Hegel-Studien Band 4 9783787329335, 9783787329304

TEXTE UND DOKUMENTE Unbekannte Aphorismen Hegels aus der Jenaer Periode. Mitgeteilt von Friedhelm Nicolin – Dokumente zu

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German Pages 371 [370] Year 1967

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Hegel-Studien Band 4
 9783787329335, 9783787329304

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HE G E L- STU DIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft HEINZ HEIMSOETH JOSEF DERBOLAV ¦ HANS-GEORG GADAMER LUDWIG LANDGREBE ¦ JOACHIM RITTER

herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER

B a nd 4

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1967, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2930-4 ISBN eBook: 978-3-7873-2933-5 ISSN 0073-1578

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

INHALT

TEXTE UND DOKUMENTE Unbekannte Aphorismen Hegels aus der Jenaer Periode Mitgeteilt von FRIEDHELM NICOLIN, Bonn

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Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801—1807) Herausgegeben von HEINZ KIMMERLE, Bonn

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Zwei unbekannte Briefe Hegels aus dem Jahre 1807 Mitgeteilt und erläutert von GüNTHER NICOLIN, Bonn

101

Bonn Georg Wilhelm Vogel an Goethe. Eine Richtigstellung zu Hegels Briefwechsel 109

GüNTHER NICOLIN,

Bonn Zum Titelproblem der Phänomenologie des Geistes

FRIEDHELM NICOLIN,

113

ABHANDLUNGEN Bonn Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften

125

Marburg Hegels Kritik des Naturrechts

177

Bonn Ein unbekannter politischer Text Hegels?

205

Löwen Zur Negativität bei Hegel

215

HEINZ KIMMERLE,

MANFRED RIEDEL,

HARTMUT BüCHNER,

W.

VER EECKE,

LITERATURBERICHTE UND KRITIK D

Zur Aktualität aer negeiscnen AstneuK

\

WULANUI, uuiLu;

Die Aufgabe der Hegelforschung in bezug auf die ,Phänomenologie des Geistes' (WILLEM VAN DOOREN, Bilthoven/Holland)

235

H. F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik (J. GAUVIN, Paris) 244 U. Guzzoni: Werden zu sich (PETER ROHS, Kiel)

251

Hegel's Political Writings

257

(SHLOMO AVINERI,

Jerusalem)

M. Riedel: Theorie und Praxis im Denken Hegels

(JOSEF SIMON,

Frankfurt

a. M.)

261

M. Sobotka: Die idealistische Dialektik der Praxis bei Hegel (DIETRICH BENNER, Bonn) 263

W.-D. Marsch: Gegenwart Christi in der Gesellschaft

(REINHART KLEMENS

Stuttgart)

MAURER,

265

J. Splett: Die Trinitätslehre G. W. F. Hegels (JOSEPH MöLLER, Tübingen)

.

T. Rendtorff: Kirche und Theologie

269

(HEINZ KIMMERLE,

Bonn)

A. T. B. Peperzak: Le jeune Hegel et la Vision morale du monde SPLETT,

267

(JöRG

München)

271

W. van Dooren: Het Totaliteitsbegrip bij Hegel en zijn Voorgangers (AD. PEPERZAK,

Venray)

274

G. Ralfs: Lebensformen des Geistes

(WOLFDIETRICH SCHMIED-KOWARZIK,

Bonn)

275

A. Negri: La presenza di Hegel W. Kaufmann: Hegel

(FURIO CERUTTI,

(KLAUS HARTMANN,

K. Rosenkranz: Vita di Hegel

Frankfurt a. M.) ....

Bonn)

(CARLO ASCHERI,

F. Wiedmann: Georg Wilhelm Friedridi Hegel

278 280

Heidelberg)

(GüNTHER NICOLIN,

285

Bonn) .

286

Differenzen. Bemerkungen zu einem Buch von Helmut Girndt BRAUN, Heidelberg) H. Beck: Der Akt-Charakter des Seins J. Ch. Horn: Monade und Begriff

(JOSEF STALLMACH,

(WOLFGANG JANKE,

(HERMANN

288

Mainz) .

Köln)

E. Oeser: Die antike Dialektik in der Spätphilosophie Schellings FUHRMANS, Köln)

.

.

300

303 (HORST

308

O. Negt: Strukturbeziehungen zwischen den Gesellschaftslehren Comtes und Hegels (ROBERT SPAEMANN, Stuttgart) 310 G. Hillmann: Marx und Hegel

(DIETRICH BENNER,

Bonn)

312

L. Ricci Garotti: Heidegger contra Hegel e altri saggi di storigrafia filosofica (Livio SICHIROLLO, Urbino) 315 Neuere polnische Hegel-Literatur Hegel-Literatur in Rumänien

(IRENA KROIQSKA,

(CONSTANTIN NOICA,

Kurzreferate und Selbstanzeigen

Warszawa)

317

Bucuresti)

321 323

BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1964/65

341

UNBEKANNTE APHORISMEN HEGELS AUS DER JENAER PERIODE Mitgeteilt von Friedhelm Nicolin, Bonn

Die sogenannten „Aphorismen" Hegels aus den Jahren 1803—6 kennen wir nur aus der Überlieferung durch Karl ROSENKRANZ, der sie im Textanhang zu seiner Hegel-Biographie zusammen mit gleichgearteten Notizen aus der Berliner Zeit abgedruckt hat *. Während die letzteren, auf mannigfachen Zetteln stehend, im Original erhalten geblieben sind (sie gehören zu den Hegelschen Papieren, die sich heute in der Harvard-University befinden), ist die Handschrift der Jenaer Aphorismen verlorengegangen: ROSENKRANZ hatte diese Reflexionen einem umfangreichen Notizenbuch entnommen, das er in der Biographie als „HegeFs Wastebook" beschreibt von dem aber seither im Hegel-Nachlaß jede Spur fehlt. Bei einer näheren Beschäftigung mit der Entstehungsgeschichte der HegelBiographie aufgrund der noch vorhandenen Korrespondenz zwischen ROSENKRANZ und der Familie Hegels ® stießen wir auf die interessante Tatsache, daß die Jenaer Aphorismen nicht in dem Buche von 1844, sondern bereits zwei Jahre früher an anderer Stelle zum erstenmal gedruckt worden sind. ROSENKRANZ hatte den Auftrag, das Leben Hegels zu schreiben, im Frühjahr 1839 übernommen und anfangs geglaubt, das Werk bis 1841 abschließen zu können. In Wirklichkeit verstrichen bis zum Erscheinen des Buches fünf Jahre. Einerseits um diese Zeit zu überbrücken, andererseits in der Hoffnung, das in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit entfachte Interesse werde noch wichtige Nachrichten und Dokumente zur Biographie Hegels zutage fördern, besorgte ROSENKRANZ einige Vorabdrucke aus seinem werdenden Buche. Von diesen Publikationen sind in der Hegelliteratur seit DILTHEY und NOHL nur die beiden Beiträge aus dem Literarhistorischen Taschenbuch, Jahrgang 1843 und 1844, herangezogen worden *. Unbeachtet geblieben ist dagegen die erste Mitteilung der Jenaer Aphorismen; sie erschien in Fortsetzungen im Königsberger Literatur-Blatt von 1842 (4. Mai bis 27. Juli). 1 K. Rosenkranz: Hegels Leben. Berlin 1844. 537—555. ä Ebd. 198—201. * Dazu im nächsten Band der Hegel-Studien: Karl Rosenkranz als Herausgeber und Biograph Hegels. * (1) K. Rosenkranz: Aus Hegels Leben. In: Literarhistorisches Taschenbuch. Hrsg, von R. E. Prutz. Leipzig. 1 (1843). 89—200. Dieser Beitrag enthält zwei Abschnitte: „Hegel und Hölderlin" und „Theologische und historische Studien Hegels aus der

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FRIEDHELM NICOLIN

Da ROSENKRANZ selbst diese Veröffentlichung später nirgendwo erwähnt, ist ihr Verschwinden aus dem Blickkreis nicht sehr verwunderlich. Das Königsberger Literaturblatt, begründet und redigiert von Alexander JUNG ®, erschien seit Oktober 1841, stand also damals noch in seinem ersten Jahrgang. Bereits nach Ende dieses Jahrgangs (28. 9. 1842) wechselte es aus dem Königsberger Verlag HARTUNG in die Firma GERHARD in Danzig, konnte aber dort erst nach einer halbjährigen Unterbrechung sein Erscheinen fortsetzen: der zweite Jahrgang begann mit der Nummer vom 1. April 1843. Im übrigen mußte schon die geographische Randlage von Königsberg dem breiteren Absatz einer dort erscheinenden Literaturzeitung, zumal in jenen ohnehin mit Journalen reichlich bedachten Jahren, hemmend entgegenstehen; ROSENKRANZ selbst äußert noch Anfang 1845, daß „das Königsberger Literaturblatt in Deutschland wohl nicht viel verbreitet ist" ®. Bald darauf wurde das Erscheinen endgültig eingestellt. Heute ist die Zeitschrift in den Bibliotheken ganz selten geworden. Der uns interessierende Beitrag, den die Redaktion des Literaturblattes in einem Rückblick als „eine der werthvollsten Lieferungen" des ersten Jahrgangs bezeichnet, trägt den Titel: Kritische Xenien Hegel's aus der Jenenser Periode 1803—6, mitgetheilt von Karl Rosenkranz. Bemerkenswert ist zunächst die Einleitimg, die den Hegelschen Texten vorangeht. Inhaltlich entspricht sie durchaus dem Kapitel über „Hegel's Wastebook 1803—1806" in der Biographie, und viele Wendungen sind dort wörtlich aus der Erstfassung übernommen. Aber hier wie da verknüpft ROSENKRANZ interpretierende Bemerkungen zu einzelnen der von ihm mitgeteilten Gedanken Hegels mit beschreibenden Äußerungen über die für uns verlorene Quelle, und unter diesem Gesichtspunkt ist es von Belang, daß die ursprüngliche und die spätere Darstellung sich in den Formulierungen unterscheiden und einander in manchem Detail ergänzen. Insbesondere gewinnen wir aus der Erstveröffentlichung ein deutlicheres Bild von Art und Anlage des Hegelschen Notizenbuchs; auch wird, zwar nicht mit nachprüfbaren Belegen, aber doch sehr bestimmt gesagt, daß die Aufzeichnungen dieses Heftes 1806 abbrechen. Wir geben daher anhangsweise zu unserer folgenden Edition die Ausführungen von ROSENKRANZ aus dem Königsberger Literaturblatt vollständig wieder. Wichtiger aber ist das Ergebnis eines Vergleichs der beiden Publikationen hinsichtlich der Hegeltexte selbst. Die Aphorismen, die im Anhang zur Biographie ediert sind, stimmen in Reihenfolge und Wortlaut völlig mit dem Erstdruck überein. Indessen enthält dieser eine ganze Anzahl von Reflexionen, die in der Biographie nicht wieder abgedruckt worden und damit in der HegelSchweiz"; vorausgeschidct ist eine im Dezember 1841 Unterzeichnete Vorbemerkung. (2) Hegel's ursprüngliches System. 1798—1806. Aus Hegel's Nachlaß. In: Literarhistorisches Taschenbuch. 2 (1844). 153—242. ® Vgl. dazu K. Rosenkranz: Königsberger Skizzen. Abt. 2. Danzig 1842. 15—26: „Königsberger Journalistik". “ Brief an den Verleger Dundcer vom 1. 2. 1845.

Unbekannte Aphorismen Hegels

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literatur und -philologie' bisher unbekannt geblieben sind. Diese Textstücke teilen wir hier mit. Es läßt sich auch einiges darüber sagen, warum gerade diese Aphorismen beim Zweitdruck in der Biographie weggelassen worden sind. Die Reflexion über die griechische Knabenliebe, die wir an den Anfang setzen, entstammt der ersten Folge der Veröffentlichung im Literaturblatt (4. Mai), und zwar hat sie dort ihren Platz gleich nach der Notiz über BöTTGER, die auch in der Biographie die Jenenser Aphorismen eröffnet ®. Durch ROSENKRANZ selbst erfahren wir, daß dieser zugespitzte Gedanke Hegels unmittelbar nach seinem Bekanntwerden Anstoß erregt hat. Noch bevor die Fortsetzungsreihe der Kritischen Xenien im Literaturblatt beendet war, ließ ROSENKRANZ in der Nummer vom 29. Juni eine knapp spaltenlange Erklärung eines Hegel'sehen Paradoxons erscheinen, in der er sagt, daß mehrere Journale über jenen Gedanken „ihren cynischen Witz ergossen" hätten, und daß er sich deshalb zu einer kurzen Erläuterung veranlaßt sehe ®. Wir geben unten (im Anhang) auch diesen kleinen apologetischen Artikel wieder. Wenn ROSENKRANZ die Hegelschen Sätze, die er hier verteidigt, später wegließ, so unterliegt es keinem Zweifel, daß er neuen unsachlichen Erörterungen, die das Urteil über sein Buch unnötig belastet hätten, aus dem Wege gehen wollte. Das Gleiche dürfte für die etwas heikle Notiz gelten, die Hegel an das griechische Stichwort Kou0i8ir| öt^oxoi; anknüpft. Jedenfalls ist auch sie einzeln aus einer sonst beibehaltenen Textfolge gestrichen worden: sie findet sich im Literaturblatt innerhalb der letzten Fortsetzung des Ganzen, anschließend an die Überlegungen zur „Nothwendigkeit der Gesetze gegen den Wucher" Müssen wir somit annehmen, daß diese beiden Reflexionen wegen inhaltlicher Bedenken von ROSENKRANZ absichtlich ausgeschieden wurden, so sind alle übri’’ Die letzte Edition der Jenaer Aphorismen findet sich in: Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 353—375. Der Text folgt dem vermeintlichen Erstdruck in der Rosenkranzschen Biographie und unterscheidet sich von ihm nur dadurch, daß die Aphorismen numeriert sind. * Vgl. Hegels Leben. 537; Dokumente zu Hegels Entwicklung. 353 (Nr 1). * Auf der Suche nach Zeitungen, die derartige Angriffe auf Hegel gebracht haben, fanden wir bisher nur in den bei Brockhaus in Leipzig erscheinenden Blättern für literarische Unterhaltung, Jg. 1842, Nr 147 (27. Mai) einen Bericht über die Rosenkranzsche Veröffentlichung. Dort wird Hegels Äußerung über die Knabenliebe zitiert und dazu gesagt: „Es steht nicht zu vermuthen, daß diese Idee einer neuen Gottesgebärung allgemein goutirt oder auch nur verstanden werden wird." Weitere „Xenien" behandelt der Artikel teils zustimmend, teils kritisch. In einer späteren Nummer (170, 19. Juni) wird aus den bis dahin im Königsberger Literaturblatt erschienenen Xenien eine Anzahl kommentarlos zum Abdruck gebracht. In Nr 127 (4. September) wird auch Rosenkranz' Erklärung eines Hegel'schen Paradoxons vollständig mitgeteilt und dazu einerseits bemerkt, daß man es dem Leser anheimstelle, „so viel Befriedigung als möglich daraus zu entnehmen", andererseits aber doch in kritischer Argumentation die Knabenliebe als ein unter den Griechen herrschendes Laster herausgestellt, das weder wegzuleugnen noch zu beschönigen sei. Hegels Leben. 533 f; Dokumente zu Hegels Entwicklung. 372 f (Nr 74).

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FRIEDHEIM NICOLIN

gen wahrscheinlich nur durch ein Versehen nicht wieder abgedruckt worden. Das Königsberger Literaturblatt erschien einmal wöchentlich im Umfang von vier zweispaltig bedruckten Seiten (Quartformat). Die Edition der Kritischen Xenien Hegels umfaßt insgesamt 24 Spalten, die sich über fünf — nicht unmittelbar aufeinander folgende — Nummern verteilen: Nr 31 (4. Mai), 32 (11. Mai), 38 (22. Juni), 42 (20. Juli) und 43 (27. Juli). Hinzukommt in Nr 39 (29. Juni) die geschilderte Erklärung eines Hegel'sehen Paradoxons, so daß sich insgesamt sechs Folgen ergeben. Es ist vielleicht bemerkenswert, daß fünf davon auf der Titelseite der jeweiligen Nummer beginnen und sofort ins Auge fallen. Nur die vorletzte, am 20. Juli erschienene, steht im Innern des Blattes. Diese ganze Folge, die achtzehn Aphorismen enthält, ist beim Abdruck in der Biographie übersprungen worden. (Sie fügt sich zwischen die Notiz über KANT, der zwar „Philosophieren", nicht aber „Philosophie" lehre, und die Gedanken über die Freude am Johannisfeuer. ^‘) Die Vermutung liegt nahe, daß ROSENKRANZ für den Wiederabdruck in der Biographie den Erstdruck zugrundelegte und dabei selbst jene Folge überblätterte und sie seinem Manuskript nicht beifügte. Bei unserer Darbietung der in Hegels Leben nicht mitgeteilten Aphorismen verzichten wir auf Textkritik und sachliche Erläuterung. Beides wäre auch für die schon bekannten Aphorismen noch zu leisten. Hier geht es zunächst nur darum, unsere Kenntnis von Hegels Jenaer Gedankenwerk um einige — gewiß nicht unbedeutende — Seiten zu erweitern.

AUS HEGELS WASTEBOOK

Eine ganze Reihe Lokrer erhängte sich um spröder Knaben willen. Die Griechische Knabenliebe ist noch wenig begriffen. Es liegt eine edle Verschmähung des Weibes darin und deutet darauf, daß ein Gott neu geboren werden sollte. KouQiSiTi dXoxog — daß diese Frau nicht durch öftere Wochenbetten erschöpft würde — Sclavinnen. — Die Ungleichheit überhaupt der Dauer der Begierde und das Vermögen des Mannes gegen die Reize, Fruchtbarkeit und Gesundheit der Frau, ist bei der Heiligkeit der Ehe unter den Europäern ein Mißverhältniß, das immer einen stummen Kampf, innerlichen Zwist und das Uebel der Ausschweifung unter einem Volk erhält. Naturphilosophische Ideen d. h. phantastisch und unvernünftig. Die Erregung durch die Philosophie nur eine Reizung, die zu keiner Substantialität kommt. Hegels Leben. 552; Dokumente. 371 (Nr 69 u. 70).

Unbekannte Aphorismen Hegels

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Das Vollkommene ist freilich überall nur Eines, aber besonders in der Kunst das Große: die Bildsäule nicht farbig machen zu wollen; — das Lyrische des Chors nicht mit dem Dramatischen der Personen zu vereinigen; — so auch das Philosphiren nicht mit demPoetisiren, — überhaupt zur nothwendigen Trennung sich zu entschließen und sie streng zu erhalten. Es wird einem angst und bange. Wenn sie von einem Dinge, einer Materie oder Stoff hören — es soll lauter Idee sein. — Wie jetzt Niemand mit Homer den Ajax einem Esel vergleichen dürfte, so ist Lernen ein Wort, das in guter Gesellschaft nicht mehr gehört wird. Erst nach der Geschichte des Bewußtseins weiß man, was man an diesen Abstractionen hat, durch den Begriff: Fichte's Verdienst. Plato studirte bei vielen Philosophen, gab sich lange, saure Mühe, machte Reisen, war wohl kein productives Genie, auch kein dichterisches, sondern ein langsamer Kopf. Gott gibt es dem Genie im Schlafe. Was er ihnen im Schlaf gibt, sind dafür auch nur Träume. Orientalisch: Wasser; Vater des Lebens, Vater der Wolken; Honig: Vater des Sieges; Zucker; V. der Heilung; Fleisch; V. des Ueberflusses; Wein; V. der leichten Verdauung; Prod; V. der Gnaden, V. der Menschheit; Lager: V. der Begierden; Cither; V. des Spiels; guter Gesellschafter: V. der Vollkommenheit; Käse: V. des Reisenden — u. s.w., oberflächliche Bezeichnung, die dadurch, daß sie so allgemeine Beschreibung ist, wieder nach ihrer Bedeutung, wie ein Zeichen, bekannt sein muß, nicht für sich selbst deutlich ist. Recensenten sind Todtengräber. Aber wenn sie auch Lebendiges begraben, erhält sich's doch. Haben selbst zu lernen. Urtheilen, charakterisiren heißt Tödten, das Individuum darstellen, nicht die Sache, als ob jenes das Lebendige wäre, nicht das Wahre. Richter des heimlichen Gerichts, Freimaurer sind nicht weiter, als das übrige Publicum, selbst zurück. Wenn das Mysterium offenbar gemacht wird, haben sie nur mit Gemeintem zu thun. Die Zeit scheint ungünstig für die Philosophie, weil es darum mit so vieler Mühe zu thun zu sein scheint, daß nur der Gedanke an das Uebersinnliche zu Stande komme, der erste rohe Anfang; aber er soll im Aller-

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FRIEDHELM NICOLIN

bekanntesten, z. B. Obst, aufgezeigt werden; nicht Sinn für die Religion überhaupt. Im Cid heißt's: Aber welcher Ueberwundne Klaget über Unrecht nicht. Die Philosophie regiert die Vorstellungen und diese regieren die Welt. Durch das Bewußtsein greift der Geist in die Herrschaft der Welt ein. Dies ist sein unendliches Werkzeug, weiter hinaus Bajonette, Kanonen, Leiber. Aber ihr Panier und die Seele ihres Feldherrn ist der Geist. Nicht Bajonette, nicht das Geld, nicht einzelne Kniffe und Pfiffe sind das Herrschende. Dies muß auch sein, wie die Uhr Räder hat, aber ihre Seele ist die Zeit und der die Materie ihrem Gesetz unterwerfende Geist. Eine Iliade wird nicht zusammengewürfelt, so auch nicht ein großes Werk aus Bajonetten und Kanonen, sondern der Compositeur ist der Geist. Einheit und Unterschied klingt arm und dürftig z.B. gegen die Pracht der Sonne, gegen Osten und Westen, daß jedes Ding seinen Osten und Westen in sich habe. Aber den Armen wird das Evangelium gepredigt und sie werden Gott schauen. Naturphilosophie. Es wird noch geraume Zeit vergehen, ehe es ganz ohne Flunkern darin abgeht. — Geständniß hiervon oder dreistes Behaupten und Beharren dagegen. — Das Absolute: in der Nacht sind alle Kühe schwarz. — Das absolute Erkennen der große Besen, der Alles wegfegt, qui fait la maison nette. Unterwalden: Hirtenleben. Kein Fortschreiten der Geistesbildung. Nahrung des Hanges zur Trägheit. Die Religionslehrer abhängig vom Volk, das sie wählt und ihren Unterhalt in seiner Macht hat. Diese Abhängigkeit macht sie intriguant. Sie schmeicheln der ungebildeten Menge, drängen sich in die Familiengeheimnisse, unterhalten Parteien und erwerben sich eine ausgebreitete Herrschaft über die Gemüther bei Landgemeinden. Sie durften keinen Gebrauch von dieser Herrschaft machen, unwissenden und beschränkten Menschen etwas, das vom Gewohnten abweicht, zu empfehlen; keine nützliche Schulanstalten, nur Rohheit, Verwilderung. Es ist Interesse der Politik der reicheren Familien, um ihren Einfluß und Aemter zu erhalten, jene Verwilderung zu lassen. — Die Freiheit der ungebildeten Masse wird Armuth, Schwermuth. Die Kirchen nicht von Betern, die Straßen nicht von Pilgern, die Gräber nicht von Knieenden leer. Dabei

Unbekannte Aphorismen Hegels

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aber Verschlimmerung der Sitten, Schadenfreude über Verlust der beneideten Reichen und Verleumdung, Treulosigkeit und Undankbarkeit. Ueble Wirthschaft und Schlemmerei bei aller Armuth; kleinlicher, bettelhafter Eigennutz. Bei Mangel des Ackerbaues, bei Verfall der Waldungen, bei Fehlen des Kunstfleißes doch Zunahme des Luxus. Cid; Das Geheimniß ist der Weiber Macht auf uns're Männerherzen. Das Geheimniß steckt in ihnen Tief verborgen, Gott dem Herrn, Glaub' ich, selber unerforschlich. Wenn an jenem großen Tage, Der einst aufsucht alle Fehle, Gott der Weiber Herzen sichtet. Findet er entweder alle Sträflich oder gleich unschuldig: So verflochten ist ihr Herz. In Luzern sind die runden Hüte über 18 Zoll im Durchschnitt als landesverderblicher Luxus verboten worden! Im Philosophiren gibt's Nichts zum Vorstellen. Hier und da ein Bild. An das halten sich die Menschen. Tabula rasa von Aristoteles zufälligerweise, zur Nothdurft gebraucht. So viel weiß jeder vom Aristoteles. Es drückt von seinem Begriff der Seele nicht das Wesentliche aus. Ludens Geschichte des Hugo Grotius, 231: Man verbreitete damals das Gerücht, der König (Gustav Adolph nach der Schlacht bei Lützen) lebe noch; er habe seinen Tod aus guten Gründen ausgesprengt. Diese homines acuti, sagt Grotius, nos velut crassos, qui mortuum mortuum credimus, irrident. Hoc est Germaniae acumen. — Ebenso wenn der Philosoph einen Staat oder dergl. beurtheilt, daß er todt sei — so heißt es, er lebt ja noch, Reichstag u. s. w. Hoc est Germaniae acumen! Die Gottheit wird im Kunstwerk, im schlechten, wie im vorzüglichen, angebetet. Die Schauer der Gottheit, die Vernichtung des Einzelnen, durchdringen die Versammlung. Aber bald athmet sie auf, blickt um sich in lebendige Wesen, wacht zum Gefühl des Lebens auf. Sie erkennen sich als Leben, tönen sich es einander zu, ergreifen die Hände, fühlen sich und

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FRIEDHELM NICOLIN

gehen in Bewegung, Tanz über. Das Jauchzen muß zur Harmonie, zur Mannigfaltigkeit der Bilder und Gedanken sich verwandeln. Das Maaß durch den Tact wird zur Zurückhaltung des Subjectiven, des Willkürlichen. Die Individuen werden zu Gliedern der objectiven Einheit. Sie schlägt, wie Cybele, die große Mutter der Götter, selbst die Pauken, sonst wirkt sie in stiller unbewußter Kraft. So genießt sich die Gottheit ihrer selbst und der Mensch hat sich mit ihr identificirt. Uebersprungen ist dieser Genuß im Essen der Gottheit, aber es drückt tief den unendlichen Schmerz, das völlige Zerbrechen des Innersten aus. Gott opfert sich auf, gibt sich zur Vernichtung hin. Gott selbst ist todt; die höchste Verzweiflung der völligen Gottverlassenheit.

ANHANG

1. Karl Rosenkranz über Hegels Kritische Xenien aus der Jenenser Periode (Königsberger Literatur-Blatt, 4. Mai 1842) Als ScHELLiNG im Lauf des Jahres 1803 Jena verließ und zugleich die Weiterherausgabe des Journals aufhörte, das er mit Hegel eine kurze Zeit gemeinschaftlich hatte erscheinen lassen, warf Hegel kritische Reflexionen, die sich ihm aufdrängten, in einen kleinen Folianten, der eigentlich seinen Excerpten aus naturwissenschaftlichen Büchern gewidmet war und worin er sich auch von ihm selbst veranstaltete Experimente, namentlich in Betreff der Farbenlehre, aufzeichnete. Diese Auszüge betreffen alle Gebiete der Natur; sie behandeln eben so weitläufig den Feldspath, als die Syphilis, den Galvanismus, als die Planetenbahnen, die ihm einmal unendlich am Herzen lagen. Eben so sind die Auszüge sowohl aus Deutschen, wie aus Französischen und Englischen Büchern. Aus der nun durch MICHELET zum Druck beförderten Naturphilosophie kann man eine Anschauung bekommen, wie sich Hegel bei solchen Excerpten verhielt. Aber zwischen diesen Studien finden sich kritische Bemerkungen über den Charakter der Zeit, über das Wesen der Philosophie, über das Verhältniß derselben zu der Epoche, in der sie hervortritt etc. Mitunter finden sich auch Auszüge aus philosophischen Schriften, allein nur selten. ESCHENMAYER, KöPFEN, KAYSSLER, WAGNER U. A. kommen auf diese Weise vor. Wenn Hegel bei den Auszügen aus physikalischen, physiologischen Werken im Durchschnitt ganz passiv sich verhält, so sind bei den Excerpten speculativen Inhalts zuweilen zustimmende oder bestreitende Reflexionen eingestreuet. Jene allgemeinen Glossen sind das Material, welches in der Vorrede zur Phänomenologie zur gediegensten Gestalt verarbeitet worden. Allein obgleich wir sie dem Inhalt nach bereits aus dieser kennen, so haben sie doch in der Ursprünglichkeit, mit welcher sie hier er-

Unbekannte Aphorismen Hegels

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scheinen, eine vollkommene Selbstständigkeit. Kaum drei bis viermal trifft man in der Vorrede dieselbe Wendung in demselben Gedanken. Die so berühmt gewordene Vergleichung des abstract Absoluten mit der Nacht, worin alle Kühe schwarz sind, findet sich hier ganz beiläufig hingeworfen und sogleich von noch einem anderen Bilde gefolgt, das nicht weniger schlagend ist; er vergleicht die Manier, Alles vermittelungslos oder absolut zu setzen, dem großen Besen, der das Haus rein fegt, qui fait la maison nette. Wenn man diese im momentanen Drang hingeschleuderten Xenien in der ungleichsten Handschrift zwischen Büchertiteln und gelehrten Excerpten, wie Blumen, die zwischen Felsquadem hervorsprießen, für sich herausnimmt, so überrascht die Schönheit derselben. Jedes ist ein kleines in sich abgeschlossenes Ganzes; jedes ist in seiner Zufälligkeit doch von der größten Bestimmtheit des Ausdrucks. Selbst das in ihnen, was nur eine Andeutung, oft nur ein einziges Wort ist, das ohne Prädicat und Copula mitten in die Rede geworfen wird, wirkt oft vortrefflich. Durch NOVALIS und durch die Paradoxien Fr. SCHLEGELS im Athenäum hatte damals die Kunst der fragmentarischen Composition eine große Vollendung erreicht. In dem Inhalt dieser Xenien eines Denkfürsten liegt eigentlich dasselbe, was in neuerer Zeit von den Halle’sdien Jahrbüchern schlechtweg unter dem Titel Romantik zusammengefaßt ist. Jena war recht das Brutnest der Romantik gewesen, die von hier aus nach Weimar, Halle, Leipzig, Berlin ihre Radien erstreckte. Hegel hatte zwar, als er 1801 hinkam, den Höhenpunkt der Excentricität bereits im Rücken, fand aber doch noch genug Stoff zum Kampfe vor. Er wußte sich durch seine Vielseitigkeit allerdings in alle phantastische Formen hineinzuversetzen, aber der Leichtsinn, der sich in Kunst und Wissenschaft darin gehen ließ, widerte ihn an. Die Ausartung des Schellingianismus in die lockerste Willkür, die Halbpoesie, mit welcher derselbe sich über seine Unwissenheit täuschte, die an Unverschämtheit grenzende Naivetät, womit Nachäffer der ScHELLiNG'schen Genialität ein absolutes Erkennen des Absoluten versicherten, während sie verstandlosen Galimathias auftischten, fand an ihm einen unbestechlichen Richter. Besonders kehrte er sich gegen den Versuch, der von NOVALIS imd TIECK patronisirt wurde, Jakob BöHM nicht nur als einen tiefsinnigen Mystiker, sondern auch als einen Philosophen geltend zu machen, der in seiner Form den angemessensten Ausdruck der Idee erreicht habe. Diese Form nannte Hegel geradezu Barbarei, während er den Inhalt wohl zu schätzen wußte. Er überzeugte sich, daß auch er, wenn er wollte, in dieser dunkeln Prachtsprache darstellen könne, setzte ihr aber die Klarheit der Erkenntniß, die Verständlichkeit entgegen. Das fortwährende Studium der Alten ließ Hegel niemals in romantische Liederlichkeit und Wüstheit verfallen. Als Curiosität kann in dieser Beziehung beiläufig erwähnt werden, daß die Fragmente eine Menge feinhöriger Reflexionen über Prosodie und Metrik enthalten. Außer diesem speculativen Kampfe bestand Hegel einen patriotischen. Deutschland war politisch zu Grunde gegangen. Die Friedensschlüsse mit Frank-

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FRIEDHELM NICOLIN

reich offenbarten Schritt vor Schritt seine Haltungslosigkeit. Hegels Patriotismus ergrimmte mit ungeheurer Gewalt und er drückte sich in der Wärme seines Ergusses bald mit der piquanten Ironie aus, welche späterhin HEINE erreichte, bald mit dem wehmüthig sarkastischen Ton, zu dem BöRNE'S Gram über die politische Unmündigkeit der Deutschen sich steigerte. In dieser Hinsicht umfaßte Hegel alle Regungen seiner Zeit und auch die kleinste Sittenänderung in einem Schweizercanton entging ihm nicht. Die Wirklichkeit des Vernünftigen ist von Hegel nie als eine schaale Zufriedenheit mit allem Bestehenden, wie es eben ist, genommen worden, sondern er hat das Seinsollen der Vernunft in der Wirklichkeit, das Nichtseinsollen der Unvernunft in dem Existirenden, eben so stark hervorgehoben und war in dieser Polemik des erhabensten Zornes fähig. Die ausführlichste Betrachtung, welche dieses 1806 abbrechende Jenenser Wastebook enthält, betrifft den Faust. Hegel spricht nicht vom GÖTHE'schen Drama oder sonst von einer bestimmten Bearbeitung der Faustfabel, sondern überhaupt von Faust, „der die Grenzen der Menschheit zu enge fand, und mit wilder Kraft dagegen anstieß." Dies Fragment könnte man Hegels Prometheisdie Confession nennen. Er läßt Faust phänomenologisch von Standpunkt zu Standpunkt fortrücken, bis ihm der Geist der Natur zuruft, daß die Täuschung nothwendig sei und von der Erscheimmg der Wahrheit nicht getrennt werden könne. Die Entzweiung Faust's mit dem Glauben an Gott, ist in Ausdrücken geschildert, welche eine gewisse gigantische Sonderbarkeit haben. Als Hegel Faust sich den Einwurf machen läßt, daß nicht das Wesen des Menschen ihn so unglücklich mache, sondern der Mißbrauch der ihm verliehenen Gaben, werden sehr charakteristisch für ihn als solche die Religion, die Regierung und die Wissenschaft genannt. Noch ist als eine Hauptseite dieser geistdurchwürzten Fragmente der Gedanke zu erwähnen, daß der Philosophie jetzt zugemuthet wird, den Verlust der Religion zu ersetzen, daß die Speculation nicht sowohl die gründliche Entwickelung der Idee, als vielmehr den erbaulichen Genuß derselben gewähren solle; — ein Gedanke, der in der Vorrede zur Phänomenologie, welche Hegel damals schrieb, eine so nachdrückliche Ausführung erhalten hat. Man findet jetzt von manchen Seiten her zweckmäßig, die Hegel'sche Philosophie als bereits untergegangen darzustellen. Nicht nur jüngere Philosophen, bei denen der Glaube an ihren Fortschritt über Hegel hinaus so natürlich und verzeihlich ist, wie FEUERBACH, REIFF, WIRTH, FICHTE, WEBER U. A., sondern auch ältere Philosophen wie SCHELLING und FRIES, erzählen uns jetzt von der Ueberwindung Hegel's. Aber so schnell wird man mit ihm nicht fertig werden. Noch aus dem Grabe heraus wird er selbst auf viele Jahre hin in immer neuer Gestalt seine Sache führen. Diese Fragmente z. B. ein Atom seines noch ungedruckten Nachlasses, sind nun vierzig Jahr alt, aber jedes, geschmückt mit dem Kranz ewiger Jugend, hat noch jetzt dasselbe Interesse, wie damals und erfreut sich jetzt vielleicht erst seines rechten Verständnisses.

Unbekannte Aphorismen Hegels

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2. Erklärung eines Hegel'sehen Paradoxons

(Königsberger Literatur-Blatt, 29. Juni 1842) Es ist heut zu Tage bei sehr Vielen Axiom, das, was sie nicht sogleich verstehen, was ihnen also nicht ihre schon bekannten Gedanken in einer für sie behaglich gewordenen Form zurückspiegelt, sofort für Unsinn zu erklären, und sich die Mühe des Nachdenkens zu ersparen. Unter den von mir im Königsberger Literaturblatt veröffentlichten kritischen Xenien Hegel's aus der Jenenser Periode 1803—6 befindet sich gleich Anfangs eines, welches so lautet: „Eine ganze Reihe Lokrer erhängte sich um spröder Knaben willen. Die Griechische Knabenliebe ist noch wenig begriffen. Es liegt eine edle Verschmähung des Weibes darin und deutet darauf, daß ein Gott neu geboren werden sollte." Darüber haben nun mehrere Journale ihren cynischen Witz ergossen. Ich halte es in Ansehung Hegel's für meine Pflicht, wenigstens mit einem paar Worten seine Gedanken zu erläutern. Er will sagen: die Griechische Knabenliebe kann nicht gemeine Sinnlichkeit gewesen sein, nicht, wie etwa bei den heutigen Türken, blos viehische Päderastie. Die Thatsache, daß man sich, wie jene Lokrer, sogar den Tod gab, wenn man nicht wieder geliebt ward, läßt sich mit bloßen Gelüsten nicht begreiflich machen. Nun wissen wir doch, daß bei den Griechen eigentlich nur der Mann wahrhaft gebildet, das Weib aber als Gattin von der allgemeinen Bildung ausgeschlossen ward, bis es in der an sich unsittlichen Form der Hetäre auch in der Bildung den Männern sich gleich stellte. Wir wissen aus PLATON'S Dialogen und anderen Schriften, daß der Liebende den Geliebten zur höchsten Gleichheit der Bildung mit sich heranzuziehen suchte. Liebhaber, Erast eines Jünglings zu sein, gerade eines recht schönen, talentvollen, wie SOKRATES sich zum ALKIBIADES verhielt, war nicht blos nichts Schimpfliches, vielmehr Ehrenvolles. Erst später änderte sich dies und fing das Weib, wovon in der Pythagorischen Schule die ersten Beispiele sich zeigen, dem Mann auch geistig zu genügen an. So lange ward es verschmähet, auf edle Weise verschmähet, indem es bis dahin mehr nur dem sinnlichen Trieb des Mannes sich hinzugeben hatte. Dies deutete darauf hin, daß ein Gott neu geboren werden sollte. Das Christenthum schuf den Gedanken der von der Gewalt der Sinnlichkeit unbefleckten Mutter, welche den Menschen gebiert, der sich mit Gott Eines weiß. Das Christenthum stellte damit das Weib dem Manne gleich. Es emancipirte das Weib, und vernichtete damit natürlich zugleich die antike Romantik der Knabenliebe. K. Rosenkranz.

DOKUMENTE zu HEGELS JENAER DOZENTENTÄTIGKEIT (1801-1807) Herausgegeben von Heinz Kimmerle (Bonn)

Wichtige Dokumente über das Wirken Hegels als Professor in Berlin sind von J. HOFFMEISTER in den Berliner Schriften 1818—1831 veröffentlicht worden Auch die amtliche Tätigkeit Hegels als Rektor am Gymnasium in Nürnberg ist in den Nürnberger Schriften 1808—1816 ausführlich dokumentiert Mit einer Veröffentlichung Hegel als Professor in Heidelberg. Aus den Akten der philosophischen Fakultät 1816—1818 ® hat F. NICOLIN eine Lücke zu schließen gesucht, die in der Kenntnis dieses biographischen Materials noch offen geblieben war. Über den Anfang der öffentlichen Wirksamkeit Hegels, über seine Jenaer Dozententätigkeit, wissen wir bis heute nur sehr wenig. Die Dokumente darüber sind noch nicht veröffentlicht und bisher fast unbeachtet geblieben. M. WUNDT hat sie in seinem Buch Die Philosophie an der Universität Jena ^ z. T. angegeben und verwertet. Aber seine Darstellung gibt kein genaues Bild des Habilitationsvorganges, der Ernennung zum a. o. Professor, der Vorlesungen usw. In den Schriften zur Geschichte der Universität Jena wird auf diese Einzelheiten — dem größeren zeitlichen Rahmen dieser Arbeiten gemäß — nicht näher eingegangen. ® So hoffen wir, mit der Veröffentlichung und Erläuterung dieser Dokumente einen Beitrag zur Erforschung der Lebensgeschichte Hegels zu geben. ‘ ®

Hegel: Berliner Schriften. Hamburg 1956. 1—55; 579—674. Hegel: Nürnberger Schriften. Leipzig 1938. 297—457.

^ In: Hegel-Studien. 2 (1963), 71—98. * Jena 1932. Über Hegel wird gehandelt 277—292.

® Zur Geschichte der Universität Jena sind bes. zu vergleichen: Johannes Günther: Lebensskizzen der Professoren der Universität Jena seit 1558 bis 1858. Jena 1858. — Ernst Borkowsky: Das alte Jena und seine Universität. Jena 1908. — Karl Bulling (Hrsg.): Geschichte der Universitätsbibliothek Jena 1549—1945. Weimar 1958. (Claves Jenenses. 7.) — Max Steinmetz (mit einem Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität): Geschichte der Universität Jena 1548/58—1958. 2 Bde. Jena 1958—62. — Daselbst sind (Bd 2. 441 f) einige als Manuskript im Universitätsarchiv vorliegende Untersuchungen aufgeführt, darunter die wichtige Arbeit von Friedrich Stier: Lebensskizzen der Dozenten der Universität Jena von 1558—1957.

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Darüber hinaus liefert die Ankündigung der Vorlesungspläne Hegels in den Briefen, die er im Zusammenhang mit seiner Habilitation an die Fakultät gerichtet hat, sowie in den Voilesungsverzeichnissen der Jahre 1801/02 bis 1807/08 wichtiges neues Material für die Entwicklungsgeschichte seines Denkens. Die Akten der Philosophischen Fakultät sind in dieser Hinsicht überhaupt noch nicht herangezogen worden, und die Ankündigungen in den Vorlesungsverzeichnissen wurden bisher nur unvollständig und auch nicht präzise genug veröffentlicht ®. — Um die Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit zureichend zu verstehen, ist es notwendig, im vorhinein die allgemeine Situation der Universität Jena, vor allem der Philosophischen Fakultät in dieser Zeit wenigstens in ihren groben Umrissen zu skizzieren. 1) Die 90er Jahre des ausgehenden 18. Jahrhunderts waren im akademischen Leben der Universität Jena im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß sich so etwas wie ein Reflex auf die Ereignisse der Französischen Revolution beobachten läßt Am entschiedensten hat wohl FICHTE in seiner Wissenschaftslehre die Freiheitsparole, die von diesen Ereignissen aus durch ganz Europa ging, wissenschaftlich zur Geltung gebracht ®. Die Vorlesungen des Staatsrechtslehrers Gottlieb HUFELAND von 1792/93 hatten dieses Geschehen schon vorher ausdrücklich aufgenommen und ihm eine wissenschaftliche Resonanz verschafft ®. Der Historiker K. L. WOLTMANN, durch den Ruf nach Jena zu frühem, glänzendem Ruhm gelangt, schrieb 1794 an seinen Vater: „Es war eine sehr angenehme Empfindung, aus der beklemmenden Luft in Göttingen in den freien Äther versetzt zu werden, welcher die hiesigen Geister umgibt. Der Herzog weiß recht gut, daß eine Universität nicht gedeihen kann, wenn nicht volle Freiheit des Geistes ihr Eigenthum ist, und Jena gedeiht auf das herrlichste." In der Theologischen Fakultät gewann durch diese Strömungen der Geist der Aufklärung gegen hergebrachte Orthodoxie und Autorität der Kirche an Boden Dies ermöglichte wohl auch, daß FICHTE den Artikel des aufgeklärten Religionskritikers F. C. FORBERG Entwicklung des Begriffs der Religion, der zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen führte, in das * Kuno Fisdter; Hegels Leben, Werke und Lehre. 2. Aufl. Heidelberg 1911. Neudr. Darmstadt 1963. Bd 1. 64 (Anm. 2). ’ Vgl. Gesdiichte der Universität Jena 1548158—1958. 231—243. ® Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre. Leipzig 1794. ° S. Gesdiichte .. . 232 f. Königsberger Literatur-Blatt. 3 (1844), 92. “ Gesdiichte ... 231.

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von ihm und F. NIETHAMMER herausgegebene Philosophische Journal aufnahm, wenn er ihn auch durch einen eigenen, gemäßigteren, aber ebenfalls durchaus unorthodoxen Aufsatz Über den Grund unseres Glaubens an eine religiöse Weltregierung ergänzte In der Studentenschaft führten die Zeitereignisse zu zahlreichen Unruhen und Tumulten, die in erster Linie von sog. „Studentenorden" ausgingen und die schon im Jahre 1792 in dem „Auszug" von 500 Studenten aus Jena nach dem Dorf Nohra einen ersten dramatischen Höhepunkt erreicht hatten. Eine kleine, aber sehr bemerkenswerte Gegengründung gegen die Studentenorden, der „Bund der freien Männer", suchte dem neuen freiheitlichen Denken auf angemessenere Weise Geltung zu verschaffen. Dieser Bund stand mit FICHTE und dem Theologen H. E. G. PAULUS in enger Verbindung. Der Verlauf der Französischen Revolution gab aber selbst Anlaß genug, daß gegenüber der Befreiung von den Fesseln der Tradition Vorbehalte wach wurden. So gab es auch an vielen Stellen in Deutschland eine Gegenbewegung, die den Auswirkungen der Ereignisse in Frankreich entgegen zu treten suchte. An der Jenaer Universität hielten sich solche Bestrebungen zunächst in Grenzen. Das hing wohl mit der liberalen Gesinnung des Landesfürsten Herzog CARL AUGUST von Sachsen-Weimar zusammen, aber auch mit dem Geist der Toleranz und der Humanität, den die klassische deutsche Dichtung gerade in Weimar und in Jena durch das Schaffen GOETHES und SCHILLERS wachgerufen hatte. Dennoch wurden HUFELAND und FICHTE bald in Schwierigkeiten verwickelt und des Jakobinertums bezichtigt FICHTES „unbedingtes Wesen" war mit ein Grund dafür, daß der „Atheismusstreit", der sich an den genannten Aufsätzen im Philosophischen Journal entzündet hatte, schließlich zu seiner Entfernung von der Universität führte. 2) Das ausgehende 18. Jahrhundert wurde aber in wissenschaftlicher Hinsicht noch von einer ganz anderen Seite aus bestimmt. Die empirischen Naturwissenschaften erfuhren einen erneuten großen Aufschwung. Es wurden Phänomene entdeckt, die auch einer spekulativen Physik neue anregende Daten lieferten: der Magnetismus, Galvanismus, Siderismus; die Erforschung der Elektrizität machte große Fortschritte. In Jena wirkten damals der bekannte Mediziner Christoph Wilhelm HUFELAND und der junge Physiker und Naturphilosoph Johann Wilhelm RITTER. Philosophisches Journal. Bd 8. Jena und Leipzig 1798. 1—20 und 21—46. 13 Geschichte .. . 313—316. Ebd. 232—235. Ebd. 292 f und 255.

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der 1798 auf GOETHES Anregung hin nach Jena berufen wurde, hatte sich schon in seiner Leipziger Zeit (1796—98) mit Mathematik und Naturwissenschaften befaßt In seinen Jenaer Vorlesungen entwickelte er als Freund und Schüler FICHTES zunächst in erster Linie die „Grundlagen" und das „System" des transzendentalen Idealismus. Aber seine Veröffentlichungen aus diesen Jahren lassen erkennen, daß ihn die Ausarbeitung der Naturphilosophie persönlich am stärksten beschäftigte Die Auseinandersetzung zwischen ihm und FICHTE über das Verhältnis der Naturphilosophie zur Transzendentalphilosophie im engeren Sinne oder Wissenschaftslehre, die sich daraus ergab, ist nicht nur als rein innerphilosophische Problematik zu begreifen, sondern auch im Zusammenhang mit der Bezogenheit auf die Zeitereignisse, die sich von den politischen, zentral menschlichen Fragen verschob auf die Erforschung der natürlichen Welt, des dem menschlichen Handeln vorgegebenen Bereichs der naturhaften Geschehnisse. Vom Weimarer Hof aus, insbesondere von GOETHE wurde diese Wendung sehr begrüßt, nicht nur weil der politische Zündstoff im wissenschaftlichen Leben verringert wurde, sondern auch wegen der Förderung der mehr betrachtenden Naturforschung gegenüber den empirischen Wissenschaften, an der GOETHE lebhaft interessiert war. Zugleich ließen auch die gefürchteten Studententumulte nach. Die Philosophische Fakultät befaßte sich mehrfach mit einer strengeren Auslegung ihrer Statuten, durch die der Lehrbetrieb im ganzen stärker geordnet und die Autorität des Lehrkörpers vergrößert werden sollte 3) Die Blüte des wissenschaftlichen Lebens an der Universität Jena zur Zeit des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts, die sich trotz des Sieges einer mehr orthodoxen theologischen Richtung in ScHELLiNG,

Ebd. 252 f. Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797); Von der Weltseele (1798); Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie nebst Einleitung (1799). 7. G. Fichte: Briefwechsel, Hrsg, von H. Schulz. 2. Aufl. Leipzig 1930. Bd 2. Briefe Nr 456 f, 461 f, 470, 475 f, 480 f, 483 f. (Die Ausgabe Fichtes und Schellings philosophischer Briefwechsel, 1856, ist nicht zuverlässig, da hier einige Briefe vertauscht, unvollständig abgedruckt bzw. aus verschiedenen Briefen zusammengesetzt sind.) Daß für Schelling die Transzendentalphilosophie als die eigentliche Philosophie der Freiheit durch die stärkere Hinwendung zur Naturphilosophie nicht verdrängt, sondern ergänzt, in ihren Prinzipien erweitert werden sollte, braucht hier nicht ausdrücklich betont zu werden. S. Protocollum Facultatis Philosophicae, inchoatum d. 1. Martii 1795. Universitätsarchiv Jena. Bestand M Nr 740a. 52, 68, 77; Modell-Buch der philosophischen Facultaet 1785—1926, Universitätsarchiv Jena. Bestand M Nr 746a. 83—85.

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Verbindung mit den konservativen politischen Kräften weiterhin beobachten läßt, hing neben den naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Forschungen wesentlich auch mit den literarischen Diskussionen zusammen, die sich zunächst in der von SCHILLER herausgegebenen Zeitschrift Die Horen (1795—97) dokumentierten. Gegen Ende der 90er Jahre waren vor allem die Brüder SCHLEGEL tonangebend, die eine Zeitlang an den Horen und an der von Chr. G. SCHüTZ herausgegebenen Allgemeinen Literatur-Zeitung mitgearbeitet hatten, die aber dann durch die Gründung einer eigenen Zeitschrift, des Athenäum (1798—1800), gegen die letztere entschieden Stellung nahmen. Die heftige Polemik, in die diese Diskussionen z. T. ausarteten, spiegelt sich in Schriften wie: Species facti nebst Actenstücken zum Beweise daß Hr. Rath August Wilh. Schlegel der Zeit in Berlin mit seiner Rüge, worinnen er der Allgem. Lit. Zeitung eine begangne Ehrenschändung fälschlich aufbürdet, niemanden als sich selbst beschimpft habe. Von C. G. SCHüTZ. Nebst einem Anhänge über das Benehmen des Schellingischen Obscurantismus (1803). Die Auseinandersetzung zwischen SCHELLING und FICHTE über die wahren Prinzipien der Transzendentalphilosophie, das gesteigerte Interesse an der Naturphilosophie und der „literarische Saus von Jena" waren die Hauptmomente, die für Hegel die allgemeine Situation bestimmten, als er im Januar 1801 dort eintraf, um sich als Privatdozent niederzulassen Mit der strengeren Ordnung der Fakultätsverhältnisse sollte er bald in eine gewisse, mehr äußerliche Kollision geraten. Wichtiger war, daß er als ein Freund und Bundesgenosse SCHELLINGS an dem regen wissenschaftlichen Leben dieser Jahre Anteil nahm. 4) Der Beginn des neuen Jahrhunderts enthielt jedoch in Wahrheit für die Universität schon den Keim des Niedergangs in sich. In Preußen wurde den Wissenschaftlern mehr geboten als in Sachsen. Bayern schickte sich an, sein Universitäts- und Unterrichtswesen zu reorganisieren. Und in Baden wurden die Voraussetzungen für eine neue Einrichtung der Universität Heidelberg geschaffen. So wurden viele bedeutende Gelehrte von Jena wegberufen. „Bereits in den Jahren 1803/04 verließen die Professoren PAULUS, NIETHAMMER und der Jurist HUFELAND die alma mater Jenensis. LODER und SCHüTZ fanden einen neuen Wirkungskreis in Halle. Der Mediziner HUFELAND hatte bereits vorher Jena mit Berlin vertauscht. Selbst jüngere Gelehrte wie die Juristen THIBAUT und FEUERBACH folgten bald Geschichte . . . 236, 254 f, 275. Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1952—60. Bd 1. 58—60.

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auswärtigen Berufungen." Für Hegel war von besonderer Bedeutung, daß auch SCHELLING 1803 von Jena wegging und einem Ruf nach Würzburg folgte. Die Situation im Herbst 1805 schilderte aus studentischer Perspektive Ch. F. LANGE, der auch bei Hegel Vorlesungen gehört hat, in einem Brief an den Dozenten KRAUSE: „Jenas Lage ist jetzt so traurig, dass ich fürchten muss, jedes Collegium, das ich diesen Winter hören möchte, komme nicht zu Stand — die Ausländer verschwinden, die Zahl wird auf 200 Inländer zurück kommen. — Etwa 26 gehen mit THIBAUT nach Heidelberg, wohin vor einigen Tagen auch D. KäSTNER, der heute vor einem Jahr noch Student war, als Prof, extraord. der Chemie berufen worden." Und im Frühjahr 1806 teilte Caroline SCHELLING ihrem Mann einen Bericht über die Verhältnisse in Jena mit, den sie von J. D. GRIES erhalten hatte, der in den ersten Jahren nach 1800 ein Mittelpunkt gelehrten und geselligen Lebens in Jena gewesen war und die bedeutendsten Männer der Zeit um sich zu versammeln wußte. Er sagte jetzt, „es wäre platterdings in Jena nicht mehr auszuhalten, alles wäre da todt und traurig . . . SCHELVER lebte mit seiner Frau auf Einem Zimmer und mit sonst niemand. Hegel brächte sich durch, man könnte nicht sagen wie." GOETHE war indessen sehr bemüht, den Niedergang der Universität aufzuhalten. Er nahm regen Anteil an der Gründung der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, nachdem SCHüTZ die Allgemeine LiteraturZeitung 1804 mit nach Halle, an den Ort seiner neuen akademischen Wirksamkeit, genommen hatte. Die Arbeit in den naturwissenschaftlichen Gesellschaften wurde von ihm sehr unterstützt Er setzte sich auch nachdrücklich für die Beförderung Hegels zum a.o. Professor und für die Bewilligung eines Jahrgehalts ein. Er fand aber nicht genügend tatkräftige Unterstützung beim Herzog, welcher wohl auch nicht über ausreichende Mittel verfügte, um den Wissenschaftlern der neuen Situation entsprechend gute Angebote machen zu können. Dies bekam auch Hegel unmittelbar zu spüren, so daß er sich dringend um einen Ruf an eine andere Universität bemühte, allerdings ohne Erfolg. Das UnerträglichGesdiichte ... 318. Der Briefwechsel K. Chr. Fr. Krauses zur Würdigung seines Lebens und Wirkens. Hrsg, von P. Hohlfeld und A. Wünsche. Bd 1. Leipzig 1903. 139. Vgl. auch Hegels Brief an Gries vom 7. 9. 1804: Briefe. Bd 1. 82—84. Caroline. Briefe aus der Frühromantik. Hrsg, von E. Schmidt. Leipzig 1913. Bd 2. 455.

Geschichte ... 238—240; auch zum folgenden. Vgl. H. Döbling: Die Chemie in Jena zur Goethezeit. Jena 1928. 41—51. Zu den Bemühungen Hegels um einen Ruf an eine andere Universität vgl. seinen

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werden seiner wirtschaftlichen Lage, das ihn zwang, die Universität zu verlassen und in Bamberg als Redakteur der politischen Zeitung sein Brot zu verdienen, traf zusammen mit dem Tiefpunkt im Leben der Universität, der mit der Verwüstung Jenas durch die Schlacht von 1806 gegeben war.

Die folgenden Dokumente entstammen neben dem Jenaer Universitätsarchiv und der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Jena den verschiedensten Archiven und Bibliotheken. Eine Aufzählung erübrigt sich hier, da der Aufbewahrungsort der Dokumente jeweils genau angegeben wird. An der Beschaffung des Materials für die historischen Nachweise waren wiederum zahlreiche Archive, Bibliotheken, Amtsverwaltungen und Kirchenkreisverwaltungen beteiligt. All diesen Stellen und den dort beschäftigten Menschen sei hiermit der aufrichtige Dank des Herausgebers abgestattet. Die Wiedergabe der Dokumente fogt in Rechtschreibung und Zeichensetzung den Originalen. Textvarianten werden im allgemeinen nicht mitgeteilt. Überstrichene Buchstaben geben wir doppelt wieder. Abkürzungen sind in der Regel aufgelöst, wenn es sich nicht um heute noch geläufige, unmittelbar verständliche Kurzformen handelt, wie „u.", „betr." oder „Prof."; beibehalten werden auch „Ew." für Euer und „p." für per ge = und so weiter. Das allgemeine Abkürzungszeichen, einem bis zur Unterlänge durchgezogenem 1 nicht unähnlich, wird durch den heute üblichen Punkt ersetzt, sofern die Abkürzung nicht aufgelöst ist. Als eine Art Kürzel sind in den Manuskripten häufig verwendet: ein rundes s mit Strich durch die Oberlänge für aus und der griechische Buchstabe x für Christ, z. B. xstn. für Christian. Hinzufügungen des Herausgebers zum Text stehen in eckigen Klammern. Wenn die Lesung eines Wortes unsicher blieb, ist kursiv in Klammern ein Fragezeichen hinzugesetzt. Unterstrichene und lateinisch geschriebene Worte werden kursiv wiedergegeben. Eine Ausnahme bilden Hegels lateinische Vorlesungsankündigungen, bei denen der Kursivdruck nur die Hervorhebung anzeigt (s. u. 53—56). In den Anmerkungen wird zu den vorkommenden Namen nichts nachgewiesen. Unter C wird in einem „Personenverzeichnis" das Nötige zusammengestellt. Dies erschien angebracht, weil viele Namen häufig in verschiedenen Zusammenhängen Vorkommen, so daß die Zusammenstellung einen eigenen erläuternden Charakter erhält.

Briefwechsel mit Kästner, Lange, Voß und Schelver, die sich in der Zeit von 1805 bis 1807 um seine Berufung nach Heidelberg bemühten (Briefe. Bd 1. 95—105, 127 f, 139 f). Bereits im Mai 1803 hatte er sich für die Stelle des Prorektors am Gymnasium in Frankfurt interessiert (s. Hufnagels Brief an Hegel vom 4. 5. 1803: Briefe. Bd 1. 68 f), und Schelling hat sich 1807 in München auf Hegels Bitte hin für eine Vermittlung nach Bayern eingesetzt (ebd. 131 f und 133 f).

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A. DOKUMENTE

1. Kabilitationsvorgang Der Vorgang der Habilitation gliederte sich für Hegel in zwei Stufen: 1) die Nostrifikation, 2) die Disputation zur Erlangung der venia legendi, Nostrifikation bedeutete allgemein, daß ein akademischer Grad, der an einer anderen Universität erworben wurde, von der Fakultät, an der die weitere akademische Laufbahn eingeschlagen werden sollte, anerkannt wurde.

Hegel an die Fakultät ^ [Fremde Hand: praesentatum den 13 August 1801.] Amplissimi Philosophorum Ordinis Venerande Senior, ceterique Assessores gravissimi! ^ Cum in illustri hac Academia, philosophiae theoreticae et practicae praelectiones habere in animo mihi sit, vos adeo, Viri amplissimi, ut ab illa, quae vobis est tum potestas, tum benignitas, eam, quae in hunc finem requiritur, facultatem, et quum olim ad philosophiae magistri gradum promotus sim, nunc, quae vocari solet, nostrificationem impetrem. ® Amplissimi Viri, Valete. Jenae Ge. Wilh. Frid. Hegel den Vlll. August 1801 Philos. Doctor. Ad amplissimum Philosophorum Ordinem Academiae Jenensis ‘ Dieses und die folgenden Dokumente entstammen den Dekanatsakten der Philosophischen Fakultät der Universität Jena. Bd 1801/02. Universitätsarchiv Jena. Bestand M Nr 215. — Es entsprach den Statuten der Fakultät, daß sich die Kandidaten in lateinischen Bittschreiben an die Fakultät zu wenden hatten (Modell-Buch. 54 f, 60). ^ Das älteste Fakultätsmitglied hieß Senior; alle übrigen führten den Titel Assessor, ® Hegel bat darum, aufgrund seines in Tübingen erworbenen Magistertitels von der Jenaer Philosophischen Fakultät denjenigen gleichgestellt zu werden, die dort einen entsprechenden Titel erworben haben. Diese wurden zu Hegels Zeit in der Regel als Doctores, gelegentlich auch („vulgo") als Magistri bezeichnet. Daß in den damals gültigen Statuten ebenfalls von Magistri die Rede ist, liegt daran, daß diese Statuten bereits 1759 formuliert wurden. Von der Hand des Philosophen Hennings (o. Prof, seit 1765) findet sich die Eintragung, daß die Fakultät „nicht mehr Magistros sondern Doctores creirt" (Modell-Buch 49). Wer promotus war, also den Doktor- bzw. Magistertitel erhalten hatte, konnte sich um die Erlaubnis bewerben, Vorlesimgen halten zu dürfen.

Jenaer Dokumente — Al. Habilitationsvorgang

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Mission ^ des Dekans und Voten der Fakidtätsmitglieder Zur philosophischen Facultät Hochverordnete Herren Senior und Assessoren So eben erhalte ich beyliegendes Schreiben vom Herrn D. Hegel aus Stuttgardt, worinn er um Nostrification bittet, da er Vorlesungen über theoretische und praktische Philosophie zu halten gesormen sey. Er scheint mir ein in mehreren Rücksichten guter und solider Mann zu seyn. Auf den Fall, daß ihm deferirt würde, wäre ihm wohl anzukündigen 1. daß er 4 Louis d'or oder deren Werth in 22 r. 20g. Courant; 2) 2 Species Thaler pro censura und praesentia zu erlegen ® 3) Eine Habilitationsdisputation, oder eine Probevorlesung noch vor dem Abdruk des Catalogi zu halten hätte; im letztem Falle aber doch noch vor Abdruk des zu Ostern herauskommenden Lectionscatalogs eine Disputation halten müsse ®. Was nun meine hochzuverehrenden Herren sonst noch hiebey zu beschließen geruhen, bitte ich mir gewogentlichst zu erkennen zu geben; der ich indessen mit größter Verehrung beharre Meiner hochzuverehrenden Herren und Collegen Jena den 13ten August 1801. gehorsamster Diener l.H. Voigt derzeit Decan Spectabilis et Illustris Domine Decane, Bald werden wir so viele Docenten, als Discenten haben und die Herren Schwaben, scheinen mir emigriren, und diese Academie im 3ten Jahrhundert ihrer Existenz, neu einrichten zu wollen ®. Ich keime diesen Ehren-Mann nicht, bin seiner nostrification nicht entgegen, wohl aber alsdenn, wenn maiora seine reception verbitten. Suckow

^ „Mission" hieß ein Rundschreiben an die Fakultätsmitglieder, in dem sie um ihre Voten zu einer an den Dekan herangetragenen Frage gebeten wurden. ® Die Punkte 1 und 2 entsprechen den in den „Statuten" festgelegten Gepflogenheiten; 1 Louis d'or galt damals 5 r. 17 g.; r. steht für Reichstaler, g. für Groschen; 1 Species-ThcJer (eine Rechnungsmünze, die aber auch als Zahlungsmittel verwendet wurde) galt 1 r. 10 g. “ Daß hier eine Habilitationsdisputation oder eine Probevorlesung verlangt wird, hat wohl mit dem Zeitpunkt der Eingabe Hegels zu tun. Ende August wurde das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester in Druck gegeben. Beide Vorgänge waren an sich vorgeschrieben, ließen sich aber nidrt mehr termingerecht abwickeln. Der Dekan neigte offenbar dazu, auf den Hauptpvmkt, die öffentliche Disputation

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Herr D. Hegel wird unter den Bedingungen, die Ew. Spectabilität vorgeschlagen haben, nostrificirt. Er muß jedoch durch sein Diplom sich legitimiren, daß er bereits Promotus sey. Hennings In der Voraussetzung, daß des Herrn Hofraths Ulrichs Wohlgebohren nichts einzuwenden haben *, kann dem Herrn Hegel, den ich nicht kenne, angedeutet werden: 1) daß er sein Magister-Diplom zu produciren habe; 2) daß er 4. Louis d'or für die Nostrification erlegen müsse; 3) daß er, ehe er licentiam legendi erhalten und in den LectionsCatalog aufgenommen werden könne, öffentlich und statutenmäßig disputiren und 2. SpeciesThaler erlegen müsse. Auf der Disputation vor Ertheilung des Rechts zu Vorlesungen bestehe ich schlechterdings, da wir es vor 6. Tagen einmüthig festgesetzt haben Ob er auch, vor der Disputation eine Probe-Vorlesung zu halten habe, will ich der Beurtheilung der andern Herren Collegen überlassen; ich sollte meynen, daß auch dieß nöthig wäre. Heinrich. Wie Ew. Spectabilität vorgeschlagen haben Schütz Ich habe nichts gegen die Nostrification des Herrn D. Hegels, den ich aus einer seiner Schriften, davon ich die Censur geholt habe, als einen scharfsinnigen Philosophen habe keimen lernen Nur muß er, wenn er in den LectionsCatalog imd anschlagen will, vorher disputiren. Ulrich über eine selbstverfaßte wissenschaftliche Schrift (s. Modell-Buch. 54 und 62), zunächst zu verzichten, diese aber vor dem Druck des nächsten Vorlesungsverzeichnisses für den Sommer 1802 nachzuholen. ’’ Im Wintersemester 1801/02 lasen neben Hegel 7 Privatdozenten in der Philosophischen Fakultät. Von den rund 800 Studierenden gehörten um diese Zeit nur 1—4 v. H. zur Philosophischen Fakultät. Das hing aber damit zusammen, daß „fast durchgängig die Studierenden der philosophischen Fächer bei den Theologen immatrikuliert waren" {Cesdiichte ... 310). ® Schwabe war der Theologe Niethammer, der von 1792—98 in der Philosophischen

Fakultät gelesen hatte; ferner zur fraglichen Zeit; Schelling als a.o. Prof, der Philos. und Breyer als Priv.doz. der Geschidite. ® Das Votum von Ulrich, der den Lehrstuhl für Moral und Politik innehatte, war bei einer Habilitation für Philosophie neben dem von Hennings, der den Lehrstuhl für Logik und Metaphysik vertrat, von besonderer Bedeutung. Im Unterschied zu dem Vorschlag des Dekans bestand Heinrich darauf, daß sich Hegel zur Erlangung der venia legendi, die mit der Aufnahme in das Vorlesungsverzeichnis praktisch erteilt war, der vorgesehenen öffentlichen Disputation unterziehen müsse. Zu der Diskussion über die „Statuten" im Kreis der Fakultät s. Protocollum Facultatis. 68.

Jenaer Dokumente — Al. Habilitationsvorgang

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Er muß 1) sein Diplom produciren 2) 4 Louis d'or erlegen, 3) pro venia legendi erst disputiren; auf diesem letzten Punkte bestehe ich eben so fest, wie dero HochWohlgebohren Hofrath Heinrich. Ilgen.

Hegel an den Dekan [Fremde Hand: praesentatum den 15 August 1801] Wohlgebohmer Herr Hofrath! Ich habe die Ehre, Ihnen hiemit mein Diplom das Sie verlangten, zu schikken. Was eine Erklärung über die Sicherheit meiner künfftigen aüssern Subsistenz betrifft, so ist leicht zu erkennen, daß wenn die philosophische Fakultät einerseits, die Talente und die von ihnen abhängende Möglichkeit der Subsistenz, nicht in Rechnung, als Vermögen, nimmt, sie andererseits auch keine solche Sicherheit versteht, die auf einem von Arbeit unabhängigen, ganz hinreichenden Einkommen beruhte, sondern Sicherheit gegen eigentliche Noth, gegen welche mich theils ein aus einigen tausenden Gulden bestehendes Vermögen, theils die Verhältnisse meines Standes in Wirtemberg schützen. In Rüksicht auf die Federung, daß eine Disputation der Ertheilung der Erlaubniß zu lesen vorhergehen soll — wovon Sie mir heute die Eröffnung machten, so können Sie selbst urtheilen, daß in den zwölf bis vierzehn Tagen innerhalb welcher die Anzeigen für den Katalog der Praelektionen eingegeben werden müssen, eine Disputation nicht geschrieben, gedrukt, ausgegeben und vertheidigt werden kan; aber ich zweifle nicht, daß, wenn ich den größten Theil oder die ganze Dissertation vor diesem Termin eingebe. Sie und die philosophische Fakultät befriedigt seyn werden; indem, so wenig ich die Nostrifikation ohne die Erlaubniß zu lesen, und die Ankündigung hievon suchen würde, ich ebensowenig, durch Verspätung des Druks und der Verteidigung der Dissertation, welche alsdenn im Lauffe des nächsten Monats geschehen

u Ulrich meinte Hegels Schrift Differenz des Fichte'sdien und Schelling'sehen Systems der Philosophie, die im Erscheinen begriffen war; das Vorwort ist unterzeichnet mit „Im Juli 1801". Offenbar hatte Ulrich für die Erteilung der amtlichen Druckerlaubnis als Gutachter fungiert. Aufgrund seines theologischen Examens in Stuttgart (1793) war Hegel — vorbehaltlich der Ableistung der üblichen Vikariatszeit — in Württemberg Anwärter auf eine Pfarrs teile.

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könnte, etwas erreichen würde, da ja die philosophische Fakultät eine Suspension der Erlaubniß in Händen hat. Wenn Sie, hochzuverehrender Herr Hofrath, diese Vorstellung natürlich finden, so ersuche ich Sie, sie bey der philosophischen Fakultät zu unterstützen, und habe die Ehre zu seyn Ihr Jena den 16 August 1801 gehorsamer Diener D. Hegel

Mission des Dekans und Voten der Fakultätsmifglieder Zur philosophischen Facultät Hochverordnete Herren Senior und Assessoren 1. Nachdem ich Herrn D. Hegel das letztere Conclusum bekannt gemacht, sandte er mir beyliegendes Diploma und Billet. In letzterem giebt er in Absicht seiner Subsistenz zu erkeimen, daß er ein eignes Vermögen von etlichen 1000 Gulden besitze und in den bekannten Verhältnissen mit seinem Vaterland stehe, die ihm nicht vorstellen immer hier zu bleiben, wenn er dieses auch wollte. Seine Disputation will er noch vor Abdruk des Catalogi im Manuscript ganz, oder größtentheils einreichen und sie im Lauf des nächsten Monats wirklich vertheidigen, oder sich gefallen lassen, daß im Unterbleibungsfall die gegebene venia legendi sogleich wieder suspendirt werde. Unter diesen Umständen sollte ich meynen, daß ihm nach erlangter Nostrification die Erlaubniß sich im Catalogo mit seinen Vorlesungen anzukündigen nachzulassen, ihm aber noch vorher die bisher in solchem Falle gewöhnliche Probevorlesung zur Pflicht zu machen sey. 2. An eben dem Tage suchte Herr D. Pansner im beyliegenden Schreiben ebenfalls um die venia legendi nach . .. 3. hat mm auch der Herr D. Schwabe seine Dissertation zur Censur eingereicht, ... Ich erbitte mir nun über diese Gegenstände Ihre weisen Vota, besonders darüber, ob ich auf einem schriftlichen Revers bestehen soll, daß die Herren niemals der Akademie oder der Facultät durch Pensionsgesuche zur Last fallen wollen. Sie scheinen ziemlich sauer dazu zu sehen, wenn es also nicht un“b Daß nicht dieses Datum, sondern das im Eingangsvermerk am Kopf des Briefes richtig ist, geht aus dem Protocollum Vacultatis (unten 42) hervor. — d. i. der in der Mission vom 13. August gefaßte Beschluß — vgl. Protocollum Pacultatis, unten 42.

Jenaer Dokumente — Al. Habilitationsvorgang

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umgänglich nöthig wäre, so wünschte ich wohl ciaß ich nicht darauf bestehen müßte. Mit größter Verehrung indessen beharrend Meiner Hochzuverehrenden Herren und Collegen Jena den 17 August 1801 gehorsamster Diener LH. Voigt der philosophischen Facultät derzeitiger Decan Spectabilis et lllustris Domine Decane Gegen allen 3 Candidaten weiß ich nichts einzuwenden. Daß Herr D. Pansner nicht hier bleiben, folglich dereinst der Academie nicht zur Last fallen werde — kann ich bei nahe mit Gewißheit behaubten. Herr D. Schwabe dürfte bald eine Pfarre bekommen. Der Tübingische Herr Magister wäre also noch der Einzige der seiner Unterhaltung wegen Anzeige leisten müßte. Indessen scheint mir das was er sagt, nicht ungegründet zu seyn. Allenfalls muß Er sich verbindlich (?) machen dereinst keine praetensionen an die Academie machen zu wollen. Endlich wünschte ich künftig auch die Vota meiner Hochzuverehrenden Herren Collegen zu wissen, und ersuche Ew. Spectabilität jedesmahl die HaubtMission aufs neue beizulegen. Suckow. Ich bin in allem Ew. Spectabilität Meinung; blos darirm nicht, daß die Probevorlestmg ein blos subsidiarisches Requisit habe seyn sollen, im Fall der neue Doctor Philos. der sich zum Lesen habilitiren wolle, nicht gleich disputiren könnte. Vielmehr ist diese Probevorlesung nach meiner Meinung eine Incumbanz, die wir um desto eher alle unwürdige Privatdocenten zu entfernen, noch extra disputationem haben [—] muß seyn (?) wie die Statutes, die eventualiter noch Serenissimis zur Confirmation vorzulegen wären, haben inseriren wollen. Ich wünschte sogar, daß noch näher bestimmt würde, wie diese Probevorlesungen zu halten wären, nemlich nicht als apodictische Vorlesungen, sondern als Probe eines wirklich unterrichtenden und discursiven Lehrvortrags Schütz

Die Bestimmungen über die Offenlegung der Vermögensverhältnisse und die erwähnte Erklärung wurden im Oktober 1799 von der Fakultät im Rahmen mehrerer „Einschränkungen gegen diejenigen, welche lesen wollen, in einem Consess beschlossen". Modell-Buch. 54 Rdb, s. Protocollum Facultatis. 52. ** Damit sind die Serenissimi Nutritores, die „Durchlauchtigsten Erhalter" der Universität gemeint: die Herzoge von Sachsen-Weimar, -Gotha, -Saalfeld-Coburg und -Meiningen.

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Ich finde bey allen 3 Promotis gar kein Bedenken. Der Würtemberger wird sicher in kurzer Zeit in patria befördert, auch Herr D. Schwabe, der Candidatus ministerii ist, und sehr schön predigt, wie ich selbst gehört habe, hat ebensowohl -1- TT. aib nerr

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3 Herren zu deferiren. Will man Probevorlesungen verlangen, so habe nichts dagegen, ob ich schon glaube, es könnte bey diesen 3 Herren unterbleiben. Hennings 1) Herr M. Hegel muß, dem letztgemachten Statut zu Folge, erst wirklich und statutenmäßig disputirt haben, wenn er in den LectionsCatalog aufgenommen werden will. Ich sehe gar nidit ein, warum gerade bey diesem Subject das Statut wieder durchlöchert werden soll. Und da Herr Hofrath Schütz auch auf der Probe-Vorlesung besteht, so muß sich Herr Hegel, wenn er wirklich anschlagen will, auch dieser Einrichtung unterwerfen. 2) Herr M. Pansner wird und kann in 14 Tagen disputiren, und wird also auch in den LectionsCatalog kommen, muß aber wenn und ehe er lesen will, auch eine Probe-Vorlesung halten. 3) Herr M. Schwabe will ebenfalls, in diesem Monat noch, disputiren. Wenn er, wie ich nicht zweifle, Wort hält, so werden seine Lectionen im neuen Catalog angezeigt. Die Probe-Vorlesung hat er gehalten, und sehr gut gehalten. Die Vermögensumstände betreffend, scheint sich No. 1. legitimirt zu haben. Bey No. 2. und 3. ist, da sie gewiß nicht hier bleiben, keine weitere Legitimation nöthig. Heinrich quoad 1. Eher erlaube man, Herrn D. Hegel, wie Herrn D. Schlegel, über Theses zu disputiren als das Conclusum Facultatis zu durchlöchern. Auch die Probevorlesung muß er halten. Wegen seiner Subsistenz ist kein Zweifel. quoad 2. et 3. Herr Pansner muß auch Probevorlesung halten.. Disputiren beyde in der gesezten Zeit, so können sie in den Catalog. Wegen ihrer Subsistenz können wir auch sicher seyn. Ulrich Modell-Buch. 62: „Kein Magister darf eher lesen, als bis er sich durch eine Disputation habilitirt hat. Diese ist also vor dem Anschläge seiner Vorlesungen zu halten, oder, wenn unvermeidliche Hindernisse dieses ihm nicht zugelassen, so muß er nach vorher erhaltener Dispensation, um die er bei der Fakultät nachzusuchen hat, zum wenigsten mit der Sdiedula lectionum den Titel zur Disputation zugleich anschlagen, und solche zum wenigsten binnen 8 oder 14 Tagen darnach öffentlich halten." F. Schlegel hatte unter dem Dekanat von Ulrich im März 1801 über Theses disputiert, die so etwas wie eine Sdiedula lectionum enthielten, mit der statutengemäßen Auflage, den Titel der noch unter demselben Dekanat zu fertigenden schriftlichen Disputation

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Wenn wir bey dem Herrn D. Hegel nachgeben wollten, so würde man bald seinem Beyspiele folgen, und sich vor Thorschluß des Lektionskatalog melden. Für den Dekan ist alsdenn das Erinnern ein odiöses Geschafft. Ich gebe hiermit mein Wort auf das feyerlichste, daß ich in meinem Dekanate nicht einen einzigen erinnere. Sonst wie vorher. Ilgen.

Eintragung im Matrikelbuch Decano et Brabeuta Jo. Henr. Voigt Gradum doctoris philosophiae obtinerunt 1. 2. 3. 4.

Car. Adelbertus Herder Vimariens. d. IV Sept. 1801 Car. Christianus Frid. Krause Altenburg. d. VI. Oct. — Jo. Jul. Frid. Grützmann Francohns. Schioarzb. d. 28. Oct. — Christianus Frid. Graumüller Denheritz. Schoenburg. d. IV. Dec. — In Magistrum Nostratem cooptavimus Ge. Guil. Frider. Hegel Stuttgardiens. d. 20 Aug.

Mission des Dekans und Voten der Fakultätsmitglieder Zur philosophischen Facultät Hochverordnete Herren Senior und Assessoren. Herr D. Hegel wird nun nächsten Donnerstag über Theses disputiren, die Dissertation selbst, wozu der Titel jetzt mit ausgegeben wird, noch vor Anfang der Vorlesungen liefern und auch eine Probevorlesung halten. Die Gelder hat er gleichfalls erlegt, wegen seiner Nostrification bedarf es keines besondern Antrags, sondern es ist genug, daß er als noster in die Matricul eingetragen wird? Die Herren Doctoren Schwabe und Pansner werden ihre Dissertationen heuteund morgen über 8 Tage vertheidigen. Da aber die Lectionszettel noch vor den Disputationstagen in die Drukerey müssen gegeben werden, so wird es ja wohl unter den gegenwärtigen Umständen kein Bedenken haben, wenn ich das consentio darunter setze? auf den schlimmsten Fall d. i. werm je die Disputationen zu Ende künftiger Woche nicht wirklich gehalten wären —, was aber im allergeringsten nicht zu vermuthen steht, — könnte man ja immer noch die Leczugleich mit den Thesen drucken und anschlagen zu lassen. Vgl. Decanaisacten. Februar bis August 1801. Universitätsarchiv Jena. Bestand M Nr 214. 13. Matricul der Philosophischen Fakultät. Universitätsardiiv Jena. Fach 172, Nr 2547a. 94. — Laut Eintragung erfolgte die Nostrifikation am 20. 8. 1801.

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tionen vor dem eigentlichen Abdruke des Catalogi der mit Ende dieses Monats geschieht, herausthun. rXaf rt-orrQr(AArät*fifTOn AAL A AA/LLLAALL ALAA £,L-^V.A L . . «A LAJ, A-A L

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Nostrificationsgelder vom Herrn D. Hegel als Courantwerth von 4 Louis d'or ä 5r. 17g. pro censura und pro praesentia decani als Courantwerth von 2 Species Thalern, gleichfalls vom D. Hegel pro censura et pro praesentia decani vom Herrn D. Pansner (Herr D. Schwabe hat die seinigen unter Herrn Hofr. Heinrichs Decanat gezahlt und die selbigen auch hie vertheilt) Vorrath von voriger Rechnung geht ab als praecipuum decani, also bleibt zu vertheüen

wovon V? beträgt 3r. 22g. 6d.

welches Herr Linz jedem meiner Hochzuverehrenden Herren zustellen wird und worüber ich mir gewogentlich Quittung erbitte. Uebrigens beharre ich mit größter Verehrung Meiner Hochzuverehrenden Herren und Collegen Jena den 21ten August 1801.

gehorsamster Diener LH. Voigt derzeit decanus NS 1) Befehlen meine Hochzuverehrenden Herren daß ich nach geendigten Disputationen einen Consess halte, worinn den Doctoren die venia legendi ertheilt wird, so schlage ich hiezu Sonnabend über 8 Tage um 2 h. vor. Oder soll ich den Herren die veniam legendi privatim ertheilen? NS 2) Da fast gar keine Opponenten zu bekommen sind, so wird es wohl nichts auf sich haben, wenn auch studiosi mit dazu genommen werden?

Aus diesen Angaben über die Zahlungen Hegels geht hervor, daß die Schilderung Heinrich Laubes, soweit sie diesen Punkt betrifft, historisch nicht richtig ist, obgleich sie im übrigen einen interessanten Eindruck davon vermittelt, wie die Vorgänge um die Habilitation Hegels auf die nicht unmittelbar Beteiligten gewirkt haben: „Seine Habilitation bezahlte er [Hegel] komisch genug mit schlechten Louisdor, die ihm Fichte gegeben hatte, die Philosophie war immer bei schlechtem Gelde, aber keck genug, die Fakultät noch spottender Weise herauszufordern.'' {Laube: Moderne Charakteristiken. Bd 1. Mannheim 1835. 380.) d. steht für Pfennig (denarius).

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Spectabilis Domine Decanel 1) quittire gehorsamst und dankbarlich über den Empfang der 3 r. 22 g. 6 d. 2) Das Consentio können Ew. Spectabilitaet vorlaüfig auf die Lectionszeitel, Avelche im Catalog eingerückt werden sollen, setzen. 3) Wenn keine Promoti zu Opponenten zu erhalten sind, so werden Studiosi zugelassen. 4) Sobald die Disputationes pro venia legendi gehalten sind, kündigen Ew. Spectabilität blos mündlich den Promotis an, daß sie lesen können, ein Consess wird deswegen nicht gehalten, ist auch sonst niemahls gehalten worden. Hennings. In allem wie vorher, ungeachtet ich sehr gewünscht hätte, daß die nachgelassene Schedul-Disputation oder über Theses nicht in Vorschlag gekommen seyn möchte; bald werden sich andere darauf berufen. Wegen der Opponenten ersuche ich Ew. Spectabilität, sich keine Mühe verdrießen zu lassen, wenigstens Einen Professor extraordinarius oder Privat-Docenten ausfindig zu machen. Vielleicht lehnen es selbst des Herrn Hofraths Ulrichs Wohlgebohren nicht ab. Heinrich. In allem wie vorstehendes Votum Suckow Wie des Herrn Hofraths Hennings Wohlgebohren. Herrn D. Schwabe und Herrn Pansner habe ich die Opposition zugesagt. Den Vorschlag, daß Herr D. Hegel über Theses disputire, würde ich rücht gethan haben, wenn es hier nicht in frangendo gewesen wäre. Künftig aber sage man es jedem der promoviren will vorauf, daß er nicht ohne lesen könne, daß er 1 ordentliche Disputation geliefert habe. Ulrich. In allem wie der Herr Hofrath Ulrich. Nur bestehe ich darauf, daß das Versprechen gehalten wird, und die Disputation gleich hintennach komt. Wo die Disputation nicht geliefert ist, wenn an das Schwarze Bret soll angeschlagen werden, so darf Herr D. Hegel nicht anschlagen, und nicht lesen. Ilgen. Schütz Hegel an den Dekan Wohlgebohrner Herr! Ich wollte mir gestern Abend die Freyheit nehmen. Ihnen meine Aufwartimg zu machen, um bei Überbringung der Thesen, Ihnen anzu-

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zeigen, daß es in Ansehung meines Herrn Respondenten, und der Herren Opponenten ganz so geblieben ist, wie ich die Ehre hatte, sie Ihnen zu nennen. Ich überschikke hiemit zugleich meinen Prälektionszettel, und habe darauf gleich die Ordnung bemerkt, wie ich höre, daß es den Statuten der Fakultät gemäß, ist, nach der Ordnung der öffentlichen Disputation gesetzt zu werden und morgen werde ich die Ehre haben. Euer Wohlgebohren, zu der Zeit, die Sie mir bestimmt haben, zu diesem Akte abzuholen. Ich habe die Ehre zu seyn. Euer Wohlgebohren 26 August gehorsamer Diener D. Hegel An Seiner Wohlgebohren Herrn Hofrath Voigt bei Hause

Votum des Seniors der Fakultät Spectabilis Domine Decanel Daß Herr D. Hegel sich im Catalog über Herrn D. Schwabe und Pannsner setzen will, ist wider die Ordnung und Rechte. Die Gründe sind 1) Weil D. Schwabe und Pannsner ihre Disputationes vor Herrn D. Hegel eingereicht haben, und NB 2) die ganzen Disputationen, nicht aber Theses. 3) Sind D. Schwabe und Pannsner bereit gewesen, jeden Tag dieser Woche zu disputiren, hätten also Ew. Spectabilitaet ihnen den heutigen Tag zum Disputiren bestimmt, so hätten sie es gethan. S. Protocollum Faculiatis 72, unten 43 und Anm. 26. Der Zettel mit den Bemerkungen Hegels befindet sich nicht in den Dekanatsakten; er mußte ja auch als Druckunterlage für das Vorlesungsverzeichnis mit in die Druckerei gegeben werden. Die Statuten der Fakultät enthalten zur Rangfrage unter den mit der venia legendi betrauten Doctores nichts Bestimmtes, wohl aber zu der Frage des Rangs „zu gleicher Zeit oder kurz aufeinander designirter Adjunctorum", bei denen es darum geht, wer von ihnen die frei gewordene Stelle eines Adjunctus Ordinarius, also eines beamteten Dozenten erhält. Die darauf bezügliche Stelle in den Statuten hatte Hegel offenbar im Auge:,,... so wird solcher Rang nicht nach dem Alter der Magister-Promotion oder der Designation zum Adjuncto, sondern nach der Zeit, wann die Disputatio pro loco gehalten worden, entschieden, da denn, wer eher disputirt, den Rang erhält." S. Modell-Buch. 52 f. (Der Titel Adjunkt war mit dem Magister-Titel zugleich abgeschafft worden. S. Anm. 3 zu diesem Abschnitt.)

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4) Hat mir Herr D. Schwabe gesagt, daß er schon vor verschiedenen Tagen Ew. Spectabilitaet gemeldet, er reservire sich die Iura seines Rangs, also kann unmöglich Herr D. Hegel über ihm stehen. Wir werden sonst sicher die größte Unzufriedenheit veranlassen. 5) Ist Herr D. Schwabe lange schon D. noster, Herr Hegel aber nicht. Hochachtxmgsvoll verharre Ew. Spectabilitaet Von Hause den 26 August 1801 gehorsamster Diener J. C. Hennings NB Will Herr D. Hegel sich nicht fügen so determinire Ihre Spectabilitaet den morgenden Tag zur Disputation des D. Schwabe und den Freitag zu der Disputation des D. Pannsner. Den Sonnabend aber Herrn D. Hegel. Denn bloß vom Decano dependirt die Bestimmung des Tages zur Disputation. Spectabili Domino Decano Illustri Voigt

Mission des Dekans und Voten der Fakultätsmitglieder Zur philosophischen Facultät Hochverordnete Herren Senior und Assessoren Vorerst habe ich die traurige Pflicht auf mir, meinen Hochzuverehrenden Herren zu melden, daß unser bisheriger Herr Senior der Herr Geheime Cammerrath Succow, heute früh 5 Uhr seelig entschlafen ist. Das Seniorat fällt also auf unseres verehrtesten Herrn Hofraths Hennings Wohlgebohren welchem ich hierzu das beste Glük und einen recht vieljährigen Genuß wünsche ... Zweitens muß ich mir Ihre weisen Vota über ein Ansinnen des Herrn D. Hegel erbitten. Dieser hat tmter seinem Lectionszettel bemerkt, daß er im Catalogo den Rang gleich nach Herrn D. Danz, nach den Statuten, bekommen müsse. Die Statuten enthalten aber über diesen Punct nichts bestimmtes. Ich ließ deshalb vorläufig des Herrn Hofraths Hennings Wohlgebohren gehorsamst ersuchen mir melden zu lassen, was die Observanz hierüber bestimme? ich erhielt das beyliegende pro memoria, womit ich völlig einstimmig bin; da aber des Herrn Hofraths Wohlgebohren unter beyliegenden Zettel des Herrn D. Hegel gesetzt haben: dieß müsse amptliche ordre bestimmen so nöthigt mich solches bey 2» Diese Notiz muß Hennings auf dem nicht mehr erhaltenen Lektionszettel Hegels angebracht haben (s. vorige Anm.).

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meinen Hochzuverehrenden Herren gehorsamst anzufragen: was Herrn D. Hegel zur Resolution zu melden sey? Der ich übrigens mit größter Hochachtung beharre Meiner Hochzuverehrenden Herren und Collegen Jena den 26ten August 1801 gehorsamster Diener I. H. Voigt N.S. Der Disputationstag des Herrn D. Hegel kan nicht wohl abgeändert werden, weil er morgen schon ein tritt und alles bestellt ist [,] idi glaube auch daß dieß nicht nöthig seyn wird. Spectabilis Domine Decane! 1) Von Herzen bedaure idi den Hintritt unsres rechtschaffenen Senioris. Er war ein Mann, der nie einem Collegen etwas in den Weg legte, sondern alles mit Güte suchte auszumachen. Sein Herz war zu der thätigsten Freundschaft gebildet. 2) Der Consess kann künftig Montag oder Dienstag, oder auch Mittwoch angestellt werden. 3) In Ansehung des Rangs, den Herr D. Hegel sucht, bleibe ich bey meiner Meinung in dem Billet, das ich Ew. Spectabilitaet gesendet, und hier beiliegt. 4) Dächte ich wir hielten nach den Statuten die Magistros an, persönlich den Senatoren ihre Disputationes zu überreichen Doch liegt mir für meine Person nidits daran, imd überlasse es Majoritas. Hennings. In allem, wie des Herrn Hofraths Heimings Wohlgebohren. Den Rang des Herrn Magister Hegel betreffend, kann es weiter nicht zweifelhaft seyn, daß die Herren Schwabe und Pansner, da sie früher licentiam legendi erhalten und auch ihre Disputationen früher eingereicht haben, Herr Hegel aber die seinige noch nicht einmal angefangen hat, sondern nur durch Dispensation die Erlaubniß zu lesen erhalten wird, im Catalog über Herrn Hegel zu stehen kommen. Unmaßgeblich wollte ich Vorschlägen, allen 3. Herren die veniam legendi erst auf den Sonnabend anzukündigen, wenn alle 3. disputirt haben. Heinrich. Wie vorher, ln den Statuten steht: Wenn der Rang der Magistrorum, oder Adjunctorum streitig ist, wird derselbe nach der Disputation bestimmt. Hier ist aber der Rang gar nicht streitig, indem Herr Schwabe und Pansner ältere Modell-Buch. 56: „Zu dem ersten Actu disputatorio muß der Magister persönlich alle Membra Facultatis einladen, und nidit durch den Respondenten die Disputation überreichen laßen."

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Magistri nostrates sind, als Herr Hegel. Uebrigens beharre ich darauf, daß die Statuten auch darinn beobachtet werden, daß der Herr Magister die Disputation den Fakultät [smitgliedern] selbst überreiche. Schickt er sie mir so schicke ich sie Ihm wieder zurück, und lasse Ihn darob an seine Schuldigkeit erinnern. Ulrich. Wenn Herr D. Hegel auch eher disputirt als Herr D. Schwabe, so bekomt er doch seinen Rang nach ihm, weil die Licentia Herrn D. Schwabe schon längst ertheilt ist. Die gegenwärtige Disputation ist ein bloßer Nachtrag. Ganz anders bey Herrn Fansner. Nach unserm letzten Concluso, von welchem ich nie wieder abgehe, soll die Licentia erst nach der Disputation gegeben werden. Wer demnach eher disputirt, bekommt die Licentia eher, und steht mithin oben an. Die Promotion entscheidet nicht, sondern die Disputation. Es könnte einer kommen der schon vor 10 Jahren promovirt hätte, dem es aber nun einfiele, sich zu habilitiren. Dieser wird doch im Catalogo der jüngste. Auch das Einreichen der Disputation entscheidet noch nicht, sondern das wirkliche Disputiren; es müßte denn seyn, daß zwey zu gleicher Zeit zu disputiren bereit wären, wo der Decan den Disputationstag nach der frühem oder Spätem Einreichung anzuberaumen hat. Wer nun von den beyden eher oder Später disputirt, weiß ich nicht; so viel ist aber gewiß, daß Herr D. Schwabe, und wenn er auch zulezt disputirt, den ersten Rang haben muß. Ilgen.

Hennings an den Dekan Spectabilis et Illustris Domine Decane! Daß Herr D. Hegel seine Disputation noch nicht eingereicht habe, ist mir nicht wissend gewesen, daher habe consentirt^^. Ew. Spectabilitaet, vermöge ihres Officii sind daher befugt, Herrn Hegel wissend zu machen, daß er seine Vorlesungen nicht eher anfangen könne, bis er seine Disputation eingereicht hätte. Es ist eine Verwegenheit von ihm, daß er seinen Zettel zum Consentiren schickt, da er gewußt hat, er müsse erst die Disputation liefern Wollte ich ihn zu mir ^ Hegel mußte sich für seinen für den Anschlag am schwarzen Brett bestimmten Lektionszettel den notwendigen Consens erteilen lassen; da er über „Logik und Metaphysik" zu lesen beabsichtigte, war Hennings als Inhaber des Lehrstuhls für Logik und Metaphysik hierfür zuständig. S. Modell-Budi. 62 f. Vgl. das Votum von Ilgen zu der Mission vom 21. 8., oben 37. Aus den vorliegenden Akten geht nicht hervor, daß Hegel dies ausdrücklich mitgeteilt worden ist. Der Protest von Hennings wird insofern gegenstandslos, als Hegel am selben Tag seine Disputationsschrift beim Dekan abgegeben hat. S. Protocollum Facultatis. 72, unten 44.

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rufen lassen, so würde er sagen: Was haben Sie mir zu befehlen? sind Sie Decanusl also geht das nicht an, sondern Sie inhibiren nomine facultaüs, und sagen: Sie bedauerten, dajß Sie gedrungen wären, das Conclusum facultatis ihm wissend zu machen. Sie können auch, wenn Sie wollen, eine Mission an Amplissimos Ordinarios machen. Hochachtungsvoll verharre Ew. Spectabilitaet Von Hause den 18 october 1801 gehorsamster Diener J. C. Hennings Sie lassen ohne Umstände den Lesezettel des D. Hegel abnehmen, weil alles erschlichen ist. Spectabili et Illustri Domino Decano

Aus dem Protocollum Facultatis D. 13 August überreicht mir Herr D. Hegel aus Stuttgard ein lateinisches Bittschreiben an die Facultät worinn er um Nostrification nachsucht indem er gesonnen sey Collegia über theoretische und praktische Philosophie zu lesen. In der deshalb sogleich erlassenen Mission wird beschlossen daß er 1) 4 Louis d'or pro nostrificatione 2) 2 Spedes-Thaler pro censura dissertationis et pro praesentia Decani bey der Disputation zu erlegen, dabey auch sein diploma, zu produciren und vor der licentia legendi zu disputiren habe. Eodem [den 15. August] mache ich Herrn D. Hegel das Conclusum Facultatis bekannt. Er überreicht mir an dem nämlichen Tage ein neues Bittschreiben nebst seinem diplom. Bittet darinn daß ihm die venia legendi möge ertheilt und zugleich Erlaubniß gegeben werden seine Vorlesungen im nächsten Catalogo anzuzeigen, wenn auch die Disputation nicht vor dem Abdruk des Catalogi gehalten wäre, da dieses unmöglich sey; aber er wolle sich verbindlich machen daß sie wenigstens zum größten Theil im Manuscript vor dem Abdruk des Catalogi eingereicht würde. In Absicht seiner Subsistenz gab er zu erkennen, daß er überhaupt nicht immer hier bleiben werde, da er ja durch seine Verhältnisse mit Wirtemberg zu seiner Zeit daselbst ein Amt erhalten und überdem ein eignes Vermögen von einigen 1000 Gulden besitze. Den 17 August frage ich in einer Mission an ob Herr D. Hegel nicht in den Lectionscatalog aufzunehmen sey, wenn er vor Abdruk desselben einen Theil seiner Disputation einreiche und sie vor dem wirklichen Anfang der Collegiorum Vgl. oben 24, Anm. 20.

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vertheidige? Antwort nein; lieber solle er über Theses disputiren und die Dissertation wie Herr D. Schlegel nachliefern wenn die Zeit zu kurz wäre Wegen der Auskunft die er über seine Subsistenz gegeben war die Facultät zufrieden. Eine Probevorlesung soll er aber auch noch halten. Ich mache ihm dieses Conclusum den 18 August bekannt und gebe ihm sein diplom wieder zurück. Den 21 August frage ich an 1) ob die Lectionszettel consentirt werden können, wenn gleich die Disputationen noch nicht wirklich gehalten sind, jedoch alles dazu veranstaltet worden ist? Resolutio Ja. 2) Ob wegen der Vermögensumstände der Doctoren die hier lesen wollen kein Bedenken vorwaltet? Resolutio Nein. 3) Wie es mit Herrn D. Hegel gehalten werden soll, dessen Disputation vor dem Abdruk des Catalogi nicht fertig werden karm. Resolutio Er soll wenigstens über Theses vor dem Abdruk des Catalogi disputiren. Eodem vertheile ich folgende Gelder in 7 partes aequales 22 r. 20 g. Nostrificationsgelder als Courantwerth von 4 Louis d'or ä 5r. 17g. von Herrn D. Hegel 1„ Abzug als praecipuum decani 21r. 20 g. zu vertheilen 2— 20 — an 2 Species Thalem von Herrn D. Hegel pro censura dissertationis et pro praesentia decani bey der Disputation 2— 20 an 2 Species Thalern von Herrn D. Pansner pro censura et pro praesentia decani 1 — 6 d. an Vorrath von voriger Rechnung 27 r. 13 g. 6 d. wovon */? beträgt 3r. 22g. 6d. worüber in der Mission quittirt worden Den 26 August mache ich der Facultät officiell den Tod unsers Herrn Senioris des Herrn Geheimen CammerRaths Succow bekannt der heute früh um 5 h. erfolgte; frage wegen des Denominations-Consesses an und zugleich ob Herrn D. Hegel zu deferiren sey, der weil er über seine Theses ein bis 2 Tage früher disputirt als Herr D. Schwabe und Pansner seinen Rang im Catalogo über denselben verlangt. Resolutio Der Consess kan nächsten Dienstag oder Mittwoch gehalten werden; Herr D. Hegel kommt nach Herrn D. Schwabe und Pansner aus Gründen die in der Mission angegeben worden. Den 27 August disputirt Herr D. Hegel über Theses. Seine nach einem Anschlag am schwarzen Bret zu haltende Dissertation soll handeln de orbitis Planetarum. Respondens war Herr Schelling aus dem Wirtembergischen opponentes Herr Prof. Niethammer, Herr Prof. Schelling und Herr Schwarzott. S. Anm. 15 zu diesem Abschnitt. Hoffmeister hat einen Notizzettel Hegels unter der Überschrift „Vorbereitung zur Disputation" veröffentlidit (Dokumente zu Hegels Entwicklung. Stuttgart 1936. 312—314). Auf diesem Zettel, der heute verschollen ist (Autographenabteilung der

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den 18 October überreicht Herr D. Hegel seine Disputation womit er noch im Rückstände war. den 19 October hält Herr D. Hegel seine Probevorlesung in Gegenwart des Herrn Senioris der Herren Assessoren Schütz, Heinrich, Ulrich, Ilgen und meiner des Decans.

Berliner Staatsbibliothek), hat sich Hegel lateinische Notizen gemacht für die Anrede an seinen Respondenten Karl Schelling, den Bruder des Philosophen, der damals in Jena Student war, sowie an seine Opponenten, den Studenten Thomas Schwarzott aus Bamberg und die Professoren Schelling und Niethammer. Die Wiedergabe des Notizzettels durch Hoffmeister ist allem Anschein nach sehr unübersichtlich gegliedert. Er enthält neben den Entwürfen für die Begrüßungsworte an die Genannten, wie sie der Habilitand ordnungsgemäß anzusprechen hatte, auch Notizen für ein kurzes Dankeswort an jeden einzelnen, das Hegel wohl nach dem Abschluß der Disputation vortragen wollte. Außerdem ist eine Dankadresse entworfen an den Prorektor, den Dekan, die Fakultät im ganzen, die Erhalter der Universität, sowie die Zuhörer aus allen Fakultäten. Worüber Hegel seine Probevorlesung gehalten hat, ist nicht mehr zu ermitteln.

Jenaer Dokumente — A 2. öffentliche Anstellung

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2. öffentliche Anstellung Die öffentliche Anstellung im Herzogtum Sachsen erfolgte für Hegel durch seine Ernennung zum Professor (a). Als solchem wurde ihm einige Zeit später ein jährliches Gehalt bewilligt (b). Mit dem Übergang in den Dienst des Königreichs Bayern mußte er von seiner Stelle im Herzogtum Sachsen offiziell entlassen werden (c).

a) Das Verfahren der Ernennung Hegels zum außerordentlichen Professor der Philosophie wurde in Gang gesetzt durch einen Brief Hegels an GOETHE vom 29. 9. 1804. Dieser Brief befindet sich im Hegel-Nachlaß (Kassette 15) und ist von HOFFMEISTER bereits veröffentlicht worden HOFFMEISTER ist der Meinung, daß es sich um einen Entwurf handelt. Es ist auch überraschend, daß sich dieser Brief im Hegel-Nachlaß befindet und nicht im GoETHE-Nachlaß oder in den Regierungsakten des Weimarer Hofes. Dennoch macht der Brief den Eindruck einer Reinschrift Hegel hatte erfahren, daß sein Kollege J. F. FRIES zum a.o. Professor ernannt werden sollte und erinnert daran, daß er der „älteste der hiesigen Privatdocenten der Philosophie" ist * und daß er sich „durch eine solche von den höchsten Autoritäten andern ertheilte Auszeichnung, in der Möglichkeit, nach ... Kräfften auf der Universität zu wirken, beschränkt zu werden fürchten muß". Ferner verweist er auf seine erfolgreichen Vorlesungen des „vorigen Winters" In derselben Angelegenheit, möglicherweise als Beilage zu dem Brief an GOETHE, hat Hegel einen Lebenslauf beim Geheimen Rat in Weimar eingereicht. Von diesem Lebenslauf scheint in der Tat nur ein Entwurf überliefert zu sein. Er gehört zur Autographenabteilung der Berliner Staatsbibliothek und ist heute verschollen. NOHL hat ihn zuerst veröffentlicht, allerdings mit einigen schwerwiegenden Versehen — 1 Briefe. Bd 1. 84 f; vgl. zum folgenden 454. ^ Als solche bezeichnet ihn auch schon die in dieser Hinsicht unbefangene Erwähnung in der Vorrede von Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg, von H. Nohl. Tübingen 1907. VIII. ® Hegel war inzwischen im Vorlesungsverzeichnis unter den Privatdozenten der Philosophischen Fakultät an die erste Stelle gerückt, war also der rangälteste dieser Privatdozenten. S. Catalogi scholarum in Academia Jenensi. 1741—1814. Universitätsbibliothek Jena. Signatur: H. 1. VI, f. 29. S. 163. ^ Laut Zuhörerliste hatte Hegel im Winter 1803/04 30 Hörer (s. unter A 3). Im Sommersemester 1804, das gerade erst zurücklag, als Hegel diesen Brief schrieb, scheint er nicht gelesen zu haben, da er darauf überhaupt nicht eingeht (vgl. u. 78). ® Theologische Jugendschriften. VIII f. Wiederabdruck (nach Nohl): Briefe. Bd 4. 91 f. — Zu den Versehen Nohls: Statt „Senat.Exp.Rath" als Beruf von Hegels Vater muß es heißen „Rentk.Exp.Rath", wie Hoffmeister schon stillschweigend verbessert hat. Anstelle der Initialen „Ch. L." für die Vornamen von Hegels Mutter ist zu setzen: „M. L." — die Mutter hieß Maria Magdalena Louisa. Bei den Tübinger Lehrern Hegels ist statt „Beckh" zu lesen: „Boekh" (auch geschrieben: Bök, Boek); dieser hatte die von Hegel bei seiner Magister-Disputation verteidigte Schrift verfaßt (s. Briefe. Bd 4 169). — Das im Lebenslauf erwähnte Mathematikstudium kann Hegel nur bei Pf leiderer betrieben haben, der zu Hegels Tübinger Zeit (1788—93) als einziger mathematische Vorlesungen hielt.

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Neben den Angaben zur Biographie und zum Studiengang verweist Hegel vor allem auf seine Beiträge im Kritischen Journal der Philosophie, das er 1802/03 gemeinsam mit ScHELLiNG herausgegeben hat, und auf seine Mitgliedschaft in gelehrten Gesellschaften Obwohl bei der Universität offenbar Widerspruch gegen die Ernennung Hegels laut wurde hat Herzog CARL AUGUST doch das Verfahren zur Ernennung zum Professor für Hegel zugleich mit dem für FRIES eingeleitet:

Carl August von Sachsen-VJeimar an August von Sachsen-Gotha * Unsere freundliche Dienste und was Wir sonst mehr Liebes und Gutes vermögen, jederzeit zuvor! Durchlauchtigster Fürst, freundlich geliebter Herr Vetter! Es haben die Doctoren der Philosophie, Jacob Friedrich Fries, und Wilhelm Friedrich Hegel, welcher seit drey bis vier Jahren auf der gesamt Academie Jena privat Vorlesungen, zuverläßiger Anzeige nach mit Beyfall gehalten, auch sich bereits durch mehrere Schriften rühmlich bekannt gemacht haben, den Wunsch und die Bitte anher gelangen laßen, daß jedem eine außerordentliche Lehrstelle bey der philosophischen Facultät zu Theil werden möchte. Wir, Unsers Theils, halten beyde dieser Aufmunterung nicht unwerth, da so einer als der andere das Feld der Philosophie mit Scharfsinn bearbeitet und günstige Hofnungen erreget hat. Wir glauben daher überzeugt seyn zu dürfen, daß auch Ew. Liebden nicht abgeneigt seyn werden, in Übereinstimmung mit Uns diesem Gesuch zu willfahren, zumal die academische Verfaßung zu erfordern scheint, junge talentvolle Lehrer aufzumuntern und durch ihre Bestrebungen immer den guten Ruf der Academie aufzufrischen. ° Ew. Liebden werden Uns gar sehr verbinden, wenn Sie Uns Ihro erleuchtete Meynung darüber gefälligst eröfnen wollen. Wir erbitten Uns dieses in derjenigen vollkommensten Hochachtung, womit Ihro Wir zu Erweisung angenehmer Dienste stets willig und geflißen verbleiben. Weimar den 30. November 1804.

® Vgl. dazu Abschnitt 5 dieser Dokumente. Siehe den Bericht Gablers, unten 65. ® Aus dem Landesarchiv Gotha. Signatur: M. E. (9.) 164. Der Text des Briefes ist von der Hand eines Schreibers, die Grußformel am Schluß und die Unterschrift sind eigenhändig. HzS hinter der Unterschrift bedeutet: Herzog zu Sachsen. ® Vgl. unsere Vorbemerkimg, oben 25 f.

Jenaer Dokumente — A 2. öffentliche Anstellung

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Von Gottes Gnaden, Carl August, Herzog zu Sachsen, Cleve und Berg, auch Engem und Westphalen, Landgraf in Thüringen, Markgraf zu Meißen, gefürsteter Graf zu Henneberg, Graf zu der Mark und Ravensberg. Ew. Liebden dienstwilliger treuer Vetter und Diener Carl August HzS [Auf der Umschlagseite: Praesentatum den 7te December 1804.] Gleichlautende Briefe, mit den entsprechenden Unterschieden in der Anrede und den Titeln, sandte CARL AUGUST von Sachsen-Weimar an die beiden anderen Miterhalter der Universität Jena: an FRANZ von Sachsen-Saalfeld-Cobwrg und an LOUISE ELEONORE von Saäisen-Meiningen.

August von Sachsen-Gotha an die Miterhalter (Entwurf) An Sachsen Saalfeld Coburg mutatis mutandis Sachsen Meiningen Unsere [...] Es haben des Herrn Herzogs zu Sachsen Weimar Liebden an Uns den Antrag gelangen lassen: daß den beyden Doctoren der Philosophie: Jacob Friedrich Fries und Wilhelm Friedrich Hegel, von welchen seit 3 bis 4 Jahren auf der Gesammt Akademie Jena Privat-Vorlesungen nicht ohne Beyfall gehalten worden, außerordentliche Professuren der Philosophie, um welche sie bey Ihro Liebden nachgesucht haben, ertheilt werden möchten. Da Wir Unsers Orts, in Rüksicht auf die von des gedachten Herrn Herzogs Liebden für die beyden Supplicanten gehegten und durch vortheilhafte Zeugnisse unterstützten günstigen Gesinnungen, kein Bedenken finden. Uns mit dem erwähnten Antrag zu confirmiren; so haben Wir nicht verfehlen wollen, Ew. Liebden davon ergebenst zu benachrichtigen, und Uns dagegen, bevor Wir etwas an die Akademie verfügen, die Mittheilung Ihrer erleuchteten Meinung freundvetterlich zu erbitten. Zugleich nehmen Wir Gelegenheit Denenselben Unsere vollkommenste Hochachtung zu bezeugen, mit welcher [...] Ew. Liebden [.. .] Wir p. Gotha den 14. December 1804. Von Gottes Gnaden August HzS Briefe mit diesem Wortlaut, entsprechenden Anrede- bzw. Schlußformeln und eigenhändiger Unterschrift des Herzogs AUGUST sind im Staatsarchiv Coburg und im Der Entwurf ist ganz von Schreiberhand und verblieb am Gothaischen Hof. Signatur: Ministerium K Nr 61.

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Landesarchiv Meiningen ** erhalten. Die verwitwete Herzogin von Sachsen-Meiningen erkundigte sich nun zunächst bei ihrem Vetter FRANZ von Sachsen-Saalfeld-Coburg, wie sie sich in dieser Sache verhalten solle. Dieser antwortete zustimmend. Dann erklärten sich der Herzog von Sachsen-Saalfeld-Coburg und die Herzogin von SachsenMeiningen in Briefen an den Herzog von Sachsen-Gotha mit dem „Antrag" des Herzogs von Sachsen-Weimar einverstanden. Daraufhin teilten dies alle drei Miterhalter dem eigentlichen Erhalter der Universität, Herzog CARL AUGUST in Weimar, in entsprechenden Schreiben mit. Schließlich wurde auch die Universität von den Miterhaltern und dem Erhalter über diesen Beschluß informiert. Die Mehrzahl dieser Schreiben und der zugehörigen Entwürfe findet sich noch im Thüringischen Staatsarchiv Weimar, in den Landesarchiven Gotha und Meiningen, im Staatsarchiv Coburg bzw. im Universitätsarchiv Jena. An die Universität schrieb als erster Herzog FRANZ aus Coburg am 24. Dezember 1804, als letzter Herzog CARL AUGUST aus Weimar am 15. Februar 1805. Beispielhaft wird hier das letzte, ausschlaggebende Schreiben wiedergegeben:

Carl August an die Universität Jena Von Gottes Gnaden, Carl August, Herzog zu Sachsen, Cleve und Berg, auch Engem und Westphalen p. Unsern gnädigsten Gruß zuvor: Würdige, Hoch- und Wohlgelahrte, liebe Andächtige, und Getreue! Wir haben den beyden Doctoren der Philosophie, Jacob Friedrich Fries, und Wilhelm Friedrich Hegel, Euers Orts, eine ausserordentliche Professur auf Unserer Gesammt Academie zu ertheilen, die Entschliessung gefaßt, und begehren andurch gnädigst, Ihr wollet, nach eingelangten conformen Rescripten der übrigen Fürstlichen Höfe, das Nöthige hierunter besorgen. Andern geschieht Unsere Meynung und Wir sind Euch mit Gnaden gewogen. Geben, Weimar, ISden Februar 1805. Carl August HzS. An die Academie zu Jena, die beyden Doctoren der Philosophie, Fries und Hegel, daselbst, conferirte ausserordentliche philosophische Professur betr. praesentatum den 18ten Februar 1805. Für seine Beförderung hatte Hegel an die „Herzoglich Sächsische Geheime Canzley" 22 g. und an die Universität Jena 6 r. Verwaltungsgebühren zu bezahlen. Die entsprechenden Quittungen finden sich in seinem Nachlaß (Kassette 15) und sind von Signatur: R 963. 12 Universitätsarchiv Jena. Signatur: Bestand A Nr 636. Text des Briefes von Schreiberhand; Unterschrift eigenhändig.

Jenaer Dokumente — A 2. öffentliche Anstellung

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veröffentlidit ebenso die Abschrift einer Resolution des Kurfürsten FRIEDRICH I. von Württemberg vom 6. 7. 1805, in der Hegel die Erlaubnis erteilt wird, „die ihm angetragene außerordentliche Professur der Philosophie in Jena salvo regressu in patriam cum omnibus effectibus annehmen zu dürfen" HOFFMEISTER

b) Bei der Bewilligung eines außerordentlichen Jahrgehalts wurde zu dem Verfahren, wie der unten erwähnte Dankbrief Hegels erkennen läßt, innerhalb der Regierung in Weimar wiederum von GOETHE der entscheidende Anstoß gegeben. Ein Zeugnis darüber, auf welche Weise GOETHE ZU diesem Schritt veranlaßt worden ist, besitzen wir nicht. Hegels wirtschaftliche Notlage tmd sein Bemühen, einen Ruf an eine andere Universität zu erhalten, waren jedoch allgemein bekannt. Herzog CARL AUGUST bewilligte Hegel am 24. 6. 1806 ein Jahrgehalt von 100 r. Die Abschrift einer Anweisung des Herzogs an die Weimarer Rentkammer zur Auszahlung dieses Gehalts, die sich ebenfalls im Hegel-Nachlaß (Kassette 15) befindet imd bei HOFFMEISTER veröffentlicht ist übersandte GOETHE an Hegel am 27. 6. 1806 mit einem eigenhändigen Begleitschreiben Am 30. 6. dankte Hegel GOETHE in einem Brief, der in den „Geheimden Canzley Acta" des Thüringischen Staatsarchivs in Weimar aufbewahrt wird Am 1. Juli erhielt er dann das erste Quartal von 25 r. ausbezahlt und hatte — laut erhaltener Quittung — 5 r. 19 g. an Verwaltungsgebühren an die herzogliche Kanzlei zu entrichten. CARL AUGUST bemühte sich nun, auch die Miterhalter zu einer Gehaltsbewilligung für Hegel zu veranlassen: Briefe. Bd 4. 93 f; auch zum folgenden. Hegel hatte offenbar ein Gesuch an seine Vorgesetzte Kirchenbehörde, das Konsistorium in Stuttgart, gerichtet, die a.o. Professorenstelle in Jena annehmen zu dürfen, ohne daß er dadurch die Anwartschaft auf ein Pfarramt in Württemberg verlor. In den Protokollen des Konsistoriums ist unter dem 28. 6. 1805 vermerkt, daß Hegel diese Bitte vorgebracht habe. Das Konsistorium beschloß, darüber „per Anbringen in favorem" entscheiden zu lassen (Landeskirchliches Archiv Stuttgart. Bestand A 3 Nr 68. S. 345; vgl. Briefe. Bd 4. 85). Die positive Antwort auf das „Anbringen" liegt in der erwähnten kurfürstlichen Resolution vom 6. Juli vor, von der das Konsistorium am 12. Juli Kenntnis nahm. Aus dem Stipendium, das Hegel seit 1793 (20 Gulden jährlich) erhielt, schied er seit seiner Anfrage an das Konsistorium aus (s. Konsistorialprotokolle). Briefe. Bd 4. 94. Die Buchstaben am Anfang des Schreibens; V. u. H. R. 1. G. stehen für „Veste und Herren, Räthe, liebe Getreue", wobei das erste, heute nicht mehr gebräuchliche Wort, das ursprünglich einmal Titel der Ritter war, soviel wie „Mannhafte, Tapfere" bedeutet. Briefe. Bd 1. 111. Das Original dieses Briefes befindet sich in der Autographenabteilung der Berliner Staatsbibliothek, ist also verschollen. “ Geheimde Canzley Acta. Philosophische Pacultaet zu Jena betreffend. Volumen V. 1799—1809. Thüringisches Staatsarchiv Weimar. Signatur; A 6438. Veröffentlicht: Briefe. Bd 1.111. Briefe. Bd 4. 94. — Nach den Rentkammerrechnungen (Bd 306. Bl 143a) sollte Hegel sein Gehalt in vier Raten zu je 25 r. ausbezahlt werden. Tatsächlich erhielt er nur drei Raten von insgesamt 75 r. ausbezahlt. Die Rate für das Quartal Mai—Juli 1807, die er trotz seiner Beurlaubung für das Sommersemester 1807 „noch genießen zu können glaubte", erhielt er nicht mehr (Briefe. Bd 1.188).

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Carl August von Sachsen-Weimar an August von Sachsen-Gotha Unsere freundliche Dienste, und was Wir sonst mehr Liebes und Gutes vermögen, jederzeit zuvor. Durchlauchtigster Fürst, freundlich geliebter Herr Vetter! Es zeichnet sich der außerordentliche Profeßor bey der philosophischen Facultät, Doctor Wilhelm Friedrich Hegel, zu Jena, so wohl durch gründliche Gelehrsamkeit, als besonders durch seine mit einem angenehmen Vortrag begleitete Vorlesungen über die neuere Philosophie und durch sonstige persönliche Eigenschafften dergestalt rühmlich aus, daß Wir Uns dadurch, auch damit man sich der Erhaltimg dieses würdigen Subjects zum Besten der GesamtAkademie einigermaßen versichern möge, bewogen gesehen haben, ihm vom heutigen Dato an durch Bewilligung eines außerordentlichen JahresGehalts von Einhundert Rthlr. eine Aufmunterung, zu Fortsetzung seines Fleißes angedeyhen zu laßen. Bey den vielen Merkmalen der wohlthätigen Bereitwilligkeit, welche bey Ew. Liebden gedachte Akademie, besonders, wenn es auf liberale Unterstützung soldier Lehrer, die sich durch gute Eigenschaften, Talente und Eyfer vorzüglich empfehlen, ankommt, zu verehren hat, nehmen Wir auch zum Besten erwehnten D. Hegel, mit vermehrter Zuversicht, diese Huldvolle Gesinnung mit dem ergebensten Anträge in Anspruch, daß es Ihro gefällig seyn möchte, denselben ebenfalls mit einigem ExtraGehalt zu begnadigen. Da Wir von ihm die Überzeugung haben, daß sein etwaiger Weggang besonders unter den jetzigen Umständen ein wahrer Verlust seyn würde; so wird durch den vollen Beweiß einer von Zufriedenheit mit ihm zeugenden Gnade, zu welcher Ew. Liebden Wir denselben gegenwärtig empfehlen, jene Besorgniß entfernet; Wir aber werden in der gefälligen Zustimmung Ew. Liebden zu diesem Antrag, worüber Wir Uns geneigte Antwort erbitten, Dero fortgesetzte Vorsorge für das Wohl der Akademie, in derjenigen vollkommensten Hochachtung danknehmig erkennen, womit Ew. Liebden Wir zur Erweisung angenehmer Dienste stets willig und geflißen verbleiben. Weimar, den Iten Julius 1806. Von Gottes Gnaden Carl August, Herzog zu Sachsen, Cleve und Berg, auch Engem und Westphalen, Landgraf in Thüringen, Markgraf zu Meißen, gefürsteter Graf zu Henneberg, Graf zu der Mark und Ravensberg. Ew. Liebden dienstwilliger treuer Vetter und Diener Carl August HzS Aus dem Landesardiiv Gotha. Signatur s. Anm. 8. “a Vgl. jedoch unten die Erläuterungen, Abschnitt 4: Zu Hegels Vorlesungsstil. Die Bemühungen Hegels um einen Ruf nach Heidelberg (vgl. Vorbemerkimg, Anm. 29) waren dem Geheimen Rat in Weimar und dem Herzog also nicht verborgen geblieben.

Jenaer Dokumente — A 2. öffentliche Anstellung

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An des Herrn Herzogs zu Sachsen Gotha Hochfürstliche Durchlaucht [Notiz von Schreiberhand auf der Umschlagseite:] Vor der Hand beyzulegen, weil sich seitdem die Umstände bekanntlich sehr merklich geändert haben. Gotha im Geheimen Rathe den 12. Januar 1807. Ende Januar 1807 richtete Hegel noch einmal ein Schreiben an Goethe in dem er auf die „Unzureichenheit" seines Jahrgehalts aufmerksam machte und darum bat, einen Teil „der erledigten Besoldung des seitherigen Professors SCHELVER" der nach Heidelberg gegangen war, ihm zukommen zu lassen. Wenn es ihm darüber hinaus erlaubt sein würde, die frei gewordene Wohnung SCHELVERS im herzoglichen botanischen Garten zu beziehen, erklärte Hegel sich bereit, eine „provisorische Inspection dieses interessanten Instituts" zu übernehmen und auch Vorlesungen über Botanik zu halten.

Da der Bitte Hegels nicht entsprochen wurde, mußte Hegel drei Monate später anläßlich der Übersendung der soeben fertig gewordenen Phänomenologie des Geistes GOETHE von seiner Beurlaubung für das Sommersemester 1807 unterrichten um die Über die Vorlesungen Hegels vom Winter 1806/07 haben wir keine direkten Zeugnisse. Es gibt Anzeichen dafür, daß er in diesem Semester schon nicht mehr gelesen hat (s. u. 77 f). Die Frage seiner Gehaltsaufbesserung durch einen Beitrag der Miterhalter der Universität wurde nicht mehr weiter behandelt. Das Ms befindet sich in den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar, Goethe- und Schillerarchiv = NFG (GSA). Erstveröffentlichung durch A. Genthe: in: Goethe-Jahrbuch. 16 (1895), 58 f; wieder abgedruckt: Briefe. Bd 1. 141 f. Zur Datierung s. ebd. 467 f. 21 Daß die bewilligten 100 r. als Gehalt unzureichend waren, mag aus folgenden Vergleichszahlen erhellen. Nach den Angaben in der Geschichte der Universität Jena (220 f) verbrauchte ein „notdürftig lebender Jenaer Student" in dieser Zeit etwa 200 r. im Jahr, ein Lehrer im „niedern Schulwesen" verdiente allerdings in der Regel unter 100 r., meist zwischen 70—80 r. Aber „das war ein Einkommen, welches auch ein ungelernter Arbeiter, ein Tagelöhner verdienen konnte". In Nürnberg erhielt Hegel als Rektor und Professor des Gymnasiums umgefähr 1100 Gulden, „wodurch für die nächste Notwendigkeit des ökonomischen Bedarfs gesorgt" war (Briefe. Bd 1. 299); der Wert eines Guldens betrug 15—20 v. H. weniger als der eines Reichstalers. Schelver folgte im Wintersemester 1806/07 einem Ruf nach Heidelberg (Briefe. Bd 1. 139 f).

Zu Hegels Beschäftigung mit Botanik über das in diesem Brief erwähnte Herbarium hinaus vgl. Briefe. Bd 1. 468. Die frei gewordene Stelle Schelvers erhielt der mit Goethe befreundete Jenaer Privatdozent der Botanik Friedrich Sigismund Voigt, Sohn des Jenaer Mathematikprofessors (vgl. Briefe. Bd 1. 146). Der Brief befindet sich in NFG (GSA). Erstveröffentlichung durch A. Genthe (Goethe-Jahrbuch 1895); Wiederabdruck: Briefe. Bd 1. 156. Die Überlegungen Hoffmeisters zur Datierung (ebd. 471), die aufgrund von zwei Äußerungen im Briefwechsel zwischen Knebel und Goethe zur Annahme eines Datums kurz vor dem 13. 3. 1807 führen, sind nicht ganz exakt. Knebel, der im Aufträge Hegels etwas an Goethe schickt, kann nicht den hier vorliegenden Brief gemeint haben, da diesem Brief wiederum eine Schrift Hegels beiliegen soll (ein Exemplar der Phänomenologie).

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er zuvor sdion offiziell über den Geheimen Rat VON VOIGT beim Herzog nadigesudit hatte. Dieses Gesuch ist nicht erhalten. Am 1. März hatte Hegel bereits seine Stellung als Redakteur der Bamberger Zeitung angetreten*®. c) Bis zu seiner Ernennung zum Rektor und Professor der Philosophie am Gymnasitun in Nürnberg durch den König von Bayern am 4. 11. 1808 blieb Hegel nominell Professor an der Jenaer Universität, wenn er auch nicht mehr las und kein Gehalt mehr erhielt *“. Im November 1808 richtete er dann sein Entlassungsgesudi an den Herzog CARL AUGUST *“. Außer diesem Schriftstück ist kein Dokument über Hegels Ausscheiden aus dem sächsischen Staatsdienst erhalten. Lediglich im Rechnungsbuch der Rentkammer, in der Hegel als potentieller Gehaltsempfänger weiter geführt wurde, heißt es 1809: „Nota: der Professor Hegel ist abgegangen" (Bd 310, Bl. 135).

Goethes Antwort auf den Brief Knebels zeigt, daß er noch auf die Zusendung der Schrift wartet, um deren Veröffentlichung sich Hegel bemüht. Vgl. Briefwechsel zwischen Goethe und Knebel. Hrsg, von G. E. Guhrauer. Leipzig 1851. Bd 1. 299—301. Man wird also eher an Ende März 1807 denken müssen. *® W. R. Beyer: Zwischen Phänomenologie und Logik. Hegel als Redakteur der Bamberger Zeitung. Frankfurt/M. 1955. 26, 35. *® Briefe. Bd 1.188 f. Das Ms befindet sich im Hegel-Nachlaß (Kassette 15). Veröffentlicht: Briefe. Bd 1. 263 f. Hoffmeister vermutet, wie bei dem Brief an Goethe vom 29. 9. 1804, daß es sich um einen Entwurf handelt (s. oben 45 und Anm. 2). Diese Vermutung wird im gegenwärtigen Fall dadurch unterstützt, daß auf dem Brief das Datum fehlt (a.a.0.488). Der Eindruck, daß es sich um eine Reinschrift handelt, ist jedoch auch hier nicht abzuweisen. Das fehlende Datum beweist nichts, da auch bei den beiden vorgenannten Briefen an Goethe, die dem Goethe-Nachlaß entstammen, kein Datum angegeben ist.

Jenaer Dokumente — A3. Vorlesimgen

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3. Vorlesungen Hegels Ankündigungen In der folgenden Zusammenstellung geben wir für jedes Semester eine lateinische und eine deutsche Vorlesungsankündigung. Die lateinischen Fassungen entstammen den Catalogi scholarum in Academia Jenensi 1741—1814. ‘ Die deutschen Ankündigungen sind den Intelligenzblättem der Allgemeinen Literatur-Zeitung (ab 1804: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung) entnommen, wo jeweils zusammenfassende Mitteilungen über die im Vorlesungsverzeichnis lateinisch angekündigten Kollegs erschienen. WINTER-SEMESTER 1801/02

Ge. Wilh. Fr. Hegel, D. privatim Logicam et Metaphysicam docebit hör VI—VII, gratis introductionem in Philosophiam tractabit et disputatorium philosophicum communiter cnim Excell. Schellingio diriget. Eine Einleitung über die Idee und Grenzen der wahren Philosophie gibt Hr. Prof. Schelling, und unentgeldl. Hr. D. Hegel. Logik und Metaphysik Hr. Hofr. Hennings, Hr. Hofr. Ulrich n. s. Handb. und Hr. D. Hegel. SOMMER-SEMSTER 1802

Ge. Wilh. Fr. Hegel, D. Logicam et Metaphysicam sive systema reflexionis et rationis secundum librum sub eodem titulo proditurum hora V—VI, deinde jus naturae civitatis et gentium ex dictatis hora III—IV. tradet. Logik und Metaphysik tragen Hr. Hofr. Hennings, Hr. Hofr. Ulrich, Hr. D. Schad u. Hr. D. Hegel, n. ihren Lehrb., desgl. Hr. D. Fries vor. Natur u. Völkerrecht lehren Hr. Hofr. Hennings, Hr. Hofr. Ulrich n. s. Lehrb. u. Hr. D. Hegel. WINTER-SEMESTER 1802/03

Ge. Wilh. Fr. Hegel, D. 1) Logicam et Metaphysicam secundum librum nundinis instantibus proditurum hora VI—VII. 2) Jus naturae ex dictatis, hora X—XI tradet. Logik und Metaphysik Hr. Hofr. Hennings; n. s. Handbuch Hr. Hofr. Ulrich; n. s. Lehrbuch Hr. D. Hegel; und n. s. Grundr. Hr. D. Krause. Naturrecht Hr. D. Hegel und n. Fichte Hr. D. Krause. 1 Signatur: S. Anm. 3 zum vorigen Abschnitt. — Die Universitätsbibliothek Jena bewahrt mehrere Exemplare der in umfangreichen Bänden zusammengebundenen Vorlesungsverzeichnisse auf. Kuno Fischer, der bereits die Catalogi exzerpierte (Hegels Leben, Werke und Lehre. Bd 1. 64 Anm. 2). hat ein Exemplar benutzt, das für die Jahre 1801—08 nicht vollständig ist.

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HEINZ KIMMERLE

SOMMER-SEMESTER 1803

Ge. Wilh. Fr. Hegel, D. 1) Philosophiae universae delineationem, ex compendio currente aestate (Tub. Cotta.) prodituro; deinde 2) Jus nuturac ex dictatis tradet. Encyklopädie der Philosophie Hr. Adj[unct] Kirsten und nach s. Handb. Hr. D. Hegel. Naturrechi Hr. D. Hegel, und nebst Kritik aller positiven Gesetzgebung n. s. Handb. Hr. D. Fries; Hr. D. Krause n. s. Compend. WINTER-SEMESTER 1803/04

Ge. Wilh. Frid. Hegel, D. privatim 1) Jus naturae hora III—IV. 2) philosophiae speculativae systema, complectens a) Logicam et Metaphysicam sive Idealismum transscendentalem b) philosophiam naturae et c) mentis hora VI—VII e dictatis exponet. Das System der speculativen Philosophie, Logik und Metaphysik, Naturphilosophie und Seelenlehre enthaltend, n. Dictaten Hr. Dr. Hegel. Naturrecht Hr. Dr. Hegel. SOMMER-SEMESTER

1804

Ge. Wilh. Frid. Hegel, D. philosophiae systema Universum ita tractabit, ut aliis lectionibus Logicam et Metaphysicam, et Philosophiam mentis, aliis philosophiam naturae doceat. Ein allgemeines System der Philosophie giebt Hr. D. Hegel. WINTER-SEMESTER

1804/05

Ge. Wilh. Frid. Hegel, D. totam philosophiae scientiam, i. e. philosophiam speculativam, (logicam et metaphysicam) naturae et mentis ex dictatis hora VI—VII. vesp. tractabit. Logik und Metaphysik lesen Hr. geh. Hofr. Ulrich, Hr. D. Hegel und Hr. D. Fries. Die ganze Wissenschaft der Philosophie behandelt, nach eigenen Dictaten, Hr. D. Hegel. SOMMER-SEMESTER

1805

Ge. Wilh. Frid. Hegel, D. a) totam philosophiae scientiam, i. e. philosophiam speculativam, (logicam et metaphysicam) naturae et mentis ex libro per aestatem prodituro hora VI—VII. vesp. b) Jus naturae ex eodem hora IV—V. tradet. Die gesammte Wissenschaft der Philosophie Hr. Prof. Hegel nach seinem Lehrbuche. Das Naturrecht Hr. Prof. Hegel nach seinem Lehrbuche.

Jenaer Dokumente — A3. Vorlesungen WINTER-SEMESTER

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1805/06

Ce. Wilh. Frid. Hegel, D. a) Mathesin puram, et quidem Arithmeticam ex libro: Stahls Anfangsgründe der reinen Arithmetik 2te Aufl. Geometriam ex libro: Lorenz erster Cursus der reinen Mathematik 2te Aufl. ^ hora II—III. b) Philosophiam realem, i. e. naturae et mentis ex dictatis, hora IV—V. c) Historiam philosophiae hör. VI—VII. tradet. Geschichte der Philosophie trägt Hr. geh. Hofr. Ulrich, Hr. Prof. Hegel und Hr. D. Zimmermann vor. Realphilosophie nach Dictaten Hr. Prof. Hegel. Reine Mathematik lehren Hr. Hofr. Voigt, und Hr. Prof. Fischer nach eigenen Lehrbüchern, Hr. Prof. Hegel die Arithmetik nach Stahl und die Geometrie nach Lorenz. SOMMER-SEMESTER

1806

Ge. Wilh. Frid. Hegel, D. a) Mathesin puram, et quidem Arithmeticam ex libro: Stahls Anfangsgründe der reinen Arithmetik 2te Aufl. Geometriam ex libro: Lorenz Grundriß der Arithm. u. Geom. 2te Aufl. hora II— III. b) Philosophiam speculativam s. logicam ex libro suo: System der Wissenschaft, proxime prodituro hora IV—V. c) Philosophiam naturae et mentis ex dictatis hör. VI—VII. tradet. Die Philosophie der Natur und des menschlichen Verstandes Hr. Prof. Hegel nach eigenen Sätzen. ® Speculative Philosophie oder Logik Hr. Prof. Hegel nach seinem Lehrbuche. Reine Mathematik tragen Hr. Hofr. Voigf und Hr. Prof. Fischer nach eigenen Lehrbüchern; Hr. Prof. Hegel, die Arithmetik nach Stahl, und Geometrie nach Lorenz, vor. WINTER-SEMETSER

1806/07

Ge. Wilh. Frid. Hegel, D. a) Mathesin puram, et quidem Arithmeticam ex libro: Stahls Anfangsgründe der reinen Arithmetik 2te Aufl. Ceometriam ex libro: Lorenz Grundriß der Arithm. u. Geom. 2te Aufl. hora II— III. b) Logicam et Metaphysicam s. philosophiam speculativam praemissa 2 Conrad Diedridi Martin Stahl: Reine Mathematik, Arithmetik und Geometrie. Th. 1: Anfangsgründe der Arithmetik zum Gebrauche bei Vorlesungen. 2. Aufl. Jena und Leipzig 1802; Johann Friedrich Lorenz: Grundriß der reinen und angewandten Mathematik oder der erste Cursus der gesamten Mathematik. Th. 1: Die reine Mathematik. Grundriß der Arithmetik und Geometrie. 2. Aufl. Helmstädt 1798. Darin: 137 ff: Grundriß der Geometrie. ® Hierzu erschien in Nr. 28 des Intelligenzblattes von 1806 folgende „Berichtigung. In den von Hn. Prof. Hegel angekündigten Vorlesungen ... ist anstatt Philosophie der Natur und des menschlichen Verstandes zu setzen: Philosophie der Natur und des Geistes."

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HEINZ KIMMEREE

Phaenomenologia mentis ex libri sui: System der Wissenschaft, proxime proditura parte prima; hora IV—V. c) Philosophiam naturae et mentis ex Ul^LCltXS/

1

-\7TMTT • V X.V XX.

Cxv4vt.v.v.

Die Philosophie der Natur und des Geistes Hr. Prof. Hegel nach Dictaten. Speculative Philosophie oder Logik und Metaphysik mit vorangehender Phänomenologie des Geistes, Hr. Prof. Hegel nach seinem Lehrbudie. Reine Mathematik lehren Hr. Hofr. Voigt, Hr. Prof. Fischer nach ihren Lehrbüchern, und Hr. Prof. Hegel die Arithmetik nach Stahl und die Geometrie nach Lorenz. SOMMER-SEMESTER 1807

Ce. Wilh. Frid. Hegel, D. a) Mathesin puram et quidem Arithmeticam ex libro: Stahls Anfangsgründe der reinen Arithmetik 2te Aufl. Geometriam ex libro: Lorenz Grundriß der Arithm. u. Geom. 2te Aufl. b) Logicam et Metaphysicam, praemissa Phaenomenologia Mentis ex libro suo: System der Wissenschaft, erster Theil (Bamb. und Würtzb. bey Goebhardt 1807.) c) Philosophiam Naturae et Mentis ex dictatis, d) Historiam Philosophiae docebit. Die Philosophie der Natur und des menschlichen Verstandes Hr. Prof. Hegel nach Dictaten.

Logik und Metaphysik mit vorangehender Phänomenologie des Geistes Hr. Prof. Hegel nach seinem Lehrbuche. Reine Mathematik Hr. Hofr. Voigt nach seinem Lehrbuche, Hr. Prof. Fischer nach seinem Lehrbuche, und Herr Prof. Hegel die Arithmetik nach Stahl, und die Geometrie nach Lorenz. WINTER-SEMESTER 1807/08

Ce. Wilh. Frid. Hegel, D. lectiones suas philosophicas redux ex itinere indicabit. Aus den Dekanatsakten * Ulrich als Fachvertreter für Moral und Politik an den Dekan Afmplissime] Pfrof]. 0[rd]. Spectabilis Domine Decane Herr M. Hegel hat no. 3. seiner Vorlesungen gratis eine Critik des Fichteschen Naturrechts angezeigt. Da ich nicht anders weis, als daß das gratis lesen nur mit

* Bd 1802/03, geführt von J. C. Hennings. Signatur: Bestand M Nr 216.

Jenaer Dokumente — A3. Vorlesungen

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Consens der gantzen Fakultät gestattet werden soll so habe ich für meine Schuldigkeit erachtet, bevor ich Consentire *, solches Ew. Spectabilität zur weiteren Anfrage bey unserer Fakultät mit derjenigen Ergebenheit vorzulegen, mit welcher ich verharre Ew. Spectabilität Jena, den 4ten May 1802. gehorsamster Diener Joh. Aug. Heim. Ulrich A[mplissimo] P[rof]. 0[rd], Spectabili Decano Illustro Hennings Mission des Dekans und Voten der Fakultätsmitglieder Amplissimi Philosophorum Ordinis Assessores Illustres atque Excellentissimi! 1) Herr D. Hegel will gratis eine Kritik über das Fichtische Naturrecht lesen. Die Facultaet hat längst bestimmt, daß das gratis lesen aufhören soll, es müßte denn die ganze Facultaet einstimmen. Daher frage an: Ob Herrn D. Hegel das gratis lesen zu untersagen? 2) Wünschte morgen nachmittag 2 Uhr, oder was sonst für eine Stunde beliebig seyn möchte, einen Consess zu halten, ... den 4 May 1802 J.C. Hennings hoc tempore Vice-Decanus Spectabilis et Illustris Vice-Decane! Ich habe gegen die gratis zu haltenden Vorlesungen des Herrn D. Hegel nichts zu erinnern. Dem Consess werde ich beyzuwohnen die Ehre haben und ist mir die Stunde um 2 Uhr völlig genehm. Schütz Das gratis-lesen der Privat-Docenten hat schon zu mancherley nachtheiligen Unordnungen Anlaß gegeben und uns neuerlich bewogen, auf eine gänzliche ® Modell-Buch. 63. „Kein Collegium ist einem Privatdocenten publice oder gratis, oder unter welchem Namen es auch seyn mag, zu lesen verstattet, weil hierzu nur die Professores publici das Recht haben."

• Vgl. Anm. 22 zu A 1.

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HEINZ KIMMERLE

Abstellung desselben bey Hochfürstlidier Commission anzutragen. Ich möchte daher, wir consentirten dem Herrn M. Hegel zu seiner Kritik des Hchtesdien NaturRechts nicht. Doch wird es vornehmlich auf die Meynung des Herrn Hofraths Ulrich ankommen. In Ansehung des Consesses wie vorher. Heinrich. Da ich der Session nicht beygewohnt habe, worinn des Herrn GeheimRaths Ziegesaar Hochwohlgebohren der Fakultät eröffnet hat, was in Ansehung unserer Statuten von Serenissimis beschlossen worden, so bin ich nicht im Stande pure in das grafis-lesen zu consentiren. Sollte aber über diesen Punkt noch nichts festes von den Durchlauchtigsten Herren Erhaltern bestimmt seyn, so habe ich nichts dawider, daß auch Herrn Hegel die Erlaubnis ertheilt werde. Ich hätte daher gewünscht, daß in den beyden vorherstehenden verehrungswürdigen Votis auf diesen Punkt: was die Fakultät von dem Herrn GeheimRath von Ziegesaar rationem des gratis Lesens der Privatdocenten für resolution erhalten vorzüglich Rücksicht zu nehmen, gefällig gewesen wären. In Ansehung des Consesses, wie vorher. Ulrich

V.

Eben so; .. Voigt

Aus dem Protocollum Facultatis den 5 May

Hielten einen Consess, und wurden folgende Propositiones in Erwegung gezogen 1) Was wegen des gratis-lesens der Privatdocenten zu beschließen, durch Veranlassung Herrn D. Hegels. — Resolutio war, die Sache bleibe solange in suspenso, bis Herr Commissarius von Ziegesar uns die völlige neue Einrichtung Übermacht hätte. *

' Als eine Folge dieses Antrages ist anzusehen, daß v. Ziegesar als Commissarius der Erhalter der Universität Jena dieser noch im Jahre 1802 eine „Neue Einrichtung bey den Promotionen der philosophischen Fakultät" zugesandt hat. Eine Abschrift dieses Dokuments befindet sich, von Hennings geschrieben, im Modell-Budi (83—85). Darin ist allerdings nichts über die Frage des gratis Lesens enthalten. ® Da die „neue Einrichtung" über diese Frage nichts enthielt (s. vorige Anm.), bleibt offen, ob Hegel diese Vorlesung über die im Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1802 bereits angezeigten hinaus durch Anschlag am Schwarzen Brett angekündigt und ob er sie gehalten hat.

Jenaer Dokumente — A3. Vorlesungen

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Zuhörerlisten 1801—1806 ® Collegium privat über Logik und Metaphysik im Winter-halben-Jahre 1801 bor. III—IV Honorarium: 2 Laubthaler welches, zufolge der von Serenissimis Nutritoribus gegebenen Gesetze, praenumerando binnen 14 Tagen vom Anfang des Collegii zu bezahlen ist, ohne daß irgend einem Docenten Ausnahmen vom Gesetz zu machen oder eine längere Dilation, als auf höchstens 8 Wochen nach dem durch einen Senats-Schluß jedesmal bestimmten Anfang der Vorlesungen, zu ertheilen frey stünde; daher auch die Akademie nach Ablauf des letzten Tages gedaditer 8 Wochen keine Restanten-Anzeige von den Docenten mehr annehmen, noch gerichtliche Hülfe leisten darf, welche auch denjenigen Docenten versagt werden muß, die einen andern, als einen mit dieser Anzeige und dem Abdrucke des akademischen Siegels versehenen Bogen zur Unterzeichnung ihrer Auditoren brauchen; und können von diesen Verfügungen nur Collegia privatissima, in dem Falle, wenn zwischen dem Lehrer und den Zuhörern durch einen zu producirenden schriftlichen Contract etwas anders verabredet worden ist, ausgenommen werden.

Vor- und Zuname.

Vaterland.

Victor Piccard A. V. Trott C. Schlosser F. Schlosser R. Abeken Schelling Troxler Seywert Pagenstecher Block C. F. G. Frost

aus Lausanne aus Hessen Frankfurth Frankfurt aus Osnabrück aus dem Würtembergischen aus der Schweiz aus Andernach aus Osnabrück aus Osnabrück aus Schlesien

* Die erste dieser Listen befindet sich im Besitz von Prof. H. Glöckner, der die Erlaubnis zum Abdruck freundlicherweise erteilt hat. Die übrigen fünf entstammen dem Hegel-Nachlaß (Kassette 15). Ein Laubtaler hatte damals einen Wert von etwa 1 r. und 15 g.

“ Dieser vorgedruckte Text über Zahlungsfrist usw. folgt im Anschluß an die Honorareintragung auf allen Listen; wir geben ihn dort nicht mehr wieder.

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Collegium privatum von Dr. Hegel über das System der speculativen Philosophie im Winter-halben-Jahre 1803—4 hör. VI—^VII Honorarium: drey Laubthaler Vor- und Zuname.

Vaterland.

H. Sprenger W. Barnstedt W. Sdireiner G. Stokar H. Wdludovius K. Hey Meier D. Mölnos J. F. J. Schmidt Steimmig Walter S. H. Freudenfeld Bindhein Joh. Qirist. Köhler H. A. Timm Karl Sponholz

aus Kurbaden, aus Westphalen. aus Nassauischen. aus Schaffhausen, aus Litthauen. aus dem Gothaischen. aus Chur Baden aus Siebenbürgen aus Mecklenburg, aus Pfalzbaden aus Mecklenburg, aus Mecklenburg, aus Eisenach aus dem Eisenachisdien. aus dem Mecklenburgischen Ingermannus [= aus dem Gouvernement Petersburg] aus dem Badenschen aus Lübeck aus Zweybrücken. aus Kurbaaden aus Ehstland aus Livland Ostpreußen, aus Lübeck aus der französischen [?] Republik aus Lübeck aus Francfurth a. M. Franken aus Livland aus Hannover.

K. C. Schuster I. N. Koch C. Schultz L. Eichrodt T. F. Glamström C. M. V. Grothuss L. L. Krispien Ostermeyer Ph. Seel Lindenberg L. Kühneil Höchstetter Mickwitz Kessler

Jenaer Dokumente — A3. Vorlesungen

Collegium privatum über das ganze System der Philosophie im Winter-halben-Jahre 1804—5 hör. VI—VII Honorarium: drey Laubthaler

bez[ahlt]

bezahlt

bezahlt

Vor- und Zuname.

Vaterland.

Thienemaim Koch IV. Kästner Wiener Nonne Melle Lange Widimann Sponholz C. G. Overbeck Hagemeister L. Goeden IV, Goeden K. Hey E. Waitz. F. Otto W. Streit Molnos Graeser Battenseiler Jericho Frdr. Grundmann Bachmann Müller Anton Schmz'feon [=Schmitt] Barnstedt Heuaecker Lämmerhirt Goetze Walter

Gotha Sdiwarzburgisches aus dem Eisenadüschen. aus Hildburghausen. aus Lübedc aus Riga. aus Riga aus Butlau aus Lübeck aus Sdiwed. Pommern aus Mecklenburg Megapolitanus [=Mecklenburger] aus dem Gothaischen. aus dem Gothaischen. aus Meiningen aus dem Altenburgischen. Siebenbürger Siebenbürgen Siebenbürger Chursachsen. Gräflich Schönbergisches aus Altenburg aus Eisenach aus Bingen aus Westpfahlen z. zweiten Mahle Schwarzbürger. aus dem Meiningschen Coburgisches aus Livland

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Collegium privatum von Prof. Hegel über die Logik im Sommer-halben-Jahre 1805 hör. IH—IV. Honorarium: drey Laubthaler Vor- imd Zuname.

Vaterland.

F. Hagemeister L. Roth Ch. F. Lange W. V. Wichmann Baumann C. G. van Ghert H. Suthmeyer G. ehr. Zellmann J. F. G. Heuaecker M. H. Ostermeyer W. Saur Götze

Pommern Churbaden, aus Churbaden Liefland aus Hohenlohe. Brabanto Batavus aus Bremen aus Eisenach aus Schwarzburg Rudolstadt aus Lübeck — dem Ritterschaftlichen Coburgisches.

[Collegium über Geschichte der Philosophie, Winter 1805/06] Aus einer heute verschollenen Zuhörerliste referiert HOFFMEISTER in seiner Ausgabe der Vorlesungen Hegels über Cesdiichte der Philosophie, daß Hegel zu diesem Thema „im Wintersemester 1805/06 in Jena nachmittags von 18—19 Uhr vor 17 Zuhörern (unter denen wir seinen Nachfolger auf dem Lehrstuhl in Berlin, G. A. GABLER, seinen Freund P. G. VAN GHERT, einen späteren holländischen KultusMinisterialrat, ehr. SUTHMEYER, einen späteren Pfarrer .., Chr. G. ZELLMANN, den besten, leider früh verstorbenen, damaligen Schüler Hegels, und K. Fr. BACHMANN, der später ... als Gegner auftrat, finden) Kolleg hielt". (Hegel: System und Geschichte der Philosophie. Leipzig 1940. VII.)

Jenaer Dokumente — A3. Vorlesungen

Collegium privatum über Logik und Metaphysik oder speculative Philosophie im Sommer-halberi-Jahre 1806 hör. III—IV. Honorarium: drey Laubthaler Vor- und Zimame.

Vaterland.

Christ. Gotth. Zellmann Herrm. Suthmeyer van Ghert Friedrich Olert Bacmeister Cp. Fröbel Midi. Bölöny Johann Schnell Anton Geißler, Heuaecker. Meister Gabler Herrmann Georgius Rhetorides Gustav Haumann Joh. Fried. Wilh. Kirsten

Eisenach. Bremen Holland Siebenbürgen aus dem Hannoverschen. aus dem Schwarzburgischen aus Siebenbürgen aus Siebenbürgen. aus Eisenach. aus Schwarzburg-Rudolstadt, aus dem Hohenloischen. Jena. aus Hamburg. Constantinopel. Gotha. Gotha.

Collegium privatum über Philosophie der Natur und des Geistes im Sommer-halben-Jahre 1806 hör. V—VI. Honorarium: drey Laubthaler Vor- und Zuname.

Vaterland.

Christian Gotth. Zellmarm Herrn. Suthmeyer Schultz van Ghert Reisig Bacmeister

Eisenach. Bremen. Westpfahlen. Holland Frankreidi. von dem Hannoverschen.

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Cp. Fröbel Zerener Gabler Herrmann Heuaecker Meister Gabler Friedridi Olert 7. May Joh. Christoph Beyer Friedr. Volkhart Hermann Franz Max. Hartwig Scarlatus Saraphaky Georgius Rhetorides L. Frank Staude Schnetter Jansen Hagemeister

aus dem Schwarzburgischen. Jena Jena. aus Hamburg. aus Schwarzburg-Rudolstadt aus dem Hohenloischen. aus dem Altenburgischen. aus Siebenbürgen aus dem Nassau-Oranischen aus Schwarzburgsondershausen aus Meiningen. aus Ulm aus Heßen aus der Moldau. — Constantinopel Schwarzburger aus Coburg. aus dem Ansbachischen. aus Westpfalen aus Schwedisch-Pommern

Auf dieser Liste befinden sich noch folgende gestrichene Eintragungen: Wilhelm Schoenebeck [aus] Amstadt, Henneberger aus Meiningen.

Nebenstehend eine verkleinerte Abbildung der Zuhörerliste vom SS 1805 (vgl. S. 62)

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Jenaer Dokumente — A4. Bericht Gablers

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4. Bericht Gablers über Hegel Georg Andreas GABLER, Hegels Nachfolger in Berlin, schrieb 1840 auf Veranlassung von Karl ROSENKRANZ, der damals an der Biographie Hegels arbeitete, Erinnerungen an Hegels Jenaer Zeit auf. Das Original dieses Berichts ist heute verschollen (Autographenabteilung der Berliner Staatsbibliothek). Wir veröffentlichen ihn hier nach einer — leider nicht vollständigen — Abschrift von HOFFMEISTER. i

Hegel in Jena i. J. 1805l6. Bloß auf dieses Jahr beschränken sich einige Notizen, welche ich über Hegel aus jener Zeit zu geben vermag Er war noch Privatdozent, als ich Anfangs Juni 1804 nach Jena kam, lag damals aber um so mehr außer meinem Gesichtskreise, als ich eben meine juristischen Studien ernstlich zu beginnen gedachte, nachdem ich meine humanistischen bereits zu Altorf, wo bis dahin mein Vater Professor gewesen war, so ziemlich absolviert zu haben glaubte. Hegel wurde in demselben Jahre noch nebst FRIES zum außerordentlichen Professor mit 50 r. Gehalt ernannt ®. Meinem Vater, der alles auf FRIES hielt und diesen gerne allein befördert gesehen hätte, wurde auf seine Nachfrage der Bescheid gegeben, daß man, die Dienste und Verdienste beider um die Universität miteinander verglichen, nicht den einen ohne den andern zum Professor habe machen können, ohne eine Ungerechtigkeit oder Unbilligkeit zu begehen. Auch ich wurde durch die vorherrschende Richtung und Stimmung in meinem Lebenskreise vorzugsweise auf FRIES hingelenkt, dessen Name stets mit Achtung genannt wurde, während man Hegel wie eine Obskurität behandelte. Die Rechtsphilosophie indessen, welche ich bei FRIES im Winter 1804/5 zu hören wünschte, kam nicht zustande, was damals sehr bedauert wurde. FRIES sagte mir es selbst, als ich dieser Vorlesung wegen bei ihm war, und schenkte mir sein damals erscheinen1 Diese Abschrift befindet sich im Hegel-Archiv. — In Rosenkranz: Hegels Leben werden eine Reihe von Tatsachen mitgeteilt, die aus Gablers Bericht entnommen sind (vgl. 161 f und 215—218); s. auch die Erwähnung in der Vorbemerkung zu Rosenkranz: Aus Hegels Leben. In: Literarhistorisches Taschenbuch. 1843. 90. — Auch Karl Hegel erwähnt und benützt die Aufzeichnungen Gablers (Briefe von und an Hegel. Leipzig 1887. Bd 1. 81; Bd 2. 282). ® Ein Zeugnis Hegels für Gabler, das am 16. 8. 1810 in Nürnberg ausgestellt ist und heute im Hegel-Archiv aufbewahrt wird, bestätigt diesem, daß er im Wintersemester 1805/06 „reine Mathematik" und „Geschichte der Philosophie", im Sommersemester 1806 „spekulative Philosophie" und „Philosophie der Natur und des Geistes" bei Hegel gehört hat. Wenn Gabler im Winter 1806/07 nicht mehr bei dem von ihm bewunderten Lehrer gehört hat, obwohl er noch in Jena war, kann man dies als Anzeichen dafür werten, daß Hegel in diesem Semester bereits nicht mehr gelesen hat. * Daß Hegel in Wahrheit nicht 1804, sondern im Februar 1805 zum a.o. Professor ernannt wurde, geht aus den oben veröffentlichten Dokumenten hervor; zur Gehaltsfrage vgl. Anm. 19 und 22 zu A 2.

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des Lehrbuch der Rechtsphilosophie Jena hatte damals schon, noch vor der Katastrophe von 1806, einen harten Stoß erlitten, teils durch Studententumulte ® und ein ungeschicktes Universitätsregiment, teils durch den Verlust mehrerer seiner berühmtesten Professoren in allen Fakultäten, denen nun nach und nach noch andere und jüngere Männer folgten, welche außerdem hätten einigen Ersatz gewähren köimen, wie BREYER imd AST, die nach Landshut gingen, NIETHAMMER nach VVürzburg, endlich auch THIBAUT nach Heidelberg, bei welchem ich viel gehört und den ich öfters auf seinen Spaziergängen oder auch vom Kollegium in seinen Garten begleitet hatte. Nach Heidelberg ging auch DE WETTE. Eine bedeutende Akquisition dagegen war bloß ACKERMANN, der Physiolog, bei welchem auch Hegel Physiologie hörte, etwas später GöDE, viel versprechend als eleganter Jurist und besonders Germanist, beide nicht von langer Dauer in Jena, noch später, erst bei oder nach Hegels Abgang, LUDEN und OKEN. Von jüngeren Dozenten der Philosophie war damals außer Hegel und FRIES auch KRAUSE vorhanden, von welchen dreien jeder unter den Studierenden seine kleine Anhängerschaft, seine Lobpreiser, Bewunderer und Werber fand. Ich selbst wurde erst im Sommer und Herbst des J. 1805 näher zu Hegel geführt, äußerlich dadurch, daß drei der eifrigsten Anhänger von Hegel mit mir in demselben Hause wohnten, SUTHMEYER aus Bremen, ZELLMANN aus Eisenach und der Holländer VAN GHERT, welcher . . . seine Dankbarkeit gegen Hegel nachher öfter bewiesen hat, schon dadurch, daß er ihm nach Nürnberg eine schöne Amsterdamer Ausgabe von Jak. BöHME zum Geschenk übersandte ®, welche mir Hegel selbst dort zeigte, — innerlich aber durch eine totale geistige Umwälzung, welche zugleich mit einer leiblichen Hypochondrie in mir Platz griff und für das Nächste mein ganzes damaliges Wissen und Bewußtsein mit allem, was mir bis dahin gegolten hatte, in die gleiche Auflösung, in Eine Nacht des Nichtwissens und Zweifels versenkte. Es war mir so viel klar, daß, ehe mir durch die Philo* Fries hatte als zweite Vorlesung angekündigt „Philosophiam iuris vulgo Jus naturae duce libro suo: Die philosophische Rechtslehre. Jena bey Mauke. 1803." S. Catalogi scholarum ... 163R. ä Vgl. unsere Vorbemerkung 22 f, auch zum folgenden. “ Zu der Ausgabe von Jakob Böhmes Werken, die van Ghert an Hegel gesandt hat, vgl. Briefe. Bd 1. 317, 324, 330, 350, 381. Eine Amsterdamer Ausgabe, auf die van Gherts Beschreibung zutrifft; Folio, 2 Bände, mit einem Anhang de Vita et Scriptis, gibt es nicht. Offensichtlich handelt es sich um folgende Ausgabe: Theosophia reve-

lata. Das ist: Alle Göttliche Schriften ... Jacob Böhmens .. ■ aus genauer Untersuchung der bisherigen Editionen, insonderheit von Ao. 1682 . .. Anbey mit des .. . Johan Georg Gichteis Geistreichen Marginalien ... ln Beyfügung des Autoris 7. B. erweiterten Lebens-Lauffes und nöthigen Registern ... 1715. 2 Bde. — Das Vorwort ist unterschrieben: Hamburg den 24 Jul. 1715. Diese Ausgabe wurde von J. O. Glüsing im Auftrag einer in Leiden ansässigen Redaktion besorgt. Sie erschien in Hamburg. Ein Teil der Ausgabe wurde auf größeres Papier gedruckt. Die gebundenen Exemplare dieses Teils der Ausgabe haben „annähernd Foliogröße". Vgl. Werner Buddecke: Die Jakob-Böhme-Ausgaben. T. 1. Göttingen 1937. (Hainbergschriften. Arbeiten Göttinger Bibliothekare. 5.) 12—22, bes. 21 f.

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Sophie eine neue gründliche Basis, damit zugleich meine Heilung und Wiedergeburt gewonnen wäre, alle übrigen Studien etwas Unnützes seien, die daher vor der Hand als bloße Gedächtnissache und Materialiensammlung mit fortdauernder betrieben wurden. Ich entschloß mich endlich nach mancherlei eignen, aber unfruchtbaren Versuchen über das verrufene Absolute, bei Hegel selbst zu hören, hatte aber im eignen Hause viel zu tun, um die Erlaubnis dazu durchzusetzen und das Vorurteil zu überwinden. Als ich den vorhin genannten und an meinen Vater speziell empfohlenen SUTHMEYER mit meinem Entschlüsse bekannt machte, entgegnete dieser, er habe mir schon lange angesehen, daß in mir etwas vorgehe und das Absolute zum Durchbruch kommen wolle. Unglücklicherweise gab dieser zur Bestätigung der Meinung, daß das Absolute ein leeres Hirngespinst und etwas völlig Unpraktisches sei, bloß geeignet, den jungen Leuten den Kopf zu verdrehen und sie von ihren Studien abzuwenden, durch seinen eigenen Wandel ein sehr schlimmes Beispiel, indem er nicht bloß seine theologischen Studien und Vorlesungenn gänzlich vernachlässigte und mit der Sache auch die Lehrer verhöhnte, sondern auch ein liederliches und ausschweifendes Leben führte mit vielen groben Exzessen in denen die Genialität oft in der niedrigsten Gemeinheit unterging. Der Holländer wurde ganz von ihm beherrscht, hatte aber eine derbe Natur, die mehr aushalten konnte, und war auch sonst sehr gutmütiger Art. SUTHMEYER stand überhaupt an der Spitze der Hegelianer in Jena, was zum Teil auch mit landsmannschaftlichen Verhältnissen zusammenhing, brachte die Vorlesungen zustande und hielt sie aufrecht. Ein so guter und lebendiger Kopf er war, so äußerte sich sein Enthusiasmus für die neue Philosophie doch zumeist nur im Negieren alles Alten und Bisherigen. Dieses war aber auch völlig bestimmt und entschieden, energisch und treffend. Von dieser Seite hat er mir und Anderen gute Dienste geleistet, indem wir über die Unhaltbarkeit des uns schon innerlich zugrunde Gegangenen nun auch zum Bewußtsein der Mängel und ihrer Gründe gebracht wurden. Von ZELLMANN dagegen wurden die Sachen mehr innerlich verarbeitet. Für diesen, dessen bessere sittliche Natur ihn nur selten an einem kleinen Exzesse etwa teilnehmen ließ, war es schade, daß er schon den Keim einer Schwindsucht in sich trug, woran er auch wenige Jahre später starb. Der Glasglanz und gebrochene Blick seines Auges verriet es; dafür war er desto mehr nach innen gewendet und gewann die Idealität des Geistes den Sieg über das Äußere. Er war am meisten in das innere Verständnis von Hegel eingedrungen. Ich muß noch jetzt sein eignes Vorarbeiten und eine gewisse spekulative Divinationsgabe, die er dafür besaß, bewundern. Ich fand dieses, da er mir ein paarmal sein Heft von HegeTs letzter Vorlesung, noch dazu, wenn ich mich noch recht erinnere, von der Naturphilosophie im Sommer 1806, mitteilte. Er hatte nicht bloß den letzten Vortrag zu Hause sorgfältig ausgearbeitet, sondern auch bereits der folgenden Stunde vorgearbeitet, imd in dieser kam es so, wenigstens in der Hauptsache, wie er es schon niedergeschrieben hatte. Übrigens aber war für uns und die meisten die neue Philosophie damals noch ein großes wirres Chaos, in dem alles noch erst

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sich ordnen und gestalten sollte, ein allgemeiner Schwindel und Taumel, in welchen alles hineingerissen wurde. Und nicht bloß, daß das Absolute, welches alles verschlang, bei aller Macht des Zaubers, den es auf alle übte, doch noch etwas Unbestimmtes oder Leeres war, von dem man nur wußte, daß die Welt unseres gemeinen Bewußtseins etwas darin Negiertes sei; auch die bestimmten Entwicklungen und Gestaltungen, welche der Meister vorführte, schwammen bei den meisten nur noch in dem allgemeinen Elemente umher und wurden von wenigen in ihrer Bestimmtheit gefaßt. Ohnehin war mit der Negation der ganzen vorigen Denk- und Vorstellungsweise auch die Sprache und Terminologie, in welcher sie auftrat, so fremd und ungewohnt als die Sache selbst, und was jetzt, in das allgemeine Denken und Bewußtsein bereits aufgenommen, leicht verstanden wird, bot damals unüberwindliche Schwierigkeiten dar Es fehlte daher mcht an Studenten, deren gemeiner, natürlicher, aber fester Verstand sich entschieden gegen diesen „Unsinn" aussprach. Eine rohe Natur dieser Art war einmal von SUTHMEYER in's Kollegium mitgebracht worden und sollte ebenfalls gewonnen werden. Dieser Mensch aber erklärte, daß er hier gar nichts verstehe imd gar nicht wisse, wovon die Rede sei, ob von Enten oder Gänsen. Es erschien hierauf ein Vers, der ... so lautete: Ob von Gänsen oder Enten Fragst Du, hier die Rede sei. Wohl! man muß die Frage wenden. Und sie fehlen nicht dabei. Dessen ungeachtet war es bei andern nicht viel besser; die Meinung vom Absoluten, welche sie trug, ließ sie nicht sehen, was sie in der Tat nicht verstanden. Diese echten Jünger hatten aber die größte Hochachtung vor dem Meister und eine fast abgöttische Verehrung für alles, was von ihm ausging. Er war ihnen ein höheres Wesen, dem gegenüber alles Eigene in seinem bisherigen Zustande nur etwas Verworfenes tmd Nichtiges war. Es erstreckte sich diese Verehrung auf alles, auch das Geringste, was man aus dem Leben und Tun des Mannes in Erfahrung bringen konnte, auf jeden Zug, jede Weise des Benehmens und Verhaltens, jede Äußerung. Hinter jedem Worte, das man erhaschen konnte, wurde eine tiefe Bedeutung, eine Wahrheit gesucht. So hatte der Buchhändler FROMMANN einmal bei einer besonderen Veranlassung (wenn ich nicht irre, weil LODER oder WOLF von Halle da war) ein Mittagessen gegeben, bei welchem auch Hegel eingeladen war. Da es zu Ende ging, erzählt man, kam der Wirt mit allerlei Entschuldigungen wegen seiner schlechten Bewirtung, daß seine Küche jetzt eingefallen sei, allerdings aber noch dies und jenes, was er bei Namen nannte, hätte zum Vorschein kommen sollen. Hegel soll da gerufen haben: „Ja, bringen Sie nur, was Sie haben! Es ist alles da zum Verzehren; wir wollen ihm sein Schicksal schon antun." — Es wurde die Frage abgehandelt, ob Hegel auch Tabak rauche (das Schnupfen sah man in den Vorlesungen), und man brachte ^ Siehe unten die Erläuterungen, Abschnitt 4: Zu Hegels Vorlesungsstil.

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heraus, daß er einmal in Gesellschaft bei NIETHAMMER gewesen und da in die Küche gekommen sei, um sich eine tönerne Pfeife anzustecken. — Ein Student, der im Begriff war, von Jena nach Würzburg zu gehen, empfahl sich bei Hegel. Dieser sagte zu ihm: „Ich habe auch einen Freund da" (nämlich SCHELLING). Hier, wurde nun die Bemerkung gemacht, wolle das Wort „Freund" etwas ganz anderes sagen als sonst im gemeinen Leben. Und dergleichen mehr. Auch ich kam, als ich bei Hegel zu seinen Vorlesungen mich anmeldete, mit der größten Scheu und Ehrfurcht zu ihm und im Bewußtsein der eigenen Nichtigkeit. Ich traf ihn einmal, wie er lesend im Zimmer auf und abging, ein andermal am Schlüsse seines Mittagessens, die Reste nebst Bier und Wein noch vor ihm, wovon er mir freundlich anbot, als ich mich auf sein Verlangen zu ihm gesetzt hatte; ich lehnte bescheiden alles ab. Wenn der Ernst der Züge und besonders der Ideale, den nach innen gekehrten Denker anzeigende, gebrochen glänzende Blick des großen Auges Scheu einflößte und wenn auch nicht eben abschreckte, doch etwas Abhaltendes hatte, so wurde man durch die Milde und Freundlichkeit des Ausdrucks wieder gewonnen und genähert. Es hatte aber Hegel ein eigentümliches Lächeln, wie mir nur bei sehr wenig Menschen etwas Ähnliches vorgekommen ist. Etwas davon hat sein ältester Sohn. In dem Wohlwollen des Lächelns lag zugleich etwas Schneidendes, Herbes oder Schmerzliches, Ironisches oder Sarkastisches, ein Zug, der auf eine tiefe Innerlichkeit hinwies, und mit dessen psychologischer Bezeichnung ich noch nicht im Reinen bin. Am ersten möchte ich dieses Lächeln vergleichen mit einem Blick Sonnenschein, der aus einem sonst schwer mit Wolken behangenen Himmel hervorbricht und auf einen Teil der übrigens finster beschatteten Landschaft leuchtend und erhellend fällt, in dieser Beschattung selbst aber seine Grenze und Negation hat. — Bei dem zweiten, dem Tischbesuche war es auch, ... daß von meinen früheren Studien, meinen eigenen, vergeblichen Bemühungen um eine tiefere Erkenntnis und meiner Hypochondrie die Rede war. Das Letzte nahm er sogleich geistig, phänomenologisch und bemerkte, daß wohl jeder, in welchem etwas mehr stecke, einmal im Leben so eine Hypochondrie durchzumachen habe, in welcher er mit seiner bisherigen Welt und seiner unorganischen Natur zerfallen sei. Auch vom Naturrecht und von dem, was man gewöhnlich so heißt und darunter sich vorstellt, wurde gesprochen. Die ersten Vorlesungen, welche ich bei Hegel hörte, im W.S. 1805/6, waren reine Mathematik und Geschichte der Philosophie. Jene, von 1—2 Uhr, war nur von wenig, diese dagegen, abends von 6—7 Uhr, von 30—40 Zuhörern besucht. Von der Mathematik habe ich erst durch H. das gehörige Verständnis gewonnen; was mir früher darin schon schwer vorgekommen, wurde mir jetzt durch die begriffliche Behandlung leicht. Nicht so gut ging es in der Geschichte der Philosophie, wozu mir, so viel ich auch vorher schon Logik und Metaphysik und Moral gehört hatte, doch die Vorkenntnisse fehlten, die für alte Philosophie auf Schulen damals nicht über die eine oder andere Schrift von CICERO hinausgingen. Die Vorlesungen aber, welche Hegel wohl selbst erst damals unter dem

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fleißigsten und anhaltendsten Quellenstudium ausarbeitete, wurden von allen mit dem regsten Interesse gehört, welches insbesondere die damals unerhört T/--U neue aiaicKiibuie ruiuuiuuii^ VUAL «-^yaicui z-w wie so eine philosophische Gestalt nach der anderen aufgeführt, eine Zeitlang auf dem Schauplatze gelassen und betrachtet, dann aber wieder zu Grabe getragen wurde, daß eines Abends am Schlüsse der Stunde ein schon ziemlich bejahrter Mecklenburger aufsprang und rief: das sei der Tod, und so müsse alles vergehen. Es entspann sich daraus eine lebhafte Erörterung, in welcher insbesondere SuTHMEYER das Wort nahm und entgegnete: Ja, das sei der Tod und müsse der Tod sein; in diesem Tode sei aber das Leben, welches immer herrlicher hervorgehen und sich entfalten werde. — Auch hatten wir bis dahin keinen Unterschied zwischen Hegel und SCHELLING gewußt; sie galten uns beide gleich und gemeinschaftlich für ein und dieselbe Philosophie. Der Unterschied aber fand sich zuletzt und wurde uns klar zu unserer Verwunderung, als auch ScHELLiNGS System an die Reihe kam und davon als von einer eigentlich noch unvollendeten, in verschiedenen Ansätzen und Evolutionen anders versuchten Sache die Rede war und insbesondere als Mangel desselben die ruhende unmittelbare Einheit der Gegensätze im Absoluten und die bloß quantitativ gefaßte Differenz u. s. w. bemerklich gemacht wurde. — Da schon i. J. 1805 das preußische Heer gegen NAPOLEON mobil gemacht worden war, so fielen Truppenzüge und Einquartierungen, von denen auch Jena heimgesucht wurde, noch in den Anfang des Wintersemesters. Man hatte bei solchen Gelegenheiten bisweilen Hegel in Gesellschaft von Prof. SCHELVER, der später nach Heidelberg ging, in den Straßen oder auf dem Markte von Jena diese Truppen in Augenschein nehmen sehen, und man war begierig, sein Urteil über diese Streitkräfte und ihre Beschaffenheit zu erfahren. Wie er sich etwa schon i. J. 1805 äußerte, weiß ich nicht; von dem folgenden Jahre aber, wo das Schauspiel sich wiederholte und der Krieg für Preußen unabwendbar wurde, ist es bekannt, daß er für dessen Waffenglück keine großen Hoffnungen hegte und den bei der preußischen Armee wahrgenommenen Zuständen, Einrichtungen und sonstigen Beschaffenheiten in Vergleichung mit den französischen fast schon das ihrer harrende Unglück ansah. Hegel hielt seine Vorlesungen im Winter 1805/6 in EICHSTäDTS Auditorium, welches sich in einem Hinterhause befand, zu welchem man über zwei kleine Höfe gelangte. Eines Abends in der Geschichte der Philosophie geschah es, daß noch preußische Einquartierung ankam und einige Mann, welche in das Hinterhaus gewiesen waren und hier ihre Unterkunft suchten, von der Erleuchtung angezogen in unser Auditorium hereintraten. Sie wurden zwar von einem der Zuhörer sogleich an der Tür zurecht gewiesen, aber auch Hegel, der ein Paar Minuten inne gehalten hatte, ließ sich vom Katheder mit den Worten vernehmen: „Schon besetzt!" Noch muß ich bemerken, daß Hegels Studium des ARISTOTELES, zu dessen gründlicherer und tieferer Auffassung wohl seine Vorlesungen über Geschichte I*

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der Philosophie, besonders der Logik geblieben zu sein scheinen wenn auch die Logik, welche uns Hegel im darauf folgenden Sommerhalbjahr nur im Grundrisse und im Anschlüsse an die Phänomenologie gab, noch nicht mehr als den Keim und die einstweilige Grundlage seiner späteren ausführlichen Logik enthielt. Für die Phänomenologie aber, welche bereits in ihrer vollständig entwickelten Gestalt auftrat und an welcher auch damals schon in Bamberg gedruckt wurde hatte Hegel die Veranstaltung getroffen, daß seine Zuhörer die einzelnen Bogen, wie sie erschienen, in der akademischen Buchhandlung in Jena erhalten konnten. Auch der mündliche Vortrag derselben aber behielt für uns noch seine großen Schwierigkeiten, da die vorgeführten geschichtlichen Gestalten nur ihrem innern Gedanken nach gegeben, nicht aber nach ihrem äußern geschichtlichen Dasein näher bezeichnet wurden. Seine Sommervorlesungen hielt Hegel, und zwar die ebengenannten von 3—4, Philosophie der Natur und des realen Geistes aber von 5—6 Uhr, in einem anderen Auditorium, in welchem auch AUGUSTI las. Hier trug sich nun die auch sonst bekannt gewordene Irrung und Verwechselung zu, daß Hegel, welcher nach Tisch etwas geschlafen hatte, plötzlich erwachte und die Uhr schlagen hörte, und da er es für 3 Uhr hielt, in's Kollegium forteilte und hier vor AUGUSTI'S Zuhörern seine Vorlesung begann, bis endlich einer derselben, aber nicht ohne Mühe, es ihm beibrachte, daß erst 2 Uhr sei. Inzwischen war aber auch AUGUSTI gekommen, hörte an der Tür im Auditorium sprechen, horchte und erkannte Hegels Stimme und zog nun wieder ab, indem er glaubte, daß er sich geirrt und um eine Stunde zu spät gekommen sei. Die Sache wurde unter den Studenten sogleich bekannt, und als um 3 Uhr Hegels Zuhörer sich einfanden, war alles begierig, ob und wie etwa er sich selbst über den Vorfall äußern würde. Dies geschah auch, ungefähr so: „M. H., von den Erfahrungen des Bewußtseins über sich selbst ist die Erste Wahrheit oder vielmehr Unwahrheit der sinnlichen Gewißheit. Bei dieser sind wir stehen geblieben, und ich habe selbst vor einer Stunde eine besondere Erfahrung davon gemacht." Von dem kurzen Lächeln aber, womit er diese Worte begleitete, ging er sogleich wieder zu seinem gewohnten philosophischen Ernste über. In der realen Philosophie, Philosophie der Natur und des Geistes in Einem Semester, konnten ebenfalls nur die Hauptstufen, jedoch in dialektisch fortschreitender Entwicklung angegeben werden und wurden in mancher Hinsicht ® Dieser Satz in der Abschrift des Berichts ist offenbar korrupt. Da es nicht sicher ist, ob er so im Original steht oder ob ein Abschreibeversehen Hoffmeisters vorliegt, wird keine Konjektur vorgenommen. — Auf Hegels Aristoteles-Studium in dieser Zeit ging Gabler auch bereits in seiner Besprechung der Hegelschen Enzyklopädie in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik (Jg. 1832, Bd 1. 221) ein; „Ref., einer seiner [Hegels] ältesten Schüler, kann selbst bezeugen, daß er die wichtigsten Aufschlüsse [über Aristoteles] schon vor 26 Jahren von ihm vernahm. H. hatte schon damals das Tiefste und Beste an der Quelle selbst geschöpft." Vgl. auch die noch erhaltene Übersetzung Hegels von De anima III, 4—5: Hegel-Studien. 1 (1961), 49—88. ® Briefe, Bd 1. 113: „Der Druck ist im Februar [1806] angefangen worden."

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anders gefaßt und bestimmt, als sie später die Enzyklopädie brachte. In der Naturphilosophie z. B. war zuerst vom Verstände der Natur die Rede, den sie in ihren Einteilungen in Gattungen oder Arten usw. überhaupt in einer äußeren Ordnung oder Klassifikation zeige, dann erst von ihrer Vernunft, dem vernünftigen Begriffe und dessen Realisierung. Zu Zeit und Raum war das Dritte damals nicht der Ort und die Bewegung, sondern die Dauer, u. so anderes mehr. Auf ähnliche Weise auch die Entwicklungsstufen des Geistes damals noch nicht in der späteren Bestimmtheit ausgearbeitet und geschieden. — ... Als in den Tagen des 14. Okt. überall in der Stadt Zerstörung und Verwüstung war und nur wenige Häuser der Plünderung entgingen, kam Hegel, der in seiner Wohnung sich nicht für sicher hielt, nebst seiner Wärterin, welche einen Korb auf dem Rücken trug, zu uns, um in unserem Hause eine einstweilige Unterkunft zu finden. Da mein Vater gerade Prorektor war, so war es beim ersten Andrange gelungen, für unser Haus eine Sauvegarde zu erhalten; später, da diese uns verließ, suchten wir uns durch allerlei Maßnahmen, durch Unerschrockenheit und Klugheit zu schützen. Besonders vorteilhaft war es, daß ich, ausgegangen, um irgend einen höheren Offizier zu uns ins Quartier zu bringen, einen sehr glücklichen Fund machte an einem französischen Artillerieobersten, den ich ... bei uns seine Wohnung zu nehmen einlud, was von ihm auch unter Anzeige bei der sog. Municipalität angenommen wurde. Es war dies am Abend vor der Schlacht, bis zu deren Beginn es am tollsten herging ... Durch die Fürsorge unseres Obersts, welcher sich auch nach der Schlacht, aus welcher er uns einen seiner Bedienten zurückschickte, auf mannigfaltige Weise wohltätig für uns erwies, . .. geschah es, daß während rings um uns alle Häuser gestürmt, erbrochen und verwüstet wurden und des Krachens und Klirrens kein Ende wurde, unser Haus verschont blieb ... Hegel, welcher in seiner Wohnung dem Ungestüm und Andrang der überall einbrechenden französischen Soldaten ebenfalls ausgesetzt war und zuletzt weichen mußte, erzählt mir jedoch, daß er anfangs noch ziemlich glücklich gewesen sei. Es seien einige Infanteristen in seine Wohnung gedrungen mit drohendem Aussehen und fähig, das Schlimmste zu verüben; er habe jedoch einen derselben, welcher das Kreuz der Ehrenlegion trug, bei der Ehre, deren Zeichen er auf der Brust trage, zu packen gewußt und ihn mit seinen Kameraden dazu gebracht, daß sie die von ihm ausgesprochene Erwartung einer ehrenhaften Behandlung wirklich rechtfertigten; er habe ihnen zu essen und zu trinken gegeben, was er hatte, und sei so, bis sie wieder gingen, ganz friedlich mit ihnen ausgekommen. Obgleich Hegels Aufnahme in unserem Hause nicht sonderlich gerne gesehen wurde, so wußte ich ihm doch ... eine leerstehende Studentenstube zu vermitteln, in welcher er einstweilen seine Aufwärterin mit der mitgebrachten Habe ließ. Es dauerte dies indessen nicht lange. Als ich nach einigen Stunden wieder nach Hause kam, hörte ich, daß er alles wieder abgeholt habe. Nach der Schlacht war eine baldige Rückkehr der Ordnung den Franzosen selbst für ihre Tausende von Verwundeten sehr nötig ... Diese zurückkehrende Sicherheit veranlaßte wohl

Jenaer Dokumente — A4. Bericht Gablers

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auch Hegel, in die eigene Wohnung zurückzugehen ... Nach einiger Zeit traf ich ihn bereits sich zur Abreise nach Bamberg anschickend, wo er sich einstweilen aufhalten und den Druck seiner Phänomenologie betreiben wollte. Für sich hatte er von einer für den Augenblick so gut als aufgelösten und zersprengten Universität nicht den geringsten Vorteil zu erwarten und konnte in seinem Verhältnis zu derselben mit 50 r. Gehalt, deren Auszahlung selbst noch ungewiß war, sich nicht etwa ebenso, sagte er, wie die Väter der Universität, welche durch ihr Dableiben, wie es auch gehe, sich selbst zum Opfer brächten, zu einem gleichen Ausharren für verpflichtet halten. — . . . Erst nach 2 Jahren traf ich ihn wieder in Nürnberg und kam von dieser Zeit an, da ich teils selbst in Nürnberg wohnte, teils von Ansbach aus öfter hinkam, von Zeit zu Zeit mit ihm in Berührung, wurde, da ich bei einer in Nürnberg neuerrichteten Prüfungskommission, deren erstes Mitglied und 2’’ Dirigent unter PAULUS' Vorsitz er war, als Kandidat für das bayrische Studienwesen i. J. 1810 mich stellte, auch von ihm examiniert, begrüßte ihn im Jahre 1811 zu seiner Hochzeit durch ein Gedicht in Distichen ^®, wogegen ich und meine Frau bei unserer Hochzeit etliche Jahre später von ihm und seiner Frau mit ein paar Kupferstichen, Christus und Johannes, beschenkt wurden, und sprach ihn vor seinem Abgang nach Heidelberg zuletzt noch im Theater in Nürnberg . . . Berlin im September 1840 Gabler. Nachtrag. Bei Gelegenheit eines Prorektoratswechsels, welcher alljährlich zwei-

mal in Jena statt hatte und von den Studenten durch eine dem abgehenden und dem angehenden Prorektor gebrachte Musik gefeiert zu werden pflegte, geschah es einmal, da mitunter diese Musiken weiter auf den einen oder andern gerade gefeierten Dozenten ausgedehnt wurden, daß auch Hegel diese Ehre zuteil wurde er mußte sie jedoch mit einem anderen, ich glaube KRAUSE, teilen, indem die Konzession für ihn von seiner Partei und deren Landsmannschaft durch eine gleiche für den andern erkauft werden mußte. Es war ... im Februar 1806 . . . Hegel war überrascht und sprach vom Fenster aus ... einige hohe und feierliche, für die andern aber auch zum Teil dunkle Worte über die Bedeutung der Wissenschaft, für deren Achtung und Anerkennung er die ihm dargebrachte Ehre nahm.

** Das Gedicht ist noch erhalten und befindet sich in Privatbesitz. Die Bedeutung dieses Ereignisses für Hegel wird dadurch unterstrichen, daß es in den wenigen späten Erinnerungen Christianes vorkommt, die sie aus Berichten ihres Bruders über dessen Jenaer Zeit hat, die allerdings historisch in den Einzelheiten z. T. nicht zutreffend sind. Vgl. den Notizzettel Christianes in: Dokumente zu Hegels Entwicklung. 393 f: „Anfang 1802 Jena. Bald Prof, extraord. Der einzige, der Vivat bei Gelegenheit der Prorektors-Wahl bekam."

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5. Mitgliedschaft in gelehrten Gesellschaften Im Hegel-Nachlaß (Kassette 15) befinden sich zwei Urkunden über eine Mitgliedschaft Hegels in gelehrten Gesellschaften; HOFFMEISTER hat sie bereits veröffentlicht'. Danach war Hegel seit 30. 1. 1804 Assessor der Herzoglich Jenaischen Mineralogischen Gesellschaft. ^ Am 1. 8. 1804 ernannte ferner die Naturforschende Gesellschaft Westphalens in Brockhausen ihn zum „ordentlichen und aktiven Mitglied". ® Diese letzte Mitgliedschaft steht möglicherweise im Zusammenhang mit Hegels „geognostischer Harzreise", für die er sich am 30. 5. 1804 vom Prorektor der Universität einen Paß ausstellen ließ ' und die ihn, wie ROSENKRANZ berichtet, auch nach Westfalen führte Die Aufnahme in beide Gesellschaften kann man als öffentliche Anerkennung der naturphilosophischen Studien betrachten, die Hegel im Sommer 1803 mit großer Intensität aufgenommen und im Wintersemester 1803/04 erstmals im Kolleg zum Vortrag gebracht hatte ®a. — Hegel selbst verweist in seinem nach Weimar eingereichten Lebenslauf (vgl. oben unter A 2) ausdrücklich auf diese beiden Mitgliedschaften. Nach den Angaben von ROSENKRANZ hat Hegel in seiner Jenaer Zeit noch einer dritten gelehrten Gesellschaft angehört; „die physikalische Gesellschaft in Heidelberg [ernannte ihn] am 1. Januar 1807 zu ihrem Ehrenmitgliede" Eine Urkunde hierüber oder sonstige direkte Unterlagen über Hegels Mitgliedschaft sind nicht bekannt geworden. Seit Ende 1806 hat sich K. W. G. KäSTNER bemüht, in Heidelberg eine „Physicalische Gesellschaft" ins Leben zu rufen. Schon vor der offiziellen Gründung gewann er zahlreiche namhafte Naturforscher als Mitglieder. Da KäSTNER bis zu sei' Briefe. Bd 4. 90 f. ^ Vgl. 7- Salomon: Geschichte der „Societät für die gesammte Mineralogie" zu Jena. Diss. phil. Jena 1957. [MS.] In dieser Studie wird das umfangreiche Aktenmaterial der Gesellschaft und der Briefwechsel des Gründers und Direktors J. G. Lenz mit Goethe ausgewertet. Hegels Name wird in den Veröffentlichungen der Gesellschaft zweimal erwähnt: in den Annalen der Herzoglichen Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena (Bd 2. Jena 1804. 7) und in Statuten und Verzeichniß der Mitglieder der Herzoglichen Societät für . . . (Jena 1805. 9). Diese Nachrichten verdankt der Hrsg, der freundlichen Mitteilung durch die Verfasserin der genannten Dissertation. ® Vgl. zur Arbeit dieser Gesellschaft die Nachrichten von dem Fortgange der Westphälischen Naturforschenden Gesellschaft. Düsseldorf 1798 und 1800. Der Sitz der 1796 gegründeten Gesellschaft war die heute nicht mehr bestehende Bauerschaft Brockhausen b. Unna/Westf., wo C. F. Meyer, der Gründer und Direktor der Gesellschaft, seit 1780 den Gutshof Haus Brockhausen besaß. Nach dem im ersten Heft der Nachrichten . . . (1798. 9—16) veröffentlichten Statuten der Gesellschaft, bemühte sie sich ausdrücklich um die Mitarbeit auswärtiger Mitglieder, die ihre Mitgliedschaft durch Einsendung schriftlicher, zur Veröffentlichung durch die Gesellschaft bestimmter Beiträge oder, wenn an einem Ort drei oder mehr Mitglieder wohnten, durch eigene Sitzungen praktizieren sollten. Vgl. Neue Schriften der Gesellschaft Naturforschender Freunde JVesfphalens. Bd 1. Düsseldorf 1798. Bd. 2. Berlin 1805. — Informationen über die Geschichte dieser Gesellschaft und ihre Veröffentlichungen verdankt der Hrsg. W. Timm, dem Leiter des Hellweg-Museums in Unna. ' Briefe. Bd 4. 90. ^ Rosenkranz: Hegels Leben. 220. Aus den Berichten von Rosenkranz läßt sich schließen, daß Hegel schon seit 1802 wichtige naturwissenschaftliche Werke exzerpierte; vgl. in diesem Band 152 f. * Rosenkranz: Hegels Leben. a.a.O.

Jenaer Dokumente — A 5. Gelehrte Gesellschaften

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nem Weggang aus Jena (1805) mit Hegel befreundet, im Wintersemester 1804/05 auch sein Hörer war und sich in Heidelberg sogleich um einen Ruf für ihn bemühte (s. o. Vorbemerkung, Anm. 29), ist es sehr gut möglich, daß er ihn von Anfang an als Ehrenmitglied in die zu gründende Gesellschaft aufgenommen hat7 Zu vergleichen ist auch das Titelblatt der Phänomenologie, auf dem Hegel zu seinem Namen vermerken ließ; „D. u. Professor der Philosophie zu Jena, der Herzogi. Mineralog. Societät daselbst Assessor und andrer gelehrten Gesellschaften Mitglied.”

’’ Ein Auszug aus den Statuten der Gesellschaft ist noch erhalten in den Akten des Generallandesarchivs Karlsruhe (G. L. A. 205 Nr 138). Diese Akten zeigen, daß Kästner im Dezember 1806 darum nachsuchte, der von ihm zu gründenden Gesellschaft einen öffentlichen Charakter zu geben, indem er sie „Großherzogliche physicalische Gesellschaft" nennen wollte. Dies wurde ihm jedoch nicht gestattet, weil er den verantwortlichen Ministern und auch dem Großherzog Carl Friedrich, der ihm an sich sehr wohlgesonnen war, für das Amt des Direktors einer solchen Gesellschaft als zu jung erschien. F. Schneider vermutet, daß die Gesellschaft dann überhaupt nicht zustandekam, weil Kästner sich weigerte, „die Direktion .. . abzutreten" {Geschichte der Universität Heidelberg im ersten Jahrzehnt nach der Reorganisation durch Karl Friedrich. 1803—1813. Heidelberg 1913. 223).

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B. ERLÄUTERUNGEN Einige Fragen, die in den vorstehenden Dokumenten auftauchen, lassen sich nicht durch eine Anmerkung zu der betreffenden Stelle erledigen. Sie erfordern teils etwas eingehendere Kombinationen, teils gewinnen sie ihre Bedeutung erst im Zusammenhang mit der Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens in der Jenaer Zeit.

I. Welche Vorlesungen hat Hegel wirklich gehalten? In seiner Biographie Hegels teilt ROSENKRANZ mit, daß Hegel das für den Winter 1801/02 angekündigte Disputatorium, sowie seine Vorlesungen im Sommer 1802 und 1804 nicht gehalten und das Kolleg über reine Mathematik nur einmal (im Winter 1805/06) vorgetragen habe. Ferner gibt er an, daß die Vorlesung über Phänomenologie und Logik im Sommer 1806 Hegels letzte gewesen sei. Er bringt aber für diese Behauptungen keinerlei Belege bei K. FISCHER bezweifelte dann auch, daß die Darstellung von ROSENKRANZ richtig ist Leider gibt es in den Akten der Fakultät keine Unterlagen, aus denen hervorgeht, welche von den angekündigten Vorlesungen tatsächlich stattgefunden haben. Es bleibt uns also nur der Weg, einmal zusammenzustellen, von welchen Vorlesungen wir noch direkte oder indirekte Zeugnisse haben und von welchen wir nicht wissen, ob sie zustande gekommen sind. Zuhör erlisten sind erhalten von folgenden Vorlesungen: Winter 1801/02 „Logik und Metaphysik", Winter 1803/04 „Das System der speculativen Philosophie", Winter 1804/05 „Das ganze System der Philosophie", Sommer 1805 „Die Logik" (angekündigt waren zwei Vorlesungen: „Die ganze Wissenschaft der Philosophie" und „Naturrecht"; vermutlich hat Hegel in diesem Semester statt der Vorlesung über die ganze Wissenschaft der Philosophie tatsächlich nur über deren ersten Teil, die Logik, gelesen), Sommer 1806 „Logik und Metaphysik oder speculative Philosophie" und „Philosophie der Natur und des Geistes". GABLER hat nach Hegels Zeugnis und nach seinem eigenen Bericht darüber hinaus an folgenden Vorlesungen teilgenommen: Winter 1805/06 „Über die reine Mathematik" und „Die Geschichte der Philosophie" (s. Anm. 2 zu A 4). Von der letzteren war in der Hegelforschung auch eine Zuhörerliste bekannt (62). Ferner schreibt GABLER, daß Hegel im Sommer 1806 über Phänomenologie und Logik gelesen hat, während im Vorlesungsverzeichnis ein Kolleg über „philosophiam speculativam s. logicam ex libro: System der Wissenschaft" angekündigt war (vgl. oben die Angaben von ROSENKRANZ). Der Freund und Schüler SCHELLINGS, I. P. V. TROXLER, der auch die Vorlesung über Logik und Metaphysik im Winter 1801/02 bei Hegel gehört hat, berichtet in einem Fragment gebliebenen Lebenslauf über seine Teilnahme an einem „Conversatorium unter seiner [SCHELLINGS] und Hegels Leitung". B. R. ABEKEN, der ebenfalls Hörer der erwähnten Vorlesung war, geht in seinen Erinnerungen und Betrachtungen etwas näher auf das „disputatorium philosophicum" vom Winter 1801/02 ein und schildert Charakter und Stil der darin geübten Disputationen Rosenkranz: Hegels Leben. 161, 214. ® K. Fischer: Hegels Leben, Lehre und Werk. Bd 1. 63 f. ® Briefwechsel zwischen I. P. V. Troxler und K. A. Varnhagen von Ense. Hrsg, von I. Belke. Aarau 1953. 21; B. R. Abeken: Goethe in meinem Leben. Hrsg, von A. Heuermann. Weimar 1904. 50 f. ^

Jenaer Dokumente — B. Erläuterungen

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Als ein weiteres über die erhaltenen Zuhörerlisten hinausführendes Zeugnis kann man die Stelle im Briefentwurf an Voss ansehen, wo Hegel sagt, er habe „seit drei Jahren ... Vorlesungen über die gesamte Wissenschaft der Philosophie — spekulative Philosophie, Philosophie der Natur, Philosophie des Geistes, Naturrecht — gehalten". Was Hegel hier zur näheren Charakteristik der gesamten Wissenschaft der Philosophie anführt, entspricht aber genau seiner Vorlesungsankündigung für das Sommersemester 1S05, beweist also für die anderen Semester unmittelbar nichts. Tatsächlich hat er im Sommer 1805 — wie die erwähnte Zuhörerliste zeigt — nicht über die ganze Wissenschaft der Philosophie, sondern nur über „Die Logik" gelesen. Über die zweite Vorlesung, die Naturrecht als Teil der gesamten Wissenschaft der Philosophie gesondert behandeln sollte, ist nichts Genaues überliefert. Die Äußerung des Studenten C. F. LANGE in einem Brief vom Mai 1805 an den Dozenten KRAUSE: „Ich freue mich, daß Hegel, für acht, die sich mit mir vereinigten, zu lesen, sich nicht weigerte" ® muß man wohl auch auf die Vorlesung über „Die Logik" beziehen. LANGE hat sich auf der entsprechenden Zuhörerliste eingetragen. Es sind zwar insgesamt zwölf Zuhörer geworden und nicht neim, wie man nach LANGES Äußerung schließen köimte. Aber es ist ja ohne weiteres möglich, daß noch andere dazugekommen sind, von denen LANGE nichts wußte. Nicht gelesen hat Hegel mit Gewißheit seit dem Sommer 1807. Im März 1807 suchte er bei GOETHE um seine Beurlaubung für den Sommer 1807 nach (s. o. unter A 2, bes. Anm. 27). Am 30. 8. 1807 schrieb er an KNEBEL: „Übrigens werde ich es mir zur Ehre schätzen, noch als Professor von Jena angesehen zu werden und mich so nennen zu können; in meine vorigen Verhältnisse werde ich nicht mehr zurückkehren können." ® Vermutlich hat er auch bereits im Winter 1806/07 keine Vorlesungen mehr gehalten. Wir haben schon die Notiz vom Januar 1807 aus dem Gothaer Geheimen Rat auf dem Brief des Herzogs CARL AUGUST wegen einer Gehaltsbewilligung als Indiz hierfür gewertet (51). Auch daß GABLER die Vorlesungen des Winters 1806/07 nicht gehört hat, obgleich er um diese Zeit noch in Jena war, erschien uns bemerkenswert (s. Anm. 2 zu A 4). Schon im Sommer 1806, aus dem wir von beiden philosophischen Vorlesungen Zeugrusse besitzen, hatte Hegel daran gedacht, den Zuhörern die Vorlesungen abzusagen, da sich nur eine „Mittelzahl" gefunden hatte, deren Honorarzahlungen ihn nicht aus seinen finanziellen Schwierigkeiten bringen konnte Der Winter 1806/07 hatte für ihn dann vollends „in Ansehung der Akademie gar kein Interesse des Hierbleibens" „Durch den Krieg", d. h. die Schlacht bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806, war er „hart mitgenommen" ^ und als es hieß, am 3. 11. 1806 wolle „man so tun, als ob die Vorlesungen anfangen sollen", äußerte Hegel Reisepläne Er war dann auch seit Mitte November für „einige Wochen" in Bamberg um den Druck der im Oktober kurz vor der Schlacht bis auf die Vorrede * ® « ’ ® “

Briefe. Bd 1. 99. Zur Datierung der Briefentwürfe an Voß s. in diesem Band 168. Der Briefwechsel K. Chr. Fr. Krauses. Bd 1. 132. Briefe. Bd 1. 188. Ebd. 108 f. Ebd. 113. Ebd. 127; vgl. 119—127. Ebd. 125. Ebd. 130; vgl. den Brief Hegels vom 17. 11. 1806 an Frommann aus Bamberg (128—130) und den Brief vom 23. 1.1807 an Zellmann (137).

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fertig gewordenen Phänomenologie zu überwachen und zu beschleunigen Am 1. 3. 1807 trat er bereits seine Stelle bei der Bamberger Zeitung an (s. Anm. 28 zu A 2). Man kann auch Zweifel haben, ob Hegel im Sommer 1804 gelesen hat. Leider sind «.US dieser Zeit außer dem unten aufgefüHrten, gsr keine Briefe erlialten, aus denen für diese Frage etwas hervorgeht. In dem Brief an GOETHE vom 29. 9. 1804, in dem Hegel um Beförderung bat (s. Anm. 1 zu A 2), bezog er sich ausdrücklich auf seine Vorlesungen vom Winter 1803/04, ohne zu erwähnen, ob und unter welchen Umständen er im Sommer 1804 gelesen habe. Es mag sein, daß er die angekündigte Vorlesung über „philosophiae systema Universum" wohl gehalten hat, aber nicht so erfolgreich war wie im vorhergehenden Winter, und daß er deshalb über diese Vorlesung schwieg. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß wir über folgende Vorlesungen keinerlei verläßliche Zeugnisse besitzen: Winter 1801/02 „introductio in Philosophiam", Sommer 1802 „Logica ei Metaphysica", „ius naturae, civitatis et gentium" und „Kritik des Fichteschen Naturrechts", Winter 1802/03 „Logica et Metaphysica" und „ius naturae", Sommer 1803 „Philosophiae universae delineatio", „ius naturae", Winter 1803/04 „ius naturae", Sommer 1805 „ius naturae", Winter 1805/06 „Philosophia realis", Sommer 1806 „Mathesis pura". Das sind empfindliche Lücken in unserer Kenntnis von Hegels Jenaer Dozententätigkeit. Es ist nicht anzunehmen, daß Hegel eine Vorlesung über Naturrecht fünf Mal angekündigt, aber nicht ein einziges Mal gelesen hat, zumal die Auszüge aus seinen Manuskripten für dieses Kolleg, die ROSENKRANZ überliefert hat, Spuren einer mehrfachen Bearbeitung des Themas erkennen lassen Daß er im Briefentwurf an Voss im Rahmen des von ihm durchgeführten Vorlesungsprogramms das Thema Naturrecht aufführt, deutet ebenfalls darauf hin, daß er dieses Kolleg irgendwann gehalten hat. Ein Anhaltspunkt dafür, in welchen Semestern die angekündigten Vorlesungen über Naturrecht mit Sicherheit stattgefunden haben, ist aber damit nicht gegeben. Wenn Hegel im Sommer 1802 unmittelbar vor dem Beginn des Semesters neben der Vorlesung über Naturrecht noch eine weitere über „Kritik des Fichteschen Naturrechts" durch Anschlag am Schwarzen Brett ankündigen wollte und dabei aus bestimmten formalen Gründen auf den Widerstand der Fakultät stieß (56 ff), ist es zumindest sehr wahrscheinlich, daß er wenigstens das Kolleg über Natur- und Völkerrecht auch zu halten sich bemüht hat.

2. Die Thematik der frühen fenaer Vorlesungen (1801/02 bis 1802/03) In seinem Bittschreiben an die Fakultät wegen seiner Nostrifikation teilte Hegel mit, daß er Vorlesungen über „philosophia theoretica et practica" halten wolle (28, vgl. 42).

Ebd. 123; vgl. 136. Rosenkranz; Hegels Leben. 132—141. Als frühere Stufe hebt sich vor allem die „historische Construction der Religion" (135—140) ab, von der schon Haym sagte, daß sie „zum Theil in den Formen des Schelling'schen Schematisirens verlief" (Hegel und seine Zeit. 415), was für die späteren Stücke (132—135, 140 f), die über die Religion hinaus zur Einheit ihrer Gegensätze in der Philosophie führen, offensichtlich nicht gilt.

Jenaer Dokumente — B. Erläuterungen

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Die Thesen, über die er zu disputieren hatte, sollten gemäß den Statuten eine sdiedula lectionum, d. h. eine programmatische Übersicht über seinen Vorlesungsstoff enthalten (s. Anm. IS zu A 1). Die ausgearbeitete Dissertation, die zur Erlangung der venia legendi vorausgesetzt wurde, behandelte ein Spezialgebiet aus der Naturphilosophie: de orbitis planetarum. In den Vorlesungsverzeichnissen kündigte Hegel vom Winter 1801/02 bis zum Winter 1802/03 an erster Stelle eine Vorlesung über „Logik und Metaphysik" an, außerdem wollte er 1801/02 die Frage einer „introductio in philosophiam" behandeln. 1802 stand an zweiter Stelle ein Kollleg über „ius naturae, civitatis et gentium", und Hegel hatte den Plan, eine „Kritik des Fichteschen Naturrechts" vorzutragen; 1802/03 und 1803 hieß die zweite Vorlesung einfach ,„ius naturae". Was läßt sich aus diesen Angaben über den Vorlesungsstoff der ersten drei Semester Hegels entnehmen? Wir gehen davon aus, daß das große Ms. Logik, Metaphysik, Naturphilosophie das nach der bisherigen Chronologie in der Zeit zwischen Herbst 1801 und Herbst 1802 entstanden sein soll, nicht aus dieser Zeit stammt Um den Umkreis des Hegelschen Denkens in diesen Jahren abzustecken, sind die sog. Differenzschrift und die Aufsätze im Kritischen Journal der Philosophie mit heranzuziehen. Von den letzten Frankfurter Arbeiten her wirkten zunächst die politischhistorischen Studien zur verfassungsrechtlichen Situation des Deutschen Reiches nach daneben aber auch die Überarbeitung des Anfangs der Positivitätsschrift und vor allem die Schrift, von der uns nur zwei Fragmente erhalten sind, die NOHL unter dem Titel Systemfragment von 1800 veröffentlicht hat Wenn dies alles den Umkreis des Hegelschen Denkens in diesen Jahren ausgemacht hat, was konnte er damit meinen, daß er über theoretische und praktische Philosophie Vorlesungen halten wolle? Diese Formulierung gebrauchte er kurz nach der Vollendung der Differenzschrift. Am Ende dieser Schrift schilderte er mit Zustimmung das ScHELLiNGsche System der Philosophie, das einen „theoretischen Teil", die „Wissenschaft der Natur", und einen „praktischen Teil", die „Wissenschaft der Intelligenz", enthalte, wobei „jede für sich wieder einen theoretischen und praktischen Teil" habe. Beide Wissenschaften streben nach einem „Indifferenzpunkt", der als eine „Selbstkonstruktion des Absoluten" zu denken ist; als die Momente dieser Selbstkonstruktion wurden Kunst, Religion und Spekulation angegeben. Aber SCHELLINGS System war nicht ohne weiteres dasjenige Hegels. Zur „theoretischen" bzw. Naturphilosophie, dem Hauptgebiet des ScHEiLiNGschen Denkens in dieser Zeit enthielten die 12 Disputationsthesen nur eine, die auf die auszuarbeitende Disputationsschrift direkt vorauswies: These V, in der die „gravitato planetarum Hegel-Nachlaß Bd 9. Veröffentlicht von Ehrenberg u. Link als Hegels Erstes System (Heidelberg 1915), von Lasson als Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie (Leipzig 1923). Vgl. unsere Abhandlung Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften, in diesem Band 127—176, bes. 164—167. Hegel: Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie. Hrsg, von G. Lasson. Leipzig 1923. 1—149. " Hegels theologische Jugendschriften. 139—151. Ebd. 345—351. Hegel: Erste Druckschriften. Hrsg, von G. Lasson. Leipzig 1928. 87—91. S. unsere Vorbemerkung 24 und Anm. 17. Hegel: Erste Druckschriften. 404 f.

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in solem" als Pendel der Natur bezeichnet wird. These III bietet eine sehr knappe und rätselhafte Aussage zur Naturphilosophie, die aber einen primär logischen Sinn zu haben scheint. Und in der These IX geht es um den Übergang von der theoretischen zur praktischen Fhilusöpliie. In den Vorlesungsarikundigungcn selbst tauchten vorerst keine Themen aus diesem Teil der Philosophie auf. Die praktische Philosophie ist in den Thesen und im Vorlesungsverzeichnis stärker dokumentiert. Die letzten drei Thesen zielen auf Fragen aus diesem Bereich: als Prinzip der „Wissenschaft vom Sittlichen" wird der schon von den Frankfurter Schriften her geläufige Begriff der „Ehrfurcht vor dem Schicksal" eingeführt (These X), sodann geht es um die Dialektik von Tugend und Sittlichkeit (Thesen XI und XII.). — Die Naturrechtsthematik, wie sie in den Vorlesungsankündigungen auftaucht, wurde von vornherein als Teil der praktischen Philosophie aufgefaßt. In dem Aufsatz Ober die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts suchte Hegel dessen „Stelle in der praktischen Philosophie" zu bestimmen Aus den Vorlesungen über Naturrecht erwuchs schließlich das sog. System der Sittlichkeit, ein nicht zu Ende geführter Versuch, dieses Teilgebiet der praktischen Philosophie wissenschaftlich-systematisch zu behandeln. Zur Philosophie des „absoluten Indifferenzpunktes", in der die Gegensätze des Theoretischen und Praktischen aufgehoben sind, finden wir in dieser Zeit keine näheren Zeugnisse. Man kann nur auf eine von ROSENKRANZ überlieferte Gliederung des Systems der Philosophie hinweisen, die von den späteren Systemkonzeptionen wesentlich abweicht und deshalb wohl aus den ersten Jenaer Jahren stammt. Darin heißt es, daß auf die Naturphilosophie und die Philosophie des Sittlichen zum Schluß eine „Resumtion des Ganzen in Eins" folgt, die in der Religion vollzogen werden soll 23. Das Hauptgebiet der Vorlesungen, das auch in den Thesen den größten Raum einnimmt: Logik und Metaphysik, läßt erkennen, wo zunächst der Schwerpunkt des Hegelschen Denkens lag. Die Thesen I und II nennen die Grundprinzipien der Hegelschen Logik: „Contradictio" und „Syllogismus"; These III ist ihrem primären Sinne nach logisch zu verstehen, und These IV enthält neben der Bezeugung des Interesses an der Arithmetik, die Hegel später auch in Vorlesungen behandelt hat 2^, eine Verhältnisbestimmung der logischen Prinzipien Einheit, Zweiheit und Dreiheit. Die Thesen VI— VIII gehen auf die Metaphysik als die „Wissenschaft der Idee", wobei die beiden letzten zugleich einen kritischen Bezug auf die denkgeschichtliche Situation (KANT und FICHTE vor allem) zum Ausdruck bringen. Wie verhält sich aber nun die Logik und Metaphysik zu der Einteilung der Philosophie in einen theoretischen und einen praktischen Teil? ROSENKRANZ hat uns aus einem „Collegium über Logik und Metaphysik" einige wichtige Passagen überliefert 23. Die Logik behandelte demnach die endlichen Reflexionsbestimmungen des Denkens, führte aber von sich aus zur Idee als der Einheit des Endlichen und Unendlichen und damit zur Metaphysik als der „eigentlichen Philosophie". Hegel sprach Hegel: Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie. 325. 23 Rosenkranz: Hegels Leben. 179. 23 Hegels Interesse an mathematischen Problemen reicht bis in seine Gymnasialzeit zurück. Vgl. Briefe. Bd 1. 3 f; das Tagebuch in Dokumente zu Hegels Entwicklung. 16—18; den Brief der Schwester Hegels über dessen Jugendzeit, ebd. 288—300. 23 Rosenkranz: Hegels Leben. 190—193. 22

Jenaer Dokumente — B. Erläuterungen

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es selber deutlich aus, daß die Logik so „als Einleitung in die Philosophie dienen kann". Das sog. Systemfragment von 1800 scheint Stücke aus einer Darstellung der „Metaphysik" zu bieten, die Hegel dann in mehr oder weniger fertiger Form mit nach Jena gebracht hätte. Da diese Stücke häufige Rückverweise auf die Reflexion und das „besdiränkte", sich zum unendlichen erhebende Leben enthält, geht man wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß darin auch die Problematik der Logik, die zur Metaphysik hinführen sollte, abgehandelt worden ist. Aber die Metaphysik als die „eigentliche Philosophie" kann nicht die ganze Philosophie gewesen sein, da sie die theoretische und praktische Philosophie nicht mit umfaßt und auch nichts zu deren Aufhebung in einer Philosophie des Absoluten enthält. Der kritische Bezug der Metaphysik auf die denkgeschichtliche Situation, der in den Thesen angeklungen war, wurde in den Journal-Aufsätzen breit entfaltet. Wenn die kritische KANTisch-FiCHTEsche Philosophie, mit der sich Hegel vor allem in dem großen Aufsatz Glauben und Wissen näher beschäftigte, eine „imperfecta Scepticismi forma" ist, weil sie der Ideen ermangelt (These VII), dann gehört doch wohl zu einer vollständigen Form der Skeptizismus auch die „Wissenschaft der Idee". Der wahre Skeptizismus, „der eins ist mit der Philosophie" ist in der Philosophie die Seite, die sie vor dem Dogmatismus bewahrt. Er hat insofern eine grundlegende Bedeutung, er eröffnet der Philosophie die Dimension des kritisch ausgewiesenen spekulativen Denkens. Man wird also sagen können, daß Hegel in der ersten Jenaer Zeit überwiegend die Einleitungs- und Grundlegungsproblematik der Philosophie behandelt hat; im Winter 1801/02 hatte er eine „introductio in Philosophiam" auch ausdrücklich angezeigt. Für das Gebiet der praktischen Philosophie brachte er ebenfalls gewisse Vorarbeiten schon aus Frankfurt mit. Die Fragen der theoretischen oder Naturphilosophie waren ihm jedoch neu und wurden wohl von SCHELLING an ihn herangetragen. Es ist kennzeichnend für seine Art, die Dinge aufzufassen, daß aus den gemeinsamen Diskussionen zwischen SCHELLING und Hegel über die Naturphilosophie der Aufsatz hervorgegangen ist Über das Verhältnis der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt Zum vierten Teil der vermutlich zugrundeliegenden Systemkonzeption, der Philosophie des absoluten Indifferenzpunktes der theoretischen und der praktischen Philosophie, finden sich — wie gesagt — keine näheren Zeugnisse.

3. Die Vorlesungsankündigungen vom Sommer 1803 bis zum Winter 1806 In diesem Zeitraum lassen kündigungen der Vorlesungen Winter 1802/03 bildeten „Logik der Hegelschen Vorlesungen —

sich sehr interessante Veränderungen in den AnHegels beobachten. Vom Winter 1801/02 bis zum und Metaphysik" und „Naturrecht" die Gegenstände in einem gewissen Gegensatz, wie sich gezeigt hat.

Hegel: Erste Druckschriften. 181. Vgl. den ganzen Aufsatz; Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie. Ebd. 161—211. Ebd. 408—421. Über diesen Aufsatz ist ein langer „Zuschreibungsstreit" geführt worden; vgl. H. Büchner; Hegel und das Kritische Journal der Philosophie. In: HegelStudien. 3 (1965), 137—142. Vom sachlichen Gehalt her lassen sich zumindest einige Gedankenzusammenhänge herausheben, an deren Formulierung Hegel eindeutig beteiligt war.

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zu seiner Mitteilung an die Fakultät, daß er über theoretische und praktische Philosophie Vorlesungen halten wolle. Seit dem Winter 1806/07 änderten sich die Ankündigungen nicht mehr wesentlich; das Entstehen und Publiziertwerden der PhänoTtt x-vx

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gungen gleich. Sie waren ja auch mehr formaler Natur, da Hegel faktisch nicht mehr gelesen hat. Im Sommer 1803 trat an die Stelle der Vorlesung über „Logik und Metaphysik" eine „Philosophiae universae delineatio". Das bedeutet, daß Hegel neben den grundlegenden Teilen seines damahgen Systems („Logik und Metaphysik") nun im Grundriß auch die von ihm geplante theoretische und praktische Philosophie, sowie die Philosophie des Absoluten als Abschluß des Ganzen zu entwerfen im Begriffe war. „lus naturae" sollte daneben gesondert behandelt werden, wohl im Sinne einer genaueren Ausarbeitung eines Teils der praktischen Philosophie. Im Winter 1803/04 stand „ius naturae" an oberster Stelle. Hierin äußerte sich das gesteigerte Interesse an diesem Thema, das sich in der Abfassung des Naturrechtsaufsatzes für das Kritische Journal im Herbst-Winter 1802 und in der Ausarbeitung der Reinschrift des sog. Systems der Sittlichkeit im Frühjahr 1803 schon angekündigt hatte. Die gesamte Philosophie sollte nun als spekulatives System behandelt werden. Der dritte Teil, neben der Grundlegung und der theoretischen oder Naturphilosophie, der bisher praktische Philosophie heißen sollte, erhielt zum erstenmal die Bezeichnung „Philosophie des Geistes" (vgl. zur Übersetzung von mens Anm. 3 zu A 3). Von einem vierten Teil, der die Zusammenfassung der vorherigen zu einer einheitlichen Wissenschaft bilden sollte, war nicht mehr die Rede. Als Manuskripte zu dieser Vorlesung kann man den Bd 12 des Hegel-Nachlasses betrachten, der Fragmente einer sehr stark ausgearbeiteten Naturphilosophie und einer im Entstehen begriffenen Philosophie des Geistes enthält Aus den Fragmenten der Geistesphilosophie ist jedoch noch nicht ersichtlich, auf welche Weise sie die Philosophie des „absoluten Indifferenzpunktes" mit umfaßt. Dies wurde erst deutlich im Zusammenhang der ersten ausgearbeiteten Geistesphilosophie vom Herbst-Winter 1805 (s. u.). Die Ankündigung des Sommers 1804 zeigt, daß Hegel unterdessen die Ausarbeitung der Naturphilosophie wesentlich vorangetrieben hatte; er beabsichtigte sie neben den beiden andern Teilen der Philosophie gesondert vorzutragen. Der Winter 1804/05 brachte wiederum wesentliche Neuerungen. Die Gesamtheit der Philosophie wurde hier zuerst als „Wissenschaft" bezeichnet. Dies paßt gut zu der Mitteilung an GOETHTE vom 29. 9. 1804, daß er für die Vorlesungen des Winters eine „rein wissenschaftliche Bearbeitung der Philosophie" fertigstellen wolle. Hegel meinte damit wohl das Ms. Nachlaß Bd 9 zur Logik, Metaphysik, Naturphilosophie, das bisher auf das Jahr 1801/02 datiert wurde. Als spekulative Wissenschaft galt jetzt nur noch „Logik und Metaphysik"; die Wissenschaften der Natur und des Geistes erhielten eine Sonderstellung, die später als Realphilosophie beschrieben wurde. Die Kennzeichnung des Systems blieb im Sommer 1805 dieselbe. Tatsächlich las Hegel aber nur über „Die Logik" — ein Zeichen dafür, daß ihm erneut die Einleitungsproblematik in den Vordergrund trat. Daß er den ersten Teil des Systems nur

Von Hoffmeister veröffentlicht als Jenenser Realphilosophie I. Leipzig 1932.

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als „Logik" bezeichnete, deutet darauf hin, daß die Logik und die Metaphysik zusammenzuwachsen begannen, indem eine selber metaphysisch konzipierte Logik entstand. Je mehr aber auf diese Weise die Logik selber schon die „eigentliche Philosophie" ausmachte, umso mehr mußte ihre Einleitungsfunktion fraglich werden. Hegel kam zu der Idee einer „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins", die das Bewußtsein überhaupt erst auf den Standpunkt der metaphysisch konzipierten Logik bringen sollte und somit als Einleitung in die Logik zugleich die Einleitung in die Philosophie als solche bilden würde. Im Zuge dieses Umformungsprozesses des Hegelschen Systems wurden Teile der ehemaligen Metaphysik in die „Philosophie des Geistes" übernommen. Dies betraf sowohl die „Metaphysik der Objektivität" als auch die Abschnitte über „Intelligenz und Wille", die gewissermaßen in den Zusammenhang der Geistesphilosophie hinüberwanderten. An zweiter Stelle erschien noch einmal „ins naturae"; die Zugehörigkeit zum Ganzen der Philosophie wurde ausdrücklich betont, insofern dieses Thema zu demselben im Entstehen begriffenen Buch gehören sollte wie das System. Im Winter 1805/06 las Hegel über „reine Mathematik". Sein philosophisch-logisches Interesse an der Arithmetik war schon in den Disputationsthesen zum Ausdruck gekommen. Jetzt spielte auch wohl die Absicht mit, auf diese Weise mehr Hörergelder zu erhalten, da Hegel bereits in großen Geldschwierigkeiten war. Er legte seinen Vorlesungen anerkannte Lehrbücher zugrunde (s. Anm. 2 zu A 3), erläuterte den Stoff aber doch durch eine eigene „begriffliche Behandlung", wie uns GABLER bezeugt (69). Die spekulative Grundlegung des Systems: „Logik und Metaphysik", schon im Sommer 1805 auf der Zuhörerliste und erneut im Sommer 1806 im Vorlesungsverzeichnis einfach als „Die Logik" bezeichnet, erschien in diesem Semester nicht im Vorlesungsprogramm. Offenbar war Hegel diese Sache so sehr problematisch geworden, daß er sich nicht in der Lage sah, sie in der Vorlesung zu behandeln. Naturphilosophie und Geistesphilosophie wurden in diesem Semester unter dem gemeinsamen Titel einer „philosophia realis" angekündigt. Sie gewannen in dieser Zeit eine gewisse vorläufig abgeschlossene Gestalt. In allen weiteren Ankündigungen kamen sie als feststehendes Thema wieder vor. Das Ms Nachlaß Bd 5, das dabei wohl zugrundelag läßt erkennen, daß es mehrfach benutzt wurde, ohne daß einschneidende Veränderungen gemacht werden mußten. Die Geistesphilosophie mündete aus in einen Abschnitt über Kunst, Religion und Wissenschaft, die nach der ursprünglichen Systemkonzeption in einer Philosophie des „absoluten Indifferenzpunkes" behandelt werden sollten. ** Als neues Thema trat „Geschichte der Philosophie" auf. Diese Hinwendung zur Geschichte muß man mit der neu in Bewegung gekommenen Einleitungs- und Grundlegungsproblematik im Zusammenhang sehen. Die Entwicklung der „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins" zur „Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes" zeigt, daß die Frage der Einleitung in die Philosophie im Sinne einer Erhebung auf den

Hegel: Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie. 144 ff und 164 ff, sowie Jenenser Realphilosophie II. Hrsg, von J. Hoffmeister. Leipzig 1931. 177 ff und 266 ff. d. i. Jenenser Realphilosophie II. Jenenser Realphilosophie II. 263 ff.

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Standpunkt der spekulativen Wissenschaft die Problematik einer Grundlegung der Philosophie in sich begriff (s. u. 86 f). Die letztere war schon 1801/02 mit einem kritischen Bezug auf die geschichtliche Situation verbunden; sie wurde jetzt mit der TheLJi- _• lildliJS. CliLCi

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Die Ankündigung der Mathematikvorlesung blieb im Sommer 1806 und in den folgenden Semestern unverändert. Dasselbe gilt — wie gesagt — für die Natur- und Geistesphilosophie. Aus seinem Buch, von dem jetzt als Titel „System der Wissenschaft" angegeben wurde, wollte Hegel den ersten Teil, die spekulative Philosophie oder Logik, vortragen. GABLER berichtet, daß im wesentlichen der Inhalt der Phänomenologie, Logik „nur im Grundrisse" behandelt wurde (71). So wird audi von hier aus deutlich, daß die Ausarbeitung der Phänomenologie des Geistes in der Schlußphase der Jenaer Zeit zum beherrschenden Arbeitsgebiet Hegels geworden ist.

4. Hegels Vorlesungsstil in Jena Die Schwierigkeit der mündlichen Äußerung und des Vorlesungsstils in Hegels Jenaer Zeit, auf die sich GABLER in seinem Bericht über das Jahr 1805/06 bezieht (68), wurde schon früh (1803) von GOETHE und SCHILLER bemerkt und brieflich diskutiert. Am 27. 11. 1803 schrieb GOETHE während eines längeren Aufenthalts in Jena an SCHILLER in Weimar: „Bei Hegeln ist mir der Gedanke gekommen: ob man ihm nicht, durch das Technische der Redekunst, einen großen Vorteil schaffen könnte. Es ist ein ganz vortrefflicher Mensch; aber es steht seinen Äußerungen gar zu viel entgegen." SCHILLER antwortete am 30. 11.: „Suchen Sie doch Hegeln und FERNOW einander näher zu bringen, ich denke, es müßte gehen, dem einen durch den andern zu helfen. Im Umgang mit FERNOW muß Hegel auf eine Lehrmethode denken, um ihm seinen Idealismus zu verständigen, und FERNOW muß aus seiner Flachheit herausgehen. Wenn Sie beide vier- oder fünfmal bei sich haben und ins Gespräch bringen, so finden sich gewiß Berührungspunkte zwischen beiden." Darauf GOETHE am 2. 12.: „Ihren Vorschlag FERNOW und Hegel zusammenzubringen habe ich schon ins Werk zu setzen angefangen." Hegels Umgang mit FERNOW kann jedoch nicht lange gedauert haben, weil dieser schon 1804 als Bibliothekar nach Weimar ging. In dem bereits erwähnten Brief des Studenten LANGE an KRAUSE schrieb jener im Frühjahr 1805: „Hegels Vortrag hat sich sehr gebessert." GOETHE urteilte indessen auch 1807 über Hegel noch ganz ähnlich wie früher: „Er ist ein so trefflicher Kopf und es wird ihm so schwer, sich mitzutheilen." Aus demselben Jahr gibt es eine Äußerung ScHELVERs in einem Brief an Hegel, die sich auf diese Sache bezieht, in der sie jedoch als „Vorurteil" bezeichnet wird: „Ich habe verschiedentlich davon reden gehört, daß Sie einen unverständlichen Vortrag haben sollten; dies scheint von Studenten verbreitet zu sein und wird leicht zu widerlegen sein." ^

S. in diesem Band 169 f. Vgl. Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Hrsg, von P. Stapf. Berlin u. Darmstadt 1960. 806—809. Den Hinweis auf diese Stelle verdankt der Hrsg. L. Döderlein. Briefwechsel zwischen Goethe und Knebel. Bd 1. 301. ä® Hegel: Briefe. Bd 1. 139.

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Im Rückblick aus späterer Zeit erkannte Hegel selbst diese Schwierigkeit. Er schrieb an FROMMANN: „Mein erster dortiger [Jenaer] Versuch in Vorlesungen hat, wie ich sonst vernehme, ein Vorurteil daselbst gegen mich zurückgelassen. Ich war freilich Anfänger, hatte mich noch nicht zur Klarheit hindurchgearbeitet und war im mündlichen Vortrag an den Buchstaben meines Heftes gebunden. Eine bald 8-jährige Übung auf dem Gymnasium, wo man in der beständigen Wechselwirkung der Unterredung mit seinen Zuhörern ist und gefaßt zu werden und deutlich zu sein sich zur ersten Notwendigkeit von selbst macht, hat mir seitdem eine vollkommene Freiheit verschafft." Um das Phänomen, um das es hier geht, besser fassen zu können, ist vielleicht eine Bemerkung von ROSENKRANZ dienlich, die sich allerdings nicht speziell auf die Jenaer Zeit bezieht, sondern allgemein ist: „Hegel gesticulirte viel, aber die körperliche Geberde wie die Bewegung der Stimme fielen mit dem Gehalt nicht harmonisch genug zusammen." Wenn Hegels Vortrag auch durch die pädagogischen Erfahrungen in Nürnberg gewiß an Klarheit und Freiheit vom Konzept gewonnen hat, so blieb doch bis in die Berliner Zeit hinein eine auffallende Eigentümlichkeit seines Vorlesungsstils, wie wir vor allem aus den Schilderungen des Hegelschülers H. G. HOTHO und des polnischen Philosophen J. KREMER wissen, der Hegel 1828 in Berlin gehört hat 1816

5. Die Buchpläne in der Jenaer Zeit Die Grundlegung seines Systems als „Logik und Metaphysik" mußte Hegel am Anfang seiner Vorlesungstätigkeit für mehr oder weniger abgeschlossen halten. Wir vermuteten bereits, daß er das Material hierzu schon aus Frankfurt mitgebracht hat. Als er die Vorlesungsankündigung für den Sommer 1802 in Druck gab, also im März dieses Jahres, sprach er zum erstenmal von einer Buchveröffentlichung über dieses Thema, die er ein halbes Jahr später für unmittelbar bevorstehend hielt. Seine eigenen Angaben werden bestätigt durch eine Eintragung im Druckauftragsbuch des CoTTA-Verlages, nach der für Michaelis 1802 bei der FROMMANNSchen Druckerei von „Hegels Logik" eine Auflage von 1000 Exemplaren bestellt worden ist. Die Drucklegung verzögerte sich jedoch. Im Druckauftragsbuch des Verlages wurde Michaelis 1802 in Ostern 1803 verbessert. Aus dem Buch über „Logik und Metaphysik" wurde eines, das die gesamte Philosophie im Grundriß enthalten sollte; so geht es aus der Vorlesungsankündigung für den Sommer 1803 hervor. Aber wie es

Briefe. Bd 2. Hamburg 1953. 73. Zur äußeren Form des von Hegel in Nürnberg erteilten Schulunterrichts vgl. Rosenkranz: Hegels Leben. 249. Hegels Leben. 16. ä® H. G. Hotho; Vorstudien für Leben und Kunst. Stuttgart-Tübingen 1835. 384—390; W. Kühne: Die Polen und die Philosophie Hegels. — In: Hegel bei den Slawen. Hrsg, von D. Cyäevskyj. 2. Aufl. Darmstadt 1961. (1. Aufl. Reichenberg 1934.) 7—143; darin 105—107. Hierzu und zum folgenden: Druckauftragsbuch von Cotta 1800—1810/12 im CottaArchiv (Schillernationalmuseum, Marbach) Bl. 5 R. In einem Prospekt des CottaVerlages vom Juni 1802 findet sich auch bereits eine Ankündigung des Buches: „Hegel, Logik und Metaphysik".

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scheint, ließen sich der Hegelschen „Logik und Metaphysik" nicht ohne weiteres die anderen Teile eines Systems der Philosophie, wie er es in dieser Zeit konzipierte: theoretische und praktische Philosophie, sowie eine Philosophie des Absoluten angliedern. Der Buchplan wurde zunächst nicht mehr erwähnt. Aus Hegels ersten Jahren in Jena (1801—1803) sind ferner zwei größere Reinschriftfragmente überliefert, die den Eindruck erwecken, daß sie ebenfalls als Druckvorlage dienen sollten. Dies sind die Fragmente zum Thema: die Verfassung Deutschlands und zu dem sog. „System der Sittlichkeit", die in tadelloser Reinschrift abgefaßt sind und auf vielfachen vorhergehenden Entwürfen und Notizen aufbauen Da sie als Manuskripte fragmentarisch blieben, ist es zu einer Konkretisierung der Veröffentlichungsabsicht nicht gekommen. Seit dem Sommer 1803 wandte sich Hegel mit großer Intensität der Ausarbeitung seines Systems der Philosophie zu, um vor allem die theoretische oder Naturphilosophie von den Grundlagen seines Denkens aus, wie er sie in der „Logik und Metaphysik" entwickelt hatte, zu durchdringen. Die praktische Philosophie oder Philosophie der Intelligenz wandelte sich im Vollzug dieser Arbeit zu einer „Philosophie des Geistes", die selber schon die Problematik des absoluten Indifferenzpunktes in sich enthalten sollte. Von einem Buchplan war in dieser Zeit nicht mehr die Rede. Ein neuer Einschnitt in der Ausarbeitung seines Systems war damit gegeben, daß Hegel vom Sommer 1804 an einen „rein wissenschaftlichen Standpunkt" einzunehmen suchte, indem er die Erkenntnis- und Bewußtseinsproblematik zum Ausgangspunkt und ständigen Bezugspunkt seines Denkens machte (Vorlesungsankündigung für den Winter 1804/05). Im Frühjahr 1805 ließ er erneut eine Buchveröffentlichung ankündigen, die dem neu gewonnenen Standpunkt des Philosophierens gemäß die „ganze Wissenschaft der Philosophie" umfassen sollte. In dem Entwurf des Briefes an Voss vom Mai dieses Jahres wurde der Buchplan von Hegel in zeitlicher Hinsicht dahingehend präzisiert, daß er „auf den Herbst" seine Gedanken „als ein System der Philosophie" darlegen werde Die Pläne wurden aber wiederum verzögert. Hegel hat in diesem Sommer, wie wir sahen, tatsächlich nur über „Die Eogik" gelesen statt über die ganze Wissenschaft der Philosophie. Der neue wissenschaftliche Standpunkt seines Denkens ließ ihm offenbar die Einleitungsfunktion der Logik fraglich werden. Es entstand der Plan einer dieser noch vorauszuschickenden „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins". Gleichzeitig trat die Problematik des subjektiven und des absoluten Bewußtseins in der Geistesphilosophie in Konkurrenz zu den traditionsgemäß in der Metaphysik angesiedelten Abschnitten über die Seele und das absolute Wesen, so daß auch von dieser Seite aus die bisherige Grundlegung der Philosophie erschüttert wurde. Im Februar 1806 war es dann soweit, daß mit dem Druck des „Systems der Wissenschaft" angefangen werden konnte d. h. Hegel hielt die Grundlegungsproblematik wie auch die Natur- und Geistesphilosophie von den neuen Voraussetzungen aus nunmehr für hinreichend geklärt, um sie als sein System der Philosophie in Druck zu geben. Die erstere begann mit einer „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins",

Hegel-Nachlaß Bd 13, Bl. 11—50 und Bd 10, Bl. 1—88. Zu diesen Mss und ihrer Entstehung vgl. in diesem Band 146—148, 151 f, 153 f. Briefe. Bd 1. 99. Briefe. Bd 1. 113; auch zum folgenden.

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wovon ein Teilmanuskript sogleich in den Verlag (Anton GOEBHARDT, Bamberg und Würzburg) gegeben und gedruckt wurde (vgl. oben 71). Die Vorlesungsankündigung für den Sommer 1806 zeigt — wie schon die Zuhörerliste vom Sommer des Vorjahres —, daß der daran anschließende Teil der Grundlegung auch einfach als „Logik" bezeichnet werden konnte, daß also Logik und Metaphysik zu einer selber metaphysisch konzipierten Logik zusammenzuwachsen begannen. Die Natur- und Geistesphilosophie, die Hegel in seiner Selbstanzeige der Phänomenologie im Oktober 1807, der Konzeption des „Systems der Wissenschaft" entsprechend, „Wissenschaften der Natur und des Geistes" nannte hatten in den Vorlesungsmanuskripten für die Kollegs über Realphilosophie seit dem Wintersemester 1805/06 eine vorläufig abgeschlossene Gestalt bekommen. Der Verlauf der Vorlesung über „philosophiam speculativam s. logicam ex libro suo: System der Wissenschaft, proxime prodituro" im Sommer-Semester 1806 ließ jedoch bereits erkennen, daß die neue Einleitung über die Erfahrung des Bewußtseins mehr an Raum und sachlichem Gewicht einnehmen würde, als ihr ursprünglich zugedacht war (71). Der Konzeption nach bildete sie noch im August 1806, als Hegel die Vorlesungsankündigung für den Winter 1806/07 abfaßte, eine Art Vorspann zur eigentlichen Grundlegung der Philosophie durch ihren ersten spekulativen Teil. Die neue Einleitung erhielt hier zum erstenmal den Titel „Phaenomenologia mentis"; die spekulative Grundlegung wurde nun wieder „Logik und Metaphysik" benannt — ein Zeichen dafür, daß Konzeption und Ausarbeitung dieser Teile der Philosophie noch keine endgültige Form angenommen hatten. Nicht nur die Komposition der Phänomenologie des Geistes, sondern des ganzen „Systems der Wissenschaft" wurde noch einmal einer Änderung unterworfen, indem Hegel in den Monaten August bis Oktober ihre letzten Partien niederschrieb, die wesentlich umfangreicher wurden als geplant. In der Vorrede, an der noch bis Mitte Januar 1807 gearbeitet wurde entwickelte Hegel die grundlegende Bedeutung des ersten, einleitenden Teils für das ganze „System der Wissensdiaft"; ein erst durch den Buchbinder neu einzuschaltender Zwischentitel erhielt die im Rahmen dieser Systemkonzeption endgültige Fassung „I. Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes" Er trat an die Stelle des früher schon gesetzten und bis zu dieser sdiließlichen Klärung auch beim Druck des Buches verwendeten Zwischentitels für den einleitenden Ersten Teil „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins".

Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1952. XXXVII f. Zu der Frage einer Änderung der Komposition der Phänomenologie des Geistes noch während ihrer Drucklegung, die in dieser Form u. E. zu kurz gestellt ist, vgl. die Diskussion zwischen O. Pöggeler und H. F. Fulda: Hegel-Studien. 1 (1961), 255—294; Hegel-Tage Royaumont 1964. Hrsg, von H.-G. Gadamer. Bonn 1966 (Hegel-Studien. Beiheft 3.) 27—74 und 75—101; Fulda; Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt/M. 1965. 115—171. S. Briefe. Bd 1. 136. Vgl. in diesem Band 113—123, auch zum folgenden.

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C. PERSONENVERZEICHNIS Ir^ dem folgenden Verzeidini? sind ziinärhRt die Namen der Personen aufgeführt. Daran schließt sich die Angabe der Fadtriditung und der Lebenszeit an. Ferner wurden einige biographische Daten mitgeteilt. Sofern die Personen in den Dokumenten (A.) Vorkommen, folgt ein Hinweis auf den unmittelbaren Zusammenhang, in den sie gehören. Zum Schluß wird ggfls. der allgemeine Bezug auf die in den Dokumenten enthaltenen Sachverhalte angegeben oder die sonstige Beziehung der betreffenden Person zu Hegel über die in den Dokumenten bereits erwähnte hinaus. Bei den Hörern Hegels werden neben den Namen nur die Eintragungen in der Matrikel der Universität Jena mit dem entsprechenden Datum wiedergegeben, es sei denn, daß es sich um unmittelbare Schüler und Anhänger Hegels handelt oder um Personen, deren spätere Lebensgeschichte von allgemeiner geistesgeschichtlicher Bedeutung ist. Päd. 1780—1866: 1815 Konrektor, 1841 Rektor am Gymnasium in Osnabrück. — Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 12. 10. 1799. Bern. Rud. Abeken Osnabr. — Hegel besuchte ihn 1822 auf einer Reise in Osnabrück. ACKERMANN, JAKOB FIDELIS Mediz. 1765—1815: 1804 Prof. d. Anatomie in Jena, 1805 in Heidelberg. — Wurde zu Hegels Zeit nach Jena berufen, ging aber bald wieder weg. Hegel hörte bei ihm Physiologie. AST, FRIEDRICH GEORG ANTON Philos. u. Philol. 1778—1841: 1802 Priv.doz. d. Philos. in Jena, 1805 Prof. d. klass. Philol. in Landshut. — Neben Hegel Priv.doz. AUGUST (EMIL LEOPOLD) Herzog von Sachsen-Gotha. 1772—1822: seit 1804 Herzog. — Miterhalter der Universität Jena; stimmte 1804/05 der Ernennung Hegels zum a.o. Prof, zu und erwog 1806/07 eine Gehaltsbewilligung. AUGUSTI, JOHANN CHRISTIAN WILHELM EV. Theol. u. Orientalist. 1771—1841: 1800 Prof, d. Orientalistik, 1807 Prof. d. Theol. in Jena, 1812 in Breslau. — Hegel hielt Vorlesungen in Augustis Auditorium. BACHMANN, CARL FRIEDRICH Philos. u. Naturwissenschaft!. 1785—1855: 1810 Priv.doz. d. Philos. in Jena, 1812 Prof., 1832 Direktor der mineralogischen Anstalten. — Hörer Hegls 1804/05 und 1805/06. Matr.: 16. 5. 1803. Carl Friedr. Bachmann, Altenburg. — Bis etwa 1820 Anhänger, dann Gegner der Hegelschen Philosophie. BACMEISTER, GEORG LUDWIG Hörer Hegels 1806. Matr.: 4. 11. 1805. Georg Lud. Backmeister, Brem. BARNSTEDT, HANS WILHELM CARL Hörer Hegels 1803/04 und 1804/05. Matr.: 20. 10. 1802. Hans Wilh. Carl Barnstedt, Guestph. [= Westfale]. BATTENSEILER, GEORG Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 16. 10. 1804. Georg Battenseiler, Transylvn. [= Siebenbürger] BAUMANN, CARL Hörer Hegels 1805. Matr. 11. 5. 1803. Carl Baumann, Hohenloicus. BEYER, JOHANN CHRISTOPH GOTTFRIED Hörer Hegels 1806. Matr.: 29. 4. 1805. Joh. Chrstph. Gottfr. Beyer, Schwbg. [= Schwarzburger] BINDHEIM, JOHANN GEORG Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 8. 5. 1802. Johann Georg Bindheim, Isenac. [= Eisenacher] BLOCK, DIETRICH Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 27. 4. 1795. Diedericus Block Osnabrugensis. BöLöNY, MICHAEL Hörer Hegels 1806. Matr.: 5. 5. 1806. Michael Bölöny, Transylv. [= Siebenbürger]

ABEKEN, BERNHARD RUDOLF

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Histor. 1771—1818: Tübinger Stifter, 1800 Priv.doz. d. Gesch. in Jena, 1803 a.o. Prof., 1804 in Landshut, 1807 Mitglied der Bayer. Akad. d. Wiss. und Prof, am Lyzeum in München. — Neben Hegel Priv.doz. u. Prof. d. Gesch. in Jena. CARL AUGUST Herrscher in Sachsen-Weimar. 1757—1828: 1758 Herzog, 1815 Großherzog; berief 1775 Goethe nach Weimar. — Erhalter der Universität Jena, ernannte Hegel 1805 — in Übereinstimmung mit den Miterhaltern — zum a.o. Prof, und bewilligte ihm 1806 ein außerordentliches Jahresgehalt. An ihn richtete Hegel auch sein Entlassungsgesuch. COTTA VON COTTENDORF, JOHANN FRIEDRICH FREIHERR Verleger und Buchhändler. 1764—1832: seit 1787 Inhaber der Firma. Unterhielt vielfache Beziehungen zu allen bedeutenden Personen der klassischen deutschen Literatur. — Beim ihm sollte 1802/03 Hegels Lehrbuch über Logik und Metaphysik bzw. die gesamte Philos. im Grundriß erscheinen. — Cotta verlegte auch das Kritische Journal der Philosophie. DANZ, JOHANN TRAUGOTT LEBERECHT EV. Theol. u. Päd. 1769—1851: 1798 Rektor der Jenaer Stadtschule und Priv.doz. d. Päd. in Jena, 1810 Prof. d. Theol. — Hegel beanspruchte 1801/02 den Platz unmittelbar nach ihm im Vorlesungsverzeichnis. EICHRODT, CARL LUDWIG Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 27. 4. 1803. C. Ludwig Eichrodt, Badensis. EICHSTäDT, HEINRICH KARL ABRAHAM Philol. 1772—1848: 1797 Prof. d. Poesie u. Beredsamkeit in Jena, 1804 Oberbibliothekar, auf Anregung Goethes Begründer u. Hrsg. d. Jenaischen Allg. Literatur-Zeitung. — Hegel hielt Vorlesungen in Eichstädts Auditorium. FERNOW, KARL LUDWIG Archäologe u. Philol. 1763—1808: 1802 Prof, in Jena, 1804 Bibliothekar in Weimar. — 1803 durch Goethe mit Hegel näher bekannt. FEUERBACH, PAUL JOHANN ANSELM VON Jurist. 1775—1833: 1801 Prof. d. Rechte in Jena, 1802 in Kiel. — Wurde wie viele andere Gelehrte zu Hegels Zeit von Jena wegberufen. FICHTE, JOHANN GOTTLIEB Philos. 1762—1814: 1793 Prof. d. Philos. in Jena, 1799 infolge des „Atheismusstreits" entlassen, 1805 Prof, in Erlangen, 1810 in Berlin. — Für die geistige Situation in Jena in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts, vor der Ankunft Hegels, sehr bestimmend. FISCHER, JOHANN KARL Math. 1760—1833: 1789 Priv.doz. d. Math, in Jena, 1792 Prof., 1807 Gymnasialprof. in Dortmund, 1818 Prof, in Greifswald. — Kündigte wie Hegel 1805/06—1807 eine Vorlesung über reine Mathematik an. FORBERG, FRIEDRICH CARL Religionsphilos. 1770—1848: 1792 Prof. d. Philos. in Jena, seit 1797 Konrektor am Gymnasium in Saalfeld. — In den 90er Jahren in Jena für die Situation bestimmend; mit Fichte zusammen in den „Atheismusstreit" verwickelt. FRANK, LUDWIG Hörer Hegels 1806. Matr.: 12. 5. 1806. Ludwig Frank, Rudolst. FRANZ Herzog von Sachsen-Saalfeld-Coburg. 1750—1806: seit 1800 Herzog. — Miterhalter der Universität Jena; stimmte 1804/05 der Ernennung Hegels zum a.o. Prof. zu. FRIEDRICH I. Herrscher in Würrtemberg. 1754—1816: 1797 Herzog, 1803 Kurfürst, 1806 König von Württemberg. — Erlaubte Hegel 1805 die Annahme der Professorenstelle in Jena „salvo regressu in patriam". BREYER, KARE WILHELM FRIEDRICH

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Philos. 1773—1843: 1801 Priv.doz. d. Philos. in Jena, 1805 Prof, in Heidelberg, 1816 in Jena, 1817 amtsenthoben wegen Teilnahme am Wartburgfest, 1824 Prof. d. Math. u. Phys., 1825 wieder Prof. d. Philos. — Kündigte wie Hegel 1802 und 1804/05 eine Vorlesung über Logik und Metaphysik, 1803 über Naturrecht an. — Wurde gemeinsam mit Hegel 1805 zum a.o. Prof, befördert. Ging nach Heidelberg. — Gegner der Hegelschen Philosophie. FREUDENFELD, BURCHARD HARTWIG Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 22. 4. 1803. Burchard Hartwig Freudenfeld, Megap. [= Mecklenburger] FRöBEL, CARL POPPO Hörer Hegels 1806. Matr.: 15. 5. 1805. Carl Poppo Fröbel, Schwbg. [= Schwarzburger] FROMMANN, CARL FRIEDRICH ERNST Budihändler u. Verleger. 1765—1837: 1786 übernahm er die väterliche Buchhandlung in Züllichau, die er 1798 nach Jena verlegte. Hatte ein offenes Haus für viele bedeutende Persönlichkeiten seiner Zeit. — Hegel war öfter im Frommannschen Hause zu Gast. — Enge Freundschaft mit Hegel, Pate von Hegels unehelichem Sohn Ludwig Fischer. FROST, CARL FRIEDRICH GUSTAV Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 26. 10. 1801. Carl Fridr. Gustav Frost, Silesius [= Schlesier]. GABLER, GEORG ANDREAS Philos. u. Jurist. 1786—1853: 1807 Hauslehrer der Söhne Schillers, 1810 Gymnasiallehrer in Ansbach, Prof, in Bayreuth, 1821 Rektor in Bayreuth, 1835 Prof. d. Philos. in Berlin. — Hörer Hegels 1805/06 und 1806. Matr.: 20. 6. 1804. Georg Andr. Gabler, Altorf. — Mit Hegel in Nürnberg befreundet. Nachfolger Hegels auf dem Lehrstuhl in Berlin. GABLER, JOHANN PHILIPP EV. Theol. u. Päd. 1753—1826: 1783 Prof. u. Prorektor am Gymnasium in Dortmund, 1785 Prof. u. Diakonus in Altorf, 1804 Prof, in Jena. — Vater des vorigen. In seinem Haus in Jena hielt sich Hegel 1806 kurze Zeit auf während der Besetzung der Stadt durch die Franzosen. GABLER, Theobald AUGUST Hörer Hegels 1806. Matr.: 20. 6. 1804. Theob. Aug. Gabler, Altorf. GEISSLER, CHRISTIAN ANTON Hörer Hegels 1806. Matr.: 15. 5. 1805. Christn. Ant. Geisler, Isenac. [= Eisenacher]. GHERT, PETER GABRIEL VAN Philos. u. Verw.beamter. 1782—1852: 1808 Beamter im holländ. Kultusministerium. 1831 aufgrund von Konflikten mit der katholischen Geistlichkeit aus seiner Stellung verdrängt, 1844 aus dem Staatsdienst entlassen. — Hörer Hegels 1805, 1805/06 und 1806. Matr.: 22. 11. 1804. P. G. van Ghert, Holland. — Seit 1805 private Bekanntschaft, später enge Freundschaft mit Hegel. Verbreiter der Hegelschen Philosophie in Holland. GLAMSTRöM, THEODOR FRIEDRICH Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 26. 9. 1801. Theod. Friedr. Glandstroem, Esthenic. GOEBHARDT, JOSEF ANTON Buchhändler u. Verleger, gest. 1813: Unterhielt einen Verlag und Buchhandlungen in Bamberg und Würzburg. — In seinem Verlag erschien 1807 Hegels Phänomenologie des Geistes. GOEDE, CHRISTIAN AUGUST GOTTLIEB Jurist. 1773—1812: 1805 Prof. d. Rechtswiss. in Jena, 1806 in Göttingen. — Wurde zu Hegels Zeit nach Jena berufen, ging aber bald wieder weg. GOEDEN, J. C. L. Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 5. 10. 1802. 7. C. L. Goeden, Megap. [= Mecklenburger] FRIES, JAKOB FRIEDRICH

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Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 17. 10. 1799. Guilel. Goeden, Megapol. [= Mecklenburger] GOETHE, JOHANN WOLFGANG VON Dichter, Naturforscher, Regierungsbeamter. 1749— 1832: seit 1775 am Weimarer Hof, 1776 Geh. Legationsrat, 1779 wirk!. Geh. Rat, 1782 Kammerpräsident, Verleihung des Adelstitels, später Minister. — Als Mitglied des Geheimen Rats am Weimarer Hof besonders zuständig für Kunst und Wissenschaft. In dieser Eigenschaft hatte er 1804/05 Hegels Antrag auf Ernennung zum a.o. Prof, und 1806 sein Gesuch um ein außerordentliches Jahrgehalt zu bearbeiten. Suchte dem Niedergang der Universität Jena seit 1803/04 entgegenzuwirken. Förderte die Arbeit in den Naturwissenschaftlidien Gesellschaften. Seit 1803 Präsident der Mineralogischen Gesellschaft in Jena, in der Hegel 1804/05 Mitglied war. Persönliche Bekanntschaft mit Hegel seit dessen Jenaer Zeit. GOEDEN, WILHELM

Hörer Hegels 1804/05 und 1805. Matr.: 9. 5. 1804. Georg Nicol. Götze, Salfeld. GRAESER, SAMUEL Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 16. 10. 1804. Sam. Graeser, Transylv. [= Siebenbürger] GRAUMüLLER, JOHANN CHRISTIAN FRIEDRICH EV. Theol., Botan., Geogr. u. Forstwiss. 1770—1825: stammte aus Den[n]heritz üb Glauchau. Seit 1804 Priv.doz. in Jena. — Promovierte zum Dr. phil. in der Dekanatszeit von J. H. Voigt (1801/02), in der Hegel von der Fakultät nostrifiziert wurde und zur Erlangung der venia legendi disputierte. GRIES, JOHANN DIEDERICH Jur. 1775—1842: 1800—04 in Jena Mittelpunkt eines gelehrten und geselligen Kreises, zu dem auch Hegel gehörte; Reisen, Aufenthalt in Heidelberg, 1827 wieder in Jena, 1837 Hamburg. Bekannt als Übersetzer. — Schilderte 1806 die Situation in Jena. GROTHUSS, CARL MAGNUS VON Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 31. 10. 1801. Carl Mag. V. Grothusen, Livonus [= Eivländer] GRüTZMANN, JOHANN JULIUS FRIEDRICH Stammte aus Frankenhausen. — Promovierte zum Dr. phil. in der Dekanatszeit von J. H. Voigt (1801/02), in der Hegel von der Fakultät nostrifiziert wurde und zur Erlangung der venia legendi disputierte. GRUNDMANN, FRIEDRICH A. Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 21. 8. 1804. F. A. Grundmann, Sax. [= Sachse] HAGEMEISTER, FRIEDRICH Hörer Hegels 1804/05, 1805 und 1806. Matr.: 2. 5. 1803. Friedrich Hagemeister, Sundensis. [= Sundburger ?] HARTWIG, FRANZ MAXIMILIAN Hörer Hegels 1806. Matr.: 23. 10. 1805. Franz M. Hartwig, Hass. [= Hesse] HAUMANN, GUSTAV HEINRICH Hörer Hegels 1806. Matr.: 17. 5. 1805. Gustav Henr. Haumann, Goth. [= Gothaer] HEINRICH, CHRISTOPH GOTTLOB Histor. 1748—1810: 1782 Prof. d. Gesch. in Jena. — Zur Zeit von Hegels Habilitation Mitglied der Philos. Fakultät in Jena. GOETZE, GEORG NICOLAUS

Auf der Hörerliste Hegels von 1806 eingetragen, aber wieder gestrichen. Matr.: 13. 5. 1805. Geo. Adam Henneberger, Mein. [= Meininger] HENNINGS, JUSTUS CHRISTIAN Philos. 1731—1815: 1765 Prof. d. Moral und Politik in Jena, 1782 Prof. d. Logik und Metaphysik. — Zur Zeit von Hegels Habilitation Mitglied der Philos. Fakultät in Jena. Als Inhaber des Lehrstuhls für Logik und HENNEBERGER, GEORG ADAM

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Metaphysik von besonderer Bedeutung. Seit August 1801, noch während Hegels Habilitationsverfahren, Senior der Fakultät. 1802, während der Diskussion über Hegels beabsichtigte Gratisvorlesung über Fichtes Naturrecht, Vizedekan. Kündigte wie Hegel 1801/02 — 1802/03 Vorlesungen über Logik und Metaphysik an. CARL EMIL ADELBERT Landwirt. 1779—1857: Sohn des damaligen Oberkonsistorialrats in Weimar, Johann Gottfried Herder. — Promovierte zum Dr. phil. in der Dekanatszeit von J. H. Voigt (1801/02), in der Hegel von der Fakultät nostrifiziert wurde und zur Erlangung der venia legendi disputierte. HERMANN, DIETRICH Hörer Hegels 1806, Matr.: 4. 5. 1801. Dietr. Hermann, Ulm HERRMANN, CARL BERNHARD GALLER Hörer Hegels 1806. Matr.: 22. 10. 1802. Carl Bernh. Galler. Herrmann, Hamb. HEUAECKER, JOHANN FERDINAND GOTTLOB Hörer Hegels 1804/05, 1805 und 1806. Matr.: 18. 11. 1802. ]oh. Ferd. Gottlob Heuecker, Sdvwzburg. [= Schwarzburger] HEY, FRIEDRICH WILHELM CARL Hörer Hegels 1803/04 und 1804/05. Matr. 20. 10. 1802. Friedr. Wilh. Carl Hey, Gothan. [= Gothaer] HöCHSTETTER, GEORG PHILIPP Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 22. 4. 1803. Georg Philipp Hoechstetter, Franc. [= Franke] HUFELAND, CHRISTOPH WILHELM Mediz. 1762—1836: 1793 Prof. d. Mediz. in Jena, 1798 in Berlin. — Hat an dem Aufschwung der naturwissenschaftlichen Forschungen in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts in Jena maßgeblich mitgewirkt. HUFELAND, GOTTLIEB Jurist. 1760—1817: 1786 Priv.doz. der Rechte in Jena, 1788 Prof., 1803 in Würzburg, 1808 Senatspräsident und Bürgermeister seiner Vaterstadt Danzig, 1812 Prof. d. Rechte in Landshut, 1816 in Halle. — War in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts bis zu seinem Weggang nach Würzburg 1803 für die geistige Situation in Jena sehr bestimmend. ILGEN, KARL DAVID Orientalist. 1763—1834: 1794 Prof. d. oriental. Sprachen in Jena, 1802 Rektor in Schulpforta. — Zur Zeit von Hegels Habilitation Mitglied der Philos. Fakultät in Jena. JANSEN, FRIEDRICH Hörer Hegels 1806. Matr.: 15. 1. 1806. Fried. Jansen, Münster. JERICHO, JOHANN GOTTFRIED Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 25. 10. 1802. Joh. Gottfr. Jericho, Sax. [= Sachse] KäSTNER, CARL GOTTLOB WILHELM Chem. u. Phys. 1783—1857: 1805 Priv.doz. in Jena, Prof. d. Chemie in Heidelberg, 1812 in Halle, 1818 in Bonn, 1820 Prof. d. Chemie und Physik in Erlangen. — Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 29. 4. 1804. Carl Gottl. Wilh. Kästner, Borussus [= Preuße]. Setzte sich 1805 nach seiner Berufung nach Heidelberg dort für eine Berufung Hegels als Prof. d. Philos. ein. Gründer der „Physikalischen Gesellschaft" in Heidelberg, in der Hegel Mitglied war. KESSLER, AUGUST EDUARD Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 1. 11. 1802. Aug. Eduard Kessler, Hannoveran. KIRSTEN, JOHANN FRIEDRICH ERNST Philos. Bis Sommer 1804 Priv.doz. d. Philos. in Jena. — Kündigte 1803 ähnlich wie Hegel, der über die gesamte Philosophie im Grundriß lesen wollte, eine Vorlesung über Enzyklopädie der Philosophie an. KIRSTEN, JOHANN FRIEDRICH WILHELM Hörer Hegels 1806. Matr.: 12. 5. 1806. Joh. Fried. Wilh. Kirsten, Goth. [= Gothaer] KNEBEL, KARL LUDWIG VON Jur. u. Philol. 1744—1833: Preußischer Offizier, 1773 Prinzenerzieher am Weimarischen Hof, seit 1805 Privatgelehrter in Jena. Mit HERDER,

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Hegel in Jena freundschaftlidi verbunden. — Hegel korrespondierte mit ihm 1807 von Bamberg aus über sein Verhältnis zur Universität Jena. KOCH, JOHANN NICOLAUS Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 27. 4. 1801. Joh. Nicol. Koch, Lubec. KOCH, JULIUS Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 14. 5. 1802. Julius Kock, Sckwarzburg. KöHLER, JOHANN CHRISTIAN Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 22. 10. 1801. Joh. Christ. Koehler aus Eisenach. KRAUSE, KARL CHRISTIAN FRIEDRICH Philos. u. Math. 1781—1832: 1802 Priv.doz. d. Philos. in Jena, 1805 in Dresden, 1814 in Berlin, 1823 in Göttingen, 1831 in München. Suchte eine Synthese der großen idealistischen Philosophien. — Kündigte wie Hegel 1802/03 Vorlesungen über Logik und Metaphysik sowie 1802/03 und 1803 über Naturrecht an. KRISPIEN, LUDWIG LEOPOLD Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 8. 1. 1804. Lud. Leop. Krispien, Ostpreussen. KüHNELL, LUDWIG Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 5. 5. 1801. Lud. Kühnell, Francofurtensis. LäMMERHIRT, DANIEL CHRISTIAN Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 26. 10. 1802. Daniel Christn. Lämmerhirt, Meinung. [= Meininger] LANGE, CHRISTIAN FRIEDRICH EV. Theol., seit 1807 Pfarrer in Baden. — Schilderte in Briefen an Krause die Situation an der Universität Jena in den Jahren 1804/05. Hörer Hegels 1805. Matr.: 12. 10. 1803. Christian Friedrich Lange, Badens. — Ging 1805 nach Heidelberg. Nahm dort Anteil an den Versuchen Kästners, eine Berufung für Hegel zu erwirken. LANGE, EBERHARD BERTHOLD Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 15. 9. 1802. Eberhard Berthold Lange, Liv. [= Livländer] LENZ, JOHANN GEORG Mineral, u. Zool. 1748—1832: 1794 Prof. d. Mineralogie in Jena, 1796 Gründer und Direktor der „Jenaischen Mineralogischen Societät", 1803 Bergrat. — 1804 wurde Hegel Assessor der Mineralogischen Sozietät. LINDENBERG, JOHANN BERNHARD WILHELM Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 27. 4. 1801. Joh. Bernh. Wilh. Lindenberg, Lubec. LINZ Bote der Jenaer Philos. Fakultät zur Zeit der Habilitation Hegels. LODER, JUSTUS CHRISTIAN Mediz. 1753—1832: 1778 Prof. d. Mediz. und Anatomie in Jena, 1803 in Halle, 1808 Leibarzt des Königs von Preußen. Mitarbeiter an der Jenaischen Allg. Literatur-Zeitung. — Ging zu Hegels Zeit von Jena weg. Hegel traf danach mit ihm noch einmal im Frommannschen Haus in Jena zusammen. LOUISE ELEONORE Herzogin von Sachsen-Meiningen. 1763—1837: Gemahlin von Herzog Georg L, seit dessen Tod 1803 regierende Herzogin. — Miterhalter der Universität Jena; stimmte 1804/05 der Ernennung Hegels zum a.o. Prof. zu. LUDEN, HEINRICH (sen.) Histor. 1778—1847: 1806 Prof. d. Gesch. in Jena, 1820—32 Vertreter der Universität in den Landständen des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. — Gegen Ende von Hegels Zeit nach Jena berufen. MAY, JACOB Hörer Hegels 1806. Matr.: 15. 5. 1805. Jacob May, Nassau. MEIER, WILHELM Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 6. 5. 1802. Wilhelm Meier Carlsruhe. MEISTER, LUDWIG Hörer Hegels 1806. Matr.: 26. 10. 1805. Lud. Meister, Hohenl. [= Hohenloher].

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Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 16. 5. 1803. Joh. Carl

Joseph Melle, Lubecensis. Kriegs-, Domänen- und Forstrat zu Brockhausen b. Unna. 1751 [?]—1834: 1798 Stifter und Direktor der „hJaturforschenden Gesellschaft Westphalens", bei der Hegel 1804 Mitglied wurde. MICKWITZ, CARL FRIEDRICH oder JOHANN HEINRICH Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 15. 10. 1801. Car. Friedr. Mickwiz, Livonus. Unter demselben Datum Joh. Heim. Mickwiz, Livonus. [= Livländer] MöLNOS, DAVID Hörer Hegels 1803/04 und 1804/05. Matr,: 5. 5. 1803. David Mölnos, Hungar. MüLLER, MICHAEL ANDREAS HEINRICH Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 9. 5. 1803. Michael Andr. Heim. Müller, Isenac. [= Eisenacher] NIETHAMMER, FRIEDRICH IMMANUEL EV. Theol., Philos. und Verw.beamter. 1766—1848: Tübinger Stiftler, 1792 Priv.doz. d. Philos. in Jena, 1793 Prof. d. Philos., 1803 Prof. d. Theol. in Würzburg, 1806 Landesdirektionsrat für das Schul- und Kirchenwesen in München, 1808 Zentralschul- und Oberkirchenrat. — Opponent bei Hegels Disputation zur Erlangung der venia legendi. Bei ihm war Hegel in Jena öfter zu Gast. Ging noch zu Hegels Zeit von Jena weg. — Schon vor Hegels Ankunft in Jena für die geistige Situation sehr bestimmend. Seit 1806 enger Freund und Förderer Hegels. NONNE, LUDWIG Päd. und ev. Theol. 1785—1854: seit 1807 Päd. in Hildburghausen, zunächst als Beauftragter des Konsistoriums, dann als Konsistorialrat, später Hofprediger und Superintendent. Bekannt als Schulreformator Thüringens. — Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 24. 10. 1803. Ludwig Nonne Hildburghausen. OKEN, LORENZ Mediz., Naturwiss. u. Philos. 1779—1851: 1807 Prof. d. Med. u. Pharmaz. in Jena, 1817 amtsenthoben wegen Teilnahme am Wartburgfest, 1828 Prof, in München, 1832 in Zürich. — Gegen Ende von Hegels Zeit nach Jena berufen. OLERT, FRIEDRICH Hörer Hegels 1806. Matr.: 28. 10. 1805. Fried. Olert, Trans. [= Siebenbürger] OSTERMEYER, MENI HEINRICH Hörer Hegels 1803/04 und 1805. Matr.: 21. 4. 1796. Meni Henricus Ostermayer, Lubec. OTTO, FRIEDRICH CHRISTIAN Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 26. 10. 1802. Friedrich Christian Otto, Meiningen. OVERBECK, CHRISTIAN GERHARD Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 2. 5. 1803. Christian Gerhard Overbeck, Lubecensis. PAGENSTECHER, CHRISTIAN BERNHARD Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 7. 11. 1798. Christn. Bernh. Pagenstecher, Osnabr. PANSNER, JOHANN HEINRICH LAURENTIUS Phys., Mineral., Päd. 1777—1851: 1801 Priv. doz. in Jena, 1802 Privatlehrer in Petersburg, später Direktor der Handelsschule, 1836 Privatgelehrter in seiner Heimatstadt Arnstadt. — Disputierte in derselben Woche wie Hegel zur Erlangung der venia legendi. PAULUS, HEINRICH EBERHARD GOTTLOB EV. Theol. u. Päd. 1761—1851: Tübinger Stiftler, 1789 Prof. d. oriental. Sprachen in Jena, 1793 Prof. d. Theol., 1803 in Würzburg, 1807 Bayer. Kreis-Schulrat in Bamberg, 1808 in Nürnberg, 1810 Schulrat in Ansbach und Prof. d. Theol. u. Philos., sowie Kirchenrat in Heidelberg. — Für die geistige Situation in Jena in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts und bis zu seinem Wegggang nach Würzburg 1803 sehr bestimmend. Mit Hegel MEYER, CHRISTIAN FRIEDRICH

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persönlich bekannt und befreundet. In Nürnberg Hegels Vorgesetzter und Vorgänger im Amt. Später Entzweiung und Bruch mit Hegel. PiccARD, VICTOR Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 13. 10. 1798. Victor Picard, LemanoHelvet. [= frz. Schweizer]. REISIG, ERNST WILHELM Hörer Hegels 1806. Matr.; 22. 11. 1804. Ernst Wilh. Reisig. Stolberg. RHETORIDES, GEORG Hörer Hegels 1806. Matr.: 11. 10. 1805. Georg Rhetorides, Thess. [= Grieche aus Thessalien]. RITTER, JOHANN WILHELM Phys. u. Naturphilos. 1776—1810: 1796—98 in Jena, zunächst als Student, dann als Priv.doz. d. Phys., 1804 Mitglied d. Bayer. Akad. d. Wiss. in München. — War am Aufschwung der naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Forschung in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts in Jena maßgeblich beteiligt. ROTH, LUDWIG Hörer Hegels 1805. Matr.: 8. 1. 1805. Lud. Roth, Badensis. SARAPHAKY, SCARLATUS Hörer Hegels 1806. Matr.: 9. 5. 1805. Scarlatus Saraphaky, Thess. [= Grieche aus Thessalien]. SAUR, WILHELM Hörer Hegels 1805. Matr.: 7. 5. 1804. Wilhelm Saur, Franc. [= Franke]. ScHAD, JOHANN BAPTIST Philos. 1758—1834: 1799 Priv.doz. d. Philos. in Jena, 1804 Prof, in Charkow, 1820 in Jena. Anhänger der Fichteschen Philosophie. — Kündigte 1802 wie Hegel eine Vorlesung über Logik und Metaphysik an. ScHELLiNG, CAROLINE 1763—1809: Nach dem Tode ihres ersten Mannes 1796 Heirat mit A. W. Schlegel, nach der Scheidung dieser Ehe 1803 Heirat mit F. W. J. Schelling. Weit verzweigte Korrespondenz mit vielen bedeutenden Menschen ihrer Zeit. — Gab Schelling 1806 einen Bericht über die Situation in Jena. ScHELLiNG, FRIEDRICH WILHELM JOSEF VON Philos. 1775—1854: Tübinger Stiftler, 1796/97 Hofmeister in Leipzig, 1798 Prof. d. Philos. in Jena, 1803 in Würzburg, 1806 Generalsekretär der Akad. d. bildenden Künste in München, 1820 Prof. d. Philos. in Erlangen, 1827 in München, 1841 in Berlin. — Opponent bei Hegels Disputation zur Erlangung der venia legendi. 1801/02 veranstaltete er gemeinsam mit Hegel ein „disputatorium philosophicum". — Seit der gemeinsamen Zeit im Tübinger Stift Hegels Freund, 1802/03 gemeinsam mit Hegel Hrsg, des „Kritischen Journals der Philos.", Entfremdung von Hegel durch die Kritik seiner Philosophie in der Vorrede zur „Phänomenologie" (1807), später Gegnerschaft zwischen ihm und Hegel. SCHELLING, KARL EBERHARD Philos. u. Mediz. 1783—1855: 1805 prakt. Arzt in Stuttgart, später Amtsarzt und Medizinalrat, schlug mehrere Rufe an Universitäten aus. Bruder des Philosophen Fr. W. J. Schelling. — Respondent bei Hegels Disputation zur Erlangung der venia legendi. Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 4. 11. 1799. Carolus Schelling Wirtemb. — Mit Hegel längere Zeit hindurch freundschaftlich verbunden. ScHELVER, FRANZ JOSEF Botan. u. Mediz. 1778—1832: 1802 Priv.doz. d. Botan. in Halle, 1803 Prof, in Jena, 1807 Prof. d. Med. in Heidelberg. — Zu Hegels Zeit Prof. d. Botanik in Jena. Mit Hegel befreundet. Ging 1807 von Jena weg. Hegel versuchte — ohne Erfolg — sein Nachfolger zu werden als Prof. d. Botanik und als Verwalter des Botanischen Gartens. — Setzte sidi in Heidelberg Anfang 1807 sogleich für eine Berufung Hegels als Prof. d. Philos. in Heidelberg ein.

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Dichter, Historiker, Mediz. 1759—1805: 1780 Regimentsarzt in Stuttgart, 1782—89 unstetes Leben, 1789 Prof. d. Gesdi. in Jena, 1799 am Weimarer Hof. — In den 90er Jahren in Jena für die geistige Situation sehr bestimmend. Regte 1803 Goethe an. Hege! und Fernoiv zusammenzubringen. SCHLEGEL, AUGUST WILHELM Schriftsteller, Philol. u. Literaturkrit. 1767—1845: seit 1795 in Jena, 1796 Priv.doz. d. Literaturwiss. in Jena, 1798 Prof., später Privatgelehrter in Berlin, 1819 Prof. d. Literaturwiss. in Bonn. — War zur Zeit Hegels und schon vorher an literarischen Diskussionen in Jena sehr beteiligt. SCHLEGEL, FRIEDRICH WILHELM KARL Schriftsteller, Philol. u. Literaturkrit. 1772—1839: Privatgelehrter in Berlin, 1796 in Jena, 1800—02 Priv.doz. d. Philos. in Jena, 1808 Hofsekretär in der Wiener Staatskanzlei. — Hatte wie Hegel über Theses disputiert statt über eine ausgearbeitete Schrift. — War zur Zeit Hegels und schon vorher an literarischen Diskussionen in Jena sehr beteiligt. SCHLOSSER, CHRISTIAN HEINRICH Jur. 1782—1829: Bruder des folgenden. Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 30. 4. 1801. Christ, Schlosser, Franckfurt a. M. SCHLOSSER, JOHANN FRIEDRICH HEINRICH Jur. 1780—1851: Hatte während seines Studiums in Jena (1801—03) Beziehungen zu Goethe, der mit der Familie Schlosser verschwägert war, und zu Schiller. 1803 Advokat in Frankfurt/M., 1812 Oberschulrat und Direktor des dortigen Lyceums, seit 1814 Privatmann. Empfing auf seinem Landsitz (Stift Neuburg b. Heidelberg) viele bedeutende Künstler, Gelehrte und Wissenschaftler. — Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 10. 10. 1801. Joh. Friedr. Heinr. Schlosser aus Frkfrt a. Mayn. SCHMIDT, JOACHIM FELIX JACOB Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 2. 5. 1803. Joach. Felix Jacob Schmidt, Neocaldensis. [= Neukaldener od. Neukalderner] SCHMITT, ANTON CARL Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 15. 10. 1801. Ant. Car. Schmitt, aus Bingen. SCHNELL, JOHANN Hörer Hegels 1806. Matr.: 11. 10. 1805. Joh. Schnell, Trans. [= Siebenbürger] ScHNETTER, JoHANN FRIEDRICH oder LUDWIG THEODOR Hörer Hegels 1806. Matr.: 20. 11. 1805. Joh. Fried. Schnetter, Franc. — 11. 8. 1803. Lud, Theodor Schnetter, Francus. [= Franke]. ScHOENEBECK, WILHELM Auf der Hörerliste Hegels von 1806 eingetragen, aber wieder gestrichen. Matr.: 12. 5. 1806. Wilh. Schoeneweck, Arnst. [= Arnstädter] SCHREINER, WILHELM Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 25. 10. 1802. Wilhelm Schreiner. Saxon. [= Sachse]. ScaiÜTZ, CHRISTIAN GOTTFRIED Philol. u. Literaturwiss. 1747—1832: 1773 Prof. d. Philol. in Halle, 1779 in Jena, Mitbegründer und -hrsg. der Allg. Literatur-Zeitung, 1804 Prof. d. Philol. in Halle, wohin er die Allg. Lit.-Zeit. mitnahm. — Zur Zeit von Hegels Habilitation Mitglied der Philos. Fakultät in Jena. SCHULTZ, CARL Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 6. 5. 1802. Carl Schulz, Bipont. [= Zweibrücker] SCHULTZ, MAXIMILIAN Hörer Hegels 1806. Matr.; 6. 5. 1803. Max. Schultz, CamenMarcanus. [= Kamener] SCHUSTER, KARL CHRISTIAN Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 8. 5. 1802. Carl Christian Schuster, Badens. SCHWABE, JOHANN FRIEDRICH HEINRICH EV. Theol. u. Hist. 1779—1834: 1800 Dr. phil. SCHILLER, JOHANN CHRISTOPH FRIEDRICH VON

Jenaer Dokumente — C. Personenverzeichnis

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in Jena, 1801/02 Priv.doz., 1802 Pfarrer in Wormstedt üb. Apolda, 1821 Superintendent in Neustadt a. Orla, 1827 Oberkonsistorialrat in Weimar, 1833 Prälat in Darmstadt. — Disputierte in derselben Woche wie Hegel zur Erlangung der venia legendi. ScHWARZOTT, THOMAS Jenaer Student. — Opponent bei Hegels Disputation zur Erlangung der venia legendi. War ebenfalls bei der Disputation von F. Schlegel am 14. 3. 1801 als Opponent anwesend. Matr.; 20. 10. 1800. Thom. Sdiwarzott, Bambergens. SEEL, PHILIPP Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 5. 10. 1801. Philipp Seel, aus ZweyhrÜken. SEYWART, JACOB Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 5. 10. 1801. Jac. Seywart aus Andernach. SPONHOLZ, KARL FRIEDRICH Hörer Hegels 1803/04 und 1804/05. Matr.: 5. 5. 1803. Carl Friedr. Sponholz, Petripolitan. [= Petersburger]. SPRENGER, HEINRICH Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 8. 5. 1802. Heinrich Sprenger, Badens. STAUDE, GEORG STEPHAN Hörer Hegels 1806. Matr.: 11. 5. 1803. Georg Stephan Staude, Coburg. STEIMMIG, REINHOLD CHRISTIAN WILHELM Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 2. 5. 1803. Reinh. Chrstn. Wilh. Anr. Steimmig, Breitens. [= Brettener]. STOKAR, GEORG Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 25. 10. 1802. Georg Stockar, Scaphusiensis. [= Schaffhausener] STREIT, ERNST FRIEDRICH WILHELM Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 11. 5. 1804. Ernst Friedr. Wilh. Streit, Altbg. [= Altenburger] SUCKOW, JOHANN LORENZ DANIEL Math. u. Phys. 1723—1801: 1756 Prof. d. Math. u. Phys. in Jena. — Zur Zeit von Hegels Habilitation Senior der Philos. Fakultät in Jena. Starb noch vor Hegels Habilitationsdisputation am 26. 8. 1801. SuTHMEYER, HERMANN Ev. Theol. u. Philos. 1784—1824: 1810 Pfarrer in Alt-Lüneburg üb. Bremerhaven, 1815 in Otterndorf/Elbe. — Hörer Hegels 1805, 1805/06 und 1806. Matr.: 30. 10. 1804. Herrn. Suthmeyer, Bremen. Gehörte zu den persönlichen Anhängern Hegels, die den Kern seiner Zuhörerschaft ausmachten. THIBAUT, ANTON FRIEDRICH JUSTUS Jurist u. Musikschriftst. 1772—1840: 1798 Prof. d. Rechte in Kiel, 1802 in Jena, 1806 in Heidelberg. — Ging zu Hegels Zeit von Jena weg. In Heidelberg wurde Hegel 1816—18 sein Kollege. THIENEMANN, JOHANN FRIEDRICH WILHELM Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 16. 5. 1803. Joh. Friedr. Wilh. Thienemann, Gothanus. TIMM, HELLMUTH ALBRECHT Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 8. 5. 1802. Hellmuth Albrecht Timm, Megapol. [= Mecklenburger]. TROTT, HEINRICH AUGUST VON Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 30. 4. 1801. Henr. Aug. V. Trott, Hassus. [= Hesse]. TROXLER, IGNAZ PAUL VITALIS Mediz. Philos. u. Histor. 1780—1866: 1800—03 stud. med. et pilos. in Jena, Schüler Schellings, 1803 Dr. med. in Jena, 1806 Arzt in Münster im Kanton Luzern, später private Studien d. Philos. und Mediz. in Wien, 1819 Prof. d. Philos. und Gesch. am Lyceum in Luzern, 1829 Prof. d. Philos. in Basel, 1835 in Bern. Seit seiner Jugend als demokratischer Republikaner politisch tätig. — Hörer Hegels 1801/02. Matr.: 22. 10. 1800. Ignat. Troxter, Beron. Münster. ULRICH, JOHANN AUGUST HEINRICH Philos. 1746—1813: 1767 Priv.doz. d. Philos. in Jena, 1783 Prof. d. Moral und Politik. — Zur Zeit von Hegels Habilitation Mit-

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glied der Philos. Fakultät in Jena. Als Inhaber des Philos. Lehrstuhls für Moral und Politik von besonderer Bedeutung. Kündigte wie Hegel 1801/02—1802/03 und 1804/05 Vorlesungen über Logik und Metaphysik, 1802 über Naturrecht und 1805/06 über Geschichte der Phlios. an. VOIGT, CHRISTIAN GOTTLOB VON Jurist u. Regierungsbeamter. 1743—1819: Seit Abschluß des Studiums im Weimarer Staatsdienst, 1796 Regierungsassessor, 1800 Dr. iur. h. c. Jena, 1801 Geh. Archivar d. Universität Jena, 1817 Kurator. — Als Regierungsbeamter am Weimarer Hof besonders zuständig für Kunst und Wissenschaft. In dieser Eigenschaft hatte er Hegels Antrag auf Ernennung zum a.o. Prof, und sein Gesuch um ein außerordentliches Jahrgehalt zu bearbeiten. Hegel richtete an ihn seine Bitte um Beurlaubung im Sommer 1807. VOIGT, FRIEDRICH SIGISMUND Mediz. u. Botan. 1781—1850: 1803 Priv.doz. d. Botan. in Jena, 1808 Direktor des Botan. Gartens und Prof. d. Mediz. u. Botan., Sohn des folgenden. — Erhielt die von Hegel angestrebte Nachfolge Schelvers als Direktor des Botanischen Gartens und Prof. d. Botan. in Jena. VOIGT, JOHANN HEINRICH Math. u. Phys. 1751—1832: 1789 Prof. d. Math, in Jena, 1802 Prof. d. Physik. — Zur Zeit von Hegels Habilitation Dekan d. Philos. Fakultät in Jena. Kündigte wie Hegel 1805/06—1807 Vorlesungen über reine Math, an. VOLKHART, FRIEDRICH AUGUST Hörer Hegels 1806. Matr.: 27. 10. 1804. Fried. Aug. Volkhart, Meining. Voss, JOHANN HEINRICH Philol. u. Literaturhist. 1751—1826: Rektor in Otterndorf und Eutin, 1802 Prof. d. Philol. in Jena, 1805 in Heidelberg. Berühmt als Homer-Übersetzer. — Bemühte sich 1805 auf Hegels Bitte um dessen Berufung nach Heidelberg. Theol. u. Philol. 1780—1849: 1805 Priv. doz. d. Philol. in Jena, 1807 Prof, in Heidelberg, 1810 Prof. d. Theol. in Berlin, 1819 aus politischen Gründen amtsenthoben, 1828 Prof. d. Theol. in Basel. — Ging zu Hegels Zeit von Jena weg. Anhänger der gegen Hegel gerichteten Friesschen Philosophie. WAITZ, JOHANN HEINRICH WILHELM Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 24. 10. 1803. ]oh. Heinr. Wilh. Waitz, Gothanus, (Ein Jenaer Student namens Waitz, dessen Vorname — wie auf der Hörerliste Hegels — mit E. beginnt, findet sich in der Matrikel der Universität Jena in dieser Zeit nicht.) WALTER, JOHANN Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 10. 5. 1802. Joh. Walter, Livonus. [= Eivländer] WALTER, JOHANN BERNHARD Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 27. 4. 1803. Joh. Bernh. Walter, Wismar. WiCHMANN, W. VON Hörer Hegels 1804/05 und 1805. Matr.: 21. 8. 1804. W. v. Wichmann, Livon. [= Livländer] WIENER, JOHANN Hörer Hegels 1804/05. Matr.: 6. 5. 1803. Johann Wiener, Isenacensis. [= Eisenacher] WiLLUDOvius, HERMANN Hörer Hegels 1803/04. Matr.: 1. 2. 1804. Herrmann Willudovius, Litthauen. WOLF, FRIEDRICH AUGUST Philol. 1759—1824: 1783 Prof. d. Philol. in Halle. Berühmt als Homerforscher. — Traf mit Hegel 1805/06 im Frommannschen Haus zusammen. Mit Hegel im freimdschaftlichen Verhältnis. WETTE, WILHELM MARTIN LEBERECHT DE

EV.

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KARL LUDWIG VON Histor. und Dichter. 1770—1817: 1794 Prof. d. Gesch. in Jena, 1798 in Berlin, später Diplomat. — Berichtet in seinen Briefen ausführlich über die Situation in Jena in den 90er Jahren vor Hegels Ankunft. ZELLMANN, CHRISTIAN GOTTHILF 1785 od. 1786—1808. Hörer Hegels 1805, 1805/06 und 1806. Matr.: 4. 5. 1805. Chtn. Gotthilf Zellmann, Isenac. [= Eisenacher] Einer der eifrigsten und begabtesten Schüler Hegels. ZERENER, JOHANN CHRISTIAN JACOB Hörer Hegels 1806. Matr.: 10. 5. 1802. Joh. Christn. ]ac. Zerener, Jenens. ZiEGESAR, ANTON FREIHERR VON Weimarer Regierungsbeamter. 1783—1843: Seit Abschluß seines Studiums in Weimarer Staatsdiensten, 1801 Commissarius der Erhalter der Universität Jena, 1804 Regierungsassessor, 1816 Präsident des Oberappellationsgerichts in Jena, 1821 Dr. iur. h. c. Jena, 1829 Kurator der Universität Jena. — Hat im Auftrag der Erhalter der Universität in den ersten Jenaer Jahren Hegels eine auch diesen betreffende „Neue Einrichtung bey den Promotionen der philosophischen Fakultät" erlassen. ZIMMERMANN, FRIEDRICH THEOPHIL Philos. Stammte aus Weimar. 1805/06 Priv.doz. in Jena. — Kündigte wie Hegel Vorlesungen über Geschichte der Philosophie an.

WoLTMANN,

ZWEI UNBEKANNTE BRIEFE HEGELS AUS DEM JAHRE 1807 Mitgeteilt und erläutert von Günther Nicolin (Bonn)

In den letzten Jahren sind nur noch sehr selten unbekannte Briefe Hegels aufgetaucht. Bei den wenigen Stücken, die im Autographenhandel ans Licht traten, handelte es sich meist um weniger bedeutende Briefe aus der Berliner Zeit. Umso erfreulicher ist es, daß wir hier zwei Briefe mitteilen können, die aus verhältnismäßig früher Zeit stammen. Es sind dies ein Schreiben Hegels an den Studenten C. G. ZELLMANN, datiert vom 30. 4. 1807, und ein Brief an den Mineralogen J. G. LENZ vom 17. 11. 1807. Der erste Brief wurde an bisher unbeachtet gebliebener Stelle in den Blättern für literarische Unterhaltung (Jg. 1835, Nr 155, 4. Juni) entdeckt der zweite fand sich in den Akten der Herzoglich Jenaischen Mineralogischen Societät

I. Der Adressat des ersten Briefes Christian Gotthilf ZELLMANN (1785/86—1808) ist in der Hegelkorrespondenz kein Unbekannter. Hegel schrieb an ihn am 23. 1. 1807 einen bedeutsamen Brief, von dem man bisher glaubte, er sei erstmals in der Freundesausgabe der Werke des Philosophen im 17. Band veröffentlicht worden Keinem der späteren Herausgeber (Karl HEGEL, HOFFMEISTER) hat er

1 Zwei Briefe von Hegel. In: Blätter f. literar. Unterhaltung. Jg. 1835, 639—40. Den Hinweis auf diese Veröffentlidiung verdanke idi Dr. Hartmut Büchner. — Mit dieser Wiederauffindung wird eine früher von mir geäußerte Vermutung (Hegel-Studien. Bd 3. 93) bestärkt, daß nämlich noch mancher Hegelbrief an uns unbekannter Stelle gedruckt sein mag. 2 Diese Akten liegen im Mineralogischen Institut der Universität Jena. Der Brief ist aufbewahrt unter Nr 1417. Dankenswerterweise wurde tms eine Photographie zur Verfügung gestellt, nachdem Dr. Heinz Kimmerle vom Hegel-Archiv bei Arbeiten in Jena — auf einen Hinweis von Frau Dr. Johanna Salomon hin — den Brief gefunden hatte. 5 Hegel: Werke. Band 17: Vermisdite Säiriften, Teil 2. Hrsg. v. F. Förster u. L. Boumann. Berlin 1835. 627—629.

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im Manuskript Vorgelegen. Jetzt zeigt sich, daß er zusammen mit einem kürzeren Schreiben Hegels 1835 in den Blättern für literarische Unterhaltung mitgeteilt wurde. Mit Sicherheit kann angenom.m.en werden, daß den Herausgebern der Vermischten Schriften während der Drucklegung des Bandes 17 diese Veröffentlichung noch zu Gesicht kam und daß sie den wichtigen Brief von dorther in ihre Sammlung übernahmen. Die Notiz über ZELLMANN, die sie in einer Fußnote beigeben, entspricht fast wörtlich der biographischen Mitteilung in den Blättern (s. u.). Der Brieftext selber stimmt in beiden Abdrucken überein mit Ausnahme eines Satzes, und hier erweist sich bei näherem Zusehen die Fassung in den Werken als stilistische Umformung einer für Hegel charakteristischen Satzkonstruktion Auf diesen Brief vom 23. 1. 1807 folgt in der Erstveröffentlichung der kurze, drei Monate später abgefaßte Brief Hegels, den wir hier vorlegen. Die Herausgeber der Vermischten Schriften haben ihn beiseite gelassen, wohl deshalb, weil er in seiner Bedeutung nicht an den ersten heranreicht. Die Zusammenhänge, aus denen die beiden Briefe in den Blättern für literarische Unterhaltung veröffentlicht wurden, sind recht interessant. Sie seien hier kurz skizziert. In „Correspondenznachrichten" aus Berlin vom 30. 3. 1835 wird die Situation der Philosophie an der Berliner Universität nach Hegels Tod charakterisiert. Aufschlußreich heißt es: „Auch Metaphysik studirt man jetzt hier weniger eifrig als in frühem Zeiten, wo Hegel's wundersame, großartige Persönlichkeit, die keine Persönlichkeit sein wollte, uns tief innerlich afficirte und auf der einen Seite den Haß, auf der andern, wenn nicht Liebe, doch Bewunderung in hellen Flammen erhielt. Hegel wollte keine Person sein, sondern eine Centralisation für alle wissenschaftlichen Interessen, er war in der That eine Zeit lang ein Focus, in dem alle Radien zusammenliefen, feindlich oder freundlich. Hegel's System war die großartigste Chimäre der Welt. Seitdem dieser Brennpunkt erloschen, treiben die Facultäten an unserer Universität ihr Wesen ziemlich friedlich und duldsam nebeneinander weiter." ® Im weiteren Verlauf wird dann von der Nachfolgefrage gesprochen, die bekanntlich dahingehend gelöst wurde, daß man GABLER, „den ältesten Schüler Hegel's", berief. Diese Bemerkung veranlaßte nun einen ungenannten Freund ZELLMANNS — Besitzer von dessen Nach-

^ In den Blättern f. liter. Unterhaltung heißt die Stelle: „ ... dies gibt ihr [sc. der französischen Nation] die große Kraft, die sie gegen andere beweist. Sie lastet auf ihrer Verschlossenheit und Dumpfheit, die endlidi gezwungen ihre Trägheit gegen die Wirklichkeit aufzugeben, in diese heraustreten wird, und vielleicht, indem die Innerlichkeit sich in der Äußerlichkeit bewahrt, werden sie ihre Lehrer übertreffen." Demgegenüber lautet der letzte Satz in Werke Bd. 17: „Sie lastet auf der Verschlossenheit und Dumpfheit dieser, die endlich gezwungen ihre Trägheit gegen die Wirklichkeit aufzugeben, in diese heraustreten und vielleicht, indem die Innerlichkeit sich in der Äußerlichkeit bewahrt, ihre Lehrer übertreffen werden." ® Blätter f. liter. Unterhaltung. Jg. 1835, Nr 101 (11. 4.), 415.

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laß® — zur Einsendung des Artikels: Zwei Briefe von Hegel. Er schreibt einleitend zur Begründung seiner Veröffentlichung: „Die Erwähnung GABLER'S als ältesten Schülers von Hegel in dem Correspondenzartikel aus Berlin in Nr. 101 d. Bl. hat mich an einen andern Schüler Hegel's erinnert, der es zu gleicher Zeit mit jenem war und vielleicht ebenso gut Hegel's Nachfolger auf dem philosophischen Lehrstuhl hätte werden können, wenn er am Leben geblieben wäre. Er hieß Christian Gotthilf ZELLMANN, war eines Bauers Sohn aus dem Eisenachischen und starb 22 oder 23 Jahre alt im Frühjahr 1808. Er war befreundet mit BACHMANN und GABLER . . ." Daß die hohe Einschätzung ZELLMANNS, die hier zum Ausdruck kommt, durchaus nicht abwegig ist, wird deutlich, wenn wir eine Äußerung, die GABLER selbst über ZELLMANN gemacht hat, hinzunehmen: „Er war am meisten in das innere Verständniß von Hegel eingedrungen. Ich muß noch jetzt sein eignes Vorarbeiten und eine gewisse speculative Divinationsgabe, die er dafür besaß, bewundern." ^ Zu dem anschließend abgedruckten Brief ist speziell zu sagen, daß er die Antwort auf ein nicht mehr vorhandenes Schreiben ZELLMANNS vom 8. 4. 1807 ist, in dem dieser, wie es damals wohl üblich war, bei Hegel um eine Studienbescheinigung bat. ® Welche Hochachtung Hegel für ZELLMANN empfindet, geht auch aus diesem Briefe hervor. Für Hegel scheint ZELLMANN, was das philosophische Verständnis angeht, ein besonderer Glücksfall gewesen zu sein.

Bamberg, 30. April 1807. Sie werden, werthester Herr, in der Veränderung meines Aufenthaltsortes für diesen Sommer die Entschuldigung dafür finden, daß ich das in Ihrem Schreiben vom 8. dies, gewünschte Testimonium nicht früher geschickt habe; da Sie zugleich darin melden, daß Sie in 14 Tagen von jenem Datum an in Jena sich einfinden werden, so habe ich dieses Testimonium nach Jena adressirt und hoffe, daß es Sie dort treffen wird. Es ist mir leid, daß ich das Vergnügen nicht haben kann. Sie diesen Sommer unter meinen Zuhörern zu sehen, und daß mir diese Aufmunterung bei meinen Geschäften — denn es ist dem Eehrer die größte, für solche Zuhörer zu arbeiten — fehlen wird. Aber die gebietende Gewalt der Umstände ® hat mich ® Leider ist nicht festzustellen, um wen es sich hier handelt. Die Veröffentlidiung ist nur mit der Kennziffer 154 unterzeichnet. Auch eine Anfrage beim Verlag Brockhaus, der die Blätter für literarische Unterhaltung damals herausgab, brachte keine Klärung dieser Frage; die betr. Bestände des Verlagsarchivs sind im letzten Krieg vernichtet worden. ’ Briefe von und an Hegel. Hrsg, von Karl Hegel. Teil 1. Leipzig 1887. 81. ® Welche Vorlesungen Zellmann bei Hegel gehört hat, geht aus einer Veröffentlichung von H. Kimmerle in diesem Band hervor (vgl. 62 f).

® Hegel sah sich gezwungen, Jena zu verlassen, weil seine finanzielle Lage sehr an-

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genöthigt, diesen Sommer diesem Genüsse und dieser Beschäftigung zu entsagen. Haben Sie sonst an mich eine Bestellung, so wird das Fromjnann/sche Haus sie gern übernehmen; sonst wird es mich freuen, wenn ich von Ihnen selbst Nachrichten erhalte. Ich bin mit aller Hochachtung Ihr gehorsamer Diener Prof. Hegel.

II. Bei dem Empfänger des zweiten Briefes handelt es sich um den Direktor der Jenaischen Mineralogischen Gesellschaft Johann Georg LENZ (1748—1832). Die Biographie dieses Mannes ist insofern interessant, als er sich zunächst theologischen und philosophischen Studien widmete. 1770 promovierte er in Philosophie an der Universität Jena und wurde kurz danach als Privatdozent in die philosophische Fakultät aufgenommen. Erst einige Zeit später erwachte in ihm die Freude an den Naturwissenschaften, insbesondere an der Mineralogie, der er fortan als bedeutender Gelehrter diente. „Im Jahre 1796 stiftete Professor Johann Georg LENZ die später so berühmte ,5ocietät für die gesammte Mineralogie zu Jena', deren Blütezeit für immer mit seinem Namen verknüpft bleibt. Erst zwei Jahre danach, 1798, machte sie Professor LENZ öffentlich bekannt." 1803 erhielt LENZ den Titel Bergrath und 1810 wurde er vom außerordentlichen zum ordentlichen Honorarprofessor befördert. In der bisher veröffentlichten Korrespondenz Hegels erscheint LENZ nur am Rande. Aus dem Brief Hegels an SCHELLING vom 16. 11. 1803 können wir auf ein Gespräch zwischen LENZ und Hegel schließen. Vielleicht ist hierbei auch von der Ernennung Hegels zum Assessor der Mineralogischen Gesellschaft die Rede gewesen, die am 30. 1. 1804 durch eine von LENZ Unterzeichnete Urkunde erfolgte. Daß Hegel sich um die Mitgliedschaft bemühte ist zu ver-

gespannt war. Die Einnahmen, die er als a. o. Professor hatte, waren zu gering, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Außerdem hatten sich die Verhältnisse in Jena nach der Schlacht von 1806 noch nicht völlig normalisiert. Mit dem Buchhändler Frommann stand Hegel 1) in geschäftlicher Verbindung, 2) war Frommann Pate des unehelichen Hegelsohnes, der bei einer Schwägerin Frommanns großgezogen wurde. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd 18. Leipzig 1883. 276—277. Johanna Salomon: Geschichte der „Societät für die gesammte Mineralogie" zu Jena unter ihrem Gründer Johann Georg Lenz und ihrem Förderer und Präsidenten Johann Wolf gang von Goethe (1796—1830). Jena, Phil. Diss. v. 1957. [Maschinenschr.]. Vgl. Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Bd 1. Hamburg 1952. 78, 122. Briefe von und an Hegel. Bd 4. 90. § 4 der Statuten der Mineralogischen Gesellschaft lautet: „Auch die Anzahl der

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stehen, wenn wir bedenken, daß er schon seit seiner Schülerzeit naturwissenschaftliche Interessen hatte In der Berner Hauslehrerzeit und später auch in Jena betrieb er „das Naturstudium mit großem Eifer" Mit dem Eintritt in die Mineralogische Gesellschaft scheint dann Hegels besondere Aufmerksamkeit der Mineralogie gegolten zu haben, deren Studium er unter der „Anleitung" von LENZ „für immer liebgewonnen" hat (vgl. den Text des Briefes). Aus den Satzungen der Gesellschaft können wir entnehmen, wie diese Anleitung ausgesehen haben mag. Alle acht Tage trafen sich die Jenaer ordentlichen Mitglieder zu Privatzusammenkünften; alle sechs Wochen fanden öffentliche Zusammenkünfte statt. In § 9 der Satzungen heißt es: „In den Privatversammlungen macht der Director die neusten Entdeckungen im Mineralreiche bekannt, zeigt die merkwürdigsten Mineralien und Fossilien vor, und unterhält sich mit den Mitgliedern über andere wichtige Gegenstände aus der Oryctognosie, Geognosie und aus der Bergbaukunde." Die Möglichkeit, daß die beiden Männer auch persönlich in näheren Kontakt gekommen sind, ist nicht von der Hand zu weisen, zumal sie vielleicht auch über die Mineralogie hinaus andere Anknüpfungspunkte hatten, etwa im Bereich des Philosophischen. Auf jeden Fall ist der Brief Hegels ein beredtes Zeugnis für eine herzliche Freundschaft. Zum Brief selbst ist im einzelnen wenig zu sagen. Den allgemeinen Schlüssel zum Verständnis bildet Hegels Mitgliedschaft in der Mineralogischen Gesellschaft. Wer der angesehene „Liebhaber der Mineralogie" in Bamberg war, konnte bisher nicht festgestellt werden. Unbekannt ist auch, ob und wie LENZ auf Hegels Brief reagiert hat. Ein Antwortschreiben liegt nicht vor. Bamberg den 17 Nov. 1807. Hochgeehrtester Herr Bergrath! Theuerster Freund! Es freut mich eine Veranlassung zu haben, an Sie zu schreiben, und mich darnach zu erkundigen, wie Sie leben, und wie es mit unsrer lieben Mineordentlichen Mitglieder ist unbestimmt. Kenntnisse in der Mineralogie, Physik und Chemie machen zur Aufnahme fähig." — Und § 5: „Wer von den hiesigen Naturfreunden dieser Societät beytreten will, muß sich beym Director melden, der dessen Wünsche den ordentlichen Mitgliedern vorträgt, und, falls diese die Aufnahme begünstigen, ihn sodann zu der nächsten öffentlichen Sitzung einladet, wo ihm von dem Secretair die Gesetze vorgelesen werden, deren Erfüllung er durch eigene Unterschrift bekräftigt. Die Aufnahme selbst geschieht unentgeltlich." Vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 1. 3. Ebd. 141. 1® K. Rosenkranz: Hegel's Leben. Berlin 1844. 220. 1® Vgl. § 8 der Statuten der Mineralogischen Gesellschaft. 7® ]oh. Salomon: Geschichte. 149.

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ralogie geht, deren Studium ich unter Ihrer Anleitung auf immer liebgewonnen, und kürzlich eine kleine Gelegenheit gefunden habe, es wieder aufzufrischen; was denn auch die Ursache ist, m.ich m.it einer Bitte an Sie zu wenden, mit welcher ich mich freuen würde. Ihnen zugleich eine Gefälligkeit erweisen zu können. Es befindet sich hier ein angesehener Liebhaber der Mineralogie, der dieses Studium erst seit einigen Jahren ergriffen und zum Behuffe desselben sich ein Kabinet anzulegen angefangen hat, das zwar schon in manchen Zweigen reichlich versehen ist und selbst einige Prachtstücke enthält, aber noch sehr unvollständig ist. Gegenwärtig arbeitet derselbe daran, es zunächst vollständig zu machen, steht mit vielen Händlern und sonstigen Liebhabern in Verbindung, ist aber, wie das im Anfang immer geht, oft hintergangen und daher itzt etwas mistrauisch geworden. Ich habe demselben den Vorschlag gemacht, wenn er mir einige Karoline erlauben wollte, so wollte ich an Sie schreiben, und ich zweifle nicht, daß Sie nicht aus Ihrem Kabinete das Fehlende seiner Sammlung, wenigstens in vieler Rüksicht ergäntzen könnten, und daß er mit einem Versuche, den ich bey Ihnen darüber machen wollte, sowohl in Ansehung der Qualität als des Preises zufrieden seyn werde. Er hat meinen Vorschlag sehr gern angenommen; ich habe die Vollmacht 20 Thaler auszusetzen und zugleich hat mir derselbe seine Liste von Defekten die zu suppliren sind, gegeben, die ich Ihnen hier beylege, und um deren Zurüksendung wieder ersuche. Indem ich den Reichthum Ihrer Privatsammlung kenne, und weiß, daß Sie in den ausgebreitetsten Verbindungen — wegen des Neuen — stehn, so zweifle ich nicht, daß diß hiesige Privatkabinet nicht die besten Beyreicherungen von Ihrer Gefälligkeit erhalten könne; und ich denke, daß Sie, ohnehin bey diesen geldschmalen Zeiten geneigt sind, etwas loszuschlagen; da ohnehin bey einem Manne von Ihren Verbindungen es immer mit Mineralien zuströmt. — Meine Bitte besteht also darin, schreiben Sie mir in Bälde, was Sie aus dieser Liste um den Preis von 20 Thlrn überschiken können; ferner was Sie sonst noch, und um welche Preise vorräthig haben. — Vergessen Sie nicht, daß die beygelegte Liste nur das ganz Fehlende enthält, daß diß Kabinet noch in einer Menge anderer Arten, bessere Exemplare bedarf, und daß wenn Ihre Waare zu einem raisonnabeln Preise erfunden wird, — im Verhältnisse zu den Preisen, die Defekt; bedeutet im älteren Sprachgebrauch auch „fehlender Teil" neben „Beschädigung" und „Mangel". Vgl. 7. Chr. Adelung; Grammatisch-kritisdkes Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Teil 1. Wien 1808. 1432. Aus eigener Anschauung wußte Hegel, daß Lenz nach der Schlacht von Jena bei Plünderungen viel von seinem Hab und Gut eingebüßt hatte.

Zwei unbekannte Briefe Hegels

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wir kennen, sich ein fortdauerndes Geschaffte anknüpfen läßt. — Wenn ich für mich die Bestellung machte, würde ich ohne weiters Sie ersuchen, zusammen zu packen und hieher zu schiken; so aber haben Sie, wie gesagt, die Güte zuerst nur eine Liste der Sendung zu schiken; auf welche, da ich nicht zweifle, daß sie genügend ausfallen wird, denn sogleich die definitive Bestellung der wirklichen Sendung, und nach Empfang derselben ebenso unverweilt die richtige Bezahlung — am besten denke ich durch Pfündel der immer Geschaffte hier hat — erfolgen soll. — Diß will ich noch erinnern, daß die Exemplare etwa zu 4, 5 Zollen gewünscht werden, sauber, gut conservirt, die Kristallisationen nicht zerstoßen, der Bruch frisch nicht abgerieben u. s. f. — Auch wissen Sie, daß einem Lehrer oft ein schlechtes, kleines Stükchen von einem neuen Fossil, oder einem, das er nicht in einem bessern Exemplar hat, nothwendig ist; in einem PrivatKabinet wünscht man dagegen mehr, ansehnliche Exemplare zu haben; und verschiebt offt lieber etwas von einem Fossil zu besitzen, wenn das Exemplar nicht ausgezeichnet ist. Hiemit Gott befohlen; ich ersuche Sie um schleunige Antwort; schreiben Sie, was Sie sonst hübsches haben; — es soll mich freuen, bald etwas von Ihnen zu hören, und wieder nach langer Unterbrechung, mit Ihnen, theuerster Freund und Lehrer, in einen mineralogischen Verkehr zu kommen, welcher wie ich hoffe zu Ihrer Zufriedenheit und Vortheil ausfallen solle. Leben Sie indeß wohl Ihr ergebenster Freund und Diener Prof. Hegel

Wahrscheinlich ein Kaufmann aus Jena, über den aber nichts weiter ermittelt werden konnte. Alte Pluralform zu „Zoll" (Längenmaß); vgl. Adelung: Wörterbuch. Teil 4. 1730.

GÜNTHER NICOLIN (BONN)

GEORG WILHELM VOGEL AN GOETHE Eine Richtigstellung zu Hegels Briefwechsel

Im Bestandsverzeichnis des GoEXHE-ScHiLtER-Archivs ^ in Weimar findet sich auf Seite 162 der Hinweis auf einen Brief Hegels an den Kanzler VON MüLLER aus dem Jahre 1807. Bei näherer Betrachtung dieses Briefes, der bisher im Briefwechsel Hegels nicht veröffentlicht war, mußte festgestellt werden, daß er nicht von Hegels Hand stammen kann. Ein Vergleich mit anderen Briefen Hegels aus der Jenaer Zeit ergab dann die überraschende Tatsache, daß zwei der bereits gedruckten Briefe Hegels an GOETHE, nämlich vom 3. 8. 1803 und vom 6. 12. 1804, von der gleichen Hand geschrieben sind wie das angeblich an VON MüLLER gerichtete Schreiben. Die beiden genannten Briefe wurden 1895 von Arnold GENTHE, zusammen mit sechs anderen Briefen Hegels an GOETHE, im 16. Band des GoetheJahrbuchs erstmals veröffentlicht. ^ In den Anmerkungen GENTHES findet sich keinerlei Hinweis auf die andersartige Schrift dieser beiden Briefe im Vergleich zu den übrigen Briefen an GOETHE. Augenscheinlich hat sich GENTHE durch die Unterschrift der beiden Briefe verleiten lassen, sie als Briefe Hegels anzusehen. In der Tat läßt sich die Unterschrift, wenn man sie oberflächlich betrachtet und sich nicht auf die bekannte, in ihren Grundzügen stets gleichbleibende Hegelsche Unterschrift stützt, als „Hegel" lesen. Außerdem stiirunen die hinzugefügten Vornamen „Georg Wilhelm" mit den ersten beiden Vornamen Hegels überein. * HOFFMEISTER, dem als ^ Goethe-Schiller-Archiv. Bestandsverzeidinis bearbeitet von Karl-Heinz Hahn. Weimar 1961. (Bibliographien, Kataloge und Bestandsverzeichnisse. Hrsg, von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar.) Daß der Brief an den Kanzler von Müller gerichtet ist, erscheint sehr fraglich. Höchstwahrscheinlich ist Anton Freiherr von Ziegesar (1783—1843), ein Weimarer Regierungsbeamter, der Empfänger gewesen. * Acht Briefe Hegels an Goethe. Hrsg, von Arnold Genthe. In: Goethe-Jahrbuch. Bd 16 (1895). 56—79. ® Allerdings muß gesagt werden, daß Hegel keinen der anderen Briefe an Goethe in dieser Form unterschrieben hat.

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GüNTHER NICOLIN

Kenner der Hegelschen Handschrift hier gewiß keine Verwechslung unterlaufen wäre^ hat in seiner Briefwechsel-Ausgabe die betreffenden Briefe ...nach dem Erstdruck bei A. GENTHE" abgedruckt, also offensichtlich die Originale nicht selber in der Hand gehabt. Bei dem Unterzeichner der beiden Briefe handelt es sich um den Jenaer Bürgermeister Georg Wilhelm VOGEL (1743—1813). Nachdem wir dies aufgrund eingehender Durchforschung der Literatur zur Geschichte der Stadt Jena vermutungsweise ermittelt hatten, konnte der Beweis durch einen Vergleich mit der Handschrift VOGELS in Jenaer Stadtakten erbracht werden. ® VOGEL war Herzoglich Sächsisch-Weimarischer Kammerrat und Kreiskassierer. Als Bürgermeister von Jena wurde er bei Gelegenheit des Erfurter Kongresses von NAPOLEON zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Es wird überliefert, daß er viele Jahre hindurch seine Ämter mit Besonnenheit und juristischer Umsicht verwaltet und sich um die Stadt Jena außerordentliche Verdienste erworben hat. ® Für die Hegelforschung ist die hier vorgenommene Richtigstellung in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. 1) Der Brief vom 3. 8. 1803 ließ Hegel in einem Licht erscheinen, das eigentlich nicht zu seinem Wesensbild paßt. Die Art, wie hier etwas hintertragen wird, lag Hegel nicht. Für VOGEL, den als Bürgermeister alle Ereignisse in Jena unmittelbar interessieren mußten, ist der Brief keineswegs kompromittierend. 2) Bei dem Brief vom 6. 12. 1804 rätselte man bisher vergeblich, warum Konsistorialrat MAREZOLL ausgerechnet Hegel eine Predigt „zum Besten für die Armen in Druck überlassen" haben sollte. HOFFMEISTER sagt dazu: „Der von Hegel veranlaßte Sonderdruck konnte bisher an keiner Stelle aufgefunden werden, so daß über die Art von Hegels Beteiligung daran nichts angemerkt werden kann." ^ Das Problem entfällt nun. MAREZOLL wird sonst in Hegels Korrespondenz nirgendwo erwähnt. Eine Beziehung zwischen MAREZOLL und VOGEL ist dagegen ohne weiteres herzustellen. Beide gehörten der Herzoglichen Allmosen-Commission an, die sich „mit zweckmäßiger Versorgung

* Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Bd 1. 449, 454. Zu dem Brief vom 3. 8. 1803 sagt Hoffmeister etwas unscharf: „Abdr. wie im Erstdr. bei A. Genthe". Doch läßt die Art von Hoffmeisters Quellennachweisen auch hier keinen Zweifel darüber aufkommen, daß ihm das Original nicht Vorgelegen hat. ® Die freundliche Beschaffung des Materials verdanke ich Herrn Dr. Georg Karpe von der Universitätsbibliothek Jena. ® Vgl. Johann Christian Jacob Spangenberg; Handbuch der in Jena seit beinahe

500 Jahren dahingeschiedenen Gelehrten, Künstler, Studenten und andern bemerkenswerthen Personen . .. Jena 1819. 212. I Briefe von und an Hegel. Bd 1. 455.

Georg Wilhelm Vogel an Goethe

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der Armen und mit nunmehr eingeführter Abstellung des Straßenbetteins' beschäftigte. ® Es ist also festzuhalten, daß die Briefe vom 3. 8. 1803 und vom 6. 12. 1804 an GOETHE, sowie der unveröffentlichte Brief vom 4. 11. 1807 nicht Hegel, sondern den Jenaer Bürgermeister Georg Wilhelm VOGEL zum Verfasser haben.

Unterschrift Hegels

Unterschrift Vogels

® Vgl. Johann Adolph Leopold Faselius: Neueste Beschreibung der Herzoglich Sächsischen Residenz- und Universitäts-Stadt Jena, oder historische, topographische, politische und akademische Nachrichten und Merkwürdigkeiten derselben. Jena 1805. 89.

FRIEDHELM NICOLIN (BONN)

ZUM TITELPROBLEM DER PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES Zusammenfassende Darstellung des buchtechnischen Sachverhalts aufgrund eines neuaufgefundenen Originalexemplars

Seitdem Entstehungsgeschichte, innerer Aufbau und äußere Gliederung, Werkidee und Systemstelle der Phänomenologie des Geistes zu einem Thema der Hegel-Forschung geworden sind, hat in Textedition und Deutung das Problem der beiden Titelversionen — Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns (A) und Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes (B) — eine besondere Rolle gespielt. ^ Die Erörterung der philosophischen und genetischen Fragen, die sich hier auftun, wurde bereits im Vorfeld erschwert durch den Umstand, daß dreierlei Typen von Originalexemplaren der Phänomenologie bekannt geworden sind: solche, in denen sich beide Titel finden, und andere mit nur je einem von ihnen, A oder B. Vorgängig vor aller Interpretation war und ist daher rückzufragen nach dem äußeren, d. h. druck- und bindetechnischen Sachverhalt, der dieser verwirrenden Überlieferung der Titel zugrundeliegt, und endlich nach der Anweisung, die hinter der verschiedenartigen Ausführung in den einzelnen Exemplaren des Buches gestanden haben muß. Selbst in dieser eng begrenzten Teilfrage nach den Fakten haben wir bisher nur mit Hypothesen arbeiten können, wenn auch in wachsendem Maße — vor allem seit den einschlägigen Arbeiten von Otto PöGGELER ^ — durch sachangemessene Argumente gestützt. Kürzlich ist nun erstmals ein Exemplar der Phänomenologie aufgetaucht, das (irrtümlich!) die gesuchte * Im genauen Sinne handelt es sich hier bekanntlich um zwei Fassungen eines Zwischentitels, d. h. einer im Verlauf des Buditextes eingeschalteten Titelseite; wir sprechen im folgenden meist abgekürzt von „Titel A" und „Titel B". Zur Verdeutlichung geben wir beide Titelseiten sowie den Haupttitel der Originalausgabe in verkleinerter Abbildung wieder. ^ Vgl. O. Pöggeler: Zur Deutung der Phänomenologie des Geistes. In: HegelStudien. 1 (1961), 255—294; ferner: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Tage Royaumont 1964. Beiträge zur Deutimg der Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. H.-G. Gadamer. Bonn 1966. (Hegel-Studien. Beiheft 3.) 27—73. — Die im folgenden mitzuteilenden Einzelheiten bestätigen auf schöne Weise die von Pöggeler vertretene Auffassung.

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FRIEDHELM NICOLIN

Ursprünglicher Zwischentitel (= A)

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Naturrechts ausdrückten", würde sein Begriff auch nur ein negativer sein können, — „ein Naturunrecht . .., indem bei der Zugrundelegung solcher Negationen als Realitäten die sittliche Natur in das höchste Verderben und Unglück versetzt wird" III. An diesem Begriff von Naturrecht und der mit ihm verbundenen methodischen Position der Sittlichkeit in einem „Volk", dessen „intellektuelle Anschauung" den Umriß der attischen Polis nur allzu deutlich nachzeichnet, hat Hegel nicht lange festgehalten; er hat ihn schon bald nach dem Erscheinen des Naturrechtsaufsatzes modifiziert und schließlich, gegen Ende der Jenenser Zeit, ganz preisgegeben. Der auffällige Begriffswandel, der in der Hegelliteratur nur gelegentlich vermerkt worden ist hängt mit dem allgemeinen Wandel in den Grundlagen des Hegelschen Denkens zusammen, der sich zwischen den Jenenser Vorlesungen von 1803/04 und 1805/06 vollzieht ®®. Die Ablösung von der ScHELLiNGSchen Terminologie und Methode in diesen Jahren, der ein erneutes Studium der FiCHXESchen Philosophie parallel gegangen zu sein scheint, bedeutet zugleich die Preisgabe der bisherigen, an ARISTOTELES und SPINOZA orientierten Naturrechtskonzeption. Soweit sich Voraussetzungen und Konsequenzen dieses Wandels an der Hegelschen System- und Begriffsbildung im einzelnen verfolgen lassen, werden sie am Zusammenhang von Natur, „Begriff" und Recht einerseits, ihrem Verhältnis zur „Einzelheit" und deren Stellenwert im System andererseits aufzusuchen sein. Daß Hegel im Entwurf des Systems der Sittlichkeit und im Naturrechtsaufsatz das Sein des Einzelnen als das Negative schlechthin Nat. 397. Vgl. F. Darmstaedter: Das Naturrecht als soziale Macht und die Rechtsphilosophie Hegels. In: Sophia. 5 (1937), 215 Anm. 13. D. konstatiert freilich nur, daß Hegel verschiedene Auffassungen von Naturzustand vertreten habe, ohne nadi dem Grund dieser Verschiedenheit zu fragen. Daß Hegel „den Begriff der ,Natur' in sehr verschiedener Ausdehnung" gebrauche, notiert auch Th. Haering, dessen diesbezügliche Erläuterungen die Hilflosigkeit recht gut widerspiegeln, in die ihn dieses Faktum versetzt (Haering; Hegel. Bd 2. 392 f). Falsch ist, daß Hegels Begriffsgebrauch auch späterhin schwankend bleibt (393). Vgl. dazu bereits Rosenkranz: Hegels Leben. 178 ff; F. Rosenzweig: Hegel und der Staat. München/Berlin 1920. Bd 1.183.

Hegels Kritik des Naturrechts

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bestimmte und in der „sittlichen Natur" des Ganzen versenkte, hatte seinen Grund ja nicht zuletzt darin, daß er zu dieser Zeit das Negative noch vorwiegend mit dem „Nichts", der — tendenziell — puren Vernichtung gleichsetzte. So erscheint das Sein des Einzelnen, welches das neuere Naturrecht seiner Deduktion von „Gesellschaft und Staat" zugrundelegte, im ersten Systementwurf unter dem Titel: Das Negative oder die Freiheit oder das Verbrechen Seine Themen sind: physische Vernichtung, Raub, Diebstahl, Unterjochung, Mord, Rache, Kampf, Krieg. Dieser Teil des Systems steht zwischen dem 1. der „natürlichen Sittlichkeit" (Die absolute Sittlichkeit nach dem Verhältnis) und dem 3. der (absoluten) Sittlichkeit, ohne sich freilich mit dem einen oder anderen zu berühren. Sofern die Sittlichkeit einfach als das „Positive" gesetzt ist, muß die Möglichkeit eines Übergangs im vorhinein abgewiesen werden. In den folgenden Systementwürfen erhält dieser Teil eine völlig andere Funktion. In den Vorlesungen von 1803/04 befindet er sich noch zwischen natürlicher Sittlichkeit (Familie) und Volk, hat aber seinen eigenen systematischen Stellenwert schon verloren Hier besteht bereits jener Übergang zur absoluten Sittlichkeit, der im ersten Systementwurf und im Naturrechtsaufsatz infolge der natürlichen Position des „Volkes" ausgeschlossen ist. In den Vorlesungen von 1805/06 schließlich erscheint der Systemteil auf einige wenige Seiten verkürzt, die zudem an ganz verschiedenen Stellen bzw. am Rande auftauchen Eine erste Möglichkeit des Übergangs vom negativen Sein des Einzelnen zum positiven der Sittlichkeit hatte Hegel freilich schon im Naturrechtsaufsatz angedeutet. Das Negative, das der Einzelne an sich ist, kann von ihm gesetzt, die Negation seiner Bestimmtheiten absolut negiert werden. Diese Fähigkeit, von allen Beschränkungen zu abstrahieren, ist zwar auch ein Negatives, aber ein solches, wodurch das einzelne Sein „absolute in den Begriff aufgenommene Einzelnheit, negativ absolute Unendlichkeit, reine Freiheit" wird. Die so verstandene Freiheit, der „Begriff" des Einzelnen, ist als das negativ Absolute Moment des Absoluten selbst, und das heißt: in der absoluten Sittlichkeit enthalten. Sie erscheint am „Stand der Freien", der die reine Freiheit in der Tätigkeit des Kampfes um Leben und Tod bewährt. Dieser negativen Tätigkeit geht aber ein Positives als Vgl. SdS. 446—460. Vgl. Jenenser Realphilosophie I. Hrsg, von J. Hoffmeister. Leipzig 1932. 226—232. Der Abschnitt ist ohne eigene Übersdirift. Vgl. dazu die zutreffenden Beobachtungen bei K. H. llting (s. o. Anm. 20), 56. Vgl. Jenenser Realphilosophie II. Leipzig 1931. 210—212, 239—241 (= Randzusatz nadi Hoffmeister, 237 Aiun. 3).

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MANFRED RIEDEL

seine Bedingung voraus, das „absolut Sittliche, nämlich das Angehören einem Volke . .das Einsseyn mit welchem der Einzelne im Negativen, durch die Gefahr des Todes allein auf eine unzweideutige Art erweist" Die hier zutage tretenden Schranken sind die des damaligen Hegelschen Standpunkts; die Möglichkeit des Übergangs bleibt den Freien Vorbehalten, während der Stand der Unfreien, infolge der Abständigkeit seiner Arbeiten vom „Begriff" in der Einzelheit verharrt. Dazu kommt, daß die negative Tätigkeit des ersten Standes nichts Bleibendes („Positives") aus sich entläßt, sondern das positive Bestehen der Sittlichkeit immer schon vorausgesetzt ist. Diese Voraussetzung macht Hegel auch noch in den Vorlesungen von 1803/04. In fast wörtlicher Entsprechung zum System der Sittlichkeit und zum Journalaufsatz heißt es an der Stelle, wo sich der Übergang von der Einzelheit zur Allgemeinheit vollzieht: „Der Einzelne als Mitglied eines Volkes ist ein sittliches Wesen, dessen Wesen die lebendige Substanz der allgemeinen Sittlichkeit, es als Einzelnes, eine ideelle Form eines Seienden, nur als Aufgehobenes [ist]. Das Sein der Sittlichkeit in ihrer lebendigen Mannigfaltigkeit sind die Sitten des Volkes." Das ist noch ganz die Position der antiken Polissittlichkeit, mit allen methodischen und systematisch-inhaltlichen Konsequenzen, die oben erörtert worden sind. Es ist klar, daß das Verhältnis zur neueren Naturrechtstheorie unter diesem Vorzeichen unverändert ablehnend bleiben muß. Am Rande notiert Hegel dazu: „Keine Kompositen, kein Vertrag, kein stillschweigender oder ausgesprochener Urvertrag. Der Einzelne [muß nicht nur] einen Teil seiner Freiheit aufgeben, sondern [sich selbst] ganz." Gleichwohl entfällt die Beschränkung des Übergangs auf einen „Stand der Freien". Die negative Tätigkeit ist nicht mehr die des Kampfes um Bewahrung des sittlichen Ganzen, sondern der Kampf der Einzelnen um die gegenseitige Anerkennung Erst jetzt beginnt das „Negative", das im Systementwurf eine lediglich beziehungslose Stellung einnahm und in der Übergangstheorie

Vgl. Nat. 370 ff; SdS. 465 ff. Vgl. SdS. 473: „Sie sind nicht im unendlichen Begriff, durch welchen dies nur ein für ihr Bewußtsein Gesetztes als ein Äußeres, schlechthin ihr absoluter, eigener sie bewegender Geist wäre, der alle ihre Bestimmtheiten überwände. Daß ihre sittliche Natur zu dieser Anschauung gelange, diesen Nutzen gewährt ihnen der erste Stand." Realphilosophie 1. 232. « Ebd. Dieses Thema spielt schon im System der Sittlichkeit eine Rolle, ohne allerdings einen bestimmten Stellenwert zu besitzen: es folgt einerseits einer Sphäre der Anerkennung (= Allgemeinwerden der Einzelheit), die sich in Tausch, Eigentum, Geld und Handel darstellt, andererseits geht es dem Familienverhältnis voraus, in dessen

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des Journalaufsatzes an die Zufälligkeit eines Standes gebunden war, diejenige Funktion zu erhalten, die fortan eine der wichtigsten Grundlagen des Hegelschen Rechtsdenkens bilden wird: die der Vermittlung von Einzelheit und Allgemeinheit. Der Kampf um die Anerkennung vermittelt hier zunächst nur zwischen der „natürlichen" Sittlichkeit der Familie und der „absoluten" des Volkes, wobei diese nach wie vor mit Kategorien aristotelisch-spinozistischer Provenienz umschrieben wird Obwohl so das Anerkanntwerden der Einzelheit, das ihre Aufnahme in die absolute Substanz der Sittlichkeit in sich schließt, das Verschwinden des Einzelnen als solchen bedeutet ist damit der erste Schritt zur Überwindung der abstrakt-methodischen Position der antiken Polistheorie und zu einer Neubewertung des modernen Naturrechts getan. Das läßt sich an den diesbezüglichen Abschnitten der Vorlesungen von 1805/06 gut erkennen, wo Hegel systematisch, methodisch und inhaltlich die Konsequenzen dieses Ansatzes zieht. Die ScHELLiNGsche Methode und ihre terminologischen Implikationen treten ganz zurück; die Kategorien, mit denen Hegel jetzt arbeitet, sind nicht mehr das „Positive" und „Negative", die „sittliche Natur" und ihr Recht, der Gegensatz von „Anschauung" und „Begriff" usf., sondern „Intelligenz" und „Wille", deren Ursprung das „Ich" ist. Was sich in den Vorlesungen von 1803/04, an der Vermittlungsfunktion der „Anerkennung", abzeichnete, wird nun vollends sichtbar: daß Hegel in der zweiten Hälfte der Jenenser Periode sich erneut mit Fichte auseinandergesetzt hat und seit etwa 1804 in seinen Vorlesungen über Philosophie des Geistes und Naturrecht auf ihn zurückgreift Das Thema der Anerkennung, dessen Behandlungsweise den unmittel-

„Indifferenz" sich das Resultat des Kampfes um die Anerkennung (das Herr-KnechtVerhältnis) aufhebt. Vgl. SdS. 440—443, ferner 495 ff, wo das System des Rechts im nachhinein als das formelle des Anerkennens interpretiert wird (497). Vgl. Realphilosophie I. 232: „Der absolute Geist eines Volkes ist das absolut allgemeine Element, der Äther, der alle einzelnen Bewußtsein[e] in sich verschlungen [hat], die absolute einfache, lebendige, einzige Substanz." '** Ebd.; „Dies absolute Bewußtsein [auf dieser Stufe das Resultat des Kampfes um die Anerkennung M. R.] ist also ein Aufgehobensein der Bewußtsein [e] als einzelner ... Es ist allgemeines, bestehendes Bewußtsein; es ist nicht bloße Form der Einz[elheit] ohne Substanz, sondern die Einzelnen sind nicht mehr; es ist absolute Substanz." Die positive, Aufbau und Anlage einzelner Abschnitte der Jenenser Vorlesungen bestimmende Rezeption der Fichteschen „Metaphysik der Subjektivität" spielt allerdings bereits in der Jenenser Logik eine wichtige Rolle, die nach den Herausgebern (H. Ehrenberg, G. Lassen) zu den frühesten, auf die Jahre 1801/02 datierten Vorlesungsentwürfen Hegels gehört. Ihre theoretische Basis, die Auffassung des „Ich" als der Synthesis von Einzelheit und Allgemeinheit (vgl. Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie. Hrsg, von G. Lasson. Leipzig 1923. 161, 163 ff, 178 f), ist jedoch in

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baren Einfluß Fichtes verrät wird nun ausdrücklich in der Problemstellung des neueren Naturrechts eingeführt: „Dies Verhältnis ist es gewöhnlich, was der Naturzustand genannt wird: das freie, gleichgültige Sein von Individuen gegeneinander, und das Naturrecht soll beantworten, was nach diesem Verhältnisse die Individuen für Rechte und Pflichten gegeneinander haben, welches die Notwendigkeit ihres Verhaltens ist, ihrer [als] nach ihrem Begriff selbständiger Selbstbewußtsein[e]/'Hegel selber antwortet mit dem bekanntlich von HOBBES stammenden Argument: exeundum e statu naturae, das er, allerdings mit einer abweichenden Begründungstendenz, bereits in der Thesis IX zur Jenenser Habilitationsschrift verwandt hatte Dasselbe Argument besagt auch bei KANT und FICHTE, daß den Individuen „von Natur" keine Rechte und Pflichten zukommen, sondern zur Wirklichkeit (= Geltung) derselben der Rechtszustand, der „Staat" erfordert wird. Was „gesetzt" ist, ist nicht mehr eine wie auch immer verstandene „Natur", sondern der „Begriff", und dieser ist es, der zu seinem „Recht" gelangen soll: „Es ist der Begriff der gegeneinander freien Selbstbewußtsein[e] gesetzt, aber eben nur der Begriff; er hat sich, weil er Begriff ist, vielmehr zu realisieren, d. h. eben sich, der in der Form des Begriffs ist, gegen seine Realität, aufzuheben." Der sich realisierende Begriff ist nichts anderes als die Bewegung der Anerkennung; sie geht nicht unmittelbar in die „absolute Substanz" der Sittlichkeit, die den zwischen 1801 und 1803 verfaßten Abhandlungen und z. T. selbst in den Vorlesungen von 1803/04 noch keineswegs erreicht, was sich u. a. an der oben behandelten ersten Fassung von Hegels Naturrechtstheorie ausdrüdct. Eine Wende bringen erst die Vorlesungen von 1805/06, deren Disposition auch sonst mit dem diesbezüglichen Kapitel der Jenenser Metaphysik (III: Metaphysik der Subjektivität, 161 ff) auffällig übereinstimmt. Vgl. Fichte: Grundlage des Naturrechts (1796), S. W. Bd 3. 44 ff und 85 ff, mit Hegel; Realphilosophie I. 226 ff; Realphilosophie II. 194 ff und 205 ff. Die Möglichkeit einer Anknüpfung ist für Hegel durch Fichtes Interpretation der „Anerkennung" als der Synthesis von („wirklichen") Handeln und „Begriff" gegeben, in der sich die Individuen wechselseitig „setzen". Realphilosophie II. 205. Vgl. Hegel: Erste Druckschriften. Hrsg. v. G. Lasson. Leipzig 1928. 404: „Status naturae non est injustus, et ob eam causam ex illo exeundum." Bekanntlich argumentieren Hobbes und Spinoza genau umgekehrt: daß der Status naturae zu verlassen sei, weil er nidit gerecht ist. Dem schließt sich Hegel an der Anm. 52 genannten Stelle an. ^ Realphilosophie II. 205. — Die von uns beschriebene Wendung der Hegelschen Naturrechtskonzeption hat die ältere Hegelliteratur mit der in mehrfacher Hinsicht unzulänglichen Formel: „Entromantisierung der Sittlichkeit" zu fassen versucht, wobei man sich vor allem auf den mit der Phänomenologie des Geistes gesetzten Entwicklungseinschnitt bezog. Vgl. R. Haym: Hegel und seine Zeit. Berlin 1857. 207 ff; W. Metzger: Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des deutschen Idealismus. Heidelberg 1917. 310 ff.

Hegels Kritik des Naturrechts

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noch in den Vorlesungen von 1803/04 das einzig Positive war, sondern in die „Sittlichkeit überhaupt" über, und zwar in deren Unmittelbarkeit, das Recht Dieser bemerkenswerte Wandel in der Auffassung der Sittlichkeit bedeutet eine Umkehr der Grundlagen von Hegels bisheriger Naturrechtskonzeption. Der „Begriff", dem die Bewegung des Anerkennens entspringt, ist nicht das Negative der „reinen Freiheit" des Einzelnen, welches, im buchstäblichen Sinne, „Nichts" aus sich entläßt; denn sie selbst, die Bewegung des Begriffs, erzeugt das Element des Positiven, in dem die Einzelheit zu einem Bleibenden gelangt, das Recht; „Recht ist die Beziehung der Person in ihrem Verhalten zur andern, das allgemeine Element ihres freien Seins oder die Bestimmung, Beschränkung ihrer leeren Freiheit. Diese Beziehung oder Beschränkung habe ich nicht für mich auszuhecken und herbeizubringen, sondern der Gegenstand ist selbst dieses Erzeugen des Rechts überhaupt, d. h. der anerkennenden Beziehung .. . Das Anerkannte ist anerkannt als unmittelbar geltend, durch sein Sein, aber eben dies Sein ist erzeugt aus dem Begriffe." Die Bewegung des Begriffs unterbricht den bisherigen („unmittelbaren") Zusammenhang von Natur, Sittlichkeit und Recht und fixiert sich, gegen die Natur, im Recht. Die polemische Auseinandersetzung mit dem Naturbegriff des Naturrechts, die Hegel gleichwohl weiterführt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie jetzt einen Maßstab erhalten hat, der selber der idealistischen Spätphase des Naturrechts verpflichtet und dem bisherigen genau entgegengesetzt ist. Dieser Maßstab ist die universelle Rechtsfähigkeit, die „Person" als der reine Begriff = Ich des Menschen, dessen Entdeckung den Bruch mit aller vorgegebenen Ordnung der Natur und ihrem „Gesetz" voraussetzt. „Recht enthält die reine Person, reines Anerkanntsein. So sind sie nicht im Naturzustände, sondern versenkt in das Dasein, dadurch, daß er Mensch ist, in seinem Begriffe; aber im Naturzustand ist er nicht in seinem Begriffe, sondern als Naturwesen, in seinem Dasein. Frage widerspricht sich unmittelbar — ich betrachte den Menschen in seinem Begriffe, d. h. nicht im Naturzustände." Die Annäherung an FICHTE zeigt sich vor allem an der systematischen Disposition der uns hier interessierenden Vorlesungsabschnitte. Während

“ Realphilosophie II. 206 und 212. Realphilosophie II. 206. Realphilosophie II. 205 (Randnotiz Hegels). Der 2. Satz ist von Hoffmeister nicht ganz korrekt aufgelöst worden; hinter: ,, ... versenkt in das Dasein" wäre ein Semikolon zu setzen und dann zu lesen: „dadurch, daß der Mensch ist, [ist] er in seinem Begriffe".

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1803/04 die anerkennende Bewegung eine „Potenz" des Bewußtseins war, die sich im „absoluten Bewußtsein" der Sittlichkeit aufhob, ist in den Vorlesun«^'’” vnn iso'i/nrt pn cirF

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weiß.

Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. § 3.

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