In: Think: Philosophy for Everyone. Cambridge. 15 (2007), 15–21. H. has been criticized for being obscure and abstract. In his short essay, Who Things Abstractly?, H. strikes back. The essay is clear, well illustrated, profoundly practical. H. explains that “abstract” thinking focuses on some aspects of an object or situation but ignores other, important aspects. That leads to inadequate, mistaken, unfair perceptions and understandings. By contrast, “concrete” thinking endeavors to leave out nothing and to understand how all of the aspects of an object or situation relate to and influence one another. I show how H.s distinction illuminates problems with racism, infatuation, and extra-marital affairs.

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De la Maza Samhaber, Luis Mariano: La rehabilitación de la „Filosofía del Derecho“ de Hegel en la filosofia hermenéutica. [Die Rehabilitierung der Hegelschen „Philosophie des Rechts“ in der hermeneutischen Philosophie.] — In: Veritas: Revista de Filosofía y Teología. Porto Alegre, BR. 2 (2007), 16, 75–89. H.s Philosophy of Right has been defended in the last decades against political and methodological critic by authors who belong or are near to the hermeneutic current of philosophy, like Karl-Otto Apel, Rüdiger Bubner, Jürgen Habermas, Axel Honneth, Paul Ricœur and Charles Taylor. This article revises shortly some of their arguments about two principal issues: 1) Free will and institutionality, 2) Action and practical reason. The conclusion points out the comparison between the moral philosophy of Kant and some weak elements in H.s position.

Depoortere, Frederiek: “God Himself is Dead:” Luther, Hegel, and the Death of God. — In: Philosophy and Theology. Charlottesville,VA. 19 (2007), 1/2, 171–195. This paper traces the origins of the phrase “God is dead!” back to H. and Luther. It proceeds in the following four steps: Section I investigates the appearance of the theme of God’s death in Lutheran theology. Section II elaborates on H.s adaptation of this theme in the context of his early work Faith and Knowledge. In section III, the paper continues on how the theme of the death of God developed from Luther to Nietzsche via H., before concluding, in section IV, by indicating the link between Protestantism and modern atheism.

D’Hondt, Jacques: Die populäre Hegel-Rezeption in Frankreich — In: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Der französische Hegel. – In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Sonderband 12. Berlin 2007. 19–31.

Dolar, Mladen:The Stone and the Voice – from Hegel to Beckett. — In: Problemi: revija za kulturo in družbena vprašanja. [Zeitschrift für Kultur und soziale Fragen.] Ljubljana, SI. 45 (2007), 4–5, 5–39. The stone and the voice have been traditionally set up as the maximum opposition: the stone as the epitome of the inert dead materiality, the voice as the harbinger of spirit and transcendence. The two come together in H.s treatment of the Egyptian statue of Memnon.The paper scrutinizes two instances of high modernism, Sartre’s Nausea and Beckett’s Trilogy, which both have a certain understanding of the stone and the voice at their core. While Sartre brings this opposition to an extreme – the stone as the source of nausea, the voice as the cure against nausea – Beckett does something very different: he collapses it into a zone of ‘extimacy’ where both the stone and the voice are placed alongside each other.

Dotti, Jorge E.: Hegel, filósofo de la guerra, y la violencia contemporánea. [Hegel, der Philosoph des Krieges, und die zeitgenössische Gewalt.] — In: Anuario Filosofico. Pamplona, ES. 40 (2007), 1, 69–107. In spite of his deep insights, H. tails to grasp the specific character of the war waged by the French Revolution and the Empire. His theory of limited warfare turns out to be a peculiar “Sollen,” but it is precisely this gap between rationality and reality what makes his classical model an appealing antithesis to postmodern violence.

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Duquette, David A.: Hegel’s Conception of Citizenship in the Ethical Life of the State. — In: Conference Papers. American Political Science Association (APSA). NW Washington, DC. 2007. 1–27. The concept of recognition (“Anerkennung”) in H.s social thought, developed foremost in the Phenomenology of Spirit, suggests that H. had a univocal understanding of what it means to be a member of a ethical community construed as the I that is a we, and the we that is an I. Moreover, H.s dictum that the principle of the modern age is that “all are free,” combined with his idea that freedom is actualized only when universality is consciously known and willed, raises the question as to whether H.s conception of ethical life (“Sittlichkeit”) requires a type of society in which everyone possesses a fully actualized relation to the state, perhaps similar to a Rousseauian republic of self legislators but with a more elaborate system of institutional mediations.

Dursun, Yucel: On the Concepts of One and Many in Hegel. — In: Kaygı. Uludaº Üniversitesi Fen-Edebiyat Fakültesi Felsefe Dergisi. [Uludag University Faculty of Arts and Sciences Journal of Philosophy.] Bursa, TR. 9 (2007), 77–84. In this essay, it is purposed to look at H.s concepts of ‘one’ and ‘many’ concerning the concept of ‘two.’The concept of two means that two positions both different from each other and the same are inseparable and side by side together. Here, by departing from H.s assertion in his Science of Logic that one and many are the same, it is claimed that this sameness can be demonstrated by using the concept of two. This study also, by emphasizing the argument that one and many are a two among twos, follows the track of its dialectical results in H.ian sense.

Flamm, Matthew Caleb: Hegel as Alienist: Santayana, Absolute Idealism, and the Normal Madness of Materialism. — In: Overheard in Seville: Bulletin of the Santayana Society. Indianapolis, IN. 25 (2007), 10–19. This article considers Santayana’s critique of H., which includes a sweeping assessment of transcendental criticism in the post-Kantian tradition. I argue that Santayana takes to heart transcendental critique in his view that all consciousness is a form of delusion, a view that develops out of his unique deployment of the transcendental method, which realizes itself in the discovery of essence. The recovery of discredited notions of traditional philosophy is subsequently recommended in Santayana’s distinction between “normal” and “abnormal” forms of consciousness, the latter of which have as their preeminent philosophic representative the philosophy of H., and the former of which is found in a reconstructed form of naturalistic materialism.

Gama, Luis Eduardo: Historia, olvido y recuerdo en Hegel y Nietzsche. [Geschichte, Vergessen und Erinnern bei Hegel und Nietzsche.] — In: Areté. Revista de Filosofía. Lima, PE. 19 (2007), 1, 9–39. Albeit the evident distance between H.s and Nietzsche’s philosophical projects, there is a shared terrain from which both authors respond to the excesses of modern illustration, which reacted against history and tradition, in the name of a subjective consciousness understood as the unconditioned nucleus of reality.This paper wants to contribute to show how close to each other are these so-called antagonists, showing that in their doctrines there is an intuition about the fundamental temporality that lies in human existence and experience. From this common point of view, articulated in both cases with the notions of “remembrance” and “forgetfulness,” it is the purpose to generate a living dialogue, however full of tensions, between H. and Nietzsche, as critics of modernity.

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Gomez Arredondo, David: Occidentalismo y ontoteologia en Hegel. [Okzidentalismus und Ontotheologie bei Hegel.] — In: Pensares y Quehaceres. Revista de Políticas de la Filosofía. México, MX. 4 (2007), 23–34. Die Behandlung des Themas „Okzidentalismus und Ontotheologie bei Hegel“ erfordert einen großen Aufwand an Gelehrsamkeit. H. hat gezeigt, daß sich die Geschichte im Westen vollendet. Für diese Sichtweise haben Indianer und Afrikaner und folglich alle Völker der Dritten Welt keinen Ort in der Weltgeschichte. Diese Abhandlung bietet eine erschöpfende Analyse verschiedener Texte H.s, die es lateinamerikanischen Denkern wie Leopoldo Zea ermöglichen, eine Philosophie der amerikanischen Geschichte zu erarbeiten. Der Autor ist der Ansicht, daß die antikoloniale Philosophie Zeas dieselben H.ianischen Begriffe verwendet, um dem amerikanischen Bewußtsein ein Wissen von sich zu vermitteln, das aus derselben Richtung der Geschichte hervorgeht.

Gulli, Mario: Inferenzialismo e dialettica speculativa: Robert Brandom e la lettura critica di Hegel. [Inferentialismus und spekulative Dialektik: Robert Brandom und die kritische Lektüre Hegels.] — In: Giornale di Metafisica. Genova. 29 (2007), 3, 731–755. In contrast to the opinion of a large group of scholars, Brandom claims that the Phenomenology of Spirit and the Science of Logic both belong to the same system. Brandom focuses on a constellation of crucial theoretical notions – negation, determinateness, contradiction, concept, judgement, objectivity, truth – showing how the contents that H. presents of each one of them in those two works may be interpreted as consistent elements of an inferential and historical semantic holism. In the case of four of these notions – negation, contradiction, judgement and concept – I believe it can be argued that the interpretation Brandom proposes, in which contradiction is seen as a provisional but ever impending conflict between empirical judgements, misunderstands H.s statements about the development of concept. These statements, I argue, can indeed be interpreted differently if they are intended as indications of predication’s types necessary in the illustration of a content, contradiction is rather that which imposes the construction of richer categorial models as aspects of the process of conceptual comprehension.

Haya, Fernando: Los sentidos del tiempo en Hegel. [Die Bedeutungen der Zeit bei Hegel.] — In: Studia Poliana: Revista sobre el pensamiento de Leonardo Polo. Pamplona, SP. 9 (2007), 67–102.

Honneth, Axel / Salonia, Michele: Dal desiderio al riconoscimento: Hegel e la fondazione dell’autocoscienza. [Vom Wunsch zur Anerkennung: Hegel und die Begründung des Selbstbewußtseins.] — In: Iride. Filosofia e discussione pubblica. Firenze. 20 (2007), 52, 573–584.

Kambouchner, Denis: Hegel unter Dekonstruktion — In: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Der französische Hegel. — In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Sonderband 12. Berlin 2007. 143–153.

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Kervégan, Jean-François: O estado de direito no idealismo alemao: Kant, Fichte, Hegel. [Der Rechtsstaat im Deutschen Idealismus.] — In: DoisPontos. Universidade Federal do Paraná e da Universidade Federal de São Carlos. (Sistema Electrônico de Revistas) 4 (2007), 1, 107–135. (Series: Idealismo Alemão) This paper argues, in sharp contrast to a traditional view, that classical German philosophy, far from considering individuals mere appendages of the state, proposes a significant theory of constitutional state (“Rechtsstaat”) even before liberal jurists have formulated it. This theory, however, is a critical one, inasmuch as it highlights the illusionary character of the liberal conception according to which civil society could completely escape the guardianship of the state. For Fichte and H., as well as for Kant, only a true state, with attributes of its power, can be a true constitutional state.

Leiro, Daniel Mariano: El sentido de la figura del Mal y su Perdon en la „Fenomenologia del Espiritu“ de Hegel. [Die Bedeutung der Gestalt des Bösen und der Verzeihung in Hegels „Phänomenologie des Geistes“.] — In: Giornale di Metafisica. Genova. 29 (2007), 3, 713–730. The article proposes to develop the hypothesis put forward by Pierre-Jean Labarriere, who points out that the figure of evil and its forgiveness condenses the first part of the phenomenology of the spirit, which extends from the very beginning of the work until the end of the section, for it is there where the unfolded form of the concept is exhibited. Therefore, the point of view which is privileged is the one that sustains that the difficulty of the figure in question should be the allegorical presentation of H.s original solution to the problem of the achievement of freedom opened by Kant’s practical philosophy, the sense of which it is necessary to unravel. Nevertheless, the logical reconstruction of the triadic structure of the concept’s form cannot be a reason to neglect the content of the last figure of the spirit, which is summarized in the famous figure of forgiveness.

Lewis, Thomas A.: Cultivating Our Intuitions: Hegel on Religion, Politics, and Public Discourse. — In: Journal of the Society of Christian Ethics. St. Cloud, MN. 27 (2007), 1, 205–224. H.s largely untranslated Vorlesungen über die Philosophie des Rechts assign religion a vital role in shaping basic intuitions about justice and society. This role in cultivating intuitions gives society reason to be highly attentive to the political attitudes instilled by religious traditions. At the same time, since these intuitions can be questioned and revised, religion need not be a conversation stopper. H. thus connects religion to politics in a way that accounts for religion’s political significance without conceiving it as immune to challenge. He brings religious claims into public discourse and contributes significantly to contemporary discussions of religion and democracy.

Lopes Alves, João: Da Guerra e Paz como questão filosófica (Rousseau, Kant, Hegel). [Von Krieg und Frieden als philosophischer Frage.] — In: Philosophica. Revista do Departamento de Filosofia da Faculdade de Letras da Universidade de Lisboa. Lisboa. 30 (2007), 27–60. Topics include: (1) Rousseau versus Hobbes’s system regarding the opposition between ‘state of nature’ and ‘civil state;’ (2) war as a consequence of the ‘civil state,’ as well as, according to Rousseau, a kind of conflict between states; (3) war and despotism in Rousseau’s thought; (4) the Rousseauian distinction between “guerre” and “etat de guerre;” (5) the war’s inevitability in a sovereign entities’

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context, from the different points of view both of Rousseau and of H.; (6) the Kantian rational imperative of peace; (7) the perpetual peace as a progressive historical achievement; (8) republican state, citizenship and peace according to Kant; (9) the defensive federalism from the “zum ewigen Frieden” and a universal association of states as hopeful prospects for peace; (10) the cosmopolitan law; (11) the H.ian view of war as a rational procedure to settle critical conflicts between states; (12) war as civic virtue training, according to H., as well as to Kant; (13) the military “professionalism of courage” and the constraints of rational wars conduct, according to H.; (14) the advanced military technology as a factor to make the war irrational; (15) Kant’s coming back.

Malabou, Catherine: Dialektik und Dekonstruktion: ein neues ‚Moment‘. — In: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Der französische Hegel. – In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Sonderband 12. Berlin 2007. 155–162.

Mansilla, Hugo C. F.: Crítica a las filosofía de la historia de Hegel y Marx a partir de sus consecuencia práctico-políticas. [Kritik an Hegels und Marx’ Geschichtsphilosophie im Ausgang von ihren praktisch-politischen Konsequenzen.] — In: Signos Filósoficos. Iztapalapa, MX. 9 (2007), 18, 81–103. This essay deals with the probable origin of the conception of linear, ascending development, whose most prominent representatives in the modern era were H. and Marx. In opposition to the circular concept of historical evolution, which was prevailing in many cultures, the theories of linear ascending development have their roots in theological elements of the Judean-Christian tradition. But when applied to practice, these doctrines exhibit authoritarian and technocratic consequences, which are not congruent with the idea of a development open to several options.

Merker, Nicolao: Aspetti del populismo in Germania: Sorprese populiste in Hegel. [Aspekte des Populismus in Deutschland: populistische Überraschungen bei Hegel.] — In: Studi Filosofici: Annali del Dipartimento di Filosofia e Politica. Napoli. XXX (2007), 227–247. The idea of ‘state’ has a dominant position in H.s political philosophy. “People” (“Volk”) is a comparatively subordinate entity, often described as a “formless aggregate.” This would suggest H.s theory to be exempt from all tint of populism in the now current acception of the term. However, his descriptions of particular aspects of political life are permeated with fictitious and irrationalistic notions circulating in German traditional populistic ideologies, among them, Eurocentric views of colonial expansion. A survey of H.s political theories suggests that such an assumption of current acritical tenets is a consequence of the idealistic speculative structure of his philosophy.

Moder, Gregor: Althusser and the Epistemological Problem. — In: Problemi: revija za kulturo in družbena vprašanja. [Zeitschrift für Kultur und soziale Fragen.] Ljubljana, SI. 45 (2007), 6–7, 83–123. What Althusser’s concepts of theoretical practice and material existence of ideology have in common, is a Spinozist kind of ontology, demonstrated in the paper as the ontology of complete, nonhierarchical surfaces. The surfaces have a special characteristic, which defines them, though they are blind to it: they are ruptured. Althusser’s epistemological distinction between the object of cognition and the real object can also be explained with the relation between the surface and

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the rupture of the surface, since the real object is not a positive thing-in-itself that becomes a thing-for-us only through the process of cognition, as it possesses the character of pure negativity. In this respect, it seems, Althusser’s theses are closer to those of his proclaimed adversary, H., than to those of Spinoza.

Muradkhani, Ali: Hegel and the History of Philosophy. — In: Kheradname-ye Sadra Journal. Tehran, IR. 13 (2007), 41, 64–73. The present paper deals with the idea that paying attention to the history of philosophy comes second to the appearance of historical thought in the modern period. In the light of the questions pertaining to the essence of nature in this period and the expansion of its laws and principles in the domain of human life, some questions were also posed regarding the nature of history. Therefore, history turned into one of the sources of knowledge. By inquiring into the nature of the history of philosophy, H. considered it to be the essence of the history of the world. In his Lectures on the History of Philosophy, he first talks about the nature of the history of philosophy and then, in line with the principles of his own historical thought, refers to the periods of the history of philosophy in its geographical development from the East to the West. The writer of this paper has treated this issue on the basis of H.s Lectures on the History of Philosophy.

Norris, Andrew: Willing and Deciding: Hegel on Irony, Evil, and the Sovereign Exception. — In: Diacritics. Baltimore, Md. 37 (2007), 2/3, 35–156. The article states that what Carl Schmitt describes as occasionalism is termed “irony” by H. This connotes that the conception of freedom and subjectivity that permits for and even demands the appearance of the exception is one that celebrates the ironic detachment of the free individual. Moreover, H.s presentation of his Ethical Life (“Sittlichkeit”) is meant to be a further offshoot of Kantian morality.

Pillen, Angelika: Michel Foucault oder der Versuch, Hegel zu entkommen. — In: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Der französische Hegel. – In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Sonderband 12. Berlin 2007. 175–186.

Ramirez, Mario Teodoro: Ilustración y cultura. Kant y Hegel: dos modelos del concepto de cultura en la filosofía moderna. [Illustration und Kultur: Kant und Hegel: zwei Modelle des Kulturbegriffs in der modernen Philosophie.] — In: La lámpara de Díogenes: Revista semestral de Filosofía. Puebla, MX. 8 (2007), 14–15, 168–178. From the perspective of the contemporary philosophy of culture, we analyze both of the basic meanings in which we understand the concept of such: culture as a real condition, historic-social, of human life; or culture – as a certain way of cultural manifestations: science, technique, and law – as a way of emancipation and full human development; in other words: the concept substantive, historic-concrete, and the concept formal, properly illustrated of culture. It seems clear that, within the great philosophers of the illustration, H. is the representative of the first and Kant of the second. Both philosophers define the two fundamental models with which classic modernity has thought of the problem of culture, and represent the basis for an integral comprehension of the concept of culture.

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Ramos, Cesar Augusto: Aprender a filosofar ou aprender a filosofia: Kant ou Hegel? [Lernen zu philosophieren oder die Philosophie erlernen: Kant und Hegel?] — In: Trans/ Form/Ação: Revista de Filosofia. Marília-São Paulo, BR. 30 (2007), 2, 197–217. The present article intends to show the double perspective of philosophy teaching set forth in a disjunctive form: to learn how to philosophize or to learn philosophy represented respectively by Kant and H.The analysis of this matter will be developed in the Kantian philosophy context pointing out its threefold aspects: (a) the ideal of perfectibility of the humankind; (b) the “Aufklärung” precept of using one’s own intellect and the critical use of reason, and (c) the need of coercion as an instrument for the fulfillment of the normative feature the human conduct. These aspects will also be dealt within H.s philosophy, as well as its consequences for the teaching of philosophy, and the possibility of a nondisjunctive choice of either perspective.

Ramos, Cesar Augusto: Hegel, Rawls e o tema da reconciliacao. [Hegel, Rawls und das Thema der Versöhnung.] — In:Veritas: Revista de Filosofía y Teología. Porto Alegre, BR. 52 (2007), 1, 25–42. The purpose of this article is to analyze the relations between Rawls’s and H.s political thought – considered by the former as a “liberalism of freedom” – regarding the theme of reconciliation. Firstly, we will analyze the H.ian concept of reconciliation. Secondly, we will proceed to a reading of some aspects of the Rawlsian theory, based in that concept, in order to eventually underscore its value in Rawls’s work. Therefore, the article verifies in which way the critical reception of the H.ian theme of reconciliation can stimulate an adjustment of the political liberalism to the demands of the historical reality of modern liberal societies, covering, in this manner, a deficit of political liberalism in relation to communitarian criticisms, especially, the question of abstract normativism.

Rauschenbach, Brigitte: Hegel und der französische Feminismus. — In: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Der französische Hegel. — In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Sonderband 12. Berlin 2007. 163–174. This contribution explores the impact of H. on feminism in France. It shows how the discussion notably on the Phenomenology of Spirit has shaped the feminist theory of Simone de Beauvoir, Luce Irigaray and Judith Butler. In this context H. becomes a point of reference of the antagonistic concepts of equality and difference up to the point of deconstruction of sexual identity.

Requejo, Ferrán /Valls, Ramón: Somos conflictivos, pero … Actualidad de la tesis de Kant sobre la „insociable sociabilidad“ de los humanos y su prolongación por parte de Hegel. [Wir sind beunruhigt, aber … Aktualisierung von Kants These über die „ungesellige Geselligkeit“ der Menschen und ihre Weiterführung bei Hegel.] — In: Isegoría: Revista de Filosofía moral y política. Madrid. 37 (2007), 127–163. In this paper we address Kant’s thesis of human beings’ “unsocial sociability” and a number of related themes such as perpetual peace, cosmopolitanism and patriotism and how this thesis was extended by H. “Unsocial sociability” works well as a conceptual framework with which to address the current difficulties facing democracies, in both the international sphere and in the sphere of their internal pluralism of a cultural and, in some cases, a national, nature. Kant and H. are philosophers of history because both offer ways to overcome many conflicts through politics. From a contemporary per-

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spective, “unsocial sociability” is a concept which complements – in an individual dimension (Kant) as well as in a sociopolitical dimension (H.) – what is an unavoidable feature of the contemporary world: the pluralism of values, interests and identities, which are usually agonistic in nature, and which are endowed with emotional components.

Rossi, Jaqueline Cristina: Acerca do tragico em Hegel. [Über das Tragische bei Hegel.] — In: Cadernos de Ética e Filosofia Política. São Paulo, BR. 11 (2007), 2, 119–143. The aim is to demonstrate the Phenomenology of Spirit positions the tragic in the center of H.ian dialectic. For this, we will analyse the development of this thought in H. The tragic character who belongs to the stage of unreflecting “Sittlichkeit” is one who has an immediate uncritical identity with the law. This because in the Greek city-state the man is not ready for reconciliation with the truly universal. Conversely, in the same epoch, the people who really grasp the full universality of spirit, the Jews, are those who feel the greatest alienation from the divine. But the universal must find some expression; and since the gods are particular, the universal reappears as the necessity of fate that even the gods are subject. And H. explicits the inner tension and conflict of Greek society in the medium of Sophoclean tragedy.

Sayers, Sean: Individual and Society in Marx and Hegel: Beyond the Communitarian Critique of Liberalism. — In: Science & Society. A Journal of Marxist Thought and Analysis. New York, NY. 71 (2007), 1, 84–102. Marx’s concepts of individual and society have their roots in H.s philosophy. Like recent communitarian philosophers, both Marx and H. reject the idea that the individual is an atomic entity, an idea that runs through liberal social philosophy and classical economics. Human productive activity is essentially social. However, Marx shows that the liberal concepts of individuality and society are not simply philosophical errors; they are products and expressions of the social alienation of free market conditions. Marx’s theory develops from H.s account of ‘civil society’ and uses a framework of historical development similar to H.s. However, Marx uses the concept of alienation to criticize the liberal, communitarian and H.ian conceptions of modern society and to envisage a form of individuality and community that lies beyond them.

Schiller, Hans-Ernst: Bloch und Hegel: Eine erneute Lektüre von „Subjekt-Objekt“ im 175. Todesjahr Hegels. — In: Bloch-Almanach. Ludwigshafen am Rhein. 26 (2007), 39–60. This essay deals with Ernst Bloch’s reception of H. and its meaning in the development of his thinking. Considered are the H.ian conceptions of mind and drive, of dialectics and totality, of (onto-logical) identity and aim as well as their transformation by Bloch. Regarding his connections to Kant and Marx one can recognize the basic operation: the concepts of H.s philosophy of the Absolute are connected with a “not-yet” and their totality is projected in the future. The real challenge of Bloch’s philosophy is that he keeps to the aims of the classical philosophy in a post-H.ian situation.

Seibold, Jorge R.: La „Fenomenología del Espíritu“ de Hegel doscientos años después. La experiencia de Sí mismo, del Otro y de la Totalida. [Hegels „Phänomenologie des Geistes“ zweihundert Jahre später. Die Erfahrung des Selbst, des Anderen und der Totalität.] — In: Stromata. Buenos Aires, AR. 63 (2007), 3–4, 207–231.

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Simon, Josef: Pensar a traves de los Nombres: Lenguaje y Concepto en Hegel. [Durch Namen denken: Sprache und Begriff bei Hegel.] — In: Tópicos: Revista de Filosofía. México, MX. 33 (2007), 175–192. Sundov, Zvonko: Mogu li se Schelling i Hegel tumačiti u ključu Lacana? [Findet man für Schelling und Hegel bei Lacan einen Schlüssel?] — In: Filozofska istraživanja. Zagreb, HR. 105 (2007), 27, 205–211. In diesem Aufsatz werden die wichtigsten Aspekte von Slavoj Žižeks Buch Nedjeljivi ostatak (Der unteilbare Rest) kritisch analysiert und kommentiert. Vor dem Hintergrund einer Loslösung von der (materialistischen) Metaphysik bietet Žižek eine überzeugende Deutung der Klassischen Deutschen Philosophie.

Tanrikulu, Esra: Hegel’s Approach to Enlightenment within “The Phenomenology of Spirit.” — In:T. C. Maltepe Üniversitesi. Fen Edibiyat Fakültesi Dergisi. İstanbul. 1 (2007), 59–75. In The Phenomenology of Spirit H. considers his ideas regarding Enlightenment in a more different way than his other works (e. g., Lectures on the History of Philosophy, Lectures on the Philosophy of World History). H.s approach to Enlightenment in this work is realized in the frame of the historical adventure of consciousness. In The Phenomenology of Spirit Enlightenment does not appear anymore in the form of singular consciousness but appears as a world form. In this instance movement of consciousness to self-consciousness reveals itself once again. This movement also brings with itself alienation process. While consciousness in itself is becoming consciousness for itself, it alienates things which are outside of it. In one respect this alienation is a new picture of unhappy consciousness. Conflict between faith and insight also gets a different dimension in utilitarianist ethics and terror.

Vergara, Eliseo Cruz: La filosofia entre el idealismo y el materialismo: Reflexiones sobre la „Fenomenologia del espiritu“ de Hegel. [Die Philosophie zwischen dem Idealismus und dem Materialismus: Überlegungen zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“.] — In: Diálogos: Revista del Departamento de Filosofía Universidad de Puerto Rico. San Juan, Puerto Rico, US. 42 (2007), 90, 93–117.

Welz, Claudia: Present within or without Appearances? Kierkegaard’s Phenomenology of the Invisible: Between Hegel and Levinas. — In: Kierkegaard Studies: Yearbook. Berlin / New York. (2007), 470–513. The problem of theodicy, understood as the problem of the hiddenness of God’s love in human life, confronts us with the question of where and how God’s love can appear. Kierkegaard’s answer is implied in his theological and ethical phenomenology of the invisible in Works of Love. In which sense, however, can Kierkegaard be called a ‘phenomenologist,’ if at all? This article suggests that he should be historically and conceptually located between German idealism and French phenomenology. It focuses on the commonalities and differences with H.s phenomenology of spirit and Levinas’s phenomenology of the interhuman with(out) the elusive trace of God’s (non-) phenomenality.

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Winfield, Richard Dien: From Representation to Thought: Reflections on Hegel’s Determination of Intelligence. — In: The Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Charlottesville,VA. 39 (2007/2008), 1/2, 55–86. The logical investigation of thinking must not be confused with inquiry into the mental reality of thought, which properly falls within the philosophy of mind. H. provides an important, but much neglected contribution towards accounting for the psychological conditions of reason by detailing in his Philosophy of Subjective Spirit how intelligence can progress from representation to thought. By thinking through H.s argument, we can comprehend why thinking is a matter of intelligence rather than consciousness, why representation cannot provide the universality of conceptualization, and how semiotic imagination enables intelligence to leave representation behind and enter the domain of thought, unencumbered by the opposition of consciousness. Through this result, the philosophy of mind can account for the psychological conditions of its own theorizing.

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Akpinar, Burcu: Hegel’s Criticism of Kant’s Understanding of Idea. — In: T. C. Maltepe Üniversitesi. Fen Edibiyat Fakültesi Dergisi. İstanbul. 11 (2008), 41–51. For H. all elements of knowledge belong to mind itself. Contrary to Kant’s philosophy, reason is able to reach absolute knowledge. All things that are found in consciousness are forms of experience – so consciousness experiences infinite things also.

Benjamin, Andrew: What if the Other were an Animal? Hegel on Jews, Animals and Disease. — In: Critical Horizons. A Journal of Philosophy and Social Theory. Durham. 9 (2008), 1, 61–77. The author discusses the other as an animal. He notes that animals have been accommodated in the history of philosophy in which they are considered as constituting exclusion. The discussion of disease is also examined in H.s Philosophy of Nature. According to the author, the presence of an animal, in the perspective of Jewish thought, serves as the presence of an other which is based on particularity and not universality.

Binetti, Maria Jose: Mediación o repetición: de Hegel a Kierkegaard y Deleuze. [Vermittlung oder Wiederholung: von Hegel zu Kierkegaard und Deleuze.] — In: Δαιμυν. Revista de Filosofía. Murcia, ES. 45 (2008), 125–139. In spite of Kierkegaard and Deleuze’s manifest attempts to separate the category of repetition from the H.ian concept of mediation, I consider that both notions keep a close relationship as to their structural dynamism and their reflexively dialectical content. The following pages will attempt to show that the concept of mediation sets the speculative ground of what contemporary philosophy proposes as the constant return of an ever new identity, whose affirmation is self-differentiation and whose difference is a totally relational identity. Identity in difference and difference in identity ensures the repetition of an absolute which is permanently coming to be.

Bodei, Remo: The Roots of Hegel’s “Master-Slave Relationship.” — In: Critical Horizons. A Journal of Philosophy and Social Theory. Durham. 9 (2008), 1, 33–46. The article examines the concept of so-called master-slave dialectic, which is said to be discovered by philosopher H. It argues that the intention of H. is to try to illustrate a prehistory of the concept of modern self-consciousness. According to an etymology passed on by Roman law, the individuals who have risked their own life are acknowledged as masters while those who opted to preserve it for their freedom are considered as servants.

Burke, Victoria I.: From Ethical Substance to Reflection: Hegel’s Antigone. — In: Mosaic: A Journal for the Interdisciplinary Study of Literature. Winnipeg, Manitoba, CA. 41 (2008), 3, 47–61. The article analyzes H.s treatment of Sophocles’ play Antigone. The article discusses the tension between civil and religious autonomy in the cultural landscape. The article also focuses on the identification of women with ethical environments, as well as their relationship with public law.

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The article mentions the characters of Antigone and Creon from the play. The article discusses the relationship between unreflective norms and explicit norms, as well as “Sittlichkeit,” which is defined in the article as ethical substance, divine and human laws, and the polarities of ethical life.

Burns, Timothy: Thinking the Real: On Hegel and the History of Philosophy. — In: Dialogue: Journal of Phi Sigma Tau. The International Honor Society for Philosophers. San Diego, CA. 51 (2008), 1, 11–18. In his Introduction to the History of Philosophy H. states that the deeds proper to the history of philosophy are the activities of free thought. This paper is an attempt to unpack this very complex claim. In the course of this explication, I show what H. means by thought and illuminate his distinction between reason and understanding as well as the relationship between reason and freedom. I conclude with a discussion of the implications of H.s understanding of the history of philosophy as the history of free rational thought to the study of the history of philosophy in general.

Cabello C., Ana S.: Pretensiones éticas: Una revisión de Hegel y Habermas. [Ethische Ansprüche: ein erneuter Blick auf Hegel und Habermas.] — In: Apuntes Filosóficos. Caracas,VE. 33 (2008), 151–164. Two important ethical conceptions in the history of the philosophy have in common the pretension to establish universal parameters, in order to motivate their recognition from all human beings: the ethical proposal of H. and Habermas. In their study it is necessary to place them in perspective with some notions of Kant and Mead, to evaluate the overcoming that is tried to make from the formal ethic to the ‘pragmatic formal’ of the dialogue ethic proposed by Habermas.

Casale, Rolando: El acto de Antigona: de Hegel a Butler. [Die Handlung der Antigone: von Hegel zu Butler.] — In: Actas de las VI Jornadas de Investigación Interdisciplinaria. Tomo II. Barcelona 2008. 21–26. This article studies the meaning of the act of Antigona, which is analyzed according to H. and Butler’s conceptual frame. It is specially stressed that Antigona’s fundamental action – according to Butler – depends on agency. Whereas H. does not understand similarly the concept and the reason of her act. So, he limits himself in locating Antigona as a case in the development of the spirit.

De Boer, Karin: Hegel’s Antigone and the Tragedy of Cultural Difference. — In: Mosaic: A Journal for the Interdisciplinary Study of Literature. Winnipeg, Manitoba, CA. 41 (2008), 3, 31–45. An essay is presented that uses the work of H. to analyze conflicts in the 21st century world. The article analyzes the presence of Sophocles’ play Antigone in H.s Phenomenology of Spirit. The author argues that contemporary discourses do not acknowledge the conflicts between values defended by cultural minorities and the state. The article mentions decolonization, Western democratic societies in the 20th century, Muslim fundamentalism, the paradigm of modernity, tragic conflicts, and non-modern modes of religious, cultural, and ethnic particularity.

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De Lima, Erick Calheiros: Crítica da moral deontológica no jovem Hegel. [Die Kritik an der deontologischen Moral beim jungen Hegel.] — In: Educacão e Filosofia. 22 (2008), 43, 89–114. (Eletrônico) With the profound renewal of political philosophy that happened since the 1970s, the objection of “empty formalism” directed by H. against Kant’s moral theory has been returning to the contemporary philosophical debate over the moral foundations of the political community. This fact raises interest in H.s first attempt to overcome Kant’s practical philosophy: the project of a radical critique of deontological ethics that he planned in Frankfurt and was based on the concept of love, whose inherently intersubjective character underlines the social significance of what H. later conceived as the “Aufhebung” of the moral point of view in ethical life. Firstly, this paper aims to outline H.s early critique of the Kantian-Fichtean idealism in the light of his historical philosophical investigations in Tübingen, Bern and Frankfurt. The second part is an attempt to reexamine the relationship between H.s conception of love and his critique of deontological morality, as it is presented in Der Geist des Christentums.

De la Maza Samhaber, Luis Mariano: Hegel y Schleiermacher. Encuentros y desencuentros entre dialéctica especulativa y hermenéutica. [Hegel und Schleiermacher. Begegnungen und Entfremdungen zwischen spekulativer Dialektik und Hermeneutik.] — In: Veritas: Revista de Filosofía y Teología. Porto Alegre, BR. 3 (2008), 19, 273–291. Instead of emphasing their rivality and philosophical differences, the proposal of this article is to show that H. and Schleiermacher have important similarities especially concerning the concepts of self-consciousness and dialectics. This enables their common influence in Truth and Method by Hans-Georg Gadamer.

DeVries, Willem A.: Sense-Certainty and the “This-Such.” — In: Moyar, Dean / Quante, Michael (Eds.): Hegel’s “Phenomenology of Spirit:” A Critical Guide. Cambridge 2008. 63–75. I explain H.s claim in the “Sense-Certainty” chapter of his Phenomenology of Spirit that the object of sense certainty is a ‘this-such,’ as opposed to a mere ‘this.’ I relate H.s claim to Wilfrid Sellars’s interpretation of Kantian intuitions as having the structure of a ‘this-such,’ thereby containing both a demonstrative and a conceptual moment. Sellars motivates this claim entirely by appeal to the particular structure of Kant’s transcendental psychology. In “Sense-Certainty” H. offers us what Sellars and Kant do not: a general argument for the claim that our most immediate cognitive contact with objects in the world cannot be an unstructured demonstrative immediacy, a pure ‘this,’ but must be construed to have the structure of a ‘this-such.’

Ege, Ragip / Igersheim, Herrade: Rawls with Hegel: The concept of ‘Liberalism of freedom.’ — In: European Journal of the History of Economic Thought. Oxfordshire, UK. 15 (2008), 1, 25–47. The purpose of this paper is to stress the common characteristics of H.ian and Rawlsian thoughts. It is shown that H. and Rawls have similar objectives, since they both attempt to determine the possibility condition of the reconciliation of the reasonable and the rational, of the universal and the particular.They share a similar concern, which integrates but tries to overcome the Kantian one: their works examine how political freedom can be achieved and how an empirical and implementable theory can be built.

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Espinoza Lolas, Ricardo A.: Arte y religion en la „Phänomenologie des Geistes“ de Hegel a la luz de la „Wissenschaft der Logik“. [Kunst und Religion in Hegels „Phänomenologie des Geistes“ im Lichte der „Wissenschaft der Logik“.] — In: Δαιμυν. Revista de Filosofía. Murcia, ES. 43 (2008), 71–91. From its beginning, the H.ian thought understood that art was not a radical way to access in the ‘absolute.’ What we seek here is to show how this idea was articulated in the Phenomenology of the Spirit. So it is possible to see that all later H.ian thoughts proceed from these assumptions. The ‘absolute’ – understood from his dialectic – acquires a unique sense in the history of thought. Actually, art is not annihilated, but assimilated in a specific kind of religion: namely Greek religion.

Esposito, Antonia: Hannah Arendt legge Hegel. Per una „non-linearita“ della dialettica. [Hannah Arendt liest Hegel. Für eine „Nicht-Linearität” der Dialektik.] — In: Archivio di Storia della Cultura. Morano. 21 (2008), 341–360. This essay aims at illustrating Arendt’s references to H.ian thought, from the perspective of a rethinking of the dialectic. By means of an analysis of such writings as The Life of the Mind, the author shows that Arendt grasps in the dialectical development of H.s thought some “libertarian” implications, i. e., the fecundity of the human thoughts and actions, as against more conventional interpretations which regard dialectic as an unchangeable chain of thoughts and events. Denying that the outcome of the dialectical process may be the end of history, Arendt extracts the meaning of history and historical analysis by grafting on them the practice of narration, in order to recover a time of the men, where the very narration of the events – i. e., of the life, not of ideas or truths – reaches the level of the political analysis and political action by means of the bridge of the faculty of judgment.

Gidwani, Vinay: The subaltern moment in Hegel’s dialectic. — In: Environment and Planning A. London. 40 (2008), 11, 2578–2587. I stage the question ‘What about dialectics?’ by showing Frantz Fanon’s insurrectionary fidelity to H. and his dialectic. Fanon is an acute and disloyal reader of H., and relentlessly probes the moment of negation in H.s dialectic to pry it open for an emancipatory, nonsublative politics of a ‘new humanity.’ Fanon’s attempts to side with the radical implications of otherness disclose the ‘subaltern moment’ in H.s dialectic and leave us a deformed H., profoundly equivocal and no longer easily named (hence, recognized) as the philosopher of synthesis and reconciliation.

Gutierrez, Carlos B.: Reconocimiento y unidad sistemico-especulativa en Hegel. [Anerkennung und systemisch-spekulative Einheit bei Hegel.] — In: Natureza Humana: Revista Internacional de Filosofia e Práticas Psicoterápicas. [Menschliche Natur: Internationale Zeitschrift für Philosophie und psychotherapeutische Praxis.] São Paulo, ES. 10 (2008), 1, 55–77. (Serie: Identidade pessoal e reconhecimento) [(Reihe: Persönliche Identität und Anerkennung)] This paper is focused on the problem of recognition in H.s work, stressing that the principle of recognition does not intend a generalization of a special type of action or social relations, but indicates the structure of a formative process of both the individual and general conscience. Having covered the Jena Writings and the Phenomenology of Spirit, the paper goes to the First Book of the Science of Logic, showing the movement by which the logic of reflection reaches its decisive

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point in the logical dissolution of the other. The analysis ends with the exhibition of a very special trend in H.s system that returns in those passages of his philosophy of history which bear a clearly homogenizing trace.

Heidemann, Dietmar H.: Substance, Subject, System: The Justification of Science in Hegel’s “Phenomenology of Spirit.” — In: Moyar, Dean / Quante, Michael (Eds.): Hegel’s “Phenomenology of Spirit:” A Critical Guide. Cambridge 2008. 1–20. The purpose of this article is to assess the epistemological significance of H.s Phenomenology of Spirit as outlined in its preface and introduction. The first chapter sketches the function of the Phenomenology as an introduction to ‘true philosophical science.’ The second chapter analyzes H.s methodological anti-individualism, due to which the justification of knowledge cannot be accomplished by using the individual subject of epistemic certainty as a basic epistemic principle. The third chapter discusses H.s arguments for a theory of epistemic justification: The first is an antiskeptical argument from the self-creation of the criterion of knowledge; the second is a constructive argument from the history of self-consciousness that makes up the methodological frame for the entire Phenomenology. The article’s conclusion is that H. makes an important systematic contribution to epistemology.

Jameson, Fredric: A note on reification in Hegel’s logic. — In: Critical Quarterly. Oxford, UK. 50 (2008), 3, 33–42. The author suggests that H. translated elements of the Aristotelian logical mechanism into philosophical concepts. The author also suggests H. modified Kantian spatial groups onto temporality. Other topics include H.s idealism, categories, and symbolic logic.

Jiménez Sánchez, José J.: ¿Hegel en Kosovo? Reflexiones sobre la independencia de Kosovo. [Hegel im Kosovo? Überlegungen zur Unabhängigkeit des Kosovo.] — In: Anales de la Cátedra Francisco Suárez. Granada, ES. 42 (2008), 31–55. This text considers the results of the Western powers’ recognition of Kosovo’s independence from three perspectives: firstly, the possible consequences (of which what is happening in Georgia already gives us some proof) of this independence proclaimed and recognised outside the provisions of international law, and which can be considered a precedent in other territories with similar problems; secondly, it proposes, following H., a rational conception of the state, far removed from ideas of ethnicity based on race, language, and so on, in which nationalism finds its inspiration. Finally, it analyses and criticises from the H.ian perspective, as updated by the reasoning of authors such as Habermas, the foundations of nationalism, especially its mistaken defence of the pre-eminence of collective over individual rights.

Kacerauskas, Tomas: The End of Modernity: Hegel and Existential Phenomenology. — In: Logos: Religijos, filosofijos, komparatyvistikos ir meno urnalas. [A Journal of Religion, Comparative Cultural Studies, and Art.] Vilnius, LT. 56 (2008), 58–66. The article deals with the issue of modernity’s end. Against this background arise connections between H.s philosophy and existential phenomenology. Herewith the concepts of postmodernism and Enlightenment are analyzed. The author pays attention to the different contents of the term “phenomenology” and to the different concepts of reality in the H.s and Heidegger’s philosophy.

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Nevertheless, the author distinguishes three sections common to H.s philosophy and to Heidegger’s thinking. These are: historicity, the creative principle and the dialectics of the beginning and the end. On the basis of these sections the author discusses the phenomenality as belonging to reality as created by us.The thesis of reality’s creation allows one, not only to connect H.s phenomenology and existential thinking, but also to interpret H. in the existential perspective.

Klotz, Christian: Identidade e normatividade em Fichte e Hegel. [Identität und Normativität bei Fichte und Hegel.] — In: Natureza Humana: Revista Internacional de Filosofia e Práticas Psicoterápicas. [Menschliche Natur: Internationale Zeitschrift für Philosophie und psychotherapeutische Praxis.] São Paulo, BR. 10 (2008), 1, 79–92. (Serie: Identidade Pessoal e Reconhecimento) [(Reihe: Persönliche Identität und Anerkennung)] The article aims at reconstructing the connection between the agent’s conscious identity and his orientation through categorically valid norms, as it is established in Fichte and H. It is through this connection that Fichte and H. wanted to develop further the Kantian idea of autonomy. While Fichte introduced the conception of normative identity within the framework of a theory of individual morality, H. transformed this idea in his conception of ethical identity, which is founded on society’s normative practice. It is argued that H., as a consequence of this, established a closer relation between identity and recognition than Fichte, who first introduced the conception of recognition in post-Kantian philosophy.

Kolb, David: Darwin rocks Hegel: Does Nature have a History? — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Nottingham. 57–58 (2008), 97–116. H. opposed biological evolution, yet aspects of his views can be exploited to lessen the distance between him and Darwin. H. accepted recent geological discoveries of immense time spans, wide changes, and fossil flora and fauna, but saw these as without philosophical interest, since his concern was the rationality of the basic features of the current natural world. But given H.s doctrines about the contingency of natural beings, plus his acceptance of long-term geological change, he could admit that biological species developed over time. What would separate him from Darwinism’s total contingency, however, would be his insistence on rationally unified forms for the large scale features of nature and organic systems. This essay discusses these issues and develops an account of the relation of logical necessities to natural powers and contingent events.

Lambier, Joshua: The organismic state against itself: Schelling, Hegel and the life of right. — In: European Romantic Review. Leiden. 19 (2006), 2, 31–137. Focusing on the political thought of Schelling and H. – beginning with the early texts (1796– 1802), then moving briefly to H.s well known Philosophy of Right (1821) – this essay revisits the Romantic-Idealist theory of the organic state by returning to its genesis in the turbulent political, cultural and scientific debates of the post-Revolutionary period. Given the controversial nature of its historical (mis-)appropriations, the organic idea of the state has become synonymous with totality and closure. This essay argues, however, that the contemporary rejection of organicism relies on narrow interpretations of Romantic and Idealist notions of organic life, interpretations that fail to do justice to the complex organismic philosophies emerging in the early nineteenth century. In order to move beyond the Enlightenment idea of a contractual state, H. and Schelling read the political through the organic. What gets carried over in this translation is not simply a logical principle of organic unity, but the entire system of relations that comprise organismic life. Departing from the Kantian concept of the organic, where parts are regulated by the whole, H.

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and Schelling open their systems of thought, consciously or not, to more organismic forces. The organismic refers to uncontrollable forces within the organism, such as illness, disease and death, which run counter to the whole. Instead of viewing the organic in strictly metaphorical terms, Schellings and H.s concept of political life maintains a relation to the overdetermined genetic and biological processes of the organism, material processes that unsettle totalized structures.

Lau, Chong-Fuk: Presuppositionless Philosophy? On Husserl and Hegel. — In: Soochow Journal of Philosophical Studies. Taipei, TW. 18 (2008), 57–93. This paper deals with the idea of presuppositionless philosophy, thereby focusing on Husserl and H. While striving to realize this age-old idea, they adopt different strategies, based on epistemological foundationalism and coherentism respectively. Husserl follows the Cartesian tradition to search for an indubitable foundation and absolute beginning on which to build a rigorous system of knowledge. H., however, rejects the possibility of immediate knowledge or presuppositionless beginning, and maintains that the characterization of presuppositionlessness can only be applied to the system as a whole. After briefly reviewing Descartes’s foundationalist idea, the paper examines Husserl’s attempt to realize it through his phenomenological method. It then proceeds to analyze H.s criticism of the demand of an absolute foundation, explaining how he reinterprets the idea of presuppositionlessness in his speculative philosophy. The paper ends with some remarks on Husserl’s later development.

Lee, Daniel: The Legacy of Medieval Constitutionalism in the “Philosophy of Right:” Hegel and the Prussian Reform Movement. — In: History of Political Thought. Brooklyn, NY. 29 (2008), 4, 601–634. This article investigates the influence of constitutional debates emerging from the Prussian reform movement, 1810–19, on H.s theory of the modern constitutional state, as articulated in the Philosophy of Right. I argue that H.s theory, which combined constitutional monarchy with a scheme of corporate representation in assembled estates, was not simply a product of an abstract rationalist philosophy but rather, a deeply ideological vision of the medieval origins of modern Germany. In reconstructing the intellectual context of the Prussian “Verfassungsfrage,” I illustrate how H. carved out a middle way between the political thought of the Prussian reformers, such as Chancellor Hardenberg and Wilhelm von Humboldt, and the feudalist reactionaries, or Junkers, who eventually derailed the programme of constitutional reform.

Lewis, Thomas A.: Speaking of Habits: The Role of Language in Moving from Habit to Freedom. — In: The Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Charlottesville,VA. 39 (2008), 1–2, 25–53. H.s account of habit plays a vital, though often overlooked, role in his philosophical anthropology as well as his ethical thought. Although first introduced in relation to basic physical capacities, habituation reappears in his account of language and in the unconscious appropriation of ethical life. Because acting out of habit is not acting freely, our freedom depends upon the ability to reflect consciously on our habits – which for H. requires articulating them in language. Contrasting H. with Bourdieu on the expressibility of practices, I argue that H.s view is more optimistic than Bourdieu’s yet more sober than it first appears.

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Magee, Glenn Alexander: Hegel on the Paranormal: Altered States of Consciousness in the Philosophy of Subjective Spirit. — In: Aries. Leiden. 8 (2008), 1, 21–36. Während seiner gesamten Schaffenszeit interessiert sich H. für paranormale Phänomene und „Okkultismus“. Er hält bereits 1805 in Jena Vorlesungen über Mesmerismus (tierischer Magnetismus oder Tiermagnetismus). Geweckt wird H.s Interesse an diesen Themen insbesondere von Schelling, dessen Briefe an H. sich oftmals um Hellsehen oder Rutengehen drehen. In dem der „Philosophie des subjektiven Geistes“ gewidmeten Abschnitt seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817) behandelt H. das Paranormale am ausführlichsten. Dort nennt er Beispiele wie Hellsehen oder Rutengehen und „Fern-Sehen“ und berichtet sogar von einem Mann, der mit seinem Bauche zu lesen vermöge (wobei er derartige Berichte in keiner Weise in Zweifel zieht). Zudem führt H. eine Diskussion über den tierischen Magnetismus. Unter den Themen, die er in der Enzyklopädie behandelt, widmet er letzterem eine Untersuchung, die wohl zu seinen detailliertesten zählt. H. argumentiert, daß bei psychischen Phänomenen ein veränderter Bewußtseinszustand eintrete, in welchem der Geist in einen vorrationalen, „natürlichen“ Zustand herabsinke und sich selbst in der ursprünglichen Einheit aller Dinge verliere. Dadurch sei es ihm möglich, einen Verbindungszustand einzugehen, dessen wir uns im allgemeinen nicht bewußt seien. H. meint, der Verstand – als Standpunkt konventioneller Naturwissenschaft, die sich gänzlich auf mechanische Erklärungen stützt – sei nicht imstande, Phänomene solcher Art zu erklären. Ausschließlich eine Philosophie, die (wie jene H.s) Versuche zurückweist, räumliche und zeitliche Unterschiede zu verabsolutieren, sei in der Lage, das Paranormale zu erklären. Überdies bietet H. folgende Erklärung: Die höchste Ebene des Geistes: die philosophische Erkenntnis, sei gleichsam eine höhere Art von Magie. Durch Philosophie könnten sich Individuen von den Grenzen von Raum und Zeit befreien – ebenso wie dies in gewissen psychischen Zuständen der Fall sei.

Moder, Gregor: Hegel, Spinoza and the Absolute Substance. — In: Problemi: revija za kulturo in družbena vprašanja. [Probleme. Zeitschrift für Kultur und soziale Fragen.] Ljubljana, SI. 46 (2008), 5–6, 101–130. According to H., Spinozism is a pantheistic system of abstract identity, where all the differences are dissolved in the absolute substance. His reproaches refer to the system’s lack of the concept of negation of negation, the immobility of the substance, and its inability to relate its ontological degradation back to itself. While the first reproach is quite justified, the latter two are not, for Spinozism is precisely an attempt to think movement and the relationship between the finite and the infinite without resorting to ontological hierarchy and negation. H.s understanding of the absolute substance is therefore more relevant in reference to the question of how his own system of thought is put in motion, and so the phrase Spinozism, in H., often simply stands for the immediate unity of being and thought. Thus, the final part of the article is dedicated to ontotheology and the concept of “causa sui,” drawing a line between H.s and Spinoza’s philosophical strategy on this issue. While H. based his progressive system on the Kantian critique of ontotheological unity of the formal level of being with the objective level of thought, Spinozist conception of the absolute substance can perhaps be successfully explained with a reference to Heidegger’s conception of “Dasein.”

Morelli, Mark D.: Going Beyond Idealism: Lonergan’s Relation to Hegel. — In: Lonergan Workshop Journal. Boston, MA, US. 20 (2008), 305–336. My present aim is to establish the need for an investigation into the relationship of Lonergan’s critical realism to H.s absolute idealism and to outline generally the strategy to be employed in going

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beyond absolute idealism. Such an investigation is, for reasons I shall provide, especially important for the future of Lonergan studies and, I think, long overdue.

Noe, Kenneth E.: Vanity of Vanities: Hegel, the Unhappy Consciousness, and Ecclesiastes. — In: Dialogue: Journal of Phi Sigma Tau. The International Honor Society for Philosophers. San Diego, CA. 51 (2008), 1, 19–28. In this paper I examine H.s notion of the ‘unhappy consciousness’ and ask whether the book of Ecclesiastes can be considered an adequate illustration of this stage of the Phenomenology of Spirit. I contend that Ecclesiastes can be used to illuminate the themes found in this section and can thus supply H.s readers with a biblical narrative that sheds light on this difficult text. While this portion of the Phenomenology need not be read in religious terms, many commentators have used JudeoChristian themes to frame H.s account. I will draw on such commentaries (Hyppolite, Findlay, Verene) to bolster my claim. Such a task also brings to light H.s remarks concerning revealed religion just prior to absolute knowing.

Orman, Enver: Platon’un Ruhu ve Hegel’in Tini. [Plato’s Soul and Hegel’s Geist.] — In: Yeditepe’de Felsefe. [Philosophy at Yeditepe.] İstanbul. 7 (2008), 53, 15–46. Plato’s conception of soul and his analysis of body-soul relation are important to understand his idealism. In Plato’s philosophy the radical difference between soul and body reflects on his whole system and plays a determinating role on the problematic relationship between the world of appearances and the ideas. Opposed to that, in H.s philosophy the relation of body and soul has a more concrete and dialectical nature and this dialectical perspective determines the monist character of his absolute idealism. For H. soul is only the first level of spirit as being conscious rationality. The nature which also includes our body, is the only environment for existence of soul and soul exactly forms its consciousness and spirituality by means of this nature which constitutes its otherness and externality.

Özçınar, Șahin. Hegel’in İçkin Olu¢ Öºretisi, Aristotelesçi Döngüsel ve Ereksel Diyalektik. [Hegels immanente Wesenslehre, Aristoteles’ zirkuläre und ideale Dialektik.] — In: Felsefe Dünyası. Türk Felsefe Derneºi Yayını. [Publikation der Türkischen Gesellschaft für Philosophie.] Ankara. 48 (2008), 2, 42–55. In this study, I try to show that the philosophy of H. was not impressed by a dialectician of antiquity such as Zeno and Plato, but also ontology and metaphysics of Aristotle had a great deal of influence on his philosophy as well.To explore this issue, I firstly compare Aristotelian metaphysics, ontology and logic to H.ian dialectics. Secondly, I show similarities between Aristotle and H. on this subject. Finally, I try to support the idea that H.ian dialectics of concept is a synthesis of ideas of Plato and Aristotle by exposing W. T. Stace, Herbert Marcuse and Allen W. Wood’s relevant ideas on this very subject.

Parkison, Paul: Space for performing teacher identity: through the lens of Kafka and Hegel. — In: Teachers and Teaching: Theory and Practice. Philadelphia, PA. 14 (2008), 1, 51–60. Franz Kafka’s novella The Metamorphosis (1912) provides an analogy for a consideration of the process of teacher identity formation and performance. Gregor Samsa awoke to find himself

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transformed into a giant beetle. He faced a complete loss of identity as he lost connection with the micro-political space that formed the context of his former role performances. Teachers face an analogous situation. Within the context of institutional role scripts and political influences, do teachers choose to become determined by outside forces rendering them incapable of change? Do they forfeit their rights and responsibilities within society? Or, do teachers, through positive action within discursive practices, express their freedom and their self-consciousness by recognizing their ethical responsibility to serve society? H. provides a framework within which to consider the potential responses to these questions. Teachers have a choice to make: surrender or act. An examination of the development of teacher identity is presented utilizing the lens of Kafka’s The Metamorphosis and H.s Phenomenology of Spirit.

Pérez Cortés, Sergio: El pensamiento libre y la razón en la „Fenomenología del espíritu“ de Hegel. [Das freie Denken und die Vernunft in Hegels „Phänomenologie des Geistes“.] — In: Revista de Filosofía. Mexico. 40 (2008), 121, 125–150. The 200th anniversary of the publication of the Phenomenology of Spirit has allowed us to reconsider the true aims of the project of H.s absolute idealism, which was undertaken within the book. In this light, this text will try to show that H.s ‘programme’ fits squarely and in perfect continuity with Kant’s philosophical critique, and pushes it to its utmost consequences. Indeed, for H., reason is free since it is the unity of reflection about external objects (the infamous thing-in-itself) and critical reflection of thought upon itself. Reason (or concept) is free, not because acting independent from external things, but rather because it includes absolute determination regarding those objects, and a full understanding of the thought that makes such determination possible.

Ponzer, Howard: Reconciliation in Hegel’s Speculative Idealism. — In: Epoché: A Journal for the History of Philosophy. Charlottesville,VA. 13 (2008), 1, 49–66. In the following, the author argues that H.s speculative idealism attempts to reconcile the competing philosophical positions of idealism and realism. Through an examination, first, of current scholarship and, second, of H.s critique of the “Ideal of Pure Reason” in Kant’s Critique of Pure Reason, the author shows that one of H.s main criticisms is that the exclusion of the thing-initself denies realism. The author argues that H.s response to the problem of the thing-in-itself is to affirm realism. The author concludes by demonstrating how H.s concept of “Geist” reconciles idealism and realism.

Quante, Michael: Reason Apprehended Irrationally: Hegel’s Critique of Observing Reason. — In: Moyar, Dean / Quante, Michael (Eds.): Hegel’s “Phenomenology of Spirit:” A Critical Guide. Cambridge 2008. 91–111. In the chapter “Observing Reason” of his Phenomenology of Spirit H. discusses the naturalistic and scientistic theories of the mind of his times. In a close analysis of the text it is shown that H.s arguments are still of systematical philosophical interest although the theories he criticises are regarded as obsolete today. It is shown in which way H. analyses and criticises the distinction of “inner” and “outer” on the one hand and demonstrates that and why the concept of law essential for natural sciences cannot be used to make intelligible the relation between mind and brain.The central point of H. is that the methodological premisses of observing reason, being constitutive for natural sciences, make it impossible to give a satisfying account of the relation of mind and nature. This way, so I argue, H.s critique is still of importance for today’s debates in the philosophy of mind.

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Rancher, Shoni: Suffering Tragedy: Hegel, Kierkegaard, and Butler on the Tragedy of Antigone. — In: Mosaic: A Journal for the Interdisciplinary Study of Literature. Winnipeg, Manitoba, CA. 41 (2008), 3, 63–78. H. argues that modernity lacks the substantive ties that are central to the opposition in Antigone. Kierkegaard’s and Butler’s interpretations respond by answering why the problems that the ancient tragedy raises are still problems for modernity.

Schuler, Jeanne: Sensing As Pure Immediacy: Hume’s Anatomy versus Hegel’s Phenomenology. — In: History of Philosophy Quarterly. Champain, IL. 25 (2008), 2, 155–173. This article contrasts H. and David Hume’s accounts of sensing as pure immediacy. Pure immediacy describes the ideal of objectivity where sensing occurs without input from the subject: sensing as immediate reception of the given. For Hume, pure immediacy provokes a skeptical crisis. Philosophy responds to the crisis only to remain entrenched in subjectivism. H. challenges pure immediacy and subjectivism. Nothing answers to the description of pure sensation. With the collapse of pure sensing, the flip-flop between the purely subjective and objective gives way to a recovery of the world, anticipating Martin Heidegger, Donald Davidson, and Frank Farrell.

Segev, Alon: The Absolute and the Failure to Think of the Ontological Difference. Heidegger’s Critique of Hegel. — In: Studia Phaenomenologica. Romanian Journal of Phenomenology. Bucharest, RO. 8 (2008), 453–472. The aim of this paper is to examine Heidegger’s critique of H. and to determine whether it is justified. Heidegger claims that H. tried to reduce everything to a single absolute entity, to the absolute knowing subject. The result is the identification of being and nothing, as H. formulates it at the beginning of his Logic. H. identifies being with nothing because being has no references, no predicates, no properties. Heidegger agrees with H. that being and nothing are the same, but in completely different respects. They are the same because only entity actually exists, i. e., as an existent being. But Being itself does not exist, and should be conceived in an utterly different way from entity. And since Being cannot “be” it is a nonentity and therefore nothing.

Tijsterman, Sebastiaan P. / Overeem, Patrick: Escaping the Iron Cage: Weber and Hegel on Bureaucracy and Freedom. — In: Administrative Theory & Praxis. 30 (2008), 1, 71–91. (PAT-Net) Based on the assumption that the study of public values cannot neglect the wider purposes of administration in society, this article discusses the diverging views of Weber and H. on the relationship between bureaucracy and freedom. They provide interesting Continental-European alternatives to the standard, liberal account so dominant in America. Although their accounts of bureaucracy are superficially similar, their conceptions of freedom radically differ, due to deep divergences in their political philosophies. While Weber has a concept of freedom as existentialist choice on top of classical liberal freedoms, H. instead has a more social concept of freedom. While Weber is particularly aware of the danger of “Beamtenherrschaft” (domination by officials), H. offers a constitutionalist account of the relationship between bureaucracy and freedom, and leaves much room for the notion of public values.

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Türkyılmaz, Çetin: The Motion of Thought in Hegel. — In: Yeditepe’de Felsefe. [Philosophy at Yeditepe.] İstanbul. 7 (2008), 53, 67–79. In this paper H.s concepts of “Aufhebung,” recollection (“Erinnerung”) and absolute knowledge will be taken up, especially within the framework of Heidegger’s criticism and a comparison will be made between the thought of Heidegger and that of H.

Vernon, Jim: The Moral Necessity of Moral Conflict in Hegel’s “Phenomenology of Spirit.” — In: Epoché: A Journal for the History of Philosophy. Charlottesville, VA. 13 (2008), 1, 67–80. While not an explicit claim of H.s, this paper aims to use his analysis of ‘Conscience’ in the Phenomenology of Spirit to demonstrate that the conflict between different moral judgments is morally necessary. That is, rather than being the unfortunate result of ‘hard’ cases, I argue that moral conflict is a necessary condition for the possibility of duty. Grasping the moral ground of moral conflict, I contend, allows us to understand why such conflicts arise, how and why they become entrenched into ‘moral issues’ and what our duties are in such cases. Thus, I aim to articulate both the moral necessity and dutiful resolution of seemingly intractable moral conflicts.

Westphal, Kenneth R.: Intelligenz and the Interpretation of Hegel’s Idealism: Some Hermeneutic Pointers. — In:The Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Charlottesville,VA. 39 (2008), 1–2, 95–134. H.s idealism and his epistemology have been seriously misunderstood due to various deep-set preconceptions of H.s expositors. These preconceptions include: Idealism is inherently subjective; H.s epistemology invokes intellectual intuition; H. was not much concerned with natural science; Natural science has no basic role to play in H.s Logic. In criticizing these notions, I highlight four key features of H.s account of intelligence: (1) Human cognition is active, and forges genuine cognitive links to objects that exist and have intrinsic characteristics, regardless of what we may think, believe, or say about them; (2) The “Denkbestimmungen” that structure and thus characterize worldly objects and events can only be grasped by intelligence (not merely by consciousness); (3) Intelligence obtains genuine objectivity by correctly identifying characteristics of a known object; (4) Central to our intelligent comprehension of “Denkbestimmungen” is natural scientific investigation. These findings show that H.s Logic is much more closely tied with Naturphilosophie and with natural science than is commonly supposed. I conclude with eight hermeneutical pointers for understanding H.s writings.

Whitebook, Joel: First Nature and Second Nature in Hegel and Psychoanalysis. — In: Mosaic: A Journal for the Interdisciplinary Study of Literature. Winnipeg, Manitoba, CA. 41 (2008), 4, 41–59. The article focuses on H.s analysis of Greek and contemporary statuary. It specifically refers to the word “detail,” which, according to H., is intimately linked to the sphere of the fine arts. The article shows how detail is linked to the measurement of the human figure, in particular to the size of its feet. In spite of the numerous details that the H.s book Aesthetics evokes, the absence of “detail” as a speculative concept is a distinctive trait of H.s work. H.s use of it is not very frequent, and seems rather cursory, although he uses it at least in one case as the substantive of the verb “detaillieren,” namely, “Detaillierung.”

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Winfield, Richard Dien: From Representation to Thought: Reflections on Hegel’s Determination of Intelligence. — In: The Owl of Minerva. Journal of the Hegel Society of America. Charlottesville,VA. 39 (2008), 1–2, 55–86. The logical investigation of thinking must not be confused with inquiry into the mental reality of thought, which properly falls within the philosophy of mind. H. provides an important, but much neglected contribution towards accounting for the psychological conditions of reason by detailing in his ‘philosophy of subjective spirit’ how intelligence can progress from representation to thought. By thinking through H.s argument, we can comprehend why thinking is a matter of intelligence rather than consciousness, why representation cannot provide the universality of conceptualization, and how semiotic imagination enables intelligence to leave representation behind and enter the domain of thought, unencumbered by the opposition of consciousness. Through this result, the philosophy of mind can account for the psychological conditions of its own theorizing.

Zavaliy, Andrei G.: What does Hegel prove in his Lectures on the Proofs of God’s Existence? — In: Philosophy and Theology. Charlottesville,VA. 20 (2008), 1/2, 85–97. Even though H. rejects Kant’s criticism of the classical proofs for God’s existence, he is far from joining the followers of St. Anselm. What is needed, he suggests, is the rational account of the transition from the final notion to the infinite Being. The Lectures in its central treatment of the Cosmological proof present us with an explanation in rational terms of the fact of religion, i. e., the elevation of the finite spirit to infinite God, rather than with a proof in a narrow logical sense. H. is not so much asking the question ‘Does God exist?’ but rather ‘How is the elevation of the finite spirit to God possible?’ The H.ian ‘proof,’ I argue, consists in a demonstration of the necessity of movement from finiteness to infinity, that is, the demonstration of the necessity of religion itself. Religious faith in this context is not juxtaposed to reason, but appears as a mode of imperfect knowledge, which is superseded by the further development of the rational concept.

AU TO R E N

C hristoph e B outon Prof. Dr., Université Bordeaux III, UFR Humanités, Département de philosophie, 33607 Pessac cedex, France [email protected] Ste phan K raft PD Dr., Universität Bonn, Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Am Hof 1d, 53113 Bonn, Deutschland [email protected] Pete r K ri e ge l Hegel-Archiv, Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Deutschland [email protected] E rnst - O t to O nnasch Dr., Universiteit Utrecht, Department of Philosophy (Faculty of Humanities), PO box 80126, 3508 TC Utrecht, Heidelberglaan 6, 3584 CS Utrecht, Nederland [email protected] B irg i t Sandkaule n Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum, Institut für Philosophie I, 44780 Bochum, Deutschland [email protected] B e nno Z ab e l Akademischer Rat Dr., Juristenfakultät Leipzig, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie Prof. Dr. M. Kahlo, Universität Leipzig, Burgstr. 27, 04109 Leipzig, Deutschland [email protected]