Hebammenkunde: Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf [Reprint 2020 ed.] 9783110871760, 9783110137644

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Hebammenkunde: Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf [Reprint 2020 ed.]
 9783110871760, 9783110137644

Table of contents :
Vorwort
Anschriften der Autorinnen
Inhalt
1. Berufsbild
1.1 Zur Geschichte des Hebammenberufs
1.2 Heutiges Berufsbild
1.3 Hebammenberufsverbände
2. Sexualität und Familienplanung
2.1 Psychosexuelle Entwicklung der Frau
2.2 Rolle der Frau in unserer Gesellschaft
2.3 Familienplanung
3. Anatomie und Physiologie
3.1 Anatomische Begriffe
3.2 Knöchernes weibliches Becken
3.3 Äußeres weibliches Genitale
3.4 Inneres weibliches Genitale
3.5 Menstruationszyklus
3.6 Beckenboden
3.7 Bindegewebe und Haltebänder
3.8 Blutversorgung der Genitale
3.9 Mamma, weibliche Brustdrüse
3.10 Frühe Entwicklung des Keimes
3.11 Plazentaentwicklung und Funktion
3.12 Keimscheibe, Embryonal- und Fetalperiode
3.13 Entwicklung von Zwillingen und ihrer Plazenta
4. Schwangerschaft
4.1 Diagnose und Dauer der Schwangerschaft
4.2 Leben mit der Schwangerschaft
4.3 Schwangerenvorsorge durch die Hebamme
4.4 Diagnostik nach den Mutterschaftsrichtlinien
4.5 Beratung der schwangeren Frau
4.6 Geburtsvorbereitung
4.7 Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft
4.8 Frühzeitig beendete Schwangerschaften
5. Geburt
5.1 Geburtsvorgang
5.2. Leitung und Betreuung der Geburt
5.3 Schmerzerleichterung während der Geburt
5.4 Rißverletzungen, Episiotomien, Nahtversorgung
5.5 Hausgeburtshilfe
5.6 Abweichungen von der normalen Geburt
5.7 Notfälle in der Geburtshilfe
6. Wochenbett
6.1 Gedanken zum Wochenbett
6.2 Physiologie des Wochenbettes mit Beratung der Mutter
6.3 Stillen und Muttermilchernährung
6.4 Spezielle Betreuung
6.5 Abweichungen vom normalen Wochenbettverlauf
6.6 Häusliches Wochenbett
7. Neugeborenes und Säugling
7.1 Anatomie und Physiologie
7.2 Besonderheiten der frühen Neugeborenenperiode
7.3 Versorgung des gesunden Neugeborenen
7.4 Versorgung gefährdeter und kranker Neugeborener
7.5 Umgang mit Neugeborenen und Säuglingen
7.6 Ernährung des Neugeborenen und Säuglings
7.7 Entwicklung des Säuglings im 1. Lebensjahr
8. Medikamente in Geburtshilfe und Neonatologie
8.1 Allgemeine Arzneimittellehre
8.2 Medikamente in der Geburtshilfe
8.3 Prophylaxen beim Neugeborenen, Impfungen
9. Instrumente und Geräte in der Geburtshilfe
9.1 Medizingeräteverordnung (Med. GV)
9.2 Überwachung von Schwangerschaft und Geburt
9.3 Instrumente und Zubehör für die Geburt
9.4 Instrumentenpflege
9.5 Instrumentieren
9.6 Infusionsapparate
9.7 Reanimations- und Überwachungsgeräte
10. Spezielle und pflegerische Aufgaben der Hebamme
10.1 Wahrnehmung und (Kranken-)Beobachtung
10.2 Beobachtung von Körperfunktionen
10.3 Haut und Hautveränderungen
10.4 Pflegerische Tätigkeiten
10.5 Injektionen und Infusionen
10.6 Gewinnung und Umgang mit Untersuchungsmaterial
10.7 Prä- und postoperative Maßnahmen bei Sectio caesarea abdominalis
10.8 Pflegedokumentation
10.9 Grundlagen der Hygiene
11. Berufs- und Gesetzeskunde
11.1 Gesetzliche Grundlagen des Berufes
11.2 Grundlagen für die Bezahlung der Hebammen
11.3 Andere hebammenrelevante Gesetze
11.4 Versicherungen für Hebammen
11.5 Struktur des öffentlichen Gesundheitswesens
11.6 Gesundheitsstrukturgesetz (GSG)
12. Anhang: Wichtige Einheiten und Umrechnungen in der Medizin
12.1 Sl-Einheiten (Système International d'Unités)
12.2 Umrechnung älterer Maßeinheil
Sachregister

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Hebammenkunde

Mit Beiträgen von Cordula Ahrendt, Ursula Alef, Christine Bludau, Dorothée Eichenberger, Elisabeth Frank, Jule Friedrich, Johanna Frühauf, Christine Geist, Dagmar Gorontzy, Martha Halbach, Ulrike Härder, Regula Hauser, Ulrike Heckelen, Astrid Herber, Dorothea Hezel, Andrea Hübel, Sigrun Kahf, Marianne Kerkmann, Edith Kimmerle, Simone Kirchner, Susanne Kluge, Sabine Krauss, Gisela Kriegerowski-Schröteler, Frauke Lippens, Marion Lübke, Ans Luyben, Ina Mailänder, Margarete Orlowski, Heike Polleit, Ulrike Presting, Susanne Rettenegger-Wagner, Anna Rockel-Loenhoff, Josepha Rodriguez, Christi Rosenberger, Susanna Roth, Rosa Maria Schilling, Gabriele Schippers, Cornelia Schirren, Antje Schoppa-Remm, Clarissa Schwarz, Gisèle Steffen, Ilse Steininger, Andrea Stiefel, Nora Szâsz, Dorothea Tegethoff, Mareike Teich, Renate Warbanov, Doris Wepler, Stephanie Wöste

Hebammenkunde Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf Herausgegeben von Ch. Geist, U. Harder, G. Kriegerowski-Schröteler, A. Stiefel

w DE

G

Walter de Gruyter Berlin • New York 1995

Ch. Geist/G. Kriegerowski-Schröteler

U . H a r d e r / A . Stiefel

Hebammenschule

Hebammenschule

Krankenhaus Neukölln

Martin-Luther-Krankenhaus

Mariendorfer Weg 2 8

Caspar-Theyß-Str.

D-12051

D-14193

Berlin

27—33

Berlin

Dieses Buch enthält 5 0 3 Einzelabbildungen und 3 8 Tabellen Zeichnungen: Hopek

Quirin-Härder

Schaubilder: Ulrike H ä r d e r Titelfoto: Knud Nielsen

Die

Deutsche

Bibliothek



CIP-Einheitsaufnahme

H e b a m m e n k u n d e : L e h r b u c h für S c h w a n g e r s c h a f t , G e b u r t , W o c h e n b e t t und B e r u f / hrsg. von C h . Geist . . . . [ M i t Beitr. von C o r d u l a Ahrendt ... . Z e i c h n . : H o p e k Q u i r i n - H ä r d e r . S c h a u bilder: Ulrike H ä r d e r ] , - Berlin ; N e w Y o r k : de G r u y t e r , 1 9 9 5 ISBN 3-11-013764-X N E : G e i s t , C h r i s t i n e [Hrsg.]

©

Copyright 1 9 9 5 by Walter de G r u y t e r & C o . , D - 1 0 7 8 5 Berlin.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. J e d e Verwertung a u ß e r h a l b der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. D e r Verlag hat für die W i e d e r g a b e aller in diesem Buch enthaltenen I n f o r m a t i o n e n ( P r o g r a m m e , Verfahren, M e n g e n , Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren bzw. Herausgebern g r o ß e M ü h e d a r a u f verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. T r o t z sorgfältiger Manuskriptherstellung und K o r r e k t u r des Satzes k ö n n e n Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige H a f t u n g , die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen I n f o r m a t i o n e n oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe von G e b r a u c h s n a m e n , H a n d e l s n a m e n , Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der A n n a h m e , daß solche N a m e n o h n e weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Satz: Arthur Collignon G m b H , Berlin. — D r u c k : G e r i k e G m b H , Berlin. — Buchbinderische Lüderitz & Bauer G m b H , Berlin. — Umschlagentwurf: R u d o l f Hübler, Berlin. Printed in Germany.

Verarbeitung:

Vorwort

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett stellen für jede Frau einen bedeutenden Lebensabschnitt dar. Hebammen sind in dieser Zeit wichtige Bezugspersonen, denn sie sind durch ihre fachspezifische Ausbildung dazu befähigt, Frauen in der Schwangerschaft zu beraten und zu betreuen, normale Geburten zu leiten, Komplikationen frühzeitig zu erkennen, Neugeborene zu versorgen und das Wochenbett zu überwachen. Dieser vielseitige Beruf bedarf einer soliden Ausbildung und regelmäßiger Fortbildung. Leider gibt es hierfür nur sehr wenig Fachliteratur von Hebammen. Das hat uns dazu bewogen, gemeinsam mit Kolleginnen ein Lehrbuch zu schreiben, das hebammenrelevantes Wissen, insbesondere über die physiologischen Vorgänge in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett vermittelt. Großen Wert legen wir dabei auf gute Lesbarkeit, verständliche Formulierungen und aussagekräftige Abbildungen. Die Darstellung pathologischer Vorgänge wird bewußt kürzer gefaßt und orientiert sich an der aktuellen ärztlichen Fachliteratur. Um einen guten Praxisbezug zu gewährleisten, wurden ausschließlich Hebammen als Autorinnen gewonnen, die über viel Erfahrung durch Klinikarbeit, freiberufliche Praxis und Lehrtätigkeit an Hebammenschulen verfügen oder durch ihren „Zweitberuf" Ärztin, Psychologin, Juristin, Sozialpädagogin bzw. Politologin spezielles Fachwissen erworben haben. Wir hoffen, daß die Hebammenkunde für zukünftige Hebammen eine hilfreiche Ausbildungsgrundlage darstellt und den Kolleginnen in der Praxis als nützliches Nachschlagewerk dient.

Mit der Bezeichnung Hebamme meinen wir stets auch die wenigen männlichen Berufskollegen. Der Ausdruck Entbindungspfleger wird in diesem Buch vermieden, da er sich im Sprachgebrauch nicht durchgesetzt hat und das Arbeitsgebiet von Hebammen auf die Pflege während der Geburt reduziert. Die Mitglieder einer Berufsgruppe werden im Text oft in der weiblichen Form benannt, um Doppelungen (Arzt/Ärztin) und eine nicht im Duden zugelassene Form (Ärztin) zu vermeiden. Die weibliche Form schließt die dieser Berufsgruppe angehörigen Männer natürlich stets mit ein. Bedanken möchten wir uns bei allen Autorinnen für die gute Zusammenarbeit und bei Herrn Quirin-Härder für die gelungenen Zeichnungen sowie die geduldige Berücksichtigung all unserer Vorstellungen. Ebenso gebührt dem Verlag Walter de Gruyter und seinen Mitarbeitern unser Dank für die offene Unterstützung dieses Lehrbuchprojektes, namentlich der Herstellerin Frau Dabrowski und dem Verlagsdirektor Medizin, Herrn Priv.Doz. Dr. Radke. Ein besonderer Dank geht an unsere Ehemänner und Kinder, deren Geduld und Verständnis uns eine große Hilfe war. Wir bitten die Leserinnen und Leser der Hebammenkunde, uns ihre Anregungen und Kritik mitzuteilen, damit wir diese in der nächsten Auflage berücksichtigen können.

Berlin im Januar 1995

Christine Geist Ulrike Harder Gisela Kriegerowski-Schröteler Andrea Stiefel

Anschriften der Autorinnen

Ahrendt, Cordula Lehrhebamme Berufsfachschule an der Medizinischen Akademie Erich-Weinert-Str. 3 D-39112 Magdeburg

Geist, Christine Lehrhebamme Hebammenschule Krankenhaus Neukölln Mariendorfer Weg 28 D-12051 Berlin

Alef, Ursula Lehrhebamme/Schulleitung Hebammenschule Kliniken St. Antonius G m b H Vogelsangstr. 106 D-42106 Wuppertal

Gorontzy, Dagmar Lehrhebamme Hebammenschule Krankenhaus Neukölln Mariendorfer Weg 28 D-12051 Berlin

Bludau, Christine freiberufl. Hebamme Allerweg 88 D-30851 Langenhagen Eicbenberger, Dorothée Hebamme/Berufsschullehrerin f. Hebammen Hebammenschule Universitätsspital Huttenstr. 46 CH-8091 Zürich Frank, Elisabeth Lehrhebamme/Schulleitung Hebammenschule der Georg-August-Universität Humboldtallee 11 D-37073 Göttingen Friedrich, Jule freiberufl. Hebamme/ Diplom-Gesundheitsmanagerin Fichtenkamp 26 D-22393 H a m b u r g Frühauf, Johanna freiberufl. Hebamme/Politologin/ Pro Familia-Mitarbeiterin Friedrichsplatz 9 D-35037 Marburg

Halbach, Martha Lehrhebamme/Schulleitung Hebammenschule Luisenhospital Boxgraben 99 D-52064 Aachen Härder, Ulrike Lehrhebamme/Schulleitung Hebammenschule Martin-Luther-Krankenhaus Caspar-Theyß-Str. 27—33 D-14193 Berlin Hauser, Regula Hebamme/Ausbilderin Hebammenschule Universitätsspital Huttenstr. 46 CH-8091 Zürich Heckelen, Ulrike freiberufl. Hebamme Alteburger Str. 32 D-50968 Köln Herber, Astrid Lehrhebamme/Schulleitung Hebammenschule der Stadt. Kliniken Kassel Mönchebergstr. 41/43 D-34125 Kassel Hezel, Dorothea freiberufl. Hebamme/Stud. Päd. Alteburger Str. 32 D-50968 Köln

VIII

Anschriften der Autorinnen

Hübet, Andrea freiberufl. Hebamme Hebammenpraxis Rostock Goethestr. 20 D-18055 Rostock Kahf, Sigrun Lehrhebamme Hebammen schule Krankenhaus Neukölln Mariendorfer Weg 28 D-12051 Berlin Kerkmann, Marianne Leitende Kreißsaalhebamme/ Schulleitung Staatl. Berufsfachschule für Hebammen an der 1. Universitäts-Frauenklinik Maistr. 11 D-80337 München Kimmerle, Edith Lehrhebamme/freiberufl. Hebamme Neugasse 2 D-64372 Ober-Ramstadt Kirchner,

Simone

Lehrhebamme/freiberufl. Hebamme Urbanstr. 30 D-10967 Berlin Kluge, Susanne freiberufl. Hebamme/DiplomSozialpädagogin Mörikestr. 16

Lübke, Marion, Dr. med. Hebamme/Ärztin Universitäts-Klinikum Rudolf Virchow Standort Charlottenburg Pulsstr. 4 D-14059 Berlin Luyben, Ans Hebamme/Berufsschullehrerin für Gesundheitsberufe Universitätsspital Bern Schanzeneckstr. 1 CH-3012 Bern Mailänder, Ina angestellte/freiberufl. Hebamme Vinzenz Pallotti Hospital D-51406 Bergisch Gladbach/Bensberg Orlowski, Margarete Lehrhebamme/freiberufl. Hebamme Schule für Medizinalfachberufe Charité, Fachbereich Geburtshilfe Schumannstr. 18 D-10117 Berlin Polleit, Heike freiberufl. Hebamme/Pro FamiliaMitarbeiterin Markgrafenstr. 51 D-78467 Konstanz

D-34125 Kassel

Presting, Ulrike Hebamme/Juristin Schützenstr. 15 D-12165 Berlin

Krauss, Sabine freiberufl. Hebamme Böhmestr. 19 D-27283 Verden/Aller

Rettenegger-Wagner, Susanne freiberufl. Hebamme Thurnfelsstr. 37 A-6176 Vois

Kriegerowski-Schröteler, Gisela Lehrhebamme/Schulleitung Hebammenschule Krankenhaus Neukölln Mariendorfer Weg 28 D-12051 Berlin

Rockel-Loenhoff, Anna Hebamme/Ärztin/Dozentin Birkenweg 11 D-59425 Unna

Lippens, Frauke freiberufl. Hebamme Krockmannstr. 5 D-22299 H a m b u r g

Rodriguez, Josepha Hebamme/Ärztin Universitäts-Klinikum Rudolf Virchow Standort Charlottenburg Pulsstr. 4 D-14059 Berlin

Anschriften der Autorinnen Rosenberger, Christi freiberufl. Hebamme/Berufsschullehrerin für Gesundheitsberufe SRK Hebammenschule St. Gallen Postfach 188 CH-St. Gallen

Steininger, Ilse freiberufl. Hebamme/Lehrerin für Geburtshilfe Hebammenschule Kanton Frauenspital Schanzeneckstr. 1 CH-3012 Bern

Roth, Susanna freiberufl. Hebamme Nördliche Auffahrtsallee 28 D-80638 München

Stiefel, Andrea Lehrhebamme/Hebammenschule Martin-Luther-Krankenhaus Caspar-Theyß-Str. 27—33 D-14193 Berlin

Schilling, Rosa Maria Hebamme/ Diplom Medizinpädagogin Schule für Medizinalberufe Charité, Fachbereich Geburtshilfe D-14167 Berlin

Szäsz, Nora Hebamme/Ärztin Krankenhaus Am Urban Dieffenbachstr. 1 D-10967 Berlin

Schippers, Gabriele freiberufl. Hebamme/Diplompsychologin Freiheitstr. 11

Tegethoff, Dorothea freiberufl. Hebamme Britzer Str. 58 D-12109 Berlin

41352 Korschenbroich Schirren, Cornelia Lehrhebamme Pfalzburger Str. 52 D-10717 Berlin Schoppa-Remtn, Antje freiberufl. Hebamme Mainzer Str. 38 D-56068 Koblenz Schwarz, Clarissa freiberufl. Hebamme/Lehrerin/ Stud. Public Health Markgrafenstr. 5 D-10969 Berlin Steffen, Gisèle freiberufl. Hebamme Wiesenstr. 36 D-35641 Schöffengrund 2

Teich, Mareike Hebamme/OP-Schwester Hebammenschule am Stadt. Klinikum Celler Str. 38 D-38114 Braunschweig Warbanov, Renate Leitende Kreißsaalhebamme Universitätsklinikum Charite Schumannstr. 18 D-10117 Berlin Wepler, Doris freiberufl. Hebamme/Geburtshaus Berlin Garde-du-Corps-Str. 4 D-14059 Berlin Wöste, Stephanie Hebamme/Diplompsychologin Baron Voght Str. 96 D-22609 Hamburg

IX

Inhalt

Berufsbild 1.1

Z u r Geschichte des H e b a m m e n b e r u f s Nora Szäsz

1

1.2 1.2.1

Heutiges Berufsbild Arbeitsbereiche Christine Geist Fort- und Weiterbildung, Studium Ulrike Härder H e b a m m e n f o r s c h u n g — Wissen ist Macht Jule Friedrich Belastungen durch den Beruf Stephanie Wöste Ausbildung und Beruf in verschiedenen Ländern Dagmar Gorontzy

9 9

1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.3

Hebammenberufsverbände Simone Kirchner

2.

Sexualität und F a m i l i e n p l a n u n g

2.1 2.2

Psychosexuelle Entwicklung der Frau Rolle der Frau in unserer Gesellschaft Susanne Kluge Familienplanung Beratungsstellen Möglichkeiten der Kontrazeption Kinderwunsch, Sterilität, Infertilität Cordula Ahrendt

2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3

3.

A n a t o m i e und P h y s i o l o g i e

3.1

Anatomische Begriffe Ulrike Härder Knöchernes weibliches Becken Rosa Maria Schilling/Ulrike Härder Äußeres weibliches Genitale Inneres weibliches Genitale Menstruationszyklus Beckenboden Bindegewebe und Haltebänder Blutversorgung der Genitale Ulrike Härder

3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8

12 13 15 17 20

23 29 30 30 30 37

39 40 44 46 54 57 60 62

XII 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13

4.

Inhalt Mamma, weibliche Brustdrüse Christine Geist Frühe Entwicklung des Keimes Plazentaentwicklung und Funktion Keimscheibe, Embryonal- und Fetalperiode Entwicklung von Zwillingen und ihrer Plazenta Simone Kirchner

63 67 69 76 80

Schwangerschaft

4.1

Diagnose und Dauer der Schwangerschaft Dorothea Hezel

83

4.2 4.2.1

Leben mit der Schwangerschaft Psychosoziale Veränderungen Doris Wepler Körperliche Veränderungen Ulrike Heckelen

86 86

4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.5 4.5.1 4.5.2

Schwangerenvorsorge durch die Hebamme Geschichte der Schwangerenfürsorge Doris Wepler/Nora Szäsz Anamnese Allgemeine Untersuchungen Doris Wepler Diagnostik nach den Mutterschaftsrichtlinien Serologie Ulrike Heckelen Ultraschall (Sonographie) CTG-Kontrollen und Amnioskopie Dorothea Hezel Spezielle Diagnostik Johanna Frühauf

88 94 94 96 98 106 106 110 110 112

Beratung der schwangeren Frau Gespräch mit der Hebamme Beratung und Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden Ulrike Heckelen/Dorothea Hezel Soziale Beratung der Schwangeren Dorothea Hezel

115 115 119

4.6

Geburtsvorbereitung Sabine Krauss

124

4.7 4.7.1 4.7.2 4.7.3 4.7.4

Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft Bedeutung psychosozialer Probleme für den Schwangerschaftsverlauf Emesis, Hyperemesis und Ptyalismus Blutungen in der Schwangerschaft Drohende Frühgeburt: vorzeitige Wehen, Zervixinsuffizienz

128 128 129 130 131

4.5.3

123

Inhalt 4.7.5 4.7.6 4.7.7 4.7.8 4.7.9 4.7.10 4.7.11 4.7.12 4.8

5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.1.7 5.1.8 5.1.9 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7 5.2.8 5.3 5.3.1

Wachstumsretardierung und Plazentainsuffizienz Schwangerschaftshypertonie (HES), Präeklampsie, Eklampsie HELLP-Syndrom Infektionen in der Schwangerschaft Diabetes mellitus und Diabetes gravidarum (Gestationsdiabetes) Ans Luyben Mehrlingsschwangerschaft (MSch) Christi Rosenberger/Andrea Stiefel Beckenendlagen (BEL) Anna Rockel-Loenhoff Suchterkrankungen Andrea Stiefel Frühzeitig beendete Schwangerschaften Susanne Kluge

XIII

.

133 134 137 137 139 141 142 145 146

Geburt Geburtsvorgang Wehenphysiologie Kind unter der Geburt Knöcherner Geburtsweg Weicher Geburtsweg Vaginale und rektale Untersuchung Christi Rosenberger Blasensprung Geburtsmechanik Plazentalösung und -geburt Plazentalösungszeichen, -geburt Ulrike Härder Leitung und Betreuung der Geburt Geburtsbeginn Dokumentation der Geburt Ulrike Härder Überwachung von Wehen und kindlichen Herztönen Regula Hauser/Ulrike Härder Geburtsleitung und Betreuung der Gebärenden Ulrike Härder Geburt in unterschiedlichen Gebärpositionen Frauke Lippens Abnabeln und Erstversorgung des Kindes Leitung der Nachgeburtsperiode Betreuung der Familie Ilse Steininger Schmerzerleichterung während der Geburt Geburtsschmerz Gisele Steffen

151 151 158 162 162 162 166 167 172 173 176 176 179 182 188 194 199 201 203 205 205

XIV

Inhalt

5.3.2

Schmerzerleichterungen Christi Rosenberger Medikamentöse Schmerztherapien Marion Lübke Rißverletzungen, Episiotomien, Nahtversorgung Anna Rockel-Loenhoff

5.3.3 5.4

207 211 215

5.5

Hausgeburtshilfe Frauke Lippens

221

5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4

Abweichungen von der normalen Geburt Einleitung der Geburt Vorzeitiger Blasensprung Grünes Fruchtwasser Suspektes und pathologisches CTG Regula Hauser/Ulrike Härder Protrahierter Geburtsverlauf (1) Wehenanomalien (2) Weichteilanomalien (3) Anomalien des knöchernen Geburtsweges (4) Relatives Kopf-Becken-Mißverhältnis Dorothée Eichenberger/Ulrike Härder (5) Haltungs- und Einstellungsanomalien Ulrike Härder Erschwerte Kopfentwicklung Schulterdystokie, erschwerte Schultergeburt Ulrike Härder Sectio caesarea Dorothée Eichenberger Lageanomalien Ulrike Härder/Anna Rockel-Loenhoff Mehrlingsgeburten Christi Rosenberger Präeklampsie Diabetes mellitus Polyhydramnion Frühgeburt Mareike Teich Geburt eines toten Kindes Geburt eines fehlgebildeten oder kranken Kindes Clarissa Schwarz

226 226 227 229 229

5.6.5

5.6.6 5.6.7 5.6.8 5.6.9 5.6.10 5.6.11 5.6.12 5.6.13 5.6.14 5.6.15 5.6.16

230 230 232 232 233 235 240 243 245 246 253 257 259 261 261 262 265

5.7

Notfälle in der Geburtshilfe Ilse Steininger

266

5.8

Regelwidrigkeiten in der Nachgeburtsperiode Ilse Steininger

272

6. 6.1

Wochenbett Gedanken zum Wochenbett Sigrun Kahf

279

Inhalt

XV

6.2

Physiologie des Wochenbettes mit Beratung der Mutter Christine Geist

280

6.3 6.3.1 6.3.2

Stillen und Muttermilchernährung Bedeutung des Stillens f ü r Mutter und Kind Stilltechniken, Stillpositionen ]ule Friedrich Stillprobleme Hilfsmittel beim Stillen Besondere Stillsituationen Ausdrücken und A b p u m p e n von Muttermilch Aufbewahren der Muttermilch Abstillen Stillhindernisse Schädliche Stoffe in der Muttermilch Stillgruppen und Informationsmaterial Dorothea Tegethoff Mastitis puerperalis Christine Geist

299 299 301

6.3.4 6.3.5 6.3.6 6.3.7 6.3.8 6.3.9 6.3.10 6.3.11 6.3.12 6.3.13

303 306 307 309 311 311 312 312 314 314

6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3

Spezielle Betreuung Betreuung verwaister M ü t t e r Trauerprozeß Betreuung der Mutter eines fehlgebildeten oder kranken Neugeborenen Clarissa Schwarz

317 317 320 321

6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.5.5 6.5.6 6.5.7 6.5.8 6.5.9

Abweichungen vom normalen Wochenbettverlauf Miktionsstörungen Obstipation Fieber als Leitsymptom Involutionsstörungen Sectio caesarea Blutungen im Wochenbett Präeklampsie, HELLP-Syndrom Symphysenlockerung Steißbeinverletzungen Edith Kimmerle Wochenbettdepression Wochenbettpsychosen Gabriele Schippers

323 323 323 323 325 325 325 326 326 326

Häusliches Wochenbett Susanna Roth

331

6.5.10 6.5.11 6.6

7.

327 329

Neugeborenes und Säugling

7.1

Anatomie und Physiologie Andrea Stiefel

337

7.2 7.2.1

Besonderheiten der frühen Neugeborenenperiode Anpassung

345 345

XVI

Inhalt

7.2.2

Magen-Darmfunktion

345

7.2.3

Leberfunktion und -Stoffwechsel

346

7.2.4

Niere

349

7.2.5

Geschlechtsorgane

349

7.2.6

Nabel

350

7.2.7

Haut

351

7.2.8

Temperaturregulation

351

7.2.9

Gewicht

352

Heike

Polleit

7.3

Versorgung des gesunden Neugeborenen

352

7.3.1

Erstversorgung

352

7.3.2

Vitalitätszustand

353

7.3.3

Klassifikation der Neugeborenen

355

7.3.4

M e ß b a r e und sichtbare Reifezeichen

355

7.3.5

Reifeschemata

355

Andrea

Habel/Andrea

Stiefel

7.3.6

Fehlbildungsdiagnostik

356

7.3.7

Prophylaxen und Vorsorgeuntersuchungen

359

Susanne 7.4

Rettenegger-Wagner

Versorgung gefährdeter und kranker Neugeborener Heike

360

Polleit

7.5

Umgang mit Neugeborenen und Säuglingen

7.5.1

Heben, Wickeln, Lagerung, Anfassen, Tragen

372

7.5.2

Lagerstätten

373

7.5.3

Raumausstattung/Bekleidung

373

Antje

372

Schoppa-Remm

7.5.4

Körperreinigung

374

7.5.5

Körperpflege

375

7.5.6

Nabelpflege

376

Christine 7.5.7

Wickeltechniken Ina

7.6

8. 8.1

378

Polleit

Entwicklung des Säuglings im 1. Lebensjahr Ina

376

Mailänder

Ernährung des Neugeborenen und Säuglings Heike

7.7

Bludau

384

Mailänder

M e d i k a m e n t e in G e b u r t s h i l f e u n d N e o n a t o l o g i e Allgemeine Arzneimittellehre Josepha

391

Rodriguez

8.2

Medikamente in der Geburtshilfe

392

8.2.1

Uterotonika (kontraktionsfördernde Medikamente)

392

8.2.2

Tokolytika (wehenhemmende Medikamente)

393

8.2.3

Laktationshemmung

394

Inhalt 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.2.7 8.2.8 8.2.9 8.2.10 8.2.11 8.2.12 8.2.13 8.2.14 8.2.15 8.2.16 8.2.17 8.2.18

XVII

Antihypotonika (blutdrucksteigernde Medikamente) Antihypertensiva (blutdrucksenkende Medikamente) Antibiotika, Chemotherapeutika Weitere Chemotherapeutika Malariaprophylaxe, Tuberkulose Magen-Darm-Medikamente Vitamine, Mineralien, Spurenelemente Antikoagulantien (gerinnungshemmende Medikamente) Schmerzmittel: Analgetika, Spasmolytika Sedativa (Beruhigungsmittel) Anästhetika (Betäubungsmittel) Infusionen, Diuretika Insuline Herzglykoside Glukokortikoide Josepha Rodriguez Grundlagen der Homöopathie Ulrike Härder

394 394 395 396 396 397 398 398 398 399 400 400 400 401 401

8.3

Prophylaxen beim Neugeborenen, Impfungen Josepha Rodriguez

405

9.

instrumente und Geräte in der Geburtshilfe

9.1

Medizingeräteverordnung (Med. GV) Andrea Stiefel Überwachung von Schwangerschaft und Geburt Herztonüberwachung Herzton- und Wehenüberwachung Ultraschallgeräte Amnioskopie Fetalblutanalyse (FBA) oder Mikroblutuntersuchung (MBU) Andrea Stiefel Instrumente und Zubehör für die Geburt Rosa Maria Schilling Instrumentenpflege Instrumentieren Renate Warbanov Infusionsapparate Reanimations- und Überwachungsgeräte Marianne Kerkmann

8.2.19

9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7

402

409 411 411 412 418 421 422 423 432 433 433 435

10.

Spezielle und pflegerische Aufgaben der Hebamme

10.1

Wahrnehmung und (Kranken-)Beobachtung Gisela Kriegerowski-Schröteler

441

10.2

Beobachtung von Körperfunktionen Martha Halbach

443

10.3

Haut und Hautveränderungen Gisela Kriegerowski-Schröteler

455

XVIII

Inhalt

10.4

Pflegerische Tätigkeiten

458

10.4.1

Haare kürzen, entfernen, rasieren

458

10.4.2

Klistier, Darmeinlauf

459

Martha

Halbach

10.4.3

Uringewinnung

460

10.4.4

T h r o m b o s e und Embolie

464

10.4.5

Physikalische Therapie

469

10.4.6

Fieber

474

Gisela 10.5

Kriegerowski-Schröteler

Injektionen und Infusionen Martha

10.6

Gewinnung und Umgang mit Untersuchungsmaterial Gisela

10.7

Pflegedokumentation

492

Kirchner

Grundlagen der Hygiene Christine

11.

486

Herber

Simone 10.9

483

Kriegerowski-Schröteler

Prä- und postoperative M a ß n a h m e n bei Sectio caesarea abdominalis Astrid

10.8

477

Halbach

494

Geist

B e r u f s - und G e s e t z e s k u n d e

11.1

Gesetzliche Grundlagen des Berufes

501

11.1.1

Hebammengesetz (HebG)

501

11.1.2

Hebammenberufsordnungen (BO)

502

Johanna

Frühauf

11.1.3

Hebammen-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (HebAPrV)

505

11.1.4

EG-Richtlinien

506

11.1.5

Arbeiten in anderen EU-Ländern

507

Elisabeth

Frank

11.2

Grundlagen für die Bezahlung der Hebammen

11.2.1

Gebührenverordnungen der freiberuflichen Hebammen Johanna

11.2.2

. . .

Frühauf

Tarifverträge der angestellten H e b a m m e , Arbeitsrecht Ursula

508 508 511

Alef

11.3

Andere hebammenrelevante Gesetze

515

11.3.1

Bürgerliches Recht, Zivilrecht

515

11.3.2

Strafrecht

517

11.3.3

Haftungsrecht

520

11.3.4

Steuerrecht

520

11.3.5

Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (MuschG)

520

11.3.6

Mutterschaftsrichtlinien ( M S R )

521

11.3.7

Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BErzGG)

522

11.3.8

Bundeskindergeldgesetz ( B K G G )

523

Ulrike

Presting

Inhalt 11.3.9 11.3.10 11.3.11 11.3.12

Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) Gesetz zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (BSeuchG) Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (GschlkG) Cornelia Schirren

XIX 523 524 524 525

11.4

Versicherungen für H e b a m m e n

525

11.5

Struktur des öffentlichen Gesundheitswesens

526

11.6

Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) Margarete Orlowski

529

12.

A n h a n g : W i c h t i g e Einheiten u n d U m r e c h n u n g e n in der M e d i z i n

12.1 12.2

SI-Einheiten (Système International d'Unités) Umrechnung älterer Maßeinheiten Gisela Kriegerowski-Schröteler

531 532

533

1. Berufsbild

1.1 Zur Geschichte des Hebammenberufs Nora Szäsz

1.1.1 Antike, Mittelalter Archäologische Funde legen Zeugnis darüber ab, d a ß schon in prähistorischer Zeit Helferinnen bei der Geburt anwesend waren. Dennoch berechtigt dies nicht zu der Aussage, d a ß der Beruf der H e b a m m e so alt wie die Menschheit sei. Dies ist vielmehr einer von vielen wenig hinterfragten Mythen in der Hebammengeschichtsschreibung. Schon aus der Zeit der Antike ist eine bedeutende geburtshilfliche Tradition von H e b a m men, den Maiai, überliefert. Für sie geschriebene Lehrbücher belegen den hohen Stand der antiken Geburtshilfe. Mit Ende der Antike verschwand dieser Typ der wissenschaftlich gebildeten, eher als Ärztin anzusehenden H e b a m m e . In den folgenden Jahrhunderten oblag die Geburtshilfe den Weisen Frauen. Die zur Gegenwart führende Entstehungsgeschichte berufsmäßiger Hebammen ist in den Städten des Mittelalters anzusiedeln. Hier organisierten sie sich zunftähnlich, bildeten einem H a n d w e r k entsprechend Lehrmädchen aus und wurden zum Bestandteil einer geregelten medizinischen Versorgung der städtischen Bevölkerung. Die H e b a m m e n waren in eine Hierarchie aus Ehrbaren Frauen (ehrenamtlich tätige Patrizierfrauen), Oberhebammen, Lehrmägden, Stuhlweibern und anderen Gehülfinnen eingegliedert. Diese schon auf Geburtshilfe spezialisierten H e b a m m e n sind abzugrenzen von heilkundigen Frauen, die zugleich H e b a m m e und Weise Frau waren und neben Geburtshilfe als Nachbarschaftshilfe auch allgemein Krankheiten behandelten.

Für

sie, die ihr E r f a h r u n g s w i s s e n

und

Können

wahrscheinlich m ü n d l i c h w e i t e r g a b e n , gibt es in historischen Quellen k a u m Belege.

Z u Beginn des 14. Jahrhunderts w u r d e in den Städten die Position der Stadtärzte geschaffen und mit an Universitäten ausgebildeten Medizinern besetzt. Diese Buchmediziner, die zwar über enorme Literaturkenntnisse, aber wenig Volksnähe und Praxis verfügten, errangen bis zum Ende des 15. J a h r h u n d e r t s eine ärztliche Vormachtstellung in den Städten. N u r die Geburtshilfe, Frauen- und Kinderheilkunde blieben in der H a n d von H e b a m m e n und anderen heilkundigen Frauen. Ab dem 16. J a h r h u n d e r t übernahmen die Stadtärzte allmählich die Kontroll- und Machtfunktion der Ehrbaren Frauen über die H e b a m men. Mit dieser Aufsichtspflicht konnten die Ärzte ihre geburtshilflichen Kenntnisse auch durch Erfahrungen von H e b a m m e n , die sie darüber examinierten, erweitern. In der Folgezeit verfaßten Ärzte Hebammenbücher und Schriften, die mit Erfindung des Buchdrucks (etwa 1440) in größeren Auflagen Verbreitung fanden. Sie geben neben antiken Überlieferungen auch zeitgenössisches Hebammenkönnen wieder, werten dieses zugleich aber auch ab. So im ersten, 1513 in deutscher Sprache g e d r u c k ten, m e h r f a c h übersetzten H e b a m m e n l e h r b u c h :

Der

swangern

des

frawen

und

hebammen

rosegarten

F r a n k f u r t e r Stadtarztes Eucharius Rößlin, d a s a u c h als R i c h t s c h n u r f ü r die a u f k o m m e n d e n f u n g e n diente: sampt/Die

„...

ich

meyn

also gar kein wissen

die handt

Hebammenprühebammen

alle

..."

Diese Geringschätzung der H e b a m m e n , die unter Medizinern ab dem 16. J a h r h u n d e r t weit verbreitet war, stand im Kontrast zur hohen, geachteten Stellung besonders der Stadthebamme.

2

1. Berufsbild

Sie wurden als Sachverständige vom Gericht hinzugezogen, um bei Verdacht auf Schwangerschaft, Abort, begangenen Kindsmord, aber auch über Jungfräulichkeit und Impotenz ein Urteil abzugeben. Hebammen waren als rechtsmedizinische Expertinnen so etabliert, daß ihre Hinzuziehung vor Gericht auch in der Carolina, der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. (1532), festgelegt wurde. Hier wie auch in den zu Beginn des 15. Jahrhunderts aufkommenden Kirchenordnungen wurden Abtreibungen unter Strafe gestellt. Daß diese aber Bestandteil geburtshilflicher Praxis waren, verdeutlichen auch Hebammenbücher dieser Zeit mit ihrem reichen Arsenal wirksamer Abortivmittel. Bis zum ausgehenden Mittelalter hatte es nur geringfügige Vorbedingungen zur Ausübung des Hebammengewerbes gegeben. Auf dem Land, wo die Geburt bis ins 19. Jahrhundert ein öffentliches Ereignis war, wählte vielerorts die Gemeinschaft verheirateter Frauen die Hebamme. Der Aufgabenbereich dieser meist älteren Dorfhebamme umfaßte neben der Sorge um Geburt und Neugeborenes, die Nottaufe oder das zur Taufe tragen, auch rituelle Komponenten. Oft übernahm sie auch die Haushaltführung nach der Geburt oder war zugleich dörfliche Leichenwäscherin. Diese auf Tradition und Nachbarschaftshilfe beruhende Arbeit war eher eine Ehrentätigkeit als ein Beruf im modernen Sinn. Eine Bezahlung erfolgte in Form von Dankesbekundungen, Geschenken oder Naturalien. Mit Bestimmungen und Erlassen der Obrigkeit, wie sie allmählich in den Städten aufkamen, hatte diese ländliche Geburtshilfe noch wenig zu tun. Pestepidemien, Kriege und wirtschaftliche Krisen seit dem 14. Jahrhundert hatten gesundheitliche und hygienische Probleme zur Folge, denen die städtischen Obrigkeiten mit Medizinalgesetzen begegneten. Auch die Geburtshilfe sollte nun als Teil der Medizinversorgung geregelt werden. Mitte des 15. Jahrhunderts kamen in den Städten Hebammenordnungen auf, die Hilfe bei Armengeburten vorsahen. Erstmals aber wurden hier den Hebammen in schriftlicher Form ein-

schränkende Vorschriften gemacht und diese vereidigt, um dann als geschworene Hebammen zu gelten. In der ältesten überlieferten Hebammenordnung (Regensburg 1452) wurde festgelegt, daß die Hebamme bei Armen und Reichen gleichermaßen Hilfe leisten, keine Jüdinnen betreuen und bei komplizierten Geburten eine zweite Hebamme oder Ehrbare Frau hinzuziehen sollte. Weiter wurde ein Trinkverbot während der Geburt, das Durchführen eines Kaiserschnitts beim Tod der Frau und Gehorsamspflicht den Ehrbaren Frauen gegenüber angeordnet. Ohne deren Erlaubnis sollte die Hebamme die Stadt nicht verlassen und ihr bekannte ungeschworene Hebammen anzeigen. Ausbildungsvorschriften waren noch nicht enthalten. In späteren Hebammenordnungen ab dem 16. Jahrhundert kam zunehmend die Aufsichts- und Prüfungspflicht durch die Stadtärzte anstelle der Ehrbaren Frauen auf und dazu kirchliche Gebote (Abtreibungsverbot, Nottaufe u. a.) und medizinische Bestimmungen (Einschränkungen bestimmter Arzneien u. a.). Die Beziehung der Hebamme zu schwangeren und gebärenden Frauen wurde immer mehr beaufsichtigt und die Geburtshilfe nach und nach aus dem alleinigen Frauenbereich herausgelöst. Während geschworene Hebammen zunehmend kontrolliert wurden, aber auch selbst Kontrolle ausüben sollten, setzte eine allmähliche Verfolgung der freien Hebammen als Hexenhebammen ein. Im Hexenhammer (Malleus maleficarum), der Dominikanermönche Institoris und Sprenger, der als Prozeßordnung zwischen 1487 und 1609 viele Auflagen erlebte, wurden u. a. auch diese Hexenhebammen genannt, die „alle anderen Hexen an Schandtaten übertreffen". Gemäß der Hexenbulle (Papst Innozenz VIII. 1484) und unter dem Hexenhammer-Postulat „Niemand schadet dem katholischen Glauben mehr als die Hebammen ..." fielen den großen Hexenverfolgungen bis zum 18. Jahrhundert auch Hebammen zum Opfer. Zu Beginn des 17. Jahrhundert setzte mit dem Werk von Marie Louise Bourgeois (1563 — 1636) eine Erscheinung ein, die sich bis ins 18. Jahrhundert über halb Europa erstreckte: Hebammen traten als Autorinnen geburshilflicher Bü-

1.1 Zur Geschichte des Hebammenberufs

3

eher auf, die ihnen B e r ü h m t h e i t und A n e r k e n -

denten ausgebildet. D e r bis zu 4 M o n a t e n dau-

nung, aber auch Anfeindungen b r a c h t e n . M e i s t

ernde L e h r k u r s w a r von Schule zu Schule unter-

wurden sie als Hofhebamme

an Königs-

und

schiedlich geregelt. E r beinhaltete eine theoreti-

F ü r s t e n h ä u s e r berufen und stellten als gelehrte

sche Unterweisung in der A n a t o m i e an weibli-

Frauen eine Verbindung zwischen der a k a d e m i -

chen L e i c h e n , Übungen am P h a n t o m s o w i e dem

schen Medizin und dem in der Praxis e r w o r b e -

Vortragen

nen h a n d w e r k l i c h e n

Ausbildung erfolgte an dem in der Klinik vor-

Erfahrungswissen dar. In

D e u t s c h l a n d w a r es Justina

(1636—

Siegemund

aus dem L e h r b u c h .

handenen „Material".

Die

praktische

D a m i t waren die meist le-

1 7 0 5 ) , deren H e b a m m e n l e h r b u c h ( 1 6 9 0 ) das er-

digen S c h w a n g e r e n g e m e i n t , die W o c h e n vor der

ste von einer Frau verfaßte war.

Geburt

kostenlos

aufgenommen

wurden,

bis

nach dem W o c h e n b e t t d o r t blieben und sich als lebendige

1.1.2 17. und 18. Jahrhundert

Während Im 17. und 18. J a h r h u n d e r t , dem Zeitalter der Aufklärung

und

des

Absolutismus,

G r u n d s a t z , d a ß der R e i c h t u m an

für Ausbildungs- und Wis-

Phantome

s e n s c h a f t s z w e c k e zur Verfügung stellen m u ß t e n .

galt

der

Bevölkerung

die H e b a m m e n s c h ü l e r i n n e n

k o m p l i k a t i o n s l o s e G e b u r t ausgebildet lernten die G e b u r t s h e l f e r bzw. ten

die

operativen

für

die

wurden,

Medizinstuden-

Handgriffe

anzuwenden.

der R e i c h t u m des Staates sei. D a v o n abgeleitet

Diese Arbeitsteilung, die ein zentraler Bestand-

k a m es zu R e f o r m e n im G e s u n d h e i t s w e s e n . Er-

teil

ste landesgesetzliche

war, hat bis in die G e g e n w a r t ihre Gültigkeit be-

in den einzel-

Regelungen

nen Staaten des D e u t s c h e n Reiches brachten einschneidende Änderungen für H e b a m m e n :

Bei komplizierten G e b u r t e n sollten sie nun einen Arzt hinzuziehen, w o m i t der Grundstein zur der

Hebammentätigkeit

auf

die

n o r m a l e Geburt gelegt wurde.

Professionalisierung

Entstehung

Deutschland

18. J a h r h u n d e r t s die

der

Gebäranstalten

und

den Universitäten entwickelte sich die G e b u r t s hilfe unter a l l m ä h l i c h e r L o s l ö s u n g von der C h i r urgie im L a u f e des 19. J a h r h u n d e r t s zum eigenständigen wissenschaftlichen F a c h . S o w o h l unter h a n d w e r k l i c h

ausgebildeten

Chirurgen

als

auch Schulmedizinern k a m der Einsatz geburtshilflicher Instrumente, v o r allem der G e b u r t s zange, in M o d e . Benjamin

(1759—

Osiander

1822), Professor in Göttingen, bei insgesamt 2540 Ge-

Hebammenausbildung des

Hebammen

Schulen sowie E i n r i c h t u n g von Lehrstühlen an

So führte Friedrich

Mitte

der

halten. Mit

Im preußischen Medizinaledikt (1725) wurde angeordnet, daß alle Hebammen vor der Zulassung von Medizinalcollegien „ordentlich examiniret und approbiret" sowie in der Anatomie an weiblichen Leichen zu unterrichten seien.

Reduzierung

der

burten 1016 Zangenextraktionen durch. Schon Zeitgeentstanden

ersten

in

Hebammenschulen.

N a c h Vorbild der ersten, 1 7 2 8 in S t r a ß b u r g ge-

nossen kritisierten diese „Operationswütigkeit",

die

für die gebärende Frau und das Kind nicht selten den Tod bedeutete.

gründeten Schule waren sie an eine G e b ä r a n s t a l t

M i t der Verwissenschaftlichung der Geburts-

angegliedert und standen unter ärztlicher Lei-

hilfe einhergehend k a m es über die G r ü n d u n g

tung. 1 7 5 1 wurden in der C h a r i t é (Berlin) und in

von H e b a m m e n s c h u l e n

G ö t t i n g e n die ersten Schulen eröffnet, zahlreiche

staatlichen R e f o r m b e m ü h u n g e n um das H e b a m -

weitere folgten

menwesen.

in den n ä c h s t e n

Jahrzehnten.

Diese

D a n e b e n lassen sich in Städten o h n e Schule orts-

19. J a h r h u n d e r t s

ansässige H e b a m m e n l e h r e r n a c h w e i s e n .

stärkere

An den Schulen wurden H e b a m m e n s c h ü l e r i n nen und auch G e b u r t s h e l f e r , später Medizinstu-

führten zu

Kontrolle

Ausbildung

hinaus zu bis

vermehrten Anfang

Neuregelungen, und

des

die

eine

Reglementierung

der

und Berufspraxis der

Hebammen

durch die O b r i g k e i t zur Folge hatten.

4

1. Berufsbild

Per Landesgesetz drohten Hebammen nun Geld- und Gefängnisstrafen bei Abtreibung, Nichtmelden eines Kindsmords, einer sog. Mißgeburt und bei unterlassener Hilfeleistung. Die geburtshilfliche Versorgung besonders auf dem Land sollte durch mehr ausgebildete und examinierte Hebammen verbessert werden. So auch in Preußen, wo im Zuge von Medizinalreformen in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Hebammen zu Gewerbetreibenden wurden.

Ein bestandenes Examen und die ministerielle Erteilung der Approbation wurden hier zur Voraussetzung, um in freier Praxis oder als Bezirkshebamme in einem Hebammenbezirk das Gewerbe auszuüben. Neben Beihilfen für angestellte Hebammen galt erstmals eine, wenn auch unverbindliche Medicinaltaxe (1815). Im gleichen Jahr wurde auch das erste amtliche Hebammenlehrbuch herausgegeben. Im Zuge dieser Neuerungen bildeten sich besonders auf dem Land 2 Hebammentypen heraus: Solche, die aus alter Tradition eher nebenberuflich, ohne spezielle Ausbildung und festen Lohn arbeiteten und solche, die sich nach Lehrkurs und Examen weigerten, ohne Bezahlung zu helfen. Die von oben eingesetzten, ausgebildeten und geprüften Hebammen wurden von der Bevölkerung oft nicht akzeptiert, erhielten aber insofern Unterstützung von Ärzten, als sie die schwer zu kontrollierenden, nachbarschaftlichen Helferinnen am wirksamsten verdrängten. Dieser Prozeß vollzog sich nur sehr langsam: Noch zu Beginn unseres Jahrhunderts gab es Gegenden im Deutschen Reich, in denen mehr Geburten ohne als mit approbierter Hebamme stattfanden.

1.1.3 19. Jahrhundert Anfang des 19. Jahrhunderts breitete sich vor allem in den Universitätskliniken das Kindbettfieber aus und wurde vielen der meist ledigen Unterschichtsfrauen, die zur Geburt in die Anstalten kamen, zum Verhängnis. Den Zusammenhang zwischen Kindbettfieber und mangelnder Hygiene erkannte erstmals der

an der I. Gebärklinik des Wiener Allgemeinen Krankenhauses arbeitende Ungar Ignaz Philipp Semmelweis ( 1 8 1 8 - 1 8 6 5 ) . Er zeigte in den Jahren 1847—49 auf, daß dem Kindbettfieber, an dem an seiner Klinik zu dieser Zeit ca. 10% der Wöcherinnen starben, durch Chlorwaschungen der untersuchenden Hände der von der Leichensektion kommenden Studenten vorgebeugt werden konnte. Obwohl die Anzahl der Erkrankungen und Todesfälle abrupt sank, fand Semmelweis' Methode der Desinfektion erst nach seinem Tod in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemeine Anerkennung und Umsetzung in die Praxis.

Die Einführung von Asepsis (Zustand der Keimfreiheit) und Antisepsis (Vernichtung von Krankheitskeimen) sowie die Entdeckung von Äther 1846 und Chloroform 1847 zur Anästhesie waren entscheidende Meilensteine in der Entwicklung und für den Aufschwung der Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Lage der Hebammen hingegen verschlechterte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend. Die 33 134 im Jahr 1876 im Deutschen Kaiserreich registrierten Hebammen waren von der Verarmung der Bevölkerung im Zuge der Industrialisierung als meist selbständig Arbeitende betroffen. Gebärende und Wöcherinnen konnten häufig nicht bezahlen oder wandten sich gleich an eine kostengünstigere Wickelfrau. Auch hatte die Zahl der Hebammen und damit die Konkurrenz untereinander seit Aufhebung der Niederlassungsbeschränkungen durch das Freizügigkeitsgesetz (1867) und die Gewerbeordnung (1869) besonders in den Städten enorm zugenommen. Trotz rasanter Entwicklung der wissenschaftlichen Geburtshilfe fanden auch nach der Reichsgründung kaum 5 % aller Geburten in Anstalten statt. War bislang das Kindbettfieber als Problem der Gebärkliniken begriffen worden, das nun mit antiseptischer Methode bekämpfbar wurde, brachten die Ergebnisse der ersten umfassenden Puerperalfieberstatistik für Preußen eine entscheidende Wende. Die 1878 von der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin veröffentlichten Ergebnisse lieferten insgesamt „erschreckend hohe Zahlen" an Todesfällen und Erkrankungen.

1.1 Zur Geschichte des Hebammenberufs Unter Ärzten weckten sie ein lebhaftes Interesse an der Hebammenfrage. H e b a m m e n w u r den n u n zu H a u p t v e r a n t w o r t l i c h e n f ü r das Auftreten von Kindbettfieber erklärt. O b w o h l schon Zeitgenossen die Zuverlässigkeit dieser Statistik bezweifelten und kritisierten, erfolgte n u n eine breite Schuldzuweisung an die H e b a m men, deren Arbeit als völlig veraltet angesehen w u r d e . Diese H a l t u n g bestimmte die bald darauf einsetzende Bewegung zur Reform des Hebammenwesens. In einer vor allem in Fachzeitschriften und Ärztevereinssitzungen geführten D e b a t t e von Ärzten, H e b a m m e n l e h r e r n und Medizinalbeamten tauchten die verschiedensten, z. T. utopischen Vorschläge zur Lösung der H e b a m m e n f r a g e auf.

5

In den J a h r e n des Deutschen Kaiserreichs (1870—1918) w u r d e n die H e b a m m e n zunehmend durch nahezu u n d u r c h s c h a u b a r viele gesetzliche Vorschriften und Kontrollmechanismen reglementiert, und k a u m eine H e b a m m e beendete ihr Berufsleben, o h n e mit Polizei, Gericht oder auch Gefängnis in Kontakt g e k o m m e n zu sein. Dabei blieb die sozioökonomische Lage der meisten H e b a m m e n unverändert schlecht: Eine 1 9 0 2 / 0 3 d u r c h g e f ü h r t e U m f r a g e bei 19 665 preußischen H e b a m m e n ergab, d a ß über 5 0 % u n t e r 400 M a r k / J a h r verdienten.

Obwohl

die

Diskussion

der

Hebammen-

f r a g e i m m e r breitere Kreise e r f a ß t e , bestand insgesamt w e n i g Interesse f ü r eine sinnvolle Ref o r m der E i n k o m m e n s - , Arbeits- u n d Rechts-

Ziel w a r es, die H e b a m m e n g e b u r t s h i l f e im Privathaus als veraltet a b z u w e r t e n , um d a m i t das K r a n k e n h a u s mehr ins Z e n t r u m der Geburtshilfe zu rücken und antiseptische M a ß Stäbe der Klinik auf die Arbeit der H e b a m men zu übertragen.

Die Spannbreite der Positionen reichte von Forderungen nach radikaler A b s c h a f f u n g des gesamten H e b a m m e n s t a n d e s über zahlreiche Vorschläge zur stärkeren Kontrolle und Beaufsichtigung bis hin zum Ruf nach gebildeten Frauen oder Diakonissen für die Geburtshilfe zur H e b u n g des H e b a m m e n s t a n d e s . Die meisten der Beiträge sind geprägt von außerordentlicher Geringschätzung und D i f f a m i e r u n g besonders der alten H e b a m m e n oder gleich des ganzen „ H e b ammenmaterials", wie oft gesagt w u r d e . Im Z u g e dieser R e f o r m b e w e g u n g k a m es in den 80er Jahren zur Verabschiedung von Desinfektionsordnungen mit genauen Anweisungen zur A n w e n d u n g von Desinfektionsmitteln und einer Meldepflicht bei Kindbettfieber mit zeitweiligem Arbeitsverbot der H e b a m m e n bei einem Kindbettfieberfall in ihrer Praxis. Die D a u e r dieses zwangsweise, meist mehrere Tage d a u e r n d e n Pausierens w u r d e vom Physikus angeordnet. In dieser Zeit d u r f t e die H e b a m m e zu keiner G e b u r t oder Wöchnerin gehen und hatte den entsprechenden finanziellen Verlust.

verhältnisse des H e b a m m e n b e r u f s . D a f ü r zu k ä m p f e n , k o n n t e n H e b a m m e n n u r selbst übernehmen.

Hebammenbewegung Die H e b a m m e n b e w e g u n g n a h m 1885 in Berlin ihren A u s g a n g . N a c h d e m Tod einer v e r a r m t e n H e b a m m e organisierte d o r t Rosalie Neumann eine S a m m l u n g f ü r die Beerdigung u n d ein Treffen der Berliner H e b a m m e n . Fast die H ä l f t e der in Berlin registrierten 7 3 2 H e b a m men n a h m d a r a n teil. So w u r d e a m 3. 10. 1885 der Verein Berliner H e b a m m e n g e g r ü n d e t , der schnell an Mitgliedern z u n a h m u n d ab April 1886 eine eigene Z e i t u n g h e r a u s g a b . Ziel des Vereins w a r eine eigene K r a n k e n - , Hilfs- und Sterbekasse zu g r ü n d e n , eine neue H e b a m m e n taxe d u r c h z u s e t z e n , gegen die K o n k u r r e n z der N i c h t h e b a m m e n zu k ä m p f e n und sich selbst o d e r d u r c h ärztliche Vorträge w e i t e r z u b i l d e n . Die Geschichte der H e b a m m e n b e w e g u n g ist eng v e r b u n d e n mit dem N a m e n Olga Gebauer (1858-1922). Die gebürtige St. Petersburgerin aus bürgerlichen Verhältnissen h a t t e z u n ä c h s t den Beruf der Lehrerin erlernt. N a c h der G e b u r t ihrer beiden Kinder besuchte sie 1884 die H e b a m m e n s c h u l e in W i t t e n b e r g , legte nach ö m o n a t i g e r A u s b i l d u n g d a s E x a m e n a b und ließ

6

1. B e r u f s b i l d

sich 1885 in Berlin nieder. Bis zu ihrem Tod w a r sie eine zentrale Persönlichkeit und b e d e u t e n d e Führerin dieser ersten Berufsorganisation der H e b a m m e n

in

Deutschland.

In ihr vereinigten sich verschiedenste Leit u n g s f u n k t i o n e n . Die zunächst im Selbstverlag von Olga G e b a u e r herausgegebene Berliner Hebammen-Zeitung w u r d e schon nach wenigen Ausgaben aus finanziellen G r ü n d e n vom Elwin Staude-Verlag in Berlin ü b e r n o m m e n , der sie von da an unter ärztlicher Redaktion als Allge(ADHZ) meine Deutsche Hebammen-Zeitung über J a h r z e h n t e herausgab. Angeregt durch die vielen Agitationsreisen, die vor allem Olga Gebauer, vom Staude-Verlag mitfinanziert, u n t e r n a h m , k a m es zur G r ü n d u n g von H e b a m m e n v e r e i n e n in vielen Städten. Um einer Vereinzelung dieser Vereine entgegenzuwirken, fand 1890 der Erste Deutsche Hebammentag in Berlin statt, auf dem beschlossen w u r d e , eine Vereinigung Deutscher Hebammen (VDH) als D a c h v e r b a n d zu gründen und sich zur Verbesserung des Ansehens nicht mehr H e b a m m e , s o n d e r n Geburtshelferin zu nennen. Diese Entscheidung w u r d e aber wieder zurückg e n o m m e n , n a c h d e m gegen H e b a m m e n , die auf ihrem Schild die Bezeichnung Geburtshelferin a n b r a c h t e n , Verwarnungen durch Polizei und Amtsärzte ausgesprochen und auch Prozesse gef ü h r t w u r d e n . Über die V D H , deren langjährige G e s c h ä f t s f ü h r e r i n Olga G e b a u e r w u r d e , k a m es zur G r ü n d u n g einer Allgemeinen Versorgungskasse für Mitglieder. Parallel zu diesem auf Selbsthilfe beruhenden Kassensystem k ä m p f t e n sie f ü r die A u f n a h m e der H e b a m m e n in die in den 80er Jahren geschaffenen staatlichen Sozialversicherungen, die letztlich wegen des freigewerblich-selbständigen Status der meisten H e b a m m e n nicht zustande k a m . D a r ü b e r hinaus formulierten sie Forderungen f ü r Ausbildung und Berufsausübung, wie etwa die • H i n z u z i e h u n g einer H e b a m m e zu jeder Geburt • die staatliche Anstellung aller H e b a m m e n und ein Reichsgesetz. O b w o h l sich die H e b a m m e n in D e u t s c h l a n d , im Gegensatz zu anderen L ä n d e r n , selbständig zusammengeschlossen h a t t e n , war es von An-

Abb. 1.1-1: A u f n a h m e im Bureau der Vereinigung D e u t s c h e r H e b a m m e n anläßlich ihres 25jährigen J u b i l ä u m s 1915 Von links nach rechts o b e r e Reihe: M . Mehl, T h . Böttcher, O . Ellfeld, E. Kauder, J. G e b a u e r . Vordere Reihe: A. Klewe, O . G e b a u e r , M . Michaelis.

f a n g an ihre Strategie, Unterstützung bei Ärzten zu suchen. In den meisten H e b a m m e n v e r e i n e n w a r der Ehrenvorsitzende ein H e b a m m e n l e h r e r oder Medizinalbeamter. Z w a r ordneten sich die H e b a m m e n in Entscheidungsprozessen und Belehrungen diesen Ärzten o f t unter, g e w a n n e n aber dennoch ein neues Selbstbewußtsein als Vereinshebammen. Es w u r d e Vereinsethos und P r o g r a m m , s o w o h l in den eigenen Reihen als auch beim Publikum gegen P f u s c h e r t u m , Abtreibungen und Aberglaube zu k ä m p f e n .

7

1.1 Z u r Geschichte des H e b a m m e n b e r u f s Trotz des beständigen Anwachsens der Hebammenbewegung zog Olga Gebauer 1907 angesichts recht geringer Erfolge das Fazit, daß die dem „Volkswohl hochnotwendige Hebammenreform" erst zustande käme, „wenn endlich die Frauen in den Parlamenten mitbestimmen werden." Z u r bürgerlichen Frauenbewegung b e s t a n d e n seit d e n 90er J a h r e n K o n t a k t e , aber erst 1915 w u r d e die V D H Mitglied im Bund Frauenvereine. Mutterschutz,

Deutscher

1908 organisierte d e r Bund

für

der aus d e m linken Flügel d e r b ü r -

gerlichen F r a u e n b e w e g u n g h e r v o r g e g a n g e n w a r , eine T a g u n g zur R e f o r m des H e b a m m e n w e s e n s , an d e r mehrheitlich H e b a m m e n t e i l n a h m e n . D a s Verhältnis der H e b a m m e n zur Frauen- bzw. F ü r s o r g e b e w e g u n g gestaltete sich nicht s p a n n u n g s frei. D u r c h neu e n t s t e h e n d e F r a u e n b e r u f e wie F ü r s o r g e r i n n e n u n d Säuglingspflegerinnen sahen sie ihre Arbeitsbereiche b e d r o h t u n d f ü r c h t e t e n E i n s c h r ä n k u n g e n ihrer K o m p e t e n z e n . D a s Ziel, die g e s a m t e d e u t s c h e H e b a m m e n schaft

im

Vereinswesen

zusammenzuführen,

k o n n t e bis z u m Ersten Weltkrieg n i c h t e r r e i c h t w e r d e n , aber i m m e r h i n w a r e n 1914 v o n d e n ca.

kes; je mehr wir helfen, je größeren Anteil haben wir an dem Sieg unseres tapferen Heeres: Und wir werden siegen!" In d e m M a ß e , wie im L a u f e des Krieges Arm u t , H u n g e r u n d T o d a u c h f ü r H e b a m m e n imm e r e r f a h r b a r e r w u r d e n , r ü c k t e n viele v o n ihrer anfänglichen Kriegsbegeisterung ab. Nach k r a f t t r e t e n d e r Reichswochenhilfe

Ende

In-

1914,

die n e b e n W o c h e n - u n d Stillgeld a u c h Z a h l u n g von

Hebammenhilfe

d u r c h die K r a n k e n k a s s e n

v o r s a h , v e r s u c h t e n die H e b a m m e n anstelle der e r m ä ß i g t e n Kriegstaxe w i e d e r n o r m a l e G e b ü h ren zu v e r l a n g e n , h a t t e n d a m i t a b e r k e i n e n Erfolg. Dies f ü h r t e zu e r h e b l i c h e r U n z u f r i e d e n h e i t unter den H e b a m m e n und machte einmal mehr deren n a c h wie v o r ungeregelte Stellung d e u t lich. A u c h t r u g d e r s c h o n v o r d e m Krieg einsetzende Geburtenrückgang

zur V e r s c h l e c h t e r u n g

d e r sozialen Lage vieler H e b a m m e n bei. D e r j a h r e l a n g e K a m p f u m die S c h a f f u n g einer einheitlichen gesetzlichen R e g e l u n g des H e b a m menwesens

war,

bis auf

die

Verabschiedung

r e c h t u n v e r b i n d l i c h e r Richtlinien im B u n d e s r a t

4 0 0 0 0 H e b a m m e n reichsweit ü b e r 2 2 0 0 0 M i t -

1917, e r f o l g l o s g e b l i e b e n . So w u c h s gegen E n d e

glieder in d e r V D H . (Abb. 1.1-1)

des Krieges d e r U n m u t d e r H e b a m m e n

auch

ü b e r die m a n g e l n d e D u r c h s e t z u n g s f ä h i g k e i t ihrer eigenen O r g a n i s a t i o n s s p i t z e . Sie v e r l a n g t e n

1.1.4 20. Jahrhundert

nach innerverbandlicher Erneuerung und mehr

M i t A u s b r u c h des Ersten Weltkriegs folgten die meisten H e b a m m e n , so wie g r o ß e Teile d e r b ü r gerlichen F r a u e n b e w e g u n g d e m „Ruf des Vaterl a n d e s in der S t u n d e d e r N o t " . Z a h l r e i c h e H e b a m m e n v e r e i n e beschlossen, f ü r eine Kriegtaxe m i t e r m ä ß i g t e n G e b ü h r e n zu a r b e i t e n . In Z e i t u n g e n f a n d e n sich A n g e b o t e v o n H e b a m m e n , F r a u e n , d e r e n M ä n n e r im Krieg w a r e n , u n e n t geltlich zu e n t b i n d e n . Im R a h m e n des Vaterländischen Frauendienstes beteiligten sich die H e b a m m e n an S a m m l u n g e n f ü r die Kriegspflege, unterstützten geflüchtete ostpreußische H e b a m m e n , verteilten K r i e g s k o c h b ü c h e r an die Bevölk e r u n g o d e r a r b e i t e t e n m i t d e m R o t e n Kreuz an der Front.

h e b a m m e n , auch aus d e n V o r s t ä n d e n , entwickel-

1915 schrieb Olga Gebauer in der A D H Z ganz im nationalistischen Taumel der Zeit: „Geben und Opfern sind unsere "Waffen gegen die Feinde unseres Vol-

Mitsprachemöglichkeiten.

Zahlreiche

Vereins-

ten die A n s i c h t , d a ß die bisherige O r g a n i s a t i o n s f o r m zur Bewältigung der Aufgaben und Durchs e t z u n g auf g e s e t z g e b e r i s c h e m Weg nicht ausreiche u n d n a h m e n K o n t a k t zu G e w e r k s c h a f t e n z w e c k s eines e t w a i g e n Anschlusses a u f . A b 1919 t r a t e n v o r allem die A n s t a l t s h e b a m m e n

unter

d e n Vereinsmitgliedern d e m Allgemeinen

Deut-

schen

Gewerkschaftsbund

1921 d e n Deutschen

bei u n d

Hebammenbund.

gründeten Ziel w a r

d a b e i , eine einheitliche Ü b e r f ü h r u n g d e r

Ge-

samtorganisation

Ge-

der

Hebammen

in die

w e r k s c h a f t , u m m e h r M a c h t bei d e r D u r c h s e t z u n g v o n F o r d e r u n g e n zu e r l a n g e n . A n d e r U m s e t z u n g dieses Ziels u n d d e r Frage einer Vers t a a t l i c h u n g des H e b a m m e n w e s e n s z e r b r a c h die B e w e g u n g . A u s A n g s t v o r einer „ r o t e n " H e b a m menbewegung

traten

vielerorts

reaktionäre

8

1. Berufsbild

Kreisärzte, Professoren und Hebammenlehrer im Einklang mit höchsten Regierungsbeamten auf den Plan, um einer Radikalisierung der Hebammen entgegenzuwirken. Eine zentrale Rolle bei der Einmischung in die Strategien der Verbandspolitik der Hebammen, die mittlerweile kurz vor einem Hebammenstreik standen, kam dabei dem Staude-Verlag zu. Die Fäden gegen einen fortschrittlichen Kurs der VDH wurden, so der Vorwurf, schon seit vielen Jahren von der ADHZ gesponnen. So seien Artikel in der Zeitung vielfach nur gekürzt oder gar nicht erschienen bzw. wurden zur Korrektur ans Ministerium weitergeleitet. Der Verlag habe so in Zusammenarbeit mit Ärzten und Regierungsbeamten maßgeblich die Spaltung der Hebammenbewegung in den ersten Jahren der Weimarer Republik herbeigeführt. Als der Verlag 1921 eine immer härtere Gangart vor allem gegen die Berliner Hebammen einschlug und keine Mitteilungen von diesen mehr abdruckte, kündigte die VDH ihre bisherige Verbandszeitung. Eine neue Hebammenzeitung, die Zeitschrift für die Hebammen Deutschlands, war in Berlin entstanden und wurde zum offiziellen Sprachrohr der VDH. Der Staude-Verlag, inzwischen vom Verleger Rudolf Zickfeldt (Osterwieck a. H.) übernommen, investierte nun erhebliche Mittel, um eine Oppositionsbewegung gegen die VDH aufzubauen. 1922 kam es so zur Gründung der Arbeitgemeinschaft der Landesverbände mit Sitz in Leipzig, die sich in der Folgezeit Allgemeiner Deutscher Hebammenverband nannte und deren Zeitung nun die ADHZ wurde. Daneben entstanden weitere Hebammenorganisationen und -Zeitungen, aber aus dieser zahlenmäßig größten gingen nach 1933 vor allem Hebammenfunktionärinnen der NS-Zeit hervor, wie etwa die spätere Reichshebammenführerin Nanna Conti ( 1 8 8 1 - 1 9 5 1 ) .

Preußisches Hebammengesetz Am 1. 4. 1923 trat das von den Hebammen hart erkämpfte Preußische Hebammengesetz in Kraft. Von den Hebammen mit großer Hoffnung auf Anstellung, ausreichendes Gehalt und finanzieller Sicherheit bei Krankheit und im

Alter erwartet, war das Ergebnis enttäuschend: Neben geringen Mindesteinkommen und Niederlassungsbeschränkungen fehlte trotz einer vorgesehenen Zwangspensionierung aller über 65jährigen Hebammen jegliche Regelung der Altersversorgung. Selbst die wenigen Errungenschaften, wie etwa die Einrichtung von Hebammenstellen als kommunale Mitbestimmungsorgane für Hebammen, wurden in einer Gesetzesänderung wieder gestrichen. Ein zentrales Problem der folgenden Jahre war für die Hebammen der mit der begrenzten Erteilung der Niederlassungserlaubnis verbundene geplante zahlenmäßige Abbau von Hebammen. Ungefähr 4 0 0 0 H e b a m m e n in der gesamten Republik hätten gezwungenermaßen

den Beruf aufgeben

müssen und ihre Existenzgrundlage verloren, nicht

1926

durch

Klage einer H e b a m m e

Oberverwaltungsgericht

die

vor

wenn dem

Niederlassungsbegren-

zung als mit der Reichsgewerbeordnung

unvereinbar

wieder aufgehoben worden wäre.

Insgesamt ging die Entwicklung der Volkswohlfahrt gerade in den 20er Jahren über die Köpfe der Hebammen hinweg. Während der Anteil der Anstaltsgeburten in den Städten stetig anstieg (1924 insgesamt 9 % , Berlin 39,3%), wurden Hebammen kaum in die neu geschaffenen Fürsorgeeinrichtungen wie Schwangerenund Säuglingsberatung miteinbezogen.

Hebammen im Nationalsozialismus In ihrem z. T. aussichtslosen Kampf um die Durchsetzung ihrer Interessen als Berufsstand waren die Hebammen in dieser Zeit besonders empfänglich für Konzepte der seit der Jahrhundertwende verstärkt aufkommenden bevölkerungspolitischen Bewegungen und Ideen, die für Hebammen eine wichtige Position im Kampf gegen den Geburtenrückgang propagierten. Hier gewann zunehmend die Eugenik und Rassenhygiene auch in Bezug auf die Hebammen an Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist dann auch der relativ hohe Grad der Zustimmung der Hebammen zum Nationalsozialismus mit seiner Aufwertung der „Hebammen als Hüterin der Volksgesundheit" im Rahmen einer verbrecherischen Erb- und Rassenpolitik zu sehen.

1.2 Heutiges Berufsbild N a c h d e m die Nationalsozialisten 1933 die M a c h t ü b e r n o m m e n hatten, w u r d e n die freien G e w e r k s c h a f t e n u n d d a m i t auch der Deutsche H e b a m m e n b u n d zerschlagen. Die anderen H e b a m m e n o r g a n i s a t i o n e n w u r d e n in der Reichsfachschaft Deutscher Hebammen (ab 1939: Reichshebammenschaft) unter Leitung von N a n n a Conti zwangsvereinigt. D a s weitere Schicksal langjähriger H e b a m m e n f u n k t i o n ä r i n nen der Zeit vor 1933 ist ebenso wie die Verfolgung jüdischer H e b a m m e n bislang k a u m erforscht. Wenig b e k a n n t ist die Tatsache, d a ß auch H e b a m m e n , etwa als „Verbrecherinnen" verfolgt, ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück k a m e n . Der Staude-Verlag (unter Leitung von Kurt Zickfeldt sen.) entwickelte sich nach 1933 quasi zum H a u s v e r l a g der Nationalsozialisten f ü r das H e b a m m e n w e s e n . Neben der H e b a m m e n - F a c h zeitschrift und N e u a u f l a g e des H e b a m m e n l e h r buchs (1943) erschienen zahlreiche Schriften zum H e b a m m e n w e s e n in nationalsozialistischer Gesinnung. In Folge des am 14. 7. 1933 in Kraft getretenen Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wurden H e b a m m e n dazu verpflichtet, sog. mißgestaltete Neugeborene zu melden. Auch wenn es Hinweise d a f ü r gibt, d a ß vereinzelt diese Meldepflicht umgangen wurde, leisteten hier H e b a m men entscheidende Z u a r b e i t zur Erfassung dieser Kinder, von denen über 5000 bis 1945 der sog. Kindereuthanasie zum O p f e r fielen.

tes und der Reinhaltung

deutschen

Blutes."

9

Sie sollte

diesbezüglich P r o p a g a n d i s t i n in den Familien sein.

Erbgu-

1936 f a n d der Internationale Hebammenkongreß in Berlin statt. Vor der O l y m p i a d e diente er als geeignete P r o p a g a n d a v e r a n s t a l t u n g des nationalsozialistischen Deutschlands vor intern a t i o n a l e m Publikum f ü r seine Frauen- und Gesundheitspolitik und zur B e k u n d u n g eines angeblichen Friedenswillens. 1938 w u r d e das Reichshebammengesetz verabschiedet. Es sah u. a. Niederlassungserlaubnis mit M i n d e s t e i n k o m m e n und Hinzuziehungspflicht der H e b a m m e zu jeder G e b u r t vor. In den Nachkriegsjahren ist das H e b a m m e n gesetz von 1938 als eine g r o ß e E r r u n g e n s c h a f t f ü r H e b a m m e n begriffen w o r d e n . Wenn auch die hier verankerte Selbständigkeit (durch H i n zuziehungspflicht und vorbehaltene Tätigkeiten), bei der Gesetzesnovelle 1985 mit Erfolg von H e b a m m e n verteidigt w u r d e , so darf doch nicht vergessen werden, d a ß das Gesetz von 1938 in seinem a u t o r i t ä r e n C h a r a k t e r und in Hinblick auf das generelle Berufsverbot für jüdische Hebammen zugleich auch ein menschenverachtendes war. N a c h d e m sich in den 50er J a h r e n in der Bundesrepublik die Klinikgeburt als die Regel durchsetzte, zeichnen sich in den letzten 15 Jahren, insbesondere durch Zunahme freiberuflicher Hebammen, gegenläufige Tendenzen ab. Im Engagement f ü r die Möglichkeiten u m f a s s e n d e r H e b a m m e n h i l f e jenseits des ärztlichen Anordnungsbereichs weisen erfolgreiche neue Projekte wie etwa die G e b u r t s h ä u s e r den Weg f ü r eine selbstbewußte H e b a m m e n g e n e r a t i o n .

L a u t H e b a m m e n g e s e t z soll die H e b a m m e

tionen des G e b u r t s v e r l a u f s frühzeitig e r k e n n e n , N e u -

„Frauen w ä h r e n d der S c h w a n g e r s c h a f t , G e b u r t u n d

g e b o r e n e versorgen, den W o c h e n b e t t v e r l a u f ü b e r w a -

d e m W o c h e n b e t t R a t erteilen u n d die n o t w e n d i g e Für-

chen u n d eine D o k u m e n t a t i o n über den G e b u r t s v e r -

sorge g e w ä h r e n , n o r m a l e G e b u r t e n leiten, K o m p l i k a -

lauf a n f e r t i g e n . "

In der A u s b i l d u n g u n d in Schulungen lernte die d e u t s c h e H e b a m m e n u n , d a ß sie b e r u f e n sei, „ . . . mitzuhelfen

bei der Ausmerzung

minderwertigen

1.2 Heutiges Berufsbild 1.2.1 Arbeitsbereiche Christine Geist

10

1. Berufsbild S c h ü l e r i n n e n ; Einsatz- u n d D i e n s t p l ä n e erstel-

Die Hebamme übt ihre Tätigkeiten aus als: • angestellte Hebamme im Krankenhaus • freiberuflich tätige Hebamme • angestellte und freiberuflich tätige Hebamme • in anderen Arbeitsbereichen.

len,

Stationsbesprechungen,

mit

Krankenhausverwaltung,

Zusammenarbeit Pflegedienstlei-

tung und Chefarzt der Geburtshilfe. D i e A u s w a h l v o n B e w e r b e r i n n e n für die A u s b i l d u n g , Briefverkehr mit B e h ö r d e n u n d anderen Institut i o n e n s o w i e B ü r o t ä t i g k e i t n e h m e n viel Z e i t in A n s p r u c h , b e s o n d e r s , w e n n die Klinik k e i n e Schulsekre-

Angestellte Hebamme im Krankenhaus Im K r a n k e n h a u s g i b t es v e r s c h i e d e n e A r b e i t s b e reiche f ü r H e b a m m e n , die b i s l a n g w e d e r v o n ihr selbst n o c h v o n d e r P f l e g e d i e n s t l e i t u n g ausreic h e n d g e n u t z t w e r d e n , z. B. in d e r (Schwangerenberatung),

auf

der

Ambulanz präpartalen

Station oder der Wochenstation. Im folgenden w e r d e n einige Arbeitsbereiche vorgestellt: • Kreißsaalhebamme: Die T ä t i g k e i t e n in d e n E n t b i n d u n g s r ä u m e n sind b e k a n n t u n d w e r d e n hier n i c h t weiter e r l ä u t e r t . D i e sehr geringen A u f s t i e g s m ö g l i c h k e i t e n sind im A b s c h n . 11.2.2 S. 5 1 1 ff. b e s c h r i e b e n . • Leitende Kreißsaalhebamme: aufgaben

Organisations-

(z. B. M a t e r i a l b e s c h a f f u n g ,

mentenbestellung,

Medika-

Reparaturaufträge),

Dienst-

p l ä n e erstellen, f a c h l i c h e F o r t b i l d u n g u n d regel-

tärin beschäftigt.

Eine L e h r h e b a m m e ist meist fest angestellt, o d e r sie a r b e i t e t als freie D o z e n t i n a n Kranken-, Kinderkrankenpflege- oder

einer

Hebam-

m e n s c h u l e . Die Bezahlung erfolgt d a n n p r o Unt e r r i c h t s s t u n d e (45 M i n . ) , d a s D o z e n t e n h o n o r a r wird von der zuständigen jedes

Bundeslandes

Gesundheitsbehörde

festgelegt

und

ist

unter-

schiedlich h o c h . • Sonderwachen: Ein S o n d e r w a c h e n v e r t r a g m i t einem

Krankenhaus

ermöglicht

es d e r

Heb-

a m m e , sehr „ d o s i e r t " zu a r b e i t e n . I m Vertrag sind V e r g ü t u n g u n d rechtliche A b s i c h e r u n g geregelt. Die H e b a m m e w i r d v o m

Krankenhaus

a n g e f o r d e r t , s o b a l d Kolleginnen a u s f a l l e n . Bes o n d e r s H e b a m m e n , die sich ein S t u d i u m f i n a n zieren, H a u s h a l t u n d K i n d e r zu v e r s o r g e n h a b e n o d e r f r e i b e r u f l i c h in der Vor- u n d N a c h s o r g e tätig sind, a r b e i t e n g e r n e so.

m ä ß i g e D i e n s t b e s p r e c h u n g e n g e h ö r e n zu i h r e m A u f g a b e n b e r e i c h . Je n a c h G r ö ß e d e r A b t e i l u n g s c h r ä n k t dies ihre T ä t i g k e i t im g e b u r t s h i l f l i c h e n Bereich ein. Eine W e i t e r b i l d u n g z u r

leitenden

Freiberuflich tätige Hebamme

H e b a m m e sollte im eigenen u n d im Interesse d e r

A r b e i t s g e s t a l t u n g u n d - a u f w a n d k a n n n a c h Nei-

Kolleginnen V o r a u s s e t z u n g sein (s. S. 1 2 f . ) .

g u n g , b e s o n d e r e n F ä h i g k e i t e n u n d finanzieller

• H e b a m m e auf der Wochenstation. D u r c h ihre

N o t w e n d i g k e i t g e w ä h l t w e r d e n . Vor A u f n a h m e

f a c h l i c h e K o m p e t e n z k a n n sie M u t t e r u n d K i n d

einer f r e i b e r u f l i c h e n Tätigkeit m ü s s e n eine Mel-

betreuen

Be-

d u n g beim Amtsarzt (Gesundheitsamt) erfolgen

t r e u u n g im W o c h e n b e t t g e h ö r t zu d e n v o r b e h a l -

und organisatorische Vorbereitungen getroffen

tenen T ä t i g k e i t e n d e r H e b a m m e .

w e r d e n (s. S. 525).

(s. A b s c h n . 6.1, S. 2 8 0 ff.). D i e

• Lehrhebamme, Schulleitung (leitende Lehr-

Arbeitsbereiche sind:

Schwangerenvorsorge,

hebamme): V o r a u s s e t z u n g ist eine m i t P r ü f u n g

Beratung und Betreuung,

Geburtsvorbereitung,

a b g e s c h l o s s e n e W e i t e r b i l d u n g . Die A r b e i t in d e r

Schwangerenschwimmen,

Säuglingspflegekurse,

H e b a m m e n s c h u l e ist vielfältig. D a z u g e h ö r t : u n -

G e b u r t s b e t r e u u n g z u h a u s e o d e r in einer H e b -

terrichten

(theoretische

Dozen-

a m m e n - bzw. A r z t p r a x i s , Ü b e r w a c h u n g im W o -

t e n a u s w a h l , S t u n d e n p l ä n e erstellen, U n t e r r i c h t s -

c h e n b e t t m i t B e t r e u u n g des K i n d e s u n d R ü c k b i l -

vorbereitung, Medienbeschaffung, Prüfungsvor-

dungsgymnastik.

b e r e i t u n g u n d - d u r c h f ü h r u n g usw., s o w i e die

o d e r mit Kolleginnen in u n t e r s c h i e d l i c h e r F o r m

Praxisanleitung

zusammen arbeiten.

(praktische

Ausbildung),

Ausbildung)

der

Die

Hebamme

kann

allein

1.2 H e u t i g e s B e r u f s b i l d

• Hebammengemeinschaftspraxis. Dies ist ein Zusammenschluß von ca. 2—3 Hebammen, die gleichberechtigt miteinander arbeiten und sich gegenseitig vertreten. Der Vorteil liegt in der gemeinsamen Nutzung von Räumen, Apparaten, Materialien (Teilung der Betriebskosten) und der Arbeitsaufteilung (freie Tage sind planbar durch gegenseitige Vertretung). Die Geburten können in den Praxisräumen oder im Haus der Frau stattfinden. Außerdem sind die Angebote (z. B. Säuglingspflegekurs, Schwangerenschwimmen) an die werdenden Eltern größer, da jede Hebamme einen Bereich übernehmen kann. • Hebammenpraxis: Eine Hebamme ist Arbeitgeberin und stellt andere Hebammen ein. Im Arbeitsvertrag sind wie üblich Arbeitszeit, Tätigkeit und Gehalt festgelegt. Die Leistung, die die angestellten Hebammen erbringen, werden von der Praxisbesitzerin mit den Krankenkassen abgerechnet. • Geburtshäuser: Ähnlich wie bei der Hebammengemeinschaftspraxis arbeiten mehrere Hebammen gleichberechtigt miteinander. Die Geburten finden im Geburtshaus statt, im Wochenbett wird die Frau zuhause betreut. Ein Geburtshaus kann als gemeinnütziger Verein eingetragen und mit öffentlichen Geldern gefördert werden, wenn ein allgemein zugängliches Beratungs- und Informationsangebot besteht. • Belegkrankenhaus: Die Beleghebamme arbeitet im Krankenhaus, Vertragspartner ist der Krankenhausträger, der oft auch Verträge mit Belegärzten (niedergelassene Gynäkologen) hat. Die Hebamme betreut und entbindet die Frauen, der Arzt wird meist nur zur Geburt gerufen. Beide rechnen getrennt mit der zuständigen Krankenkasse der Frau ab. Da stets mehrere Hebammen in einem Belegkrankenhaus arbeiten, gibt es feste Dienstpläne (Schichtdienst und Rufbereitschaft). Kommt eine Frau zur Entbindung, wird die zuständige Hebamme gerufen. Dies bedeutet für die Frauen, daß sie sich „ihre" Hebamme nicht aussuchen können (Einzelabsprachen sind jedoch üblich). Der Vertrag mit dem Belegkrankenhaus sollte einen Paragraphen über Versicherungsschutz und Haftung der Hebamme enthalten.

11

Beim B D H in Karlsruhe k a n n m a n einen M u s t e r vertrag a n f o r d e r n , der in Z u s a m m e n a r b e i t v o m niedersächsischen Sozialministerium u n d d e m B D H entwickelt w u r d e .

Angestellt und freiberuflich tätige Hebammen Diese Hebammen arbeiten voll- oder teilzeitbeschäftigt in einem Krankenhaus. Die freiberufliche Nebentätigkeit muß beim Arbeitgeber beantragt und genehmigt sein, auch wenn sie nur stundenweise anfällt. Der Arbeitgeber kann eine Zustimmung nur zurücknehmen, wenn die Arbeit im Krankenhaus davon beeinträchtigt wird. Angestellte H e b a m m e n müssen sich f ü r die Freiberuflichkeit bei der Berufsgenossenschaft (BGW) zur Berufsunfallversicherung

anmelden

und

versichern

(s. S. 526). Sie w e r d e n , d a sie neben ihrer angestellten Tätigkeit E i n k o m m e n h a b e n , zur

Einkommensteuer

veranlagt.

Hebammen in anderen Arbeitsbereichen A n d e r e Arbeitsbereiche sind der

Sozialmedizinische

Dienst (Familienplanung), R e t t u n g s d i e n s t („Storchenw a g e n " , z. Z t . n u r in Berlin), p r o Familia, A r z t p r a x e n u n d verschiedene M o d e l l p r o j e k t e (z. B. Familienheba m m e Bremen, H e b a m m e n p r o j e k t Emsland).

Hier werden soziale Aufgaben, Beratungen und Betreuungen von Familien rund um die Geburt und darüber hinaus übernommen. Bei der Vertragsgestaltung muß die Hebamme darauf achten, daß Berufsbezeichnung, Tätigkeit und Bezahlung im Vertrag genannt werden. Hebammen in Arztpraxen sind keine Arzthelferinnen, auch wenn sie deren Arbeit mit ausführen. Innerhalb der Berufsverbände können Hebammen vielfältige Aufgaben übernehmen: • Im Landesverband als Schriftführerin, Kassenführerin, stellvertretende Vorsitzende und Vorsitzende. In manchen Landesverbänden gibt es auch eine Stillberaterin. Es werden meist nur eine geringe Aufwandsentschädigung und Spe-

12

1. Berufsbild

sen bezahlt, je nach den finanziellen Mitteln, über die der Landesverband verfügt (abhängig von der Mitgliederzahl).

tarifvertrag BAT Nr. 7 Sonder-Regelung (SR) 2 a wie folgt festgeschrieben:

• Im Bundesverband des B D H gibt es ähnliche Aufgabenbereiche, einige k ö n n e n n u r h a u p t a m t lich bewältigt werden.

sung und im R a h m e n des P e r s o n a l b e d a r f s des Arbeit-

Z . B. b e a n t w o r t e t eine H e b a m m e als M i t a r b e i t e r i n der Geschäftsstelle berufsspezifische Fragen (Probleme mit der K a s s e n a b r e c h n u n g etc.), gibt B e r u f s i n f o r m a tion an Bewerberinnen u n d erteilt der Presse A u s k u n f t .

Die Präsidentin h a t vielfältige A u f g a b e n , die eine Berufstätigkeit „ n e b e n h e r " nicht erlauben.

1.2.2 Fort- und Weiterbildung, Studium Ulrike Härder Fortbildung ist f ü r jeden im Medizinalberuf Tätigen n o t w e n d i g , um auf dem aktuellen Wissensstand zu sein. In mehreren Bundesländern wird in den B e r u f s o r d n u n g e n f ü r H e b a m m e n regelmäßige Fortbildung vorgeschrieben. Dazu gehören das Lesen von Fachliteratur (Zeitschriften, Bücher) sowie die Teilnahme an Seminaren, Tagungen, Kongressen und Vorträgen mit folgenden Angeboten: • Neue

Erkenntnisse

in der Geburtshilfe z. B.

Fachvorträge bei H e b a m m e n -

und

Ärztekon-

gressen sowie an H e b a m m e n s c h u l e n •

Vertiefung

zur

von Spezialwissen

Geburtsvorbereitung,

z. B. Seminare

Wochenbettbetreu-

ung, H o m ö o p a t h i e , Trauerbegleitung, etc. und Mentorinnenkurse • Reßektion

der eigenen

Arbeit

z. B. Fallbe-

sprechungen bei Diensttreffen der geburtshilflichen Abteilung sowie Supervisions- und BalintGruppen

mit

geschulter

berufsrelevante

etc. auf

Dienstbefreiung

a) d e m

Angestellten, soweit er freigestellt

m u ß , f ü r die n o t w e n d i g e Fort- o d e r

werden

Weiterbil-

dungszeit die bisherige Vergütung (§ 26) fortgezahlt u n d b) die Kosten der Fort- o d e r Weiterbildung getragen.

Wenn also der Arbeitgeber durch die Fortoder Weiterbildung des Angestellten einen N u t zen hat, m u ß er Dienstbefreiung und Kostenü b e r n a h m e g e w ä h r e n . (Dies gilt z. B. f ü r alle innerbetrieblichen Fortbildungen und regelmäßige Dienstbesprechungen.) Für eine ein- bis mehrtägige Fortbildung k a n n beim Arbeitgeber auch Bildungsurlaub nach d e m im jeweiligen Bundesland gültigen Bildungsurlaubsgesetz b e a n t r a g t werden (jedoch keine Kostenübernahme). Ist eine Freistellung aus dienstlichen G r ü n d e n nicht möglich, k a n n der Arbeitgeber den A n t r a g ablehnen. Der Besuch einer Fortbildung bietet immer einen Blick über den klinikinternen „Tellerrand" und wertvolle Austauschmöglichkeiten mit Kolleginnen. Dies kann die eigene Berufszufriedenheit fördern, ein „Freizeit- und Geldverlust" wird dadurch meist ausgeglichen. Weiterbildung dient der a u f b a u e n d e n Qualifizierung und Spezialisierung im Beruf. H e b a m m e n mit mindestens 2—3jähriger Berufspraxis können in einer Weiterbildung durch organisiertes Lernen in einem Vollzeit- oder berufsgleitenden Lehrgang über 1/2 bis 3 J a h r e fachbezogenes,

Die Weiterbildung m u ß an einer von der zuständigen Landesgesundheitsbehörde a n e r k a n n -

träge zur Neonatologie, R e a n i m a t i o n , Hygiene Anspruch

Arbeitgeber

Themen

er- und C o m p u t e r s e m i n a r e f ü r H e b a m m e n , Vor-

Der

A n s p r ü c h e gegen a n d e r e Kostenträger bestehen, v o m

theoretisches Wissen und praktische Fertigkeiten erlernen.

z. B. Veranstaltungen des Berufsverbandes, Steu-

Kostenübernahme

gebers fort- o d e r weitergebildet, w e r d e n , sofern keine

Be-

psychologischer

gleitung • Einblick in andere

(1) W i r d ein Angestellter im Pflegedienst auf Veranlas-

und

wird im Bundesangestellten-

ten Weiterbildungsstätte erfolgen und endet mit einer A b s c h l u ß p r ü f u n g , die der Absolventin erlaubt, ihrer Berufsbezeichnung H e b a m m e , eine Weiterbildungsbezeichnung hinzuzufügen: z. B. Stationsleitung, Lehrhebamme, Hygienefachkraft.

1.2 Heutiges Berufsbild

• Eine Weiterbildung zur leitenden Hebamme im Kreißsaal oder auf einer Wochenstation dauert meist 1/2— 1 J a h r (Vollzeit oder berufsbegleitend). Die Lehrgänge zur Leitung einer Station oder Abteilung werden gemeinsam für Kranken-, Kinderkrankenschwestern, Hebammen und Altenpflegerinnen angeboten. • Eine Weiterbildung zur Lehrhebamme dauert heute an allen Weiterbildungsstätten 2 Jahre (Vollzeit) oder länger (berufsbegleitend). Auch diese Lehrgänge finden gemeinsam mit examiniertem Pflegepersonal anderer Berufsgruppen statt. Nur von der Berliner Senatsverwaltung wurden von 1985 — 1992 regelmäßig einjährige „Lehrgänge zur Heranbildung von Hebammen zu Lehrkräften" angeboten.

Träger von Weiterbildungsstätten sind z. B. Schwesternverbände, Gewerkschaften sowie gemeinnützige, konfessionelle und private Vereine. Je nach Weiterbildungsstätte variieren Theorieund Praktikumsanteile, Lehrpläne und Lehrgangskosten. N u r wenn der angebotene Lehrgang vom Arbeitsamt am Lehrgangsort als förderungswürdig nach Arbeitsförderungsgesetz (AFG) anerkannt ist, kann eine Lehrgangsteilnehmerin bei ihrem zuständigen Arbeitsamt die Erstattung der Lehrgangskosten und ein monatliches Unterhaltsgeld (Darlehen, ca. 5 0 % des letzten Nettogehaltes) beantragen. In Einzelfällen wird auch aus gesundheitlichen G r ü n d e n (z. B. Rückenleiden, allergische Hauterkrankungen) eine Weiterbildung als Umschulungsmaßnahme gefördert. Leistungen nach dem AFG wurden 1993 durch Anweisung der Bundesanstalt für Arbeit stark eingeschränkt, so daß die Finanzierung der 2 Lehrgangsjahre (ca. 30 000 D M pro Teilnehmerin) zur Zeit ungewiß ist. Jede interessierte Kollegin muß versuchen, eine Kostenübernahme durch ihren momentanen bzw. zukünftigen Arbeitgeber zu erreichen (nach BAT Nr. 7 SR 2 a).

Studium: Um eine höhere Qualifizierung (und Bezahlung) leitender Pflegekräfte und Lehrerinnen an medizinischen Fachschulen (z. B. Hebammenschulen) zu erreichen, werden seit kurzem von mehreren Bundesländern Studiengänge

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an Universitäten oder Fachhochschulen (Fächer: Pflegemanagement und Pflegepädagogik) eingerichtet. In der ehemaligen DDR war es Hebammen seit Jahren möglich, in Vollzeit oder berufsbegleitend (Fernstudium) ein Medizinpädagogik-Studium zu absolvieren, mit dem akademischen Abschluß DiplomMedizinpädagogin (Humboldt-Universität Berlin, Martin-Luther-Universität Halle).

Jedes Bundesland kann individuell entscheiden, o b und w o (Fachhochschule oder Universität) solch ein Studiengang eingerichtet wird. Daher sind Studienvoraussetzungen, -dauer und -abschluß sehr unterschiedlich. Eine Übersicht der derzeitigen Studienangebote wird vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK-Bundesverband, Hauptstr. 392, 65760 Eschborn) herausgegeben.

1.2.3 Hebammenforschung - Wissen ist Macht Jule Friedrich Woher wissen wir, ob wir die Frauen und Kinder „richtig" betreuen? Was ist die Basis unseres Wissens, unserer Praxis? Wie treffen wir Entscheidungen und wieso glauben wir, d a ß diese H a n d l u n g eher angemessen ist als eine andere? Niemand wird willentlich einer Frau schaden wollen, und doch haben wir z. B. lange Zeit geglaubt, d a ß eine Episiotomie besser sei als ein Riß. Durch H e b a m m e n f o r s c h u n g , durch wissenschaftliche Untersuchungen einer englischen H e b a m m e , ist dies nun widerlegt (Sleep, s. Lit. S. 22). Aber haben wir auch die M a c h t , durch dieses Wissen die klinische Praxis zu verändern? Um etwas verändern zu wollen, m u ß ich in unserer Gesellschaft gute G r ü n d e haben und belegen können, d a ß eine Methode effektiver ist als eine andere. Genaue Daten liefern bessere Argumente als nur die Aussage: „Ich glaube, d a ß Frauen vor der Geburt nicht vollkommen rasiert werden müssen." Kann ich die Quelle, d. h. O r t und J a h r der Veröffentlichung nennen (Romney, s. Lit. S. 22), und ist die Untersuchung valide, d. h. hält sie wissenschaftlichen Kriterien stand,

14

1. Berufsbild

kann ich sagen: „Ich weiß, daß Gebärende nicht vollkommen rasiert werden sollten." Ich kann dann entsprechend handeln und Frauen diese Maßnahme ersparen. Gegenwärtig beruhen die Kenntnisse von Hebammen auf einer Mischung aus Erfahrung, Routine, Intuition, Tradition, Krankenhauspolitik und von Ärzten geschriebenen Lehrbüchern. Ein von Hebammen geschriebenes Hebämmenlehrbuch ist ein wichtiger Schritt, um die Definitionsmacht über unser Wissen zurückzuerobern und damit die Professionalisierung unseres Berufes zu erreichen.

Ansätze moderner Forschungstätigkeit durch Hebammen Hebammen waren an der Entstehung der wissenschaftlichen Geburtshilfe nur indirekt beteiligt (s. S. 3). Im Mittelalter gaben Hebammen und weise Frauen ihre Erfahrungen mündlich weiter, darum ist dieses Wissen zum großen Teil verlorengegangen. Da wir heute lesen und schreiben können, sollten wir in einem ersten Schritt hin zu wissenschaftlichem Arbeiten unser empirisches Wissen sammeln und dokumentieren. Ein detailliert geführtes Geburtenbuch oder eine ausführliche Wochenbettdokumentation ermöglichen retrospektive, also zurückschauende Untersuchungen. So haben Hebammenschülerinnen in Tübingen mit Hilfe des Geburtenbuchs eine solche Studie über den Zusammenhang von Gebärpositionen und Geburtsverletzungen durchgeführt. Sie fanden ihre Hypothese bestätigt, daß die vertikale Gebärposition die Häufigkeit bzw. Schwere von Geburtsverletzungen reduziert und konnten somit ein Argument gegen eine aufrechte Gebärhaltung entkräften. In der Praxis und aus Neugierde entstehen die besten Forschungsfragen. Wissenschaftlich Arbeiten heißt, diese Fragen systematisch zu formulieren und das zur Beantwortung dieser Fragen vorhandene Wissen auszuwerten. Viele für unsere Arbeit relevanten Informationen finden sich in Bibliotheken und in Datenbanken. Der

Wegweiser für Hebammen „Wie komme ich an wissenschaftliche Literatur?" gibt einen guten Überblick über deutschsprachige und englische Informationsquellen (s. Lit. S. 22). Das Benutzen von Bibliotheken und Datenbanken ist am Anfang mühsam, aber es lohnt sich und macht Spaß, denn wir entdecken, daß vieles schon längst erforscht worden ist: z. B., daß Routinemaßnahmen wie Einlauf, Rasur, Dauer-CTG, Episiotomie, tiefes Absaugen des Neugeborenen, Methergingabe p. p. und Zufüttern von gestillten Säuglingen nach dem gegenwärtigen Forschungsstand aufgegeben werden sollten. Jede Forschungsarbeit spiegelt den aktuellen Wissensstand wider, und es gibt keine endgültigen Antworten. Unsere Aufgabe ist es, möglichst nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu handeln. Englischsprechende Kolleginnen sind dabei im Vorteil, weil es in G r o ß b r i t a n n i e n D a t e n b a n k e n (z. B. M I DIRS) u n d eine M e n g e erstklassiger Veröffentlichungen gibt, die speziell von u n d für H e b a m m e n konzipiert w u r d e n , u n d weil die W i s s e n s c h a f t s s p r a c h e englisch ist.

In Deutschland ist im April '94 die dritte Ausgabe des ,Hebammenliteraturdienst' erschienen.

Wissenschaftliche Texte kritisch lesen Z u m wissenschaftlichen Arbeiten gehört, die Untersuchungen, die meist in Form von Artikeln in medizinischen Zeitschriften erscheinen, kritisch zu lesen: Wann, wo und von wem wurde die Studie durchgeführt, welche Hypothese wurde aufgestellt, welche Methode wurde angewandt, wie groß war die Stichprobe, erfolgte — bei einer experimentellen Studie — eine randomisierte, d. h. zufallsgesteuerte Gruppenzuweisung zu Experiment- und Kontrollgruppe, welche Ergebnisse gibt es? Der Abstract, die kurze Zusammenfassung des Artikels, gibt über diese Fragen Auskunft und ermöglicht nach einiger Übung zu entscheiden, ob es sich lohnt, den ganzen Artikel zu lesen und ob die Untersuchung relevant ist für die Hebammenpraxis oder nicht.

1.2 Heutiges Berufsbild Die kritische Analyse ist notwendig, denn Erkenntnisse allgemein, also auch medizinische Erkenntnisse, sind nie wertfrei, sondern immer eingebunden in soziale und kulturelle Lebensweisen und Erkenntnisinteressen. Hebammenforschung muß daher die historischen, geschlechtsspezifischen und gesellschaftspolitischen Entstehungsbedingungen von Wissenschaft kritisch reflektieren. Die etablierte medizinische Wissenschaft betreibt in der Regel Forschung vom Standpunkt der Pathologie aus, sie ist auf der Suche nach der Abweichung (Krankheit) von der Norm (Gesundheit). Frauen hatten keinen Anteil an der Entstehung dieser wissenschaftlichen Methode, die im Prinzip auf einer Trennung von Körper und Seele, von untersuchendem Subjekt und untersuchtem Objekt beruht. Eine Trennung, die zu der Annahme geführt hat, es gäbe eine einzige und wahre Wirklichkeit, genannt ,Objektivität'. Die Subjektivität der untersuchten Frau, ihr kultureller und sozialer Lebenszusammenhang kommt in dieser rein naturwissenschaftlichen Forschung gar nicht mehr vor. Die einzigartige Position von Hebammen, an der Seite der Frauen, ermöglicht uns als Forscherinnen zu sehen, was für die Frauen und Neugeborenen gut, notwendig, schädlich, überflüssig oder hilfreich ist. Dieser Blick, gepaart mit der Anwendung systematischer Untersuchungsmethoden, befähigt uns, auf all diese Fragen Antworten zu finden, aber auch zu zweifeln, die eigene Handlung und Haltung zu reflektieren, Verantwortung zu übernehmen und sich nicht auf dem „Das haben wir schon immer so gemacht ..." auszuruhen. So waren es Hebammen, die einige der oben beschriebenen Routinemaßnahmen hinterfragten.

15

führen, sollten Hebammen ihre Qualitäten mit einbringen. Der beratende Ausschuß der EG-Kommission für die Ausbildung der Hebammen empfiehlt, die Forschung in die Ausbildung zu integrieren. Dadurch sollen zukünftige Hebammen in die Lage versetzt werden, Forschungsarbeiten kritisch zu beurteilen und im Bedarfsfall in ihrer klinisch-praktischen Tätigkeit anzuwenden. Forschungsergebnisse sollten in die Unterweisung von Hebammen einbezogen werden. Unsere neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung wird wissenschaftliches Arbeiten enthalten. In England und in einigen anderen Ländern wie Holland,

Schweden

oder

USA

ist

Hebammenfor-

schung seit einigen J a h r e n Bestandteil der Ausbildung.

Der Platz in diesem Kapitel reicht nicht aus, auf einzelne Schritte des Forschungsprozesses einzugehen. Dazu gibt es die „Anregung zum wissenschaftlichen Arbeiten für Hebammen in Ausbildung und Praxis", die als Einstieg und Orientierung dient und auch weiterführende Literatur enthält (s. Lit. S. 22). Die internationale Hebammenvereinigung (ICM) glaubt, daß die Entwicklung des Hebammenwissens und der -praxis essentiell ist für die Verbesserung der Gesundheit der Frauen und jungen Familien und auf einer Forschung basieren sollte, die die Rechte der Frauen und der Hebammen respektiert. Diese Forschung muß sowohl die Bewertung technischer Neuerungen als auch die physiologischen, psycho-sozio-kulturellen und spirituellen Aspekte der Gesundheit der Frauen einschließen.

1.2.4 Belastungen durch den Beruf Stephanie Wöste

Hebammenforschung Bestandteil der Ausbildung

Arbeitsbelastungen angestellter Hebammen

In interdiziplinären Forschungsprojekten, in denen die verschiedenen Sichtweisen, Arbeitsschwerpunkte und Fähigkeiten zu spannenden und sich gegenseitig befruchtenden Ergebnissen

Zu den wesentlichen Belastungsfaktoren der meisten Hebammen zählen: unterbesetzte Schichten, Wechseldienst mit ungünstigen Arbeitszeiten, Überstunden, Aufgabenzuwachs

16

1. Berufsbild

d u r c h Technik und Verwaltung, hierarchische, bürokratische Krankenhausstrukturen, hohe körperliche und seelische Beanspruchung. Die Belastungen werden an der hohen Z a h l Berufsaus- und -umsteigerinnen und an gesundheitlichen A u s w i r k u n g e n deutlich. Körperliche Beanspruchungen wirken sich vor allem im Bereich des Rückens und der Wirbelsäule aus. D a s jahrelange Leben gegen die „innere biologische U h r " im Schicht- und Nachtdienst zeigt f r ü h e r oder später nachweislich gesundheitliche Folgen, z. B. Schlafstörungen, Kreislauf- und MagenD a r m - E r k r a n k u n g e n sowie soziale A u s w i r k u n gen im Freizeit- und Privatleben. „Ausgleichsversuche" gegenüber diesen Belastungen d u r c h Kaffee, N i k o t i n , Alkohol u n d d u r c h M e d i k a m e n t e beginnen langsam und enden oft in der Sucht. In den letzten J a h r e n wird bei engagierten und motivierten Personen in psychosozialen Berufen das P h ä n o m e n des „ B u r n o u t " beschrieben, das „ A u s b r e n n e n " durch den Beruf, f ü r den m a n noch vor kurzem vor Begeisterung „ g e b r a n n t " hat. Angestellte H e b a m m e n scheinen besonders gefährdet, schon nach kurzer Berufsdauer ausgeb r a n n t zu sein: e m o t i o n a l erschöpft, im beruflichen U m g a n g miteinander verhärtet und von Zweifeln an den Fähigkeiten der eigenen Person durchsetzt. G e r a d e H e b a m m e n sind eine stark berufsmotivierte G r u p p e . Viele hochmotivierte Frauen drängen auf die wenigen Ausbildungsplätze in H e b a m m e n s c h u l e n und n e h m e n dabei mehrere Wartejahre in Kauf. Ca. 3 0 % beenden jedoch schon innerhalb der ersten 5 Berufsjahre wieder ihre L a u f b a h n (Schätzungen des B D H ) . Anhaltsp u n k t e f ü r die wesentlichen Ursachen dieser Berufsflucht sind fehlendes Personal, ungünstige Arbeitszeiten, Überstunden, A u f g a b e n a n h ä u fung, schlechte Bezahlung und m a n g e l n d e Aufstiegsmöglichkeiten. H e b a m m e n fühlen sich auch unzufrieden und belastet durch die in den meisten Kliniken bestehende D o m i n a n z der Ärzte, die ihnen hierarchisch überstellt sind. Sie vermissen die gesetzlich festgelegte Z u s t ä n d i g keit f ü r den n o r m a l e n G e b u r t s a b l a u f und fühlen sich im eigenverantwortlichen Arbeiten behindert. Sie beklagen die vorherrschende medizinisch-technische „Sicherheitsgeburtshilfe", die

im Gegensatz steht zu der von ihnen angestrebten ganzheitlichen, familienfreundlichen. Kompetenzgerangel mit Ärzten erzeugt ein spannungsreiches Arbeitsklima, u m s o belastender f ü r H e b a m m e n , da Frauen ein gutes soziales Klima im Beruf nachweislich wichtiger ist als M ä n n e r n . U m sich durch selbstbestimmteres Arbeiten mehr berufliche Erfüllung zu verschaffen, tendieren angestellte H e b a m m e n immer stärker zur freiberuflichen Neben- oder H a u p t t ä t i g k e i t .

Arbeitsbelastungen freiberuflicher Hebammen Freiberufliche H e b a m m e n bieten zur Zeit überwiegend Hilfe im Bereich Vor- und N a c h s o r g e an. N u r wenige leisten auch Hilfe bei H a u s oder Praxisgeburten. Die freiberufliche H e b a m m e ist zusätzlich betriebswirtschaftlichen Anf o r d e r u n g e n u n t e r w o r f e n : sie m u ß sich auf d e m „freien M a r k t " (neuerdings sogar unter zunehmenden Konkurrenzbedingungen) etablieren und b e h a u p t e n . Von ihrer Ausbildung her bringt sie selten betriebswirtschaftliche Qualifikationen mit und ist d a h e r vor allem in den ersten E x i s t e n z a u f b a u j a h r e n schwierigen Berufsbedingungen ausgesetzt. Eine 7-Tage-Woche o h n e feste Freizeitbereiche, lange A u t o f a h r t e n von Termin zu Termin, wenig fachlichen Austausch zu haben, zuviel alleine zu arbeiten, immer souverän, k o m p e t e n t und freundlich auftreten und auf einen guten Ruf bedacht sein zu müssen, an die Grenzen der eigenen Kompetenz zu stoßen, sich aber keine Fortbildung leisten zu k ö n n e n , das G e f ü h l , kein privates soziales Leben wie andere zu h a b e n , sind die Kehrseiten der freiberuflichen Tätigkeit. So selbstbestimmt und erfüllend die Arbeit der freiberuflichen H e b a m m e sein k a n n , sie ist begleitet von der Sorge um die existentielle Absicherung. Eine ausschließlich freiberuflich arbeitende H e b a m m e ist gezwungen, durch verm e h r t e Arbeitseinsätze ihr A u s k o m m e n zu suchen. Abgesicherter sind H e b a m m e n , die mit Institutionen wie Familienbildungsstätten verbunden sind und d o r t G e b u r t s v o r b e r e i t u n g s k u r s e

1.2 Heutiges Berufsbild etc. anbieten. Viele Hebammen wählen, wenn möglich, eine halbe Klinikstelle und ergänzende freiberufliche Tätigkeit. Das ist existentiell absichernd, berufliche Belastungen und Befriedigungen werden verteilt. Weniger Druck ausgesetzt sind nicht zuletzt vom Partner unterstützte Hebammen, die Hausfrau- und Muttertätigkeit mit Freiberuflichkeit verbinden können. Ihre Belastung liegt eher in der schwierigen Abgrenzung zwischen den verschiedenen Rollen, die sie für andere einnehmen (sollen). Bei Hausgeburt begleitenden Hebammen besteht neben größerer Verantwortung und Bereitschaft rund um die Uhr die Belastung, von Ärzten und Kliniken mißtrauisch beäugt, kontrolliert und gelegentlich diskriminiert zu werden.

17

amme) zu klären, organisatorische Gegebenheiten zu verändern. • Belastungsmindernd für freiberufliche Hebammen würde sich eine Ausbildung auswirken, die gezielter auf die freiberufliche Tätigkeit mit ihren betriebswirtschaftlichen Aspekten hin qualifiziert. Die Nachfrage nach besserer Schwangerschafts- und Wochenbettbegleitung durch Hebammen könnte durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit noch gesteigert werden. Konkurrenzsituationen durch mehr Freiberuflichkeit würde so entgegengewirkt. Nicht zuletzt können andere Organisationsformen wie Hebammenpraxen und Geburtshäuser Belastungen vermindern. Wege in Richtung Teamarbeit werden bereits beschritten. Das „ K n o w your m i d w i f e " — P r o g r a m m aus England ist ein Beispiel: Hier ist in einem W o h n b e z i r k ein

Ansätze zur Belastungsminderung Arbeitsbelastungen können durch aktives, gemeinschaftliches Engagement von Hebammen vermindert werden. Hebammen sollten ihre persönliche Belastung weniger als schicksalhafte Einzelsituation ansehen, sondern die typischen Belastungen ihres Berufsstandes und deren Auswirkungen erkennen. Hierzu müssen sie interessiert und gut informiert sein. Kommunikation und Aktivitäten in Gesprächskreisen, Supervisionsgruppen, Fortbildungsveranstaltungen, im Berufsverband oder anderen Interessenvertretungen sind hilfreich und notwendig. Das eigene körperliche und seelische Gleichgewicht muß gepflegt werden. Energiehaushaltung im Alltag durch Entspannung und soziale Beziehungen sind unerläßlich für den stark fordernden Beruf. • Wie für alle Pflegeberufe muß es auch für angestellte Hebammen zu Personalvermehrung, Schaffung von Teilzeitstellen und besserer Bezahlung kommen, und es müssen berufliche Aufstiegsmöglichkeiten angeboten werden. Um Arbeitszufriedenheit zu erreichen, muß es selbstbestimmtere, ganzheitliche Arbeitsplätze gerade in Kliniken geben. Dies bedeutet u. a., das Gespräch zu suchen mit Kolleginnen, Ärzten, Verwaltung, gemeinsame geburtshilfliche Leitlinien zu entwickeln, Kompetenzbereiche (Arzt-Heb-

kollegiales T e a m von 4 — 6 H e b a m m e n mit festen Arbeitszeiten vor, während und nach der G e b u r t tätig.

1.2.5 Ausbildung und Beruf in verschiedenen Ländern Dagmar Gorontzy Aus den „weisen Frauen" dereinst hat sich in Europa ein medizinisch hochqualifizierter Beruf entwickelt. In der Europäischen Union und anderen Ländern gibt es unterschiedliche Zulassungsmöglichkeiten und -bedingungen zur Ausbildung sowie andere Hebammenarbeitsbereiche. Im folgenden sind nur die Unterschiede zu Deutschland aufgezeigt: • Dänemark: Von Bewerberinnen für die Hebammenausbildung wird Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung mit mindestens 9monatiger Berufserfahrung gefordert. Die Bewerbung wird an die staatliche Erfassungsstelle für gehobenere Berufe gerichtet, die zentral die Zulassungen regelt. Nur 1 Schülerin von jährlich 10 wird von den beiden Schulen selbst ausgewählt. Seit einigen Jahren arbeiten die „Hebammenstudentinnen" vorwiegend mit einer Lehrhebamme in einer kleinen Einheit, dem sogenannten Hebammenzentrum. Nach jährlichen Klausuren in den Hauptfächern wird die Ausbil-

18

1. Berufsbild

dung mit dem jordemodereksatnen (Hebammenabschlußprüfung aus theoretischem und mündlichen Teil) abgeschlossen. Die praktische Note setzt sich aus der Leitung von Geburten, Berichten aus Pharmakologie, Kinderbetreuung, Psychologie und Geburtsvorbereitung zusammen. Die ausgebildeten Hebammen sind in Hebammenzentren und Kliniken angestellt. Es wird in einem Team im regelmäßigen Wechsel zwischen Ambulanz und Kreißsaal gearbeitet. Hebammen betreuen die Frauen mit regelrechter Schwangerschaft und Geburt selbständig, legen Infusionen an, schneiden und nähen Episiotomien; freiberufliche Kolleginnen gibt es nicht. Geburtsvorbereitungskurse müssen von den Frauen privat bezahlt werden. Zur Feststellung der Schwangerschaft, den vorgesehenen 3 Ultraschalluntersuchungen und bei Pathologien überweisen Hebammen die Schwangere zum Arzt. Post partum wird die Wöchnerin — ob in der Klinik oder zuhause — zweimal in 14 Tagen besucht, die tägliche Betreuung übernimmt eine Kinderkrankenschwester. • Finnland: Bis 1988 wurden nur Krankenschwestern mit ljähriger Praxis 9 Monate „weitergebildet". Die direkte Ausbildung zur Spezialkrankenschwester für Geburtshilfe und Frauenheilkunde dauert jetzt nach dem Abitur 3'/2 Jahre, sie beinhaltet eine 1jährige Allgemeinkrankenpflege und zweieinhalbjährige Spezialisierung. Realschulabgängerinnen müssen vorher eine 1jährige Allgemein- und Medizinalausbildung nachweisen. Die Ausbildungsinhalte konzentrieren sich auf die Hebammentätigkeit in der Vorsorge, da nur 3 Termine in der Schwangerschaft für den Facharzt vorgesehen sind. Im Kreißsaal ist nur bei Regelwidrigkeiten ein Arzt zugegen. Hebammen können sich zur Gesundheitsschwester weiterbilden, wobei sie dann in Mütterberatungszentren, Familienplanung, Krebsvorsorge, Ehe- oder Sozialberatung arbeiten. Die finnischen Frauen gehen üblicherweise zu ihren Hebammen. Den Facharzt suchen sie nur bei Regelwidrigkeiten auf. Männliche Absolventen der Spezialausbildung arbeiten weder im Kreißsaal noch in den Beratungszentren, sondern vorwiegend im gynäkologischen OP.

• Frankreich setzt ein naturwissenschaftliches Abitur oder die Krankenpflegeausbildung voraus. Bewerberinnen unter 25 Jahren benötigen eine 5jährige naturwissenschaftlich oder sozialorientierte Berufserfahrung. Medizinstudentinnen können sich nach ljährigem Studium bewerben. Anfragen werden an das Gesundheitsamt gerichtet, das auch die Ausbildung überwacht. Diese dauert 4 Jahre mit jährlichen Zwischenprüfungen. Ein „Rat der Perfektionierung" aus Hebammen, Medizinprofessoren, Mitgliedern des Gesundheits- und Bildungsministeriums und Verwaltung entscheidet, wer Hebammen ausbilden darf und überwacht Ausbildung und Abschlußprüfung. Mit dem diplöme de sage-femme lassen sich verschiedene andere Studiengänge verkürzen. Ein kleiner Teil (ca. 4 % ) arbeitet im staatlichen Gesundheitssystem und betreut frühentlassene oder sozial schwache Frauen, die nicht ausreichend krankenversichert sind. 11% der Hebammen arbeiten freiberuflich, z. B. im Bereich der Familienplanung. Hier gehört auch das Einlegen von Intrauterinspiralen zu ihren Aufgaben. • Griechenland: Die Kandidatinnen bewerben sich bei der Hebammenschaft ihres jeweiligen Bezirkes. Die Ausbildung findet 3 1/2 Jahre an einer der beiden Fachhochschulen, die an technische Universitäten angeschlossen sind, statt. Die ersten 6 Semester teilen sich wöchentlich in 2 Tage Theorie und 3 Tage Praxis auf, die vorwiegend von Lehrhebammen begleitet werden. Das ausschließlich klinische 7. Semester enthält Wahl- und Pflichtfächer und wird erstmals bezahlt. Die Domäne der griechischen \iaia liegt auf den Inseln oder in abgelegenen Gegenden, wo sie nach 1 Jahr Praxis freiberuflich tätig sind. Wie in anderen Ländern gibt es in GR keine Hinzuziehungspflicht der Hebammen, so daß in den Ballungsgebieten die Geburten zu 95% von Ärzten geleitet werden. Hebammentätigkeit beschränkt sich vorwiegend auf die Vorsorge. • Großbritannien: Es wird 3jährig ausgebildeten Krankenschwestern, nach positiver Beurteilung ihrer Krankenpflegeschule, eine 18monatige Zusatzqualifizierung angeboten. Die direkte

1.2 Heutiges Berufsbild Hebammenausbildung konnte 1989 von der Association of Radical Midwives und dem Royal College of Midwives vor dem Aus bewahrt werden, nachdem damals nur noch eine Hebammenschule für diese Ausbildung existierte. An einigen Schulen ist ein halbes Jahr Sozialausbildung, eine Art Praktikum bei einer freiberuflichen Hebamme oder Sozialarbeiterin vorgesehen. Die meisten englischen Frauen mit regelrecht verlaufender Schwangerschaft werden ambulant von Hebammen und praktischen Ärzten betreut; Risikoschwangere im Krankenhaus oder in „periphical clinics" (Gesundheitszentren) von Hebammen und Gynäkologinnen. Die Leitung regelrechter Geburten obliegt zu 7 5 % den Hebammen, die auch Episiotomien selbst schneiden und nähen. Die Ausführung einer Augenblenorrhoeprophylaxe ist ihnen jedoch untersagt. • Irland: Krankenschwestern werden in 2 Jahren zur Hebamme ausgebildet. Sie benötigen 2 Bürgschaften nichtverwandter Personen, welche die Bewerberin länger als 10 Jahre kennen. Das „An Bord Altranais" verleiht das Certificate in Midwifery. Die Hebammentätigkeiten außerhalb der Klinik beschränken sich auf Geburtsvorbereitung und vereinzelt auch Nachsorgen. • Italien: Seit 1990 gibt es die direkte 3jährige Hebammenausbildung an einer Universität, allerdings mit Zulassungsbeschränkung (NC). Außerhalb des Kreißsaals arbeiten einige Hebammen in der Schwangerenvorsorge (ohne Schwangerschaftsbescheinigungen ausstellen zu dürfen), Geburtsvorbereitung und Gesundheitszentren. Aufgrund der Ökologiebewegung nimmt die Nachfrage nach Hebammen in allen Arbeitsbereichen (inklusive Hausgeburten) und ihre Anzahl zu. Nach Klinikgeburten werden die Entbundenen von Krankenschwestern oder Sozialarbeiterinnen betreut. Nur bei Hausgeburten oder in Einzelfällen (z. B. nähere Bekanntschaft mit einer Hebamme) wird die Wöchnerin von einer ostetrica versorgt. • Luxemburg: Bewerbungen von Krankenschwestern, die die deutsche und französische Sprache beherrschen müssen, werden von der einzigen Hebammenschule oder dem Gesund-

19

heitsministerium angenommen, das auch die Zulassung nach Angebot, Nachfrage und Warteliste regelt. In den letzten Jahren gab es 8 Ausbildungsgänge mit durchschnittlich 4 Schülerinnen. Hebammen dürfen keine Schwangerenvorsorge durchführen, ihre Betreuung wird aber immer mehr in Anspruch genommen, obwohl die Geburtsvorbereitung von den Schwangeren selbst bezahlt werden muß. In dem bestehenden Belegarztsystem werden die meisten Geburten von Ärzten und lediglich ein Drittel von Hebammen geleitet. Hausgeburten gibt es nicht. 1990 waren 46 Hebammen, darunter eine freiberufliche, tätig. • Niederlande: Die Bewerberinnen müssen mindestens 19 Jahre alt sein. Zur Aufnahmeprüfung gehören die Fächer Biologie, Chemie und Englisch. Zum Teil werden zusätzlich psychologische Eignungstests durchgeführt. Die Ausbildung dauert 4 Jahre, die Hälfte der Ausbildungszeit ist physiologischen Vorgängen vorbehalten. Jährliche Zwischenprüfungen sind zu bestehen, sonst muß das Ausbildungsjahr wiederholt werden. 8 0 % der Hebammen arbeiten freiberuflich und überweisen die zu Betreuenden nur bei Regelwidrigkeiten in der Schwangerschaft zum Facharzt oder unter der Geburt in die Klinik. Die Rücküberweisung vom Facharzt zur verloskundige erfolgt, wenn die Regelwidrigkeiten behoben sind. Bei den Hausgeburten (etwa ein Drittel) steht ihnen eine Wochenpflegerin zur Seite und für den Notfall ein Krankenwagen bereit. Die Nachsorge übernimmt die Wochenpflegerin unter fachlicher Überwachung der Hebamme. • Österreich: Das neue Hebammengesetz von 1994 verlangt die Matura (Abitur) zur 3jährigen Ausbildung. Freiberuflichkeit bedarf keiner Zulassungserlaubnis mehr, und die Hinzuziehungspflicht ist wie in Deutschland geregelt. • Portugal: Krankenschwestern benötigen nicht nur eine 2jährige Berufserfahrung, sondern zusätzlich ein Gesundheitszeugnis (Wirbelsäule, Knie, Gehör) und spezialisieren sich innerhalb von 2 Jahren zur Fachschwester für Mutterschaft und Geburshilfe. Eine Portugiesin kann 36 Termine in der Schwangerschaft in Anspruch

20

1. Berufsbild

nehmen, die Vorsorge und Geburtsvorbereitung beinhalten. Hier und im Kreißsaal liegt das Tätigkeitsfeld der Fachschwester. Sie ist bei physiologisch verlaufenden Geburten, meist ohne CTG-Kontrolle, auch für das Schneiden und N ä h e n der Episiotomie verantwortlich. Die angestellten Fachschwestern betreuen nach 48 Stunden die Wöchnerinnen zuhause weiter. Ihr Aufgabengebiet erstreckt sich auch auf die Familienplanung. • Schweiz: Eine direkte, 3jährige H e b a m m e n ausbildung gibt es seit 1980 an 5 H e b a m m e n schulen. Für Kandidatinnen aus Pflegeberufen wird eine Zusatzausbildung zur H e b a m m e von 1 1/2 Jahren an 2 Schulen angeboten. Die schweizer diplomierten H e b a m m e n streben eine 4jährige Ausbildung an. Freiberufliche H e b a m mentätigkeit in der Hausgeburtshilfe und Nachsorge wird von den Krankenkassen mit einer Pauschale vergütet, Schwangerenvorsorge und

Geburtsvorbereitungskurse hingegen meist nicht, so d a ß diese von den Frauen selbst bezahlt werden müssen (unterschiedliche Regelungen zur H e b a m m e n k o m p e t e n z in den Kantonen). • Spanien: Rivalität zwischen Krankenschwestern und H e b a m m e n , die sich auf EG-Richtlinien beriefen, f ü h r t e dazu, d a ß 1986 die gesonderte 2jährige Zusatzausbildung für Krankenschwestern zur „Fachschwester f ü r Gynäkologie und Geburtshilfe" abgeschafft wurde. Erst seit 1993 gibt es wieder eine direkte H e b a m m e n a u s bildung. 60% der H e b a m m e n , die wieder matrona genannt werden wollen, arbeiten in Krankenhäusern, 30% in Gesundheitszentren und k a u m 10% freiberuflich. In ländlichen Bereichen obliegt ihnen die Nachsorge bis zum 15. Tag post partum; bei Regelwidrigkeiten im Wochenbett bis zum 28. Tag. Familienplanung beinhaltet nicht nur Beratungstätigkeit, sondern auch das Anpassen von Diaphragmen.

1.3 Hebammenberufsverbände Simone Kirchner

1.3.1 Bund Deutscher Hebammen e. V. (BDH) H e b a m m e n v e r b ä n d e gibt es seit über 100 Jahren mit verschiedenen N a m e n . In jüngster Vergangenheit (1980) wurde unter dem Vereinsnamen Bund Deutscher Hebammen e. V. (BDH) der kleine Verein BDH (überwiegend freiberufliche H e b a m m e n ) mit dem größeren Verein Deutscher Anstaltshebammen (VdA) zusammengeschlossen. 1992 kam auch der ostdeutsche Verband der Hebammen (VdH) mit dazu. Heute vertritt er die Belange der freiberuflichen wie angestellten H e b a m m e n sowie der Lehrhebammen und H e b a m m e n s c h ü lerinnen in ganz Deutschland. Seine Aufgaben sind: • Vertretung der Hebammenbelange bei Volksvertretern, Behörden und Gewerkschaften, • Öffentlichkeitsarbeit,

• Pflege der internationalen Beziehungen des Hebammenwesens, • Fortbildung der H e b a m m e n in Z u s a m m e n a r beit mit dem gemeinnützigen Schwesterverein Hebammengemeinschaftshilfe ( H G H ) . Der BDH ist die Dachorganisation der 16 Landeshebammenverbände mit insgesamt etwa 10 000 Mitgliedern. Die einzelne H e b a m m e oder Hebammenschülerin kann über die Mitgliedschaft in ihrem Landesverband Einfluß auf die Arbeit des BDH nehmen. Auf Landesebene werden Delegierte für die Bundes-Delegiertensitzung des B D H gewählt, die mindestens einmal jährlich stattfindet. Sie ist die beschlußfassende Kommission und verabschiedet den Haushalt. Die Delegierten bestimmen über Satzungsänderungen, wählen das Präsidium, die Ausschüsse und Rechnungsprüfung. Das Präsidium setzt sich aus einer hauptamtlichen Präsidentin, der Schriftleitung und Kassen-

1.3 Hebammenberufsverbände wartin

sowie

3 Beirätinnen

(Bereiche:

Ange-

stellte, Freiberufliche, Ausbildung) zusammen.

21

1.3.4 International Confederation of Midwives (ICM)

Als Organ des B D H erscheint monatlich die Deutsche

Hebammen

(DHZ).

Zeitschrift

Im I C M sind derzeit 53 aus

1.3.2 Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e. V. (BfHD) Der B f H D wurde 1984 gegründet und hat heute etwa 4 5 0 Mitglieder bundesweit. Mitglied kann jede

Hebammenschülerin

oder

freiberufliche

Hebamme werden. Aufgaben des Vereins sind: • Förderung der wirtschaftlichen und beruflichen Interessen freiberuflicher Hebammen,

Hebammenverbände

organisiert.

Seine

Aufgaben

sind: • Stärkung des Ansehens der Hebammenarbeit, • Förderung

der Hebammenaus-,

Fort-

und

Weiterbildung, • Förderung und Veröffentlichungen von Hebammenforschung, • Informationen über die Hebammenkunst zur Verbesserung der Geburten-

und

Familienbe-

treuung. Der I C M pflegt offizielle Kontakte zu den Ver-

• Fortbildung von Hebammen. Mitgliederversammlungen

4 0 Ländern

einten Nationen und ihren Vertretungen, wie der minde-

W H O . Alle 3 Jahre findet ein internationaler

stens einmal jährlich durchgeführt. Hier werden

Hebammenkongreß statt, 1996 in Oslo, Norwe-

Beschlüsse und Anträge (z. B. Antrag auf Ge-

gen und 1999 in Manila, Philippinen.

bührenverhandlungen)

werden

formuliert

sowie

der

Vorstand gewählt. Der Vorstand besteht aus 2 Vorsitzenden, der Schriftleitung und Kassiererin. Der B f H D gibt vierteljährlich die Zeitschrift „Hebammeninfo"

im Selbstverlag heraus.

Finanziert wird die Arbeit des I C M aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden sowie den Kongreßgebühren. Zweimal jährlich findet eine Delegiertenversammlung statt, hier werden die Direktorin, ihre Stellvertreterin und eine Schatzmeisterin gewählt.

1.3.3 Bundeshebammenschülerinnenrat (BHSR) Mitte der 80iger Jahre begannen Hebammenschülerinnen der westlichen Bundesländer sich erstmals überregional zusammenzufinden. Sie bildeten das Forum B H S R zum Erfahrungsaustausch und zur Einflußnahme auf Ausbildungsbedingungen und -inhalte. Inzwischen wird der B H S R als Ansprechpartner von den Berufsverbänden und weitgehend von den Ausbildungsstätten anerkannt. Der B H S R ist kein eingetragener Verein und hat keine gebundene Rechtsform. Er agiert unabhängig von den Berufsverbänden. Mitglied kann jede Hebammenschülerin für die Dauer ihrer Ausbildung werden. An den Delegiertensitzungen können gewählte Schülerinnen jeder Ausbildungsstätte teilnehmen. Die Sitzungen werden regelmäßig von den Auszubildenden wechselnder Schulen organisiert.

Anschriften der Organisationen B D H , Geschäftsstelle Steinhäuser Str. 22 7 6 1 3 5 Karlsruhe Tel.: 0721/981890 B f H D , Geschäftsstelle Freiheitsstraße 11 4 1 3 5 2 Korschenbroich Tel.: 02161/648577 BHSR Die aktuelle Anschrift ist der Deutschen Hebammen Zeitschrift zu entnehmen. I C M Headquarter 10 Barley M o w Passage Chiswick, London W 4 4PH England Tel.: (0044) 081/9941332 Schweizer Hebammenverband Flurstraße 26 C h - 3 0 0 0 Bern

22

1. B e r u f s b i l d

Hebammengremium Wien Stellvertretend für die einzelnen Bundesländer Österreichs, die alle durch ein Hebammengremium vertreten sind: M . U. Heil Bastiengasse 36—38 I 3/3 1180 Wien

Pulz, W.: Z u r E r f o r s c h u n g geburtshilflichen Überlieferungswissens von Frauen in der f r ü h e n Neuzeit, in: Ploil, O j a (Hrsg.) Frauen b r a u c h e n H e b a m m e n , Aleanor-Verl. N ü r n b e r g 1991, S. 1 5 2 - 1 6 2 Scherzer, R.: H e b a m m e n . Weise Frauen o d e r Technikerinnen? Z u m Wandel eines Berufsbildes. Universitätsdruck F r a n k f u r t / M . 1988

1.2.3 Hebammenforschung Macht Verwendete und empfohlene Literatur 1.1 Geschichte des Hebammenberufs Deutschland (Literaturauswahl)

in

Baader, G.: F r a u e n h e i l k u n d e und G e b u r t s h i l f e im Frühmittelalter. In: Frauen in der Geschichte VII, Affelt, et al. (Hrsg.): S. 1 2 6 - 1 3 5 Schwann-Verl. Düsseldorf 1986 Becker, G., S. Bovenschen, H . Brackert: A u s der Z e i t der Verzweiflung. Z u r Genese u n d A k t u a l i t ä t des H e x e n b i l d e s . S u h r k a m p Verl. F r a n k f u r t / M . 1977. Birkelbach, D., Ch. Eifert, S. Lueken: Z u r E n t w i c k lung des H e b a m m e n w e s e n s v o m 14. bis 16. J h . a m Beispiel der Regensburger H e b a m m e n o r d n u n g e n . In: Frauengeschichte, Frauenoffensive, M ü n c h e n 1981 Fischer-Homberger, E.: Medizin vor Gericht. Luchterh a n d Verl. Bern 1988 G e b a u e r , J.: E r i n n e r u n g e n an Olga G e b a u e r . Staude Verl., O s t e r w i e c k a. H . 1930 Kerchner, B.: Beruf u n d Geschlecht, Frauenberufsverb ä n d e in D e u t s c h l a n d 1 8 4 8 - 1 9 0 8 . V a n d e n h o e c k & R u p r e c h t , G ö t t i n g e n 1992 Labovie, E.: Selbstverwaltete G e b u r t , L a n d h e b a m m e n zwischen M a c h t u n d R e g l e m e n t i e r u n g 17. —19. J h . in Zeitschrift: Geschichte u n d Gesellschaft 18 (1992) 4 7 7 - 5 0 6 Leibrock-Plehn, L.: Frühe Neuzeit. H e b a m m e n , Kräutermedizin und weltliche Justiz. In Jütte, R. (Hrsg.): Geschichte der Abtreibung. Beck Verl. M ü n c h e n 1993

— Wissen

ist

Sleep, J. u. a.: West Berkshire perineal trial, Br M e d J 289: 5 8 7 - 5 9 0 , 1980 Romney, M . L.: Predelivery shaving: an unjustified assault?, J o u r n a l of O b s t e t r i c s a n d Gynecology, 1980, 3 3 - 3 5 Jäger, S.: Wie k o m m e ich an wissenschaftliche Literatur? Ein Wegweiser für H e b a m m e n . H G H - M a t e r i a lien N r . 2, Karlsruhe 1993 (erhältlich beim E. Staude Verlag, H a n n o v e r ) G r o ß , M . , B. Schlieper: A n r e g u n g z u m wissenschaftlichen Arbeiten f ü r H e b a m m e n in A u s b i l d u n g u n d Praxis, H e b a m m e n g e m e i n s c h a f t s h i l f e , Karlsruhe 1992 (erhältlich b e i m E. S t a u d e Verlag, H a n n o v e r ) Die Rolle der H e b a m m e in der Forschung, Positionspapier, a n g e n o m m e n auf der Delegiertenratssitzung des I C M a m 11. 5. 1993, Vancouver, K a n a d a

1.2.4 Belastungen

durch den

Beruf

Reime, B.: B u r n o u t bei H e b a m m e n : Arbeitsplatzbelastungen u n d ihre Folgen. D H Z 1993/8 Eilert, S., M . K e r k m a n n , R. Schmidt: Eine U n t e r s u c h u n g zur Situation angestellter H e b a m m e n . D H Z 1992/11 P o m m e r i n g , A. L.: D i a l o g „ A r z t - H e b a m m e " : Begegn u n g e n u n d K o n f r o n t a t i o n zweier Berufe. D H Z 1992/5 Flint, C., P. Poulangerie, A. G r a n t : D a s „ K n o w Your M i f w i f e " P r o g r a m m , ein Versuch k o n t i n u i e r l i c h e r Betreuung d u r c h ein H e b a m m e n t e a m . D H Z 1990/5

2. Sexualität und Familienplanung

2.1 Psychosexuelle Entwicklung der Frau Susanne Kluge Der Begriff „psychosexuell" beschreibt die Verbindung des menschlichen Seelenlebens mit der Sexualität. Die psychosexuelle Entwicklung eines Menschen ist historisch, gesellschaftlich und individuell geprägt. Sie wird von historischen Entwicklungen, ideologischen Standpunkten, Herrschafts- und Machtstrukturen des jeweiligen Kulturkreises beeinflußt. Besonderheiten

bei

Lesbierinnen,

behinderten

Frauen, Ausländerinnen etc. können hier nicht vorgestellt werden.

2.1.1 Anfänge der Sexualität Die psychosexuelle Entwicklung beginnt spätestens mit der Geburt, wahrscheinlich jedoch schon zuvor. Lange bevor der Säugling den eigenen Körper zu entdecken beginnt und sich selbst körperliche Lust und Befriedigung verschaffen kann, wirken Stimuli wie Hautkontakt, Streicheln und die mütterliche Brust erregend und beruhigend auf das Kind. Nach der Geburt scheint es eine sehr sensible Phase zu geben, das sog. Bonding (engl, bond = Bindung), dessen Auswirkungen auf die psychosexuelle Entwicklung noch weitgehend unerforscht sind. Ebenso ist eine mögliche Entfremdung des Neugeborenen von seiner Mutter durch das vorherrschende System der Säuglingsbetreuung durch Fachpersonal in seiner Tragweite noch nicht erfaßt. Kinder werden, sobald die Eltern das Geschlecht erfahren haben, von diesen auch als geschlechtlich betrachtet. Die Geschlechtsidentität — ob sich ein Kind als Junge oder Mädchen

fühlt — wird, bis auf Ausnahmen, durch Erziehung und äußere Einflüsse in der frühen Kindheit festgelegt. Mütter sind in unserer Gesellschaft fast immer die wichtigste Bezugsperson für Kinder in den ersten Lebensjahren. Da unsere Gesellschaft stark heterosexuell ausgerichtet ist, fällt es der Mutter leichter, dem Geschlecht ihres Sohnes liebevollere Aufmerksamkeit zu geben, als dem ihrer Tochter. Dieser „kleine Unterschied" hat Folgen: Das Mädchen genießt nicht nur weniger sexuelle Stimulation, es wird auch früher von der Brust entwöhnt und unnachgiebiger zur „Sauberkeit" erzogen. Da die weiblichen Geschlechtsorgane weniger sichtbar sind, wird auch die sexuelle Erregung des weiblichen Säuglings kaum wahrgenommen. Stimuliert das Mädchen seine Klitoris und Vagina mit den Händen, so löst dies bei Müttern Gefühle von Ambivalenz oder Ablehnung aus. Die Sexualität des kleinen Mädchens ist weniger erlaubt als die des kleinen Jungen. Die Gefühle der Mutter übertragen sich auf das Kind und sind Grundlage für dessen Selbstwert- und Körpergefühl. Die nonverbale Botschaft, daß die Vagina allenfalls zur Ausscheidung und Sauberhaltung existiert, wird von Mädchen lange vor einer „Aufklärung" verinnerlicht und führt dazu, daß sie ihre Sexualität mit Heimlichkeit und Scham besetzen. A u s psychoanalytischer Sicht wird die Wichtigkeit eines anwesenden, in der Kindererziehung involvierten Vaters

hervorgehoben, der dann eine ödipale Bezie-

hung zu seiner Tochter a u f b a u e n könnte. Olivier

Christiane

beschreibt die ödipale Beziehung als die beson-

dere zwischen Mutter und Sohn sowie Vater und Tochter, deren gegengeschlechtliche Ausrichtung

ermög-

24

2. Sexualität und Familienplanung

licht, daß das Kind aufgrund seiner Andersartigkeit ohne Vorbehalte angenommen und geliebt werden kann. Dessen Geschlechtlichkeit kann positiv verstärkt werden, während der Respekt vor der Intimsphäre beim gleichgeschlechtlichen Kind sinkt. An das gleichgeschlechtliche Kind werden (oft unbewußt) höhere Erwartungen gestellt, es soll die eigenen Wünsche und Träume verwirklichen, und kann sogar als Konkurrent empfunden werden.

2.1.2 Sexualität in Pubertät und Adoleszenz Unter

Pubertät

wird

das

Alter

von

etwa

10—14 J a h r e n v e r s t a n d e n , u n t e r Adoleszenz

der

Zeitraum

(bis

bis

zum

Erwachsenenalter

18 J a h r e ) . A u f f ä l l i g s t e k ö r p e r l i c h e V e r ä n d e r u n gen sind ein s t a r k e r W a c h s t u m s s c h u b , R u n d u n g von Becken, G e s ä ß u n d B r ü s t e n , S c h a m b e h a a -

G e s i c h e r t ist, d a ß die gelebte u n d gezeigte se-

r u n g u n d die M e n a r c h e (erste M e n s t r u a t i o n ) .

xuelle Beziehung d e r Eltern z u e i n a n d e r u n d

In d e r P u b e r t ä t u n d A d o l e s z e n z k o l l i d i e r e n

ihr eigenes K ö r p e r v e r s t ä n d n i s sieh wesentlich

gesellschaftliche E r w a r t u n g e n m i t d e r A b g r e n -

auf das S e l h s t v e r s t ä n d n i s u n d K ö r p e r g e f ü h l

z u n g v o n Eltern u n d E r w a c h s e n e n w e l t . Die Su-

des

che n a c h einer eigenen I d e n t i t ä t als F r a u s o w i e

Kindes

auswirken.

Wenn

offen

und

selbstverständlich Z ä r t l i c h k e i t e n u n t e r e i n a n -

das Ausprobieren von Liebesbeziehungen

d e r u n d mit d e m Kind a u s g e t a u s c h t u n d des-

P e r s ö n l i c h k e i t s e n t w ü r f e n sind in diesen J a h r e n

und

sen G r e n z e n a k z e p t i e r t w e r d e n , so h a t es

wichtig.

zu

Die S t a t u s u n s i c h e r h e i t z w i s c h e n Kindes- u n d

w e r d e n u n d sich auf lustvolle S e x u a l i t ä t ein-

Erwachsenenrolle kann neben den körperlichen

lassen zu k ö n n e n .

u n d h o r m o n e l l e n V e r ä n d e r u n g e n zu p s y c h i s c h e n

gute

Voraussetzungen,

beziehungsfähig

Krisen f ü h r e n . P s y c h o a n a l y t i s c h gesehen, k a n n W e n n die G r e n z e n des Kindes nicht w a h r g e n o m m e n o d e r wissentlich ü b e r g a n g e n

werden

(in e x t r e m s t e r F o r m d u r c h Inzest), so b e s t i m m e n O h n m a c h t s - u n d A n g s t g e f ü h l e dessen

weitere

Entwicklung. S p ä t e s t e n s m i t E r r e i c h u n g des V o r s c h u l a l t e r s w i r k e n m a s s i v e gesellschaftliche Einflüsse auf die K i n d e r ein: Sie sind, in z u n e h m e n d j ü n g e r e m Alter, K o n s u m e n t e n v o n M e d i e n u n d G ü t e r n s t a r k sexueller N a t u r . D i e i m m e r g l e i c h e Rollenz u w e i s u n g v o n m ä n n l i c h e r A k t i v i t ä t u n d weiblicher Passivität f i n d e t sich s c h o n in d e n meisten Kinderbüchern und M ä r c h e n , und das M ä d c h e n ist eifrig b e d a c h t , die a n sie gestellten W ü n s c h e u n d A n f o r d e r u n g e n zu e r f ü l l e n , u m die e r s e h n t e A n e r k e n n u n g u n d Liebe zu e r h a l t e n . Bis e t w a z u m 7 . / 8 . L e b e n s j a h r f ü h r e n die meisten M ä d c h e n g e m e i n s a m m i t J u n g e n D o k t o r spiele u n d a n d e r e sexuelle Spiele d u r c h , u m sich gegenseitig zu e r f o r s c h e n . D a n a c h w e n d e n sich die M ä d c h e n (wie a u c h die J u n g e n ) eher gleichgeschlechtlichen F r e u n d e n zu. Viele h a b e n eine „ B u s e n f r e u n d i n " , eine Gleichaltrige, mit d e r sie ihre g e s a m t e E m p f i n d u n g s w e l t teilen, a u c h die S e x u a l i t ä t , die n a c h wie vor ein ä u ß e r s t s p a n n e n d e s T h e m a darstellt.

der frühkindliche Mangel der ödipalen

Bezie-

hung dazu führen, d a ß der abwesende

Vater

idealisiert

wird

(Märchenprinz),

und

der

W u n s c h n a c h B e s t ä t i g u n g ( d u r c h d e n Vater) auf die

Liebesbeziehungen

übertragen

w i r d , m a n s p r i c h t v o n narzistischer

späteren

Objektbe-

setzung.

D i e s e m N a r z i ß m u s liegt j e d o c h

Ü b e r m a ß , s o n d e r n ein M a n g e l an

kein

Selbstliebe

u n d S e l b s t b e w u ß t s e i n z u g r u n d e . Selbstliebe ents t e h t d u r c h die A k z e p t a n z d e r eigenen P e r s o n , des

eigenen

Körpers

und

der

eigenen

Ge-

schlechtsidentität. Die S e x u a l a u f k l ä r u n g d u r c h Eltern u n d P ä d a g o g e n b e s c h r ä n k t sich in d e n meisten Fällen auf Fakten aus d e r Biologie,

Verhütungsmög-

lichkeiten u n d H y g i e n e . S o m i t w i r d eher eine N i c h t a u f k l ä r u n g in D i n g e n d e r S e x u a l i t ä t u n d der damit verwobenen Gefühlswelt betrieben. Selbst bei der E r w ä h n u n g d e r Klitoris als weiblichem Geschlechtsorgan

wird deren

herausra-

g e n d e B e d e u t u n g als Q u e l l e d e r Lust u n d o r g a stischer P o t e n z v e r s c h w i e g e n . D a s T h e m a O n a nie

(Selbstbefriedigung)

wird

ebenfalls

kaum

behandelt. D a sich die psychische u n a b h ä n g i g v o n d e r k ö r p e r l i c h e n Reife e n t w i c k e l t , w e r d e n

manche

2.1 Psychosexuelle Entwicklung der Frau Mädchen trotz vorheriger Aufklärung von der Menarche regelrecht überfallen, während andere schon sehnsüchtig darauf warten, um von den Freundinnen als gleichwertig anerkannt zu werden. Aufgrund fehlender Initiationsriten in unserem Kulturkreis wird die Menstruation selten positiv mit der Sexualität und Geschlechtsreife in Verbindung gebracht. Scham und Ekel sind viel eher Reaktionen auf das Menstrualblut, dessen Tabuisierung eine lange und traurige Geschichte hat. Die peer group, eine Bezeichnung für die gleichaltrige, gemischtgeschlechtliche Freundesgruppe oder Clique, wird zur neuen normgebenden und identifikatorischen Instanz, aber auch zum Rahmen, in dem ein emotionaler Austausch möglich ist. Hier kann die eigene Anziehungskraft auf das andere Geschlecht ausprobiert werden, wobei sich Mädchen meist an den gängigen Rollenerwartungen und -klischees orientieren. Nachdem anfangs Schwärmlieben, Küssen, Streicheln und „miteinander gehen" den Umgang prägen, erhalten Petting und Geschlechtsverkehr einige Jahre später die zentrale Aufmerksamkeit. Dabei können Mädchen dem Druck von widersprüchlichen Erwartungen ausgesetzt sein (Eltern und Kirche versus peer group). Sexualität ist oft ein Symbol für die Befreiung: nach dem ersten Geschlechtsverkehr fühlt sich das jugendliche Mädchen erwachsen. Über die eigenen Gefühle und sexuellen Bedürfnisse zu sprechen, ist für eine Jugendliche fast unmöglich, so sehr ist das Bild der passiven Frau verinnerlicht.

2.1.3 Sexualität als erwachsene Frau Der Übergang zur „Erwachsenensexualität" ist fließend. Die eigene sexuelle Orientierung, ob zur Hetero-, H o m o - oder Bisexualität, wird den meisten Menschen spätestens im frühen Erwachsenenalter bewußt. Während dieser Zeit ist die Sexualität für manche Frauen von Unsicherheit und Ängsten geprägt, zum Teil durch reale Gewalterfahrungen. Andere können diese Zeit ge-

25

nießen und eigene sexuelle Wünsche und Vorlieben entdecken. Unsere gesellschaftlichen Normen sind auf Paar- und Familienbindungen fixiert, obgleich heute ein großer Prozentsatz Erwachsener allein lebt. In unserer Kultur wird Sexualität zum Statussymbol, zum Beweis für Gesundheit und Erfolg erhoben. Sex ist ein Wirtschaftsfaktor und wird zum Verkauf von allen erdenklichen Waren vermarktet. Die gegenseitige Achtung der Sexualpartner sowie die Übernahme von Verantwortung füreinander, die als Maßstab für „erwachsene" Sexualität wünschenswert wären, treten häufig hinter die Durchsetzung eigener Lustbefriedigung zurück.

In vielen P a a r b e z i e h u n g e n h a t S e x u a l i t ä t ein e n z e n t r a l e n S t e l l e n w e r t , u n d sie ist h ä u f i g d i e alleinige A u s d r u c k s m ö g l i c h k e i t v o n Intimität und Gemeinsamkeit.

2.1.4 Sexualität in der Schwangerschaft Die erste Schwangerschaft bedeutet für Frauen nicht nur enorme körperliche, sondern auch psychische Veränderungen. Die Frage der Sexualität in der Schwangerschaft, die durch religiöse und gesellschaftliche Einflüsse tabuisiert ist, kann Verunsicherung auslösen. Die madonnenhaft symbolisierte Geschlechtslosigkeit der (werdenden) Mutter sowie die Nichtentsprechung des gesellschaftlichen Schönheitsideals beeinflussen das Selbstverständnis und Körpergefühl einer schwangeren Frau. Ein nicht unbedeutender Eingriff in die Intimsphäre von Schwangeren kann von dem herrschenden medizinischen System ausgehen. Der Einsatz von vaginalem Ultraschall, routinemäßige vaginale Untersuchungen bei jeder Vorsorgeuntersuchung und Amnioskopien gen)

ab dem

errechneten

(FruchtwasserspiegelunEntbindungstermin

sind

unter diesem Aspekt fragwürdig. Sexuelle Gewalterfahrungen können eine Kontraindikation f ü r die angeführten M a ß n a h m e n bedeuten.

26

2. Sexualität und Familienplanung

Die am häufigsten geschilderten emotionalen Bedürfnisse an den Partner sind die nach gesteigertem Zärtlichkeitsaustausch und Bestätigungswünsche. Diese Wünsche beziehen sich auf dessen positive Einstellung zum Kind, zur Schwangerschaft und zur Beziehung zwischen den Partnern selbst. Mit der Entscheidung, gemeinsam ein Kind zu bekommen, hat die Beziehung ihre eventuell vorher vorhandene Unverbindlichkeit verloren, bei jedem weiteren Kind beginnt eine erneute Belastungsprobe. • Im ersten Trimenon (Schwangerschaftsdrittel) können Koituswünsche aufgrund verschiedener körperlicher Beschwerden (z. B. Erbrechen und Müdigkeit) und Ängste (z. B. den Embryo zu verletzen oder einen Abort zu riskieren) in den Hintergrund treten. • Das zweite Trimenon wird oft als stabilere Phase erlebt. Körperliche Beschwerden sind seltener, und die Angst vor einem Abort tritt in den Hintergrund. Obwohl viele Paare wieder eine intensive sexuelle Beziehung zueinander finden können, ist das sexuelle Verlangen häufig geringer als vor der Schwangerschaft. Neue Stellungen auszuprobieren, weil der sich rundende Bauch mehr Platz benötigt, kann für Paare eine erfrischende Abwechslung zu evtl. eingefahrenen Liebespraktiken bedeuten.

• Im dritten Trimenon wird von den meisten Schwangeren die sexuelle Betätigung wieder eingeschränkt. Körperliche Veränderungen, wie der nun schwerfällig werdende Bauch, ungewohnt große, empfindliche und evtl. laktierende Brüste, Krampfadern und Hämorrhoiden können das Selbstbild verunsichern. Manche Frauen befürchten, daß Geschlechtsverkehr dem Ungeborenen schaden und Orgasmen in den letzten Schwangerschaftsmonaten zur Frühgeburt führen können.

Wissenschaftliche Beweise, die ein

von Sexualakt'witäten

in der

Verbot

Schwanger-

schaft rechtfertigen, existieren nicht: Das Empfinden der Frau soll das Maß sein, ob und welchen Sex sie hat.

Tatsächlich befindet sich in der Samenflüssigkeit eine relativ große Menge an Prostaglandinen (hormonähnliche Substanzen mit gefäßerweiternder und wehenauslösender Wirkung), was jedoch nur den wehenbereiten Uterus (Gebärmutter) beeinflußt. Wenn bereits Frühgeburtsbestrebungen bestehen, kann das Paar, solange sich der geburtshilfliche Befund nicht verschlechtert, weiterhin Geschlechtsverkehr haben und dabei Kondome benutzen.

Zur Geburtseinleitung am und über dem errechneten Geburtstermin ist lustvoller Sex geradezu ideal. Das Thema „Sexualität in und nach der Schwangerschaft" sollte in der Geburtsvorbereitung und Schwangerenberatung angesprochen werden.

2.1.5 Sexualität der Geburt Zweifellos ist eine Geburt ein sehr individueller und intimer Vorgang. In unserem Kulturkreis ist er jedoch, ähnlich wie der Tod, aus den normalen Lebenszusammenhängen herausgelöst worden, um von Fachpersonal geleitet, überwacht und kontrolliert zu werden. In den letzten Jahren werden emanzipatorische Forderungen in der Geburtshilfe laut. Immer mehr Frauen wollen die Geburt auch als eine ihnen zustehende sexuelle Erfahrung genießen. Die beteiligten professionellen Helfer und Helferinnen werden mit diesen Forderungen konfrontiert und müssen damit umgehen. Wie schwierig es ist, diese Tatsache anzunehmen, zeigen die steten Bestrebungen, Frauen während des Geburtsvorganges zu entsexualisieren. Obwohl die medizinische Indikation dafür äußerst fragwürdig ist, werden den Frauen weiterhin die Schamhaare rasiert, ihre intimen Körpergerüche durch das „Einlauf/Bad-Ritual" neutralisiert und ihre persönliche Kleidung gegen das uniforme, frisch desinfizierte Klinikhemd ausgetauscht.

Diese Praktiken erinnern an die Zeit der Kindheit, in der die Sexualität des kleinen Mädchens unterdrückt und verschwiegen wurde. Tatsächlich ist der Geburtsvorgang, psychologisch gesehen, oft mit einer Regression der Gebärenden verbunden, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Gebärende können ganz von ihren Gefühlen und Körpererleben in An-

2.1 Psychosexuelle Entwicklung der Frau

27

spruch genommen sein und den Sinn für die

sich Hingeben, heftiges Atmen und Stöhnen, das

äußere Realität (Ort und Zeit) verlieren. Die

Beteiligtsein derselben Organe, kann zu einem

Gebärende kann in Verhaltens- und Ausdrucks-

sehr intensiven, positiven Erlebnis führen. M a n -

weisen ihrer Kindheit zurückfallen, z. B. Rufen

che Frauen empfinden Erleichterung

nach der Mutter, weinen, trotzen, klammern etc.

der Wehen, wenn sie dabei onanieren oder in

Es kann eine Übertragung der Mutterfigur auf

rhythmischer Stimulation im Bett auf- und ab-

die H e b a m m e und der Vaterfigur auf den Arzt erfolgen. Die Frau fühlt sich in ihre kindliche O h n m a c h t zurückversetzt und sieht in der H e b a m m e die

(böse)

während

schaukeln. Das Wehenhormon Oxytocin

wird

bei sexueller Erregung ausgeschüttet (z. B. durch Brustwarzenstimulation), was beim Geburtsstillstand einsetzbar ist.

Mutter, im Arzt den (bösen) Vater. O b die Regression einer G e b ä r e n d e n eine R e a k t i o n auf vorherige Entmündigung durch das Personal und die

Institution

K r a n k e n h a u s ist oder einen primären Vorgang darstellt, ist noch ungeklärt.

Diese psychologischen Zusammenhänge

er-

klären, warum sich einige Frauen nach vollende-

Den Frauen, die in Würde, unter Wahrung ihrer Intimsphäre und aus eigener Kraft heraus "gebären, kann diese Erfahrung ihrer Potenz eine enorme Steigerung ihres Körperund Selbstwertgefühls bedeuten.

ter Geburt für ihr Verhalten schämen, Niederlage und Demütigung empfinden. Die Zufügung

Wichtig für die Arbeit mit Gebärenden ist das

von Schmerzen und Wunden kann gefühlsmäßig

Wissen

einer Vergewaltigung gleichen. Frauen, die in ih-

schen Gebärender und Fachpersonal.

rer Kindheit

men und Ärzte laufen leicht Gefahr, ihre Fach-

oder

später sexuell

mißbraucht

um ungleiche

kompetenz

schwer von der Geburt trennen. Auswirkungen

der Frau zu stellen und damit deren Würde zu

und

der betroffenen

Untersuchungen.

quenzen haben.

befreiend wirken, wobei der Frau die M ö g l i c h k e i t gegeben werden m u ß , das Angebot abzulehnen,

etwa

Selbstbestimmungsrecht

verletzen. Dies kann für Sexualität und Psyche

Schmerzen sub partu, vor allem bei vaginalen D a s A n g e b o t , über Erlebtes zu sprechen, kann dann

das

zwi-

Hebam-

worden sind, können diese Erinnerungen oft nur sind unverhältnismäßige Verkrampfungen

über

Machtverhältnisse

Frau schwerwiegende

Konse-

Vaginale Untersuchungen sollten deshalb mit größtem Einfühlungsvermögen und unter Wahrung der Intimsphäre

vorgenommen

werden,

„ H a b e n Sie beim Frauenarzt oder zuhause einmal et-

Grund und Ergebnis der Untersuchung sollten

was Schlimmes e r l e b t ? "

der betroffenen

Die meisten Frauen erleben die Geburt allerdings

ohne

diese

Dramatik,

sondern

als

schmerzhafte Wehen- und Preßarbeit, die oft an und manchmal bis über die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit geht. Hebamme und Arzt sind häufig sehr gefordert und involviert, und in ihrem Verständnis sind sie es, die die eigentliche Geburtsarbeit leisten. Unabhängig

vom Grad der

Entmündigung

Frau jedesmal

genau

erklärt

werden. Bei invasiven Eingriffen (z. B. Muttermunddehnung, D a m m s c h n i t t , Zangen-,

Saug-

glockenentbindung und Kaiserschnitt) gilt dies, trotz aller manchmal stärkt.

Eine

notwendigen

notwendige

Wundnaht

Eile, sollte

verso

schmerzlos und würdebewahrend wie möglich durchgeführt werden. Es gibt selten eine medizinische Notwendigkeit für die vaginale Entlassungsuntersuchung post partum.

überwiegt bei den meisten Frauen direkt nach der Geburt die Erleichterung über deren glücklichen Ausgang. M o n a t e später folgt jedoch mitunter, verstärkt nach Kaiserschnittgeburten, das Gefühl, etwas verpaßt zu haben. Schließlich gibt es auch Frauen, die in der Geburt

erotische

Komponenten verspüren. Die Gemeinsamkeiten der Geburt mit der Sexualität, das sich Öffnen,

2.1.6 Sexualität nach der Geburt Die meisten Studien über Sexualität nach der G e b u r t beschäftigen sich damit, a b wann und wie häufig wieder Geschlechtsverkehr stattfindet, und nur wenige beziehen e m o t i o n a l e Aspekte und sexuelle Bedürfnisse der Frauen mit ein.

28

2. Sexualität und Familienplanung

Die Zeitspanne, nach der Frauen wieder sexuell aktiv werden möchten, ist individuell verschieden und variiert von 1 Woche bis zu 1 Jahr oder länger, wobei mehrere Monate durchaus normal sind. Während die Rückbildungs- und Heilungsvorgänge meist weitestgehend mit dem Wochenbett (6—8 Wochen nach der Geburt) abgeschlossen sind, können schlecht heilende Dammnähte noch monatelang Schmerzen beim Geschlechtsverkehr auslösen. Hormonelle Auswirkungen wie eine trockene Scheide trotz sexueller Erregung dauern häufig, aufgrund des niedrigen Östrogenspiegels, bis nach dem Ende der Stillzeit an. Hier können wasserlösliche Gleitcremes oder Gels empfohlen werden. Der plötzlich extrem veränderte Körper nach einer Geburt kann sich für eine Frau völlig fremd anfühlen. Die neue Form und Festigkeit der Brüste kann verwirrend sein, Größe und Tonus der Vagina sowie temporäre Harninkontinenz können Ängste auslösen. Diese Ängste können gemildert werden, indem die Wirkung von Beckenbodenübungen auf die Blasen- und Scheidenmuskulatur erklärt wird und Informationen über Rückbildungskurse angeboten werden. Die wenigsten Frauen haben aufgrund einer Geburtswunde oder eines negativen Geburtserlebnisses während des Wochenbettes das Bedürfnis nach Geschlechtsverkehr, doch gibt es Ausnahmen. Wenn ein Paar es wünscht, kann es mit Kondomen für gegenseitigen Infektionsschutz auch schon während des Wochenflusses Verkehr haben. Das Bedürfnis nach körperlicher Intimität mit dem Partner beschränkt sich meist vorerst auf Kuscheln und Zärtlichkeiten, wobei viele Frauen sich am liebsten nur verwöhnen lassen würden, anstatt selbst aktiv zu werden. In der ersten Phase ist dies für die meisten Männer nachvollziehbar. Wenn sich jedoch die sexuelle Lust ihrer Partnerinnen nach Wochen oder Monaten nicht wieder einstellen will, kann es zu einer Krise in der Paarbeziehung kommen. Ursachen für die sexuelle Unlust sind vielfältig: Der intensive körperliche und emotionale Kontakt zum Kind, vor allem während der Stillzeit, kann das Bedürfnis nach körperlicher Nähe

vollkommen oder zum größten Teil ausfüllen, und die mögliche erotische Komponente einer Stillbeziehung ist bekannt. Nicht selten fühlen sich Väter aus dieser engen Beziehung ausgeschlossen und reagieren mit Eifersucht und schließlich Rückzug. Ständige Müdigkeit bis Erschöpfungszustände durch zuwenig ununterbrochenen Schlaf und die psychisch und physisch anstrengende Versorgung des Säuglings sind weitere hinderliche Einflüsse. Das Sexualleben post partum „normalisiert" sich meist nach einigen Monaten; es gibt aber auch Paare, bei denen die Sexualität nie wieder so ist wie vor der Geburt des ersten Kindes.

2.1.7 Sexualität in den Wechseljahren Das Klimakterium (Wechseljahre) bezeichnet die Ubergangsphase der Frau in das nichtgebärfähige Alter, ein natürlicher Prozeß der Veränderung im Leben jeder Frau. Hormonelle und neurophysiologische Veränderungen setzen im allgemeinen mit etwa 40—45 Jahren ein, die Menopause tritt durchschnittlich um das 50. Lebensjahr herum ein. Etwa 5 0 % der Frauen leiden an den typischen Symptomen wie Hitzewallungen und Schweißausbrüchen. Simone de Beauvoir schrieb dazu: „Das kritische Alter zeichnet sich durch bestimmte organische Störungen aus, aber erst der symbolische Wert dieser Störungen verleiht ihnen ihre Bedeutung". Mögliche, die Sexualität betreffende körperliche Veränderungen sind vor allem eine allmähliche Verdünnung der Vaginalhaut, Verringerung der Vaginalsekretion und Verzögerung der vaginalen Gleitfähigkeit bei sexueller Erregung. Diese Veränderungen sind bei einem aktiven Sexualleben, auch durch Selbstbefriedigung, geringer. Die Wechseljahre werden häufig als Phase eines Hormonmangels interpretiert und somit zu einem mit Hormonen zu behandelnden Zustand. Die Hormonersatztherapie, von vielen Frauen als Segen empfunden, ist jedoch medizinisch nicht unum-

2.2 Rolle der Frau in unserer Gesellschaft stritten. D e r Einsatz alternativer T h e r a p i e n findet imm e r m e h r Beachtung, vor allem in der Frauenliteratur.

Die derzeit herrschende Sexualmoral verbindet Sexualität mit Fortpflanzungsfähigkeit und setzt voraus, d a ß klimakterische Frauen ihr Interesse an sexueller Lust und sexuellen Praktiken verlieren. Dies entspricht insoweit der Realität, als in dieser Zeit häufiger verschriebene Medikamente wie Antidepressiva, Antihypertensiva, Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel libidosenkend wirken können. Verschiedene Faktoren können das Sexualleben günstig beeinflussen: Durch den Wegfall der Verhütungslast kann die Sexualität nun befreiter sein. Mit dem Auszug der mittlerweile erwachsenen Kinder entsteht die ursprüngliche Zweierkonstellation, wodurch die sexuelle Beziehung eine neue Belebung erfahren k a n n . Tatsächlich erleben Frauen, die in dieser Lebensphase einen neuen Partner finden, eine Steigerung ihres sexuellen Empfindens. Die Zeit des Wechsels wird jedoch von vielen Frauen als Krise erlebt: Innere Leere durch den Weggang der Kinder, neue Abhängigkeiten durch die Pflege der eigenen Eltern und Verluste (Weggang oder Tod des Partners, Tod einer nahestehenden Person, eigene Krankheit) sind häufige, zeitgleiche, äußere Umstände. Die gesellschaftlichen Ideale von Jugend, Schönheit und Vitalität implizieren ein Schwinden der erotischen Anziehungskraft, ja der Weiblichkeit an sich. In der Auseinandersetzung damit wird die Entwicklung eines neuen Selbstbildes erforderlich, das den sich verändernden Körper positiv annehmen k a n n .

29

2.1.8 Sexualität im Alter Als „alt" werden Frauen ab 60 Jahren bezeichnet, eine willkürliche Einteilung, die medizinisch als Senium bezeichnet wird. Entgegen allen gängigen Vorurteilen ist bei Frauen (wie auch bei Männern) ein aktives Sexualleben bis ins hohe Alter möglich, und für manche bedeutet Sexualität eine Bereicherung der Lebensqualität. Gleichwohl sind viele ältere Frauen nicht mehr sexuell aktiv, die G r ü n d e d a f ü r können bisher unbefriedigend verlaufende Sexualbeziehungen, das Fehlen eines Partners oder gesundheitliche Bedingungen sein (70% der Frauen über 65 Jahre sind entweder verwitwet, geschieden oder ledig). Sexualität, mit A u s n a h m e der Selbstbefriedigung, beschränkt sich für ältere Frauen in der Regel auf die Ehe, in der häufig körperliche Gebrechen des oft älteren männlichen Partners zur Einschränkung des Sexuallebens führen. Nicht zu unterschätzen ist die gesellschaftliche Diskriminierung der Sexualität von alten Menschen. Diese wird durch die Medien entweder totgeschwiegen oder aber als abstoßend und pervers dargestellt. Diskriminierung äußert sich ganz real in der mangelnden Privatsphäre in Alters- und Pflegeheimen, die den Bedürfnissen alter Menschen nach körperlicher N ä h e und Sexualität entgegenstehen. Sexualität im Alter, insbesondere die von Frauen, ist eines der größten Tabus in unserer Gesellschaft.

2.2 Rolle der Frau in unserer Gesellschaft „Es g e h ö r t zu den F u n k t i o n e n des M a n n e s , d a ß er grundsätzlich der E r h a l t e r u n d der E r n ä h r e r der Familie ist, w ä h r e n d es die Frau als ihre v o r n e h m s t e Auf-

gabe ansehen muß, das Herz der Familie zu sein." Diese im Familienrecht der Bundesrepublik bis 1977 v e r a n k e r t e R o l l e n z u w e i s u n g h a t bis heute k a u m an Wirkung eingebüßt.

Mädchen lernen von klein auf hübsch, sauber, bescheiden und zurückhaltend zu sein. Spä-

ter k o m m e n weitere „weibliche" Attribute wie mütterlich, fürsorglich, ausgleichend und verständnisvoll dazu. Die gesellschaftlichen Rollenzuweisungen in hohem M a ß e akzeptierend, wählen Mädchen trotz gleicher oder besserer Noten und Schulabschlüsse zum großen Prozentsatz sog. Frauenberufe. G r u n d dieser Berufswahl ist meist die Überzeugung, d a ß Frauenberufe besser mit einer Familie vereinbar seien.

30

2. Sexualität und Familienplanung

Während des Arbeitsverhältnisses sind Frauen nur zu einem geringen Prozentsatz gewerkschaftlich organisiert und neigen dazu, kaum Forderungen in Bezug auf Verbesserung von Lohn oder Arbeitssituation zu stellen. Die Entwicklung im universitären Bereich ist ähnlich. Gesellschaftlich ist die Vorstellung noch vorherrschend, daß eine Mutter in der ersten Lebensphase voll und ganz für das Kind da sein und nicht berufstätig sein sollte. Gründe für diese rollenkonforme Entwicklung sind u. a. fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder sowie die innerfamiliäre Arbeitsteilung. Nach wie vor liegt die Haupt-, in vielen Bereichen die Alleinzuständigkeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung bei den Müttern.

schaftliche Abwertung der Frauenrolle ein. Auf das „gesellschaftliche Abstellgleis" geschoben, werden viele Frauen als Großmütter zum zweiten Mal unentgeldliche Kinderbetreuerinnen. Nach lückenhafter Berufslaufbahn und schlechten Chancen für einen Wiedereinstieg in das Berufsleben haben Frauen im Alter oft schlechte finanzielle Bedingungen, vor allem nach dem Tod oder der Trennung von ihrem Ehemann.

Mit den Wechseljahren setzt eine im Vergleich zur Glorifizierung der Mutterrolle starke gesell-

gute Möglichkeiten, werdenden Eltern Anstöße für die

Um die Kontinuität der Benachteiligung von M ä d chen und Frauen aufzubrechen, ist es u. a. nötig, die Rollenbilder von Müttern und Vätern so zu erweitern, daß sie sich in vielen alltäglichen

Arbeitsbereichen

überlagern und eine gemeinsame Erziehung der Kinder ermöglichen. Die Arbeitsfelder der H e b a m m e in Geburtsvorbereitung

und Wochenbettbetreuung

bieten

hierfür notwendige Bewußtseinsveränderung zu geben.

2.3 Familienplanung Cordula

Ahrendt

Die heutigen Möglichkeiten der Kontrazeption (Empfängnisverhütung) erlauben jedem Menschen eine freie individuelle Gestaltung des sexuellen Lebens und eine bewußte Entscheidung zum Kinderwunsch. Trotzdem ist die Zahl der ungewollten Schwangerschaften aufgrund von mangelnder Information, Vorurteilen und fehlerhafter Anwendung der Verhütungsmethoden hoch. Hebammen und Ärzte können diesen Zustand entscheidend beeinflussen.

Hebammen sind befugt, bei Fragen der Familienplanung in eigener Verantwortung aufzuklären. Diese Tätigkeiten kann die Hebamme in Beratungsstellen und vor allem im Bereich der Nachsorge ausüben.

2.3.1 Beratungsstellen Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27. 7. 1992 sichert jeder Person das Recht auf

Beratung in Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung. Ausgehend davon muß jedes Bundesland ein plurales Angebot von Beratungsstellen einrichten. Diese werden von verschiedenen mit öffentlichen Geldern geförderten Trägern angeboten: Kommunen, Arbeiterwohlfahrt, Diakonisches Werk, Caritas Wohlfahrtsverband, Gesellschaft für Sexualberatung

und

Familienplanung e. V., Pro Familia.

2.3.2 Möglichkeiten der Kontrazeption Kontrazeptiva sind Mittel zur Schwangerschaftsverhütung bzw. -planung. In der deutschen Literatur werden Kontrazeptiva als „Mittel zum Zwecke der Familienplanung und Geburtenkontrolle" beschrieben. Das Prinzip der Empfängnisverhütung besteht darin, in den natürlichen Prozeß der Entstehung einer Schwangerschaft einzugreifen: • zur Verhinderung zeption)

der

Befruchtung

(Kon-

2.3 Familienplanung • zur Verhinderung der Einnistung einer bereits befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut.

31

len. Nur die Methoden der periodischen Enthaltsamkeit werden zu den natürlichen Mitteln gezählt (Tab. 2.3-1).

M a ß n a h m e n , die nach erfolgter Einnistung durchgeführt werden, definiert man in Deutschland eindeutig als S c h w a n g e r s c h a f t s a b b r u c h (z. B . Pille RU 4 8 6 ) .

Die Entscheidung für ein Verhütungsmittel sollte von beiden Partnern getroffen werden. Die Sicherheit der Methoden wird international mit dem Pearl-Index (PI) beurteilt. Es wird die Anzahl der ungewollten

Schwanger-

schaften der jeweiligen Verhütungsmethode auf

1 0 0 F r a u e n j a h r e ermittelt

bezogen

(Versagerquote).

Ein

niedriger PI bedeutet gute, ein hoher PI unzureichende Sicherheit. Die Versagerquote ergibt sich sowohl aus den Unzulänglichkeiten der M e t h o d e , als auch aus fehlerhafter bzw. unzulässiger Anwendung.

Die Unterscheidung in natürliche und künstliche Verhütungsmittel ist für die Personengruppen von Bedeutung, die nicht mit den Lehren der katholischen Kirche in Konflikt geraten wol-

T a b . 2 . 3 - 1 : M e t h o d e n der Empfängnisverhütung M e t h o d e n ohne

— Coitus interruptus

Mittelanwendung

— periodische E n t h a l t s a m k e i t =

Rhythmusmethoden;

Kontrazeption „ohne Mittel" • Beim Coitus interruptus wird der Penis aus der Scheide gezogen, bevor es zum Samenerguß kommt. Wegen mangelnder Sicherheit (PI > 25) und Störungen des Sexuallebens ist diese Methode auf Dauer nicht zu empfehlen. • Methoden der periodischen Enthaltsamkeit ermitteln die fruchtbaren Tage und verlangen in diesem Zeitraum eine Abstinenz oder ein Zurückgreifen auf andere Verhütungsmittel. Voraussetzung für eine wirksame Anwendung der Methoden ist eigene Körperbeobachtung und -erfahrung über einen längeren Zeitraum. Ziel der Methoden ist die Bestimmung des Ovulationstermines. Da die Eizelle ca. 12 Stunden und Spermien ca. 72 Stunden befruchtungsfähig sind, beginnen 3—4 Tage nach der Ovulation die „sicheren Tage", wo eine Konzeption unwahrscheinlich ist." Schwerer zu bestimmen ist die Anzahl der fruchtba-

T e m p e r a t u r m e t h o d e , Billings,

ren Tage vor dem Eisprung. D e r O v u l a t i o n s t a g ist

Farnkraut-Test, Symptother-

nicht sicher vorhersehbar und damit ein Unsicherheits-

male M e t h o d e

faktor für das Ermitteln der sicheren, unfruchtbaren Tage.

chemische

— Spermizide:

Methoden

Gel, C r e m e , Spray, Vaginaltabletten

mechanische

— Barrieremethoden:

Methoden

K o n d o m , D i a p h r a g m a , Portiokappe —

hormonelle Methoden

Intrauterinpessar

— Ovulationshemmer (Kombinationspräparate) — Minipille (ohne Ovulationshemmung) — Morning-after-pill (Nidationshemmung nach erfolgter Konzeption)

irreversible Methoden

— Sterilisation von Frau und Mann

Die Methode zur Errechnung der unfruchtbaren Tage nach Knaus (Gynäkologe, Österreich) und Ogino (Gynäkologe, Japan) ist mit einem PI von 18 sehr unsicher und wird hier nicht weiter erläutert. • Temperaturmethode. Durch Ermitteln der rektalen oder oralen morgendlichen Temperatur unter Ruhebedingungen und nach einer Mindestnachtruhe von 6 Stunden kann der Ovulationszeitpunkt mit einer Genauigkeit von 1 — 2 Tagen bestimmt werden. Nach der Ovulation kommt es zum Temperaturanstieg (s. S. 55). Diese hypertherme Phase hält bis zum Ende des Zyklus an. Bei der strengen Form der Temperaturmethode gilt nur die Zeit ab 3. Tag der hyperthermen Phase als sicher unfruchtbar (PI 1).

32

2. Sexualität und Familienplanung

Für die erweiterte Form werden zusätzlich auch am Zyklusanfang unfruchtbare Tage angegeben. Der Tag des frühesten Eisprungs in 12 Zyklen minus 7 Tage ist der letzte unfruchtbare Tag vor dem Eisprung. (PI 3) (Abb. 2.3-1). • Die Billings-Methode ist erst seit 1972 bekannt und beruht auf der Tatsache, daß der sonst zähe, undurchsichtige Zervikalschleimpfropf zum Zeitpunkt der Ovulation durchsichtig, dünnflüssig und spinnbar ist. Durch tägliches Fühlen der Spinnbarkeit und Konsistenz

Bemerkungen Besonderheiten

des Zervixschleimes sowie Beobachten von Menge und Aussehen ist eine Bestimmung der sicheren Tage möglich. Die fruchtbaren Tage werden ab Abgang von flüssigem Schleim bis zum 4. Tag nach dem letzten „nassen", spinnbaren Schleim gezählt. Der exakte Tag der Ovulation ist nicht bestimmbar (PI 15 — 25). • Farnkrauttest. Läßt man einen Tropfen Zervikalschleim auf einem Objektträger eintrocknen, kann unter einem Mikroskop mit lOOfacher Vergrößerung das Farnkraut-Phänomen wäh-

1 Autwachtemperatur, Meßzeit

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Tag des frühesten Eisprungs 36 5" — m 12 Zyklen: .„ /lülafrDieser Tag minus 7 Tage gilt als letzter untruchtbarer Tag: ,

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Zyklustag Mai/juhi

9.

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• Lamina

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functionalis

basalis

Zyklustag Menstruation !

Proliferationsphase

Sekretionsphase

Ovulation Abb. 3 . 4 - 5 : Aufbau des Endometriums (Gebärmutterschleimhaut) mit der beständigen Lamina basalis und der sich regelmäßig ablösenden Lamina functionalis

Bindegewebe, schlauchartigen Drüsen, Flimmerepithel und vielen Spiralarterien, die durch ein arteriovenöses Kapillarnetz mit den Venen verbunden sind (Abb. 3.4-5). Das Endometrium ist das einzige Körpergewebe, das infolge einer periodisch auftretenden Nekrose und Abstoßung, regelmäßig blutet, die Menstruationsblutung9. Das Endometrium baut sich aus 2 Schichten auf. Die Lamina basalis10 (Basalschicht) ist ca. 1 mm dick, liegt dem Muskel direkt auf und löst sich mit der Menstruation nicht ab. Die darüberliegende Lamina functionalis (Funktionsschicht) durchläuft jeden Monat folgende Stadien: • Menstruationsblutung (1.—5. Zyklustag): Funktionalis wird abgelöst und ausgestoßen. • Proliferationsphase (5. —14. Zyklustag): Regeneration, die Funktionalis wird bis zu 8 mm dick • Ovulation (ca. 14. Zyklustag) • Sekretionsphase (15.—28. Zyklustag): Innerlicher Ausbau der Funktionalis, die Drüsen schlängeln sich und bilden schleimiges Sekret, alle Blutgefäße werden länger, Bindegewebszellen vergrößern sich, Flüssigkeit wird eingelagert. Die Auflockerung in der Sekretionsphase ermöglicht es dem Endometrium, um den 21. Zy-

9 10

Menstruus (lat.): allmonatlich. Lamina (lat.): dünne Schicht, Platte.

klustag ein befruchtetes Ei zur Einnistung aufzunehmen. Mit Beginn einer Schwangerschaft baut sich die Funktionalis weiter auf und wird dann Dezidua 11 genannt. Die Endocervix (Schleimhaut im Zervixkanal) wird vom Menstruationszyklus wenig beeinflußt. Sie bildet ein alkalisches Sekret, welches den Zervixkanal mit einem dichten Schleim verschließt und so das Aufsteigen von pathogenen Keimen aus der Vagina erschwert. Der Schleim wird während der Ovulation durch Östrogeneinwirkung verflüssigt und damit für Spermien durchlässig. In der Schwangerschaft verdichtet er sich zu einem Schleimpfropf, der sich erst mit beginnender Zervixdehnung ablöst und dann leicht blutig sein kann. Die Blutbeimengung Blutgefäßen

im

stammt

von

Zervixkanal

angerissenen oder

inneren

kleinen Mut-

termund.

Myometrium (Gebärmuttermuskel) Der Gebärmuttermuskel besteht aus einer ca. 2 cm dicken, unwillkürlich arbeitenden glatten Muskelschicht. Das Myometrium ist Bestandteil eines komplex ineinandergreifenden Systems aus Uterus, Tuben und einstrahlenden Ligamenten (Bändern). Verlauf und Anordnung der Mus11

deciduus (lat.): abfallend.

3.4 Inneres weibliches Genitale

innen

51

außen

A b b . 3.4-6: Verlaufsrichtung der M u s k e l f a s e r n im M y o m e t r i u m . I n n e n : R i n g f ö r m i g e A n o r d n u n g in einer d ü n nen Muskelschicht. M i t t e : Spiralige A n o r d n u n g in dicker Schicht. A u ß e n : L ä n g s v e r l a u f e n d e A n o r d n u n g in d ü n n e r Schicht u n t e r d e m P e r i m e t r i u m

kelfasern sind am nichtschwangeren Uterus k a u m zu erkennen. Wenn die Muskulatur in der Schwangerschaft durch Vergrößerung und Vermehrung der Muskelzellen verdickt ist, lassen sich 3 unscharf voneinander abgegrenzte Schichten bzw. Lagen erkennen (Abb. 3.4-6): • innere Myometriumlage, dünn, liegt unter dem Endometrium, vorwiegend zirkulärer Faserverlauf, eine Fortsetzung der ringförmig angeordneten inneren Muskelfasern im Eileiter • mittlere Myometriumlage, dick, besteht aus miteinander vernetzten, spiralig verlaufenden Muskelfasern, leistet die größte Muskelarbeit bei der Geburt • äußere Myometriumlage, dünn, mit dem Perimetrium verwachsen. Längsverlaufende Muskelfasern ziehen vom Fundus uteri zur Zervix. Diese Längsmuskulatur verkürzt sich bei Wehentätigkeit (Retraktion) und fördert so das Tiefertreten und die Geburt des Kindes. In das Myometrium strahlen zusätzlich glatte Muskelbündel ein, die von den Uterushaltebändern herangeführt werden (s. Abb. 3.7-2). Der

Muskelfaserverlauf im Uterus ist in Abb. 3.4-6 schematisch dargestellt. Real sind die Lagen in Gestalt u n d F u n k t i o n nicht v o n e i n a n d e r abgegrenzt, d a s M y o m e t r i u m ist i m m e r als k o m p l e x e s G a n z e s zu sehen!

Perimetrium (Bauchfellüberzug der Gebärmutter) Der Uterus liegt extraperitoneal 1 2 in einer breiten Querfalte des Peritoneums13 (Bauchfell). Das Peritoneum ist eine seröse H a u t , die alle Eingeweide überzieht und die Bauchhöhle von innen auskleidet. Das Bauchfell sondert Peritonealflüssigkeit ab und ermöglicht so eine Verschieblichkeit aller Organe im Bauchraum. An der Vorder- und H i n t e r w a n d der G e b ä r m u t t e r ist das Bauchfell mit dem Myometrium fest verwachsen und wird d a r u m Perimetrium (um die

12

13

e x t r a p e r i t o n e a l : A u ß e r h a l b des Bauchfells im B a u c h r a u m . P e r i t o n a i o n (gr.): d a s H e r u m g e s p a n n t e .

52

3. Anatomie und Physiologie

G e b ä r m u t t e r h e r u m ) g e n a n n t . Seitlich des Uterus t r i f f t d a n n Bauchfell auf Bauchfell u n d bildet d a s Ligamentum

latum

(breites M u t t e r b a n d s.

A b b . 3.4-4, 3.7-3).

3.4.3 Tuba uterina (Eileiter) Die T u b a e u t e r i n a e 1 4 sind zwei 12—15 cm lange R ö h r e n , die r e c h t s u n d links a m U t e r u s f u n d u s ansetzen u n d in ihrer G r u n d f o r m 2 T r o m p e t e n ä h n e l n ( A b b . 3.4-7). A u ß e n liegt als e r w e i t e r t e s E n d e d a s Infundibulum

tubae

uterinae15

(Tu-

b e n t r i c h t e r ) , dessen R a n d in vielen 1—2 c m langen Z i p f e l n , d e n Fimbriae

tubae16

(Tubenfran-

sen) a u s l ä u f t . D e r Trichter b e f i n d e t sich a n d e m zwei D r i t t e l d e r T u b e n l ä n g e a u s m a c h e n d e n weiten A b s c h n i t t , d e r Ampulla

tubae

uterinae

(Tu-

b e n a m p u l l e ) ; d a r a n schließt sich als enges D r i t tel d e r Istmus

tubae

uterinae

(Tubenenge) a n .

D i e T u b e n e n g e zieht o b e n seitlich d u r c h d e n U t e r u s m u s k e l u n d m ü n d e t in d e r U t e r u s h ö h l e . Beim Eisprung legt sich d e r T r i c h t e r m i t seinen Fimbrien, von oben-hinten k o m m e n d , an d e n Eierstock a n , u m die Eizelle a u f z u f a n g e n u n d in die A m p u l l e w e i t e r z u l e i t e n . D e r Eitransport w i r d d u r c h d e n speziellen A u f b a u d e r T u b e n w a n d gewährleistet: • Die Muskelschicht besteht innen aus ringförmig-, außen aus längsverlaufenden Muskelfasern und kann peristaltische Wellenbewegungen ausführen. • Die Schleimhautauskleidung der Tube bildet viele Falten und besteht aus 2 Zellarten, den Wimpernzellen mit ihren zur Uterushöhle gerichteten Wimpernschlag und den Drüsenzellen, deren Sekret das Gleiten der befruchteten Eizelle erleichtert und sie ernährt. Sind die S c h l e i m h a u t f a l t e n n a c h einer Salp i n g i t i s (Eileiterentzündung) verklebt, k a n n d e r T r a n s p o r t einer b e f r u c h t e t e n Eizelle verzögert o d e r v e r h i n d e r t w e r d e n u n d eine Eileiterschwangerschaft (EU, Extrauteringravidität) entstehen. Lage

Lig. suspensorium Ovarii

und

Bauchfellverhältnisse

von

Tube

und Ovar: Die T u b e liegt im o b e r e n , freien R a n d des breiten M u t t e r b a n d e s u n d w i r f t hier die m i t t l e r e v o n 3 B a u c h f e l l f a l t e n auf: Vor ihr zieht d a s r u n d e Mutterband

z u m L e i s t e n k a n a l , h i n t e r ihr d a s

Eierstockband

vom

Uterus

zum

Ovar

(s.

A b b . 3.7-1). E i e r s t o c k b a n d u n d T u b e sind v o n Bauchfell ü b e r z o g e n , liegen also g e n a u g e n o m m e n

extra-

peritoneal. Da jedoch die Tubentrichter mit ihren Fimbrien durch eine Bauchfellöffnung in die freie Bauchhöhle ragen und wie die Ovarien bauchfellfrei sind, werden die Adnexe der Frau als intraperitoneal17 gelegen eingestuft.

Abb. 3.4-7: Frontaler Mittellängsschnitt durch Tube und Ovar zum Zeitpunkt der Ovulation. Tubentrichter und Fimbrien haben sich direkt über dem sprungbereiten Graaf-Follikel an das Ovar gelegt

14 15 16

Tuba (lat.) und Salpinx (gr.): Trompete. Infundibulum (lat.): Trichter. Fimbriae (lat.): Franse.

3.4.4 Ovar (Eierstock) Die O v a r i e n sind die G o n a d e n ( G e s c h l e c h t s d r ü sen) d e r F r a u . In d e r G e s c h l e c h t s r e i f e sind sie e t w a 4 x 2 x 1 c m g r o ß u n d h a b e n die F o r m ei17

intraperitoneal: innerhalb des Bauchfells im Beckenraum.

3.4 Inneres weibliches Genitale ner kleinen Pflaume. Nach der Menopause bilden sich beide Ovarien zurück und verkleinern sich im Senium etwa auf Mandelgröße. Jedes O v a r ist über das Lig. Ovarii proprium (Band des Eierstocks) mit dem Uterus verbunden und wird seitlich vom Lig. suspensorium ovarii (Aufhängeband des Eierstocks) zur Beckenwand gehalten (Abb. 3.4-7). De.r Eierstock besteht aus einer Rinden- und einer Marksubstanz und ist von einer weißlichen, bindegewebigen Kapsel umhüllt, die außen vom Keimepithel überzogen ist. • Die Eierstockrinde enthält bei der geschlechtsreifen Frau unzählige primäre Oozyten (Eizellen) sowie Follikel 1 8 in verschiedenen Reifestadien (Sekundärfollikel, Tertiärfollikel, Corpus luteum, C o r p u s albicans), welche die H o r m o n e Östrogen und Progesteron bilden. • Das Eierstockmark liegt innen, es enthält Bindegewebe sowie reichlich Blutgefäße, welche den An- und Abtransport von H o r m o n e n über die in den Eierstockbändern verlaufenden Gefäße ermöglichen. Die Ovarien eines weiblichen Neugeborenen enthalten 200 000—2 Mio. (variierende Literaturangaben) primäre Oozyten mit den sie umgebenden Follikelepithelzellen. Die Anzahl dieser sog. Primordialfollikel 1 9 verringert sich kontinuierlich im Lebensverlauf, da stetig Eizellen zugrunde gehen.

53

in einem Zyklus zur Ovulation. Werden sie befruchtet, entsteht eine Mehrlingsschwangerschaft (z. B. zweieiige Zwillinge). Zwischen Menarche und Menopause (erste und letzte Mcnstruationsblutung) reifen somit viele tausend Follikel heran, aber nur ca. 400 davon gelangen während der ca. 30jährigen Fertilität (Fruchtbarkeit) einer Frau zum Eisprung. Z u r Menopause ist der Vorrat an Follikeln nahezu erschöpft.

Die Reifung beginnt durch Teilung der um die Eizelle herum gelegenen Follikelzellen, und durch Sekretion der Follikelzellen zur Bildung der Zona pellucida21 (Schicht zwischen Eizelle und Follikelzellen). Im weiteren Verlauf setzt sich außen um die Follikelzellen eine Schicht Thekazellen 2 2 an (Abb. 3.4-8). Die Thekazellen versorgen die Follikelepithelzellen mit Androgenen, die zu Östradiol (natürliches Östrogen) umgewandelt und an den Blutkreislauf abgegeben werden. Während der Reifung wird damit der Follikel zu einer aktiven endokrinen Drüse. Reifestadien eines Follikels •

Primärfollikel:

Die O o z y t e ist von verdicktem kubi-

schem Follikelepithel u m g e b e n (Abb. 3.4-8). •

Sekundärfollikel:

D a s kubische Follikelepithel ist

mehrschichtig g e w o r d e n u n d p r o d u z i e r t Ö s t r a d i o l . •

Tertiärfollikel

= Bläscbenfollikel:

D u r c h Sekretion

der Follikelzellen in das Z e n t r u m des Follikels bildet

Follikelreifung

sich ein flüssigkeitsgefüllter H o h l r a u m aus. Die Eizelle liegt von Granulosazellen (körnchenartige Follikelzel-

Von der Pubertät an reifen ständig mehrere Primordialfollikel zu Primär-, Sekundär- und Tertiärfollikeln 2 0 heran, jedoch nur ein Follikel erreicht jeden M o n a t das letzte Reifestadium und setzt bei der Ovulation eine Oozyte frei. Die anderen teilweise ausgebildeten Follikel haben hormonbildende Funktion (Östrogene), sie degenerieren, ohne das letzte Reifestadium zu erreichen. Sehr selten gelangen 2 oder mehr Follikel

len) u m g e b e n a m R a n d e dieses ebenso von G r a n u l o s a zellen ausgekleideten H o h l r a u m s . •

Graaf-Follikel:

E n d s t a d i u m des Tertiärfollikels, er

h a t einen D u r c h m e s s e r von 1,5 —2 cm u n d w ö l b t die O b e r f l ä c h e des O v a r s sichtbar vor. Die von G r a n u l o sazellen u m g e b e n e Eizelle s c h w i m m t jetzt fast in der Hohlraumflüssigkeit. •

Ovulation

= Eisprung:

Die Eizelle wird mit der

Flüssigkeit des geplatzten Follikels aus d e m O v a r geschleudert u n d v o m T u b e n t r i c h t e r a u f g e n o m m e n . •

Corpus

luteum23

=

Gelbkörper: Nach

erfolgter

O v u l a t i o n k o m m t es im Follikelhohlraum zu einer 18 19 20

Folliculus (lat.): Beutel, Bläschen. P r i m o r d i u m (lat.): U r a n f a n g , U r s p r u n g . p r i m u s , secundus, tertius (lat.): der erste, zweite, dritte.

21 22 23

Pellucidus (lat.): Durchsichtig. T h e k e (gr.): Hülle, Behältnis. luteus (lat.): gelb.

54

3 . A n a t o m i e und P h y s i o l o g i e

Primordialfollikel Primärfollikel

Corpus

Follikelepithelzellen

albicans

Sekundärfollikel

Corpus luteum

Thekazellen

Tertiärfollikel

Granulosazellen

Ovulation

Graaf-Follikel Zona pellucida

Oozyte Abb. 3 . 4 - 8 : Follikelreifung bis zum Eisprung und anschließende Umwandlung zum Corpus luteum

wu-

zellen) wird weiter Östrogen gebildet. Etwa 10 Tage

chern in das Blutgerinsel und lagern gelbgefärbte Li-

nach der Ovulation beginnt die Rückbildung des Gelb-

pidtröpfchen ein. So bildet sich innerhalb von 3 Tagen

körpers, bis er am letzten Zyklustag keine H o r m o n e

das Corpus luteum (Gelbkörper) aus, welches in sei-

mehr erzeugt.

leichten Blutung. Granulosa-

und Thekazellen



rielle Oberfläche ausbeult. Auch der Gelbkörper ist

pus luteum wird eine weißliche, bindegewebige Narbe,

eine

die kleiner werdend im Ovar verbleibt.

endokrine

Drüse,

seine

Granulosaluteinzellen

Corpus

albicans14-.

Aus dem zurückgebildeten Cor-

nem Blütestadium haselnußgroß wird und die ova-

(vorher Granulosazellen) sondern das H o r m o n Progesteron ab, von den Thekaluteinzellen (vorher T h e k a -

24

albus (lat.): weiß.

3.5 Menstruationszyklus Die zyklischen Veränderungen im Körper der Frau, besonders im Ovar und am Endometrium, werden hauptsächlich vom Hypothalamus gesteuert (Abb. 3.5-1). Der Hypothalamus ist eine zentralnervöse Region im Zwischenhirn, die über einen Stiel mit der Hypophyse verbunden ist. Der Hypothalamus stimuliert durch Abgabe des Gonadotropin-Releasing-Hormons (GnRH

oder LH-RH) die Hypophyse zur Ausschüttung von Gonadotropinen 1 . Die Hypophyse (Hirnanhangdrüse), ein kirschkerngroßes endokrines Organ, wird in Vorderlappen (HVL) und Hinterlappen (HHL)

1

gonadotrop: auf Geschlechtsdrüsen wirkend.

3.5 Menstruationszyklus

Hypothalamus zentralnervöse Region im Zwischenhirn

Gonadotropin-Releasing-Hormon: GnRH bzw. LH-RH wirkt auf den

Hypophysenvorderlappen

follikelstimulierendes Hormon: FSH luteinisierendes Hormon: LH beide Hormone stimulieren die

Follikel

Ovarien Gelbkörper "^^bildetp"

Östrogene besonders Östradiol

Gestagene besonders Progesteron

A b b . 3.5-1: F u n k t i o n s k r e i s v o n H y p o t h a l a m u s , H y p o p h y s e u n d O v a r i e n zur B i l d u n g v o n S e x u a l h o r m o n e n . D i e d u r c h F S H u n d L H im Z y k l u s v e r l a u f v e r ä n d e r t e n Ö s t r a d i o l - u n d P r o g e s t e r o n k o n z e n t r a t i o n e n im Blut b e e i n f l u s s e n i h r e r s e i t s r ü c k k o p p e l n d H y p o t h a l a m u s u n d H y p o p h y s e u n d b e w i r k e n V e r ä n d e r u n g e n in der G n R H - sowie F S H / L H - A u s s c h ü t t u n g

55

Follikelreifung, wirkt aber primär auf die Ovulation und die Gelbkörperphase. Ein Menstruationszyklus dauert bei den meisten Frauen 26—30 Tage, kürzere oder längere Zyklen sind eher selten. Abb. 3.5-2 zeigt zwei 28-Tage-Zyklen, den ersten ohne, den zweiten mit Befruchtung der Eizelle. Zyklische Veränderungen im Ovar und am Endometrium sowie Hormonspiegelschwankungen und Basaltemperaturverlauf sind hier schematisch dargestellt. • Follikelreifungs- oder Östrogene Phase: Durch FSH-Sekretion angeregt reifen die Follikel heran und produzieren Östrogene. Östradiol wird besonders vom tertiären und Graaf-Follikel in steigender Menge gebildet. Kurz vor dem Eisprung ist die Östradiolkonzentration im Blut so hoch, daß sie eine stoßartige LH-Ausschüttung bewirkt, die wiederum den Eisprung auslöst. • Gelbkörper- oder gestagene Phase: Der Follikel bildet sich zum Corpus luteum aus, und produziert zunehmend Progesteron, das wichtigste Gestagen der Frau. Nach 10 Tagen bildet sich der Gelbkörper zurück, die Östrogen- und Progesteronkonzentration im Blut sinkt rasch ab. • Menstruationsblutung: Das Absinken des Progesteronspiegels bewirkt im Endometrium eine Kontraktion an der Basis der Spiralarterien, die Funktionalis geht zugrunde und wird mit einer Blutung ausgestoßen. Zyklische

Endometrium-Veränderungen

sind

auf

S. 50 a u s f ü h r l i c h b e s c h r i e b e n .

unterteilt. Der HVL bildet die wichtigsten zyklusbestimmenden Hormone: — follikelstimulierendes Hormon (FSH) — luteinisierendes Hormon (LH) — auf die Brustdrüse wirkendes Prolaktin. Zusätzlich wird der weibliche Zyklus von allgemeinen Faktoren wie körperliche Anstrengungen, seelische Belastungen etc. beeinflußt sowie von anderen Organen, besonders der Schilddrüse und Nebennierenrinde. Die Gonadotropine FSH und LH wirken unmittelbar auf die Ovarien. FSH bewirkt primär die Follikelreifung, ist aber auch in der Gelbkörperphase wirksam. LH unterstützt ebenfalls die

• Konzeption und Schwangerschaft: Ist die Eizelle befruchtet worden, bleibt der Gelbkörper etwa 3 Monate bestehen. Er bildet steigende Progesteron- und Östrogenmengen, die schwangerschaftserhaltend wirken. • Basaltemperaturverlauf: Durch regelmäßiges orales oder rektales Messen der morgendlichen Körpertemperatur kann jede Frau feststellen, ob und wann ihr Eisprung erfolgt. Da das Progesteron eine temperatursteigernde Wirkung hat, erhöht sich die Körpertemperatur in der zweiten Zyklushälfte um ca. 0,4—0,6° C. Sinkt der Progesteronspiegel zum Zyklusende nicht ab, bleibt auch die Körpertemperatur hoch, dies kann ein Zeichen für Schwangerschaft sein.

56

3. A n a t o m i e u n d P h y s i o l o g i e

1 FollikelreifungsFollikelreifungs1 Gelbkörper oder oder Östrogene Phase | progesterone Phase I oder Östrogene Phase

Gelbkörperphase, nach Befruchtung -> Schwangerschaft

Östradiol

Progesteron Corpus luteum graviditatis

Funktionalis Basalis Myometrium I Proliferation Menstruation

Sekretion

1 ' I Proliferation Menstruation

Sekretion , Schwangerschaft

37,5Basaltemperatur

37° 36,536 -

Zyklustag Abb. 3.5-2: Zwei Menstruationszyklen, der erste ohne, der zweite mit Befruchtung der Eizelle. Erläuterungen im Text

3.6 Beckenboden

57

3.6 Beckenboden Als Beckenboden bezeichnet man den aus Muskeln und Bindegewebe bestehenden schalenförmigen Abschluß des knöchernen Beckens nach unten (Abb. 3.6-1). Er hält die Beckenorgane und stützt Harnblase, Uterus und Rektum. Der Beckenboden gleicht die durch Anspannen der Bauchdecke entstehenden Wechsel des abdominalen Druckes aus, welche z. B. beim Husten, Lachen oder Heben schwerer Gegenstände verursacht werden.

Der Beckenboden besteht aus 3 Schichten: Diaphragma pelvis1, Diaphragma urogenitale2 und äußere Muskelschicht. Die 2 Diaphragmen bestehen aus beidseitig von Faszien 3 bedeckten Muskelplatten; die äußere Muskelschicht wird von mehreren Einzelmuskeln gebildete. Alle 3 Muskelschichten sind fächerartig übereinander angeordnet und an vielen Stellen durch Muskelfasern und Faszien eng miteinander verbunden. Z u m besseren Verständnis werden sie in den Abbildungen 3.6-2, 3, 4 einzeln dargestellt. Die Beckenbodenmuskeln sind zusammen etwa 4 cm dick, bei der Geburt werden sie zur Seite gedrückt und stark nach außen gedehnt, so daß sie sich beim Durchtritt des Kopfes weit vor die Beckenausgangsebene verwölben (Abb. 3.6-5).

3.6.1 Diaphragma pelvis Das Diaphragma pelvis (Abb. 3.6-2) ist eine in Höhe von Steiß- und Schambein ausgespannte, schalenförmige Muskelplatte. Sie ist die wichtigste Stütze für die Beckeneingeweide und läßt nur nach vorne den längsgerichteten Levatorspalt offen für Harnröhre, Scheide und After. Es besteht aus 2 Muskeln: M. levator ani und M . coccygeus. Abb. 3.6-1: Schematische Seitenansicht der 3 Schichten der Beckenbodenmuskulatur

Hauptmuskel ist der paarig angelegte M . levator ani 4 (Afterhebermuskel), der in 2 flügeiförmigen Schenkeln (Levatorschenkel) den Lavatorspalt begrenzt. Jeder Schenkel wird in einen vorderen (Pars pubica) und hinteren (Pars iliaca) unterteilt.

Ein geschwächter Beckenboden kann zu Harn- und Stuhlinkontinenz, im Extrem zum Vorfall von Beckenorganen führen.

Während der Schwangerschaft wird der Bekkenboden weicher und elastischer, um bei der Geburt die enorme Dehnung zuzulassen, die den Durchtritt des Kindes ermöglicht. Dank seiner bemerkenswerten Elastizität ist die Stützfunktion des Beckenbodens meist bald nach der Geburt wieder hergestellt.

1

2

3

4

Diaphragma (gr.): Scheidewand; pelvis (lat.): Becken. urogenital: Harn und Geschlechtsorgane betreffend. Faszie: Aus kollagenen Fasern bestehende Hülle für Muskeln und Organe. M. für musculus (Muskel), levare (lat.): heben.

58

3. Anatomie und Physiologie

M. levator ani (pars pubica) = M. pubococcygeus Urethra

rùì

Vagina M. levator ani (pars iliaca) = M. iliococcygeus Sitzbeinstachel Spina ischiadica Mastdarm Rectum M. coccygeus Steißbein Os coccygis

A b b . 3.6-2: D i a p h r a g m a pelvis. Ansicht von unten auf die innere (obere) Beckenbodenschicht, die h a u p t s ä c h l i c h v o m M . levator ani gebildet wird. Vorne sind d a s S c h a m b e i n , seitlich die Sitzbeinstachel u n d hinten das Steißbein zur O r i e n t i e r u n g a n g e d e u t e t

• Der vordere Schenkel (M. pubococcygeus5) setzt an der H i n t e r f l ä c h e des Schambeins an, zieht nach unten hinter das R e k t u m und vereinigt sich hier zum Teil mit Muskelfasern der Gegenseite; einige Muskelfasern erreichen das Steißbein, andere strahlen in die Längsmuskeln der R e k t u m w a n d ein.

Harnröhrenschließmuskel M. sphincter urethrae

• Der hintere Schenkel (M. iliococcygeus) setzt breitgefächert an einem Sehnenstrang, dem Arcus tendineus6 (Sehne zwischen Symphyse und Sitzbeinstachel) an, auch er zieht hinter das Rekt u m und vereinigt sich teilweise mit Fasern der Gegenseite in einer N a h t , teilweise inseriert er an den beiden letzten Steißbeinsegmenten. Der hinterste Beckenbodenmuskel, der paarige M . coccygeus setzt gebündelt am Sitzbeinstachel an, fächert sich d a n n auf und inseriert breitflächig seitlich unten an Kreuz- und Steißbein.

3.6.2 Diaphragma urogenitale D a s D i a p h r a g m a urogenitale (Abb. 3.6-3) setzt seitlich an den Schambeinästen an und spannt sich als Muskel-Sehnen-Platte querverlaufend 5 6

coccygeus: z u m Steißbein g e h ö r e n d . Arcus (lat.): Bogen; t e n d i n e u s (lat.): sehnig.

tiefer querer Dammuskel M. transversus perinei profundus

A b b . 3.6-3: D i a p h r a g m a urogenitale. Ansicht von unten auf die mittlere Beckenbodenschicht, die h a u p t sächlich v o m M . transversus perinei p r o f u n d u s gebildet wird

über den Levatorspalt. Es besteht aus 2 Faszien, zwischen denen sich der M . transversus perinei profundus7 (tiefer querer D a m m m u s k e l ) und 7

transversus (lat.): q u e r v e r l a u f e n d ; perineos (gr.): D a m m .

3.6 Beckenboden

59

Sitzhöcker-Schwellkörpermuskel M. ischiocavernosus Schwellkörpermuskel M. bulbocavernosus = M. bulbospongiosus Sitzbeinhöcker Tuber ischiadicum Vorderdamm

Oberflächlicher querer Dammuskel M. transversus perinei superficialis

Hinterdamm

Äußerer Afterschließmuskel M. sphincter ani externus

After-Steißbeinband Lig. anoccygeum

Gesäßmuskel M. gluteus maximus

A b b . 3 . 6 - 4 : Äußere Muskelschicht. Ansicht von unten auf die äußere (untere) Beckenbodenschicht, die von den paarig angelegten M m . ischiocavernosi, M m . bulbocavernosi und M m . transversus perinei superficialis, sowie dem M . spincter ani externus gebildet wird

der M . Sphinkter

urethrae

Harnröhrenschließmuskel)

externus8

(äußere

und strahlt mit einigen

Muskelfasern

in die

befindet. Die Mus-

Haut des Scheidenvorhofs ein. Bei Anspannung

kelfasern des M . transversus perinei profundus

verengt er den Scheideneingang. Der M . bulbo-

verschließen den Levatorspalt weitgehend, ei-

cavernosus endet mit einigen Muskelbündeln an

nige Fasern strahlen in die Vaginalwand ein. Nach vorne wird der Muskel dünner, so daß der Schambogenwinkel nur durch Faszie geschlossen wird.

kindlicher Kopf

3.6.3 Äußere Muskelschicht des Beckenbodens

vorgeschobene

Die wichtigsten Muskeln der äußeren Schicht (Abb. 3.6-4) sind der paarige M . sus = M. bulbospongiosus9

bulbocaverno-

(Schwellkörpermus-

kel), und der ringförmige M . Sphinkter ternus

ani

ex-

(äußere Afterschließmuskel). Zusammen

bilden sie um Scheide und Analkanal eine Art

gedehnter After

achtförmige Muskelschlinge. • Der M . bulbocavernosus setzt vorne am Klitorisschaft an, bedeckt den Vorhofschwellkörper 8 9

Sphinkter (gr.): Schließmuskel. cavernosus (lat.): voller Höhlungen; spongiosus (lat.): schwammig, porös.

A b b . 3.6-5: Beckenbodenmuskulatur, die durch den kindlichen Kopf bei der Geburt nach unten und außen gedrückt ist

60

3. Anatomie und Physiologie

der Faszie des M . transversus perinei profundus, andere treffen sich in einer N a h t hinter der Vaginalöffnung, oder sie kreuzen im Z e n t r u m des D a m m e s und ziehen bis in den Afterschließmuskel. • Der M. Sphinkter anus externus umschließt als willkürlicher äußerer Schließmuskel das Ende des Mastdarms, den Canalis analis (Analkanal). Einige Muskelfasern des Afterschließmuskels verlaufen ringförmig um den Analkanal, andere kreuzen vor und hinter dem Anus, ziehen vorne zur Nahtstelle der Mm. bulbocavernosi und hinten zum Ligamentum anoccygeum10 (After-Steißbein-Band); wenige Muskelfasern ziehen in den Unterrand des M . levator ani, der als Afterhebermuskel wichtig f ü r einen gut funktionierenden Analverschluß ist. Z u r äußeren Schicht des Beckenbodens gehören auch paarig angelegt der M . ischiocavernoSMS11 (Sitzhöcker-Schwellkörpermuskel) und der M. transversus perinei superficialis (oberflächlicher querer Dammuskel). • Der M. ischiocavernosus setzt vorne am Sitzbeinast an und zieht zum Tuber ischiadicum (Sitzbeinhöcker), er ist schwächer als der M . bulbocavernosus. • Der M . transversus perinei superfizialis entspringt hinten im Z e n t r u m des D a m m e s und zieht quer, an der Basis des Diaphragma urogenitale entlang, zu den Sitzbeinhöckern.

10 11

Ligamentum (lat.): Band, Abkürzung Lig. ischiadicus: zum Sitzbein gehörend.

3.6.4 Perineum (Damm) Das Perineum ist der Weichteilbereich zwischen hinterer Kommissur und After (Vorderdamm). Den Bereich zwischen After und Steißbein nennt man Hinterdamm. In der Mitte des Vorderdammes liegt als sehnige Platte das Centrum tendineum perinei (Zentrum des Dammes), es dient den Muskeln der äußeren Beckenbodenschicht, dem M. bulbocavernosus, M. transversus perinei superficialis und dem M. levator ani, als gemeinsamer Ansatzpunkt. Auch von den 2 Diaphragmen reichen muskuläre und sehnige Ausstrahlungen in das Z e n t r u m des D a m m e s . Dies zeigt, wie eng Diaphragmen und äußere Muskelschicht miteinander verbunden sind, um gemeinsam den tragfähigen Beckenboden zu bilden. Die Mitte des D a m m e s ist d ü n n und sehnig, sie enthält wenig Muskel- und Nervengewebe weshalb ein Dammriß meist hier, median in Richtung Anus verläuft. Da wenig Muskelgewebe verletzt wird, verheilen kleine bis mittlere Einrisse und mediane Episiotomien meist gut und relativ schmerzarm. Eine mediolaterale Episiotomie hingegen durchtrennt teilweise den M . bulbospongiosus und den M. transversus superficialis, der M. levator ani wird bei großer Episiotomie angeschnitten. Die Wundheilung ist d a r u m meist schwieriger, die Schmerzen größer und die zurückbleibende N a r b e wird viel stärker wahrgenommen (s. S. 216).

3.7 Bindegewebe und Haltebänder Die Befestigung der inneren Genitalorgane im kleinen Becken wird vom P a r a m e t r i u m 1 (Bekkenbindegewebe) und von paarigen Ligamenten (Bändern) geleistet. Ebenso hat der Beckenboden, als muskulärbindegewebiger Verschluß des kleinen Beckens nach unten, einen wichtigen Anteil an der Lagestabilität der Beckenorgane. 1

para (gr.): neben; metra (gr.): Gebärmutter.

Als Parametrium wird der seitlich der Zervix gelegene Bindegewebsraum mit dem vom Lig. latum uteri eingeschlossenen Bindegewebe bezeichnet. Aus dem Parametrium gehen 4 paarige, von Muskelfasern durchsetzte Bänder hervor; sie umfassen den Uterus, etwa in H ö h e des inne-

3.7 B i n d e g e w e b e u n d H a l t e b ä n d e r

Aufhängeband des Eierstocks Lig. suspensorium ovarii

61

Gebärmutterkreuzband Lig. sacrouterinum

Kardinalband Lig. cardinale

Lig. vesico uterinum Band des Eierstocks Lig. ovarium proprium

rundes Mutterband Lig. teres uteri = Lig. rotundum

Abb. 3.7-1: Blick von oben ins kleine Becken. 4 paarige H a l t e b ä n d e r der G e b ä r m u t t e r und 2 Bänder des Eierstockes. Das Lig. latum (breite M u t t e r b a n d ) ist hier nicht abgebildet, es w ü r d e den Blick auf die anderen Bänder verdecken (s. Abb. 3.4-4, 3.7-3)

Diese kräftigen Bänder werden o f t für die bei Wehen auftretenden Kreuzbeinschmerzen verantwortlich gemacht.

• Lig. vesicouterinum: verläuft von der Zervix um die Blase herum zur Symphyse, ist relativ schwach. • Lig. cardinale uteri (Kardinalband): Ist von glatter Muskulatur durchsetzt und verläuft an der Basis des Lig. latum entlang von der Zervix zum seitlichen Beckenrand. A b b . 3.7-2: Einstrahlen der H a l t e b ä n d e r in das Myometrium des Uterus

ren Muttermundes, strahlen in seine obere Schicht ein und hängen ihn federnd im kleinen Becken auf (Abb. 3.7-1, 2, 3): • Lig. sacrouterinum (Gebärmutterkreuzband): verläuft paarig von der Zervix ums Rektum herum zum Os sacrum (Kreuzbein).

Eine Insuffizienz dieser starken Bänder k a n n zu Gebärmuttersenkung oder zum -Vorfall f ü h r e n .

• Lig. latum uteri 2 (breites Mutterband): wird von den rechts und links der Gebärmutter aufeinandertreffenden Bauchfellblättern gebildet (s. Abb. 3.4-4, S. 49) und oben von den Eileitern, unten vom Lig. cardinale begrenzt. 3 paarige Bander halten den oberen der Geblirmutter:

2

Latus (lat.): Seite, latus (lat.): breit.

Bereich

62

3. Anatomie und Physiologie

Kreuzbein Os sacrum rundes Mutterband Lig. rotundum = Lig. teres uteri breites Mutterband (angeschnitten) Lig. latum uteri

Gebärm utterkreuzband Lig. sacrouterinum

Abb. 3.7-3: Seitenansicht auf die Mutterbänder (lig. teres uteri et latum uteri) sowie Gebärmutterkreuzband (Lig. sacrouterinum) am schwangeren Uterus

• Lig. teres uteri = Lig. rotundum ( r u n d e s M u t t e r b a n d ) , setzt v o n Bauchfell ü b e r z o g e n o b e n a m T u b e n w i n k e l a n , zieht d u r c h d e n Leis t e n k a n a l z u m B i n d e g e w e b e der g r o ß e n L a b i e n . Die runden M u t t e r b ä n d e r halten den Uterus n a c h v o r n e in seiner geneigten (anteversio) u n d g e k n i c k t e n (anteflexio) Lage. Entlang dieser Bänder kann, bedingt durch Uteruswachstum und -aufrichtung in der Schwangerschaft, der sog. Rotundumschmerz auftreten und bis in die Labien ziehen (Abb. 3.7-3).

• Lig. ovarii proprium 3 (Band des Eierstocks): Verbindungsband

zwischen

Uterusfundus

und

Ovar. • Lig. suspensorium ovarii 4 ( A u f h ä n g e b a n d des Eierstocks):

hält

das

Ovar

seitlich

in

der

S c h w e b e . I n n e n v e r l a u f e n die B l u t g e f ä ß e z u m Ovar.

3 4

proprius (lat.): eigen. suspensus (lat.): aufhängen.

3.8 Blutversorgung der Genitale Die B l u t v e r s o r g u n g e r f o l g t ü b e r die beidseitig angelegte Arteria uterina (Gebärmutterschlagader) u n d je eine Arteria ovarica (Eierstockschlagader) f ü r d a s r e c h t e u n d linke O v a r (Abb. 3.8-1).

• Die A . u t e r i n a e n t s p r i n g t d e r A. iliaca interna (innere Ast d e r Beckenarterie). Sie v e r l ä u f t seitlich a n d e r B e c k e n w a n d , ü b e r k r e u z t d e n H a r n leiter u n d e r r e i c h t die Z e r v i x a m u n t e r e n R a n d des Lig. l a t u m . N a c h A b z w e i g u n g d e r A. vagina-

3.9 Mamma, weibliche Brustdrüse

Hamus

Arteria

63

tubaris

Arteria

ovarica

(im Lig. sorium

Suspenovarii)

vaginalis

Abb. 3 . 8 - 1 : Arterielle Blutversorgung des weiblichen Genitals, die nicht dargestellten Venen verlaufen analog

Iis zur Versorgung der Scheide schlängelt sich die A. uterina neben dem Uterus im Lig. latum zum Fundus hoch. Sie entsendet diverse Gefäßäste vor und hinter den Uterus, wo sie sich über Anastomosen

(natürliche

Verbindungen

von

Blutgefäßen) mit den Asten der Gegenseite verbinden. Im Tubenwinkel unterteilt sich die A.

uterina in den Ramus ovaricusA barius.

und Ramus

tu-

' R a m u s (lat.): Ast, Zweig/Mehrzahl: R a m i , Abkürzung R .

• Die A. ovarica entspringt unterhalb der Nierenarterien aus der Aorta und verläuft im Lig. suspensorium ovarii zum Ovar, ein Ast führt direkt in die Markschicht. Die A. ovarica unterteilt sich nun auch in Ramus ovaricus und Ramus tubarus. Diese beiden Rami verbinden sich ebenfalls durch Anastomosen mit den gleichnamigen Rami der A. uterina. Gemeinsam versorgen sie Eierstock und Eileiter über 2 Gefäßbögen mit zahlreichen kleinen Arterien. Der Blutrückfluß erfolgt über ein ähnlich angeordnetes Venengeflecht und mündet in die inneren Beckenvenen.

3.9 Mamma, weibliche Brustdrüse Christine

Geist

3.9.1 Entwicklung der Brust Die Differenzierung der Brustdrüsenanlage geschieht bereits in der 7. Embryonalwoche. Die Drüsenanlage entsteht aus einer streifenförmigen Verdickung der Epidermis (Oberhaut), die als Milchleiste bezeichnet wird. Diese Verdik-

kungen der Epidermis dringen in das darunterliegende Mesenchym (embryonales Bindegewebe) ein und es bilden sich etwa 18—24 Aussprossungen, von denen jede wiederum eine kleine Knospe erzeugt. Zum Ende der Schwangerschaft werden die epithelialen Zellstränge kanalisiert und bilden die Milchgänge. Die End-

64

3. Anatomie und Physiologie

knospen entwickeln sich zu Sammelkanälchen und Azini 1 . Die Drüsenanlage erfolgt bei Mädchen und Jungen in gleicher (weiblicher) Form, die männliche Ausprägung wird später durch Androgene bewirkt. • 1. Phase der Brustdrüsenentwicklung. Die Brustdrüse ist ein hormonabhängiges Organ, dessen Aufgabe die Laktation (Milchbildung) ist. Im Alter von 9—13 Jahren beginnt sich die Drüsenanlage zu entwickeln, dieses Stadium wird Thelarche2 genannt. Das im Hypophysenvorderlappen (HVL) gebildete follikelstimulierende Hormon (FSH) regt die Follikelbildung im Eierstock an. In den Follikeln wird das Östrogen gebildet. Dieses wirkt auf die Brustdrüse ein und ist für das Längenwachstum der Milchgänge verantwortlich (Abb. 3.9-1).

• 2. Phase der Brustdrüsenentwicklung. Durch das Einsetzen des ovariellen Zyklus (Bildung des Gelbkörpers und damit Progesteron) beginnt die 2. Phase der Brustdrüsenentwicklung. Das Progesteron ist hauptverantwortlich für das Wachstum der Drüsensegmente mit den Azini. Etwa 1 1/2—2 Jahre nach Beginn der Menstruation ist die Mammogenese3, d. h. Gewebsdifferenzierung und Wachstum außerhalb der Schwangerschaft, vorerst abgeschlossen (Abb. 3.9-2).

Gelbkörper

Progesteron wirkt auf

Wachstum der Azini und Drüsensegmente

Hypophysenvorderlappen

A b b . 3.9-2: Schematische Darstellung der 2 . Phase der Brustdrüsenentwicklung

FSH wirkt auf

Ovarien

Östrogene wirken auf

Längenwachstum der Milchgänge A b b . 3.9-1: Schematische Darstellung der 1. Phase der Brustdrüsenentwicklung

1

z

Acinus (lat.) beerenförmiges Endstück seröser Drüsen. T h e l a r c h e (gr.) E n t w i c k l u n g d. weibl. Brustdrüse in der Pubertät.

• Veränderungen der Brustdrüse. Während der Sekretionsphase eines menstruellen Zyklus, in der Schwangerschaft und mit zunehmendem Alter erlebt eine Frau Gewichts- und Formveränderungen ihrer Brust. Sekretionsphase: Progesteron bewirkt eine Gewebsauflockerung und Ödemisierung (Wassereinlagerung) und somit eine kurzfristige Vergrößerung der Brust. Schwangerschaft: Unter Hormoneinfluß wachsen die Drüsensegmente und die Brust wird größer. Das Binde- und Fettgewebe wird mengenmäßig verdrängt. An der Haut können Striae (Streifen) entstehen. Im Klimakterium4 bilden sich die Drüsensegmente zurück, ebenso das Binde- und Fettgewebe. Durch Ptose (Senkung) des Drüsenkör-

3

4

M a m m a (lat.) weibl. Brustdrüse, genese (gr.) Entstehung. K l i m a k t e r i u m (gr.) Wechseljahre der Frau.

3.9 Mamma, weibliche Brustdrüse

Östrogen, Progesteron, plazentares Laktogen, Prolaktin

Estradiol Progesteron

Prolaktin

Kindheit

Geschlechtsreife

Schwangerschaft

Milchgänge und Drüsenkörper angelegt

Milchgänge und Drüsenkörper klein

Milchgänge und Drüsenkörper vergrößern sich, selten sezernieren sie Kolostrum

Stillzeit Alveolen der Drüsensegmente sezernieren Milch und füllen die Milchgänge

65

nachlassendes Östrogen und Progesteron

im Alter Milchgänge und Drüsenkörper stark zurückgebildet (Fettgewebe überwiegt)

Abb. 3.9-3: S t r u k t u r der weiblichen Brust in unterschiedlichen Lebensabschnitten

3.9.2 Anatomie der Brustdrüse

Sie liegt dem M. pectoralis major (große Brustmuskel) auf. Zwischen der Brust und dem Brustmuskel befindet sich ein Spalt, der retromammäre R a u m , der eine leichte Verschiebbarkeit der Brust gestattet. Eine Brust wiegt ca. 1 0 0 - 3 0 0 g (Abb. 3.9-4).

Die Brust der erwachsenen Frau liegt zwischen der 3. und 7. Rippe, seitlich zwischen dem Sternum (Brustbein) und der Axilla (Achselhöhle).

Die Mamille (Brustwarze, Papilla ria), in die die Milchausführungsgänge liegt in der Mitte der Areola mammae hof). Mamille und Areola sind braun

pers entsteht ein vermehrter Z u g auf die weniger elastische H a u t und damit das Bild der schlaffen Brust (Abb. 3.9-3).

mammamünden, (Warzenpigmen-

Milchsee

Bindegewebszüge Ausführungsgänge

Brustwarze

Warzenhof

Venengeflecht

Fett

Abb. 3.9-4: Rechte weibliche Brustdrüse. Im u n t e r e n inneren Q u a d r a n t e n sind die H a u t , im o b e r e n inneren Q u a d r a n t e n H a u t - u n d Fettgewebe e n t f e r n t

66

3. Anatomie und Physiologie

Milchbläschen Alveolen Sarnmelkanälchen Hauptmilchgang Ductus lactiferus

Milchsee Sinus lactiferus Blutgefäß

Ausführungsgänge Brustwarze (Mamille) Papilla mammaria

milchbildendes Zylinderepithel

Warzenhof Areola mammae

Bindegewebsstränge Cooper-Ligamente Fettgewebe

Abb. 3.9-5: Längsschnitt durch die weibliche Brustdrüse mit 2 vergrößerten Alveolen aus einem Drüsensegment

tiert, in der S c h w a n g e r s c h a f t n i m m t die Pigmen-

Fett- und Bindegewebe. Es gibt 1 5 — 2 0 D r ü s e n -

tierung zu. In der M a m i l l e befindet sich der M .

segmente oder Drüsenlappen in jeder Brust. D i e

Dies ist ein s c h r a u b e n f ö r m i g

D r ü s e n s e g m e n t e sind kleine Funktionseinheiten,

sphincter

papillae.

angelegtes M u s k e l f a s e r n e t z , welches in den War-

die von den C o o p e r - L i g a m e n t e n

z e n h o f ausstrahlt. Bei B e r ü h r u n g der

Mamille

stränge) gestützt und im

kontrahieren

und

die

verankert werden. Fett- und Bindegewebsanteile

B r u s t w a r z e stellt sich auf. D i e A r e o l a hat einen

der Brust sind bei jeder Frau unterschiedlich und

D u r c h m e s s e r von ca. 2 — 5 c m und ist leicht er-

b e s t i m m e n G r ö ß e und ä u ß e r e F o r m . D i e G r ö ß e

h a b e n . Bei E r e k t i o n der B r u s t w a r z e wird der

der

Warzenhof

fähigkeit.

sich

kleiner.

die

Muskelfasern

In

ihm

münden

Talg,

Brust

hat

keinen

(Bindegewebs-

Unterhautfettgewebe

Einfluß

auf

die

Still-

S c h w e i ß - und die M o n t g o m e r y - D r ü s e n . Alle 3 gehören zu den a p o k r i n e n Drüsen (Drüsen mit äußerer S e k r e t i o n ) . D i e Talgdrüsen sondern Fett

Feinstruktur eines Drüsensegmentes

ab, das beim S a u g a k t des Kindes Lippen und Areola luftdicht abschließt. D a s Fett dient auch als H a u t s c h u t z . D i e Hauptbestandteile

Drüsengewebe, Das 5

Fettgewebe

Drüsenparenchym5

der Brustdrüse

und liegt

sind

Bindegewebe.

eingebettet

Parenchym (gr.) spez. Zellen eines Organs.

im

Die Alveolen6

sind t r a u b e n f ö r m i g e

welche innen mit Zylinderepithel

Bläschen,

ausgekleidet

sind und der M i l c h b i l d u n g dienen. Außen sind die Alveolen

und die

Milchsammelkanälchen

von den Myoepithelzellen

(Korbzellen)

umge-

ben. Dies sind sternförmige Muskelzellen, die 6

alveolus (lat.): Kleine Mulde.

3.10 Frühe Entwicklung des Keimes sich durch Fortsätze miteinander verbinden. Durch Kontraktion dieser Muskeln wird die Milch von den Alveolen in die Ausführungsgänge gepreßt. Bestandteile eines Drüsensegmentes sind: • Alveolen nannt)

(vor der Laktationsphase Azini ge-

• Milchsammelkanälchen, zum • Hauptmilchgang, zum • Milchsee

die sich verzweigen

der sich unter der Areolea

erweitert und mit dem

• Ausführungsgang (Abb. 3.9-5).

in der Mamille

mündet

Blut-, Nervenversorgung, Lymphsystem Die Blutversorgung der Brust erfolgt hauptsächlich über den absteigenden Ast der Brustaorta, der Arterie unter dem Schlüsselbein und der Ar-

67

terie in der Achselhöhle. Die Gefäße bilden untereinander ein Netz. Die Venen folgen dem Arterienverlauf. Sie bilden unter dem Warzenhof ein Venengeflecht (Plexus venosus areolaris). In der Schwangerschaft und der Stillzeit treten die Venen stärker hervor. Nervenversorgung. Im Gegensatz zur restlichen Brust hat die Mamille viele sensible Nervenendigungen, welche zusammen mit den Muskeln zur Erektion der Mamille führen. Dies ist besonders beim Stillen wichtig. Lymphsystem. Die Brustdrüse hat ein weit verzweigtes Lymphgefäßnetz. Die Lymphgefäße enden in den interlobaren 7 Räumen zwischen den Drüsensegmenten. Die Lymphe wird hauptsächlich über die Lymphknoten der Achselhöhle abgeleitet. Die Veränderung der Brustdrüse in der Schwangerschaft

und

die

Milchbildung

sind

auf

S. 2 8 9

be-

schrieben. 7

L o b o s (gr.) Lappen, inter (lat.) (da)zwischen.

3.10 Frühe Entwicklung des Keimes Simone Kirchner Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie sich aus einer durch Befruchtung neu entstandenen Zelle das komplexe Wesen Mensch entwickelt. Mit der Geburt ist die Entwicklung nicht abgeschlossen. Augen, Lunge, Genitaltrakt und die meisten anderen Organe reifen über Monate und Jahre zu ihrer vollständigen Funktionstüchtigkeit. Der präpartale (vorgeburtliche) Entwicklungsprozeß von der Befruchtung bis zur Geburt dauert etwa 266 Tage und wird in Embryonal und Fetalphase2 unterschieden. • Embryonalphase: In den ersten 8 Wochen post conception (p. c., nach der Befruchtung) differenzieren sich die Körperzellen. Die Organe 1

e m b r y o (gr.): Leibesfrucht.

2

fetus (lat.): ungeborene Leibesfrucht.

werden angelegt, der wachsende Keim erhält eine menschenähnliche Form. • Fetalphase: Bis zur Geburt wachsen und reifen die Organsysteme und Gewebe aus. Anders als im folgenden T e x t wird in der G y n ä k o logie die E m b r y o n a l p h a s e mit 12 Schwangerschaftswochen (SSW)

oder 3 M o n a t e n angegeben. Diese Be-

rechnung orientiert sich am ersten T a g der letzten Menstruationsblutung, beginnt also 2 W o c h e n eher. Es bleibt aber ein Definitionsunterschied von 2 W o c h e n .

3.10.1 Präimplantation Bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzellen entsteht die Zygote3 mit komplettem Chromosomensatz. Nach etwa 30 Stunden beginnt sie 3

zygotos (gr.): zweispännig.

68

3. Anatomie u n d Physiologie Befruchtung

2. Tag Zygote mit 2 Blastomeren

4. Tag Morula

8. Tag Nidation der Blastozyste

5. Tag Blastozyste Uterus druse

Trophoblast Keimscheibe des Embryoblast

Fimbrientrichter der Tube

Myometrium - Endometrium

Abb. 3.10-1: Entwicklung und Wanderung der befruchteten Eizelle bis zur Implantation (1. —8. Tag p. c.)

sich zu teilen (Abb. 3.10-1). H i e r b e i w e r d e n die v o n M u t t e r u n d Vater v e r e r b t e n G e n i n f o r m a t i o n e n bei jeder Z e l l t e i l u n g w e i t e r g e g e b e n . D i e ents t e h e n d e F r u c h t h a t ein neues, einzigartiges „genetisches S t r i c k m u s t e r " . Es e n t s t e h e n z u n ä c h s t 2, d a n n 4, d a n n 8 c h r o m o s o m g l e i c h e Z e l l e n , die Blastomeren4

g e n a n n t w e r d e n . Die z u s a m m e n -

hängende Z e l l a n s a m m l u n g wird von der pellucida5

Zona

umgeben.

In e t w a 4 T a g e n d u r c h w a n d e r t die sich teilende Z e l l k u g e l , M o r u l a 6 , die T u b e n u n d erreicht die U n t e r u s h ö h l e im S t a d i u m v o n meist 16 B l a s t o m e r e n . Die g e s a m t e M o r u l a h a t n o c h i m m e r die G r ö ß e d e r b e f r u c h t e t e n Eizelle. Auf

ter D e h n u n g d e r Z o n a pellucida Flüssigkeit a u f , bis eine flüssigkeits- u n d zellgefüllte H o h l k u g e l , die Blastozyste (Keimblase), e n t s t e h t . Die ä u ß e r e Schicht w i r d n u n v o n Trophoblastenzellen7 gebildet, die s c h o n in dieser P h a s e die E r n ä h r u n g der Frucht übernehmen. • Später entwickeln sich aus dem T h r o p h o b l a s t e n die Nabelschnur, die kindlichen Anteile der Plazenta und des Chorion (äußere Eihaut). • Die innere Zellansammlung, der Embryoblast, wird zum E m b r y o und Amnion (innere Eihaut).

Die Blastozyste w a n d e r t 2—3 Tage auf d e m E n d o m e t r i u m , u m e t w a a m 6. T a g p. c. ihren e n d g ü l t i g e n E i n n i s t u n g s o r t zu erreichen.

i h r e m Weg h a t sie sich v o n ihren eigenen E n e r giereserven u n d einigen S u b s t a n z e n des T u b e n sekretes e r n ä h r t . N a c h E i n t r i t t in die U t e r u s h ö h l e d i f f e r e n z i e r e n sich e r s t m a l s die Zellen in A u s s e h e n u n d F u n k t i o n : die M o r u l a n i m m t u n 4 5 6

Blasto (gr.): Sproß, Trieb. pellucidus (lat.): durchsichtig. M o r u m (lat.): Maulbeere.

3.10.2 Implantation, Nidation Vorzugsweise erfolgt die Nidation8 an d e r hinteren, o b e r e n Uterusseite, d a diese d e n h ö c h s t e n A u f b a u an Endometrium aufweist. 7 8

t r o p h . (gr.): Wortteil mit Bedeutung Ernähren. Nidus (lat.): Nest, plantare (lat.): einpflanzen.

3.11 Plazentaentwicklung und Funktion Durch Wachstum sprengen die Trophoblastenzellen die Zona pellucida und nehmen Kontakt zum Endometrium auf. Eigenbewegung und Enzymabsonderungen zerstören mütterliches Gewebe an der Einnistungsstelle (Abb. 3.10-1).

69

Diese Verletzung kann zu einer leichten Blutung führen, die manchmal für eine Mensesblutung gehalten wird. Die Blastozyste dringt vollständig in das Endometrium ein. Der Endometriumdefekt verschließt sich, die Implantation ist etwa am 11. Tag p. c. abgeschlossen.

3.11 Plazentaentwicklung und Funktion Noch während der Nidation verändern sich die Trophoblastenzellen. Sie wachsen als armförmige Chorionzotten in das Endometrium. Zotteninvasion und das von den Zotten abgesonderten Hormon H C G (humanes Chorion-Gonadotropin) induzieren den Zellaufbau und ein Ödem im Endometrium. Es lagern sich Lipoide und Glykogen ein. Durch eigene Hormone bildet das Endometrium einen Schutz vor zu tiefem Eindringen des Keimes. Das so umgestaltete Endometrium wird nun Dezidua 1 genannt. Die nahrungsaufnehmenden Chorionzotten liegen am 11. Tag p. c. noch gleichrangig auf der gesamten kugeligen Oberfläche der Blastozyste, nun auch Zottenei genannt (Abb. 3.11-1), erst später reift das eigentliche Ernährungsorgan, die Plazenta, aus.

Cavum uteri

Abb. 3.11-1: 4. Woche nach der Befruchtung (p.c.): Der Embryo wächst in das Cavum uteri. Die Chorionzotten umhüllen die gesamte Keimanlage

Cavum uteri

Decidua basaiis

Chorion laeve Decidua capsularis Decidua parietaiis

Abb. 3.11-2: 10. Woche p. c.: Ausdehnung der Amnionhöhle, das Cavum uteri ist fast ausgefüllt. Verlagerung des Dottersackes und Ausbildung des Chorion laeve durch Rückbildung der Chorionzotten auf der dem Einnistungsort gegenüberliegenden Seite

Die uteruswandnahen Zotten beginnen zu wachsen, da sie ideale Ernährungsbedingungen vorfinden und bilden das Fundament der Keimanlage. Dieser fetale Pflanzenanteil heißt Chorion frondosum2. Während im weiteren der Keim aus der Deziduaversenkung in die Uterushöhle wächst, degenerieren die Chorionzellen, die das Dach der Keimanlage bilden. Dieses Dach ist das Chorion laeve3 (Zottenglatze) (Abb. 3.11-2). Das Chorion laeve ist der fetale Anteil der äußeren Eihaut, der Chorionhaut. Die Dezidua hat je nach Ort und Funktion unterschiedliche Namen:

2 1

deziduus (lat.): abfallend.

Ausbildung des Chorium frondosum

3

frondosum (lat.): belaubt. laevis (lat.): glatt, unbehaart.

70

3. Anatomie und Physiologie

• Decidua basalis 4 heißt die Zellschicht unter dem F u n d a m e n t des Keimes. Sie ist der mütterliche Anteil der Plazenta und wird nochmals unterteilt in Decidua basalis compacta5 (chorionnah) und Decidua basalis spongiosa6 (myometriumnah). • Decidua capsularis heißt die Zellschicht über dem Dach des Keimes. • Die Decidua parietalis 7 = Decidua marginalis 8 kleidet die restliche Uterushöhle aus. Sie verschmilzt mit der Decidua capsularis, sobald der Keim im Laufe seines Wachstumes die gesamte Uterushöhle einnimmt. Die beiden Schichten stellen den mütterlichen Anteil der C h o r i o n h a u t (Abb. 3.11-3).

von Bindegewebe gefüllt werden (Sekundärzotten). Die Z o t t e n a r m e verzweigen sich. Am 18. Tag p. c. erreichen die C h o r i o n z o t t e n mütterliche Blutgefäße der Dezidua und e r ö f f n e n sie. Das mütterliche Blut fließt n u n in die d u r c h die Z o t t e n f i n g e r gebildeten H o h l r ä u m e , die Lakunen (Blutseen). Kurze Zeit später differenzieren sich in den Z o t t e n a r m e n und - h ä n d e n Kapillare aus (Tertiärzotten, 20. Tag p. c.), in denen das kindliche Blut zu zirkulieren beginnt. Die in das mütterliche G e w e b e festgekrallten C h o r i o n z o t t e n f i n g e r finden d u r c h ihre Verzweigungen guten H a l t . Einige Z o t t e n sitzen besonders fest im mütterlichen G e w e b e ( H a f t z o t t e n ) . Die verzweigte Form gewährleistet eine g r o ß e Fläche f ü r den Stoffaustausch zwischen M u t t e r und Kind.

3.11.2 Mateme und fetale Anteile der Plazenta Das

Chorium

frondosum

(nahrungsaufneh-

m e n d e Z o t t e n v e r b ä n d e der kindlichen Plazentaseite) und die Versorgungsareale der mütterlichen Decidua

basalis

compacta

bilden zusam-

men das O r g a n Plazenta (Abb. 3.11-3). Es findet hier keine Bluttransfusion statt, da Abb. 3.11-3: 20. Woche p. c.: Das C a v u m uteri ist gänzlich ausgefüllt. Die mütterliche D e c i d u a parietalis (D. gegenüber der Keimanlage) ist mit der D e c i d u a capsularis (D. über der Keimanlage) verklebt. Sie bilden g e m e i n s a m mit d e m C h o r i o n laeve die ä u ß e r e Eihaut, das Chorion

die fetalen Kapillare durch mehrere Zellschichten

von

den

Lakunen

getrennt

Trennschicht, das Synzitium9,

sind.

Diese

bildet die Plazen-

taschranke (Abb. 3.11-4). Sie f u n k t i o n i e r t ähnlich einem

feinen Sieb,

das

d u r c h seine L o c h g r ö ß e über den D u r c h l a ß der Teilchen entscheidet. Blutanteile sind zu g r o ß , u m das Sieb

3.11.1 Weiterentwicklung der Chorionzotten Um das Zottenei bilden sich zunächst Z o t t e n a r m e (Primärzotten, 15. Tag p. c.), die alsbald 4 5 6 7 8

basis (lat,): G r u n d l a g e , G r u n d s c h i c h t . c o m p a c t u s (lat.): fest. s p o n g i o s u s (lat.): s c h w a m m i g . parietal: seitlich, w a n d s t ä n d i g . marginal: randständig.

zu passieren.

Die mütterliche Blutmenge in den ausgereiften L a k u n e n (intervillöser Raum) u m f a ß t insgesamt etwa 150 ml. Es wird 3 — 4 mal in der Minute ausgetauscht. Die L a k u n e n werden aus den

9

Synzitium: eine d u r c h Verschmelzung verschiedener Einzelschichten e n t s t a n d e n e Trennschicht, die keine eigentlichen Zellgrenzen a u f w e i s t .

71

3.11 Plazentaentwicklung und Funktion

venöser Randsinus

Myometrium

Spiralarterle

Zotte mit fetaler Arteriole und Venole

Deziduaseptum

Zottenstamm mit fetaler Arterie und Vene

Plazentaschranke

Decidua basalis compacta Chorionplatte

Decidua basalis spongiosa

Amnionepithel Intravillöser Raum (kindliches Blut) Intervillöser Raum (mütterliches Blut)

2 Nabelarterien 1 Nabel vene—

Nabelschnur Abb. 3.11-4: Querschnitt durch die Plazenta: Schematische Darstellung der durch die Plazentaschranke getrennten mütterlichen und fetalen Blutzirkulation (rosa/rot = sauerstoffreiches, grau/schwarz = sauerstoffarmes Blut).

S p i r a l a r t e r i o l e n gespeist, die m i t Blut aus d e r

wir am Nabelschnuransatz nur noch 2

Arteria uterina versorgt werden.

terien u n d 1 Nabelvene

Das Raum) der

fetale

Kapillarsystem

Nabelar-

finden.

(intravillöser

Im m y o m e t r i u m n a h e n Teil der D e c i d u a b a s a -

b e i n h a l t e t e t w a 100 ml. Die Kapillaren

lis s p o n g i o s a sind F i b r i n k ö r p e r c h e n eingelagert.

Chorionzottenfinger

laufen

in

Richtung

Keim zu S t r ä n g e n z u s a m m e n u n d bilden einen

H i e r weist die D e z i d u a s c h i c h t eine

besonders

lockere Z e l l s t r u k t u r a u f . An dieser Stelle w i r d

A r t e r i e n - u n d V e n e n b a u m . In d e n Z o t t e n a r m e n

sich die P l a z e n t a in d e r N a c h g e b u r t s p h a s e von

b e f i n d e n sich je eine Vene u n d Arterie. Auf d e r

der

C h o r i o n p l a t t e vereinigen sich die G e f ä ß e , so d a ß

lösen.

untersten

verbleibenden

Deziduaschicht

72

3. Anatomie und Physiologie

3.11.3 Funktionen der Plazenta, Plazentaschranke

P l a z e n t a u n d s o r g t auf d i e s e m Wege f ü r ausreic h e n d e V e r s o r g u n g u n d W a c h s t u m des Feten. Im L a u f e der S c h w a n g e r s c h a f t steigt die K o n z e n t r a -

D e r Fet k a n n w e d e r s e l b s t ä n d i g a t m e n Nahrung

aufnehmen,

noch

kann

er

oder Stoff-

w e c h s e l e n d p r o d u k t e a u s s c h e i d e n . A u f g a b e n wie Atmung,

Exkretion

u n d Ernährung,

die n a c h

d e r G e b u r t Lunge,

Leber u n d Nieren

s o w i e Ma-

gen-Darm-Trakt

übernehmen,

e r f ü l l t die Pla-

z e n t a v o r d e r G e b u r t . Einzelne N ä h r s t o f f e w e r N e b e n d e r e i n f a c h e n , passiven Stoffe

Diffusion

(Wasser,

der

Sauerstoff,

einzelne N ä h r s t o f f e ) vollzieht die P l a z e n t a einen aktiven

der

Plazenta

(Laboruntersuchung

der

H P L - K o n z e n t r a t i o n im m ü t t e r l i c h e n Blut). •

Die v o n d e r P l a z e n t a a u s g e s c h i e d e n e n Östro-

gene

(Östriol,

Östron,

Östradiol)

bewirken

Wachstum und Z u n a h m e der mütterlichen Myometriumzellen. D a s erst in d e r zweiten

Schwangerschafts-

h ä l f t e a b g e g e b e n e Progesteron h e m m t die Aktivität d e r U t e r u s m u s k u l a t u r u n d v e r h i n d e r t ü b e r mäßige Wehentätigkeit.

Stoffaustausch.

Hierbei hilft das Enzym ATP den großmolekularen A u f b a u s t o f f e n (Vitamine, H o r m o n e und Aminosäuren) und den A b b a u p r o d u k t e n des fetalen Stoffwechsel die Plazentaschranke zu überwinden.

D e r A u s t a u s c h v o n S a u e r s t o f f u n d Kohlendioxid wird durch das besonders bindungsfähige fetale

tigkeit



d e n in d e r P l a z e n t a g e s p e i c h e r t . kleinmolekularen

t i o n an u n d ist I n d i k a t o r f ü r die F u n k t i o n s t ü c h -

Hämoglobin

(Hb-F) erleichtert.

Die P l a z e n t a s c h r a n k e s c h ü t z t v o r d e m Eindringen von Mikroorganismen und

großmole-

kularen Stoffen. D u r c h Lecks kann es aber zu M i k r o t r a n s f u s i o n e n von Erythrozyten und Leukozyten in fetaler oder materner Richtung k o m m e n . G r ö ß e r e f e t o m a t e r n e Transfusionen führen zu ernsten Komplikationen (z. B. Antikörperbildung bei Rhesusfaktor-Unverträglichkeit).

Eine weitere F u n k t i o n d e r P l a z e n t a liegt in ihrer H o r n i o n p r o d u k t i o n .

Die g e b i l d e t e n

Hor-

m o n e g e h e n in d e n m ü t t e r l i c h e n

Organismus

über

Schwanger-

und

dienen

vorrangig

dem

3.11.4 Plazentaform und Nabelschnur Z u m E n d e d e r S c h w a n g e r s c h a f t erreicht die fast runde

Plazenta

ein

Gewicht

von

etwa

5 0 0 — 6 0 0 g (1/6 des Fetalgewichtes) u n d einen D u r c h m e s s e r v o n 15—20 c m . Sie h a t eine D i c k e v o n 1,5—3 c m u n d ist s c h w a m m i g - f e s t . Würde m a n alle Chorionzotten der Plazentafelder aufgeschnitten auf eine Fläche legen, bedeckten sie den Boden eines durchschnittlichen Kinderzimmers: 1 2 - 1 5 qm.

• Materne Seite. W i r f i n d e n auf d e r m ü t t e r l i chen Seite 10—38 P l a z e n t a f e l d e r (unterschiedliche L i t e r a t u r a n g a b e n ) . M i k r o s k o p i s c h b e t r a c h tet f i n d e t m a n d a r i n viele Kotyledonen10

(Zot-

t e n a r m e m i t ihren Verzweigungen). Die Plazentafelder werden voneinander durch

Deziduasep-

ten ( D e z i d u a g e w e b e m a u e r n ) g e t r e n n t . • Fetale Seite. D i e k i n d l i c h e Seite,

Chorion-

schaftserhalt:

platte 1 1 , ist wie die N a b e l s c h n u r v o n t r a n s p a -

• W ä h r e n d d e r ersten M o n a t e bildet die Pla-

renten

zenta H C G (humanes Chorion G o n a d o t r o p i n ) ,

liegt d a s

d a s d e n G e l b k ö r p e r stimuliert u n d so in seiner

Z u m N a b e l s c h n u r a n s a t z hin vereinigen sich die

schwangerschaftserhaltenden

G e f ä ß e zu 2 N a b e l a r t e r i e n u n d 1 N a b e l v e n e .

Funktion

unter-

stützt.

Amnionzellen12

überzogen.

fetale A r t e r i e n -

und

Darunter

Venengeflecht.

(Abb. 3.11-5)

• D a s HPL ( h u m a n e s P l a z e n t a - L a k t o g e n ) ist a b der 6. SSW im m ü t t e r l i c h e n S e r u m n a c h w e i s b a r . Es regt d e n K o h l e n h y d r a t - , Eiweiß- u n d Fetts t o f f w e c h s e l an u n d w i r d d e s h a l b (stoffwechselbedingendes) hormon

metabolisches Schwangerschafts-

g e n a n n t . U n t e r H P L - E i n f l u ß w ä c h s t die

10 11 12

Kotyledon (gr.): Becher, Vertiefung. Chorion = Z o t t e n h a u t . Amnion (gr.): Wasserhaut; irrtümlich für die Fruchtwasserproduktion verantwortlich gemachte innere Eihaut.

3.11 Plazentaentwicklung und Funktion

73

Nabelschnur Chorionplatte

Nabelvene

Plazenta-

Nabelarterle

Abb. 3.11-5: a. Fetale Plazentaseite mit zentralem Nabelschnuransatz, Blick auf die Chorionplatte und das umgebende Amnion (innere Eihaut), b. Materne Plazentaseite mit Blick auf die Plazentafelder der Basalplatte und das umgebende Chorion (äußere Eihaut)

• D i e e t w a 5 0 c m lange Nabelschnur ist v o n fest-elastischer Konsistenz. In d e r 1,5—2 c m dikk e n Wharton^3-Sülze

v e r l a u f e n die 3 N a b e l g e -

f ä ß e s p i r a l f ö r m i g , w o b e i sich die A r t e r i e n u m die Vene s c h l ä n g e l n . Dieser G e f ä ß v e r l a u f u n d d a s

längsverspannte

Stützgewebe gewährleistet Schutz vor Kompressionen u n d eine h o h e D e h n u n g s f ä h i g k e i t .

Nabelschnurumschlingungen,

die sich h ä u f i g

bei ü b e r l a n g e r N a b e l s c h n u r ereignen, stellen d e s h a l b n u r selten eine e r n s t h a f t e G e f ä h r dung dar.

Ein echter Nabelschnurknoten,

d e r d u r c h Kinds-

b e w e g u n g e n in d e r F r ü h s c h w a n g e r s c h a f t entsteh e n k a n n , b e d r o h t d a s fetale L e b e n .

13

3.11.5 Abweichende Nabelschnuransätze und Plazentaformen

T. Wharton: Anatom, London 1614-1673.

Die N a b e l s c h n u r setzt in d e r Regel z e n t r a l (Insertio centralis, 6 8 % , A b b . 3.11-5) o d e r z u r Seite v e r s c h o b e n (lnsertio lateralis, 2 1 % ) auf d e r C h o r i o n p l a t t e an (Abb. 3.11-6). D e r seltene r a n d s t ä n d i g e Sitz (lnsertio marginalis, 1 0 % ) g e f ä h r d e t wie d e r a u ß e r p l a z e n t a r e (.lnsertio velamentosa, 1 % ) d e n Feten. Die D r u c k - u n d Reißfestigkeit d e r b e i d e n l e t z t g e n a n n t e n N a b e l s c h n u r a n s ä t z e ist h e r a b g e setzt. W e r d e n u n g e s c h ü t z t auf d e r E i h a u t verlauf e n d e G e f ä ß e verletzt (z. B. bei B l a s e n e r ö f f n u n g ) , k a n n es zu g e f ä h r l i c h e n f e t a l e n B l u t u n gen k o m m e n . Formanomalien d e r P l a z e n t a (Abb. 3.11-6) w e r d e n d u r c h N i e d e r g a n g von ö r t l i c h e n C h o rionzotten oder durch unvollständige Choriong l a t z e n b i l d u n g v e r u r s a c h t . G r u n d dieser E n t w i c k l u n g ist eine E n d o m e t r i u m i n s u f f i z i e n z a m

74

3. Anatomie und Physiologie

Abb. 3.11-6: Anomalien des Nabelschnuransatzes und der Plazentaform, a. Insertio lateralis (seitlicher satz), b. Insertio marginalis (randständiger Ansatz), c. Insertio velamentosa (Ansatz auf Eihaut), d. Placenta succenturiata (Nebenplazenten), e. Placenta bipartita (Doppelplazenta) velamentösem Ansatz, f. Placenta circumvallata (Einfalzung der Eihäute über dem Rand Chorionplatte)

Einnistungsort. Sie k a n n durch vorangegangene

• Die Placenta

Entzündungsprozesse (z. B. E n d o m e t r i t i s ,

auch

durch

durch

oder

Intrauterinpessar

hervorgerufen)

durch Verletzungen bei Kürrettagen

verursacht

sein. In der N a c h g e b u r t s p h a s e h a b e n diese Plazenten eine erhöhte K o m p l i k a t i o n s r a t e , da ihre F o r m die v o l l k o m m e n e A b l ö s u n g e r s c h w e r t . • Die Plazenta

bipartita

(geteilte Plazenta) ist durch

chorionzottenfreie Zonen in 2, selten 3 Teile getrennt. Die fetalen Gefäße verlaufen zwischen den Plazentateilen auf den Eihäuten, meist finden wir eine Insertio velamentosa. • Als Placenta

succenturiata

(Nebenplazenta) wird

choriongewebefreie

Eihaut-

zonen. • Die ring- bzw. gürtelförmige Placenta

zonaria14

ist

in der Mitte atrophiert und hat einen velamentösen Nabelschnuransatz. • Die Placenta

membranacea

(membranose Plazenta)

bedeckt die gesamte Eihaut als großflächiges dünnes Zottengewebe. • Eine Sonderform ist die Placenta auch Placenta

extrachorialis

circumvallata,

genannt. Das Zottenge-

webe ist über die Chorionplatte

hinausgewachsen.

Dieser ungeschützte Wulst neigt zur vorzeitigen Lö-

ein durch fetale Gefäße verbundener freier Plazentasatelit bezeichnet.

(gefensterte Plazenta) hat

fenestrata

Zottenatrophien

Ander mit der

14

zone (gr.): Gürtel.

3.11 Plazentaentwicklung und Funktion sung u n d d a m i t zu Blutungen in der S c h w a n g e r s c h a f t .

75

3.11.7 Fruchtwasser

Die E i h ä u t e bilden a m P l a z e n t a a n s a t z eine ringförmige, dickwulstige Niesche (Abb. 3.11-6).

3.11.6 Eihäute Die Fruchtblase besteht aus den 2 Eihäuten: Chorion (Lederhaut o d e r Z o t t e n h a u t , außen) und Amnion (Wasserhaut, innen). Beide Eihäute sind gegeneinander verschieblich und garantieren so eine stabile F r u c h t u m h ü l l u n g . Die d e m Uterus z u g e w a n d t e äußere Eihaut entwickelt sich aus d e m Trophoblastenanteil der Frucht. W ä h r e n d auf der Decidua basalis die Plazenta entsteht, w ä c h s t der Keim aus seiner vollständigen Versenkung unter D e h n u n g des C h o r i o n d a c h e s in die Uterushöhle. Im weiteren Wachstumsverlauf füllt die Fruchtanlage den gesamten U t e r u s i n n e n r a u m , die Z o t t e n des C h o riondaches degenerieren zum C h o r i o n leave. Die

D a s ungeborene Kind entwickelt sich in einem flüssigkeitsgefüllten R a u m , der durch die Eihäute begrenzt wird. Die so g e w ä h r t e Bewegungsfreiheit ist äußerst wichtig für die Ausform u n g der kindlichen Extremitäten. D a s Fruchtwasser (Liquor amnii) dient dem mechanischen Schutz. Stöße von außen, wie auch Kindsbewegungen werden g e d ä m p f t , die N a b e l s c h n u r k a n n sich frei im R a u m bewegen und ihre D u r c h b l u t u n g wird nicht durch das Kindsgewicht behindert. D a s Fruchtwasser ist Bindeglied im f e t o m a ternen Stoffaustausch. Weniger als E r n ä h r u n g s substanz, vielmehr als Flüssigkeitsspender ist es f ü r das Kind von großer Bedeutung. In der wässrigen, alkalischen Flüssigkeit (pH: ca. 7) von milchig-klarer Farbe sind in hoher Konzentration H a r n s t o f f , Kreatinin, Milch-

auf dem C h o r i o n leave verbliebene Decidua capsularis stößt an die gegenüberliegende Uterusseite und verklebt mit der Decidua partietalis. Den Verband von Chorion leave, Decidua capsularis und Decidua parietalis nennen wir Chorionhaut (s. Abb. 3.11-3). N a c h der G e b u r t ist die Dezidua außen auf der Eihaut als weißgraue, a u f g e r a u h t e Schicht sichtbar. Die freie C h o r i o n h a u t geht a m Plazentarand direkt in die C h o r i o n p l a t t e der Plazenta über. Sie unterstützt die Plazenta im f e t o m a t e r n e n Stoffaustausch. Die innere Amnionhaut ist t r a n s p a r e n t und läßt sich bis zur Plazenta von der C h o r i o n h a u t t r e n n e n . C h o r i o n p l a t t e und N a b e l s c h n u r sind ebenfalls mit Amnionzellen bedeckt. Amnionzellen e n t s t a m m e n dem Embryoblastenanteil des Keimes. Auch das A m n i o n n i m m t am fetomaternen Stoffaustausch teil. W ä h r e n d aber das C h o rion im direkten K o n t a k t zwischen M u t t e r und Kind steht und aktiv a m Geschehen beteiligt ist, bildet das A m n i o n n u r eine passiv durchlässige, reißfeste Schicht. Es wird nicht von Kapillaren versorgt und ist auf die E r n ä h r u n g durch das Fruchtwasser angewiesen. (Früher n a h m m a n an, die A m n i o n h a u t „ p r o d u z i e r e " das Fruchtwasser.)

A b b . 3.11-7: Schematische D a r s t e l l u n g der Fruchtw a s s e r p r o d u k t i o n u n d - r e s o r p t i o n in der zweiten S c h w a n g e r s c h a f t s h ä l f t e . P r o d u k t i o n s o r t e (roter Pfeil), R e s o r p t i o n s o r t e (schwarzer Pfeil)

76

3. Anatomie und Physiologie

säure, Prolaktin und in niedriger Konzentration Glukose, Fette sowie Proteine gelöst. Wir finden fetale Zellen, später Lanugo und Vernix-, selten auch Mekoniumbestandteile. Im Verlauf der Schwangerschaft nimmt die Konzentration der meisten Elektrolyte ab, auch verringert sich der Gehalt der Proteinkonzentration. Im gleichen Zeitraum steigt die Konzentration der Gesamtphospholipide als Zeichen der Lungenreifung. Das Fruchtwasser wird aus dem mütterlichen Wasserhaushalt über das Chorion durch das Amnion in die Fruchthöhle gebracht (Abb. 3.11-7). Ein erheblicher Anteil wird von der Chorionplatte über die Plazenta gebildet. Bis etwa zur 20. SSW diffundiert das Fruchtwasser auch durch die Haut des Feten und entspricht in seiner Zusammensetzung der extrazellulären fetalen Flüssigkeit. Mit Beginn der Nierenfunktion stellt auch der fetale Urin einen Anteil des Fruchtwassers. Zusätzlich ist die fetale Lunge als exokrine Drüse an der Fruchtwasserbildung beteiligt.

Die Resorption erfolgt im hohen Maße durch den Magen-Darm-Trakt des Feten (ab der 15. SSW) zum geringen Teil über die Eihäute. Die fetale Lunge resorbiert ebenfalls einen Teil der Flüssigkeit. Am Ende der Schwangerschaft wird das Fruchtwasser etwa zu einem Drittel pro Stunde ausgetauscht. Nach einem Blasensprung bleibt die Fruchtwasserproduktion erhalten, während die Resorption gestört wird. Der Wasserhaushalt der schwangeren Frau kann aus dem Gleichgewicht geraten, solange viel Fruchtwasser abläuft.Sie leidet unter Durst als Zeichen ihres erhöhten Flüssigkeitsbedarfes nach Blasensprung. Fruchtwassermenge: • 9. SSW etwa 5 - 1 0 ml • 36. SSW etwa 1000 ml • 40. SSW große Schwankungsbreite zwischen 300 und 1500 ml (s. S. 261) • nach Überschreiten des Termins nimmt die Fruchtwassermenge zusehends ab, da Plazenta und Eihäute Altersveränderungen ausgesetzt sind.

3.12 Keimscheibe, Embryonal- und Fetalperiode 3.12.1 Entwicklung der dreiblättrigen Keimscheibe Am 8. Tag p. c. befindet sich der etwa 0,75 mm große Keim im Stadium der Implantation. Die Trophoblastenzellen der Keimhülle vermehren sich und wuchern in das mütterliche Endometrium. An einer Wandstelle des flüssigkeitsgefüllten Keiminneren befinden sich scheinbar ungeordnete Embryoblastenzellen (s. Abb. 3.10-1). Sie ordnen sich nun zu einer mehrreihigen, hochzylindrischen Epithelschicht, dem Ektoderm1. Auf der dem Trophoblasten zugewandten Seite entsteht ein Spaltraum im Gewebe, die Amnionhöhle. Zur anderen Seite entwickelt sich

das Entoderm2, davor als weitere Blase erkennbar, der Dottersack. Die wie eine Doppelblase aussehende Embryonalanlage wird über einen nun wachsenden Haftstiel, der späteren Nabelschnur, in das Innere der Keimanlage verlagert. In der 3. Woche bildet sich zwischen den beiden Keimschichten der Doppelblase eine dritte Zellschicht: das intraembryonale3 Mesoderm. Am 17. Tag p. c. ist der dreikeimblättrige Embryo als Scheibe zu erkennen (Abb. 3.12-1). Der große, die gesamte Embryonalanlage umgebene Flüssigkeitsraum heißt Chorionhöhle. Die Wände dieser Höhle, das extraembryonale4 5 Mesoderm , wurden aus Anteilen des T r o p h o blasten gebildet. 2 3 4

1

E k t o d e r m : ä u ß e r e Keimschicht.

5

E n t o d e r m : innere Keimschicht. i n t r a e m b r y o n a l : i n n e r h a l b der Keimschichten. e x t r a e m b r y o n a l : a u ß e r h a l b der Keimschichten. M e s o d e r m : mittlere Keimschicht.

3.12 Keimscheibe, Embryonal- und Fetalperiode Dottersack

Amnionhöhle

Chorionhöhle

77

und wiegt etwa 8 g. Die Amnionblase hat einen größeren Raum gebildet und schmiegt sich enger an die Wand der Chorionhöhle. Der vorübergehend angelegte Dottersack bildet sich zurück und liegt als Dottergang in der Nabelschnur (s. Abb. 3.11-2).

Abstammung der Organe • Ektoderm. Aus der äußeren Keimschicht entwickeln sich Epidermis, Schweiß- und Milchdrüsen sowie Zähne und Haare. Das ZNS geht ebenfalls aus dem Ektoderm hervor. In einem längsverlaufenden Ektodermband bilden sich Einstülpungen, darüber wuchern Zellen zu einem geschlossenen Rohr (Neurairohr). Hieraus entsteht das Rückenmark, sowie an einem verdickten Ende das Gehirn samt Schädelknochen und Kopfmuskeln. Schließt sich das N e u r a l r o h r nicht vollständig, kann Nervengewebe aus d e m Wirbelsäulenkanal treten (Spina bifida) oder ein unvollkommener Schädel (Anenzephalie) entstehen. Abb. 3.12-1: Die Blastozyste ist a m 16. Tag p. c. vollständig im E n d o m e t r i u m (jetzt Dezidua) implantiert. In der Mitte der C h o r i o n h ö h l e befindet sich die dreiblättrige Embryonalanlage, umgeben von einer Doppelblase aus A m n i o n h ö h l e und Dottersack

3.12.2 Embryonalperiode Räumliche Entwicklung der Keimanlage Mit der 4. Woche p. c. beginnt die eigentliche Embryonalentwicklung. Die Keimscheibe verändert sich räumlich. Teile des extraembryonalen Mesoderms schieben sich zunächst unter die Keimscheibe, der Embryo rollt sich ein. Die Ektodermschicht liegt außen, das Entoderm bildet als innere Zellröhre den späteren Magen-DarmKanal. Mit der nurt beginnenden Entwicklung der Organe krümmt sich der langgezogene Embryo, seine typische Form entwickelt sich. Bis zur 9. Woche p. c. sind sämtliche Organe, sowie die Extremitäten angelegt, das äußere Genitale wird sichtbar. Der Embryo ist nun 3—5 cm lang

• Aus dem intraembryonalen Mesoderm geht die gesamte Muskulatur und das Skelett (außer Schädel) hervor, die Milz, der Urogenitaltrakt mit Keimdrüsen sowie das Zwerch-, Brust- und Lungenfell. • Das extraembryonalen Mesoderm entstammt als einzige Organkeimschicht dem Trophoblasten. In der 3. Woche p. c. wird das Herz aus diesem Zellmaterial angelegt, von dem als erstes 2 Herzschläuche sichtbar werden. Nach der 3. Woche beginnt sich der primitiv ausgebildete Herzmuskel zu kontrahieren, der embryonale Kreislauf nimmt seine Funktion auf. Die Nabelschnur entstammt ebenfalls dem extraembryonalen Mesoderm. • Entoderm. Die innere Keimschicht entwickelt sich zum Magen-Darm-Kanal, zur Lunge und Leber. Der sich entwickelnde Darm steht vorübergehend mit dem Dottersack über den weiten Dottergang in Verbindung (6. Woche p. c.). Er bildet sich langsam zurück, die Bauchwand des Feten verschließt sich bis auf den Nabelschnuransatz (s. Abb. 3.11-2, 3).

78

3. Anatomie und Physiologie

OD ? O ,-C u u S -2 3 - 3 cu
35 Jahre)

vorausgegangene

Placenta praevia

Multiparität

Totgeburten

Spätgestose

alleinstehend

mehr als 2 Fehlgeburten

Harnwegsinfektion

Raucher

(spontan oder artefiziell)

vaginale Infektion

vor 259

vollendeter Tagen).

37. SSW

oder

weniger

als

Das frühgeborene Kind ist gefährdet durch niedriges Geburtsgewicht und Unreife der Organe. Symptome oder Auslöser einer Frühgeburt können sein: — vorzeitige

Wehen und

Blutungen und

— vorzeitiger zienz

Blasensprung

— Infektionen

(hauptsächlich der Harnwege),

— Mehrlingsschwangerschaft dramnion.

uterine Blutung

kann ohne (spürbare) Wehen vor sich gehen, vereinzelt treten leichte Schmierblutungen auf. Das Risiko einer Frühgeburt ist erhöht bei: — schlechten sozio-ökonomischen Verhältnissen — anamnestischen Belastungen — Risiken in der bestehenden Schwangerschaft (Tab. 4.7-1).

Zervixinsuffi-

und

Polyhy-

Bereits in der Frühschwangerschaft treten physiologische Kontraktionen auf. Sie sind Folge der Gebärmutterdehnung und fördern die fetomaternale Zirkulation. Sie sind bekannt als Alvarezund Braxton-Hicks-Kontraktionen (s. S. 156). Mehr als 3 Kontraktionen pro Stunde vor der 30. SSW, sowie mehr als 5 Kontraktionen nach der 30. SSW pro Stunde deuten auf vorzeitige Wehentätigkeit hin.

Therapie und Betreuung Die Prävention besteht darin, Risikogruppen zu erkennen und diese Schwangeren öfter zu kontrollieren. Aufklärung und vermehrtes Ruhen verbessern die Prognose. Gespräche mit der Hebamme (s. S. 115) können der Frau bei persönlichen Krisen helfen, es werden Ängste abgebaut und Erwartungen bearbeitet.

Im Rahmen der Schwangerschaftsbetreuung müssen subjektiv vermehrte Wehen und Blutungen abgeklärt werden. Lange Zeit war es üblich bei jeder Vorsorgeuntersuchung vaginal

zu untersuchen,

um eine frühzeitige Er-

öffnung des Muttermundes zu erkennen. Der vorhersagende Wert dieser Untersuchung wird angezweifelt.

Ein vorzeitiger Blasensprung muß nicht unbedingt eine Frühgeburt auslösen, Latenzzeiten bis zu 7 Wochen sind bekannt. Zusätzliches Auftreten von Wehen wird beeinflußt durch die noch in der Gebärmutter vorhandene Fruchtwassermenge und evtl. durch aufsteigende Infektionen. Bei einer Zervixinsuffizienz verkürzt sich die Zervix und der Muttermund öffnet sich. Dies

Es konnte sogar nachgewiesen werden, daß sich die Zahl der vorzeitigen Blasensprünge erhöht.

Die Therapie bei Hospitalisation besteht aus Bettruhe, Tokolyse und evtl. medikamentöser Lungenreifeinduktion (s. S. 401). Neben kontinuierlicher Tokolyse wird auch eine Bolustokolyse (mehrmalige, konzentrierte Gabe von Tokolytika) angewendet, die auf dem

4.7 Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft Gedanken beruht, daß die Hormone auch stoßweise ausgeschüttet werden. Diese Tokolyse kann in relativ kurzer Zeit abgebaut werden. Das Mittel der Wahl zur Wehenhemmung sind ß- Sympathikomimetika und Magnesium (s. S. 393). Prostaglandinantagonisten sind noch in einer Forschungsphase.

Die Behandlung vaginaler Infekte ist vorrangig, da diese häufige Ursache eines vorzeitigen Blasensprungs sind. (Prozentsatz etwa 10 X so hoch wie bei Blasensprung am Termin). Rechtzeitige Erkennung und Behandlung können eine Frühgeburt verhindern. Zervixinsuffizienz wird konservativ (Bettruhe, Schonung) oder in schwierigen Fällen operativ, durch eine Cerclage (Abb. 4.7-2) oder einen frühen, totalen Muttermundverschluß behandelt, häufig in Kombination mit Tokolyse.

133

Kopf, Thorax und Femur (Oberschenkelknochen) entwickelt. Das per Ultraschall geschätzte Gewicht des Kindes mit IUWR liegt in diesen Kurven unter der 10er Perzentile. Wachstumskurven sind problematisch, da sie nach den Geburtsgewichten frühgeborener Kinder entsprechenden Schwangerschaftsalters zusammengestellt sind. Sie machen keinen Unterschied zwischen Kindern, die auf G r u n d ihrer genetischen Anlagen ein leichtes Gewicht haben und Kindern, die intrauterin wachstumsretardiert und somit gefährdet sind.

Diagnostik, Symptomatik Erstes Symptom einer IUWR ist das mangelnde Wachstum der Gebärmutter. Dieses kann erkannt werden durch regelmäßige Palpation (Leopold-Handgriffe) und Messen des Symphysen-Fundus-Abstandes. Andere Ursachen eines mangelnden Uteruswachstums, wie O l i g o h y d r a m n i o n (zu wenig Fruchtwasser) oder Terminunklarheiten werden hierdurch nicht ausgeschlossen.

Abb. 4.7-2: Cerclage mundes)

(Umschlingung

des

Mutter-

4.7.5 Wachstumsretardierung und Plazentainsuffizienz Die intrauterine Wachstumsretardierung (IUWR) ist noch immer eine wichtige Ursache der perinatalen Mortalität (15—20%) und Morbidität. Eine IUWR äußert sich in der Abweichung des geschätzten Kindsgewichtes, nach unten um 2 Wochen oder mehr gegenüber einem Kollektiv von Geburtsgewichten gleicher Tragzeit. Für diesen Zweck wurden Wachstumskurven von

Zur Gewichtsschätzung werden Ultraschalluntersuchungen herangezogen. Um Wachstum zu erfassen sind mindestens 2 Kontrollen im Abstand von etwa 2 Wochen notwendig. Durch erweiterte Ultraschalldiagnostik wie Doppler- Flowmessungen (s. S. 419) und biophysikalisches Profil (Bewegungsprofil des Kindes) wird es möglich, das gefährdete Kind besser von der Gruppe der Kinder mit leichtem Gewicht zu unterscheiden. Eine verläßliehe Diagnose kann erst nach der Geburt anhand der Reifezeichen gestellt werden.

Man unterscheidet zwischen symmetrischer IUWR (gleichmäßige Wachstumsretardierung aller Körperteile), die schon früh in der Schwangerschaft entsteht und asymmetrische IUWR (ungleichmäßige Wachstumsretardierung von Kopf und Körperteilen), die nach der 30. SSW auftritt, und oft durch Plazentainsuffizienz ausgelöst wird. Negative Zusatzbefunde sind: Oli-

134

4. Schwangerschaft

g o h y d r a m n i o n , nachlassende Präeklampsie-Zeichen

und

Kindbewegungen, suspektes

Herzfre-

quenzmuster.

Der

kindliche

physikalischen chungen

wird

wacht,

Profils,

evtl.

(pH-Bestimmung

schnurblut)

Ätiologie

Zustand

durch

CTG,

D o p p l e r - F l o w m e s s u n g e n , B e s t i m m u n g des bio-

oder

Fetalblutuntersuaus

dem

Nabel-

Wehenbelastungstests

um den optimalen

über-

Entbindungstermin

zu b e s t i m m e n . Ursachen

der W a c h s t u m s r e t a r d i e r u n g

können

sein: Fehlbildungen, Infektionen



kindlich:



mütterlich:

E r k r a n k u n g e n , Sucht, falsche E r -

nährung • plazentar: Bei

c h r o n i s c h e oder akute Insuffizienz.

chronischer

meist

eine

besteht

Plazentainsuffizienz

Minderdurchblutung

der

Plazenta

(z. B . durch G e f ä ß v e r ä n d e r u n g e n ) . Diese Funktio n s s t ö r u n g führt zu einem M i ß v e r h ä l t n i s zwischen Plazentaleistung und B e d a r f des Kindes. Kurz vor oder w ä h r e n d der G e b u r t tritt die

4.7.6 Schwangerschaftshypertonie (HES), Präeklampsie, Eklampsie Diese schwangerschaftsspezifische Erkrankungen waren lange Zeit durch den Begriff EPH-Gestose (E = edema = Oedeme, P = Proteinurie, H = Hypertonie) bekannt. Da die Hypertonie (hoher Blutdruck) das Krankheitsbild charakterisiert, die Ödeme und Proteinurie eher sekundär auftreten und Ödeme nicht unbedingt ein Symptom sind, wurde die Terminologie geändert.

akute Insuffizienz auf; das Kind wird nicht genügend mit S a u e r s t o f f versorgt.

Die jetzt international üblichen Begriffe sind: Sclnvangerschaftshypertonie sive

Therapie und Betreuung

Erkrankung

in

{oder: der

und

HES), Präeklampsie

hyperten-

Schwangerschaft:

Eklampsie.

Die S c h w a n g e r s c h a f t s k o n t r o l l e n richten sich auf 2 Ziele: Unterscheidung des Kindes mit I U W R

• Von Schwangerschaftshypertonie spricht m a n

von

bei B l u t d r u c k w e r t e n (systolisch) 3= 1 4 0 m m H g

physiologischen

Gewichtsabweichungen

und möglichst o p t i m a l e Ü b e r w a c h u n g des ge-

und

fährdeten

6stündigem A b s t a n d gemessen. Auch ein Blut-

Kindes. Dies k a n n erreicht

werden

druckanstieg

durch: • e x a k t e B e s t i m m u n g des Gestationsalters

(s.

S. 84) • Eingrenzung von R i s i k o g r u p p e n und gezielte Beratung

(diastolisch)

(Rauchen

reduzieren,

richtige

Er-

nährung) • regelmäßige Kontrollen des

Uteruswachstums

(Symphysen-Fundus-Abstand) • W a c h s t u m s k o n t r o l l e durch Ultraschall • G e s p r ä c h e über P r o b l e m e . Nach neuen Forschungen scheint eine regelmäßige Aspirineinnahme die IUWR günstig zu beeinflussen. Im Fall einer H o s p i t a l i s a t i o n soll die S c h w a n -

im

&

90 mmHg,

Schwangerschaftsverlauf

in von

systolisch über 3 0 m m H g oder m e h r und diastolisch 15 m m H g oder m e h r über den

üblichen

B l u t d r u c k der Frau wird als H y p e r t o n i e klassifiziert. Eine Proteinurie (Eiweißausscheidung im Urin) ist dabei nicht vorhanden. Bestand die Hypertonie bereits vor der Schwangerschaft, handelt es sich um eine essentielle Hypertonie, die schwangerschaftsunabhängig auftritt. • Präeklampsie ist eine tonie

gepaart

mit

SchwangerschaftshyperMan

Proteinurie.

unter-

scheidet:

gere soviel wie möglich ruhen, um eine bessere

Leichte

Uterusdurchblutung zu erreichen. Eine c h r o m o -

— systolischer Blutdruck &

s o m a l e A b k l ä r u n g k a n n durchgeführt werden.

zweimal

Präeklampsie:

& 90 mmHg

140,

diastolischer

4.7 Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft

Möglicherweise kann

zu Beginn der

135

klonischen

— Proteinurie 0,5 g/1 im 24-Std.-Urin oder in Einzelprobe über 1 g/1.

Schüttelphase ein G ü d e l t u b u s (drückt die Z u n g e her-

Schwere

der v e r k r a m p f t e Kiefer sich lockert.

unter, erleichtert das Atmen) e i n g e f ü h r t w e r d e n , w e n n

Präeklampsie:

— systolischer Blutdruck 3= 160, diastolischer & 110 m m H g — Proteinurie 2= 3 g/1 im 24-Std.-Urin oder in der Einzelprobe 3 5 g/1. — Oligurie: unter 500 ml Urinausscheidung in 24 Stunden — subjektive Symptome: Kopfschmerzen, A u g e n f l i m m e r n , Sehstörungen, O b e r b a u c h schmerzen, Übelkeit, N a s e n b l u t e n , Unruhe, Übererregbarkeit der Reflexe. Diese Symp t o m e k ö n n e n Vorboten eines eklamptischen Anfalls sein. Bei essentieller Hypertonie wird dieses Krankheitsbild Propfpräeklampsie g e n a n n t . • Die Eklampsie (Krampfanfall) k a n n auftreten mit den a u f g e f ü h r t e n V o r s y m p t o m e n oder plötzlich, o h n e Warnzeichen. Sie besteht aus einer tonischen und einer klonischen Phase. Die tonische Phase ist ein kurzer K r a m p f z u stand (ca. 1 Min.) wobei die H ä n d e z u s a m m e n geballt, die Z ä h n e fest aufeinander gebissen sind, evtl. begleitet von Atemstillstand und blauer Verfärbung des Gesichtes. Primär wird sofortiges E i n f ü h r e n eines M u n d k e i l s e m p f o h len, u m Zungenverletzungen zu vermeiden.

In der anschließenden klonischen Phase treten Z u c k u n g e n auf, die Frau schlägt mit Armen und Beinen um sich, und k a n n sich selbst verletzen. Die Frau m u ß vor Verletzungen durch Festhalten oder Abpolstern geschützt werden. Die klonische Phase geht über in eine tiefe Bewußtlosigkeit (Koma). Mehrere Anfälle k ö n n e n einander folgen und, w e n n sie nicht behandelt werden, zum Tode f ü h r e n . Eine Eklampsie tritt meist gegen Ende der Schwangerschaft, während der Geburt oder in den ersten 48 Stunden p. p. auf. Die Laborparameter weisen bei Präeklampsie erhöhte Leber- und Nierenfunktionswerte auf sowie eine Hämokonzentration (Eindickung des Blutes) und möglicherweise Gerinnungsstörungen. Das A u f t r e t e n des HELLP-Syndroms (s. S. 137) verschlechtert die Prognose. G e h ä u f t beo b a c h t e t werden: — intrauterine Wachstumsretardierung infolge Plazentainsuffizienz — vorzeitige Plazentalösung durch G e f ä ß v e r ä n derungen Eine Eklampsie k a n n akutes Nierenversagen, sowie Schädigungen von Gehirn, Lunge, Nieren und Leber zur Folge haben (Abb. 4.7-3).

Gefäße

gesteigerter peripherer Widerstand, Hypertonie

Gehirn

Kopfschmerzen, eklamptische Anfälle

Plazenta

intrauterine Retardierung, vorzeitige Plazentalösung, hohe kindliche Mortalität

Niere

Oligurie, akutes Nierenversagen

Leber

HELLP - Syndrom

Augenhinlergrund

Doppeltsehen, Augenflimmern, Gesichtsfeldausfall

Abb. 4.7-3: Einfluß generalisierter G e f ä ß s p a s m e n auf verschiedene O r g a n e u n d typische E k l a m p s i e s y m p t o m e ( M o d i f i z i e r u n g nach Friedberg)

136

4. Schwangerschaft

Ätiologie Die Ursachen der HES sind nicht vollständig geklärt. Sicher ist, daß eine Vasokonstriktion (Engstellung der Gefäße) auftritt, möglicherweise in Zusammenhang mit einer erhöhten Empfindlichkeit für Angiotensin II, einem verschobenen Gleichgewicht zwischen Thromboxan A 2 (Gerinnungsfaktor) und Prostazyklin (Prostaglandine), der Hämokonzentration und Hypovolämie. Infolgedessen kann es zu einer Minderdurchblutung peripherer Organe kommen. Schädigung von Endothelzellen der Gefäße, verbunden mit Fibrinablagerungen, sind eine weitere Ursache. A n d e r e T h e o r i e n b e r u f e n sich auf die Z y t o t r o p h o blastinvasion in den u t e r o p l a z e n t a r e n Arterien P r ä e k l a m p s i e weniger, als bei n o r m a l e r

(bei

Schwanger-

schaft) u n d eine A n t i g e n - A n t i k ö r p e r - R e a k t i o n (wie bei einer T r a n s p l a n t a t i o n : „ F r e m d o r g a n " ) .

Therapie und Betreuung Früherkennung ist möglich durch sorgfältige Schwangerschaftsbetreuung (Blutdruck, Gewicht, Urin) und Erkennen von Frauen mit erhöhtem Risiko (belastete Anamnese, Mehrlingsschwangerschaft, Diabetes, vorbestehende Hypertonie). Eine Ernährungsberatung ist angezeigt, auch wenn der Wert verschiedener Diäten angezweifelt wird. Salzarme Diät wirkt zwar flüssigkeitsausscheidend und vermindert die Gewichtszunahme, verbessert die Hypertonie aber nicht. Eiweißreiche Diät ist zu empfehlen, da sie den Eiweißverlust auffüllt und Ödeme vermindert. Sie verbessert aber die Hypertonie in der Regel kaum. Wichtig sind ausreichende Energie- und Proteinaufnahme, sowie die Nährstoffe Thiamin, Niacin, Riboflavin (Vitamin B-Gruppe), Magnesium, Phosphor und Eisen. N e u e F o r s c h u n g e n ü b e r p r ü f e n u. a. die A u s w i r k u n gen von Kalzium u n d Fischöl in der E r n ä h r u n g .

Neben ausgewogener Ernährung ist körperliche Schonung, evtl. auch Bettruhe von Bedeutung.

Die Therapie bei Präeklampsie besteht in stationärer Aufnahme und Bettruhe. Mütterlicher und fetaler Zustand werden überwacht: Blutdruck, Labor, Ultraschall, CTG. Aufklärung und Abbau von Ängsten sind ein Teil der Therapie. Viele Frauen mit Präeklampsie neigen zu Perfektionismus, auch in Bezug auf die Mutterschaft (hohe Anforderungen an sich selbst). Beruhigung und das Erarbeiten von realen Erwartungen tritt dem entgegen, ebenso wie der Abbau von Schuldgefühlen wegen drohender Frühgeburt und gefährdetem kindlichen Zustand. Medikamentöse Therapie: Trotz guter Resultate wird der Wert von Antihypertensiva bei leichter Präeklampsie diskutiert. Der Blutdruck kann stabilisiert werden, die Prognose von Mutter und Kind verändert sich kaum. Bei schwerer Präeklampsie werden sie jedoch immer angewendet, um mütterliche Schäden durch zu hohen Blutdruck zu verhindern. Aspirin (Prostaglandinantagonist) w i r d ü b e r p r ü f t , hinsichtlich einer positiven W i r k u n g auf Blutdruck u n d fetales W a c h s t u m .

Ziel der Behandlung ist die Blutdrucksenkung unter Beibehaltung des zirkulierenden Volumens und Verhinderung eines Krampfanfalles. Magnesiumsulphat (Dauertropfinfusion) ist das Mittel der Wahl; es wirkt dämpfend auf das Zentralnervensystem, deshalb müssen regelmäßig Reflexe und Atmung kontrolliert werden. Auch Diazepam (Valium®) kann eingesetzt werden; wegen der sedierenden Wirkung auf Mutter und Kind und den langsamen Wirkungsabbau beim Kind, eignet sich Valium besser zur kurzfristigen Krampfbekämpfung (10 mg i. v.) als zur Dauerinfusion. Forschungen zeigen Verbesserungen der Prognose für Mutter und Kind durch Volumenexpansion (Auffüllen des Gefäßsystems). Wegen des Risikos eines Lungen- oder Hirnödems sollte dies auf der Intensivstation vorgenommen werden. Bei Verschlechterung muß im Hinblick auf die gesundheitliche Prognose der Mutter eine sofortige Entbindung erfolgen, auch wenn das Kind noch unreif ist.

4.7 Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft

4.7.8 Infektionen in der Schwangerschaft

4.7.7 HELLP-Syndrom Das HELLP-Syndrom wird in der Literatur sowohl als Untergruppe der Präeklampsie, wie auch als eigenständige Erkrankung beschrieben. Es kommt bei 4 — 1 2 % der Frauen mit schwerer Präeklampsie vor. Das Akronym bedeutet: H = Hämolyse EL = erhöhte Leberwerte (elevated liverenzymes) LP = Thrombozytopenie (low plateletcount = niedrige Thrombozytenzahl) Die Symptomatik der Präeklampsie ist auch beim HELLP-Syndrom zu beobachten, meist wird es jedoch zusätzlich gekennzeichnet durch Oberbauchschmerzen (Leberkapselschmerz), Übelkeit und Erbrechen. Verspätete und Fehldiagnosen (z. B. Hepatitis) kommen vor, besonders im letzten Schwangerschaftsdrittel. Eine Hypertonie kann evtl. erst später auftreten, deshalb muß die Diagnose durch folgende Blutuntersuchungen erhärtet werden: — Gerinnungsstatus, rotes Blutbild - Leberwerte (SGOT, SGPT, L D H , bin ...)

137

Biliru-

Urin wird kontrolliert auf Eiweiß- und Bilirubinausscheidung als Zeichen einer schlechten Leberfunktion. Therapie: Stationäre Aufnahme und Intensivüberwachung von Mutter und Kind! Durch den progressiven Verlauf (Thrombozytenwerte können täglich um 4 0 % sinken) ist die baldige Entbindung die einzig wirksame Therapie. Blutkonserven und Blutbestandteile, die die Gerinnung fördern, müssen bereitgehalten werden. Komplikationen: eklamptische Anfälle, Hirnblutungen, Nierenversagen und Leberruptur, können das Leben der Mutter gefährden. Während sich nach Präeklampsie die Laborwerte post partum schnell verbessern, sinkt beim HELLP-Syndrom die Thrombozytenzahl weiter ab, der LDH-Wert steigt an. Erst 24—48 Stunden p. p. normalisieren sich die Werte langsam wieder. Die Ätiologie des HELLP-Syndroms ist unklar, es wird angenommen, daß es sich um ein peripartales Autoimmunsyndrom handelt, wobei die Mutter Antikörper gegen fetale Zellen entwickelt.

Unter dem Begriff T O R C H werden Infektionserkrankungen zusammengefaßt, die intrauterin auf das Kind übertragen werden können. Sie bedingen Komplikationen wie Abort, Früh-, Totgeburt, körperliche oder geistige Retardierung, Infektion des Neugeborenen (s. S. 363). TORCH bedeutet: T = Toxoplasmose O = „others": Hepatitis, Varizellen und Infektionen durch Varizella-Zoster-Virus (Gürtelrose), Treponema pallidum (Syphillis), durch Listeria (Listeriose), Chlamydien, Streptokokken Gruppe B, Enteroviren, Mumps-Virus {Mumps), Eppstein-Barr-Virus, humanes Parvovirus (Ringelröteln) R = Rubella (Röteln) C = C Zytomegalie H = Herpes-simplex-Virus, HSV (HSV-Typ 1 = Mund, HSV-Typ 2 = genital) Der Grad der Schädigung hängt von Schwangerschaftsalter und Zeitpunkt der Erstinfektion ab (s. S. 79).

Toxoplasmose Erreger: Toxoplasma Parasit).

gondii

(Sporentierchen,

Verlauf: uncharakteristisch, Fieber, grippeähnliche Symptome. Übertragung: hes Fleisch.

infizierte Haustiere (Katzen), ro-

Kind: kongenitale (angeborene) Toxoplasmose mit Augen- und Hirnschädigung, körperlicher und geistiger Retardierung. Bestimmung: ELISA-Test in Frühschwangerschaft IgG/IgM, I F T (indirekter Immunfluoreszenztest). Behandlung: Spiramycin, Pyramethamin Sulphadiazin (erst nach der 16. SSW).

und

Rubella/Röteln Erreger:

Röteln-Virus (Togavirus).

Verlauf: Exanthem (Ausschlag), Fieber, häufig unspezifische Krankheitserscheinungen.

138

4. Schwangerschaft

Übertragung:

Tröpfcheninfektion.

Kind: R ö t e l n e m b r y o p a t h i e (Greggsyndrom) mit Sehfehler, G e h ö r s c h a d e n , Herzfehler, körperlicher und geistiger Retardierung. Bestimmung: ELISA in F r ü h s c h w a n g e r s c h a f t , H A H - T e s t (Antikörpertiter), I g G / I g M . Bei Titer über 1 : 256 m u ß mit frischer Infektion gerechnet w e r d e n ; Testwiederholung und IgG, IgM. Behandlung: A b b r u c h der Schwangerschaft im 1. T r i m e n o n (eugenische Indikation), passive Immunisierung innerhalb 4 Tage nach R ö t e l n k o n t a k t , Prävention durch I m p f u n g im Kindsalter (oder im Wochenbett).

Zytomegalie Erreger: Zytomegalie-Virus (CMV). Verlauf: uncharakteristisch oder s y m p t o m l o s . Übertragung: Kind:

Schmierinfektion.

H i r n s c h ä d i g u n g , Spätschaden im Gehör,

intrazerebrale Verkalkungen, schwerer Ikterus. Bestimmung: ELISA in F r ü h s c h w a n g e r s c h a f t , Virus in Urin, Rachen, M a g e n s a f t , Fruchtwasser. Behandlung: n u r symptomatisch, keine kausale Therapiemöglichkeit.

gen, H a u t l ä s i o n e n . (Auch Pflegepersonal HSV 1 k a n n das Kind infizieren.)

Bestimmung: ELISA. Virusisolation (Abstriche aus frischen Bläschen) z u m A n f a n g der Schwangerschaft und kurz vor der G e b u r t . Behandlung: Acyclovir (Zovirax®). Kaiserschnittentbindung bei aktivem genitalen H e r p e s in Bläschenstadium. Bei negativem Abstrich: vaginale G e b u r t .

HIV (humanes Immuno-defizienz-Virus) Die Diagnose wird gestellt durch einen A n t i k ö r pernachweis im Blut der M u t t e r (ELISA). Risik o g r u p p e n (z. B. D r o g e n a b h ä n g i g e , Prostituierte etc.) sollten immer untersucht w e r d e n . E m p f o h len wird die Kontrolle jeder Frau, da die HIVInfektion z u n e h m e n d in allen Bevölkerungsg r u p p e n a u f t r i t t . Die HIV-Untersuchung darf allerdings o h n e Einwilligung der Frau nicht d u r c h g e f ü h r t w e r d e n . Die Ü b e r t r a g u n g des Virus findet d u r c h Geschlechtsverkehr oder Blutk o n t a k t statt. Die wichtige Begleitung und Beratung der HIV-positiven Schwangeren sollte in H ä n d e n von Spezialeinrichtungen und besonders geschultem Fachpersonal (medizinisch und sozial) liegen. Die Entscheidung über einen möglichen S c h w a n g e r s c h a f t s a b b r u c h basiert auf psychosozialen G r ü n d e n und der Gesundheit der M u t t e r , weniger auf der fetalen Prognose. Die

Herpes Simplex (HSV 2)

mit

Zahlenangaben

zur

Infektionsübertragung

s c h w a n k e n zwischen 7 % u n d 3 9 % .

Weitere Einzelheiten S. 108. Erreger: Herpes-simplex-Virus 2. Verlauf:

brennende, gerötete Bläschen auf der

Schleimhaut, evtl. Fieber. Übertragung: S e x u a l k o n t a k t . Beim Kind: virale Ü b e r t r a g u n g d u r c h maternales Blut (intrauterin), K o n t a k t bei vaginaler G e b u r t mit den Geschlechtsorganen der Mutter. Kind:

kongenitales H e r p e s s y n d r o m ; H i r n - und

Augenschädigungen.

Neugeborenen-Herpes:

H i r n h a u t e n t z ü n d u n g , M a g e n - und D a r m b l u t u n -

Harnwegs- und Niereninfektionen Infektionen von Nieren und ableitenden H a r n w e g e n sind die häufigsten Komplikationen in der Schwangerschaft. Erweiterung der llarnwege unter Progesteroneinfluß und mechanischer Druck des Uterus auf die Blase begünstigen die Infektion.

4.7 Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft A u c h eine asymptomatische Bakteriurie (Diag n o s e : N a c h w e i s v o n Nitrit auf U r i n t e s t s t r e i f e n ) m u ß b e h a n d e l t w e r d e n , u m d e r Zystitis, Pyelitis und Pyelonephritis vorzubeugen. Urinsedi-

m e n t u n d U r i n k u l t u r b e s t i m m u n g auf Erreger. • Zystitis ( B l a s e n e n t z ü n d u n g ) Symptome:

evtl. A n t i b i o t i k a

be-

handelt. • Pyelitis ( N i e r e n e n t z ü n d u n g ) u n d PyelonephriSymptome:

ber, k l o p f s c h m e r z h a f t e N i e r e n l a g e r .

Fie-

Stationäre

A u f n a h m e ist n o t w e n d i g zur K o n t r o l l e der Nierenfunktion

und

intravenösen

Therapie

(viel

Flüssigkeit, A n t i b i o t i k a ) . Reichlich T r i n k e n ist geboten,

Wehenhemmung

und

nach

White

festgelegt

häu-

w i r d mit reichlich T r i n k e n (z. B. N i e r e n - u n d

tis ( N i e r e n b e c k e n e n t z ü n d u n g )

im Klassifikationsschema (Tab. 4.7-2).

figes, s c h m e r z h a f t e s Wasserlassen, w e n i g U r i n ; und

Seit Einführung der Insulintherapie ist die mütterliche und perinatale Mortalität und Morbidität stark gesunken. Die Schweregrade des D i a b e t e s mellitus sind

Weitere A b k l ä r u n g e r f o l g t d u r c h

Blasentee), W ä r m e

139

Spasmolytika

k ö n n e n n o t w e n d i g sein, d a Fieber die G e b ä r m u t t e r zu K o n t r a k t i o n e n a n r e g t .

Tab. 4.7-2: Klassifikation schwangerer Diabetikerinnen (nach White) A leichte Abweichung des G T T B Diabetesbeginn nach dem 20. Lebensjahr und Dauer weniger als 10 Jahre, kein Gefäßschaden C Diabetesbeginn zwischen 10. und 19. Lebensjahr und Dauer zwischen 10 und 19 Jahren oder geringer Gefäßschaden D Diabetesbeginn vor dem 10. Lebensjahr oder Diabetesdauer über 20 Jahre oder deutlicher Gefäßschaden E verkalkte Beckenarterien F Nephritis, proliferative Retinopathie

Symptomatik, Komplikationen

4.7.9 Diabetes mellitus und Diabetes gravidarum (Gestationsdiabetes)

B e s o n d e r s zu b e a c h t e n sind S y m p t o m e , die auf schlechte Insulineinstellung h i n w e i s e n :

M a n unterscheidet: (1) manifester

Diabetes

(Diabetes

mellitus):

• H y p o g l y k ä m i e (niedriger Blutzucker)

äußert

F r a u e n dieser G r u p p e h a b e n eine r e d u z i e r t e G l u -

sich in f o l g e n d e n S y m p t o m e n :

k o s e t o l e r a n z , die sich in h o h e m B l u t z u c k e r

— Unruhe, Zittrigkeit, Schwitzen, Bewußtlosig-

perglykämie)

u n d Glukosurie

(Hy-

( Z u c k e r im Urin)

äußert. •

D e r Typ-I-Diabetes tritt s c h o n im

chen Alter

a u f , ist insulinpflichtig

jugendli-

( a b s o l u t e r In-

sulinmangel). • D e n Typ-II-Diabetes tritt im ter o d e r als Altersdiabetes

Erwachsenenal-

a u f , k a n n o f t mit D i ä t

u n d T a b l e t t e n (orale A n t i d i a b e t i k a )

eingestellt

w e r d e n . O r a l e A n t i d i a b e t i k a eignen sich n i c h t z u r T h e r a p i e in d e r S c h w a n g e r s c h a f t ! (2) Latenter

Diabetes:

Hierbei

tes g r a v i d a r u m )

zeigt

eine

reduzierte

Diese ist e r k e n n b a r an e i n e m

Blutzuckerspiegel bei o r a l e m test ( O G T T ) .

(zu

hoher

Blutzucker)

er-

kennt man daran: — h ä u f i g e s Wasserlassen, s t a r k e s D u r s t g e f ü h l , Übelkeit, E r b r e c h e n , A z e t o n a u s s c h e i d u n g im Urin (Ketonurie). Weitere Komplikationen bei D i a b e t e s mellitus k ö n n e n sein: — Plazentainsuffizienz

und

IUWR

(bedingt

durch Gefäßveränderungen), sich

in

S t r e ß s i t u a t i o n e n (z. B. S c h w a n g e r s c h a f t : D i a b e ranz.

keit bis hin z u m K o m a . • Hyperglykämie

Glukosetoleerhöhten

Glukosetoleranz-

— Hyperemesis,

hypertensive

Erkrankungen,

Polyhydramnion, — Makrosomie,

Fehlbildungen,

intrauteriner

Fruchttod, — F r ü h g e b u r t e n , A b o r t e , H a r n w e g s - u n d Vaginalinfekte.

140

4. Schwangerschaft

Schwangerschaftsdiabetes tritt e r s t m a l s w ä h rend d e r S c h w a n g e r s c h a f t a u f . Symptome sind: h ä u f i g e s Wasserlassen, v e r m e h r t e s D u r s t g e f ü h l , G l u k o s e o d e r A z e t o n im Urin. B l u t z u c k e r k o n t r o l l e n bestätigen d e n D i a b e tesverdacht.

tion u n d M i t a r b e i t d e r F r a u . D a s Ziel

ist eine

o p t i m a l e S t o f f w e c h s e l e i n s t e l l u n g s c h o n zu Beg i n n d e r G r a v i d i t ä t d u r c h regelmäßige kerkontrollen,

Blutzuk-

u m die I n s u l i n m e n g e a n z u p a s s e n .

D e r Urin sollte g l u k o s e - u n d a z e t o n f r e i sein, die G l u k o s e w e r t e im N o r m b e r e i c h . Zur Beurteilung der zurückliegenden Stoffwechsellage (6—8 Wochen) wird Glykohämoglobin (HbA]) oder auch Fructosamin bestimmt.

Ätiologie, Risiken Anamnestische Risiken sind:

Die S c h w a n g e r s c h a f t b e e i n f l u ß t die B e h a n d -

• G e b u r t e n v o n K i n d e r n mit G e b u r t s g e w i c h t > 4000 g • A d i p o s i t a s der M u t t e r • Totgeburt, wiederholte Aborte • Fehlbildungen unklarer Ursache, familiäre Prädisposition. D e r G e s t a t i o n s d i a b e t e s ist meist auf die D a u e r d e r S c h w a n g e r s c h a f t b e g r e n z t . Er k a n n sich a u c h m a n i f e s t i e r e n o d e r im Alter w i e d e r auftreten. Ein erhöhtes Risiko für einen späteren Diabetes des Kindes scheint nicht zu bestehen. Ätiologie: D u r c h gesteigerten Energiebedarf werden Stoffwechsel und Insulinbedarf erhöht. D a n e b e n b e s t e h t eine i n s u l i n a n t a g o n i s t i s c h e W i r k u n g d e r Schwangerschaftshormone: HCG ( C h o r i o n g o n a d o t r o p h i n ) in d e r 1. H ä l f t e u n d HPL ( p l a z e n t a r e s L a k t o g e n ) , Prolaktin, Kortikosteroide u n d plazentare Insulinase in d e r 2. H ä l f t e d e r S c h w a n g e r s c h a f t . Bei n o r m a l e r S c h w a n g e r s c h a f t w i r d dies k o m p e n s i e r t d u r c h M e h r p r o d u k t i o n v o n Insulin, b e i m D i a b e t e s fehlt dieser M e c h a n i s m u s .

lung in f o l g e n d e r Weise: • d i ä t e t i s c h e A n p a s s u n g auf d e n

Mehrbedarf

d u r c h die S c h w a n g e r s c h a f t • D i ä t u n d k ö r p e r l i c h e B e w e g u n g neu a u f e i n ander abstimmen • Wechsel

der

Spritzenseite

wegen

häufiger

Spritzen d u r c h e r h ö h t e n I n s u l i n b e d a r f . Neben

der

Eigenüberwachung

durch

selb-

s t ä n d i g e K o n t r o l l e n m u ß die F r a u in e n g e r Z u sammenarbeit

m i t Internist, G y n ä k o l o g e

und

H e b a m m e betreut werden. Die geburtshilfliche Ü b e r w a c h u n g b e i n h a l t e t : • g e n a u e Festlegung des G e s t a t i o n s a l t e r •

16.—20. SSW F e h l b i l d u n g s d i a g n o s t i k p e r Ul-

traschall •

ab

2 8 . - 3 2 . SSW

intensivere

Überwachung

des K i n d e s d u r c h C T G , U l t r a s c h a l l , F l o w m e s s u n g e n , evtl. A m n i o z e n t e s e z u r F r u c h t w a s s e r i n sulinbestimmung. U m einen Gestationsdiabetes rechtzeitig zu b e h a n d e l n , m u ß er f r ü h z e i t i g e n t d e c k t w e r d e n . H i n w e i s k a n n die Z u g e h ö r i g k e i t zu einer Risi-

H o h e Blutzuckerspiegel der M u t t e r f ü h r e n zu

k o g r u p p e sein, o d e r w i e d e r h o l t e G l u k o s u r i e im

hohen

Nüchternurin.

Blutzuckerspiegeln

b e i m Kind,

des-

h a l b bildet es m e h r Insulin. D a s Kind w i r d makrosom

(groß,

hohes

Geburtsgewicht),

D a die N ü c h t e r n b l u t z u c k e r w e r t e bei G e s t a t i o n s d i a b e t e s h ä u f i g n o r m a l sind, m u ß ein oraler

n a c h d e r G e b u r t e n t w i c k e l n sich H y p o g l y k ä -

Glukosetoleranztest

m i e n , d a die h o h e m ü t t e r l i c h e Z u c k e r z u f u h r

(Tab. 4.7-3). Z e i g t er p a t h o l o g i s c h e Werte, w i r d

durchgeführt

ausbleibt.

ein B l u t z u c k e r t a g e s p r o f i l erstellt

(Normalwerte

zwischen

5—7 mmol/1).

100—120 m g %

H b A j und Fruktosamin

oder

werden

w e r d e n e b e n f a l l s be-

Therapie und Betreuung

s t i m m t . M i t D i ä t u n d intensiver B e r a t u n g w i r d

V o r a u s s e t z u n g e n f ü r einen g u t e n S c h w a n g e r s c h a f t s v e r l a u f sind p r ä n a t a l e B e r a t u n g , M o t i v a -

Genügt

v e r s u c h t , n o r m a l e B l u t z u c k e r w e r t e zu e r r e i c h e n . werden.

diese

nicht,

muß

Insulin

gegeben

141

4 . 7 Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft

Tab. 4.7-3: Blutzuckerwerte (Umrechnung in mmol/1 = X : 18) im kapillären Blutplasma Schwangerer vor und nach oraler Glukosebelastung (100 g Glukose, GOD/GOP-Methode) normal Nüchternwert

61-

1 Stunde

präpathologisch

90 mg%

91-

pathologisch

99 m g %

& 100 mg%

7 1 - 1 5 5 mg%

1 5 6 - 1 8 9 mg%

^ 190 mg%

2 Stunden

7 1 - 1 4 0 mg%

1 4 1 - 1 6 9 mg%

S 170 mg%

3 Stunden

6 1 - 1 2 5 mg%

1 2 6 - 1 4 9 mg%

3= 150 mg%

Die geburtshilfliche Überwachung sollte genauso engmaschig wie bei Diabetes mellitus erfolgen, da die gleichen Komplikationen auftreten können.

4.7.10 Mehrlingsschwangerschaft (MSch) Christi Rosenberger/Andrea Stiefel Eine Schwangerschaft mit 2 oder mehr Kindern ist eine Regelwidrigkeit mit erhöhtem Risiko perinataler Morbidität und Mortalität. Deshalb müssen Mehrlinge früh diagnostiziert und die Schwangerschaft sorgfältig betreut werden. Die Häufigkeit von MSch ist je nach Alter und geographischer

Herkunft

der Eltern

verschieden.

Für

spontan entstandene MSch in Europa gilt die von Hel-

(Entwicklung ein- und zweieiiger Zwillinge s. S. 80). Die Diagnose einer MSch erfolgt meist in der ersten Schwangerschaftshälfte durch Ultraschall. Bei folgenden anamnestischen und klinischen Besonderheiten ist an eine MSch zu denken: • Schwangerschaft nach medikamentöser Ovulationsstimulation, familiäres Vorkommen von Gemini • Uterus größer als der SSW entsprechend, erhöhter HCG-Titer • verstärkte Schwangerschaftsbeschwerden • Hydramnion, vermehrte Kindsbewegungen, Tasten von 3 großen Kindsteilen (LeopoldHandgriffe) • Nachweis quenzen

zweier

verschiedener

Herzfre-

lin 1885 aufgestellte Regel: Bei 85 Schwangerschaften kommen einmal Zwillinge, bei 85 2 (7225) einmal Drillinge, in 85 3 (614 125) einmal Vierlinge vor etc.

Heute entstehen durch Sterilitätsbehandlungen z. B. Einnahme humaner Gonadotropine zur Ovulationssteigerung und In-vitro-Fertilisation häufiger Mehrlingsschwangerschaften. Die Häufigkeit eineiiger Zwillinge (ca. 2 5 % aller Zwillingsschwangerschaften) liegt bei allen Völkern konstant bei 3—4 pro 1000 Geburten. Eine familiäre Häufung zweieiiger Zwillinge ist bekannt, nicht jedoch der Vererbungsmodus. Ihre Frequenz nimmt mit steigender Parität und steigendem mütterlichen Alter (30—39 Jahre) zu.

Mehrlingsschwangerschaften sind häufiger von folgenden Komplikationen begleitet: mütterlich: Hyperemesis, Anämie, Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung), Polyhydramnion, Zervixinsuffizienz, Präeklampsie, Atembeschwerden (Zwerchfellhochstand), vorzeitiger Wehenbeginn, primäre Wehenschwäche, vorund nachgeburtliche Blutungen. kindlich: Nabelschnurkomplikationen (Umschlingung oder Vorfall), intrauterine Wachstumsretardierung, Unterversorgung eines Zwillings (durch feto-fetale Transfusion), Fehlbildungen, Lagenomalien, Frühgeburtlichkeit.

142

4. Schwangerschaft Allerdings tritt o f t d u r c h z u n e h m e n d f r ü h e r e Dia-

Betreuung durch die Hebamme: Im R a h m e n der Schwangerenvorsorge sollten H e b a m m e und Ärztin eng z u s a m m e n a r b e i t e n . Um eine frühzeitige Hospitalisation der Frau zu vermeiden, k ö n n e n vorbeugende Maßnahmen getroffen werden: • A u f k l ä r u n g über N o t w e n d i g k e i t vermehrter Kontrollen und mögliche Komplikationen, o h n e die Schwangere zu verunsichern • E m p f e h l u n g zu physischer und psychischer Schonung, Ausstieg aus dem Arbeitsprozeß nach der 20. SSW Regelmäßige H a u s b e s u c h e der H e b a m m e : Beratung, Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden, C T G - K o n t r o l l e n in A b s p r a c h e mit der Ärztin, Atem- und E n t s p a n n u n g s ü b u n g e n zur Vorbereitung auf die G e b u r t , da h ä u f i g keine Teilnahme an Kursen möglich ist. Klinische P r ä v e n t i v m a ß a h m e n , wie Cerclage 1 4 . - 1 6 . SSW o d e r Hospitalisation prophylaktischer

g n o s e (Ultraschall) eine Verunsicherung der S c h w a n g e ren ein. D a b e i d r e h t sich selbst n a c h der 37. SSW n o c h ein Teil der Kinder s p o n t a n in die Schädellage.

Diagnose In aller Regel k a n n die H e b a m m e durch äußere U n t e r s u c h u n g in der 34.-36. SSW eine BEL feststellen. Einen Hinweis erhält sie bei der Auskulation der H e r z t ö n e , die bei BEL o f t in Nabelhöhe oder d a r ü b e r am besten h ö r b a r sind. O f t b e m e r k t die Schwangere selbst, das Kind trete ihr „in die Blase" oder sie fühle „etwas H a r t e s , Rundes unter den R i p p e n " . Sind beide Beine des Kindes nach oben gestreckt (extended legs), wird häufig geäußert, d a ß sich das Kind wenig bewegt.

in der

a b 27. SSW mit

L u n g e n r e i f e f ö r d e r u n g müssen

von

Fall zu Fall entschieden w e r d e n .

Wird eine K l i n i k a u f n a h m e n o t w e n d i g , sollte die H e b a m m e auch im K r a n k e n h a u s Ansprechpartnerin der Schwangeren sein. Bei regelmäßigen C T G - K o n t r o l l e n bietet sich die Möglichkeit zum G e s p r ä c h oder zur Anleitung von Atemund E n t s p a n n u n g s ü b u n g e n . Die H e b a m m e k a n n auch veranlassen, d a ß eine Physiotherapeutin (Krankengymnastin) die Übungen ü b e r n i m m t . Dies trägt h ä u f i g zur Reduzierung der Wehentätigkeit und psychischen Stabilisierung der Schwangeren bei.

Meist genügen der 1. und der 3. LeopoldHandgriff und das Funduspendeln (Abb. 4.74), die BEL zu diagnostizieren. Gewißheit wird durch die vaginale Untersuc h u n g erzielt.

4.7.11 Beckenendlagen (BEL) Anna

Rockel-Loenhoff

Beckenendlagen sind Regelwidrigkeiten der Poleinstellung des Ungeborenen. Die kindliche Längsachse s t i m m t mit der mütterlichen überein, der fetale Kopf befindet sich im Uterusf u n d u s , der Steiß über dem Beckeneingang. Eine BEL bedeutet f ü r M u t t e r und Kind keine erh ö h t e gesundheitliche G e f ä h r d u n g w ä h r e n d der Schwangerschaft.

A b b . 4.7.-4: F u n d u s p e n d e l n : D e r im U t e r u s f u n d u s liegende Kindsteil wird mit einer H a n d b e h u t s a m hin und her geschoben, w ä h r e n d die zweite H a n d vorsichtig den v o r a n g e h e n d e n Teil u m f a ß t . Bei Schädellage (a) endet die P e n d e l b e w e g u n g im H a l s w i r b e l b e r e i c h des Kindes, der v o r a n g e h e n d e Kopf bleibt u n b e w e g t . Bei einer Steißlage (b) schlägt bei d e n Bewegungen im F u n d u s d a s v o r a n g e h e n d e Beckenende des Kindes nach der jeweils entgegengesetzten Seite aus

4.7 Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft Durch das dünne, weiche Gewebe rechts und links der Zervix läßt sich oft überraschend gut der unregelmäßiger geformte und weichere Steiß von dem runden und härteren Kopf unterscheiden. Evtl. muß dazu das Kind mit der freien Hand von außen leicht in den Beckeneingang geschoben werden. Die vaginale Untersuchung sollte zugleich der digitalen Austastung des mütterlichen Beckens dienen: In einem normal geformten Becken kann der miteingeführte Mittelfinger das Promontorium nicht erreichen (s. S. 104). Ein normal weites Becken ist die wichtigste Voraussetzung für eine vaginale BEL-Geburt. Auch bei einer Erstgebärenden sollte diese Entbindung erwogen werden, falls keine anderen Risiken hinzukommen.

Fällt der H e b a m m e eine e r h ö h t e

143

Wandspannung

der Bauchdecke o d e r der G e b ä r m u t t e r a u f , so k a n n sie, (wenn eine gute Beziehung zu der S c h w a n g e r e n besteht), vorsichtig n a c h f r a g e n , o b dieses körperliche Symptom

vielleicht A u s d r u c k eines seelischen

Pro-

blems ist.

Therapie und Betreuung durch die Hebamme Manchmal bewirken einfache Entspannungsübungen eine deutliche Tonusminderung und damit mehr Bewegungsfreiheit für das Ungeborene. Auch Homöopathie, Akupunktur und Moxibustion (Abb. 4.7-5) sowie Reflexzonen-Massage zielen in erster Linie auf Entspannung der Gebärmutter ab, und sehr häufig antwortet das

Die Beckenendlage läßt sich meist auf die beschriebene Art o h n e den Einsatz von Ultraschall feststellen.

Mit Ultraschall sollte versucht werden, die Größe des Kindes, besonders die des Kopfes zu bestimmen. Für die Hebamme ist es zunächst wichtig herauszufinden, wie die Schwangere mit der Diagnose umgeht und zu vermeiden, daß die Frau beunruhigt wird. Im Gespräch sollte geklärt werden, was die „verkehrte" Lage des Kindes für die Eltern bedeutet und welche Vorstellungen damit verbunden werden z. B. hinsichtlich des Geburtsablaufes. Da diese Gespräche viel Zeit beanspruchen, kann ein Extratermin vereinbart werden.

Theorien über die Entstehung einer BEL (1) Die F o r m der G e b ä r m u t t e r , des Beckeneingangs o d e r des kindlichen Körpers selbst ist so veränd e r t , d a ß die F o r m ü b e r e i n s t i m m u n g eher d u r c h BEL als d u r c h Schädellage g e f u n d e n w i r d . (2) Bei überreichlichem R a u m a n g e b o t fehlt d e m Kind die O r i e n t i e r u n g o d e r auch der Z w a n g zur Formübereinstimmung. (3) R a u m m a n g e l

o d e r fehlende

Bewegungsmöglich-

keiten des U n g e b o r e n e n verhindern eine s p o n t a n e D r e h u n g in die Schädellage.

A b b . 4.7-5: a. Der A k u p u n k t u r p u n k t f ü r die G e b ä r m u t t e r (Zui Yin = P u n k t 67 des Blasenmeridians) befindet sich a m seitlichen ä u ß e r e n R a n d des Z e h e n n a gels der kleinen Z e h e (ca. 3 m m u n t e r h a l b des Nagels). Er ist s c h m e r z e m p f i n d l i c h u n d d a h e r leicht a u f z u f i n den. b . M o x i b u s t i o n mit Beifußzigarette am o b e n beschriebenen P u n k t , täglich f ü r ca. 10 M i n . an jedem Fuß. Die g l i m m e n d e Z i g a r e t t e wird so dicht ü b e r den P u n k t gehalten, d a ß es deutlich w a r m w i r d , aber nicht schmerzt. Eine kleine H a u t r ö t u n g k a n n entstehen, sollte aber rasch abklingen. (Möglichst bei o f f e n e m Fenster, da b r e n n e n d e s B e i f u ß k r a u t stark riecht!)

144

4. Schwangerschaft

Ungeborene mit vermehrter Bewegung, evtl. mit Drehung. Sehr häufig wird der Wunsch geäußert, der Partner möge sich „mehr kümmern". So erklärt sich vielleicht auch, warum die „Indische Brücke", bei der das Becken der Frau in Rückenlage um ca. 45 Grad hochgestellt wird, mehr Erfolg bezüglich der Drehung des Kindes zeigt, sobald der Partner in die Übung integriert wird (Abb. 4.7-6).

sich, daß die Eltern dabei ihrem Kind gut zureden. Es ist davon auszugehen, daß ungeborene Kinder als soziale Wesen Interesse an Interaktionen haben und begreifen, was sie tun sollen. Dies ist auch die Grundlage der hier nicht näher erläuterten haptonomischen Wendung. Bevorzugt das Kind weiterhin die BEL, besteht die Möglichkeit, der Frau zur äußeren Wendung eine Klinik zu empfehlen, wo unter entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen (HTÜberwachung, Tokolyse, evtl. Sectiobereitschaft) versucht wird, in der 3 7 . - 3 8 . SSW das Kind aktiv in die Schädellage zu bringen. Bleibt die Steißlage trotz aller Maßnahmen bestehen, sollte die Hebamme umfassend über alle Entbindungsmöglichkeiten informieren, so daß von der betroffenen Frau bzw. den werdenden Eltern eine Entscheidung gefällt werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es keine Risikofreiheit gibt und allein die Schwangere darüber zu befinden hat, was letzlich für sie „Sicherheit" bedeutet.

• So trägt sie bei einem Kaiserschnitt das Risiko- einer großen Bauchoperation, zusätzlich wird die folgende Schwangerschaft und Geburt als Risikofall eingestuft. Nach Kaiserschnitt wird eine frühe Bindung von Mutter und Kind bisweilen durch Probleme (z. B. Bewegungseinschränkung, Schmerzen) in den ersten postoperativen Tagen behindert. Es können sich Stillschwierigkeiten einstellen, evtl. wird abgestillt. Dies bewirkt bei einigen Wöchnerinnen das Gefühl, versagt zu haben. Abb. 4.7-6: Indische Brücke: Alleine (a) oder mit Partner (b) lagert die Schwangere ihr Becken täglich 1—2 mal für 15—20 Min. hoch. Schulter, Becken und Knie sollten eine Linie bilden (kein Hohlkreuz!). In entspannter Lage atmet die Frau ruhig „in den Bauch". Die Übung sollte nicht nach dem Essen ausgeführt werden! Anschließend einige Minuten umherlaufen

Lichtreize (Sonne, starke Taschenlampe) oder akustische Reize (z. B. Spieluhr) können zusätzlich eingesetzt werden, um das Kind zur Drehung zu stimulieren. Fast automatisch ergibt es

• Eine vaginale BEL-Entbindung stellt eine erhöhte Gefahr für das Kind dar und erfordert besondere Kenntnisse des geburtshilflichen Teams. Je nachdem, wo die Entbindung stattfinden soll, wird von der Schwangeren Einverständnis in verschiedene Routinemaßnahmen erwartet, z. B. Oxytocin-Tropf, Anästhesie, Rückenlage, Dammschnitt etc. Es sollte in jedem Fall hinterfragt werden, ob nicht da, wo die meisten Forderungen an die Schwangere gestellt werden, auch die größte Angst an die betroffene Frau herangetragen wird. Aus diesem Grunde wäre es gut, wenn die Hebamme der Schwangeren ver-

4.7 Abweichungen von der regelrechten Schwangerschaft s c h i e d e n e Adressen g e b u r t s h i l f l i c h e r

Abteilun-

145

nungen von Opiaten, Alkohol, Nikotin, Barbitu-

gen n e n n e n k a n n , so d a ß sie sich v o r h e r u m f a s -

r a t e n u n d T r a n q u i l i z e r n . Sie k a n n sich d u r c h

send informieren kann.

verschiedene

Symptome

Magenbeschwerden,

äußern:

Unruhe,

Unwohlsein,

Appetitlosigkeit,

N a c h l a s s e n d e r K o n z e n t r a t i o n s - u n d Leistungs-

4.7.12 Suchterkrankungen Andrea

f ä h i g k e i t , G e r e i z t h e i t , D e p r e s s i o n , A b b a u sozialer K o n t a k t e , V e r n a c h l ä s s i g u n g des Ä u ß e r e n .

Stiefel

K o n s u m „harter"

E i n f l u ß n a h m e auf eine u n g e s u n d e L e b e n s f ü h rung der Schwangeren (Abusus =

Suchtmittel-

m i ß b r a u c h ) setzt v o r a u s , d a ß die B e t r o f f e n e bereit ist, Ä n d e r u n g e n selbst h e r b e i z u f ü h r e n . H e b a m m e u n d Ärztin sollten nicht n u r auf G e f a h r e n f ü r die G e s u n d h e i t v o n M u t t e r u n d Kind hin-

Drogen

(Heroin) ü b e r län-

gere Z e i t f ü h r t zu massiver bzw. V e r n a c h l ä s s i g u n g des

Verschlechterung

Gesundheitszustan-

des m i t U n t e r e r n ä h r u n g , A n ä m i e ,

chronischer

Bronchitis, H a r n w e g s i n f e k t i o n e n ,

Geschlechts-

krankheiten, Vitaminmangelerkrankungen

und

HIV-Infektionen.

weisen, s o n d e r n gleichzeitig H i l f e a n b i e t e n . Die genaue Kenntnis verschiedener Drogen, Medikam e n t e u n d ihrer Einflüsse auf P e r s ö n l i c h k e i t so-

Auswirkungen auf die Schwangerschaft

wie E r s c h e i n u n g s b i l d d e r F r a u ist d a b e i u n u m T e r a t o g e n e S c h ä d e n (Fehlbildungen) d u r c h D r o -

gänglich.

genmißbrauch orte,

Drogen

sind n i c h t ausgeschlossen:

Frühgeburten,

vorzeitige

Ab-

Plazentalösung

u n d i n t r a u t e r i n e W a c h s t u m s r e t a r d i e r u n g treten h ä u f i g e r auf (s. S. 134).

Droge ist die ursprüngliche Bezeichnung für getrocknete Pflanzen (deren Teile) oder andere Substanzen, die als Heilmittel verwandt wurden. I m heutigen S p r a c h g e b r a u c h g e h ö r e n zu d e n D r o g e n alle zu A b h ä n g i g k e i t f ü h r e n d e n maka •

u n d Rauschmittel

Phar-

Haschisch, M a r i h u a n a , Halluzinogene: LSD,



Opiate: Opium, Morphium, Heroin



Kokain,

synthetische

Drogen,

z. B.

(Verdünner

für

Klebstoffe,

Lacke) •

(Alkohol, Nikotin,

Medika-

mente). Bei Medikamentenmißbrauch steht die EinTranquilizern

und

( A u f p u t s c h - , B e r u h i g u n g s - , Schlaf-

d e t w i r d . Die Süchtige w i r d auf die E r s a t z d r o g e M e t h a d o n (L-Polamidon®) umgestellt (Tagesbebenötigten

T a g e s h e r o i n m e n g e ) , d a s Kind m ö g l i c h s t intensiv ü b e r w a c h t ( C T G , S o n o g r a p h i e ) . Erst n a c h d e r nächst stationär, später ambulant. Die Behandlung d a u e r t zwischen 2— 8 W o c h e n u n d sollte n u r an spezialisierten Kliniken s t a t t f i n d e n .

ger Mütter zeigen n a c h d e r G e b u r t E n t z u g s e r -

Ü b e r w i e g e n d psychische A b h ä n g i g k e i t den von M a r i h u a n a , Amphetaminen

Kokain, erzeugt,

Abhängigkeit

Sie ä u ß e r n

sich in l a n g a n h a l t e n d e m

mit

wer-

Halluzinogenen psychische

und

Entzugserschei-

schrillen

Schreien, m o t o r i s c h e r U n r u h e , Ü b e r r e g b a r k e i t , Krampfanfällen,

Zittern,

schwäche, Gewichtsverlust.

mittel) im V o r d e r g r u n d .

körperliche

das

s c h e i n u n g e n , die l e b e n s b e d r o h l i c h sein k ö n n e n .

n a h m e von Amphetaminen,

und

da

Kinder opiat-, barbiturat- und alkoholabhängi-

legale D r o g e n

Barbituraten

kontraindiziert,

E n t b i n d u n g w i r d m i t d e m E n t z u g b e g o n n e n , zu-

Angeldust • Schnüffelstoffe

Schwangerschaft

Kind d u r c h E n t z u g s s y m p t o m e zusätzlich g e f ä h r -

d a r f e r r e c h n e t sich a u s d e r zuletzt

wie:

Meskalin Crack,

A b r u p t e r E n t z u g v o n Opiaten ( H e r o i n ) ist in der

Erbrechen, Vom Stillen

Trinkwird

a b g e r a t e n , u m einen Ü b e r t r i t t v o n S u b s t a n z e n ( M e t h a d o n , N i k o t i n etc.) ü b e r die M u t t e r m i l c h zu v e r m e i d e n . Die Behandlung u n d d a u e r t bis zu 3 M o n a t e n .

erfolgt stationär

146

4. Schwangerschaft

4.8 Frühzeitig beendete Schwangerschaften Susanne Kluge

4.8.1 Abruptio gravitatis (Schwangerschaftsabbruch) Ein Schwangerschaftsabbruch (Abruptio) ist die künstlich (medikamentös oder instrumentell) herbeigeführte Beendigung der Schwangerschaft. Rechtslage: In Deutschland ist die von Ärzten durchgeführte Abruptio nur bei definierten Indikationen legal, wobei verschiedene Fristen gelten: • 12 Wochen nach Empfängnis (14. SSW p. m.) bei kriminologischer Indikation (z. B. Vergewaltigung) • 22 Wochen (24. SSW p. m.) bei eugenischer ( = embryopathischer) Indikation (z. B. Fehlbildung des Feten) • ohne Frist bei medizinischer Indikation (z. B. Lebensgefahr für die Mutter). In der Änderung des § 2 1 8 S t G B v o m 2 8 . 05. 93 wurde die bisher bestehende Notlagenindikation ge-

Psychisch besonders belastend ist die späte Abruptio bei embryopathischer oder medizinischer Indikation, wenn Kinderwunsch vorliegt. Zur Trauer kommen häufig erschwerend Schuldgefühle und Selbstzweifel (s. S. 114). Besonders in diesen Fällen wäre die Begleitung des induzierten Schwangerschaftsabbruchs bzw. der Frühgeburt und Nachsorge der Frau durch eine Hebamme sinnvoll. Hierfür müßten in Kliniken ausreichende räumliche und personelle Voraussetzungen geschaffen werden. Neben Kontrolle von Blutung, Vital- und Gerinnungswerten sowie Schmerzerleichterung steht die psychische Betreuung im Vordergrund. Bei Rh-negativen Frauen muß nach der Abruptio Anti-D-Immunglobulin injiziert werden! Ab der 14. SSW ist primäres Abstillen angezeigt (s. S. 312). In der Folgezeit ist Hilfe bei der Trauerbewältigung, und u. U. Beratung über weitere Verhütung sinnvoll. Homöopathische und phytotherapeutische Mittel werden erfolgreich zur Konstitutionsstärkung und Förderung der Heilung eingesetzt.

strichen.

Die Abruptio bis zur 14. SSW rechtswidrig, aber straffrei.

ist zwar

Dies hat auf allen Ebenen Rechtsunsicherheit ausgelöst, und es sind weitere Änderungen des Gesetzes zu erwarten. Es besteht Beratungspflicht bei einer anerkannten Beratungsstelle, die zur Auflage hat, der Frau zum Austragen der Schwangerschaft zu raten. Zu befürchten sind die Benachteiligung von sozial schwachen Frauen, sowie Zunahme illegaler, unsachgemäß durchgeführter Abruptiones mit erhöhten Gesundheitsrisiken. Sobald die Entscheidung zur Abruptio getroffen ist, sollte diese so schnell und schonend wie möglich durchgeführt werden, da die Komplikationsrate mit dem Schwangerschaftsalter ansteigt: Dünne Uteruswände erhöhen die Gefahr der Perforation durch Instrumente, allgemein größere Blutungsgefahr.

Die Hebamme hat jedoch für Hilfeleistungen im Zusammenhang mit einer Abruptio keinen Vergütungsanspruch nach der Hebammenhilfe-Gebührenverordnung. Ein Sonderfall ist die {unbeaibsichtigte) Lebendgeburt anstelle der Abruptio in fortgeschrittener Schwangerschaftswoche.

4.8.2 Aborte (Fehlgeburten) Definition nach deutschem Personenstandsrecht Der Abort (Fehlgeburt) ist die vorzeitige spontane Beendigung der Schwangerschaft mit Absterben des Embryos oder Feten, wenn dieser weniger als 500 g wiegt. Wiegt das tote Kind über 500 g, ist es kein Abort, sondern eine Totgeburt. Zeigt es Lebenszeichen

147

4.8 Frühzeitig beendete Schwangerschaften

(Herzschlag, Pulsieren der Nabelschnur, Atmung oder willkürliche Muskelbewegung) gilt es als Lebendgeburt (Frühgeburt), auch wenn sein Gewicht unter 500 g liegt und es kurz darauf verstirbt (s. S. 517). Im Gegensatz zur Totgeburt besteht beim Abort keine standesamtliche Meldepflicht (kein Eintrag in Personenstandsbücher), und der Frau stehen keine Leistungen wie Mutterschutz etc. zu. Die WHO definiert u n a b h ä n g i g von G e w i c h t o d e r S c h w a n g e r s c h a f t s d a u e r alle Fälle von A u s s t o ß u n g o d e r E x t r a k t i o n aus d e m M u t t e r l e i b als Fetaltod.

Ursachen und Häufigkeit Etwa 50% der spontanen Frühaborte (bis Ende 15. SSW) geschehen, weil kein entwicklungsfähiger Embryo vorhanden ist (Abortivei, Mole), ca. 10% wegen plazentarer Fehlbildungen. Meist liegen Chromosomendefekte vor, Umwelteinflüsse wie Strahlenschäden und Intoxikationen spielen dabei eine Rolle. Sog. mütterliche Abortursachen sind vor allem Infektionen (Fieber kann Wehen auslösen), Zervixinsuffizienz und Anomalien des Uterus, sowie psychische und (selten) physische Traumen. Nach Amniozentese liegt die Abortrate derzeit bei ca. 0,5—1%, nach Chorionzottenentnahme bei ca. 3—6%. Die meisten Aborte sind weder ursächlich therapierbar noch aufhaltbar. Dies muß den Frauen gesagt werden, die häufig Schuldgefühle entwickeln und unter dem „Versagen" ihrer Gebärfähigkeit leiden können. Die Bearbeitung der Schuldfrage ist jedoch ein Schritt auf dem Weg von der Bewältigung bis zur Akzeptanz des Geschehens.

Einteilung der Aborte • Abortus imminens: (lat. imminens: bevorstehend) drohende Fehlgeburt. Leichte Blutungen oder Wehen bei geschlossenem Zervikalkanal. Therapie: Bettruhe, evtl. Tokolytika, Sedativa. • Abortus ineipiens: (lat. ineipiens: beginnend) unvermeidbarer Abort. Blutungen und Wehen bei beginnender Muttermundöffnung. Therapie: bei

gesichertem Befund aktives Vorgehen (medikamentös), um fieberhaftem Verlauf vorzubeugen. • Abortus progrediens: (lat. progrediens: fortschreitend) in Gang befindlicher Abort. Bei eröffnetem Zervikalkanal steht die Ausstoßung der Frucht unmittelbar bevor. Verlauf als Abortus completus oder incompletus. • Abortus completus: (lat. completus: vollständig) einzeitiger, meist Frühabort bis 16. SSW. Fet und Plazenta werden vollständig ausgestoßen. Therapie: Nachkürettage zur Sicherheit bis ca. 20. SSW. • Abortus incompletus: (lat. incompletus: unerfüllt) zweizeitiger, unvollständiger Abort, meist nach der 16. SSW. Nach Geburt des Feten verbleiben Plazenta- und Eihautreste in utero. Therapie: Nachkürettage. • Missed Abortion (engl.): Verhaltener Abort, die abgestorbene Frucht bleibt wochen- bis monatelang in utero, wenn nicht behandelt wird. Gefahr von fieberhaftem Verlauf und Gerinnungsstörungen. Therapie: Aborteinleitung. • Habitueller Abort: (lat. habitus: die Gewohnheit) mehr als 2 aufeinanderfolgende Aborte. • Abortus febrilis: fieberhafter Abort z. B. durch lokale Endometriuminfektion. Kann übergreifen auf die Adnexe (Tube, Ovar) und einen septischen Verlauf nehmen (Gefahr des Endotoxinschocks). Frauen haben bei einem Abort Anspruch auf Hebammenhilfe, wenn es sich nicht um einen Schwangerschaftsabbruch handelt (§ 196 RVO). Die H e b a m m e k a n n f ü r ihre freiberuflich e r b r a c h t e Leistung laut G e b ü h r e n v e r o r d n u n g „ H i l f e bei einer Fehlgeburt o d e r einer Blasenmole" a b r e c h n e n , bzw. „Hilfe

bei

Schwangerschaftsbeschwerden

oder

bei

Wehen".

Beratung und Betreuung durch die Hebamme Bei- drohendem Abort sind die therapieunterstützenden Möglichkeiten der Hebamme vielfältig. Ziele sind Entspannung und Angstreduktion durch: persönliche Beratungsgespräche, Atemund Entspannungsübungen, Anleitung zu autogenem Training, energetische Massagen (z. B.

148

4. S c h w a n g e r s c h a f t

Kopfmassage), Bachblüten oder

Homöopathie

(s. S. 4 0 2 ) . F ü r d a s V e r l u s t e r l e b e n sind S c h w a n gerschaftswoche und Geburtsgewicht

unerheb-

lich. D e s w e g e n sollte m i t d e n E l t e r n w i e bei ein e r T o t g e b u r t u m g e g a n g e n w e r d e n (s. S. 2 6 2 ) . Die Beerdigung von Kindern unter 500 g ist auf Wunsch der Eltern möglich, und kann für die Trauerverarbeitung hilfreich sein.

Medizinische Betreuung D i e m e d i z i n i s c h e B e t r e u u n g u m f a ß t allgemein die K o n t r o l l e v o n B l u t u n g , Vital- u n d

Gerinnungs-

w e r t e n . S o l a n g e diese P a r a m e t e r es zulassen, sollten (ab 8. SSW) die s p o n t a n e A u s s t o ß u n g v o n Fet u n d P l a z e n t a a b g e w a r t e t u n d n u r ggf. zervixreifende und wehenauslösende Mittel

verabreicht

w e r d e n . N a c h G e b u r t v o n Fet u n d P l a z e n t a m ü s sen diese auf ihre V o l l s t ä n d i g k e i t ü b e r p r ü f t w e r d e n . Bei u n k l a r e m B e f u n d m u ß

nachkürettiert

werden. Z u r Klärung der Abortursache werden im a l l g e m e i n e n Fet u n d P l a z e n t a histologisch u n t e r s u c h t ( A u f b e w a h r u n g u n d T r a n s p o r t in Form a l i n ) , teilweise w e r d e n A b s t r i c h e u n d serologische U n t e r s u c h u n g e n d u r c h g e f ü h r t . Bei

Rh-negativen

Müttern

D-lmmunglobulinprophylaxe

darf

die

nicht

Anti-

vergessen

werden! Bei A b o r t e n n a c h d e r 14. SSW k a n n es z u r L a k t a t i o n k o m m e n . Primäres

Abstillen

verhin-

d e r t eine zusätzliche B e l a s t u n g . W i r d die H e b a m m e außerhalb

der Klinik

zu e i n e m A b o r t g e -

s c h e h e n h i n z u g e z o g e n , k ö n n e n im Notfall p h y s i kalische M i t t e l (Eisblase etc. auf U n t e r b a u c h ) z u r Blutungsstillung

eingesetzt

werden.

Das

Aus-

r ä u m e n v o n P l a z e n t a r e s t e n bei b e d r o h l i c h e r Blut u n g k a n n digital (mit sterilem H a n d s c h u h ) erfolg e n , w e n n ärztliche H i l f e n i c h t e r r e i c h b a r , u n d d e r T r a n s p o r t in eine Klinik n i c h t m ö g l i c h ist.

Verwendete

und empfohlene

Literatur:

Alexander, G.: Eutonie, ein Weg der körperlichen Selbsterfahrung. 6. Aufl. Kösel Verlag, München 1986 Berg, D. et al.: Schwangerschaftsberatung und Perinatologie, 3. Aufl. Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1988

Cunningham, F. G., P. C. MacDonald, N. F. Gant: William's Obstetrics, 18. Aufl. East Norwalk (U.S.A.), Appleton & Lange 1989 Dale, B., J. Roeber: Gymnastik für Schwangerschaft und Geburt, Ravensburger Verlag, Ravensburg 1987 Dick-Read: Der Weg zur natürlichen Geburt, 111. Aufl. H o f f m a n und Campe Verlag, H a m b u r g 1979 Enkin, M., M. Keirse, I. Chalmers: A guide to effective care in pregnancy and childbirth, Oxford University Press. New York 1989 Moshe Feidenkrais, M.: Bewußter durch Bewegung, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/M. 1987 Friedberg, V., G. H. Rathgen (Hrsg.): Physiologie der Schwangerschaft. Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1980 Fuhrmann, W. u. a. Pränatale Diagnostik. Aufgaben und Methoden. In: K. H. Wulf, H. Schmidt-Mathiesen (Hrsg.): Klinik der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Bd. 4 Schwangerschaft I. 3. Aufl. Urban und Schwarzenberg, München 1992 Großpietsch, G.: Erkrankungen in der Schwangerschaft. Edition Gynäkologie und Geburtsmedizin J. Schneider, H. Weitzel Bd. 1, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1988 Höhler, H.: Die richtige Schwangerschaftsgymnastik. Econ Taschenbuch Verlag, 1989 Kitzinger, S,: Geburtsvorbereitung, ein Buch für Kurse, Gruppen und Beratung. Kösel-Verlag, München 1980 Knörr, K.: Schwangerenvorsorge Prävention für Mutter und Kind. Urban und Schwarzenberg, München, Wien, Baltimore 1983 Lamaze, F. Die Lamaze-Methode. Goldmann Medizin. München 1979 Leboyer, M.: Der sanfte Weg ins Leben, die Kunst zu atmen, Geburt ohne Gewalt, 2. Aufl. Kösel-Verlag, 1981 Lippens, F.: Geburtsvorbereitung, eine Arbeitshilfe für Hebammen. Elwin Staude Verlag, Hannover 1992 Martius, H. et al.: Hebammenlehrbuch, 5. Aufl. Thieme Verlag, Stuttgart 1990 Pschyrembel, W., J. W. Dudenhausen: Praktische Geburtshilfe, 16. Aufl. Verlag W. de Gruyter, Berlin 1989 Schindele, E.: Gläserne Gebär-Mütter. Fischer TB, Frankfurt/M. 1990 v. Soehr, J., I. Stratenwerth: Süchtig geboren. Rasch und Röhring, H a m b u r g 1991 Spielmann, H., R. Steinhoff: Taschenbuch der Arzneimittelverordnung in Schwangerschaft und Stillperiode, 3. Aufl. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1990 Wilberg, G., K. Hujber: Ganz bei mir, Impulse für Geburtsvorbereitung und Geburtshilfe, Selbstverlag Österreich Bezugsadresse Barbara Hoyler Bergstr. 12 7321 Zell u. a. München 1991

4.8 Frühzeitig beendete S c h w a n g e r s c h a f t e n Wimmer-Puchinger, B.: Schwangerschaft als Krise. Springer Verlag, Berlin 1992 Wulf, K.-H., W. Künzel: Schwangerschaft I, 3. Aufl., Urban & Schwarzenberg, München, Wien, Baltimore 1992 Zillo, A., H. Greising: Neue H o f f n u n g Zilgrei Schmerzfrei durch eine koordinierte Haltung und Atemtherapie. Mosaik Verlag, München 1984

Broschüren

und

Fachartikel

Bosch, C.: Heroinabhängigkeit und Schwangerschaft. D H Z 1/1994, Elwin Staude Verlag, Hannover 1994 Reinicke, P.: Soziale Arbeit Heft 3 1984. Schwangerenberatung — Historischer Rückblick am Beispiel Berlins Römisch, K.: Z u r Geschichte der Schwangerenfürsorge der Berliner Gesundheitsämter. Med. Diss., Berlin 1984 Schroeder-Kurth, T.: Medizinische Genetik in der Bundesrepublik. In: Medizinische Genetik. Mitteilungs-

149

blatt des Berufsverbandes Medizinische Genetik e. V. 2. Jahrgang September 1990 Shapiro, H.: Drogen, Schwangerschaft und das Neugeborene. The Institute for the Study of Drug Dependence (ISDD), Broschüre Rasch und Röhring, Hamburg 1991 Tietze, K. W.: Epidemiologische und Sozialmedizinische Aspekte der Schwangerschaft, Forschungsbericht. Hrsg. Bundesminister f. Arbeit u. Sozialordnung Berlin, 1981

Nützliche

Adressen:

Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen — NAKOS, Albrecht-Achilles-Str. 65 10709 Berlin Liste genetischer Beratungsstellen in: Krone, St. Das ungeborene Kind. Möglichkeiten und Grenzen vorgeburtlicher Untersuchungen. Stuttgart: TRIAS 1992 Gesellschaft für Geburtsvorbereitung e. V. (GfG) Postfach 22 01 06, 40608 Düsseldorf Dellestr. 5

5. Geburt

5.1 Geburtsvorgang Christi Rosenberger Die Geburt ist ein dynamisches Geschehen, das durch anatomisch-physiologische und psychosoziale Faktoren bestimmt wird. Vor, während und nach dem Geburtsprozeß überwacht bzw. begleitet die Hebamme die Frau und deren Partner. Sie sorgt für eine Atmosphäre der Sicherheit und Geborgenheit und rechtzeitig für interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Komplikationen.

rend Schwangerschaft und Geburt in verschiedenen Abläufen, Formen und Stärken. Jede

erregbare

Zelle

besitzt

eine

bioelektrische

Membran. Z u r Erhaltung des Ruhepotentials sind die Mineralstoffe Kalium

und Natrium

nötig, zur Aktivie-

rung des Aktionspotentials durch einen Reiz vor allem Kalzium.

Zusätzlich wird das Muskel- und M e m b r a n -

potential durch hormonale Steuerung modifiziert.

5.1.1 Wehenphysiologie

Auslösung der Wehen

Wehen sind rhythmische Kontraktionen (Zusammenziehungen) der Uterusmuskulatur, die meist schmerzhaft sind. Daher ist der Name „Wehe" entstanden. Diese Kontraktionen sind eine enorme physische und psychische Arbeit für die Frau. Deshalb wird auch der Ausdruck „Geburtsarbeit" verwendet.

Ursache für die Auslösung der Kontraktionen ist ein multifaktorielles Geschehen, bei dem mütterliche und kindliche Faktoren eine Rolle spielen. Geburtswehen setzen normalerweise nach Abschluß der physiologischen Reifung des Kindes ein. Es kommt zu einem sinnvollen Zusammenwirken mechanischer, nervaler, endokriner, biochemischer und psychischer Einflüsse, wobei der genaue Auslösemechanismus unbekannt ist.

Physiologie: Die Fähigkeit zur Kontraktion besitzt jede Muskelzelle (Abb. 5.1-1). Die Muskulatur des Uterus ist, wie der Herzmuskel, zur autonomen Erregungsbildung und -leitung fähig. Der Uterus als Hohlmuskel zeigt dies wäh-

A

B

A

B

A

B

A

Abb. 5 . 1 - 1 : Retraktion der uterinen Muskelzellen. A. Muskelzelle des Uterus in Ruhe. B. Muskelzelle im Prozeß der Kontraktion (s. S. 155)

(1) Hormonale Faktoren: Östrogene, Progesteron, Oxytocin, Prostaglandine • Östrogene (Steroidhormone) im mütterlichen Organismus erhöhen das Membranpotential durch Zunahme von Kalium. Dadurch wird das Myometrium auf die Geburtsarbeit vorbereitet und gleichzeitig vor unerwünschten Kontraktionen geschützt. Östrogene sorgen für Anregung des Uteruswachstums, Energiespeicherung im Myometrium, Erregbarkeitsförderung (Stimulation der Alpharezeptoren), Anregung zur Bildung von Progesteronrezeptoren, Stimulation von Oxytocin- und Prostaglandinrezeptoren und zur Steigerung der Prostaglandinsynthese. Letztere bewirkt rasche und generalisierte Kontraktionen des Uterus (Abb. 5.1-2).

152

5. Geburt mütterlicher Hypothalamus Östrogenspiegel f höher im Vergleich zu + Progesteronspiegel

Plazenti

Kortisol

Prostaglandin Oxytozin synthese steigt an Progesteronsynthese wird gebremst

/ACTHXXX Abgabe \ \ l aus der V rO> fetalen \ ^ Hypophyse CRH / aus dem fetalen/, .Hypothalamus / /

Dehnungsrezeptoren der Zervix

Abb. 5.1-2: Hormonelle Faktoren zur Auslösung von Kontraktionen am Uterus: Die Sekretion von A C T H (adrenokortikotropes Hormon) aus der fetalen Hypophyse steigt am Ende der Schwangerschaft an und löst eine Zunahme der Kortisolsekretion der fetalen Nebenniere aus. Dieses hemmt die Progesteronsynthese der Plazenta und führt so zu einem Anstieg des Östrogenspiegels. Damit wird die Synthese eines Prostaglandins gesteigert, welches die Erregbarkeit des Myometriums heraufsetzt. Werden die Kontraktionen des Uterus stark genug, um eine Oxytocinsekretion auszulösen, so bringt diese eine positive Rückkopplung in Gang

• Progesteron

(Gelbkörperhormon)

steigert

ren (Ferguson-Reflex s. u.) w i r d d e r H y p o t h a l a -

während der Schwangerschaft das Ruhepoten-

m u s ( R e g u l a t i o n s z e n t r u m im G e h i r n ) z u r O x y -

tial u n d i n a k t i v i e r t N a t r i u m . U t e r u s k o n t r a k t i o -

t o c i n b i l d u n g a n g e r e g t ( O x y t o c i n s p e i c h e r u n g im

nen sind s o m i t d u r c h d e n sog.

„Progesteron-

H y p o p h y s e n h i n t e r l a p p e n ) . O x y t o c i n steigert die

g e h e m m t (Betarezeptoren werden stimu-

U t e r u s m o t i l i t ä t ( A b b . 5.1-2), i n d e m es die O x y -

block"

liert), d a P r o g e s t e r o n l o k a l in d a s M y o m e t r i u m

tocin-Prostaglandinsynthese

d i f f u n d i e r t . Vor G e b u r t s b e g i n n r e d u z i e r t es sich

Amnion

u n d die k o n t r a k t i o n s h e m m e n d e W i r k u n g

läßt

n a c h . Im L a u f e der S c h w a n g e r s c h a f t erfolgt also eine

Verschiebung

des

Ostrogen-Progesteron-

stimuliert.

in

Dezidua

Oxytocinvorstufen

und (Ste-

roide) w e r d e n a u c h in d e r fetalen N e b e n n i e r e gebildet u n d a u s g e s c h i e d e n . • Prostaglandine ( h o r m o n ä h n l i c h e S u b s t a n z e n ,

Verhältnisses z u g u n s t e n v o n Ö s t r o g e n .

in fast allen O r g a n e n , v o r w i e g e n d in K e i m d r ü -

• O x y t o c i n w i r d bereits im L a u f e d e r S c h w a n -

sen u n d m ä n n l i c h e r S a m e n f l ü s s i g k e i t v o r k o m -

g e r s c h a f t v e r m e h r t gebildet. Es s e n k t d a s M e m -

m e n d ) w e r d e n v o r allem im letzten

b r a n p o t e n t i a l u n d e r h ö h t die E r r e g b a r k e i t des

d e r S c h w a n g e r s c h a f t u n d w ä h r e n d der G e b u r t

U t e r u s . D u r c h die U n t e r s t ü t z u n g n e r v a l e r F a k t o -

v e r m e h r t gebildet u n d sind in D e z i d u a u n d Ei-

Trimenon

5.1 G e b u r t s v o r g a n g

153

häuten reichlich vorhanden. Prostaglandine senken das Membranpotential und erleichtern den Transport von Kalzium. Dadurch wird das Myometrium für Oxytocin sensibilisiert. Resultat sind der „Priming-Effekt" (Reifen und Weichwerden) der Zervix und die darauffolgende Kontraktionsstimulation. (2) Nervale Faktoren In der Zervix, etwa in Höhe des inneren Muttermundes, befinden sich Nervenenden, die als Druckrezeptoren funktionieren. Wird auf sie ein Druck ausgeübt, sei es durch den vorangehenden Teil des Kindes oder durch „Stripping" (Dehnen des inneren Muttermundes durch untersuchenden Finger), wird ein Reiz zur Oxytocinausschüttung gesetzt (Ferguson-Reflex). Wie Abb. 5.1-3 zeigt, gibt es zusätzlich den nervalen Kontraktionsreflex, der als kurzer Reflexbogen über das Rückenmark verläuft, sowie die spontane Reizbildung, die vor allem von den Tubenwinkeln des Uterus ausgeht. Einfluß hat ebenfalls ein erhöhter Parasympathikustonus, der eine Tonussteigerung am Uterus begünstigt. Dies tritt vorwiegend in den Abend- und Nachtstunden auf und erklärt den häufig während dieser Zeit einsetzenden Kontraktionsbeginn.

(3) Mechanische Faktoren Eine passive Dehnung des Myometriums ist nur begrenzt möglich. Die Wandspannung der Utrusmuskulatur nimmt in der Schwangerschaft zunächst zu und vor der Geburt ab, z. T. durch Fruchtwasserreduktion. Dadurch erfolgt eine Spannungsentlastung am Myometrium. (4) Psychische Faktoren Schwangerschaft und Geburt sind psychosexuelle Erfahrungen im Leben einer Frau bzw. eines Paares, bei dem körperliche, seelisch-geistige und soziale Veränderungen eintreten. Bei der Geburt spielen oft vorher kaum wahrgenommene Gefühle eine Rolle, die sich im Laufe des Lebens entwickelt haben und z. T. gesellschaftlichen Ursprungs sind. Die Geburt ist ein kreativer Prozeß, dessen Verlauf für die Frau unvorhersehbar ist. Er beginnt unwiderruflich und löst oft mehr Angst als Freude aus. Offenheit auf emotionaler und Einklang auf geistiger Ebene (die Frau mit sich, mit ihrem Partner, mit

Abb. 5.1-3: Drei Reizbildungsmöglichkeiten am Uterus (nach Zimmer): 1 Neurohormonaler (Ferguson-) Reflex, bestehend aus a. neuralem afferenten Schenkel (zum ZNS, Hypothalamus hinführend) und b. neurohormonalem efferenten Schenkel (vom Hypophysenhinterlappen kommend). 2 Nervaler Kontraktionsreflex (rot). 3 Spontane Erregungsbildung im Myometrium (rot gestrichelt)

der Hebamme) ist die beste Voraussetzung dafür, daß eine Frau die Geburt erlebt, die sie sich wünscht. Mit dem Wissen um psychosexuelle Vorgänge um die Geburt kann die Hebamme individuelle, bedürfnisorientierte Begleitung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett geben und der Frau den Umgang mit ihren Ängsten erleichtern (s. S. 26).

Kontraktionsphasen und -stärke Der Ablauf einer Kontraktion am geburtsbereiten Uterus zeigt eine typische Charakteristik, geprägt durch den dreifach absteigenden Gradienten:

154

5. Geburt

• die Kontraktion beginnt im Fundus vom linken Tubenwinkel)

(meist

• die Kontraktion dauert im Fundusbereich am längsten • die Kontraktionskraft n i m m t vom Fundus zur Zervix ab. Dieses Phänomen ist mit dem Vorkommen der meisten und kleinsten Myometriumzellen an den Tubenecken erklärbar. Die damit gegebene,

relativ große Oberfläche kann viel Oxytocin aufnehmen. Durch diese fundale Dominanz der Kontraktion entsteht ein Entleerungsreflex: Kräftige Kontraktionen im Fundus werden zur Zervix hin schwächer, dadurch öffnet sich der Muttermund. Das funktionelle Verhalten des Uterus während der Kontraktionen wird einerseits durch fundale Dominanz bestimmt, andererseits durch

Kontraktion

Uteruskörper = aktiver Teil

Bandi - Kontraktionsring

Unteres Uterinsegment und Zervix = passiver Teil

Retraktion

Distraktion

A b b . 5.1-4: F u n k t i o n e l l e Z w e i t e i l u n g d e s U t e r u s w ä h r e n d d e s G e b u r t s p r o z e s s e s in o b e r e n a k t i v e n u n d u n t e r e n p a s s i v e n A b s c h n i t t . G r e n z e ist d e r B a n d l - K o n t r a k t i o n s r i n g (rot). Seine P o s i t i o n steigt bei z u n e h m e n d e r D e h n u n g d e s w e i c h e n G e b u r t s w e g e s n a c h o b e n . T r i t t d e r K o p f bei v o l l s t ä n d i g e r ö f f n e t e m M M tiefer, steigt d e r R i n g n i c h t m e h r h ö h e r

5.1 Geburtsvorgang Befestigung

des

Uterus

im kleinen Becken (s.

S. 61). Während der Geburt besteht eine funktionale Zweiteilung des Uterus in aktiven oberen und passiven unteren Teil (Abb. 5.1-4). Funktional

geteilt

Grenz-

werden

oder

beide

Teile

durch

einen

dessen Position

Kontraktionsring,

sich mit zunehmender Eröffnung des Muttermundes nach oben verlagert. Ist der Kontraktionsring von außen auf dem Bauch der Frau tastbar, bzw. sichtbar, wird er Bandl-Furche nannt.

4

Bewegungen

laufen

während

geeiner

Kontraktion in folgender Reihenfolge ab: • Kontraktion: muskulatur. den

Die Uteruswand zieht sich über

vorangehenden

kindlichen

Teil

(VT)

in

Richtung Fundus zurück. Kontraktion und Retraktion (Abb. 5.1-1, 4) führen zu einer Verkleinerung des Uterusinnenraumes,

während

die

Wandstärke zunimmt. Dies bewirkt zwangsläufig eine Verminderung der uterinen Durchblutung und erklärt die im Verlauf der Eröffnungsperiode steigende hypoxische Gefährdung des Kindes. • Distraktion:

Vergleichbar ist das gesamte Geschehen mit dem

Anziehen eines

Rollkragenpullovers.

Die Phasen einer Kontraktion sind in Abb. 5.1-5 dargestellt. • Die Akme

(Spitze) ist die Phase der größten

Kraftentwicklung,

aber auch

Höhepunkt

des

Schmerzes. • Auch in der Entspannungsphase

behält der

Uterus eine leicht erhöhte Grundspannung bei, den Ruhe-

oder

Basaltonus

(in Schwangerschaft

ca. 6 — 8 mmHg, während Geburt ca. 12—15 mmHg). Jede Kontraktion richtet den Uterus et-

Konzentrisches (um gemeinsa-

men Mittelpunkt) Zusammenziehen der Korpus• Retraktion:

155

Die Folge der Retraktion ist ein

passives Erweitern des unteren Uterinsegmentes

was auf und bringt das Kind in die Führungslinie des Geburtsweges. • Ein physiologisches

von Uterus-

Verhältnis

kontraktionen und Pausen während der Geburt liegt vor, wenn auf eine Einheit Arbeit 2 Einheiten Ruhe folgen (Abb. 5.1-5b). Kontraktionsdauer,

-frequenz

und

-pause

werden mit der Uhr oder mittels externer Kardiotokographie festgestellt. Die Kontraktionsstärke wird von der Hebamme durch sanftes Auflegen einer Hand auf den Bauch im Fundusbereich getastet. Sie ist nur durch eine intrauterine Ableitung absolut m e ß b a r (s. S. 4 1 6 ) .

und der Zervix. Dies wird ermöglicht durch die Verankerung des Uterus im kleinen Becken. Das Gewebe wird über den nach unten drängenden

Wehenarten

V T nach oben zurückgezogen. Das ReservegeDie Kontraktionsarten werden nach ihrem zeit-

webe stammt dabei aus der Portio. • Dilatation:

Die passive Dehnung oder Öff-

nung der Zervix bzw. des Muttermundes als Folge

von

Kontraktion,

Retraktion

und

Di-

straktion.

burtshilflichen Situation benannt: (1) Schwangerschaftswehen sind in der Regel schmerzlose Kontraktionen, die im Laufe des 2.

Diese 4 Aktivitäten bewirken eine intrauterine Druckerhöhung von 2 0 bis 100 mmHg (je nach

lichen Auftreten, bzw. nach der jeweiligen ge-

Kontraktionsform).

Der

Fet

weicht

in

Richtung des geringsten Widerstandes zur Zer-

und 3. Trimenon feststellbar sind und keine Öffnungswirkung am Muttermund zeigen. Bei häufigerem Auftreten muß überprüft werden, ob die Kontraktionen

portiowirksam

vix hin aus, wobei die Druckdifferenz zwischen

hemmt werden müssen.

innen und außen auf den V T einen stetigen,

Frequenz:

leichten Sog ausübt. Ist die Fruchtblase nicht

Druck:

bis max. 2 0 mmHg.

mehr erhalten, kann mit dem den Kopf um-

Dauer:

bis 30 Sekunden.

schnürenden Muttermundssaum das Caput

Aufgaben:

cedaneum

suc-

(Kopfgeschwulst, s. S. 364) entstehen.

sind

und

ge-

zunehmend, 4—10 pro Tag.

Förderung der Uterusdurchblutung,

Anregung des Myometriumwachstums.

156

5. Geburt

a

Druck it in mmHg

physiologisches Verhältnis 1:2

unphysiologisches Verhältnis 1:1

60

40 -

©

20

1 /3 Arbeit

©\ © /©\ © 4 Zeit in Einheiten

2/3 Ruhe bzw. Pause

A b b . 5.1-5: a. A u f b a u einer K o n t r a k t i o n in i h r e r P h a s e v o n P a u s e zu P a u s e , b. V e r h ä l t n i s v o n U t e r u s k o n t r a k t i o n s a r b e i t u n d - e n t s p a n n u n g . Ein p h y s i o l o g i s c h e s V e r h ä l t n i s liegt vor, w e n n a u f 1 E i n h e i t A r b e i t 2 Einheiten Ruhe folgen

Formen: Alvarez-Wellen als lokal begrenzte und Braxton-Hicks-Kontraktionen als ausgedehnt über den Uterus ablaufende Kontraktionen mit nachfolgender Pause. Braxton-Hicks-Kontraktionen sind Zeichen zunehmender Koordinierung (Abb. 5.1-6). (2) Vordie etwa und von verspürt

oder Senkwehen sind Kontraktionen, 3—4 Wochen vor der Geburt auftreten den meisten Frauen (z. T. schmerzhaft) werden.

1 ! ! i Rraxtnn-Hi^ks- A varez-Wel en — 8 0 - Kon rak tion

20_ -

0

5

au•15 30 45 é': 15 30 45 5 "

3

/23

Wehentropf Tokolyse MBU

ÍW lénolus 20 k.1 S . W .

Analgesie Temperatur

36*

3Í*

Puls

76

80

Blutdruck Einfuhr Ausfuhr

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Mu evalúa s sei-

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5ÖOM ñUu.,5 %

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Medikamente Weitere Sntragungen

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Abb. 5 . 2 - 2 : Partogramm mit dokumentiertem Geburtsverlauf. Die Muttermunderöffnung und das Tiefertreten der kindlichen Leitstelle sind anhand der Graphik leicht zu erkennen. Auf der Rückseite werden erhobene Befunde schriftlich ergänzt (z. B. CTG-Beurteilungen)

182

5. Geburt

der Dr. F.: 6 IE Syntocinon in 500 ml Glukose 5 % , starten mit 10 ml/h, steigern bis regelm. Wehen) und später vom Arzt unterschrieben.

Apgar- und pH-Wert aus dem Nabelschnurblut beschrieben.

(4) Arztinformation

• Notiert werden Uhrzeit der Plazentageburt, -Vollständigkeit und Besonderheiten, Lösungshilfen (z.B. Cord traction), Gesamtblutverlust, sowie Uteruskontraktion und Fundusstand p. p. • Eine Schnitt- oder Rißversorgung muß mit Anästhesieart, Namen des Ausführenden und evtl. Nahttechnik dokumentiert werden.

• Alle Abweichungen vom regelrechten Geburtsverlauf müssen dem diensthabenden Arzt gemeldet werden, Zeitpunkt der Benachrichtigung und Ankunft des Arztes werden notiert (z.B. 17:20 Info Dr. F., 17:40 Eintreffen). • Will die Frau bzw. das Paar den Arzt konsultieren, sollte dieser informiert werden, auch wenn die Hebamme keine Notwendigkeit dazu sieht. • Bestehen Unstimmigkeiten zwischen Hebamme und Arzt bezüglich erforderlicher Maßnahmen, sollte die Situation von der Hebamme genau dokumentiert werden (z. B. Baseline 120 spm., eingeengt undulatorisch, ca. alle 3 Min. Dip II auf 80 spm. Um 18:10 Dr. F. tel. informiert, gebeten zu kommen. Tel. Order: Abwarten, Syntocinontropf zurück auf 5 ml/h). (5) Beobachtungen an der Gebärenden • Alle Beobachtungen an der Frau werden eingetragen (z. B. Frau B. ist erschöpft, erbricht, hat Preßdrang), ebenso Färb- und Geruchsveränderungen des abgehenden Fruchtwassers sowie vaginale Blutungen. • Ein Blasensprung wird mit Angabe von Fruchtwasserfarbe und -menge und mit FHF notiert (z.B. 7:10 Blspr. reichl. klares FW, FHF 140 spm). • Der Preßbeginn (Beginn der aktiven Austreibungsperiode) sollte mit Uhrzeit vermerkt werden. Dauert sie länger als 30 Min. bei Erstgebärenden oder 20 Min. bei Mehrgebärenden), empfiehlt sich eine Begründung (z. B. Pressen nur jede 2. Wehe, Wehenschwäche).

(7) Nachgeburtsperiode

(8) Entlassung aus den Entbindungsräumen • Der Geburtsbericht schließt ab mit einer Zusammenfassung des Ist-Zustandes von Mutter und Kind sowie dem Zeitpunkt der Verlegung bzw. ambulanten Entlassung nach Hause. Die vollständigen Papiere werden an die Wochenstation weitergegeben. (9) Aufbewahrungsfrist Alle Dokumentationspapiere müssen mindestens 10 Jahre von der Klinik bzw. freiberuflichen Hebamme aufbewahrt werden, eine Aufbewahrungsfrist von 15 — 30 Jahren wird empfohlen. Die Möglichkeit, Rechtsansprüche für ein geschädigtes Kind geltend zu machen, verjährt erst 5 Jahre, nachdem die Eltern Kenntnis von evtl. geburtshilflichen Schäden erhalten haben. Beispiel:

Wenn Lernstörungen des 6jährigen Kindes

auf Sauerstoffmangel bei der Geburt

zurückgeführt

werden, kann noch 11 J a h r e post partum eine Klage eingereicht werden.

5.2.3 Überwachung von Wehen und kindlichen Herztönen Regula Hauser/Ulrike Härder

(6) Geburt

Wehen

• Neben Uhrzeit, Geschlecht und Lage wird der Geburtsmodus (z. B. spontan mit Kristellerhilfe) vermerkt, ebenso schwere Schulterentwicklung, Nabelschnurumschlingung, Dammriß, Episiotomie.

Für die Hebamme ist eine richtige Wehenbeurteilung von großer Bedeutung. Wehen werden palpatorisch mit den Fingerspitzen, durch Beobachten der Frau und mit apparativer Wehenregistrierung durch Kardiotokographie (CTG) kontrolliert (Technik der externen und internen Tokographie s. S. 416). Anhand der externen To-

• Der Zustand des Neugeborenen wird in Worten (z. B. lebensfrisch, lebend, schlaff) sowie mit

5.2. Leitung und Betreuung der Geburt kographie kann die Wehenfrequenz und -dauer, aber nicht die -stärke beurteilt werden. Wehenaufbau, -meßbarkeit und -empfindung sowie Wehentypen sind auf S. 155 ff. erläutert und dargestellt.

Kindliche Herztöne Bei direktem Abhören der Herztöne mit dem Pinard-Hörrohr oder Herztondetektor muß die H e b a m m e die Herzschläge 15 Sekunden auszählen und p r o Minute errechnen. Bei kontinuierlicher Aufzeichnung mit dem CTG-Gerät wird der Herzschlag p r o Min. fortlaufend von Schlag zu Schlag ausgerechnet (Geräte zur fetalen Herzt o n ü b e r w a c h u n g s. S. 412 ff.). Das C T G bietet eine gute Überwachung des Feten während Schwangerschaft und Geburt. Die Herzaktionen werden in Bezug zur Wehentätigkeit beobachtet, dadurch ist eine intrauterine G e f ä h r d u n g des Kindes früh zu erkennen. Beurteilung des antenatalen (vorgeburtlichen) C T G s. S. 110.

183

kriterien und Fachausdrücke werden nachfolgend vorgestellt (nach H a m m a c h e r , Fischer und Göschen). Veränderungen der fetalen Herzfrequenz (FHF) betreffen 3 Hauptgruppen: • Langfristige FHF-Veränderungen dauern länger als 10 min (Tachykardie) bzw. 3 min (Bradykardie). • Mittelfristige FHF-Veränderungen sind kürzer als 10 min (Akzeleration) bzw. 3 min (Dezeleration). • Kurzfristige FHF-Veränderungen sind Variationen von Herzschlag zu Herzschlag (Oszillationsamplitude, -frequenz und Mikrofluktuation).

Langfristige FHF-Veränderungen Der über einen längeren Zeitraum beobachtete konstante Mittelwert der Herzfrequenz wird Basalfrequenz (oder Baseline) genannt und in Schlägen pro Minute (spm) angegeben (Abb. 5.2-3):

CTG-Nomenklatur Normokardie Die CTG-Interpretation muß jede H e b a m m e beherrschen! Die dazu notwendigen Beurteilungs-

— Basalfrequenz 110 — 150 spm

Abb. 5.2-3: Baseline (Basalfrequenz) bezeichnet den M i t t e l w e r t der F H F ü b e r einen längeren Z e i t r a u m , hier ewta 138 s p m . Die O s z i l l a t i o n s a m p l i t u d e (Bandbreite) grenzt die H ö h e der Oszillationsausschläge ein, sie beträgt hier 25 spm

184

5. Geburt

Tachykardie leichte: schwere: Bradykardie leichte: schwere:

Basalfrequenz-Anstieg länger als 10 min FHF > 150 spm, F H F > 170 spm Basalfrequenz- Abfall langer als 3 min FHF < 110 spm, FHF < 90 spm

Liegt eine terminale Bradykardie vor, d. h. die Bradykardie tritt als Folge von vorherigen pathologischen kurz- und mittelfristigen FHF-Veränderungen auf, besteht akute hypoxische Gefährdung des Feten! D e r Begriff t e r m i n a l e B r a d y k a r d i e w i r d ebenfalls f ü r eine a n h a l t e n d e B r a d y k a r d i e a m E n d e der Austreibungsperiode verwendet.

Mittelfristige FH^-Veränderungen • Tachykardie. Eine längere Erhöhung der Basalfrequenz über 150 spm m u ß immer ernst gen o m m e n werden. Je nach Ursache ist ihre Auswirkung auf die Geburt: prognostisch günstig: nach Medikamentengabe (z.B. Partusisten), bei Streß der Frau, wenn keine Ursache ersichtlich ist (paroxysmale = anfallsweise Tachykardie) prognostisch unklar: Fieber der Mutter (Verdacht auf Amnioninfektionssyndrom) Extrasystolie prognostisch ungünstig: fetale Hypoxämie (niedriger 0 2 - G e h a l t im arteriellen Blut) z. B. durch Plazentainsuffizienz oder fetale Anämie, Amnioninfektionssyndrom; nach vorzeitigem Blasensprung, bei protrahiertem Geburtsverlauf. Dauert die Tachykardie an, so ist mit einer persistierenden Hypoxämie zu rechnen, die in eine Hypoxie (niedriger 0 2 - G e h a l t im Körpergewebe) übergehen kann! • Bradykardie. Eine länger als 3 min dauernde Verlangsamung der kindlichen Herztöne unter 110 spm ist immer ein Alarmsignal. Je nach Ursache wird sie bewertet: prognostisch günstig: Vena-cava-Kompressionssyndrom, D a u e r k o n t r a k t i o n , erhöhter Vagotonus des Feten (essentielle Bradykardie) prognostisch ungünstig: akute mütterliche Hypovolämie (Blutvolumenmangel) oder Anämie, vorzeitige Plazentalösung, Nabelschnurkompression, uteroplazentare Minderdurchblutung, Vitium cordis (fetaler Herzfehler mit Reizleitungsstörung), persistierende Azidose (Abfall des arteriellen pH-Wertes).

Diese sind, wie auch die langfristigen, an einer Zu- oder A b n a h m e der fetalen Herzfrequenz erkennbar. Sie werden definiert als: Akzeleration

Dezeieration

Beschleunigung der FHF über BasalfrequenzNiveau bis zu 10 min Verlangsamung der FHF unter BasalfrequenzNivcati bis / u 3 min

Akzelerationen • Sporadische Akzelerationen sind kurze Herzfrequenzbeschleunigungen im Z u s a m m e n h a n g mit Kindsbewegungen und Berührungsreizen wie Palpatation der Bauchdecke oder vaginale Untersuchung. Da sie eine physiologische kindliche Reaktion auf Streß darstellen, sind sie ein günstiges Zeichen im C T G . • Periodische Akzelerationen sind wiederholt auftretende FHF-Beschleunigungen, die bei mindestens 3 aufeinanderfolgenden Wehen auftreten. Ursache kann eine wehensynchrone uteroplazentare Minderdurchblutung oder eine Nabelschnurkompression sein. Periodische Akzelerationen sind ein Zeichen dafür, d a ß das fetale Kreislaufsystem den vorübergehenden Sauerstoffmangel bei jeder Wehe durch schnelleren Herzschlag kompensiert. Reicht diese Kompensation nicht mehr aus, können periodische Akzelerationen über stetige Basalfrequenzerhöhungen in eine Tachykardie übergehen. Dezeieration bzw. Dip • Sporadische Dezelerationen treten unabhängig von Wehen auf (Abb. 5.2-4). Es gibt 2 Arten:

5 . 2 . L e i t u n g und B e t r e u u n g der G e b u r t

. sporadische Dezelerationen

I

I

I

I

I

prolongierte Dezeleration

Kindsbewegung

Rückenlage-

185

periodische Dezelerationen -

I

I

I

I

I

I

Dip 1=frühe Dezelerationen

I

I

I

I

Dlp I i = s p ä t e Dezelerationen

~r . variable Dezelerationen . _

Seilenlage

Abb. 5 . 2 - 4 : Dezelerationstypen im C T G , a. Dip 0 als Reaktion auf eine Kindsbewegung, b. Prolongierte Dezeleration beim Vena-cava-Kompressionssyndrom, c. Frühe Dezelerationen (Dip 1) verlaufen spiegelbildlich zur Wehenkurve, d. Späte Dezelerationen (Dip II) verlaufen zeitlich versetzt zur Wehenkurve, e. Variable Dezelerationen können bei jeder Wehe eine andere Form zeigen, ihr zeitlicher Bezug zur Wehe wechselt

Dip 0 (Spikes) sind ein kurzes Wegtauchen (engl, to dip = eintauchen) der FHF bis zu 30 sec Dauer. Ursachen sind Kindsbewegungen, die zu einer kurzfristigen Nabelschnurkompression führen, oder rhythmische Zwerchfellkontraktionen bei fetalem Singultus (Schluckauf). Häufiges Auftreten von Dip 0 kann ein Hinweis auf eine Nabelschnurumschlingung sein. Prolongierte Dezelerationen dauern länger als 1 min und haben ein definiertes auslösendes Ereignis. Wegen ihrer Form werden diese Dezelerationen als „wannenförmig" bezeichnet, der Übergang zu einer Bradykardie (länger als 3 min) ist fließend. Ursache ist eine Dauerkontraktion oder ein akuter mütterlicher Blutdruckabfall bedingt durch ein V.-cava-Kompressionssyndrom oder eine Epiduralanästhesie. • Periodische Dezelerationen treten in regelmäßigen Abständen auf und stehen immer im

Zusammenhang mit einer Wehe. Das Kurvenbild kann dabei gleichförmig oder ungleichförmig sein. 3 Arten werden unterschieden (Abb. 5.2-4): Frühe Dezelerationen oder Dip 1 sind an einer spiegelbildlich zur Wehenkurve verlaufenden Herzfrequenzkurve zu erkennen. Die FHF fällt mit Wehenbeginn ab und kehrt bis Wehenende zur Basalfrequenz zurück. Bei einem Dip I verlangsamt sich die FHF meist um weniger als 30 spm, selten sinkt sie unter 100 spm ab. Ursache ist z. B. eine verstärkte Kopfkompression während der Wehen, darum treten frühe Dezelerationen oftmals in der Austreibungsperiode auf. Spätere Dezelerationen oder Dip II sind an einer zur Wehenkurve phasenverschobenen Herzfrequenzkurve zu erkennen. Die Dezelerationen sind gleichförmig und treten in Bezug zur Wehe

186

5.

Geburt

Veränderung der

Dezelerationen

prognostisch ungünstiger Abflachung der Anstiegssteilheit

Oszillationsverlust in der Dezeleration

Verlust der initialen Akzeleration

Forttiestehen der kompensatorischen Akzeleration

Nichterreichen der ursprünglichen Basalfrequenz

Auttreten von gedoppelten, verrundeten Dezelerationen

A b b . 5 . 2 - 5 : U n g ü n s t i g e Z u s a t z k r i t e r i e n zur B e u r t e i l u n g v a r i a b l e r D e z e l e r a t i o n e n ( n a c h W. M . Fischer)

5 . 2 . Leitung und Betreuung der G e b u r t

187

mit einer Verzögerungszeit (lag time) auf. Späte Dezelerationen werden nach Größe ihres Frequenzabfalles (Dezelerationsamplitude) unterteilt in: leicht: Frequenzabfall < 15, mittelschwer: Frequenzabfall 15—45, schwer: Frequenzabfall > 45 spm. Ursache später Dezelerationen ist immer eine ungenügende Sauerstoffversorgung des Feten, bedingt durch plazentare Mangeldurchblutung. Diese kann ausgelöst werden durch Plazentainsuffizienz, uterine Hyperaktivität, vorzeitige Plazentalösung oder fetale Blutungen. Späte Dezelerationen führen oft zu einer verminderten Sauerstoffsättigung im fetalen Blut und senken den pH-Wert. Zur Abschätzung der hypoxischen Gefährdung des Kindes kann eine Mikroblutuntersuchung (MBU) vorgenommen werden (Technik siehe S. 422). Variable Dezelerationen haben meist bei jeder Wehe eine andere Form. Häufig sind sie eine Kombination von Dip I und Dip II. Ihr Tiefpunkt kann vor, während oder nach der Wehenspitze (Akme) liegen. Variable Dezelerationen zeigen meist einen schnellen Frequenzabfall, der oft unter 100 spm absinkt. Ursache ist eine plazentare Durchblutungsstörung, bedingt durch Plazentainsuffizienz oder Nabelschnurkomplikationen. Variable Dezelerationen werden nach ihrem Schweregrad unterteilt in: leicht: entweder sinkt die FHF nicht tiefer als 80 spm (dauerunabhängig) ab, oder die Dauer der Dezeleration ist kürzer als 30 sec (frequenzunabhängig) mittelschwer: FHF verlangsamt sich bis auf 70 spm und dauert 30—60 sec schwer: FHF verlangsamt sich unter 70 spm und dauert länger als 60 sec. Ungünstige Veränderungen der FHF-Kurve vor, während und nach den Dezelerationen zeigt Abb. 5.2-5.

Kurzfristige FHF-Veränderungen Unter physiologischen Bedingungen wechselt die Länge des Intervalls zwischen 2 Herzschlägen von Schlag zu Schlag: Mal nimmt sie mehrere

Abb. 5 . 2 - 6 : Kurzfristige FHF-Veränderungen im stark vergrößerten C T G - A u s s c h n i t t . Die Oszillationsfrequenz wird pro min in Gipfelpunkten (hier 4) angegeben oder mit der Anzahl der Nulldurchgänge (hier 9 Punkte) durch die Floatingline (rot)

Schläge lang kontinuierlich zu, dann findet eine Umkehr statt, und sie nimmt über mehrere Schläge kontinuierlich ab, u.s.w. Diese Mikrofluktuation (beat-to-beat-variation) kann im vergrößerten CTG-Ausschnitt an den kleinen Punkten erkannt werden (Abb. 5.2-6). Wären alle Intervalle zwischen den Herzschlägen gleichlang, so wäre die FHF-Kurve eine Gerade. • Die Fluktuation der FHF um einen Mittelwert (Floatingline) wird Oszillation genannt. Die Oszillation wird nach 2 Kriterien beurteilt. • Oszillationsfrequenz oder Makrofluktuation: Physiologisch finden sich pro Minute 2—6 Gipfelpunkte (obere Umkehrpunkte) von schneller zu langsamer werdender Herzfrequenz. Dies entspricht 5—13 Nulldurchgängen durch die Floatingline (Schnittpunkte durch eine gedachte Mittellinie) (Abb. 5.2-6). • Oszillationsamplitude oder Bandbreite bezeichnet die durchschnittliche Höhe der Oszillationsausschläge. Je nach Bandbreite werden 4 Oszillationstypen unterschieden (Abb. 5.2-7):

188

5. Geburt



A /Ii

t h V

-I-

— M 6 0 —

u—

-
SSW 37/0).

Blasensprung vor S S W 37/0 Je unreifer das Kind, um so erstrebenswerter ist die Erhaltung der Schwangerschaft (Bettruhe, evtl. i. v.-Tokolyse). Zur Vermeidung einer Infektion erhält die Mutter Antibiotika, entweder sofort (prophylaktisch) oder wenn Infektionszeichen (s. u. Amnioninfektion) auftreten. Vaginale Untersuchungen werden, wenn irgend möglich, unterlassen! Zur Lungenreifeförderung des Kindes wird der Mutter meist Celestan® i. m. appliziert (s. S. 401).

Blasensprung in der 37.-42. S S W Meist kommt es innerhalb der folgenden Stunden zum gewünschten Wehenbeginn. Geschieht dies nicht, wird wegen Gefahr der aufsteigenden Infektion eine Einleitung notwendig. Der Zeitpunkt des künstlichen Eingreifens richtet sich nach dem Zervixbefund, evtl. auftretenden Infektionszeichen und nach der Tageszeit; es ist ungünstig nachts einzuleiten, da die Störung des Schlafrhythmus' eher einen protrahierten Geburtsverlauf erwarten läßt. Über die Zeit des Abwartens nach Blasensprung bestehen unterschiedliche Lehrmeinungen, 8 — 12—24 Stunden sind üblich. Hebammenaufgaben Bei der Aufnahme versucht die Hebamme durch Befragung, Beobachtung der Vorlage und Lackmustest den Blasensprung zu diagnostizieren. Eine vaginale Untersuchung ist nicht indiziert, wenn das Aufnahme-CTG keine Kontraktionen zeigt. Die Ärztin/der Arzt wird informiert und legt das weitere Vorgehen fest, Häufigkeit von Temperatur- und CTG-Kontrollen sowie notwendige Blutuntersuchungen werden abgesprochen. Die Frau muß über die Maßnahmen informiert werden, sie sollte auch wissen, daß ein vorzeitiger Blasensprung nicht von ihr verschuldet ist. Solange der Kopf oder Steiß keinen festen Bezug zum kleinen Becken hat (3. und 4. Leopold-Handgriff), droht ein Nabelschnurvorfall. Die Frau sollte deshalb möglichst liegen. Ist der vorangehende Teil fest im Beckeneingang und dichtet den Muttermundbereich gut ab, kann die Schwangere zur Wehenanregung umherlaufen.

Amnioninfektionssyndrom Unter diesem Begriff werden alle vor und während der Geburt entstehenden unspezifischen Infektionen von Eihäuten, Plazenta, Fruchtwasser und Kind zusammengefaßt.

229

5.6 Abweichungen von der normalen Geburt

U r s a c h e . Eine A m n i o n i n f e k t i o n entsteht

nach

Blasensprung

durch aufsteigende

meist

U r s a c h e ist ein S a u e r s t o f f m a n g e l des Feten (z. B .

Keime

durch

Selten wird eine Amnioninfektion bei intakter Fruchtblase beobachtet, in diesem Fall verläuft der Infektionsweg entweder aszendierend (aufsteigend) durch die Eihäute oder über Blut- bzw. Lymphbahnen.

— Leukozytose

(Leukozytenanstieg

>

18 0 0 0 )

— C - r e a k t i v e s Protein n a c h w e i s b a r ( C R P > 1 — mütterlicher

Temperaturanstieg

(axillar

>

37,5 °C) Tachykardie

mit

Oszillationsverlust

im C T G . Bei massiver Infektion sind oft Fruchtwasser und Nachgeburt fötid (übelriechend), die Eihäute undurchsichtig (weiß bis grünlich). D i e Infektion k a n n n a c h der G e b u r t weiterbestehen oder erst m a n i f e s t werden. Dies äußert Neugeborenen

durch

Tachykardie,

A t e m d e p r e s s i o n , Schlaffheit etc.; bei der M u t t e r durch und

lung (Sparschaltung zugunsten Organe

wie

Herz

lokale

und

lebenswichtiger

Gehirn)

wird.

Der

Darm

zur Hyperperistaltik

kompensiert

Sauerstoffmangel

führt

und so zum

am Me-

Fieber,

T h e r a p i e : G r ü n e s F r u c h t w a s s e r ist ein Warnsigletzten 2 4 Std. unter S a u e r s t o f f m a n g e l litt. D a sich dieser G e f a h r e n z u s t a n d wiederholen k a n n ,

und steigend)

beim

Plazen-

nal und bedeutet, d a ß das Kind innerhalb der

mit L i n k s v e r s c h i e b u n g

sich

oder

koniumabgang.

Diagnostik:

— fetale

Nabelschnurkompression

tainsuffizienz), der durch eine Kreislaufdrosse-

aus der Scheide (oft a n a e r o b e S t r e p t o k o k k e n ) .

Verschlechterung

schlimmstenfalls

durch

der ein

Blutwerte septisches

Krankheitsbild.

wird

eine

kontinuierliche

CTG-Überwachung

und baldige G e b u r t e m p f o h l e n . B e i m Kind müssen bereits nach G e b u r t des Kopfes M u n d und R a c h e n abgesaugt um

eine

Mekoniumaspiration

zu

werden,

verhindern

(Pneumoniegefahr!).

5.6.4 Suspektes und pathologisches CTG Zeigen

sich im C T G

Abweichungen

von

der

N o r m (s. S. 1 8 4 ) , ist s o f o r t die Ärztin zu informieren.

Hebammen

sollten

mit der

gängigen

C T G - I n t e r p r e t a t i o n vertraut sein, und eindeu-

T h e r a p i e : A n t i b i o t i k u m g a b e für die M u t t e r und

tige Aussagen zu einem C T G m a c h e n k ö n n e n .

schnelle G e b u r t s b e e n d i g u n g . V o m Kind werden

• D a s suspekte C T G zeigt z. B. eine leichte T a -

A b s t r i c h e ( R a c h e n , O h r , M a g e n i n h a l t etc.) zur

chykardie o d e r B r a d y k a r d i e , frühe D e z e l e r a t i o -

E r r e g e r r e s i s t e n z b e s t i m m u n g g e w o n n e n und evtl.

nen, periodische A k z e l e r a t i o n e n , eine eingeengt

eine B l u t k u l t u r aus N a b e l s c h n u r b l u t

angesetzt

undulatorisch bis silente Oszillation oder eine

(s. S. 4 8 4 ) . D a s N e u g e b o r e n e m u ß in den ersten

a b n e h m e n d e O s z i l l a t i o n s f r e q u e n z etc. D e r G e -

L e b e n s t a g e n e n g m a s c h i g ü b e r w a c h t werden (s.

burtsverlauf ist kontinuierlich mittels C T G zu

S. 3 6 0 ) .

ü b e r w a c h e n , denn ein suspektes C T G k a n n jederzeit p a t h o l o g i s c h werden. • D a s p a t h o l o g i s c h e C T G zeigt z. B . schwere

5.6.3 Grünes Fruchtwasser

späte und variable D e z e l e r a t i o n e n , eine K o m b i n a t i o n von T a c h y k a r d i e und silenter O s z i l l a t i o n ,

K o m m t es beim

Kind vor der G e b u r t

zur

D a r m e n t l e e r u n g , löst sich das g r ü n s c h w a r z e M e k o n i u m (Kindspech) im Fruchtwasser auf und

verfärbt

dieses

je

nach

abgegebener

S t u h l m e n g e grünlich bis grün. Ist nur wenig Fruchtwasser

erbsbreiartig.

vorhanden,

verdickt

es

sich

variable

Dezelerationen

mit

ungünstigen

Zu-

satzkriterien oder eine schwere B r a d y k a r d i e etc. Bei h o c h p a t h o l o g i s c h e m C T G m u ß schnell gehandelt werden (s. S. 2 6 7 ) ! Ersichtliche Ursachen werden b e h o b e n , z. B . durch

Umlagerung

bei

Vena-cava-inferior-Syn-

drom und Nabelschnurkompression, durch Unterbrechung der Wehenmittelzufuhr und evtl. T o -

230

5.

Geburt

kolytika bei überstimuliertem Uterus. Bleibt die

Eine von Geburtsbeginn an bestehende Wehen-

kindliche Herzfrequenz pathologisch, muß das

schwäche wird als primäre,

Kind schnell geboren werden, je nach Befund per

der Geburt auftretende als sekundäre

Vakuum- bzw. Zangenextraktion oder Sektio.

schwäche

Zur Abklärung eines ungünstigen C T G kann eine Fetalblutanalyse MBU

s. S. 422)

(Mikroblutuntersuchung,

ärztlicherseits

vorgenommen

werden. Dazu muß der Muttermund mindestens 1 — 2 cm eröffnet und die Fruchtblase offen sein.

eine erst im Verlauf Wehen-

bezeichnet.

Ursache der primären

Wehenschwäche

kann

eine Überdehnung der Gebärmutterwand sein, z. B. bei Mehrlingsschwangerschaften oder Polyhydramnion. Bei Beckenendlagen übt der weichere Steiß, bei Querlagen der fehlende vorange-

A b w e i c h e n d e ph-Werte im Fetalblut (nach Saling)

hende Teil u. U. so geringen Druck auf das un-

7,24-7,20

präpathologischer Wert

7,19-7,15

leichte Azidose

tere Uterinsegment aus, daß durch ungenügende

7,14—7,10

mittelgradige Azidose

7,09—7,00

fortgeschrittene Azidose

S 6,99

schwere Azidose

Erregung der Rezeptoren im Myometrium keine ausreichende

Wehentätigkeit

ausgelöst

wird

(mangelnder Ferguson-Reflex). Ursache

der

sekundären

Wehenschwäche

ist

häufig ein Ermüdungszustand des Uterus infolge allgemeiner Erschöpfung. Sie kann auch nach

5.6.5 Protrahierter Geburtsverlauf Dorothée Eichenberger/Ulrike

schmerzstillenden

Härder

und

betäubenden

menten auftreten. Oft ist eine volle das „Wehenhindernis",

MedikaHarnblase

darum sollte während

Die Dystokie (gestörter Geburtsverlauf) wird

der Geburt auf regelmäßige Miktion (alle 4 Std.)

verursacht durch:

geachtet werden (Abb. 5.6-1)!

(1) Wehenanomalien (2)

Weichteilanomalien

(3) Anomalien

des

knöchernen

volle Harnblase

Geburts-

weges (4) Relatives Kopf-Becken-Mißvcrhaltnis (5) Haltungs- und Einsteliungsanomalien

(1) Wehenanomalien Eine Wehenanomalie ist eine qualitative und quantitative Abweichung von normalen Wehen Uterusruhe-

A b b . 5 . 6 - 1 : Seitenansicht einer Schwangeren mit voller H a r n b l a s e , der häufigsten Ursache einer sekundären W e h e n s c h w ä c h e

Wehenschwäche wird gekennzeichnet durch ei-

Diagnose: Im Bereich des Uterusfundus tastet

nes oder mehrere der folgenden Symptome:

die Hebamme mit den Fingern Stärke und Dauer

(s.

S. 157).

schwäche,

Sie

kann

auftreten

Wehensturm,

als

erhöhter

tonus oder diskoordinierte

Wehen-

Wehen.

• Wehenschwäche

— verminderte

Druckstärke

der Wehen (unter

— geringe

Wehenanzahl

(weniger als 3 Wehen

in 10 Min. = Wehenabstand länger 3,3 Min.) — kurze

Wehendauer

der Kontraktionen. Die Anzahl der Wehen in 10 Min. wird ausgezählt, sie sollte nicht unter 3—4

30 mmHg)

(unter 3 0 Sek.)

liegen. Meist wird die Frau spüren und mitteilen,

wenn

die Wehen

kürzer,

seltener

oder

schwächer geworden sind. Aus dem C T G kön-

5.6 Abweichungen von der normalen Geburt nen nur Dauer und Anzahl der Wehen abgelesen werden, nicht ihre Stärke (nur mit intrauteriner Druckmessung möglich). Bei vaginaler Untersuchung zeigt sich ein sehr langsamer oder gar kein Geburtsfortschritt. Therapie: Nach Abklärung der Ursache sollte

r 100-

-100f -80-4-60—I— -40 —I— -20-

f -80H -60r-f-40-

r* t t 7 •i —1 d P 4 tA-j \ \ b- H[-20-K A i -4H -o1

10 min

zügig mit der Behandlung begonnen werden, da eine sich endlos hinziehende Geburt Mutter und Kind erschöpfen. J e nach Situation werden mit der

Frau

verschiedene

Möglichkeiten

der

231



Abb. 5 . 6 - 2 : Tachysystolie (Wehensturm) mit einer Wehenfrequenz > 5/10 min: hier 6 Wehen in 10 M i n . bei n o r m a l e m Basaltonus (10 m m H g )

Wehenanregung abgesprochen: — Spazierengehen, Bewegung

dystokie, sehr verspannte unruhige G e b ä r e n d e , vorzei-

— Warmes bis heißes Bad oder Dusche

tige Plazentalösung, T u m o r im mütterlichen

— Fruchtblaseneröffnung

Becken

(selten).

— Fußreflexzonenmassage, Shiatsu — homöopathische Medikamente

• Hypertone Wehen

— bei

Der Ruhetonus der Gebärmutter ist erhöht (Ba-

erschöpfungsbedingter

Wehenschwäche

Kalorienzufuhr durch Traubenzucker (süßer

saltonus

Tee,

und -frequenz sind meist normal (Abb. 5.6-3).

Kautablette)

oder

Ernährungstropf

Katheter,

evtl.

Einlauf zur

Wehenstärke

terwand oder eine Tachysystolie sein.

i -80-

r100-

-100-

Oxytocin-Infusion. Der

mmHg),

Darment-

leerung, —

12—15

Ursache kann eine Überdehnung der Gebärmut-

(Elektrolyt-Infusion) — eine volle Harnblase entleeren, wenn nötig mit

über

Oxytocintropf

(6

5 0 0 ml Infusionsflüssigkeit

IE

Syntocinon

in

= 12 mE/ml) muß

wie bei einer Geburtseinleitung, unter kontinuierlicher C T G - Ü b e r w a c h u n g , mit niedriger D o sis (1—3 Tr./Min. = 3 — 10 ml/h) gestartet wer-

-4— -60 1 - + -40 n -9F -f-o—1

(

4

r

4 t

t -

den. Er wird regelmäßig gesteigert, bis eine ausreichende Wehentätigkeit erreicht ist (z. B. alle 5 Min. um 1 Tr./Min. oder alle 10 Min. um 1 ml/h steigern).

4 v

t

r\

-80-4rßoH— 1-40H— p20—1— L 0 -

0 mi i -

Abb. 5 . 6 - 3 : H y p e r t o n e W e h e n f o r m mit einem Basaltonusanstieg > 1 2 — 1 5 m m H g : hier beträgt der Basaltonus 23 m m H g (intrauterine Druckmessung), Wehenstärke und -frequenz sind n o r m a l (3 in 10 M i n . )

• Hyperaktive Wehentätigkeit Sie ist durch eines/beide der folgenden

Sym-

ptome gekennzeichnet:

Hyperaktive und hypertone Wehenformen kön-

(Tachysystolie): mehr als 5 We-

nen auch spontan (ohne Anlaß) auftreten. Sie

hen pro 10 M i n . bzw. Wehenabstand < 2

führen meist zu einer plazentaren Minderdurch-

Min. (Abb. 5.6-2)

blutung,

— Wehensturm

— hohe intrauterine

über 5 0 — 8 0

Druckwerte

m m H g (unterschiedliche Literaturangaben). Ursache

ist meist

eine Überstimulierung

Myometriums, ausgelöst durch

des

Oxytocinüber-

dosierung oder Prostaglandingabe. Weitere

Ursachen

sind:

Mißverhältnis

welche

an

Veränderungen

der

FHF

(Dezelerationen, Tachykardie, Bradykardie) zu erkennen ist. Für das Kind besteht

Hypoxie-

gefahr\ Therapie: Dämpfung der hyperaktiven und hypertonen Uterusmuskulatur, um effektive Wehen

zwischen

kindlichem K o p f und mütterlichem B e c k e n , Z e r v i x -

mit besserer plazentarer Durchblutung zu erreichen. Dies geschieht

durch

Tokolytika,

z. B.

232

5. Geburt

2 A m p . Partusisten® (1 mg Fenoterol) auf 5 0 0

henkoordinierung

ml E l e k t r o l y t l ö s u n g . Eine Infusionsgeschwindig-

T o k o l y s e erreicht, die später mit einem O x y t o -

keit von 3 Tr./min bzw. 9 ml/h reicht meist aus.

c i n t r o p f k o m b i n i e r t werden k a n n .

Bei a k u t e r fetaler G e f ä h r d u n g erfolgt s o f o r tige W e h e n h e m m u n g Tokolytikum

mit schnell

verfügbarem

(Berotec-Spray® oder

durch

niedrig dosierte

Eine wehenkoordinierende Wirkung von

i. v.-

Monzal®

(Supp./i. m.) ist umstritten.

Partusisten

intrapartal® i.V.). Ein durch P r o s t a g l a n d i n - E i n leitung verursachter W e h e n s t u r m ist mit Partusi-

(2) Weichteilanomalien

sten® s c h w e r therapierbar. Eine

• Diskoordinierte Wehentätigkeit Infolge

einer

Übererregbarkeit

des

gesamten

M y o m e t r i u m s verlagert sich der Entstehungsort der Wehen. Sie beginnen nicht wie üblich

im

Fundusbereich, sondern zum Teil tiefer am Uterus und verbreiten sich nicht nur geburtsfördernd von oben nach unten, sondern auch von unten R i c h t u n g Uterusfundus. M e h r e r e

Kontraktions-

abläufe, die an unterschiedlichen Stellen im M y o metrium ausgelöst werden, können sich überlagern und in ihrer W i r k u n g aufheben. Die Wehendominanz

fundale

ist gestört (s. S. 153).

D i a g n o s e : Wehen treten in w e c h s e l n d e m zeitlichen

Abstand

auf

und

sind

unterschiedlich

weitere

gelnde

Ursache

der D y s t o k i e

ist

man-

des weichen G e b u r t s w e g e s .

Dehnbarkeit

M e i s t handelt es sich um funktionelle S t ö r u n gen, selten um a n a t o m i s c h e U r s a c h e n . und Weichteildystokien

Zervix-

werden unterschieden.

• Eine Z e r v i x d y s t o k i e zeigt sich durch mangelhafte D e h n u n g des M u t t e r m u n d e s ,

Retraktion

und D i l a t a t i o n der Z e r v i x sind im Verlauf der E r ö f f n u n g erschwert. H ä u f i g tritt eine Z e r v i x dystokie k o m b i n i e r t mit einer W e h e n s c h w ä c h e oder - a n o m a l i e auf. Ursache:

Narben

an

der

Zervix

(z. B .

nach

K o n i s a t i o n oder Cerclage) und M y o m e im unteren Uterinsegment. Funktionell rigides Z e r v i x g e w e b e k a n n bei besonders jungen und

älteren

stark, w a s von der Frau erfragt, getastet oder im

E r s t g e b ä r e n d e n auftreten oder bei innerlich sehr

C T G abgelesen werden k a n n . Ein protrahierter

angespannten Frauen. O f t ist die U r s a c h e nicht

Geburtsverlauf,

ersichtlich.

trotz

schmerzhafter

Wehen,

k a n n H i n w e i s e auf diskoordinierte Wehen sein. B e s o n d e r s ungünstige W i r k u n g auf den G e b u r t s fortschritt h a b e n die sog.

Mutter-Kind-Wehen

(Abb. 5 . 6 - 4 ) .

• Eine Weichteildystokie zeigt sich durch verlängerte Austreibungsperiode oder das Einreißen von V a g i n a l w a n d bzw. D a m m , wenn die Wehenkraft

das

Hindernis

mechanisch

über-

windet. -100f -80H— -60-4— -40-t-i -20J

[-100-

Ursachen:

Verminderte

Muskulatur,

r-f

rHk -

£

Ajk~H -Sä

M

rr

t

r?kH H

} j

J

W ÜJ

10 min

y-

hoher

-40H— -20-

T h e r a p i e : W a r m e K o m p r e s s e zur E n t s p a n n u n g



des G e w e b e s auf den D a m m halten, Vierfüßlerstand zur D a m m e n t l a s t u n g

Episiotomie,

(3) Anomalien des knöchernen Geburtsweges Ein

durch Beckenformanomalien

(s. S. 2 0 8 )

oder

um R a u m im B A zu schaffen.

Bad)

Reflextherapie

BB-

im Bereich von Vagina und D a m m .

T h e r a p i e : durch E n t s p a n n u n g der M u t t e r (z. B . lumbale

der

Operationsnarben

H -60-

A b b . 5 . 6 - 4 : Diskoordinierte Wehen: hier als MutterKind-Wehen (Kamelwehen)

oder

Dehnbarkeit

Damm,

protrahierter

k a n n die Ü b e r e r r e g b a r k e i t des M y o m e t r i u m s ge-

zwischen kindlichem

h e m m t werden. M e d i k a m e n t ö s wird eine We-

Becken

Geburtsverlauf

Kopf

verursacht sein:

kann

auch

und

Mißverhältnis

und

mütterlichem

5.6 A b w e i c h u n g e n von der n o r m a l e n G e b u r t

Abweichende Beckenformen treten wegen besserer E r n ä h r u n g , Rachitisprophylaxe etc. nur noch selten im deutschsprachigen R a u m auf, sie werden d a r u m nur kurz erläutert: Die bei B e c k e n f o r m a n o m a l i e n a u f t r e t e n d e n tungs-

u n d Einstellungsanomalien

Hal-

des Kindes w e r d e n

auf S. 235 ff. beschrieben.

• Allgemein verengtes Becken: Alle durchmesser sind verkleinert. Merkmale:

Becken-

spitzwinkliger S c h a m b o g e n , schmale, oben

u n d u n t e n spitzwinklig z u l a u f e n d e Michaelis-Raute, alle ä u ß e r e n B e c k e n m a ß e verkürzt, kleine Frau. Geburt:

zierliche

Roederer-Einstellung.

• Plattes Becken: verengter gerader D u r c h m e s ser des Beckeneingangs (z.B. nach Rachitis). Merkmale: mig

Stumpfer Schambogenwinkel, drachenför-

abgeflachte

Michaelis-Raute,

wenig

oder

gar

keine L ä n g e n d i f f e r e n z der B e c k e n m a ß e Distantia cris t a r u m u n d Distantia s p i n a r u m , auffällige Weite des Beckenausgangs, abgeflachtes Kreuzbein. Geburt:

In

Beckeneingang f ü h r t d a s V o r d e r h a u p t . Vordere o d e r hintere Scheitelbeineinstellung.

• Langes oder Kanal-Becken: M a n g e l n d e o d e r keine Kreuzbeinhöhlung. Merkmale:

D u r c h V e r w a c h s u n g des 5. L e n d e n w i r b e l s

mit d e m 1. Kreuzbeinwirbel steht der Beckeneingangsraum

steiler.

Geburt:

hoher

Scheitelbeineinstellung.

Geradstand.

Hintere

Hintere

ständig e r ö f f n e t e m M u t t e r m u n d größten U m f a n g den BE-Raum windet.

233

mit seinem nicht über-

Ursachen: — großer kindlicher Kopf mit wenig Konfigurationsmöglichkeit — m a n g e l h a f t e D e h n b a r k e i t des weichen Geburtsweges — Beckenanomalien, Wehenanomalien — Haltungs- und Einstellungsanomalien. Diagnose: Voraussetzung f ü r die Verwertbarkeit folgender H a n d g r i f f e sind gute Wehentätigkeit und offene Fruchtblase: • 4. Leopold-Handgriff: U m die Beziehung des Kopfes zum Beckeneingang festzustellen (s. S. 103). • Zangemeister-Handgriff = 5. Leopold-Handgriff (Abb. 5.6-5): Liegt die K o p f h a n d etwa fingerbreit tiefer als die Symphysenhand besteht kein Mißverhältnis. Liegen beide H ä n d e auf gleicher H ö h e , besteht ein mäßiges Mißverhältnis; bei guter Wehenkraft und günstiger Kopfeinstellung ist eine vaginale G e b u r t möglich. Liegt die K o p f h a n d h ö h e r als die Symphysenh a n d , k a n n mit d e m Eintritt des Kopfes ins kleine Becken nicht mehr gerechnet w e r d e n .

Hinterhauptslage.

Tiefer Q u e r s t a n d .

• Trichterbecken: Verengter Beckenausgang. Merkmale:

spitzwinkliger S c h a m b o g e n , virile (männli-

che) B e c k e n f o r m . Geburt:

N a c h leichtem Ein-

und

schnellem D u r c h t r i t t d u r c h s Becken m a n g e l n d e Rotation des H i n t e r h a u p t e s

auf

Beckenboden.

Vorder-

hauptslage. Tiefer Q u e r s t a n d .

Beckenform und -größe darf nie isoliert gesehen werden, sie wird immer in Bezug zum kindlichen Kopf betrachtet: Ein kleines Kind kann d u r c h a u s ein allgemein verengtes Bekken ü b e r w i n d e n , w ä h r e n d ein großes Kind u . U . nicht d u r c h ein normales-Becken paßt.

(4) Relatives Kopf-Becken-Mißverhältnis Ein relatives Mißverhältnis besteht, wenn der Kopf trotz guter Wehentätigkeit und fast voll-

r - Ii / / r2/

UWlr

A b b . 5.6-5: Technik des Z a n g e m e i s t e r - H a n d g r i f f s (5. L e o p o l d - H a n d g r i f f ) : Die linke H a n d liegt auf d e m Kopf des Kindes, die rechte auf der Symphyse. Liegt der Kopf tiefer als die Symphyse, besteht kein Mißverhältnis. Bilden Kopf u n d Symphyse eine Ebene, spricht m a n von einem mäßigen M i ß v e r h ä l t n i s . Überragt der Kopf deutlich die Symphyse, liegt ein absolutes M i ß verhältnis vor

234

5.

Geburt

Kopfhaltung

Ä .

Vaginalbefund in Beckenmitte

Diagnose / Kopfumfang

Haltung /

vordere Hintertiauptslage (voHHL)

maximale Beugehaltung/

Kopfaustrittsbewegung

Stemmpunkt =

Streckung

Nackenhaargrenze

nach maximaler Beugung erfogt die Streckung

große Fontanelle bis Stirnhaargrenze

erst Beugung, dann folgt eine Streckung

Stirnhaargrenze

erst Beugung, dann folgt eine Streckung

Stimhaargrenze bis Nasenwurzel

erst leichte Beugung dann folgt weitere Streckung

meist Oberkiefer, seltener Jochbein

bei Austritt nur Beugung möglich

Zungenbein

Hypomochlion

kleine Fontanelle

ca, 32 cm

hinlere Hinterhauptslage (hiHHL)

A.

Leitstelle

ca. 32 cm

Scheitellage (SchL)

ca. 34 cm

Vorderhauptslage (VoHL)

maximale Beugehaltung/

Flexionshaltungen

kleine Fontanelle bis Scheitelgegend indifferente Haltung / Scheitel zwischen großer und kleiner Fontanelle leichte Streckhaltung / große Fontanelle

ca. 34 - 35 cm

>

Stirnlage (STL)

Streckhaltung I Stirn

- S L

Deflexions haltungen

ca. 35 - 36 cm

Gesichtslage (GL)

maximale Streckhaltung I Kinn

7 7 T ca. 34 cm

Abb. 5.6-6: R e g e l r e c h t e ( v o H H L ) u n d regelwidrige Einstellung ( h i H H L ) s o w i e regelwidrige H a l t u n g e n

(Schei-

t e l - , V o r d e r h a u p t - , S t i r n - u n d G e s i c h t s l a g e ) . D i e 5 V a g i n a l b e f u n d e z e i g e n j e w e i l s I. d o r s o p o s t e r i o r e Schädellagen (Rücken links hinten)

235

5.6 Abweichungen von der normalen Geburt

• Kombinierte chung:

und vaginale

Untersu-

M i t der äußeren H a n d wird

äußere

versucht,

den K o p f der inneren H a n d entgegenzuschieben.

Letzeres wird von einigen A u t o r e n Scheitellage g e n a n n t . Eine Scheitellage ist weder

ge-

beugt n o c h gestreckt (indifferent), beide Fonta-

Gelingt dies nicht, ist ein M i ß v e r h ä l t n i s w a h r -

nellen sind auf gleicher H ö h e zu tasten

scheinlich.

5.6-6).

Therapie: Lageveränderungen der Frau alle 1 0 — 1 5

Diagnose: Bei vaginaler

M i n . (wechselnde Seitenlage oder Vierfüßlerstand,

E r ö f f n u n g s p e r i o d e ist die kleine Fontanelle seit-

Untersuchung

(Abb. in

der

H o c k e n , Stehen, Sitzen) bewirken evtl. eine günsti-

lich hinten, die große seitlich vorn zu tasten. Die

gere Einstellung des kindlichen Kopfes.

Pfeilnaht steht im „ f a l s c h e n " , nicht der äußer-

B e s t e h t ein relatives M i ß v e r h ä l t n i s , folgt nach p r o t r a h i e r t e m Verlauf oft ein G e b u r t s s t i l l s t a n d (2 Std. kein G e b u r t s f o r t s c h r i t t trotz guter Wehen). H e b a m m e und Arzt müssen dann die D i a gnose sichern und die Frau über eine n o t w e n d i g e abdominale

Schnittentbindung

(Kaiserschnitt)

aufklären.

lich

ertasteten

Lage

entsprechenden

A u f B B stellt sich die Pfeilnaht gerade. J e t z t wird die D i a g n o s e schwierig, denn die hinten stehende

kleine Fontanelle

Caput succedaneum

ist oft von

(Kopfgeschwulst)

(5) Haltungs- und Einstellungsanomalien Härder

des kindlichen Kopfes und seine Beziehung zum G e b u r t s k a n a l (s. S. 1 6 8 ) .

noch

vom

untersuchenden

ist

eine

Abwei-

chung v o n der im G e b u r t s v e r l a u f physiologischen Beugehaltung des kindlichen

Kopfes,

dazu gehören alle Deflexionslagen wie

er-

reicht.

Stirn- und

a u f B B in eine vordere H i n t e r h a u p t s l a g e , rechte

Seite)

oder

Vierfüßlerstand

Vor-

Gesichtslage.

bei der Frau

aus, da

das

breite, ausladende H i n t e r h a u p t stärker auf den D a r m d r ü c k t . Die Austreibungsphase ist erheblich

verlangsamt,

da

sich

das

Vorderhaupt

schlechter in den S c h a m b o g e n einpaßt als ein s c h m a l e r N a c k e n und das breite den D a m m

und

begünstigt

Eine h i H H L löst oft schon in der E r ö f f n u n g s periode P r e ß d r a n g

• Die E i n s t e l l u n g s a n o m a l i e ist eine A b w e i Kindsteil

was

durch Seitenlagerung (bei I. S L linke, bei II. SL

chung in der Beziehung zwischen hendem

Fontanelle Finger

werden k a n n .

Haltungsanomalie

derhaupts-,

kaum

Geburtsverlauf: Viele h i H H L drehen sich noch

Im Verlauf der G e b u r t ändern sich die H a l t u n g

• Die

einem bedeckt

und nur s c h w e r t a s t b a r ; auch v o r n e wird bei m a x i m a l e r Beugehaltung die g r o ß e

Ulrike

schrägen

D u r c h m e s s e r (s. S. 1 6 0 , A b b . 5 . 1 - 1 2 ) .

vorange-

Geburtsweg,

dazu

gehören hintere Hinterhauptslage, hoher Geradstand und tiefer Querstand, RoedererEittSUllutig sowie die asvnklitische vordere Scheitelbeineinstellung und hintere Scheitelheineinstellung.

viel stärker dehnen

Hinterhaupt muß

als

ein

schmales Vorderhaupt. Bei Kopfaustritt besteht d a r u m fahr,

für g r o ß e Kinder ist oft eine

notwendig.

Ein

Dammschutz

in

DammrißgeEpisiotomie Rückenlage

wird in A b b . 5 . 6 - 7 gezeigt, günstiger zur G e b u r t ist der Vierfüßlerstand, da er eine D a m m e n t l a stung b e w i r k t .

Hintere Hinterhauptslage (hiHHL) Bei

dieser

Einstellungsanomalie

ist der

Deflexionslagen (VoHL, STL, GL) Kopf

z w a r gebeugt, der R ü c k e n des Kindes dreht sich

N o r m a l e r w e i s e wird der über B E zwanglos ge-

aber

haltene K o p f mit Eintritt ins kleine B e c k e n ge-

nach

hinten

(dorsoposterior)

statt

nach

vorn. D i e U r s a c h e hierfür ist unklar. Leitstelle

beugt, um so in zunehmender

ist die kleine Fontanelle oder der Scheitel (zwi-

den G e b u r t s w e g zu überwinden (ca. 9 4 %

Flexionshaltung

schen kl. und gr. Fontanelle).

Geburten).

aller

236

5.

Geburt

Ursachen: Deflexionslagen finden sich häufiger bei Frühgeburten und toten Kindern, infolge mangelnder Haltungsspannung durch Skelettunreife bzw. Verlust der Vitalspannung. Ursache kann auch eine besondere Kopfform des Kindes sein (Rundkopf: Scheitellage, Kurzkopf: Vorderhauptslage, Spitzkopf: Stirnlage, Langkopf: Gesichtslage) oder ein platt verengtes Becken. Oft ist keine eindeutige Ursache für die Haltungsanomalie ersichtlich. Geburtsverlauf: Meist dauern die Geburten sehr viel länger, da der Kopf mit einem größeren Durchtrittsplanum den Geburtsweg überwinden muß. Während der Austreibungsphase ist der Kopf oft lange in der Tiefe sichtbar, bevor die Frau ihn herauspressen kann. Therapie: Nach früher Diagnose wird zuerst versucht, durch Lagerung auf die Seite des Hin-

Abb. 5 . 6 - 7 : D a m m s c h u t z bei hinterer Hinterhauptslage, a. Z u e r s t wird das Vorderhaupt bis zur Stirnhaargrenze (Stemmpunkt) unter der Symphyse geboren, b. D a s Hinterhaupt rutscht über den D a m m , c. Umgreifen des Hinterhauptes, um das Gesicht unter der Symphyse hervorzubringen, d. Der K o p f ist geboren. Anschließend übliche Entwicklung des Kindes

terhauptes ( = kleine Fontanelle) diese tiefer und nach vorn zu bringen (Lagerungsregel s. S. 191). Tritt das Hinterhaupt trotz guter Wehen nach einiger Zeit nicht tiefer und nach vorn, muß der Versuch aufgegeben werden, eine vordere HHL zu erreichen. Jetzt wird die Frau auf die andere Seite gelegt, damit sich auf Beckenboden die Pfeilnaht bzw. Gesichtslinie zum Kopfaustritt in den geraden Durchmesser dreht. Wegen der besonders hohen Dammbelastung sollte stets eine Episiotomie erfolgen. Tastbefunde und G e b u r t s m e c h a n i k der Deflexionslagen s. A b b . 5 . 6 - 6 , 8.

• Vorderhauptslagen werden meist spontan

ge-

boren. Bei entsprechender Indikation (z. B. pathologisches C T G ) kann eine Bleibt die Beugung aus, besteht eine Haltungsanomalie: Der Kopf streckt sich nach hinten und nimmt eine verschieden starke Deflexionshaltung ein: Vorderhauptslage (leichte Streckung), Stirnlage (mittlere Streckung), Gesichtslage (maximale Streckung). Fast immer steht bei Deflexionslagen der Rücken hinten (dorsoposterior), so daß zur Geburt das Gesicht wie bei hiHHL nach vorne zur Symphyse zeigt (Abb. 5.6-7).

tion

Vakuumextrak-

notwendig sein, Zangengeburten werden

möglichst vermieden. • Stirnlagen sind geburtsmechanisch am günstigsten,

da

ihr

Durchtrittsplanum

unden

größten Umfang hat (35 — 36 cm). Bei vaginaler Untersuchung sind auf einer Seite die große Fontanelle, auf der anderen Augenbrauen und Nasenwurzel zu tasten. Eine Spontangeburt ist nur bei sehr kleinem Kopf und geräumigem Becken möglich, meistens wird eine Sectio caesarea nötig.

5.6 Abweichungen von der normalen Geburt Vorderhauptslage

Stirnlage

237

Gesichtslage

Abb. 5.6-8: Austrittmechanik von Deflexionslagen: Vorderhauptslage, a. Pfeilnaht steht gerade, die Gegend zwischen Stirnhaargrenze und Nasenwurzel stemmt sich an der Symphyse an und fungiert als D r e h p u n k t (Hypomochlion), b. D u r c h zunehmende Beugung wird das H i n t e r h a u p t geboren, es folgt eine Streckung zur Geburt des Gesichtes (nicht abgebildet). Stirnlage, a. Der Austritt erfolgt meist mit schräg stehendem Kopf, der Oberkiefer oder das Jochbein fungieren als D r e h p u n k t , b. D u r c h Beugung wird erst das H i n t e r h a u p t geboren, durch Streckung folgt das Gesicht (nicht abgebildet). Gesichtslage, a. Die Gesichtslinie steht gerade, das Zungenbein fungiert als D r e h p u n k t , b. N u r durch Beugung des Kopfes werden Stirn, Vorder- und H i n t e r h a u p t geboren

• Gesichtslagen beginnen oft mit einer Stirnhaltung, erst beim Eintritt ins Becken verstärkt sich die Streckhaltung zur Gesichtslage. Während des Beckendurchtritts steht die Gesichtslinie (Verbindungslinie von Stirnnaht, Nase und Kinn) meist quer, erst auf Beckenboden dreht sich das Kinn nach vorn, die Gesichtslinie steht gerade. Ist die Fruchtblase offen, können Kinn, Mund, Nase und Augenbrauen vorsichtig abgetastet werden. Bei Geburt ist das Gesicht oft bläulich verfärbt und angeschwollen. Die Eltern müssen informiert werden, daß das entstellte Aussehen ebenso wie die überstreckte Haltung des Kopfes in wenigen Tagen verschwindet.

• Dorsoanteriore Deflexionslagen: Extrem selten dreht sich bei Deflexionslagen der Rücken nach vorn (dorsoanterior). Eine Vorderhauptslage kann evtl. aus dieser Stellung vaginal geboren werden, z. B. mittels Vakuumextraktion. Anders die dorsoanteriore Stirn- und Gesichtslage, hier besteht keine Möglichkeit für eine Austrittsbewegung, darum werden beide als geburtsunmöglich eingestuft (Abb. 5.6-9).

Hoher Geradstand Steht der Kopf in oder über Beckeneingang mit seiner Pfeilnaht im geraden (oder fast geraden)

238

5. Geburt

A b b . 5.6-9: Die m e n t o p o s t e r i o r e Gesichtslage (Kinn zeigt nach hinten) = d o r s o a n t e r i o r e Gesichtslage (Rücken zeigt nach vorne) ist eine g e b u r t s u n m ö g l i c h e Deflexionslage, da R i c h t u n g Kreuzbein kein Platz ist für die z u m Austritt n o t w e n d i g e Beugung (Flexion) des Kopfes

Durchmesser, k a n n er nicht ins kleine Becken eintreten. Bleibt ein h o h e r G e r a d s t a n d in BE bestehen, ist die G e b u r t unmöglich. M a n umschreibt 2 Formen dieser Einstellungsanomalie (Abb. 5.6-10), der vordere hohe Geradstand (Rücken vorn) ist häufiger als der hintere hohe Geradstand. Ursache k a n n eine Beckenanomalie sein (langes, allgemein verengtes oder plattes Becken). Diagnose: Wird w ä h r e n d der G e b u r t bei vaginaler U n t e r s u c h u n g ein gerader Pfeilnahtsverlauf in BE getastet, sollte die Einstellung des Kopfes durch äußere U n t e r s u c h u n g oder mit Ultraschall abgeklärt werden: fühlt sich der — Beim 3. Leopold-Handgriff Kopf auffallend schmal an, da die Finger den biparietalen Kopfdurchmesser umfassen (sonst fronto-occipitaler D m ) . — Beim Zangemeister-Handgriff (s. S. 233, Abb. 5.6-5) liegt die K o p f h a n d gleich oder h ö h e r als die S y m p h y s e n h a n d . — Kindliche H e r z t ö n e sind beim vorderen hohen G e r a d s t a n d a m deutlichsten in der Mittellinie, beim hinteren hohen G e r a d s t a n d seitlich tief an den Flanken zu hören.

A b b . 5.6-10: a. Vorderer h o h e r G e r a d s t a n d (dorsoanterior), b . H i n t e r e r h o h e r G e r a d s t a n d (dorsoposterior)

Geburtsverlauf: Liegt ein klares Kopf-BeckenMißverhältnis vor, m u ß die G e b u r t d u r c h Schnittentbindung beendet werden. Anderenfalls wird zunächst abgewartet und d u r c h Wechsellagerung versucht, den s p o n t a n e n Ein- und D u r c h t r i t t des Kopfes zu ermöglichen (z.B. 10 Min. linke Seite, 10 Min. rechte Seite, 10 Min. Rückenlage evtl. Vierfüßlerstand u. s.w.). Bei sehr starken Wehen hilft u . U . eine Tokolyse u n d / o d e r eine Peridural-Anästhesie. Ist der M u t t e r m u n d bereits vollständig e r ö f f n e t , k a n n versucht w e r d e n , die K o p f d r e h u n g mit d e m Kegelkugelhandgriff (nach L i e p m a n n ) manuell zu korrigieren. D a z u w i r d mit der ganzen H a n d in die Scheide eingegangen, der Kopf so gut es geht u m f a ß t u n d nach links oder rechts in den schrägen bis q u e r e n D u r c h messer g e d r e h t (wohin er sich a m leichtesten d r e h e n läßt). Gelingt dieses, sollte eine zweite Person versuchen, den Kopf von a u ß e n ins Becken zu d r ü c k e n . (Der Ke-

5.6 Abweichungen von der normalen Geburt gelkugelhandgriff ist u. U. sehr s c h m e r z h a f t u n d sollte

239

Roederer-Einstellung

n u r bei o p t i m a l e n t s p a n n t e m Beckenboden a u s g e f ü h r t w e r d e n , günstig ist eine PDA.)

Wird in absehbarer Zeit (ca. 2 Std.) nach der Diagnosestellung kein G e b u r t s f o r t s c h r i t t erreicht, m u ß eine Sektio erfolgen, denn ein persistierender (bestehenbleibender) hoher G e r a d stand k a n n zur U t e r u s r u p t u r f ü h r e n .

Tiefer Querstand

(Roederer: G e b u r t s h e l f e r G ö t t i n g e n 1727—1963)

Der Kopf ist bereits im Beckeneingang extrem gebeugt (kleine Fontanelle f ü h r t , A b b . 5.6-11). D a d u r c h verkleinert sich der K o p f u m f a n g u m ca. 2 cm, da er nun mit r u n d e m (Circumferentia suboccipito-bregmatica) statt sonst ovalem Umf a n g (C. fronto-occipitalis) ins kleine Becken eintritt.

Bei dieser Einstellungsanomalie steht der Kopf über längere Zeit mit querverlaufender Pfeilnaht auf Beckenboden (ein tiefer Schrägstand ist ein persistierender schräger Pfeilnahtsverlauf des Kopfes auf Beckenboden). Da der Kopf quer zur längsovalen B e c k e n a u s g a n g s ö f f n u n g steht, k a n n er nicht geboren w e r d e n . O f t sind beide Fontanellen rechts und links auf gleicher H ö h e zu tasten, da der Kopf zusätzlich ungenügend gebeugt ist. Ursachen dieser ausgebliebenen D r e h u n g k ö n nen ein kleiner rundlicher Kopf, schlaffe Beckenb o d e n m u s k u l a t u r , s e k u n d ä r e Wehenschwäche oder Beckenanomalien (plattes o d e r TrichterBecken) sein. G e b u r t s a b l a u f : Bei tiefem Quer- oder Schrägstand k a n n zunächst a b g e w a r t e t und die spontane D r e h u n g des Kindes d u r c h richtige Lager u n g der Frau unterstützt w e r d e n . Auch hier sollte sich die Frau auf die Seite legen, auf der die kleine Fontanelle getastet w u r d e bzw. der Rücken des Kindes steht (bei I. SL linke Seite, bei II. SL rechte Seite). Die Wehen müssen kräftig und regelmäßig sein oder d u r c h einen O x y t o cintropf unterstützt werden. Ist die fetale Herzf r e q u e n z regelmäßig und steht die Pfeilnaht n u r noch leicht schräg, k a n n die Frau bei jeder Wehe leicht mitpressen. Die G e b u r t erfolgt dann u. U. in Seitenlage (s. S. 198). D r e h t sich der Kopf nicht, trotz Seitenlage und guter Wehen, m u ß die G e b u r t operativ beendet w e r d e n . Mittels Vakuumglocke oder Z a n g e wird der Kopf gedreht und extrahiert, anschließend wird der Körper entwickelt.

A b b . 5.6-11: Roederer-Einstellung: E x t r e m e Beugung des Kopfes im Beckeneingang zur Ü b e r w i n d u n g eines allgemein verengten Beckens. Die kleine Fontanelle steht w ä h r e n d der ganzen G e b u r t als Leitstelle in Führungslinie

Die kleine Fontanelle wird bereits irri Beckeneingang zur Leitstelle. D a r u m ist die RoedererEinstellung als Einstellungsanomalie einzustufen. Einige A u t o r e n o r d n e n sie wegen der f r ü h e n m a x i m a len B e u g e h a l t u n g als H a l t u n g s a n o m a l i e ein.

Ursache ist meist ein allgemein verengtes Bekken, z. B. bei einer kleinen zierlichen Frau. Geburtsverlauf: Wird eine Roederer-Einstellung in BE diagnostiziert, ist mit einem sehr langsamen Tiefertreten des Kopfes zu rechnen. Wenn in a b s e h b a r e r Zeit kein G e b u r t s f o r t s c h r i t t festzustellen ist, liegt ein Kopf-Becken-Mißverhältnis vor und das Kind k a n n n u r d u r c h Sektio entbunden werden. Um den k n ö c h e r n e n G e b u r t s w e g zu überwinden, m u ß sich der Kopf stark konfigurieren. Die

240

5.

Geburt

Scheitelbeine schieben sich übereinander, entlang der Pfeilnaht ist eine „Stufe" zu tasten. Bei weiterem Durchtritt wird der Kopf lang ausgezogen, so d a ß er sich durch weitere Verminderung seines Umfangs dem engen Becken anpassen kann. Ein langer Kopf verlängert anschließend die Austreibungsperiode, da er sich nur schwer im Bogen um die Symphyse herum bewegen kann.

Asynklitische Einstellungen Normalerweise ist die querverlaufende Pfeilnaht beim Eintritt ins kleine Becken in der Mitte, also in Führungslinie zu tasten. Bei Asynklitismus ( = ungleiche Neigung) tastet der untersuchende Finger in Führungslinie die Fläche eines Scheitelbeines, da die Pfeilnaht entweder kreuzbeinwärts oder symphysenwärts abgewichen ist. Leichte Abweichungen der Pfeilnaht sind als physiologische Anpassung des Kopfes an den Geburtsweg zu sehen (s. S. 168). • Die vordere Scheitelbeineinstellung (Abb. 5.6-12a) oder verstärkte Naegel-Obliquität (Obliquität = Unregelmäßigkeit, Schrägstellung) kann durch ein plattes Becken verursacht werden. Der Druck auf den Kopf bewirkt ein seitliches Abbiegen. D a d u r c h wird erst die vor-

Mi

dere Kopfhälfte tiefergebracht, w ä h r e n d das vordere Scheitelbein führt und sich über das noch höher stehende hintere Scheitelbein schiebt. Der Kopf wird schmaler (Verringerung des queren Durchmessers), nun kann auch das hintere Scheitelbein tiefer treten (sog. Knopflochmechanismus) . • Die hintere Scheitelbeineinstellung (Abb. 5.612b) oder verstärkte Litzmann-Obliquität ist wesentlich seltener. Hier ist die Pfeilnaht dicht unter der Symphyse zu tasten, das hintere Scheitelbein f ü h r t und schiebt sich über das vordere. Dieser Anpassungsversuch f ü h r t nur selten zum Ziel, denn das vordere Scheitelbein wird von der Symphyse, die hintere Schulter vom P r o m o n t o r i u m am Tiefertreten gehindert. Meist ist eine hintere Scheitelbeineinstellung geburtsunmöglich.

5.6.6 Erschwerte Kopfentwicklung Ulrike Härder Tritt der zum Teil sichtbare Kopf (z. B. wegen Haltungs- oder Einstellungsanomalie) in der aktiven Austreibungsphase k a u m oder gar nicht tiefer, kann sein Austritt durch den KristellerHandgriff, den Hinterdammgriff oder durch eine Zangen- bzw. Vacuumextraktion unterstützt und beschleunigt werden.

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2-Partialdruckmessung.

Blutdruckmeßgerät, EKG-Monitor Neugeborene mit Atemnotsyndrom und Asphyxie haben oftmals einen niedrigen Blutdruck (Hypotension). Eine kontinuierliche Blutdrucküberwachung im Kreißsaal ist mit der oszillometrischen Messung möglich. Hier werden die vom Arterienpuls ausgehenden Oszillationen (Schwingungen) mit einer Extremitätenmanschette (z. B. Oberarm) erfaßt und systolischer, diastolischer und mittlerer arterieller Druck sowie die Pulsfrequenz gemessen, digital angezeigt und dokumentiert. Meßintervalle und Alarmgrenzen sind wählbar, die H a n d h a b u n g ist einfach, Meßwerte liegen sofort vor. Allerdings läßt

Ë

A b b . 9.7-2: Klebesensoren f ü r die P u l s o x y m e t r i e , a m V o r f u ß a n g e b r a c h t . L i c h t s e n d e r (Fußrücken) u n d L i c h t e m p f ä n g e r (Fußsohle) m ü s s e n sich g e n a u gegenüberliegen, das H a f t b a n d d a r f nicht zu straff angelegt w e r d e n (Behinderung der Blutzirkulation)

437

renen

438

9. Instrumente und Geräte in der Geburtshilfe

die Meßgenauigkeit bei sehr hohem oder sehr niedrigem Blutdruck nach. Der EKG-Monitor dient der kontinuierlichen Überwachung der Herzfrequenz post p a r t u m und zum Erkennen von Herzrhythmusstörungen. Die Darstellung erfolgt auf einem Monitor. Z u r Ableitung werden Klebeelektroden an 3 festgelegten Punkten des Brustkorbes angelegt (Abb. 9.7-3). Akustischer und optischer Alarm wird bei Über- oder Unterschreiten der eingestellten Grenzwerte ausgelöst.

9.7.2 Inkubator, Wärmebett, Apnoemonitor Inkubator Für Frühgeborene oder Neugeborene in schlechtem Allgemeinzustand sollte immer ein sauberer, funktionstüchtiger I n k u b a t o r bereitstehen. Kinder können im I n k u b a t o r optimal beobachtet werden, da sie auf G r u n d der Wärme nur mit einer Windel „bekleidet" sind. Medizinische Eingriffe wie Beatmen, Röntgen, Absaugen sind ebenfalls möglich.

der mit Heizung, Sauerstoffversorgung, Beatmungsgerät, Monitor, netzunabhängiger Stromversorgung und schwingungsgedämpfter Trage ausgestattet ist. Reinigung und Wartung. Der Inkubator m u ß nach jeder Benutzung mit aldehydfreien Desinfektionsmittel gereinigt und desinfiziert werden. Die Desinfektion erfolgt nach den zur Zeit geltenden Hygienerichtlinien und den Herstellerangaben. Nach Desinfektion und Z u s a m m e n b a u m u ß der Inkubator eingeschaltet und f ü r einige Stunden in Betrieb gehalten werden, damit Desinfektionsmittelreste verdunsten können. Der Wasserbehälter wird erst kurz vor Gebrauch mit destilliertem und sterilisiertem Wasser gefüllt, sonst ist er ein idealer N ä h r b o d e n für Keime. Der Bakterienfilter ist am Raumlufteinlaß nach Vorschrift zu wechseln und mit D a t u m der Inbetriebnahme zu versehen. I n k u b a t o r e n sind der G r u p p e I der M e d . G V zugeo r d n e t und m i n d e s t e n s einmal jährlich sicherheitstechnisch zu ü b e r p r ü f e n (Bauartzulassung beachten).

Wärmebett Neugeborene mit instabiler Wärmeregulation benötigen ein Wärmebett. Im Gegensatz zum Inkubator hat ein Wärmebett kein eigenes Luftumwälzsystem. Die Temperatur der Matratzenheizung kann von 2 9 ° bis 39 °C eingestellt und konstant gehalten werden, die Temperatur auf der Liegefläche darf 3 0 ° nicht überschreiten. Da die Aufheizphase eine Stunde beträgt, bleiben die Betten in Bereitschaft eingeschaltet. Kinder müssen im Wärmebett zugedeckt werden, da die Umgebungsluft nur unzureichend e r w ä r m t wird. Für Reinigung und Desinfektion gelten dieselben Richtlinien wie für Inkubatoren. Wärmebetten sind der G r u p p e 3 M e d . G V zugeordnet. Nach jedem Einsatz sind sie gemäß der Betriebsanleitung zu reinigen und zu desinfizieren.

Die gewünschte Lufttemperatur kann im Inkubator eingestellt und konstant gehalten werden. Dies geschieht entweder über ein Thermometer, das die Hauttemperatur des Kindes mißt und die Inkubatortemperatur über einen Regelkreis entsprechend anpaßt (Servosteuerung), oder über einen Temperaturregler im Innenraum, der die Heizquelle entsprechend an- oder abschaltet. Niemals zusätzliche Heizquellen einsetzen, es besteht Überhitzungsgefahr des Kindes. Eine exakte Klimatisierung des Inkubators ist durch Frischluftzufuhr über einen Bakterienfilter (Infektionsschutz) und durch Anfeuchten über einen eingebauten Wasserbehälter möglich. Kondensation sollte vermieden und nur destilliertes, sterilisiertes Wasser verwendet werden. Die Sauerstoffkonzentration im Inkubator wird nach ärztlicher Anordnung eingestellt, ihre Überwachung erfolgt mit einem gesonderten Meßgerät.

Apnoe-Monitor

Der Transport eines Kindes innerhalb eines Klinikums oder zur nächsten Kinderklinik erfolgt am besten in einem Transportinkubator,

Der Apnoe-Monitor registriert über Sensormatte oder Bauchsensor Phasen des Atemstill-

9.7 Reanimations- und Überwachungsgeräte s t a n d e s u n d gibt A l a r m , w e n n die A t e m p a u s e des K i n d e s zu lange ist. U m d e m plötzlichen K i n d s t o d v o r z u b e u g e n , w e r d e n diese G e r ä t e auch zur häuslichen Ü b e r w a c h u n g angeboten. Ihre Z u v e r l ä s s i g k e i t ist u m s t r i t t e n . Die Eltern sollten z u d e m in e i n f a c h e n W i e d e r b e l e b u n g s m a ß n a h m e n unterwiesen werden.

439

Blutdruckmessung a n . D i e B l u t d r u c k m a n s c h e t t e w i r d wie b e i m R i v a - R o c c i - A p p a r a t (s. S. 455) a m O b e r a r m angelegt (auf m a r k i e r t e Pfeilricht u n g a c h t e n ) . D a s G e r ä t bläst die M a n s c h e t t e a u t o m a t i s c h a u f , bis keine O s z i l l a t i o n m e h r erf a ß t w i r d . D a n n w i r d die L u f t l a n g s a m a u s d e r M a n s c h e t t e abgelassen, bis die ersten Oszillation e n registriert w e r d e n (systolischer D r u c k ) o d e r

9.7.3 Reanimations- und Überwachungsgeräte für Erwachsene Ein Kreißsaal ist kein Intensivpflegeplatz, aber f ü r N o t f ä l l e oder n o t w e n d i g e N a r k o s e n m u ß die e n t s p r e c h e n d e G e r ä t e a u s s t a t t u n g v o r h a n d e n sein.

keine

mehr

Druck).

vorhanden

Das

sind

(diastolischer

Oszillationsmaximum

stellt

den

m i t t l e r e n arteriellen D r u c k dar. Die M e ß i n t e r valle sind w ä h l b a r , die W e r t e w e r d e n digital angezeigt. Beim Über- o d e r U n t e r s c h r e i t e n eingestellter W e r t e w i r d a k u s t i s c h e r A l a r m ausgelöst. Ein EKG-Monitoring ist bei jeder N a r k o s e o b ligat.

Narkosebeatmungsgerät

Pulsoxymetrie (s. S. 437). Bei E r w a c h s e n e n sind die K l i p p e l e k t r o d e n

Dieses G e r ä t e r m ö g l i c h t die h e u t e a m h ä u f i g s t e n d u r c h g e f ü h r t e K o m b i n a t i o n s n a r k o s e . Die N a r k o s e b e g i n n t m i t i.v.-Gabe eines N a r k o t i k u m s , a n s c h l i e ß e n d w i r d ein k u r z z e i t i g w i r k e n d e s M u s k e l r e l a x a n s g e g e b e n . N a c h E i n f ü h r e n eines E n d o t r a c h e a l t u b u s in die L u f t r ö h r e w i r d d a s Narkosegerät angeschlossen. Beatmung und Narkosetiefe werden mit einem Lachgas-Sauers t o f f - G e m i s c h d u r c h g e f ü h r t bzw. g e s t e u e r t . D a s N a r k o s e g e r ä t ist e n t w e d e r f a h r b a r (für m e h r e r e E n t b i n d u n g s r ä u m e ) , o d e r an einer W a n d fest installiert. Es w i r d aus G a s f l a s c h e n gespeist o d e r besitzt S t e c k k u p p l u n g e n f ü r die z e n t r a l e G a s v e r s o r g u n g der Klinik. S a u e r s t o f f , L a c h g a s u n d Druckluft werden aus den Wandanschlüssen entnommen. Die Steckkupplungen sind unterschiedlich konstruiert und besitzen einen Farbcode, so daß Verwechslungen der Gase nicht möglich sind: Sauerstoff — blau, Druckluft — gelb, Lachgas — grau. Z u m A u f b e w a h r e n des N a r k o s e z u b e h ö r s eign e t sich ein N a r k o s e w a g e n m i t A r b e i t s f l ä c h e u n d g e n ü g e n d S c h u b l a d e n f ü r M e d i k a m e n t e , Int u b a t i o n s b e s t e c k e , Spritzen, K a n ü l e n usw.

Finger

einfach

anzubringen.

Elektrode

muß

und

Nach

das Gerät

schnell

Abnahme

am

dieser

sofort

ausgeschal-

tet w e r d e n , d a sonst die Sensoren

durchbren-

nen.

Notfallkoffer Eine G r u n d a u s r ü s t u n g f ü r N o t f ä l l e k a n n in einem

Notfallkoffer

zusammengestellt

werden.

Dieser K o f f e r m u ß g u t s i c h t b a r u n d f ü r Klin i k p e r s o n a l e r r e i c h b a r d e p o n i e r t w e r d e n . Eine Ü b e r p r ü f u n g e r f o l g t n a c h G e b r a u c h o d e r alle 6 Monate,

z. B.

um

abgelaufene

auszutauschen. Anschließend

Medikamente

wird der Koffer

verplombt.

Defibrillator E r m u ß f ü r d e n kardialen

Notfall

zur Verfügung

stehen. D a s G e r ä t bietet die M ö g l i c h k e i t z u r D e fibrillation

bei

Kammerflimmern

Asystolie. M a n u n t e r s c h e i d e t externe

Blutdruckmeßgerät, Pulsoxymetrie

tion u n d interne

Z u r E r l e i c h t e r u n g d e r k o n t i n u i e r l i c h e n Blutd r u c k m e s s u n g bietet sich die oszillometrische

lation w e r d e n

und

bei

Defibrilla-

(am freiliegenden H e r z e n w ä h -

rend einer O p e r a t i o n ) . Bei d e r externen DefibrilKontaktgel

2 Elektroden

bestrichen

(sonst

mit

ausreichend

Verbrennungsge-

440

9 . I n s t r u m e n t e u n d G e r ä t e in d e r G e b u r t s h i l f e

f a h r ) , a u f d e n T h o r a x g e d r ü c k t u n d ein G l e i c h stromimpuls von 5 0 — 4 0 0 Joule abgegeben. Das ungeordnete Flimmern oder Flattern der

Herz-

m u s k e l f a s e r n w i r d u n t e r b r o c h e n u n d in e i n e g e regelte, s p o n t a n e A k t i o n

überführt.

D e r Defibrillator d a r f nur von einem Arzt oder unter seiner Aufsicht betrieben werden. Achtung:

W ä h r e n d des S t r o m s t o ß e s d a r f w e d e r

Kontakt zum Patienten noch zum

Patientenbett

bestehen!

Es bedarf klarer Absprache innerhalb

einer

Klinik darüber, wer für die Reinigung,

War-

tung und

und

Desinfektion

der

Reanimationsgeräte

zuständig

V e r a n t w o r t u n g s o l l t e b e i einer g e n , z. B . d e r A n ä s t h e s i e .

Überwachungsist.

Die

A b t e i l u n g lie-

Verwendete

und

empfohlene

Literatur

Fischer, W . - M . , K a r d i o t o k o g r a p h i e . 3 . Auflage, 1 9 8 1 , T h i e m e Verlag, Stuttgart G o e s c h e n , K . , K a r d i o t o k o g r a p h i e — Praxis. 4. Auflage 1 9 9 2 , T h i e m e Verlag, Stuttgart H e w l e t t - P a c k a r d , C T G - H a n d b u c h und H a n d b u c h : Konfigurierbare M o n i t o r e , 1 9 9 2 . Vertrieb. T e c h n o med, Helga M u s s m a n n , Sonnenstr. 10 B 6 7 2 2 7 Frankenthal Kindler, M . , S c h u m a c h e r , W., Medizinische G e r ä t e kunde: Infusionspumpen, Zeitschrift „ D i e Schwes t e r / D e r Pfleger". 7 / 1 9 8 8 S. 5 5 4 M e d . G V . G e r ä t e l e x i k o n . Herausgeber: emtec e.V., Institut für wissenschaftliche Beratung und Fortbildung in der Medizintechnik, Berlin M o s e l , von der, H . , „ K o m m e n t a r zu den Hinweisen zur Anwendung von Parallelinfusionen", Die S c h w e s t e r / D e r Pfleger. 9 / 1 9 9 3 S. 7 9 9 M o s e l , von der, H . , „Medizinische Gerätekunde: Säugl i n g s - I n k u b a t o r " , Die S c h w e s t e r / D e r Pfleger. 1 0 / 1 9 8 9 S. 8 1 2 O b l a d e n , M . , „Neugeborenenintensivpflege". ger-Verlag, Berlin 1 9 8 9

Sprin-

10. Spezielle und pflegerische Aufgaben der Hebamme

10.1 Wahrnehmung und (Kranken-)Beobachtung Gisela

Kriegerowski-Schröteler

Ein Schwerpunkt der Hebammentätigkeit ist die

Ähnliches gilt auch bei jedem Kontakt zwi-

sorgfältige Beobachtung der von ihr betreuten

schen Menschen. Jeder sendet eine Fülle von Si-

Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen.

gnalen und Informationen über sich selbst aus,

Ziele dieser Beobachtungsarbeit sind, Abwei-

die vom anderen aufgenommen und interpretiert

chungen vom „Normalen" frühzeitig zu erken-

werden und auf die er reagiert.

nen, um entsprechend handeln zu können. Auch zur guten psychischen Betreuung der Frau ist es notwendig, ihre Bewußtseinslage, ihre psychische Verfassung und ihre Bedürfnisse rasch und sicher zu erkennen, um entsprechend reagieren zu können. Krankenbeobachtung ist einfach, Blutdruck

Schwieriger

müssen

ihre

Wahrnehmungs-

und Interpretationsfähigkeit im U m g a n g mit S c h w a n g e r e n , G e b ä r e n d e n und nen

im besonderen

Wöchnerin-

M a ß e entwickeln

und

schulen.

wenn es um

Überwachung meßbarer Körperfunktionen, wie z. B.

Hebammen

oder

Körpertemperatur

geht.

wird es, wenn das Befinden der Pa-

Bei genauerer Betrachtung werden hierbei einige Schwierigkeiten deutlich:

tientin durch Rückschlüsse aus ihrem Verhalten

• Wahrnehmung ist niemals völlig objektiv und

beurteilt werden soll.

sachlich. Sie ist immer geprägt durch den Wahr-

Die Aussage: „Die Frau hat starke Schmerzen",

lei-

nehmenden selbst. So werden 2 Menschen die

tet sich aus der Wahrnehmung verschiedener Sym-

gleiche Situation oder Person nie gleich wahr-

ptome her, wie Stöhnen, zusammengekrümmte Hal-

nehmen, sondern aufgrund ihrer unterschiedli-

tung, Bemerkungen der Frau selbst. Diese Symptome

chen Lebenserfahrung,

sind nicht meßbar, können aber in diesem Fall noch

mung dieselben Signale gar nicht oder verschie-

relativ gut eingeschätzt werden.

den wahrnehmen und interpretieren.

Die Aussage: „Die Frau ist sehr

verspannt",

ist

schwieriger zu begründen, da hier die Symptome weniger eindeutig, versteckter sind und in der Regel eine entsprechende Äußerung der Patientin als direkter Hinweis fehlt.

Das

Einstellung und

• Auch die Wahrnehmungsmöglichkeit zelnen

variiert.

Stim-

des

ein-

Sie ist u. a. von der eigenen psy-

chischen Verfassung, der momentanen Arbeitsbelastung, von dem, was gerade vorher erlebt wurde, abhängig. Außerdem neigen wir dazu,

Wahrnehmen

Zeichen,

Signalen,

an einmal getroffenen Beurteilungen festzuhal-

und das anschließende

Bewerten

ten und sind dann kaum mehr in der Lage, neu

bzw. Interpretieren dieser Information mit nach-

hinzukommende Informationen objektiv zu be-

folgender Reaktion läuft bei jedem von uns tag-

werten und unsere Meinung zu korrigieren.

Symptomen

von

täglich viele Male ab.

Diese Subjektivität bei der Krankenbeobach-

Beispiel dafür ist der Autofahrer, der unbewußt immer

tung läßt sich nicht ganz ausräumen, mit Sicher-

wieder die Verkehrslage registriert, neu einschätzt und

heit aber vermindern. Wichtig ist es, sich der

entsprechend dieser Einschätzung automatisch

Tatsache bewußt zu sein, daß die eigene Wahr-

Bremsen, Gas geben, Anhalten, usw. reagiert.

mit

nehmung in hohem Maße beeinflußbar und da-

442

10. Spezielle und pflegerische Aufgaben der Hebamme

durch fehlerhaft sein k a n n . Es k o m m t darauf an, sich selbst zur konzentrierten, a u f m e r k s a men, u n v o r e i n g e n o m m e n e n und z u g e w a n d t e n Beobachtungshaltung zu erziehen und offen f ü r weitere Signale und I n f o r m a t i o n e n zu bleiben. Eine einmal gefaßte M e i n u n g m u ß öfter überp r ü f t werden und, wenn Beobachtungen gem a c h t w e r d e n , die nicht in das bisherige Bild passen, m u ß m a n in der Lage sein, sich selbst zu korrigieren. Dies bedeutet aber nicht, d a ß m a n sich d a v o r hüten sollte, sich ü b e r h a u p t eine feste M e i n u n g oder H y p o t h e s e n zu bilden. Jedoch schützen Wachheit, Flexibilität und das H i n t e r f r a g e n der eigenen Position vor falschen Rückschlüssen und Fehlern bei der medizinischen und psychischen Betreuung. D u r c h ein waches Interesse an der Beobachtung der Menschen, mit denen wir u m g e h e n , wird die Sensibilität der H e b a m m e f ü r versteckte I n f o r m a t i o n e n und Signale wachsen und ihr Urteilsvermögen z u n e h m e n d sicherer. Es entwickelt sich E i n f ü h l u n g s v e r m ö g e n , das mit sicherem Instinkt, g u t e m Gespür, „sechstem Sinn" oder einfach mit M e n s c h e n k e n n t n i s umschrieben wird.

Elemente des ersten Eindrucks M i t b e s t i m m e n d f ü r den ersten Eindruck sind verschiedene Elemente der menschlichen Gestalt: äußeres Erscheinungsbild, Mimik, Gestik, Stimme, Sprache, Bewegung, Verhalten, Bewußtseinslage.

Weitere, die erste Einschätzung beeinflussende Faktoren, sind die Begleitpersonen, das mitgebrachte Gepäck, die Art des Händedruckes und vieles mehr. Z u r eigenen B e w u ß t m a c h u n g sollen hier die wichtigsten M e r k m a l e , die den ersten Eindruck bestimmen, z u s a m m e n mit einigen Fragestellungen zur B e o b a c h t u n g und Beschreibung aufgef ü h r t werden: •

Alter: sehr jung, durchschnittlich — alt (bezogen

auf d a s häufigste Gebäralter)? •

Größe/Konstitution: klein, n o r m a l g r o ß , g r o ß —

zart, feminin — k r ä f t i g , knochig? •

Ernährungszustand: mager, n o r m a l g e w i c h t i g , dick,

aufgeschwemmt? •

Bauchumfang: klein, wie z u m G e b u r t s t e r m i n —

übermäßig groß? •

Kleidung/Frisur/Brille: gepflegt — ungepflegt, ä r m -

lich — teuer, m o d i s c h — b e t o n t individuell, kindlich,

10.1.1 Der erste Eindruck

alternativ? •

Haltung: offen — a b w e h r e n d , e n t s p a n n t — ver-

k r a m p f t , locker — steif, a u f r e c h t — gebeugt?

Bei der K o n t a k t a u f n a h m e mit einer Patientin, die zur Einschätzung der Frau u n d deren Situation f ü h r e n soll, ist der erste Eindruck häufig von ausschlaggebender Bedeutung. Er setzt sich aus vielen, an der Frau w a h r g e n o m m e n e n M e r k malen z u s a m m e n , die in den ersten M i n u t e n der Begegnung registriert w e r d e n . Diese M e r k m a l e werden a u f g r u n d unserer L e b e n s e r f a h r u n g mit bestimmten Kriterien (Fragestellungen) untersucht und f ü h r e n zur ersten Beurteilung der Person und ihrer m o m e n t a n e n Situation. Dieser sehr k o m p l e x e Prozeß ist nicht in allen Einzelheiten nachvollziehbar. Auch lassen sich die Eigenschaften u n d M e r k m a l e , die an einer Person w a h r g e n o m m e n werden, nicht vollständig und abschließend benennen. Sie sind zu vielfältig und stehen untereinander in komplizierter Wechselwirkung.



Bewegung/Gang:

sicher



unsicher,

flink



schwerfällig, locker — steif, b e d ä c h t i g — hastig, h a r monisch — u n k o n t r o l l i e r t ? •

Mimik: fröhlich — traurig, e n t s p a n n t — schmerz-

verzerrt, f r a g e n d , ängstlich, erschrocken? •

Gestik: l e b h a f t — wenig, übertrieben

schränkt,

ineinander

verkrampfte

— einge-

Hände,

ver-

s c h r ä n k t e Arme? •

Stimme: laut — leise, klar — belegt, h o c h — tief,

aufgeregt — ruhig, s t o t t e r n d — gleichmäßig, m o n o t o n — akzentuiert? •

Sprache: gesprächig

— einsilbig, verständlich —

schwer bzw. u n v e r s t ä n d l i c h , W o r t w a h l ,

Ausdrucks-

weise, Akzent? •

Verhalten: z u r ü c k h a l t e n d — aufdringlich, selbstbe-

w u ß t — s c h ü c h t e r n , zugänglich — a b w e i s e n d , gelassen — unruhig, konzentriert — abwesend? •

Bewußtseinslage: w a c h — schläfrig, b e n o m m e n —

ansprechbar,

normale Reaktionen

bzw. unverständliche R e a k t i o n e n ?

— verlangsamte,

10.2 Beobachtung von Körperfunktionen

443

10.2 Beobachtung von Körperfunktionen Martha

Halbach

V o r a u s s e t z u n g e n f ü r die B e o b a c h t u n g sind t h e o -

f r e q u e n z , e b e n s o Blutverlust, Schock, gesteiger-

retische K e n n t n i s s e d e r Physiologie u n d die Fä-

ter S t o f f w e c h s e l (Fieber, H y p e r t h y r e o s e ) u n d be-

higkeit, Z u s a m m e n h ä n g e zu e r k e n n e n .

stimmte Herzkrankheiten. Eine p a r o x y s m a l e T a c h y k a r d i e (anfallsweises Herzrasen)

10.2.1 Vitalwerte

kann über Minuten

bis Tage

an-

dauern. Eine B r a d y k a r d i e k a n n S y m p t o m f ü r e r h ö h -

V i t a l w e r t e sind Puls, Blutdruck, tur u n d Atmung.

Körpertempera-

ten H i r n d r u c k , H y p o t h y r e o s e

(Schilddrüsenun-

terfunktion), Vergiftungen sowie

Sie h ä n g e n e n g z u s a m m e n .

Erregungslei-

t u n g s s t ö r u n g e n des H e r z e n s sein. • Pulsrhythmus.

Puls

Beim

Gesunden

folgen

die

H e r z s c h l ä g e u n d d a m i t die Pulswellen r e g e l m ä ßig u n d

Als Puls w i r d d e r A n s t o ß d e r v o m H e r z e n k o m -

Eine

menden

Arrhythmie

Blutwelle

an

die A r t e r i e n w ä n d e

be-

in e t w a gleichlangen

unregelmäßige

Zeitabständen.

Schlagfolge

wird

als

bezeichnet:

zeichnet. Überall d o r t , w o eine A r t e r i e gegen ei-

(1) respiratorische

nen

werden

p h y s i o l o g i s c h e r w e i s e bei d e r E i n a t m u n g schnel-

k a n n , ist er g u t zu f ü h l e n . Üblich ist die M e s -

ler als bei d e r A u s a t m u n g . Diese A r r h y t h m i e -

s u n g an d e r D a u m e n s e i t e des H a n d g e l e n k e s (A.

f o r m ist bei J u g e n d l i c h e n u n d vegetativ labilen

Knochen

radialis). poralis),

oder

Muskel

gedrückt

A n d e r e M e ß o r t e sind: Schläfe ( A . temH a l s ( A . carotis),

Schlüsselbein (A. sub-

clavia),

K n i e k e h l e (A. poplitea),

dorsalis

pedis)

F u ß r ü c k e n (A.

u n d b e i m N e u g e b o r e n e n an d e r

großen Fontanelle.

Menschen

Arrhythmie:

häufig

verstärkt

Der

Puls

anzutreffen

ist

und

harmlos (2) extrasystolische die

außerhalb

oder

Arrhythmie:

Herzschläge,

des G r u n d r h y t h m u s

gehäuft auftreten

vereinzelt

(z. B. d u r c h

Nikotin-

oder Kaffeeabusus) •

Pulsfrequenz

ist d i e A n z a h l

der

schläge p r o M i n . (spm). Die normale quenz

HerzPulsfre-

b e t r ä g t : 110—160 s p m bei U n g e b o r e -

(3) Bigeminusarrhythmie

= Z w i l l i n g s p u l s : Je-

d e r Systole (Herzschlag) f o l g t eine E x t r a s y s t o l e

n e n , 100—140 s p m bei N e u g e b o r e n e n , 100—

(4) absolute

120 s p m bei Säuglingen u n d

m ä ß i g e Pulsfolge, die ü b e r k u r z e o d e r längere

Kleinkindern,

90—100 s p m bei K i n d e r n bis zu 10 J a h r e n , 60—80 s p m bei E r w a c h s e n e n , 70—90 s p m

V o l l k o m m e n unregel-

Zeit andauern kann. Bei allen F o r m e n d e r A r r h y t h m i e m u ß

die

Pulsfrequenz 1 Minute lang ausgezählt werden.

bei S c h w a n g e r e n .

Eine Tachykardie

Arrhythmie:

ist ein b e s c h l e u n i g t e r Puls

ü b e r d e n h ö c h s t e n , eine Bradykardie

ein ver-

l a n g s a m t e r Puls u n t e r d e m tiefsten N o r m w e r t . Physiologisch ist bei körperlicher Anstrengung oder seelischer Erregung eine Tachykardie, während des Schlafes eine Bradykardie. Kaffee-, N i k o t i n k o n s u m u n d b e s t i m m t e M e d i k a m e n t e (z. B. Partusisten®) e r h ö h e n die Puls-

• Pulsqualität k a n n d u r c h S p a n n u n g

(Druck)

und Füllung der Arterien beschrieben

werden.

Spannung

wird durch den Widerstand beurteilt,

d e n d e r Puls d e m Versuch, ihn zu u n t e r d r ü c k e n , entgegensetzt:

entweder

harter

Puls

(Hyper-

tonie) o d e r weicher, leicht u n t e r d r ü c k b a r e r Puls (Hypotonie, Füllung

des

Fieber, Blutverlust, S c h o c k ) . Pulses

gibt

Auskunft

über

Die das

S c h l a g v o l u m e n : e n t w e d e r g u t g e f ü l l t e r (großer) o d e r schlecht g e f ü l l t e r (kleiner) Puls.

444

10. Spezielle und pflegerische Aufgaben der Hebamme

Ein kleiner, schneller, weicher Puls (z. B. bei großem Blutverlust) wird auch als fadenförmig, ßer,

harter,

extrem

langsamer

H i r n d r u c k ) als Druckpuls mit

gleichzeitigem

Eklampsie) heißt

(z. B.

bei

ein groerhöhtem

bezeichnet, ein sehr harter

Anstieg

des

Blutdrucks

(bei

Drahtpuls.

Die Beobachtung und Bezeichnungen für die Pulsqualität muß immer wieder unter Kontrolle geübt werden. und -qualität

Pulsrhythmus Schlagvolumen

sind abhängig vom

(Auswurfmenge

pro

Herz-

schlag), der Elastizität der G e f ä ß e und der Herzfunktion. Bei ungenügender Herzleistung kann nicht jeder Herzschlag als Puls getastet werden, da die Druckwelle zu schwach ist. Herzschlag und Puls haben dann eine unterschiedliche Frequenz, es besteht ein

A b b . 1 0 . 2 - 1 : Windkesselfunktion. Die elastischen G e f ä ß w ä n d e der Aorta erweitern sich in der Systole (gestrichelte Linie) und nehmen Blut auf. In der Diastole ziehen sie sich wieder zurück und treiben das Blut weiter in die Peripherie (durchgezogene Linie)

Pulsdefizit. Die Differenz zwischen systolischem und diastolischem D r u c k heißt Amplitude,

Blutdruck

sie beträgt

beim gesunden Erwachsenen 4 0 bis 6 0 m m H g .

M i t Blutdruck ist allgemein der arterielle Blutdruck gemeint. Dabei werden 2 Werte erfaßt: • der systolische

(Maximaldruck in den

Druck

Arterien während der Systole =

Zusammenzie-

hung des Herzens) und • der diastolische

Druck

(Minimaldruck in den

Arterien während der Diastole =

Erschlaffung

des Herzens). Bei jeder Systole werden ca. 6 0 — 9 0 ml Blut (Schlagvolumen)

in die Aorta gepumpt.

Auf-

grund der Elastizität der Aorta wird der hohe Anfangsdruck

ausgeglichen

(Windkesselfunk-

tion). Es k o m m t zu einem kontinuierlichen Blutfluß (Abb. 10.2-1). Die H ö h e des Blutdrucks ist abhängig von der Leistung des Herzens, dem Füllungszustand der G e f ä ß e und dem Widerstand der G e f ä ß w ä n d e .

Veränderungen der Blutdruckwerte • Hypertonie:

Blutdruckerhöhung,

über

den

höchsten N o r m w e r t . Es gibt Menschen, die anlagebedingt (essentiell) einen erhöhten oder erniedrigten Blutdruck haben. Analog zum Puls kann auch der Blutdruck durch körperliche Anstrengung oder Emotionen (Adrenalin)

erhöht

sein. Sklerotische Gefäßveränderungen, Adipositas,

Nierenerkrankungen,

Diabetes

und Schwangerschaft können

zur

mellitus

Hypertonie

führen. • Hypotonie:

erniedrigter

Blutdruck,

unter

Normwert, kann bedingt sein durch Nachlassen der Herzkraft, plötzliche Erweiterung der peripheren G e f ä ß e ( z . B . P D A ) , Zentralisation des Kreislaufs (z. B. Schock) oder durch großen Vo-

Normale Blutdruckwerte sind: 60/40 m m H g

lumenverlust ( z . B . Blutung). Eine

bei Neugeborenen,

Hypotonie

und 1 1 0 - 1 4 0 mmHg

90/60 m m H g bei m m H g systolisch zu

diastolisch

bei

Erwachsenen.

Wert über 135/85 m m H g bei ist pathologisch.

Kindern 50-90 Ein

Schwangeren

orthostatische

entsteht bei manchen Menschen (Ju-

gendliche, ältere Menschen, Frau p. p.) nach längerer Ruhe. Symptome

sind

„Ohrensausen",

Schwindel,

S c h w e i ß a u s b r u c h , Kreislaufkollaps (Schock). Ursache

10.2 Beobachtung von Körperfunktionen ist Mangeldurchblutung des Gehirns, da das Blut in die Peripherie „versackt".

Die Technik der Blutdruckmessung geht auf den italienischen Pädiater Riva Rocci (1863 — 1937) zurück. Seine Initialen (RR) wurden allgemeingültige Abkürzung für die Blutdruckmessung. Der RR-Wert wird in mmHg Quecksilbersäule (Hg: Hydragyrum = Quecksilber) oder in kPa (Kilo-Pascal) angegeben: 1 mmHg = 0,1338 kPa (s. S. 532).

Obligatorische RR-Kontrollen in der Geburtshilfe: • bei jeder Schwangeren Vorsorgeuntersuchung • bei Aufnahme in der Entbindungsabteilung • während und nach der Geburt • vor dem ersten Aufstehen post partum • bei Blut- oder Flüssigkeitsverlusten und Fieber • bei Präeklampsie und HELLP-Syndrom • vor, während und nach einer Peridualanästhesie • bei Medikamentengaben, die den Blutdruck beeinflussen (z.B. Partusisten®, Prostaglandin).

445

gleichbleibende Körpertemperatur sind Regulationsmechanismen der Temperaturzentren im Hypothalamus (Teil des Zwischenhirns) und Endhirn verantwortlich. Normalerweise besteht ein Gleichgewicht zwischen Wärmebildung und -abgabe. Wärme entsteht fortlaufend durch die chemischen Stoffwechselvorgänge in den Zellen. Ca. 9 0 % der Wärmeabgabe erfolgt über die Haut (Körperoberfläche), durch Strahlung und Verdunstung (s. S. 457). J e größer die Körperoberfläche im Vergleich zur Körpermasse, desto schneller erfolgt eine Wärmeabgabe (Auskühlungsgefahr beim Neugeborenen). Auch durch Atmung und Ausscheidungen gibt der Körper Wärme ab. Bereiche der Körpertemperatur werden unterschieden: • Körperkern (Bereich, der mindestens Gehirn und die großen Bauchorgane umfaßt, sich aber ausdehnen kann), mit einer konstanten Temperatur von 37—37,5 °C und die • Körperschale mit wechselnden, meist niedrigeren Temperaturen. Eine Vergrößerung des

Bei jeder Abweichung vom Normalwert muß in kürzeren Zeitabständen kontrolliert werden ('Ä-'/zstündlich). Die Bestimmung des mittleren arteriellen Drucks (MAD) wird als Möglichkeit gesehen, RR-Risiken bereits in der Frühschwangerschaft zu ermitteln. Bei einem MAD > 90 mmHg besteht Verdacht auf spätere pathologische Blutdruckveränderungen. Für die Bestimmung des MAD gibt es 2 Formeln: (1) I X syst. R R + 2 X diast. R R : 3 = M A D

Beispiel RR 110/70: 110 + 140 : 3 = 83,3 mmHg M A D (2) diast. R R + 'A der RR-Amplitude = M A D

Beispiel RR 110/70: 70 + 13.33 = 83,33 mmHg M A D

Körpertemperatur Der menschliche Körper ist mit allen Funktionen auf Konstanz des pH-Wertes, des Wasser-, Elektrolyt- und Hormonhaushaltes und der Körpertemperatur angewiesen (Homöostase). Für eine

Abb. 10.2-2: Ausdehnung der Körperkerntemperatur (rot), a. minimale, b. mittlere, c. maximale Ausdehnung; gleichzeitige Abnahme der Körperschalendicke (hell)

446

10. Spezielle und pflegerische Aufgaben der Hebamme

T a b . 1 0 . 2 - 1 : N o r m a l t e m p e r a t u r e n in Abhängigkeit von M e ß o r t und -zeit Meßort axillar

[in der Achselhöhle]

oral

[im M u n d ]

sublingual

[unter der Zunge]

buccal

[in der Wangentasche]

rektal

[im M a s t d a r m ]

Körperkernbereichs (gesteigerte Wärmeabgabe) bedeutet gleichzeitiges Dünnerwerden der Körperschale (Abb. 10.2-2). Temperaturmessung. Je weiter der Meßort vom Körperkern entfernt ist, desto niedriger ist die Temperatur und desto länger die Meßdauer (Tab. 10.2-1). Eine zum gleichen Z e i t p u n k t durchgeführte axillare und rektale Messung kann zur Diagnostizierung eines lokalen, evtl. entzündlichen Geschehens im A b d o m e n (z. B. Appendizitis) oder in der Brust (z. B. sog. M i l c h einschuß) hilfreich sein. D e r

Temperaturunterschied

axillar/rektal kann dann ca. 0 , 5 ° C betragen.

Temperaturveränderungen: • Tagesrhythmische Temperaturschwankungen: Innerhalb 24 Stunden schwankt die Temperatur um 0,5 °C. Um 16—18 Uhr ist sie am höchsten, morgens zwischen 4 und 6 Uhr am niedrigsten. • Periodische Temperaturveränderungen: Durch den thermogenetischen Effekt des Progesterons steigt die Temperatur im weiblichen Zyklus nach der Ovulation um ca. 0,3 ° C — 0 , 6 ° C an und fällt mit der Menstruation wieder ab. Tritt eine Schwangerschaft ein, bleibt die Temperatur bis zu 12 Wochen erhöht, dann erfolgt eine Normalisierung, wahrscheinlich durch den Gewöhnungseffekt der Temperaturzentren. • Hypothermie (Untertemperatur): Die axillare Temperatur liegt konstant unter 36 °C, z. B. bei Schock, nach Blutverlust, Kollaps und Hypothyreose. • Hyperthermie (erhöhte Temperatur): Die axillare Temperatur ist über 37 °C, bzw. 37,4 °C rektal, z. B. Stoffwechselerhöhung bei körperlicher Arbeit oder emotionaler Erregung.

Meßzeit (Min.)

T e m p e r a t u r (°C)

7-10

36,1-36,9

5

36,4—37,2

3—4

36,6—37,4

Atmung (Respiration) Durch Ventilation (Belüftung) der Lungen wird in den Alveolen das Hämoglobin der Erythrozyten mit 0 2 beladen und C 0 2 abgegeben. Die Steuerung der Atmung erfolgt unwillkürlich durch das Atemzentrum in der Medulla oblongata (verlängertes Rückenmark). Ein Anstieg der C0 2 -Konzentration im Blut löst den Impuls zum Atemzug aus. Die Atmung ist aber auch willkürlich beeinflußbar, daher sollte das Auszählen der Atemzüge bei einer Patientin unauffällig erfolgen. Das Zwerchfell (Diaphragma) und die Zwischenrippenmuskulatur (Interkostalmuskulatur) bestimmen die Atembewegungen. Bei normaler Atmung (Eupnoe) heben und senken sich beide Thoraxseiten symmetrisch, sie ist ruhig, regelmäßig, erfolgt ohne Anstrengung oder Beschwerden, ist geräusch- und geruchlos. Bei erschwerter Atmung (Dyspnoe) wird die Atemhilfsmuskulatur (Brust-, Oberarm-, Hals-, Rücken- und Bauchmuskulatur) mit eingesetzt. Atemfrequenz und Atemtiefe (-qualität). Ein Atemzug besteht aus Einatmung (Inspiration), Ausatmung (Exspiration) und darauffolgender Pause. Das Atemzugvolumen liegt beim Erwachsenen in Ruhe bei ca. 500 ml/Atemzug. Unterschiedliche Atemvolumina s. Abb. 10.2-3. Die Atemzüge folgen einander in gleichmäßigem Rhythmus, Tiefe und altersabhängiger Frequenz (Tab. 10.2-2). Atemfrequenz und Atemtiefe (Atemqualität) stehen in unmittelbarer Beziehung zueinander. Eine beschleunigte Frequenz (Tachypnoe) hat eine Abflachung, eine verlangsamte Frequenz

10.2 Beobachtung von Körperfunktionen • Bradypnoe bei B e e i n t r ä c h t i g u n g des z e n t r u m s (z.B. O p i a t v e r g i f t u n g e n ) .

447 Atem-

• A p n o e ( A t e m s t i l l s t a n d ) : Sistieren d e r A t m u n g f ü r 10—20 Sek. bei psychischer E r r e g u n g o d e r d u r c h U n r e i f e des A t e m z e n t r u m s bei N e u g e b o renen. • Hypoventilation ist eine o b e r f l ä c h l i c h e Atm u n g ( S c h o n a t m u n g ) , die L u n g e n sind w e n i g b e l ü f t e t (z. B. n a c h B a u c h o p e r a t i o n wegen S c h m e r z e n ) ; d a d u r c h H y p o x ä m i e (Abfall des p 0 2 Sauerstoffpartialdruck) und Hyperkapnie (Anstieg des p C 0 2 K o h l e n d i o x i d p a r t i a l d r u c k ) im arteriellen Blut. • Hyperventilation ist eine ü b e r m ä ß i g gesteigerte A t m u n g . Es w i r d soviel C 0 2 a b g e a t m e t , d a ß im Blut eine Alkalose ( S t ö r u n g des SäureB a s e n - H a u s h a l t e s ) e n t s t e h t , in d e r e n Folge Symp t o m e einer H y p o k a l z ä m i e ( n e u r o m u s k u l ä r e Ü b e r e r r e g b a r k e i t = Tetanie) a u f t r e t e n k ö n n e n . Abb. 10.2-3: Atemvolumina, 1 Totalkapazität, 2 Vitalkapazität (max. Einatmung), 3 Residualvolumen (Rest, der nach max. Ausatmung in der Lunge verbleibt), 4 Inspirationskapazität (Volumen, das nach normaler Ausatmung eingeatmet werden kann), 5 funktionelle Residualkapazität (Rest, der nach normaler Ausatmung in der Lunge verbleibt), 6 Atemzugsvolumen bei normaler Atmung, 7 bei Anstrengung

Tab. 10.2-2: Atemfrequenz in Abhängigkeit vom Alter Alter

Atemzüge/Min.

Neugeborene

4 0 - •50

Säuglinge, Kleinkinder

3 0 - -40

Kinder

ca.

Erwachsene

1 6 --20

25

(Bradypnoe) eine V e r t i e f u n g des A t e m z u g v o l u m e n s z u r Folge: • Tachypnoe bei S t o f f w e c h s e l s t e i g e r u n g (Ans t r e n g u n g , Fieber, H y p e r t h y r e o s e ) , bei Veränder u n g e n des S c h l a g v o l u m e n s des H e r z e n s (Herzinsuffizienz, A n ä m i e ) u n d bei R e d u z i e r u n g d e r A t e m f l ä c h e (Atelektasen, L u n g e n ö d e m , - e m p h y sem o d e r - e m b o l i e ) .

Symptome sind krampfartige „Pfötchenstellung" der Hände, weißes Munddreieck im verzerrten Gesicht, evtl. Übelkeit. Die Ursache ist meist p s y c h o g e n , z. B. A n g s t u n d S c h m e r z w ä h r e n d d e r G e b u r t . A t m e t die G e b ä r e n d e die eigene A t e m l u f t w i e d e r ein (Atm e n in eine P l a s t i k t ü t e o d e r - h a n d s c h u h ) steigt d e r p C 0 2 im Blut a n , die S y m p t o m e verschwinden. • D y s p n o e (Atemstörung): Sie k a n n als ers c h w e r t e E i n a t m u n g m i t Stridor (langgezogenes Pfeifen) bei Verlegung d e r o b e r e n L u f t w e g e a u f treten o d e r als e r s c h w e r t e A u s a t m u n g m i t Strid o r bei spastischer E i n e n g u n g d e r B r o n c h i e n . Die erschwerte Respiration (Ein- u n d A u s a t m u n g ) m i t S t r i d o r tritt bei M i n d e r l e i s t u n g des H e r z e n s u n d S a u e r s t o f f d e f i z i t auf. H ä u f i g e s Zeichen d e r A t e m n o t ist die N a s e n f l ü g e l a t m u n g , es b e w e g e n sich bei j e d e m A t e m z u g die N a s e n flügel mit: Bei N e u g e b o r e n e n ist d a s ein H i n weis auf eine A n p a s s u n g s s t ö r u n g / A t e m m a n g e l situation. • O r t h o p n o e ( A t e m n o t in R u h e ) : S c h w e r s t e Form der Atemnot, der Patient hat Todesangst (bei H e r z - u n d L u n g e n e r k r a n k u n g e n , n a c h groß e m Blutverlust). Bei B e o b a c h t u n g aller D y s p n o e f o r m e n m ü s sen H a u t f a r b e ( Z y a n o s e ) , G e s i c h t s a u s d r u c k , Körperhaltung, Einsatz der Atemhilfemuskula-

448

10. Spezielle und pflegerische Aufgaben der Hebamme

Atmungstyp

Atemfrequenz

CheyneStokesAtmung

abhängig von den Atempausen, mehr oder weniger verlangsamt

Atemrhythmus

regelmäßig mit Atempausen

Atemtiefe und Atemqualität

schlechtes prognostisches Zeichen (Herz- und Gehirnerkrankungen,Vergiftungen), oft übergehend in Agonie (Todeskampf)

Azidose (Blut p H | ) , verstärkte Reizung des Atemzentrums, z. B. im diabetischen Koma

erhöhter Hirndruck, z. B. bei Hirnhautentzündung (Meningitis)

Kußmaul- Azidose erniedrigt; bei zunehAtmung

pausenlose regelmäßige Atmung

BiotAtmung (meningische Atmung)

Regelmäßigkeit mit Atempausen (Apnoe)

plötzlich einsetzende tiefe, kräftige (große) Atemzüge zwischen Atempausen

mender Azidose erhöht

abhängig von der Länge der Atempausen

Ursache bzw. Vorkommen

große Atmung bei tiefen Atemzügen und flache kleine Atmung bei Zu- und Abnahme; geräuschlos bis keuchend

große, tiefe Atmung (angestrengt); starke respiratorische Bewegungen stehen im auffälligen Gegensatz zur schlaffen Bewegungslosigkeit des (meist) bewußtlosen Patienten

zu Beginn einer

Atemmuster

Abb. 10.2-4: Abweichungen von der normalen Atmung: Cheyne-Stokes-, Kußmaul- und Biot-Atmung

tur, Atemgeräusche und die Kreislaufsituation mit bewertet werden. (pathologische Atemtypen zeigt Abb. 10.2-4.)

Miktionsstörungen leerung)

(Störungen der Blasenent-

Urin (Harn)

• Pollakisurie: Häufige Entleerung von kleinen Urinmengen (bei Blasenentzündung, Aufregung, Nervosität, Reizblase). Im 1. Trimenon der Schwangerschaft durch den raumverdrängenden, wachsenden Uterus im kleinen Becken, im 3. Trimenon durch Tiefertreten des vorangehenden Teiles.

An der Harnausscheidung sind beteiligt: Nieren, Blase, Stoffwechselorgane, Kreislaufsystem (Herz, Blut, Gefäße), Nerven und H o r m o n d r ü sen. Durch Beobachtung folgender Kriterien lassen sich Veränderungen (Erkrankungen) dieser O r g a n e erkennen: Farbe, Menge, Geruch, p H Wert, spezifisches Gewicht, Beimengungen (Tab. 10.2-3,4).

• Algurie oder Strangurie: Schmerzhafte H a r n entleerung (bei Blasensteinen, Entzündung der Blasenschleimhaut). • Dysurie: Erschwertes Wasserlassen wegen narbiger Verengung der Urethra, Ö d e m der Urethra (nach protrahierter oder vaginal-operativer Geburt) oder mangelhaftem Tonus der Blasenmuskulatur (nach Operation, Geburt, Periduralanästhesie).

10.2.2 Beobachtung von Körperausscheidungen

1 0 . 2 B e o b a c h t u n g von K ö r p e r f u n k t i o n e n

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T a b . 1 0 . 2 - 3 : Urinparameter mit normalem und pathologischem Befund Parameter

Normale Befunde

Farbe

durchsichtig, hell-, stroh-, dunkelgelb

und Durchsichtigkeit

Pathologische Befunde

(je nach Konzentration)

rot durch Blut

rot nach R o t e Beete

bierbraun, brauner Schüttelschaum

gelb nach Vitamin B und einigen Ab-

durch Urobilin (Bilirubin)

führmitteln braungrün nach Bärentraubenblättertee (steht Urin länger, tritt Trübung und Flockung ein) Menge

Polyurie > 2 0 0 0 ml/24 Std.

Erwachsene 1,5—2 1/24 Std. (nach Trinkmenge) Neugeb.: 1. Tag 2 0 - 5 0 ml

Oligurie < 4 0 0 - 5 0 0 ml/24 Std.

3 . - 1 0 . Tag 1 0 0 -

< 3 0 ml/Std.

2 0 0 ml Sgl. bis 3 Monate: 2 4 0 - 4 5 0 ml

Anurie < 100 ml/24 Std. < 5 ml/Std.

Geruch

neutral, nach langem Stehenlassen

stinkend, faulig bei eitrigen oder

durch Zersetzung: stechend, nach

malignen Prozessen

Ammoniak sauer, (obstartig) bei Azidose = Ketonurie z. B. bei diabetischer Azidose pH-Wert

ca. 6,5 (zwischen 4 , 7 und 7,0)

deutlich < 4 , 7 bei Azidose und

stark eiweißreiche Kost: sauer

Zerfall körpereigenen Eiweißes

rein vegetarische Kost: alkalisch

(maligne Prozesse) > 7 häufig bei Harnwegsinfekten (Abbauprodukte von Bakterien) > 7 bei Alkalose

spezifisches

Normalwerte: 1 0 1 5 - 1 0 2 5

Gewicht

(Konzentrations- und Verdünnungsfä-

keine Konzentrationsfähigkeit (spez. Gew.