Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATT-Recht [1 ed.] 9783428517039, 9783428117031

Das WTO/GATT-Recht steht unter einem wachsenden Druck zur Marktintegration, wie die Streitigkeiten um hormonbehandeltes

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German Pages 377 [378] Year 2005

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Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATT-Recht [1 ed.]
 9783428517039, 9783428117031

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Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Band 79

Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO / GATT-Recht Von Johann Ludwig Duvigneau

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JOHANN LUDWIG DUVIGNEAU

Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO / GATT-Recht

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard Heß K r i s t i a n K ü h l , H a n s v. M a n g o l d t We r n h a r d M ö s c h e l , M a r t i n N e t t e s h e i m Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m , J o a c h i m Vog e l sämtlich in Tübingen

Band 79

Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO / GATT-Recht

Von Johann Ludwig Duvigneau

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-11703-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Um die Jahrtausendwende wurde vom WTO-Recht häufig als einer „Verfassung der internationalen Handelsbeziehungen“ gesprochen. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit hat es sich Anfang des Jahres 2001 daher zur Aufgabe gemacht, die Verfassungsansätze der WTO näher herauszuarbeiten und festzustellen, worin genau die Verfassungsqualität des WTO-Rechts liegt. Bereits in der frühen Phase wurde deutlich, dass (vom funktionalistischen Verfassungsdiskurs der achtziger und frühen neunziger Jahre vielleicht einmal abgesehen) die Benutzung des Wortes Verfassung als solche weder der Substanz des Rechts noch seiner Durchdringung viel hinzuzufügen vermag. Lädt man den Verfassungsbegriff im staatsrechtlichen Sinne normativ auf, muss man der WTO echte Verfassungsqualität absprechen. Entlädt man ihn demgegenüber, mag man der WTO zwar Verfassungsqualitäten zusprechen – erleidet dabei aber einen Verlust substanzieller Aussagekraft. Die Frage, ob die WTO eine Verfassung darstellt oder „Verfassungsansätze“ bereithält, bleibt mithin im Begrifflichen. Der Verfasser hat sich daher von der vielleicht nicht schädlichen, umgekehrt aber auch nicht sonderlich nutzbringenden Rede von der „WTO-Verfassung“ abgewendet und die zugrundeliegenden rechtlichen Strukturen der WTO untersucht. Im Rahmen der Untersuchung wurde deutlich, dass die Kernfrage des WTO-Rechts heute – Verfassung hin oder her – das Verhältnis zwischen mitgliedstaatlicher Autonomie und zwischenstaatlicher Deregulierung betrifft. In der Sache geht es vor allem darum, inwieweit ein WTO-Mitgliedstaat einem anderen WTO-Mitgliedstaat seine regulative Lösung zu einem bestimmten Problem über den Hebel der WTOStreitbeilegung aufdrängen darf. Der Verfasser beantwortet diese substanzielle Frage und entwickelt anhand der wichtigsten Vorschriften seine Sichtweise von der richtigen Ausgestaltung des WTO-Rechts. Seine Hauptthese geht dahin, dass die Streitbeilegungsorgane angesichts vermehrt deregulativ motivierter mitgliedstaatlicher Klagen so autonomieschonend wie möglich entscheiden sollten, um das WTO-System als ganzes vor der Überforderung und damit – je nach Szenario – vor dem Zusammenbruch oder sogar der Bedeutungslosigkeit zu bewahren. Die nun vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2004 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Streitbeilegungsentscheidungen und Literatur sind bis April 2004 berücksichtigt. Mein ganz besonders herzlicher Dank gilt an dieser Stelle meinem Doktorvater und Lehrer, Herrn Prof. Dr. Martin Nettesheim. Er hat mich bereits während meines Studiums an der Freien Universität in Berlin und später während meiner Mit-

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Vorwort

arbeit an seinem Lehrstuhl in Tübingen für die Anliegen von Rationalität und Stil begeistert. Sein hoher Anspruch an Wissenschaftlichkeit im juristischen Arbeiten und die Art und Weise, wie er ihn erfüllt, haben mich oft zum Nacheifern ermuntert. Bei ihm habe ich sehr viel gelernt – weit über den Rahmen der nun vorliegenden Arbeit hinaus. Besonderer Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Heinz Hauser von der Universität St. Gallen, der mir in einer Reihe von interuniversitären Dialogseminaren die politische und ökonomische Bedeutung des hier untersuchten Themas immer wieder neu vor Augen geführt hat. Durch seine kritischen Nachfragen methodischer und inhaltlicher Art hat er mich bestärkt, die eigenen Erkenntnisse gerade auch in politischer und ökonomischer Hinsicht immer wieder neu zu überdenken. Herrn Prof. Dr. Wernhard Möschel danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dankbar bin ich auch Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann für die freundliche Aufnahme der Arbeit in dieser Schriftenreihe und Herrn Prof. Dr. jur. h.c. Norbert Simon für die Aufnahme in das Verlagsprogramm. Schließlich danke ich Herrn Claus Pörksen für die kritische sprachliche Durchsicht der Arbeit sowie allen, die unmittelbar oder mittelbar zum Entstehen der Arbeit beigetragen haben. Besonders erwähnt werden soll unter den vielen anderen vor allem Frau Ami Sagir, die Tagesmutter unserer Tochter, und natürlich meine liebe Ehefrau Heike, der ich in manchen Tagen geistiger Abwesenheit oder schlechter Laune eine schier grenzenlose Geduld abverlangt habe. Dass diese Arbeit so entstehen konnte, ist nicht zuletzt auf ihre unablässige Unterstützung zurückzuführen. Danken möchte ich schließlich auch meinen Eltern, die durch ihre jahrzehntelange Unterstützung und Förderung die Grundlage dafür geschaffen haben, dass ich mich heute mit so interessanten Fragen wie den Grundlagen des WTO-Rechts vertieft beschäftigen kann. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Bonn, im September 2004

Johann Ludwig Duvigneau

Inhaltsübersicht A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung – das WTO / GATTRecht am Scheideweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Fragestellung: Soll das WTO / GATT-Recht zu einem Deregulierungshebel werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Literaturüberblick zur aufgeworfenen Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Der eigene Beitrag: Dogmatische Klärung der marktregulativen Autonomie unter dem WTO / GATT-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts: Wettbewerbsgleichheit und Deregulierung als konzeptionell unterschiedliche Hindernisse mitgliedstaatlich-marktregulativer Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Begriffliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis . . . . . .

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C. Marktregulative Autonomie der Mitgliedstaaten unter dem materiellen WTO / GATT-Recht: Antiprotektionismus zwischen bloßer Sicherung der Wettbewerbsgleichheit und echter Deregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Mitgliedstaatliche Marktregulation, Wettbewerbsgleichheit und Autonomieschutz unter dem GATT: Keine Marktintegration, sondern bloße Handelsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Mitgliedstaatliche Marktregulation, Deregulierung und Autonomieschutz unter den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse (TBT / SPS): Marktintegratives Potenzial statt bloßer Handelsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 III. Zwischenbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 D. Zustand „relativer Verdichtung“ der WTO-Streitbeilegung: Wettbewerbsgleichheit und Deregulierung im Geflecht voranschreitender Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 I. Ansätze institutioneller Verfestigung in der WTO-Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . 270

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Inhaltsübersicht II. Fortbestehen handelsdiplomatischer Elemente im WTO-Streitbeilegungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 III. Würdigung: Zustand „relativer Verdichtung“ durch begrenzte Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

E. Konsequenzen für die Zukunft: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts zwischen bloßer Handelsliberalisierung und zwischenstaatlicher Deregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 I. Funktionale Überlegungen: Die Verwurzelung der WTO-Streitbeilegung in der Diplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 II. Normativ-praktische Überlegungen zur „richtigen Reaktion“ der Streitbeilegungsorgane: Autonomiefreundlichkeit als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 III. Ausblick und konkrete Empfehlungen für die bevorstehende Entscheidung im Biotechnologiefall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 F. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Verzeichnis zitierter Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Verzeichnis zitierter Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung – das WTO / GATTRecht am Scheideweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Fragestellung: Soll das WTO / GATT-Recht zu einem Deregulierungshebel werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Literaturüberblick zur aufgeworfenen Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Der eigene Beitrag: Dogmatische Klärung der marktregulativen Autonomie unter dem WTO / GATT-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Zielsetzung des Beitrags: Dogmatische Klärung der Grenzen des Art. III GATT, der Bedeutung der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse angesichts dieser Grenzen und des normativen Leitbildes zur richtigen Entscheidung im Rahmen dieser Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Gang des Beitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts: Wettbewerbsgleichheit und Deregulierung als konzeptionell unterschiedliche Hindernisse mitgliedstaatlich-marktregulativer Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Begriffliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis . . . . . .

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1. Wettbewerbsgleichheit als WTO / GATT-rechtliches Autonomiehindernis: Das klassische Konzept der Handelsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Deregulierung als WTO / GATT-rechtliches Autonomiehindernis: Das Konzept der Marktintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Marktregulative Autonomie der Mitgliedstaaten unter dem materiellen WTO / GATT-Recht: Antiprotektionismus zwischen bloßer Sicherung der Wettbewerbsgleichheit und echter Deregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Mitgliedstaatliche Marktregulation, Wettbewerbsgleichheit und Autonomieschutz unter dem GATT: Keine Marktintegration, sondern bloße Handelsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Überblick und Bestandsaufnahme: Art. III GATT in der Streitbeilegungspraxis und in der literarischen Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Allgemeine Einführung in die Verbotsvorschriften des Art. III GATT: Wortlaut, Struktur, Zusammenhang und Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Die Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Auslegung der Verbotstatbestände im Lichte des Art. III Abs. 1 GATT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Antiprotektionistische „Entladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals: Markt statt Politikkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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cc) Konkretisierung der antiprotektionistischen „Aufladung“ im jeweils behandlungsbezogenen Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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dd) Der Sonderfall der sogenannten poduct / process-Doktrin . . . . . . . . . .

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c) Die literarische Kritik an der Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Die Kritik zwischen der Forderung nach Autonomieschutz und der Forderung nach einer Effizienzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Forderung nach einem aims and effects-Test . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Vorwurf der Marktintegration durch die Anwendung der product / process-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Forderung nach einem Effizienztest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82 82 84 85

bb) Das Bedürfnis nach einer Rationalisierung der Entscheidungstätigkeit der Streitbeilegungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Analyse: Der auf klassische Handelsliberalisierung (Wettbewerbsgleichheit) begrenzte Ansatz der Streitbeilegungspraxis unter Art. III GATT . . . . . . . . . . .

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a) Die Zielstruktur des Art. III GATT: Wettbewerbsgleichheit und Autonomieschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

b) Die Zielstrukturadäquanz in der jüngsten Streitbeilegungspraxis: Das qualitative Merkmal der Erfüllbarkeit als dogmatischer Kern des Asbestdiktums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Schritt 1: Wertende, aber dennoch marktbezogene Prüfung des warenbezogenen Merkmals in der Asbestberufungsentscheidung: Bedeutung für das behandlungsbezogene Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (1) Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Marktprozess und politischer Zielvorstellung in ihrer Bedeutung für die regulative Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (2) Der Grad der Internalisierung als Faktor für die Anerkennung von Schutzgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Schritt 2: Die zentrale Bedeutung des behandlungsbezogenen Merkmals in den Tatbeständen des Art. III GATT: Sperre gegen marktintegratives Entscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Schritt 3: Die Auslegung des behandlungsbezogenen Merkmals durch die Asbestentscheidung des Berufungsgremiums: Qualitative Auslegung und das Merkmal der Erfüllbarkeit mitgliedstaatlicher Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Inhaltsverzeichnis

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(1) Literarische Versuche der Konkretisierung des Diktums des Berufungsgremiums zum gruppenweisen Vergleich: Bloße Quantifizierung durch Analyse der Zahl der jeweils betroffenen Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (2) Die zielstrukturadäquate Ausgestaltung des behandlungbezogenen Merkmals: Qualitative Ungleichbehandlung als Vorgabe des Art. III GATT und das Kriterium der Erfüllbarkeit . . . . . . . . . 118 c) Die Zielstrukturadäquanz der Streitbeilegung bis zum Asbestfall: Funktional kohärenter Ansatz handelsliberalisierenden Entscheidens unter Art. III GATT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Die Verwirklichung der qualitativen Vorgabe der Erfüllbarkeit in bisher entschiedenen Streitbeilegungsverfahren: Die Zielstrukturadäquanz der Streitbeilegungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (1) Funktionsadäquate Sicherung der Wettbewerbsgleichheit: Die positive Feststellung der GATT-Widrigkeit protektionistisch diskriminierender Maßnahmen durch die Streitbeilegungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (a) Positive Feststellung der GATT-Widrigkeit von Maßnahmen, die nach den normativen Vorgaben der Maßnahme von ausländischen Waren un- oder schlechter erfüllbar sind 127 (aa) Positive Feststellung der GATT-Widrigkeit über den Weg der sogenannten product / process-Doktrin . . . . . . 128 (bb) Positive Feststellung der GATT-Widrigkeit auf sonstigem Wege: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Positive Feststellung der GATT-Widrigkeit von Maßnahmen, die nach den faktischen Verhältnissen von ausländischen Waren un- oder schlechter erfüllbar sind . . . . . . . . . . (2) Funktionsadäquate Sicherung des Autonomieschutzes: Keine positive Feststellung der GATT-Widrigkeit sonstiger (d. h. nicht diskriminierender) protektionistischer Maßnahmen durch die Streitbeilegungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Frühe Verfahren unter dem GATT 1947 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das Hormonverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Das Asbestverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Die Zuweisung der marktintegrativen Sperrwirkung an das behandlungsbezogene Element in allen Verbotstatbeständen: Das Konzept der funktionalen Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Überprüfung: Der hier herausgearbeitete Ansatz der Streitbeilegungsorgane im Lichte der literarischen Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Die hier vorgetragene Analyse im Lichte des Vorschlags einer Zweckprüfung (aims and effects-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Kritik an Robert E. Hudecs Requiem für einen aims and effectsTest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Kritik an Donald H. Regans Requiem für einen aims and effectsTest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

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Inhaltsverzeichnis (1) Die Behauptung der Willkür deskriptiver Anknüpfungen bei der Konkretisierung des Merkmals, nach dem die Gleichartigkeit von Waren geprüft wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (2) Die Behauptung einer strukturellen Ähnlichkeit individueller Tauschzwecke und überindividueller Gesetzeszwecke . . . . . . . . . 217 cc) Zur auch im Ergebnis fehlenden Zielstrukturadäquanz eines aims and effects-Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 dd) Zusammenfassung zum aims and effects-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Die hier vorgetragene Analyse im Lichte des Vorschlags einer Effizienzprüfung (integrated necessity-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 c) Die hier vorgetragene Analyse im Lichte der Kritik an der sogenannten product / process-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4. Zwischenergebnis: Trotz aller Kritik echte Begrenzung des Art. III GATT auf das Feld der klassischen Handelsliberalisierung! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 II. Mitgliedstaatliche Marktregulation, Deregulierung und Autonomieschutz unter den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse (TBT / SPS): Marktintegratives Potenzial statt bloßer Handelsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Vom GATT zu den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse: Marktintegration unter dem WTO / GATT-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Konzeptionelle Unterschiede zwischen den Beschränkungsverboten der TBT- und SPS-Abkommen einerseits und den Diskriminierungsverboten des Art. III GATT andererseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Potenzielle Ergebnisunterschiede zwischen den Beschränkungsverboten der TBT- und SPS-Abkommen einerseits und den Diskriminierungsverboten des Art. III GATT andererseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4. Dogmatische Leitlinien zum TBT und SPS: Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Die „einfachen“ Beschränkungsverbote im TBT und im SPS: Dogmatische Vorgaben zur Rechtfertigbarkeit von Handelsbeschränkungen . . . . . 251 b) Die Beschränkungsverbote im TBT und im SPS mit „normativer Anknüpfung“: Dogmatische Vorgaben zur Rechtfertigbarkeit der Abweichung von internationaler Normung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 5. Prozedurale und strategische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Zwischenbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

D. Zustand „relativer Verdichtung“ der WTO-Streitbeilegung: Wettbewerbsgleichheit und Deregulierung im Geflecht voranschreitender Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 I. Ansätze institutioneller Verfestigung in der WTO-Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . 270

Inhaltsverzeichnis

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II. Fortbestehen handelsdiplomatischer Elemente im WTO-Streitbeilegungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Das Fehlen unmittelbarer Wirkungen am Beispiel der Europäischen Union . 280 2. Die „Aussetzung von Zugeständnissen“ als schwache Durchsetzungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 3. Fehlen multilateral monopolisierter Zwangsgewalt – Bilateralität der Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 4. Kompensation als Durchsetzungsmaßnahme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 III. Würdigung: Zustand „relativer Verdichtung“ durch begrenzte Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 E. Konsequenzen für die Zukunft: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts zwischen bloßer Handelsliberalisierung und zwischenstaatlicher Deregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 I. Funktionale Überlegungen: Die Verwurzelung der WTO-Streitbeilegung in der Diplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 II. Normativ-praktische Überlegungen zur „richtigen Reaktion“ der Streitbeilegungsorgane: Autonomiefreundlichkeit als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Das Mit- und das Gegeneinander von In- und Outputlegitimation in der substanziellen Abwägung zwischen Autonomieschutz und der Freiheit des Handels von mitgliedstaatlichen Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2. Keine Berücksichtigung der Interessen einer kosmopolitischen „Zivilgesellschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 3. Gesamtbetrachtung der mitgliedstaatlichen Interessenstruktur – Autonomiefreundlichkeit als normativ-praktisches Leitbild interessegeleiteten Entscheidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Ausblick und konkrete Empfehlungen für die bevorstehende Entscheidung im Biotechnologiefall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 F. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Verzeichnis zitierter Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Verzeichnis zitierter Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung – das WTO / GATT-Recht am Scheideweg I. Fragestellung: Soll das WTO / GATT-Recht zu einem Deregulierungshebel werden? Soll das WTO / GATT-Recht1 zu einem Deregulierungshebel werden? Die Frage hat allerhöchste Aktualität. Denn zunehmend wird vor dem WTO-Streitbeilegungsmechanismus nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung, sondern offen und aktiv auch unter jenem der Deregulierung geklagt. Mitte Mai 2003 etwa haben die USA, Kanada und Argentinien eine eindeutig deregulativ motivierte Klage gegen die Europäische Union wegen der Behandlung sogenannter genmanipulierter Lebensmittel bei der WTO eingereicht. Die angegriffenen Maßnahmen unterwerfen genmanipulierte Lebensmittel Genehmigungs-, Kennzeichnungs- und sogenannten Rückverfolgbarkeitspflichten, ohne hierbei zwischen importierten und unionalen Waren zu unterscheiden.2 Der klägerische Vorwurf geht 1 Mit dem Begriff WTO / GATT-Recht wird entsprechend der allgemeinen Übung im Folgenden das Recht der Welthandelsorganisation (WTO) über die Warenmärkte bezeichnet, wie es sich aus dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994) sowie seinen Seitenabkommen in Anhang 1 A zum Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation ergibt. Überblicke und Einführungen zur WTO etwa bei Senti, Richard, WTO – System und Funktionsweise der Welthandelsordnung, Zürich, Wien 2000; Matsushita. Mitsuo, Thomas J Schoenbaum und Petros C. Mavroidis, The World Trade Organization, Oxford: Oxford University Press, 2003; Hoekman, Bernard M. und Michael M. Kostecki, The Political Economy of the World Trading System, 2. Aufl. Oxford 2001; Trebilcock, Michal J. und Robert Howse, The Regulation of International Trade, 2. Aufl. London, 1999; Carr, Indira, International Trade Law, London: Cavendish Publishing, 2002; Linarelli, John, International Economic Law, London: Butterworths Tolley, 2002; Weiß, Wolfgang und Christoph Herrman, Welthandelsrecht, München: Beck, 2003; Beise, Marc, Die Welthandelsorganisation (WTO), Baden-Baden: Nomos, 2001; Stoll, Peter-Tobias und Frank Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht, Köln u. a.: Heymann, 2002; Flory, Thiebaut, L’organisation mondiale du Commerce, Bruxelles, 1997; Jackson, John H., The World Trading System. Law and Policy of International Economic Relations, Cambridge: Cambridge University Press, 2. Aufl. 1997; Lowenfeld, Andreas F., International Economic Law, Oxford 2001, S. 21 ff.; Sanviti, Giuseppe und Claudia Marcolungo, I principi fondamentali del WTO, 53 Rivista trimestrale di diritto pubblico, 2003, S. 749; Petersmann, Ernst-Ulrich (Hrsg.), Transatlantic economic disputes: the EU, the US, and the WTO, Oxford u. a.: Oxford Univ. Press, 2003. 2 Richtlinie 2001 / 18 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90 / 220 / EWG des Rates, ABl. 2001 L 106 vom 17. April 2001, S. 1. Diese Maßnahme wurde kürzlich durch ein demnächst in Kraft tretendes Gesetzespaket

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

vor allem dahin, dass die Zulassungspraxis rigide sei und bislang insbesondere kein einziges der beantragten genbehandelten Lebensmittel von den zuständigen Stellen für den Markt freigegeben worden sei, so dass faktisch ein umfassendes Verbot („Moratorium“) genmanipulierter Lebensmittel bestehe.3 Die Klage gegen das unionale „Moratorium“ ist nicht die erste ihrer Art. Bereits zuvor wurde die WTO mit Klagen befasst, die eine mitgliedstaatliche Regulation selbst betrafen, nicht ihren gegebenenfalls diskriminierenden Charakter. Eine eindeutig deregulative Motivation lag etwa dem bekannten Streitverfahren gegen das unionale Importverbot für Rindfleisch von Tieren zugrunde, die vor ihrer Schlachtung hormonbehandelt worden sind.4 Aber auch der transatlantische Streit um die Regelung der französischen Republik, mit der diese den Import, die Herstellung, den Verkauf und die Weiterverarbeitung von Asbest umfassend verboten hatte, hat eindeutig deregulative Elemente.5 Mit derartigen Streitfällen ist die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Werteordnungen konkret bedroht. Denn die in ihnen aufgeworfenen Fragen betreffen ihrer Natur nach nicht nur den Bereich des mitgliedstaatlichen Außenhandels, sondern vor allem denjenigen der substanziell-marktregulativen Autonomie der Mitgliedstaaten selbst. Insbesondere geht es darum, ob ein Mitgliedstaat seine mitgliedstaatlichen Märkte auch künftig noch nach eigenen Präferenzen regeln kann oder ob er sich von außen vorschreiben lassen muss, wie seine mitgliedstaatlichen Regelungen in ihrer Substanz im Einzelnen auszusehen haben. Bedeutsam ist dies vor allem deshalb, weil die politischen Ziele, die mit innerstaatlicher Regulation erreicht werden sollen, oft (jedenfalls auch) Ausdruck von mitgliedstaatlichen Interessen in vollkommen „handelsfernen“ Politikfeldern sind. Wenn die Union wegen der (gegebenenfalls sogar völlig unrationalen) Ängste ihrer Unionsbürger den zulässigen Hormongehalt von Fleisch durch autonome Regulation auf ein Minimum oder sogar auf Null reduziert, so geschieht dies nicht allein wegen, sondern allenfalls parallel zu (wenn oft auch falsch verstandenen) außenwirtschaftlichen Interessen der eigenen Bevölkerung. ergänzt, das insbesondere die bisher nur teilweise bestehenden Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitspflichten zu einem kompletten Gesamtsystem vereinigt, vgl. die Pressemitteilung IP / 03 / 1056 vom 22. Juli 2003, im Internet zu finden unter http: //europa.eu.int/ rapid/start/cgi/guesten.ksh?p_action.gettxt=gt&doc=IP/03/1056|0|AGED&lg=DE&display= (Seitenaufruf vom 22. Oktober 2003). Eine ˇberaus nˇtzliche Zusammenfassung des gegenwírtigen Regimes und der geplanten Änderungen wurde vom Institute of International Economic Law (IIEL) der Georgetown University in Washington DC zur Verfˇgung gestellt, vgl. im Internet http: //www.law.georgetown.edu/iiel/current/gmos/index.html (Seitenaufruf vom 22. Oktober 2003). 3 European Communities – Measures affecting the approval and marketing of biotech products, WT / DS291, 292 und 293. 4 European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT / DS26 und 48. Einzelheiten unten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b). 5 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, WT / DS135. Einzelheiten unten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b).

I. Fragestellung

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Es lässt sich nicht verhehlen, dass Maßnahmen, die in dieser Weise auf mitgliedstaatliche Interessen in „handelsfernen“ Politikbereichen wie dem Umwelt- oder Gesundheitsschutz zurückgehen, oft notwendig protektionistische Wirkungen zeitigen. Derartige Kopplungen zwischen nicht-protektionistischen Politikzielen und protektionistischen Wirkungen einer Maßnahme entstehen in der Regel dann, wenn auch im Wege vollständig gleichbehandelnder Regelungen die angestrebten legitimen Politikziele (etwa des Umweltschutzes oder der Sozialpolitik) nicht erreicht werden können, ohne zugleich die protektionistischen Wirkungen sozusagen „mit“ zu erzielen. Der Schutz der einheimischen Industrie wird sozusagen mit erreicht, ist dies von der die Entscheidung tragenden Mehrheit im Mitgliedstaat nun bezweckt oder nicht bezweckt.6 Die Koppelung ist sachlich derartig eng, dass bei 6 Manche Welthandelsrechtsexperten schlagen unter Vermeidung des Begriffs der „protektionistischen Wirkung“ demgegenüber eine Unterscheidung zwischen Handelsbeschränkungen bzw. Handelsbeeinträchtigungen einerseits („objektive Behinderungswirkung“) und protektionistischen Maßnahmen andererseits („subjektive Behinderungsabsicht“) vor. Diese Trennlinie, die ihre Wurzeln in einer verengenden Auffassung des Protektionismusbegriffs findet, trägt hier nicht. Der Unterschied zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ lässt sich – ungeachtet aller sonstigen begrifflichen und erkenntnistheoretischen Probleme – in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht fruchtbar machen, weil in dem hier problematisierten Typ von Maßnahmen, wie im folgenden Text unmittelbar deutlich wird, protektionistische und nicht-protektionistische Zwecke nebeneinander stehen oder jedenfalls nebeneinander stehen können (übrigens ohne dass dieses Nebeneinander in dem Text der Maßnahme unmittelbar zum Ausdruck kommen müsste). Protektionistische Zwecke müssen einer handelsbeschränkenden oder handelsbehindernden Maßnahme zwar nicht notwendig zugrundeliegen. Sie sind aber auch nicht auszuschließen. Dies gilt insbesondere dann, wenn, wie im Regelfall, die behindernde Maßnahme (jedenfalls auch) schützende Wirkung hat (schützende Wirkung hat eine handelsbehindernde Maßnahme regelmäßig schon deshalb, weil schon die bloße Behinderung des Handels irgendeine innerstaatliche Industrie von der andernfalls bestehenden oder stärker bestehenden ausländischen Konkurrenz befreit). Dieser Zusammenhang macht unmittelbar deutlich, dass die „subjektive Einhegung“ des Begriffs des Protektionismus hier nicht weiterführen kann. Die Frage ist ja gerade erst, wie aus Sicht des WTO / GATT-Rechts mit derartigen „auch schützenden“ Maßnahmen umzugehen ist. Spricht man ihnen ihren protektionistischen Charakter von vorneherein ab, sind sie schon gar nicht mehr im Anwendungsbereich jedenfalls des alten GATT-Rechts. Die Folge ist, dass derartige Maßnahmen schon aus begrifflichen, nicht erst aus dogmatischen Gründen GATT-mäßig sind. Dies ist im Ergebnis vielleicht nicht falsch, wohl aber in der Begründung, und zwar in begrifflicher wie auch in dogmatischer Hinsicht. Begrifflich ist ein derartiger Sprachgebrauch schon deshalb falsch, weil er die (jedenfalls auch) schützenden Wirkungen einer derartigen Maßnahme, soweit sie bestehen, ohne nähere Begründung vernachlässigt, umgekehrt aber nichts an ihrer Existenz zu ändern vermag: Man mag behindernde Wirkungen auch noch so sehr von „protektionistischen“ (d. h. absichtlich schützenden?) Maßnahmen trennen wollen – ihre schützenden Wirkungen wie etwa im Hormonfleischfall wird man nicht hinwegreden können. Dogmatisch falsch ist ein derartig differenzierender Sprachgebrauch vor allem deshalb, weil er gerade dasjenige Problem, das es herauszuarbeiten und zu lösen gilt, semantisch verschleiert und gewissermaßen „hinwegdefiniert“. Er verschleiert nämlich die unter dem WTO / GATT-Recht dogmatisch zu klärende Frage, ob handelsbehindernde Maßnahmen wegen ihrer schützenden Wirkung als WTO / GATT-widrig einzuschätzen sind, oder ob sie trotz der schützenden Wirkung wegen ihrer (auch) bestehenden legitimen weiteren Zwecke nicht WTO / GATT-widrig sein sollen. Man kann diese Frage nicht begrifflich klären, sondern nur dogmatisch und theo-

2 Duvigneau

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

Kappung der protektionistischen Wirkungen das an sich legitime Ziel nicht mehr sinnvoll erreicht werden kann. Allein um der Erreichung des gewünschten außenhandelsfremden Ziels willen – in der Regel des Schutzes eines bestimmten Rechtsguts, etwa der Interessen der Verbraucher – muss ein Mitgliedstaat daher gegebenenfalls Maßnahmen einführen und aufrechterhalten, die den Import oder Konsum der von ihm unerwünschten Waren verhindern.7 Im genannten Hormonfall wird die kaum auflösbare Kopplung nicht-protektionistischer Zwecke und protektionistischer Wirkungen unmittelbar deutlich. Ein Verbot hormonbehandelten Fleisches führt nämlich nicht nur dazu, dass Verbraucher Fleisch kaufen, das nicht hormonbehandelt ist, sondern auch dazu, dass ausländisches Fleisch vom Markt ferngehalten wird, soweit es im Ausland erlaubterweiser unter Hormonbehandlung hergestellt worden ist. In derartigen Fällen regulativer Diversität geht der Schutz der Konsumenten vor „Hormonfleisch“ (Gesundheitsschutz) notwendig einher mit dem Schutz der heimischen Fleischindustrie vor Importen von „Hormonfleisch“ aus dem Ausland. Will man letztere Folge vermeiden, kann man das nicht-protektionistische Ziel der Maßnahme (Gesundheitsschutz) nicht mehr sinnvoll erreichen. Ähnlich liegt es mit den genannten normativ wie faktisch völlig gleichbehandelnden Verboten asbesthaltiger Baustoffe oder genmanipulierter Lebensmittel. Solche Verbote führen nicht lediglich dazu, dass gegebenenfalls bestehende Gesundheitsgefährdungen vermieden werden, sondern retisch. Die Notwendigkeit der dogmatischen Klärung zeigt sich nicht zuletzt in der Unzulänglichkeit der wissenschaftlichen Diskussion, deren Wurzel jedenfalls zum Teil gerade in diesem überkommenen Sprachgebrauch zu finden ist. Wer sich hier sprachlich ohne Not verengt, wird gedanklich straucheln und dem Problem des Nebeneinanders von protektionistischen Wirkungen (und Zwecken) einerseits und nichtprotektionistischen Zwecken andererseits in einer Maßnahme nicht näher kommen. Dies ist um so bedauerlicher, als protektionistische Interessengruppen heutzutage nach „objektiven Behinderungswirkungen“ geradezu suchen, um darin ihre protektionistischen Zwecke zu verwirklichen, wie im Folgenden näher verdeutlicht wird. Haben sie damit in einer mitgliedstaatlichen Maßnahme Erfolg (und sei es, weil ihnen ganz andere – nicht-protektionistische – Interessengruppen zufällig in die Hände spielen), gibt es keinen Grund, dies nicht mit dem Begriff „protektionistisch“ zu belegen. 7 In der angloamerikanischen Rechtswissenschaft wird diese enge Verknüpfung von internationalem Handel und außenhandelsferner Regulation im Bild sogenannter „Handel und . . . “ -Problemlagen diskutiert („trade and . . . -problems“). Von manchen Autoren wird – aus Sicht des Verfassers zurecht – die Haltung vertreten, dass mit zunehmendem Außenhandel potentiell (fast) alle Problemlagen mitgliedstaatlicher Regulierung in der einen oder anderen Weise mit Fragen des grenzüberschreitenden Handels in Berührung geraten können und daher potentiell alle innerstaatlichen Regulierungen „Handel und . . . “ -Gemengelagen aufwerfen, vgl. etwa Howse, Robert, From Politics to Technocracy-and Back Again: The Fate of the Multilateral Trading Regime, 96 AJIL 2002, S. 94, 108: „All Trade is „Trade and . . . , . . . ‘; in diese Richtung, jedoch etwas schwächer, auch Leebron, David W., Linkages, 96, AJIL 2002, S. 5: „The ,trade and . . . ‘ industry is booming“; kritisch zu der Rede von „trade and . . . “ -Problems aus Gründen methodischer Stringenz Bhagwati, Jadish, Afterword: The Question of Linkage, 96 AJIL 2002, S. 126, 127. In ökonomischer Analyse vertiefend etwa Trachtman, Joel P., Trade and . . . Problems, Cost-Benefit Analysis and Subsidiarity, Jean Monnet Working Paper 1 / 97, im Internet auf http: / / www.jeanmonnetprogram.org / papers / 97 / 97 – 01.html.

I. Fragestellung

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auch dazu, dass eigene Industrien, etwa die heimische PVC- und Zementindustrie oder die heimische Lebensmittelindustrie, vor bestimmten mit ihnen konkurrierenden Industrien aus dem Ausland geschützt werden.8 Selbst wenn die Mitgliedstaaten sich bemühen, die Maßnahme in nicht-diskriminierender Weise GATT-rechtmäßig auszugestalten, sind die protektionistischen Wirkungen daher oft nicht abweisbar. Sie entstehen zwar nicht im Rahmen einer regulativen (normativen oder faktischen) Ungleichbehandlung ausländischer Waren gegenüber gleichartigen inländischen Waren, wohl aber im Rahmen regulativer Gleichbehandlung. Aus Sicht protektionistischer Interessengruppen ist diese enge Verkopplung protektionistischer Wirkungen und nicht-protektionistischer Zwecke in gleichbehandelnden mitgliedstaatlichen Maßnahmen zu begrüßen. Denn sie können derartige Schutzwirkungen normativ wie faktisch gleichbehandelnder Regelungen für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren, indem sie die Hebelwirkung des nicht-protektionistischen Ziels für sich nutzen und sich zugleich hinter ihr verstecken. Protektionistische Sonderinteressengruppen favorisieren daher mittlerweile nicht mehr nur die Schaffung diskriminierender Regeln. Sie favorisieren vor allem auch die Schaffung nicht-diskriminierender Regulation, die ihre protektionistischen Gehalte nicht durch Diskriminierung, sondern durch die Substanz der Regeln selbst entfalten. Der sich dahinter verbergende Gedankengang geht dahin, dass eine Regelung – wenn sie denn schon freiheitsbeschränkend sein muss – doch wenigstens so ausgestaltet werden soll, dass sie zugleich vor ausländischen Importen schützt. Gesundheitsschützer und heimische Industrie ziehen damit – sozusagen im Rahmen „friedlicher Koexistenz“ – an ein- und demselben politischen Strang, ohne dass die eine Interessengruppe die substanziellen Interessen der jeweils anderen im engeren Sinne teilen würde. Umweltminister und Landwirtschaftsminister sind daher zu einem guten Teil heute – ob sie es wollen oder nicht – immer auch Außenwirtschaftsminister. Die Parallelisierung und Instrumentalisierung allgemeiner verbraucher-, umwelt- oder sozialpolitischer Ziele durch protektionistische Interessengruppen ist eine der großen, wenn nicht die größte legitimatorische Herausforderung, vor der die WTO gegenwärtig steht. Denn die Parallelität protektionistischer Wirkungen mit nicht-protektionistischen Zielsetzungen bringt es mit sich, dass eine Vielzahl verbraucher-, sozial- oder umweltpolitischer Ziele gar nicht mehr erreicht werden können, ohne faktisch (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) bestimmte protektionisti8 Ein ganz anderer Umstand ist freilich, dass derartige Regelungen auch für die heimische Industrie im Mitgliedstaat selbst das Maß wirtschaftlicher Freiheit verringern. So etwa verbietet die unionale Hormonregelung die Gabe von Hormonen naturgemäß nicht nur für ausländisches Fleisch, sondern auch für heimisches Fleisch. Deshalb ist es denkbar und durchaus rational, dass die geschützten Interessensträger derartige Regelungen zugleich begrüßen (wegen ihrer protektionistischen Wirkung) und ablehnen (wegen ihrer die eigene Freiheit beschränkenden Wirkung). Die Beschränkung der eigenen Freiheit hat ihrerseits mit Handelsinteressen zu tun, etwa mit Exportinteressen. Dennoch soll sie im Folgenden vernachlässigt werden, weil es vorliegend allein um die Autonomiebeschränkung zur Verhinderung von Importbeschränkungen geht.

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

sche Wirkungen notwendig mitzuerzielen. Diese sachlich enge Verknüpfung allgemeiner Politikfelder mit dem Feld der Außenwirtschaftspolitik macht die WTO zu einer notwendig „breitenpolitischen“ Organisation: Entscheidet sie stattgebend über die WTO / GATT-rechtliche Zulässigkeit der protektionistischen Gehalte eines Hormon- oder Genmanipulationsverbotes, so bringt sie den Staat, über dessen Maßnahme sie entscheidet, in eine echte Zwangslage. Denn mit der Feststellung der protektionistischen Wirkung einer unterschiedslos wirkenden Maßnahme kassiert sie nicht nur den spezifisch protektionistischen Gehalt der Maßnahme, sondern im Zweifel auch die Substanz der – meist demokratisch getragenen – Maßnahme selbst. Im Ergebnis muss ein unterliegender Staat dann zwischen den Kosten und dem Nutzen einer demokratisch getragenen Entscheidung einerseits und den Kosten und dem Nutzen der Umsetzung der internationalen Streitbeilegungsentscheidung abwägen. Damit ist die WTO in einer politisch außerordentlich schwierigen Situation. Entscheidet sie gegenüber nicht-diskriminierenden Maßnahmen nach einem strengen Maßstab, greift sie tief in die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten ein und provoziert damit geradezu ein Szenario der Nichtbeachtung.9 Entscheidet sie demgegenüber nach einem weniger strengen Maßstab, schont sie zwar die regulative Autonomie des angegriffenen Staates, wird aber gegebenenfalls dem Effizienzverlangen des klägerischen Staates nicht gerecht. Beide Szenarien bergen erhebliche Sprengkraft unter dem Gesichtspunkt der Legitimation in sich: An dem einen Ende möglicher Entscheidungen wird die Akzeptanz der WTO schwinden, weil sie den Mitgliedstaaten bei deren demokratisch getragener Entscheidungsfindung im Wege steht. Am anderen Ende möglicher Entscheidungen wird die Akzeptanz der WTO schwinden, weil sie sich dem Vorwurf der Ineffizienz bei der Bekämpfung mitgliedstaatlichen Protektionismus aussetzt. Wie immer sich die WTO in diesen Entscheidungssituationen im Einzelnen verhält: Es wird – anders als gegenüber diskriminierenden Maßnahmen – keine Lösung geben, die sowohl dem Auto9 Im Hormonfall zeigt sich dieses Szenario in aller Deutlichkeit, hat doch die Union ihre Maßnahmen bis heute trotz des Durchlaufens aller Verfahrensstufen nicht aufgehoben; vgl. zuletzt den Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 12 / 2003 vom 20. Februar 2003, vom Rat festgelegt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96 / 22 / EG des Rates über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostatischer Wirkung und von Agonisten in der tierischen Erzeugung, der in seinem 10. Erwägungsgrund vorsieht, dass das Verbot der Verabreichung von Oestradiol-17-beta gemäß der Richtlinie 96 / 22 / EG dauerhaft und das Verbot der übrigen fünf Hormone (Testosteron, Progesteron, Trenbolonacetat, Zeranol und Melengestrolacetat) bis zur Erhellung des Kenntnisstandes über diese Stoffe vorläufig beibehalten werden muss. Der Gemeinsame Standpunkt ist laut der Prelex-Datenbank im März 2003 beim Europäischen Parlament eingegangen. Bilaterale und multilaterale Perspektive werden in ihrem strategischen Mit- und Gegeneinander von EU und USA sehr schön deutlich bei Hamilton, Rhea P., The beef hormone dispute and carousel sanctions: A Roundabout Way Of Forcing Compliance With World Trade Organization Decisions, 27 Brooklyn journal of international law 2002, S. 543.

I. Fragestellung

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nomieschutz als auch dem Antiprotektionismus vollständig genüge tut. Vielmehr wird es immer Kritiker aus der einen oder anderen Richtung geben, die die WTO (aus ihrer Sicht völlig zu Recht) angreifen werden. Die Gratwanderung verläuft hier also – anders als gegenüber diskriminierenden Maßnahmen – ganz offenbar nicht zwischen der Erreichung oder Nichterreichung von Autonomieschutz und Antiprotektionismus, sondern zwischen Autonomieschutz und Antiprotektionismus selbst. In der Sache handelt es sich um einem politischen Abwägungsprozess, zu dessen Vornahme ein Organ typischerweise die ihm zugewiesene legitime Kompetenz haben muss. Thomas Cottier und Petros C. Mavroidis machen dies unmittelbar deutlich, wenn sie etwa schreiben: „[I]t is one thing to judge whether antidumping duties have been legally or not so imposed; it is an entire different game to judge whether a decision to ban a product for health reasons is legitimate or not in the presence of conflicting scientific evidence.“10

Es ist ein ironischer Zug der Geschichte, dass die Herausforderungen, vor die die WTO damit gegenwärtig gestellt ist, ausgerechnet durch den Erfolg der Organisation selbst herbeigeführt worden ist. Denn die entstandene Spannungslage ist – jedenfalls zu weiten Teilen – Ergebnis der unbestreitbar erfolgreichen Handelsliberalisierung, die das Vertragsgeflecht seit den frühen Zeiten des alten GATT 1947 erzielt hat. Die hier angesprochenen Probleme entstehen nicht bei geschlossen Grenzen. Sie entstehen typischerweise vielmehr dann, wenn unterschiedliche Hoheitsträger bei hoher Durchlässigkeit ihrer Grenzen und damit einem hohen Maß an Interdependenz und regulativem Wettbewerb unterschiedliche Regelungskonzeptionen für ein und dieselbe Problemlage entwickeln. Die dadurch entstehende regulative Diversität selbst kann dann zum handelsfördernden oder – je nach Lage der Dinge – handelsbeschränkenden Element werden. Es steht dann die eine regulative Lösung gegen die andere regulative Lösung. In diesem Gegeneinander regulativer Gesamtlösungen muss die WTO einen Weg zur richtigen Entscheidung finden, da sich die wichtigsten Mitgliedstaaten andernfalls aus dem multilateralen Vertragswerk zurückziehen. Das Damoklesschwert des Bilateralismus macht die Notwendigkeit zu richtigem Entscheiden in dramatischer Weise deutlich: Die WTO kann es sich heute nicht leisten, in ihrer Begründung „an den Fällen vorbei“ zu entscheiden. Sie muss vielmehr darauf achten, in ihren Entscheidungen ein Höchstmaß an Überzeugungskraft gegenüber allen beteiligten Seiten zu entwickeln. Bisher fehlt ihren Entscheidungen aber dieses hohe Maß an Überzeugungskraft. Die WTO hat zwar dogmatisch weitgehend „richtige“, d. h. der Zielstruktur der zugrundeliegenden Vorschriften entsprechende Ergebnisse erzielt. Es fehlt aber fast immer an der hierfür richtigen Begründung. Statt der Herausforderung offen ins Auge zu sehen, versuchen die Streitbeilegungs10 Cottier, Thomas und Petros C. Mavroidis, Regulatory Barriers and the Principle of NonDiscrimination in WTO Law: An Overview, in: Dies (Hrsg.), Regulatory Barriers and the Principle of Non-Discrimination in World Trade Law, Ann Arbor, Univ. of Michigan Press, 1999, S. 3, 5.

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

organe, wie etwa im Asbestfall, dem Problem aus dem Weg zu gehen, und verbiegen oder verkomplizieren dabei die an sich recht einfachen Vorschriften erheblich (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(c) unten). Wo sie dem Problem in dieser Weise nicht entkommen können, versuchen sie sich, wie etwa im Hormonfall, mithilfe von dogmatisch schwachen Zweckerwägungen zu behelfen (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b) unten). Es ist kein Wunder, dass derartige Begründungen die so dringend nötige Legitimation nicht entfalten können. Das Fehlen überzeugender Argumentation ist vor allem deshalb bedauerlich, weil die streitbeilegenden Entscheidungen der WTO-Organe mangels aufgeladener verfasster Durchsetzungsstrukturen in besonders hohem Maße auf legitimierende Akzeptanz angewiesen sind. Dies gilt insbesondere für Streitverfahren im transatlantischen Verhältnis. Wenn die WTO auch nichts dagegen tun kann, dass sie für mitgliedstaatliche Sonderzwecke missbraucht wird, so kann (und muss) sie doch alles dafür tun, so überzeugend wie nur irgend möglich mit den Herausforderungen, vor denen sie steht, umzugehen. Dazu gehört insbesondere eine Entscheidungspraxis, die die in den Vorschriften manifest gewordenen Interessen angemessen berücksichtigt. Die WTO muss hier in grundsätzlicher Weise über ihre Methode bei der substanziellen Entscheidung über derartige Maßnahmen weiter nachdenken. Dass die Hormonentscheidungen bis heute von der Union nicht umgesetzt worden sind, spricht sehr dafür, dass die notwendige demokratische Inputlegitimation aus Sicht der Union hier offenbar schwerer wog als eventuell einfließende Effizienzgesichtspunkte der Outputlegitimation. Insoweit ist die Nichtumsetzung des Schiedsspruches durch die Union nicht einfach nur handelsrechtswidriges Verhalten (obwohl sie dies auch ist), sondern ein echter „Schuss vor den Bug“ der WTO.11 Die Reaktion hierauf, in dogmatisch fragwürdiger Weise die Beschränkungsverbote in den Abkommen über technische Handelshemmnisse (TBT und SPS) auszuklammern und derartige Maßnahmen, wie in der Berufungsentscheidung zum Asbestfall, über eine Verzerrung der an sich recht klaren Vorgaben des Art. III GATT zu lösen, ist auf lange Sicht nicht tragfähig (nähere Einzelheiten Teil C.I. 2.c)aa)(2)(c) unten). Insoweit ist die Notwendigkeit zu weiterem Nachdenken mit der Aufgabe verbunden, die Herausforderungen, vor denen die WTO steht, offen anzunehmen und positiv gestaltend mit ihnen umzugehen. Es geht letztlich darum, dem Paradigmenwechsel, der mit der Einfügung der Beschränkungsverbote in die Seitenabkommen stattgefunden hat, mit Leben zu erfüllen. Dieser Paradigmenwechsel ist Ausdruck eines ganz offenbar bestehenden Spannungsfeldes, das durch die zunehmende

11 Dieser „Schuss vor den Bug“ zeigt, dass die Mitgliedstaaten (jedenfalls mache Mitgliedstaaten) noch immer „am längeren Hebel sitzen“, und sich von der WTO marktintegrative Lösungen nicht vorschreiben lassen. Angesichts des Umstandes, dass auch die Union an der Setzung der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse beteiligt war und ihre Zustimmung gegeben hat, ist dies freilich (jedenfalls in gewisser Weise) auch widersprüchliches Verhalten. Die wissenschaftliche Einordnung dessen ist bis heute umstritten (Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b)).

II. Literaturüberblick

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Häufung marktintegrativ motivierter Klagen nicht nur bestätigt, sondern gesteigert und vertieft wird. In der Gründung der WTO liegt – dies ist eine Hypothese – tatsächlich ein Paradigmenwechsel. Dieser Paradigmenwechsel findet sich aber, dies wird sich im Folgenden zeigen, nicht in der prozeduralen Verdichtung und Institutionalisierung – so wenig gering diese hier geschätzt werden soll. Er wurzelt vielmehr in der bis heute viel weniger wahrgenommenen Schaffung und gegebenenfalls Effektivierung der genannten Beschränkungsverbote in den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse, also im Zweig der Materialisierung und substanzhaften Aufladung des Rechts. In diesen Beschränkungsverboten, die anders als unter dem GATT insbesondere auch Maßnahmen hinter der Grenze erfassen, liegt nicht weniger als der konzeptionelle Übergang des internationalen Handelsrechts von bloßer Handelsliberalisierung zu Formen der Marktintegration. Denn Beschränkungsverbote hinter der Grenze haben das Potenzial, die durch bloße Handelsliberalisierung bewahrten Unterschiede zwischen mitgliedstaatlichen Regulierungen jedenfalls teilweise aufzuheben. Marktintegration führt in diesem Verständnis zwar nicht notwendig zur vollständigen Aufhebung der regulativen Autonomie der Mitgliedstaaten. Insbesondere bedeutet sie nicht schon per se den Verlust der mitgliedstaatlichen Autonomie zur Regulation der heimischen Waren im heimischen Markt als solcher. Sie bringt es aber mit sich, dass ausländische Waren gegebenenfalls auch dann zu einem mitgliedstaatlichen Markt Zugang haben können, wenn sie nicht dessen allgemeinen Gesetzen entsprechen.

II. Literaturüberblick zur aufgeworfenen Fragestellung Obwohl der Unterscheidung von Handelsliberalisierung und Marktintegration eine fundamentale Bedeutung für das normative Leitbild eines jeden Freihandelsregimes zukommt, weisen überblicksartige Beiträge zum WTO-Recht – mit Ausnahme etwa des Lehrbuchs und einiger weiterer Beiträge von Trebilcock und Howse12 – dem im WTO / GATT-Recht positiv angelegten Spannungsfeld von Handelsliberalisierung und Marktintegration keine oder nur eine äußerst geringe Priorität zu.13 Diese Situation spiegelt sich auch in jenen wissenschaftlichen Bei12 Trebilcock, Michael, und Robert Howse, The Regulation of International Trade, 2. Aufl. 1999, Kapitel 6, S. 135 ff. Allgemeiner Überblick zur Debatte etwa in Howse, Robert und Micheal J. Trebilcock, The Fair Trade-Free Trade Debate: Trade, Labor, and the Environment, 16 Int. Rev. of Law and Ec. (1996), S. 63. 13 Auch Lehrbücher aus neuerer Zeit weisen dem Thema keine Priorität zu, vgl. etwa Lowenfeld, Andreas F., International Economic Law, OUP 2002, S. 78 ff. Stoll und Schorkopf verkürzen das WTO-Recht in ihrem 2002 zur WTO erschienenen Buch sogar auf die markige Aussage „Handelsliberalisierung, keine Marktintegration“ (S. 33, Hervorhebung von mir) und korrigieren diese Aussage nicht einmal bei der Erörterung von TBT (S. 99 ff.) und SPS (S. 106 ff.), obwohl sie in diesem Zusammenhang sogar selbst von „Harmonisierung“ (etwa S. 99, 102) und „gegenseitiger Anerkennung“ (S. 103) sprechen.

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

trägen wider, die das WTO-Recht unter dem Gesichtspunkt seiner Legitimation und Verfasstheit als Ganzes in den Blick nehmen: Die gegenwärtig bestehenden marktintegrativen Elemente des positiven WTO / GATT-Rechts werden entweder nur am Rande erwähnt14 oder ausdrücklich als bloße Ausnahmen zum handelsliberalisierenden Charakter des WTO-Rechts abgetan.15. Nur wenn von den Regeln des TBT und SPS ganz konkret die Rede ist, werden die spezifisch marktintegrativen Gehalte näher gewürdigt16. Aber selbst in solchen Spezialbeiträgen zu den Seitenabkommen finden sich immer wieder erstaunliche Unterschätzungen. Als besonders eindrückliches Beispiel mögen folgende Sätze in einer anerkannten Zeitschrift zum internationalen Wirtschaftsrecht dienen: „Art. 2.2, the most important provision in the TBT Agreement, [ . . . ] is so general – of necessity because of the broad range of measures covered – that it is difficult to apply. It is a useful discipline only in the most egregious cases that could normally also be prosecuted under GATT Articles II (schedule of concessions), III (national treatment), or XI (elimination of quantitive restrictions).“17

Derartigen Aussagen wurde in positiver Analyse des Rechts bisher kaum entgegengetreten. In der Spezialliteratur wird vielmehr überwiegend normativ argumentiert, d. h. es wird nicht primär das geltende Recht auf seine positiv feststellbaren Wirkungen hin analysiert (analytisch-deskriptive Methode), sondern es werden aus bestimmten Überlegungen heraus sinnvolle Zielvorstellungen formuliert, um diese als Maßstab für das geltende und gegebenenfalls zukünftige Recht fruchtbar zu machen.18 Dabei werden insbesondere drei Richtungen deutlich: die der negativen Marktintegration19, die der positiven Marktintegration20 und die der 14 Etwa MacGinnis, John O. und Mark L. Movsesian, The World Trade Constitution, 114 Harv. Law Rev. 2000, S. 511, 517, 551 ff. 15 Bogdandy, Armin von, Verfassungsrechtliche Dimensionen der Welthandelsorganisation, in KJ 2001, S. 264 (Teil I: Entkoppelung von Recht und Politik) und 425 (Teil II: Neue Wege globaler Demokratie?), der sich mit der Begründung ihres Ausnahmecharakters dann überhaupt nicht mehr mit diesen Elementen auseinandersetzt, obwohl (oder vielleicht auch weil) er ein „Modell kooperativer Interdependenz“ entwickelt, in dem marktintegrative Wirkungen gerade keinen Platz haben (S. 435 ff.). 16 Jüngeres Beispiel etwa Marceau, Gabrielle und Joel P. Trachtman, The Technical Barriers to Trade Agreement, the Sanitary and Phytosanitary Measures Agreement, and the General Agreement on Tarriffs and Trade. A Map of the World Trade Organization Law of Domestic Regulation of Goods, 36 JWT 2002, S. 811, insbesondere 863 ff. m. w. N. 17 Thorn, Craig und Marinn Carlson, The Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures and the Agreement on Technical Barriers to Trade, 31 Law & Policy of International Business (3) 2000, S. 841, 842. 18 Zum politökonomischen Hintergrund Maskus, Keith E., Regulatory Standards in the WTO, 1 World Trade Review 2002, S. 135; Kahler, Miles, Trade and Domestic Differences, in: Berger, Suzanne und Ronald Dore, National Diversity and Global Capitalism, Cornell UP, 1996. 19 Vor allem Sykes, Allan O., Product Standards for International Integrated Goods Markets, Brookings Institution, Washington DC, 1995. Sykes stellt das grundlegende Problem in den Vordergrund, unter welchen Voraussetzungen Normung („product standards“) einheitlich

II. Literaturüberblick

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Handelsliberalisierung21. Neben diesen normativ geprägten Beiträgen finden sich zwar auch einige deskriptiv-analytische Beiträge, wie etwa in der Studie von oder, je nach Lage, uneinheitlich sein soll. Zur Lösung des Problems begründet er eine ökonomische Theorie, die er zur Grundlage eines „idealen“ Systems zur Konformitätsüberprüfung fortentwickelt („ideal conformity assessment system“). In diesem Zusammenhang stellt er heraus, dass die geringsten Kosten solcher Systeme dann entstehen, wenn sie so weit wie möglich auf dem Ansatz der gegenseitigen Anerkennung beruhen und im Übrigen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz („least restrictiveness“) beachten (Kapitel 3, insbesondere S. 51 ff.). Das damit entwickelte Leitbild negativer Integration zeichnet sich durch ein hohes Maß regulativer Diversität und regulativen Wettbewerbs aus, freilich unter Anerkennung einer „Obergrenze“ („ceiling“), die sich nur fallweise im Wege der Kosten / NutzenAnalyse (Verhältnismäßigkeit) konkretisieren lässt. Eine völlig andere Konzeption, die ebenfalls der negativen Marktintegration zugehörig ist, findet sich daneben in den bereits genannten Beiträgen zu Art. III GATT von Mattoo, Aaditya und Arvind Subramanian, Regulatory Autonomie and Multilateral Disciplines: The Dilemma and a Possible Resolution, 1 JIEL 1998, 303; Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford: Hart 2002. 20 Eine typisch mikroökonomisch orientierte Argumentation für positive (und gegen manche Formen negativer) Integration findet sich etwa bei von Bogdandy, der vor allem die hohen Kosten des Einzelnen hervorhebt, die durch die Anwendung des Grundsatzes der Einzelfallprüfung entstehen (kein pauschales Entscheiden). Freilich erkennt auch von Bogdandy an, dass der Grundsatz der Einzelfallprüfung aus (guten) Gründen der Rechtsstaatlichkeit im öffentlichen Wirtschaftsrecht der Mitgliedstaaten fest verankert ist, vgl. Bogdandy, Armin von, Aussenaspekte der binnenmarktbezogenen Rechtsangleichung; Allgemeine Charakteristika und systematische Aspekte, in: Grabitz, von Bogdandy, Nettesheim (Hrsg.), Europäisches Außenwirtschaftsrecht 1994, S. 367, 373 ff. Von Bogdandys Argumentation ist naturgemäß nicht auf die WTO, sondern auf das Binnenmarktprogramm der Europäischen Gemeinschaft (1992) gerichtet. Ein Blick auf das Binnenmarktprogramm zeigt exemplarisch, dass positive Integration die Folge (oder jedenfalls die Fortsetzung) negativer Integration sein kann, sei es aus legitimationstheoretischen Gründen, sei es deshalb, weil richterlich vorangetriebene negative Integration für den einzelnen zunächst doch recht uneffektiv bleibt – uneffektiv etwa deshalb, weil der einzelne nicht darauf warten kann, bis ein (ggf. inter- / supranationales) Gericht irgendwann einmal seinen Staat zur Anerkennung gerade derjenigen ausländischen Regelungen verpflichtet, die seinen Fall betreffen. Einführend mit weiteren Literaturnachweisen etwa Bogdandy, Armin von, und David Meehan, Aussenaspekte der binnenmarktbezogenen Rechtsangleichung, Zugangserschwernisse durch Vermarktungsregeln für Waren, in: Grabitz, von Bogdandy, Nettesheim (Hrsg.), Europäisches Außenwirtschaftsrecht 1994, S. 383. 21 Eine legitimationstheoretisch orientierte Argumentation für bloße Handelsliberalisierung (und damit gegen negative und positive Marktintegration) findet sich etwa bei Trebilcock und Howse. Erkenntnistheoretisch beklagen die Autoren vor allem die allgemeine Unwissenheit über die konkreten Auswirkungen internationaler Regulierung. Sie stehe in deutlichem Gegensatz zu den weitgehend unumstrittenen Erkenntnissen über die Wirkungen von Zöllen, mengenmäßigen Beschränkungen und protektionistischer Diskriminierung. Demokratietheoretisch weisen die Autoren unter dem Gesichtspunkt der regulativen Autonomie der Staaten vor allem auf das Fehlen eines akzeptierten Hegemons oder eines Willens der Staaten hin, eigene Entscheidungsfreiheit zugunsten supranationaler Strukturen wie in der EU aufzugeben, vgl. Trebilcock, Michael und Robert Howse, Trade Liberalization and Regulatory Diversity: Reconciling Competitive Markets with Competitive Politics, 6 EJLE 1998, S. 5, 9 f. Ähnlich im Rahmen des SPS etwa Trebilcock, Michael und Julie Soloway, International Trade Policy and Domestic Food Safety Regulation: The Case for Substantial Deference by

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

Bhagwati und Hudec von 1996, die die Frage in den Mittelpunkt stellt, ob ab einem fortgeschrittenen Stand der Handelsliberalisierung marktintegrierende Regelungen eine Voraussetzung für (noch) freieren Handel werden22. Die in dieser Studie zusammengesammelten analytisch geprägten Beiträge von Bhagwati, Leebron und Casella beschäftigen sich allerdings nicht so sehr mit der Analyse marktintegrativer Wirkungen des positiven Rechts, sondern eher mit der Analyse des Phänomens der Marktintegration als solchem.23 Soweit sich Roessler, Hudec und Farber in dieser Studie mit dem positiven WTO-Recht beschäftigen, beschränken sie sich dabei weitgehend auf das positive GATT-Recht, insbesondere auf das dogmatische Zusammenspiel von Art. III und XX GATT, und vernachlässigen dabei die Ansätze der Seitenabkommen fast vollständig.24 In der Literatur gibt es bisher also nur wenige und zudem meist fragmentarische Ansätze zur interessegerechten Lösung des aufgeworfenen Problems.25 Der bisher einzige dogmatisch begründete Ansatz einer Prüfung der Effizienz mitgliedstaatlicher Regulation wird von jenen, die ihn vortragen, ausgerechnet in Art III GATT verankert (mit allen die Vorschrift verzerrenden Wirkungen, die dies hat), statt diesen in seiner Zielstruktur ernst zu nehmen und die vorgeschlagene Effizienzprüfung in die sich dafür eignenden Vorschriften aus den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse einzuführen.26 Damit aber verwässert der Vorschlag die ohnehin bisher schon äußerst unklaren Grenzen der Diskriminierungsverbote des WTO / GATT-Rechts. Aber immerhin: Der Vorschlag eines Effizienztests könnte, wenn auch nicht in Art. III GATT, so doch unter den Beschränkungsverboten der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse zu einem sinnvollen Prüthe WTO Dispute Settlement Body under the SPS Agreement, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 537. 22 Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization, Prerequisites for Free Trade?, 2 Bände, Cambridge MA, MIT, 1996. 23 Ibid., Band 1, S. 9, 41 und 119. 24 Ibid., Band 2, S. 21, 57 und 95. Ähnliches gilt für weitere Beiträge, die etwa die sogenannte product / process-Doktrin kritisieren, wie etwa Hudec, Robert E., The Product-Process Doctrine in GATT / WTO Jurisprudence, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick, New Directions in International Economic Law, FS Jackson, Den Haag, Kluwer, 2000, S. 187. Eine Einordnung im größeren Zusammenhang findet sich aber etwa bei Howse, Robert und Donald Regan, The Product-Process-Distinction – An Illusory Basis for Disciplining „Unilateralism“ in Trade Policy, 11 EJIL 2000, S. 249. 25 Eine ökonomische Analyse findet sich etwa bei Sykes, Allan O., Product Standards for International Integrated Goods Markets, Washington DC: Brookings Institution, 1995; zusammenfassend auch Sykes, Alan O., Regulatory Protectionism and the Law of International Trade, 66 U. Chi. L. Rev. 1999, S. 1. Leider würdigt Sykes aber nicht die legitimationstheoretischen Aspekte abwägenden Entscheidens. 26 Mattoo, Aaditya und Arvind Subramanian, Regulatory Autonomie and Multilateral Disciplines: The Dilemma and a Possible Resolution, 1 JIEL 1998, 303; Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford: Hart 2002 (nähere Einzelheiten hierzu Teil C.I.1.c)aa)(3) und Teil C.I. 3.b)).

II. Literaturüberblick

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fungsmuster für derartige Maßnahmen ausgebaut werden. Es ist fast erstaunlich, dass derartiges bisher trotz der jedermann sichtbaren Ansätze in den Seitenabkommen nicht versucht worden ist. Was in der literarischen Debatte bisher vor allem fehlt, ist eine offene Auseinandersetzung über den Umstand, dass derartige Maßnahmen aus Gründen der richtigen Dogmatik unter den Beschränkungsverboten der Seitenabkommen judiziert werden sollten. Zu mehr Marktintegration muss die Anwendung der Seitenabkommen nicht notwendigerweise führen. Denn auch Beschränkungsverbote können so restriktiv ausgelegt werden, dass ihr marktintegratives Potenzial kaum mehr erkennbar ist. Unabhängig davon, wie weit oder eng die Auslegung der Beschränkungsverbote im Einzelnen ausfällt: Eine Judizierung marktintegrativ motivierter Klagen gegen nicht-diskriminierende Maßnahmen führt unter den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse zu mehr dogmatischer Klarheit als unter einer verzerrenden Auslegung des Art. III GATT. In dogmatischer (nicht aber in politischer) Hinsicht erleichtern die Seitenabkommen das streitbeilegende Entscheiden erheblich. Da die schützenden (und damit immer auch handelsbeschränkenden) Wirkungen angegriffener gleichbehandelnder Maßnahmen meist nicht hinwegdefiniert werden können, reicht im Schwerpunkt in der Regel eine Abwägung darüber aus, ob die derart entstehenden Wirkungen unter dem Gesichtspunkt der Zielstruktur der Maßnahme gerechtfertigt sind (Mittel-Zweck-Prüfung)27. Mit dem Hormonfall ist das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS) bereits in den Vordergrund der Diskussion gerückt. Im Asbestfall hätte das Berufungsgericht die Chance (und in dogmatischer Hinsicht vielleicht sogar die Pflicht) gehabt, das Beschränkungsverbot des Art. 2.2 des Übereinkommens über technische Handelshemmnisse (TBT) näher zu konkretisieren. Eine Analyse des positiven WTO / GATT-Rechts, die nicht bei der bloßen Kommentierung dieser einzelnen Fälle stehen bleibt, sondern die marktintegrativen Wirkungen in das Gesamtsystem der WTO einordnet, findet sich in prägnanter Form bisher lediglich in der Studie von Weiler zur Konvergenz von WTO, EU und NAFTA.28 Weilers (freilich provokante) Hauptthese ist, dass sich WTO und EU in ihren normativen Gehalten gegenwärtig aufeinander zubewegen (konvergieren), und zwar nicht nur im Zusammenhang der Umsetzung der jeweils materiellen Gehalte (Gerichtssystem usw.), sondern vor allem hinsichtlich der materiellen Gehalte selbst.29 Die von Weiler in diesem Rahmen hinsichtlich der „Bewegung“ der WTO 27 Für negative Integration tritt in diesem Zusammenhang etwa Nicolaïdis ein („decentralized policing of trade“), weil sie eine Schwelle bilde, die unverhältnismäßige Handelsbeschränkungen (namentlich jene Beschränkungen über der Schwelle) verbiete, zugleich aber regulative Diversität zulasse (namentlich unterhalb der Schwelle), vgl. Nicolaïdis, Kalypso, Comments, in: Sykes, Allan O., Product Standards for International Integrated Goods Markets, Washington DC: Brookings Institution, 1995, S. 139, 140 ff. 28 Weiler, J.H.H., The EU, the WTO and the NAFTA, Towards a Common Law of International Trade?, Oxford, OUP, 2000.

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

vorgetragene (Teil-)These geht erwartungsgemäß dahin, dass sich die WTO durch die Abkommen über technische Handelsbeschränkungen (TBT und SPS) der Union vergleichbar in die Marktintegration hineinbewege. Wenn der Verfasser Weiler richtig versteht, dann bedeutet ihm zufolge die Adjudikation solcher Maßnahmen unter dem TBT- bzw. SPS-Abkommen dogmatisch letztlich eine Abrogation der Anmerkung zu Art. III GATT, da das WTO-rechtliche Verbot des Art. XI GATT nunmehr unter den TBT- und SPS-Abkommen auch hinter der Grenze effektiviert werden kann (freilich unter anderen Voraussetzungen), obwohl Art. XI GATT die Maßnahme wegen der Anmerkung zu Art. III eigentlich gar nicht erfasst.

III. Der eigene Beitrag: Dogmatische Klärung der marktregulativen Autonomie unter dem WTO / GATT-Recht Die vorliegende Arbeit setzt hier an. Sie soll die Weilersche Evolutionsthese aufgreifen, die WTO vor ihrem Hintergrund untersuchen und Leitlinien für zukünftiges Entscheiden entwickeln, die dem Legitimationsbedürfnis WTO / GATT-rechtlicher Entscheidungen genüge tun. Im Einzelnen soll sie dazu beitragen, der neuen rechtlichen Situation (Existenz der Beschränkungsverbote in TBT und SPS) und dem mit ihr korrespondierenden neuen Klageverhalten der Mitgliedstaaten Herr zu werden. Es geht immer stärker um Streitfälle, die dem Regelungsregime des Art. III GATT völlig entwachsen sind. Noch immer geht es zwar um Protektionismus. Andernfalls gäbe es schon die marktintegrativ motivierten Klagen nicht. Allerdings wird der neuerdings angegriffene Protektionismus nicht durch Ungleichbehandlung gleichartiger Waren erreicht, sondern, wie einleitend bemerkt wurde, im Wege vollkommener regulativer Gleichbehandlung. Es steht in marktintegrativ motivierten Streitverfahren mithin nicht der Gesichtspunkt der Gleichheit im Vordergrund, sondern die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der unterschiedlichen regulativen Lösungen von Kläger und Beklagtem. Die WTO wird künftig immer öfter über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der im Rahmen regulativer Diversität gefundenden regulativen Lösungen der Mitgliedstaaten zu entscheiden haben. Es ist diese Herausforderung, der sich die WTO zu stellen hat und die sie angesichts marktintegrativ motivierter Klagen gegebenenfalls in völlig neue Fahrwasser bringen wird. In dogmatischer Hinsicht bringt diese Herausforderung nicht nur die Notwendigkeit der genauen Konkretisierung der Gehalte der Seitenabkommen mit sich, sondern auch diejenige der Ausgestaltung der Gehalte und der Grenzen des 29 Im Hinblick auf die Bewegung der EU hin zu einer dem GATT vergleichbaren Ordnung stellt Weiler die (mittlerweile oft geäußerte) These auf, dass Keck evolutorisch konsequent sei, sofern es die Rückkehr zu einem „klassischen“ Freihandelsregime einläute, das sich gegenüber mitgliedstaatlichen Beschränkungen des Marktzugangs strikt zeige, mitgliedstaatliche Marktregulierung demgegenüber in allgemeiner Regel nur dann untersage, wenn sie in protektionistischer Weise diskriminiert; vgl. Weiler, J.H.H., Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders., The EU, the WTO and the NAFTA, Towards a Common Law of International Trade?, Oxford, OUP, 2000, S. 201, 228.

III. Der eigene Beitrag

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Art. III GATT. Insbesondere die Grenzen stehen im Vordergrund, denn Versuche der Deregulierung werden naturgemäß immer stärker auch unter Art. III GATT unternommen, statt sie, wie hier angeraten, auf die Seitenabkommen zu beschränken. Angesichts dieser Problemstellung sollen im Folgenden die Zielsetzung (1) und der Gang der vorliegenden Arbeit (2) näher konkretisiert werden. 1. Zielsetzung des Beitrags: Dogmatische Klärung der Grenzen des Art. III GATT, der Bedeutung der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse angesichts dieser Grenzen und des normativen Leitbildes zur richtigen Entscheidung im Rahmen dieser Vorschriften Ziel des Beitrages ist es, eine Lösung der durch die marktintegrativen Vorstöße einzelner klägerischer Staaten aufgeworfenen dogmatischen und legitimatorischen Problemstellungen anzubieten. Der Beitrag soll die Rechtsvorschriften des Art. III GATT einerseits und der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse andererseits auf ihre marktintegrativen Wirkungen hinter der Grenze analysieren und in das Gesamtsystem der WTO einordnen, ohne sich dabei zu früh auf eine bestimmte normative Position festzulegen. Es geht dem Verfasser nicht um ein Mehr oder Weniger an substanziellem Autonomieschutz per se. Denn sowohl für ein Mehr als auch für ein Weniger an substanziellem Autonomieschutz einerseits oder Marktintegration andererseits lassen sich sinnvolle Gründe finden. Vielmehr geht es ihm um die Herausarbeitung der in den Vorschriften selbst normativ bereits angelegten richtigen Lösungen. Normativ richtige Lösungen sind in diesem Sinne jene Lösungen, die den zielstrukturellen Vorgaben der zugrundeliegenden Vorschriften entsprechen. Erst wenn die Zielstruktur der Vorschriften schweigt und insofern den Vorschriften selbst die richtige Auslegung nicht mehr ohne weiteres zu entnehmen ist, bedarf es eines normativen Diskurses über die Richtigkeit einer vorschriftsmäßigen Entscheidung. Auch dann lassen sich den Vorschriften selbst gegebenenfalls aber immer noch bestimmte Vorgaben entnehmen, die sich aus der zugrundeliegenden Interessenstruktur ergeben. Richtiges Entscheiden ist dann vor allem interessegeleitetes Entscheiden. Ziel der Arbeit ist es, entsprechend den Zielstrukturen der Vorschriften die in diesem Sinne richtige Lösung zu finden und, soweit dies nicht möglich ist, die in der Vorschrift zum Ausdruck kommende Struktur der mitgliedstaatlichen Interessen als Leitbild für normativ richtiges Entscheiden herauszuarbeiten. Mit diesem übergeordneten Ziel sollen weitere Ziele (in gewisser Weise Unterziele) verfolgt werden: Erstens soll hervorgehoben werden, dass die legitimatorische Dimension entgegen vielfältigen Äußerungen nicht schon durch den Aufbau halbwegs effektiver Streitbeilegung an sich aufgeworfen ist, sondern erst durch ihre Kombination mit den hier bereits angedeuteten spezifisch marktintegrativen Elementen. Der Grund hierfür liegt darin, dass klassische Handelsliberalisierung

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

die Autonomie der Mitgliedstaaten nur im Hinblick auf die Regulation des Marktzugangs einschränkt, hinsichtlich der Marktregulation demgegenüber aber weitestgehend unangetastet lässt und insbesondere Diskriminierung hinter der Grenze nur insoweit verbietet, als sie protektionistisch-diskriminierender Art ist. Reine Handelsliberalisierung durch Effektivierung echter Wettbewerbsgleichheit wirft als solche daher – entgegen vielfältiger Behauptungen in der Literatur – noch keine substanziellen Legitimationsprobleme auf. Regulativer Wettbewerb als solcher birgt entgegen der Behauptungen der härtesten Kritiker der WTO auch bei noch so starker Institutionalisierung noch kein substanzielles, sondern allenfalls ein formales Legitimationsproblem. Zweitens soll hervorgehoben werden, dass angesichts der institutionellen Verdichtung der WTO die legitimatorische Dimension durch die Einfügung eines marktintegrativen Potenzials in die Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse tatsächlich aufgeworfen ist. Die Legitimationsfrage ist schon deshalb aufgeworfen, weil hier in der Verbindung der normativ-materiellen und der normativ-prozeduralen Verdichtung ein erheblicher Druck zur Beachtung entsteht, dem die Mitgliedstaaten nicht ohne weiteres entgehen können.30 Zwar ist dieser Umsetzungsdruck nicht jenem in einem klassisch verfassten System vergleichbar. Er ist aber dennoch deutlich spürbar und kann insbesondere nicht mit dem Argument „hinwegdefiniert“ werden, dass die Mitgliedstaaten nicht zur Umsetzung gezwungen werden könnten. Denn zwar können sie, wie der Hormonfall zeigt, tatsächlich nicht in „verfassungsähnlicher“ Weise zur Umsetzung gezwungen werden. Das durch eine Nichtumsetzung in diesem Zusammenhang entstehende Legitimationsdefizit ist aber dennoch deutlich spürbar. Denn Effizienz ist immer auch ein Teil der Legitimation staatlichen Handelns. Werden, wie im Hormonfall, Ineffizienzen im staatlichen Handeln durch ein Streitbeilegungsorgan festgestellt, so wirkt sich dies unmittelbar legitimationsmindernd auf die Fortsetzung des handelsrechtswidrigen mitgliedstaatlichen Verhaltens aus. Drittens soll hervorgehoben werden, dass für die WTO die legitimatorische Dimension schließlich aber nicht in derart dramatischer Weise aufgeworfen ist, wie es ihre Schritte in die Marktintegration zunächst vermuten lassen. Betrachtet man das WTO-Recht nicht aus der Perspektive „des Rechts“, sondern aus jener der Verhandlungsbalance, so erscheinen Schiedssprüche der Streitbeilegungsorgane als „Verhandlungsmasse“, nicht als „bindende“ Entscheidungen.31 Ihr Wert ist vorwie30 Nicht ohne Grund hat das Berufungsgremium mit fast äußerster Vorsicht in Rn. 77 an sich Selbstverständliches hervorgehoben: „We note, however – and we emphasize – that this does not mean that all internal measures covered by Article III:4 of the GATT 1994 „affecting“ the „sale, offering for sale, purchase, transportation, distribution or use“ of a product are, necessarily, „technical regulations“ under the TBT Agreement. Rather, we rule only that this particular measure, the Decree at stake, falls within the definition of a „technical regulation“ given in Annex 1.1 of that Agreement.“ Alles Hervorheben hilft jedoch nichts: Mit den TBT- und SPS-Abkommen ist der Geist der Marktintegration auch hinter der Grenze aus der Flasche gekommen – das Berufungsgremium wird ihn so schnell nicht wieder hineinbekommen!

III. Der eigene Beitrag

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gend davon abhängig, wie wertvoll den Mitgliedstaaten der Multilateralismus als solcher ist. Überwiegt im Einzelfall der Wert der mitgliedstaatlich-demokratischen Entscheidung denjenigen des Multilateralismus, so sind die Mitgliedstaaten entgegen dem WTO-Recht (und entgegen seiner marktintegrativen Vorschriften!) auch nach einschlägigen Entscheidungen der Streitbeilegung zum Unilateralismus bereit. Viertens soll in diesem Lichte darauf hingewiesen werden, dass die WTO – jedenfalls bisher – trotz ihrer marktintegrativen Ansätze insbesondere kein strukturelles „Legitimationsdefizit“ aufweist, wie es in der Literatur immer öfter behauptet wird, meist im Rahmen eines Vergleichs der Wirkungen des WTO-Rechts mit den Wirkungen supranationalen Rechts wie in der Europäischen Union32. Es macht aus Sicht des Verfassers keinen Sinn, die WTO mit den Maßstäben zu betrachten, die sich aus der Diskussion um die supranationale Verfasstheit insbesondere der Union mittlerweile herauskristallisiert haben.33 Dafür fehlt dem WTO-Recht schon die dafür wichtigste Voraussetzung, namentlich die unmittelbare Wirkung seiner Vorschriften in den Mitgliedstaaten (nähere Einzelheiten Teil D.II.1. unten). Von mehrheitsgetragenem Entscheidungen ist in diesem vergleichenden Zusammenhang schon gar nicht zu reden.34 Eine tragfähige Lösung der aufgeworfenen Fragen findet sich daher nicht in „hergezogenen“ Vergleichen mit der Union, sondern allenfalls in der Bereitstellung der dogmatisch richtigen Auslegung der Vorschriften. Soweit dogmatisch eindeutige Antworten nicht zu finden sind, kann dennoch eine richtige Lösung gefunden werden, die zwar nicht den Anspruch der Gewissheit in sich trägt, wohl aber den der größtmöglichen Rationalität. In diesem Sinne 31 Diese Wahrnehmung ist mittlerweile bis in die öffentlichen Medien vorgedrungen. Vgl. im Zusammenhang des Streits um genmaipulierte Nahrungsmittel aus neuerer Zeit etwa: Financial Times vom 14. Mai 2003: LEADER: The transatlantic train collision (von: www.ft.com). Aus der deutschen Medienlandschaft etwa Süddeutsche Zeitung, Nr. 109 vom 13. Mai 2003: Der nächste Handelskrieg, USA drohen mit WTO-Klage wegen genmanipulierter Nahrung, S. 17 a.E. 32 Angesichts des Streitbeilegungsmechanismusses wurde in den letzten Jahren immer wieder behauptet, die WTO leide unter einem „Legitimationsdefizit“, und zwar überwiegend mit der Begründung, dass ihre Wirkungen denen supranational verfasster Organisationen wie der Europäischen Union ungefähr vergleichbar seien (Einzelheiten Teil E.II.1.). 33 Überblick etwa bei Nettesheim, Martin, EU-Recht und nationales Verfassungsrecht, Deutscher Bericht für die XX. FIDE-Tagung 2002, zu finden auf www.fide2002.org; Weiler, Joseph H., The Constitution of Europe: „Do the new clothes have an emperor?“ and other essays on European integration, Camridge: Cambridge University Press, 1999; Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, Berlin: Duncker und Humblot, 2001. 34 Freilich gibt es Ausnahmen, wie etwa manche Entscheidungen über Auslegungsfragen (Art. IX.2 WTO), über sogenannte „Entbindungen“ von einzelnen Pflichten („waivers“; Art. IX 3 WTO), über manche nicht sehr grundsätzliche Änderungen des geltenden Rechts (Art. X WTO) oder auch über die Bedingungen zu einem Beitritt nach Art. XII Abs. 2 S. 1 WTO, die – wie im Fall Chinas – auch tatsächlich bedeutsam sein können. Angesichts der konsensgeprägten Entscheidungspraxis nach Art. IX.1 WTO sind derartige Ausnahmen aber wohl kaum dazu geeignet, die Mehrheitsentscheidung als einen Typus WTO-rechtlichen Entscheidens herauszustellen.

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A. Einleitung: Wettbewerbsgleichheit versus Deregulierung

richtigen Entscheidens setzt sich die Arbeit zum Ziel, so rationalisierte Leitlinien für die normativ-praktische Ergebnisfindung wie möglich bereitzustellen.

2. Gang des Beitrags Diesen Überlegungen entsprechend sollen im Folgenden zunächst in die Grundlagen des antiprotektionistischen Autonomiebegriffs des WTO / GATT-Rechts eingeführt werden. In diesem Rahmen wird insbesondere auf die Unterschiede zwischen Handelsliberalisierung (Garantie der Wettbewerbsgleichheit) und Marktintegration als konzeptionell unterschiedliche Hindernisse der marktregulativen Autonomie der Mitgliedstaaten hingewiesen (Teil B unten: Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts). Wegen der legitimatorischen Dimension der Unterschiede soll sodann untersucht werden, wie sich die in diesem Rahmen herausgearbeiteten normativen Leitbilder von Handelsliberalisierung und Marktintegration in der Dogmatik des WTO / GATT-Rechts wiederfinden lassen. Die jeweilige Zuordnung von klassischer Handelsliberalisierung zum GATT und echter Marktregulation zu den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse liegt auf der Hand. In diesem Hauptteil der Arbeit wird daher zunächst ein dogmatisch sinnvolles Konzept zu den Grenzen des Art. III GATT entwickelt werden, das die Richtigkeit der Ergebnisse der Streitbeilegungsorgane und zugleich die Fehlerhaftigkeit ihrer Begründungen herausstellt. Für die richtige Begründung entwickelt der Verfasser das Kriterium der normativen und faktischen Gleichheit in der Erfüllbarkeit der Anforderungen der mitgliedstaatlichen Maßnahme. Sodann wird die rechtliche Situation unter Art. III GATT mit derjenigen unter den seit 1995 geltenden Regelungen der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse kontrastiert werden (Teil C. unten: Marktregulative Autonomie der Mitgliedstaaten unter dem materiellen WTO / GATT-Recht). Im Anschluss hieran soll – wiederum ausgehend von der regulativen Autonomie der Mitgliedstaaten – überprüft werden, wie wirkmächtig die derart festgestellten materiellen Gehalte des WTO-Rechts tatsächlich sind. In diesem Zusammenhang soll das relativ allgemeine, aber hinreichend flexible Konzept der „relativen Verdichtung“ des WTO-Rechts vorgestellt werden (Teil D. unten: Relative Verstärkung der Bindungswirkung des materiellen WTO / GATT-Rechts). In einem letzten Schritt schließlich soll es um die Konsequenzen gehen, die aus den gefundenen Ergebnissen zu ziehen sind. In diesem Rahmen soll begründet werden, dass die WTO-Streitbeilegungsorgane angesichts der in den Vorschriften selbst zum Ausdruck kommenden Struktur der mitgliedstaatlichen Interessen so autonomiefreundlich wie nur möglich auf künftige marktintegrativ motivierte Klagen der Mitgliedstaaten reagieren sollten. Im Rahmen des Art. III GATT ist die zu erreichende Autonomiefreundlichkeit bereits durch eine dogmatisch richtige An-

III. Der eigene Beitrag

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wendung der Vorschrift garantiert, da Autonomieschutz bereits Teil der vorgegebenen Zielstruktur des Art. III GATT ist. Im Rahmen der Beschränkungsverbote der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse ist der zu erreichende Autonomieschutz demgegenüber aus darüber hinaus gehenden Überlegungen zur Funktion der Streitbeilegungsorgane zu entwickeln. Die diplomatische Verwurzelung erlaubt es nicht nur, sondern macht es sogar notwendig, die einem Streitverfahren zugrundeliegenden mitgliedstaatlichen Interessen in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Eine Strukturanalyse der mitgliedstaatlichen Interessen zeigt, dass der richtige Weg hier allein in einer möglichst autonomiefreundlichen Auslegung der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften liegen kann. In einer kurzen „Fallanalyse“ konkretisiert der Verfasser diese allgemeine These zu Empfehlungen an die Streitbeilegungsorgane zur Lösung des gegenwärtig zu entscheidenen Biotechnologieverfahrens (Teil E. unten: Reaktionsmöglichkeiten der WTO-Streitbeilegungsorgane: Die zukünftige Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts zwischen bloßer Handelsliberalisierung und zwischenstaatlicher Deregulierung). Der Beitrag schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse (Teil F. unten: Ergebnisse).

3 Duvigneau

B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts: Wettbewerbsgleichheit und Deregulierung als konzeptionell unterschiedliche Hindernisse mitgliedstaatlich-marktregulativer Autonomie Die Diskussion um die Legitimation WTO-rechtlichen Entscheidens wie überhaupt des WTO-Rechts basiert auf der Erkenntnis, dass WTO-rechtliche Begrenzungen der mitgliedstaatlichen Autonomie legitimationsbedürftig seien.1 Ausgangspunkt dieser Überlegung ist es, dass Autonomie im staatlichen Handeln legitimierende Wirkungen entfalte, da es von der staatlichen Gemeinschaft (letztlich also von dem „Staatsvolk“ eines Staates) so gestaltet sei, wie es von ihr eben gewollt sei. In dieser Wahrnehmung ist mitgliedstaatliche Autonomie im Handeln eine Quelle von Legitimation und damit im Grundsatz etwas Bewahrenswertes. Das legitimierende Potenzial autonomen Entscheidens leuchtet dem unbefangenen Betrachter unmittelbar ein. Denn die emotive Bedeutung des umgangssprachlichen Begriffs der Autonomie ist heute positiv. Mit dem Begriff der Autonomie wird bei aller Vielfalt benutzter Autonomiebegriffe heute in der Regel ein Mindestmaß an Selbstbestimmtheit im Handeln und an Freiheit vor äußeren Hindernissen assoziiert. Dies war nicht immer so. Noch vor einigen hundert Jahren wurde selbstbestimmtem Handeln kein großer Wert zugemessen. Im Zeitalter der Patristik etwa war der christliche Mensch nicht der vernünftige Mensch, sondern der demütige Mensch vor Gott. Erst mit der Aufklärung2 rückte die Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen zum menschlichen Handeln.3 In der Welt des Rechts, also des modus vivendi moderner Staatlichkeit, hat sich dieser Ideenwandel unmittelbar niedergeschlagen. Denn das nach staatlich garantierten Verfahren gesetzte Recht gilt heute nicht mehr deshalb, weil es in theistischer oder sonstiger überpersonaler Begründung vorfindlich wäre, sondern deshalb, weil es von den Menschen, die unter ihm leben, im Wesentlichen so gewollt ist, wie es eben ist. Geltungsgrund des Rechts ist im Zeitalter des Rechtspositivis-

1 Aus politikwissenschaftlicher Perspektive dazu etwa Keohane, Robert O., Governance in a partially globalized world, London: Routlege, 2002, S. 36. 2 Vgl. etwa Kant, Immanuel, Was ist Aufklärung?, in: Weischedel, W. v. (Hrsg.), Theorie – Werksausgabe, Bd. 11, Frankfurt / M., Insel, 1964. 3 Einführender Überblick zur ideengeschichtlichen Entwicklung etwa bei Störig, Hans Joachim, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Fischer 1992. Speziell zu den theoretischen Grundlagen der Aufklärung etwa Kopper, Joachim, Einführung in die Philosophie der Aufklärung, 3. Auflage, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1996.

B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

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mus seine Gesetztheit durch Menschenhand und Menschenwille. Die Legitimation des Rechts fließt daher vorrangig aus dem Umstand seines menschlichen Gewolltseins.4 Dies ist seit der Auseinandersetzung mit den gedanklichen Grundlagen des Rechtspositivismus weitgehend anerkannt. Insbesondere in den Lehren des psychologischen und soziologischen Positivismus wird die für den Geltungsgrund notwendige Anerkennung durch die Rechtsunterworfenen zum Kernstück des Geltungsgrundes des Rechts gemacht.5 Selbst in der bis heute wohl erfolgreichsten, wenngleich freilich nicht unangefochtenen Mischtheorie Herbert Harts ist die Rolle des sogenannten „internal point of view“ der am Rechtsprozess Beteiligten ein Kernelement, wenn nicht das Kernelement des Geltungsgrundes des Rechts.6 Der Autonomie des Staates wird unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz heute daher überwiegend ein Eigenwert zuerkannt, der sich – wegen der heute vorherrschenden staatlichen Organistionsform menschlicher Gemeinschaften – vom Legitimationspotenzial individuellen Handelns einzelner weitgehend gelöst hat. Dem Abstraktum „Staat“ fließt heute eine vom individuellen Handeln losgelöste eigenständige Bedeutung zu. Geschützt wird mit der staatlich-abstrakten Autonomie zum staatlichen Handeln letztlich die Autonomie der staatlichen Bevölkerung zu gemeinschaftlichem Handeln im Rahmen der Organisationsform des Staates.7 Die legitimationsbegründenden Kräfte staatlich-autonomen Handelns bedürfen daher kaum mehr einer weiteren Begründung. Sie tauchen in der heutigen Diskussion weitgehend als Begründungsaxiom, nicht mehr als eigenständiges Begründungsproblem abstrakter Legitimationsströme auf. In der jüngeren Diskussion um Konstitutionalisierungsprozesse jenseits des Staates wird das hohe Maß der Anerkennung der legitimationsbegründenden Kräfte staatlich-autonomen Handelns unmittelbar deutlich. Nicht geht es in dieser Diskussion um die Begründung derartiger Kräfte (sie sind weitgehend anerkannt und gehören zum gesicherten Bestand der Staatslehre). Vielmehr geht es um die Frage, ob und gegebenenfalls wie ein Weniger an staatlicher Autonomie das damit entstehende Legitimationsdefizit durch über- oder zwischenstaatliches Handeln ausgeglichen werden kann. Die legitimationsbegründenden Kräfte staatlich-autonomen Handelns sind also nicht Gegenstand, sondern Ausgangspunkt der Diskussion um grenzüberschreitende Konstitutionalisierungsprozesse. Allein der Umstand, dass diese Konstitutionalisierungs4 Überblick etwa bei Ott, Walter, Der Rechtspositivismus, 2. Aufl. 1992, Berlin, Duncker und Humblot. 5 Vgl. aus der deutschen Literatur insbesondere Jellinek, Georg, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. Berlin, 1914, der in den Mittelpunkt seiner Überlegung die Anerkennung äußerer Autorität durch die Rechtsunterworfenen stellt und damit letztlich die Überzeugung der Rechtsunterworfenen von der Gültigkeit des Rechts zum Geltungsgrund der Rechts erhebt. 6 Hart, Herbert L.A., The Concept of Law, 2. Auflage 1994, S. 89 ff. 7 Fiktionen eines Gemeinwillens, wie etwa in Rousseaus Sozialkontrakt, sind in der politischen Theorie von heute dafür nicht mehr notwendig. Nur im Abstrakten ist Handeln durch den Staat wirklich „gemeinschaftliches Handeln“. Denn es sind immer einzelne, die das hierdurch definierte staatliche Handeln in ihrem Sinne allein oder gemeinschaftlich konkretisieren.

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

prozesse der heutigen Staats- und Rechtslehre überhaupt grundlegende methodische Probleme bereiten, zeigt, wie weitgehend die These von der legitimationsbegründenden Kraft staatlich autonomen Handelns anerkannt ist.8 Wenn diese legitimierende Kraft autonomen staatlichen Handelns tatsächlich in dieser Weise besteht oder jedenfalls anerkannt ist, dann ist es eine einfache Konsequenz, dass die Beschneidung staatlicher Autonomie – auch ihre selbstgewählte Beschneidung – ihrerseits legitimiert werden muss, und zwar durch andere Gesichtspunkte als nur ihre Selbstgewähltheit. Denn wenn man sich entscheidet, bestimmte Entscheidungsmöglichkeiten aus der Hand zu geben, dann rechtfertigt sich dies nur so lange und so weit, wie die Unterwerfung unter die dann gegebenenfalls fremde Entscheidung die besseren Ergebnisse herbeiführt. Das Weniger an Inputlegitimation muss – jedenfalls ungefähr – durch ein Mehr an Outputlegitimation kompensiert werden (nähere Einzelheiten Teil E.II.1. unten).9 In dieser Tradi8 In der Europäischen Union etwa wäre die Debatte um die Subsidiarität unionalen Handelns gar nicht zu verstehen, wenn nicht im mitgliedstaatlich autonomen Handeln ein rechtfertigender Wert an sich läge. Grundlegende Prinzipien wie das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung etwa wären vollkommen sinnentleert, wenn der staatlichen Autonomie im Handeln kein solcher Wert an sich zugemessen würde. Gleiches gilt für staatlich-föderale Systeme. Der bundesdeutsche Föderalismus etwa setzt an der Autonomie der Länder als einem Wert an sich an, wenn er ihnen im Grundsatz die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuweist (vgl. Art. 30, 70, 83 GG). 9 Dieser Argumentation treten manche mit der These entgegen, dass die „Fremdbestimmtheit“ durch internationale Streitbeilegungsorgane nicht notwendig ein Mangel, sondern gerade erst Ausdruck demokratischer Inputlegitimation sei. In der Tat ist das WTO-Recht mit seinem Streitbeilegungsmechanismus – ähnlich einer Verfassung mit Verfassungsgericht – Ausdruck demokratischen Entscheidungsverhaltens (wie im folgenden Abschnitt argumentiert wird und angesichts der Ratifikationsprozesse auch gar nicht Frage gestellt werden kann). Insbesondere erfüllt das WTO-Recht – ähnlich den mitgliedstaatlichen Verfassungen – seine „Leitplankenfunktion“ allein auf der Grundlage der demokratischen Ratifikationsentscheidungen und der fehlenden Vertragsbeendigung. Die Mitgliedstaaten wollten – und wollen – die WTO ganz offenbar in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung. Dieses demokratische Getragensein der völkerrechtlichen Bindung ändert aber nichts daran, dass eine Entscheidung der Streitbeilegungsorgane, insbesondere eine marktintegrative Entscheidung, ein substanzielles Defizit demokratischer Inputlegitimation in sich tragen kann. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Legitimation öffentlichen Entscheidens (public choice) nicht nur die Dimensionen von input und output hat, sondern auch eine weitere Dimension von Abstraktheit und Konkretheit. So mag die Überantwortung von Entscheidungsspielräumen an unabhängige Streitbeilegungsorgane durch einen Mitgliedstaat zwar allgemein demokratisch getragen sein, soweit sich der Mitgliedstaat der Tätigkeit dieser Organe im Allgemeinen unterwirft. Sie mag ihre Grenzen aber in ganz bestimmten Entscheidungsgehalten finden, die von dem unterlegenen Mitgliedstaat gegebenenfalls nicht gewollt sind. In diesem Sinne kann zwischenstaatliche Streitbeilegungstätigkeit, wie sich in Fällen der Nichtumsetzung streitbeilegender Entscheidungen zeigt, ein „Zuwenig“ an demokratische Inputlegitimation aufweisen (dogmatisch schlägt sich dies in Konstruktionen wie etwa einem ultra vires-Argument nieder). Der Mangel an Inputlegitimation ergibt sich in diesem Zusammenhang nicht aus einem abstrakten Nicht- oder Nicht-Mehr-Gewolltsein des Streitbeilegungsmechanismus als Ganzem. Er ergibt sich vielmehr aus dem konkreten Willen der mitgliedstaatlichen Bevölkerung zu einer anderartigen Entscheidung. In diesem Sinne – und hier versagt der Vergleich zur Verfassung, weil

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tion wird die autonomiebegrenzende Wirkung des WTO-Rechts als ein wichtiger, wenn nicht sogar als der wichtigste Gesichtspunkt am Ursprung der wahrgenommenen „Legitimationskrise“ des WTO-Rechts gesehen.10 Konsequenterweise enthalten Vorschläge für mehr Legitimation denn auch Elemente, die aus dem staatlichen Zusammenhang bereits bekannt sind, wie etwa Vorschläge nach einem „embedding“ der WTO in ein System der „checks and balances“, das sich materiell durch Anerkennung sogenannter „non-trade“-Werte auszeichnen solle.11 Mittlerweile wird aber auch verstärkt über die legitimationsbegründenden Wirkungen interessegeleiten Entscheidens nachgedacht.12 Das WTO-Recht vermag das mit seiner Umsetzung verbundene Weniger an demokratisch-mitgliedstaatlicher Inputlegitimation allein durch die Verwirklichung des ihm zugrundeliegenden Zwecks des Antiprotektionismus zu kompensieren. Hintergrund dessen ist, dass ein Staat durch die Bekämpfung des eigenen Protektionismus volkswirtschaftlich gewinnt. Gelebter Antiprotektionismus führt zwar zu marktbedingten Umstrukturierungen, durch die einzelne Beteiligte auch in reine Verlustsituationen geraten können. Diese individuellen Verluste werden durch die volkswirtschaftlichen Effizienzgewinne aber bei weitem ausgeglichen.13 In der Außenwirtschaftstheorie ist dieser Gesichtspunkt seit Jahrzehnten vollkommen unbestritten.14 Man kann daher argumentieren, dass ein Mangel an demokratischer Legitimation im Entscheidungsverhalten eines unterlegenen beklagten MitgliedVerfassungsgerichtsentscheidungen regelmäßig auch gegen den Willen der unterlegenen Partei durchsetzbar sind – ist ein „Zuwenig“ demokratischer Inputlegitimation von Streitbeilegungsentscheidungen nicht nur denkbar, sondern geradezu typisch für den Nichtumsetzungsfall. Es entsteht in dieser Situation das „legitimationstheoretische Paradox“, dass ein Mitgliedstaat in der WTO verbleibt, sich damit zugleich verpflichtet, streitbeilegenden Entscheidungen umzusetzen, sich gleichzeitig aber nicht zu einer Umestzung der konkret beanstandeten Streitbeilegungsentscheidung entschließen kann. Dieses Paradox lässt sich durch die Einführung der Dimension der Konkretheit / Abstraktheit und damit durch das gedankliche Konstrukt eines – wenn auch konkretisierten – Defizits demokratischer Inputlegitimation streitbeilegender Entscheidungen auflösen. Dies zeigt, dass dieses Konstrukt als analytisches Instrument nicht nur denkbar, sondern auch überaus nützlich ist. Andernfalls könnte die Widersprüchlichkeit im Verhalten nämlich nur noch durch die realen Interessenskonstellationen im Staat erklärt werden, ein Erklärungsweg, der nicht nur die Entscheidungsstrukturen im Staat in den Blick nimmt, sondern auch schnell materielle Elemente der Rechtfertigung in sich aufnimmt und damit leicht zum Einfallstor für – je nach Standpunkt – „sinnvolle Weigerungen“ gegenüber weniger sinnvollen Weigerungen wird. 10 Vgl. etwa Jackson, John H., Perceptions about the WTO Trade Institutions, 1 World Trade Review 2002, S. 101, 105: „government being close to its constituents“. 11 Überblick etwa bei Esty, Daniel C., The World Trade Organization’s Legitimacy Crisis, 1 World Trade Review 2002, S. 7. 12 Etwa Nettesheim, Martin, Legitimizing the WTO: The Dispute Settlement Process as Formalized Arbitration, 53 Rivista trimestrale di diritto pubblico 2003, S. 711. 13 Vgl. etwa Baccetta, Marc und Marion Jansen, Adjusting to trade liberalization: the role of policy, institutions and WTO disciplines, Genf: WTO Publications, 2003. 14 Nachweis etwa bei Shone, Robert, The Pure Theory of International Trade, London: Macmillan, 1972.

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

staates, der eine WTO / GATT-rechtliche Entscheidung nun umsetzen soll, durch die damit erreichten Effizienzgewinne kompensiert wird. Die damit verbundene tying hands-Funktion internationaler antiprotektionistischer Regeln ist ein Kerngedanke funktionalistischer Konstitutionalismustheorie zum WTO / GATT-Recht. Sie ist nicht zuletzt in den gedanklichen Grundlagen konstitutioneller Ökonomie verwurzelt.15 Allerdings fragt es sich, ob der gelebte Antiprotektionismus des WTO / GATTRechts auch in den eingangs hervorgehobenen marktintegrativen Zusammenhängen ein ausreichendes Legitimationspotenzial bereithält. Soweit dies der Fall ist, können die Streitbeilegungsorgane das in den Vorschriften des WTO / GATTRechts angelegte marktintegrative Potenzial ausschöpfen, ohne dadurch größere Legitimationsprobleme hervorzurufen. Gehen die Streitbeilegungsorgane demgegenüber über diese Grenze hinaus, werden sie angesichts der schwierigen politischen Abänderbarkeit ihrer Entscheidungen (Konsenserfordernis!) eine schwerwiegende Legitimationskrise heraufbeschwören. Greifen sie zu tief in die substanzielle regulative Autonomie ein, werden ihre Entscheidungen gegebenenfalls nicht mehr von der mitgliedstaatlichen Gemeinschaft als ganzer weiter getragen sein. Um das richtige Maß der Eingriffstiefe entwickeln zu können, sollen im Folgenden nach einigen begrifflichen Vorüberlegungen (Teil B.I. unten) zunächst die konzeptionellen Unterschiede zwischen klassischer Handelsliberalisierung, die auf bloße Wettbewerbsgleichheit Wert legt (Handelsliberalisierung im engeren Sinne), und Marktintegration, der auf den Abbau von Handelsbeschränkungen per se abzielt (Handelsliberalisierung im weiteren Sinne), verdeutlicht werden (Teil B.I. unten).

I. Begriffliche Überlegungen Die mitgliedstaatlichen Selbstbeschränkungen des WTO-Rechts werden oft unter dem Begriff der mitgliedstaatlichen Souveränität geführt.16 Diese Begriffsverwendung ist irreführend. Gemeint ist in der Regel die mitgliedstaatliche Autonomie, nicht die mitgliedstaatliche Souveränität. Denn das WTO-Recht ist schon wegen seines Charakters einer autonom gegebenen und weiter fortgetragenen Selbstbeschränkung kein Eingriff in die Souveränität der Mitgliedstaaten. Wenn 15 Näher etwa Behrens, Peter, Rechtliche Strukturen der Weltwirtschaft in konstitutionenökonomischer Perspektive, in: Globalisierung und Rechtsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Tübingen: Mohr, 1999, S. 9; Vanberg, Viktor, A Constitutional Political Perspective on International Trade, 43 ORDO (1992), S. 375; Guter Überblick zur Schule der „Constitutional Economics“ etwa Buchanan, James M., Constitutional Economics, Stichwort in: The New Palgrave, London: MacMillan, 1987, S. 585; Hoppmann, Erich, Ökonomische Theorie der Verfassung, 38 ORDO 1987, S. 31. 16 Zur WTO-Gründungsdebatte in den Vereinigten Staaten etwa Jackson, John H., The Great 1994 Souvereignty Debate: United States Acceptance and Implementation of the Uruguay Round Results, 36 Columbia Journal of Transnational Law 1997, S. 157.

I. Begriffliche Überlegungen

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man dem Souveränitätsbegriff heute überhaupt noch eine sinnvolle Bedeutung zumessen will, dann wohl allenfalls im Sinne einer (wenn auch fiktiven) Freiheit von Staaten vor Hindernissen von außen.17 Eine solche äußere Beschränkung kann im WTO-Recht aber schon seiner Entstehung nach nicht liegen. Denn die vom WTORecht beanspruchte Geltungskraft entfaltet sich allein aus dem Gesichtspunkt der einmal nach den überkommenen Verfahren gegebenen und damit rechtlich relevanten Zustimmung der WTO-Mitgliedstaaten zum Vertragswerk der WTO. Die WTOMitgliedstaaten haben die WTO-Abkommen durch Unterzeichnung angenommen und anschließend nach ihren innerstaatlichen Regeln ratifiziert18. In diesen Annahme- und Ratifizierungsprozessen liegt die originäre Ausübung mitgliedstaatlicher Entscheidungsgewalt. Sie geschahen – wie üblich beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge – unter dem Gesichtspunkt der formalen Gleichheit der Staaten. Trotz des mit dem Gedanken der formalen Gleichheit der Staaten verbundenen Ungleichbehandlung der mitgliedstaatlichen Bevölkerungen nach ihrer Größe19 ist jede Ratifikationsurkunde für sich genommen daher Ausdruck autonomen mitgliedstaatlichen Entscheidungsverhaltens: Mit der Ratifikation übt ein Mitgliedstaat seine Entscheidungsautonomie dahin aus, dass er sich an das von ihm abgeschlossene und ratifizierte völkerrechtliche Abkommen binden will. In diesem Sinne steht das WTO-Recht mitgliedstaatlich autonomem Entscheidungsverhalten im Grundsatz zunächst nicht entgegen, sondern ist gerade Aus17 An dieser Stelle soll keine materielle Auseinandersetzung mit dem viel mißbrauchten Souveränitätsbegriff geführt werden. Für einen kritischen Überblick vergleiche aber etwa Krasner, Stephen D., Sovereignty: Organized Hypocrisy, Princeton, NJ: Princeton UP, 1999. Zur Aussagelosigkeit des Souveränitätsbegriff in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen jüngst Raustiala, Kal, Rethinking The Souvereignty Debate in International Economic Law, 6 JIEL 2003, S. 841. 18 Zu den Einzelheiten vgl. insbesondere die Beiträge in dem Sammelband von Jackson, John H. und Alan O. Sykes, Implementing the Uruguay Round, Oxford, Clarendon Press, 1997. 19 Weil dieses Gleichheitskonzept keine Differenzierungen nach der Einwohnerzahl der beteiligten Vertragsstaaten zulässt, müssen materielle Ungleichheiten in der Einwohnerzahl eines Staates dabei weitgehend außer Betracht bleiben. Dieser Umstand setzt sich im Verfassungsleben der Organisation fort, insbesondere etwa im Rahmen der Beschlussfassung. Besonders deutlich wird dies nicht nur im Verhältnis von großen und kleinen Mitgliedstaaten zueinander, die trotz ihrer unterschiedlichen Einwohnerzahl das gleiche Stimmengewicht haben (Art. IX Abs. 1 Satz 3 WTO), sondern vor allem auch in der Ungleichbehandlung ungefähr gleich großer regionaler Wirtschaftszentren. Während etwa die Vereinigten Staaten wie jeder andere Mitgliedstaat über eine Stimme verfügt, verfügt die annähernd vergleichbar große Europäische Gemeinschaft über die Zahl der Stimmen ihrer Mitgliedstaaten (Art. IX Abs. 1 Satz 4 WTO). Aus Sicht der mitgliedstaatlichen Bürger sind sowohl die Schaffung des WTO-Rechts als auch seine Fortentwicklung daher in verschiedene Richtungen von großer Ungleichheit geprägt. In Begriffen nationalverfassungsrechtlicher Wahlrechtsgrundsätze ist diese Ungleichheit sozusagen eine Ungleichheit im „Zählwert“. Neuere Vorschläge gehen daher in Richtung eines gewogenen Wählens nach dem Vorbild etwa der Bretton Woods Organisationen, vgl. näher Cottier, Thomas und Takenoshita Satoko, The Balance of Power in WTO Decision-Making: Towards Weighted Voting in Legislative Response, 58 Aussenwirtschaft 2003 S. 171.

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

druck autonomen Entscheidungsverhaltens. Zwar hätten viele Mitgliedstaaten jeweils für sich genommen das WTO-Recht vielleicht gerne anders als in der heute vorliegenden Form ausgestaltet. Es spricht sogar viel für die These, dass kein einziger Mitgliedstaat die WTO genau so bekommen hat, wie er sie ursprünglich gewollt hat, sondern dass alle Mitgliedstaaten manche ihrer Forderungen aufgeben mussten. Dass sie das WTO-Recht gleichwohl ratifiziert haben, war aber nicht einem unwiderstehlichen Zwang von außen geschuldet, sondern Teil des politischen Kompromisses. Daran, dass das WTO-Recht Ausdruck der mitgliedstaatlichen Autonomie ist, kann insbesondere die nachträgliche Behauptung nichts ändern, manche Staaten hätten das WTO-Recht in der gegenwärtigen Ausgestaltung nicht gewollt. Es mag zwar tatsächlich so sein, dass viele Entwicklungsländer etwa das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) wegen der ihnen entstehenden Nettokosten nur abgeschlossen haben, um ihrerseits das Übereinkommen über die Landwirtschaft und das Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung zu erwirken20. Ja es mag sogar so sein, dass ihnen diese beiden Abkommen nicht einmal das geben, was sie sich von ihnen versprochen haben, da sie trotz entsprechender Verpflichtungen substanziell kaum über den Liberalisierungsstand von 1995 hinausgehen21. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die Entwicklungsländer den von ihnen eingegangenen Kompromiss ohne äußeren Zwang eingegangen sind. Für diese These spricht nicht nur der Akt der Ratifizierung selbst, sondern vor allem auch das bisherige Fehlen von Rücktritten nach Art. XV WTO. Man mag diese Abwesenheit von Rücktritten bei aller geäußerten Unzufriedenheit als plebiscite de tous les jours betrachten. Die Mitgliedstaaten scheinen bei aller Kritik die WTO doch eher so zu wollen, wie sie ist, statt mit einer Welt ohne die WTO vorlieb zu nehmen. In der „Verfassungsdebatte“ zum WTO-Recht wird freilich dennoch heftig über die konkrete Ausformung der mit dem WTO / GATT-Recht eingenommenen Auto20 Dazu besonders deutlich Govaere, Inge und Paul Demaret, The TRIPs Agreement: A Response to Global Regulatory Competition or an Exercise in Global Regulatory Coercion?, in: Esty, Daniel C. und Damien Geradin, Regulatory Competition and Economic Integration, Comparatice Perspectives, Oxford, OUP, 2001, S. 364. Jüngst ferner etwa Abbott, Frederick M., The TRIPS-Legality of Measures Taken to Adress Public Health Crises: Responding to USTR-State-Industrie Positions that Undermine the WTO, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 311 mit Antwort von Srinivasan, T. N., The TRIPS-Agreement, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick, The Political Economy of International Trade Law (Hrsg.), Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 343; ferner Abbott, Frederick M., The Enduring Enigma of TRIPs: A Challenge for the World Economic System, 1 JIEL (1998), S. 497. Weniger kritisch aus ökonomischer Sicht insbesondere Maskus, Keith E., Taking the Medicine, with Angst: An Economist’s View of the TRIPs Agreement, Institute of International Economics, 2000. 21 Zum Übereinkommen über die Landwirtschaft insoweit besonders kritisch etwa Tangermann, Stefan, Agriculture on the Way to Firm International Trading Rules, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 254, 257 ff.

I. Begriffliche Überlegungen

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nomie(selbst)beschränkungen gestritten. Der Begriff der Autonomie wird dabei in der Regel von jenen verwendet, denen es um die Entscheidungsfreiheit eines Staates unter Anerkennung seiner normativ-faktischen Einbindung in die Welt der anderen Staaten geht. Insoweit ist Autonomie – anders als Souveränität – kein Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung, sondern eher ein solcher der technisch akuraten Analyse beziehungsweise der normativen Argumentation. Im Bereich des WTO-Rechts wird der Begriff der Autonomie überwiegend als Gegenpol zur rechtlichen Pflichtenstellung der WTO-Mitgliedstaaten genutzt. Der derart benutzte Autonomiebegriff erhält – anders als ein Souveränitätsbegriff – seine Substanz gerade in Abgrenzung zu den rechtlichen Pflichten des WTO-Rechts. In der WTO-Verfassungsdebatte nimmt der Autonomiebegriff daher eine zentrale Rolle ein. Es geht denjenigen, die ihn benutzen, in der Regel um die Erhaltung und Ausübung jener Regelungsfreiheit, die den Mitgliedstaaten angesichts der materiellen und prozeduralen Pflichten in der WTO (noch) verbleibt.22 Es ist diese Selbstbestimmtheit in der politischen Zielsetzung, die dem Begriff der staatlichen Autonomie Leben einhaucht, zugleich aber zu einem schwierigen Begriff macht. Der Begriff der Autonomie der Mitgliedstaaten mag in seinem Benutzungszusammenhang daher strukturell mit dem Begriff der (negativen) Freiheit des Einzelnen gegenüber seinem Staat23 vergleichbar sein. Denn bei allen Unterschieden zwischen der „WTO-Verfassung“ und einer staatlichen Verfassung besteht – nimmt man die institutionelle und rechtliche Verdichtung der WTO zur Kenntnis – doch immerhin eine funktionale und strukturelle Parallelität zwischen der Position eines Mitgliedstaats gegenüber der WTO-Streitbeilegung und der Position des Einzelnen gegenüber seinem Staat. Beide Positionen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ihrem Träger angesichts seiner Pflichtenstellung ein Mindestmaß an eigenem Bewegungsraum erhalten. Diese Parallelität ist freilich allein auf die Wirkrichtung beschränkt und erfasst insbesondere nicht die Qualität der ins Auge gefassten Beschränkungen. Es soll an dieser Stelle weder behauptet werden, dass die WTO in ihrer Herrschaftsdichte einem Staat qualitativ ähnlich sei, noch, dass das Schutzbedürfnis eines Menschen gegenüber seinem Staat demjenigen eines Mitgliedstaats gegenüber der WTO qualitativ auch nur in Ansätzen gleiche. Vielmehr soll lediglich die funktionale und gegebenenfalls strukturelle Nähe zwischen dem Begriff staatlicher Autonomie und dem Begriff menschlich-individueller Freiheit hervorgehoben werden. Für weitergehende Behauptungen und Vergleiche qualitativer 22 Mit dem Begriff der Souveränität hat diese Nutzung des Begriffs der Autonomie daher auch konzeptionell nicht viel zu tun. Denn die Mitgliedschaft ist nach Art. XV WTO nach Ablauf der festgelegten Frist voraussetzungslos beendbar, so dass die WTO keine Beeinträchtigung der äußeren Souveränität der Mitgliedstaaten mit sich bringt. Dennoch aber ist, solange die Mitgliedschaft besteht, die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten in diesem Sinne durch das WTO-Recht eingeschränkt. 23 Überblick etwa bei Berlin, Isaya, Two Concepts of Liberty, in: ders., Four Essays on Liberty, Oxford, OUP, 1969; S. 118; MacGallum, G.C., Negative and Positive Freedom, 76 Philosophical Review 1967, S. 312; aus der verfassungsrechtlichen Literatur etwa Grabitz, Eberhard, Freiheit und Verfassungsrecht, Mohr, 1976, S. 139 ff., insbesondere 143 f.

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

Art ist die Herrschaftsdichte der WTO viel zu gering und, korrespondierend hierzu, die Stellung eines einzelnen Mitgliedstaates in der WTO viel zu stark.24 In der Begrenzung auf die funktionalen Gesichtspunkte machen derartige Vergleiche der WTO-spezifischen Spannungslagen mit bekannten innerstaatlichen Spannungslagen die Wirkrichtungen deutlich, in denen in der Diskussion argumentiert wird. Ein Blick in die staatsrechtliche Konstellation kann insbesondere im Hinblick auf die Struktur der verwendeten Begriffe fruchtbar sein. Denn begriffliche Strukturen heben die Gemeinsamkeiten zwischen ihren Benutzungszusammenhängen unter Ausblendung der Unterschiede hervor. Am negativen Freiheitsbegriff wird dies unmittelbar deutlich: Nach Robert Alexy etwa ist negative Freiheit eine dreistellige Relation zwischen einem Freiheitsträger, einem Freiheitsgegenstand und einem Freiheitshindernis.25 Will man diese Struktur auf den WTO / GATT-rechtlichen Begriff übertragen, so ergibt sich daraus eine dreistellige Relation zwischen einem Autonomieträger, einem Autonomiegegenstand und einem Autonomiehindernis. Es folgt fast wie von selbst, dass der Autonomieträger in diesem Verständnis ein WTO-Mitgliedstaat sein muss, der Autonomiegegenstand sein marktregulatives Handeln und das Autonomiehindernis die durch das WTO / GATT-Recht verwirklichte normativ-faktische Selbstbeschränkung. Derartige strukturelle Begriffsverwendungen geben lediglich Leitplanken für die Diskussion vor. Hierin liegt aber bereits ein eigenständiger Mehrwert. Denn die strukturellen Überlegungen verdeutlichen, worüber man im Einzelnen streitet. Vorliegend macht der strukturelle Autonomiebegriff deutlich, dass es hier kaum um die Trägerschaft von Autonomie geht (Träger ist eben der Mitgliedstaat), noch um den Gegenstand (Gegenstand ist eben Regulation der Märkte in allen erdenklichen Formen), sondern allein um die Ausformung des – wenn auch selbstgewählten – Autonomiehindernisses (Hindernis ist das WTO / GATT-Recht).

II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis Gegenstand aller Überlegungen ist daher die nähere Ausformung des durch das WTO / GATT-Recht aufgestellten Autonomiehindernisses. Ausgangspunkt muss insoweit die Zielsetzung des WTO / GATT-Rechts sein. Denn es ist gerade der gemeinsame Wille der Mitgliedstaaten zur Erreichung der diesem Rechtsbereich zu24 Der Begriff der Freiheit wird in einer großen Vielzahl von materiell aufgeladenen Bedeutungen benutzt, die hier nicht interessieren sollen. Es sei aber angedeutet, dass derartige inhaltsabhängige Verständnisse des Begriffs Freiheit vor Mißbrauch nicht gefeit sind. Ein Blick auf den Begriff der Freiheit ist daher ein nicht ungefährliches Unterfangen. Von inhaltlichen Bindungen des Freiheitsbegriffs gleich welcher Art soll an dieser Stelle daher abgesehen werden. 25 Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994, S. 197.

II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis

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grundeliegenden Ziele, der die Mitgliedstaaten diesen Rechtsbereich überhaupt erst hat schaffen lassen. Die Zielsetzung des WTO / GATT-Rechts ist die Bekämpfung mitgliedstaatlichen Protektionismus. Das gesamte WTO / GATT-Recht ist in diesem Sinne ein Recht des Antiprotektionismus. So selbstverständlich dem Welthandelsrechtler diese Feststellung auch sein mag, so sehr bedarf sie doch einer näheren Herleitung. Denn im gesamten WTO-Recht findet sich keine einzige Vorschrift des Gehaltes wie etwa: „Die WTO ist dem Antiprotektionismus verpflichtet“. Vielmehr findet sich in der Präambel des WTO-Übereinkommen lediglich eine Vielzahl anderer Ziele. So ist in den beiden ersten Erwägungsgründen der Präambel des WTO-Übereinkommens, auf die der dritte Erwägungsgrund ausdrücklich als Zielvorgabe für das WTO-Recht verweist26, ein ganzes Bündel unterschiedlichster Ziele vorgegeben, bei denen dasjenige des Antiprotektionismus gerade nicht auftaucht. Die Zielvorgaben enthalten etwa die Erhöhung des Lebensstandards, die Sicherung der Vollbeschäftigung, eines hohen und ständig steigenden Umfangs des Realeinkommens, der optimalen Hilfsquellennutzung, des effektiven Umweltschutzes, die Vereinbarung mit dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand eines Mitgliedstaates usw. In der Lektüre derartiger Erwägungsgründe, die sich ganz ähnlich in der Präambel des GATT finden, kommt der Antiprotektionismus als eigenständiges Ziel mithin nicht deutlich zum Ausdruck. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass dem WTO-Recht eine ausdrückliche Festlegung auf die Zielvorstellung des Antiprotektionismus fehlen würde. Im Gegenteil: Nach dem dritten Erwägungsgrund der Präambel des WTO-Übereinkommens sind der WTO typisch antiprotektionistische Mittel zur Umsetzung der genannten Fernziele beigestellt, namentlich der „wesentliche Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie [ . . . ] die Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen“, jeweils „auf Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen“. Diese Mittel sind Mittel des Antiprotektionismus. Auch aus den vielfältigen Verboten des GATT-Rechts wird die antiprotektionistische Zielsetzung im Grundsatz bestätigt. Neben vielen anderen Vorschriften, die die im Bereich der Zölle erreichte Handelsliberalisierung absichern sollen, wird dies in textualer Hinsicht unter anderem in Art. III GATT deutlich, der seiner Struktur nach eben nicht jede Ungleichbehandlung zwischen Waren in- und ausländischer Herkunft verbietet, sondern nur solche Ungleichbehandlungen, die die inländische Erzeugung zu schützen geeignet sind (vgl. Art. III Abs. 1 a.E. GATT, nähere Einzelheiten Teil C.I. unten). Auch in den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse finden sich eine Vielzahl antiprotektionistischer Regelungen (nähere Einzelheiten Teil C.II. unten). Dem WTO / GATT-Recht liegt mithin ein antiprotektionistischer Autonomiebegriff zugrunde, auch wenn dies nirgendwo ausdrücklich so gesagt wird.27 Kerngedanke dieses antiprotektionistischen Auto„[ . . . ] zur Verwirklichung dieser Ziele [ . . . ] beizutragen [ . . . ].“ Ziele wie etwa die Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards, die Sicherung der Vollbeschäftigung, ein hoher und ständig steigender Umfang des Realeinkommens und derglei26 27

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

nomiebegriffs ist, dass die WTO-Mitgliedstaaten in der Ausübung ihrer staatlichen Befugnisse durch die Grenzen WTO-rechtlichen Antiprotektionismus gebunden sind. Mit anderen Worten: Staatliches Handeln steht den Mitgliedstaaten in alle Richtungen offen, solange es nur nicht protektionistische Wirkungen entfaltet (zur näheren Konkretisierung Teil C. unten).28 Der damit umrissene antiprotektionistische Autonomiebegriff ist in seinem konkreten Gehalt allerdings nicht ohne Schwierigkeiten, da protektionistisches Handeln nicht immer diskriminierendes Handeln ist, sondern auch in nicht-diskriminierendem staatlichem Handeln liegen kann. Setzt man den antiprotektionistischen Gedanken gegen alle Formen protektionistischen Handelns, insbesondere gegen nicht-diskriminierende Formen protektionistischen Handelns durch, so verengt man den Autonomiebegriff in der Sache erheblich. Dies ist nicht unproblematisch. Denn staatliche Autonomie muss, um echte Autonomie zu sein, eigentlich unabhängig davon bestehen, zu welchen (nicht-protektionistischen) Zwecken und mit welchen (nicht-protektionistischen) Mitteln sie gebraucht wird. Sie muss, um echte Autonomie zu sein, insbesondere auch die Autonomie zu substanziellem Regelungsverhalten umfassen, das andere Staaten vielleicht nicht an den Tag legen würden. Die Autonomie in der politischen Entscheidung muss daher inhaltsunabhängig („content-independent“) bestehen. Denn ihr wesentlicher Gehalt liegt ja gerade darin, politische Entscheidungen fällen zu können, die andere Staaten – vielleicht mit Recht – nicht fällen würden, weil sie aus ihrer Sicht falsch sind. Es ist gerade diese Problematik der Ausformung des antiprotektionistischen Prinzips, der sich die vorliegende Arbeit widmet. Daher sollen an dieser Stelle die konzeptionellen Grundlagen dieser Ausformung gelegt werden. Das WTO / GATTRecht kann in seiner antiprotektionistischen Zielrichtung in zwei Formen ausgestaltet werden, die sehr unterschiedliche Konsequenzen für die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten haben. Die erste Ausprägungsform drängt auf offene Grenzen, lässt aber die regulative Autonomie der beteiligten Staaten weitestgehend unberührt, indem sie diese dem regulativem Wettbewerb überantwortet (klassische Handelsliberalisierung). Die zweite Ausprägungsform geht demgegenüber darüber chen sind ohne Rückgriff auf effizienzstärkende Mechanismen wirtschaftlich schlechthin unmöglich zu erreichen. Aus Umverteilung allein entsteht noch kein Wachstum. Der Zielstruktur des WTO-Rechts ist mithin das Ziel der wirtschaftlichen Effizienz inhärent. Damit aber ist es auch der Antiprotektionismus. Denn in ökonomischer Hinsicht ist protektionistisches Verhalten zutiefst ineffizient. 28 Dieser Auffassung wird man freilich dann nicht folgen, wenn man Handelsbehinderungen ihren (auch) protektionistischen Charakter generell abspricht. Bereits in der Einleitung (Teil A.I.) hat der Verfasser deutlich gemacht, dass man mit einer derartigen Auffassung den Begriff des Protektionismus untunlich verengt, Auch nicht-diskriminierende, gleichwohl handelsbehindernde Maßnahmen zeitigen regelmäßig protektionistische Wirkungen. Der hier herausgearbeitete antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO-Rechts umfasst alle Maßnahmen mit protektionistischen Wirkungen, also sowohl solche, denen vorwiegend protektionistische Zwecke zugrundeliegen, als auch solche, die – von manchen als „bloße“ Handelsbehinderungen verstanden – (auch) nicht-protektionistische Zwecke in sich tragen.

II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis

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hinaus, indem es substanzielle Begrenzungen der Autonomie fordert, soweit deren Ausübung den zwischenstaatlichen Handel übermäßig beeinträchtigt (Marktintegration).29 Im Folgenden sollen diese Ausgestaltungsformen des Autonomiehindernisses konzeptionell näher konkretisiert werden, und zwar zunächst im Hinblick auf die Form der klassischen Handelsliberalisierung (Teil B.II.1. unten), im Anschluss hierin in der Form der Marktintegration (Teil B.II.2.).

1. Wettbewerbsgleichheit als WTO / GATT-rechtliches Autonomiehindernis: Das klassische Konzept der Handelsliberalisierung Handelsliberalisierung ist im multilateralen Rahmen die bisher wichtigste Ausprägungsform gelebten Antiprotektionismusses. Handelsliberalisierung ist nämlich nicht nur irgendein Mittel zur Umsetzung der antiprotektionistischen Zielsetzung. Es ist gerade das unter dem GATT typische Mittel zur Umsetzung dieser Zielsetzung. Im Wortlaut der Präambel der WTO wird dies unmittelbar deutlich: Der vierte Erwägungsgrund der Präambel nimmt ausdrücklich die Ergebnisse früherer „Handelsliberalisierungsbemühungen“ in Bezug, vermeidet demgegenüber aber Begriffe wie Harmonisierung, Regulierung oder Deregulierung. Der Abbau diskriminierender Handelsbeschränkungen durch Liberalisierung dient der möglichst weitgehenden rechtlichen Gleichstellung von Waren oder Dienstleistungen ausländischer Herkunft mit Waren oder Dienstleistungen inländischer Herkunft. Diese Zielsetzung der möglichst weitgehenden Gleichsetzung mit inländischen Waren lässt sich sogar in Rechtsprinzipien wahrnehmen, die ihrerseits zu inländischen Waren an sich überhaupt keinen Bezug herstellen, wie etwa in dem Grundsatz der Meistbegünstigung. Der Grundsatz der Meistbegünstigung hat vordergründig zwar allein den Zweck der rechtlichen Gleichstellung mit der meistbegünstigten Ware oder Dienstleistung ausländischer Herkunft. In diesem Sinne gilt er unabhängig des Erfordernisses der Inländerbehandlung, da auch bessere Behandlungen als diejenige innerstaatlicher Waren dem Meistbegünstigungsprinzip entsprechen müssen. Eine normativ-faktische Besserbehandlung der (meistbegünstigten) ausländischen Waren gegenüber inländischen Waren wird aber nur in Ausnahmefällen einmal vorkommen. In der Regel steht auch die meistbegünstigte ausländische Ware nicht besser als die vergleichbaren inländischen Waren, auf welche in der Regel eben kein Zoll und keine Zugangsbegrenzung oder dergleichen erhoben wird. In der 29 In dem gerade erwähnten dritten Erwägungsgrund der Präambel zum WTO-Übereinkommen wird dieser Dualismus zwischen solchem staatlichen Handeln, das seine protektionistischen Wirkungen gerade durch Diskriminierung entfaltet, und solchem Handeln, das seine protektionistischen Wirkungen unabhängig von solchen Diskriminierungen verwirklicht, bereits deutlich, indem er von Diskriminierungen einerseits und „Handelsschranken“ andererseits spricht. Zwar spricht er von den Handelsschranken nur im Anschluss an Zölle und nennt sie in diesem Zusammenhang „andere Handelsschranken“. Eine Verengung auf diskriminierende Handelsschranken wird hierin aber nicht liegen, sonst hätte der Begriff der „Diskriminierung“ nicht im Anschluss noch spezifisch genannt werden müssen.

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

ökonomischen Bedeutung geht es auch bei der Meistbegünstigung daher in der Regel um eine Annäherung an die rechtliche Situation inländischer Waren. In diesem Sinne ist Meistbegünstigung ein Hebel zur möglichst weitgehenden Annäherung an die Wettbewerbsgleichheit mit innerstaatlichen Waren. In Bereich der Handelsliberalisierung geht es mithin (fast) immer auch um eine Annäherung ausländischer Waren oder Dienstleistungen an die rechtliche Situation vergleichbarer inländischer Waren oder Dienstleistungen, selbst dann, wenn ein unmittelbarer Vergleich mit inländischen Waren oder Dienstleistungen im Einzelnen nicht gefordert ist, wie etwa nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz oder dem Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen wie etwa Quoten. Es ist mithin die Gleichheit in den Wettbewerbsbedingungen, die dem ursprünglichen Gedanken der Handelsliberalisierung zugrundeliegt, nicht mehr und nicht weniger. Daraus folgt unmittelbar, dass aus dem Gesichtspunkt der Handelsliberalisierung die substanzielle rechtliche Situation im mitgliedstaatlichen Markt in der Regel nicht in den Blick genommen wird, soweit sie nicht ihrerseits den Zugang zum mitgliedstaatlichen Markt selbst beeinflusst, wie es in der Regel bei Dienstleistungen etwa der Fall ist30. Im Grundsatz überlässt es das Konzept der Handelsliberalisierung den an ihr beteiligten Staaten daher, ihre innerstaatlichen Ordnungen selbst zu regulieren oder zu deregulieren. Klassische Handelsliberalierung schont dadurch schon konzeptionell die substanzielle Autonomie der Mitgliedstaaten31. In der streitbeilegenden Effektivierung wirkt klassische Handelsliberalisierung „substanzfern“. Sie dient neben der Effizienzsteigerung allenfalls der prozedural abgesicherten Berücksichtigung der Interessen von ausländischen Waren im Angesicht der mitgliedstaatlichen Regulation. Da die (ausländischen) Waren aller Mítgliedstaaten in ihrer Gesamtheit eine Mehrheit zu den Waren eines regulierend tätigen einzelnen Mitgliedstaats (der Minderheit) bilden, wird die richterliche Anwendung handelsliberalisierender Regelungen in diesem Zusammenhang auch als eine Form „majoritärer Adjudikation“ verstanden, die sich von der klassischen Rolle verfassungsrechtlicher Adjudikation, nämlich dem über individuelle Rechte garantierten Schutz von Minderheiten („minoritäre Adjudikation“), kategorisch unterscheidet.32 30 Näher zu diesem Element der Liberalisierung von Dienstleistungen insbesondere Feketekuty, Geza, Regulatory Reform and Trade Liberalization in Services, in: Sauvé, Pierre und Robert M. Stern (Hrsg.), GATS 2000, New Directions in Services and Trade Liberalization, Washington D.C., Brookings Institution Press, 1999, S. 225. 31 Näher etwa Roessler, Frieder, Diverging Domestic Policies and Multilateral Trade Integration, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, , Fair Trade and Harmonization: Prerequisites for Free Trade?, Volume 2: Legal Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 23. 32 Im europäischen Zusammenhang näher hierzu vor allem Maduro, Miguel Poiares, We, the Court. The European Court of Justice and the European Economic Constitution, Oxford: Hart Publishing, 1998, S. 61 ff. Das Modell minoritärer Adjudikation wurde jüngst insbesondere von von Bogdandy im Rahmen eines „Modells koordinierter Interdependenz“ auf die WTO-Ordnung übertragen, freilich unter Verkennung des Umstandes, dass das WTO-Recht

II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis

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Soweit die autonomieschonende Funktion des Konzepts der Handelsliberalisierung geht, ermöglicht sie regulativen Wettbewerb zwischen den an ihr teilnehmenden Staaten.33 Handelsliberalisierung dieser Art schafft mithin zwar keine Integration der rechtlichen Ordnungen, wohl aber Interdependenz über die Grenzen hinweg. Eigenständige regulative Ziele werden durch klassische Handelsliberalisierung mithin weder verwirklicht noch verhindert, sondern lediglich zugelassen. In deontischen Begriffen sind andere Politikziele danach weder geboten noch verboten, sondern lediglich erlaubt.34 Wie unmittelbarer Wettbewerb zwischen Individuen wirkt auch regulativer Wettbewerb zwischen staatlichen Ordnungen dabei im Sinne eines Such- und Findungsprozesses35 – freilich unter Inkaufnahme bestimmter destabilisierender Wirkungen.36 In diesem wettbewerblichen Sinne fördert klassische Handelsliberalisierung die Suche nach den besten regulatorischen Lösungskonzepten daher sowohl durch den Schutz der regulativen Autonomie (wettbewerbliches Element der Suche nach der besten Lösung) als auch durch die Steigerung der Interdependenz zur gedanklichen Ausweitung möglicher Lösungen (wettbewerbliches Element des Findens der besten Lösung). Dementsprechend erheben handelsliberalisierende Regeln nicht einen Weltmarkt zum Leitbild, sondern eine Vielzahl unterschiedlich regulierter mitgliedstaatlicher Märkte. Es handelt sich beim Konzept der Handelsliberalisierung mithin um die Schaffung von Interdependenz unter Wahrung der national unterschiedlich regulierten (und damit unterschiedlichen) Märkte. Entgegen einer weit verbreiteten These führt diese Steigerung von Interdependenz durch mehr Handel nicht notwendigerweise zu einem faktischen „race to the bottom“-Phänomen. Empirische Studien ergeben vielmehr, dass ebenso ein „race to the top“ zu beobachten sein kann.37 Aus Sicht des Verfassers ist die ganze Debatte zwischen „race to the bottom“ und „race to the top“ im Abstrakten nicht bei weitem nicht mehr allein aus handelsliberalisierenden Regeln im hier vorgetragenen engeren Sinne besteht. Zum ganzen näher Bogdandy, Armin von, Verfassungsrechtliche Dimensionen der Welthandelsorganisation, in KJ 2001, S. 264 (Teil I: Entkoppelung von Recht und Politik) und 425 (Teil II: Neue Wege globaler Demokratie?), bei S. 435 ff. 33 Das Konzept der Handelsliberalisierung ist damit nicht – wie manchmal angenommen wird – Ausfluss des Wirtschaftsliberalismus. Gleichwohl kann es freilich aus dem Gesichtspunkt der individuellen Freiheit heraus konstruiert werden. Aus ordoliberaler Sicht näher etwa Gerken, Lüder, Von Freiheit und Freihandel: Grundzüge einer ordoliberalen Aussenwirtschaftstheorie, Tübingen, Mohr, 1999. 34 Zu deontischen Begriffen näher Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte, Frankfurt a.M., 2. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994, S. 182 ff.; ferner Weinberger, Ota, Rechtslogik, 2. Aufl, Berlin: Dunker und Humblot, 1989. 35 Grundlegend Gerken, Lüder, Der Wettbewerb der Staaten, Tübingen, Mohr, 1999; Siebert, Horst, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs, Tübingen, Mohr, 2000. 36 Breton, Albert, Competitive Governments, Cambridge, CUP, 1996, S. 276. Diese destabilisierenden Wirkungen werden durch die volkswirtschaftlichen Effizienzgewinne aber regelmäßig bei weitem aufgewogen. 37 Vgl. etwa Vogel, David, Trading Up: Consumer and Environmental Regulation in a Global Economy, Cambridge Mass., Harvard University Press, 1995, S. 3 ff.

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

sinnvoll zu führen. Vielmehr ist anzunehmen, dass Interdependenz in der einen Situation zu einer effektiveren Anerkennung bestimmter Schutzgüter führt und daher die Richtung „upwards“ nimmt, in einer anderen Situation hingegen den Schutz dieser Güter verschlechtert und sich im Sinne dieser Diskussion daher „downwards“ bewegt. Der Blick durch die Brille des regulativen Wettbewerbs macht unmittelbar deutlich, warum dies so ist: Wird in einer Situation regulativer Diversität aus Gründen des grenzüberschreitenden Wettbewerbs (des „level playing“) zwischen Unternehmen eine Angleichung mitgliedstaatlich regulativer Gehalte gefordert, so kann dies entweder dadurch geschehen, dass der Staat mit den hohen Standards diese senkt38, oder dadurch, dass er gegenüber dem Staat mit niedrigen Standards Druck ausübt, um diesen zur Erhöhung seiner Standards zu bewegen. Ersterer Weg führt zu der bekannten Abwährtsbewegung („race to the bottom“), während letzterer Weg zu einer Aufwärtsbewegung führt („race to the top“). Welcher der beiden Wege im Zweifel eingeschlagen wird, hängt nicht von der Existenz regulativen Wettbewerbs als solchem ab, sondern von der Interessenorganisation in den jeweiligen Staaten selbst: Sind in dem Staat mit hohen Standards vor allem die Industrieinteressen gut organisiert, so wird dieser Staat auf deren Druck hin früher oder später die eigenen Standards senken wollen, soweit sie nicht gerade der Industrie selbst nützen (Tendenz: „race to the bottom“). Werden die Industrieinteressen in diesem Staat aber durch weitere Interessengruppen aufgewogen, die – meist gestützt auf die öffentliche Meinung – gerade für die hohen eigenen Standard eintreten (Gewerkschaften, Umweltorganisationen usw.), so kann dies in Kombination mit dem Druck von Seiten der Industrie dazu führen, dass sich der Staat, der die hohen Standards aufweist, seinerseits bemüht, die Staaten mit geringeren Standards zur Hebung ihrer Standards zu bewegen (Tendenz: „race to the top“)39. Diese Mechanismen werden insbesondere durch die Benutzung des „fair trade“-Konzepts in den Vereinigten Staaten eindrücklich bestätigt: Die Bemühungen, im Rahmen der section 301 des US trade acts von 1974, andere Staaten zur Hebung ihrer im Vergleich niedrigeren Umweltstandards zu bewegen, belegen eindeutig, in welcher Weise die Bewegung (das „race“) der Angleichung nicht nur „nach unten“ gehen kann (durch Senkung der eigenen Standards), sondern insbesondere auch nach oben40, wobei freilich die – jedenfalls normativ – 38 Rechtstechnisch kann dies insbesondere durch „echte Senkung“ geschehen, oder aber durch Äquivalente, wie z. B. die Subventionierung derjenigen Unternehmen, die den hohen Standard anwenden müssen; näher Hudec, Robert E., Differences in National Environmental Standards: The Level Playing Field Dimension, in: ders., Essays on the Nature of International Trade Law, London, Cameron May, 1999, S. 251, 252 f. 39 Aus politökonomischer Sicht näher dazu etwa Bhagwati, Jadish und T.N. Srinivasan, Trade and the Environment: Does Environmental Diversity Detract from the Case for Free Trade, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization: Prerequisites for Free Trade?, Volume 1: Economic Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 159, 161 ff. 40 Dazu aus der unübersehbaren Literatur nur etwa Abbott, Kenneth W., Defensive Unfairness: The Normative Structure of Section 301, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec,

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bisher wohl erfolgreichste Angleichung nach oben, nämlich die Einfügung des Schutzes geistigen Eigentums in das WTO-Recht selbst, überwiegend auf die Interessen der amerikanischen Industrie zurückzuführen ist41. Allerdings gab es auch andere Bewegungen nach oben, wie etwa im Fall des Schutzes von Delphinen vor Thunfischfängern oder des Schutzes von Schildkröten vor Garnelenfischern.42 Eine Ausnahme vom Prinzip des regulativen Wettbewerbs durch Handelsliberalisierung bildet freilich die besondere Technik der harmonisierenden Handelsliberalisierung. Harmonisierende Handelsliberalisierung liegt immer dann vor, wenn sich Staaten zum Abbau ihrer Handelsbeschränkungen nur über den Weg der Angleichung rechtlicher Regeln, insbesondere Verfahrensregeln entschließen können. Sie findet sich typischerweise in Bereichen, die bestimmte Verfahren zum Zwecke der Handelsliberalisierung vorsehen, wie in den Abkommen zum Schutzzollrecht, nach denen Antidumping- und Ausgleichszölle sowie „safeguards“ bestimmte Mindestvoraussetzungen im Hinblick auf das zugrundeliegende Verfahren erfüllen müssen.43 Unter Harmonisierung wird dabei im allgemeinen die entweder vollständige oder teilweise, ganze Bereiche oder auch nur Einzelfragen erfassende Angleichung der mitgliedstaatlichen Ordnungen durch zwischenstaatliche Regeln verstanden (Harmonisierung durch Angleichung oder Annäherung mitgliedstaatlicher Ordnungen)44. Denkbar ist Harmonisierung aber auch – wenn auch im untechnischen Sinne – in Form der Überspielung dieser Ordnungen durch unmittelbar anwendbare und vorrangige Regeln (Harmonisierung durch Schaffung uniformen Fair Trade and Harmonization: Prerequisites for Free Trade?, Volume 2: Legal Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 415; ferner Hudec, Robert E., Mirror, Mirror on the Wall: The Concept of Fairness in US Foreign Trade policy, in: ders., Essays, on the Nature of International Trade Law, London, Cameron May, 1999, S. 227. 41 Zur Rechtfertigung derartiger Praktiken durch das Konzept der „justified disobedience“, die insbesondere den Aspekt der Fortentwicklung des Rechts durch Rechtsverstoß in den Blick nimmt, näher Hudec, Robert E., Thinking about the new section 301: Beyond Good and Evil, in: ders., Essays, on the Nature of International Trade Law, London, Cameron May, 1999, S. 153, 172. Zur „systemischen Bedrohung“ des Welthandelssystems durch derartige Konzepte demgegenüber Howse, Robert und Micheal J. Trebilcock, The Fair Trade-Free Trade Debate: Trade, Labor, and the Environment, 16 Int. Rev. of Law and Ec. (1996), S. 63, 72. 42 Eine umfassende Analyse anhand praktischer Beispiele zwischen den Möglichkeiten eines niedrigsten gemeinsamen Nenners, eines höchsten gemeinsamen Nenners und heterogenen Ergebnissen zwischen diesen Idealtypen demnächst fundiert Murphy Dale D., The Structure of Regulatory Competition – Corporations and Public Policies in a Global Economy, OUP, 2004 (i.E.). 43 Ein weiterer Anwendungsfall harmonisierender Handelsliberalisierung findet sich etwa in den allgemeinen Verfahrensanforderungen an mitgliedstaatliche Verfahren (vgl. etwa Art. IX Abs. 3 ff., X GATT). 44 Einzelheiten zum Begriff zwischenstaatlicher Harmonisierung etwa bei Leebron, David W., Lying Down with Procrustes: An Analysis of Harmonization Claims, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization: Prerequisites for Free Trade?, Volume 1: Economic Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 41, 43. 4 Duvigneau

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supranationalen Rechts), wobei derartige Überspielungen durch das WTO-Recht bisher freilich nicht bestehen45.

2. Deregulierung als WTO / GATT-rechtliches Autonomiehindernis: Das Konzept der Marktintegration Dem Konzept der klassischen Handelsliberalisierung steht die Ausgestaltungsform der Marktintegration gegenüber. Marktintegration bedeutet die Auflösung der Vielzahl von Märkten in einheitliche Märkte durch Schaffung einheitlicher Vorgaben für die auf diesen Märkten gehandelten Waren. Während die durch Handelsliberalisierung erreichte Lösung zu einer Vielzahl unterschiedlich regulierter mitgliedstaatlicher Märkte führt, führt die Aufnahme deregulativer / reregulativer Elemente in die internationalen Regeln zu einer Vereinheitlichung der nationalen Märkte. Ziel regulativer Bestrebungen ist es, international operierenden Unternehmen (und damit letztlich den Verbrauchern wie überhaupt den einzelnen Volkswirtschaften) die Vielzahl unterschiedlicher Regulierungen zu ersparen, die jeder Mitgliedstaat nach seiner eigenen autonomen Entscheidung schafft. Konsequenz der Vereinheitlichung ist es, dass die Unterschiede zwischen mitgliedstaatlichen Regulierungen aufgehoben oder jedenfalls neutralisiert werden und dadurch die – durch Handelsliberalisierung gerade erhaltene – regulative Unterschiedlichkeit mitgliedstaatlicher Märkte zugunsten weltweit integrierter Märkte aufgelöst werden.46 Philosophisch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Freiheit des Handels so weit gehen soll, dass sie auch die Existenz regulativer Diversität in Frage stellt.47 Verneint man dies, so wird man lediglich den Zugang ausländischer Waren zu einem Markt offenhalten wollen, ohne dabei die substanzielle Regulation des mitgliedstaatlichen Marktes selbst mit in den Blick zu nehmen. Bejaht man die Frage demgegenüber, so wird man die Regulation der Märkte selbst als einen wesentlichen Regelungsgehalt des zwischenstaatlichen Regimes aufnehmen wollen48. 45 Als Beispiel für unmittelbar anwendbare und vorrangige (uniforme) Harmonisierung seien insbesondere die europarechtlichen Wettbewerbsvorschriften der Art. 81 ff. EGV genannt, die nur deshalb in diesem Rahmen sinnvoll verwirklicht werden können, weil auch die institutionellen Rahmenbedingungen dafür geschaffen wurden. Zum Für und Wider der Änderung des Art. 81 Abs. 3 EGV im Übrigen etwa Bogdandy, Armin von, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und Subsidiarität im transnationalen Wirtschaftsrecht, EuZW 2001, 357, 362. 46 Allgemeiner Überblick zur Debatte etwa in Howse, Robert und Micheal J. Trebilcock, The Fair Trade-Free Trade Debate: Trade, Labor, and the Environment, 16 Int. Rev. of Law and Ec. (1996), S. 63. 47 Vertieft stellen sich diese Frage insbesondere Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization, Prerequisites for Free Trade?, 2 Bände, Cambridge MA, MIT, 1996. 48 Zum grundlegenden Charakter dieser Frage insbesondere Weiler, J.H.H., Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders., The EU, the WTO and the NAFTA, Towards a Common Law of International Trade?, Oxford, OUP, 2000, S. 201. Ferner etwa

II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis

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Mit der Frage nach dem Für und Wider der Bekämpfung regulativer Diversität sind mithin die Grundlagen eines jeden Freihandelsregimes angesprochen. Die Frage stellt sich insbesondere in engem Zusammenhang mit dem Erfolg von Handelsliberalisierung. Denn Handelsliberalisierung dringt mit zunehmendem Voranschreiten zu den Tiefenschichten staatlicher Tätigkeit vor. Liberalisierungsbemühungen werden dementsprechend manchmal mit dem Schälen einer Zwiebel oder dem Auseinandersetzen einer russischen Puppe o.ä. verglichen. In diesen Bildern folgen jeder „Schicht“ bereits eingerissener Handelsbeschränkungen neue Schichten von Handelsbeschränkungen, die immer weiter zum Kern der regulativen Autonomie vordringen: Dem Einreißen von Zöllen folgt das Einreißen von mengenmäßigen Beschränkungen, gefolgt wiederum von der fortschreitenden Angleichung innerstaatlicher Regulierung usw.49 Dieses Bild zeichnet die Problematik zunehmender Handelsliberalisierung sehr genau auf. Aus den normativen Vorgaben von Handelsliberalisierung wird graduell eine Vorgabe der Marktintegration, wenn Handelsbeschränkungen zunehmend durch gleichbehandelnde, d. h. für alle Waren gleichermaßen geltende allgemeine Marktregulation spürbar werden. Technisch wird Marktintegration – anders als Handelsliberalisierung – nicht nur in Ausnahmefällen, sondern sogar in der Regel durch Harmonisierung erreicht (marktintegrative Harmonisierung). Marktintegrative Harmonisierung beschränkt sich nicht auf Verfahrensfragen, sondern ist in unterschiedlichen technischen und inhaltlichen Ausprägungen denkbar. Ein Blick auf das gemeinschaftliche, später unionale Binnenmarktprogramm (1992) etwa zeigt vielfältige Ausprägungen möglicher Harmonisierung. Zu nennen sind insbesondere Konzepte der Voll- und Teilharmonisierung, der totalen und der optionalen Harmonisierung wie auch der kategorisch woanders liegenden Mindestharmonisierung50, wobei freilich zu berücksichtigen ist, dass das Binnenmarktprogramm seinerseits in weltweiter Perspektive wie ein mitgliedstaatliches Programm wirkt, das unter anderem dazu dienen soll, Marktlücken der mitgliedstaatlichen Industrien (in diesem Fall gemeinschaftlich / unionalen) Industrien in der Welt zu sichern51. Derartige in den Bereich positiver Maduro, Miguel Poiares, We, the Court. The European Court of Justice and the European Economic Constitution, Oxford: Hart Publishing, 1998, S. 58 ff. 49 Vgl. etwa Kahler, Miles, Trade and Domestic Differences, in: Berger, Suzanne und Ronald Dore, National Diversity and Global Capitalism, Cornell UP, 1996, S. 299 (zitiert nach Trebilcock, Michael und Julie Soloway, International Trade Policy and Domestic Dood Safety Regulation: The Case for Substantial Deference by the WTO Dispute Settlement Body under the SPS Agreement, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 537, 538. 50 Überblick etwa bei Bogdandy, Armin von, Aussenaspekte der binnenmarktbezogenen Rechtsangleichung; Allgemeine Charakteristika und systematische Aspekte, in: Grabitz, Eberhardt, Armin von Bogdandy und Martin Nettesheim (Hrsg.), Europäisches Außenwirtschaftsrecht 1994, S. 367, 377. 51 Aus transatlantischer Sicht insbesondere etwa der Sammelband von Hufbauer, Gary C. (Hrsg.), Europe 1992. An American Perspective, Washington DC, 1990. 4*

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Integration fallende Projekte wie das Binnenmarktprogramm finden sich in weltweiter Perspektive nicht52, weshalb in dieser Perspektive der Blick auf den Binnenmarkt eher aus konzeptionellen denn aus inhaltlichen Gründen von Interesse ist – etwa im Problemfeld der Verbindung („linkage“) handelsbezogener Fragen mit anderen Fragen zur gesetzgeberischen Lösung von Zielkonflikten.53 Neben regulativer Harmonisierung können aber auch Gerichtsentscheidungen oder gerichtsähnliche Entscheidungstätigkeiten marktintegrative Wirkungen mit sich bringen. Insbesondere negative Marktintegration, d. h. die Kappung der Spitzen regulativer Diversität, wird durch richterliche Tätigkeit oft vorangetrieben – in der Regel im Wege der justiziellen Entwicklung und Effektivierung von Beschränkungsverboten. Derartige Entwicklungen sind insbesondere aus regionalen Integrationszusammenhängen bekannt, wie etwa denen in der Europäischen Union (im Rahmen des Art. 28 EGV) oder den Vereinigten Staaten von Amerika (im Rahmen der sogenannten „dormant commerce clause“).54 Besonders ausgeprägt ist in diesen Systemen zu beobachten, dass richterliche Rechtsfortbildung dieser Art nicht nur negativ-marktintegrative Wirkungen hat, sondern mittelbar auch positiv-marktintegrative Wirkungen, insoweit nämlich, als sie durch die Zulassung regulativer Ausnahmebereiche (im unionalen Zusammenhang also über die Rechtsprechung zu zwingenden Erfordernissen im Rahmen der Prüfung des Art. 30 EGV) positive Integration sozusagen induziert und vorantreibt. Vor allem das gerade erwähnte Binnenmarktprogramm (1992) etwa ist letztlich auch in Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 28 (ehemals 30) EGV zu verstehen55. Das Problem 52 Näher etwa Schenk, Karl-Ernst, Kommentar zu Martin Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, in: 19 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie (1999), 84 ff. 53 Leebron etwa unterscheidet insoweit zwischen „negotiating linkages“, „hierarchical linkages“ und Verbindungen durch „incorporation of issue-areas“, in Leebron, David W. Linkages, 96 AJIL 2002, S. 5, 17. Harmonisierung wäre nach dieser Einordnung sicherlich am ehesten der Technik der „incorporation of issue-areas“ zuzuordnen. Allerdings fällt auf, dass in der Diskussion um solche Verbindungen von Rechtsgebieten („linkages“) im Sinne von „Handel und . . . “-Problemen bislang kaum auf die Diskussion um die Konzepte der Harmonisierung zurückgegriffen wird. Mit Recht insoweit kritisch Bhagwati, Jadish, Afterword: The Question of Linkage, 96 AJIL 2002, S. 126. 54 Zum Vergleich beider Regime aus jüngerer Zeit näher Regan, Donald, Movement of Goods Under the Dormant Commerce Clause and the European Community Treaty, Den Haag, Kluwer, 1999. Zur Rechtsprechung unter der „dormant commerce clause“ kritisch insbesondere auch Regan, Donald, The Supreme Court and State Protectionism: Making Sense of the Dormant Commerce Clause, 84 Michigan Law Review 1986, S. 1091; Eule, Julian N., Laying the Dormant Commerce Clause to Rest, 91 Yale L.J. 1982, S. 425. 55 Freilich ist für das Verhältnis von negativer und positiver Marktintegration insbesondere der Typ der Harmonisierung von Relevanz . Für den Typus der Mindestharmonisierung etwa wurde das Bild herangezogen, dass sie gemeinsam mit der negativen Integration eine Art Autonomiespielraum schaffe, dessen untere Ebene („floor“) durch die Mindestharmonisierung gegeben sei, die die Mitgliedstaaten nicht unterschreiten dürften, dessen obere Ebene („ceiling“) demgegenüber durch die marktintegrierenden Beschränkungsverbote des Primärrechts gebildet würden; vgl. Weatherill, Stephen, Beyond Preemption? Shared Competence and

II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis

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der Legitimität der richterlich vorangetriebenen Marktintegration wurde damit, jedenfalls teilweise, gelöst. Obgleich marktintegrative Wirkungen in der Regel durch Harmonisierung erreicht werden, ist das Konzept der Marktintegration freilich nicht mit demjenigen der Harmonisierung gleichzusetzen. Denn Harmonisierung kann, wie oben schon näher ausgeführt (nähere Einzelheiten Teil B.II.1. oben) nicht nur zur Erzielung marktintegrativer Wirkungen eingesetzt werden, sondern auch zur Erzielung klassisch handelsliberalisierender Wirkungen (harmonisierende Handelsliberalisierung wie im erwähnten Beispiel der Mindestvorgaben an mitgliedstaatliche Antidumpingverfahren). Harmonisierung ist lediglich eine Regelungstechnik. Sie ist insbesondere nicht der Gegenbegriff zum handelsliberalisierenden Antiprotektionismus, sondern allenfalls der Gegenbegriff zu mitgliedstaatlichem Verhalten, das unterschiedliche mitgliedstaatliche Regelgehalte weiter fortbestehen lässt (Erhaltung normativer „Disharmonie“ durch einen, wie manche es ausdrücken, „laissez réglerAnsatz“56). Insbesondere ist Harmonisierung nicht schon für sich genommen ein eigenständiges Ziel, sondern lediglich ein Mittel zur Erreichung anderer Ziele57, seien diese nun antiprotektionistischer oder anderweitiger Natur. Die hier benutzten Begriffe der negativen und positiven Integration entsprechen trotz dieser sachlichen Unterschiede ungefähr der von Roessler vorgenommenen Unterscheidung zwischen negativer und positiver Harmonisierung. Roessler versteht unter negativer Harmonisierung eine solche zur Verhinderung insbesondere verschleierter Handelsbeschränkungen („diguised restrictions“), während er unter positiver Harmonisierung die rechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Verwirklichung bestimmter (in diesem Sinne positiver, d. h. durch positives Tun geprägter) Politiken versteht58. Dieses Verständnis ist aus Sicht des Verfassers genauer als die oft anzutreffende Verwendung der Begriffe negativer bzw. positiver Integration59. Insbesondere erscheint die Benutzung der Begriffe negativer bzw. Constitutional Change, in: O’Keeffe, David und Marc Twomey, Legal Issues of the Maastricht Treaty, Wiley Chancery, 1994, S. 25. 56 Etwa Nicolaïdis, Kalypso und Joel P. Trachtman, From Policed Regulation to Managed Recognition in GATS, in: Sauvé, Pierre und Robert M. Stern, GATS 2000, Washington DC, Brookings, 2000, S. 241, 249. 57 Leebron, David W., Lying Down with Procrustes: An Analysis of Harmonization Claims, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization, Volume 1: Economic Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 41, 42. 58 Roessler, Frieder, Diverging Domestic Policies and Multilateral Trade Integration, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization, Volume 2: Legal Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 21, 36 ff., 52. Nach Roessler finden sich in der WTO (bis auf das TRIPs) heute keine Regeln positiver Harmonisierung, sondern lediglich solche negativer Harmonisierung. 59 Vgl. z. B. Petersmann, Ernst-Ulrich, From Negative to Positive Integration in the WTO: Time for ,Mainstreaming WTO Rights‘ into WTO law?, 37 CMLRev. (2000), S. 1363; Scharpf, Fritz W., Negative and Positive Integration in the Political Economy of Welfare States, EUI Jean Monnet Chair Paper 28 / 95 (1995), Trebilcock, Michael und Robert Howse,

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

positiver Integration oft etwas mißverständlich, weil sie unter negativer Integration auch jene Instrumente erfasst, die hier unter dem Begriff der Handelsliberalisierung gefasst sind60. Diese Überladung des Begriffs der negativen Integration führt nicht nur zu begrifflicher, sondern wegen der Unterschiedlichkeit der hinter den Begriffen verwendeten Konzepte auch zu konzeptioneller Verwirrung, weshalb sie hier nicht mitgetragen werden soll. Ihr ist mit kritischer Distanz zu begegnen.61 Wenn im Folgenden von „Marktintegration“ die Rede ist, ist damit also negative Marktintegration (Deregulierung) gemeint, wie sie sich von den Begriffen der Handelsliberalisierung (Antidiskriminierung) einerseits und der positiven Marktintegration (Reregulierung) andererseits abgrenzt. Die konzeptionelle Unterscheidung zwischen Handelsliberalisierung und Marktintegration impliziert nicht, dass das Konzept der Handelsliberalisierung marktintegrative Entwicklungen ausschließt. Sie impliziert lediglich, dass Handelsliberalisierung – anders als Marktintegration – ihrem normativen Leitbild nach keine marktintegrativen Wirkungen bezweckt (genausowenig, wie Handelsliberalisierung regulative Diversität bezweckt), sondern lediglich erlaubt. Faktisch marktintegrative Wirkungen können daher auch unter handelsliberalisierenden Regeln entstehen, etwa dann, wenn große Unternehmen zur Vermeidung von zusätzlichen Kosten einheitlich höhere Standards beachten als vorgegeben, um die Ware ohne Änderungen in allen Mitgliedstaaten vertreiben zu können, also auch in dem Mitgliedstaat mit dem höchsten Standard. Allerdings sind derartige Effekte eher die Ausnahme. In der Regel hat Handelsliberalisierung keine (in diesem Sinne faktische) Marktintegration, sondern lediglich die Befreiung des Handels von Diskriminierungen, also von Wettbewerbsverzerrungen, und damit letztlich die Erhöhung grenzüberschreitender Interdependenz zum Ergebnis. Das Bestreben nach Marktintegration steht in diesem Sinne in einem engem sachlichen Zusammenhang zur Praxis der zunehmenden Verschleierung von Handelsbeschränkungen. Denn evolutorisch und konzeptionell können zwei Stadien der Verschleierung identifiziert werden. Zum einen können schon solche Handelsbeschränkungen als verschleiert gelten, die trotz ihrer herkunftsneutralen FormuTrade Liberalisation and Regulatory Diversity: Reconciling Competitive Markets with Competitive Politics, 6 Eur. Journal of Law and Economics (1998), S. 5, 31. 60 Ein Beispiel aus jüngerer Zeit liefert etwa Steger, wenn sie schreibt, dass auch negative Integration (insbesondere durch Art. I und III GATT) normativ tief in die mitgliedstaatlichen Ordnungen hineingreifen könne, vgl. Steger, Debra, Afterword, The „Trade and . . .“ Conundrum – A Commentary, 96 AJIL 2002, S. 135, 141 f. 61 Ähnlich kritisch etwa Verhoosel, Gaetan, National Treatment and WTO Dispute Settlement, Adjudicating the Boundaries of Regulatory Autonomy, Oxford, Hart Pub., 2002, S. 4 ff. Zur Kritik an der Rede von negativer und positiver Integration insbesondere auch De Burca und Scott mit folgenden Worten zum Begriff der „negativen Integration“: „[ . . . ] if integration is not too loaded or too strong a word for the establishment between states of a high level to open trade and market access [ . . . ]“, The Impact of the WTO on EU Decision-making, in: Dies, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Hart Publishing, 2001, S. 1, 3.

II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis

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lierung eingeführte Waren oder Dienstleistungen gegenüber inländischen Waren oder Dienstleistungen steuerlich oder anderweitig in protektionistischer Weise schlechterstellen. Dieser Art der Verschleierung protektionistischer Handelsbeschränkungen durch de facto-Diskriminierungen hinter der Grenze ist durch normativen Antiprotektionismus schon schwierig genug entgegenzuwirken, gerade weil die protektionistischen Elemente wegen der Verschleierung besonders schwierig zu erkennen sind.62 Dennoch: Diese Form des Entgegenwirkens ist konzeptionell der Handelsliberalisierung zuzuordnen. Viel schwieriger aber sind eben jene Verschleierungen zu erkennen, in deren Rahmen – und dies ist gewissermaßen das zweite Stadium der Verschleierung, an das hier angeknüpft wird – der protektionistische Gehalt von Regelungen derart gut versteckt wird, dass er nur noch in der Unterschiedlichkeit der mitgliedstaatlich gewählten Regulierung von den Regulierungen anderer Mitgliedstaaten deutlich wird. Als Beispiele hierfür mag etwa die bereits erwähnte Regulierung des Hormongehalts für Fleisch oder bestimmte Anforderungen an genetisch modifizierte Organismen dienen, wenn andere Mitgliedstaaten insoweit weniger strenge Anforderungen haben. Ein Finalitätsnexus zwischen der Verschleierung von Handelsbeschränkungen und dem Bestehen regulativer Diversität entsteht nur in letzterer Konstellation, d. h. dann, wenn regulative Diversität zur Verschleierung von Handelsbeschränkungen aufrechterhalten oder gar geschaffen wird. Er wird zwischen großen Handelsnationen besonders virulent, wenn die Skalenvorteile einheitlicher Regulierung beziehungsweise die Skalennachteile unterschiedlicher Regulierung mit der Größe der Märkte steigen. Heute ist das grundlegende Problem in der Regel nicht das Bestehen solcher protektionistischen Zwecke, sondern ihr Nebeneinander mit anderen (nicht-protektionistischen) Zwecken. In der Abwägung geht es dann meist, um die Notwendigkeit oder die wissenschaftliche Begründbarkeit der Maßnahme, wie sich im Folgenden zeigen wird. In derartigen Fällen der Nutzung regulativer Diversität für protektionistische Zwecke werden neue Grenzbereiche zwischen freiem Handel und regulativer Autonomie erreicht. Denn in Regelungen, die ausländische Waren nicht schlechter stellen als inländische Waren, sind die spezifisch protektionistischen Gehalte nur schwierig zu ermitteln. Technisch geht es dabei um die Frage, ob staatliche Politik eine in Wirklichkeit verschleierte Handelsbeschränkung darstellt und daher im Sin62 Im Rahmen der vom GATT geforderten Inländerbehandlung treten gerade bei der Feststellung der protektionistischen Wirkung diskriminierender Maßnahmen daher besonders viele dogmatische Probleme auf (nähere Einzelheiten Teil C.I). Die Schwierigkeiten, die mit der Erkennbarkeit einhergehen und im Rahmen der Eingriffe in die Autonomie der Staaten schließlich zu weiteren Schwierigkeiten führen, haben sich aber auch politisch sehr deutlich etwa in der „Structural Impediments Initiative“ (SII) westlicher Länder gegenüber dem Keiretsu-System in Japan gezeigt. Mit dieser Initiative, die weitgehend gescheitert ist, wurden über 250 Strukturmerkmale in der innerstaatlichen japanischen Ordnung, also hinter der Grenze, angegriffen; dazu kritisch etwa Bhagwati, Jadish, Afterword: The Question of Linkage, 96 AJIL 2002, S. 126, 129.

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B. Der antiprotektionistische Autonomiebegriff des WTO / GATT-Rechts

ne des Antiprotektionismus verhindert werden soll, oder ob sie zwar protektionistische Wirkungen hat, im Übrigen aber Ausdruck legitim ausgeübter regulativer Autonomie der Staaten ist und ihre protektionistischen Gehalte daher nur deshalb verwirklicht, weil die Autonomieausübung sinnvollerweise nicht gänzlich ohne protektionistische Wirkungen möglich ist (unauflösbare Verbindung zwischen Autonomieausübung und protektionistischen Wirkungen). Die Lösung dieser Frage setzt bestimmte Vorentscheidungen über das Verhältnis von freiem Handel und regulativer Diversität voraus. Denn der Grad zwischen verschleierten Handelsbeschränkungen einerseits und Beschränkungen durch legitime regulative Diversität zwischen den Mitgliedstaaten andererseits ist ausgesprochen schmal. Auch hier geht es nicht um das Bestehen der protektionistischen Wirkung, sondern um ihre Notwendigkeit bei der Erreichung nicht-protektionistischer Ziele. Gefordert ist in diesem Zusammenhang ein substanzieller Diskurs über die Verhältnismäßigkeit der Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Marktregulation. Forderungen nach einer Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen werden in diesem Zusammenhang oft kritisch betrachtet, und zwar sowohl von Verfechtern des Handelsliberalismus als auch von jenen, denen es um die Erreichung anderer Zielsetzungen wie dem Umwelt- oder Gesundheitsschutz geht. Die Kritik der Umwelt- oder Gesundheitsschutzlobbies liegt darin, dass die mit Marktintegration in der Regel verbundene Deregulierung in die falsche Richtung gehe („race to the bottom“) und in dieser falschen Richtung auch noch institutionell festgeschrieben werde. Im Kern kritisieren die Kritiker aus diesem Lager also die materielle Substanz marktintegrativer internationaler Regelungen. Soeben wurde die Fehlerhaftigkeit dieses Argumentes bereits gezeigt: Marktintegration ist nicht immer mit Deregulierung verbunden. Vielmehr kann – abhängig von den politischen Konstellationen in den Mitgliedstaaten selbst – neben dem „race to the bottom“ genauso gut auch ein „race to the top“ entstehen (Reregulierung / positive Marktintegration). In der Sache ist die Kritik daher letztlich eine Kritik an den faktisch bestehenden politischen Konstellationen in den Mitgliedstaaten. Es mag sein, dass in praxi tatsächlich überwiegend ein „race to the bottom“ stattfindet. Der Kern dessen liegt aber nicht in den Strukturen und Grundlagen von Marktintegration, sondern darin, dass sich in den beteiligten Mitgliedstaaten die „Wirtschaftsinteressen“ (worin immer diese im Einzelnen liegen mögen) gegenüber den „Umweltinteressen“ oder „Sozialinteressen“ durchgesetzt haben. Konzeptionell ist die Kritik der Lobbyisten gleichwohl interessant. Denn sie zeigt, dass sich in Ansätzen zwischenstaatlicher Marktintegration genau jene Interessenskonflikte widerspiegeln, die auch innerstaatlich ausgetragen werden. Marktintegration erscheint in diesem Sinne tatsächlich als ein Nährboden für eine „Weltinnenpolitik“ oder „Weltwirtschaftspolitik“. Derartige Tendenzen der Auflösung der Grenzen zwischen Außen und Innen sind aus der Entwicklung des Binnenmarktes bereits bekannt. So unterschiedlich Weltmärkte und Binnenmarkt sind und so wenig die Weltwirtschaft bisher Binnenmarktqualität erreicht hat, so deutlich wird hierdurch doch eines: Je mehr Marktintegration durch Angleichung

II. Das WTO / GATT-Recht als antiprotektionistisches Autonomiehindernis

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rechtlicher Regeln stattfindet, desto stärker zeigen sich die Ansätze der Auflösung überkommener Grenzziehungen zwischen Innen und Außen, desto stärker „konstitutionalisiert“ sich die internationale Ordnung im Wege der substanziellen Anreicherung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Die Kritik der Handelsliberalisten ist demgegenüber eine klassische Kritik komparativer Kostenvorteile. Sie wurzelt vor allem in dem Gedanken, dass die durch Diversität mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen entstehenden komparativen Kostenvorteile durch Vereinheitlichung nivelliert werden, so dass die Verteilung der Gewinne durch Handel auf alle daran Beteiligten abgeschwächt oder sogar ganz aufgehoben werden63. Unter dem Gesichtspunkt der Autonomie zur Erreichung anderweitiger Politikziele wird demgegenüber kritisiert, dass nicht in allen regulatorischen Zusammenhängen dieselben regulativen Lösungen richtig sind („one size does not fit all“). Insbesondere sei das Welthandelsrecht als Recht des Antiprotektionismus für die Aufnahme regulativer Lösungen (noch) nicht weit genug fortgeschritten64. Schließlich wird hervorgehoben, dass die Überprüfung mitgliedstaatlicher Politiken von außen durch gerichtsähnlichen Strukturen legitimatorische Probleme aufwerfe, zu deren Lösung das Welthandelsrecht ebenfalls noch nicht weit genug fortgeschritten sei65. Ein wichtiger erkenntnistheoretischer Grund der Kritik liegt zudem darin, dass die Vor- und Nachteile regelgeleiteter (positiver wie negativer) Marktintegration theoretisch bislang kaum untersucht sind, so dass konkrete Wirkungen derartiger Marktintegration bis heute kaum sinnvoll eingeschätzt werden können66, während klassische Handelsliberalisierung / Antidiskriminierung (wegen des mit ihr verbundenen Nettogewinns auf allen Seiten) bis heute in ihrer theoretischen Begründung so gut wie unbestritten ist67. 63 Kritisch insoweit vor allem etwa Roessler, Frieder, Diverging Domestic Policies and Multilateral Trade Integration, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization, Volume 2: Legal Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 21, 36 ff., 51. 64 Die WTO erlaube bisher weitgehend (vielleicht mit Ausnahme des TRIPs) die Koexistenz der Prinzipien des Schutz der politischen Autonomie einerseits und der Handelskooperation andererseits. Die zwischen diesen beiden Prinzipien austarierende Ordnung werde durch die Aufnahme regulativer Gehalte in das WTO-Recht gestört; vgl. etwa Bhagwati, Jadish, Afterword: The Question of Linkage, 96 AJIL 2002, S. 126. 65 Etwa Krajewski, Markus, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), Berlin, Duncker und Humblot, 2001, S. 265. 66 Sykes etwa führt den geringen Kenntnisstand über die genaue Wirkung von technischen Vorschriften insbesondere auf die hohe Heterogenität derartiger Vorschriften und kontrastiert ihn zu dem Kenntnisreichtum über die Wirkungen von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen, vgl. Sykes, Allan O., Product Standards for International Integrated Goods Markets, Brookings Institution, Washington DC, 1995, S. 27 ff. 67 Zu dieser und weiteren Begründungen gegen Marktintegration Trebilcock, Michael und Robert Howse, Trade Liberalization and Regulatory Diversity: Reconciling Competitive Markets with Competitive Politics, 6 EJLE 1998, S. 5, 9 f. Diese Form der Kritik trägt freilich nicht im Zusammenhang negativer Integration, wie sie etwa im Hormonfall sichtbar wird, sondern lediglich im Zusammenhang der positiven Marktintegration, wie sie als ein eigenständiges Konzept der Marktintegration oben eingeführt worden ist.

C. Marktregulative Autonomie der Mitgliedstaaten unter dem materiellen WTO / GATT-Recht: Antiprotektionismus zwischen bloßer Sicherung der Wettbewerbsgleichheit und echter Deregulierung Will man den damit umrissenen antiprotektionistischen Begriff mitgliedstaatlicher Autonomie für eine allgemeine Theorie autonomiefreundlichen Entscheidens nutzbar machen, so bedarf es hierfür der Kenntnis der Auslegung und Funktionsweise des materiellen Rechts, d. h. es bedarf einer deskriptiv analytischen Untersuchung darüber, wie das materielle Recht tatsächlich ausgestaltet ist. Das nun folgende Kapitel stellt die dafür erforderliche deskriptiv-analytische Untersuchung bereit. Mit ihr sollen die handelsrechtstatsächlichen Grundlagen für die normative Diskussion über die zukünftige Rolle des WTO / GATT-Rechts gelegt werden. Zu diesem Zweck soll das folgende Kapitel zwei Thesen zur Diskussion stellen, anhand derer die einschlägigen Fragen nacheinander abgehandelt werden können. Die beiden Thesen sind denkbar einfach. Erste These: Das GATT liberalisiert im Zusammenspiel seiner Art. II, III und XI den Handel unter Schonung der mitgliedstaatlichen Autonomie zur Marktregulation. Es greift insbesondere nicht in den Bereich der Marktintegration vor, da sich die Mitgliedstaaten unter dem GATT nicht substanziell, sondern allenfalls formal in ihrer Autonomie beschränkt haben. Das GATT lässt daher ein hohes Maß an zwischenstaatlich regulativem Wettbewerb zu. Und zweite These: Die Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse bewegen sich ihrem Wortlaut nach demgegenüber im Bereich der Marktintegration und entfalten damit ein hohes Potenzial für Eingriffe in die marktregulative Autonomie der Mitgliedstaaten. Freilich wird dieses Potenzial bislang kaum ausgeschöpft, so dass faktisch auch unter den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse heute noch immer zwischenstaatlicher regulativer Wettbewerb herrscht. Für die Diskussion dieser Thesen gibt es mindestens vier gute Gründe. Erstens: Aus einer funktional-wirtschaftsverfassungsrechtlichen Perspektive betreffen diese Thesen zentrale und grundlegende Regelungsbereiche des zwischenstaatlichen Handels unter dem WTO-Recht. Die allgemeinen Regeln des GATT, insbesondere seines Art. III, und der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse werden hier thematisiert, weil sie die allgemeine Regelungstätigkeit der Mitgliedstaaten in allen nur erdenklichen Lebensbereichen betreffen. Sie finden in potenziell allen Bereiche staatlicher Tätigkeit Anwendung, soweit nur eine Berührung mitgliedstaatlicher Zielsetzungen mit dem grenzüberschreitenden Handel von Gütern

C. Autonomie unter dem materiellen WTO / GATT-Recht

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besteht. Die in den angesprochenen Vorschriften niedergelegten Zielkonflikte finden zwar auch in einer Vielzahl weiterer WTO-rechtlicher Regelungen ihren Ausdruck, wie etwa im Bereich des Dienstleistungshandels (Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, GATS)1, des geistigen Eigentums (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums, TRIPs) oder des Subventionsrechts (Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen). Die in diesen Übereinkommen enthaltenen Regelungen sind aber entweder in vielerlei Hinsicht nach dem Muster des hier thematisierten GATT modelliert (ohne freilich dessen Verdichtung zu erreichen, wie im Fall des GATS, dessen Art. VI und VII für die Zukunft ganz ähnliche Fragen aufwerfen werden)2, oder betreffen Sonderfragen, die in ihrem Anwendungsbereich begrenzter Natur sind (so im Fall des TRIPs: Verhältnis Handel / Schutz geistigen Eigentums). Letzteres gilt insbesondere auch für die spezifischen Regelungsbereiche innerhalb des WTO / GATT-Rechts, wie etwa die gerade genannten Anforderungen an mitgliedstaatliche Subventionen. Gerade letzterer Regelungsbereich wirft zwar seinerseits Fragen auf, die den hier diskutierten Fragen ganz ähnlich sind, wie etwa die Frage nach dem Verhältnis der WTO / GATT-rechtlichen Subventionsvorgaben zur mitgliedstaatlichen Steuerautonomie.3 Die Erkenntnisse dieser Arbeit lassen sich für diesen Fragenbereich zum Teil sogar unmittelbar nutzbar machen, weil die zugrundeliegenden theoretischen Konzepte jeweils Parallelen aufweisen, soweit es um das Aufbrechen der mitgliedstaatlichen Steuerordnungen über den Hebel der WTO / GATT-rechtlichen Anforderungen an mitgliedstaatliche Subventionen geht. Dennoch soll es um diese Spezialfragen vorliegend nicht gehen, sondern um die 1 Vgl. neuerdings mit umfassender Würdigung zur Problemstellung der mitgliedstaatlichen Autonomie bei der Regulation von Dienstleistungen den Sammelband von Mattoo, Aaditya u. a. (Hrsg.), Domestic regulation and services trade liberalization, Washington DC: The World Bank, 2003. 2 Das GATS folgt in seiner groben Struktur zwar den Strukturen des GATT (vgl. Art. II, XVI und XVII GATS). Die Unterschiede zwischen Dienstleistungen und Waren sind bei aller Hervorhebung der Gemeinsamkeiten aber immer noch so groß, dass eine unmittelbare Übertragung der dogmatischen Konzepte der Streitbeilegungspraxis zum GATT mehr Probleme als Lösungsansätze aufwirft. Daher soll für eine unmittelbare Übertragung hier nicht eingetreten werden. Zu den Schwierigkeiten einer Übertragung vergleiche etwa Mattoo, Aaditya, MFN and the GATS, in: Cottier, Thomas u. a. (Hrsg.), Regulatory Barriers and the Principle of Non-Discrimination of World Trade Law: Past, Prestent, Future, Ann Arbor: The Univ. of Michigan Press, 2000, S. 68; Nicolaidis, Kalypso und Joel P. Trachtman, From Policed Regulation to Managed Recognition: Mapping the Bounderies in GATS, in: Sauvé, Pierre u. a. (Hrsg.), GATS 2000, New Directions in Trade Liberalisation, Washington, DC: Brookings Inst. Press, 2000, S. 122. Dennoch erkennt der Verfasser an, dass die hier aufgeworfenen Fragen sich doch immerhin konzeptionell für die Auslegung GATS-rechtlicher Vorschriften fruchtbar machen lassen. Im Hinblick auf die Dogmatik der Inländergleichbehandlung werden GATS und GATT daher von manchen Autoren durchgängig gemeinsam behandelt, vgl. etwa Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement, Adjudicating the Boundaries of Regulatory Autonomy, Oxford, Hart Pub., 2002, S. 14, 19 ff., 34, 90 usw. 3 Dazu etwa Gross, Ivo, Subventionsrecht und „schädlicher Steuerwettbewerb“, 48 Recht der internationalen Wirtschaft 2002, S. 46.

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C. Autonomie unter dem materiellen WTO / GATT-Recht

allgemeinen Regelungen für den Warenhandel. Denn trotz der grundsätzlich bestehenden konzeptionellen Ähnlichkeiten unterscheiden sich die aufgeworfenen Fragen im Detail doch so erheblich, dass sie einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben sollen. Zweitens sind diese Thesen relativ einfach. Sie drängen sich dem Beobachter auf, wenn er das GATT ganz unbefangen betrachtet, d. h. ohne grundlegende Kenntnisse über den Verlauf der Streitbeilegungspraxis. Denn bei allem Streit über die Einzelheiten ergeben sich diese Thesen bereits aus dem Wortlaut, der Stellung und der Funktion der Regeln, wie sie sich dem Betrachter bei erstmaligem Hinsehen ungefähr zeigen. Nach dem Zusammenspiel der Art. II, III und XI GATT sind mitgliedstaatliche Beschränkungen lediglich an, nicht aber hinter der Grenze verboten (wenn auch für pekuniäre und nicht-pekuniäre Grenzmaßnahmen in unterschiedlichem Maße), so dass Maßnahmen hinter der Grenze im Grundsatz erlaubt bleiben, soweit sie ausländische Waren nicht gerade in protektionistischer Weise gegenüber vergleichbaren inländischen Waren diskriminieren. Allein hieraus drängt sich der Schluss auf den Autonomieschutz auf. Im Hinblick auf die Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse wird der unbefangene Beobachter trotz des zum Teil undeutlichen Textes demgegenüber erkennen müssen, dass hier, anders als unter dem GATT, Beschränkungen hinter der Grenze im Grundsatz (je nach Auslegung) auch dann verboten sein können, wenn sie nicht in protektionistischer Weise diskriminieren, sondern anderweitig ihre protektionistische Wirkung entfalten (vgl. insbesondere Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 des Übereinkommens über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS) und Art. 2.2 und 2.4 des Übereinkommens über technische Handelshemmnisse (TBT)). Drittens aber sind diese Thesen trotz ihrer relativen Einfachheit in genügend hohem Maße umstritten. Gerade unter Einbeziehung der Entscheidungspraxis der WTO-Organe werden ständig Zweifel darüber angemeldet, ob sich das GATT und die Seitenabkommen tatsächlich derartig genau zuordnen lassen. Angesichts der dogmatisch oft unüberzeugenden Streitbeilegungspraxis herrscht unablässig Streit darüber, ob das GATT tatsächlich (bloß) klassisch handelsliberalisierende Elemente enthält, also keine marktintegrativen Wirkungen entfaltet. Auch herrscht Streit darüber, ob und gegebenenfalls inwieweit die potenziell marktintegrativen Seitenabkommen tatsächlich jene marktintegrativen Elemente enthalten, die im vorliegenden Beitrag identifiziert werden. In der Diskussion unternimmt man immer wieder den Versuch, das WTO / GATT-Recht als einheitliches Recht darzustellen, jedenfalls aber die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Abkommen eng zu halten. Die Versuche gehen in zwei Richtungen. Je nach Ausgangspunkt behauptet man entweder, die Seitenabkommen gingen über die klassische Handelsliberalisierung im hier verstandenen Sinne (entgegen den Behauptungen des vorliegenden Beitrages) nicht hinaus, oder man versucht – sozusagen in die andere Richtung – den Art. III GATT zu einem Verbot protektionistischer Gesetzeszwecke oder gar zu einem Verbot „ineffizienter Regulierung“ auszubauen und damit den

I. Autonomie unter dem GATT-Recht: Bloße Handelsliberalisierung

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Art. III GATT stark in die Nähe der marktintegrativen Ansätze der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse zu rücken (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.c)aa)(3) unten und Teil C.I.3.b) unten). Die Streitbeilegungsorgane verhalten sich angesichts der institutionellen Strukturen der WTO und des geringen Integrationsstandes der Weltwirtschaft demgegenüber äußerst zurückhaltend: Das marktintegrative Potenzial der Seitenabkommen haben sie bisher nicht zu echtem Leben nicht erweckt. Viertens aber, und dies ist zugleich Grund und teilweise vielleicht sogar Ausdruck für den Streit in der Literatur, herrscht in der Streitbeilegungspraxis dogmatische Unsicherheit über die mit diesen Thesen angesprochenen Fragen. Der Verfasser geht davon aus, dass die Streitbeilegungsorgane zwar in aller Regel dem Ergebnis nach eine ziemlich gute „Nase“ für die richtige Entscheidung haben, hinsichtlich der Begründung des richtigen Ergebnisses aber in einem Meer dogmatischer Unsicherheiten schwimmen. Der Streit in der Literatur ist insoweit, jedenfalls teilweise, ein Spiegelbild der mal hierhin, mal dorthin mäandernden Dogmatik der Streitbeilegungsorgane. Wenn die vorliegende Arbeit nur ein kleiner Beitrag dafür wäre, den Streitbeilegungsorganen Wege zu einer besseren Begründung ihrer (aus Sicht des Verfassers an sich richtigen) Entscheidungen zu verhelfen, wäre schon ein wesentliches Ziel erreicht. Um dieses Ziel voranzubringen, soll im Folgenden zunächst der ersten soeben vorgestellten These nachgegangen werden, namentlich der These vom (bloß) handelsliberalisierenden Charakter des GATT (Sicherung der Wettbewerbsgleichheit; Teil C.I. unten). In einem zweiten Schritt soll dann das marktintegrative und damit autonomiebeschränkende Potenzial der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse näher untersucht werden (Teil C.II. unten). Ein kurzer Zwischenruf soll zu den Herausforderungen überleiten, die sich im Spannungsfeld zwischen Handelsliberalisierung und (potenzieller) Marktintegration für die WTO ergeben, und die nur durch eine im Schlusskapitel zu entfaltende normative Argumentation über die zukünftig richtige Entwicklung der WTO angemessen gemeistert werden können (Teil C.III. unten).

I. Mitgliedstaatliche Marktregulation, Wettbewerbsgleichheit und Autonomieschutz unter dem GATT: Keine Marktintegration, sondern bloße Handelsliberalisierung Das GATT verwirklicht sein antiprotektionistisches Ziel im Wege der Handelsliberalisierung, indem es die mitgliedstaatlichen Grenzen offenhält (Art. II und XI GATT) und im Übrigen, d. h. hinter der Grenze, lediglich protektionistische Diskriminierungen verbietet (Art. III GATT). Der Kern der GATT-rechtlichen Handelsliberalisierung lässt sich damit negativ umschreiben als die Abwesenheit von Verboten der Beschränkung des grenzüberschreitenden Handels hinter der Grenze.

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C. Autonomie unter dem materiellen WTO / GATT-Recht

Durch die Abwesenheit derartiger Verbote passieren marktregulative Maßnahmen die Vorschriften des GATT, wenn sie nicht gerade in protektionistischer Weise ausländische Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren diskriminieren. Das GATT erlaubt es den Mitgliedstaaten mithin, eigene Politikziele völlig frei zu verfolgen, soweit diese nur nicht protektionistisch-diskriminierenden Charakters sind.4 Damit sind die Mitgliedstaaten im Prinzip frei, die von ihnen gewählte Politik in allen für das staatliche Handeln relevanten Politikbereichen wahrzunehmen, sei es nun der Bereich des Umwelt- und Naturschutzes, der Arbeitsbedingungen, der inneren Sicherheit usw. Die WTO-rechtlichen Protektionismusverbote führen freilich nicht dazu, dass protektionistische Interessengruppen ihr Verhalten zugunsten der Mehrheit im Staat altruistisch aufgeben, sondern lediglich dazu, dass sie es – dem Prinzip des Eigennutzes folgend – zunehmend verschleiern. Verschleierungstaktiken stellen eine erhebliche Herausforderung für die normativ-praktische Anwendung des WTO-Rechts dar. Praktische Schwierigkeiten entstehen vor allem im Hinblick auf die Grenzen des Art. III GATT. Während sich die Abgrenzung zwischen Art. III und XI GATT normativ noch immer danach richtet, ob eine Maßnahme an oder hinter der Grenze ansetzt, geht angesichts der zunehmenden Verschleierung die eigentlich zu beantwortende Frage mittlerweile immer öfter dahin, ob eine Maßnahme (an oder hinter der Grenze) durch ihren marktregulativen Charakter, also unabhängig von ungleichbehandelnden Elementen, protektionistische Wirkungen entfaltet und ob diese verboten sein sollen. Die zunehmende Verschleierung protektionistischer Wirkungen in unterschiedslos formulierten Maßnahmen rückt im Rahmen des Regelungswerks des GATT die Anmerkung zu Art. III daher immer weiter in den Vordergrund. Während das Zusammenspiel der Art. XI und III GATT normativ noch immer die Regel bildet, müssen mitgliedstaatliche Grenzmaßnahmen der Sache nach zunehmend unter der Anmerkung zu Art. III entschieden werden. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen den rechtlichen Vorschriften des GATT und der Anmerkung zu Art. III kehrt sich in diesem Zusammenhang damit sozusagen um: Grenzmaßnahmen, die der effektivierenden Ergänzung marktregulativer innerstaatlicher Maßnahmen dienen (Grenzmaßnahmen mit marktregulativer „Ergänzungswirkung“), sind wegen der Anmerkung zu Art. III nur dann verboten, wenn sie diskriminierend ausgestaltet sind. Angesichts des sehr weitgehenden Abbaus von Zöllen und sonstigen Grenzmaßnahmen hinkt die normative Konstruktion des GATT den tatsächlichen Verhältnissen daher in gewisser Weise hinterher. Es ist immer wieder zu lesen, dass das Regime des Art. III GATT nicht in der Lage sei, Protektionismus hinter der Grenze effektiv zu verhindern. Dies ist aber eine Fehlanalyse, deren Fehlerhaftigkeit schon 4 Näher hierzu und zum grundlegenden Unterschied insbesondere zu den Regelungen der Art. 25, 28 und 90 EGV Weiler, J.H.H., Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders., The EU, the WTO and the NAFTA, Towards a Common Law of International Trade?, Oxford, OUP, 2000, S. 201.

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in der Wahrnehmung der Aufgabe und Zielsetzung des Art. III GATT wurzelt. Art. III GATT soll seinen Vorgaben nach nicht jedes protektionistisch wirkende Verhalten per se verbieten, sondern nur solches Verhalten, das seine protektionistischen Wirkungen gerade durch Diskriminierung entfaltet. In diesem Sinne eines begrenzten Protektionismusverbotes wird Art. III GATT auch durchaus effektiv angewendet. Im allgemeinen haben die Streitbeilegungsorgane – wie sich im Folgenden zeigen wird – trotz zum Teil nicht ganz überzeugender Dogmatik letztlich doch immer die Zielsetzungen des Art. III GATT verwirklicht. Die Kritik an den Streitbeilegungsorganen geht daher weitgehend ins Leere. Das „Wohlverhalten“ der Streitbeilegungsorgane lässt sich durch bloße deskriptiv-analytische Arbeit an den Vorschriften, der Entscheidungstätigkeit der Streitbeilegungsorgane und der an ihnen geäußerten Kritik nachweisen. Dieser Nachweis soll im Folgenden geschehen, und zwar in drei Abschnitten. Der erste Abschnitt dient lediglich einer Bestandsaufnahme. Er ist zugleich eine Einführung für jene Leser, die sich bislang nicht mit den zugrundeliegenden Fragen beschäftigt haben und kann von jenen überlesen werden, die die Diskussion um die Auslegung und Anwendung des Art. III GATT bereits kennen (Teil C.I.1. unten). Der zweite Abschnitt dient der näheren Begründung der hier behaupteten These vom lediglich handelsliberalisierenden Charakter des GATT. In der Analyse wird deutlich, dass die Streitbeilegungsorgane entgegen der vielfältigen literarischen Behauptungen insoweit eine sehr konsistente Streitbeilegungspraxis verfolgen. In der Sache haben die Streitbeilegungsorgane die Auslegung des Art. III GATT (freilich ohne dies immer deutlich zu machen) danach ausgerichtet, ob ausländische Waren normativ und faktisch die mitgliedstaatlichen Anforderungen genauso gut erfüllen können wie inländische Waren. Der Verfasser weist dieses unausgesprochene Element der normativen und faktischen Erfüllbarkeit der Maßnahme in der Streitbeilegungspraxis nach (Teil C.I.2. unten). Um zu untermauern, dass der hier herausgearbeitete Ansatz der Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit, den die Streitbeilegungsorgane in der Sache verwirklichen, der Zielstruktur des Art. III GATT auch wirklich gerecht wird, soll die Analyse in einem dritten Schritt ihrerseits mit der an der Streitbeilegungspraxis geäußerten Kritik kontrastiert werden. In diesem Zusammenhang wird sich zeigen, dass die Kritik interessanterweise in allen ihren bisher vorgetragenen Ausformungen nicht haltbar ist (Teil C.I.3. unten).

1. Überblick und Bestandsaufnahme: Art. III GATT in der Streitbeilegungspraxis und in der literarischen Kritik Das GATT verbietet mitgliedstaatliche Beschränkungen lediglich an der Grenze, d. h. anlässlich der Einfuhr, in den Worten der Anmerkung zu Art. III also „im Zeitpunkt oder am Ort der Einfuhr“. Art. III GATT und die Anmerkung zu Art. III zeichnen sich damit gegenüber den Art. II und XI GATT dadurch aus, dass sie

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eben nicht allgemeine Beschränkungen des Handels zu verhindern trachten, sondern nur solche Beschränkungen, die in einer protektionistischen Diskriminierung wurzeln. Kern dieses Gedankens ist es, es den Mitgliedstaaten zu überlassen, welche politischen Ziele sie sich setzen (mit Ausnahme freilich des Protektionismus) und welche Mittel sie zu ihrer Erreichung auswählen. Die freie Auswahl mitgliedstaatlicher Politikziele und der Mittel zu ihrer Verwirklichung wird dadurch ein Kerngehalt der regulativen Autonomie der Mitgliedstaaten unter dem GATT.5 Art. III GATT wird in dieser wirtschaftsverfassungsrechtlichen Bedeutung zu einer zentralen, wenn nicht zu der zentralen Vorschrift des GATT. Die hohe wirtschaftsverfassungsrechtliche Bedeutung des Art. III GATT zeigt sich etwa am Beispiel einer mitgliedstaatlich geplanten ökologischen Steuerreform.6 Man stelle sich vor, ein Mitgliedstaat der WTO möchte Öl wegen der Umweltschäden, die bei seiner Verbrennung entstehen, höher besteuern als Gas. Man stelle sich ferner vor, dieser Mitgliedstaat verfüge über keine eigenen oder nur außerordentlich geringe Ölreserven, wohl aber über eigene Gasfelder. Können ölexportierende Staaten, etwa die Mitgliedstaaten der OPEC, nachweisen, dass sich Öl und Gas vielleicht nicht kurzfristig, aber durchaus mittel- und längerfristig jeweils zueinander preiselastisch verhalten („croos-price-elasticity“), von Konsumenten damit ganz offenbar untereinander ausgetauscht werden und damit in einem echten Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen, dann kann ihnen, je nach Auslegung, der Weg über den Art. III GATT gegebenenfalls offen stehen, um gegen diese Pläne vorzugehen. Dafür reicht es aus, dass die ölexportierenden Staaten nachweisen können, dass ihr Öl schlechter behandelt wird als die jeweils vergleichbaren inländischen Energieprodukte.7 Das Beispiel der ökologischen Steuerreform zeigt: Die Vorschrift erfordert eine sorgfältig austarierte Auslegung, die sowohl der Zielsetzung des Antiprotektionismus als auch der Zielsetzung der regulativen Autonomie genügt. Allerdings ist die genaue Dogmatik des Art. III GATT in hohem Maße umstritten. Um die richtige Auslegung der Vorschriften des Art. III GATT wird seit Jahren gerungen. Nicht nur sind die Streitbeilegungsorgane angesichts des immer stärker versteckten Protektionismus der Mitgliedstaaten zunehmend mit Fällen konfrontiert, denen auf den 5 Dazu instruktiv Roessler, Frieder, Diverging Domestic Policies and Multilateral Trade Integration, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization: Prerequisites for Free Trade?, Volume 2: Legal Analysis, Cambridge MA: MIT, 1996, S. 23. 6 Ähnliche Beispiele finden sich in der Staatenpraxis zuhauf. Beispielhaft genannt sei etwa nur die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene „reduzierte Mehrwertsteuer für umweltfreundliche Waren, vgl. dazu näher jüngst Quick, Reinhard und Christian Lau, Environmentally Motivated Tax Distinctions and WTO Law: The European Commission’s Green Paper on Integrated Product Policy in Light of the „Like Product-“ and „PPM-“Debates, 6 JIEL 2003, S. 419. 7 Eine einführende Diskussion zu diesen Fragen findet sich etwa bei Zarilli, Simonetta, Domestic Taxation of Energy Products and Multilateral Trade Rules: Is This a Case of Unlawful Discrimination?, 37 (2) JWT 2003, S. 359.

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ersten Blick herkunftslandneutrale Regelungen zugrundeliegen, so dass sie zwischen mitgliedstaatlichem Autonomieschutz und effektivem Antiprotektionismus abwägen müssen. Auch in der Literatur ist die dogmatisch richtige Auslegung des Art. III GATT außerordentlich umstritten. Eine grundlegende Analyse der Vorschrift erfordert daher zunächst eine Bestandsaufnahme und einen adäquaten Überblick sowohl über die Vorschriften als auch über den bisherigen Stand der Streitbeilegungspraxis und der sie begleitenden Kritik. Dieser Überblick soll an dieser Stelle gegeben werden, und zwar zunächst in Form einer kurzen allgemeinen Einführung zu Art. III GATT (Teil C.I.1.a) unten), sodann in Form einer kurzen Darstellung der für den Fortgang der Untersuchung wesentlichen neueren Streitbeilegungsentscheidungen zu Art. III GATT (Teil C.I.1.b) unten) und schließlich durch einen Hinweis auf die hieran jeweils geäußerte Kritik aus der Literatur (Teil C.I.1.c) unten).

a) Allgemeine Einführung in die Verbotsvorschriften des Art. III GATT: Wortlaut, Struktur, Zusammenhang und Aufgabe Mit Art. III GATT haben die Vertragsparteien nicht jedes protektionistische Verhalten hinter der Grenze verbieten wollen, sondern eben lediglich solche Formen des Protektionismus, die gerade in einer schlechterstellenden Ungleichbehandlung ausländischer Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren liegen. Die Begrenzung des Art. III GATT auf das Verbot gerade solcher protektionistischen Verhaltensweisen, die in diesem Sinne diskriminierenden Charakter haben, ist Ausdruck des Wunsches nach regulativer Autonomie. In dem Verzicht auf ein Verbot mitgliedstaatlicher Beschränkungen hinter der Grenze zeigt sich, dass es den Vertragsparteien des GATT nicht um Deregulierung ging. Denn andernfalls hätten sie Regelungen eingeführt, die ähnlich den einschlägigen Regelungen in den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse (nähere Einzelheiten Teil C.II. unten) an der Beschränkung des Handels hinter der Grenze angesetzt hätten, ohne sich auf das Verbot von Diskriminierungen, also spezifisch protektionistischen Diskriminierungen, zu begrenzen. In der Abfassung eines Verbotes protektionistischer Diskriminierung liegt (untechnisch gesprochen) die Schaffung eines Vorbehaltes zugunsten der mitgliedstaatlichen Autonomie, dessen Kern es ist, zum einen allgemein anwendbare, d. h. nicht-diskriminierende Regelungen aufrecht erhalten zu können, selbst wenn diese gegebenenfalls protektionistische Wirkungen entfalten8, 8 Diese Konsequenz wird freilich nicht immer deutlich ausgesprochen. Beispielhaft zeigt sich dies etwa bei Roessler, der das Nebeneinander von Antiprotektionismus und regulativer Autonomie zwar hervorhebt, dabei aber nicht deutlich macht, dass die Diskriminierungsverbote des Art. III GATT jedenfalls ihrem Wortlaut nach so eng sind, dass sie selbst solche nicht-diskriminierenden Regeln aussparen (können), die in hohem Maße protektionistisch wirken, vgl. Roessler, Frieder, Diverging Domestic Policies and Multilateral Trade Integration, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization: Prerequisites for Free Trade?, Volume 2: Legal Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 23.

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zum anderen aber diskriminierende Regeln aufrecht erhalten zu können, die keine protektionistischen Wirkungen entfalten. Regelungstechnisch erreicht das GATT den derart bezweckten Schutz der regulativen Autonomie der Mitgliedstaaten, indem es die relevanten Diskriminierungstatbestände der Abs. 2 und 4 Satz 1 des Art. III GATT in das Licht des in Art. III Abs. 1 GATT niedergelegten Antiprotektionismusprinzips stellt und damit beide Elemente (Protektionismus und Diskriminierung) in kumulativer Weise verbindet.9 Sind verschiedene Waren im Sinne des Art. III GATT vergleichbar, so ist ihre Ungleichbehandlung daher nur dann verboten, wenn sie die heimische Produktion vor dem Wettbewerb mit ausländischer Produktion tatsächlich schützt. Umgekehrt ist der Schutz der heimischen Industrie unter Art. III GATT jedenfalls seinem Wortlaut nach nur insoweit verboten, als er gerade durch Ungleichbehandlung vergleichbarer Waren verwirklicht wird. In der Kombination dieser beiden Merkmale der „Ungleichbehandlung vergleichbarer Waren“ einerseits und des „Schutzes der heimischen Industrie“ andererseits haben die Mitgliedstaaten ihre Autonomie unter den Tatbeständen des Art. III GATT also in zweierlei Hinsicht sichergestellt: Zum einen können sie Waren in ihren Märkten regulativ unterschiedlich behandeln, soweit diese unterschiedliche Behandlung nicht gerade protektionistisch ist. Zum anderen bleibt ihnen die Möglichkeit, ihre heimische Produktion zu schützen, soweit dieser Schutz nicht gerade durch Ungleichbehandlung ausländischer Waren verwirklicht wird. Der durch diese Kombination von Ungleichbehandlung und Protektionismus in Art. III GATT erreichte Autonomieschutz erstreckt sich im Grundsatz auf marktregulative Maßnahmen an und hinter der Grenze. Für marktregulative Maßnahmen hinter der Grenze folgt dies unmittelbar aus dem Zusammenspiel der Art. II, III und XI GATT.10 Für marktregulative Maßnahmen an der Grenze, also für marktregulative Maßnahmen, die zum Zeitpunkt oder am Ort (also anlässlich) der Einfuhr erhoben werden, ergibt sich dies aus der Anmerkung zu Art. III11, die regulative Grenzmaßnahmen, also Grenzmaßnahmen zur Ergänzung einzelstaatlicher Regulation, im Wege der Fiktion aus dem Anwendungsbereich der an sich anwend9 Die Streitbeilegungsorgane verstehen die Diskriminierungsverbote des Art. III GATT als Ausformung des antiprotektionistischen Prinzips. Das Ständige Berufungsgremium hat dies mehrfach bestätigt, so etwa im Fall European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 93. 10 Die klare Zuordnung von Maßnahmen hinter der Grenze zu Art. III GATT und Maßnahmen an der Grenze zu Art. II und XI GATT ist ständige Streitbeilegungspraxis, vgl. zu Art. XI GATT grundlegend etwa Canada – Administration of the Foreign Investment Review Act, Panelbericht vom 25. Juli 1983, angenommen am 7. Februar 1984, BISD 30S / 140, Rn. 5.14; aus neuerer Zeit etwa European Communities – Measures Affecting Asbestos and AsbestosContaining Products, Panelbericht vom 18. September 2000, WT / DS135 / R, Rn. 8.87 ff. 11 Die Anmerkung zu Art. III nimmt derartige Maßnahmen im Wege der Fiktion aus dem Anwendungsbereich der an sich anwendbaren Art. XI respektive II GATT heraus, wenn und soweit sie sowohl auf eingeführte als auch auf vergleichbare inländische Waren Anwendung finden.

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baren Art. XI respektive II GATT herausnimmt, wenn und soweit sie sowohl auf eingeführte als auch auf vergleichbare inländische Waren Anwendung finden. Der Grund hierfür liegt darin, dass derartige Maßnahmen – wie etwa in der dem Hormonfall zugrundeliegenden Konstellation – jedenfalls in der Regel in Ergänzung und / oder zur Effektivierung marktregulierender Maßnahmen ergehen, ohne dabei notwendigerweise ausländische Waren schlechter zu behandeln als vergleichbare inländische Waren. Derartige „Grenzmaßnahmen mit marktregulativer Ergänzungswirkung“ oder auch „marktregulative Grenzmaßnahmen“ werden entsprechend der Anmerkung zu Art. III so behandelt, als seien sie innerstaatliche Maßnahmen. Liegen die Voraussetzungen der Anmerkung zu Art. III mangels effektiver Schlechterstellung ausländischer Waren vor, sind derartige Maßnahmen von Art. II oder XI GATT mithin nicht verboten, da schon deren Anwendungsbereich wegen der Fiktion der Anmerkung zu Art. III nicht eröffnet ist.12 Die Verbotstatbestände in Art. III Abs. 2 und 4 GATT erfassen ausnahmslos alle materiellen Bereiche staatlichen Handelns. Art. III Abs. 2 GATT ist zwar beschränkt auf direkte Steuern, d. h. solche Steuern, die an Eigenschaften der Ware selbst ansetzen.13 Diese Begrenzung ist aber keine solche des sachlichen Anwendungsbereichs, sondern lediglich eine solche in der Handlungsform. Sie dient nämlich insbesondere dazu, den Art. III GATT nicht zu einer allgemeinen Antisubventionsvorschrift werden zu lassen.14 Die Begrenzung ist allerdings ihrerseits begrenzter Natur. Denn sie wird durch den weiten Anwendungsbereich des Art. III Abs. 4 GATT aufgefangen. Danach sind auch solche Maßnahmen verboten, die zwar nicht unter Art. III Abs. 2 GATT fallen, aber aus irgendeinem anderen Grund ausländische Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren schlechter stellen.15 Es ist gerade diese Weite im Anwendungsbereich, die den Art. III GATT so kompliziert und lang hat werden lassen, wie er ist. Denn die Mitgliedstaaten ver12 Derartige „Grenzmaßnahmen mit marktregulativer Ergänzungswirkung“ ergehen – wie etwa in den dem Garnelen-, Hormon- oder auch Asbestfall zugrundeliegenden Konstellationen – in Ergänzung und / oder zur Effektivierung marktregulierender innerstaatlicher Maßnahmen und entfalten daher kraft Sachzusammenhangs marktregulierende Wirkungen. Keine solche „marktregulative Grenzmaßnahme“ liegt vor, wenn eine Maßnahme sich lediglich auf das Grenzregime selbst beschränkt, ohne zugleich Bezüge zur innerstaatlichen Marktregulation zu haben (klassische Art. II beziehungsweise XI GATT Fälle). 13 Working Party Report on Border Tax Adjustments, angenommen am 2. Dezember 1970, BISD 18S / 97, 100 – 101, Rn. 14; Indonesia – Certain Measures Affecting The Automobile Industry, Panelbericht vom 2. Juli 1998, WT / DS54, 55, 59 und 64 / R, Rn. 14.37; Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, Panelbericht vom 14. März 1997, WT / DS31 / R, Rn. 5.28 ff. 14 Näher hierzu schon Jackson, John H., World Trade and the Law of GATT, Indianapolis: Bobbs-Merrill, 1969, S. 279 ff. 15 Zur Weite des Anwendungsbereichs jüngst wieder Matsushita, Mitsuo, Thomas J. Schoenbaum und Petros C. Mavroidis: The World Trade Organization : law, practice, and policy, Oxford u. a.: Oxford Univ. Press, 2003, S. 157.

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suchten angesichts dieser Weite, zunächst noch unter der geplanten ITO, später unter dem übriggebliebenen GATT, ihre naturgemäß höchst unterschiedlichen innerstaatlichen System kompatibel zu halten.16 Insbesondere die technischen Unterschiede zwischen Abs. 2 und 417 haben zu einer Vielzahl dogmatischer Unsicherheiten geführt, die bis heute in der Auslegung der WTO-Streitbeilegungsorgane spürbar sind. Dies ist bedauerlich, denn es sind die Grundlagen des Mit- und Gegeneinanders von Autonomie und Antiprotektionismus, die im Rahmen des Art. III GATT zu klären sind, nicht die Einzelheiten überwiegend technischer Wortlautunterschiede, die aus frühen Zeiten des GATT herrühren und mittlerweile ohnehin weitgehend überwunden sind. Eine funktional geleitete Austarierung in den Grundlagen ist umso bedeutsamer, je größere Hürden der Wortlaut bereithält. Freilich bedeutet dies nicht, dass die Unterschiede in Wortlaut und Struktur vollkommen vernachlässigt werden dürften. Dies verbietet bereits die juristische Methode. Es geht vielmehr – unter Beachtung der Strukturunterschiede der einzelnen Tatbestände – um eine Integration der unterschiedlichen Vorschriften in die „Gesamtvorschrift“ des Art. III GATT.

b) Die Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT: Überblick Angesichts der bestehenden Unterschiede im Wortlaut und in der Struktur der Vorschriften sind die Streitbeilegungsorgane in einer schwierigen Situation. Einerseits müssen sie die Unterschiede im Wortlaut der Vorschriften beachten. Andererseits müssen sie der Funktion der Verbotstatbestände gerecht werden. Schwierig ist dies deshalb, weil die Wortlautunterschiede nicht notwendig Unterschiede in der Funktion wiedergeben. So wäre es aus funktionaler Sicht kaum vertretbar, wenn 16 Dieser Wunsch führte zu der Vielzahl unterschiedlicher Regelungsgehalte sowie zu Sonderregelungen, wie etwa der Subventionsvorschrift in Art. III Abs. 8b GATT. Zur Entstehungsgeschichte des Art. III GATT und insbesondere zu seiner inneren Kompliziertheit ausführlich schon Jackson, John H., World Trade and the Law of GATT, Indiniapolis: Bobbs Merrill, 1969, S. 276 ff. 17 Während Abs. 2 in seinen Sätzen 1 und 2 zwei (wenn auch unterschiedliche) Verbotstatbestände umfasst, enthält der Abs. 4 nur einen Verbotstatbestand (in Satz 1) und einen Ausnahmetatbestand hierzu (in Satz 2). Auch das Verhältnis, das die einzelnen Verbotstatbestände zum Antiprotektionismusprinzip in Abs. 1 haben, ist unterschiedlich gestaltet. So läuft wegen der unterschiedlichen Struktur der Abs. 2 und 4 insbesondere das Verhältnis der Abs. 1 und 2 (jeweils zueinander) nicht notwendig parallel zu dem Verhältnis der Abs. 1 und 4 (jeweils zueinander). Im Hinblick auf Abs. 2 S. 2 folgen die Unterschiede zu Abs. 4 schon aus dem Wortlaut, da Abs. 4 S. 1 lediglich verbietet, dass aus dem Gebiet einer Vertragspartei eingeführte Waren „keine weniger günstige Behandlung erfahren als gleichwertige Waren inländischen Ursprungs“, während Abs. 2 S. 2 demgegenüber Belastungen in einer Anwendung verbietet, „die den Grundsätzen des Abs. 1 widerspricht“. In diesem Zusammenhang setzt Abs. 4 S. 1 die Gleichartigkeit der inländischen und ausländischen Ware voraus – was immer im Einzelnen hierunter zu verstehen ist – während Abs. 2 S. 2 eine solche Gleichartigkeit der Ware vom Wortlaut her nicht notwendig voraussetzt, sondern sich mit der Substituierung der Waren begnügt.

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ein Mitgliedstaat ein bestimmtes Ziel wegen Art. III Abs. 2 S. 2 GATT zwar nicht im Wege steuerrechtlicher Maßnahmen, wohl aber mangels Verstoßes gegen Art. III Abs. 4 GATT im Wege anderer, ihrer Zielsetzung nach aber vollkommen paralleler Maßnahmen erreichen könnte. Funktional müssen Abs. 2 und Abs. 4 also aufeinander abgestimmt sein. Zudem müssen Autonomieschutz und Antiprotektionismus miteinander in Einklang gebracht werden: Legen die Streitbeilegungsorgane die Tatbestandsmerkmale jeweils zu eng aus, so entfalten sie ein hohes Maß an mitgliedstaatlicher Autonomie mit einem zu großen Freiraum für protektionistische Maßnahmen. Legen sie die Tatbestandsmerkmale demgegenüber zu weit aus, schaffen sie hierdurch zwar gegebenenfalls eine effektive Abwehr versteckter protektionistischer Schlechterbehandlungen ausländischer Hersteller, grenzen die Mitgliedstaaten dafür aber in gegebenenfalls hohem Maße in ihrer regulativen Autonomie ein. In der Auslegungstätigkeit der Streitbeilegungsorgane wird angesichts dieser Herausforderungen der Wille zu möglichst wortlautgetreuer Auslegung deutlich erkennbar. Gerade in den Entscheidungen des Berufungsgremiums ist in vielerlei Hinsicht ein besonders ausgeprägtes Augenmerk auf den Wortlaut der Vorschriften zu bemerken. Dies erstaunt an sich nicht weiter, ist das Berufungsgremium alles in allem doch ein noch recht junges Organ, das angesichts der Schwierigkeiten in der für politische Entscheidungen erforderlichen Konsensfindung unter einem besonderen Sorgfaltsdruck steht (zur Bedeutung der institutionellen Schwäche des „politischen“ Arms der WTO für die Wortlautorientierung nähere Einzelheiten Teil E.I. unten). Den Wortlaut einer Vorschrift genau zu berücksichtigen, ist ein relativ sicheres Mittel, die Untiefen von Interessenkonflikten einigermaßen unbeschadet zu durchlaufen. Denn der Wortlaut einer Regel ist noch immer ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Element in der Auslegung rechtlicher Regeln. Das Berufungsgremium ist daher auf einer einigermaßen sicheren Seite, wenn es sich eng am Wortlaut der Vorschriften orientiert. Eine solche Praxis wird nicht zuletzt durch Art. 31 Abs. 1 WVRK gestützt, der über Art. 3 Abs. 2 DSU, dies ist allgemein anerkannt, als Teil des Völkergewohnheitsrechts in der Streitbeilegungspraxis Anwendung findet und an erster Stelle von der „gewöhnlichen“ Bedeutung einer Bestimmung spricht.18 Die genaue (wie in früheren Stadien übrigens oft auch nicht so genaue oder sogar „schludrige“) Berücksichtigung des Wortlautes hat allerdings zu dogmatischer Unsicherheit über eine Vielzahl von Auslegungsfragen geführt, die bis an die funktionalen Grundfesten des Art. III GATT heranreichen. Insbesondere sind die Grenzen des Art. III GATT in dogmatischer Hinsicht bis heute nicht eindeutig geklärt. Dies ist ein Manko. Denn erst die sichere Kenntnis der Grenzen des Art. III GATT ermöglicht es der Vorschrift, jene autonomieschützende Funktion wahrzunehmen, 18 Überblick zur Streitbeilegungspraxis etwa bei Marceau, Gabrielle, A Call for Coherence in International Law: Praises for the Prohibition Against ‘Clinical Isolation’ in WTO Dispute Settlement, 33 JWT 1999, S. 87.

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die ihr zugeschrieben wird. Hier sind die Streitbeilegungsorgane in neuerer Zeit auf einem recht zielführenden Weg, obgleich ein großer Teil der Strecke erst noch zu gehen ist. An dieser Stelle sollen nur die wesentlichen Eckpunkte dieser Entwicklung nachgezeichnet werden, soweit sie für die später erfolgende Analyse und die Vorschläge zur dogmatischen Bereinigung von Bedeutung sind.19 Im Einzelnen soll zunächst der allgemeine Grundsatz der Streitbeilegungsorgane zur Auslegung kurz vorgestellt werden (Teil C.I.1.b)aa) unten). Sodann soll es um Einzelfragen bei der Auslegung der Verbotstatbestände gehen (Teil C.I.1.b)bb) unten bis C.I.1.b)dd) unten).

aa) Auslegung der Verbotstatbestände im Lichte des Art. III Abs. 1 GATT Kernelement in der Prüfung mitgliedstaatlicher Maßnahmen durch die Streitbeilegungsorgane nach Art. III GATT ist zunächst, dass alle drei hier relevanten Tatbestände der Abs. 2 und 4 im Lichte des in Art. III Abs. 1 GATT niedergelegten Antiprotektionismusprinzips auszulegen sind. Dies hat das Berufungsgremium für alle drei Verbotstatbestände mehrfach bestätigt.20 Diese Bestätigung ist besonders 19 Weitergehende Darstellungen und Bewertungen der Rechtsprechung zu Art. III GATT finden sich neben den im Folgenden zitierten wissenschaftlichen Beiträgen in einer Vielzahl überblickartiger Darstellungen, die sich inbesondere nach ihrem Adressatenkreis unterscheiden. Für einen ersten allgemeinen Überblick zur Streitbeilegungspraxis unter Art. III GATT empfielt sich etwa das Buch von Matsushita, Mitsuo, Thomas J. Schoenbaum und Petros C. Mavroidis: The World Trade Organization: law, practice, and policy, Oxford u. a.: Oxford Univ. Press , 2003, S. 156 ff. Eine einführende Darstellung zu den Einzelheiten der Streitbeilegungspraxis (Sachverhalte und Argumentation) findet sich etwa bei Todd, Paul, Cases and Materials on International Trade Law, London: Sweet & Maxwell, 2002; ferner bei Dillon, Sara, International Trade and Economic Law and the European Union. Oxford: Hart, 2002. Genauere und insbesondere praxisrelevante Darstellungen finden sich insbesondere bei Pescatore, Pierre, William J. Davey und Andreas F. Lowenfeld, Handbook of GATT dispute settlement, Irvington-on-Hudson, NY: Transnational Juris Publ. (Losebl.-Ausg.), 1991. Mit Praxisorientierung (aber Zugangsbeschränkung) siehe schließlich im Internet: www.worldtradelaw.net. 20 Hinsichtlich Art. III Abs. 2 S. 1 und 2 GATT Japan – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, S. 17: „This general principle informs the rest of Article III. The purpose of Article III:1 is to establish this general principle as a guide to understanding and interpreting the specific obligation in Article III:2 and in the other paragraphs of Article III [ . . . ]“ (Hervorhebung vom Verfasser). Ähnlich etwa in Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, Bericht des Berufungsgremiums vom 30. Juni 1997, WT / DS31 / AB / R, S. 18 f. Hinsichtlich III.4 (ebenfalls in allgemeiner Form formuliert) in EC – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rz. 93: „[ . . . ] both of these paragraphs [ 2 and 4] of Article III constitute specific expressions of the overarching, ,general principle‘, set forth in Article III:1 of the GATT 1994. As we have previously said, the ,general principle‘ set forth in Article III:1 „informs“ the rest of Article III and acts ,as a guide to understanding and interpreting the specific obligations contained‘ in the other paragraphs of Article III, including paragraph 4“ (Hervorhebung durch den Verfasser).

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hervorzuheben, da die einzelnen Verbotstatbestände in früheren Zeiten, sogar noch zu Beginn der WTO, nicht als spezifischer Ausdruck des Art. III Abs. 1 GATT verstanden wurden, sondern als lex spezialis zu dem in Art. III Abs. 1 GATT verkörperten Antiprotektionismusprinzip, so dass die allgemeinen Voraussetzungen des Art. III Abs. 1 GATT bei Vorliegen der Voraussetzungen der „Spezialvorschrift“ nicht gesondert geprüft wurden.21 Auch in jüngerer Praxis noch, nämlich im unionalen Bananen III-Fall, hat das Berufungsgremium einen jedenfalls expliziten Rückbezug im Hinblick auf Art. III Abs. 4 GATT noch abgelehnt.22 Zwar hat sich dieser Wandel der Streitbeilegungspraxis im Ergebnis bisher, wie sich im Folgenden zeigen wird, kaum niedergeschlagen. Für die Konstruktion des Art. III GATT als einem spezifisch antiprotektionistischem Diskriminierungsverbot ist dieser Wandel gleichwohl von Bedeutung. Denn der wohl wichtigste allgemeine Wesenszug einer antiprotektionismusadäquaten Auslegung der Verbotstatbestände liegt in der Notwendigkeit eines entsprechend antiprotektionistischen Verständnisses, also sozusagen einer antiprotektionistischen „Aufladung“ der Verbotstatbestände. Von einer solchen „Aufladung“ wird im Folgenden noch viel die Rede sein. Sie ist sozusagen die (antiprotektionistische) „Brille“, durch die die Verbotstatbestände des Art. III GATT zu betrachten sind und auch hier betrachtet werden. Eine antiprotektionistische Auslegung im Sinne dieser „Aufladung“ liegt nur dann vor, wenn wirklich nur solche Diskriminierungen im Sinne der Verbotstatbestände verboten sind, die im Sinne des Art. III Abs. 1 GATT auch tatsächlich protektionistische Wirkungen entfalten. So sehr mittlerweile die Relevanz des Antiprotektionismusprinzips in Abs. 1 für die Auslegung aller Verbotstatbestände des Art. III GATT feststeht, so ungeklärt ist bis heute die Konsequenz dessen für die dogmatischen Strukturen im Einzelnen. Eine der in diesem Zusammenhang vordringlich diskutierten Fragen geht dahin, im Rahmen welchen Merkmals diese antiprotektionistische „Aufladung“ der Verbotstatbestände des Art. III GATT richtigerweise zu geschehen hat. Das Berufunggremium hat diese Frage für die einzelnen Tatbestände in jeweils ganz ähnlicher Weise beantwortet, in dem es die protektionistische Aufladung im jeweils behandlungsbezogenen Merkmal (Ungleich- / Schlechterbehandlung) verankert hat, nicht im warenbezogenen Merkmal (Gleichartigkeit / Substituierbarkeit). Wegen der Unterschiede im Wortlaut hat es dabei naturgemäß allerdings eine technisch jeweils etwas unterschiedliche Argumentation entwickelt: Hinsichtlich Art. III Abs. 2 Satz 2 GATT hat das Berufungsgremium im japanischen Alkoholfall eine antiprotektionistische Aufladung der Verbotstatbestände dadurch erreicht, dass es unter Berücksichtigung der Anmerkung zu Art. III Abs. 2 drei Tatbestandsmerkmale heraus21 Vgl. etwa noch US – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT / DS2 / R, Panelbericht vom 15. Mai 1996, Rn. 6.17; ferner: United States – Measures Affecting Alcoholic and Malt Beverages, Panelbericht vom 16 März 1992, angenommen am 19. Juni 1992 (DS23 / R – 39S / 206), Rz. 5.2. 22 European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Berufungsgremiums vom 9. September 1997, WT / DS27 / AB / R, Rz. 216.

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gearbeitet hat, nämlich (1) Substituierbarkeit, (2) ungleiche Besteuerung und (3) schützende Anwendung der ungleichen Besteuerung.23 Damit hat es einen engen Bezug des dritten Merkmals (schützende Anwendung) zum spezifisch warenbezogenen Merkmal der Substituierbarkeit eindeutig ausgeschlossen, indem es feststellte, dass es gerade die ungleiche Besteuerung ist, die in schützender Weise angewendet werden müsse. Angesichts des Wortlauts des Abs. 1 („angewendet“, „application“) ist dieses Vorgehen jedenfalls im Hinblick auf das Ergebnis nicht zu kritisieren. Gleichwohl soll es hier hervorgehoben werden, da es, wie sogleich darzustellen sein wird, wegen des damit verbundenen Ausschlusses einer Zweckprüfung im warenbezogenen Merkmal erhebliche Kritik auf sich gezogen hat.24 Hinsichtlich Art. III Abs. 4 S. 1 GATT hat das Berufungsgremium im Asbestfall ebenfalls eine antiprotektionistische Aufladung des behandlungsbezogenen Merkmals („keine weniger günstige Behandlung“) entwickelt und damit eine Aufladung im warenbezogenen Merkmal („gleichartige Waren“) abgelehnt. Allerdings hat es die antiprotektionistische Aufladung des behandlungsbezogenen Merkmals nicht, wie bei Art. III Abs. 2 S. 2 GATT, durch Hinzufügung eines (wenn auch unselbständigen) dritten Merkmals der schützenden Anwendung erreicht, sondern durch eine begriffliche Reduktion des Merkmals der „weniger günstigen Behandlung“ auf lediglich protektionistisch weniger günstige Behandlungen (was immer hierunter im Einzelnen zu verstehen ist, dazu sogleich). Diese Reduktion hat es im Wege der Behauptung vorgenommen, das Merkmal der „weniger günstigen Behandlung“ sei spezifischer Ausdruck des in Abs. 1 niedergelegten Antiprotektionismusprinzips.25 Ein solches Vorgehen hat sich hinsichtlich Art. III Abs. 2 S. 1 GATT bereits 23 Japan – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, S. 24 ff.; bestätigt in Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13. Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rz. 47 ff. 24 Vgl. insbesondere Wille, Serena B., Restructuring a Lost Opportunity: Art. III:2 GATT 1994 – Japan – Taxes on Alcoholic Beverages 1996, 9 EJIL 1998, S. 182, im Internet auch unter http: //www.ejil.org/journal/Vol9/No1/sr1b.html (Seitenaufruf am 17. Oktober 2003). 25 EC – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rz. 100: „The term „less favourable treatment“ expresses the general principle, in Article III:1, that internal regulations „should not be applied . . . so as to afford protection to domestic production“ (Hervorhebung durch den Verfasser).“ Damit hat das Berufungsgremium das Merkmal der „weniger günstigen Behandlung“ im Wege begrifflicher Reduktion auf jene Fälle beschränkt, die eine protektionistisch weniger günstige Behandlung darstellen: Denn weniger günstige Behandlungen, die keine protektionistischen Wirkungen entfalten (wie etwa eine einmalige Schlechterbehandlung einer einzigen ausländischen Ware), sind danach keine „weniger günstigen Behandlungen“ im Sinne des Art. III GATT. Die begriffliche Reduktion auf protektionistisch weniger günstige Behandlungen wird spätestens mit dem sich unmittelbar anschließenen Satz des Berufungsgremiums deutlich: „If there is „less favourable treatment“ of the group of „like“ imported products, there is, conversely, „protection“ of the group of „like“ domestic products.“ So richtig diese begriffliche Reduktion aus Sicht des Verfassers ist, so schwach ist ihre Begründung. Der Begründungsbedarf für diese Passage ist hoch. Zwar steht sie lediglich in einem obiter dictum, da die zugrundeliegenden Erörterungen des panels nicht angegriffen worden sind. Das Berufungsgremium hatte aber, wie bereits erwähnt, im Bananen III-Fall

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im japanischen Alkoholfall angedeutet: Auch hier hatte das Berufungsgremium dem Tatbestand nicht drei aufeinander bezogene Merkmale entnommen (warenbezogenes Merkmal, behandlungsbezogenes Merkmal, antiprotektionistisches Merkmal). Vielmehr hat es die schützende Wirkung nach Abs. 1 sozusagen in das Merkmal der „höheren“ inneren Abgaben oder sonstigen Belastungen hineingezogen, wenn auch sehr viel undeutlicher als später im Asbestfall zu Art. III Abs. 4 GATT.26

bb) Antiprotektionistische „Entladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals: Markt statt Politikkriterien Mit dieser Auslegung einer zwar überragenden, allerdings auf das jeweils behandlungsbezogene Merkmal der Tatbestände begrenzten Bedeutung des Antiprotektionismusprinzips hat sich das Berufungsgremium den Freiraum für eine nicht antiprotektionistisch aufgeladene Auslegung des jeweils warenbezogenen Merkmals der Gleichartigkeit / Substituierbarkeit geschaffen (im Folgenden spricht der Verfasser der Einfachheit halber von einer antiprotektionistisch „entladenen“ Auslegung des jeweils warenbezogenen Merkmals). Es nutzt diesen Freiraum für die Durchführung einer positiven Marktanalyse. Der allgemeine Ansatz der Rechtsprechung zur Vergleichsgruppenbildung unter Art. III GATT geht auf den Bericht der Working Party zum Border Tax Adjustment zurück. Danach soll die Vergleichsgruppenbildung fallweise erfolgen („case-by-case“). Die in dem Bericht dafür zugrundegelegten Kriterien umfassen bekanntermaßen die Benutzung der Ware durch den Endverbraucher („the product’s end-uses“), den Geschmack und die Gewohnheiten der Verbraucher („consumer’s tastes and habits“), die physikalischen Eigenschaften der Ware („the product’s properties, nature and quality“) sowie die Zollklassifizierung der Ware („the product’s tariff classification“).27 Diese marktbezogenen Kriterien wurden im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung durch die Rechtsprechung in der Folgezeit (fast) immer konsequent angewendet, ohne dabei die Ziele der angegriffenen Maßnahme selbst mit zu berücksichtigen.28 Dies führte eine antiprotektionistische Aufladung des Art. III Abs. 4 GATT noch ohne viel Federlesens gänzlich abgelehnt (s. o. bei Fn. 123). Im Einzelnen wird auf die mit der Reduktion verbundenen Fragen daher im Folgenden einzugehen sein (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)bb) ff.). 26 Japan – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, S. 18 f. Allerdings weist auch hier die Argumentation insoweit Schwächen auf. Zwar schließt das Berufungsgremium aus dem Fehlen eines Verweises auf Abs. 1, dass es eines gesonderten Nachweises der schützenden Anwendung einer Maßnahme nicht bedürfe. Sodann stellt es es aber fest, dass Abs. 2 (und damit auch Abs. 2 S. 1) eine „Anwendung“ des Abs. 1 sei („application of the general principle“), freilich ohne zu spezifizieren, worin genau sich diese „Anwendung“ audrücke. Aus der sich anschließenden Gleichartigkeitsprüfung ergibt sich aber, dass das protektionistische Element dort jedenfalls nicht angesiedelt ist (S. 19 ff.). Im Einzelnen zur Gleichartigkeit sogleich. 27 Working Party Report on Border Tax Adjustments, angenommen am 2. Dezember 1970, BISD 18S / 97, 102.

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im Hinblick auf die Nachweisbarkeit der bei der Vergleichsgruppenbildung zugrundegelegten Marktfakten zu einem (relativ) hohen Maß an Rechtssicherheit, da Zielvorstellungen des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers im Rahmen einer Marktanalyse keine Rolle spielen. Im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit der Bewertung dieser Fakten führt dieses Vorgehen allerdings zu einem geringen Maß an Rechtssicherheit, weil Maßstäbe für die Heranziehung und Abwägung der nachgewiesenen Fakten weitgehend fehlen. Zwar lassen sich Formen der Benutzung einer Ware durch den Endverbraucher und seiner Gewohnheiten nachvollziehbar auswählen und nachweisen. Dasselbe gilt für bestimmte physikalische Eigenschaften der Ware. Doch wonach richtet sich die Auswahl, welche physikalische Eigenschaft einer Ware oder welche Benutzung durch den Endverbraucher zur Vergleichsgruppenbildung herangezogen werden?29 Die damit verbundenen Unsicherheiten für den Autonomieschutz wurden im Rahmen der GATT Streitbeilegung ausdrücklich anerkannt – wenn auch nur in lediglich zwei Entscheidungen, namentlich im Fall United States – Measures Affecting Alcoholic And Malt Beverages30 sowie im Fall des – nicht angenommenen – Berichts United States – Taxes on Automobiles („Gas Guzzler“-Entscheidung). 31 Diese beiden Fälle bilden sozusagen den methodischen Gegenpol zu den marktbezogenen Ansätzen der Border Tax Adjustment-Beilegungspraxis. Als Remedur der unbefriedigenden Situation regen sie die Berücksichtigung der Politikziele, die einer mitgliedstaatlichen Maßnahme zugrundeliegenden, in der Vergleichsgruppenbildung an. Nicht ging es den panels in diesen Entscheidungen um ein völliges 28 Überblick und methodische Aktualisierung vor allem in EC – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 87 ff. Unter dem alten GATT waren bsonders bedeutsame Streitfälle zur Gleichartigkeitsprüfung etwa Spain – Tariff Treatment of Unroasted Coffee (L / 5135, angenommen am 11. Juni 1981, BISD 28S / 102); United States – Taxes on Petrolium and Certain Imported Substances (L / 6175, angenommen am 17. Juni 1987, BISD 34S / 136); Japan – Customs Duties, Taxes and Labelling Practices on Imported Wines and Alcoholic Beverages (L / 6216, angenommen am 10. November 1987, BISD 34S / 83); EEC – Measures on Animal Feed Proteins (L / 6627, angenommen am 25. Januar 1990, BISD 37S / 86). Überblick zur Gleichartigkeitsprüfung aus der Literatur etwa bei Matsushita, Mitsuo, Thomas J. Schoenbaum und Petros C. Mavroidis, The World Trade Organization: law, practice, and policy, Oxford u. a.: Oxford Univ. Press, 2003, S. 158 ff. 29 Kritisch hierzu Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 625; Howse, Robert und Donald Regan, The product / process Distinction – An Illusory Basis for Disciplining „Unilateralism“ in Trade Policy, 11 EJIL 2000, S. 249, 265; Regan, Donald, Regulatory Purpose and „Like Products“ in Article III:4 of the GATT (With Additional Remarks on Article III:2), in 36(3) JWT 2002, S. 443, 444; Wille, Serena B., Restructuring a Lost Opportunity: Art. III:2 GATT 1994 – Japan – Taxes on Alcoholic Beverages 1996, 9 EJIL 1998, S. 182, im Internet auch unter http: //www.ejil.org/journal/Vol9/No1/sr1b.html (Seitenaufruf am 17. Oktober 2003); nähere Einzelheiten Teil C.I.1.c)aa)(1) und Teil C.I.3.a). 30 United States – Measures Affecting Alcoholic And Malt Beverages, Panelbericht vom 16. März 1992, angenommen am 19. Juni 1992 (DS23 / R – 39S / 206). 31 Panelbericht, DS31 / R (nicht angenommen), abgedruckt etwa in 33 ILM 1397.

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Außerachtlassen marktbezogener Kriterien. Lediglich ging es ihnen um die Einführung nachvollziehbarer Gesichtspunkte zur Konkretisierung der border tax adjustment-Kriterien: Nach den Entscheidungen der panels in diesen beiden Fällen ist die Konkretisierung nachvollziehbar, wenn nicht nur die Effekte der Maßnahme (in Bezug auf die genannten vier border tax adjustment-Kriterien) geprüft werden, sondern auch die ihr zugrundeliegenden gesetzgeberischen Zielvorstellungen. Es sind danach die Effekte der Maßnahme und die ihr zugrundeliegenden Zielvorstellungen zu berücksichtigen, weshalb diese Methode weitgehend als „aims and effects-Test“ bekannt geworden ist. Konkret sollen die Waren danach nur dann vergleichbar sein, wenn sie im Hinblick auf den regulativen Zweck der Maßnahme miteinander im Wettbewerb stehen. Dieser Ansatz vermag die Auswahl der konkretisierenden Elemente der Border Tax Adjustment Kriterien in begrenztem Rahmen zu rationalisieren.32 Das Berufungsgremium der WTO hat diesem neuen Ansatz der Berücksichtigung gesetzgeberischer Zielvorstellungen im japanischen Alkoholfall allerdings schnell einen eindeutigen Riegel vorgeschoben, und zwar im Hinblick auf die Vergleichsgruppenbildung in beiden Sätzen des Art. III Abs. 2 GATT: Hinsichtlich des ersten Satzes hat es festgestellt, dass dieser zwar eine Konkretisierung des in Art. III Abs. 1 GATT festgelegten Rechtsprinzips bedeute, eine separate Prüfung der gesetzgeberischen Ziele im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung aber nicht erfordere, weil ein Hinweis auf Art. III Abs. 1 GATT im Gegensatz zum Satz 2 des Art. III Abs. 2 GATT fehle.33 Im Hinblick auf den Satz 2 des Art. III Abs. 2 GATT hat es dann aber festgestellt, dass sich auch hier die Berücksichtigung gesetzgeberischer Ziele im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung verbiete. Insbesondere hat er festgestellt, dass der in Abs. 2 Satz 2 enthaltene Hinweis auf Abs. 1 des Art. III GATT zwar neben die beiden in der Anmerkung zu Art. III Abs. 2 genannten Voraussetzungen34 eine weitere Voraussetzung stelle, namentlich, dass die Maßnahme 32 Die Motivation für eine derartige Methode liegt bei den Panels allerdings nicht in einer Rationalisierung der Vergleichsgruppenbildung, sondern in dem Schutz der mitgliedstaatlichen Autonomie. So formulierte das panel in seinem Bericht im Fall United States – Measures Affecting Alcoholic And Malt Beverages etwa: „The Panel recognized that the treatment of imported and domestic products as like products under Article III may have significant implications for the scope of obligations under the General Agreement and for the regulatory autonomy of contracting parties with respect to their internal tax laws and regulations: once products are designated as like products, a regulatory product differentiation, e.g. for standardization or environmental purposes, becomes inconsistent with Article III even if the regulation is not „applied . . . so as afford protection to domestic production“. In the view of the Panel, therefore, it is imperative that the like product determination in the context of Article III be made in such a way that it not unnecessarily infringe upon the regulatory authority and domestic policy options of contracting parties.“, vgl. Panelbericht, DS23, angenommen am 19. Juni 1992, 39S / 206, Rz. 5.72. 33 Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, vor Fn. 35. 34 „[ . . . ] unmittelbar konkurrierend oder substituierbar“ und „nicht mit einer ähnlichen Abgabe belastet“.

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nicht derart angewendet werden dürfe, dass „die inländische Erzeugung geschützt wird“. Dabei handle es sich aber um ein eigenständiges Kriterium der Anwendung der Maßnahme, das nicht bei der Vergleichsgruppenbildung berücksichtigt werden dürfe. Im Ergebnis müsse die Prüfung des Art. III Abs. 2 Satz 2 GATT daher, wie soeben bereits angedeutet, anhand von drei jeweils für sich eigenständigen Kriterien vorgenommen werden, namentlich der (1) unmittelbaren Konkurrenz oder Substituierbarkeit von Waren, (2) der unterschiedlichen unähnlichen Belastung durch eine Abgabe und (3) der nicht schützenden Anwendung der Maßnahme im Sinne des Art. III Abs. 1 GATT.35 Diesen Ansatz, nach dem die Zielsetzungen einer Maßnahme nicht im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung zu berücksichtigen ist, hat das ständige Berufungsgremium bis heute fortgesetzt. Hinsichtlich des Art. III Abs. 2 GATT hat das ständige Berufungsgremium dies im chilenischen Alkoholfall inexplizit dadurch bestätigt, dass es das Merkmal der schützenden Anwendung im Sinne des Abs. 1 („so as to afford protection“) unabhängig von der Vergleichsgruppenbildung geprüft hat.36 Hinsichtlich des Art. III Abs. 4 GATT hat es dies in zwei verschiedenen Fällen auf unterschiedliche Weise bestätigt: Zunächst hat es im unionalen Bananen III-Fall in Anlehnung an den zweiten japanischen Alkoholfall noch ohne weitere Ausführungen festgestellt, dass in Art. III Abs. 4 GATT – ähnlich wie in Art. III Abs. 2 Satz 1 GATT – mangels eines Hinweises auf Abs. 1 nicht geprüft werden dürfe, ob die Maßnahme in schützender Weise angewendet wird.37 Im unionalen Asbestfall hat es die Nichtberücksichtigung der Zielsetzungen der Maßnahme im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung dann dadurch bestätigt, dass es diese Vergleichsgruppenbildung anhand der (ausschließlich marktbezogenen) border tax adjustment Kriterien vollzogen hat, ohne dabei auf gesetzgeberische Zielvorstellungen näher einzugehen38, zugleich aber das behandlungsbezogene Merkmal eindeutig in den Zusammenhang des Antiprotektionismusprinzips in Abs. 1 gestellt hat.39 Allerdings hat die Prüfung der Gleichartigkeit im Asbestfall unter einem ganz anderen Zeichen gestanden als in den vorhergehenden Fällen. In seiner Asbestentscheidung verlangt das Berufungsgremium nämlich, dass alle Merkmale der border tax adjustment-Kriterien wertend berücksichtigt werden. Dadurch führt es Schutzgüter im Rahmen seiner Marktanalyse in die Vergleichsgruppenbildung ein, 35 Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, nach Fn. 39. 36 Chile – Taxes on Alcoholic Beverages, Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13. Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rz. 56 ff. 37 EC – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Berufungsgremiums vom 9. September 1997, WT / DS27 / AB / R, Rz. 216; Dazu etwa Eeckhout, Piet, Constitutional Concepts for Free Trade in Services, in: Búrca, Grainne de und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Oxford Hart, 2001, S. 235. 38 EC – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rz. 133 ff. 39 Ibid., Rn. 100.

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wenn auch nicht über die gesetzliche Wertung, sondern über die Wertungen im Verbraucherverhalten. Dieses Ergebnis erreicht es in zwei konsekutiven Schritten: In einem ersten Schritt stellt es fest, dass die border tax adjustment Kriterien nicht separat jeweils für sich zu prüfen seien, sondern dass es darauf ankomme, im Rahmen der Feststellung einer Wettbewerbsbeziehung („competitive relationship“) zwischen den beiden zu vergleichenden Waren alle zur Verfügung stehenden Informationen wertend zu berücksichtigen. Hierzu gehöre insbesondere, die innere Verbundenheit der unterschiedlichen border tax adjustment Kriterien miteinzubeziehen, wie etwa die Abhängigkeit der Endbenutzung durch die Endverbraucher von den physikalischen Eigenschaften der Ware usw.40 In einem zweiten Schritt stellt das Berufungsgremium dann fest, dass die Verbraucher höherwertige Schutzgüter bei dem Kauf von Waren einbeziehen und dass auch dies mit berücksichtigt werden müsse41.

cc) Konkretisierung der antiprotektionistischen „Aufladung“ im jeweils behandlungsbezogenen Merkmal Angesichts dieser antiprotektionistischen „Entladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals fragt sich, wie denn der Gehalt des antiprotektionistischen Prinzips in den einzelnen Verbotstatbeständen konkretisiert wird. Im Hinblick auf diese Frage ist die Streitbeilegungspraxis gespalten. Diese Gespaltenheit ist vor allem Ausdruck der Schwierigkeiten, dem unterschiedlichen Wortlaut der Vorschriften Genüge zu tun, ohne dabei die Funktion der Vorschrift aus dem Auge zu verlieren. Eine besonders naheliegende Konkretisierung des Merkmals der „schützenden Anwendung“ im Sinne des Abs. 1 hat das Berufungsgremium zuletzt im Asbestfall bereitgestellt. In dem bereits zitierten obiter dictum zum behandlungsbezogenen Merkmal der „weniger günstigen Behandlung“ führte es angesichts dessen antiprotektionistischer Aufladung aus, dass eine klägerische Partei nachweisen müsse, dass die Gruppe importierter Waren (in ihrer Gesamtheit) eine weniger günstige Behandlung erfahre als die Gruppe vergleichbarer heimischer Waren (ebenfalls in ihrer Gesamtheit).42 Damit vollzieht es die bereits erwähnte antiprotektionistische Auf-

Ibid., Rn 102. Besonders hingewiesen wird auf die insoweit dogmatisch schwer handhabbare Hervorhebung des Umstandes, dass der Geschmack und die Gewohnheiten der Verbraucher „wahrscheinlicherweise“ von den Gesundheitsrisiken geformt würden („[ . . . ]consumers’ tastes and habits [ . . . ] are very likely to be shaped by the health risks“), soweit diese nur (etwas weiter in derselben Textstelle) „hinreichend groß“ („sufficiently great“) seien, vgl. ibid. Rn 122. Derartig vage Formulierungen tragen wahrlich nicht zur Klarheit bei und bergen, so richtig sie in der Sache auch immer sein mögen, die Gefahr noch grßerer Rechtsunsicherheit (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)aa)). 42 EC – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 100: „A complaining Member must still establish that the measure accords to the group of „like“ imported products 40 41

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ladung in Form einer aggregierten Schlechterbehandlung ausländischer Waren. Diese gruppenmäßige (aggregierte) Betrachtungsweise ist zwar aus früheren Streitbeilegungsentscheidungen jedenfalls der Sache nach bereits bekannt (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa) unten). Sie ist aber im Zusammenhang des Art. III Abs. 4 GATT ein Novum, da das Berufungsgremium, wie bereits gerade erwähnt, noch im unionalen Bananen III-Fall sogar die antiprotektionistische Aufladung des Merkmals der „weniger günstigen Behandlung“ schlechthin ablehnte.43 Eine antiprotektionistische „Aufladung“ in dieser oder in einer vergleichbaren Form ist in allen Verbotstatbeständen aber tatsächlich dringend von Nöten, da andernfalls nichtprotektionistische Schlechterbehandlungen wie etwa eine einmalige, aber wirtschaftlich bedeutende Schlechterbehandlung ausländischer Waren von Art. III GATT verboten wären. Die aggregierte Betrachtungsweise ist daher in vielerlei Hinsicht ein Fortschritt gegenüber anderen Versuchen, das antiprotektionistische Prinzip in seiner behandlungsbezogenen Konkretisierung näher herauszuarbeiten. Insbesondere ist sie ein Fortschritt gegenüber dem Versuch des Berufungsgremiums im japanischen Alkoholfall, das Merkmal der schützenden Anwendung („protective application“) im Zusammenhang des Art. III Abs. 2 S. 2 GATT durch eine Überprüfung des „objektivierten Zwecks“ der Maßnahme näher herauszuarbeiten. In der berühmt gewordenen Passage hatte das Berufungsgremium formuliert: „Although it is true that the aim of a measure may not be easily ascertained, nevertheless its protective application can most often be discerned from the design, the architecture, and the revealing structure of a measure (Hervorhebung durch den Verfasser).“44

Diese Passage lässt sich angesichts ihres Wortlautes entgegen mancher (bekannter) Autoren wie etwa Hudec, die hierin eine Rede über den „protective purpose“ erkennen wollen45, nicht als „objektivierte Zweckprüfung“ verstehen. Denn das Berufungsgremium spricht hier tatsächlich von „protective application (Hervorhebung durch den Verfasser)“, und nicht von „protective purpose“. Insbesondere stellt es „protective application“ eindeutig dem „aim of a measure“ gegenüber, das nach Aussage des Berufungsgremiums anders als die Anwendung („application“) „less favourable treatment“ than it accords to the group of „like“ domestic products. (Hervorhebung durch das Berufungsgremium). 43 European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Berufungsgremiums vom 9. September 1997, WT / DS27 / AB / R, Rz. 216. Die Änderung in der Beilegungspraxis unterstreichen etwa auch Howse, Robert und Elisabeth Tuerck, The WTO Impact on Internal Regulations – A Case Study of the Canada – EC Asbestos Dispute, in: Búrca, Grainne de und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Oxford Hart, 2001, S. 283, 298; ferner in diese Richtung Ehring, Lothar, De facto discrimination in WTO law – national and most-favored-nation treatment or equal treatment, 36 JWT 2002, S. 921, 943. 44 Japan – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, S. 29. 45 So vor allem Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 631.

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eben nicht leicht festgestellt werden könne („may not be easily ascertained“). Insofern geht der Verfasser davon aus, dass das Berufungsgremium hier nicht eine Art objektiven Gesetzeszwecks feststellen wollte, sondern allenfalls das Potenzial protektionistischer Wirkungen. Das Berufungsgremium hat mit gutem Grund von „schützender Anwendung“ („protective application“) der Maßnahme gesprochen, nicht von ihrem „schützenden Zweck“ („protective purpose“). Denn Abs. 1 des Art. III GATT, auf den Abs. 2 S. 2 GATT verweist, spricht eindeutig von der schützenden Anwendung der Maßnahme, nicht von ihrem schützenden Zweck („[ . . . ] should not be applied to imported or domestic products so as to afford protection“). Es ist daher über das Ziel hinaus geschossen, wenn man davon ausgeht, das Berufungsgremium habe „Zweck“ gemeint, als es von „Anwendung“ sprach.46 Sinnvoller wäre es, dem Berufungsgremium zuzutrauen, dass es tatsächlich „Anwendung“ meint (was es immer im Einzelnen darunter versteht), wenn es von „Anwendung“ spricht. Allerdings hat das Berufungsgremium in der darauf folgenden Entscheidung zum chilenischen Alkoholfall die Worte „purpose“ und „objectives“ in einer Weise gebraucht, die es nahelegen, dass das Berufungsgremium selbst davon ausgeht, es habe die genannte Passage im japanischen Alkoholfall tatsächlich im Sinne einer Gesetzeszweckprüfung gemeint (wenn auch einer „objektivierten Zweckprüfung“ – was immer im Einzelnen darunter zu verstehen ist).47 Angesichts dieses Umstandes (ob er nun insbesondere auf Hudecs Beitrag konkret zurückgehen mag oder nicht . . . ) erscheint es dem Verfasser nicht zweckmäßig, die Passage im japanischen Alkoholfall als Passage über antiprotektionistischen Wirkungen zu deklarieren. Vielmehr erkennt der Verfasser die Rede von der „objektivierten Zweckprüfung“ an, nicht ohne freilich weiterhin mit dem in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff des „objektivierten Zwecks“ den Gedanken der Wirkung zu verbinden, nämlich der protektionistischen Wirkung. Mag man hier auch noch so viel von einer (ohnehin fragwürdigen) objektiven Zweckprüfung reden: In der Sache handelt es sich um eine Prüfung der Maßnahme – anhand ihrer „inneren Konstruktion“ („design, architecture, structure“) – über das Potenzial protektionistischer Wirkungen!48 Es bleibt damit bereits hier festzuhalten: Die Rede des Berufungsgremiums So aber Hudec, ibid. Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13. Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rz. 62. Nach dem es dort wiederholt hat, dass Zielsetzungen einzelner, die an dem Zustandekommen der Maßnahme beteiligt waren, nicht geprüft werden müssten, führte es weiter aus: „It does not follow, however, that the statutory purposes or objectives – that is, the purpose or objectives of a Member’s legislature and government as a whole – to the extent that they are given objective expression in the statute itself, are not pertinent. (Hervorhebung durch das Berufungsgremium)“. Es folgt unmittelbar im Anschluss das genannte Zitat aus dem japanischen Alkoholfall. 48 Diese Einschätzung wird insbesondere durch einen Blick auf die Prüfung der Maßnahme im chilenischen Alkoholfall erhärtet, wie sie das Berufungsgremium anhand dieser Kriterien tatsächlich vorgenommen hat. Es zeigt sich nämlich, dass das Berufungsgremium in der konkreten Überprüfung der Maßnahme Zweckerwägungen (auch solche „objektiver“ Art) überhaupt nicht mehr durchgeführt hat. Im Gegenteil, die einzige Erwägung, die das 46 47

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im Asbestfall von der gruppenweisen (aggregierten) Schlechterbehandlung ist bereits ein erster Fortschritt, wenngleich auch sie im Einzelnen noch viele Fallstricke bereithält (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc) ff.). dd) Der Sonderfall der sogenannten poduct / process-Doktrin Einen Sonderfall bilden auf den ersten Blick eine Reihe von Entscheidungen, die unter dem Namen product / process-Doktrin bekanntgeworden sind. Darin haben die Streitbeilegungsorgane bestimmte prozessbezogene Maßnahmen allein auf Grund ihrer Prozessbezogenheit für GATT-widrig gehalten.49 Kern der Überlegungen der Streitbeilegungsorgane ist dabei gewesen, dass sich im heimatlichen Markt nur die Unterschiede in der Ware selbst (was immer darunter im Einzelnen zu verstehen ist) auswirkten, während sich die Unterschiede in den Prozessen der Herstellung in der Regel allenfalls im Exportland niederschlagen könnten und sich daher in ihrer wettbewerblichen Stellung im Importstaat nicht bemerkbar machten. Berufungsgremium in der konkreten Überprüfung anstellt und die mit viel gutem Willen (an sich handelt es sich auch hier um Wirkungen) als Zweckerwägung gelten könnte, nämlich die Ähnlichkeit zu früheren Maßnahmen, wird für eine mögliche Verwendung als Kriterium für die konkrete Überprüfung als irrelevant abgelehnt (Rz. 74). Die Prüfung in den übrigen Textpassagen (Rz. 63 ff.) beschäftigt sich allein mit den Wirkungen (vgl. etwa die Diskussion der Wirkungen in Prozentzahlen in Rz. 64 ff.). Sie dient nach dem Eindruck des unbefangenen Lesers daher ganz und gar nicht der Feststellung irgendwelcher Gesetzeszwecke, erst recht nicht, wenn man sie mit der Methode zur Herausarbeitung gesetzlicher Zwecke etwa in nationalen Gerichtsentscheidungen vergleicht (Beschäftigung mit der Präambel, mit der Entstehungsgeschichte eines Gesetzes, mit den zugrundeliegenden politischen Strömungen usw.). Den Verfasser erstaunt es daher umso mehr, dass selbst einige Jahre nach dem chilenischen Alkoholfall die Rede vom objektiven Zweck von manchen immer noch nicht nur vollkommen kritiklos übernommen, sondern sogar auch noch aktiv gerechtfertigt wird. Ein besonders pertinenter Apologet dieser Auffassung etwa ist Regan, der zwar mit wenig Substanz, dafür aber mit um so größerer Lautstärke die Rede vom „objektiven Gesetzweck“ in die Welt sendet, ohne dadurch freilich an den Kern des Problems näher heranzurücken, vgl. zuletzt etwa Regan, Donald H., Further Thoughts on the Role of Regulatory Purpose Under Article III of the Genaral Agreement on Tariffs and Trade: A Tribute to Bob Hudec, 37(4) JWT 2003, S. 737, 739 ff. Etwas anders als im chilenischen Alkoholfall liegt es im kanadischen Zeitschriftenfall: Erstaunlicherweise zitiert das Berufungsgremium dort ausführlich aus den Stellungnahmen kanadischer Verantwortlicher. Interessanterweise scheint es sein Ergebnis dann aber doch nicht auf derartige Zweckerwägungen, sondern allein auf Erwägungen über die (festgestelltermaßen prohibitive) Wirkung zu stützen, vgl. Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, Bericht des Ständigen Berufungsgremiums vom 30. Juni 1997, WT / DS31 / AB / R, angenommen am 30. Juli 1997, S. 30 ff. Hinsichtlich der „Zweckrede“ handelt sich um einen Sonderfall. Die Entscheidung blieb insoweit vollkommen singulär. 49 United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. August 1991 (nicht angenommen), 30 ILM 1991, S. 1594; United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. Juni 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 839; Indonesia – Certain Measures Affecting the Automobile Industry, Panelbericht vom 2. Juli 1998, WT / DS54, 55, 59 und 64 / R; United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Panelbericht vom 15. Mai 1998 und Bericht des Ständigen Berufungsgremiums vom 12. Oktober 1998, WT / DS58 / R und WT / DS58 / AB / R.

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Die product / process-Doktrin hat in diesem Zusammenhang zwei Spielarten. Die erste Spielart wurzelt in einer engen Fassung des Anwendungsbereichs der Anmerkung zu Art. III. Prozessbezogene Maßnahmen fallen in dieser Variante unter Art. XI GATT, da sie von der Anmerkung zu Art. III nicht erfasst sind. Die zweite Spielart behandelt prozessbezogene Maßnahmen als de facto-Diskriminierung gegenüber gleichartigen inländischen Waren und will sie daher unter Art. III GATT verbieten. So viele Unklarheiten im Einzelnen über die Abgrenzung bestehen, ob eine Maßnahme in der Ware selbst ansetzt oder nicht, so eindeutig scheint doch das allgemeine Prinzip zu sein, um dessentwillen in dieser Weise abgegrenzt wird: Dass die Maßnahme allein deshalb (nach Art. III oder XI) GATT-widrig ist, weil sie an den Prozessen der Herstellung ansetzt, soweit diese im Ausland stattgefunden hat.50 Die Auffassung stand jedenfalls um die Jahrtausendwende noch auf recht festen Füßen.51 Die product / process-Doktrin wird in der Literatur weitgehend als Sonderfall behandelt, weshalb sie auch hier eine eigene Fallgruppe bilden soll. Der Sache nach handelt es sich dabei aber nicht wirklich um einen Sonderfall. Denn eine dogmatisch richtig verankerte Auslegung des Art. III GATT zeigt, dass all jene Fälle, die in der Sicht der Streitbeilegungsorgane nach der product / process-Doktrin GATTwidrig waren, auch unabhängig des Gedankens der product / process-Doktrin GATT-widrig sind. Die vorliegende Arbeit wird dies eindeutig nachweisen. Im Laufe ihres Fortgangs wird sich der Eindruck eines „Sonderfallcharakters“ immer stärker abschwächen, bis er am Ende überhaupt nicht mehr sichtbar sein wird.

c) Die literarische Kritik an der Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT: Überblick Angesichts dieser Streitbeilegungspraxis hält die Literatur den Streitbeilegungsorganen vor, dass sie den durch die Vorschriften des Art. III GATT im Grundsatz bereitgestellten Autonomieschutz nicht funktionsgerecht entfalten würde. Als Remedur werden im Einzelnen je nach Zielrichtung unterschiedliche Prüfprogramme vorgeschlagen, die sich entweder der Berücksichtigung des Zwecks einer Maßnahme, der Zweckkonformität des Mittels einer Maßnahme oder beidem (Zweck und Nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(aa). Näher etwa Hudec, Robert E., The Product-Process Doctrine in GATT / WTO Jurisprudence, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 187. So zweifelhaft die Unterscheidung der product / process-Doktrin an sich schon ist (auch Unterschiede in der Herstellung im Exportstaat können das Kaufverhalten im Importstaat beeinflussen, solange den Käufern die Unterschiede nur geldwert genug sind), so zweifelhaft ist insbesondere ihre Erstreckung auf Prozesse, die im Inland stattfinden, wie es typischerweise für die Benutzung, Verwertung oder Beseitigung der Ware der Fall ist. 50 51

6 Duvigneau

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Mittel) verpflichten (Teil C.I.1.c)aa) unten). Allen positiven Vorschlägen geht es (jedenfalls vordergründig) um eine „Rationalisierung“ der Begründung der Ergebnisse der Streitbeilegungsorgane. Interessanterweise findet sich in fast allen Beiträgen trotz ihrer Unterschiedlichkeit die Überzeugung, dass gerade das in ihnen zur Verbesserung jeweils vorgetragene Prüfprogramm der Tätigkeit der Streitbeilegungsorgane bereits weitgehend entspreche. Der dieser Überzeugung zugrundeliegende Gedanke geht dahin, dass die Streitbeilegungsorgane die jeweils vorgetragenen Prüfprogramme der Sache nach bereits anwendeten, freilich ohne dies sichtbar zu machen (Teil C.I.1.c)bb) unten). aa) Die Kritik zwischen der Forderung nach Autonomieschutz und der Forderung nach einer Effizienzgarantie Die Kritik lässt sich alles in allem in zwei Hauptstränge einteilen, deren genaue Unterscheidung für ein klares Verständnis notwendig ist. Im Rahmen des ersten Strangs sorgt man sich vorrangig um den Schutz der Autonomie vor Eingriffen durch die Streitbeilegungsorgane. Zum einen schlägt man den sogenannten aims and effects-Test vor (Teil C.I.1.c)aa)(1) unten), zum anderen übt man Kritik an der gerade erwähnten product / process-Doktrin (Teil C.I.1.c)aa)(2) unten). Im konzeptionell auf einer anderen Ebene liegenden zweiten Strang versucht man, ineffizienter Regulierung im Wege der WTO-Streitbeilegung beizukommen. Diese Denkrichtung entspringt völlig anderen Grundgedanken als jenem der Sorge um die mitgliedstaatliche Autonomie, nämlich dem Gedanken möglichst hoher Effizienz in der mitgliedstaatlichen Regulierungstätigkeit (Teil C.I.1.c)aa)(3) unten). (1) Die Forderung nach einem aims and effects-Test Den Vertretern einer Zweckprüfung (aims and effects-Test) geht es nach dem Verständnis des Verfassers vornehmlich um die Einziehung einer effektiven Grenze gegenüber zu viel Marktintegration, letztlich also um die Effektivierung des Schutzes der regulativen Autonomie der Mitgliedstaaten. Spürbar wird dies insbesondere in der Kritik an der Praxis der Streitbeilegungsorgane, die Gleichartigkeitsprüfung seit der border tax adjustment-Entscheidung auf Grundlage positiv feststellbarer Gegebenheiten durchzuführen (positive Marktanalyse). Die Kritik wendet gegen diese Methode der Gleichartigkeitsprüfung ein, dass sie willkürliche Ergebnisse erziele, da sie sich nicht von normativen Kriterien leiten lasse.52 Die Kriterien verschlössen sich einer weitergehenden Rationalisierung. Insbesondere 52 Regan, Donald H., Regulatory Purpose and „Like Products“ in Article III:4 of the GATT (With Additional Remarks on Article III:2), in 36(3) JWT 2002, S. 443, 444 ff. Besonders markant insoweit auch etwa Wille, Serena B., Restructuring a Lost Opportunity: Art. III:2 GATT 1994 – Japan – Taxes on Alcoholic Beverages 1996, 9 EJIL 1998, S. 182, im Internet auch unter http: //www.ejil.org/journal/Vol9/No1/sr1b.html (Seitenaufruf am 17. Oktober 2003).

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böten sie keine geeignete Grundlage für die Beurteilung der Frage, warum zwei unterschiedliche Waren im Sinne des Art. III GATT gleichartig sein sollen oder nicht. Diese Frage sei aber von zentraler Bedeutung. Denn es lasse sich nicht abstrakt klären, ob unterschiedliche Waren gleichartig seien oder nicht. Vielmehr bedürfe es eines konkreten Kriteriums für die Beantwortung dieser Frage (tertium comparationis). Denn auch in einer positiven Marktanalyse seien verschiedene Waren nach dem einen Kriterium gleichartig, nach dem anderen aber nicht gleichartig. So könnten etwa große und kleine Autos auch im Rahmen einer positiven Marktanalyse gleichartig sein, wenn man das Käuferverhalten im Hinblick auf die Existenz von vier Rädern und einem Motor vergleicht, aber gegebenenfalls ungleichartig, wenn man es auf den Verbrauch oder die Anzahl der Sitze hin vergleicht. Das Verhalten der Marktteilnehmer könne je nach sachlicher Marktabgrenzung unterschiedlich analysiert werden, obwohl es positiv feststellbar immer dasselbe Marktverhalten sei. Würde etwa der Kauf von Autos beobachtet, ohne nach der Größe zu differenzieren, erschienen Käufer großer und kleiner Autos als bloße Autokäufer. Würde hingegen ihr Interesse an der Größe oder dem Verbrauch berücksichtigt, wäre ein Autokauf noch lange nicht wie der andere. Enge oder Weite der sachlichen Marktabgrenzung könnten daher völlig unterschiedliche Ergebnisse in der Analyse ein- und desselben Verhaltens derselben Marktteilnehmer herbeiführen. Es bedürfe daher einer Leitlinie darüber, unter welchen Kriterien unterschiedliche Waren vergleichbar sein sollten oder nicht.53 Kern der Kritik ist mithin nicht, dass eine positive Marktanalyse durchgeführt werde, sondern dass die Kriterien, nach der sie durchgeführt werde, beliebig auswählbar seien (Beliebigkeit der Vergleichskriterien). Als Kriterium zur Ermittlung des richtigen Vergleichskriteriums schlagen die Kritiker den Zweck der angegriffenen Regelung vor. Sei der Regelungszweck protektionistischer Art, so müssten die Waren, an deren Merkmale in der Maßnahme angeknüpft werde, als gleichartig im Sinne des Art. III GATT gelten. Andernfalls dürften derartige Maßnahmen nicht im Sinne der Vorschrift gleichartig sein und müssten daher dem Art. III GATT (und damit in den meisten Fällen dem GATT überhaupt) entsprechen.54 Der Zweck einer mitgliedstaatlichen Regelung müsse daher, so die Kritik, in die Prüfung der Gleichartigkeit einbezogen werden. Die Kritiker fordern im Rahmen der Gleichartigkeitsprüfung daher eine Prüfung des positiven Effekts und des normativen Zwecks einer mitgliedstaatlichen Regelung. Enthalte der Zweck der mitgliedstaatlichen Regelung protektionistische Elemente, so sei sie im Wesentlichen Art. III GATT-widrig („aims and effects-Test“).55 Sie können sich dabei auf die bereits genannten zwei Streitbeilegungsentscheidungen Ibid. Ibid. 55 Besonders eindringlich neben den genannten Autoren Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619. 53 54

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stützen, namentlich die Panelentscheidungen im Fall US – Measures Affecting Alcoholic and Malt Beverages56 und im Fall US – Taxes on Automobiles („Gas Guzzler“-Entscheidung), 57 die die Zweckprüfung jeweils im warenbezogenen Merkmal der Gleichartigkeit geprüft haben. Erst in zweiter Linie wird eine abgewandelte „objektive“ Zweckprüfung im Rahmen des behandlungsbezogenen Merkmals zugelassen und teilweise gefordert (nähere Einzelheiten Teil C.I.3.a) unten). (2) Der Vorwurf der Marktintegration durch die Anwendung der product / process-Doktrin Die Kritiker der product / process-Doktrin heben hervor, dass in der Begrenzung der Anmerkung zu Art. III auf warenbezogene Maßnahmen (was immer im Einzelnen darunter zu verstehen ist) eine Abweichung vom Grundsatz autonomieschondender Handelsliberalisierung durch das GATT liege.58 Sie führe dazu, dass die Regulation von Prozessen der Herstellung und Verwertung beziehungsweise Beseitigung auch dann GATT-widrig sein könne, wenn sie nach Art. III GATT an sich erlaubt sein müsse (marktintegrative Wirkung der product / process-Doktrin).59 Denn wenn prozessbezogene Grenzmaßnahmen im Grundsatz auch dann unter Art. XI GATT fielen (und von diesem dann verboten seien), wenn sie keine einzige Ware ausländischer Herkunft im Ergebnis schlechter behandeln als Waren inländischer Herkunft, sondern lediglich zu einer Gleichstellung in der rechtlichen Behandlung führten, dann könnten diese ausländische Waren auch dann Zugang zum Markt erhalten, wenn sie die allgemein marktregulativen Gesetze des Mitgliedstaates nicht beachteten. Die dadurch entstehenden marktintegrativen Wirkungen gingen damit über das Leitbild der Handelsliberalisierung hinaus, das im allgemeinen fordere, dass die allgemein marktregulativen Regelungen eines Mitgliedstaates auch von ausländischen Waren beachtet werden. Sie würden dem Leitbild des An56 United States – Measures Affecting Alcoholic And Malt Beverages, Panelbericht vom 16. März 1992, angenommen am 19. Juni 1992 (DS23 / R – 39S / 206), BISD 39S / 206. 57 United States – Taxes On Automobiles, Panelbericht vom 11. Oktober 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 1399. 58 Zum Problem der Externalitäten politökonomisch insoweit Howse, Robert und Michael J. Trebilcock, M. J., The Fair Trade-Free Trade Debate: Trade, Labor, and the Environment, 16 International Review of Law and Economics, S. 61. 59 Aus der umfangreichen Literatur der jüngeren Zeit etwa Puth, Sebastian, WTO und Umwelt: Die Produkt / Prozess-Doktrin, Berlin: Dunker und Humblot, 2003; Howse, Robert und Donald Regan, The Product / Process-Distinction – An Illusory Basis for Disciplining „Unilateralism“ in Trade Policy, 11 EJIL 2000, S. 249; Regan, Donald, Regulatory Purpose and „Like Products“ in Article III:4 of the GATT (With Additional Remarks on Article III:2), in 36(3) JWT 2002, S. 443; Hudec, Robert E., The Product-Process Doctrine, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick, New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000);vertiefend neuerdings auch Choi, Won-Mog, ,Like Products‘ in International Trade Law – Towards a Consistent GATT / WTO Jurisprudence, Oxford, OUP, 2003.

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tiprotektionismus zwar entsprechen, griffen aber tiefer in die regulative Autonomie ein als klassische antiprotektionistische Handelsliberalisierung, die marktregulative Grenzmaßnahmen in der Regel eben nicht einem Beschränkungsverbot, sondern einem Verbot protektionistischer Diskriminierung unterwerfe.60 (3) Die Forderung nach einem Effizienztest Eine völlig andere Zielrichtung haben demgegenüber jene Beiträge, die eine Zweck-Mittel-Relation einfügen wollen, um nicht nur bezwecktem Protektionismus entgegentreten zu können, sondern vor allem auch ineffizienter Regulierung. Aus Sicht der Vertreter eines solchen Effizienz-Prüfungsprogramms sind auch solche Belastungen im Sinne des Art. III Abs. 1 GATT protektionistisch, die über dasjenige Maß hinausgehen, das zur Erreichung eines an sich als legitim anerkannten Zwecks notwendig ist. Dementsprechend formulieren die Anhänger eines solchen Effizienztests das Kernproblem im Rahmen des Art. III GATT völlig anders als die Anhänger eines aims and effects-Tests. Während letztere (jedenfalls teilweise) bereits nichtprotektionistisch motivierte Maßnahmen ausscheiden wollen und damit protektionistischen Wirkungen gegebenenfalls Tür und Tor öffnen, geht es ersteren um Autonomieschutz im Lichte mitgliedstaatlicher Effizienz. Schützenswert ist danach nur die Autonomie zu effizientem Handeln, nicht aber die Autonomie zu ineffizientem Handeln. Matoo und Subramanian machen dies unmittelbar deutlich, wenn sie die Hauptschwierigkeit in der Abgrenzung zwischen erlaubtem und nicht erlaubtem protektionistisch wirkenden Handeln unter Art. III GATT darin sehen, ob eine Maßnahme ihren legitimen Zweck lediglich vorgibt, um in Wirklichkeit protektionistische Effekte zu erreichen, oder ob sie tatsächlich diesen vorgegebenen legitimen Zweck verfolgt, dieser aber nicht durch Maßnahmen mit geringeren protektionistischen Wirkungen zu erreichen ist.61 Für diese Art der Fragestellung hat Verhoosel in jüngerer Zeit einen in die Tatbestände des Art. III GATT „integrierten Notwendigkeitstest“ („integrated necessity-Test“) entwickelt.62 Er dreht dabei den Gedanken, dass protektionistisches Handeln grundsätzlich ineffizient sei, zu der viel weitergehenden Aussage um, dass ineffiziente Regulierung per se in protektionistischer Weise diskriminierend sei. Damit aber bringt Verhoosel die Begriffe der protektionistischen Diskriminierung und der Ineffizienz in ein bikonditional aufeinander bezogenes Verhältnis. Denn er schließt nicht nur, wie allgemein üblich, aus einer protektionistischen Diskriminierung auf Ineffizienz, sondern umgekehrt auch aus Ineffizienz auf die Existenz von protektionistischer Diskriminierung. Die – freilich zweifelIbid. In dieser Zuspitzung eines „Verbotes ineffizienter Regulation“ etwa Mattoo, Aaditya und Arvind Subramanian, Regulatory Autonomie and Multilateral Disciplines: The Dilemma and a Possible Resolution, 1 JIEL 1998, 303. Mehr dazu Teil C.I.3.b). 62 Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford: Hart 2002. 60 61

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hafte – Kernaussage des Vorschlags Verhoosels ist in diesem Sinne: „regulation is de facto discriminatory to the extent it is unneccessary (Hervorhebung durch Verhoosel)“.63 bb) Das Bedürfnis nach einer Rationalisierung der Entscheidungstätigkeit der Streitbeilegungsorgane In der Lektüre der literarischen Beiträge zur Praxis der Streitbeilegungsorgane unter Art. III GATT drängt sich dem Leser der Eindruck auf, dass sich die Streitbeilegungsorgane zwar über das von ihnen angestrebte Ergebnis recht genau im klaren sind, nicht aber über den Weg, über den sie dieses Ziel am besten erreichen können. Fast alle Autoren, die Verbesserungsvorschläge über das Prüfprogramm im Rahmen des Art. III GATT vortragen, gehen davon aus, dass genau dieses von ihnen vorgeschlagene Prüfprogramm von den Streitbeilegungsorganen eigentlich schon seit langem angewendet werde (freilich ohne, dass die Streitbeilegungsorgane dies deutlich machen würden). Besonders deutlich wird dieser Gedanke bei Robert E. Hudec, der davon ausgeht, dass die von ihm verteidigte Zweckprüfung (der aims and effects-Test) in der Sache ohnehin seit Jahrzehnten von den Streitbeilegungsorganen durchgeführt werde. Kerngedanke ist dabei, dass eine sinnvolle Überprüfung mitgiedstaatlicher Maßnahmen auf ihren protektionistischen Gehalt nicht ohne eine Überprüfung ihres Zwecks stattfinden könne und dass die Streitbeilegungsorgane im Ergebnis im Wesentlichen intuitiv richtig entschieden hätten. Eine Zweckprüfung als Prüfprogramm zu fordern, verändere daher nicht die Voraussetzungen des Art. III GATT, sondern bringe lediglich die an sich richtige Intuition der Streitbeilegungsorgane an das Tageslicht.64 Ein ganz ähnlicher Gedanke findet sich bei Donald H. Regan, der seinen grundlegenden Beitrag zu einer Zweckprüfung im Rahmen des Art. III GATT mit folgenden Sätzen beendet: „The Appelate Body is already logically committed by its own doctrine to considering regulatory purpose under Article III:4. It remains only for them to draw the conclusion.“65 Aber selbst bei den völlig anders motivierten genannten Beiträgen wie dem Vorschlag eines Effizienztests, d. h. einer Überprüfung sowohl des Zwecks der Maßnahme als auch der Zweckkonformität des Mittels der Maßnahme (Zweck-Mittel-Relation), findet sich dieser Gedanke, dass die Streitbeilegungsorgane bereits das tun, was der jeweilige Autor gerade vorschlägt. Gaëtan Verhoosel etwa meint, den von ihm vorgeschlagenen Effizienztest („integrated necessity-Test“) ausgerechnet in den Spuren des Berufungsgremiums ausmachen zu können, namentlich in dem Bericht des Berufungsgremiums im chilenischen Alkoholfall.66 Ibid., S. 78. Kritik hieran im Einzelnen unten C.I.3.b). Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 634 f., vor allem bei 635. 65 Regan, Donald H., Regulatory Purpose and „Like Products“ in Article III:4 of the GATT (With Additional Remarks on Article III:2), in 36(3) JWT 2002, S. 443, 478. 63 64

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Dem sichtbaren Bemühen, den Streitbeilegungsorganen immer gerade nur diejenige Dogmatik „unterschieben“ zu wollen, die sie ohnehin bereits anwendeten, ist freilich mit einiger Vorsicht zu begegnen. Es ist zwar geschickt, dem Leser das Bild zu vermitteln, dass die Streitbeilegungsorgane „in Wirklichkeit“ etwas anderes täten, als sie sagten, oder (im gesteigerten Fall) sogar, als sie selbst meinten. Denn dies versetzt die Autoren in die Möglichkeit, sich in aller Bescheidenheit darauf zurückziehen zu können, die Streitbeilegungsorgane nicht in eine bestimmte Richtung drängen zu wollen, sondern dem Leser (und in der Steigerung sogar den Streitbeilegungsorganen selbst) allenfalls zu erklären, was die Streitbeilegungsorgane konkret eigentlich tun. Diese Position des bloßen Analytikers birgt allerdings viele Untiefen: Je mehr Beiträge erscheinen, die dem Leser oder sogar dem Berufungsgremium „nur“ erklären wollen, was sie eigentlich tun, desto stärker drängt sich der Verdacht auf, dass hier erklärtermaßen nicht analytisch-deskriptiv gearbeitet wird, wie es die Autoren teilweise vorgeben, sondern dass hier normativ argumentiert wird. Der Verfasser stellt die These auf, dass die genannten Autoren in diesem Zusammenhang nicht bloß erklären wollen, wie die Streitbeilegungsorgane das tun sollten, was sie ohnehin tun (namentlich die Prüfung nach dem einen oder anderen vorgeschlagenen Programm durchzuführen). Vielmehr wollen die Autoren überwiegend, dass die Streitbeilegungsorgane etwas anderes tun, als das, was sie tun. Der Diskurs ist in den meisten der genannten Beiträge trotz der jeweils anderslautenden Behauptungen normativ geprägt, nicht analytisch. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird sich diese These jedenfalls im Hinblick auf den von manchen geforderten Effizienztest erhärten. Allerdings muss der Verfasser der vorliegenden Arbeit insoweit selbst Vorsicht walten lassen, denn auch die vorliegende Arbeit übernimmt die These vom Rationalisierungbedürfnis, freilich ohne dabei zugleich – dies ist wohl der wesentliche Unterschied zu den anderen literarischen Beiträgen – auch die Ergebnisse der Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT zu kritisieren.

2. Analyse: Der auf klassische Handelsliberalisierung (Wettbewerbsgleichheit) begrenzte Ansatz der Streitbeilegungspraxis unter Art. III GATT Die hier vorliegende Arbeit geht entgegen der Kritik davon aus, dass die Streitbeilegungsorgane der allein handelsliberalisierenden und damit autonomiescho66 Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford: Hart 2002, S. 30. In der entscheidenen und von Verhoosel auch zitierten Passage im chilenischen Alkoholfall sagte des Berufungsgremium: „It appears to us that the Panel did no more than try to relate the observable structural features of the measure with its declared purposes, a task that is unavoidable in appraising the application of the measure as protective or not of domestic production (Hervorhebung durch den Verfasser)“, in: Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13. Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rz. 72 (nähere Einzelheiten Teil C.I.3.b)).

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nenden Funktion des Art. III GATT (und auch der Anmerkung zu Art. III) als einer Garantie der Wettbewerbsgleichheit im Grundsatz Genüge getan haben. Sie tritt der literarischen Kritik an den Streitbeilegungsorganen daher in allen wesentlichen Punkten entgegen. Sie hält insbesondere die Behauptung der Kritiker für unrichtig, die von ihnen vorgebrachten Vorschläge rationalisierten die Streitbeilegungspraxis in funktionsadäquater Weise. Die Vorschläge der Kritiker tragen allesamt nicht zu einer funktionsgerechten Tätigkeit der Streitbeilegungsorgane bei, sondern verzerren den Art. III GATT zu einer teilweise nicht mehr wiedererkennbaren Vorschrift. Die Beachtung der bisher vorgetragenen Verbesserungsvorschläge durch die Streitbeilegungsorgane würde deren an sich richtige, wenngleich zugegebenermaßen nicht immer sehr sorgfältig begründete Entscheidungspraxis in erheblichem Maße „verschlimmbessern“. Dies soll in dem folgenden Abschnitt durch eine Analyse und Rationalisierung der Streitbeilegungspraxis im Lichte der dargestellten Kritik belegt werden, und zwar vor allem, aber nicht nur, im Hinblick auf jene Diskriminierungen, die unter dem Stichwort der de facto-Diskriminierung bekannt geworden sind. Konkret geht es um den Nachweis, dass die Streitbeilegungspraxis die Zielstruktur des Art. III GATT sinnvoll verwirklicht haben, und zwar sowohl durch die effektive Sicherung der garantierten Wettbewerbsgleichheit als auch durch die Beachtung der Grenzen dieser Garantie. Es soll schon an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass die hier zu entwickelnde Rationalisierung der Dogmatik des Art. III GATT anders als die dargestellten Vorschläge anderer Autoren tatsächlich lediglich deskriptiv-analytischer Art ist. Es geht dem Verfasser allein um die Klarstellung, dass die Streitbeilegungsorgane den Art. III GATT seiner Zielstruktur entsprechend tatsächlich in klassisch handelsliberalisierender, nicht in marktintegrativer Weise anwenden und dass die Sicherung der Wettbewerbsgleichheit ihrerseits in effektiver Weise geschieht. Normativ-praktisch hält der Verfasser ein hohes Maß an Flexibilität für legitim, solange fehlerhafte Dogmatik nicht dazu führt, dass die Organe das Feld klassischer Handelsliberalisierung verlassen. Denn die WTO-Streitbeilegungsorgane stecken noch immer in einem guten Maße in der Tradition der Diplomatie, also der internationalen Politik. WTO-Streitbeilegung ist daher keine Rechtsprechung im klassischen Sinne. Wie im Schlusskapitel näher auszuführen sein wird, hält der Verfasser ein Mindestmaß dogmatischer Unschärfe daher nicht nur für „ungefährlich“, sondern in gewissem Maße sogar für wünschenswert. Zwar lohnt es sich, die Streitbeilegungspraxis im Sinne innerer Konsistenz voranzutreiben.67 Diese Konsistenz muss die Auslegung des Art. III GATT aber offen halten für die Interessen der streitbeteiligten Parteien. Aus Gründen der Systemimmanenz (WTO als Verhandlungssystem) sollen die folgenden zunächst analytischen Überlegungen daher nicht durch die Brille innerer Verfasstheit gelesen werden, sondern durch die Brille inte67 Zuletzt (wenn auch mit anderer Schwerpunktsetzung als hier) etwa Choi, Won-Mong, ,Like products’ in international trade law: Towards a consistent GATT / WTO jurisprudence, Oxford: Oxford University Press, 2003.

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ressengeleiteten Entscheidens. Dogmatische Überlegungen sollen dabei nicht zum Zwecke ihrer selbst angestellt werden, sondern zur Konkretisierung jener Verhandlungsmasse, die die einzelnen Mitgliedstaaten für ihre aktuellen Zwecke nutzen können (nähere Einzelheiten Teil E.I. unten). In diesem verhandlungsorientierten Sinne rechtlicher Sicherheit hält auch der Verfasser ein Minimum an Konsistenz für wünschenswert. Dies liegt aber nicht in dem anerkannten Selbstwert dogmatischer Genauigkeit, sondern allein darin, dass die Mitgliedstaaten ihrerseits ein Interesse an einem Mindestmaß dogmatischer Genauigkeit haben, und sei es, um ihre substanziellen Interessen durch dogmatische richtige Argumentation voranzutreiben. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen soll die folgende Analyse zunächst die Zielstruktur des Art. III GATT näher herausarbeiten. Denn eine umfassende Reaktion auf die verschiedenen Kritikpunkte setzt zunächst einen sinnvollen Maßstab voraus, anhand dessen die jeweiligen Behauptungen eingeschätzt werden können. Dieser Maßstab kann sich nach Ansicht des Verfassers allein aus der Zielstruktur ergeben, die der Art. III GATT nach dem gemeinsamen Willen der Mitgliedstaaten erhalten hat. Nach dieser Zielstruktur, so wird sich zeigen, sind dem Art. III GATT die grundlegenden Ziele der Wettbewerbsgleichheit und des Autonomieschutzes zugewiesen. Dabei steht das Ziel des Autonomieschutzes nicht losgelöst neben dem Ziel der Wettbewerbsgleichheit ausländischer Waren, sondern in engem kausalen Verhältnis hierzu. Denn der Art. III GATT nimmt das Ziel des Autonomieschutzes gerade durch die Begrenzung des Antiprotektionismusprinzips in Art. III Abs. 1 GATT auf das Ziel der Wettbewerbsgleichheit in sich auf. Es ist gerade diese Begrenzung des Antiprotektionismusprinzips auf den Gedanken der Wettbewerbsgleichheit, die das Ziel des Autonomieschutzes in seiner für den Art. III GATT spezifischen Form lebendig werden lässt (Teil C.I.2.a) unten). Am Maßstab dieser Zielstruktur stellt der Verfasser sodann eine eigene dogmatische Lösung zur richtigen Auslegung des Art. III GATT bereit. Konkret entwickelt der Verfasser seine Überlegungen in Auseinandersetzung mit dem Bericht des Berufungsgremiums zum Asbestfall68. In diesem Bericht hat das Berufungsgremium entscheidende Schritte hin zu einem in sich kohärenten und zugleich zielstrukturadäquaten Ansatz geliefert. Allerdings fehlt es bisher an einer zielführenden Konkretisierung des Asbestdiktums. Der Verfasser baut den Asbestansatz des Berufungsgremiums zu einem allgemeinen Ansatz handelsliberalisierenden Entscheidens unter Art. III GATT aus. Es handelt sich dabei um einen Ansatz der Gleichheit in der Erfüllbarkeit mitgliedstaatlicher Anforderungen (Teil C.I.2.b) unten). Im Anschluss hieran weist der Verfasser nach, dass die Streitbeilegungsorgane diesem gleichheitssichernden Ansatz schon in den dem Asbestfall vorhergehenden Jahrzehnten konsequent gefolgt sind, freilich ohne dabei immer die dogmatisch richtige Begründung für die an sich richtige Entscheidung geliefert zu haben. Insofern ist die Ziel68 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R.

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strukturadäquanz im Asbestfall nicht neu. Neu ist allerdings die mit dem Bericht vollzogene dogmatische Wendung hin zu denjenigen Tatbestandsmerkmalen, die der dogmatisch richtigen Entscheidung auch die dogmatisch richtige Begründung zuweisen (Teil C.I.2.c) unten).

a) Die Zielstruktur des Art. III GATT: Wettbewerbsgleichheit und Autonomieschutz Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Auslegung der Vorschriften des Art. III GATT muss deren Zielstruktur sein. Denn ohne Überlegungen über die Ziele des Art. III GATT wird man dem Wortlaut des Art. III GATT in seinen technischen Feinheiten richtungslos und damit auch hilflos ausgeliefert sein. Zu unterschiedlich sind die sich aus dem Wortlaut der Verbotstatbestände ergebenden Interpretationsmöglichkeiten. Es bedarf daher eines normativen Leitbildes, dass dem Wortlaut und der Funktion des Art. III GATT zwar seinerseits entnommen ist, für konkrete Auslegungsfragen aber dennoch leitend sein kann. Erster Anknüpfungspunkt ist dabei der dem Art. III GATT an den Beginn gestellte Abs. 1. Nach dem Wortlaut des Art. III Abs. 1 GATT erkennen die Vertragsparteien an, dass mitgliedstaatliche Maßnahmen nicht derart angewendet werden sollen, dass die inländische Erzeugung geschützt wird. Dem unbefangenen Betrachter drängt sich in dieser Formulierung das Ziel des Antiprotektionismus auf. Bereits im konzeptionellen Einführungskapitel wurde das Ziel des Antiprotektionismus als spezifisches Politikziel des WTO / GATT-Rechts wie überhaupt des WTO-Rechts herausgearbeitet (nähere Einzelheiten Teil B.II. oben). Dass gerade Art. III GATT dieses Politikziel in ganz grundlegender Weise in sich aufnimmt, zeigt sich in der ausdrücklichen Aufnahme des antiprotektionistischen Prinzips gleich zu Beginn des Art. III GATT in dessen Abs. 1. Nun ist in Art. III Abs. 1 GATT das antiprotektionistische Prinzip zwar aufgenommen, nicht aber näher konkretisiert. Vielmehr belässt es Art. III Abs. 1 GATT bei seiner zunächst äußerst breiten Formulierung. Sein Wortlaut lässt daher vermuten, dass Art. III Abs. 1 GATT zunächst alle Formen einer irgendwie schützenden Anwendung mitgliedstaatlicher Maßnahmen umfasst, namentlich nicht nur protektionistische Diskriminierungen ausländischer Waren, sondern überhaupt jede Art der protektionistischen „Anwendung“ einer Maßnahme, d. h. insbesondere auch solche Anwendung, die im Kern nicht in protektionistischer Weise driskriminierend ist, sondern ihre protektionistischen Wirkungen in anderer als ausgerechnet diskriminierender Weise entfaltet. Derartige nicht im Wege der Diskriminierung erreichte protektionistische Effekte werfen typischerweise solche Maßnahmen auf, die den Handel allein durch ihre Substanz beschränken, ohne dabei ausländische Waren zugleich schlechter zu behandeln als vergleichbare inländische Waren. Gegen solche durch ihre Substanz handelsbeschränkend wirkenden Maßnahmen im Namen des antiprotektionistischen Prinzips vorgehen zu wollen, bedeutet, in das

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antiprotektionistische Prinzip die normative Forderung nach Deregulierung aufzunehmen. Auf den ersten Blick wird eine derart weite Auslegung des in Abs. 1 in seiner spezifischen Form aufgenommen Antiprotektionismusprinzips von der Zielstruktur des WTO / GATT-Rechts in seiner Gesamtheit nicht ausgeschlossen. Denn das WTO / GATT-Recht nimmt den Kampf gegen beide Formen des Protektionismus auf, also sowohl den Kampf gegen Regelungen, die ihre protektionistischen Wirkungen gerade durch eine Schlechterbehandlung ausländischer Waren entfalten, als auch den Kampf gegen Regelungen, die ihre protektionistische Wirkung unabhängig irgendwelcher Schlechterbehandlung allein im Wege der Handelsbeschränkung entfalten (Handelsliberalisierung im weiteren Sinne, Marktintegration). Letzteren Maßnahmen gelten insbesondere die einschlägigen Regeln in den Seitenabkommen (nähere Einzelheiten Teil C.II. unten), auf die die Präambel des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation als wichtiger Indikator der WTO-Zielstruktur explizit verweist. Schon oben wurde in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass sowohl klassische Handelsliberalisierung als auch Marktintegration Ausfluss des Antiprotektionismusprinzips sind, wie es in die Zielstruktur des gesamten WTO-Rechts und damit auch des WTO / GATT-Rechts eingestellt worden ist (nähere Einzelheiten Teil B.II. oben). Auch die Funktion des Art. III GATT, die Zunichtemachung von Zugeständnissen, die im Wege der Gegenseitigkeit abgegeben worden sind, zu verhindern,69 schließt als solche eine derart weite Interpretation des antiprotektionistischen Ziels des Art. III Abs. 1 GATT noch nicht aus. Denn Zugeständnisse können allgemein sowohl durch solche Regelungen unterlaufen werden, die ihre protektionistische Wirkungen im Wege einer Schlechterbehandlung entfalten, als auch durch solche Regelungen, die ihre protektionistische Wirkung unabhängig einer solchen Schlechterbehandlung (also allein durch ihren allgemein handelsbeschränkenden Charakter) begründen. Wenn etwa ein Mitgliedstaat einem anderen Mitgliedstaat das Zugeständnis macht, Rindfleisch nur mit ganz bestimmten oder gar keinen Zöllen zu belasten, dann können neben Einfuhrbeschränkungen im Sinne des Art. XI GATT nicht nur innerstaatlich diskriminierende Maßnahmen das Zugeständnis unterlaufen70, sondern auch nicht diskriminierende Maßnahmen, wenn sie den zwischenstaatlichen Handel beschränken71. Der Hormonfall macht diesen Zusammenhang sehr plastisch deutlich.

69 Dazu schon grundlegend Jackson, John H., World Trade and the Law of GATT, Indianapolis: Bobbs-Merrill, 1969, S. 273 ff. 70 Beispiele: Regelungen, nach denen ausländisches Rindfleisch nicht verkauft werden darf, eine höhere Qualität als inländisches Fleisch aufweisen muss, höher besteuert wird als inländisches Fleisch usw. 71 Beispiel: Eine Regelung, nach der hormonbelastetes Rindfleisch weder hergestellt noch importiert werden darf.

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Gleichwohl ist die Aufnahme von in diesem Sinne deregulativen Forderungen in die Zielstruktur des Art. III GATT sachwidrig. Das Ziel, unnötige Handelsbeschränkungen abzubauen, ist trotz des insoweit unbeschränkten Wortlautes des Art. III Abs. 1 GATT kein Ziel des Art. III GATT.72 Diese Auffassung ist von den meisten Autoren anerkannt, wenngleich sie nur wenige Autoren in dieser Eindeutigkeit ausdrücken.73 Sie lässt sich auch sehr leicht begründen.74 Denn erstens steht Art. III Abs. 1 GATT nicht allein, sondern ist die Einführungsvorschrift zu Diskriminierungsverboten in den Abs. 2 ff. Art. III GATT ist in seiner Gesamtheit damit ein Diskriminierungsverbot, nicht ein Beschränkungsverbot. Die dem Abs. 1 nachfolgenden Verbotstatbestände lassen sich in ihrer Eigenschaft als Diskriminierungsverbote nicht hinweg- oder auch nur umdenken. Dies wird schon durch die Wortlautunterschiede zu den Seitenabkommen bestätigt. Die Grenze protektionistischer Diskriminierung bildet mithin die Grenze des Art. III GATT. Und zweitens spricht die Existenz von non-violation claims eine deutliche Sprache: Für non-violation wäre kein Raum mehr, wenn bereits unterschiedslos wirkende Regulation per se eine Verletzung des Art. III GATT begründen könnte. Dem ist jedenfalls dann so, wenn man, wie es nach Kenntnis des Verfassers die meisten Autoren tun, der These der gegenseitigen Exklusivität von violation und non-violation claims anhängt: Je weiter Art. III GATT ausgedehnt wird, desto weniger Raum bleibt nach der Exklusivitätsthese für non-violation claims.75 72 Petros C. Mavroidis schießt damit in gewisser Weise über das Ziel hinaus, wenn er tatsächlich gesagt hat: „WTO law is about non-discrimination, not about deregulation!“, vgl. die Wiedergabe in Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford, Hart 2002, S. 7. Für das alte GATT 1947 ist die Aussage richtig, für das WTO / GATT-Recht, also insbesondere das GATT 1994 und die weiteren Übereinkommen in Anhang 1 A zum WTO-Übereinkommen, aber schon nicht mehr unbedingt (nähere Einzelheiten Teil C.II.). 73 Deutlich wird dies etwa bei Roessler, Frieder, Diverging Domestic Policies and Multilateral Trade Integration, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization: Prerequisites for Free Trade?, Volume 2: Legal Analysis, Cambridge MA: MIT, 1996, S. 23. 74 An sich bedürfte es dieser Begründung angesichts ihres hohen Maßes an Evidenz nicht, wenn nicht die Kritik tatsächlich derart marktintegrative Ansätze für die Auslegung des Art. III GATT ernsthaft vorgeschlagen hätte, vgl. Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford, Hart 2002; Einzelheiten Teil C.I.1.c)aa)(3) und Teil C.I.3.b). 75 Vgl. Bogdandy, Armin von, The Non-Violation Procedure of Article XXIII:2 of GATT: Its Operational Rationale, 26 JWT 1992, S. 95, 110; Petersmann, Ernst-Ulrich, The Dispute Settlement System of the Worls Trade Organization and the Evolution of the GATT Dispue Settlement System Since 1948, 31 CMLRev 1994, S. 1157, 1171; Petersmann, Ernst-Ulrich, Violations Complaints and Non-Violation Complaints in Public International Trade Law, 34 Germ.YBIL 1991, S. 175; Cottier, Thomas und Krista Nadakavukaren Schefer, Non-Violation Complaints in WTO / GATT Dispute Settlement: Past Present Future, in: Petersmann, ErnstUlrich (Hrsg.), International Trade Law and the GATT / WTO Dispute Settlement System, London u. a.: Kluwer Law International, 1997, S. 145, 147; Cho, Sung-joon, GATT Non-Violation Issues in the WTO Framework: Are They the Achilles’Heel of the Dispute Settlement Process?, 39 Harvard International Law Journal 1998, S. 311. Freilich könnte man

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Das Antiprotektionismusprinzip in Art. III Abs. 1 GATT ist daher schon begrifflich auf solche Formen des Antiprotektionismus begrenzt, die der Bekämpfung spezifisch protektionistisch diskriminierenden Verhaltens dienen, d. h. solcher Maßnahmen, die ihre protektionistische Wirkung gerade aus ihrem diskriminierenden Gehalt entfalten. Dieser Gedanke reduziert das Antiprotektionismusprinzip, wie es in Art. III Abs. 1 GATT niedergelegt ist, um die normative Forderung der Deregulierung. Übrig bleibt damit allein das Ziel, protektionistische Diskriminierungen zu bekämpfen. Dieses Ziel verwirklicht sich vor allem im Gedanken der Wettbewerbsgleichheit ausländischer Waren gegenüber inländischen Waren. Denn es sind vor allem die Möglichkeiten im mitgliedstaatlichen Markt, deren Gleichheit durch antiprotektionistische Diskriminierungsverbote gesichert wird. Dieser Gedanke der Gleichheit in der Möglichkeit findet in der Streitbeilegungspraxis seinen Niederschlag, besonders deutlich etwa in der Panelentscheidung zum Fall US – Section 337: „The words ’treatment no less favourable‘ in paragraph 4 call for effective equality of opportunities for imported products in respect of the application of laws, regulations and requirements affecting the internal sale, offering for sale, purchase, transportation, distribution or use of products (Hervorhebung durch den Verfasser).“76

In eine ähnliche Richtung ging bereits zwei Jahre zuvor die Umschreibung des panels im Superfund Fall: „The general prohibition of quantitative restrictions under Article XI [ . . . ] and the national treatment obligation of Article III [ . . . ] have essentially the same rationale, namely to protect expectations of the contracting parties as to the competitive relationship between their products and those of the other contracting parties (Hervorhebung durch den Verfasser).“77

Seither wird diese Bezugnahme auf die Wettbwerbsgleichheit regelmäßig wiederholt, unter der WTO etwa im japanischen Alkoholfall von 1996 („[ . . . ] to provide equality of competitive conditions [ . . . ]“)78, im koreanischen Alkoholfall79, behaupten, non-violation claims seien immer noch für jenen Bereich denkbar, der von einem Beschränkungsverbot zwar erfasst, aber (etwa wegen dessen Eingrenzung auf nicht „notwendige“ Handelsbeschränkungen) nicht verboten wird. In dieser Variante ist das Argument der Existenz von non-violation claims als Ausdruck der Beschränkung des Art. III GATT auf Diskriminierungsverbote kein gültiges Argument, wenngleich freilich der Raum für non-violation claims in dieser Variante tatsächlich sehr eng werden könnte, da die politische Kraft eines non-violation claims in diesem Fall durch die Bewertung der Handelsbeschränkung als „notwendig“ erheblich geschwächt sein dürfte. 76 US – Section 337 in the Tarriff Act of 1930, Panelentscheidung vom 16. Januar 1989, angenommen am 7. November 1989, BISD 36S / 345, Rz. 5.11. 77 United States – Taxes On Petroleum And Certain Imported Substances, Panelbericht vom 5 Juni 1987, angenommen am 17. Juni 1987 (L / 6175 – 34S / 136), Rn. 5.2.2. 78 Japan – Taxes On Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, S. 16. 79 Korea – Taxes On Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 18. Juni 1999, WT / DS75 und 84 / AB / R, Rn. 119.

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im argentinischen Lederfall80 sowie schließlich im koreanischen Fleischeinzelhandelsfall81. Im Einzelnen wird auf diese Fälle, insbesondere auf die normativ-praktische Umsetzung dieser Hinweise, zurückzukommen sein. Die Beschränkung des Antiprotektionismusprinzips in Art. III GATT auf ganz bestimmte Formen des Antiprotektionismus wurde bereits in frühen Fällen herausgearbeitet, so etwa im Panelbericht zu italienischer Diskriminierung gegenüber ausländischen Traktoren: „The Panel recognized – and the United Kingdom delegation agreed with this view – that it was not the intention of the General Agreement to limit the right of a contracting party to adopt measures which appeared to it necessary [ . . . ] to protect a domestic industry, provided that such measures were permitted by the terms of the General Agreement (Hervorhebung durch den Verfasser)“.82

An dieser Stelle wird zwar noch nicht die Beschränkung des Antiprotektionismusprinzips gerade auf das spezifische Ziel der Wettbewerbsgleichheit deutlich, mithin die genauen Grenzen des Art. III GATT. Deutlich wird in diesem Satz aberbereits, dass Art. III GATT nicht die Bekämpfung aller nur erdenklichen Formen mitgliedstaatlichen Protektionismus zum Ziel hat, sondern eben nur ganz bestimmter Formen mitgliedstaatlichen Protektionismus. Mit der Begrenzung des antiprotektionistischen Ziels auf das Ziel der Herstellung von Wettbewerbsgleichheit nimmt der Art. III GATT zugleich das Ziel des Autonomieschutzes in sich auf. Um es an dieser Stelle ganz deutlich zu sagen: Der Autonomieschutz steht als eigenständiges Ziel zwar neben dem Ziel der Wettbewerbsgleichheit. Er streitet aber nicht entgegen diesem Ziel, sondern in der Regel gemeinsam mit ihm, gewissermaßen in dieselbe Richtung. Anders als im Rahmen von Beschränkungsverboten, wo Autonomieschutz und handelsbefreiende Deregulierung immer in verschiedene Richtungen wirken und daher eine substanzielle Abwägung zwischen ihnen verlangen (je mehr erzwungene Deregulierung, desto weniger Autonomieschutz und umgekehrt), wird im Rahmen der Verbote protektionistischer Diskriminierung der Autonomieschutz gerade durch die Begrenzung des antiprotektionistischen Ziels auf das Ziel der Wettbewerbsgleichheit erreicht. Denn gerade in dieser Beschränkung des antiprotektionistischen Ziels auf das Ziel der Wettbewerbsgleichheit liegt das Potenzial der Staaten, in der Sache ihre Märkte so zu regulieren, wie es ihnen beliebt, solange sie dies nur in gleichbe80 Argentina – Measures Affecting The Export Of Bovine Hides And The Import Of Finished Leather, Panelbericht vom 19. Dezember 2000, WT / DS155 / R, Rn. 11.182. 81 Korea – Measures Affecting Imports of Fresh, Chilled and Frozen Beef, Bericht des Berufungsgremiums vom 11. Dezember 2000, WT / DS161 und 169 / AB / R, Rn. 135. 82 Italian Discrimination Against Imported Agricultural Machinery, Panelbericht vom 15. Juli 1958, angenommen am 23. Oktober 1958 (L / 833 – 7S / 60), Rn. 16. In eine ähnliche Richtung bereits Rn. 11: „It was considered, moreover, that the intention of the drafters of the Agreement was clearly to treat the imported products in the same way as the like domestic products once they had been cleared through customs.“

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handelnder Weise tun. Autonomie im Sinne des Art. III GATT ist daher Autonomie im regulativen Wettbewerb. Man kann zwar argumentieren, und dieser Gedankengang steckt wohl in der Tat hinter der Argumentation vieler öffentlicher Kritiker des GATT-Rechts, dass bereits allein die Verpflichtung zur Sicherung der Wettbewerbsgleichheit einen Eingriff in die Substanzautonomie der Mitgliedstaaten bedeute, da diese im dadurch entstehenden regulativen Wettbewerb zur „wirklich autonomen“ Entscheidung gar nicht mehr in der Lage seien.83 Eine solche inhaltlich aufgeladene Argumentation ist angesichts des Leitgedanken des WTO-Rechts aber vollkommen sinnwidrig. Sie würde voraussetzen, dass man in die substanzielle Autonomie der Mitgliedstaaten insbesondere auch die Autonomie zu protektionistischem Handeln durch Schlechterbehandlung aufnähme. Damit verkennt die Argumentation nicht nur die Funktion des Autonomieschutzes, sondern vor allem auch diejenige des regulativen Wettbewerbs. Regulativer Wettbewerb ist nicht notwendig ein „Unterbietungswettlauf“ (race to the bottom), sondern ein Such- und Findungsprozess für die beste Lösung, findet diese sich nun „oberhalb“ oder „unterhalb“ einer bestimmten mitgliedstaatlichen Regulation (nähere Einzelheiten Teil B.II.1. oben). Diesen Gedanken konsequent ablehnen zu wollen, kommt einer Ablehnung des GATT insgesamt gleich. Der Verfasser geht daher davon aus, dass jene, die einen solchen Gedanken verfolgen, in Wirklichkeit etwas ganz anderes meinen als das, was sie ausdrücken. Sie haben nach dem Verständnis des Verfassers in Wirklichkeit nämlich nicht den Wunsch nach einer Ausdehnung des Autonomiebegriffs unter Art. III GATT auf in diesem Sinne protektionistisches Handeln, sondern eine Kritik an ganz spezifischen Entscheidungen zu Auslegung des Art. III GATT. Dies wird im Zusammenhang der Kritik an der sogenannten product / process-Doktrin besonders deutlich, etwa wenn die Kritiker formulieren, ein Mitgliedstaat könne wegen der Auslegung des Art. III GATT durch die Streitbeilegungsorgane grundlegende politische Ziele nicht mehr erreichen, wie etwa die Bekämpfung der Kinderarbeit durch ein allgemeines Verkaufsverbot von Waren, die durch Kinderarbeit hergestellt worden sind.84 Diese Art der Kritik basiert nach Meinung des Verfassers auf einem dogmatischen Missverständnis über die Reichtweite dieser Doktrin, nicht auf einer Fehlwahrnehmung der Zielstruktur des Art. III GATT insgesamt (zu den Fragen der Reichweite der Doktrin sogleich).85

83 Ein typisches Beispiel findet sich bei George, Susan, WTO: Demokratie statt Drakula – Für eine gerechtes Welthandelssystem, Attac, Basistexte 1, Hamburg: VSA-Verlag, 2002, S. 29. 84 Ibid., S. 28. 85 Diese Sichtweise impliziert freilich nicht, dass die WTO gottgegeben sei. Die Mitgliedstaaten können ihre Existenz jederzeit beenden, wie selbst jene Autoren zugestehen, die an eine solche Beendigung nicht glauben, vgl. McRae, Donald, What is the Future of WTO Dispute Settlement?, 7 JIEL 2004, S. 3.

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b) Die Zielstrukturadäquanz in der jüngsten Streitbeilegungspraxis: Das qualitative Merkmal der Erfüllbarkeit als dogmatischer Kern des Asbestdiktums Die Streitbeilegungsorgane entscheiden alles in allem der Zielstruktur des Art. III GATT entsprechend. Nicht nur verbieten sie nämlich solche Maßnahmen, die der Zielstruktur des Art. III GATT zuwider laufen, also protektionistische Maßnahmen, die ihren protektionistischen Gehalt gerade durch Diskriminierung ausländischer Waren erhalten. Auch verbieten sie Maßnahmen, die der Zielstruktur des Art. III GATT nicht zuwider laufen, nicht. Insbesondere verbieten sie unter Art. III GATT jene Maßnahmen nicht, die zwar protektionistische Gehalte entfalten, diese jedoch auf anderem Wege als durch eine spezifische Diskriminierung verwirklichen. Dies gilt jedenfalls mit Ausnahme der (aus Sicht des Verfassers nicht sinnvoll begründbaren) Asbestpanelentscheidung (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa) (2)(c) unten). Zwar haben die Streitbeilegungsorgane bisher in keinem einzigen Streitfall positiv festgestellt, dass eine protektionistische Maßnahme mangels Diskriminierung trotz ihres protektionistischen Gehalts nicht von Art. III GATT verboten ist.86 Daraus folgt aber noch nicht, dass die Streitbeilegungsorgane davon ausgingen, dass solche Maßnahmen von Art. III GATT verboten würden. Vielmehr folgt daraus lediglich, dass es positive Feststellungen über die konkreten Grenzen des Art. III GATT bisher (noch) nicht gibt. Obgleich sich die Beschränkung auf Wettbewerbsgleichheit auch in früheren Streitbeilegungsentscheidungen nachweisen lässt, machen die Streitbeilegungsorgane ihren Willen zu zielstrukturadäquatem Entscheiden in jüngerer Zeit besonders deutlich. Das Berufungsgremium hat den klassisch handelsliberaliserenden Gehalt der Vorschriften des Art. III GATT zuletzt in seiner Entscheidung zum kanadischen Asbestfall deutlich herausgestellt, und zwar sowohl im Hinblick auf die Gleichartigkeitsprüfung als auch im Hinblick auf die Ungleichbehandlung: Während die Gleichartigkeitsprüfung danach weiterhin eine (wenn nun auch offen wertende) positive Marktanalyse nach allen border tax adjustment-Kriterien verlangt87, bedarf es für die Beurteilung der protektionistischen Ungleichbehandlung einer aggregierten Schlechterbehandlung der Gruppe der Einfuhren gegenüber der Gruppe der Ausfuhren.88 Unter dieser Asbest-Leitlinie dürfte, jedenfalls bei richtiger Auslegung, dem Bedürfnis nach effektiver und zugleich autonomieschonender 86 In der Zeit des GATT 1947 war diese Praxis, wie sich im Folgenden zeigen wird, vornehmlich darauf zurückzuführen, dass die Klagepraxis der Mitgliedstaaten bei marktintegrativ motivierten Klagen gegen unterschiedslos wirkende mitgliedstaatliche Maßnahmen relativ zurückhaltend war. Unter der WTO scheint sich dies mit der sich häufenden Zahl von Klagen nach dem Muster der Hormonklage, der Asbestklage und der aktuell zu entscheidenenden Biotechnologieklage zu ändern. 87 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 101 ff. 88 Ibid., Rn. 100.

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Bekämpfung protektionistischer Diskriminierungen, d. h. der Vorenthaltung von Wettbewerbsgleichheit, im Grundsatz Genüge getan sein, und zwar auch im Hinblick auf prozessbezogene Maßnahmen.89 Denn mit seinem obiter dictum zur Ungleichbehandlung hat das Berufungsgremium einer zu weiten Auslegung des behandlungsbezogenen Merkmals einen Riegel vorgeschoben. Kern der Entscheidung darüber, ob eine Maßnahme gegen Art. III GATT verstößt oder nicht, ist damit zunächst das Vorliegen der Voraussetzungen des behandlungsbezogenen Merkmals der Verbotstatbestände, nicht dagegen, wie es in der Literatur oft wahrgenommen wird, das warenbezogene Merkmal der Gleichartigkeit. Allerdings ist dieser Riegel so überraschend nicht, wie er von Beobachtern empfunden wird.90 Denn in der Sache legt das Berufungsgremium hier lediglich eine Auslegung nahe, die nach dem Wortlaut des Art. III GATT ohnehin selbstverständlich ist, jedenfalls wenn man mit dem Berufungsgremium den Art. III Abs. 1 GATT zum leitenden Prinzip der Vorschrift erhebt. Denn das Berufungsgremium sagt an sich nichts anderes, als dass nicht jede Ungleichbehandlung unter Art. III GATT fällt, sondern eben nur protektionistische Ungleichbehandlungen. Die Kernfrage ist damit, wie das Asbestdiktum des Berufungsgremiums zur Ungleichbehandlung richtigerweise zu verstehen ist, mithin, worin eine spezifisch protektionistische Ungleichbehandlung im Sinne des dictums genau zu liegen hat. Die These des Verfassers geht dahin, dass es einen richtigen und interessanterweise sogar recht einfachen Weg gibt, diese Frage zu beantworten und dadurch auch dem dictum des Berufungsgremiums Leben einzuhauchen. Beschreitet man ihn, werden die Probleme der Grenzen nicht nur deutlich sichtbar, sondern auch praxisgerecht judizierbar. Es bedarf keiner Verzerrung der Tatbestände des Art. III GATT, um entsprechend dem vom Verfasser im Folgenden herausgearbeiteten Prüfungsprogramm die Grenzen des Art. III GATT festzulegen. Vielmehr kann ein solches Programm, wie der Verfasser im Folgenden zeigen wird, in seiner ganzen Einfachheit sozusagen in die Tatbestandsstrukturen des Art. III GATT zwanglos „eingebaut“ werden. Nach Ansicht des Verfassers ergibt sich der im Folgenden vorgeschlagene

89 Die meisten Fälle, die unter der product / process-Doktrin entschieden worden sind, waren im Sinne einer aggregierten Ungleichbehandlung in protektionistischer Weise diskriminierend und mithin unabhängig der product / process-Doktrin Art. III GATT-widrig (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(aa)). Unter diesem Gesichtspunkt der tatsächlichen Reichweite der product / process-Doktrin ist die Auffassung daher kaum haltbar, nach der das obiter dictum des Berufungsgremiums im Asbestverfahren zur Auslegung des Merkmals der Ungleichbehandlung Neues gebracht habe. So aber Howse, Robert und Elisabeth Tuerck, die davon sprechen, dass das Berufungsgremium mit diesem dictum den aims und effects-Test durch die „Hintertür“ über das Merkmal der protektionistischen Ungleichbehandlung wieder eingeführt habe, vgl. Howse, Robert und Elisabeth Tuerck, The WTO Impact on Internal Regulations – A Case Study of the Canada – EC Asbestos Dispute, in: Búrca, Grainne de und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Oxford Hart, 2001, S. 283, 298; ferner in diese Richtung Ehring, Lothar, De facto discrimination in WTO law – national and most-favored-nation treatment or equal treatment, 36 JWT 2002, S. 921, 943. 90 Vgl. die Autoren ibid.

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Test nämlich unmittelbar aus dem Wortlaut, der Stellung und der Funktion des Art. III GATT selbst. Sein Kernelement ist das Element der Gleichbehandlung in der Erfüllbarkeit einer mitgliedstaatlichen Maßnahme: Unterschiedslos formulierte Maßnahmen sind danach nur dann protektionistische Diskriminierungen im Sinne des Art. III GATT, wenn sie von ausländischen Waren schlechter erfüllt werden können als von einheimischen Waren. In diesem Verständnis wird das Prädikat der Diskriminierung zu einer Aussage über das Vorenthalten der von Art. III GATT garantierten Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit mitgliedstaatlicher Anforderungen. Diese Überlegung zur Funktion des Art. III GATT als einer Garantie der Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit mitgliedstaatlicher Maßnahmen soll im Folgenden in drei konsekutiven Schritten entwickelt werden, und zwar in enger Auseinandersetzung mit der Asbestentscheidung des Berufungsgremiums. Dabei soll es darum gehen, ein Prüfprogramm zur Verfügung zu stellen, das den Vorgaben des Art. III GATT als einer funktional kohärenten einheitlichen Vorschrift gerecht wird und zudem die Praxis der Streitbeilegungsorgane aus den letzten beiden Jahrzehnten sinnvoll erklären kann. Zu diesem Zweck soll in einem ersten Schritt herausgearbeitet werden, dass die Asbestdoktrin der wertenden Prüfung der border tax adjustment-Kriterien entgegen ersten Vermutungen die Bedeutung des behandlungsbezogenen Merkmals sogar noch unterstreicht, insbesondere in jenen Fällen, in denen ein Mitgliedstaat einem als besonders schädlich wahrgenommenen Marktversagen schon im Vorgriff entgegenwirken möchte (Teil C.I.2.b)aa) unten). In einem zweiten Schritt soll die positive Bedeutung des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals in den Verbotstatbeständen des Art. III GATT relativ zur Bedeutung des Merkmals der Gleichartigkeit / Substituierbarkeit der Waren näher herausgearbeitetet werden (Teil C.I.2.b)bb) unten). In einem dritten Schritt sollen dann die Regeln aufgezeigt werden, nach denen das behandlungsbezogene Merkmal sinnvollerweise am besten auszulegen ist. Der Verfasser setzt sich in diesem Zusammenhang mit den bisher vorliegenden Auslegungsansätzen zum Asbestdiktum des Berufungsgremiums zur Ungleichbehandlung auseinander und arbeitet in ausdrücklichem Widerspruch zur bisherigen Literatur ein zielstrukturadäquates Prüfmerkmal heraus, nämlich dasjenige der normativen und faktischen Erfüllbarkeit der Maßnahme (Teil C.I.2.b)cc) unten). aa) Schritt 1: Wertende, aber dennoch marktbezogene Prüfung des warenbezogenen Merkmals in der Asbestberufungsentscheidung: Bedeutung für das behandlungsbezogene Merkmal In seiner Asbestentscheidung macht das Berufungsgremium an prominenter Stelle deutlich dass es nicht gewillt sei, höhere Schutzgüter nur deshalb aus der Vergleichsgruppenbildung auszuschließen, weil sich diese am Marktgeschehen unter Ausschluss legislativer Zielvorstellungen zu bewegen hat. Zugleich macht es aber deutlich, dass es ebenfalls nicht gewillt sei, wegen der Einbeziehung gegebe-

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nenfalls höherwertiger Schutzgüter – sozusagen umgekehrt – seinen Ansatz der ausschließlichen Marktanalyse bei der Vergleichsgruppenbildung aufzugeben. Vielmehr bringt es den Schutz höherer Güter im Rahmen seines Ansatzes der wertenden Marktanalyse in die Vergleichsgruppenbildung ein, in dem es diese Güter gerade im Wege der Marktanalyse anerkennt und dementsprechend auch verwirklicht.91 Das Berufungsgremium erkennt höherwertige Schutzgüter – im Asbestfall angesichts des hohen Risikos den Schutz der Gesundheit – zwar an und bezieht diese auch in die Vergleichsgruppenbildung in einer Weise mit ein, dass sie sich am Ende durchsetzen: Asbestwaren, die potentiell Krebs erregende Stoffe enthalten (karzinogene Stoffe), sind in dieser Wahrnehmung derart unterschiedlich von Waren, die keine solche Stoffe enthalten, dass beide Waren trotz ihrer Ähnlichkeit im Hinblick auf viele ihrer Eigenschaften von den Verbrauchern nicht substituiert werden und daher im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT ungleichartig sind.92 Das Berufungsgremium erreicht dieses Ergebnis aber nicht durch die Berücksichtigung der legislativen Zielvorstellungen, sondern durch die Analyse des Marktes, wie er durch individuelle Präferenzen geprägt ist. Im Mittelpunkt der Analyse steht mithin nicht der Bürger als politischer Entscheidungsträger, sondern der Bürger als Marktteilnehmer, oder – um die Begrifflichkeit von politischer Theorie und Marktanalyse zusammenzubringen – als Marktbürger. Obwohl die positive Marktanalyse sich in ihrem Blick auf den Bürger als Marktbürger weitgehend unabhängig von den Zielvorstellungen des mitgliedstaatlich demokratischen Entscheidungsverhaltens macht93, macht sie sich damit nicht unabhängig von dem positiven Willen der Bürger per se, sondern wählt diesen gerade zur Grundlage der Entscheidung. Sie berücksichtigt diesen positiven Willen aber nicht in Form eines Willens zur politischen Gestaltung, sondern lediglich in Form eines Willens zur individuellen Präferenz. Die sich aus der Gesamtheit solcher individueller Willen zur Präferenz ergebende Gestaltung ist dementsprechend nicht politische Gestaltung, sondern allein die sich in summa ergebende Gestaltung des Marktes durch das Verhalten der einzelnen in diesem Markt. 91 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 101 ff. (einleitend hierzu bereits Teil C.I.1.b)bb)). In diese Richtung interpretieren die Asbestentscheidung auch Howse, Robert und Elisabeth Tuerck, The WTO Impact on Internal Regulations – A Case Study of the Canada – EC Asbestos Dispute, in: Búrca, Grainne de und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Oxford Hart, 2001, S. 283, 301: „Here the AB comes closest to taking judicial notice of human health as a fundamental value [ . . . ]“. 92 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 122 (dazu sogleich näher). 93 Indem das Berufungsgremium das Verhalten der Marktbürger unabhängig von politischen (Entscheidungs-) Grenzen untersucht, macht es sich auch von den mitgliedstaatlichen Grenzen unabhängig, da die Grenzen demokratisch getragener politischer Entscheidungen bis heute weitgehend mitgliedstaatlich organisiert sind.

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Auf den ersten Blick scheint die Marktanalyse, wie sie in der Asbestentscheidung des Berufungsgremiums in verfeinerter Form zum Ausdruck kommt, damit zu ganz ähnlichen Ergebnissen zu führen, wie die Berücksichtigung legislativer Zielvorstellungen. Allerdings trügt der Schein. Im Asbestfall kam die Methode des Berufungsgremiums nur deshalb zu demselben Ergebnis wie ein aims and effectsTest, weil hier das Marktverhalten bereits relativ stark von den Gesundheitsrisiken geleitet war und damit dem gemeinsamen politischen Entscheiden der Unionsbürger sehr nahe kam (dazu im folgenden Teil C.I.2.b)aa)(1) unten). Das Maß der Ähnlichkeit oder Unterschiedlichkeit von Marktergebnissen und Ergebnissen gemeinsamer politischer Gestaltung ist vor allem vom Grad der Internalisierung des jeweils relevanten Schutzgutes in die Preisbildung der Märkte hinein abhängig. Dies führt dazu, dass die Gleichartigkeit von Waren im Sinne des Art. III GATT immer wahrscheinlicher wird, je weniger das sie unterscheidende Schutzgut in die Marktprozesse internalisiert ist. Konsequenz dessen ist, dass ein Mitgliedstaat nach der Asbestentscheidung des Berufungsgremiums vor allem dann mit dem Damoklesschwert der Gleichartigkeit unter Art. III GATT rechnen muss, wenn er ein politisches Handlungsbedürfnis zur Korrektur der Märkte, d. h. zur korrigierenden Internalisisierung des von ihm identifizierten Schutzgutes, für besonders notwendig hält. Je stärker ein Mitgliedstaat zur Internalisierung eines Schutzgutes in die Märkte eingreift, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der Gleichartigkeit der damit regulierten Waren mit den das Schutzgut beachtenden Waren. Dies hebt die Bedeutung des behandlungsbezogenen Merkmals als Korrektiv für Fehlentscheidungen unmittelbar hervor (Teil C.I.2.b)cc)(2) unten). (1) Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Marktprozess und politischer Zielvorstellung in ihrer Bedeutung für die regulative Autonomie Die Asbestentscheidung des Berufungsgremiums zeigt, dass eine positive Marktanalyse zu ähnlichen Ergebnissen in der Vergleichsgruppenbildung führen kann wie die Berücksichtigung legislativer Ziele: Im Asbestfall erzielt das Berufungsgremium mit seiner Methode genau dasjenige Ergebnis, das es unter Berücksichtigung eines sogenannten aims and effects-Tests erzielt hätte. Es drängt sich daher die These auf, dass dem Berufungsgremium mit seiner im Asbestfall fortentwickelten Marktanalyse ein methodisches Instrument zur Verfügung steht, mit dem es jeweils genau dasselbe (autonomiefreundliche) Ergebnis erreicht, das die Befürworter eines „objektiven“ aims and effects-Tests bezwecken, namentlich die Berücksichtigung von Schutzgütern, die nach dem öffentlich gewordenen Willen der Bevölkerung höherwertig sein sollen. Allerdings stimmen die Ergebnisse von privat ausgeübter positiver Freiheit und politisch ausgeübter positiver Freiheit der Bürger naturgemäß nicht immer in derart deutlicher Weise überein wie im Asbestfall. Zum einen ist die vom Berufungsgremium in Bezug genommene Gemeinschaft von Marktbürgern personell eine ande-

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re als die von den Befürwortern eines aims and effects-Tests in Bezug genommene Gemeinschaft der politischen Bürger eines Mitgliedstaats. Die Gemeinschaft der politischen Bürger stimmt mit der entscheidungsbefugten Bevölkerungsgemeinschaft eines Mitgliedstaates überein, während die Zusammenfassung der Marktbürger gerade grenzüberschreitend besteht und zudem nicht alle (zugleich auch) politischen Bürger umfasst, sondern eben nur diejenigen, die auch tatsächlich am Markt teilnehmen (Marktteilnehmer). Zum anderen aber können sich, selbst wenn die „Gemeinschaft“ der Marktbürger (Marktgemeinschaft) personell mit derjenigen der politischen Bürger identisch wäre, private individuelle Präferenzen über eine bestimmte Frage von politischen individuellen Präferenzen über genau dieselbe Frage maßgeblich unterscheiden. So ist es nicht nur denkbar, sondern in einer großen Zahl von Fällen sogar wahrscheinlich, dass ein Marktbürger eine bestimmte Ware trotz bestimmter gefährlicher Inhaltsstoffe oder gefährlicher Emissionen (etwa wegen ihres geringen Preises) anderen weniger gefährlichen Waren vorzieht, obwohl er im Rahmen politischer Gestaltung gemeinsam mit seinen Mitbürgern dafür plädieren würde, dieselbe Ware vom Markt nehmen zu lassen (oder sie zu besteuern oder unter Vermeidung oder Reduzierung der Gefahr herstellen zu lassen o.ä.). Solche Unterschiede zwischen privater und politischer Ausübung gestalterischer Freiheit entstehen vor allem dann, wenn die in einer Ware angelegte Gefahr im Marktprozess selbst nicht als Preisfaktor internalisiert ist, sondern als externer Effekt entweder teilweise oder vollständig andere Marktteilnehmer trifft. In einem solchen Fall wird eine politisch handelnde Gemeinschaft von Bürgern solche Marktprozesse regulieren wollen, obwohl die Marktteilnehmer, die diese Marktprozesse durch ihr Verhalten überhaupt erst entstehen lassen, gegebenenfalls sogar personell identisch mit den Mitgliedern der politischen Gemeinschaft sind. Als Marktteilnehmer nutzt der einzelne die im Markt entstehenden Externalitäten aus Gründen der Nutzenmaximierung rationalerweise aus. Als politischer Bürger wird er dafür einstehen, dass solche Externalitäten im Wege der mitgliedstaatlichen Regulierung internalisiert werden müssen. Besonders häufig entsteht eine solche Divergenz zwischen gemeinsamer politischer und individuell-präferenzgeleiteter Marktgestaltung dann, wenn die externen Effekte eine große Vielzahl Dritter treffen, dies aber nur in jeweils sehr geringem Maße, so dass der einzelne Dritte die Externalität nicht auf ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Ware zurückführen kann (Diffusität). Verstärkt wird eine derartige Diffusität in der Regel durch ähnliche (ebenfalls externe) Effekte einer Vielzahl gleichartiger anderer Waren, so dass Schwierigkeiten der Nachweisbarkeit des individuellen Beitrags mit zu berücksichtigen sind. Als ein einfaches Beispiel für eine solche Situation mag die Umweltschädlichkeit von Kraftfahrzeugen dienen. Sie trifft zum einen eine Vielzahl von Menschen, die das einzelne Fahrzeug selbst gar nicht fahren (sondern ein anderes oder gar kein Fahrzeug fahren), zum anderen zeitigt sie aber (für sich genommen) je Kraftfahrzeug nur relativ geringe Auswirkungen. Erst in Kombination einer Vielzahl von Kraftfahrzeugen werden

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die ihnen innewohnenden Gefahren spürbar. In einem solchen Fall wird der einzelne Kraftfahrzeugkäufer angesichts des höheren Preises in der Regel von besonders umweltschonender Technologie, etwa dem Einbau eines Katalysators, absehen, wenn er nicht gesetzlich hierzu gezwungen ist. Überantwortet man den Markt für Autos sich selbst, wird es daher – jedenfalls zunächst – kaum Autos mit eingebautem Katalysator geben. Als politischer Bürger wird derselbe Kraftfahrzeugkäufer gleichwohl gegebenenfalls für eine gesetzliche Pflicht zum Einbau derartiger Katalysatoren oder eine Steuerdivergenz votieren. Mitgliedstaaten, die einen Katalysator unter bestimmten Voraussetzungen vorschreiben oder steuerlich bevorteilen, um das Gut des Umweltschutzes in den Preisbildungsprozess zu internalisieren und damit die Preisdifferenz auszugleichen, sind ein eindeutiger Nachweis für die in solchen Fällen entstehenden Ergebnisunterschiede zwischen privat ausgeübter individueller Präferenz und politisch ausgeübter Gestaltungsfreiheit der Bürger. Allein die Notwendigkeit entsprechender Regelungen, ja ihre bloße Existenz zeigt die Divergenzen zwischen gemeinsamem politischen Handeln der Bürger und individuell-präferenzgeleitetem Handeln derselben Bürger deutlich auf. Oft ist es gerade erst erklärtes Ziel politischen Tätigwerdens, externe Effekte durch Regulierung zu internalisieren und damit eine Übereinstimmung zwischen dem politischen Willen der Bürger und dem privaten Handeln derselben Bürger zu erreichen94. In politökonomischen Begriffen spricht man in diesem Zusammenhang von der Korrektur des „Marktversagens“ – ein Begriff, der allerdings gerade erst im Lichte des jeweiligen politischen Willens der Gemeinschaft konkrete Gestalt erhält (Marktversagen immer nur im Hinblick auf die Formulierung ganz bestimmter Zielvorstellungen). (2) Der Grad der Internalisierung als Faktor für die Anerkennung von Schutzgütern Betrachtet man das methodische Vorgehen des Berufungsgremiums im Asbestfall zur Bildung der Vergleichsgruppen im Lichte dieser Divergenzen zwischen in94 Der wesentliche Unterschied zwischen politischer und privater Gestaltungsfreiheit ist demnach, dass erstere jedenfalls in einem begrenzten Maße bewußt in Gemeinschaft mit anderen Bürgern ausgeübt wird und sich dadurch zu einem bewußten Gesamtakt aller zu dieser Gemeinschaft gehörenden Bürger wandelt, während letztere in Einzelakten ausgeübt wird, ohne dass diese in einem bewußten Zusammenhang mit den jeweils anderen Einzelakten stehen. Die durch unbewußte Kombination von Einzelentscheidungen entstehende Marktsituation ist damit weitgehend ein annexhaftes Ergebnis eines in seiner Unendlichkeit im Übrigen nicht durchschaubaren Gesamtprozesses im Markt. Ein irgendwie gearteter bewußter Gesamtakt gemeinsamer Ausübung gestalterischer Freiheit der Bürger kann hier nicht einmal in abstrakter Form entstehen (nähere Einzelheiten dazu auch Teil C.I.3.a)bb)(2)). Freilich bilden diese Überlegungen nur Näherungen. Sie wurzeln in der vereinfachenden Annahme, dass politische Entscheidungen in der einen oder anderen Weise mehrheitsgetragen seien. In der komplexen Welt des modernen Staates liegen die Dinge freilich oft anders. Die Grundlinien mögen mehrheitsgetragen sein. In den Einzelheiten ist die demokratische Ableitung typischerweise aber sehr viel komplizierter als vom Verfasser (wie im Übrigen von vielen anderen Autoren auch) um der Hypothese und gedanklichen Klarheit willen behauptet wird.

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dividuellem Marktverhalten (das allein von Gesichtspunkten des individuellen Nutzens geprägt ist) und individuellem politischen Verhalten der Bürger (das eher von der Erkenntnis geprägt ist, dass Märkte versagen können), so zeigt sich, dass die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten nicht in schematisch immer gleicher Weise von den materiellen Vorgaben des WTO / GATT-Rechts begrenzt wird. Denn das Ergebnis der Gleichartigkeitsprüfung erscheint danach abhängig von dem Grad der Internalisierung der regulierten (ursprünglich externen) Effekte in den Marktprozess. Reguliert ein Mitgliedstaat einen Marktprozess in einer Weise, die im Wesentlichen einem beobachtbaren Internalisierungsprozess folgt, so hat dieser Mitgliedstaat große Chancen, dass die von ihm im Rahmen seiner Regulierung vorgenommenen Unterscheidungen auch den Wertungen der WTO-Streitbeilegungorgane bei der Vergleichsgruppenbildung zugrundeliegen. Reguliert ein Mitgliedstaat demgegenüber gerade, um einen Internalisierungsprozess eines bestimmten Schutzgutes herbeizuführen (letztlich also gegen den Markt), so wird das Schutzgut, um dessentwillen er den Markt reguliert, das Diktum der Gleichartigkeit kaum vermeiden können. Die im Asbestfall angegriffene Maßnahme ist hierfür ein gutes Beispiel: Der Nachweis der Gleichartigkeit der unterschiedlich behandelten Waren gelang deshalb nicht, weil der Internalisierungsprozess bereits relativ weit vorangeschritten war, so dass nach der Asbestmethode auch im Rahmen der Marktanalyse die ungleich behandelten Waren als ungleichartig wahrgenommen werden konnten. Wäre dieser Internalisierungsprozess substanziell weniger weit fortgeschritten gewesen, hätte der Nachweis der Gleichartigkeit gegebenenfalls gelingen können. Freilich handelt es sich hier nicht um konkret abgrenzbare Kategorien, da schon die Aussagen des Berufungsgremiums insoweit recht allgemein gehalten sind.95 Die Tendenzen werden aber doch deutlich: Je stärker ein vom mitgliedstaatlichen Gesetzgeber identifiziertes Schutzgut in den Markt bereits internalisiert ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dem klägerischen Staat der Nachweis der Gleichartigkeit der ungleich behandelten Waren vor den WTO-Gremien misslingen wird. In Begriffen der Autonomiefreundlichkeit ist die offen wertende Asbestmethode zur Prüfung der Gleichartigkeit von Waren daher – anders, als man vielleicht zunächst erwarten mag – in hohem Maße „kontraproduktiv“. Denn je stärker ein bestimmtes vom mitgliedstaatlichen Gesetzgeber identifiziertes Schutzgut in den Markt bereits internalisiert ist, desto geringer wird das Schutz- und damit auch Regelungsbedürfnis sein – denn dann schützen ja die Marktvorgänge selbst das identifizierte Schutzgut bereits in recht hohem Maße. Umgekehrt wird ein entsprechendes Regelungsbedürfnis auf Seiten des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers desto höher sein, je schwächer ein Schutzgut in die Marktprozesse internalisiert ist – denn dann wird das Schutzgut gerade nicht durch die Märkte selbst geschützt. Je geringer mithin der Internalisierungsgrad eines bestimmten Schutzgutes in die 95 Vgl. vor allem die Ausführungen in European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 122.

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Marktprozesse ist, desto höher wird das Regulierungsbedürfnis sein. Wenn aber gerade in jenen Fällen, in denen (mangels Internalisierung eines identifizierten Schutzgutes) das Regulierungsbedürfnis besonders hoch ist, die Anforderungen an den Nachweis der Gleichartigkeit nach der Asbestmethode mithin besonders gering sind, dann ist der im Rahmen der Gleichartigkeitsprüfung gewährte Autonomieschutz gerade dann am schwächsten, wenn er am ehesten gebraucht wird: Je stärker ein Regulierungsbedürfnis (mangels Internalisierung eines identifizierten Schutzgutes) ist, desto geringer sind (mangels der Internalisierung dieses Schutzgutes) die Anforderungen an den Nachweis der Gleichartigkeit. Im Streitverfahren muss der beklagte Mitgliedstaat daher umso stärker mit der Gleichartigkeit der unterschiedlich behandelten Waren rechnen, je stärker er den Märkten vorgreift. Genau hierin liegt die kontraproduktive Wirkung der Asbestmethode. Autonomiefreundlich ist die Methode nur, soweit die mitgliedstaatliche Maßnahme dem Grad der Internalisierung im Wesentlichen folgt, also in genau jenen Fällen, in denen die Autonomie am wenigsten gebraucht wird. Mit anderen Worten: Je stärker die Autonomie zur Marktregulation mangels Internalisierung des identifizierten Schutzgutes gebraucht wird, desto weniger wird sie nach der Asbestmethode gewährt. Unmittelbar deutlich wird diese autonomieunfreundliche Dimension der Asbestmethode zur Gleichartigkeitsprüfung, wenn man die Asbestentscheidung um 25 Jahre nach vorne verlegt: Von allen anderen sich wandelnden Umständen (etwa der Sensibilität für Regulierungsprozesse) einmal abgesehen wäre der Nachweis der Gleichartigkeit nach der Asbestmethode 25 Jahre früher aller Wahrscheinlichkeit nach gelungen, weil vor 25 Jahren das Gut des Gesundheitsschutzes noch nicht in derartig hohem Maße in die Asbestmärkte internalisiert war. Noch deutlicher wird der Unterschied in der Kontrastierung zwischen dem hohen Grad der Internalisierung der Asbestgefahren in den Asbestmarkt einerseits und geringerer Internalisierung anderer Gefahren in anderen Märkten, wie sich am soeben (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)aa)(1) oben) entwickelten Beispiel diffuser Umweltschädigung von Kraftfahrzeugen zeigt. Die Gleichartigkeit von Kraftfahrzeugen mit Katalysator und Kraftfahrzeugen ohne Katalysator lässt sich nach der Asbestprüfungsmethode leichter nachweisen als die Gleichartigkeit von Asbestwaren und Asbestsubstituten. Denn die jeweils mit der Ware verbundene Gefahr ist in den Kraftfahrzeugmarkt (Umweltschäden) viel schwächer internalisiert als in den Markt für Asbestwaren. Kraftfahrzeuge ohne Katalysator schädigen ihre Eigentümer unmittelbar gar nicht, während Asbest den Eigentümer und damit den Endverbraucher der Ware, in der es verarbeitet ist, sehr wohl belasten kann (etwa wenn es in der eigenen Zimmerdecke oder in den eigenen Heizkörpern enthalten ist, oder wenn es in Räumen verwendet wird, in denen sich Menschen aufhalten, die später etwa im Rahmen vertraglicher Bindungen gegebenenfalls Schadensersatz- oder Schmerzensgeldforderungen erheben usw.). Wirkt sich das Asbest tatsächlich einmal aus, können die individuellen Schäden zudem erheblich sein. Der Informationsgrad in der Öffentlichkeit ist insoweit auch relativ hoch. Zwar ist auch die Umweltschädlichkeit von Kraftfahrzeugen weitgehend bekannt. Sie geht jedoch nicht von einem

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einzelnen Kraftfahrzeug aus, sondern von allen Kraftfahrzeugen zusammen, während es im Fall des Asbestes ganz bestimmte individualisierbare Gegenstände sind, von denen die Gefahr einer Gesundheitsschädigung ausgeht. In etwas vergröbernder Perspektive kann man daher feststellen, dass die gesundheitsschädigenden Wirkungen asbesthaltiger Waren wohl stärker in den Marktprozess internalisiert sein werden als die umweltschädlichen Wirkungen von Kraftfahrzeugen ohne Katalysator – und sei es, weil sie ihren individuellen Eigentümer im Grundsatz stärker betreffen als umweltschädliche Kraftfahrzeuge. Der Endverbraucher wird (auch ohne entsprechende Gesetze zur Schlechterstellung von asbesthaltigen Waren oder Kraftfahrzeugen ohne Katalysator) heute daher zum Kauf von asbesthaltigen Waren nur in geringerem Maße bereit sein als zum Kauf von Kraftfahrzeugen ohne Katalysator. Es ist daher kaum anzunehmen, dass das Berufungsgericht im genannten Beispiel den Nachweis der Gleichartigkeit von Kraftfahrzeugen mit und Kraftfahrzeugen ohne Katalysator nach der Asbestmethode in ähnlicher Weise für nicht geführt angesehen hätte, wie es im Asbestfall den Nachweis der Gleichartigkeit von Asbestwaren und Asbestsubstituten für nicht geführt gehalten hat. Sind die Überlegungen des Verfassers an dieser Stelle richtig, dann ist die Autonomiefreundlichkeit in der Asbest-Gleichartigkeitsprüfung keine echte Autonomiefreundlichkeit. Denn Autonomie zeichnet sich dadurch aus, dass sie dann in Anspruch genommen werden kann, wenn ihre Inanspruchnahme als besonders dringlich erachtet wird. Wird Autonomie demgegenüber nur dann gewährt, wenn sie wegen „funktionierender“ Märkte ohnehin kaum ausgeübt zu werden braucht (Parallelität von Marktergebnissen und gemeinsamem politischen Willen), handelt es sich nicht um echte Autonomie, sondern um deren Gegenteil. Die Vergleichsgruppenbildung nach der Asbestmethode ist daher nur in nomineller Weise autonomiefreundlich, nicht aber in der wirklichen Substanz: Gerade dann, wenn ein Mitgliedstaat die Regulierung bestimmter Marktprozesse für besonders dringlich erachtet, weil die Internalisierung externer Effekte im Markt noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass das Marktgeschehen auch ohne Regulierung befriedigend abläuft, läuft er Gefahr, dass die von ihm in diesem Zusammenhang entwickelte Maßnahme „gleichartige Waren“ im Sinne des Art. III GATT erfasst. Die Abhängigkeit vom Markt ist freilich nicht zu jedem Zeitpunkt immer gleich ausgestaltet. Märkte verändern sich schnell. Die Marktlage kann sich je nach Zeitpunkt und Marktteilnehmerschaft wandeln und damit – jedenfalls im Hinblick auf die Gleichartigkeitsprüfung – ein anderes Ergebnis herbeiführen. So ist nicht nur zweifelhaft, ob das Berufungsgremium – hätte es es schon vor zwanzig Jahren gegeben – den Asbestfall genauso entschieden hätte wie heute. Auch ist fragwürdig, ob ein Streitbeilegungsgremium das fiktive Katalysatorbeispiel nach der Asbestmethode auch in zwanzig Jahren tendenziell noch so entscheiden müsste, wie es es heute nach der Asbestmethode wohl entscheiden müsste (vgl. dazu oben). Vielmehr kann es sein, dass die Umweltbelange zu diesem zukünftigen Zeitpunkt schon derartig weit in das Bewußtsein der Käufer von Kraftfahrzeugen vorgedrun-

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gen sind, dass diese mehrheitlich die Mehrkosten für einen Katalysator nicht mehr scheuen würden. Mehr als allgemeine Tendenzen sollen mit dieser Analyse aber freilich nicht behauptet werden. Allein der Umstand, dass Kanada das französische Dekret über das Verbot von asbesthaltigen Waren überhaupt angegriffen hat, zeigt, dass die kanadische Regierung gemeinsam mit ihrer Asbestexportindustrie davon ausgeht, dass auch mit französischen Unternehmen ohne entsprechende Regelungen noch immer ein erhebliches Handelsvolumen mit asbesthaltigen Waren zu erwarten ist. Kritik an der „Autonomiefreundlichkeit“ des Ergebnisses der Asbestmethode zur Gleichartigkeitsprüfung liegt in diesen Gedanken letztlich ohnehin nicht. Denn die Entscheidung über das wirkliche Maß der Autonomiefreundlichkeit des Art. III GATT fällt, wie sich im Folgenden zeigen wird, nicht im Rahmen der Gleichartigkeitsprüfung, sondern im Rahmen der Prüfung der Behandlung der gegebenenfalls gleichartigen Waren. Defizite im Autonomieschutz bei der Gleichartigkeitsprüfung können daher im Rahmen der Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals vollständig ausgeglichen werden (anders freilich als echte Defizite in der Effizienz des Art. III GATT, die angesichts der Verzerrung der Gleichartigkeitsprüfung entstehen). In Begriffen des Autonomieschutzes ist die Asbestberufungsprüfung der Gleichartigkeit daher nicht notwendig schlechter als alle vorhergegangenen Gleichartigkeitsprüfungen der Streitbeilegungsorgane (dies hebt die Bedeutung des behandlungsbezogenen Merkmals in den Tatbeständen des Art. III GATT nur um so deutlicher hervor). Mit den vorhergehenden Aussagen soll daher nicht gesagt werden, dass die Gleichartigkeitsprüfung in der Asbestentscheidung im Ergebnis weniger autonomiefreundlich sei als in vorangegangenen Entscheidungen. Lediglich soll gesagt werden, dass sie in ihrer Substanz nicht so autonomiefreundlich ist, wie im allgemeinen behauptet wird.

bb) Schritt 2: Die zentrale Bedeutung des behandlungsbezogenen Merkmals in den Tatbeständen des Art. III GATT: Sperre gegen marktintegratives Entscheiden Aus diesen Überlegungen wird deutlich, dass das wesentliche Merkmal zur Verhinderung marktintegrativer Tendenzen das behandlungsbezogene Merkmal ist. Nur die antiprotektionistische „Aufladung“ des behandlungsbezogenen, nicht diejenige des warenbezogenen Merkmals, ist in der Lage, beide Zielsetzungen des Art. III GATT zu verwirklichen, namentlich den Autonomieschutz und den Schutz der Wettbewerbsgleichheit, also die mit dem Autonomieschutz vereinbare Form der Bekämpfung mitgliedstaatlichen Protektionismus. Denn die antiprotektionistische „Aufladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals vermag zwar eine „Sperre“ gegen marktintegratives Entscheiden zu bilden und dadurch autonomieschützend zu wirken. Sie läuft aber Gefahr, das weitere Ziel der Wettbewerbsgleichheit zu vernachlässigen. Denn Zweckerwägungen im Rahmen der Gleichartigkeits- /

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Substituierbarkeitsprüfung vermögen nicht effektiv sicherzustellen, dass auch solche Formen des mitgliedstaatlichen Protektionismus eindeutig erkannt werden, die hinter einem an sich als legitim anerkannten Zweck versteckt werden („disguised protectionism“). Der Grund hierfür liegt darin, dass versteckter Protektionismus, wie jede andere Form des Protektionismus auch, sich eben nicht im Zweck einer Maßnahme bemerkbar macht, sondern in der Behandlung von Waren. Zum behandlungsbezogenen Merkmal dringt eine antiprotektionistisch aufgeladene Zweckprüfung im Rahmen der Gleichartigkeitsprüfung aber gar nicht mehr notwendig vor. Denn sie führt dazu, dass Waren, die im Rahmen nicht protektionistischer Zwecke voneinander unterschieden werden, gegebenenfalls eben nicht mehr als vergleichbar gelten, so dass damit der Bereich des Art. III GATT in technischer Hinsicht bereits verlassen ist. Eine antiprotektionistische Aufladung des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals vermag demgegenüber durchaus beide Zwecke des Art. III GATT sinnvoll zu verwirklichen, also sowohl das Ziel des Autonomieschutzes als auch dasjenige des Antiprotektionismus. Denn sie vermag, wie sich im Folgenden zeigen wird, das antiprotektionistische Ziel der Wettbewerbsgleichheit effektiv zu sichern, zugleich sich aber auf diese Form der Sicherung des Antiprotektionismus zu beschränken, d. h. nur Formen der Vorenthaltung von Wettbewerbsgleichheit zu bekämpfen, ohne zugleich auch andere Formen des mitgliedstaatlichen Protektionismus überschießend mit zu bekämpfen. In dieser Beschränkung des Antiprotektionismus auf die Sicherstellung des (antiprotektionistischen) Gutes der Wettbewerbsgleichheit verwirklicht daher allein eine antiprotektionistische Aufladung des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals das Ziel des Autonomieschutzes, wie es in der Zielstruktur des Art. III GATT niedergelegt ist (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.a) oben). Eine antiprotektionistische „Aufladung“ des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals der Tatbestände bildet damit eine absolute Sperre für marktintegrative Tendenzen. Je aufgeladener das behandlungsbezogene Merkmal im Sinne des Abs. 1 des Art. III GATT ist, desto höher liegt die Sperre gegenüber mehr Marktintegration. Für den Vorwurf zu starker Marktintegration unter Art. III GATT kommt es daher maßgeblich auf die Ausgestaltung des behandlungsbezogenen Merkmals an. Freilich ist die Beziehung zwischen dem Ausschluss von Marktintegration und der antiprotektionistischen Aufladung des behandlungsbezogenen Merkmals nicht bikonditionaler Art (im Sinne eines „genau wenn, dann . . .“). Denn Marktintegration kann, wie bereits gerade bemerkt wurde, auch durch eine antiprotektionistische Aufladung des warenbezogenen Merkmals der Gleichartigkeit / Substituierbarkeit ausgeschlossen werden. Wird sie in diesem Wege ausgeschlossen, wird damit mitgliedstaatlichem Protektionismus allerdings Tür und Tor geöffnet. Denn das jeweils warenbezogene Merkmal eignet sich zwar in begrenztem Maße dafür, marktintegrativen Wirkungen entgegenzutreten, nicht aber dazu, versteckten Protektionismus zu entdecken. Eine antiprotektionistische „Aufladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals der Gleichartigkeit / Substituierbar-

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keit von Waren vermag der autonomieschützenden Zielsetzung des Art. III GATT damit zwar genügen, nicht aber seiner antiprotektionistischen Zielsetzung der Sicherung von Wettbewerbsgleichheit. 96 Voraussetzung für eine effektive Verhinderung marktintegrativen Entscheidens unter Art. III GATT ist daher eine antiprotektionistische „Aufladung“ des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals bei zugleich antiprotektionistischer „Entladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals der verschiedenen Verbotstatbestände. Die Gleichartigkeitsprüfung dient allenfalls zur Klärung einer Vorfrage, namentlich, ob unterschiedliche Waren im Sinne der Vorschriften vergleichbar sein sollen oder nicht. Es ist zwar richtig, dass eine enge Auslegung des Merkmals der Gleichartigkeit von Waren autonomieschützend wirken kann. Eine solche enge Auslegung des warenbezogenen Merkmals schießt jedoch über ihr Ziel hinaus, wenn sie derart durchgeführt wird, dass sie die hinter einem legitimen Zweck versteckte Vorenthaltung von Wettbewerbsgleichheit nicht erkennt. Um Wettbewerbsgleichheit sinnvoll schützen zu können, muss das warenbezogene Merkmal daher so weit ausgelegt werden, dass es solche Verhaltensweisen mitumfasst, die ausländischen Waren die zu garantierende Wettbewerbsgleichheit aus an sich legitimen Zweckerwägungen vorenthalten. Eine in diesem Sinne „weite“ Gleichartigkeitsprüfung wirkt ihrerseits aber nur dann in sinnvoller Weise antiprotektionistisch, wenn sie durch eine entsprechend enge, d. h. antiprotektionistisch „aufgeladene“ Auslegung des behandlungsbezogenen Merkmals begleitet wird (Ungleich- / Schlechterbehandlung vergleichbarer Waren). Denn andernfalls schösse sie ihrerseits in marktintegrativer Weise über das Ziel der Wettbewerbsgleichheit hinaus, indem sie vollkommen gleichbehandelnde Maßnahmen verböte. Die These des Verfassers konkretisiert sich an dieser Stelle daher dahin, dass das in Abs. 1 niedergelegte Antiprotektionismusprinzip aus Gründen der Art. III GATT-spezifischen Zielstruktur in das jeweils behandlungsbezogene Element integriert werden muss, und nicht, wie es die Kritik und vereinzelte frühere Entscheidungen nahelegen, in das warenbezogene Element. Eine antiprotektionistische Aufladung des jeweils warenbezogenen Merkmals würde den Autonomieschutz über das von Art. III GATT vorgesehene Maß hinaus verwirklichen. Damit würde sie „zu früh“ anzusetzen – zu früh insoweit, als effektive Wettbewerbsgleichheit dadurch nicht gesichert werden könnte. Im Rahmen einer antiprotektionistisch „aufgeladenen“ Auslegung des behandlungsbezogenen Merkmals bleibt dem96 Umgekehrt führt eine antiprotektionistische Entladung des warenbezogenen Merkmals der Gleichartigkeit, wie sie die Streitbeilegungsorgane regelmäßig betrieben haben, nicht notwendig in die Marktintegration hinein. Im Gegenteil, sie führt nur dann in die Marktintegration, wenn das behandlungsbezogene Merkmal der Ungleich- / Schlechterbehandlung seinerseits antiprotektionistisch „entladen“ wird, so dass auch nicht-diskriminierende Maßnahmen von den Verbotstatbeständen des Art. III GATT erfasst werden. Daran ändert auch nichts, dass der Diskurs der Streitbeilegungsorgane über Jahrzehnte dem Eindruck Vorschub geleistet hat, dass bereits allein eine „antiprotektionistische Entladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals in die Marktintegration führe.

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gegenüber selbst bei noch so autonomiefeindlicher (weiter) Auslegung des warenbezogenen Merkmals der Gleichartigkeit / Substituierbarkeit der Waren kein Raum mehr für marktintegrative Wirkungen. Marktintegration ist ausgeschlossen, wenn speziell das behandlungsbezogene Merkmal der Ungleich- / Schlechterbehandlung im Sinne des antiprotektionistischen Prinzips (Art. III Abs. 1 GATT) ausgelegt wird.

cc) Schritt 3: Die Auslegung des behandlungsbezogenen Merkmals durch die Asbestentscheidung des Berufungsgremiums: Qualitative Auslegung und das Merkmal der Erfüllbarkeit mitgliedstaatlicher Anforderungen Mit der zentralen Bedeutung des behandlungbezogenen Merkmals rückt naturgemäß die konkrete Ausgestaltung dieses Merkmals in den Mittelpunkt der Überlegungen. Dem behandlungbezogenen Merkmal wird der Rechtsanwender nur dann gerecht, wenn er es in der dogmatisch richtigen Weise antiprotektionistisch auslegt. Aus Sicht des Verfassers ist das dafür zentrale Element des behandlungsbezogenen Merkmals dasjenige der Erfüllbarkeit der Maßnahme: Eine mitgliedstaatliche Maßnahme diskriminiert im Sinne des Art. III GATT danach genau dann (d. h. nur dann), wenn sie den ausländischen Waren die ihnen nach Art. III GATT garantierte Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit der Maßnahme vorenthält. Dies ist dann der Fall, wenn die ausländischen Waren die Anforderungen der Maßnahme entweder schon nach den normativen Vorgaben der Maßnahme selbst oder nach den faktischen Gegebenheiten, auf die die Maßnahme stößt, schlechter (oder gar nicht) erfüllen können als inländische Waren. Mit seiner Asbestentscheidung hat das Berufungsgremium diesen Weg der antiprotektionistischen Auslegung des Merkmals „weniger günstige Behandlung“ recht eindeutig gewiesen, obwohl es insoweit mangels entsprechender Anträge gar nicht zu entscheiden hatte. Denn indem es den Begriff der „weniger günstigen Behandlung“ in Abs. 4 unmittelbar in das Licht der schützenden Anwendung des Abs. 1 gestellt hat, hat es deutlich gemacht, dass in der Sache die „Ungünstigkeit“ einer Behandlung nicht im Rahmen einer ökonomischen Schlechterstellung gegenüber irgendeiner gleichartigen Ware zu beurteilen ist (nicht jede Schlechterstellung ist eine „weniger günstige Behandlung“), sondern in aggregierter Betrachtungsweise, d. h. im Hinblick auf ihren schützenden Charakter.97 Andernfalls wäre der Hinweis auf die (in diesem Zusammenhang zu Gunsten der regulativen Autonomie der Mitgliedstaaten wirkende) Klausel des Art. III Abs. 1 GATT überflüssig, da die Begrenzung auf protektionistische Verhaltensweisen nach Art. III Abs. 1 GATT nach dem oben dargestellten Konzept der ökonomischen Schlechterstellung gegenüber irgendeiner gleichartigen Ware nicht wirksam würde. Das Berufungsgremium 97 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 100.

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stellt diesen Zusammenhang mit verhältnismäßig deutlichen Worten klar, wenn es feststellt, dass die Mitgliedstaaten zwischen vergleichbaren Waren Unterscheidungen vornehmen dürfen, ohne ihnen dabei notwendigerweise, d. h. allein wegen dieser Unterscheidung, eine weniger günstige Behandlung im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT zuzumuten98. So richtig die Aussage des Berufungsgremiums zur aggregierten Schlechterbehandlung ist, so wenig erstaunlich ist sie: Das Berufungsgremium bemüht sich letztlich lediglich darum, dem spezifisch anti-diskriminierenden Gehalt des Art. III GATT Genüge zu tun. Wie sonst hätte das Berufungsgremium den Art. III Abs. 4 GATT im Sinne des allgemeinen Prinzips des Art. III Abs. 1 GATT auslegen sollen, wenn nicht auf diese Weise? Hätte es (wie das panel) entscheiden sollen, dass auch solche protektionistischen Maßnahmen unter Art. III GATT fallen, die ihre protektionistische Wirkung erkennbar nicht im Wege der Diskriminierung entfalten? Eine solche Entscheidung wäre angesichts der Struktur und des Zwecks des Art. III GATT (Verhinderung diskriminierend-protektionistischer Maßnahmen) aus Sicht des Verfassers wie auch der nachfolgend diskutierten Beiträge anderer Autoren nicht sinnvoll zu verstehen gewesen, genauso wenig wie die Panelentscheidung im Asbestfall sinnvoll zu verstehen ist. Es ist angesichts der Zielstruktur des Art. III GATT trotz der insoweit eindeutigen Panelentscheidung im Asbestfall kaum sinnvoll zu begründen, bei einer antiprotektionistischen „Entladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals auch noch das jeweils behandlungsbezogene Merkmal antiprotektionistisch entladen zu wollen, wie es das panel im Asbestverfahren ganz offenbar beabsichtigte. Obwohl das Asbestdiktum des Berufungsgremiums zum behandlungsbezogenen Merkmal des Art. III GATT dem Kern der Prüfung des Art. III GATT – gemessen an anderen Entscheidungen – bisher besonders nahe kam, hat es das Erfordernis der Erfüllbarkeit der Maßnahme aber noch immer nicht hinreichend eindeutig zum Ausdruck gebracht. Umstritten ist vor allem, was genau unter der vom Berufungsgremium eingeführten „gruppenweisen“ Schlechterbehandlung zu verstehen ist. Damit ist aber weiterhin umstritten, wie denn die richtige Begründung – und dementsprechend auch die richtige Entscheidung – im Asbestfall und den vielen anderen Fällen nicht-diskriminierenden, aber protektionistischen Handelns aussehen soll. Die in der Literatur bisher vorgetragenen Vorschläge legen den Schwerpunkt erstaunlicherweise allein auf die Zahl der aktuell betroffenen Waren. Dies hält der Verfasser für fehlerhaft, da dadurch auch solche Handelsbeschränkungen von Art. III GATT verboten würden, die, wie etwa die Asbestmaßnahme, allein im Rahmen regulativer Diversität entstehen, also allein durch normativ wie faktisch vollkommen gleichermaßen erfüllbare Maßnahmen (Teil C.I.2.b)cc)(1) unten). Der Verfasser entwickelt an dieser Stelle daher ein eigenes (qualitatives) Merkmal, nämlich 98 Ibid., Rn. 100: „However, a Member may draw distinctions between products which have been found to be ,like‘, without, for this reason alone, according to the group of ,like‘ imported products ,less favourable treatment‘ than that accorded to the group of ,like‘domestic products.“

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des Merkmals der Gleichheit in der Erfüllbarkeit, mittels dessen die Zielstruktur des Art. III GATT zwanglos und zugleich effektiv verwirklicht werden kann (Teil C.I.2.b)cc)(2) unten). (1) Literarische Versuche der Konkretisierung des Diktums des Berufungsgremiums zum gruppenweisen Vergleich: Bloße Quantifizierung durch Analyse der Zahl der jeweils betroffenen Waren Die literarische Diskussion um die antiprotektionistische Auslegung der Verbotstatbestände des Art. III GATT drehte sich zunächst fast ausschließlich um das warenbezogene Merkmal der Vergleichbarkeit / Substituierbarkeit (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.c)aa)(1) oben und C.I.1.c)aa)(2) oben), nicht aber um die Aufladung des behandlungsbezogenen Merkmals für den Fall einer Entladung des warenbezogenen Merkmals – gerade angesichts der entladenden Prüfpraxis nach den border tax adjustment-Kriterien eine zunächst kaum mehr nachvollziehbare Schwerpunktsetzung.99 Mit der Berufungsentscheidung zum Asbestfall hat sich diese Schwerpunktsetzung in der Diskussion nun aber offenbar geändert. Seit dieser Entscheidung wird die deutlich auf das jeweils warenbezogene Merkmal reduzierte Diskussion langsam in den Bereich des behandlungsbezogenen Merkmals „verlagert“. Nicht nur wird davon gesprochen, dass das Berufungsgremium mit seinem aggregierten Prüfungsprogramm den von ihm an sich abgelehnten aims and effects-Test sozusagen durch die Hintertür, nämlich durch die Tür des behandlungsbezogenen Merkmals, in die Tatbestände „hineinhole“100. Auch werden der aggregierte Test des Berufungsgremiums und der „einfache“ Test des panels auf ihre konzeptionellen Unterschiede hin miteinander verglichen. Grundlage derartiger Vergleiche ist die Auffassung, dass nicht-protektionistische Schlechterbehandlungen vergleichbarer Waren nach der einfachen Prüfung, wie sie das panel angewendet hat, in der Regel unter Art. III GATT verboten seien, während sie nach der aggregierten Prüfung des Berufungsgerichts erlaubt seien. Den bisher bedeutendsten Beitrag hat insoweit Lothar Ehring vorgelegt, der die beiden unterschiedlichen 99 Dem Verfasser kann sich diese Schwerpunktsetzung allein dadurch erklären, dass es bisher nur wenige Streitfälle gab, die die Grenzen des Art. III GATT herausforderten. Grund für diese Schwerpunktsetzung ist damit also letztlich die strategisch richtige Zurückhaltung der Mitgliedstaaten dahin, nicht jede protektionistiche Wirkung unter Art. III GATT anzugreifen, sondern nur die gerade durch Diskriminierung entstehenden protektionistischen Wirkungen. Mit dem beobachtbar neuen marktintegrativ motivierten Klageverhalten insbesondere der USA mag sich dies aber ändern. 100 Howse, Robert und Elisabeth Tuerck, The WTO Impact on Internal Regulations – A Case Study of the Canada – EC Asbestos Dispute, in: Búrca, Grainne de und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Oxford Hart, 2001, S. 283, 299. Aus Sicht der Vertreter eines aims and effects-Tests ist eine solche Auffassung verständlich, wollen sie ihren aims and effects-Test doch nicht ohne weiteres auggeben. In der Sache aber handelt es sich trotz verschiedener Parallelen allerdings doch um etwas sehr anderes, wie sich im Folgenden zeigen wird, wenngleich die Ziele freilich ganz ähnlich sind.

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Ansätze des Asbestpanels und des Berufungsgremiums im Asbestfall in quantitativer Hinsicht gegenüberstellt. Grundlage seiner Überlegungen zum Merkmal der gruppenweise Schlechterbehandlung ist die Zahl der betroffenen Waren. Eine aggregierte Schlechterbehandlung im Sinne des Berufungsgremiums soll danach dann vorliegen, wenn in der Gruppe der eingeführten Waren zahlenmäßig mehr Waren von einer Schlechterstellung betroffen sind als in der Gruppe der einheimischen Waren („asymmetric impact test“).101 Die Gegenüberstellung Ehrings im Sinne einer solchen quantifizierten Prüfung hat mittlerweile auch in weiteren Beiträgen ihren Niederschlag gefunden und bildet damit, so hat man jedenfalls den Eindruck, die Grundlage für die gegenwärtige Diskussion.102 Sie soll daher hier etwas näher analysiert werden. Auf den ersten Blick erscheint der quantitative Vergleich der vom panel und vom Berufungsgremium unterschiedlich entwickelten Prüfmuster, wie ihn vor allem Ehring vorgenommen hat, hilfreich. Denn der Vergleich bringt die vom panel herangezogene Methode an das Tageslicht, die mitgliedstaatliche Maßnahme allein daraufhin zu betrachten, ob sie eine (d. h. irgendeine) ausländische Ware schlechter behandelt als (irgend-) eine vergleichbare inländische Ware. Ehring ist zuzustimmen, soweit er behauptet, dass (angesichts der immer mit zu denkenden antiprotektionistischen „Entladung“ des warenbezogenen Merkmals) hiermit allein noch keine „schützende“ Behandlung im Sinne des Art. III Abs. 1 nachgewiesen werden kann. Zwar kann eine Schlechterbehandlung einzelner Waren schon protektionistische Wirkungen haben. Der Regelfall wird dies aber nicht sein. Denn in der Regel ist bei einer großen Vielzahl von Waren eine Schlechterstellung einiger weniger Waren in ihrem schützenden Effekt kaum spürbar.103 Auf den zweiten Blick führen Analysen wie diejenige von Ehring aber nicht viel weiter als zu dieser an sich recht selbstverständlichen Feststellung. Denn die damit verbundenen Quantifizierungen können zwar zeigen, dass die antiprotektionistische „Gesamtentladung“, die das panel im Asbestfall vorgenommen hat, nicht zielführend ist. Damit aber kann sie nicht sehr viel. Denn es wird (mit Ausnahme viel101 Ehring, Lothar, De Facto Discrimination in WTO Law: National and Most-FavoredNation Treatment – or Equal Treatment?, 36 JWT 2002, S. 921, 924 ff.; zu finden auch als Jean Monnet Working Paper 12 / 01 www.jeanmonnetprogarm.org. 102 Vgl. etwa die in diesem Sinne fast gleichlaufende Analyse bei Fauchald, Ole Kristian, Flexibility and Predictability Under the World Trade Organizations’s Non-Discrimination Clauses, 37(3) JWT 2003, S. 443, 467 ff.; ferner die ebenfalls vollkommen gleichlaufende frei verfügbare Analyse des Services „worldtradelaw.net“, im Intenet zu finden unter http: //www.worldtradelaw.net/dscsamples/ec-asbestos(dsc)(ab)(sample).pdf, S. 13 ff. (Seitenaufruf vom 20. Oktober 2003). 103 Hier hängt freilich viel von der Konstellation der Märkte ab: Sind sie relativ groß, weil sie durch Transaktionen über Massenwaren gebildet werden (Beisp: Markt für Standardautoreifen), kann sich eine einzige Schlechterbehandlung kaum schützend auswirken. Sind die Märkte demgegenüber relativ klein und zudem hoch spezialisiert, kann schon die Schlechterbehandlung einer einzigen Ware erhebliche schützende Wirkungen entfalten (Beisp.: Märkte für Raumschiffantriebssysteme).

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leicht der Mitglieder des Asbestpanels) von niemandem behauptet, dass eine solche „Gesamtentladung“ des Art. III GATT – also eine antiprotektionistische Entladung aller seiner Merkmale – zielführend sei. Der Verfasser hat bislang keinen einzigen literarischen Beitrag gefunden, der eine solche „Gesamtentladung“ argumentativ stützen würde. Auch fehlt es an weiteren Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane in diese Richtung. Die Entscheidung des Asbestpanels ist insoweit eine echte Ausnahmeerscheinung. Sie ist, wie sich im Fortgang der Untersuchung zeigen wird, in der Tat die wohl einzige Entscheidung mit rechtlicher Bindungswirkung, in der ein Organ eindeutig nachweisbar beide Merkmale der Verbotstatbestände antiprotektionistisch entladen hat, also sowohl das waren- als auch das behandlungsbezogene Merkmal (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa) unten).104 Es handelt sich mithin nicht um die Bestätigung einer Regelmäßigkeit, sondern um einen echten „Ausreißer“. Nicht ohne Grund kommt Ehring in seiner Analyse der Streitbeilegungspraxis zu dem Ergebnis, dass bis auf die Panelentscheidung im Asbestfall alle von ihm untersuchten Streitbeilegungsentscheidungen nicht den, wie er es nennt, „diagonalen“ (einfachen) Test angewendet haben, sondern (wenn auch nicht immer in sehr deutlicher Form) den „asymmetrischen“ (d. h. antiprotektionistisch aufgeladenen) Test.105 Wenn dem aber so ist, dann steht doch der Mehrwert der Analyse unmittelbar in Zweifel. Der Analyse Ehrings ist insoweit zwar nicht viel hinzuzufügen. Neues ist ihr aber auch kaum zu entnehmen. Nicht nur ist einer allein quantitativen Interpretation des Asbestdiktums zur Ungleichbehandlung in diesem Sinne nicht viel Neues zu entnehmen. Sie ist auch nicht zielführend, jedenfalls nicht im Hinblick auf die so wichtige Bestimmung der Grenzen des Art. III GATT. Denn nimmt man Ehrings Konkretisierung des Vergleichs ernst, dann liegen gerade im Asbestfall die Voraussetzungen einer auch gruppenweisen Schlechterbehandlung im Sinne Ehrings eindeutig vor. Zwar werden ausländische Hersteller und inländische Hersteller nach den normativen Vorgaben der Maßnahme jeweils genau gleich behandelt, indem nämlich Asbestwaren verboten, Asbestsubstitute unter bestimmten Voraussetzungen demgegenüber erlaubt sind. Dennoch müsste nach der Ehring’schen Interpretation des aggregierten Tests des Berufungsgremiums die Maßnahme unter Art. III GATT aber verboten sein, und zwar aus dem Grund, dass sie aktuell mehr Waren aus dem Ausland erfasst als Waren aus dem Inland. Denn das natürliche Asbestvorkommen ist in Kanada sehr hoch, in Europa aber sehr gering.106 Selbst 104 Dem Verfasser ist es angesichts dieser Sachlage nicht verständlich, warum die Union die Panelentscheidung nicht gerade unter dem Gesichtspunkt dieser kombinierten antiprotektionistischen Entladung angegriffen hat. Als einziger Gesichtspunkt drängt sich dem Verfasser ein Interesse an zukünftig marktintegrativ motivierten Klagen auf, ein Interesse freilich, dass nur vordergründig Vorrang haben kann (nähere Einzelheiten Teil E.II.3). 105 Vgl. die Diskussion insbesondere zum Malt Beverages Panel bei Ehring, Lothar, De Facto Discrimination in WTO Law: National and Most-Favored-Nation Treatment – or Equal Treatment?, 36 JWT 2002, S. 921, 940 ff. und das Gesamtergebnis auf S. 947. Trotzdem vertritt Ehring die hierzu widersprüchliche Auffassung, dass die Rechtslage insoweit nicht ganz geklärt sei, ebenda. 106 Vgl. etwa Fischers Taschenlexikon, 1999, Stichwort „Asbest“.

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ohne die französische Regulation läge der Asbestanteil innerhalb der Gruppe der eingeführten Waren daher sehr hoch, während er bei den einheimischen (europäischen) Waren demgegenüber angesichts des geringen europäischen Aufkommens sehr niedrig läge. Genau diese Konstellation ist es, die nach Ehring den klassischen Fall einer quantitativen gruppenweisen Schlechterbehandlung im Sinne des Asbestdiktums zu Art. III GATT bilden soll.107 Die Ergebnisgleichheit der einfachen Methode des Asbestpanels und der aggregierten Methode des Berufungsgremiums im rein quantifizierenden Verständnis Ehrings ist als solcher noch kein Grund, Ehrings Interpretation des Asbestdiktums des Berufungsgremiums abzulehnen. Insbesondere ist es noch kein Grund, einen inneren Widerspruch in der Analyse Ehrings zu vermuten. Denn Ehring schreibt lediglich über die anzuwendende Methode, nicht aber über das zu erzielende Ergebnis im Asbestfall. In der Tat findet sich bei Ehring kein einziges Wort, wie denn das Berufungsgremium nach der von Ehring vorgenommenen quantifizierten Interpretation seines Diktums zur Ungleichbehandlung konkret hätte entscheiden müssen. Interessanterweise lesen sich Ehrings Ausführungen aber so, als erwartete er vom Berufungsgremium für die Asbestkonstellation ein anderes Ergebnis als dasjenige, das das panel erziehlt hat. Sie lesen sich so, als ginge Ehring davon aus, dass das Berufungsgremium, wären die Asbestwaren und ihre Substitute nur im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT vergleichbar gewesen, nach seinem aggregierten Test – anders als das panel – zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass hier keine protektionistische Schlechterbehandlung im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT vorgelegen hätte. Und in der Tat liest sich auch das obiter dictum des Berufungsgremiums zur Auslegung des behandlungsbezogenen Merkmals selbst in diese Richtung. Zwar reicht schon allein die fehlerhafte Methode des panels für eine Motivation, ein obiter dictum zu schreiben. Die Motivation, ein obiter dictum zu schreiben, wird aber eindeutig verstärkt, wenn bei einer anderen Methode auch das angestrebte Ergebnis anders ausfallen würde. Hätte das Berufungsgremium tatsächlich ein anderes Ergebnis, nicht nur eine andere Methode angestrebt, dann wäre die Ehringsche Konkretisierung für dieses andere Ergebnis aber gerade nicht hilfreich gewesen.108 107 Vgl. die einschlägigen Tabellen bei Ehring, Lothar, De Facto Discrimination in WTO Law: National and Most-Favored-Nation Treatment – or Equal Treatment?, 36 JWT 2002, S. 921, 926 f. Ganz ähnlich liegt es im Hormonfall. Will man die Art. 2.2 und 5.5 SPS ihrem Gehalt nach dem Art. III GATT einmal gleichstellen, so wäre die Entscheidung des Berufungsgremiums zu Art. 5.5 SPS nicht zu verstehen. Denn im Hormonfall waren die Zahlen der Herstellung hormonbelasteten Fleisches anteilig an der Gesamtherstellung von Fleisch zur Zeit des Erlasses der Maßnahme in den USA und Kanada mit 70% sehr viel sehr höher als in der Union, vgl. EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.205 (nähere Einzelheiten und Gründe für einen funktionalen Gleichlauf von Art. 5.5 SPS mit Art. III GATT Teil C.I.2. c)aa)(2)(b)). 108 An dieser Stelle soll weder darüber spekuliert werden, ob das Berufungsgremium im Hinblick auf das behandlungsbezogene Merkmal ein anderes Ergebnis wollte als das panel,

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Derartige Spekulationen über das vom Berufungsgremium (und von Ehring) jeweils angestrebte Ergebnis bilden aber nicht den Kern der Kritik des Verfassers an dem allein quantifizierten gruppenweisen Vergleich. Denn es handelt sich lediglich um Spekulationen. Nur die Mitglieder des Berufungsgremiums werden letztlich wissen, ob sie mit dem von ihnen vorgebrachten aggregierten Vergleich, hätten sie die Prüfung im Asbestfall vornehmen müssen, nun ein anderes Ergebnis hätten erzielen wollen als das Asbestpanel oder nicht. Die Kritik, die der Verfasser an einem allein quantifizierten Vergleich im Sinne der Ehring’schen Interpretation hat, ist daher auch nicht auf das Ergebnis bezogen, sondern allein methodischer Art. Sie beruht im Kern darauf, dass die allein quantifizierte Aggregation des Vergleichs die eigentlichen Fragen nicht zu lösen vermag, namentlich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine rein zahlenmäßige „Schlechterbehandlung“ wie diejenige durch die angegriffene Asbestmaßnahme trotz ihres in quantifizierter Weise „schlechterstellenden“ Charakters von Art. III GATT nicht verboten sein soll. Beispiele für diese Art von Maßnahmen finden sich zu Hauf in der staatlichen Wirklichkeit. Der Verfasser geht davon aus, dass sie sich sogar öfter finden als diskriminierende Maßnahmen. Sie finden sich mittlerweile sogar als Gegenstand der Streitbeilegungspraxis. Dies macht wissenschaftliche Beiträge wie den hier vorliegenden überhaupt erst notwendig. Im Hormonfall etwa war die angegriffene Maßnahme zwar unterschiedslos formuliert, traf aber eine aktuell viel höhere Zahl an importierten Waren als an einheimischen Waren.109 Soll dieser aktuelle „disparate trade effect“, wie ihn etwa auch Trebilcock und Soloway feststellen110, im Ehring’schen Sinne zu einem Verbot unter Art. III GATT führen, obwohl inländische wie ausländische Waren sowohl der normativen Anforderung als auch der faktischen Erfüllbarkeit der Anforderung nach genau gleich behandelt wurden? Neben dem Asbestfall, in dem ebenfalls mehr ausländische Waren aktuell betroffen waren als vergleichbare inländische Waren, ist hier zudem der aktuelle GMO-Fall zu nennen.111 Soll hier trotz der nach ihrem Wortlaut im Übrigen unterschiedslosen Formulierung der Maßnahmen ein Verstoß gegen Art. III GATT nur deshalb angenommen werden, weil es mehr biotechnologisch behandelte Waren aus dem Ausland gibt als aus dem unionalen Gebiet und daher hier zahlenmäßig die ausländinoch darüber, ob Ehring dem obiter dictum des Berufungsgremiums einen solchen Wunsch nach einem anderen Ergebnis entnehmen will. Wichtig erscheint an dieser Stelle zunächst lediglich, dass angesichts dieser Sachlage die Ehring’sche Konkretisierung des Tests der aktuell aggregierten Schlechterbehandlung des Berufungsgremiums kein anderes Ergebnis herbeiführen wird als die „einfache“ Methode des panels. 109 European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT / DS26 und 48. 110 Trebilcock, Michael und Julie Soloway, International Trade Policy and Domestic Food Safety Regulation: The Case for Substantial Deference by the WTO Dispute Settlement Body under the SPS Agreement, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 537, 558. 111 European Communities – Measures affecting the approval and marketing of biotech products, WT / DS291, 292 und 293. 8*

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schen Waren stärker betroffen sind als die inländischen Waren? Genau hierhin geht die allein quantifizierte Interpretation Ehrings, der derartige Maßnahmen nur deshalb von Art. III GATT erfasst sehen will, weil sie gegebenenfalls mehr ausländische als vergleichbare inländische Waren aktuell erfassen.112 Dem Autonomieschutz dient diese Interpretation des Asbestdiktums des Berufungsgremiums nicht gerade. Der Verfasser hat bereits dargelegt, dass es die Zielstruktur des Art. III GATT nicht erlaubt, den Typus derart substanziell gleichbehandelnder Maßnahmen unter Art. III GATT zu verbieten. Denn die Zielstruktur setzt sich aus dem Ziel des Antiprotektionismus und demjenigen des Autonomieschutzes zusammen und erreicht letzteres Ziel gerade dadurch, dass es den Antiprotektionismus auf die Sicherung der Wettbewerbsgleichheit beschränkt (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.a) oben). Art. III GATT ist daher so auszulegen, dass er die Wettbewerbsgleichheit der ausländischen Waren garantiert, nicht aber zugleich darüber hinaus geht. Insbesondere ist antiprotektionistische Deregulierung (also der bloße Abbau nicht-diskriminierender Regeln mit protektionistischer Wirkung) als solche kein Ziel des Art. III GATT. Der Kern der Kritik des Verfassers an der Ehringschen Sichtweise geht daher dahin, dass Ehrings allein quantifizierende Auslegung des Diktums des Berufungsgremium zur aggregierten Schlechterbehandlung und damit des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals der Tatbestände diese feine, aber überaus bedeutsame Grenze zwischen echter Diskriminierung im Sinne des Art. III GATT und bloßer Deregulierung nicht genau zu ziehen vermag. Der Grund hierfür liegt darin, dass die von Ehring formulierte Konkretisierung des Erfordernisses einer aggregierten Prüfung den Grad der Belastung einer Regel für Waren (also letztlich ihres normativen Gehaltes im Hinblick auf diese Waren) mit dem Grad ihrer quantitativen Wirkung auf Waren unlösbar verquickt. Begrifflich nennt Ehring diese Verquickung mal Nachteil113, mal Belastung114, mal Intensität115. Methodisch vermag eine solche Verquickung quantitativer und qualitativer Aspekte schon deshalb nicht zu überzeugen, weil Fragen der Gleichbehandlung, und damit auch Fragen der antiprotektionistisch motivierten Gleichbehandlung, sinnvollerweise nicht nach dem Kriterium entschieden werden können, ob eine Maßnahme eine Ware erfasst oder nicht, sondern nur danach, wie sie sie erfasst. Denn dass eine Maßnahme eine bestimmte Zahl von Waren erfasst, ohne zugleich weitere Waren zu erfassen, liegt in 112 Im Hinblick auf den Hormonfall wird dies bei Ehring unmittelbar deutlich, vgl. Ehring, Lothar, De Facto Discrimination in WTO Law: National and Most-Favored-Nation Treatment – or Equal Treatment?, 36 JWT 2002, S. 921, 938 f. 113 Ibid., S. 922: „The question yet to be settled is whether national rules distinguishing on a facially origin-neutral basis violate the non-discrimination rule only if they impose a greater overall disadvantage on imports than on comparable domestic goods, or whether it is sufficient that they disfavor some imports“ (Hervorhebung durch den Verfassers). 114 Ibid., S. 924: „The treatment received by imports is only less favorable than that accorded to like domestic goods if the burden arising from the measure is heavier for imports than for domestic goods“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 115 Ibid., S. 925: „asymmetric intensity“ (Hervorhebung durch den Verfasser).

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der Natur jeder Maßnahme. Dieses quantitative Element ist der Maßnahme sozusagen inhärent. Es wird in jeder mitgliedstaatlichen Maßnahme deutlich, ohne dass hieraus allein bereits ein Anhaltspunkt für eine Ungleichbehandlung, geschweige denn für eine protektionistische Ungleichbehandlung gezogen werden könnte. Es bedarf daher eines weiteren Merkmals, das genau konkretisiert, in welcher Weise ausländische Waren schlechter behandelt werden als inländische Waren. Die Notwendigkeit eines weiteren Merkmals zeigt sich bereits mit Blick auf andere ihrem Wortlaut nach herkunftsneutrale innerstaatliche Maßnahmen, die von den ausländischen Waren nicht in gleicher Weise erfüllt werden können wie von gleichartigen inländischen Waren. Erst der Vergleich zu Entscheidungen über derartige Maßnahmen, nicht zur Asbestpanelentscheidung, ermöglicht es, festzustellen, ob das Berufungsgremium hier einem auch im Hinblick auf die Ergebnisse konsistenten Ansatz folgt oder nicht. Besonders deutlich wird dies in einem Vergleich der Asbestentscheidung des Berufungsgremiums mit der Entscheidung des Berufungsgremiums zum chilenischen Alkoholfall. Denn in seiner Entscheidung zum chilenischen Alkoholfall war das Berufungsgremium ausdrücklich gerade unter dem Gesichtspunkt der aggregierten Schlechterstellung ausländischer Waren zu der Bejahung einer de facto-Diskriminierung gekommen.116 Worin liegt der Unterschied zwischen der Berufungsentscheidung im chilenischen Alkoholfall und jenen Entscheidungen des Berufungsgremiums, in denen, wie im Hormonfall und im Asbestfall, ein Verstoß gegen Art. III GATT nicht festgestellt worden ist? Aus Sicht des Verfassers liegt der Unterschied darin, dass in letzteren Fällen die ausländischen Hersteller die Maßnahme genau so gut erfüllen konnten wie die inländischen Hersteller, im chilenischen Alkoholfall demgegenüber nicht, da Whisky, Brandy und andere Spirituosen nun einmal nur mit jenen Alkoholgehalten hergestellt werden können, die sie nach dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Steuerrecht haben, und deshalb nicht einfach in die günstigere Steuerklasse „überwechseln“ konnten. Dies ist aber ein völlig anderes Argument als jenes rein quantitative Argument, nach dem eine (relativ) große Vielzahl ausländischer Waren in die hohe Steuerklasse fiele. Denn könnte Whisky ohne weiteres auch mit weniger Alkoholprozenten hergestellt werden, könnte er der höheren Steuerklasse entgehen, so dass ein Verstoß gegen Art. III GATT bei aller quantitativen „Schlechterbehandlung“ nicht vorläge (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(b) unten).117 116 Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13. Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rz. 56 ff. 117 Ganz abgesehen von diesen methodischen Gesichtspunkten verbieten aber auch Gesichtspunkte der rechtlichen Sicherheit eine Verquickung quantitativer und qualitativer Aspekte. Denn selbst wenn ein solches Vorgehen der Verknüpfung des Gehalts einer Maßnahme mit der Zahl jener Waren, die von ihr betroffen werden, unter Art. III GATT methodisch sinnvoll wäre, bliebe die Frage nach den genauen Grenzen: Bei aggregierter Gleichbehandlung stellt sich dieses weitere Problem nicht (Beisp.: Unter den eingeführten und den einheimischen Waren werden jeweils genau 75% der Waren günstig, 25% der Waren ungünstig behandelt). Auch bei eindeutigen Missverhältnissen stellt sich diese Frage nicht unbedingt (Beisp.: Unter den eingeführten Waren werden 2% der Waren günstig und 98% der Waren

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Damit wird deutlich, dass die Methode der quantitativen Bestimmung der Gleichheit in der Behandlung zwar die gesamtwirtschaftliche Belastung der ausländischen Waren zu zeigen vermag, nicht aber die von Art. III GATT spezifisch geforderte protektionistische Ungleichbehandlung ausländischer Waren. Sie wird daher den Verbotstatbeständen des Art. III GATT nicht gerecht. Insbesondere weitet sie die Grenzen des Art. III GATT zu sehr aus. Der Umstand, dass eine Maßnahme auf eine bestimmte Zahl oder Gruppe von Waren aktuell in einer bestimmten Weise Anwendung findet, kann als solcher noch keinen sinnvollen Vorwurf unter Art. III GATT begründen. Zwar haben viele der derart betrachteten Maßnahmen protektionistische Wirkungen. Allein deshalb sind sie aber noch nicht im Sinne des Art. III GATT in protektionistischer Weise diskriminierend. Es bedarf daher offenbar einer anderweitigen Konkretisierung der Rede des Berufungsgremiums von der aggregierten Schlechterbehandlung, die insbesondere das Wie der Schlechterbehandlung ins Auge fasst.118 (2) Die zielstrukturadäquate Ausgestaltung des behandlungbezogenen Merkmals: Qualitative Ungleichbehandlung als Vorgabe des Art. III GATT und das Kriterium der Erfüllbarkeit Der Verfasser schlägt in diesem Zusammenhang ein qualitatives Prüfprogramm vor, das seinen Anforderungen nach denkbar einfach ist und trotzdem der Zielstruktur des Art. III GATT vollständig entspricht. Es handelt sich dabei um eine Prüfung der Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit der normativen Anforderungen einer mitgliedstaatlichen Maßnahme. Mitgliedstaatliche Maßnahmen begründen danach dann, aber auch nur dann eine Diskriminierung im Sinne des Art. III GATT, wenn sie von ausländischen Waren aus Gründen ihrer Herkunft schlechter erfüllt werden können als von gleichartigen inländischen Waren. Nur wenn ausund inländische Waren die für sie jeweils identischen Anforderungen normativ wie ungünstig behandelt, während unter den einheimischen Waren 98% günstig und 2% ungünstig behandelt werden). Wie aber liegen die Dinge, wenn ausländische Waren nur in ganz leichtem Maße stärker von einer im Übrigen gleichbehandelnden Regelung betroffen sind als inländische Waren? Wie wäre es, wenn unter den eingeführten Waren 20% der Waren günstig und 80% der Waren ungünstig behandelt würden, während unter den einheimischen Waren 19% günstig und 81% ungünstig behandelt würden? Wäre dies nach Ehring eine aggregierte Schlechterbehandlung? Und wenn ja: Wie läge es, wenn unter den eingeführten Waren 20% der Waren günstig und 80% der Waren ungünstig behandelt würden, während unter den einheimischen Waren 19,9% günstig und 80,1% ungünstig behandelt würden? Man erkennt sofort, dass hier noch ein gutes Maß an Konkretisierung nötig wäre, wenngleich sich diese Fragen normativ-praktisch aber lösen ließen. 118 Zu dieser Frage nimmt Ehring leider nur sehr kurz und unsubstantiiert am Ende seiner Darlegungen unter der Überschrift „Problematic Details of the Assymmetric Impact Requirement (Hervorhebung durch den Verfasser)“ Stellung, vgl. Ehring, Lothar, De Facto Discrimination in WTO Law: National and Most-Favored-Nation Treatment – or Equal Treatment?, 36 JWT 2002, S. 921, 964 ff.

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tatsächlich auch in wirklich gleicher Weise erfüllen können, genießen sie volle, d. h. normative und faktische Wettbewerbsgleichheit. Können ausländische Waren eine Maßnahme in vollkommen gleicher Weise erfüllen wie inländische Waren, wird ihnen die vom GATT und insbesondere von seinem Art. III garantierte Wettbewerbsgleichheit daher nicht vorenthalten. Die Grenzen des Art. III GATT liegen damit in der gleichen Erfüllbarkeit der Maßnahme durch ausländische Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren. Nur durch eine derartige Schwerpunktsetzung auf das Merkmal der Gleichheit in der Erfüllbarkeit werden die Diskriminierungsverbote des Art. III GATT zu Garantien echter Wettbewerbsgleichheit. Nach diesem Prüfungsprogramm sind zwei Modalitäten von Wettbewerbsgleichheit qualitativ zu unterscheiden. Nach der ersten Modalität können ausländische Waren die Anforderungen einer mitgliedstaatlichen Maßnahme schon aus normativen Gründen schlechter erfüllen als vergleichbare inländische Waren, nämlich dann, wenn in Anknüpfung an die Herkunft unterschiedliche Anforderungen für in- und ausländische Waren bestehen (klassischerweise wird diese Modalität als de jure Diskriminierung bezeichnet). Die Anknüpfung an die Herkunft schneidet den ausländischen Waren nämlich die Möglichkeit ab, nach derselben Regel beurteilt zu werden wie inländische Waren. Bereits hierin kann eine materielle Schlechterstellung liegen, insbesondere dann, wenn die Anforderungen an ausländische Waren deren Herkunft wegen belastender sind als die Anforderungen an inländische Waren.119 Nach der zweiten Modalität sind es die faktischen Verhältnisse, die es ausländischen Waren nicht ermöglichen, die normativ identischen Anforderungen der Maßnahme in gleicher Weise zu erfüllen wie vergleichbare inländische Waren (Wettbewerbsgleichheit in der faktischen Erfüllbarkeit). Unterschiedslos formulierte Maßnahmen begründen danach nur dann eine Diskriminierung, wenn ausländische Waren aus faktischen Gründen die Maßnahme nicht ebenso gut erfüllen können wie vergleichbare inländische Waren. Man kann diese Art der faktischen Diskriminierung durch unterschiedslos formulierte Maßnahmen („facially neutral measures“) de facto-Diskriminierung nennen.120 Allerdings muss man sich in diesem Zu119 In der Geltung jeweils unterschiedlicher Regeln für importierte und einheimische Waren liegt noch nicht notwendig eine Schlechterbehandlung. Das Berufungsgremium hat dies zuletzt in seiner Entscheidung zum koreanischen Fleischfall anerkannt, in der es die Auffassung vertrat, dass nicht schon jede normative Anknüpfung an die Herkunft eine Schlechterbehandlung impliziere, vgl. Korea – Measures Affecting Imports Of Fresh, Chilled And Frozen Beef, Bericht des Berufungsgremiums vom 11. Dezember 2000, WT / DS161 und 169 / AB / R, Rn. 136, 144. Im folgenden Streitbeilegungsüberblick wird sich zeigen, dass sogar solche normativen Anknüpfungen, wie sie im US-amerikanischen Garnelen / Schildkrötenfall angegriffen worden waren, gegebenenfalls trotz normativer Anknüpfung an die Herkunft keine Diskriminierung unter Art. III begründen müssen, nähere Einzelheiten Teil C.I.2. c)aa). 120 Dabei muss allerdings klargestellt bleiben, dass der allgemein gebräuchliche Begriff der de facto-Diskriminierung in der Regel weiter sein wird als der hier verwendete Begriff, insbesondere dann, wenn der Begriff der de facto-Diskriminierung je nach Auffassung eines Autors auch solche Maßnahmen umfasst, die von ausländischen Waren in vollkommen gleicher Weise erfüllt werden können wie von inländischen Waren.

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sammenhang vorsehen, nur solche Maßnahmen unter diesem Begriff zu fassen, die auch tatsächlich faktische Ungleichbehandlungen begründen, d. h. für ausländische Waren tatsächlich schlechter erfüllbar sind als für inländische Waren. In der Literatur werden aus den in der Auseinandersetzung mit Ehring bereits genannten Gründen demgegenüber oft auch solche Maßnahmen für de facto-Diskriminierungen gehalten, die von ausländischen Waren in faktisch vollkommen gleicher Weise erfüllbar sind wie von vergleichbaren inländischen Waren, von ersteren aus welchen Gründen auch immer aber schlichtweg nicht erfüllt werden (Beisp.: Asbestwaren, Hormonfleisch). Derartige Maßnahmen sind nach dem hiesigen Programm keine de facto-Diskriminierungen, weil die ausländischen Waren die Anforderungen der Maßnahme, obwohl sie sie aktuell (zum Beispiel aus ökonomischen Gründen) nicht in gleicher Weise erfüllen, in gleicher Weise erfüllen könnten. Insoweit ist der hier vertretene Ansatz kein Ansatz der faktischen Erfüllung, sondern lediglich ein solcher der faktischen Erfüllbarkeit.121 Für die Feststellung einer protektionistischen de facto-Diskriminierung, deren Kern allgemein in der herkunftsneutralen Formulierung gesehen wird (und damit in dem liegt, was der Verfasser Wettbewerbsgleichheit in der Anforderung nennt), bringt dies in gewisser Weise eine Reformulierung der Fragestellung mit sich. Nicht mehr geht es darum, in rein quantitativer Beziehung zu überprüfen, ob zwei jeweils unterschiedslos formulierte Regeln (Beisp.: Asbestverbot und Erlaubnis von Asbestsubstituten) aus- und inländische Waren in jeweils unterschiedlich großer Zahl treffen, sondern darum, wie diese beiden Regelungen aus- und inländische Waren jeweils treffen. Treffen sie sie (im Hinblick auf die faktische Erfüllbarkeit) in unterschiedlich erfüllbarer Weise, sind sie wettbewerbsgleichheitswidrig. Treffen sie sie demgegenüber in vollkommen gleich erfüllbarer Weise, wahren sie das Gebot der Wettbewerbsgleichheit. Auf die Zahlen der jeweils aktuell betroffenen Waren kommt es dann entgegen der rein quantitativen Sichtweise nicht mehr an. In der folgenden Analyse der Streitbeilegungspraxis, insbesondere in der Analyse des Hormonfalls und des Asbestfalls, werden die Unterschiede zur oben abgelehnten allein quantitativen Schlechterbehandlung konkret sehr deutlich werden (nähere Einzelheiten Teil C. I.2.c)aa)(2) unten). Mit der hier vorgestellten Konzeption dürfte eine sichere Methode zur Feststellung einer Diskriminierung im Sinne aller drei Verbotstatbestände bestehen. Die Prüfung ermöglicht es, sowohl das Ziel der Wettbewerbsgleichheit als auch dasjenige des Autonomieschutzes effektiv zu verwirklichen, indem sie die Möglichkeiten zum gleichen Wettbewerb in den Mittelpunkt stellt und damit irreleitende Argumente erkennbar macht: Das Diskriminierungsverbot schützt nicht den komparativen Kostenvorteil als solchen, sondern nur vor Ungleichbehandlung in seiner Nichtgewährung! Der Umstand, dass es sich die Bürger eines Landes nicht leisten können, eine Maßnahme zu erfüllen, macht die Maßnahme noch nicht als solche 121 Die folgende Analyse der Streitbeilegungspraxis wird die Unterschiede zwischen tatsächlicher Erfüllung und faktischer Erfüllbarkeit auch im Hinblick auf die jeweils angegriffenen Maßnahmen deutlich herausarbeiten.

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zu einer diskriminierenden Maßnahme. Erst eine weitere Verteuerung oder, je nach Lage des Falles, eine weitere Verringerung der Gewinnträchtigkeit im Vergleich zu inländischen Herstellern macht die Maßnahme zu einer diskriminierenden Maßnahme. Das Argument bestehender komparativer Kostenvorteile trägt daher noch nicht als solches für die Begründung eines Verstoßes gegen Art. III GATT (Beisp.: Hormon- oder Asbestfall), sondern nur, wenn die komparativen Kostenvorteile gerade durch diskriminierendes Verhalten beschnitten werden (Beisp. Sardinenfall). In mikroökonomischer Hinsicht ist die Notwendigkeit, kostengünstig produzieren zu müssen, noch kein Grund für eine Unerfüllbarkeit einer Maßnahme. Konkret heißt dies, dass die Unbezahlbarkeit einer Maßnahme als solche noch kein Grund für die Annahme einer faktischen Diskriminierung darstellt (Beisp.: fehlendes Geld von peruanischen Sardinopsfischern, im Nordatlantik zu fischen, ist nicht schon als solches ein Grund für die Annahme einer Diskriminierung). Umgekehrt ist auch das Abschneiden von höheren Gewinnen durch eine Maßnahme als solches noch kein Grund, eine faktische Diskriminierung annehmen zu müssen (Beisp.: höhere Gewinne durch die Produktion von Hormonfleisch oder Asbestwaren). Aus ökonomischen Gründen un- oder schlechter erfüllbar ist eine Maßnahme im hier vorgeschlagen Sinne erst dann, wenn ihre Erfüllung für ausländische Waren teurer ist als für inländische Waren (Beisp.: für peruanische Fischer ist ein Aufenthalt im Nordatlantik teurer als für unionale Fischer – deshalb liegt hier eine Diskriminierung vor; für kanadische Rindfleischhersteller ist die Herstellung hormonfreien Fleisches demgegenüber nicht teurer als für unionale Hersteller). Die Richtigkeit dieser Überlegungen zeigt sich darin, dass sich mit dem hier vorgeschlagenen Prüfprogramm der Unterschied zwischen den Hormon-, Asbest- oder nun auch GMO-Konstellationen einerseits (kein Verstoß gegen Art. III GATT) und anderen Konstellationen wie z. B. dem chilenischen Alkoholfall oder dem unionalen Sardinenfall andererseits (Verstoß gegen Art. III GATT) nachweisen lässt (zu den Fällen im Einzelnen sogleich Teil C.I.2.c)aa) unten). Freilich ist es in der konkreten Prüfung nicht immer ganz leicht, die Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit nachzuweisen. Als Leitlinie mag aber die Frage dienen, wie sehr die Herstellung einer Ware von der Region, in der die Ware hergestellt wird, abhängig ist. Hier kommt der Gesichtspunkt der Radizierung einer Ware zum tragen: Je weniger die Herstellung in dem einen oder anderen Land verwurzelt ist, desto gewichtiger werden die Gründe für die Annahme von Gleichbehandlung in der Erfüllbarkeit der Anforderung durch aus- und inländische Waren sein. Trotz der Schwierigkeiten in der konkreten Feststellung (die übrigens nicht schwerer zu überwinden sind als die oben genannten Schwierigkeiten von Quantifizierungen) bleibt die Unterscheidung zwischen gleicher und ungleicher Erfüllbarkeit im Konzeptionellen in hoher Trennschärfe möglich. Zuzugeben ist freilich, dass auch der hier vorgetragene Vorschlag gegebenenfalls nicht vollkommen ohne Quantifizierungen auskommt. So stellt sich etwa die Frage, wieviele jener Waren, die die Maßnahme nicht oder schlechter erfüllen können, aus dem Ausland stammen. Auf Quantifizierungen kommt es etwa an, wenn nur Teile der Importe das

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Kriterium der mitgliedstaatlichen Maßnahme genauso gut erfüllen können wie einheimische Waren. Hierbei handelt es sich aber jeweils um Quantifizierungen im Rahmen der Berücksichtigung qualitativer Elemente, nicht um Quantifizierungen anstatt der Berücksichtigung qualitativer Elemente. Ohnehin wird es auf derartige Quantifizierungen in den allerseltensten Fällen ankommen. Dem Verfasser schweben insoweit etwa Fälle vor, bei denen es um physische Unterschiede geht (Beisp.: Sonneneinstrahlungsanforderungen im Hinblick auf Früchte, die im Importstaat erfüllt werden, im Exportstaat aber nur in bestimmten Regionen erfüllt werden, in anderen aber nicht; ökonomische Begrenzung der Möglichkeiten eines Transportes der Ware, etwa durch zu hohes Gewicht o.ä.). Die Seltenheit derartiger Fälle wird in der folgenden Analyse der Streitbeilegungspraxis deutlich. Die Wettbewerbsgleichheit in der normativen und faktischen Erfüllbarkeit der mitgliedstaatlichen Maßnahme durch die ausländischen Waren in den Mittelpunkt zu stellen, bringt keine materielle Aufladung des Begriffs der Wettbewerbsgleichheit mit sich. Insbesondere liegt hierin kein Übergang von der für das GATT typischen Gewährleistung formaler Gleichheit zu Formen materieller Gleichheit. Vielmehr wird die Prüfung der Wettbewerbsgleichheit in ihrer formalen Dimension vollständig gewahrt. Denn es geht allein darum, ein sinnvolles Prüfkriterium zu entwickeln, um den Unterschieden zwischen protektionistischer Diskriminierung und anderen (nicht-diskriminierenden) Formen mitgliedstaatlichen Protektionismus gerecht zu werden. Die Annahme einer Diskriminierung wird auf diese Weise zu einer Aussage über das Fehlen von Wettbewerbsgleichheit im Hinblick auf die Erfüllbarkeit einer mitgliedstaatlich niedergelegten normativen Anforderung – nicht mehr, aber auch nicht weniger! Wettbewerblich benachteiligt sind nach diesem Kriterium lediglich jene Waren, die ihren Eigenschaften nach die mitgliedstaatliche Maßnahme nicht in gleicher Weise erfüllen können wie inländische Waren, sei es aus Gründen der normativen Vorgabe der Maßnahme selbst, sei es aus Gründen der faktischen Umstände, auf die die mitgliedstaatliche Maßnahme stößt. Das hier vorgeschlagene Prüfprogramm entspricht den Vorgaben des Berufungsgremiums im Asbestfall vollkommen überein. Nicht nur steht es mit ihnen in Einklang. Auch steht es mit ihnen besser in Einklang als der Vorschlag Ehrings. Zum Nachweis sei an dieser Stelle die relevante Passage noch einmal zitiert. Im Wortlaut heißt es beim Berufungsgremium: „[ . . . ] even if two products are ,like‘, that does not mean that a measure is inconsistent with Article III:4. A complaining Member must still establish that the measure accords to the group of ,like‘ imported products ,less favourable treatment‘ than it accords to the group of ,like‘ domestic products. The term ,less favourable treatment‘ expresses the general principle, in Article III:1, that internal regulations ,should not be applied . . . so as to afford protection to domestic production‘. If there is ,less favourable treatment‘ of the group of ,like‘ imported products, there is, conversely, ,protection‘ of the group of ,like‘ domestic products (Hervorhebung durch das Berufungsgremium).“122

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Das wesentliche Wort ist hier „treatment“ (Behandlung). Die Behandlung einer Ware durch eine abstrakt-generelle Maßnahme hat immer ein normatives und ein faktisches Element der Wirkung. Mit der Aussage des Berufungsgremiums wäre es daher kaum vereinbar, eine Maßnahme mit identischen Anforderungen an in- und ausländische Waren, die von in- und ausländischen Waren zudem in vollkommen gleicher Weise erfüllt werden können, als protektionistisch ungleichbehandelnd unter Art. III GATT zu verstehen, nur, weil sie mehr ausländische als inländische Waren konkret erfasst, vielleicht sogar nur ausländische Waren erfasst (Beisp: 100% aller Waren sind eingeführte Waren123). Denn trotz dieser unterschiedlichen zahlenmäßigen Erfassung behandelt eine solche Maßnahme in- und ausländische Waren sowohl normativ als auch faktisch in vollkommen gleicher Weise. Dass derartige Maßnahmen nach dem Willen des Berufungsgremiums nicht unter Art. III GATT fallen sollen, obwohl sie zahlenmäßig mehr ausländische als inländische Waren erfassen, zeigt bereits der Satz, der unmittelbar im Anschluss an das obige Zitat des Berufungsgremiums folgt: „However, a Member may draw distinctions between products which have been found to be ,like‘, without, for this reason alone, according to the group of ,like‘ imported products ,less favourable treatment‘ than that accorded to the group of ,like‘ domestic products (Hervorhebung durch das Berufungsgremium).“124

c) Die Zielstrukturadäquanz der Streitbeilegung bis zum Asbestfall: Funktional kohärenter Ansatz handelsliberalisierenden Entscheidens unter Art. III GATT Die Streitbeilegungsorgane sind der derart herausgearbeiteten wettbewerbssichernden und zugleich autonomieschützenden Funktion des Art. III GATT entgegen der vielfach geäußerten Kritik bisher weitgehend gerecht geworden. Jene Sachverhalte, die den von den WTO-Organen am Maßstab des Art. III GATT beigelegten Streitfällen zugrundelagen, waren im Lichte des soeben herausgearbeiteten Maßstabs tatsächlich in protektionistischer Weise diskriminierend, während in jenen Fällen, die nach diesem Maßstab nicht diskriminierend waren, regelmäßig kein Verstoß festgestellt wurde. Die Sicherung der Wettbewerbsgleichheit und ihrer Grenzen lassen sich mit der hier herausgearbeiteten Begründung bis in die Anfänge des GATT-Rechts zurückverfolgen. Schon früh wurden die wesentlichen Gesichtspunkte zu den Diskriminierungsverboten des Art. III GATT herausgearbeitet. 122 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 100. 123 Hier läge in jeder Regulierung der Waren eine Diskriminierung, nur weil die Regelung auf weniger inländische als ausländische Waren konkret Anwendung findet (in diesem Fall auf gar keine inländischen Waren). 124 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 100.

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Die wirklich umstrittenen Fälle wurden allerdings überwiegend in den letzten zwei Jahrzehnten entschieden. Der Streit ist dabei unmittelbar mit dem Umstand verbunden, dass GATT-rechtliche Streitfälle mit steigendem Außenhandel und mit der damit verbundenen Interdependenz der Vertragsparteien immer stärker in den Vordergrund des allgemeinen Interesses rücken. Bereits Anfang der neunziger Jahre waren Entscheidungen zu Art. III GATT in hohem Maße ihres rein technischen Charakters beraubt. Fälle wie derjenige zu den US-amerikanischen Maßnahmen zum Delphinschutz beim Thunfischfang etwa (Einzelheiten sogleich) gerieten in das Kreuzfeuer der Öffentlichkeit, ohne dass die Kernelemente der angegriffenen Maßnahme in der Öffentlichkeit wirklich begriffen worden wären. Mit Gründung der WTO hat sich der Trend zu immer mehr Öffentlichkeit und Beachtung fortgesetzt. Konsequenz dessen ist, dass die in den letzten Jahren entschiedenen Fälle viel vehementer – und z.T. mit weniger Sachkunde – kritisiert wurden als die in den frühen Jahren des GATT beigelegten Streitfälle. Die vorgetragene Kritik prallte zudem auf ein System, dessen zunehmende „Verrechtlichung“ in der öffentlichen Wahrnehmung in den Vordergrund rückte, so dass hierüber die noch immer bestehende diplomatische Verwurzelung (nähere Einzelheiten Teil E.I. unten) zunehmend in den Hintergrund trat. Dies führte dazu, dass die ohnehin nicht immer substanzielle Kritik an der Streitbeilegungstätigkeit der Streitbeilegungsorgane unter Zuschreibung einer quasibindenden Wirkung ihrer Entscheidungen vorgetragen wurde – ein Umstand, der den Ton der Auseinandersetzung noch erheblich verschärft hat. Aus Sicht des Verfassers ist die in diesem Zusammenhang erhobene Kritik, jedenfalls soweit sie zu Art. III GATT vorgetragen wurde, weitgehend haltlos. Soweit der Verfasser die bisherige Streitbeilegungspraxis überblickt, wurde das Kriterium der Erfüllbarkeit der Maßnahme bisher in ausnahmslos allen Fällen nachweisbar beachtet, wenn es auch nie als solches gesondert geprüft wurde. An dieser Stelle soll die Beachtung des Kriteriums der Erfüllbarkeit durch die Streitbeilegungspraxis anhand der wichtigsten Fälle nachgewiesen werden. In der Analyse wird sich herausstellen, dass die Streitbeilegungsorgane solche Maßnahmen, die nach dem soeben entwickelten Erfüllbarkeitskriterium diskriminierend waren, tatsächlich unter dem GATT verboten haben, wenn auch nicht immer unter der sachlich richtigen Vorschrift. Damit haben sie die Sicherung echter Wettbewerbsgleichheit effektiv vorangetrieben. Zum anderen aber haben sie nur solche Maßnahmen für GATT-widrig gehalten, die nach dem oben eingeführten Test auch tatsächlich Art. III GATT-widrig waren. Mit anderen Worten: Sie haben sowohl den Gehalt als auch die Grenzen des Art. III GATT beachtet. Damit haben sie, jedenfalls unter Art. III GATT, bei effizienter Sicherung der Wettbewerbsgleichheit zugleich die Autonomie der Mitgliedstaaten soweit wie möglich geschont. Sie haben der Zielstruktur des Art. III GATT damit also weitgehend Genüge getan. Zum Nachweis dieser in beide Richtungen, also in die Richtung des Wettbewerbsschutzes und in die Richtung des Autonomieschutzes, apologisierenden Auffassung sollen die Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane im Folgenden

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analysiert werden. Der Verfasser zeigt, dass die Streitbeilegungsorgane – anders, als die Literatur es fälschlicherweise immer wieder behauptet – in diesem Zusammenhang eine sehr konsistente Streitbeilegungspraxis verfolgt haben. In der Sache entscheiden sie regelmäßig danach, ob ausländische Waren die mitgliedstaatlichen Anforderungen genauso gut erfüllen können wie inländische Waren, freilich ohne dies deutlich zu sagen (Teil C.I.2.c)aa) unten). Im Anschluss hieran soll festgehalten werden, dass die Streitbeilegungsorgane das behandlungsbezogene Merkmal nicht nur, wie die Untersuchung sogleich zeigt, jeweils „je Tatbestand“ konsistent auslegen, sondern heute sogar – sozusagen „nebenher“ – die Grundlagen einer funktionalen Kohärenz der Vorschrift in jeweils allen ihren Verbotstabeständen argumentativ entwickeln (Teil C.I.2.c)bb) unten).

aa) Die Verwirklichung der qualitativen Vorgabe der Erfüllbarkeit in bisher entschiedenen Streitbeilegungsverfahren: Die Zielstrukturadäquanz der Streitbeilegungspraxis Der folgende Überblick wird der Vollständigkeit halber mit jenen Entscheidungen zu beginnen sein, in denen eine Maßnahme für GATT-widrig gehalten wurde, die nach den hier entwickelten Kriterien tatsächlich GATT-widrig war. Denn hierdurch lässt sich nachweisen, dass die Kritik, nach der die Streitbeilegungsorgane hier Marktintegration betrieben (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.c)aa)(1) oben und C.I.1.c)aa)(2) oben), mit Ausnahme der Asbestpanelentscheidung haltlos ist. Jene Maßnahmen, die die Streitbeilegungsorgane für Art. III GATT-widrig gehalten haben, waren (mit Ausnahme der Asbestpanelentscheidung) nach der hier entwickelten richtigen Auslegung tatsächlich in protektionistischer Weise diskriminierend und daher von Art. III GATT tatsächlich verboten (Teil C.I.2.c)aa)(1) unten). In einem zweiten Schritt wird dann zu zeigen sein, dass die Streitbeilegungsorgane unter Art. III GATT tatsächlich nur Wettbewerbsgleichheit sichern, nicht aber in Überdehnung des in Art. III Abs. 1 GATT niedergelegten Antiprotektionismusprinzips hierüber hinaus schießen und eventuellen Begehren einer Besserbehandlung stattgeben. Dieser zweite Schritt ist nicht zuletzt für die Richtigkeit des hier entwickelten Prüfungsprogramm wichtig, weil es die Antwort auf diese letzteren Begehren ist, die die Tragfähigkeit des Prüfprogramms im Hinblick auf die Grenzen des Art. III GATT nachweist. Es gibt nicht viele Entscheidungen, die insoweit den Nachweis zielstrukturadäquaten, d. h. autonomieschützenden Entscheidens möglich machen. Dies liegt aber nicht an der Entscheidungspraxis der Organe selbst, sondern allenfalls an der bis dato großen (neuerdings aber offenbar schwindenden) Zurückhaltung der Mitgliedstaaten, das WTO-Streitbeilegungssystem für ihre marktintegrativen Zwecke zu instrumentalisieren. Trotz ihrer geringen Zahl zeigen die bisher entschiedenen Fälle sehr deutlich, dass die Streitbeilegungsorgane sich intuitiv richtig verhalten, wenn sie mitgliedstaatliche Maßnahmen, die normativ wie faktisch in vollkommen gleicher Weise von ausländischen Waren erfüllbar

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sind wie von vergleichbaren inländischen Waren, nicht für Art. III GATT-widrig erklären (Teil C.I.2.c)aa)(2) unten). (1) Funktionsadäquate Sicherung der Wettbewerbsgleichheit: Die positive Feststellung der GATT-Widrigkeit protektionistisch diskriminierender Maßnahmen durch die Streitbeilegungsorgane Wettbewerbsgleichheit sichern die Streitbeilegungsorgane unter Art. III GATT vor allem dadurch, dass sie Vorenthaltungen dieser Gleichheit effektiv verurteilen. Insoweit sind zwei unterschiedliche Varianten zu unterscheiden. Die erste Variante ist die klassische Variante einer positiven Feststellung eines Verstoßes der mitgliedstaatlichen Maßnahme gegen einen der Verbotstatbestände des Art. III GATT oder seine Äquivalente in den Seitenabkommen, wie etwa Art. 2 TRIMS, Art. 2.3 und 5.5 SPS oder Art. 2.1 TBT, die ihrerseits Verbotstatbestände enthalten, die demjenigen des Art. III Abs. 4 GATT nachgebildet sind, auf diesen verweisen oder jedenfalls dieselbe Funktion erfüllen. Klassisch ist diese Variante hier deshalb, weil nach ihr ein in protektionistischer Weise diskriminierendes Verhalten unter einem Tatbestand geprüft und positiv festgestellt wird, der eigens für die Überprüfung und Feststellung derartigen ungleichbehandelnden Verhaltens geschaffen worden ist. Fast alle Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane zu Verhaltensweisen, die nach dem oben entwickelten Test tatsächlich in protektionistischer Weise diskriminierend sind, gehen, wie sich im Folgenden zeigen wird, diesen (sozusagen natürlichen) Weg der positiven Feststellung eines Verstoßes gegen einen Diskriminierungstatbestand. Daneben besteht aber eine weitere Variante der Sicherung von Wettbewerbsgleichheit, die abgesehen vom unionalen Sardinenfall (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(b) unten) bisher nicht zum Tragen kam, dennoch aber erhebliche prozess- und nachweisökonomische Vorteile hat und für die Zukunft daher von den Mitgliedstaaten zu einem echten „Parallelvorgehen“ ausgebaut werden könnte. Dies ist nämlich der Weg, diskriminierendes Verhalten nicht mehr über einen (dogmatisch relativ komplizierten) Diskriminierungstatbestand zu prüfen, sondern über ein (leichter zu prüfendes) Beschränkungsverbot, wie sie etwa in den Art. 2.2 und 2. 4 TBT oder auch Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS enthalten sind.125 Prüft ein 125 Zu den normativen Vorgaben dieser Vorschriften im Einzelnen Teil C.II.4. Klagen gegen reine Quantänemaßnahmen zählen im weiteren Sinne auch hierzu, vgl. etwa den australischen Lachsfall (Australia – Measures Affecting the Importation of Salmon, WT / DS18), den japanischen Früchtefall (Japan – Measures Affecting Agricultural Products, WT / DS76) und erneut den japanischen Apfelfall (Japan – Measures Affecting the Importation of Apples, WT / DS245). Bei derartigen Maßnahmen handelt es sich allerdings nicht um marktregulative Maßnahmen an sich. Sie werden vielmehr ergriffen, um bestimmte Gefahren, die im Lande nicht bestehen, durch Importe aber drohen, fernzuhalten. Dieser Sachlage entsprechend fallen sie (auch nach der Anmerkung zu Art. III) nicht unter Art. III GATT, sondern unter Art. XI GATT. Im Folgenden werden Entscheidungen über diese Art von Maßnahmen daher unbe-

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Streitbeilegungsorgan eine Maßnahme unter letzteren Vorschriften, so heißt dies noch nicht, dass die Maßnahme nicht diskriminierenden Charakter hätte. Denn protektionistische Diskriminierungen sind immer auch zugleich protektionistische Beschränkungen (eben solche diskriminierender Art), so dass sie immer auch unter ein Beschränkungsverbot fallen. Über die Konsequenzen, die ein solches Prüfverhalten für die Streitkultur in der WTO und die Bedeutung insbesondere der Diskriminierungstatbestände haben kann, wird noch an anderer Stelle zu sprechen sein. Bereits hier soll aber ein Nachweis über jene Fälle geführt werden, in denen eine Vorenthaltung der Wettbewerbsgleichheit durch Feststellung eines Verstoßes gegen ein Beschränkungsverbot sanktioniert wurde. Die Unterscheidungen zwischen beiden Arten der Feststellung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsgleichheit (positive Feststellung eines Verstoßes einer diskriminierenden Maßnahme gegen ein Diskriminierungsverbot des Art. III GATT versus positive Feststellung eines Verstoßes einer solchen Maßnahme gegen ein Beschränkungsverbot der Seitenabkommen) werden im Laufe des folgenden Textes deutlich werden, allerdings weniger in der Gliederung denn im laufenden Text (vgl. etwa die Feststellungen der Streitbeilegungsorgane zum TBT im Sardinenfall, in dem ein Verstoß gegen Art. III GATT nach hiesigem Verständnis vorlag, nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(b) unten). Dabei wird sich zeigen, dass die Streitbeilegungsorgane Wettbewerbsgleichheit tatsächlich als eine Gleichheit in der Erfüllbarkeit der Anforderungen der Maßnahme sichern, und zwar sowohl gegenüber normativen als auch gegenüber faktischen Ungleichbehandlungen. Zur besseren Strukturierung sollen im Folgenden zunächst jene Fälle herausgegriffen werden, die der ersten Modalität der Vorenthaltung der Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit angehören, nämlich der normativen Vorenthaltung der Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit, also jenen Diskriminierungen, die allgemein als de jure-Diskriminierungen bezeichnet werden (Teil C.I.2.c)aa)(1)(a) unten). Im Anschluss wird nachzuweisen sein, dass die Streitbeilegungsorgane bereit sind, Wettbewerbsgleichheit auch in der faktischen Erfüllbarkeit zu gewähren, also insbesondere jenen Diskriminierungen entgegenzutreten, die oben als de facto-Diskriminierungen bezeichnet wurden (Teil C.I.2.c)aa)(1)(b) unten). (a) Positive Feststellung der GATT-Widrigkeit von Maßnahmen, die nach den normativen Vorgaben der Maßnahme von ausländischen Waren un- oder schlechter erfüllbar sind Im Wege der Streitbeilegungspraxis werden bis heute eine große Zahl von de jure-Diskriminierungen angegriffen. Die große Zahl dieser Verfahren lässt die rücksichtigt gelassen. Gleiches gilt für überbindungsmäßige Zollerhebungen, wie etwa im Streitfall Argentina – Certain Measures Affecting Imports of Footwear, Textiles, Apparel and Other Items (WT / DS56). Auch hier hätte aus einem Verstoß gegen den Art. 2 TBT, wäre er nur festgestellt worden, nicht auf eine marktregulativ-diskriminierende Maßnahme rückgeschlossen werden können.

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Vielzahl von de jure-Diskriminierungen von Seiten der Mitgliedstaaten, die aus welchen Gründen auch immer nicht angegriffen werden, nur erahnen. Den Verfasser erstaunt die große Zahl von de jure-Diskriminierungen. Denn das bloße Bestehen von de jure-Diskriminierungen ist ein Indiz dafür, dass die Mitgliedstaaten im konkreten Fall nicht einmal versuchen, ihren Protektionismus zu verstecken (oder dass sie es zwar versuchen, dabei aber erfolglos bleiben). Jedenfalls verdeutlicht die große Zahl angegriffener de jure-Diskriminierungen, dass der Kampf gegen sie mit der Existenz der Diskriminierungsverbote des Art. III GATT noch lange nicht gewonnen ist. Manche der angegriffenen de jure-Diskriminierungen werden von manchen Beobachtern offenbar gar nicht als de jure-Diskriminierungen wahrgenommen, sondern als unterschiedslos geltende Maßnahmen kategorisiert. Dies gilt insbesondere für jene Fälle, die unter dem Namen der product / process-Doktrin bekannt geworden sind. So wurden die in den sogenannten Thunfisch- / Delphinfällen angegriffenen US-amerikanischen Maßnahmen zum Schutz von Delphinen in der Literatur weithin als nicht-diskriminierende Maßnahmen wahrgenommen (dazu sogleich), obwohl sie in ihrem entscheidenden Element den ausländischen Waren gegenüber schon normativ schlechter behandelt wurden als vergleichbare inländische Waren. Ähnliches gilt für den sogenannten Garnelen- / Schildkröten-Fall. Die folgende Überprüfung soll daher mit diesen sogenannten product / process-Konstellationen beginnen [Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(aa)]. Daran anschließend soll – der Vollständigkeit halber – ein Streifzug durch die Vielzahl weiterer de jure-Diskriminierungen folgen, die in den letzten Jahrzehnten Gegenstand der Streitbeilegung waren, um so einen Überblick über den Stand der Streitbeilegungspraxis zu gewinnen. Notwendig erscheint ein solches Vorgehen nicht zuletzt deshalb, weil nur hierdurch deutlich wird, dass entgegen mancher literarischen Beiträge der größte Teil der WTO-Streitbeilegung nur de jure-Diskriminierungen, nicht de facto-Diskriminierungen zum Gegenstand hatte, und dass die Streitbeilegungspraxis zur Sicherung der Wettbewerbsgleichheit insoweit alles in allem sehr effektiv funktioniert [Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(bb)]. (aa) Positive Feststellung der GATT-Widrigkeit über den Weg der sogenannten product / process-Doktrin Bereits in der (nicht angenommenen) ersten Thunfisch / Delphin Entscheidung von 1991, in der die sog. product / process-Doktrin erstmals entwickelt wurde, zeigte sich der de jure-diskriminierende Charakter der angegriffenen Maßnahmen entgegen vieler Stimmen in der Literatur126 besonders deutlich. Die von Mexiko angegriffene US-amerikanische Maßnahme verbot US-amerikanischen Fischerbooten unter anderem den Thunfischfang in internationalen Gewässern, soweit die126 Für nicht-diskriminierend halten die Maßnahme insbesondere Howse, Robert und Donald Regan, The Product / Process-Distinction – An Illusory Basis for Disciplining „Unilateralism“ in Trade Policy, 11 EJIL 2000, S. 249, 250 (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.c)aa)(2) und Teil C.I.3.c)).

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ser den Tod von Delphinen herbeiführte, und erstreckte dieses Verbot auf Importe von ausländischem Thunfisch, dessen Fang den Tod von Delphinen herbeiführte.127 Diese Regel fand ihren Grund darin, dass Delphine und Thunfisch in bestimmten Gegenden vermehrt zusammen auftauchen und daher der Thunfischfang nach herkömmlicher Methode ohne den begleitenden Tod von Delphinen praktisch kaum möglich ist.128 Die Maßnahme erlaubte der US-amerikanischen Fischfangindustrie im Wege der Ausnahme allerdings den Fang von Thunfisch in der Höhe einer bestimmten „Delphin-Todesrate“ von 20.500 Delphinen im Jahr, wobei zum Teil nach Delphinarten differenziert wurde.129 Auch erlaubte die Maßnahme den Import von Thunfisch, der mit der herkömmlichen Methode gefangen worden ist, soweit das Exportland nachwies, dass es über ein der Maßnahme vergleichbares Delphinschutzprogramm verfügte und beim Fischfang im Übrigen durchschnittlich nicht mehr Delphine getötet würden als von US-amerikanischen Thunfischfängern.130 Diese Regel wies einen Aufschlag von 25% gegenüber der inländischen Delphin-Todesrate auf, so dass ausländischer Thunfisch insoweit normativ auf den ersten Blick sogar besser behandelt wurde als inländischer Thunfisch.131 Gleichwohl gelangte die Maßnahme vor ein GATT-panel. Gegenstand der Kritik Mexikos war nämlich, dass die US-amerikanische Thunfischindustrie eine absolute Delphin-Todesrate (eben 20.500 Delphine) zugeteilt bekommen habe (die zudem der tatsächlichen Zahl der von US-Schiffen getöteten Delphinen entspreche), während ausländischer Thunfisch seine „Delphintötungsrate“ nach einer individuellen Quote pro Fang berechnet bekommen habe („average rate of incidental takings of marine mammals per set“), die ihrerseits vom „Tötungsergebnis“ der US-amerikanischen Flotte im selben Fangjahr abhängig war und daher erst rückwirkend nach Ende des Jahres konkret berechnet werden könnte.132 Dies führe dazu, dass die geltenden Delphintodesraten für ausländischen Thunfisch nicht vorhersehbar seien, während sie für US-amerikanischen Thunfischfang genau vorhersehbar seien.133 Aber auch in Zahlen sei der ausländische Thunfisch trotz des auf den ersten 127 Hierzu und zum folgenden United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. August 1991 (nicht angenommen), 30 ILM 1991, S. 1594, Rn. 2.3. ff. Die Entscheidung wurde von Mexiko letztlich wohl aus Gründen der Schlussverhandlungen zwischen Mexiko und den USA über die NAFTA nicht zur Annahme durch die Vertragsparteien gestellt. In diese Richtung jedenfalls Hudec, Robert E., The Product / Process-Doctrin in GATT / WTO-Jurisprudence, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 187, 200. 128 Ibid. Rn. 2.1 f. 129 Ibid., Rn. 2.4. 130 Ibid., Rn. 2.5. 131 Ibid., Rn. 2.6. 132 Ibid., Rn. 3.22. 133 In dem Bericht des Panels wird dieser Kritikpunkt weniger bei der Zusammenfassung der mexikanischen Kritik als in der Zusammenfassung der Intervention Australiens (ibid., Rn. 4.2.) und Venezuelas (ibid., Rn. 4.28 a.E.) deutlich.

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Blick gleichbehandelnden Charakters der Maßnahme gegenüber US-amerikanischem Thunfisch benachteiligt gewesen: Berechne man die US-amerikanische Delphin-Todesrate nämlich nicht nach absoluten Zahlen, sondern in der Relation zu gefangenem Thunfisch, so ergebe sich für den Fang von ausländischem Thunfisch für das Fangjahr 1989 eine Höchstrate von 3,62 getöteten Delphinen pro durchschnittlichem Fang, während sich für den Fang von inländischem Thunfisch eine Höchstrate von 3,89 getöteten Delphinen pro Fang ergebe. Dies führe auch in der Sache trotz des bereits eingerechneten Aufschlags von 25% zu einem strengeren Erfordernis für ausländischen Thunfisch als für inländischen Thunfisch.134 Das panel hat hier bekanntermaßen dahin entschieden, dass die Anmerkung zu Art. III nur solche Maßnahmen erfasse, die die Ware selbst betreffen (sogenannte product / process-Doktrin), dass die im Fall angegegriffene Maßnahme nicht den Thunfisch selbst betreffe, sondern lediglich die Prozesse seiner Herstellung, und dass folgerichtig die angegriffene Maßnahme nicht unter Art. III GATT, sondern unter Art. XI GATT falle, von dem sie verboten sei.135 Diese Überlegungen sind freilich völlig sachfremd.136 Die Kritik hieran ist wiederholt geäußert worden.137 Sie soll hier daher nicht vertieft werden. Lediglich sollen einige Gedanken entfaltet werden, die in der Diskussion bisher etwas zu kurz gekommen sind. Sie betreffen den Hinweis des panels138 auf den 1970 angenommenen Bericht der working party zu der Praxis der Ausfuhrsteuererstattung (border tax adjustment), nach dem Art. III Abs. 2 GATT nur indirekte, d. h. warenbezogene Steuern erfasse, nicht aber direkte Steuern gegenüber Unternehmen, die von der Ware völlig losgelöst seien, wie z. B. Sozialversicherungs- oder Lohnsteuerkosten.139 Es ist zwar richtig, dass, wie es das panel hervorhebt, Art. III Abs. 2 GATT und Art. III Abs. 4 GATT ganz ähnliche Wirkrichtungen haben. Insoweit ist es in methodischer Hinsicht nicht fehlerhaft, dieses Erfordernis der Anknüpfung der mitgliedstaatlichen Steuern an Eigenschaften der Ware selbst auf Art. III Abs. 4 GATT sozusagen auszudehnen. Daher ist auch die Aussage des panels nicht fehlerhaft, dass nur die Anknüpfung Ibid., Rn. 3.23. Die Diskussion des Panels findet sich in ibid., Rn. 5.8 ff. 136 Der Umstand, dass die EG und die Niederlande bereits im zweiten Thunfisch / Delphinfall die product / process-Doktrin ohne ein einziges Wort der Kritik anerkannt haben, kann auch auf strategische Gesichtspunkte zurückzuführen sein, vgl. dazu United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. Juni 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 839, Rn. 3.4. ff. und 3.93. 137 Detaillierter Überblick etwa bei Howse, Robert und Donald Regan, The Product / Process Distinction – An Illusory Basis for Disciplining „Unilateralism“ in Trade Policy, 11 EJIL 2000, S. 249. 138 United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. August 1991 (nicht angenommen), 30 ILM 1991, S. 1594, Rn. 5.13. 139 Working Party Report on Border Tax Adjustments, angenommen am 2. Dezember 1970, BISD 18S / 97, 100 – 101, Rn. 14: „[ . . . ] there was convergence of views to the effect that certain taxes that were not directly levied on products were not eligible for adjustment, [such as] social security charges whether on employers or employees and payroll taxes.“ 134 135

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an Eigenschaften der Ware selbst einen Verstoß nach Art. III GATT begründen könne.140 Dogmatisch fehlerhaft ist aber die auf den Sachverhalt bezogene Feststellung, dass die Relation eines Thunfisches zur Zahl der durch seinen Fang (anteilsmäßig) gestorbenen Delphine keine Eigenschaft des konkret gefangenen Thunfisches im Sinne dieser Doktrin sei: Denn dem konkret gefangenen Thunfisch haftet es unmittelbar an, dass während seines Fanges (freilich zusammen mit anderen Thunfisch) anteilig so und so viele Delphine gestorben sind. Dies ist zwar keine körperliche Eigenschaft, wohl aber eine von der Ware untrennbare (nichtkörperliche) Eigenschaft. Um in den Worten des panels zu sprechen: Entgegen der Wahrnehmung des panels ist der relationale Delphintod „born by the product“, genauso wie es etwa die Nationalität des Schiffes ist, von dem aus die Ware gefangen worden ist. Es ist die Geschichte einer Ware, die sich mit ihr unauflösbar verbindet. Um es an dieser Stelle ganz deutlich zu sagen: Die Übertragung der border tax adjustment-Doktrin auf Art. III Abs. 4 GATT und auch auf die Anmerkung zu Art. III ist nicht notwendig an sich falsch. Dogmatisch falsch ist es aber, wenn man, wie das panel, auch solche Eigenschaften der Ware unter diese Erstreckung fallen lassen will, die zwar unkörperlich sind, dennoch aber von der Ware selbst nicht getrennt werden können. In diesem Sinne war auch die border tax adjustment-Doktrin von der Indirektheit von Steuern nie gemeint. Denn dort ging es um Gesichtspunkte, die tatsächlich von der einzelnen Ware trennbar bzw. von vorneherein getrennt waren. Anders als der Prozess der Herstellung der Ware ist die Sozialversicherungspflicht eines Importeurs einer Ware für seine Angestellten keine Eigenschaft der Ware.141 Diese Kritikpunkte, die allein die Anwendung der product / process-Doktrin, wie sie vom panel entwickelt worden ist, betreffen (also nicht die Doktrin selbst), gehen aber an dem hier eigentlich entscheidenden Gesichtspunkt der Entscheidung noch immer vorbei. Die Kritik trägt im Ergebnis nämlich nur, wenn die Maßnahme, würde sie unter Art. III GATT entschieden, tatsächlich GATT-rechtmäßig wäre. Mit anderen Worten: Der Aufschrei (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.c)aa)(2) oben) gegen die product / process-Doktrin, wie sie das panel hier entwickelt hat (keine Anwendbarkeit der Anmerkung zu Art. III und daher Verbot nach Art. XI GATT), verhallt im Leeren, wenn jene Maßnamen, die von ihr erfasst sein sollen, selbst ohne diese Art der Anwendung der product / process-Doktrin nach Art. III GATT verboten sind. Genau dies aber ist bei der hier angegriffenen Maßnahme interessanterweise der Fall. Es ist nämlich nicht so, dass, wie es von den USA behauptet 140 Im Ergebnis hat eine product / process-Doktrin in diesem Sinne zur Folge, dass nichtsteuerliche Maßnahmen, die tatsächlich nicht in Eigenschaften der Ware anknüpfen, auch nicht unter Art. III Abs. 4 GATT fallen (Beisp.: Kündigungsschutzvorschriften für Betriebe von Importeuren mit mehr als 5 Beschäftigten). Wenn man die border tax adjustment-Doktrin schon auf Art. III Abs. 4 GATT übertragen will, dann ja wohl nur in einem solchen wirklich parallelisierenden Sinne. 141 Im Übrigen ist hier schon die Methode, die „Anwendbarkeit“ („applicability“) der Anmerkung zu Art. III zu prüfen, zweifelhaft, da es in der Sache bereits um eine ausgemachte Gleichartigkeitsprüfung („like product“) im Rahmen dieser Anmerkung geht.

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wurde142, die Maßnahmen gegenüber der einheimischen Fischfangindustrie lediglich auf importierten Thunfisch ausgedehnt worden seien. Zwar machen die angegriffenen Maßnahmen auf den ersten Blick den Eindruck, sie seien gleichbehandelnder Natur. Auch legt der Aufschlag von 25% in der Delphintötungsrate für importierten Thunfisch zunächst den Gedanken sozusagen eines „Pufferaufschlages“ zur Vermeidung einer gegebenenfalls drohenden GATT-Widrigkeit nahe. Auch der Umstand, dass die Auslandsquoten von den tatsächlichen „Delphintötungsergebnissen“ der inländischen Flotte abhängig gemacht worden sind, bringt noch nicht als solcher einen Verstoß gegen Art. III GATT mit sich. Denn eine solche Abhängigkeit kann auch in gleichbehandelnder Weise konstruiert werden, etwa, wenn sie gegenüber den Ergebnissen vom Vorjahr besteht. Dies gilt sogar dann, wenn, wie es vor allem von Venezuela kritisiert wurde143, die aktuelle Tötungsrate auf Null reduziert würde, solange diese nur nicht schlechterbehandelnder Natur ist.144 Die angegriffene Maßnahme brachte aber eine solche Schlechterbehandlung mit sich, und zwar deshalb, weil die Abhängigkeit vom „Tötungsergebnis“ der inländischen Flotte nur für den ausländischen Thunfisch bestand, nicht für den inländischen Thunfisch. Denn die Abhängigkeit bestand hier nicht im Hinblick auf das Vorjahresergebnis (dann hätte sie in gleichbehandelnder Weise umgesetzt werden können. . . ), sondern im Hinblick auf das Ergebnis des aktuellen Jahres. Daraus folgt nicht nur, dass die Abhängigkeit vom tatsächlichen Fangergebnis der inländischen Flotte nur für den ausländischen Thunfisch galt. Es folgt daraus auch, dass die dadurch entstehende Unsicherheit über die geltenden „Delphintötungsraten“ lediglich im Hinblick auf den ausländischen Thunfisch entstand, nicht aber im Hinblick auf den inländischen Thunfisch. In dieser Ungleichbehandlung liegt ein Verstoß gegen Art. III GATT, und zwar nicht im Sinne einer faktischen Schlechterstellung, sondern im Sinne einer normativen Anknüpfung an die Herkunft des Thunfisches: Ausländischer Thunfisch war nach der Maßnahme schon normativ schlechter behandelt als inländischer Thunfisch, da die Quoten für ausländischen Thunfisch (anders als die Quoten für inländischen Thunfisch) variabler Natur waren und zudem erst rückwirkend festgestellt wurden. Das panel hat diesen Gesichtspunkt der Anknüpfung an die Herkunft der Ware hilfsweise auch festgehalten145: Ausländischer Thunfisch konnte die – für ihn jeweils geltenden – US142 United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. August 1991 (nicht angenommen), 30 ILM 1991, S. 1594, Rn. 3.24 ff. 143 Ibid., Rn. 4.28. 144 Insoweit trägt das von Venezuela vorgetragene Argument nicht, dass die US-amerikanische Flotte in Gewässer umgezogen sei, in denen die Nähe zwischen Delphinen und Tuna nicht bestehe und dadurch die Importquote für venezuelanischen (und anderen ausländischen) Thunfisch ebenfalls auf Null reduziert werde. Zwar mag hierin ein klar protektionistisches Handeln liegen. Dieses wird aber nicht durch Diskriminierung erreicht. Denn schließlich kann ja auch die venzuelanische Flotte in diesem Sinne „umziehen“. Anders läge es lediglich dann, wenn die venezuelanische Flotte aus Gründen, für die sie nicht verantwortlich ist und die sie auch nicht ändern kann, nicht „umziehen“ könnte. Dies wäre dann aber nicht ein Fall der de jure-Diskriminierung, sondern der de facto-Diskriminierung.

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amerikanischen Vorgaben schon wegen dieses Unterschiedes schlechter erfüllen als US-amerikanischer Thunfisch die – jeweils für ihn geltenden – Vorschriften erfüllen konnte. Alles in allem wird die Entscheidung der oben herausgearbeiteten Zielstruktur des Art. III GATT daher gerecht. Sie verbietet, wenn auch mit einer unnötig komplizierten Begründung, ein Verhalten, das eindeutig gegen Art. III GATT verstößt. Entgegen den vielfältigen Stimmen in der Literatur (nähere Einzelheiten Teil C. I.1.c) oben) ist die Entscheidung daher nicht in erster Linie wegen ihres Ergebnisses zu kritisieren. Zwar hat das panel fälschlicher Weise einen Verstoß gegen Art. XI GATT statt gegen Art. III GATT festgestellt.146 Dies mag man auch im Ergebnis insoweit kritisieren, als der vom panel festgestellte Verstoß gegen Art. XI GATT über denjenigen gegen Art. III GATT naturgemäß hinausgeht. Nach Art. XI GATT wäre nämlich – läge tatsächlich ein Verstoß vor, wie ihn das panel festgestellt hat – das Embargo als Gesamtmaßnahme GATT-widrig, während unter Art. III GATT richtigerweise nur die hier gerade herausgearbeiteten ungleichbehandelnden Elemente GATT-widrig gewesen waren. Insoweit ist das panel tatsächlich auch im Ergebnis sozusagen über das Ziel hinaus geschossen. Allerdings ist es nur insoweit über das Ziel hinausgeschossen, als es die im Übrigen GATT-widrige Maßnahme auch im Hinblick auf eben jene Elemente für GATT-widrig erklärt hat, die den Art. III GATT gegebenenfalls passiert hätten. Es ist daher schon analytisch nicht richtig, wenn Beobachter vermitteln wollen, dass das panel hier eine an sich GATT-rechtmäßige Maßnahme unter Art. XI GATT für GATT-widrig gehalten hätte. Die Maßnahme war nicht GATT-rechtmäßig, auch wenn sie nicht in jenem Umfang GATT-rechtswidrig war, wie es das panel nach seiner Art. XI GATT-Feststellung vermuten lässt. Abgesehen von diesem Kritikpunkt, der lediglich den Umfang der Feststellungen des panels zur GATT-Widrigkeit betrifft, stört den Verfasser daher nicht so sehr das Endergebnis der Panelentscheidung (GATT-widrigkeit), sondern eher die in gewisser Weise verzerrende Diskussion um die Herleitung dieses Ergebnisses. Hat man über derartige Maßnahmen nach dem GATT zu entscheiden, so muss man zwischen Protektionismus durch Diskriminierung und anderem Protektionismus genau unterscheiden. Selbst das panel scheint in diesem Zusammenhang etwas unklare Vorstellungen zu haben, wenn es in einem beiläufigen Diktum schreibt, dass die Mitgliedstaaten unter Art. III GATT zwar frei in der Auswahl ihrer umweltpolitischer Zielsetzungen seien, dass aus diesem Recht aber auch folge, dass ein Mitgliedstaat Importe nicht allein deshalb beschränken könne, weil der Exportstaat eine andere Umweltpolitik verfolge.147 Diese Aussage trifft in dieser Allgemein145 United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. August 1991 (nicht angenommen), 30 ILM 1991, S. 1594, Rn. 5.15. f. Besonders deutlich wird dieser Gesichtspunkt auch in den Stellungnahmen Australiens (Rn. 4.2.) und Venezuelas (Rn. 4.28.). Er gilt dem Gedanken nach genauso für den Import aus Transitländern („intermediary nation embargo“). 146 Ibid., Rn. 7.1.

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heit nicht zu. Ein Mitgliedstaat kann – jedenfalls unter Art. III GATT – Importe sehr wohl allein deshalb beschränken, weil der Exportstaat eine andere Umweltpolitik verfolgt als er selbst, solange er dies nur in gleichbehandelnder Weise tut. Regulative Diversität als solche ist unter Art. III GATT kein Grund, die Autonomie der Mitgliedstaaten einzuschränken. Insoweit ist dem panel zwar Recht zu geben, soweit es feststellt, dass die Mitgliedstaaten unter Art. III GATT in der Auswahl ihrer umweltpolitischer Zielsetzungen frei seien. Ein Fehlschluss aber ist es, wenn daraus hergeleitet wird, dass ein Mitgliedstaat Importe nicht allein deshalb beschränken könne, weil der Exportstaat eine andere Umweltpolitik verfolge. Im Ergebnis niedergeschlagen hat sich diese Fehlwahrnehmung, wie soeben gezeigt wurde, freilich nicht (oder jedenfalls nur in sehr begrenztem Maße). Die als GATTwidrig festgestellte Maßnahme war in der Tat de jure-diskriminierend und daher wegen Verstoßes gegen Art. III GATT tatsächlich GATT-widrig. Ganz ähnlich lag es in der zweiten US-amerikanischen Thunfisch / Delphin-Entscheidung von 1994. Die Maßnahme wurde diesmal von der EG und den Niederlanden für die niederländischen Antillen angegriffen, und zwar unter anderem unter dem Gesichtspunkt ihrer Geltung für Transitländer („intermediary nations embargo“).148 Ihren klägerischen Interessen entsprechend nahmen die EG und die Niederlande die in der ersten Thunfisch / Delphinentscheidung entwickelten Gedanken zur product / process-Doktrin auf und hielten dementsprechend den Art. XI GATT für anwendbar.149 Im übrigen vertraten sie die Auffassung, dass das Embargo gegenüber Transitländern ungleichbehandelnd im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT und damit auch nach dieser Vorschrift GATT-widrig sei, wenn nur die Anmerkung zu Art. III anwendbar wäre.150 Allerdings gibt das panel die Stellungnahmen der EG und der Niederlande im Hinblick auf das Embargo gegenüber Transitexporten dazu widersprüchlich in genau entgegengesetzter Richtung wieder, nämlich dahin, dass insoweit keine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT vorläge.151 Interessanterweise wird diese Auffassung sogar auch noch mit 147 Ibid., Rn. 6.2.: „As a corollary to these rights, a contracting party may not restrict imports of a product merely because it originates in a country with environmental policies different from its own.“ 148 Zu den Einzelheiten United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. Juni 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 839, Rn. 2.5 ff., 2.12 ff. Kern der Regelung war insoweit, dass der Exportstaat zertifizierte, dass er seinerseits in den dem Export vorangegangenen sechs Monaten keinen Thunfisch importiert hatte, der den Regeln der mitgliedstaatlichen Maßnahme nicht entsprach (Rn. 2.15.). 149 Rn. 3.5 (im Hinblick auf den Transitexport) und Rn. 3.93 (im Hinblick auf den Primärexport). 150 Rn. 3.5 a.E.: „[ . . . ] even if the Note ad Article III were to apply in this case, the intermediary nation embargo measures would not meet the national treatment standard of Article III:4. The total prohibition of imports of yellowfin tuna and tuna products from intermediary countries constituted treatment far less favourable than that accorded to the domestic product, which was affected only by certain fishing regulations, including the setting of a limit on the incidental killing of dolphins (Hervorhebung durch den Verfasser)“.

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einem Hinweis auf den ersten Thunfisch / Delphinfall belegt, obwohl dieser (wie soeben näher diskutiert) – jedenfalls hilfsweise – auf genau das Gegenteil hinwies, nämlich den gerade ungleich behandelndelnden Charakter der Maßnahme (näher s. o.).152 Zudem passt die vom panel insoweit in Bezug genomme Textstelle ohnehin nicht zu dem vom panel beabsichtigten Beleg.153 Insoweit drängt sich der Gedanke auf, dass das zweite Thunfisch / Delphinpanel hier vielleicht die Stellungnahme der EG und der Niederlande fälschlich widergegeben haben könnte. Hierfür spricht auch, dass es keinen sachlichen Grund gibt, das Primärstaatenembargo und das Transitstaatenembargo insoweit unterschiedlich zu beurteilen. Die zweite Thunfisch / Delphin-Entscheidung ist im vorliegenden Zusammenhang vor allem deshalb von wissenschaftlichem Interesse, weil das panel hier das politisch-konzeptionelle Ziel der product / process-Doktrin recht deutlich genannt hat. Es hat nämlich zum Ausdruck gebracht, dass Art. III GATT einen Vergleich zwischen der Behandlung einheimischer Waren und der Behandlung vergleichbarer eingeführter Waren erfordere, nicht einen Vergleich zwischen den regulativen Praktiken des Exportstaates mit jenen des Importstaates.154 Hudec hat diese an sich ja recht selbstverständliche Aussage dahin interpretiert, dass sie die Zurückhaltung der Mitgliedstaaten gegenüber dem Aufbau von Marktzugangsbarrieren aus anderen Gründen als der Qualität einer Ware widerspiegele.155 Diese Interpretation mag im Hinblick auf das tatsächliche Bestehen einer solchen Zurückhaltung richtig sein. Die Aussage spiegelt aus Sicht des Verfassers aber viel mehr wider: Sie spiegelt nämlich wider, dass Art. III GATT regulativen Wettbewerb zulässt, und dass regulative Diversität daher noch nicht als solche unter Art. III GATT verboten ist. Denn andernfalls würde Art. III GATT genau jenen Politikvergleich fordern, von dem das panel sagt, er fordere ihn nicht. So richtig diese Aussage des 151 Ibid., Rn. 3.93: „The EEC and the Netherlands further argued that, even if the United States tuna fishing regulations could be considered as eligible for adjustment at the border, they did not accord treatment no less favourable to the imported product as required in Article III:4 of the General Agreement, for the reasons given in the unadopted report of the panel in United States – Restrictions on imports of tuna (Hervorhebung durch den Verfasser)“. 152 United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. August 1991 (nicht angenommen), 30 ILM 1991, S. 1594, Rn. 5.16. 153 Die in diesem Zusammenhang vom zweiten panel zitierte Textstelle der Tuna Dolphin I- Entscheidung fasst lediglich eine allgemeine und im gegebenen Zusammenhang auch gar nicht passende Stellungnahme Indonesiens zusammen, United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. August 1991 (nicht angenommen), 30 ILM 1991, S. 1594, Rn. 4.15. 154 United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. Juni 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 839, Rn. 5.8: „The Panel noted that Article III calls for a comparison between the treatment accorded to domestic and imported like products, not for a comparison of the policies or practices of the country of origin with those of the country of importation“. 155 Hudec, Robert E., The Product-Process Doctrine in GATT / WTO Jurisprudence, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 187, 202.

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panels als solche ist, so wenig stützt sie die product / process-Doktrin, wie es das panel vermutet.156 Denn Art. III GATT lässt entgegen dem panel auch ohne product / process-Doktrin regulativen Wettbewerb zu: Maßnahmen, die an der Herstellung einer Ware ansetzen, würden ohne product / process-Doktrin zwar (genauso wie übrigens andere Maßnahmen auch, die an der Ware selbst ansetzen) unter Art. III GATT fallen, von diesem aber nicht verboten sein, solange sie nur gleichbehandelnd wären (Beisp: Herstellungs- und Importverbot für Waren, die mit bestimmten Formen der Kinderarbeit hergestellt worden sind). Mit anderen Worten: Es ist nicht die product / process-Doktrin, die, wie es das panel meint, den vom panel in Bezug genommenen regulativen Wettbewerb sichert, sondern das Merkmal der Ungleichbehandlung. Es zeigt sich: Die Anwendung der product / process-Doktrin im Sinne der beiden Thunfisch / Delphinentscheidungen auf zwar nicht-körperliche, wohl aber von der Ware untrennbare Eigenschaften ist nicht nur dogmatisch falsch. Sie ist auch funktional nicht hilfreich. Denn regulativer Wettbewerb lässt sich unter Art. III GATT auch ohne die Doktrin erreichen (und aus Sicht des Verfassers sogar besser erreichen), wenn man nur die Zielstruktur, die Funktion und den Wortlaut des Art. III GATT ernst nimmt: Der Schlüssel hierzu ist das jeweils behandlungsbezogene Merkmal. Konzeptionell macht das behandlungsbezogene Merkmal den Art. III GATT zu einer alles in allem recht einfachen Vorschrift, die derartige „Doktrinen“ wie die product / process-Doktrin nicht braucht, um die richtigen Ergebnisse zu erzielen. Nicht zuletzt zeigt sich dies auch in dem jüngeren US-amerikanischen Garnelen / Schildkröten-Fall. Die von Indien, Pakistan, Malaysia und Thailand angegriffene Regelung (sec. 609 des Endangered Species Act von 1973) erlaubte Importe von Garnelen nur aus solchen Exportstaaten, die ein Schildkrötenschutzregime nachweisen konnten, das demjenigen der Vereinigten Staaten nach bestimmten Kriterien vergleichbar war.157 Nach den die Maßnahme konkretisierenden Richtlinien von 1996 musste dieser Nachweis dann nicht geführt werden, wenn alternativ nachgewiesen werden konnte, dass die konkret eingeführten Garnelen in einer Weise schildkrötenfreundlich gefangen worden waren, die den Regelungen für innerstaatliche Garnelen entsprach.158 Diese Ausnahme von der Notwendigkeit der 156 United States – Restrictions On Imports Of Tuna, Panelbericht vom 16. Juni 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 839, Rn. 5.8 nächster Satz: „The Panel found therefore that the Note ad Article III could only permit the enforcement, at the time or point of importation, of those laws, regulations and requirements that affected or were applied to the imported and domestic products considered as products (Hervorhebung durch den Verfasser)“. 157 Eine Zusammenfassung der wesentlichen Gesichtspunkte der Erstreckung findet sich in United States – Import Prohibition Of Certain Shrimp And Shrimp Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. Oktober 1998, WT / DS58 / AB / R, Rn. 2 ff. Die wesentlichen Kriterien zur Zertifizierung finden sich dort Rn. 3 und 4. Zu den Enzelheiten der Maßnahme im Übrigen United States – Import Prohibition Of Certain Shrimp And Shrimp Products, Panelbericht vom 15. Mai 1998, WT / DS58 / R, Rn. 2.4 ff.

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Zertifizierung des Exportstaates wurde von einem zuständigen US-Gericht allerdings noch im Jahre 1996 für rechtswidrig erklärt, da sie den Anforderungen der gesetzlichen Maßnahme (also der sec. 609 des Endangered Species Act von 1973) nicht entsprochen habe.159 Die gerichtliche Entscheidung wurde in der höheren Instanz zwar ihrerseits aufgehoben. Das Berufungsgremium stellt aber ausdrücklich fest, dass bis zum Ende des WTO-„Erkenntnisverfahrens“ Garnelenimporte aus nicht zertifizierten Herkunftsländern in praxi auch dann ausgeschlossen blieben, wenn sie den materiellen Anforderungen an innerstaatliche Garnelen entsprachen.160 Die klägerischen Parteien griffen die Maßnahme mit der Begründung an, sie verstoße gegen Art. XI GATT. In diesem Zusammenhang begründeten sie nicht näher, warum der Art. XI GATT hier überhaupt anwendbar sein solle, sondern beließen es bei einem bloßen Hinweis auf die vorangegangenen Thunfisch / Delphinfälle und die Ähnlichkeit der diesen beiden Fällen zugrundeliegenden Maßnahmen zu der von ihnen hier angegriffenen Maßnahme.161 In der Tat sind die den Thunfisch / Delphin-Fällen jeweils zugrundeliegenden Sachverhalte und der vorliegend angegriffene Sachverhalt sehr ähnlich, so dass es angesichts der klägerischen Interessen nicht erstaunt, dass die Kläger hier trotz der Nichtannahme der Thunfisch / Delphinfälle diesen Weg gegangen sind (obgleich ein umsichtiger Prozessvertreter an dieser Stelle hilfsweise den diskriminierenden Charakter der Maßnahmen im Sinne des Art. III GATT hätte hervorheben können). Aussagekräftig ist demgegenüber, dass auch die USA, ähnlich wie schon in den Thunfisch / Delphinfällen, trotz ihrer Beklagtenrolle nicht einmal versucht haben, dem Vorwurf des Verstoßes gegenüber Art. XI GATT entgegenzutreten. Statt die Anmerkung zu Art. III anzuführen und auf die Notwendigkeit eines Nachweises einer Schlechterbehandlung im Sinne des Art. III GATT zu dringen, nahmen die USA den Gedanken der product / process-Doktrin in seiner soeben diskutierten Form auf und erkannten einen Verstoß gegen Art. XI GATT an.162 Hudec erklärt die Umstandslosigkeit, mit der die USA hier einen Verstoß gegen Art. XI GATT hinnahmen, allein damit, dass die USA die product / process-Doktrin lange anerkannt hätten und dass sie deswegen nicht von diesem Standard abge158 United States – Import Prohibition Of Certain Shrimp And Shrimp Products, Bericht des Berufungsgremiums 12. Oktober 1998, WT / DS58 / AB / R, Rn. 5: „The 1996 Guidelines provide that all shrimp imported into the United States must be accompanied by a Shrimp Exporter’s Declaration form attesting that the shrimp was harvested either in the waters of a nation currently certified under Section 609 or ,under conditions that do not adversely affect sea turtles‘ (Hervorhebung durch den Verfasser)“. 159 Ibid., Rn. 5; United States – Import Prohibition Of Certain Shrimp And Shrimp Products, Panelbericht vom 15. Mai 1998, WT / DS58 / R, Rn. 2.15. 160 Ibid., Rn. 5. 161 United States – Import Prohibition Of Certain Shrimp And Shrimp Products, Panelbericht vom 15. Mai 1998, WT / DS58 / R, Rn. 3.136 (Indien, Pakistan und Thailand) und Rn. 3.141 (Malaysia). 162 Ibid., Rn. 3.143.

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rückt seien.163 Und in der Tat wirkt dies angesichts der von Hudec zuvor analysierten Streitbeilegungsverfahren (und der in ihnen von den USA vetretenen Auffassungen) auch durchaus stichhaltig. Auf den zweiten Blick aber vermag diese Erklärung nicht wirklich zu überzeugen. Aus Sicht des Verfassers zeigt die Haltung der USA hier nicht, dass sie die product / process-Doktrin anerkannt habe. Sie zeigt lediglich, dass die USA die product / process-Doktrin offenbar dann nicht angreifen, wenn sie es für aussichtslos halten, sich unter Art. III GATT und der Anmerkung zu Art. III zu verteidigen. Denn welcher Mitgliedstaat würde „freiwillig“ auf eine ihm aussichtsreich erscheindende Verteidigung unter Art. III GATT verzichten, nur weil er irgendeine im Text nicht zu verortende und zudem recht unscharf entwickelte Doktrin akzeptiert habe? Kann man den USA wirklich so viel „Weitblick“ unterstellen, dass sie wegen des marktintegrativen Potenzials, das die product / proces-Doktrin in zukünftigen Fällen zugunsten der USA entwickeln könnte, auf eine ihnen im konkreten Streitfall aussichtsreich erscheinende Verteidigungsmöglichkeit zur Gänze verzichteten? Der Verfasser kann sich mit dem Gedanken Hudecs daher nicht anfreunden. Er vertritt die Auffassung, dass ein Staat ein konkretes Streitbeilegungsverfahren konkret gewinnen will. Es kann zwar vorkommen, dass beklagte Mitgliedstaaten ein Streitverfahren verlieren wollen, um auf diese Weise die Hebelwirkung des internationalen Regimes gegenüber der innerstaatlichen Opposition oder jedenfalls gegenüber innerstaatlichen Formen des rent-seeking nutzen zu können. Ein solcher Gedanke ist jedenfalls theoretisch auch naheliegend, versagt in der Realität allerdings oft schon deshalb, weil auch die angegriffene Maßnahme selbst nicht notwendig der Opposition zuzurechen ist. So liegt es auch im vorliegenden Fall. Es ist kaum sinnvoll zu begründen, warum die USA etwa die Rechtfertigungsmöglichkeiten nach Art. XX GATT bemühten, wenn sie den Fall ohnehin hätten verlieren wollen, um auf diese Weise zu einer Verhandlungslösung zu kommen.164 Wenn die USA den Streitfall aber tatsächlich gewinnen wollten, dann macht es keinen Sinn, das Anerkenntnis eines Verstoßes gegen Art. XI GATT (wie Hudec es tut), allein damit zu erklären, dass die USA die product / process-Doktrin anerkannt hätten. Hierin allein kann der Grund nicht liegen. Hätten die USA eine Verteidigungsmöglichkeit nach Art. III GATT gesehen, hätten sie versucht, sie wahrzunehmen. Jede andere Interpretation würde die prozessuale Situation der Streitparteien verzerren. Das Anerkenntnis der USA zu Art. XI GATT hat daher einen anderen Hintergrund als ein bloßes Interesse am marktintegrativen Potenzial der product / process-Doktrin: Es hat den Hintergrund, dass die USA hier offenbar davon ausgin163 Hudec, Robert E., The Product-Process Doctrine in GATT / WTO Jurisprudence, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 187, 217. 164 United States – Import Prohibition Of Certain Shrimp And Shrimp Products, Panelbericht vom 15. Mai 1998, WT / DS58 / R, Rn. 3.145: „There had never been a clearer or more compelling case presented to the WTO for the conservation of an exhaustible natural resource or the protection of animal life or health than this dispute.“

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gen, dass die Voraussetzungen des Art. III Abs. 4 GATT – hielte man ihn nach der Anmerkung zu Art. III hier für anwendbar – tatsächlich vorlagen. Es wird zwar nirgendwo explizit deutlich, dass die USA tatsächlich davon ausgingen, dass die Maßnahme hier im Sinne des Art. III GATT diskriminierenden Charakter gehabt habe. Eine andere Interpretation ist angesichts des Sachverhalts aber kaum plausibel und im Übrigen auch mit der tatsächlichen Rechtslage kaum zu vereinbaren. Denn die zugrundeliegende Maßnahme erfüllte tatsächlich nicht die Voraussetzungen des Art. III GATT. Sie ließ es nach der Entscheidung des US Court of International Trade in ihrer am Ende tatsächlich angewendeten Form nicht etwa (wie ursprünglich vorgesehen) ausreichen, dass eingeführte Garnelen wie us-amerikanische Garnelen in bestimmter Weise schildkrötenfreundlich gefangen worden waren, sondern forderte, dass die Garnelen aus einem Herkunftsland kamen (d. h. von einem Schiff mit der Flagge dieses Herkunftslandes gefangen wurden), das zuvor unter der section 609 von den amerikanischen Behördern zertifiziert worden war165. Dies führte dazu, dass selbst solche Garnelen nicht eingeführt werden durften, die den Anforderungen der US-amerikanischen Gesetze für US-amerikanische Garnelen an sich entsprachen, wenn sie aus einem Herkunftsland stammten, das, wie die klägerischen Mitgliedstaaten, nicht zertifiziert war. In dieser Interpretation ist der Vorwurf mithin nicht derjenige eines Embargos als solchem, sondern derjenige seiner Voraussetzungen: Die Vereinigten Staaten haben hier das Herkunftslandprinzip und damit eine de jure-Diskriminierung eingeführt, die ausländische Garnelen aus nicht zertifizierten Exportstaaten schon normativ schlecher behandelte als inländische Garnelen. Denn derartige Garnelen konnten die US-amerikanischen Anforderungen selbst dann nicht erfüllen, wenn sie ihnen materiell eigentlich entsprachen. Mit anderen Worten: Garnelen aus einem nicht zertifizierten Herkunftsland war selbst dann der Import in die USA versagt, wenn sie (jeweils für sich genommen) den US-amerikanischen Bestimmungen eigentlich entsprachen (Herkunftslandprinzip). Die USA hätten sich hier auch nicht dahin verteidigen können, dass die Voraussetzungen der Anmerkung zu Art. III nicht erfüllt wären (so dass vorliegend nicht Art. XI GATT, sondern Art. III GATT anwendbar gewesen wäre). Denn das Embargo nach section 609 setzte genau dasjenige Ziel hinsichtlich importierten Garnelen um, das nach den weiteren Vorschriften der Maßnahme für einheimische Garnelen umgesetzt wurde. Es war daher eine bloße Erstreckung der innerstaatlichen Maßnahme auf ausländische Garnelen im Zeitpunkt und am Ort der (wenn auch potenziellen) Einfuhr. Allerdings fand diese Erstreckung nach fehlerhaften Regeln statt. Denn die Erstreckung forderte von ausländischen Garnelen (gruppenweise) etwas anderes als von inländischen Garnelen, nämlich die Zertifizierung ihres Herkunftslandes, nicht die Erfüllung der materiellen Vorschriften.

165 Zu den Einzelheiten näher Scott, Joanne, On Kith and Kine (and Crustations): Trade and the Environment in the EU and the WTO, in: Weiler, J.H.H., The EU, the WTO and the NAFTA, Towards a Common Law of International Trade?, Oxford: OUP, 2000, S. 125, 134.

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Trotz der eindeutig bestehenden Diskriminierung in der normativen Anforderung hätten die USA die Panelentscheidung gegebenenfalls nicht hinnehmen müssen. Denn die USA hätten hier durch die richtige Argumentation wider Erwarten gegebenenfalls doch noch die Feststellung einer GATT-widrigkeit vermeiden können. Die USA hätten sich hier nämlich gegebenenfalls darauf zurückziehen können, dass sich die hier festgestellte de jure-Diskriminierung gar nicht auswirke. Voraussetzung dafür wäre freilich gewesen, dass die Garnelen die innerstaatliche Maßnahme auch nach ihren materiellen Regelungen nicht erfüllten. Eine de factoDiskriminierung hätte hierin noch nicht notwendig gelegen. Denn eine faktische Diskriminierung liegt nicht schon dann vor, wenn (identische) Voraussetzungen von ausländischen Waren schlechter erfüllt werden als von vergleichbaren inländischen Waren, sondern erst dann, wenn sie von ausländischen Waren nicht in gleicher Weise erfüllbar sind (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(2) oben). Angesichts der relativen Einfachheit der schildkrötenfreundlichen Technologie166 muss man wohl davon ausgehen, dass die klägerischen Fangflotten diese Technologie genauso gut und einfach hätten nutzen können wie die US-amerikanische Fangflotte (es hätte nur einer Umstellung bedurft – genauso, wie es für die US-amerikanische Fangflotte einer Umstellung bedurft hätte). Für den Nachweis, dass sich die hier festgestellte de jure-Diskriminierung auch tatsächlich auswirke und damit gegen Art. III GATT verstoße, hätten die klägerischen Parteien nach dieser Sichtweise darlegen müssen, dass ihre Garnelen den materiellen inländischen Vorschriften entweder entsprachen oder dass sie ihnen aus Gründen, die in ihrer Herkunft lagen, nicht entsprechen konnten. Die prozedurale Situation der USA war daher nicht so schlecht, wie es die Anerkennung eines Art. XI-Verstoßes durch die USA zunächst vermuten lassen. Denn die klägerischen Parteien trugen zwar in allgemeiner Form vor, dass ihr Garnelenfang schildkrötenfreundlich sei, behaupteten aber nicht, dass er den materiellen Voraussetzungen der innerstaatlichen US-Regelungen genügte. Vielmehr zogen sie sich überwiegend auf ihre traditionelle Fangweise zurück, die auch ohne die geforderten „Turtle Excluder Device (TED)“ schildkrötenfreundlich seien.167 Mit der hier entwickelten Argumentation hätten die USA daher gegebenenfalls eine GATT-widrigkeit vermeiden können, ohne dafür den Art. XX GATT bemühen zu müssen. Freilich hätte es einer Reihe von Feststellungen bedurft, die vorliegend weder das panel noch das Berufungsgremium vorgenommen hat. Der Fall ist nach den vorgetragenen Fakten, wie sie in der Panelentscheidung zusammengestellt sind, daher im Hinblick auf diese letztere Frage nicht endgültig zu entscheiden. Die hier vorgeschlagene Prüfung der angegriffenen Maßnahme unter Art. III GATT wirft freilich ein völlig anderes Licht auf die Rolle des GATT und das Zu166 Zu den Einzelheiten eines „Turtle Excluder Device (TED)„United States – Import Prohibition Of Certain Shrimp And Shrimp Products, Panelbericht vom 15. Mai 1998, WT / DS58 / R, Rn. 2.5. 167 Ibid., Rn. 3.4 ff.

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sammenspiel seiner Art. I, III und XI, als die literarischen Beiträge, die die Entscheidung ihres Ergebnisses wegen kritisieren (nähere Einzelheiten Teil C.I.1. c)aa)(2) oben und C.I.3.c) unten). In der Tat ist es nämlich so, dass die US-amerikanischen Regelungen die ausländischen Garnelenfangindustrien faktisch dazu zwingen, bestimmte Standards, nämlich diejenigen der USA, zu erfüllen. Dieser Zwang besteht zwar nicht in normativer Hinsicht, wohl aber in faktischer Hinsicht. Er ergibt sich aus der relativen Größe des US-Marktes gegenüber den Märkten der Exportländer. Dies wurde nicht zuletzt auch vom Berufungsgremium anerkannt, wenn auch nicht im Rahmen einer Prüfung der Verbotstatbestände, sondern im Rahmen der Prüfung des Art. XX GATT.168 Mit der hier vorgelegten Analyse soll die faktische Wirkung der US-Politik nicht „hinwegdefiniert“ werden. Der Verfasser fragt sich aber, ob es richtig ist, Maßnahmen mit einer derartigen Wirkung gerade unter dem GATT zu verbieten. Der relative Kostenvorteil bildet ein wichtiges und vor allem aus Sicht der weniger entwickelten Staaten unverzichtbares Argument gegenüber einzelstaatlichen Harmonisierungsinteressen, die mächtige Staaten auch heute noch mit dieser Art von Zwang durchsetzen können. Es handelt sich dabei aber letztlich um ein Argument über das handelsbeschränkende Potenzial einer Regelung, nicht aber über ihren diskriminierenden Charakter. In diesem Sinne haben relative Kostenvorteile nur einen begrenzten Platz in der dogmatischen Struktur des Art. III GATT. Die normative Ökonomie des WTO / GATT-Rechts spricht eher für eine Verlagerung derartiger Fälle in die Seitenabkommen, statt einer Judizierung unter dem GATT, jedenfalls, soweit es allein der Kostenvorteil ist, der ausländische Industrien davon abhält, die materiellen Anforderungen anderer Mitgliedstaaten zu erfüllen. Ein dogmatisch richtigerer (wenn auch rechtspolitisch zweifelhafter) Weg liefe daher über die Anwendung der Vorschriften der Seitenabkommen. Sie enthalten echte marktintegrative Ansätze und damit das normative Rüstzeug zur effektiven Bewältigung derartiger Fälle (nähere Einzelheiten Teil C.II. unten). (bb) Positive Feststellung der GATT-Widrigkeit auf sonstigem Wege: Überblick Neben diesen Fällen, in denen de jure-Diskriminierungen zwar nicht als solche geprüft und erkannt worden sind, unter der sogenannten product / process-Doktrin aber trotzdem für GATT-widrig gehalten wurden, findet sich eine ganze Reihe weiterer Entscheidungen in der Streitbeilegungspraxis, nach denen eine de jure Diskriminierung für GATT-widrig gehalten wurde, und zwar ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt der de jure-Diskriminierung. Im US-amerikanischen Bier- und Weinfall etwa wurde eine ganze Reihe von Maßnahmen angegriffen, die an die Herkunft der Ware anknüpften. Überwiegend handelte es sich dabei um Steuererleichterun168 United States – Import Prohibition Of Certain Shrimp And Shrimp Products, Bericht des Berufungsgremiums 12. Oktober 1998, WT / DS58 / AB / R, Rn. 161 ff.

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gen einzelner Bundesstaaten, teils auch der Föderation, die einheimischen Bierund Weinherstellern zugute kamen, nicht aber ausländischem Bier und Wein.169 Die von Kanada angegriffenen Maßnahmen wurden, soweit sie an die Herkunft anknüpften, von dem eingerichteten panel als de jure Diskriminierung angesehen.170 Diese Einschätzung bestand insbesondere im Hinblick auf jene Maßnahmen, nach denen der Steuervorteil sogar selbst unmittelbar an die Herkunft der enthaltenen Waren geknüpft wurde („local content requirements“).171 Dieses Verständnis ist richtig. Denn in derartigen Anknüpfungen ist bereits die erste Modalität des oben entwickelten Tests erfüllt (Ungleichbehandlung durch Unerfüllbarkeit nach der normativen Anforderung). Es ist ein Unterschied, ob eine Maßnahme an ein Merkmal anknüpft, das für inländische wie ausländische Waren gleichermaßen gilt, typischerweise aber von ausländischen Waren in weniger großer Zahl erfüllt wird (Beisp.: geringer oder hoher Alkoholgehalt von Bier), oder ob die Maßnahme schon per se zwischen in- und ausländischen Waren unterscheidet (Beisp: Bier aus den USA). Der Unterschied liegt darin, dass es sich bereits um eine in der Maßnahme selbst normativ vorgegebene Unerfüllbarkeit handelt, die – wäre sie nicht in der Maßnahme selbst angeordnet – im Faktischen keine Entsprechung findet. Echte de jure-Diskriminierungen enthalten ihren diskriminierenden Charakter gerade erst durch die Anordnung unterschiedlicher Erfüllbarkeit! In diesem Lichte bestätigt auch diese Entscheidung die oben vorgetragene These, dass die Streitbeilegungsorgane letztlich Gedanken der Gleichheit in der Erfüllbarkeit für die Prüfung von Maßnahmen heranziehen, jedenfalls aber, dass sich die Entscheidungen in diesem Lichte sinnvoll erklären lassen. Dies bestätigt sich auch in dem bekannten kanadischen Investitionsfall (FIRA). Mit der in diesem Fall angegriffenen Maßnahme knüpfte Kanada ausländische Investitionen an die Anforderung, Waren von kanadischen Lieferanten oder nur Waren kanadischer Herkunft zu kaufen.172 Hierin liegt an sich eine Anknüpfung an die Eigenschaften der Person, nämlich des Investors, nicht an die Eigenschaften 169 Zu den angegriffenen Maßnahmen im Einzelnen United States – Measures Affecting Alcoholic And Malt Beverages, Panelbericht vom 16. März 1992, angenommen am 19. Juni 1992 (DS23 / R – 39S / 206), Rn. 2.7. 170 Zur Begründung im Einzelnen jeweils ibid., Rn. 5.2 ff. (Federal Excise tax differential on beer (kleine Brauereien)), 5.13 ff. (Federal Excise Tax Credit for Wine (kleine Weinhersteller)), Rn. 5.16 (State Excise Tax Differentials Based on Annual Production (jährliche Produktion mit individuellen Mindestmengen)), Rn. 5.18 (State Excise Tax Credits Based on Annual Production (jährliche Produktion mit individuellen Mindestmengen)), Rn. 5.27 (State Tax Credits for Equipment Purchases), Rn. 5.29 (Exemptions of Local Producers from State Requirements to Use Wholesalers (Ausnahme: Kentucky, Rn. 5.36, vgl. dazu conclusion k in Rn. 6.1: no finding of a violation)), Rn. 5.53 (State Licensing Fees, Rn. 5.56 (Local Option Laws)), Rn. 5.58 (Price Affirmation (Maximum Preis Levels)), Rn. 5.61 (State Listing and Delisting Policies). 171 Ibid., Rn. 5.20 (State Excise Tax Rates Based on Origin of Product), Rn. 5.22 (State Excise Tax Treatment Based on Local Ingredients). 172 Canada – Administration Of The Foreign Investment Review Act, Panelbericht vom 25. Juli 1983, angenommen am 7. Februar 1984 (L / 5504 – 30S / 140), Rz. 2.2 ff.

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der Ware. Trotzdem handelt es sich aber um eine de jure-Diskriminierung (Anknüpfung an die Herkunft), jedenfalls dann, wenn man dem panel darin folgt, dass hier überhaupt ein mitgliedstaatliches Handeln im Sinne einer „sonstigen Vorschrift“ (requirement) vorliegt.173 Bei der Anforderung, Waren kandadischer Herkunft zu kaufen („purchase of goods of Canadian origin“), ist dies unmittelbar einleuchtend, da hier unmittelbar an die Herkunft der Ware angeknüpft wird.174 Aber auch bei der Anforderung, von kanadischen Lieferanten zu kaufen („buy from Canadian suppliers“), handelt es sich letztlich um eine de jure-Diskriminierung, weil dadurch nämlich der Direktkauf beim ausländischen Hersteller augeschlossen wird175, der naturgemäß nur im Hinblick auf ausländische Waren denkbar ist. Die Anknüpfung an die Herkunft der Ware liegt mithin darin, dass der (günstige) Direktkauf vom Hersteller bei inländischen Herstellern und damit inländischen Waren möglich ist, bei ausländischen Herstellern / Waren aber nicht. Auch in dem bekannten US-amerikanischen Patentfall von 1989 (Sec. 337) ging es um de jure Diskriminierungen, die sich unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit in der Erfüllbarkeit erklären lassen. In der angegriffenen sec. 337 des United States Tariff Acts von 1930 fanden sich nämlich Regelungen unter anderem zum Patentschutz, die es Patentinhabern leichter machten, ihre Rechte aus dem Patent gegenüber importierten Waren geltend zu machen als gegenüber einheimischen Waren (etwa Wahl des zuständigen Gremiums, sofortige Durchsetzbarkeit usw.). Umgekehrt waren auch die Verteidigungsmöglichkeiten importierter Waren gegenüber vergleichbaren einheimischen Waren in vielerlei Hinsicht beschränkt (kürzere Verteidigungsfristen, Auschluss von Gegenklagen usw.).176 Es wird unmittelbar deutlich, dass durch diese Maßnahmen eingeführte Waren aufgrund ihres Eingeführtseins und damit aufgrund ihrer Herkunft in verfahrensmäßiger Hinsicht schlechter behandelt wurden als inländische Waren. Sie waren mithin schon nach den normativen Vorgaben der Regelung nicht in der Lage, die für inländische Waren geltenden Anforderungen wie inländische Waren zu erfüllen. Im Ergebnis hat das panel daher vollkommen zu Recht eine de jure-Diskriminierung angenommen.177 Eine typische de jure-Diskriminierung lag der Entscheidung über US-amerikanische Maßnahmen über den Import und den Verkauf von Tabakwaren zugrunde. In der angegriffenen Maßnahme forderte der US-amerikanische Gesetzgeber von Zigarettenherstellern, dass sie mindestens 75% inländischen Tabak für die HerstelIbid., Rz. 5.4. Ibid., Rz. 5.8. 175 Ibid., Rz. 5.10. 176 Zu den Regelungen im Einzelnen United States – Section 337 Of The Tariff Act Of 1930, Panelbericht vom 16. Januar 1989, angenommen am 7. November 1989 (L / 6439 – 36S / 345), Rz.2.8. 177 Ibid., Rz. 5.19 f. Berühmt ist der Fall deshalb, weil das panel feststellte, dass gegebenenfalls bestehende Vorteile für importierte Waren diese Nachteile nicht ausgleichen könnten, wenn sie nicht immer („always“), d. h. in jedem einzelnen Fall zu Verfügung stünden, vgl. Rz. 5.16. 173 174

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lung ihrer Zigaretten benutzten (local content requirement), andernfalls Strafzahlungen zu leisten hätten.178 Hierin liegt eine klassische Anknüpfung an die Herkunft der Ware, weshalb das panel auch nicht zögerte, einen Verstoß gegen Art. III Abs. 5 GATT als einer Spezialvorschrift zu Art. III Abs. 4 GATT festzustellen.179 Ein Fall klassischer de jure-Diskriminierung waren auch die dem US-amerikanischen Autofall zugrundeliegenden CAFE-Regulations. Die angegriffene US-Maßnahme bestimmte, dass Hersteller von Autos einen bestimmten Durchschnittshöchstverbrauch der von ihnen veräußerten Autos erreichen, andernfalls Sonderabgaben leisten mussten. Eine Erleichterungsmöglichkeit bestand insoweit, als der Verkauf jener Fahrzeuge, die über diesem Höchstverbrauch lagen (und damit an sich „Strafzahlungen“ generierten), durch den Verkauf von Fahrzeugen „ausgeglichen“ werden konnte, die einen geringeren Verbrauch hatten, so dass in Höhe des Ausgleichs Strafzahlungen verhindert wurden („averaging“).180 Ein derartiger Ausgleich war allerdings nur jeweils innerhalb der einheimischen beziehungsweise importierten „Flotte“ eines Hersteller möglich, nicht aber „über Kreuz“ zwischen einheimischer und importierter Flotte. Dies führte dazu, dass inländische Hochverbrauchautos nur durch Niedrigverbrauchautos aus dem Inland, nicht aus dem Ausland ausgeglichen werden konnten. Hierin sah das panel, dessen Bericht allerdings nicht angenommen wurde, zu Recht eine de jure Diskriminierung gegenüber ausländischen Niedrigverbrauchautos.181 Der tragende Gedanke hierhinter geht dahin, dass inländische Niedrigverbrauchautos schlechtere Chancen haben, von einem Hersteller verkauft zu werden, wenn sie anders als inländische Niedrigverbrauchautos nicht in der Lage sind, gegebenenfalls notwendig werdende „Kompensation“ für inländische Hochverbrauchautos zu liefern. Umgekehrt aber führte diese Trennung auch dazu, dass ausländische Hochverbrauchautos zwar durch ausländische Niedrigverbrauchautos, nicht aber durch inländische Niedrigverbrauchautos ausgeglichen werden konnten. Auch hierin sah das panel eine de jure-Diskriminierung, da dadurch ausländischen Hochverbrauchautos, anders als inländischen Hochverbrauchautos, der Ausgleich durch inländische Niedrigverbrauchautos abgeschnitten war.182 Dass inländische Autos jeweils ebenfalls abgeschnitten waren vom Ausgleich durch ausländische Waren spielt hierbei keine größere Rolle. Denn dieser „Ausgleich“ findet nicht in jedem einzelnen Fall statt, so dass ein Ausgleich hier im Sinne der Sec. 337 Streitbeilegung (s. o.) nicht zum Tragen kommen kann.

178 Einzelheiten United States – Measures Affecting The Importation, Internal Sale And Use Of Tobacco, Panelbericht vom 12. August 1994, angenommen am 4. Oktober 1994, (DS44 / R), Rn. 6 ff. 179 Ibid., 66 ff., 70 ff. 180 United States – Taxes On Automobiles, Panelbericht vom 11. Oktober 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 1399, Rn. 2.14 ff. 181 Ibid., Rn. 5.48. 182 Ibid.

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In dem Verfahren United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline war die Grundregel des US-amerikanischen Clean Air Acts zum Ziel der Verbesserung der Luftqualität für alle Waren dieselbe, namentlich das Erfordernis der Zertifizierung bestimmter Mindestanforderungen im Hinblick auf die Zusammensetzung und die Verbrennungseigenschaften von Öl.183 Allerdings waren die Anforderungen an die Bestimmung dieser Mindeststandards für ausländisches und inländisches Benzin in einem Punkt unterschiedlich. Während nämlich inländische Raffinerien je nach Nachweismöglichkeiten der Qualität früherer raffinierter Ölmengen drei unterschiedliche Methoden zur Bestimmung individueller Referenzdaten benutzen mussten (aus Sicht der Importeure „durften“), mussten Importeure die erste dieser Bestimmungsmöglichkeiten nutzen, andernfalls auf die gesetzlichen Mindestbestimmungen zurückgreifen. Da diese gesetzlichen Bestimmungen zum Teil höhere Mindestwerte vorsahen als die von inländischen Raffinerien zu benutzenden individuellen Werte, wurde Öl ausländischer Herkunft insoweit schlechter behandelt als inländisches Öl.184 Es bedarf keiner tiefgehenden Analyse, dass die vom GATT geforderte Wettbewerbsgleichheit hierdurch bereits in der normativen Anforderung der Maßnahme nicht mehr gewährt wird. Der Verstoß ist in der Tat nur sehr leicht versteckt. Dementsprechend hat auch das panel nur wenige Worte gebraucht, um diese de jure-Diskriminierung festzustellen.185 Aber selbst wenn man hier von einer de facto-Diskriminierung ausgehen will, weil die Maßnahme nicht in der Herkunft des Öls, sondern in der Eigenschaft seines „Einführers“ läge (was dem Fall aber nicht wirklich gerecht würde, da der Einführer selbst nur deshalb Einführer ist, weil er eben ausländisches statt inländisches Öl erwirbt), kann man mit dem vorliegenden Test die Art. III GATT-Widrigkeit unmittelbar feststellen. Sie liegt dann nämlich darin, dass das ausländische Öl die Anforderungen zur „Eröffnung“ der Methode 2 und 3 für die Berechnung einer individuellen Grundlinie nicht erfüllen konnte – aus dem einfachen Grunde nicht, weil es eingeführt worden war und damit für die Berechnung nach diesen beiden weiteren Methoden nicht zur Verfügung stand. Im kanadischen Zeitschriftenfall ging es unter anderem um eine prohibitive (80-prozentige) Verbrauchssteuer auf Zeitschriften, die sowohl in Kanada als auch im Ausland verkauft wurden und einen bestimmten Mindestbestand gemeinsamer Werbung enthielten (sog. „split-run editions“).186 Kern der Steuer war, dass sie auf 183 Zu den Einzelheiten dieser Regeln US – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT / DS2 / R, Bericht des Panels vom 15. Mai 1996, Rn. 2.1 ff.; Zusammenfassung im Bericht des Berufungsgremiums, WT / DS2 / AB / R, angenommen am 20. Mai 1996, S. 2 ff. 184 Der genaue Vorwurf Venezuelas und Brasiliens findet sich zusammengefasst in US – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT / DS2 / R, Bericht des Panels vom 15. Mai 1996, Rn. 6.3. 185 US – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT / DS2 / R, Bericht des Panels vom 15. Mai 1996, Rn. 6.10.

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einheimische Zeitschriften nicht erhoben wurde, weil diese entweder von vornherein mangels parallelen Verkaufs gar nicht unter diese Regelung fielen (sog. „non-split-run editions“) oder weil sie zwar parallel im Ausland verkauft wurden und daher gegebenenfalls an sich „split-run editions“ im Sinne der Maßnahme waren, wegen ihrer kanadischen Herkunft im Rahmen einer befreienden Ausnahmeregelung aber nicht als „split-run edition“ im Sinne der Maßnahme galten.187 Ergebnis dieser Begrenzung war, dass inländische Zeitschriften nicht besteuert wurden (und zwar weder, soweit sie für den Inlandsmarkt, noch, soweit sie für den Export bestimmt waren), während ausländische Zeitschriften prohibitiv besteuert wurden, soweit sie nur die Voraussetzungen einer „split-run edition“ erfüllten. Das panel hat dementsprechend, nachdem es ausländische „split-run“ Zeitschriften und inländische „non split-run“ Zeitschriften für vergleichbar im Sinne des Art. III Abs. 2 S. 1 GATT gehalten hatte188, ohne viel Federlesens eine Schlechterbehandlung im Sinne des Art. III Abs. 2 S. 1 GATT („taxation in excess“) angenommen.189 Das Berufungsgremium hat die Gleichartigkeitsprüfung des panels für fehlerhaft gehalten, insoweit den Panelbericht aufgehoben und die Prüfung im Hinblick auf Art. III Abs. 2 S. 2 GATT fortgesetzt.190 Im vorliegenden Zusammenhang ist nicht diese Fortsetzung der Prüfung an sich interessant.191 Auch ist hier nicht so sehr von Interesse, dass das Berufungsgremium dabei subjektive Aussagen von am Gesetzgebungsverfahren beteiligten individuellen Personen in fehlerhafter Weise berücksichtigt.192 Interessant ist aber, dass das Berufungsgremium die Prüfung der behandlungsbezogenen Merkmale in dasselbe Licht gestellt hat wie das panel. Auch das Berufungsgremium hat nämlich, jedenfalls begrifflich, nicht die Behandlung der Gruppe der einheimischen Waren (aggregiert) mit der Behandlung der Gruppe der substituierbaren ausländischen Waren (aggregiert) verglichen, sondern diejenige von ausländischen „split-run editions“ mit derjenigen von inländischen „non-split-run editions“.193 Damit hat es sich der Panelentscheidung, jedenfalls be186 Zu den Einzelheiten der Maßnahme Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, Panelbericht vom 14. März 1997, WT / DS31 / R, Rn. 2.6 ff., zur Definition von „splitrun editions“ Rn. 2.7. 187 Ibid., Rn. 2.7: „There are two exclusionary provisions. Under the first, the particular edition is not a split-run edition if it is an edition that is primarily circulated outside Canada. In effect, this is an exemption for editions that are distributed in Canada, but are mainly distributed outside Canada.“ 188 Ibid., Rn. 5.22 ff. 189 Ibid., Rn. 5.28 ff. 190 Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, Bericht des Berufungsgremiums vom 30. Juni 1997, WT / DS31 / AB / R, S. 23 ff. 191 Dazu und zum Problem fehlender Zurückverweisungskompetenz etwa Bronckers, Marco und Natalie McNelis, Fact and Law in Pleadings before the WTO Appelate Body, in: Weiss, Friedl (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures, London: Cameron May, 2000, S. 321, 324 ff. 192 Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, Bericht des Berufungsgremiums vom 30. Juni 1997, WT / DS31 / AB / R, S. 28. 193 Ibid., S. 29 ff.

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grifflich, angeschlossen, wenn man einmal von der im Ergebnis hier recht unerheblichen Differenzierung zwischen Art. III Abs. 2 S. 1 GATT und Art. III Abs. 2 S. 2 GATT absieht. Dieses Vorgehen beim Vergleich der Behandlung importierter Waren wurde in der Literatur, insbesondere von Ehring, als verkürzter Test wahrgenommen und mithin als „problematischer Fall“ diskutiert, in dem panel und Berufungsgremium eine de facto-Diskriminierung anhand einer einfachen (nicht aggregierten oder im Ehring’schen Sinne „diagonalen“) Prüfung festgestellt hätten.194 Dieser Einschätzung kann der Verfasser nicht folgen. Es handelt sich schon nicht um eine de factoDiskriminierung, sondern um eine de jure-Diskriminierung.195 Denn, wie oben zusammengefasst, galten die Regelungen nach der Darstellung des panels allein für ausländische „split-run-editions“, während für einheimische Zeitschriften andere Regelungen galten. Nun liegt hierin noch nicht notwendigerweise eine umfassende normative Anknüpfung an die Herkunft von Waren. Denn es gibt ja auch die Möglichkeit, ausländische Zeitschriften zu importieren, ohne den Import im Rahmen einer „split-run edition“ zu organisieren. Derartige Importe sind von der Steuer tatsächlich nicht umfasst. Insofern liegt in der Tat der Gedanke einer de factoDiskriminierung zunächst nahe. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass derartige Importe nur einen minimalen Anteil der Importe ausmachen, und dass sie nur für solche Lesergruppen bestimmt sind, die eine spezifisch ausländische Zeitschrift kaufen wollen. Diese Art von Zeitschriften werden daher von den Lesern aus ganz anderen Gründen gekauft und sind daher schon gar nicht substituierbar geschweige denn vergleichbar im Sinne des Art. III Abs. 2 GATT.196 Dies aber führt dazu, dass alle hier relevanten importierten (wenn wegen der Zollerhebung auch nur hypothetisch importierten) Zeitschriften „split-run“ Zeitschriften sind, so dass alle hier relevanten importierten Zeitschriften wegen der angeordneten Herausnahme inländischer „split-run“ Zeitschriften schon normativ schlechter gestellt waren als alle vergleichbaren inländischen Zeitschriften (de jure-Diskriminierung). Angesichts dieses Umstands der normativen Anknüpfung an die Herkunft können die Entscheidungen daher auch nicht als Problementscheidung bei der Feststellung von de facto-Diskriminierungen wahrgenommen werden. Der diagonale (einfache) Test, den Ehring hier beklagt, ist angesichts dieser Sachlage in Wirklichkeit gar kein „diagonaler“ Test, sondern umfasst in der Tat alle hier relevanten eingeführten Wa194 Ehring, Lothar, De Facto Discrimination in WTO Law: National and Most-FavoredNation Treatment – or Equal Treatment?, 36 JWT 2002, S. 921, 941 f. 195 Eine weitere de jure Diskriminierung fand sich bei den ebenfalls angegriffenen höheren Beförderungsraten für ausländische Zeitschriften durch das zwar privatisierte, wohl aber im Eigentum des kanadischen Staates stehende kanadische Postunternehmen, vgl hierzu Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, Panelbericht vom 14. März 1997, WT / DS31 / R, Rn. 5.33 ff. 196 Dies mag einer der Gründe sein, warum sie schon schon unter den gemeinsamen „terms of reference“ der Streitparteien gar nicht hätten diskutiert werden sollen, vgl. Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, Panelbericht vom 14. März 1997, WT / DS31 / R, Rn. 5.22.

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ren und alle hier relevanten einheimischen Waren. Insoweit ist der in den Entscheidungen vorgenommene Vergleich trotz der „diagonalen Sprache“ des panels und des Berufungsgremium in der Tat ein gruppenweiser (aggregierter) Vergleich, der den Erfordernissen der Asbestprüfung in der Ehring’schen Interpretation in der Sache voll entspricht. Der hier vom panel wie vom Berufungsgremium vorgenommene Vergleich lässt sich aber nicht nur in Ehrings Vorstellungen vom aggregierten Vergleich der Behandlung einpassen, sondern auch in die hier vorgelegte qualitative Prüfung des Vergleichs der Behandlung. Denn der Anküpfungspunkt für die hier von den Organen festgestellte de jure-Diskriminierung ist letztlich, dass die relevanten ausländischen Zeitschriften (eben die ausländischen „split-run editions“) nicht für den kanadischen Markt hergestellt werden können, ohne dabei „split-run edition“ im Sinne der Maßnahme zu sein. Es ist dieser Gesichtspunkt der Unerfüllbarkeit der für innerstaatliche Zeitscheiften geltenden Regelungen durch die vergleichbaren ausländischen Zeitschriften, der den Protektionismusvorwurf substantiiert. Die ausländischen Zeitschriften können der Regelung, die „split-run editions“ besteuert, nicht wirklich entgehen. Insbesondere können sie nicht umwechseln auf den „einfachen“ Import der (dann eben jeweils ausländischen) Edition, da diese in Kanada nicht gelesen werden und daher nicht substituierbar sind. Dieses letztlich wirtschaftliche Argument ist zu unterscheiden von dem allgemeineren wirtschaftlichen Argument, dass sich der Export „einfacher“ Editionen nach Kanada aus andereren Gründen wirtschaftlich nicht lohne. Letzteres Argument würde eine Diskriminierung wegen selbst gewählter „Nichterfüllung“ der Anforderungen und damit ein Verbot nach Art. III GATT ausschließen. Es macht im vorliegenden Fall keinen Sinn, derartig zu argumentieren, da sich eine „einfache“ Edition in der Regel bereits auf dem Heimatmarkt wirtschaftlich lohnt – sonst würde sie als „einfache“ Edition nicht existieren.197 Auch im indonesischen Autofall ging es um eine de jure Diskriminierung. Die angegriffene indonesische Maßnahme gewährte unter anderem Steuer- bzw. Zollvorteile für Automobile in Abhängigkeit an die Verwendung inländischer Produktion.198 In Anknüpfung an die vorangegangene Streitbeilegungspraxis zu soge197 Insoweit unterscheidet sich der Zeitschriftenfall etwa vom Hormonfall. Denn hormonbehandeltes Rindfleisch würde in Märkten gekauft werden, wäre es dort nur nicht verboten. Einfache ausländische Zeitschriften (non-split-runs“) würden demgegenüber im kandischen Markt schon wegen der Marktstrukturen (nicht wegen irgendwelcher Importverbote) nicht oder nur vernachlässigbar gekauft werden. Dies zeigt den unter Art. III GATT relevanten Unterschied zwischen Zeitschriftenmärkten und Rindfleischmärkten: Rindfleischhersteller, die hormonbehandeltes Rindfleisch herstellen, könnten ohne weiteres auch hormonfreies Rindfleisch herstellen, sehen davon aber allein aus wirtschaftlichen Gründen ab. Zeitschriftenhersteller sehen von dem Export einfacher („non-split-run“) Zeitschriften demgegenüber deshalb ab, weil sie im Importland (mit wie ohne Importbeschränkungen) überwiegend einfach nicht gelesen werden. 198 Indonesia – Certain Measures Affecting The Automobile Industry, Panelbericht vom 2. Juli 1998, WT / DS54, 55, 59 und 64 / R, Rn. 2.3 ff.

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nannten local content requirements (s. oben FIRA) hielt das panel die Maßnahme für WTO / GATT-widrig, da dies den Einbau ausländischer Teile in indonesische wie auch ausländische Waren für den indonesischen Markt unattraktiver mache als den Einbau inländischer Teile. Im Einzelnen hat es die Maßnahme zwar an Art. 2 Abs. 2 TRIMs geprüft.199 Die leitenden Gedanken im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des Anhangs 1 a) zum TRIMs entsprechen aber denjenigen des Art. III Abs. 4 GATT. Sie gehen dahin, dass eine Steuervergünstigung, die den Einbau bestimmter Prozentzahlen einheimischer Waren zur Voraussetzung hat, bereits als solche eine Ungleichbehandlung zur Folge hat, auch wenn die Hersteller danach nicht „verpflichtet“, sondern lediglich „berechtigt“ sind, einheimische Waren in ihr Endprodukt zu integrieren.200 Entsprechend der Parallelität von Art. 2 TRIMs und Art. III Abs. 4 GATT hat das panel letztere Vorschrift nach Feststellung eines Verstoßes gegen erstere Vorschrift denn auch nicht mehr geprüft.201 Selbst wenn man diese Maßnahme aber nicht als de jure Diskriminierung ansehen möchte, etwa, weil das local content requirement unterschiedslos formuliert war, ist sie im Sinne des oben entwickelten Tests doch Art. III Abs. 4 GATT-widrig gewesen. Denn local content requirements lassen sich von ausländischen Waren typischerweise eben nicht in eben gleicher Weise erfüllen wie von inländischen Waren: Ausländische Waren sind eben keine inländischen Waren. Aus demselben Grund hat das panel in den einschlägigen Vorschriften der indonesischen Maßnahme daher auch einen Verstoß gegen Art. III Abs. 2 GATT gesehen, und zwar für vergleichbare Waren nach dessen Art. III Abs. 2 S. 1 GATT202, für sonstig miteinander substituierbare Waren nach Art. III Abs. 2 S. 2 GATT203. Ganz ähnlich lag es im kanadischen Automobilindustriefall. Auch hier wurde ein „local content requirement“ angegriffen, an das eine Importzollbefreiung für US-amerikanische Waren entsprechend einem US-amerikanisch / kanadischen Abkommen über bestimmte Einfuhrerleichterungen im Bereich der Automobilindustrie geknüpft wurde.204 Das panel sah entsprechend dem Vortrag der klägerischen Parteien hierin nicht nur einen Verstoß gegen Art. I Abs. 1 GATT, der durch Art. XXIV GATT nicht gerechtfertigt werden konnte205, sondern zugleich einen Verstoß gegen Art. III Abs. 4 GATT. Zur Begründung führte es aus, dass die geforderte nominelle Mehrwertschöpfung durch kanadische Waren erreicht werden konnte, Ibid., Rn. 14.64 ff. Ibid., Rn. 14.90: „We note that the Indonesian producers or assemblers of motor vehicles (or motor vehicle parts) must satisfy the local content targets of the relevant measures in order to take advantage of the customs duty and tax benefits offered by the Government.“ 201 Ibid., Rn. 14.93. 202 Ibid., Rn. 14.104 ff. 203 Ibid., Rn. 14.115 ff. 204 Zu den Einzelheiten der Maßnahme Canada – Certain Measures Affecting the Automotive Industry, Panelbericht vom 11. Februar 2000, WT / DS139 und 142 / R, Rn. 2.1 ff. und Zusammenfassung in Rn. 10.1. 205 Ibid., Rn. 10.14 ff. 199 200

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nicht aber durch importierte Waren.206 Hierin sah das panel eine bereits normativ angelegte Vorenthaltung der Wettbewerbsgleichheit ausländischer Waren – zu Recht, denn für diese war das „content requirement“ – eben weil es lokaler Art war – bereits nach den normativen Vorgaben nicht erfüllbar. Es ist letztlich dieser Gesichtspunkt der (schon normativen) Unerfüllbarkeit der Anforderungen für die Importzollbefreiung hinsichtlich der Gesamtware, der den Protektionismusvorwurf hier substantiiert (de jure-Diskriminierung). Daran ändert auch nichts, dass die geforderte Wertschöpfung, wie Kanada angeführt hatte207, nicht notwendigerweise durch einheimische Waren oder Teile von Waren erreicht werden müsse, sondern auch durch sonstige kanadischen Mehrwertschöpfung erreicht werden könne, etwa „kanadische Arbeit“. Denn die Schlechterstellung ausländischer Waren gegenüber inländischen Waren wird hierdurch nicht aufgehoben: Sie liegt in der Vorenthaltung einer Möglichkeit zur Wertschöpfung, die inländischen Waren offen stand, ausländischen Waren aber eben nicht. Die Argumentation des panels wurde von Kanada insoweit denn auch nicht angegriffen, weshalb sie nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens wurde.208 Eine etwas andere Variante sogenannter „local content requirements“ wurde im indischen Automobilindustriefall zum Gegenstand eines Streitverfahrens gemacht. Angegriffen wurde hier unter anderem eine Maßnahme, nach der für die Vergabe von Importlizenzen, deren Erwerb aus zahlungsbilanzbezogenen Gründen nach indischem Recht eine Voraussetzung für die Einfuhr von Teilen von Automobilen und deren Ausstattung war, gefordert wurde, dass innerhalb einer bestimmten Frist ein bestimmter Mindestgehalt einheimischer Teile in die eigene Herstellung von Automobilen fließen sollte („indigenization“ condition).209 Hierin sah das panel, nachdem es sich angesichts vorangegangener Verfahren zu den allgemeinen Zügen der zahlungsbilanzbezogenen Handelsbeschränkungen Indiens210 ausgiebig mit seiner Zuständigkeit beschäftigt hatte211, einen Verstoß gegen Art. III Abs. 4 206 Die entscheidende Stelle findet sich in ibid., Rn. 10.81 f. Interessant ist dieser Fall unter anderem deshalb, weil sie hier ein Drittstaat über das GATT nicht nur erfolgreich in die Vorzüge eines regionalen Freihandelsabkommens „hineingeklagt“ hat, sondern darüberhinaus auch die auch in diesem Rahmen noch bestehenden Handelsresriktionen überwunden hat. Hier ging das GATT also weiter als das regionale Integrationsabkommen. 207 Zusammenfassung in ibid., Rn. 10.77. 208 Canada – Certain Measures Affecting the Automotive Industry, Bericht des Berufungsgremiums vom 31. Mai 2000, WT / DS139 und 142 / AB / R, Rn. 15. 209 Einzelheiten zum Lizenzsystem und die im Zusammenhang hiermit stehenden früheren WTO-Streibeilegungsverfahren India – Measures Affecting the Automotive Sector, Panelbericht vom 21. Dezember 2001, WT / DS146 und 175 / R, Rn. 2.1 ff., zum sogenannten „indigenization-requirement“ Rn. 2.4 ff. 210 Dazu India – Quantitative Restrictions (complaint by the United States) (WT / DS90), and India - Quantitative Restrictions on Imports of Agricultural, Textile and Industrial Products (complaint by the European Communities) (WT / DS96). 211 India – Measures Affecting the Automotive Sector, Panelbericht vom 21. Dezember 2001, WT / DS146 und 175 / R, Rn. 7.5. bis 7.150.

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GATT.212 Im Hinblick auf das behandlungsbezogene Merkmal der Schlechterbehandlung war dabei der zentrale Gesichtspunkt, dass indische Hersteller von Automobilen inländische Teile kaufen mussten, um die „indigenization“ condition zu erfüllen, also die Voraussetzung dafür, um seinerseits wiederum überhaupt irgendwelche einzubauenden Teile einführen zu können. Hierin sah das panel zu Recht eine Vorenthaltung der Wettbewerbsgleichheit ausländischer Teile für Autos und ihre Ausstattung.213 Auch hier handelte es sich – es bedarf dafür keiner weiteren Erklärung mehr – um ein Erfordernis, das ausländische Waren schon normativ wegen ihrer Herkunft nicht erfüllen konnten (de jure-Diskriminierung). Ganz ähnlich ist es bei dem weiteren Kriterium, im Rahmen des von der indischen Maßnahme geforderten Ausgleichs der individuellen „Handelsbilanz“ eines Importeurs / Herstellers („trade balancing“ condition)214 auch solche Waren als „importierte“ Waren zu zählen, die zwar im einheimischen Markt gekauft, zuvor aber von einer dritten Person importiert worden waren.215 Denn diese Waren waren sogar nach dem Zweck der Maßnahme selbst (Stabilisierung der indischen Zahlungsbislanz) an sich bereits einheimische Waren, denn der tatsächliche Importeur (indischer Erstkäufer) hatte die Importe ja bereits in seine eigene individuelle „Handelsbilanz“ einrechnen müssen. Die dadurch entstehende Doppelung auf der negativen Seite der Summe der individuellen „Handelsbilanzen“ führte mithin schon normativ zu einer wettbewerblichen Schlechterstellung einheimisch eingekaufter Waren ausländischer Herkunft gegenüber einheimisch eingekauften Waren heimischer Herkunft, die durch eine Änderung der Ware nicht hätte ausgeglichen werden können (de jure-Diskriminierung durch normativ angelegte Unerfüllbarkeit der für inländische Waren geltenden Regel). Eine de jure-Diskriminierung wurde auch im argentinischen Lederfall zum Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens gemacht. Die von der Union angegriffene Maßnahme besteuerte ausländische und inländische Lederendprodukte nach zum Teil unterschiedlichen Methoden.216 Gegenstand der unionalen Angriffe war neben offen höheren Steuern auf importierte Waren ein bestimmter Vorsteuerabzug für importierte Waren zum Zeitpunkt des Imports, der in vergleichbarer Weise beim Kauf inländischer Lederwaren nicht angeordnet wurde. Dies führte dazu, dass ausländische Waren mit dem Zinsnachteil, der mit dem Vorsteuerabzug verIbid., Rn. 7.169 ff. Ibid., Rn. 7.201 f. 214 Im Einzelnen forderte die „trade balancing“ condition, dass ein individueller Hersteller wertmäßig alles in allem genau so viele Automobile oder Automobilteile exportieren müsse wie er importierte, vgl. das Erfordernis unter Punkt (dd) der Maßnahme in ibid., Rn. 2.5. Zu Recht sah das panel hierin einen auch durch die Zahlungsbilanzvorschriften des GATT nicht gerechtfertigten Verstoß gegen Art. XI GATT, vgl. ibid., Rn. 7.245 bis 7.294. 215 Ibid., Rn. 7.298 ff. 216 Zu den vielfältigen Einzelheiten der Maßnahme Argentina – Measures Affecting The Export Of Bovine Hides And The Import Of Finished Leather, Panelbericht vom 19. Dezember 2000, WT / DS155 / R, Rn. 6.1 ff. 212 213

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bunden war, belastet wurden, vergleichbare inländische Waren mit einem vergleichbaren Zinsnachteil aber nicht belastet wurden. Die Union sah hierin einen Verstoß gegen Art. III Abs. 2 S. 1 GATT.217 Das panel folgte dieser Argumentation und lehnte in diesem Zusammenhang insbesondere das Argument Argentiniens218 ab, dass Zinsnachteile keine „Abgaben“ im Sinne des Art. III Abs. 2 S. 1 GATT seien.219 Damit erkannte das panel hier eine normative Schlechterstellung ausländischer Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren an (de jure-Diskriminierung). Die Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals ist in diesem Fall besonders interessant, weil das panel in Auseinandersetzung mit der einschlägigen Entscheidung des Berufungsgremiums im zweiten japanischen Alkoholfall (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)aa) oben) zu der Schlussfolgerung gelangte, dass Art. III Abs. 2 S. 1 GATT keine gesonderte Prüfung einer schützenden Anwendung der Maßnahme verlange.220 Wer im Lichte der Überlegungen Ehrings (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(1) oben) daraus allerdings schließt, dass das panel hier einen einfachen („diagonalen“) Test angewendet hätte, geht in dieser Einschätzung fehl: In der Sache hat das panel hier – dem Umstand einer normativen Anknüpfung an die Herkunft völlig angemessen – die Gruppe der eingeführten Waren in ihrer Gesamtheit betrachtet und mit der Gruppe der einheimischen Waren in ihrer Gesamtheit verglichen.221 Im koreanischen Fleischfall schließlich ging es um ein nach Importen und einheimischen Waren unterscheidendes „zweispuriges“ Einzelhandelssystem, das unter anderem auf Rindfleisch Anwendung fand. Die von den USA angegriffene Maßnahme bestand im Wesentlichen darin, die Einzelhandelsunternehmen vor die (wenn auch freie) Wahl zu stellen, entweder nur einheimisches oder nur ausländisches Fleisch zu verkaufen, wobei die einmal getroffene Entscheidung eines Einzelhändlers diesen mittelfristig festlegte.222 Das panel sah hierin einen Verstoß gegen Art. III GATT, den es im Hinblick auf die Details der Maßnahme wegen der jeweiligen Anknüpfung an die Herkunft (duales System, Notwendigkeit zur Kennzeichnung eines „Importegeschäfts“) als de jure-Diskriminierung einstufte.223 Das Berufungsgremium hat hierzu die Auffassung vertreten, dass nicht schon jede normative Anknüpfung an die Herkunft als solche eine Schlechterbehandlung impliziere.224 Zur Begründung führte das Berufungsgremium an, dass normative Ungleichbehandlungen nicht notwendig in tatsächlichen Schlechterbehandlungen Einzelheiten ibid., Rn. 8.100 ff. Ibid., Rn. 11.180. 219 Ibid., 11.185 ff. 220 Ibid., Rn. 11.128 bis 11.138. 221 Vgl. die Prüfung in ibid., Rn. 11.174 ff. 222 Zu den Einzelheiten der Maßnahme Korea – Measures Affecting Imports Of Fresh,Chilled And Frozen Beef, Panelbericht vom 31. Juli 2000, Rn. 14 ff. 223 Ibid., Rn. 630 ff., 641. 224 Korea – Measures Affecting Imports Of Fresh, Chilled And Frozen Beef, Bericht des Berufungsgremiums vom 11. Dezember 2000, WT / DS161 und 169 / AB / R, Rn. 136, 144. 217 218

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münden müssen, d. h. in einer Vorenthaltung materieller Wettbewerbsgleichheit.225 Und in der Tat endet eine de jure-Ungleichbehandlung noch nicht notwendigerweise in einer Schlechterstellung. Vielmehr gibt es Fälle, in denen die Wettbewerbsgleichheit trotz der Geltung unterschiedlicher Regelungen für in- und ausländische Waren gewahrt bleibt. Der Verfasser hat diese Möglichkeit bereits im Hinblick auf den US-amerikanischen Garnelen / Schildkrötenfall angedeutet, in dem nach seiner Analyse unter bestimmten Voraussetzungen eine de jure-Diskriminierung ebenfalls durch faktische Verhältnisse hätte „neutralisiert“ werden können (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(aa) oben). Die Vorenthaltung der Wettbewerbsgleichheit wurde im Garnelen / Schildkrötenfall allerdings weder vom panel noch vom Berufungsgremium näher diskutiert. Anders lag es im koreanischen Fleischfall, in dem sich das Berufungsgremium insbesondere mit den Gründen auseinandergesetzt hat, die zu einer tatsächlichen Schlechterstellung führten: Nach Ansicht des Berufungsgremium lag die Schlechterstellung vor allem in dem nachweisbaren „Abschneiden“ („cut off“) des Marktzugangs ausländischen Rindfleisches durch die Einführung des dualen Systems, das eine erhebliche Reduzierung des zuvor bestehenden Marktanteils ausländischen Fleisches zur Folge hatte. Hieraus schloss das Berufungsgremium eine Verschlechterung der wettbewerblichen Stellung.226 Diese Argumentation lässt sich in das hier vorgetragene Schema der normativ / faktischen Erfüllbarkeit zwanglos einpassen. Der Sache nach handelte es sich danach nämlich um eine Regelung, die für den Verkauf inländischen Fleisches anwendbar war (Möglichkeit zum Verkauf inländischen Fleisches, keine Kennzeichnungspflicht), für denjenigen ausländischen Fleisches aber nicht227, somit schon normativ für ausländisches Fleisch nicht erfüllbar war und dadurch im Zusammenspiel mit weiteren Umständen einen tatsächlichen (faktischen) Wettbewerbsnachteil ausländischer Waren schaffte. Exkurs: Eine de jure Diskriminierung liegt wohl auch dem Antrag Brasiliens auf Errichtung eines panels wegen einer Bestimmung des US-Staats Florida über die Erhebung einer Ausgleichssteuer auf importierte sekundäre Orangen und Grapefruite-Waren („Equalizing Excise Tax“) zugrunde. Der Antrag Brasiliens weist darauf hin, dass diese Steuer für Importe aus anderen Staaten der USA nicht erhoben werde, und sieht hierin einen Verstoß gegen Art. III Abs. 2 und 1 GATT.228 Wenn die Maßnahme tatsächlich in dieser Form gilt, wird sie als de jure-Diskriminierung gegen Art. III Abs. 2 GATT verstoßen. Die Entscheidung des panels über diese Maßnahme steht noch aus. Angesichts der deutlichen Anknüpfung der Maßnahme Ibid. Ibid., Rn. 142 ff., 145. 227 Dieser Gedanke wird bereits in der Panelentscheidung angedeutet, in der das panel hervorhebt, dass es unter Art. III GATT nicht um mögliche Schlechterbehandlungen des inländischen Fleisches gegenüber dem ausländischen Fleisch gehe, vgl. Korea – Measures Affecting Imports Of Fresh,Chilled And Frozen Beef, Panelbericht vom 31. Juli 2000, Rn. 630. 228 United States – Equalizing Excise Tax Imposed by Florida on Processed Orange and Grapefruit Products, Antrag Brasiliens vom 16. August 2002, WT / DS250 / 2. 225 226

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an die Herkunft steht aber zu erwarten, dass die Maßnahme für Art. III GATT-widrig gehalten werden wird. Der vorläufig letzte Fall einer de jure-Diskriminierung liegt schließlich dem jüngsten Antrag der USA gegen ein Maßnahme Chinas zugrunde, mittels derer eine Mehrwertsteuer auf integrierte Schaltkreise an inländische Hersteller zurückgezahlt wurde, ohne die Rückzahlung in gleicher Weise auch ausländischen Herstellern zu gewähren.229 Nach Ansicht des Verfassers handelt es sich hierbei um einen geradezu klassischen Fall einer de jure-Diskriminierung, weil hier in unmittelbarer Anknüpfung an die Herkunft auf ausländische Waren effektiv höhere Steuern erhoben werden als auf inländische Waren. (b) Positive Feststellung der GATT-Widrigkeit von Maßnahmen, die nach den faktischen Verhältnissen von ausländischen Waren un- oder schlechter erfüllbar sind Der bisherige Überblick zeigt, dass die Streitbeilegungsorgane bereit sind, Regelungen, die ihre normativen Anforderungen an die Herkunft knüpfen und dadurch in diskriminierender Weise protektionistische Wirkungen entfalten, für Art. III GATT-widrig zu erklären. Unter das oben vorgetragene normativ / faktische Prüfungsprogramm der Streitbeilegungsorgane fallen aber auch solche Maßnahmen, die zwar nicht unmittelbar an die Herkunft einer Ware anknüpfen, dennnoch aber zu einer wettbewerblichen Schlechterstellung führen. Die wettbewerbliche Schlechterstellung ausländischer Waren entsteht in diesem Fall nicht durch eine normative Anknüpfung an die Herkunft der Ware, sondern allein durch die faktischen Verhältnisse, auf die die Maßnahme stößt (beziehungsweise auf die hin sie geformt wurde). Derartige de facto-Diskriminierungen werden in der Literatur als die Problemzone des Art. III GATT in der Abwägung zwischen Autonomieschutz und Antiprotektionismus angesehen. Und in der Tat sind es derartige de facto-Diskriminierungen, die die Konkretisierung der Grenzen des Art. III GATT notwendig machen. Sie sind sozusagen der Grund für allen Streit. Entgegen den vielfältigen Meinungen in der Literatur (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.c) oben) vertritt der Verfasser entsprechend dem hier entwickelten qualitativen Prüfungsprogramm nach der normativ / faktischen Gleichheit in der Erfüllbarkeit die Auffassung, dass die Streitbeilegungsorgane die Grenzen des Art. III GATT weitgehend zielstrukturadäquat gezogen haben. Interessanterweise gibt es nur äußerst wenige Fälle, in denen eine de facto-Diskriminierung unter Art. III GATT positiv festgestellt worden ist. Mit Ausnahme der Asbestpanelentscheidung, die einen Verstoß gegen Art. III GATT feststellte, obwohl dessen Voraussetzungen nach dem hier identifizierten Prüfungsprogramm an sich gar nicht vorlagen230, waren die von der Streitbeile229 China – Value-Added Tax On Integrated Circuits, Konsultationsantrag der USA vom 23. März 2004, WT / DS309 / 1. 230 Sie soll daher erst im Folgeabschnitt behandelt werden (Teil C.I.2.c)aa)(2)(c)).

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gung insoweit positiv festgestellten de facto-Diskriminierungen auch tatsächlich wettbewerbliche Schlechterstellungen ausländischer Waren, wie sich im folgenden Überblick zeigt: Bisher sind von den Streitbeilegungsorganen überwiegend Maßnahmen der progressiven Besteuerung als de facto-Diskriminierung anerkannt worden. Dazu gehören insbesondere die sogenannten Alkoholfälle: Das japanische System zur Besteuerung von alkoholischen Getränken etwa wurde erstmals im Juli 1986 vor den GATT-Streitbeilegungsmechanismus getragen. Die Europäischen Gemeinschaften beklagten sich dort insbesondere über die unterschiedliche Besteuerung zwischen verschiedenen destillierten alkoholischen Getränken im Rahmen von Warenklassifizierungen, wie z. B. Soshu, Brantweinen (Whisky / Brandy) und Spirituosen (Vodka, Gin, Rum usw.).231 Die Besteuerung ergab sich unter anderem entsprechend der Qualität der Getränke.232 Die einzelnen Regeln waren dabei unbestrittenerweise unterschiedslos anwendbar, da sie in der Zusammensetzung und Qualität des Getränkes ansetzten und nicht in seiner Herkunft. Die Maßnahme führte allerdings dazu, dass gerade Soshu als geringerwertiges alkoholisches Getränk behandelt und dadurch im Ergebnis niedriger besteuert wurde als die meisten (als höherwertig eingestuften) ausländischen Spirituosen. Im Ergebnis ging das panel daher, nachdem es die Gleichartigkeit der Waren festgestellt hatte233, davon aus, dass die ausländischen Getränke ganz überwiegend höher besteuert wurden als die inländischen Getränke und sah hierin einen Verstoß gegen Art. III Abs. 2 GATT, teilweise schon nach seinem Satz 1234, teilweise auch nach seinem Satz 2.235 Die zum Teil sehr technischen Unterscheidungen, die das panel im Hinblick auf Satz 1 und 2 des Art. III Abs. 2 GATT vorgenommen hat, sollen an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Festgehalten werden soll hier lediglich, dass das panel entsprechend dem vom Verfasser oben aufgestellten Kriterium der Erfüllbarkeit entschieden hat, freilich ohne hierüber ein einziges Wort zu verlieren. Denn der leitende Gedanke in diesem Fall ist, dass Whisky und Brandy genauso wie Gin, Vodka oder Rum gerade wegen derjenigen Qualitätsmerkmale, an die die Maßnahme angeknüpfte, Whisky, Brandy, Gin, Vodka oder Rum waren. Die Merkmale, die die japanische Regelung im Hinblick auf Qualität und Zusammensetzung der Getränke aufgestellt hat, waren sozusagen typenkonstituierende Merkmale. Beachtete man sie nicht, stellte man ein Getränk her, dass zwar gegebenenfalls den Anforderungen, die an die Besteuerung von Soshu gestellt wurden, erfüllten, dafür aber nicht mehr dem traditionellen Typus des herzustellenden Getränkes entspra231 Einzelheiten zu den Unterscheidungen Japan – Customs Duties, Taxes And Labelling Practices On Imported Wines And Alcoholic Beverages, Panelbericht vom 13. Oktober 1987, angenommen am 10. November 1987 (L / 6216 – 34S / 83), Rz. 2.3 ff. 232 Genaue Darstellung in ibid. Rn. 3.10. 233 Ibid., Rn. 5.6 f. 234 Ibid., Rn. 5.9. 235 Ibid., Rn. 5.10.

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chen. Ein Hersteller kann zwar guten und schlechten Whisky, Rum, Gin oder Vodka herstellen. Er kann entsprechende „Billiggetränke“ aber eben nur im Rahmen der das jeweilige Getränk typischerweise bestimmenden Merkmale herstellen. Ein Hersteller von Whisky oder Brandy konnte daher nicht einfach seine Strategie ändern und mithin nur noch solchen Whisky oder Brandy herstellen, der den Anforderungen entsprach, die an die günstige Besteuerung geknüpft waren. Denn er hätte zwar gegebenenfalls ein solches Getränk herstellen können. Das hergestellte Getränk wäre dann aber kein Whisky oder Brandy oder Rum mehr gewesen, sondern eben etwas sachlich anderes.236 Es ist mithin der Gedanke der fehlenden Erfüllbarkeit der Anforderungen, der hinter der Argumentation des panels steht. Leitend ist insoweit der Gedanke, dass die ausländischen Getränkehersteller ihre destilierten Getränke nicht einfach in jener Weise herstellen konnten, wie es die mitgliedstaatliche Regelung verlangte, um in den Vorzug der geringen Besteuerung zu gelangen, sondern eben so, wie es die traditionellen (rechtlichen) Regeln verlangen. Wie detailliert diese traditionellen Regelungen sind, zeigt sich schon etwa in einem Blick auf die heimatlichen Anforderungen zur Herstellung alkoholischer Getränke. In der Union etwa werden an die Herstellung solcher Getränke nicht weniger als 14 Anforderungen gestellt.237 Genauso liegt es im Importstaat Japan, wo das Lebensmittelrecht, an dessen Unterscheidungen das Steuerrecht anknüpft, genaue Vorgaben über die Identität – und Unterschiedlichkeit – von Soshu, Whisky, Brandy, Gin, Vodka oder Rum stellt.238 Die Hersteller bewegen sich daher in einem engmaschigen Netz gesetzlicher Anforderungen, die ihnen keinen Bewegungsraum dafür lassen, die jeweils günstigen steuerlichen Regelungen im Importstaat, die für deren einheimische Waren gelten, auch für sich in Anspruch nehmen zu können. Man kann sich hier auch nicht auf den an sich naheliegenden Gedanken zurückziehen, dass ausländische Hersteller Soshu genauso gut herstellen könnten wie japanische Hersteller. Nach der (wenngleich laienhaften) Vorstellung des Verfassers 236 Vgl. etwa die Begriffsbestimmungen einzelner Arten von Spirituosen in Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1576 / 89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Festlegung der allgemeinen Regeln fuer die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen, ABl. 1989 L 160, S. 1 (SpirituosengrundVO). Dass Whisky Whisky ist und kein Soshu, zeigt sich dem Laien aber auch schon mit einem Blick in allgemeine Ratgeber über Whisky, vgl. etwa das kleine Bändchen von Broom, Dave, Das Whisk(e)y Handbuch, München: Christian Verlag, 2001. 237 Die nach Art. 1 Abs. 3 SpirituosengrundVO (ibid.) allgemein zu prüfenden Kriterien umfassen etwa die Süssung, Mischung, Zusatz von Alkohol, Verschnitt, Zusammenstellung, Blend, Blending, Reifung, Aromatisierung, Färbung, Äthylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs, Destillat landwirtschaftlichen Ursprungs, Alkoholgehalt, Gehalt an flüchtigen Bestandteilen usw. 238 Insoweit liegt dieser Sachverhalt in der Tat völlig anders als der Sachverhalt etwa im Asbest- oder Hormonfall, wo es nicht gesetzliche Zwänge, sondern lediglich ökonomische Gründe sind, die die Fleisch- oder Bauwarenhersteller dazu antreiben, hormonal behandeltes Fleisch oder asbesthaltige Baumaterialien herzustellen (näher dazu Teil C.I.2.c)aa)(2)).

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wird für die Herstellung von Soshu – wie für die Herstellung anderer alkoholischer Getränke dieser Art – japanische Expertise und vor allem Erfahrung unabdingbar oder jedenfalls hilfreich sein. Denn derartige Getränke leben in der Regel nicht davon, dass sie nach einem bestimmten Rezept von irgendwem zusammengebraut werden, sondern davon, dass sie eben genau jenen Geschmack besitzen, der ihnen traditioneller Weise zugeschrieben wird. Die dafür nötige Erfahrung fehlt den ausländischen Herstellern aber typischerweise. Es ist vielleicht nicht einmal die Erfahrung des Herstellers selbst, die sich hier entscheidend auszuwirkt, sondern die Vorstellung des Kunden über die Kenntnis und Erfahrung des Herstellers. Diese Vorstellung reicht vollkommen aus, um es ausländischem Soshu auf dem japanischen Markt schwerer zu machen als japanischem Soshu. Denn der japanische Kunde wird im Zweifel zu japanischem Soshu greifen, nicht zu europäischem oder USamerikanischem Soshu. Mit anderen Worten: Selbst wenn es für ausländische Hersteller möglich ist, Soshu nach demselben Rezept herzustellen wie japanische Hersteller, führt dies noch nicht notwendig zu gleicher Akzeptanz. Zum Vergleich: Welcher Schotte würde ernsthaft japanischen Whisky kaufen, wenn ein traditioneller schottischer Whisky zu haben ist? Dies zeigt: Der Alkoholfall ist ein Ausnahmefall. Die Anforderungen, die die japanischen Vorschriften an die niedrige Steuerklasse knüpften, waren von den ausländischen Herstellern faktisch schlecher erfüllbar als für die japanischen Hersteller. Es ist der Gedanke der Radizierung der regulierten Ware im Mitgliedstaat (hier: des Getränkes Soshu in Japan), der hier eindrücklich in den Vordergrund rückt. Je radizierter eine Ware ist, desto näher liegt der Gedanke einer de facto-Diskriminierung durch solche Vorschriften, die auf in- wie auslänische Waren gleichermaßen Anwendung finden. Ganz ähnlich liegt es in dem zweiten japanischen Alkoholstreitfall, der 1996 zur Entscheidung kam. Auch nach der diesem zweiten Streitverfahren zugrundeliegenden Maßnahme wurden destillierte Getränke weiter nach ihrer Typenzugehörigkeit klassifiziert und unterschiedlich besteuert, allerdings nach einer leicht geänderten Methode. Auch nach dieser geänderten Methode wurden ausländische Waren im Ergebnis allerdings stärker belastet als inländische Waren.239 Da die Union, Kanada und die USA auch mit dem geänderten japanischen Steuersystem noch nicht zufrieden waren, erhoben sie unter der WTO erneut Klage. Der Fall gab dem panel wie auch dem Berufungsgremium Raum, sich ausführlich mit dem Für und Wider des sogenannten aims and effects-Tests auseinanderzusetzen. In Ablehnung dieses Tests, der sowohl von Japan als auch von den USA favorisiert wurde240, entschied das panel, dass hier teilweise (nämlich für Vodka) die Voraussetzungen des Art. III Abs. 2 S. 1 GATT vorlagen, während teilweise (nämlich für die übrigen Getränke) 239 Zu den Einzelheiten Japan – Taxes On Alcoholic Beverages, Panelbericht vom 11. Juli 1996, WT / DS8, 10 und 11 / R, Rn. 2.1. 240 Japan und die USA waren lediglich über das Vorliegen der Voraussetzungen des im Übrigen von ihnen fast identisch konstruierten Tests im uneins, ibid., Rn. 4.23 ff.

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die Voraussetzungen des Art. III Abs. 2 S. 2 GATT vorlagen.241 Das Berufungsgremium hat die Prüfungsmethode des panels im Wesentlichen anerkannt, hat allerdings die Prüfung und das Ergebnis der Gleichartigkeitsprüfung des panels zwischen Vodka und Soshu unter Art. III Abs. 2 S. 1 GATT aufgehoben242 und sodann unter Art. III Abs. 2 S. 2 GATT weitergeführt – substanziell mit demselben Ergebnis243. Interessant an dieser Stelle ist vor allem der Grund für dieses Ergebnis: Nicht anders als im ersten japanischen Alkoholfall waren die ausländischen Hersteller aufgrund der Wareneigenschaften nämlich in der hohen Steuerkategerie sozusagen „gefangen“. Sie konnten nicht in eine günstigere Klasse hin ausbrechen. Hätten sie Whisky hergestellt, der den Voraussetzungen der günstigeren Steuerklassen entsprochen hätte, wäre dieser „Whisky“ kein Whisky mehr gewesen, sondern etwas sachlich anderes. Im Ergebnis ist es mithin auch hier die Erfüllbarkeit der Maßnahme durch die ausländischen Waren, die im Zentrum der Überlegungen steht. Hätte Vodka oder Whisky nach dem japanischen Lebensmittelrecht so hergestellt werden dürfen, dass ausländische Hersteller in die günstigere Steuerklasse ohne weiteres hätten wechseln können, oder würde der Markt ausländischen Soshu akzeptieren, wäre die Maßnahme im Zweifel Art. III GATT-mäßig gewesen. Ganz ähnlich liegt es im Übrigen im koreanischen Alkoholfall, in dem die Fakten und das Streitbeilegungsverfahren im Hinblick auf die hier interessierenden Punkte so gut wie vollständig parallel zueinander liefen.244 Etwas anders lagen die Dinge im hier interessierenden Zusammenhang demgegenüber im chilenischen Alkoholfall. Denn auch hier handelte es sich um unterschiedliche Besteuerungen, jedoch nicht im Rahmen unterschiedlicher Kategorien von Getränken, sondern allein im Rahmen einer Unterscheidung nach der Alkoholstärke des jeweiligen Getränkes. Dabei war der vorgegebene Rahmen in der Alkoholstärke von 35o bis 39o zwar relativ gering, der Unterschied in der schrittweise nach Alkoholstärke erhöhten Besteuerung aber relativ hoch (27% ad valorem zu 47% ad valorem).245 Dies verleitete das Berufungsgremium zu Überlegungen über den objektiven Gesetzeszweck, die es bereits im zweiten japanischen Alkoholfall geäußert hatte (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)cc) oben) und aufgrund deren es die mitgliedstaatliche Maßnahme für GATT-widrig hielt.246 Ein derartiges Vorgehen führt freilich – jedenfalls an der Oberfläche – auf einen völlig anderen als 241 Ibid., Rn. 6.16 f. (Ablehnung des aims and effects-Tests) bis Rn. 6.27 (Art. III Abs. 2 S. 1 GATT) und bis 6.35 (Art. III Abs. 2 S. 2 GATT). 242 Japan – Taxes On Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, S. 23 f. 243 Ibid., S. 24 bis 32. 244 Korea – Taxes On Alcoholic Beverages, WT / DS75 und 84, Berichte des Panels vom 17. September 1998 und des Berufungsgremiums vom 18. Juni 1999. 245 Zu den Einzelheiten der Maßnahme Chile – Taxes On Alcoholic Beverages, Bericht des Panels vom 13. Dezember 1999, WT / DS87und 110 / R, Rn. 2.1 ff. 246 Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13. Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rn. 56 ff.

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den hier vorgeschlagenen Weg der Prüfung von mitgliedstaatlichem Protektionismus. Sie führen nämlich auf den Weg des objektiven Gesetzeszwecks, nicht denjenigen der objektiven Gesetzeswirkungen. Interessanterweise diskutierte das Berufungsgremium die damit angesprochenen Fragen dann letztlich aber auch eher in Begriffen der Wirkung als in Begriffen des Zwecks.247 Dies erstaunt nicht weiter, denn der Sache nach handelt es sich letztlich doch um Fragen, die ohne den Gedanken eine fehlenden Erfüllbarkeit gar nicht zu beantworten gewesen wären. Es hätte aus Sicht des Verfassers hier völlig ausgreicht, zu prüfen, ob die jeweils importierten Waren auch mit 35 oder 35,5o Alkoholstärke hätten hergestellt werden können. Wäre dies der Fall gewesen, wäre der Protektionismusvorwurf im Kern erstickt gewesen. Denn dann hätten die ausländischen Waren die Maßnahme genauso gut erfüllen können wie inländische Waren. Wahrscheinlich hätte es dann nicht einmal eine Klage gegeben. Allerdings konnten die ausländischen Hersteller ihre alkoholischen Getränke nicht mit geringerer Alkoholstärke herstellen, als sie es nun einmal eben taten. Warum? Weil Whisky, Rum, und Gin typischerweise nicht mit weniger als 40o hergestellt werden können und Brandy, Cognac und Armagnac nicht mit weniger als 38o. Auch hier waren diese Werte vom chilenischen Lebensmittelrecht selbst vorgegeben248 – übrigens entsprechend den Regelungen anderer WTO-Mitgliedstaaten.249 Auch hier bestätigt sich damit der oben vorgesehene Test in der faktischen Erfüllbarkeit der Anforderungen. Sind die Vorgaben der unterschiedslos formulierten Maßnahme nicht erfüllbar, ist sie von Art. III GATT verboten. Sind sie demgegenüber genauso gut erfüllbar wie von gleichartigen inländischen Waren (hier also Pisco), liegt die Maßnahme außerhalb der Grenzen des Art. III GATT. Das Ergebnis deckt sich mit demjenigen des Berufungsgremiums – die Begründung folgt allerdings vollkommen anderen Überlegungen. Effektive Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit als wesentliches Merkmal einer protektionistischen de facto-Ungleichbehandlung lässt sich neben diesen „klassischen“ Fällen zur Besteuerung alkoholischer Getränke aber auch in früheren Entscheidungen nachweisen, so etwa in der Panelentscheidung zum US-amerikanischen Wein- und Bierfall von 1991. In dem von Kanada angestrengten Streitbeilegungsverfahren ging es um eine ganze Reihe US-amerikanischer Bundes- und Staatenmaßnahmen, die kanadische Hersteller von Bier und Wein gegenüber inländischen Herstellern benachteiligten. 250 Ganz überwiegend handelte es sich dabei Ibid., Rn. 63 ff. (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)cc)). Chile – Taxes On Alcoholic Beverages, Bericht des Panels vom 13. Dezember 1999, WT / DS87und 110 / R, Rn. 2.22. 249 Die insoweit ganz ähnlich ausgestalteten europäischen Grenzwerte ergeben sich aus Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1576 / 89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Festlegung der allgemeinen Regeln fuer die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen, ABl. 1989 L 160, S. 1 (SpirituosengrundVO). 250 Eine genaue Darstellung der einzelnen Maßnahmen findet sich in United States – Measures Affecting Alcoholic And Malt Beverages, Panelbericht vom 16. März 1992, angenommen am 19 Juni 1992 (DS23 / R – 39S / 206), Rn. 2.7 ff. 247 248

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um Steuererleichterungen für inländische Hersteller, die ausländischen Herstellern nicht offen standen, also um de jure-Diskriminierungen durch relativ offene Förderung der eigenen Wirtschaft (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(b) oben). Von derartigen offenen Anknüpfungen an die Herkunft abgesehen stand aber eine weitere Maßnahme zur Entscheidung, die im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse ist, nämlich die Mississippi State Excise Tax on Wine Made From a Specified Variety of Grape.251 Bekanntlich hat das panel im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung unter Art. III Abs. 2 S. 1 GATT anhand dieser Maßnahme seine später unter dem Namen aims and effects-Test so bekannt gewordene Protektionismusüberprüfung durchgeführt, indem es festgestellt hat, dass das Wort „like“ im Lichte der Worte „so as to afford protection“ des Art. III Abs. 1 GATT ausgelegt werden müsse.252 Damit hat es die Protektionismusprüfung mit der Gleichartigkeitsprüfung unauflösbar verquickt. Im Ergebnis hat es dann einen protektionistischen Zweck festgestellt und daher Wein, der aus dieser spezifischen Weinrebe hergestellt wurde, und anderen Wein für gleichartig im Sinne des Art. III Abs. 2 S. 1 GATT gehalten. Diese Entscheidung ist im vorliegenden Zusammenhang nicht nur wegen der Zweckprüfung interessant, sondern vor allem deshalb, weil hier über eine unterschiedslos formulierte Maßnahme entschieden wurde, die ein Kriterium aufstellte, das jedenfalls auf den ersten Blick von ausländischen Waren überwiegend schlechter zu erfüllen war als von inländischen Waren. Denn die Weinrebe, an die in der Maßnahme angeknüpft wurde, wuchs – jedenfalls nach den Ausführungen des panels253 – offenbar nur in Mississippi State und im mediterranen Raum. Wenn dem tatsächlich so war, dann hätte das panel sein Ergebnis wahrlich auf einem einfacheren Weg erreichen können als auf demjenigen der Zweckprüfung. Denn es hätte dann feststellen können, dass Wein, der aus dieser spezifischen Weinrebe hergestellt wurde, und Wein, der aus anderen Reben hergestellt wurde, von den Verbrauchern austauschbar gekauft wurden und dass ausländische Waren (mit Ausnahme jener aus dem mediterranen Bereich) das Merkmal hätten schlechter erfüllen können. In der Sache hätte sich das panel im Rahmen einer solchen Prüfung im Grunde mit denselben Fragen beschäftigt, allerdings in einer etwas anderen Perspektive: Nicht nur hätte es dem Art. III GATT seine oben herausgearbeitete Grundstruktur belassen. Vor allem hätte es sich schwerpunktmäßig stärker mit der hier tatsächlich zentralen Frage auseinandergesetzt, nämlich derjenigen, ob die Rebe außerhalb der USA tatsächlich nur in mediterranen Gebieten wächst, oder ob ihr Anbau vielleicht aus anderen, etwa wirtschaftlichen Gründen ihres Ertragsreichtums o.ä., auf diese Gebiete beschränkt ist. An dieser Stelle sollen die Ergebnisse des panels über die Erfüllbarkeit der Anforderung durch ausländischen Wein nicht in Zweifel gezogen werden. Immerhin 251 252 253

Nähere Beschreibung dieser spezifischen Mississppi Excise Tax in ibid., Rn. 2.13. Ibid., Rn. 5.25 f. Ibid., Rn. 5.26.

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hat das panel festgestellt, dass die Weinrebe außerhalb der Vereinigten Staaten offenbar nur im mediterranen Raum gedeiht.254 Allerdings macht die Entscheidung nicht den Eindruck, dass sich das panel mit dieser Frage des Wachsenkönnens der Rebe wirklich vertieft auseinandergesetzt hätte. Dies ist zu bedauern, denn sie scheint dem Verfasser die entscheidende Frage für einen Verstoß nach Art. III GATT zu sein. Es ist im Hinblick auf den protektionistischen Gehalt der Maßnahme ein Unterschied, ob Hersteller in anderen Regionen die Rebe tatsächlich faktisch nicht herstellen können, oder es lediglich nicht wollen, aus welchen Gründen auch immer. Denn wenn die Rebe in Wirklichkeit (wie andere Reben auch) in anderen Gebieten wächst, dann wäre dem Vorwurf des Protektionismus hier weitgehend der Boden entzogen. Die Frage in dieser Formulierung in den Mittelpunkt zu stellen ist nicht nur im Hinblick auf das Ergebnis, sondern auch in verfahrensmäßiger Hinsicht von Bedeutung. Denn es ist ein Unterschied, ob man von Kanada den Nachweis darüber verlangt, dass die Rebe aktuell nur in begrenzten Gebieten angebaut werde (Gesichtspunkt der faktischen Erfüllung der Anforderung), oder ob man den Nachweis darüber verlangt, dass die Rebe nur in begrenzten Gebieten angebaut werden könne (Gesichtspunkt der faktischen Erfüllbarkeit). Offenbar hat das panel hier den Nachweis über die letztere Frage implizit gefordert und auch für geführt angesehen. Andernfalls hätte es nicht festgestellt, dass die Weinrebe außerhalb der Vereinigten Staaten nur im mediterranen Raum gedeihe. Wenn es einen derartigen Nachweis schon anerkennt, kann es dies auch im Offenen tun und deutlich sagen, dass es die faktische Erfüllbarkeit der Anforderung durch ausländische Waren überprüft, nicht die faktische Erfüllung!255 Ganz ähnlich liegen die Dinge im unionalen Sardinenfall. Auch hier handelte es sich um eine unterschiedslos formulierte Regelung, die von bestimmten ausländischen Waren nicht hätte erfüllt werden können. Die von Peru angegriffene unionale Maßnahme behielt den Namen „Sardinen“ nämlich jenem genus von Fisch der sogenannten clupainae Unterfamilie der clupaidae Familie vor, der vorwiegend in den europanahen Meeresgebieten des Nordostatlantiks, des Mittelmeers und des Schwarzen Meers zu finden war (sog. Sardina pilchardus Walbaum („Sardina pilchardus“)). Dies führte dazu, dass dem weiteren genus von Fisch derselben Unterfamilie, der vorwiegend in den europafernen Meeresgebieten des Ostpazifiks, und dort unter anderem vor der Küste Perus zu finden war (sog. Sardinops sagax sagax („Sardinops sagax“)), die Vermarktung in der Union unter dem Namen „Sardinen“ 254 Ibid., Rn. 5.26: „[ . . . ] a particular type of grape, which grows only in the southeastern United States and the Mediterranean region [ . . . ] (Hervorhebung durch den Verfassser).“ 255 Hier noch ein Wort zur Klassifizierung der Maßnahme: Auf den ersten Blick ist hier die Abgrenzung zur de jure-Diskriminierung nur ein schmaler Grat. In der Sache ist sie jedoch recht eindeutig. Denn die Maßnahme knüpft nicht unmittelbar an die Herkunft der Ware an, sondern eben nur an ein Merkmal der Ware selbst. Es handelt sich daher um eine de factoDiskriminierung. Dies zeigt sich schon daran, dass manche ausländische Waren, nämlich die mediterranen Waren, die Maßnahme ganz offenbar erfüllen konnten.

11 Duvigneau

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verwehrt blieb.256 Die unionale Maßnahme wurde von Peru daher unter Hinweis auf die Art. 2.4 TBT, 2.2 TBT, 2.1 TBT und III Abs. 4 GATT angegriffen. Im Hinblick auf Art. 2.4 TBT trug Peru vor, die Maßnahme sei nicht auf einen hier relevanten Standard der CODEX ALIMENTARIUS Commission gestützt (CODEX ALIMENTARIUS commission standard for canned sardines and sardine-type products), der es peruanischen Sardinops sagax ermögliche, unter dem Namen Sardinen vermarktet zu werden (wenn auch nur in Kombination mit einer Herkunftsoder Artbezeichnung, wie z. B. „Südamerikanische Sardinen“ oder „Peruanische Sardinen“).257 Hilfsweise behauptete Peru einen Verstoß gegen Art. 2.2 TBT und trug insoweit vor, das Verbot der Vermarktung peruanischer Sardinops sagax unter dem Namen „Sardinen“ führe zu einer wettbewerblichen Schlechterstellung peruanischer Sardinops sagax und damit zu einem unnötigen Handelshemmnis.258 Der insoweit etwas schwache Vortrag Perus erhält Substanz durch den an anderer Stelle von Peru vorgetragenen Gedanken, dass die europäischen Verbraucher den Namen „Sardinops sagax“ oder „Sardinops“ nicht in vergleichbarer Weise kennen würden wie den Namen „Sardinen“ und daher mangels hinreichend konkreter Vorstellung über die konstituierenden Merkmale von Sardinops sagax trotz deren weitgehenden Ähnlichkeiten mit Sardina pilchardus eher Sardina pilchardus kauften (namentlich unter dem Namen „Sardinen“) als Sardinops sagax (unter dem Namen „Sardinops“).259 Mit dieser Argumentation begründete Peru anschließend, nachdem es die beiden Fisch-geni Sardina pilchardus und Sardinops sagax im Sinne der Vorschriften für vergleichbar gehalten hat260, auch einen Verstoß gegen Art. 2.1 TBT, hilfsweise Art. III Abs. 4 GATT.261 Das panel hat die Maßnahme in seinem Bericht vom 29. Mai 2002, nachdem es bereits einen Verstoß nach Art. 2.4 TBT 256 Zu den Einzelheiten der Maßnahme European Communities – Trade Description Of Sardines, Panelbericht vom 29. Mai 2002, WT / DS231 / R, Rn. 2.1 ff. 257 Ibid., Rn. 4.26 ff. 258 Ibid., Rn. 4.93 ff. 259 Der Vortrag Perus zu Art. 2.2 TBT gerät in diesem Rahmen in weiten Teilen zu einem Vortrag über die Grundstrukturen des Art. III GATT, die in ähnlicher Weise auch für Art. 2.2 TBT gelten müssten, vgl. etwa ibid., Rn. 4.97. In der Tat gibt es insoweit Ähnlichkeiten, allerdings erfasst der peruanische Vortrag nur einen Teil des Verhältnisses der Art. 2.2 TBT und III Abs. 4 GATT. Der Schlüssel zum Verhältnis dieser beiden Vorschriften liegt eher in der Anwendungsweite: Während Art. III Abs. 4 GATT nur solche protektionistischen Maßnahmen erfasst, die ihren protektionistischen Gehalt gerade über eine normativ / faktische Schlechterstellung ausländischer Waren entfalten, geht Art. 2.2 TBT darüber hinaus, indem er jedenfalls seinem Potenzial nach auch solche protektionistischen Maßnahmen erfassen kann, die ihren protektionistischen Gehalt unabhängig einer solchen Schlechterstellung entfalten. Insoweit ist der Vortrag Perus, dass Art. 2.2 TBT im Lichte der Streitbeilegungspraxis unter Art. III Abs. 4 GATT ausgelegt werden müsse, im Hinblick auf den konkreten Fall zwar richtig, bleibt im Hinblick auf das Verhältnis der Vorschriften insgesamt naturgemäß aber etwas unvollständig, da der Art. 2.2 TBT weit über Art. III GATT hinausgeht. 260 Ibid., Rn. 4.122 ff. 261 Ibid. Rn. 4.134 ff.

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angenommen hat262, aus prozeduralökonomischen Gründen unter Art. 2.1 TBT und Art. III Abs. 4 GATT nicht geprüft.263 Mangels entsprechendem Antrag hat sich auch das Berufungsgremium nicht zu den Art. 2.1 TBT und Art. III Abs. 4 GATT geäußert.264 Es spricht viel dafür, dass die angegriffene Maßnahme tatsächlich auch gegen Art. III Abs. 4 GATT beziehungsweise auch Art. 2.1 TBT verstieß. Auch in einer wertenden Betrachtungsweise aller border tax adjustment-Kriterien muss man wohl davon ausgehen, dass sich die beiden Fisch-geni, wie Peru behauptete265, nicht nur sehr ähnlich sind, sondern auch, dass sie von den europäischen Verbrauchern überwiegend substituiert würden, würden sie nur beide unter dem Namen „Sardinen“ vermarktet. Denn bei einer derartig hohen Ähnlichkeit mögen, wie Peru hervorgehoben hatte, zwar vielleicht Biologen die Unterschiede wahrnehmen, nicht aber die Konsumenten. In der Vermarktungsregel liegt auch tatsächlich eine substanzielle Schlechterstellung der peruanischen Waren. Denn welcher europäische Konsument wird mit dem Vorsatz, Sardinops kaufen zu wollen, in ein Geschäft gehen, wenn er den Fisch, den er kaufen will, nicht als Sardinops sondern als Sardine kennt? Positive Feststellungen lassen sich hier freilich nicht ohne weitere Recherche machen. Die Vermutung spricht aber dafür, dass ein Konsument, der konservierten Fisch kaufen will, den er unter dem Namen „Sardine“ kennt, eher eine solche Konserve kaufen wird, auf der er den Namen „peruanische Sardinen“ oder „südamerikanische Sardinen“ findet (selbst wenn es ihm bei den Sardinen nicht gerade um ihre Herkunft geht), als solche Konserven, auf denen er den Namen „Sardinops“ oder „Sardinops sagax“ findet. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang der Vortrag der Union, dass peruanische Sardinops nicht ohne weiteres von dem guten Ruf von Sardinen unter europäischen Verbrauchern profitieren dürften und dass Peru daher eher auf die gute Qualität seiner Sardinopse vertrauen und deren Ruf verbessern solle, statt den guten Ruf der Sardine für eigene Zwecke zu mißbrauchen.266 Dieser Gesichtspunkt ist insoweit substantiiert, als dass Märkte tatsächlich auch mit neuen Waren neu entstehen können. Der Gesichtspunkt trägt am Ende allerdings dennoch nicht. Denn wenn Sardinops bis zum Inkrafttreten der unionalen Maßnahme im Jahre 1989267 unter dem Namen „Sardinen“ in der Union verkauft werden durften, haben sie (neben Sardinen) ihrerseits zu dem guten Ruf von Sardinen beigetragen, von dem sie durch die Vermarktungsregel dann aber abgeschnitten worden sind.

Ibid. Rn. 7.139. Ibid., Rn. 7.151 f. 264 European Communities – Trade Description Of Sardines, Bericht des Berufungsgremiums vom 26. September 2002, WT / DS231 / AB / R. 265 European Communities – Trade Description Of Sardines, Panelbericht vom 29. Mai 2002, WT / DS231 / R, Rn. 4.123 ff. 266 Ibid. Rn. 4.138. 267 Dazu ibid., Rn. 2.5 ff. 262 263

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Überprüft man die Maßnahme im Lichte dieser Überlegungen unter Art. III Abs. 4 GATT und Art. 2.1 TBT, so wird deutlich, dass ein Verstoß hier – anders als in den sogenannten „local content“ Fällen (nähere Einzelheiten Teil C.I.2. c)aa)(1)(a)(bb) oben) – nicht in einer ausdrücklichen Anknüpfung an die Herkunft der Waren lag. Der Verstoß lag – ähnlich wie im Fall der Mississippi wine grape – vielmehr in der Anknüpfung an ein Merkmal, das ausländische Hersteller (nämlich besagte peruanische Sadinopsfischer) zwar normativ, nicht aber faktisch in gleicher Weise hätten erfüllen können wie inländische Hersteller, nämlich das Fischen und Verkaufen von Sardinen aus dem Nordatlantik (de facto-Diskriminierung). Die für einen Verstoß gegen Art. III GATT zentrale Frage ist nämlich nicht nur, ob europäische Konsumenten letztlich Fisch kaufen, auf dem Sadinops steht, wenn sie Fisch kaufen wollen, den sie mit dem Namen Sardinen verbinden. Zentral ist vielmehr auch, ob peruanische Fischer beim Fang von Fischen der clupeida-Familie wirklich auf den Fang von Sardinops zurückgeworfen sind oder ob sie auch Sardinen fischen können. Können sie Sardinen nämlich genauso gut fischen wie unionale Fischer, bleibt für einen Verstoß gegen Art. III GATT kein Raum mehr. Es ist genau diese schon oben angeführte Unterscheidung zwischen tatsächlicher (Nicht-)Erfüllung und tatsächlicher (Un-)Erfüllbarkeit der Maßnahme durch ausländische Waren, die den Protektionismusvorwurf unter Art. III GATT zum Leben erwachen lässt. Weder Peru noch die Gemeinschaften haben sich zu dieser Frage der tatsächlichen Unerfüllbarkeit statt der schlichten Nichterfüllung der Maßnahme durch peruanische Fischer geäußert. Dies mag darin begründet liegen, dass sie es für selbstverständlich hielten, dass peruanische Schiffe im Nordostatlantik schlechter fischen können als die europäischen Fischer. Diese Wahrnehmung drängt sich dem Fischfanglaien auch tatsächlich auf. Es erscheint kaum denkbar, dass ein peruanischer Sardinopsfischer genauso gut Sardinen im Nordostatlantik fischen und in Europa löschen lassen kann wie ein europäischer Fischer.268 Denn er müsste sich dafür in den Nordostatlantik oder das Mittelmeer bewegen und in dieser Region – wie europäische Fischer auch – bleiben. Wenn diese Vermutung der ungleichen Erfüllbarkeit der Maßnahme für peruanische Fischer richtig ist und die Parteien diesen Gesichtspunkt der Unerfüllbarkeit tatsächlich für selbstverständlich hielten, dann zeigt der Sardinenfall, dass die Parteien hier intuitiv die richtige Grundlage für eine Entscheidung unter Art. III GATT gewählt haben, freilich ohne die Gründe für ihre an sich richtige Intuition im Einzelnen herauszuarbeiten.269 268 Anders läge es nur, wenn Sardinopsfischer heutzutage ähnlich den großen Fischfangflotten auf den Weltmeeren „wandern“ würden. Dies ist aber nicht der Fall. Sardinopsfischerei erfordert nach dem laienhaften Verständnis des Verfassers flexible und daher kleine Boote. Sie ist der Hochseefischerei großer Fischfangflotten, die in den Ozeanen wochenlang den „wandernden“ Fischschwärmen folgen, daher unähnlich. 269 Hätte das panel im hier vorgetragenen Sinne entschieden, ohne dafür die Unterscheidung zwischen schlichter „Nichterfüllung“ und echter Unerfüllbarkeit aufzugreifen, dann hätte man gleiches vom panel sagen können.

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Diese Feststellung ist hier bedeutsam, denn sie drängt zum Kern der Grenzen des Art. III GATT. Sie drängt nämlich in die Richtung jenes im Folgenden näher auszuführenden Gedankens, dass Maßnahmen, die von ausländischen Waren nicht in gleicher Weise erfüllt werden wie von vergleichbaren inländischen Waren, im Prinzip aber ohne weiteres in gleicher Weise erfüllt werden könnten, nicht von Art. III GATT verboten sind, und zwar auch bei einem noch so weiten Gleichartigkeitsbegriff unter Art. III GATT nicht verboten sind. Dass die Streitparteien sich zu dieser Frage nicht geäußert haben, mag auch daran liegen, dass sie diesen Unterschied zwischen tatsächlicher (Nicht-)Erfüllung und tatsächlicher (Un-)Erfüllbarkeit der Maßnahme durch ausländische Waren im Zusammenhang des Art. III GATT nicht für relevant hielten. Damit lägen sie durchaus im „mainstream“ des Denkens zu Art. III GATT, leider aber auch neben dem eigentlichen Kern der Prüfung (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(2) oben). Selbst wenn sie in diesem Sinne an den eigentlich richtigen Prüfungskriterien „vorbeigedacht“ hätten, würde dies aber noch nicht zeigen, dass sie in der Sache auch am Art. III GATT insgesamt „vorbeigedacht“ haben. Vielmehr würde es in Kombination mit der Richtigkeit des Ergebnisses gerade die These von der intuitiv richtigen Entscheidung der Streitbeilegungsorgane unter Art. III GATT stützen. An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen de jure-Diskriminierungen und de facto-Diskriminierungen besonders deutlich. Es ist nicht der normative Gehalt an sich, der es den ausländischen Waren vorliegend unmöglich macht, die Anforderungen zu erfüllen. Vielmehr sind es die faktischen Verhältnisse, die es den ausländischen Waren unmöglich machen, die normative Anforderung zu erfüllen. Natürlich ist die faktische Unerfüllbarkeit nicht losgelöst von der normativen Anforderung, sondern besteht eben gerade nur im Hinblick auf diese. Trotzdem lassen sich aber normative und faktische Unerfüllbarkeit auch hier konzeptionell voneinander trennen. Abgesehen von diesen für den vorliegenden Zweck relevanten Überlegungen legt der Sardinenfall aber auch Grundlegendes zur Anwendung des Grundsatzes der Verfahrensökonomie offen: Denn die hier angestellten Überlegungen zu Art. 2.1 TBT und Art. III Abs. 4 GATT hätten zu ihrer Begründung nicht nur einer umfassenden (und daher schwierigen) positiven Marktanalyse über die Substituierbarkeit von Sardina Pilcardus und Sardinops Sagax anhand der border tax adjustment-Kriterien bedurft, sondern zugleich (im Rahmen der Prüfung der Ungleichbehandlung) der Feststellung, dass Sardina Pilcardus (anders als Sardinops Sagax) von peruanischen Schiffen schlechter gefangen gefangen werden könne als von europäischen Schiffen und daher eine qualitativ (!) aggregierte Schlechterbehandlung vorläge. Dass sich das panel in seinem Bericht mit Art. 2 Abs. 4 TBT beschäftigt hat, ohne zunächst Art. III Abs. 4 GATT näher zu prüfen, mag daher eher in der größeren Einfachheit dieses Vorgehens als in der Auffassung wurzeln, die angegriffene Maßnahme verstoße nicht gegen Art. III Abs. 4 GATT.270 Die Richtigkeit eines solchen Vorgehens ergibt sich aus dem Umstand, dass in einer protektionistischen Diskriminierung immer auch eine Handels-

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beschränkung liegt, so dass die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen eröffnet sind, soweit die diskriminierende Regelung in ihren sachlichen Anwendungsbereich fällt (nähere Einzelheiten Teil C.II unten). In mittelfristiger Perspektive könnte das Vorgehen des panels angesichts der größeren dogmatischen Einfachheit der Tatbestände der Seitenabkommen und deren gleicher Effektivität für Entscheidungen über diskriminierende Maßnahmen wegweisend werden. Dies ist umso wahrscheinlicher, als bereits die Asbestentscheidung des Berufungsgremiums den Nachweis der Gleichartigkeit unter Art. III GATT in gewisser Weise erschwert (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)aa) oben), zugleich aber die Weite der begrifflichen Definition von technischen Vorschriften in Nr. 1 des Anhangs zum TBT-Abkommen unterstrichen hat.271 Denn dieses Vorgehen führt in seiner Kombination für die jeweils klägerischen Parteien zugleich zu einer Erleichterung unter den Seitenabkommen und einer Erschwerung unter Art. III Abs. 4 GATT. Klägerische Parteien werden Art. 2.2 und 2.4 TBT sowie die entsprechenden Vorschriften im SPS künftig daher gegebenenfalls verstärkt dazu nutzen wollen, auch solche Diskriminierungen anzugreifen, die unter Art. III GATT schwer oder nur mit großen Unsicherheiten nachweisbar sind (nähere Einzelheiten Teil C.II.5. unten).272 Der vorläufig letzte Fall einer de facto-Diskriminierung liegt gegebenenfalls dem kürzlich gestellten Antrag der USA gegen eine mexikanische Maßnahme zugrunde, die zuckerhaltige Getränke mit einer Steuer in Höhe von 20% belegt, hiervon aber solche Getränke ausnimmt, die mithilfe von Rohrzucker hergestellt worden sind.273 Der Fall ist geradezu ein Schulbeispiel für die Unterschiede, zu denen die hier diskutierten Methoden der Feststellung einer Ungleichbehandlung in der Begründung und gegebenenfalls auch im Ergebnis kommen. Nach der rein quanti270 Ganz ähnlich wäre das panel wohl auch im unionalen Jakobsmuschelnfall vorgegangen, wäre es noch zu einer streitbeilegenden Entscheidung gekommen (vgl. den Antrag Kanadas auf Einsetzung eines Panels, der bereits als einer ersten Anträge zunächst Art. 2 TBT und erst dann Art. III GATT nennt (WT / DS7 / 7 und Corr.1)). 271 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 66 ff. In seiner Sardinenentscheidung hat das Berufungsgremium diese begriffliche Weite technischer Vorschriften unter dem TBT erneut bestätigt und dementsprechend die Vermarktungsregel als „technische Vorschrift“ im Sinne des Abkommen anerkannt, vgl. European Communities – Trade Description Of Sardines, Bericht des Berufungsgremiums vom 26. September 2002, WT / DS231 / AB / R, Rn. 176 ff. 272 Für steuerliche Schlechterbehandlungen gilt dies angesichts des insoweit begrenzten Anwendungsbereichs der Seitenabkommen (vgl. die Definitionen in Anhang A 1 zum SPS und Anhang 1.1 zum TBT) nur in begrenztem Maße, vgl. zuletzt etwa das durch gemeinsame Vereinbarung beendete Verfahren Uruguay – Tax Treatment on Certain Products, WT / DS261 (zunächst ausgesetzt bis 11. Dezember 2003, vgl. die Mitteilung des Panelvorsitzenden vom 15. Oktober 2003, WT / DS261 / 6 / Add. 1, sodann beendet, vgl. die Mitteilung einer Verhandlungslösung in WT / DS261 / 7). 273 Mexico – Tax Measures On Soft Drinks And Other Beverages, Antrag der USA auf Konsultation vom 18. März 2004, WT / DS308 / 1.

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fizierenden Methode im Sinne Ehrings (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(1) oben) wird hier zu diskutieren sein, wieviel Prozent der aus den USA eingeführten Getränke Rohrzucker enthalten (bzw. wieviel Prozent anderen Zucker enthalten). Dem wird gegenüberzustellen sein, wieviel Prozent der mexikanischen Getränke Rohrzucker (bzw. anderen Zucker) enthalten. Liegt die Rate des Rohrzuckers in den mexikanischen Getränken höher als in den US-amerikanischen Getränken (wovon auszugehen ist, sonst hätten die USA wohl kaum Konsultationen unter Art. III GATT beantragt), wird man von einer de facto-Diskriminierung sprechen müssen. Nach der hier vorgestellten qualifizierenden Methode wird man demgegenüber danach fragen müssen, ob in den USA Rohrzucker genauso gut hergestellt bzw. in die Getränke gemischt werden kann wie in Mexiko. Ist dies der Fall, wird man eine Diskriminierung ablehnen. Ist dies nicht der Fall, wird man sie bejahen müssen. Angesichts der Sonneneinstrahlung in den südlichen Staaten der USA spricht nach dem laienhaften Verständnis des Verfassers einiges dafür, dass Rohrzucker dort genauso gut angebaut werden kann wie in Mexiko. Ohne insoweit Sachkenntnisse zu haben und der gegebenenfalls ergehenden Entscheidung vorgreifen zu wollen, zeigt sich bereits hier ganz deutlich, dass Unterschiede nicht nur in der Begründung, sondern gegebenenfalls auch im Ergebnis bestehen. Weitergehende (widerum quantifizierende) Fragen stellen sich gegbenenfalls dahin, ob der Rohrzucker genauso gut wachsen können muss wie im Inland und ob sich gleiche Mengen erzielen lassen müssen usw. Wie immer hier im Einzelnen zu entscheiden sein wird: Der Antrag der USA zeigt sehr deutlich, dass sich das panel – sollte es zu seiner Einrichtung kommen – möglichst frühzeitig grundlegende Gedanken darüber machen sollte, nach welcher Methode es die hier angegriffene Maßnahme anhand des Art. III GATT überprüfen wird. (2) Funktionsadäquate Sicherung des Autonomieschutzes: Keine positive Feststellung der GATT-Widrigkeit sonstiger (d. h. nicht diskriminierender) protektionistischer Maßnahmen durch die Streitbeilegungsorgane Wenn die Streitbeilegungsorgane damit protektionistische Diskriminierungen, also Maßnahmen, die von ausländischen Waren schlechter erfüllbar sind als von vergleichbaren inländischen Waren, effektiv zu bekämpfen bereit sind, so ist damit noch nichts über die Beachtung der Grenzen des Art. III GATT durch die Streitbeilegungsorgane gesagt, also zu dem Verhalten der Streitbeilegungsorgane unter Art. III GATT gegenüber nicht diskriminierenden Maßnahmen mit protektionistischer Wirkung. Zur vollständigen Bearbeitung des hier aufgeworfenen Problems bedarf es aber einer Antwort auf die Frage, wie die Streitbeilegungsorgane die Grenzen des Art. III GATT konkret augestalten. Denn die Streitbeilegungspraxis bewährt sich erst dann, wenn sich nachweisen lässt, dass sie auf rein marktintegrativ motivierte Klagen gegen Maßnahmen, die nicht in diesem Sinne diskriminierend sind, nicht mit der Feststellung eines Verstoßes gegen Art. III GATT reagiert. Mit ande-

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ren Worten: Die Streitbeilegungspraxis bewährt sich nur dann, wenn sie auch den Autonomieschutz als Teil der Zielstruktur des Art. III GATT ernst nimmt und Verstöße gegen Art. III GATT nicht über die Zielstruktur des Art. III GATT hinaus positiv feststellt. Es gilt daher, die Entscheidungspraxis zu den durch diese Zielstruktur gezogenen Grenzen des Art. III GATT festzustellen. Nach Ansicht des Verfassers sind die Grenzen des Art. III GATT diejenigen der normativ und faktisch gleichen Erfüllbarkeit einer Maßnahme durch ausländische Waren. Ist die Maßnahme für ausländische Waren in vollkommen gleicher Weise erfüllbar wie für inländische Waren, bleibt für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. III GATT kein Raum mehr (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(2) oben). Die Streitbeilegungspraxis wird, wie sich im Folgenden zeigen wird, den derart definierten Grenzen des Art. III GATT weitgehend gerecht. Maßnahmen, die von ausländischen Waren genau gleich gut (oder schlecht) zu erfüllen sind wie von vergleichbaren inländischen Waren, wurden mit Ausnahme der Asbestpanelentscheidung und einer (nicht angenommen) Entscheidung zu den US-amerikanischen Corporate Average Fuel Economy (CAFE) Regulations (dazu jeweils sogleich) bisher nicht für Art. III GATT-widrig gehalten. Die im Übrigen geringe Zahl insoweit richtiger Entscheidungen lässt nach Ansicht des Verfassers nicht den Schluss zu, dass die Streitbeilegungsorgane hier zu wenig entschlussfreudig seien, sondern allenfalls, dass sie bis in die späten neunziger Jahre hinein kaum Gelegenheit hatten, über die Grenzen des Art. III GATT genauer zu entscheiden. Denn die Mitgliedstaaten haben sich bis in die neunziger Jahre hinein in ihrem Klageverhalten alles in allem in strategisch richtiger Weise an der Zielstruktur des Art. III GATT orientiert. Insbesondere haben sie – dies mag sich gegenwärtig freilich ändern – nicht ständig versucht, den Art. III GATT aus einem bloßen Interesse am Einzelfall in seinen Grenzen zu überdehnen, auch wenn dies in der literarischen Kritik immer wieder behauptet wird. Ähnlich wie schon bei der Beurteilung diskriminierender Maßnahmen, die entweder unter einem Diskriminierungstatbestand oder einem Beschränkungstatbestand positiv festgestellt werden kann (nähere Einzelheiten in der Einleitung zu Teil C.I.2.c)aa)(1) oben), sind auch bei der Überprügung nicht-diskriminierender Maßnahmen zwei unterschiedliche Varianten nachweisbar: Die erste Variante liegt in der positiven Feststellung eines Nichtverstoßes gegen einen Diskriminierungstatbestand des Art. III GATT. Die zweite Variante liegt in der (negativen) Nichtfeststellung eines Verstoßes gegen Art. III GATT. Seit Geltung der Beschränkungsverbote der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse (SPS und TBT) besteht ein relativ hohes Potenzial für diese zweite Variante. Die typische Argumentation dürfte insoweit dahingehen, dass ein Verstoß gegen einen Diskriminierungstatbestand nicht mehr geprüft werden müsse, weil ein Verstoß gegen ein Beschränkungsverbot der Seitenabkommen bereits vorliege.274 Das Vorgehen im 274 Diese Konstellation unterscheidet sich freilich von der einleitend zu Teil C.I.2.c)aa)(1) angesprochenen Konstellation, in der ein Verstoß gegen Art. III GATT durch eine diskrimi-

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Hormonfall ist insoweit ein echter Präzedenzfall (nähere Einzelheiten Teil C.I. 2.c)aa)(2)(b) unten).275 Er dürfte für zukünftige Fälle richtungsweisend sein. Allerdings geht der damit angesprochene Wandel nur langsam und von Fall zu Fall voran. Im Asbestfall schreckten die Organe vor einer Prüfung unter Art. 2.2 TBT noch zurück. Der Asbestfall ist wegen der Divergenz zwischen dem Panelbericht und dem Bericht des Berufungsgremiums im Hinblick auf das behandlungsbezogene Merkmal ein Sonderfall, der näher zu würdigen sein wird (dazu sogleich). Im einzelnen sollen im Folgenden zunächst die hier relevanten frühen Verfahren unter dem GATT 1947 analysiert werden, von denen allerdings (zum Teil bezeichnenderweise) kein einziges angenommen worden ist (Teil C.I.2.c)aa)(2)(a) unten). Im Anschluss daran soll näher zum Hormonfall (Teil C.I.2.c)aa)(2)(b) unten) und sodann zum Asbestfall Stellung genommen werden (Teil C.I.2.c)aa)(2)(c) unten). (a) Frühe Verfahren unter dem GATT 1947 Die „gute Nase“ der Streitbeilegungsorgane wird bereits im US-amerikanischen Wein- und Bierfall von 1991 deutlich. Neben der Maßnahme, von der schon oben die Rede war (Mississippi Wine tax), interessieren hier vor allem jene staatlichen Maßnahmen, die am Alkoholgehalt von Bier ansetzten, und dafür die ganz ähnlichen Grenzen von 3,2% respektive 4% pro Gewicht und 5% pro Volumeneinheit vorsahen.276 Die Regelungen waren zwar unterschiedslos formuliert, belasteten kanadische Waren aber in größerer Zahl als inländische Waren, da die inländischen Hersteller sich bereits auf diese Vorschriften jeweils eingestellt hatten. Ähnlich wie schon bei der Mississippi wine tax zog das panel für die Feststellung, ob niedrigerprozentiges Bier mit höherprozentigem Bier vergleichbar ist, den aims and effects-Test heran.277 Anders als bei der Mississippi wine tax, bei der es ja um ein (wenn auch abstrahiertes) local content requirement ging, kam das panel im Hinnierende Maßnahme nicht festgestellt wird, weil bereits ein Verstoß gegen ein Beschränkungsverbot festgestellt wurde. 275 Diese zweite Variante trägt freilich nur dann, wenn ein Verstoß unter einem Beschränkungsverbot tatsächlich festgestellt wird, der nicht gerechtfertigt werden kann. Fehlt es an einem Verstoß gegen ein Beschränkungsverbot oder kann ein solcher Verstoß gerechtfertigt werden, lebt das Diskriminierungsverbot als Prüfungsmaßstab in gewisser Weise wieder auf. In diesen Fällen stellt sich dann die delikate Frage, ob es Verstöße gegen ein Diskriminierungverbot in dogmatischer Hinsicht geben kann, wenn ein Verstoß gegen ein Beschränkungsverbot nicht festgetsellt werden kann. Realistische Konstellationen hierzu wird es allerdings nur dann geben, wenn eine Maßnahme unter einem Beschränkungsverbot etwa des TBT zwar verboten ist, unter der offenen Enumeration von Rechtfertigunggründen etwa des Art. 2.2.3 TBT oder unter Art. 2.4 a.E. TBT aber erlaubt ist. Soll es in diesen Konstellationen dann trotz der relativen Enge der Tatbestände des Art. XX GATT noch einen Verstoß gegen Art. III GATT geben können? 276 Zu den alkoholabhängigen Maßnahmen näher United States – Measures Affecting Alcoholic And Malt Beverages, Panelbericht vom 16. März 1992, angenommen am 19. Juni 1992 (DS23 / R – 39S / 206), Rn. 2.32 (table 4). 277 Ibid., Rn. 5.71.

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blick auf die Bieralkoholgehaltgesetzgebung aber zu dem Schluss, dass hier ein protektionistischer Gesetzeszweck nicht nachweisbar gewesen sei und wertete dementsprechend höherprozentiges und geringerprozentiges Bier als nicht vergleichbar im Sinne des Art. III GATT.278 Auch hier hätte das panel wahrlich auf einem einfacheren, jedenfalls wortlautadäquateren Weg zu diesem im Grundsatz richtigen Ergebnis kommen können. Die Prüfung der Gleichartigkeit hätte es ohne weiteres in einer positiven Marktanalyse betreiben können, ohne dass es hierfür der Berücksichtigung irgendwelcher Gesetzeszwecke bedurft hätte. Es hätte dann aller Voraussicht nach die Gleichartigkeit annehmen müssen und wäre damit zur Frage der Schlechterbehandlung gekommen. In diesem Rahmen hätte es dann prüfen müssen, ob den in- und ausländischen Waren Wettbewerbsgleichheit vorenthalten wird. An dieser Stelle wäre es zu der hier entscheidenden Frage gekommen, ob in- und ausländische Waren in ähnlicher Weise in der Lage waren, die Anforderungen der Maßnahme (nämlich den Alkoholgehalt) zu erfüllen. Wäre das der Fall gewesen, hätte die Maßnahme auch im Hinblick auf die Erfüllbarkeit ihrer Anforderungen den Grundsatz der Wettbewerbsgleichheit gewahrt und wäre damit Art. III GATT-mäßg gewesen. Wäre demgegenüber festgestellt worden, dass die kanadischen Waren die Anforderungen nicht in jener Weise hätten erfüllen können wie inländische Waren, wäre die Maßnahme wegen Vorenthaltung der von Art. III GATT geforderten Wettbewerbsgleichheit in der Erfüllbarkeit GATT-widrig gewesen. Dieses alternative Prüfungsprogramm nach der Erfüllbarkeit der Anforderung verdeutlicht genau jene Frage, auf die es hier ankommt, nämlich, ob die kanadischen Hersteller niedrigalkoholiges Bier, wie es ein Anknüpfungsmerkmal für die Maßnahme war, nicht herstellen können, oder ob sie es, anders als die US-amerikanischen Hersteller, nicht herstellen wollen (aus welchen Gründen auch immer: Marktanteile in Kanada, kulturelles Bewusstsein, gesetzliche Lage in Kanada o.ä.). In diesem Lichte wird der Unterschied zu den oben dargestellten anderen Alkoholfällen (destilierter Alkohol in Japan, Korea und Chile) unmittelbar deutlich: Bier kann mit Unterschieden im Alkoholgehalt von mehr oder weniger als 3,2% respektive 4% pro Gewicht und 5% pro Volumeneinheit hergestellt werden, und zwar sowohl in Kanada als auch in den USA. Beide Sorten von Bier sind in beiden Ländern immer noch Bier und werden auch als solches zugelassen, verkauft und getrunken. Whisky mit weniger als 40o Alkoholstärke ist demgegenüber kein Whisky mehr, sondern de jure etwas qualitativ anderes, und zwar sowohl in Japan, Korea und Chile als auch im Rest der Welt. Ein ausländischer Whiskyhersteller kann das niedriger prozentige und niedriger besteuerte Getränk aber nicht genau so gut herstellen wie ein inländischer Hersteller dieses Getränkes. Stellt man das Merkmal der Erfüllbarkeit in den Mittelpunkt der Überlegungen, werden damit die Unterschiede und Grenzlinien unmittelbar deutlich: Wird in der unterschiedslos formulierten Maßnahme an eine typenkonstitutive Eigenschaft der Ware angeknüpft, so 278

Ibid., Rn. 5.73 f.

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ist die Maßnahme von manchen Waren erfüllbar, nämlich jenen, die diese Eigenschaft besitzen, und von anderen nicht, nämlich jenen, die diese Eigenschaft nicht besitzen. Denn sie gehören nach der Verkehrsanschauung einem anderen Typus von Waren an. Sollen sie die geforderte Eigenschaft erwerben, dann wechseln sie ihren Typus und sind damit nicht mehr jene Ware, die sie ursprünglich einmal waren. Hierin liegt der Kern des Protektionismusvorwurfs. Interessanterweise liegen diese Überlegung letztlich sogar auch den Erwägungen des panels zugrunde. Denn wenn es den Zweck einer Maßnahme danach untersucht, ob er protektionistischer Art ist, dann muss es in der einen oder anderen Form Gedanken der Wettbewerbsgleichheit berücksichtigen. Dabei ist es ein wesentlicher Schritt festzustellen, welche Gesetzeszwecke die Maßnahme außer einem gegebenenfalls protektionistischen Zweck (noch) hat, z. B. Gesundheitsschutz oder Steuereinnahmen. Dies ist aber nur der erste (sozusagen negative) Schritt. Dementsprechend hat es das panel auch dahinstehen lassen, welcher dieser Gesetzeszwecke hier vorlag.279 Der zweite und dann entscheidende Schritt ist die positive Feststellung darüber, ob daneben (oder allein) auch ein protektionistischer Zweck auszumachen ist. Um diese Frage sinnvoll beantworten zu können, bedarf es zunächst der Feststellung, ob die Maßnahme an die Herkunft anknüpft und, negativenfalls, ob die Maßnahme sonst die Wettbewerbsgleichheit vorenthält oder nicht. Man mag es drehen und wenden, wie man möchte: Auch im Rahmen des aims und effects-Tests, wie er vom panel durchgeführt wurde, muss bei der Überprüfung unterschiedslos formulierter Maßnahmen früher oder später eine Feststellung über die Erfüllbarkeit erfolgen. Das panel hat diese Feststellung der Sache nach auch getroffen, denn es hat festgestellt, dass der Alkoholgehalt nicht als „Mittel“ (!) für mitgliedstaatlichen Protektionismus diente („[ . . . ] that the alcohol content of beer has not been singled out as a means of favouring domestic producers over foreign producers (Hervorhebung durch den Verfassers).“280 Warum aber konnte das panel dies mit solcher Sicherheit feststellen, dass es nicht einen einzigen Satz zur Begründung anführte? Weil das Mittel des Alkoholgehalts in dieser Größenordnung bei Bier zum Protektionismus im Sinne des Art. III GATT gar nicht in der Lage ist. Er ist in Kanada im Grundsatz genauso zu ereichen ist wie in den USA! Es mag zwar sein, dass die kanadischen Hersteller aus irgendwelchen Gründen ihr Bier nicht mit diesen Alkoholgehalt brauen. Dies ist aber frei gewählte Entscheidung entweder der kanadischen Bierbrauer (Beisp.: zu geringe Ertragsraten) oder des kanadischen Gesetzgebers (Beisp.: Gesundheitsschutz). Dieser Gesichtspunkt regulativer Divergenz ist nach der oben herausgearbeiteten Zielstruktur kein Fall des Art. III GATT! Ganz ähnlich liegt es in der Panelentscheidung zur US-amerikanischen Besteuerung von Kraftfahrzeugen. Die europäischen Gemeinschaften hatten Anfang der neunziger Jahre bestimmte Teile dieses Besteuerungssystems angegriffen, und zwar unter anderem, soweit die Besteuerung vom Preis der Kraftfahrzeuge (Luxus279 280

Ibid., Rn. 5.74. Ibid., 5.74.

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steuer) beziehungsweise vom Verbrauch der Kraftfahrzeuge („Gas Guzzler tax“) abhängig war (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(bb) oben).281 Die Steuern wurden jeweils unterschiedslos auf inländische und ausländische Waren erhoben. Ähnlich wie in der Panelentscheidung zur US-amerikanischen alkoholabhängigen Besteuerung von Bier entwickelte das panel seine Vergkleichbarkeitsprüfung auch hier an den Maßstäben der gesetzgeberischen Zwecke der Maßnahme und ihrer Wirkungen (aims and effects-Test)282 und lehnte sodann die Gleichartigkeit in- und ausländischer Kraftfahrzeuge ab, da weder die Luxussteuer283 noch die verbrauchsabhängige Steuer284 protektionistische Zwecke verfolgte oder in protektionistischer Weise wirkte. Die Entscheidung wurde nicht angenommen. Dennoch soll sie hier kurz erwähnt werden. Denn auch in diesem Fall ist es letztlich der Gedanke der Erfüllbarkeit der Maßnahme, der im Vordergrund stand.285 Dieser Schwerpunkt auf der qualitativen, nicht quantitativen Ebene wird in folgender Aussage besonders deutlich: „The technology to manufacture high fuel economy automobiles – above the 22.5 mpg threshold – was not inherent to the United States, nor were low fuel economy automobiles inherently of foreign origin [ . . . ] (Hervorhebung durch den Verfasser)“. Derartige Aussagen bestätigen, dass das panel hier im Kern seiner Begründung hervorhebt, dass die Maßnahmen auch durch ausländische Wagen in vollkommen gleicher Weise erfüllbar waren wie von den US-amerikanischen Wagen. Eine Ausnahme bildet allerdings ein bestimmtes Element in der Panelentscheidung zur US-amerikanischen Besteuerung von Kraftfahrzeugen, namentlich zur Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Hochverbrauchautos mit Niedrigverbrauchautos zu „kompensieren“ (Corporate Average Fuel Economy (CAFE) Regulations): Die Möglichkeit, Hochverbrauchautos mit Niedrigverbrauchautos zu kompensieren (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(bb) oben) bestand lediglich für sogenannte „full-line manufacturers“, dass heißt für lediglich solche Hersteller, die in einem bestimmten Rahmen eine gesamte Palette von unter anderem verbrauchsniedrigen Wagen herstellten oder verkauften.286 Dies führte dazu, dass Importeure, die nur einen bestimmten Ausschnitt aus einer gesamten Palette importierten, nicht in den Genuss der Durchschnittsbildung („averaging“) kommen konnten: Das panel schloss hieraus auf eine de facto-Diskriminierung.287 Diese Entscheidung bildet einen Kontrapunkt zum hier entwickelten Merkmal der Wettbewerbsgleicheit in der Erfüllbarkeit unterschiedslos formulierter Maßnahmen. 281 United States – Taxes On Automobiles, Panelbericht vom 11. Oktober 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 1399, Rn. 2.2 ff. und 2.5 ff. 282 Im Hinblick auf die Luxussteuer ibid., Rn. 5.9. 283 Ibid., Rn. 5.10 ff. 284 Ibid., Rn. 5.24., 5.25. 285 Ibid., Rn. 5.25. 286 United States – Taxes On Automobiles, Panelbericht vom 11. Oktober 1994 (nicht angenommen), 33 ILM 1994, S. 1399, Rn. 2.14 ff. 287 Ibid., Rn. 5.51 ff.

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Denn die Voraussetzung für den gewährten Vorteil der Durchschnittsbildung („averaging“) – das Anbieten einer ganzen Palette von Fahrzeugen im Sinne der Maßnahme („full-line manugfacturer“) – galt für alle Anbieter von Waren gleichermaßen, also sowohl für inländische als auch für ausländische Anbieter. Sie war im Grundsatz von in- und ausländischen Waren auch in gleicher Weise erfüllbar. Denn ausländische Hersteller sind genauso in der Lage, ganze Paletten herzustellen, wie inländische Hersteller. Gleiches gilt für Importeure. Auch sie waren in der Lage, diese Paletten in Gänze zu importieren, genauso, wie inländische Händler in der Lage waren, die Produktpaletten in Gänze zu handeln. Stellen Hersteller derartige Warenpaletten – aus welchen Gründen auch immer – nicht her und importieren Importeure derartige Waren – ebenfalls aus welchen Gründen auch immer – nicht, so muss ihnen dies selbst zugerechnet werden. Eine Regelung, die in unterschiedsloser Weise die Eigenschaft von Händlern oder Herstellern anknüpft, ist nicht in protektionistischer Weise diskriminierend, wenn die ausländischen Hersteller die Regel zwar in vollkommen gleicher Weise befolgen können, dies aber aus irgendwelchen (ökonomischen) Gründen nicht wollen! Anders läge es allenfalls dann, wenn die Importeure von ausländischen Herstellern abhängig wären, die nicht die volle Linie herstellten, und ihnen daher entsprechende Importe faktisch abgeschnitten wären, selbst wenn sie sie an sich anstrebten. Eine solche Abhängigkeit ist aber nicht ohne weiteres zu vermuten. Bestünde sie, zeichnete sie zudem nicht allein die Importeure aus. Denn sie könnte bei inländischen Händlern gegenüber inländischen Herstellern genauso bestehen wie bei Importeuren gegenüber ausländischen Herstellern. Hinsichtlich des Erfordernisses des „full-line manufacturings“ handelt es sich nach dem hiesigen Prüfungsschema daher um eine Fehlentscheidung, die dem mitgliedstaatlichen Bedürfnis nach Autonomieschutz nicht hinreichend gerecht wird. Diese Feststellung ist an dieser Stelle bedeutsam. Denn sie schränkt die hier vertretene These ein, dass die Streitbeilegungsorgane zwischen Antiprotektionismus und Autonomieschutz immer richtig entschieden hätten: Sie haben nicht immer richtig entschieden, sondern nur fast (!) immer. An dieser Feststellung ändert hier auch nichts, dass die Entscheidung nicht angenommen wurde. Denn als nicht angenommene Entscheidung ist sie zwar welthandelsrechtlich nicht „in der Welt“, wohl aber als historisches Ereignis. Insoweit ist sie auch tatsächlich beachtenswert. Dies gilt um so mehr, als sie aus anderen als den hier genannten Gründen nicht angenommen wurde, namentlich wegen der Anwendung des aims and effects-Tests, dem die Gemeinschaften kritisch gegenüberstanden.288 Von den hier angesprochenen Punkten ist in den Stellungnahmen der Vertragsparteien, soweit sie dem Verfasser zugänglich waren, demgegenüber nirgendwo die Rede.

288 Vgl. etwa die Analyse bei Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 629.

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(b) Das Hormonverfahren Ganz anders liegt es freilich im unionalen Hormonfleischfall. Die USA und Kanada griffen ein unionales Importverbot an, das für solche Fleischwaren galt, die aus Rindern hergestellt worden waren, die mit bestimmten natürlichen oder synthetischen Wachstumshormonen behandelt worden waren. Die angegriffene Maßnahme diente damit der Ergänzung eines entsprechenden unionalen Herstellungs- und Verkaufsverbotes.289 In erster Linie behaupteten die USA und Kanada einen Verstoß gegen die Beschränkungsverbote des SPS, wie sie sich aus der Kombination der Vorschriften der Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS ergeben. Kern der Vorwürfe war insoweit, dass die unionale Maßnahme dem unter den Vorschriften erforderlichen wissenschaftlichen Nachweis nicht genüge und dass sie im Übrigen auch nicht auf die hier relevanten Standards der CODEX ALIMENTARIUS Kommission gestützt sei, wie es insbesondere Art. 3.1 SPS fordere.290 Hilfsweise behaupteten sie einen Verstoß gegen die Diskriminierungsvorschriften der Art. 2.3 und 5.5 SPS. Kern der Vorwürfe war insoweit, dass die Union willkürliche Unterschiede im Schutzniveau errichtet habe, die zu einer Diskriminierung und verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führten.291 Besonders schwerwiegend erscheint insoweit der Vorwurf, die Union verbiete hormonbehandeltes Fleisch lediglich im Rindfleischsektor, der durch massive öffentliche Unterstützung zu Überproduktionen geführt habe, während es im Schweinefleischsektor vergleichbare Verbote im Hinblick auf das ebenso carcinogene Carbanox nicht erlassen habe, was auch der größeren Marktorientierung dieses Sektors durchaus entspreche.292 Noch einmal hilfsweise behaupteten die USA schließlich einen Verstoß gegen Art. III Abs. 4 GATT.293 Das panel folgte dem klägerischen Vorbringen weitgehend und stellte Verstöße gegen Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS294 sowie gegen Art. 2.3 und 5.5 SPS295 289 Zu den Einzelheiten der Maßnahme etwa EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 2.1 ff. und zusammenfassend Rn. 8.1 ff. Kurze Zusammenfassung auch in EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 2 ff. Der Streit lässt sich bis in die achtziger Jahre hinein zurückverfolgen. Bereits 1987 gab es Auseinandersetzungen unter dem damals geltenden Tokioter TBT-Abkommen und dem GATT, ohne dass es insoweit allerdings eine zufriedenstellende Lösung gegeben hätte (vgl. den Panelbericht zur Klage der USA, Rn. 2.34 ff.). Da die Panelberichte zu den hier interessierenden Gesichtspunkten inhaltlich identisch sind, werden Nachweise zum folgenden lediglich in Bezug auf den Panelbericht zur Klage der USA angegeben. 290 Zusammenfassung des Vortrags in EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 3.2. Einzelheiten (zusammen mit dem unionalen Vortrag) jeweils in ibid., Rn. 4.23 – 4.62 sowie 4.73 – 4.215. 291 Ibid., Rn. 4.63 bis 4.72 sowie 4.217 bis 4.222. 292 Ibid., Rn. 4.221. 293 Ibid., Rn. 4.245 bis 4.257.

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fest. Die vom panel unter Art. 5.5 SPS vorgenommenen Prüfungen sind im hier vorliegenden Zusammenhang von großer Relevanz. Denn sie haben den spezifisch diskriminierenden Charakter der angegriffenen Maßnahme zum Gegenstand (wenngleich im Rahmen einer arbiträren und die normativen Zusammenhänge verschleiernden Unterscheidung zwischen Risikobewertung und Risikomanagement296). Der Prüfung soll an dieser Stelle daher ein besonderes Augenmerk gewidmet werden. Kern der Prüfung des panels war die Bildung von vier unterschiedlichen Vergleichsgruppen, namentlich (1) der Vergleich der Gabe bestimmter natürlicher Hormone zum Zwecke der Wachstumsförderung mit dem natürlichen Vorkommen dieser Hormone in Rindern297, (2) der Vergleich der Gabe dieser natürlichen Hormone zum Zwecke der Wachstumsförderung mit der Gabe derartiger Hormone aus therapeutischen und bestimmten zootechnischen Gründen298, (3) der Vergleich der Gabe bestimmter synthetischer Hormone zum Zwecke der Wachstumsförderung mit der Gabe der natürlichen Hormone299 und schließlich (4) der Vergleich der hier diskutierten Hormongaben an Rinder zur erwähnten Gabe des krebserregenden Stoffes Carbadox an Schweine300. Das panel hat das Vorliegen der Voraussetzungen aller zu prüfenden Merkmale des Art. 5.5 SPS301 für alle der beschriebenen Vergleichsgruppen anerkannt. Be294 Ibid., Rn. 8.20 ff. Entsprechend dem Charakter der zum Maßstab herangezogenen Vorschriften (Beschränkungsverbote) wurde der protektionistische Charakter insoweit unabhängig gegebenenfalls bestehender Diskriminierungen diskutiert und festgestellt. Die Ausführungen des panels zu diesen Verstößen enthalten mithin Überlegungen über den protektionistischen Gehalt der angegriffenen Maßnahme, ohne dabei auf gegebenenfalls diskriminierende Elemente einzugehen. Die Ausführungen sollen an dieser Stelle daher nicht weiter diskutiert werden (zu Einzelfragen vergleiche aber näher Teil C.II.4). Lediglich sei hier erwähnt, dass das Berufungsgremium die Ergebnisse des panels weitgehend bestätigte, allerdings die Begründung in mancherlei Hinsicht ersetzte, insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung des Merkmals des „Gestütztseins“ einer Maßnahme auf einen internationalen Standard nach Art. 3.1 SPS und das Verhältnis der ersten drei Absätze des Art. 3 SPS untereinander, vgl. EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 157 ff. 295 Ibid., Rn. 8.167. 296 Das Berufungsgremium stellte ausdrücklich fest, dass es für diese Unterscheidung keine textuale Grundlage in Art. 5 SPS gebe, vgl. EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 2, Rn. 181. 297 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.186 ff. 298 Ibid., Rn. 8.186 ff. 299 Ibid., 8.207 ff. 300 Ibid., 8.219 ff. 301 Die Prüfungskriterien sind entsprechend den Voraussetzungen des Art. 5.5 SPS jeweils (1) ein unterschiedliches Schutzniveau in unterschiedlichen Situationen, (2) Willkür oder Ungerechtfertigtheit in den Unterschieden des Schutzniveaus und (3) Diskriminierung oder verschleierte Beschränkung des internationalen Handels infolge dieser Unterschiede.

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merkenswert ist dies nicht nur im Hinblick auf das Merkmal der Willkür und Ungerechtfertigtheit der festgestellten Unterschiede im Schutzniveau, deren Voraussetzungen das panel mit zum Teil atemberaubender Selbstverständlichkeit angenommen hat.302 Bemerkenswert ist es vor allem im Hinblick auf das Merkmal der Diskriminierung oder verschleierten Handelsbeschränkung. Interessanterweise geht das panel nämlich davon aus, dass bereits aus einem besonders deutlichen Vorliegen der beiden ersten Voraussetzungen (willkürliche und ungerechtfertigte Unterschiede im Schutzniveau) auf eine „Diskriminierung oder verschleierte Handelsbeschränkung“ geschlossen werden könne, namentlich dann, wenn die Unterschiede im Schutzniveau wie hier sehr groß seien („kein Rückstand“ versus „unbegrenzter Rückstand“).303 Damit reduziert das panel den Tatbestand der Diskriminierung auf ein Kriterium der Größe des Unterschieds im Schutzniveau.304 Eine solche Reduzierung des Merkmals der Diskriminierung oder verschleierten Handelsbeschränkung ist der herausragenden Bedeutung dieses Merkmals freilich voll302 Im Hinblick auf die Vergleichgruppen (1) hat das panel das Vorliegen dieser Voraussetzungen vor allem mit der Begründung angenommen, dass sich der Rückstand zugeführter natürlicher Hormone quantitativ im Rahmen der Rückstände endogen, also natürlich im Tier bestehender natürlicher Hormone bewege (Rn. 8.194 f.). Dem Verfasser ist diese Argumentation nicht einleuchtend. Mit dem Berufungsgremium (dort Rn. 221 ff.) geht er vielmehr davon aus, dass zwischen natürlich vom Tier (endogen) produzierten Hormonen und künstlich von außen für aus welchen Gründen auch immer gegebenen natürlichen Hormonen ein erheblicher Unterschied besteht, der sich schon in der Möglichkeit zu regulatorischem Handeln schlechthin äußert. Die mitgliedstaatliche Regulation der natürlichen Produktion von Hormonen durch das Tier als echte Handlungsalternative zu sehen, lässt bereits die ganze Unterscheidung absurd erscheinen, die die USA hier vorgetragen haben und die das panel hier übernommen hat. Im Hinblick auf die Vergleichgruppe (2) sah es angesichts seiner Schlussfolgerung keinen weiteren Feststellungsbedarf mehr, fügte aber hinzu, dass therapeutische und zootechnische Hormonbehandlungen recht häufig vorkämen und angesichts dessen ein „Nullrückstand“ kaum sinnvoll erreicht werden könne (Rn. 8.199 ff.). Auch insoweit kann sich der Verfasser der Kritik des Berufungsgremiums anschließen (dort Rn. 223), nach der bereits der selektive Charakter therapeutische und zootechnische Hormongaben von allgemeinen Hormongaben zum Zwecke der Wachstumsförderung unterscheidet. Im Hinblick auf den Stoff Carbadox, also die Vergleichsgruppe (4), begründet das panel sein Ergebnis der Willkür und Nichtrechtfertigbarkeit allerdings zu Recht damit, dass die Wirkungen von Carbadox einerseits und den hier diskutierten Hormonen andererseits, die Regelmäßigkeit der Behandlung und die Möglichkeiten zum Mißbrauch in der Tat sehr ähnlich seien (Rn. 8.230 ff.). Das Berufungsgremium stimmt dem im Wesentlichen zu (dort Rn. 226 ff.). Es erscheint in der Tat willkürlich, wenn trotz dieser Ähnlichkeiten derartige Unterschiede in der Höhe des Schutzniveaus bestehen, ohne dass diese näher begründet werden. Die Union hat offenbar nicht einmal den Versuch einer wissenschaftlichen Begründung vorgelegt (Panelbericht Rn. 8.230.). 303 Ibid., Rn. 8.240 ff. Vergleiche für die Gruppen der natürlich vorhandenen (endogenen) oder der aus therapeutischen Gründen gegebenen natürlichen Hormone genau parallel bereits ibid., Rn. 8.202 ff. 304 In eine ähnliche Richtung bereits die Union in ihrer Berufungsschrift, obgleich sie sogar soweit geht, dass das dritte Kriterium in einer solchen Wahrnehmung den beiden ersten Kriterien „gar nichts“ hinzufüge, vgl. EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 2, Rn. 35.

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kommen unangemessen. Sie ist selbst im Lichte der sogenannten de minimis-Regel uangemessen, die das Berufungsgremium im japanischen Alkoholfall im Hinblick auf Art. III Abs. 2 S. 2 GATT entwickelt hat305 und auf die das panel verweist.306 Denn die Größe des Unterschieds im Schutzniveau ist allenfalls ein Indikator für die Effektivität einer gegebenenfalls bestehenden Diskriminierung oder verschleierten Handelsbeschränkung, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für das Bestehen einer solchen Diskriminierung oder verschleierten Handelsbeschränkung. Das Merkmal muss, um einen eigenständigen Gehalt zu bekommen, vielmehr durch Kriterien konstituiert werden, die in einer protektionistischen Ungleichbehandlung (für die Diskriminierung) oder in einer sonst protektionistischen Wirkung (für die verschleierte Handelsbeschränkung) wurzeln. Das Berufungsgremium hat diesen Überlegungen entsprechend darauf hingewiesen, dass eine derartige Reduzierung nicht zielführend sei, um die von der Vorschrift geforderte Diskriminierung oder verschleierte Handelsbeschränkung nachzuweisen.307 Es hat daher die Prüfung im Hinblick auf dieses dritte Merkmal fortgesetzt, soweit dies noch erforderlich war.308 Im Rahmen der Prüfung kam es zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen Art. 5.5 SPS nicht vorliege, weshalb es die Panelentscheidung insoweit aufhob.309 Leitender Gedanke war dabei, dass die Befürchtungen der Unionsbürger im Hinblick auf die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse zur Carcinogenität von Hormonen, die bestehenden Mißbrauchsgefahren und die „Reinheit“ des Fleischangebots im Binnenmarkt in ihrer Tiefe und Breite berücksichtigt werden müssten.310 Berücksichtigt werden müsse 305 Japan – Taxes On Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, S. 31. 306 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.183. 307 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 240: „[ . . . ] we do not think that the difference between a „no residues“ level and „unlimited residues“ level is, together with a finding of an arbitrary or unjustifiable difference, sufficient to demonstrate that the third, and most important, requirement of Article 5.5 has been met.“ 308 Ibid., Rn. 241 ff. Das Merkmal war entsprechend dem Ergebnis der Prüfung des zweiten Merkmals nur noch im Hinblick auf das Schutzniveau für Fleisch von solchen Tieren erforderlich, die mit dem Stoff Carbadox behandelt worden waren. Aus Sicht des Verfassers lassen sich die Überlegungen zu Carbadox aber ohne weiteres auf die Prüfung einer Diskriminierung gegenüber den anderen Vergleichsgruppen übertragen. Denn Kern der Überlegungen ist insoweit, wie weiter unten näher kritisiert wird, eine Zweckanalyse, die im Hinblick auf die anderen Vergleichsgruppen gleichermaßen Geltung beansprucht. Aber selbst im Hinblick auf das hier vertretene Erfüllbarkeitskriterium ließe sich eine Argumentation ohne weiteres übertragen, wie sich im Folgenden zeigen wird. 309 Ibid., Rn. 246. 310 Ibid., Rn. 245: „[ . . . ] the depth and extent of the anxieties experienced within the European Communities concerning the results of the general scientific studies (showing the carcinogenicity of hormones), the dangers of abuse (highlighted by scandals relating to blackmarketing and smuggling of prohibited veterinary drugs in the European Communities) of

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insbesondere die aus Sicht der Union notwendige Harmonisierung des innerunionalen Handels und der Abbau innerunionaler Fleischüberschüsse.311 Das unionale Bemühen um diese Politikziele lasse für die Wahrnehmung des panels keinen Raum, nach der die Maßnahme zum Schutz der unionalen Fleischhersteller vor USamerikanischem und kanadischem hormonbehandeltem Fleisch geschaffen („designed“) worden sei.312 Die Hormonentscheidungen sind in der Form, die sie durch die Entscheidung des Berufungsgremiums erhalten haben, für das WTO / GATT-Recht revolutionär. Denn sie haben eine nicht-diskriminierende Maßnahme für WTO / GATT-widrig erklärt (nämlich unter den Beschränkungsverboten, nähere Einzelheiten Teil C.II.3 unten), und zugleich festgestellt, dass die Maßnahme nicht diskriminierend sei. Dies ist mehr als die bloße Feststellung der WTO / GATT-widrigkeit einer in diesem Sinne nicht-diskriminierenden Maßnahme. Denn die bloße Feststellung der WTO / GATT-widrigkeit einer in diesem Sinne nicht-diskriminierenden Maßnahme nach den hier relevanten Beschränkungsverboten des SPS würde, für sich genommen, noch nichts darüber aussagen, ob die feststellenden Organe die Maßnahme tatsächlich für nicht-diskriminierend halten oder nicht. Man könnte in derartigen Konstellationen daher auf den Gedanken kommen, dass die zuständigen Organe hier eine nicht-diskriminierende Maßnahme fälschlicherweise für diskriminierend und daher für WTO / GATT-widrig gehalten haben, wenn auch am Maßstab des gegebenenfalls „falschen“ Verbotstatbestand (Beschränkungsverbot) und dementsprechend mit der gegebenenfalls „falschen“ Begründung. Stellen die zuständigen Organe aber zugleich den nicht-diskriminierenden Charakter der Maßnahme fest, die sie für WTO / GATT-rechtswidrig halten, so liegt hierin die Anerkennung eines Paradigmenwechsels, nämlich die offene und vollständige Anerkennung dessen, dass nicht-diskriminierende Maßnahmen trotz ihres nicht-diskriminierenden Charakters gegen das WTO / GATT-Recht verstoßen können. Um im Zusammenhang des Hormonfalls zu bleiben: Hätten sich das panel und das Berufungsgremium auf die Prüfung von Verstößen gegen Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS beschränkt, so wäre unklar geblieben, ob die Organe in ihrer Gesamtheit die Maßnahme für diskriminierend gehalten haben oder nicht. Die Organe haben sich aber nicht auf die Prüfung von Verstößen gegen Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS beschränkt, sondern haben sich, obwohl sie insoweit einen Verstoß positiv festgestellt haben, der weiteren Prüfung der Art. 2.3 und 5.5 SPS gewidmet, einen Verstoß abgelehnt und damit den nicht-diskriminierenden Charakter der geprüften Maßnahme positiv festgestellt. Dogmatisch machen die Organe mit ihrer Entscheidung zum Hormonfall daher den Schritt von einem System des regulativen Wettbewerbs zu einem System der Deregulierung: Obwohl die Union hier festgestelltermaßen nicht gehormones and other substances used for growth promotion and the intense concern of consumers within the European Communities over the quality and drug-free character of the meat available in its internal market.“ 311 Ibid., Rn. 245. 312 Ibid., Rn. 245 a.E.

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genüber US-amerikanischen und kanadischen Fleischwaren diskriminiert hat, ist sie seit der Annahme der Entscheidungen durch das Streitbeilegungsgremium („Dispute Settlement Body“, vgl. Art. 2 Abs. 1 DSU und IV Abs. 3 WTO) innerhalb der Grenzen der festgestellten Verstöße zur Deregulierung verpflichtet. Nun gibt es freilich Stimmen, die trotz dieser vollkommen eindeutigen Lage erstaunlicherweise noch immer davon ausgehen, dass die hier angegriffene Maßnahme eine Diskriminierung sei, weil sie ausländische Waren häufiger treffe als inländische Waren. Nach der rein quantitativen Sichtweise, wie sie etwa Ehring entwickelt hat (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(1) oben) und wie sie auch das panel vertreten hat, müsste hier in der Tat eine Schlechterstellung im behandlungsbezogenen Element angenommen werden, und zwar allein deshalb, weil die Zahlen der Herstellung hormonbelasteten Fleisches anteilig an der Gesamtherstellung von Fleisch zur Zeit des Erlasses der Maßnahme in den USA und Kanada mit 70% sehr viel höher waren als in der Union.313 Nach dieser allein quantitativen Lösung wäre die Entscheidung des Berufungsgremiums also falsch, jedenfalls dann, wenn man für den Moment einmal eine strukturelle Parallelität zwischen den Art. 2.3 und 5.5 SPS einerseits und Art. III GATT annehmen möchte (dazu sogleich). Denn das Berufungsgremium hat das Vorliegen einer Diskriminierung abgelehnt, obwohl die unionale Maßnahme US-amerikanische und kanadische Fleischwaren völlig unstreitig in aktuell größerer Zahl traf als unionale Fleischwaren. Nach dem oben entwickelten qualitativen Prüfungsprogramm (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(2) oben) ist die Entscheidung des Berufungsgremiums – jedenfalls was die Diskriminierungsverbote anbelangt – demgegenüber im Ergebnis richtig, und zwar deshalb, weil die unionale Maßnahme von amerikanischen und ausländischen Waren normativ wie faktisch in genau gleicher Weise erfüllbar war wie von unionalen Waren. Das Berufungsgremium hat diesen – aus Sicht des Verfassers entscheidenden – Gesichtspunkt in seiner Prüfung zwar nicht erwähnt. Er liegt ihr aber sozusagen zugrunde. Dies zeigt sich bereits daran, dass die Begründung des Berufunggremiums ohne diesen Gesichtspunkt der gleichen Erfüllbarkeit nicht sinnvoll zu verstehen ist. Denn das Berufungsgremium beschränkt sich in seiner Begründung auf die soeben wiedergegebenen allgemeinen und daher wenig überzeugenden Zweckerwägungen (Befürchtungen über Gesundheitsschädlichkeit, Bemühungen um Überschussabbau im Binnenmarkt durch Harmonisierung usw.). Die Feststellung des Berufungsgremiums über das Bestehen dieser allgemeinen, d. h. nicht-protektionistischen Gesetzeszwecke ist zwar inhaltlich nicht falsch. Denn diese Zwecke verfolgt die Maßnahme offenbar tatsächlich, sonst wäre sie kaum so geschaffen worden, wie sie eben nun einmal tatsächlich geschaffen worden ist. Das Bestehen dieser nicht-protektionistischen Gesetzeszwecke schließt aber umgekehrt nicht aus, dass die Regelung nicht auch protektionistische Zwecke, jedenfalls aber protektionistische Wirkungen hatte. Im Gegenteil: Die unionalen 313 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.205.

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Hersteller blieben durch die Regelung von immerhin über 70 Prozent der nordamerikanischen Rindfleischherstellung als potenzieller Konkurrenz jedenfalls zunächst (nämlich bis zu einer eventuell erfolgenden Umstellung der nordamerikanischen Fleischhersteller) abgeschirmt. Dies ist eine geradezu klassisch protektionistische Wirkung (weshalb es unter den Beschränkungsverboten ja auch als Verstoß bewertet wurde). Nur wurde diese Wirkung eben nicht durch Ungleichbehandlung in der Erfüllbarkeit erreicht, sondern durch die Schaffung allgemeiner Regelungen. Angesichts dieses Nebeneinanders von protektionistischen und nicht-protektionistischen Gesetzeszwecken vermag eine zweckorientierte Prüfung, wie sie das Berufungsgremium vorgenommen hat, schon aus begründungsstrukturellen Gründen nicht zu überzeugen. Die Schwächen werden in der Begründung des Berufungsgremiums unmittelbar deutlich: Das Berufungsgremiums hat zwar festgestellt, dass es den USA und Kanada angesichts des Bestehens der allgemeinen (nicht-protektionistischen) Zwecke nicht gelungen sei, eine Diskriminierung nachzuweisen.314 In der Lektüre der entscheidenden Passagen wird aber nicht deutlich, warum das Berufungsgremium hier die protektionistischen Gesetzeszwecke zugunsten der nichtprotektionistischen Zwecke vernachlässigt. Das bloße Bestehen der nicht-protektionistischen Zwecke reicht hier kaum aus. Denn verschleierter Protektionismus versteckt sich immer hinter nicht-protektionistischen Zwecken (sonst wäre er nicht verschleiert), so dass nicht-protektionistische Zwecke in diesen Fällen grundsätzlich bestehen. Wenn protektionistische und nicht-protektionistische Zwecke nebeneinander bestehen, dann muss das Berufungsgremium daher darlegen, warum es hier die eine Gruppe von Zwecken (hier die nicht-protektionistischen Zwecke) zuungunsten der anderen Gruppe von Zwecken (hier die protektionistischen Zwecke) überwiegen lässt. Andernfalls erscheint die Entscheidung in gewisser Weise willkürlich. Denn wenn keine Gründe für das Überwiegen der einen Gruppe von Zwecken gegenüber der anderen Gruppe von Zwecken gegeben werden, dann ist nicht ersichtlich, warum die Entscheidung so fiel, wie sie fiel, und nicht etwa genau anders herum. Das Berufungsgremium hätte schließlich mit demselben gedanklichen Aufwand trotz des Bestehens nicht-protektionistischer Zwecke den Nachweis auch für geführt ansehen können, etwa wegen der ganz offenbar (auch) bestehenden oder jedenfalls nicht ganz ausschließbaren protektionistischen Zwecke. Nun kann man sich freilich darauf zurückziehen, dass das Berufungsgericht hier (wenn auch etwas rudimentär) abgewogen hätte zwischen der Bedeutung der nichtprotektionistischen Gesetzeswecke und derjenigen der protektionistischen Gesetzeszwecke. In der Sache ist dieses Argument vielleicht sogar nicht einmal falsch. Denn hier hat das Berufungsgremium tatsächlich Gesetzeszwecke gegeneinander abgewogen. Der Prozess des Abwägens als solcher wird durch diese Einsicht aber 314 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 289.

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nicht richtiger. Denn um einen Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot endgültig abzulehnen, d. h. positiv festzustellen, dass ein Verstoß nicht vorliegt, reicht es nicht aus, festzustellen, dass neben protektionistischen Gesetzeszwecken auch nicht-protektionistische Gesetzeszwecke bestehen. Vielmehr muss man, will man sich schon auf die Diskussion von Gesetzeszwecken und Gesetzes- „designs“ beschränken (was der Verfasser schon an sich für falsch hält, nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)cc) oben), positiv nachweisen, dass protektionistische Gesetzeszwecke nicht bestehen oder vernachlässigbar sind. Kann man, wie es in der Regel der Fall sein wird, den Nachweis über die Abwesenheit protektionistischer Zwecke nicht führen, dann muss man sich wenigstens darum bemühen zu erklären, warum man die nicht-protektionistischen Gesetzeszwecke zu Lasten der protektionistischen Gesetzeszwecke in den Vordergrund rückt und für entscheidend hält. Dies hat das Berufungsgremium aber, wie bereits festgestellt, nicht getan. Dies ist umso schwerwiegender, als bei unterschiedslos formulierten Maßnahmen, die vor die WTO-Streitbeilegungsorgane gelangen, protektionistische wie auch nicht-protektionistische Gesetzeszwecke regelmäßig nebeneinander vorliegen. Dies bestätigt sich bereits in dem oben gegebenen Überblick zu Streitverfahren über de factoDiskrimierungen (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(bb) oben). Diese Überlegungen zeigen, dass es für den Nachweis einer Diskriminierung im Sinne des Art. 5.5 SPS eines nachvollziehbaren Kriteriums bedarf, d. h. eines Kriteriums, das einen sinnvollen Diskurs erlaubt, der nicht auf das bloße Behaupten oder Nichtbehaupten einer Diskriminierung reduziert ist. Das qualitative Kriterium der Gleichheit in der Erfüllbarkeit ist ein solches Kriterium. Es erlaubt den Nachvollzug der Gründe, warum hier richtigerweise keine Diskriminierung vorliegt. Die Gründe für die Ablehnung einer Diskriminierung liegen nämlich nicht in einem Überwiegen irgendwelcher behauptbaren nicht-protektionistischen Gesetzeszwecke gegenüber behauptbaren protektionistischen Gesetzeszwecken, sondern darin, dass US-amerikanische und kanadische Fleischhersteller die unionale Maßnahme nicht nur normativ, sondern auch faktisch genauso gut (oder genauso schlecht) erfüllen konnten wie unionale Hersteller.315 US-amerikanische und kanadische Hersteller können hormonfreies Fleisch nämlich genauso gut herstellen wie 315 Dieser Gedanke leuchtet in dem unionalen Berufungsvortrag an einer Stelle sogar auch tatsächlich auf, wenn auch nur sehr blass und sozusagen im Gedanken regulativer Diversität versteckt: „The fact that there was a higher percentage of beef treated with growth promotion hormones in Canada and in the United States, as compared with the European Communities, was simply a reflection of the fact that Canada and the United States had allowed this practice for a long time while the European Communities had not“, ibid., Rn. 244. Die Union vermischt diesen richtigen Gedanken allerdings leider sogleich mit dem weiteren (falschen) Gedanken, die Regelung habe keine protektionistischen Wirkungen, ibid., Rn. 244 am Ende. Im Hinblick auf die Beklagtenstellung der Union ist diese Vermischung vielleicht nachzuvollziehen. In dogmatischer Hinsicht ist sie aber zu bedauern. Es wäre (jedenfalls im Hinblick auf Art. 2.3 und 5.5 SPS) überzeugender gewesen, wenn die Union die protektionistischen Wirkungen anerkannt und den Schwerpunkt ihrer Argumentation darauf verlegt hätte, dass diese protektionistischen Wirkungen nicht durch Diskriminierung entstünden.

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unionale Hersteller. Nichts hindert sie daran, ihre Rinder ohne Hormone aufzuzüchten. Insbesondere macht das spezifische Aufwachsen eines Rindes in Nordamerika nicht schon als solches Hormongaben notwendig. Bezeichnenderweise hat die USA in ihren Antragsbegründungen zu Art. 5.5 SPS denn auch zwar protektionistische Wirkungen behauptet, nicht aber, dass ihre Hersteller hormonfreies Fleisch schlechter herstellen könnten als unionale Hersteller.316 Damit aber haben die USA im Kern am Gedanken spezifisch protektionistischer Diskriminierung „vorbeiargumentiert“. Sie haben zwar sinnvoll begründet, dass die Maßnahme protektionistische Wirkungen habe (sie hat sie tatsächlich). Insbesondere haben sie begründet, dass der ihnen durch die Hormonverwendung zufließende komparative Kostenvorteil durch die Handelsbeschränkung verloren ginge (dementsprechend wurde von den Organen ein Verstoß gegen die Beschränkungsverbote positiv festgestellt). Der Nachweis einer protektionistischen Diskriminierung ist ihnen aber mißlungen, da sie nicht nachweisen konnten, dass die Maßnahme durch ausländische Waren schlechter erfüllbar war als durch inländische Waren. Nach dem qualitativen Kriterium der gleichen Erfüllbarkeit unterscheidet sich die unionale Maßnahme also von Maßnahmen, die zwar ebenfalls unterschiedslos formuliert sind, aber aus faktischen Gründen nicht in gleicher Weise von ausländischen Waren erfüllbar sind wie von vergleichbaren inländischen Waren. Ein aktuelles Beispiel aus der Streitbeilegung hierzu ist die unionale Maßnahme, die im Sardinenfall angegriffen wurde (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(b) oben). Ähnlichkeiten haben die Streitverfahren im Hormonfall und im Sardinenfall dadurch, dass die klägerischen Parteien in beiden Fällen den Handel mit solchen Waren beschränkt sehen, die in einem günstigeren Preisleistungsverhältnis stehen als die jeweils für vergleichbar gehaltenen Waren, wobei sich dieses günstigere Verhältnis entweder aus niedrigeren Kosten für die Herstellung ergibt (der Fang von Sardinops vor der peruanischen Küste ist für peruanische Fischer günstiger als der Fang von Sardinen im Nordatlantik) oder aus größeren Gewinnen aus der Herstellung (Hormonfleisch ist gewinnträchtiger als hormonfreies Fleisch). Unterschiede bestehen lediglich im Hinblick auf die Gleichheit in der Erfüllbarkeit. Denn für peruanische Fischer ist es nicht nur teurer, im Nordatlantik zu fischen als vor der peruanischen Küste. Vielmehr ist für sie – und dies (!) ist der entscheidende Punkt unter einem Diskriminierungsverbot – der Sardinenfang im Nordatlantik schon wegen der großen Entfernung teurer als für unionale Fischer. Genau diese Parallele findet sich im Hormonfall demgegenüber nicht. Für US-amerikanische Fleischhersteller ist die Herstellung von „Hormonfleisch“ zwar gewinnträchtiger als die Herstellung hormonfreien Fleisches. In diesem Sinne ist für sie die Herstellung hormonfreien Fleisches sozusagen „teurer“ als die Herstellung von „Hormonfleisch“. Die Herstellung von Hormonfleisch ist für sie aber (jedenfalls bezo316 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, 4.220 ff.; EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 52.

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gen auf die Hormonfreiheit des von ihnen hergestellten Fleisches) nicht teurer als für unionale Hersteller. Um es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich zu sagen: Das Diskriminierungsverbot schützt nicht den komparativen Kostenvorteil als solchen, sondern nur die Ungleichbehandlung in seiner Nichtgewährung! Der Umstand, dass es sich die Bürger eines Landes nicht leisten können, eine Maßnahme zu erfüllen, macht die Maßnahme noch nicht als solche zu einer diskriminierenden Maßnahme. Erst eine weitere Verteuerung oder, je nach Lage des Falles, geringere Gewinnträchtigkeit im Vergleich zu inländischen Herstellern macht die Maßnahme zu einer diskriminierenden Maßnahme. Im Sardinenfall lag eine solche Verteuerung vor (längerer und damit teurerer Weg in den Nordatlantik für peruanische Fischer als für unionale Fischer), im Hormonfall demgegenüber nicht. Wenn damit die entscheidende Erklärung für den vom Berufungsgremium festgestellten Nichtverstoß gegen Art. 5.5 SPS vollständig ist, bleibt noch die Bedeutung der Entscheidung für die Auslegung des Art. III GATT zu klären. Denn obwohl das Hormonpanel aus prozeduralökonomischen Gründen zu Art. III Abs. 4 GATT keine Stellung mehr genommen hat317, ist die Entscheidung für die Fortschreibung der Streitbeilegungspraxis unter Art. III Abs. 4 GATT von hoher Relevanz. Der Verfasser geht nicht nur davon aus, dass die Maßnahme unter Art. III Abs. 4 GATT erlaubt war. Er geht auch davon aus, dass das Berufungsgremium – hätte es eine Prüfung unter Art. III Abs. 4 GATT vorgenommen – einen Verstoß unter Art. III Abs. 4 GATT nicht festgestellt hätte. Diese Auffassung hat er nicht nur deshalb, weil das Berufungsgremium nach dem hier entwickelten Prüfkriterium einen Verstoß gegen Art. III GATT nicht hätte feststellen dürfen, sondern vor allem auch deshalb, weil die Äußerungen des Berufungsgremiums zu Art. 5.5 SPS vermuten lassen, dass das Berufungsgremium selbst in der Maßnahme keinen Verstoß gegen Art. III Abs. 4 GATT gesehen hätte. Zwar sind die Voraussetzungen von Art. 5.5 SPS einerseits und Art. III Abs. 4 GATT unterschiedlicher Art. Im Kernbestand, nämlich in der Voraussetzung einer „Diskriminierung“, ähneln sie sich aber doch in sehr erheblicher Weise. In diesem Sinne ist die Nichtfeststellung eines Verstoßes gegen Art. III Abs. 4 GATT vorliegend mehr als einfach nur das Fehlen der Feststellung eines solchen Verstoßes. Es ist sozusagen eloquentes Schweigen über die Grenzen des Art. III GATT. Freilich bedarf diese These von der positiven Bedeutung der Hormonberufungsentscheidung für die Grenzen des Art. III GATT, also vom „eloquenten Schweigen“ des Berufungsgremiums, weiterer Substantiierung. Denn nicht nur unterscheiden sich die Tatbestände trotz ihrer strukturellen Ähnlichkeit ihrem Wortlaut nach. Auch sind die oben dargestellten Schwächen in der Begründung des Berufungsgremiums nicht gerade dazu geeignet, genaue Erkenntnisse über eine Judizierung des Berufungsgerichts unter Art. III GATT zu erhalten. Man kann die Erwägungen des Berufungsgremiums zu den Art. 2.3 und 5.5 GATT in funktionaler 317 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.272.

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Hinsicht zwar ohne weiteres auf Art. III GATT übertragen. Denn wenn sich das Berufungsgremium derart allgemeine Abwägungsüberlegungen unter Art. 2.3. und 5.5 GATT meint erlauben zu können, warum soll es sich derart allgemeines Abwägen nicht auch unter Art. III GATT erlauben können? Gerade angesichts der Allgemeinheit der Erwägungen des Berufungsgremiums (allgemeines Abwägen von Gesetzeszwecken) könnte man aber auch genau andersherum argumentieren, nämlich dahin, dass die Entscheidung gerade wegen ihrer Allgemeinheit in der Abwägung für die (relativ viel stärker) differenzierte Streitbeilegungspraxis argumentativ keine Rolle spiele. Auf die Spitze getrieben würde eine solche Argumentation zu der Behauptung führen, dass das Berufungsgremium mit seiner Ablehnung einer Diskriminierung unter Art. 5.5 SPS noch nichts über eine Diskriminierung unter Art. III Abs. 4 GATT präjudiziert habe. Genauso könnte man behaupten, dass das panel mit seiner Annahme einer Diskriminierung unter Art. 5.5 SPS noch keine Präjudizierung über das Nichtvorliegen einer Diskriminierung unter Art. III Abs. 4 GATT vorgenommen habe. In diese Richtung der Unterschiede zwischen Art. 5.5 SPS und Art. III Abs. 4 GATT argumentierte angesichts der Panelentscheidung etwa die Union. Kern des Vorbringens der Union war dabei, dass der Tatbestand des Art. 5.5 SPS angesichts des Wortlautes des Art. 2.3 SPS eine Diskriminierung zwischen den Mitgliedstaaten durch unterschiedliche Schutznivaus für unterschiedliche Situationen voraussetze, nicht, wie Art. III GATT, eine Diskriminierung zwischen Waren, und dass dieser Unterschied Vergleiche zur Streitbeilegungspraxis unter Art. III GATT als unzulässig erscheinen lasse.318

318 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 34. Der Verfasser will an dieser Stelle noch keine abschließenden Aussagen zum Verhältnis zwischen Art. III GATT und Art. 5.5 SPS machen, wohl aber will er dezent auf die Oberflächlichkeit des unionalen Vergleichs hinweisen. Wortlaut und Kontext scheinen die unionale Differenzierung zwischen Diskriminierungen zwischen Mitgliedstaaten und Diskriminierungen zwischen Waren auf den ersten Blick zwar tatsächlich nahezulegen. Sinn wird der Vorschrift des Art. 5.5 SPS damit aber freilich nicht gegeben. Denn was ist schon eine Diskriminierung zwischen Mitgliedstaaten, wenn es nicht eine Diskriminierung zwischen Waren aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten ist? Dem Leser des Berufungsberichts bleibt der unionale Vortrag diese Frage schuldig. Der Verfasser kann sich nicht vorstellen, worin ein eigenständiger Gehalt einer Diskriminierung zwischen Staaten liegen soll, wenn er nicht in der Diskriminierung zwischen ihren Waren liegt. Nach seiner Ansicht meinen daher sowohl Art. III GATT als auch Art. 5.5 SPS trotz der tatsächlich bestehenden Wortlautunterschiede eine Diskriminierung zwischen Waren aus dem eigenen Mitgliedstaat und Waren aus dem fremden Mitgliedstaat. Daran ändert auch nichts, dass Art. 5.5 SPS von Unterschieden im Schutzniveau spricht. Denn letztlich handelt es sich bei den geforderten „Unterschieden im Schutzniveau“ um Unterschiede in Regelungen, d. h. es geht um Regelungen, wenn auch spezifisch um soche Regelungen, die gerade das Schutzniveau betreffen. Funktional handelt es sich bei dem Merkmal der Unterschiedlichkeit im Schutzniveau daher um dasjenige Merkmal, das in den Tatbeständen des Art. III GATT mit dem Begriff der „Maßnahme“ ausgefüllt wird. Wenn der Begriff „Ware“ demgegenüber nicht mehr in dem Tatbestand des Art. 5.5 SPS auftaucht, so heißt dies daher noch nicht, dass es nicht um Waren gehe. Es heißt vielmehr lediglich, dass das Merkmal der „Diskriminierung zwischen Mitgliedstaaten“ eben die Kurzform für eine „Diskriminierung zwi-

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Angesichts der unionalen Überlegungen zum Verhältnis von Art. III GATT und Art. 2.3 und 5.5 SPS bedarf es also einer genauen Begründung für die These, dass die Hormonentscheidung des Berufungsgremiums tatsächlich von Relevanz für die Auslegung des Art. III GATT ist. Aus Sicht des Verfassers lässt sich das Verhältnis zwischen Art. III GATT und Art. 5.5 SPS mit der unionalen Begründung nicht erklären. Die beiden Vorschriften haben in der Tat wichtige Unterschiede. Diese Unterschiede liegen aber nicht darin, dass die eine Vorschrift eine Diskriminierung zwischen Mitgliedstaaten verbiete, die andere aber zwischen Waren, sondern darin, dass die eine Vorschrift lediglich protektionistische „Diskriminierungen“ verbietet (Art. III GATT), während die andere Vorschrift sowohl protektionistische „Diskriminierungen“ als auch „verschleierte Beschränkungen des internationalen Handels“ verbietet (Art. 5.5 SPS). Insbesondere fällt auf, dass der Art. 5.5 SPS damit nicht dem Art. III GATT nachgebildet zu sein scheint, sondern dem Einleitungssatz („chapeau“) des Art. XX GATT. Dort finden sich nämlich ganz ähnliche Formulierungen wie etwa „willkürliche und ungerechtfertigte Diskriminierung“ und „verschleierte Beschränkung des internationalen Handels“. Auch in der englischen und in der französischen Version sind die Ähnlichkeiten nicht zu übersehen. Gegen eine unmittelbare Relevanz der Hormonentscheidungen zu Art. 2.3 und 5.5 SPS für die Auslegung des Art. III GATT spricht auf den ersten Blick die Nähe im Wortlaut zum Einleitungssatz des Art. XX GATT. Denn diese Nähe lässt die Vermutung zu, dass die Hormonentscheidungen für die Auslegung des Art. XX GATT gegebenenfalls größere Bedeutung haben könnte als für die Auslegung des Art. III GATT. Umgekehrt stellt sich die Frage, ob in der Auslegung der Art. 2.3. und 5.5 SPS gegebenenfalls die Streitbeilegungspraxis zu Art. XX GATT mit zu berücksichtigen sein müsste, und nicht die Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT. Zu denken wäre dabei etwa an jenes Element der Streitbeilegungspraxis, nach dem die „Diskriminierung“ im Sinne des Einleitungssatzes zu Art. XX GATT schon logisch einen anderen Gehalt haben müsse als die Diskriminierung unter Art. III GATT, weil sie dem Mißbrauch der Einreden der verschiedenen Buchstaben a) bis j) des Art. XX GATT durch die beklagte Partei vorbeugen solle (was dann nicht möglich wäre, wenn der Gehalt genau jenem des Merkmals der Diskriminierung in Art. III GATT entspräche . . . ).319 Allerdings passt dieses kontextuale Argument der Wortlautnähe zu Art. XX GATT für eine in diesem Sinne strenge Auslegung des Art. 5.5 SPS nicht eben gut, da dem Art. 5.5 SPS die spezifische Struktur und Funktion des Art. XX GATT weitgehend fehlt, so dass das vom Berufungsgremium zu Art. XX GATT angeführte Mißbrauchsargument im Zusammenhang des Art. 5.5 SPS in gewisser Weise schen Waren aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten“ sein wird, um einen sinnvollen Gehalt zu bekommen. 319 US – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT / DS2 / R, Bericht des Berufungsgremiums vom 29. April 1996, S. 23; United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. Oktober 1998, WT / DS58 / AB / R, Rn. 150.

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„ins Leere“ geht. Denn erstens fehlt dem Art. 5.5 SPS jene Enumeration von Rechtfertigungstatbeständen des Art. XX GATT, gegen deren mißbräuchliche Heranziehung der Einleitungssatz des Art. XX GATT gedacht war. Und zweitens ist die Vorschrift nach der Auslegung durch das Berufungsgremium schon funktional keine Rechtfertigungsvorschrift, sondern ein Verbotstatbestand. Die Anlehnung des Art. 5.5 SPS im Wortlaut an den Einleitungssatz des Art. XX GATT sagt über das Verhältnis des Art. 5.5 SPS zu Art. III GATT als solches daher noch nicht sehr viel aus. Insbesondere kann man aus dieser Anlehnung an Art. XX GATT noch nicht schließen, dass der Begriff der Diskriminierung in Art. 5.5 SPS enger auszulegen sei als derjenige in Art. III GATT. Gegen eine unmittelbare Relevanz der Hormonentscheidungen zu Art. 2.3 und 5.5 SPS für die Auslegung des Art. III GATT spricht auf den ersten Blick ferner der Umstand, dass das Merkmal der „Diskriminierung“ in Art. 5.5 SPS nicht, wie in Art. III GATT, alleine, sondern neben dem weiteren Merkmal der „verschleierten Beschränkung des internationalen Handels“ steht. Dieser Umstand hängt zwar mit der gerade angeführten Wortlautnähe zu Art. XX GATT zusammen, entfaltet aber unabhängig davon auch einen eigenen argumentativen Anknüpfungspunkt. Denn dieses Nebeneinander von „Diskriminierung“ und „verschleierter Handelsbeschränkung“ legt schon für sich genommen den Gedanken nahe, dass das Merkmal der „Diskriminierung“ in Art. 5.5 SPS angesichts seiner Alternativität zum weiteren Merkmal einer „verschleierten Handelsbeschränkung“ gegebenenfalls enger auszulegen sei als das Merkmal der „Diskriminierung“ in den Verbotstatbeständen des Art. III GATT, denen ein solches Nebeneinander mit einem weiteren beschränkungsbezogenen Merkmal fehlt. Man könnte diesen Gedanken in verschiedenen Ausformungen konkretisieren, etwa in der These, dass der Raum, der dem Merkmal der „verschleierten Handelsbeschränkung“ in Art. 5.5 SPS zugewiesen wird, den Raum für eine „Diskriminierung“ unter Art. 5.5 SPS einenge. Man könnte ihn ferner in der These ausformen, dass die Merkmale der „Diskriminierung“ und „verschleierten Handelsbeschränkung“ in Art. 5.5 SPS gemeinsam genau jenen Gehalt haben, der dem Merkmal der „Diskriminierung“ in Art. III GATT zukomme. Wie immer man diese Thesen miteinander kombiniert, so wird doch deutlich, dass sie ein erhebliches Potenzial gegen die hier vertretene These entwickeln können, dass die Hormonentscheidung des Berufungsgremiums Relevanz für die Grenzen des Art. III GATT habe. Denn wenn der Begriff der Diskriminierung in Art. 5.5 SPS danach tatsächlich enger ist als der Begriff in Art. III GATT, dann kann ein Verhalten wie das vorliegend angegriffene Verhalten der Union zwar gegebenenfalls außerhalb des Diskriminierungsbegriffs in Art. 5.5 SPS liegen, dennoch aber gegebenenfalls unter Art. III GATT verboten sein. Mit anderen Worten sagt dieser Gedanke also: Ein Verstoß gegen Art. III GATT ist angesichts dessen größerer „Weite“ nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Berufungsgremium das Nichtvorliegen einer „Diskriminierung“ im Sinne des Art. 5.5 SPS positiv festgestellt hat. Vielmehr kann ein Verstoß gegen Art. III GATT auch dann vorliegen, wenn eine Diskriminierung im Sinne des Art. 5.5 SPS nicht vorliegt. Konsequenz

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dieses Gedankens ist, dass man in der Tat aus der Hormonentscheidung des Berufungsgremiums nocht nichts (oder nicht viel) über die Grenzen des Art. III GATT rückschließen kann. Allerdings schießt auch dieses Argument zur unterschiedlichen Tatbestandsstruktur der Verbotstatbestände des Art. III GATT einerseits und des Art. 5.5 SPS andererseits weitgehend ins Leere. Denn die Doppelstruktur des Art. 5.5 SPS („Diskriminierung“ oder „verschleierte Handelsbeschränkung“) wirft zwar in der Tat erhebliche konzeptionelle Probleme auf, weil Beschränkungen, auch verschleierte Beschränkungen, ja bereits unter den Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS verboten sind (im Hinblick auf gesundheitsschützende Maßnahmen wohl abschliessend), während Diskriminierungen bereits als selbständiges Merkmal in Art. 5.5 SPS auftauchen. Es bleibt daher unklar, worin der Kern der „verschleierten Beschränkung“ liegt und wie diese sich zum Begriff der Diskriminierung verhält.320 Diese erheblichen Schwierigkeiten haben aber für die Aussagekraft der Hormonentscheidung des Berufungsgremiums für Art. III GATT, um die es an dieser Stelle allein geht, keine weitere Bedeutung. Denn das Berufungsgremium hat sich zum Merkmal der „verschleierten Handelsbeschränkung“ ja mit keinem Wort geäußert. Dies ist aus Sicht des Verfassers außerordentlich bedauerlich. Es ist in dogmatischer Hinsicht vielleicht sogar falsch. Denn das Nebeneinander von „Diskriminierung“ und „verschleierter Handelsbeschränkung“ in Art. 5.5 SPS ist eine alternatives Nebeneinander, wie durch die Verwendung des Wortes „oder“ (nicht „und“!) unmittelbar deutlich wird. Auch in den anderen Sprachfassungen ist das Neben320 Unbestreitbar dürfte sein, dass protektionistische Diskriminierungen immer auch Beschränkungen des Handels sind, denn andernfalls wäre die Diskriminierung nicht protektionistisch, da sie andernfalls ausländische Konkurrenz nicht fernhalten würde. Man mag sogar davon ausgehen, dass ihr handelsbeschränkender Charakter auch „verschleiert“ im Sinne des Art. 5.5 SPS ist, obwohl es letztlich hierauf wohl nicht ankommt, weil de facto-Diskriminierungen im Sinne des Art. III GATT ja auch „Diskriminierungen“ im Sinne des Art. 5.5 SPS sein dürften. Aber folgt daraus, dass „verschleierte Handelsbeschränkungen“ de facto-Diskriminierungen sein müssen? Kann es nicht auch so liegen, dass der Begriff der „verschleierten Handelsbeschränkung“ weiter ist als der der de facto-Diskriminierung? Wenn dem so wäre, dann hätte man ein echtes Abgrenzungsproblem zwischen den Beschränkungsverboten der Art. 2.2, 3.1, 3.3 und 5.2 SPS einerseits und den derart zu „Zwiddervorschriften“ werdenden Art. 2.3 und 5.5 SPS. Wären „verschleierte Handelsbeschränkungen“ im Sinne der Art. 2.3 und 5.5 SPS demgegenüber immer auch de facto-Diskriminierungen im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT, dann wäre eine Verletzung der Art. 2.3 und 5.5 SPS nicht nur immer auch eine Verletzung des Art. III Abs. 4 GATT, sondern umgekehrt wäre dann eine Verletzung des Art. III GATT auch eine Verletzung der Art. 2.2 und 5.5 SPS, solange die zugrundeliegende Maßnahme nur eine Maßnahme im Sinne des Anhangs A 1 zum SPS wäre. Entscheidend stellt sich die Frage also dahin, ob Art. 5.5 SPS wegen seiner Anknüpfung an „verschleierte Handelsbeschränkungen“ gegebenenfalls mehr verbietet als die Verbotstatbestände des Art. III GATT, ohne freilich zugleich auch all das zu verbieten, was bereits nach Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS verboten ist. Hierin liegt die wesentliche Frage zum Verhältnis zwischen Art. III GATT und Art. 5.5 SPS, nicht in den von der Union angesprochenen Wortlautunterschieden, die bei Lichte besehen eher technischer Natur sind (Diskriminierung zwischen Waren versus Diskriminierung zwischen Mitgliedstaaten).

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einander alternativ angelegt, nicht kumulativ („ou“ statt „et“ und „or“ statt „and“). Diese Alternativität im Nebeneinander hätte das Berufungsgremium aus dogmatischer Sicht eigentlich dazu veranlassen müssen, nach der positiven Feststellung darüber, dass die Voraussetzungen einer „Diskriminierung“ im Sinne der Vorschrift nicht vorlagen, weiter zu prüfen, ob gegebenenfalls eine „verschleierte Handelsbeschränkung“ vorläge. Dies hat es aber nicht getan. Man kann dies in verschiedene Richtungen deuten. Die schlichteste Deutung wäre sicherlich diejenige der einfachen Fehlerhaftigkeit (sie haben es nicht besser gesehen. . . ). Eine etwas weniger (aber immer noch recht) schlichte Deutung mag dahin gehen, dass das Berufungsgremium das konzeptionell schwierige Problem der genauen Konkretisierung einer „verschleierten Handelsbeschränkung“ im Sinne des Art. 5.5 SPS umschiffen wollte. Zur Motivation könnte man etwa überlegen, dass es dieses Problem deshalb umschiffen wollte, weil es sich in der Tradition der Diplomatie sieht, und die Streitbeilegung nicht durch komplizierte dogmatische Überlegungen belasten wollte. Eine dogamtisch sogar einigermaßen befriedigende Deutung geht dahin, dass das Berufungsgremium hier (wenn auch ohne viel Federlesens) eine Art tatbestandliche Reduktion vorgenommen hat, um deutlich zu machen, dass es den Art. 5.5 SPS allen Wortlautargumenten zum Trotz als echtes Diskriminierungsverbot verstanden wissen will! Es ist nicht Sache des Verfassers, an dieser Stelle weitere Überlegungen über die Beweggründe des Berufungsgremiums anzustellen, die dieses gehabt haben könnte, als es mit so beeindruckender Selbstverständlichkeit das Merkmal der „verschleierten Handelsbeschränkung“ in Art. 5.5 SPS übersah. Vielmehr geht es allein darum festzustellen, ob sich die Entscheidung des Berufungsgremiums zu den Art. 5.5 SPS so deuten lässt, dass sie auch Aussagen enthält, die für die Grenzen des Art. III GATT relevant sind. Nach Ansicht des Verfassers ist dies der Fall, und zwar deshalb, weil des Berufungsgremium eine große Nähe zwischen Art. 2.3 und Art. 5.5 SPS aufbaut321, wohlwissend, dass der Begriff der „verschleierten Handelsbeschränkung“, ähnlich wie in den Tatbeständen des Art. III GATT, nicht auftaucht. Es ist dieser Gesichtspunkt des „Mitlesens“ des Art. 2.3 SPS im Art. 5.5 SPS („read together with“322), der den Gedanken eines „reinen“ Diskriminierungsverbots in den Ausführungen des Berufungsgremiums deutlich aufleuchten lässt. Liest man die Vorschriften in diesem Lichte, so scheint unbestreitbar zu sein, dass Maßnahmen, die im Sinne des Art. III GATT de facto-diskriminierend sind, auch „diskriminierend“ oder „verschleiert handelsbeschränkend“ im Sinne des Art. 5.5 SPS sind, und dass umgekehrt die positive Feststellung eines Nichtverstoßes gegen Art. 5.5 SPS Aussagekraft für einen Nichtverstoß gegen Art. III GATT entfaltet. Gerade dieser Punkt der funktionalen Parallelität von Art. III GATT einerseits und den Art. 2.3 und 5.5 SPS andererseits (beide Vorschriften sind Diskriminierungs321 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 212. 322 Ibid., Rn. 212.

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verbote, keine Rechtfertigungsvorschriften) ist ein starkes Argument dafür, den Begriff der „Diskriminierung“ in den Art. 2.3 und 5.5 SPS im Grundsatz ganz ähnlich auszulegen wie in Art. III GATT – und umgekehrt. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Hormonentscheidung des Berufungsgerichts zu Art. 2.3 und 5.5 SPS macht sein Schweigen zu Art. III GATT zu „eloquentem Schweigen“ über die Grenzen des Art. III GATT. Für den Verfasser liegt die Konsequenz deutlich auf der Hand. Die unionale Hormonmaßnahme verstößt nicht nur aus seiner Sicht nicht gegen Art. III GATT, sondern verstößt aller Wahrscheinlichkeit nach auch aus Sicht des Berufungsgremiums nicht gegen Art. III GATT. Jede andere Deutung würde weder dem Verhältnis des Art. III GATT zu den Art. 2.3 und 5.5 SPS noch den anerkennenswerten Bemühungen des Berufungsgerichts gerecht, so argumentativ schwach diese auch immer noch sein mögen. (c) Das Asbestverfahren Ganz ähnlich wie im Hormonfall lag es auch im unionalen Asbestfall, mit dem wesentlichen Unterschied allerdings, dass das Berufungsgremium nach der Konstellation im Berufungsverfahren keine Gelegenheit hatte, zum Merkmal der Diskriminierung näher Stellung zu nehmen. Die von Kanada angegriffene unionale Maßnahme verbot sowohl die Herstellung wie auch den Import, Verkauf, sonstigen Transfer und alle Formen des Marketing von Asbest und von Waren, die Asbest enthalten. Von dem Verbot umfasst waren damit unter anderem der von Kanada hergestellte Chrysotil-Asbest und Waren, die ihn enthalten. Die Maßnahme enthielt lediglich einige wenige sachlich und zeitlich begrenzte Ausnahmen für den Fall, dass asbestsubstituierende Materialien keinen funktional äquivalenten Ersatz für Asbestwaren böten.323 Kanada griff das Verbot daher unter anderem unter Art. 2.4 und 2.2 TBT sowie unter Art. XI Abs. 1 und III Abs. 4 GATT an.324 Zur Begründung eines Verstoßes gegen Art. III Abs. 4 GATT führte Kanada aus, dass kanadische Chrysotil-Asbestwaren von der französischen Maßnahme trotz ihrer Gleichartigkeit mit französischen Asbestsubstituten325 im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT schlechter behandelt würden als die französischen Asbestsubstitute.326 Kerngedanke dieses Vorwurfs war, dass die französische Zementindustrie, die Asbestsubstitute der verschiedensten Arten in großen Mengen herstellt, durch das generelle Asbestverbot geschützt werde, da dieses die Wettbewerbsgleichheit des kanadischen Asbests beschneide.327

323 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Panelbericht vom 18. September 2000, WT / DS135 / R, Rn. 2.3 ff. 324 Ibid., Rn. 3.1. 325 Ibid., Rn. 3.414 ff. (Prüfung der Gleichartigkeit). 326 Ibid., Rn. 3.454 ff. (Prüfung der Schlechterbehandlung). 327 Ibid., Rn. 3.455 ff.

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Das panel entschied, dass nur der erlaubende Teil der angegriffenen Maßnahme, nicht aber das generelle Verbot von Asbest eine technische Vorschrift im Sinne der Nr. 1 des Anhangs 1 zum TBT-Abkommen sei.328 Im Anschluss hieran prüfte es, da es die Voraussetzungen der Anmerkung zu Art. III für erfüllt hielt329, das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. III Abs. 4 GATT. Im Rahmen dieser Prüfung kam es nicht nur zu dem Schluss, dass kanadischer Chrysotil-Asbest im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT mit französischen Asbestsubstituten vergleichbar sei330, sondern auch, dass er schlechter behandelt würde als französische Asbestsubstitute. Leitgedanke war dabei, dass Crysotil-Asbest aus Kanada die ihm von Art. III GATT garantierte Wettbewerbsgleichheit mit französischen Asbestsubstituten nicht genieße und daher sogar eine de jure-Diskriminierung im Sinne des Art. III GATT begründe.331 Das Berufungsgremium hob die künstliche Zweiteilung der Maßnahme auf, die das panel zu Unrecht vorgenommen hatte, und hielt das TBT auch im Hinblick auf den verbietenden Teil der Maßnahme für anwendbar.332 Obwohl damit an sich eine Prüfung unter dem TBT notwendig geworden wäre, hat das Berufungsgremium insoweit weder an das panel zurückverwiesen (mangels Zurückverweisungskompetenz), noch die Maßnahme selbst am Maßstab des TBT überprüft (wegen des behaupteten Fehlens genügender faktischer Angaben durch das panel).333 Stattdessen hat es sich der Prüfung des Art. III Abs. 4 GATT angenommen und die Panelentscheidung im Hinblick auf die Gleichartigkeitsprüfung aufgehoben.334 Mangels eines entsprechenden Antrags hat sich das Berufungsgremium demgegenüber nicht mit der vom panel vorgenommen Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals des Art. III Abs. 4 GATT beschäftigt. Allerdings hat es in dem bereits einführend (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)cc) oben) zitierten obiter dictum einen viel beachteten Hinweis darauf gegeben, dass im Rahmen des Tatbestandes des Art. III Abs. 4 GATT nicht allein die Gleichartigkeitsprüfung durchzuführen sei, sondern zugleich die Prüfung des behandlungbezogenen Merkmals („keine weniger günstige Behandlung“).335 Mit diesem Entscheidungsbestand nimmt der Asbestfall in mindestens dreierlei Hinsicht eine Sonderposition in der Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT ein. Eine Sonderposition nimmt der Streitfall erstens deshalb ein, weil hier eine MaßIbid., Rn. 8.18 bis 8.72. Ibid., Rn. 8.86 bis 8.100. 330 Ibid., Rn. 8.112 bis 8.150. 331 Ibid., Rn. 8.151 ff. 332 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 59 bis 76. 333 Ibid., Rn. 78 ff. m. w. N. 334 Ibid., Rn. 87 ff. 335 Ibid. Rn. 100. 328 329

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nahme im Ergebnis allein unter Art. III GATT geprüft wurde, obwohl die Anwendbarkeit des TBT am Ende zweifelsfrei feststand. Dieser Gesichtspunkt wird im sachlichen Zusammenhang der Seitenabkommen näher zu behandeln sein, da er nicht die Dogmatik zu den Grenzen des Art. III GATT betrifft, sondern die Anwendbarkeit der Seitenabkommen (nähere Einzelheiten Teil C.II.4.a) unten). Eine Sonderposition nimmt der Streitfall zum zweiten deshalb ein, weil das Berufungsgremium hier erstmals eine vertiefte Auseinandersetzung über die Grundlagen und den Gehalt der Gleichartigkeitsprüfung geführt hat. Auch dieser Gesichtspunkt soll an dieser Stelle zurückgestellt werden. Zwar haben die Erwägungen des Berufungsgremiums eine erhebliche rechtspraktische Bedeutung, über die schon oben gesprochen wurde. So haben sie die Anforderungen an den klägerischen Nachweis der Gleichartigkeit in gewisser Weise verschärft (da nunmehr alle border tax adjustment-Kriterien nachgewiesen werden müssen, nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)aa) oben). Ferner haben sie die Rechtsunsicherheit über das Ergebnis der Prüfung bei den Parteien in gewisser Weise gesteigert (da die Organe das Vorliegen der Kriterien nunmehr offen wertend prüfen müssen, nähere Einzelheiten ebenfalls Teil C.I.2.b)aa) oben). Konzeptionell hat die Frage der Gleichartigkeit von Waren trotz dieser hohen praktischen Bedeutung aber nichts mit der an dieser Stelle in den Mittelpunkt gerückten Frage der Ungleichbehandlung zu tun (außer freilich, dass die Bejahung der Gleichartigkeit eine Voraussetzung für die Prüfungsbefungnis einer Ungleichbehandlung von Waren ist). Denn obwohl die strengeren Anforderungen an die Gleichartigkeitsprüfung eine Maßnahme gegebenenfalls Art. III GATT-mäßig machen können, bleibt das dogmatisch zentrale Element noch immer das jeweils behandlungsbezogene Element. Der Vorwurf unter Art. III GATT bleibt derjenige einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Waren, nicht derjenige einer Gleichartigkeit von Waren.336 Im Hinblick auf das vom Beru336 Der Struktur nach hat sich im Zusammenhang der Gleichartigkeitsprüfung ohnehin nicht viel geändert: Noch immer handelt es sich um eine Analyse des positiven Verhaltens der Marktteilnehmer im und durch den Markt, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Genau diese Analyse haben die Streitbeilegungsorgane aber auch vor der Asbestberufungsentscheidung im Wesentlichen genau so durchgeführt, wie es das Berufungsgremium verlangt. Insbesondere haben sie auch vorher schon die border tax adjustment-Kriterien wertend angewendet, denn bereits die Auswahl der jeweils herangezogenen Kriterien und die Subsumtion der Maßnahme unter diese verlangt ein Mindestmaß an Wertungen. Nur haben sie diesen Prozess des Wertens nicht immer offen gelegt. Sie haben die Wertungen vielmehr einfach vorgenommen. Dies gilt insbesondere auch für jene border tax adjustement-Kriterien, die die Organe im Einzelfall auch einmal gerade nicht angewendet haben. Die Nichtanwendung eines einzelnen dieser vier Kriterien ist aus Sicht des Verfassers nämlich nicht Ausdruck eines „Nichtwertens“, sondern gerade vielmehr Ausdruck eines besonders starken Wertens, namentlich dahin, dass das spezifisch „ausgelassene“ Kriterium unerheblich oder nicht zielführend sei. So gesehen sprechen die Ausführungen des Berufungsgremiums nicht mehr aus als eine Pflicht zur Begründung der eigenen Erwägungen an die Organe. Die Organe müssen nunmehr deutlich machen, warum sie so werten, wie sie werten. Materiell dürfte sich durch die Ausführungen des Berufungsgremiums daher sehr viel weniger ändern, als die Lektüre aktueller Besprechungen zum Asbestfall vermuten lässt, wie etwa die seitenlange Ausseinandersetzung bei Howse, Robert und Elisabeth Tuerck, The WTO Impact on Internal

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fungsgremium ganz offenbar gewünschte Ergebnis drängt sich ohnehin auf, dass das Berufungsgremium die Vergleichsprüfung nur deshalb derart in den Vordergrund gerückt hat, weil es die Panelentscheidung an derjenigen Stelle, an der eine Aufhebung dogmatisch sinnvoll gewesen wäre, nämlich bei der Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals, mangels eines entsprechenden Berufungsantrags nicht aufheben konnte. Niemand soll glauben, dass das Berufungsgericht hier nicht ein bestimmtes Ergebnis gewollt und dementsprechend die richtige Begründung gesucht habe.337 So gesehen erscheint der Aufwand, den das Berufungsgremium im Hinblick auf die Gleichartigkeitsprüfung betrieben hat, eher rechtspolitisch denn rechtsdogmatisch motiviert zu sein. Den Betrachter kann eine solche Motivation nur dann befremden, wenn er die streitbeilegend-diplomatische Verwurzelung der Organe, die trotz der weithin beachteten Verrechtlichung in einem nicht zu verachtenden Maße weiter besteht (nähere Einzelheiten Teil E.I. unten), außer Acht lässt. Allerdings bleibt fraglich, ob die Entscheidung in ihrer endgültigen Form tatsächlich der mitgliedstaatlichen Gemeinschaft oder auch nur den Parteien dienen wird. Denn angesichts der Existenz des zweiten (behandlungsbezogenen) Merkmals konnten die Mitgliedstaaten mit dem bisherigen schlichten case-bycase-Ansatz an sich ganz gut leben. Die Differenzierungen in der Marktanalyse aus Gründen des Autonomieschutzes so hoch zu schrauben und damit letztlich zu politisieren, dass die Mitgliedstaaten vor dem Nachweis der Gleichartigkeit zurückschrecken müssen, dient weder dem einzelnen Mitgliedstaat noch der Gemeinschaft der WTO-Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit. Denn der normative Gehalt der Diskriminierungsverbote des Art. III GATT liegt, dies wurde bereits angedeutet, noch immer schwerpunktmäßig in der Ungleichbehandlung vergleichbarer Regulations – A Case Study of the Canada – EC Asbestos Dispute, in: Búrca, Grainne de und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Oxford Hart, 2001, S. 283, 291 ff. 337 Man kann mit guten Gründen sogar argumentieren, dass das panel die Prüfung der Gleichartigkeit (anders als die Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals) trotz ihrer Aufhebung durch das Berufungsgremium rechtsfehlerfrei vorgenommen habe, weil die Ausführungen des Berufungsgremiums eine Fortentwicklung des bis dahin geltenden Rechts bedeuteten. Dies gilt insbesondere für die erwähnte „wertende Betrachtungsweise“ hinsichtlich der border tax adjustment-Kriterien (Rn. 101 ff.). Im japanischen Alkoholfall wurde die Offenheit der border tax adjustment-Kriterien zwar bereits angedeutet (Japan-Taxes on Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R, hinter Fn. 46). Allein daraus lässt sich aber noch keine Rechtsfehlerhaftigkeit der Begründung des panels nach dem damaligen Stand der Streitentscheidungspraxis herausarbeiten. Die Frage über die Rechtsfehlerhaftigkeit erfordert in diesem Zusammenhang freilich vertiefte Überlegungen zu der weiteren Frage, ob das Berufungsgremium in diesem Fall (vorfindliches) Recht lediglich „gefunden“ hat (dann Rechtsfehlerhaftigkeit), oder ob es es im Sinne seiner Fortbildung selbst geformt, mithin „erfunden“ hat (dann keine Rechtsfehlerhaftigkeit). Diese weitere Frage widerum ist nicht ohne eine vertiefte Auseinandersetzung über die Funktion der Tätigkeit des Rechtsanwenders zu lösen. Sie ist zudem allein für den Asbestfall selbst, nicht aber für Folgefälle relevant, da seit dem Asbestfall die wertende Betrachtungsweise jedenfalls eingeführt, wenn nicht sogar etabliert ist. Aus diesen Gründen soll das Problem an dieser Stelle nicht vertieft werden.

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Waren, nicht in der Gleichartigkeit der Waren als solche. Die Organe würden den Mitgliedstaaten daher einen Gefallen tun, wenn sie die entscheidende Diskussion – unter Belassung des case by case-Ansatzes in der Gleichartigkeitsprüfung – endlich auf das behandlungsbezogene Merkmal legen würden, statt zu Lasten dieses Elementes regelmäßig noch immer die Gleichartigkeitsprüfung in den Vordergrund zu rücken und damit die Vorschrift in ihrem Gehalt zu verzerren.338 Eine Sonderposition nimmt der Streitfall drittens vor allem deshalb ein, weil hier die Feststellung eines panels über das Bestehen einer Ungleichbehandlung im Sinne des Art. III GATT durch das Berufungsgremium mangels entsprechenden Antrags zwar nicht aufgehoben, wohl aber kritisch kommentiert worden ist (freilich ohne dass die Bedeutung der Kritik bisher hinreichend geklärt wäre, wie die Analyse bisher vorgetragener Konkretisierungvorschläge zeigt, nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(1) oben). Hier besteht das dogmatisch interessante Problem des Fortbestehens einer offenkundig unzureichenden Begründung einer Ungleichbehandlung durch das panel. Das panel hat zunächst zwar den richtigen Einstieg für die Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals gefunden. Denn es hat seine Prüfung mit der Feststellung begonnen, dass der Art. III Abs. 4 GATT das Vorenthalten der Wettbewerbsgleichheit für ausländische Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren verbiete.339 Im Anschluss ist es dann aber einen kaum nachvollziebaren Weg gegangen, um ausgerechnet eine de jure-Diskriminierung 338 Ganz abgesehen von diesen funktionalen Gesichtspunkten erscheinen die Ausführungen des Berufungsgremiums zur Gleichartigkeitsprüfung aber auch materiell nicht zwingend. Dem Verfasser ist nicht einleuchtend, dass eine Wettbewerbsbeziehung zwischen Chrysotilasbest und Asbestsubstituten tatsächlich nicht bestehen soll, nur weil einige – nicht alle (!) – Verbraucher die Gesundheitsgefahren in den Vordergrund rücken. Die Lage scheint hier sehr viel differenzierter zu sein, als die Ausführungen des Berufungsgerichts vermuten lassen. Wie liegt es etwa bei vollkommen gebundenem Asbest oder Asbestwaren, die gebunden werden können? Die Gleichartigkeitsprüfung des panels stößt beim Verfasser vor allem aber deshalb auf Skepsis, weil bereits allein die bloße Klageerhebung Kanadas zugunsten seiner Asbestindustrie Bände über das Bestehen einer Wettbewerbsbeziehung spricht. Warum sonst hätte Kanada denn den Aufwand betreiben sollen, vor die WTO zu ziehen, wenn die Asbestindustrie nicht mit anderen Industrien zur Zement- und PVC-Herstellung in Wettbewerb stehen würde. Soll es Kanada in Wirklichkeit etwa um andere Waren gegangen sein als um Asbestwaren? Das Faktum der Klageerhebung selbst, der ja oft noch eine Reihe langwieriger innerstaatlicher Verfahren einerseits und bilateraler Konsultationen andererseits vorausgehen, sollte den Streitbeilegungsorganen Indikator genug dafür sein, dass offenbar tatsächlich eine echte Wettbewerbsbeziehung besteht. Denn welches Unternehmen hat die finanziellen und sonstigen Mittel, Märkte öffnen zu wollen, an denen es mangels wettbewerblicher (und sei es nur potenziell wettbewerblicher) Beziehung gar kein unternehmerisches Interesse hat? Unternehmen agieren nun einmal nach ihren Interessen. Nicht zuletzt dieser Gedanke begründet den hier vertretenen Schwenk in der Schwerpunktsetzung von der Gleichartigkeitsprüfung zur Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals, einem Merkmal, das den Streitbeilegungsorganen alle Möglichkeiten bietet, gleichbehandelnde protektionistische Maßnahmen aus den Tatbeständen des Art. III GATT herauszufiltern. 339 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Panelbericht vom 18. September 2000, WT / DS135 / R, Rn. 8.151.

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zu begründen.340 Bei allem Respekt gegenüber dem panel wird dem Verfasser auch bei mehrmaligem Lesen nicht deutlich, worin hier die positive Anknüpfung der Maßnahme an die Herkunft liegen soll. Unverständlich ist dem Verfasser insbesondere die Aussage, dass das Asbestverbot nur dann anwendbar sein solle, wenn es vergleichbare Asbestsubstitute gäbe.341 Dem unvoreingenommen Leser drängt sich der Eindruck auf, dass das panel hier entweder an dem Konzept der de jure-Diskriminierung „vorbeiargumentiert“ oder ein völlig eigenes Konzept der de jure-Diskriminierung entwickelt hat, freilich ohne dies dem Leser mitzuteilen. Die kurze342 und oberflächliche, ja fast „schlampige“ Prüfung des Merkmals der Ungleichbehandlung, also des jedenfalls aus Sicht des Verfassers wichtigsten Merkmals des Verbotstatbestands des Art. III Abs. 4 GATT durch das panel ist außerordentlich bedauerlich. Denn sie verwehrt es dem panel, zu den eigentlich wichtigen und auch hier durchaus auf der Hand liegenden Fragen der Wettbewerbsbeziehung zwischen kanadischen Chrysotilasbestwaren und französischen Asbestsubstituten vorzudringen. Das Fehlen jeder Diskussion der hier entscheidenden Fragen durch das panel ist umso erstaunlicher, als die Union im Rahmen ihrer Begründung dafür, warum hier keine de facto-Diskriminierung vorliege, bereits wesentliche Gesichtspunkte dargelegt hatte, deren Aufgreifen dem panel ohne weiteres möglich gewesen wäre. So sprach die Union in ihrer Klageerwiderung vor dem panel etwa davon, dass der französische Zementhandel eine negative Bilanz aufweise, weil mehr Zementwaren importiert als durch die eigene Industrie hergestellt würden.343 Zwar war die Argumentation der Union insoweit etwas unvollständig und vor allem auch in sich widersprüchlich.344 Die Diskussion dieser Gesichtspunkte hätte sich aber gleichwohl argumentativ gelohnt. Zwar hätten sie nicht zu einem anderen Ergebnis geführt. Insbesondere hätten sie nicht zu einem aus Sicht des Verfassers richtigen Ergebnis geführt (dazu sogleich das folgende). Sie hätten das panel in seiner Diskussion der Ungleichbehandlung aber wenigstens auf jenen Stand gebracht, der spätestens mit der Hormonentscheidung des Berufungsgerichts bereits erreicht war (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b) oben).

Ibid., Rn. 8.151 a.E. ff. Ibid., Rn. 8.151: „Not only does the ban apply only to asbestos fibre and products containing it but it is applicable only if there are products like to chrysotile fibre or to the products containing it.“ 342 Auffällig ist zudem, wie wenig Begründungsaufwand das panel für das behandlungbezogene Merkmal Merkmal betreibt: Es verwendet gerade 7 Randnummern für diese wichtige Prüfung – im Vergleich zu den 38 Randnummern für die Gleichartigkeitsprüfung ein überaus kurzer Text. 343 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Panelbericht vom 18. September 2000, WT / DS135 / R, Rn. 3.460. 344 Vgl. zur Widersprüchlichkeit der unionalen Argumente im Einzelnen die kandische Entgegnung, ibid., Rn. 3.461. 340 341

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Wäre das panel in diesem Sinne wenigstens der quantifizierenden Lösung gefolgt, wie sie insbesonder Ehring vorgestellt hat (nähere Einzelheiten Teil C.I.2. b)cc)(1) oben), so hätte es zu prüfen gehabt, wieviele Asbestwaren und Asbestsubstitute jeweils aus Kanada nach Europa eingeführt werden und wieviele Asbestwaren und Asbestsubstitute jeweils in Europa hergestellt werden (angesichts der Existenz der Verbotsregelung handelt sich hier freilich – dies macht die Dinge für den bloß kommentierenden Betrachter nicht einfacher – um eine hypothetische Prüfung). Hätte sich im Rahmen der Prüfung dann herausgestellt, dass in der Gruppe der Importe relativ zur Gruppe der einheimischen Waren mehr Asbestwaren und weniger Asbestsubstitute befindlich sind, hätte die Maßnahme als in protektionistischer Weise dikriminierend bewertet werden müssen.345 Wäre im Rahmen der Prüfung demgegenüber festgestellt worden, dass in der Gruppe der Importe relativ zur Gruppe der einheimischen Waren nicht mehr Asbestwaren hergestellt werden als in der Gruppe der einheimischen Waren, hätte die Maßnahme als nicht in protektionistischer Weise diskrimierend bewertet werden müssen.346 Nach den Feststellungen des panels zu den tatsächlichen Warenströmen von Asbestwaren und Asbestsubstituten hätte das panel nach dieser rein quantifizierenden Methode daher im Ergebnis wohl eine Ungleichbehandlung annehmen müssen, da nach den Panelangaben zur Zeit des Erlasses der Maßnahme wegen des hohen natürlichen Aufkommens von Asbest in Kanada mehr kanadische Waren von der Regelung betroffen waren als unionale Waren.347 Allerdings wäre die Prüfung aus hiesiger Sicht auch nach dieser allein quantifizierenden Lösung immernoch fehlerhaft gewesen, nämlich deshalb, weil die Reduktion auf reine Quantifizierung ihrerseits fehlerhaft ist. Das panel hätte nach richtiger Auffassung nicht danach schauen dürfen, wieviele Waren jeweils aktuell von der Maßnahme betroffen waren, sondern danach, ob die kandischen Hersteller die unionale Maßnahme normativ wie faktisch genauso gut (oder schlecht) hätten erfüllen können wie die unionalen Hersteller (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc) (2) oben). Konkret heißt dies im Hinblick auf den Asbestfall, dass nicht nach den einschlägigen Zahlen geschaut werden muss, sondern danach, ob kanadische Hersteller von Asbest beziehungsweise asbesthaltigen Waren genauso gut Asbestsubstitute beziehungsweise Waren mit Asbestsubstituten herstellen können wie europäischen Hersteller. Zur Klarstellung: Nicht geht es darum zu prüfen, ob die kanadischen Hersteller Asbestsubstitute genauso gut herstellen können wie Asbest, oder ob sie Waren mit Asbestsubstituten genauso gut herstellen können wie asbesthaltige Waren. Vielmehr geht es allein um die Frage, ob kanadische Hersteller Asbestsubstitute genauso gut herstellen können wie unionale Hersteller, also um das Ver345 Beispiele hierfür wären etwa folgende Verteilungen im Verhältnis Asbest / Asbestsubstitute: Eingeführte Waren: 80 / 20, einheimische Waren 10 / 90; eingeführte Waren 90 / 10, einheimische Waren 20 / 80 usw. 346 Beisp: Eingeführte Waren: 80 / 20, einheimische Waren 80 / 20; eingeführte Waren: 80 / 20, einheimische Waren 85 / 15 usw. 347 Ibid., Rn. 3.20 ff.

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hältnis der kanadischen Hersteller zu den europäischen Herstellern. Dass die kanadischen Hersteller wegen des natürlichen Asbestaufkommens in Kanada Asbestwaren wahrscheinlicherweise besser herstellen können als Asbestsubstitute, ist unter Art. III GATT nach diesem Verständnis unerheblich. Hätte das panel diesen qualitativen Test durchgeführt, so hätte es eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT wahrscheinlich ablehnen müssen. Denn nach den Aussagen der Union eignen sich als Substitute für Asbestwaren insbesondere solche Stoffe, die nicht aus Fasern („fibres“) bestehen.348 Der wichtigste Stoff, der Asbestwaren möglichst gesundheitsschonend ersetzen könnte, ist daher das faserfreie Polyvinylchlorid (PVC), um dessen größere Verbreitung es dem französischen Gesetzgeber nach Darstellung des panels auch gegangen sein soll.349 Dem Verfasser fehlt letztlich das faktische Wissen darüber, ob dieses Asbestsubstitut (wie auch die anderen Asbestsubstitute) in Kanada genauso gut hergestellt werden könnte wie in Frankreich. Ein Blick in ein Lexikon verrät aber, dass PVC eine alles in allem industriell doch wohl recht einfach zu erreichende stabile Verbindung aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Chlor sei (CH2-CHCl).350 Nach dem laienhaften Verständnis des Verfassers dürften alle drei Elemente in Kanada in genauso ausreichender Zahl vorhanden sein wie in Europa. Ähnlich dürfte es sich auch bei den anderen Substituten verhalten, wie insbesondere Polyvinylalcohol, Zellulose oder Steinwolle. Es geht dem Verfasser an dieser Stelle nicht um die Feststellung, dass sich diese Stoffe in Kanada genauso leicht herstellen lassen wie in Europa (obwohl er davon ausgeht. . . ). Es geht ihm vielmehr darum, zu zeigen, dass sich das panel mit diesen Fragen hätte auseinandersetzen müssen, um zu einer dogmatisch sauberen und wohlbegründeten Lösung unter Art. III Abs. 4 GATT zu gelangen. Auch an dieser Stelle soll noch einmal hervorgehoben werden, dass Art. III GATT nicht mitgliedstaatlichen Protektionismus per se verbietet, sondern nur solchen Protektionismus, der gerade durch eine Schlechterstellung ausländischer Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren erreicht wird. Protektionistische Maßnahmen, d. h. Maßnahmen mit protektionistischer Wirkung, sind unter Art. III GATT daher dann nicht verboten, wenn sie im Rahmen normativer wie faktischer Gleichbehandlung entstehen. Die Asbestmaßnahme war aller Wahrscheinlichkeit nach eine in dieser Weise gleichbehandelnde Maßnahme. Sie hatte – dies wird recht deutlich aus dem Vortrag der Parteien – eindeutig protektionistische Wirkungen zugunsten der französischen Zementindustrie, soweit diese die genannten Fasern herstellte. Denn diese Industrie wurde vor kanadischen Asbestimporten geschützt, die mit den von ihr hergestellten asbestsubstituierenden Waren konkurrier348 Ibid., Rn. 3.181. Die Union verweist auf Aramidfasern, Polyvinylalcoholfasern (PVA), Zellulosefasern, Glassfasern, keramische Fasern, Steinwolle, Wollastonit usw. 349 Ibid., Rn. 3.180. 350 Das große Fischer Lexikon in Farbe, Fischer Taschenbuchverlag 1989, Stichwort Polyvinylchlorid.

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ten. Aber diese protektionistischen Wirkungen erreichte sie nicht durch eine ungleichbehandelnde Maßnahme, sondern im Wege der Gleichbehandlung. Freilich stellt sich die Frage, ob der auf diesem Wege erreichte Schutz über die Zeit nicht nachlässt, etwa dadurch, dass sich die kanadische Industrie diesem mit der Maßnahme verbundenen strukturellen Wandel anpasst. Denkbar wäre insoweit etwa, dass kanadische Asbesthersteller auf die Herstellung von PVC und andere Substituten ausweichen. Gewiss, dieser Strukturwandel erfordert seinerseits Kosten, die gegebenenfalls höher sind als diejenigen in der Union. Der Unterschied in diesen Kosten ist aber nicht ein solcher, der eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. III GATT begründet. Denn bei den unionalen Herstellern fallen diese Kosten nur deshalb nicht an, weil sie sich insoweit bereits umgestellt haben (beziehungsweise von vorneherein in diesen „umweltfreundlichen“ Strukturen produziert haben). Im Ergebnis ist ein solcher Strukturwandel in einer mitgliedstaatlichen Industrie aus Sicht der Betroffenen sicherlich zu beklagen, insbesondere wenn er deswegen stattfindet, weil ein anderer Mitgliedstaat Regeln erlässt, die es ihnen abverlangen, auf sie zu reagieren. Auf entsprechende Klagen mitgliedstaatlicher Industrien gibt es aber nur eine Antwort: Dies sind die Folgen der Globalisierung. Wenn die Mitgliedstaaten keinen regulativen Wettbewerb wollen, müssen sie für das Schließen ihrer eigenen Grenzen (z. B. im Wege des Austritts aus der WTO) oder für internationale Harmonisierung optieren. In den Seitenabkommen sind ja bereits erste Ansätze zur (negativen) Harmonisierung vorhanden (Beschränkungsverbote, nähere Einzelheiten Teil C.II. unten). Derartige Harmonisierung über den Weg des Art. III GATT betreiben zu wollen, scheint dem Verfasser aus dogmatischer und legitimationstheoretischer Sicht aber kein sinnvoller Weg zu sein. Abschließend bleibt nur noch der rechtliche Bestand der Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals durch das Berufungsgremium zu klären. Denn aufgehoben hatte das Berufungsgremium ja nur die Gleichartigkeitsprüfung, nicht aber die Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals. Die Begründung des panels zur Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals ist somit zwar nicht in Bezug auf das Streitverhältnis im konkreten Fall, wohl aber in Bezug auf spätere Streitfälle gegebenenfalls auch juristisch noch „in der Welt“. Auf sie kann in späteren Entscheidungen etwa als Präzendenzfall hingewiesen werden. Allerdings wird ein solcher Hinweis nicht um das hier diskutierte obiter dictum des Berufungsgremiums zu dieser Prüfung herumkommen. Die behandlungsbezogene Prüfung durch das panel ist durch dieses obiter dictum damit, jedenfalls in Teilen (und soweit, wie oben erörtert), „neutralisiert“. Im Verhältnis zwischen den beiden Streitparteien spielt die behandlungsbezogene Prüfung durch das panel ohnehin keine Rolle mehr, da die Maßnahme ja schon mangels Nachweises der Gleichartigkeit aus dem Bereich des Art. III GATT herausgenommen ist. Alles in allem erscheint es daher gerechtfertigt, das Entscheidungskonglomerat zum Asbestfall trotz des formalen „Fortbestehens“ der behandlungsbezogenen Prüfung des panels als Ausdruck effektiven Autonomieschutzes über das behandlungsbezogene Merkmal zu werten, jedenfalls dann, wenn man, wie hier, dem Asbestdiktum des Berufungsgremiums

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qualitative, nicht lediglich quantitative Gehalte zumisst. Beobachter, die, wie etwa Ehring, eine rein quantitative Deutung für richtig halten, werden das Entscheidungskonklomerat im Asbestfall folgerichtig demgegenüber nicht – wie hier – als herausragendes Beispiel für die Anerkennung der autonomieschützenden Grenzen des Art. III GATT klassifizieren, sondern als misslungenen Beitrag zur effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsgleichheit gegenüber (quantitativ) de facto-diskriminierenden mitgliedstaatlichen Maßnahmen.

bb) Die Zuweisung der marktintegrativen Sperrwirkung an das behandlungsbezogene Element in allen Verbotstatbeständen: Das Konzept der funktionalen Kohärenz Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Streitbeilegungsorgane die Verbotstatbestände funktional sehr kohärent ausgelegt haben, wenn es auch fast immer letztlich an der richtigen Begründung fehlte. Hätten die Organe das hier vorgeschlagene qualitative Kriterium der Erfüllbarkeit stärker herausgearbeitet, hätten sie ihre an sich richtigen Ergebnisse auch dogmatisch richtig begründen können. Aber immerhin: Mit wenigen Ausnahmen (Asbestpanel und CAFE-Regulations im Hinblick auf das „full line manufacturing“) ist das Ergebnis immer richtig gewesen. In diesem Lichte ist die festzustellende antiprotektionistische „Entladung“ des Merkmals der Gleichartigkeit (positive Marktanalyse nach den border tax adjustmentKriterien) vollkommen zu rechtfertigen. Im Rahmen der Gleichartigkeitsprüfung kann das Berufungsgremium den antiprotektionistischen Gehalt außer Acht lassen, weil es ihn im Rahmen des Merkmals der Ungleichbehandlung berücksichtigt. Nichts veranschaulicht besser die innere Aufeinanderbezogenheit der beiden Merkmale der Gleichartigkeit von Waren und der Ungleichbehandlung in den Tatbeständen des Art. III GATT als dieser Bezug zum Prinzip des Antiprotektionismus in Art. III Abs. 1 GATT. Wegen der großen Unterschiedlichkeit im Wortlaut der Tatbestände des Art. III GATT ist eine für alle Tatbestände gleichermaßen geltende Auslegung aber alles andere als selbstverständlich. Man würde dem Wortlaut Gewalt antun, würde man die Tatbestände alle „über denselben Kamm“ scheren. Aus den vielfältigen Unterschieden zwischen den einzelnen Tatbeständen des Art. III GATT folgt allerdings noch nicht, dass Art. III GATT nicht in vielerlei Hinsicht als einheitliche Vorschrift wahrgenommen werden kann. Es käme einer Kapitulation des Rechtsanwenders gleich, wollte er angesichts der hervortretenden Unterschiede die innere Kohärenz der Vorschriften in ihrer Zielstruktur vollkommen in den Hintergrund treten lassen. Denn bei aller Unterschiedlichkeit zwischen den einzelnen Verbotstatbeständen drängt sich in der Analyse der den Streitbeilegungsverfahren zugrundeliegenden Konstellation eine innere Kohärenz der einzelnen Tatbestände des Art. III Abs. 4 Satz 1 und des Abs. 2 GATT in ihrer Zielstruktur geradezu auf.

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Diese Auffasung wird mittlerweile auch durch eine Reihe von Äußerungen des Berufungsgremiums im Asbestfall gestützt. Das Berufungsgremium lehnt in diesem Fall den schon oben (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.a) oben) erwähnten Gleichlauf zwischen Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 zwar weitgehend ab und stellt in Anlehnung an sein Akkordeondenken fest, dass Art. III Abs. 4 GATT in seinem sachlichen Anwendungsbereich zwar weiter auszulegen sei als Art. III Abs. 2 Satz 1 GATT, nicht jedoch weiter als der kombinierte sachliche Anwendungsbereich der Sätze 1 und 2 des Art. III Abs. 2 GATT zusammen351. Grundlage dieser Auslegung des Art. III Abs. 4 GATT ist die Überlegung, dass diese Vorschrift in Konsonanz mit dem in Art. III Abs. 1 GATT festgelegten allgemeinen Prinzip auszulegen sei352. Die Kernaussage des ständigen Berufungsgremiums ist insoweit, dass das Merkmal „keine weniger günstige Behandlung“ in Art. III Abs. 4 Satz 1 GATT Ausdruck des in Art. III Abs. 1 GATT niedergelegten Prinzips sei, dass Maßnahmen nicht so angewendet werden dürfen, dass „die inländische Erzeugung geschützt wird“353. Bei Art. III Abs. 4 GATT prüft das Berufungsgremium im Asbestfall die nicht-schützende Anwendung der Schlechterbehandlung daher nicht (wie bei Art. III Abs. 2 S. 2 GATT) im Rahmen eines eigenständigen Merkmals, sondern im Rahmen des Merkmals der Ungleichbehandlung („no less favourable treatment“). Mit diesen Äußerungen bestätigt das Berufungsgremium den Gedanken der funktionalen Kohärenz in zwei konsekutiven Schritten: In einem ersten Schritt wiederholt das Berufungsgremium die schon früher getätigte Aussage, dass die Vorschriften der Verbotstatbestände des Art. III GATT spezifischer Ausdruck des in Art. III Abs. 1 GATT niedergelegten überragenden allgemeinen Interesses des Antiprotektionismus seien354. Im Asbestfall ging es zwar nur um den Gehalt des Art. III Abs. 4 GATT. Die Ausführungen sind aber gerade mit dem Hinweis auf den japanischen Alkoholfall so auszulegen, dass sie auch für die Tatbestände des Abs. 2 Gültigkeit beanspruchen. In einem zweiten Schritt macht das Berufungsgremium nach verschiedenen Überlegungen zur Enge oder Weite der Tatbestände dann die überaus relevante Aussage, dass die Mitgliedstaaten, die ihre protektionistischen Ziele durch Schlechterbehandlung ausländischer Waren zu erreichen suchen, sowohl den Weg einer steuerlichen als auch den einer sonstigen Differenzierung gehen könnten und dass es angesichts dieses Umstandes inkongruent sei, wenn ihnen dabei der eine Weg (etwa der steuerlichen Schlechterbehandlung) verboten, der andere aber (also der der sonstigen Schlechterbehandlung) erlaubt 351 EC – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, WT / DS135 / AB / R (12. März 2001), Rz.. 99 a.E. 352 Ibid., Rn. 98. 353 Ibid. Rn. 100: „The term ,less favourable treatment‘ expresses the general principle, in Article III:1, that internal regulations ,should not be applied . . . so as to afford protection to domestic production‘.“ 354 Ibid., Rn. 93.

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wäre.355 Für das Berufungsgremium führt dies zu dem mittlerweile berühmt gewordenen Schluss, dass die Gleichartigkeit im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT zwar weiter sein müsse als diejenige im Sinne des Art. III Abs. 2 S. 1 GATT, dass sie aber nicht weiter sein dürfe, als die kombinierten Anforderungen des Art. III Abs. 2 Satz 1 und 2 GATT. Damit gleicht es also die „maximale Weite“ des Tatbestandes des Art. III Abs. 4 GATT an die „maximale Weite“ des gesamten Art. III Abs. 2 GATT an. Aus dem Umstand, dass das Berufungsgremium hier in allgemeiner Form davon spricht, dass es für ein Verbot unter Art. III GATT nicht auf den Weg ankommen dürfe, den der Mitgliedstaat zur Erreichung seiner Ziele einschlägt (steuerlich / sonstig), und dass es dies in Form von Beispielen belegt, kann man vermuten, dass die Aussage auch andersherum gilt: Nicht nur ist die äußerste Grenze des Art. III Abs. 2 S. 1 und 2 GATT eine äußerste Grenze für Art. III Abs. 4 GATT. Auch ist die äußerste Grenze des Art. III Abs. 4 GATT eine äußerste Grenze des Art. III Abs. 2 S. 1 und 2 GATT. Denkt man den Gedanken der vollständigen Kongruenz zuende, haben danach die Tatbestände des Art. III Abs. 2 S. 1 und 2 GATT gemeinsam genau dieselbe Weite wie der Tatbestand des Art. III Abs. 4 GATT. Sie sind also in ihrem sachlichen Anwendungsbereich identisch (von den genannten Differenzierungen Steuern / Sonstiges und den Unterschieden im Wortlaut einmal abgesehen). Diese Identität in der Weite ist mehr als nur die Behauptung, Art. III Abs. 4 GATT gehe nicht weiter als die Tatbestände des Art. III Abs. 2 S. 1 und 2 GATT zusammen. Sie ist vielmehr auch Grund für die weitere Behauptung, die Tatbestände des Art. III Abs. 2 S. 1 und 2 GATT dürften zusammen nicht weiter gehen als der Tabestand des Art. III Abs. 4 GATT. Das Berufungsgremium nennt diese Folge der vollständigen Identität in der sachlichen Reichweite zwar nicht ausdrücklich. Die Ausführungen lassen sich aus Sicht des Verfassers aber nicht sinnvoll verstehen, wenn man diese Folge der Identität in der Reichweite und damit letztlich der vollständigen Konvergenz von Art. III Abs. 2 und 4 GATT beim Lesen der Ausführungen des Berufungsgremiums nicht „mitdenkt“. Die Identität zwischen Art. III Abs. 4 GATT und Art. III Abs. 2 GATT geht damit in beide Richtungen. Sie ist bikonditionaler Art (echte Identität).

3. Überprüfung: Der hier herausgearbeitete Ansatz der Streitbeilegungsorgane im Lichte der literarischen Kritik Die Analyse der Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT und den mit ihm in engem Zusammenhang stehenden Vorschriften des WTO / GATT-Rechts hat gezeigt, dass die Streitbeilegungsorgane der Zielstruktur des Art. III GATT weitgehend genüge getan haben, wenn es auch manchmal an der richtigen Begründung gefehlt hat. Wirft man einen Blick auf die literarische Kritik an der Tätigkeit der 355

Ibid., Rn. 99.

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Streitbeilegungsorgane, erhält man demgegenüber das Bild einer völlig inkongruenten und insbesondere zielstrukturinadäquaten Auslegung der Vorschriften durch die Streitbeilegungsorgane. Insbesondere erhält man den Eindruck, die Streitbeilegungsorgane hätten bisher eigentlich fast alles anders entschieden, als sie es nach den Vorgaben hätten entscheiden müssen. Die Schärfe, mit der die Kritik zum Teil geäußert wird, kontrastiert sich mit dem hier gezeichneten Bild der Entscheidungspraxis der Streitbeilegungsorgane. Es erscheint daher angezeigt, die soeben durchgeführte Analyse am Maßstab der Kritik zu überprüfen. Insbesondere wird zu überprüfen sein, ob die durchgeführte Analyse der literarischen Kritik standhält. Dies ist nichts anderes als Ausfluss des dialogischen Charakters von Wissenschaft. Nur wenn die eigene Analyse der Kritik standhält, ist sie es Wert, in die Diskussion eingebracht zu werden.356 Bestätigt sich die Analyse im Lichte der Kritik, so ist dies ein Zeichen dafür, dass die Kritik im Wesentlichen haltlos ist. Die Auseinandersetzung mit der literarischen Kritik ist insoweit eine Art „Feuerprobe“ für die hier herausgearbeitete Zielstrukturadäquanz und das sich aus ihr ergebende Prüfprogramm. Denn wenn die aus der Literatur stammenden Vorschläge die Streitbeilegungspraxis – relativ zu den hier vorgetragenen Vorschlägen – nicht im Sinne der Zielstruktur des Art. III GATT verbessern können, bestätigt sich die oben vertretene These, dass die Streitbeilegungsorgane im Prinzip zielstrukturadäquat und damit im Sinne des Art. III GATT richtig entscheiden. Damit aber wäre ein wesentliches Ziel der Analyse erreicht, nämlich die Feststellung, dass die Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane unter Art. III GATT im Ergebnis nicht so schlecht sind, wie es die literarische Kritik behauptet. An dieser Stelle bedarf es freilich eines hohen Maßes an Deutlichkeit, um Mißverständnisse zu vermeiden: Der Verfasser meint hier nicht, dass die Streitbeilegungsorgane ihre im Grundsatz behauptetermaßen richtigen Ergebnisse nicht besser begründen müssten. Im Gegenteil: Ein wichtiger Zweck der oben durchgeführten Analyse besteht darin, das jeweils gefundene Ergebnis mit der aus Sicht des Verfassers richtigen (namentlich qualitativen) Begründung zu unterfüttern. Richtige Begründungen verleihen juristischen Entscheidungen Legitimation, auf die sie umso stärker angewiesen sind, je schwächer das Sytem verfasst ist, in dem sie getroffen werden. Dem Verfasser ist es aber lieber, dass, wenn die richtige Begründung mangels dogmatischer Schärfe der Organe bis heute ganz offenbar nicht zu haben ist, die Entscheidungen unter Inkaufnahme dogmatischer Begründungsmängel weiterhin im Ergebnis jedenfalls intuitiv richtig (d. h. zielstrukturadäquat) sind, als dass sie mit gegebenenfalls noch falscherer Begründung auch im Ergebnis 356 Zudem ermöglicht dieses Vorgehen die genaue Trennung der zuvor diskutierten Argumente von bereits geäußerten (alten) Argumenten, die aus der bisher bestehenden Diskussion erwachsen sind. Der Verfasser versteht seinen Beitrag in diesem Sinne jedenfalls auch als Reaktion auf bisher geäußerte Kritik. Intellektuell steht er in gewisser Weise auf deren Schultern, wenn er auch viel von der bisher geäußerten Kritik am Ende doch ablehnt.

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falsch werden. Genau hierzu würden Teile der literarischen Vorschläge aber behauptetermaßen führen. Dies gilt, wie sich im Folgenden zeigen wird, insbesondere für die Vorschläge eines aims and effects-Tests im Merkmal der Gleichartigkeit (dieser führt zu Ineffizienz in der Bekämpfung protektionistischer Diskriminierungen) und für die Vorschläge eines Effizienztests (integrated necessity-Test; dieser verwandelt die Diskriminierungsverbote zu Beschränkungsverboten). Der Verfasser wird sich daher nun mit den Thesen der Kritiker im Einzelnen beschäftigen, vor allem mit der bei jedem einzelnen Autor zu findenden These, dass der gerade jeweils von ihm geforderte Test die Zielstruktur des Art. III GATT verwirklichen könne. Nach dem Vorverständnis des Verfassers kann keiner dieser Vorschläge die Zielstruktur des Art. III GATT sinnvoll verwirklichen, weder der wiederholt (wenngleich in leicht abgewandelter Form) geäußerte Vorschlag zur Einfügung eines sogenannten aims und effects-Tests, noch der Vorschlag einer in Art. III GATT integrierten Verhältnismäßigkeitsprüfung („integrated necessetyTest“). Mangels Gefährdungslage sind die einzelnen Vorschläge nicht nur ohne Nutzen. Sie sind sogar von Schaden, weil sie entweder dem mitgliedstaatlichen Protektionismus Tür und Tor öffnen und damit dem Ziel der Wettberbsgleichheit Abbruch tun (so der Vorschlag von der Zweckprüfung, Teil C.I.3.a) unten) oder, wenn sie im Sinne eines Verbots uneffektiven mitgliedstaatlichen Handelns gemeint sind, das Tor zu mehr Marktintegration öffnen und dadurch dem Ziel des Autonomieschutzes Abbruch tun (so der Vorschlag von der Zweck-Mittelprüfung, Teil C.I.3.b) unten). Einen Sonderfall nimmt nach der literarischen Einschätzung die Kritik an der product / process-Doktrin ein. Zwar handelt es sich der Sache nach, wie bereits die oben durchgeführte Analyse gezeigt hat (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(a)(aa) oben), nicht wirklich um einen Sonderfall. Der Hauptkritikpunkt, nämlich die behauptete Tragweite der Doktrin, hat aber in gewisser Weise Sonderfallcharakter, nämlich insoweit, als gerade das marktintegrative Potenzial dieser Doktrin kritisiert wird. Sie soll daher, so wie in der Literatur üblich, auch hier gesondert diskutiert werden (Teil C.I.3.c) unten).

a) Die hier vorgetragene Analyse im Lichte des Vorschlags einer Zweckprüfung (aims and effects-Test) Bestimmt man die Gleichartigkeit von Waren im Rahmen einer positiven Marktanalyse danach, ob sie zueinander im Wettbewerb stehen, so finden die legislativen Zielvorstellungen der Mitgliedstaaten keinen Eingang in die Prüfung der Gleichartigkeit. Dadurch wird die Prüfung der Gleichartigkeit im Hinblick auf die Auswahl der Eigenschaften beliebig, nach denen eine wettbewerbliche Beziehung geprüft wird. Der gegebenenfalls protektionistische Regelungszweck der Maßnahme entgeht dadurch gegebenenfalls der Prüfung der Gleichartigkeit. Bezieht man demgegenüber den Regelungszweck der mitgliedstaatlichen Maßnahme mit ein, um zu überprüfen, ob dieser protektionistischen Charakters ist oder nicht, so erhält man

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zwar (jedenfalls nach den Behauptungen jener Autoren, die diese Zweckprüfung vorschlagen) ein normativ nachvollziehbares Kriterium für die Auswahl der Gesichtspunkte, nach denen zu prüfen ist, ob die Waren zueinander im Wettbewerb stehen, öffnet damit protektionistischen Maßnahmen aber gegebenenfalls Tür und Tor.357 Mit diesen wenigen Worten sind die wesentlichen Gesichtspunkte des Für und Wider einer Zweckprüfung vorgetragen.358 Kernaussage der Anhänger eines „aims and effects-Tests“ ist, dass Art. III GATT ohne einen aims and effects-Test gerade im jeweils warenbezogenen Merkmal der Verbotstatbestände willkürliche Ergebnisse herbeiführe und insbesondere zu sehr ausgedehnt werde, so dass er die Autonomie der Mitgliedstaaten über die funktionalen Grenzen des Art. III GATT hinaus einschränke. In dieser Wahrnehmung beschäftigen sich die Befürworter eines aims and effects-Tests fast ausschließlich mit dem Merkmal der Gleichartigkeitsprüfung. Hierin liegt eine unzulässige Verengung. Denn einen Vorwurf zu starker Marktintegration zu erheben und sich dabei vorwiegend oder allein auf das warenbezogene Merkmal der Gleichartigkeit zu stützen, verkennt die Bedeutung des behandlungsbezogenen Merkmals und damit die Struktur der Verbotstatbestände. Kern der Kritik des Verfassers an der Kritik der Literatur ist daher die von ihr weitgehend betriebene Verkürzung in der Tatbestandstruktur des Art. III GATT. Bis heute geht ein Großteil der Diskussion um die Voraussetzung der „Gleichartigkeit“ von Waren (Konzept des „like product“). Mit Ausnahme weniger neuerer Beiträge (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(1) oben) beschäftigt sich demgegenüber kaum ein Beitrag vertieft mit dem Merkmal der Ungleich- oder Schlechterbehandlung, geschweige denn mit dem Zusammenspiel von Gleichartigkeitsprüfung, Ungleichbehandlung und schützender Wirkung. Dies ist beklagenswert. Denn das Element der protektionistschen Diskriminierung, dies wurde in der obigen Analyse eutlich, zeigt sich in erster Linie in der Behandlung von Waren, also in der Wirkung, die eine Maßnahme auf Warenströme hat. Vor diesem Hintergrund sollen die Vorschläge eines aims and effects-Tests mit der oben vorgetragenen Analyse kontrastiert werden. Dabei soll exemplarisch anhand der oben vorgestellten literarischen Begründungsversuche (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.c)aa)(1) oben) vorgegangen werden, die aus Sicht des Verfassers das gesamte Problemfeld, das durch derartige Vorschläge aufgeworfen wird, abdecken. Begonnen werden soll mit der Wahrnehmung der Streitbeilegungspraxis bei Hudec (Teil C.I.3.a)aa) unten). Sodann soll ein Blick auf Regans jüngere Ausführungen zu einem aims and effects-Test geworfen werden (Teil C.I. 3.a)bb) unten). Abschließend sollen einige allgemeine (Teil C.I.3.a)cc) unten) und zusammenfassen357 Dazu im Einzelnen Jackson, Comments on Shrimp / Turtle and the Product / ProcessDistinction, EJIL 2000, 292, 307: „We need handholds on this slippery slope [of protectionism . . . ].“ 358 Der Verfasser wird sich mit diesen Gesichtspunkten im Rahmen der folgenden Diskussion einzelner Vorschläge konkret auseinandersetzen.

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de (Teil C.I.3.a)dd) unten) Überlegungen zum aims and effects-Test angestellt werden. aa) Kritik an Robert E. Hudecs Requiem für einen aims and effects-Test Die Behauptung der Notwendigkeit einer Zweckprüfung gerade im Rahmen des warenbezogenen Merkmals wird bei Robert E. Hudec besonders deutlich.359 Ausgerechnet der ausgewiesene Handelsrealist Hudec schätzt die durch die fallweise Anwendung der border tax adjustment-Kriterien erreichte Bewegungsfreiheit der Streitbeilegungsorgane nicht positiv ein, sondern kritisiert sie. Im Hinblick auf die flexible Anwendung der border tax adjustment-Kriterien schreibt Hudec etwa, ohne sich von der von ihm widergegebenen Meinung anderer Autoren zu distanzieren: „As a consequence, there has always been some concern that the ,like product‘ test would fail to prohibit some product distinctions that should be prohibited, and prohibit some product distinctions that should not be prohibited.“360

Der Verfasser dieses Beitrages teilt diese kritische Haltung nicht. Zwar scheint das case by case-Konzept in der Tat vor allem dazu zu dienen, den Streitbeilegungsorganen so viel Freiheit wie möglich zu erhalten. Die durch den case by case-Ansatz gewonnene Flexibilität ist aus Sicht des Verfassers aber nicht Ausdruck eines willkürlichen oder sonst ungerechtfertigten „Schaltens und Waltens“ der Streitbeilegungsorgane, sondern dient, richtig verstanden, der Erhaltung eines Minimums notwendiger Bewegungsfreiheit. Sie ist Ausdruck der tiefen Verwurzelung der Streitbeilegungsorgane im System des gegenseitigen Verhandelns der Mitgliedstaaten. Es erstaunt den Verfasser, dass gerade der Handelsrealist Hudec, der in seinen Beiträgen in der Regel die Verwurzelung des WTO / GATT-Rechts im diplomatischen Ethos hervorhebt361, eine derart kritische Haltung gegenüber ei359 Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619. 360 Ibid., S. 626. 361 Die rechtsrealistische Perspektive Hudecs ist seinen Lesern nicht nur allgemein bekannt. Sie wird von anerkannten Literaten sogar als Grundlage für die außerordentliche Überzeugungskraft der Hudecschen Gedanken gewertet. Robert Howse etwa hebt hervor, dass Hudec gerade wegen des Umstandes, dass er das Recht nicht über die Politik stellt, den rechtlichen und den politischen Aspekten des Welthandelsrechts gerecht werde, vgl. Howse, Robert, Bob Hudec, Friendship in Disagreement – A Remembrance, 37(4) JWT 2003, S. 813, 814. Diese Bewertung teilt der Verfasser. Hudecs Gedanken gewinnen Ihre Stärke gerade daraus, dass Hudec nie die politische Dimension der rechtlichen Regeln aus den Augen verliert. Dem WTO-Recht kann man nur dann gerecht werden, wenn man es als gemeinsames Instrument der Mitgliedstaaten und damit letztlich als gemeinsamen Teil mitgliedstaatlicher Außenhandelspolitiken bewertet. Vor Meinungsverschiedenheiten schützt diese Gemeinsamkeit im Denken des Verfassers mit dem Denken Hudecs freilich nicht. Zu der realistischen Sichtweise bei Hudec zuletzt etwa auch Palmeter, David, Robert E. Hudec – A Practioners Appreciation, 37(4) JWT 2003, S. 703, 708 ff.

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nem Minimum an Bewegungsfreiheit einnimmt. Dem Verfasser erscheint diese Bewegungsfreiheit nicht als Manko des WTO-Systems, sondern als echte Möglichkeit, der Verwurzelung des WTO / GATT-Rechts im diplomatischen Erbe zu genügen.362 Aufschlussreich ist sodann das von Hudec im Anschluss an die zitierte Textstelle vorgeschlagene Mittel der Korrektur: Das von ihm vorgeschlagene Mittel ist nämlich nicht eine antiprotektionistische „Aufladung“ des behandlungsbezogenen Merkmals der Verbotstatbestände des Art. III GATT, wie sie oben vorgeschlagen und beschrieben wurde (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b) oben). Obwohl sich dieses Mittel nach den vorangegegangenen Erörterungen eigentlich geradezu aufdrängt, springt Hudec vielmehr sofort auf den Rechtfertigungstatbestand des Art. XX GATT, ohne das insoweit im Art. III GATT selbst bestehehende Potenzial der Verengung zu berücksichtigen. Hudec im Wortlaut: „The [ . . . ] problem of over-inclusiveness is, to some degree, correctable to the extent that desirable product distinctions can be justified under GATT article XX as being necessary to the achievement of important social policies. (Hervorhebung durch den Verfasser)“363

Diese Aussage ist typisch für den Diskurs um die Diskriminierungstatbestände. Sie findet sich auch bei anderen anerkannten Literaten. Frieder Roessler etwa folgt – auch wenn er kein „traditioneller“ Verfechter eines aims and effects-Tests sein mag und sich insoweit intellektuell vielleicht auf anderen Wegen befindet als Hudec – genau dem gleichen Ansatz. Besonders deutlich zeigt sich dies in einem jüngeren Artikel in memoriam Robert Hudec364, in dem Roessler unter völliger Außerachtlassung des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals des Art. III GATT zwei Problemfelder in der Dogmatik des GATT zur Gleichbehandlung ausländischer Waren mit inländischen Waren (National Treatment) ausmacht, nämlich dasjenige der Gleichartigkeitsprüfung unter Art. III GATT365 und dasjenige der Enge der Recht362 Das diplomatische Erbe ist nicht hinwegdefinierbar. WTO-Streitbeilegung ist keine Rechtsprechung. Ihre Funktionen sind andere als diejenigen klassisch nationaler Richter. Die Einzelheiten sollen weiter unten näher dargestellt werden (Teil E.I). Bereits hier lässt sich aber festhalten: Wenn der case by case-Ansatz Flexibilität garantiert, so gilt dies der Verhinderung zu großer Striktheit im System. Das Berufungsgremium scheint dies im Auge zu haben: In seiner Asbestentscheidung verlangt es zwar ein Wägen aller border tax adjustmentKriterien und beendet damit – jedenfalls im Hinblick auf die Auswahl der jeweiligen Auswahlkriterien – die case by case-Doktrin, letztlich wohl aus Gründen der Rationalisierbarkeit. Die Flexibilität des case by case-Ansatzes schafft es damit aber nicht ab. Auch nach der Asbestentscheidung des Berufungsgremiums können sich die Streitbeilegungsorgane durch entsprechendes Werten weiterhin einen großen Freiraum in der Adjudizierung erhalten. Der Verfasser begrüßt dies ausdrücklich. 363 Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 626. 364 Roessler, Frieder, Beyond the Ostensible, A Tribute to Professor Hudec’s Insights on the Determination of the Likeness of Products Under the National Treatment Provisions of the General Agreement on Tariffs and Trade, 37(4) JWT 2003, S. 771. 365 Ibid., S. 772 ff.

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fertigungsgründe unter Art. XX GATT.366 Nirgendwo taucht bei Roessler demgegenüber die Bedeutung des behandlungsbezogenen Merkmals auf. Dadurch verzerrt sich die Vorschrift des Art. III GATT. Der Gedankengang, der sich in Roesslers Überlegungen findet, erklärt nicht nur Roesslers eigene Fehlwahrnehmungen zu Art. III GATT, sondern auch diejenigen Hudecs (und anderer anerkannter Autoren367). Denn die Außerachtlassung des behandlungsbezogenen Merkmals ist nur die notwendige, d. h. folgerichtige Konsequenz des tatbestandsverkürzenden Wahrnehmung. Die Tatbestandsverkürzung soll hier daher näher betrachtet werden. Bei Roessler ruht sie auf folgenden Überlegungen: Zunächst stellt Roessler fest, dass, wenn die Gleichartigkeit von Waren einmal festgestellt sei, jede (gemeint ist wohl jede quantitativ gruppenweise, d. h. im Ehringschen Sinne gruppenweise) Ungleichbehandlung dieser Waren einen Verstoß gegen Art. III GATT auslösen würde.368 Als Beispiel nennt Roessler recyclebare und nicht recyclebare Getränkepackungen: Wenn diese beiden Gruppen von Waren einmal als gleichartig unter Art. III GATT anerkannt wären, verstieße, so Roessler, jede gruppenweise Ungleichbehandlung gegen Art. III GATT.369 Konsequenz dessen sei, dass der einzige (!) Weg, die Vorschriften des Art. III GATT zu erfüllen, die Gleichbehandlung beider Warengruppen sei und daher die Berücksichtigung legislativer Zwecke erfordere.370 Bei allem Respekt, den der Verfasser gegenüber Herrn Rosssler (und Herrn Hudec) hat: Diese Wahrnehmung ist falsch und liegt an der Wurzel der verbreiteten Fehlwahrnehmungen zu Art. III GATT. Die Mitgliedstaaten dürfen – auch und gerade unter Art. III GATT – recyclebare und nicht recyclebare Getränkepackungen Ibid., S. 776 ff. Vgl. etwa den Vergleich von Art. III GATT / Art. XX GATT zu 2.2. TBT bei Pauwelyn, Joost, Cross-Agreement Complaints Before the Appelate Body: A Case Study for the EC-Asbestos Dispute, 1 World Trade Review 2002, S. 63, 67. 368 Im Wortlaut schreibt Roessler, nachdem er ausgeführt hat, dass die Anknüpfung an die Herkunft grundsätzlich gegen Art. III GATT verstoße und in dogmatischer Hinsicht daher unproblematisch sei: „However, if a WTO member’s regulation does not distinguish two products exclusively on the basis of their origin but on the basis of other factors, for instance on the basis of their price, a determination that the two products are ,like‘ products within the meaning of Art. III:4 notwithstanding these factors has the consequence that any regulatory distinction between those products is inconsistent with that provision [Hervorhebung durch den Verfasser]“, Roessler, Frieder, Beyond the Ostensible, A Tribute to Professor Hudec’s Insights on the Determination of the Likeness of Products Under the National Treatment Provisions of the General Agreement on Tariffs and Trade, 37(4) JWT 2003, S. 771, 772. 369 Ibid.: „For instance, if beverages in recyclable containers are determined to be ,like‘ beverages in non-recyclable containers, neither product may be treated more favourably than the other [Hervorhebung durch den Verfasser]“. 370 Ibid.: „The only way to meet the national treatment requirement is therefore to accord the same treatment to both products. Any ruling on the likeness of two products implies, for these reasons, a determination of the product distinctions that the WTO Members may make in their domestic regulations, and hence a determination of the scope of domestic regulatory autonomy that the WTO accords to its Members [Hervorhebung durch den Verfasser]“. 366 367

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gruppenweise unterschiedlich behandeln. Voraussetzung ist lediglich, dass die dabei gestellten Anforderungen für ausländische Waren nicht schlechter erfüllbar sind als für inändische Waren. Welches Tatbestandsmerkmal des Art. III GATT hindert einen Mitgliedstaat daran, steuerliche oder sonstige Ungleichbehandlungen zu Lasten nicht recyclebarer Getränkepackungen durchzuführen, solange diese ausländische und inländische Waren gleich behandeln? Keines! Das Merkmal der Ungleichbehandlung dient im Gegenteil gerade dazu, derartiges zu erlauben. Es bildet den Kern der Diskriminierungsverbote des Art. III GATT, nicht irgendein zu vernachlässigendes Nebenelement. So erfahrene Autoren wie Hudec und Roessler sollten dies eigentlich wissen, deutlich machen und ihre Dogmatik entsprechend aufbauen, statt auf diese Weise die Notwendigkeit zur Berücksichtigung irgendwelcher Zwecke herbeizureden, um auf diese Weise eine deregulative Wirkung des Art. III GATT zu vermeiden. Die Argumentation berücksichtigt nicht, dass die Gleichartigkeitsprüfung nur eine, nämlich die erste Voraussetzung der Verbotstatbestände ist, die zudem nur vorbereitender Art für die zweite zentrale Voraussetzung ist, namentlich die protektionistische Ungleichbehandlung. Selbst in antiprotektionistischer Aufladung muss letztere Voraussetzung keine zweckbezogene Prüfung der Maßnahme einschließen. Um im Sinne des Art. III Abs. 1 GATT antiprotektionistisch „aufgeladen“ zu sein und dadurch eine Sperre gegen Marktintegration bilden zu können, reicht es, wie sich oben gezeigt hat (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)bb) ff.), völlig aus, wenn das behandlungsbezogene Merkmal die protektionistischen Wirkungen der Maßnahme („effects“) mit einbezieht. Mit einer derartigen Verengung auf das warenbezogene Merkmal schneidet sich Hudec mithin die marktintegrative Sperrfunktion, die dem behandlungsbezogenen Merkmal der Ungleichbehandlung in den Tatbeständen des Art. III GATT im Rahmen einer antiprotektionistischen Aufladung im Sinne des Abs. 1 zukommt, vollkommen ab. Dies ist bedauerlich. Denn in einem Streitbeilegungsverfahren ist es eine völlig andere Situation, wenn sich ein beklagter Mitgliedstaat mit den bekanntermaßen begrenzten Mitteln des Art. XX GATT gegen den Vorwurf der nach Art. III GATT verbotenen Diskriminierung wehren muss, als wenn er einen Verstoß gegen Art. III GATT bereits mit dem einfachen Hinweis begegnen kann, der klagende Mitgliedstaat habe seinerseits keine im Sinne des Art. III Abs. 1 GATT geforderte spezifisch antiprotektionistische Ungleich- / Schlechterbehandlung nachgewiesen. Allerdings ist Hudecs Analyse damit noch nicht genüge getan. Insbesondere ist zu würdigen, dass es ihm auch (vielleicht sogar vorrangig) um eine Rationalisierung der Streitbeilegungspraxis geht. Denn neben den genannten Gesichtspunkten und in gewisser Weise in Widerspruch hierzu vertritt Hudec die weitere These, dass der aims und effects-Test auch deshalb eingeführt werden müsse, weil er den Streitbeilegungsorganen die Rationalisierung ihrer Entscheidungstätigkeit ermögliche. Grundlage dieser Begründung für einen aims and effects-Test ist die Einschätzung, dass die Streitbeilegungsorgane bisher alles in allem tatsächlich kaum marktintegrative Entscheidungen gefällt hätten, dies bisher aber kaum wirklich deutlich

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gemacht hätten.371 Genau dies ist auch die Einschätzung des Verfassers: Mit Ausnahme ganz weniger Entscheidungen haben die Streitbeilegungsorgane unter Art. III GATT trotz ihrer teilweise etwas „schludrigen“ Prüfung der Voraussetzungen im Ergebnis keine Marktintegration betrieben. Vielmehr haben sie unter Art. III GATT in der Regel nur solchen Klagen stattgegeben, die ein im Sinne des Art. III GATT tatsächlich protektionistisch-diskriminierendes Verhalten angriffen. Zwar haben sie die Voraussetzungen des Art. III GATT, insbesondere die Voraussetzung der Ungleichbehandlung, nicht immer in methodisch einwandfreier Weise geprüft. Die dogmatischen Mängel in der Prüfung haben sich, jedenfalls in der Regel, aber nicht im Ergebnis niedergeschlagen. Etwas plakativ möchte man daher behaupten: Die Streitbeilegungsorgane haben sich im Sinne der Funktion des Art. III GATT eigentlich (fast) immer durch Wohlverhalten ausgezeichnet, haben dies im Rahmen ihrer dogmatischen Prüfung aber selten wirklich deutlich gemacht. Bei richtigem Verständnis der den Streitfällen jeweils zugrundeliegenden Sachverhalten wird mithin deutlich, dass die Streitbeilegungsorgane auch bei einem dogmatisch sauberen Vorgehen in der Regel nicht zu einem anderen Ergebnis hätten kommen dürfen. Hudec widerspricht sich in diesem Punkt mithin in gewisser Weise selbst: Denn soweit Hudec behauptet, er wolle die Streitbeilegungspraxis „lediglich“ rationalisieren, beschränkt er seine Kritik auf die Begründung der Ergebnisse der Streitbeilegungsorgane, erkennt also die Ergebnisse der Streitbeilegungsorgane im Wesentlichen an. Wenn er die Ergebnisse in dieser Weise aber im Wesentlichen als richtig anerkennt, kann er sie sinnvollerweise nicht mehr unter dem Gesichtspunkt zu starker marktintegrativer Tendenzen kritisieren. Denn in der Anerkennung der inhaltlichen Richtigkeit der Ergebnisse liegt ja gerade die Aussage, dass die Ergebnisse letztlich keine marktintegrativen Wirkungen entfalten (jedenfalls dann, wenn man, wie Hudec, marktintgrative Wirkungen als falsch ablehnt). Aus dieser „Position des bloßen Rationalisierungswillens“ macht die Behauptung, dass ein aims and effects-Test notwendig sei, um den Weg der Streitbeilegungsorgane in die Marktintegration zu verhindern, mithin keinen Sinn mehr. Dieser Widerspruch ist aber nicht lediglich Hudec anzulasten, sondern vor allem der Zeit, in der die Diskussion um die Notwendigkeit eines aims and effects-Tests entstanden ist. Denn diese Zeit war von einem hohen Maß dogmatischer „Unsauberkeit“ in der Entscheidungspraxis der panels geprägt. Die panels haben in jener Zeit das jeweils behandlungsbezogene Merkmal der Tatbestände des Art. III GATT 371 Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 634 f. In diesem Zusammenhang begründet Hudec die Notwendigkeit eines aims and effects-Tests ausdrücklich nicht mit der Notwendigkeit, eine marktintegrative Sperre für die Streitbeilegungsorgane einzurichten, sondern lediglich damit, den intuitiven, in der Regel aber richtige Ergebnisse produzierenden „smell test“ der Streitbeilegungsorgane zu rationalisieren. Vgl. aber die im Übrigen etwas widersprüchlichen Aussagen zur Notwendigkeit einer Zweckprüfung im Rahmen des Merkmals der Gleichartigkeit von Waren, ibid. S. 626 f. (Einzelheiten sogleich).

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(Ungleich- / Schlechterbehandlung) in nur rudimentärer Weise geprüft. Insbesondere haben sie regelmäßig die Auffassung vertreten, dass das Merkmal der Ungleich- / Schlechterbehandlung entgegen der oben vorgetragenen Sichtweise nicht im spezifischen Lichte des Art. III Abs. 1 GATT ausgelegt werden müsse (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa) oben). Hierdurch mag der Eindruck entstanden sein, dass auch nicht diskriminierende Maßnahmen von Art. III GATT verboten seien. Dies führte widerum zu der (nach hiesiger Auffassung irrigen) Einschätzung, dass das alles entscheidende Merkmal in diesem Zusammenhang nicht dasjenige der Ungleich- / Schlechterbehandlung sei, sondern dasjenige der Gleichartigkeit / Substituierbarkeit, also das jeweils warenbezogene Merkmal der Verbotstatbestände des Art. III GATT.372 Die in Hudecs Aussagen aufgedeckte Widersprüchlichkeit zwischen bloßer Rationalisierung und echter Beeinflussung des Ergebnisses durch eine Zweckprüfung im Gleichartigkeitsmerkmal ist in diesen größeren Zusammenhang einzuordenen: Es geht Hudec richtigerweise nicht primär darum, das antiprotektionistische Prinzip (Art. III Abs. 1 GATT) spezifisch in das warenbezogene Merkmal der Gleichartigkeit / Substituierbarkeit (anstatt in das Merkmal der Ungleich- / Schlechterbehandlung) einzupflanzen, sondern darum, das antiprotektionistische Prinzip überhaupt in eines der Merkmale der Verbotstatsbestände einzuführen, und sei es nur in das warenbezogene Merkmal der Gleichartigkeit / Substituierbarkeit. Bei Hudec selbst wird dies unmittelbar deutlich, wenn er die Vorteile eines aims and effectsAnsatzes wie folgt beschreibt: „First, it [the aims and effects-test] consigned the metaphysics of ,likeness‘ to a lesser role in the analysis, and instead made the question of violation depend primarily on the two most important issues that separate bona fide regulation from trade protection – the trade effects of the measure, and the bona fides of the alleged regulatory purpose behind it. Se372 In der Streitbeilegungspraxis wird diese zeitweilige Verengung auf das warenbezogene Merkmal bekanntlich besonders deutlich in der Entscheidung US – Measures Affecting Alcoholic and Malt Beverages, die in einem zentralen Abschnitt in aus heutiger Sicht fast infamer Weise argumentiert: „[ . . . ] once products are designated as like products, a regulatory product differentiation, e.g. for standardization or environmental purposes, becomes inconsistent with Article III even if the regulation is not ,applied . . . so as afford protection to domestic production‘ (Hervorhebung durch den Verfasser).“ United States – Measures Affecting Alcoholic And Malt Beverages, Panelbericht vom 16. März 1992, angenommen am 19. Juni 1992 (DS23 / R – 39S / 206), BISD 39S / 206, Rz. 5.72. Ein derartiges Verständnis ist freilich geprägt von der Auffassung, dass das antiprotektionistische Prinzip (Art. III Abs. 1 GATT) in den Verbotstatbeständen des Art. III GATT in jeweils immer nur ein Merkmal, nämlich entweder das warenbezogenen oder das behandlungsbezogene Merkmal einfließen könne. Denn andernfalls wäre nicht begründbar, warum das behandlungsbezogene Merkmal der Tatbestände des Art. III GATT nicht neben dem warenbezogenen Merkmal das antiprotektionistische Prinzip des Abs. 1 in sich aufnehmen können solle. Für die Auslegung des warenbezogenen Merkmals (Ungleich- / Schlechterbehandlung) hat das panel bekanntermaßen die so viel kritisierte Konsequenz denn auch unmittelbar gezogen: „In the view of the Panel, therefore, it is imperative that the like product determination in the context of Article III be made in such a way that it not unnecessarily infringe upon the regulatory authority and domestic policy options of contracting parties.“ (Hervorhebung durch den Verfasser), ibid.

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cond, by making it possible for the issue of regulatory justification to be considered at the same time the issue of violation itself is being determined, the ,aim and effects‘ approach avoided both the premature dismissal of valid complaints on grounds of ,un-likeness‘ alone, and excessively rigorous treatment given to claims of regulatory justification under article XX whenever the two products were ruled ,like‘“373

Bei allem Respekt gegenüber Prof. Hudec und der Zeit, in der er diese Zeilen geschrieben hat: Dem Verfasser ist nicht einleuchtend, warum diese Ziele nicht auch durch eine antiprotektionistisch aufgeladene Prüfung der Behandlung von Waren möglich sein soll. Zugegeben: Heute hat angesichts des hohen Maßes an Öffentlichkeit und des dadurch entstandenen Begründungsdrucks auf die Streitbeilegungsorgane ein Umdenken stattgefunden, das man mit der Erweckung des behandlungsbezogenen Merkmals der Ungleich- / Schlechterbehandlung in den Tatbeständen des Art. III GATT umschreiben könnte. Zwar ist dieser Erweckungsprozess erst am Beginn. Aber er ist deutlich spürbar. Das obiter dictum des Berufungsgremiums in der mittlerweile berühmt gewordenen Passage zum Merkmal der Ungleichbehandlung zeugt von dem Wechsel, den der Wind der Praxis hier genommen hat.374 Und auch Hudec wertet die bereits oben erwähnte Passage der Entscheidung des Berufungsgremiums im japanischen Alkoholfall, in der das Berufungsgremium die schützende Anwendung einer Maßnahme aus ihrer inneren Struktur und ihrem Aufbau herleiten will375, als „objektive“ Analyse des Gesetzeszwecks.376 Man mag diese Prüfung als „objektive Zweckprüfung“ deklarieren – in der Sache handelt es sich lediglich um eine Prüfung der protektionistischen Wirkung (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)cc) oben). Dies wird allerdings weder bei Hudec selbst noch bei jenen Autoren deutlich, die nach seinem viel zu frühen Ableben über seinen Ansatz weiter siniert haben. Amelia Porges und Joel P. Trachtman etwa sehen in einem jüngeren Beitrag zwar, dass es in Rn. 100 der Asbest-Beru373 Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 628. 374 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R, Rn. 100. Ähnlich zeigt sich dieses Umdenken, wie in Teil C.I.2.c)aa)(2)(b) nachgewiesen wurde, in der Berufungsentscheidung zum Hormonfall, vgl. EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 241 ff. 375 „[ . . . ] its protective application can most often be discerned from the design, the architecture, and the revealing structures of a measure. [Hervorhebung durch den Verfasser]“, Japan–Taxes on Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums (WT / DS8, 10 und 11 / AB / R), Rz. 29. 376 „The additional element the Appellate Body called for was an investigation of something called ,protective application,‘ a concept that for all the world looked like an objective analysis of regulatory purpose (Hervorhebung durch den Verfasser)“, Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 631.

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fungsentscheidung, also dem Asbestdiktum, um Wirkungen gehe.377 Konsequenzen ziehen sie hieraus allerdings nicht. Vielmehr übernehmen sie an dieser Stelle kritiklos Hudecs These von der (nicht expliziten, behauptetermaßen aber vorhandenen) „objektiven Zweckprüfung“.378 Dabei haben sie die Frage an sich richtig gestellt, wenn sie fragen, wie der Test, den das Berufungsgremium in seinem Diktum in Rn. 100 anmahnt, im Einzelnen aussehen soll.379 Anders als die Autoren schlägt der Verfasser hier eine Überprüfung der Wirkungen vor (wohlwissend, dass auch der Vorschlag Hudecs und seiner Schüler letztlich nichts anderes als eine solche Wirkungsanalyse ist). Wie dem auch sei: Aus der Rede Hudecs von der „objektiven Zweckprüfung“ im Rahmen des behandlungsbezogenen Merkmals kann man am Ende schließen, dass sich Hudec einer antiprotektionistischen Aufladung des behandlungsbezogenen Merkmals im Rahmen einer „zweitbesten Lösung“ nicht verschließt. In diesem Lichte lässt sich der Widerspruch zwischen Hudecs Forderung nach einem aims and effects-Test und der obigen Analyse des Verfassers weitgehend aufösen. Mit dem oben herausgearbeiteten Merkmal der Erfüllbarkeit erreicht der Verfasser genau das, was Hudec am Ende offenbar erreichen will, nämlich eine gelungene antiprotektionistische Aufladung der Tatbestände des Art. III GATT (mit dem Unterschied freilich, dass die hier vorgetragene antiprotektionistische Aufladung auf dogmatisch festerem Grund steht als die von Hudec wohl favorisierte „objektive Zweckprüfung“ im Sinne des japanischen Alkoholfalls).

bb) Kritik an Donald H. Regans Requiem für einen aims and effects-Test Donald H. Regan hält eine antiprotektionistische Aufladung des Art. III GATT durch einen aims and effects-Test im Rahmen des warenbezogenen Merkmals demgegenüber für sinnvoller als im Rahmen des spezifisch behandlungsbezogenen Merkmals, obgleich er auch letzteres zulässt. Er hat dafür die fragwürdige Begründung, dass eine Aufladung des spezifisch warenbezogenen Merkmals der „natürli377 Porges, Amelia und Joel P. Trachtman, Robert Hudec and Domestic Regulation: The Resurrection of Aim and Effects, 37(4) JWT 2003, S. 783, 795: „And it is here, in paragraph 100 of its [Asbestos-]report, that the Appelate Body left room for considerations of effects [Hervorhebung durch den Verfasser]“. 378 Ibid., S. 786 und (hinsichtlich ihres nicht-expliziten Charakters) S. 796. Dies ist um so verwunderlicher, als sie bereits vorher richtigerweise festgestellt haben, dass der Kern der Aussage in Rn. 100 der Asbest-Berufungsentscheidung gerade das „Ausländischsein“ der Ware, mithin letztlich ihre ausländische Herkunft betreffe. Nichts zeigt deutlicher, dass in der Asbestberufungsentscheidung eine Rückkehr zum ursprünglichen Gedanken einer de jureDiskriminierung liegt (Verbot des Herkunftslandsprinzips). Dennoch aber fällt auch diesen Autoren hier nichts besseres als die Anerkennung der These ein, dass es sich hier um eine (wie auch immer verobjektivierte) Zweckprüfung handele (S. 796). 379 Ibid., S. 796: „What should this text look like?“

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chen“ Bedeutung des Begriffs „like product“ entspreche.380 Die Kritik an der antiprotektionistischen „Entladung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals der Verbotstabestände durch die Streitbeilegungsorgane wird bei Regan noch deutlicher als bei Hudec. Auch Regan lässt die antiprotektionistische Aufladung des spezifisch behandlungsbezogenen Merkmals mit einem aims and effects-Test zwar zu, hält eine Aufladung im Rahmen des warenbezogenen Merkmals aber für sinnvoller, weil eine Aufladung des spezifisch warenbezogenen Merkmals der „natürlichen“ Bedeutung des Begriffs „like product“ entspreche.381 Im Rahmen der Begründung werden dann allerdings einige Fehlwahrnehmungen deutlich, die aus Sicht des Verfassers nicht nur die Plausibilität des Beitrags Regans einschränken, sondern auch diejenige eines aims and effects-Tests im jeweils warenbezogenen Merkmal der Verbotstatbestände des Art. III GATT überhaupt. Die Schwächen in Regans Beitrag sind, jedenfalls teilweise, geradezu typischer Ausdruck der Einführung eines aims and effects-Tests im jeweils warenbezogenen Merkmal der Verbotstatbestände.382 Sie sollen daher im Hinblick auf zwei besonders wichtige Kritik380 Regan, Donald H., Regulatory Purpose and „Like Products“ in Article III:4 of the GATT (With Additional Remarks on Article III:2), in 36(3) JWT 2002, S. 443, 444. 381 Ibid., S. 444 ff. 382 Die Argumentation Regans ist in ihren Schwächen daher weitgehend repräsentativ, so dass sie an dieser Stelle näher analysiert sei. Bereits bekannte Argumente wie etwa die behauptete (aber nicht stichhaltige) Redundanz des Art. XX GATT sollen dabei außer Acht gelassen werden. Sie sind aus der Diskussion um die Einführung eines aims and effects-Tests hinreichend bekannt. Regan hat seine Argumentation mittlerweile wiederholt und behauptetermaßen auch vertieft, vgl. Regan, Donald H., Further Thoughts on the Role of Regulatory Purpose Under Article III of the General Agreement on Tariffs and Trade: A Tribute to Bob Hudec, 37(4) JWT 2003, S. 737. Auch in diesem weiteren Beitrag kommt Regan aber nicht zu Argumenten, die den Verfasser überzeugen könnten. Im Gegenteil: Die für Regans Behauptungen zentrale Frage, nämlich die Frage nach dem Umgang mit dem typischen Nebeneinander von protektionistischen und nicht-protektionistischen Gesetzwecken in nicht-diskriminierenden Maßnahmen, wird von Regan mit einem einzigen Satz in eine Fußnote verbannt (in Regans Beitrag Fn. 4 auf S. 738). Dem Verfasser zeigt dieses Vorgehen deutlich, dass Regan an dem eigentlichen Problem, das er aufwirft, vorbei argumentiert. Und selbst in diesem einen Satz ist die Argumentation weniger zweckdienlich, als es auf den ersten Blick erscheint. Regan schlägt hier zwar vor, dass die protektionistischen Zwecke gegenüber den nicht-protektionistischen Zwecken überwiegen sollen, wenn die Maßnahme ohne die protektionistische Zwecksetzung nicht erlassen worden wäre (protektionistischer Zweck als „but-for cause“ für die Maßnahme) – ein Vorschlag, der zunächst konstruktiv erscheint. In welchen Fällen und mit welcher Methode aber eine solche Abhängigkeit der Existenz der Maßnahme von einem protektionistischen Zweck tatsächlich festgestellt werden soll – darüber schweigt sich Regan aus. Das Problem wird anhand der Hormonkonstellation besonders deutlich: Das protektionistische Interesse der unionalen Rindfleischhersteller wird von der Literatur zwar gerne verschwiegen und von den Streitbeilegungsorganen sogar „hinweg geredet“ (Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b). Es ist aber gleichwohl vorhanden. Man kann sich die unionale Maßnahme zwar auch ohne den Input der unionalen Bauernverbände abstrakt vorstellen. Über die tatsächliche Bedeutung des protektionistischen Zwecks in der unionale Maßnahme, wie sie konkret besteht und konkret angegriffen wurde, ist damit aber noch kein einziges Wort gesagt. War hier das entscheidende Kriterium der protektionistische Zweck, d. h. das Erziehlen der protektionistischen Wirkung, oder waren es die (nicht-protektionisti-

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punkte näher veranschaulicht werden, nämlich zum einen im Hinblick auf die Kritik der Willkür deskriptiver Anknüpfungen (Teil C.I.3.a)bb)(1) unten) und zum anderen im Hinblick auf die Behauptung der strukturellen Ähnlichkeit individueller Tauschzwecke und überindividueller Gesetzeszwecke (Teil C.I.3.a)bb)(2) unten). (1) Die Behauptung der Willkür deskriptiver Anknüpfungen bei der Konkretisierung des Merkmals, nach dem die Gleichartigkeit von Waren geprüft wird Schwächen hat zunächst die allgemeine Behauptung, die Gleichartigkeitsprüfung nach den border tax adjustment-Kriterien sei willkürlich, da sie lediglich deskriptive Merkmale enthalte, obwohl eine begründete Gleichartigkeitsüberprüfung normative Kriterien für die Auswahl jener Eigenschaften voraussetze, nach denen verschiedene Waren vergleichbar (oder eben nicht vergleichbar) sein sollten.383 Dieses Argument, das schon einleitend erwähnt wurde, ist in der Literatur verbreitet zu finden.384 Es liegt im Zentrum der Forderung nach einem aims and effects-Test im Rahmen des jeweils warenbezogenen Merkmals, da es darauf abzielt, die Gleichartigkeitsprüfung der Streitbeilegungsorgane zu rationalisieren. Auf den ersten Blick ist es in diesem Zusammenhang auch recht stark, da in der Tat verschiedene Waren nicht per se, sondern immer nur im Hinblick auf ganz bestimmte Aspekte / Eigenschaften vergleichbar sind – oder eben nicht. So können Fernseher und Computerbildschirme im Hinblick auf bestimmte Eigenschaften sinnvollerweise vergleichbar sein (Beisp.: Gefährdungspotenzial für das menschliche Auge), im Hinblick auf andere Eigenschaften aber nicht (Beisp.: Größe der Bildröhre). Die Notwendigkeit zur Feststellung jenes Merkmals, nach dem zwei Waren vergleichbar sein sollen oder nicht, ist allgemein bekannt. Sie wird auch in anderen Zusammenhängen deutlich, etwa im Rahmen der Dogmatik von Gleichheitssätzen, deren Anwendung regelmäßig nicht durch abstrakte Vergleichsgruppenbildung möglich ist, sondern nur durch eine nähere Konkretisierung gerade desjenigen Merkmals, nach dem verglichen werden soll. Naturgemäß ist dann auch die Auswahl dieses Merkmals, nach dem die Gleichartigkeitsprüfung vorzunehmen sein schen) Ängste der Verbraucher? Dies sind die Fragen, die sich Regan angesichts seiner Thesen stellen sollte (statt über nicht weiter schädliche Begründungsunterschiede zwischen der japanischen und der chilenischen Alkoholfallentscheidung des Berufungsgremiums nachzudenken). Sie sind schwer genug zu beantworten und hätten Regan die Möglichkeit eröffnet, sich von den landläufigen Stellungnahmen zu Art. III GATT durch echtes eigenes zielführendes Denken abzuheben. 383 Regan, Donald H., Regulatory Purpose and „Like Products“ in Article III:4 of the GATT (With Additional Remarks on Article III:2), in 36(3) JWT 2002, S. 443, 445 ff. 384 Besonders vehement etwa Wille, Serena B., Restructuring a Lost Opportunity: Art. III:2 GATT 1994 – Japan – Taxes on Alcoholic Beverages 1996, 9 EJIL 1998, S. 182, im Internet auch unter http: //www.ejil.org/journal/Vol9/No1/sr1b.html (Seitenaufruf am 17. Oktober 2003).

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soll, ihrerseits zu begründen. Denn für den Rechtsunterworfenen ist eine Gleichartigkeitprüfung kaum akzeptierbar, wenn sie anhand eines Merkmals durchgeführt wird, dessen Richtigkeit nicht begründet werden kann. So würde es keinen Sinn machen, wenn ein Rechtsanwender einem Rechtsunterworfenen vermitteln wollte, dass er zwei Waren oder Personen für vergleichbar hält, allerdings nicht begründen kann, dass das Kriterium, das er für dieses Urteil ausgewählt hat, das richtige Kriterium für die anzuwendende Prüfung sei.385 Zweifel an der These von der unbefriedigenden Rationalisierbarkeit der Vergleichbarkeitsprüfung bestehen vor allem im Hinblick darauf, ob (1) die geforderte positive Marktanalyse tatsächlich kein begründbares Kriterium für eine Gleichartigkeitsprüfung liefert und ob (2) ein aims and effects-Test überhaupt ein (gegebenenfalls besser) begründbares Kriterium liefert. Zum Punkt (1): Den Verfasser befremdet etwas, warum gerade nur ein normatives Element in der Lage sein soll, das Merkmal, nach dem die Gleichartigkeitsprüfung durchgeführt werden soll, zu bestimmen. Es ist zwar richtig, dass Fernseher und Computerbildschirme im Hinblick auf bestimmte Eigenschaften sinnvollerweise vergleichbar sein können, im Hinblick auf andere Eigenschaften aber nicht. Es ist daher auch richtig, dass das Merkmal, nach dem zu vergleichen ist, tatsächlich rationalisierbar sein muss. Aber warum soll es nur durch normative Kriterien rationalisierbar sein? Kann es nicht auch durch positiv feststellbare faktische Gegebenheiten rationalisierbar sein? Entgegen der literarischen Kritik geht der Verfasser davon aus, dass das wesentliche Kriterium für die Gleichartigkeitsprüfung das beobachtbare und damit positiv feststellbare Marktverhalten der einzelnen ist, und zwar unabhängig der Beweggründe, die sie für dieses Marktverhalten haben. Für die Gleichartigkeitsprüfung kommt es nicht darauf an, warum und in welchem Maße Marktteilnehmer bestimmte Waren für substituierbar oder nicht substituierbar halten. Es kommt lediglich darauf an, dass sie sie für substituierbar (oder nicht substituierbar) halten. So gesehen ist eher das Maß der Substituierbarkeit in den Vordergrund zu rücken, nicht ihr Grund. Gegebenenfalls sind Schnittmengen zu bilden: Für den einen Konsumenten etwa ist eine Ware mit einer anderen noch substituierbar (Beisp.: biologisch und nicht biologisch angebaute Bananen), für den andere anderen aber nicht mehr. Auf die Gründe kommt es dabei nicht an. Sie können ohnehin denkbar unterschiedlich sein. Der eine Konsument wird biologisch und nicht biologisch angebaute Bananen substituieren, weil er gar kein Interesse an den Unterschieden hat, der andere deshalb, weil in seiner konkreten Wohnsituation die Umwege zum Biomarkt gegebenenfalls kürzer sind als zum einfachen Supermarkt usw. Umgekehrt 385 Freilich gibt es auch in diesem Bereich Grauzonen. Selbstverständliches wird kaum angezweifelt werden. Den schwierigen Fällen liegen aber keine allgemeinen Selbstverständlichkeiten zugrunde. Wenn Menschen unterschiedlicher Auffassung über die Gleichartigkeit von Waren sind, bedarf es einer Rationalisierung. Gerade für diese Fälle wird der aims and effectsTest gefordert.

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kann auch jener Konsument, der nicht substituiert, sehr unterschiedliche Gründe hierfür haben (biologische Bananen sind zu teuer, sind „Betrug“ am Käufer, nützen der Umwelt ohnehin nichts (Grenznutzen), sind nur unter erheblichem Aufwand zu erhalten usw.). Vielleicht substituiert er lieber nichtbiologische Äpfel mit nichtbiologischen Bananen als biologische Bananen mit nichtbiologischen Bananen (Vitamindiversität, Geschmackdiversität usw.). Vielleicht substitutiert er sie aber auch nur zu bestimmten Zeitpunkten, etwa wenn es ihm gut geht oder er gerade dazu Lust hat, sie auszutauschen. Diese etwas trivialen Beispiele sollen zeigen, dass die Substituierbarkeit verschiedener Waren nicht ein feststehendes Absolutum ist. Markttransaktionen sind vielmehr situationsbedingt. Marktprozesse sind daher relative Prozesse. Feststellbar ist am Ende nur, dass Waren zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Durchschnittsmaße von Verbrauchern substituiert werden, nicht, warum sie substituiert werden. Die positiven Marktprozesse bilden aus Sicht des Verfassers daher ein sehr gutes Kriterium zur Rationalisierung, ohne dass es hierfür normativer Kriterien bedarf. Es ist die Beobachtbarkeit, die hier letztbegründend wirkt, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zum Punkt (2): Es bedarf nicht nur keines normativen Kriteriums zur Rationalisierung. Die von den Vertretern eines aims und effects-Tests vorgeschlagenen normativen Kriterien (Gesetzeszwecke) sind zudem, obwohl sie auf den ersten Blick in der Tat zunächst normative Kriterien sind, letztlich selbst abhängig von bestimmten politischen (und damit letztlich deskriptiven) Entscheidungen. Denn letztlich ist auch bei festgestellten Gesetzeszwecken der beobachtbare Marktprozess selbst Ursprung und Veranlasser. Der normative Zweck einer Maßnahme ist nichs anderes als eine Reaktion des Normgebers auf den Marktprozess. Auch der mitgliedstaatliche Normgeber muss nach irgendwelchen von ihm positiv zu wählenden politischen Kriterien ein Merkmal herausarbeiten, an das er anknüpft, ohne seinerseits normative Vorgaben dafür zu haben. Dieses „Auswählen“ des relevanten Merkmals ist also seinerseits nicht, wie Regan und andere nahelegen, normativ vorbestimmt (bei aller Kompetenz nationaler Gesetzgeber, deren Güte mit dem vorliegenden Argument nichts zu tun hat und daher hier auch nicht in Frage gestellt werden soll). Warum also soll der Rückgriff auf den Gesetzeszweck als normative „Zwischenebene“ eine bessere Grundlage für die Auswahl jenes Kriteriums bilden, nach dem die Marktanalyse durchgeführt wird, als die positive Auswahl nach der Marktlage durch das WTO-Organ, wenn der Gesetzeszweck selbst letztlich keiner normativen Vorgabe folgt, sondern Ausfluss einer politischen Entscheidung über ein Eingreifen in eben diese Marktprozesse ist? Das Argument von der Rationalisierung durch das Einziehen einer normativen Grundlage ist damit letztlich ein Scheinargument. Es wäre nur dann gültig, wenn das normative Element, von dem sich der aims und effects-Test leiten lässt (Gesetzeszweck, regulatory purpose), seinerseits auf normative Gehalte zurückführbar wäre, die ihrerseits auf normative Gehalte zurückzuführen wären, die ihrerseits . . . (regress ad infinitum). Studien über den normativen Charakter des Rechts zeigen aber, dass man sich im positivistischen Zeitalter nicht mehr auf derartige normative

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Regresse zurückziehen kann, jedenfalls nicht unter Wahrung einigermaßen konkreter Inhalte. In der positivistischen Rechtstheorie386 ist schon länger anerkannt, dass die Normativität des Rechts und damit auch diejenige seiner einzelnen gesetzlichen Regeln in diesem Sinne allein auf faktische Gegebenheiten zurückführbar ist, seien diese nun sozialer (Ehrlich, Weber: soziologischer Positivismus)387, psychologischer (Bierling, Merkel, Jellinek: psychologischer Positivismus)388 oder sozialpsychologischer Art (Hart: sozialpsychologische „Mischtheorie“)389. Normative Regresse ad infinitum müssen – auch und gerade in ihrer fiktiv-etatistischen Ausprägung – notwendig in den normativen Selbstbezug und damit in die normative Fiktion führen (Beisp.: Kelsens Grundnorm, die die staatlich-rechtliche Normativität letztlich aus sich selbst heraus erklärt, dabei aber notwendig fiktiv bleiben muss)390. Der fiktive Charakter unendlicher normativer Regresse ist der Grund für den Scheincharakter des Argumentes für einen aims and effects-Test, nach dem normative Kriterien für die Auswahl der Maßstäbe, nach denen die Gleichartigkeit bestimmt wird, rationaler seien als deskriptive Kriterien. Nach welcher rechts- und staatstheoretisch modernen (positivistischen) Anschauung dieses Argument auch immer begründet wird: Die Rationalität konkreter Normativität endet in der politisch mitgliedstaatlichen Entscheidung, der ihrerseits u. a. eine positive Marktanalyse zugrunde liegt. Dies zeigt, dass eine wie auch immer hergeleitete „Normativität“ in der Anknüpfung noch nicht als solche die „Rationalität“ der Gleichartigkeitsprüfung“ stärken kann. Sie ist vielmehr lediglich eine Zwischenstufe, die die „Irrationalität“ der deskriptiv-politischen Entscheidung im Mitgliedstaat in die Marktanalyse der Streitbeilegungsorgane hineinzieht. Die Auswahl im Rahmen einer positiven Martktanalyse durch das Streitbeilegungsorgan dürfte letztlich kaum weniger rational sein als durch den nationalen Gesetzgeber. Letztlich handelt es sich hier daher (jedenfalls auch) um ein verschleiertes demokratietheoretisches Argument über die funktionale Kompetenz zur Auswahl des eben gerade richtigen Kriteriums, nach dem zwei verschiedene Waren auf ihre Gleichartigkeit hin analysiert werden sollen (WTO-Organ versus Mitgliedstaat, nähere Einzelheiten Teil E. unten), nicht um ein Argument über das verwirklichte Maß menschlicher Rationalität. Die hier entwickelte Argumentation ist freilich zu unterscheiden von einer solchen der besseren Qualifizierung mitgliedstaatlicher Normgeber für die nationale 386 Überblick etwa bei Ott, Walter, Der Rechtspositivismus, Duncker und Humblot, Berlin, 2. Aufl. 1992. 387 Ehrlich, Eugen, Grundlegung der Soziologie des Rechts, 4. Aufl., Berlin: Duncker und Humblot, 1989; Weber, Max, Rechtssoziologie, 2. Aufl., Neuwied, 1967. 388 Bierling, Ernst Rudolf, Juristische Prinzipienlehre, Band I, Freiburg / Leipzig, 1894; Merkel, Adolf, Auflage, Berlin, 1914. 389 Hart, Herbert. L. A., The Concept of Law, 2. Auflage, Oxford, 1994. 390 Vgl. etwa Kelsen, Hans, Principles of International Law, 2. Aufl., Tucker, 1967, S. 564. Näher dazu Duvigneau, Johann Ludwig, The Descriptive Character of H.L.A. Hart’s Concept of Law, unveröffentlichte Masterarbeit, London 1998, S. 18 ff.

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Maßnahme. Diese wird vom Verfasser nicht angezweifelt. Politische Organe sind schon deshalb für politische Entscheidungen besser geeignet als juristische beziehungsweise quasijuristisch / diplomatische Streitbeilegungsorgane, weil ihnen hierfür die legitime Kompetenz zugeschrieben wird, also schon ganz unabhängig von der oft ohnehin höheren Sachkunde. Das hier entwicklte Argument geht eher in eine andere Richtung, nämlich in diejenige der Rationalisierbarkeit des Merkmals an sich: Bei aller höheren Sachkunde und bei aller höheren Legitimationskraft ist auch der mitgliedstaatliche (politische) Normgeber letztlich auf politische Entscheidungen beschränkt. Ab einem gewissen Punkt der Rationalität kann der Normgeber nur noch so entscheiden, wie er entscheidet, weil es es so will. Politische Verantwortung ist im letzten daher auch Willensverantwortung, nicht nur Sachverantwortung. Genau diese Willensverantwortung wird auch durch die scheinbar rationalere Bestimmung des entscheidenden Merkmals für die Gleichartigkeitsprüfung, wie sie die Vertreter eines aims und effects-Tests vorschlagen, nicht aufgehoben. (2) Die Behauptung einer strukturellen Ähnlichkeit individueller Tauschzwecke und überindividueller Gesetzeszwecke Schwächen hat ferner die Behauptung, ein aims and effects-Test sei der sozusagen natürliche Perspektivenwechsel von der Analyse der Tauschzwecke der Konsumenten eines Mitgliedstaates zur Analyse der Zwecke einer bürgerlichen Gemeinschaft eines Mitgliedstaates, repräsentiert duch den mitgliedstaatlichen Normgeber.391 Diese Behauptung setzt eine wesensmäßge Parallelität der privaten Marktgestaltung durch individuelle Transaktionen zur politischen Gestaltung durch überindividuelle Entscheidungstätigkeiten voraus. Eine solche Parallelität gibt es aber nicht. Die Behauptung der „Natürlichkeit“ einer Analyse gesetzgeberischer Zwecke trägt daher nicht. Schon oben (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)aa)(2) oben) wurden die praktischen Unterschiede zwischen Marktgestaltung durch zweckgeleitetes individuelles Handeln einerseits und Marktgestaltung durch zweckgeleitetes gemeinsam-politisches Handeln andererseits herausgearbeitet. In diesem Zusammenhang wurde die These aufgestellt, dass die bloße Existenz von marktregulativen Gesetzen an sich bereits zeige, dass durch nutzenmaxierendes individuelles Handeln geprägte Märkte nicht immer dem politischen Willen aller entsprechen (Marktversagen). Das schon oben (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)aa)(2) oben) angeführte Beispiel einer gesetzlichen Steuerung des Einbaus von G-Katalysatoren in Kraftfahrzeuge etwa belegt diese Auffassung in einfacher und einleuchtender Weise. Wegen des externen Charakters der durch ein Kraftfahrzeug verursachten Umweltver391 Regan, Donald H., Regulatory Purpose and „Like Products“ in Article III:4 of the GATT (With Additional Remarks on Article III:2), in 36(3) JWT 2002, S. 443, 450.

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schmutzung wird kaum ein Marktteilnehmer freiwillig auf den (teuren) Einbau eines solchen Katalysators drängen. Denn ein freiwilliger Einbau entspricht individuellem Kosten-Nutzen Denken nicht, da der Marktteilnehmer selbst keinen unmittelbaren Nutzen von dem Einbau eines Katalysators hat (es sei denn, er hat einen individuellen Nutzen an dem Gefühl, ein sauberes Kraftfahrzeug zu fahren oder dies den Nachbarn erzählen zu können. . . ). Die Gesamtheit aller Markttransaktionen wird daher zu einer geringen Zahl eingebauter Katalysatoren führen. Dennoch aber gibt es Mitgliedstaaten, die derartige Katalysatoren verpflichtend vorschreiben oder steuerlich begünstigen, obwohl die Gesamtheit der hinter derartigen politischen Entscheidungen stehenden Bürger personell mit den Marktteilnehmern weitgehend identisch ist. Würde aus der personellen Identität zugleich eine Zweckidentität folgen (wie sie Regan etwa nahelegt), dann dürfte der Gesetzgeber derartige Entscheidungen gar nicht treffen. Das Beispiel zeigt: Marktgestaltung durch individuelle Transaktionen und Marktgestaltung durch gemeinsame politische Entscheidung sind schon konzeptionell sehr unterschiedlich, schon deshalb, weil sich individuelle Kosten-NutzenRechnung von gesamtwirtschaftlicher Kosten-Nutzen-Rechnung unterscheidet. Das Argument, man könne in einer Gleichartigkeitsprüfung Gesetzeszwecke schon deshalb zur Grundlage der Auswahl des Prüfungskriteriums wählen, weil Zwecküberlegungen auch in einer positiven Marktanlalyse eine Rolle spielten, kann daher schon konzeptionell nicht überzeugen. Es fehlt an der einfachen Übertragbarkeit der Summe der Zwecke aller Marktbürger in die Summe der Zwecke aller (personell identischen) politischen Bürger. Für diese Auffassung braucht man die künstliche Unterscheidung zwischen einem Gemeinwillen (volonté générale) und einem Willen aller (volonté de tous), wie sie etwa Rousseau entwickelt hat392, nicht zu bemühen. Der hier in Bezug genommene politische Wille zur Gestaltung ist kein „Gemeinwille“ gleich welcher Art, sondern ein Wille aller, der sich nach den gerade aktuellen Mehrheiten richtet. Nur entspricht dieser gemeinsame politische Wille nicht der Summe des sich aus allen Markttransaktionen zusammen ergebenden Willen aller Marktteilnehmer. Der Wille aller Marktbürger ist, bei aller personellen Identität, ein anderer Wille als der Wille aller politischen Bürger. Unter Politik- und Wirtschaftwissenschaftlern ist der konzeptionelle Unterschied schon seit langem anerkannt. Für die Theorie des Marktversagens und damit auch für die Anerkennung von Unterschieden zwischen der Gesamtheit privater Transaktionen und politischer Gestaltung der Märkte reicht ein Blick auf den wirtschafts- und politikwissenschaftlich insoweit gesicherten Bestand vollkommen aus.393 392 Rousseau, Jean-Jacques, Textkritische Ausgabe (Übersetzung und Anmerkungen von Klaus H. Fischer), Schutterwald / Baden: Wiss. Verl., 2002. 393 Neuerdings näher etwa Fritsch, Michael, Thomas Wein und Hans-Jürgen Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, Mikroökonomische Grundlagen staatlichen Handelns, München: Vahlen, 2003. Zum Gesichtspunkt spezifisch demokratischer Wirtschaftspolitik etwa Frey, Bruno S. und Gebhard Kirchgässner, Demokratische Wirtschaftspolitik, 3. Aufl.,

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cc) Zur auch im Ergebnis fehlenden Zielstrukturadäquanz eines aims and effects-Tests Die Anwendung eines aims and effects-Tests in der Gleichartigkeitsprüfung kann zu richtigen Ergebnissen führen, muss es aber nicht. Der aims and effects-Test in der Gleichartigkeitsprüfung ist daher nicht nur in theoretischer Hinsicht, sondern auch im Ergebnis nicht zielstrukturadäquat. Er führt insbesondere dann nicht zu zielstrukturadäquaten Ergebnissen, wenn kein protektionistischer Zweck festgestellt werden kann, die Maßnahme aber gleichwohl ausländische Waren in protektionistischer Weise schlechter behandelt als inländische Waren. Denn in diesen Fällen kommt ein aims and effects-Test zu dem Ergebnis, dass die Maßnahme trotz ihrer diskriminierend-protektionistischen Wirkungen von Art. III GATT nicht verboten ist, nur weil sie behauptetermaßen keinen protektionistischen Zweck hat. Nicht zielstrukturadäquat sind die Ergebnisse eines aims and effects-Tests ferner dann, wenn umgekehrt ein protektionistischer Zweck festgestellt werden kann, die Maßnahme aber ausländische Waren gleichwohl nicht in protektionistischer Weise schlechter behandelt als inländische Waren, sondern ihren protektionistischen Zweck – und ihre protektionistischen Wirkungen – aus einer Gleichbehandlung zieht. Denn in derartigen Fällen kommt ein aims and effects-Test zu dem Ergebnis, dass die Maßnahme von Art. III GATT verboten ist, weil sie einen protektionistischen Zweck und protektionistische Wirkungen hat, obwohl diese nicht (oder nicht notwendigerweise) durch Ungleichbehandlung entstehen (Besip.: Hormon- und Asbestkonstellation). In beiden Fallgruppen ist das Ergebnis jeweils unhaltbar. Denn Art. III GATT verbietet allein protektionistische Diskriminierungen, dies aber in effektiver Weise, d. h. er verbietet nur solche Maßnahmen (dies aber in effektiver Weise), die ihre protektionistische Wirkung gerade durch Schlechterbehandlung erreichen, während er alle anderen Maßnahmen erlaubt. Erlaubt sind unter Art. III GATT daher nicht nur solche Maßnahmen, die keinerlei protektionistische Wirkungen haben, sondern auch solche Maßnahmen, die zwar protektionistische Wirkungen haben, diese aber nicht gerade im Wege einer Diskriminierung, sondern auf andere (normativ und faktisch gleichbehandelnde) Weise erreichen. Denn nach seiner oben herausgearbeiteten Zielstruktur soll Art. III GATT die Wettbewerbsgleichheit ausländischer Waren (aber auch nur die Wettbewerbsgleichheit dieser Waren) schützen, nicht aber soll er protektionistische Wirkungen per se bekämpfen (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.a) oben). Wettbewerbsgleichheit ist nach Art. III GATT daher unabhängig davon zu gewähren, ob eine mitgliedstaatliche Maßnahme nun aus protektionistischen Beweggründen, aus nicht-protektionistischen Beweggründen oder aus einer Mischung von protektionistischen und nicht-protektionistischen Beweggründen entstanden ist. Diese Zweckunabhängigkeit nach den VoraussetzunMünchen: Vahlen, 2001; Frey, Bruno S., Theorie demokratischer Wirtschaftspolitik, München: Vahlen, 1981.

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gen hat auch ihren guten Sinn. Denn in der politischen Realität der Mitgliedstaaten werden protektionistische Beweggründe meist ohnehin neben nicht-protektionistischen Beweggründen stehen. Die entscheidende Frage geht oft nicht dahin, ob nicht-protektionistische Zwecke neben protektionistischen Zwecken bestehen, sondern wie gegebenenfalls nebeneinander stehende protektionistische und nicht-protektionistische Zwecke in ihrem Verhältnis zueinander zu bewerten sind. Wer das Entstehen mitgliedstaatlicher Maßnahmen in praxi beobachtet, wird bestätigen, dass am Entstehen einer mitgliedstaarlichen Maßnahme eine Vielzahl von Verbänden und „pressure groups“ beteiligt sind, die allesamt ihren input nicht vollständig, wohl aber jeweils teilweise umsetzen konnten. Die Gestalt der Maßnahme ist dann in der Regel vom jeweils relativen Erfolg der unterschiedlichen Lobbygruppen geprägt. Manche dieser Lobbygruppen sind protektionistischer Provinienz, andere eben nicht. Aus diesem Grunde ist es schwierig, den konzeptionell deutlich trennbaren Fallgruppen protektionistischer und nicht-protektionistischer Zwecke eindeutige Beispiele zuzordnen. Die Schwierigkeiten in der Zuordnung liegen nicht an mangelnder Durchdringung der faktisch bestehenden Situation, sondern am Fehlen hinreichender Maßstäbe zur Bewertung des Nebeneinanders protektionistischer und nicht-protektionistischer Gesetzeszwecke. Im Hormonfall etwa wurde die Notwendigkeit zum Werten zwischen protektionistischen und nicht-protektionistischen Gesetzeszwecken bereits überdeutlich, hatte das Berufungsgremium im Rahmen der Analyse des Art. 5.5 SPS der Sache nach dort doch unterschiedliche Gesetzeszwecke in ihrem Nebeneinaner gewürdigt und damit letztlich einen aims and effects-Test in das behandlungsbezogene Merkmal integriert (freilich ohne dies deutlich zu machen und mit dem Ergebnis, ein protektionistischer Zweck liege nicht vor – angesichts der Freude unionaler Rindfleischhersteller über die die relative Schwäche des Wettbewerbsdrucks aus den USA ein allerdings etwas fragwürdiges Ergebnis, nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b) oben). Ein weiteres Beispiel ist der Asbestfall. Auch hier wird man entgegen dem Berufungsgremium protektionistische Zwecke nicht ausschließen können. Allenfalls wird man hier ein Überwiegen nicht-protektionistischer Zwecke annnehmen können (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(c) oben). Trotz der bereits in der obigen Fallanalyse aufgedeckten dogmatischen Schwierigkeiten bei der Abwägung zwischen protektionistischen und nicht-protektionistischen Gesetzeszwecken soll an dieser Stelle für beide Fallgruppen ein Beispielsfall gegeben werden, um die Ergebnisschwäche des aims und effects-Tests zu verdeutlichen.394 In der ersten Fallgruppe (schlechterbehandelnde Maßnahme mit protek394 Bei der Lektüre der Analyse sollte allerdings „mitgelesen“ werden, dass es sich hier um eine Idealtypisierung handelt, deren eigentliches Problem nicht in der Feststellbarkeit protektionistischer Wirkungen oder regulativer Ungleichbehandlungen liegt, sondern in der (Nicht-) Ausschließbarkeit protektionistischer Zwecke neben nicht-protektionistischen Zwecken. Im Rahmen eines aims and effects-Tests würden beide Beispiele daher letztlich im

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tionistischen Wirkungen, aber kein protektionistischer Zweck) wird man etwa folgende Konstellation einordnen können, die an das schon oben (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.a) oben) entwickelte Beispiel einer ökologischen Steuerreform anknüpft: Ein Mitgliedstaat ist in hohem Maße von Energie aus Erdöl und Erdgas abhängig. Wegen der umweltpolitisch immer drängender werdenden Probleme entschließt sich die stark umweltpolitisch orientierte Regierung dieses Staates, eine ökologische Steuerreform durchzuführen, in deren Rahmen sie den Verbrauch von Erdöl höher besteuert als den entsprechenden Verbrauch von Erdgas. Nun verfügt dieser Mitgliedstaat (zufälligerweise?) über erhebliche natürliche Erdgasvorkommen, nicht aber über entsprechende Erdölvorkommen. Mit zunehmender Ausreifung der technischen Voraussetzungen für Gas- und Ölverbrauch werden Erdgas und Erdöl von den Verbrauchern in feststellbarer Weise zunehmend substituiert (man verlege den Fall etwa in das Jahr 2040). Je höher das Maß der Substituierung ist, desto eindeutiger erscheint nach der klassisch quantifizierenden Prüfung (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(1) oben) ein Verstoß gegen Art. III Abs. 2 S. 2 GATT, denn die höhere Besteuerung von Erdöl gegenüber Erdgas bringt eine aggregiert schlechtere Behandlung des überwiegend eingeführten Erdöls gegenüber dem überwiegend einheimischen Erdgas mit sich. Auch nach der oben vorgetragenen Prüfung einer qualitativ-aggregierten Schlechterbehandlung (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(2) oben) läge ein Verstoß vor (jedenfalls dann, wenn der erdölexportierende Staat nicht in gleicher Weise über Erdgas verfügen kann – was in der Regel der Fall sein wird), da das eingeführte Erdöl schon faktisch nicht zur Erfüllung der steuerlichen Kriterien für Erdgas in der Lage ist (de facto-Diskriminierung).395 Nach einem aims and effects-Test wird man demgegenüber die feststellbaren Zwecke in der einen oder anderen Weise herausarbeiten und berücksichtigen müssen. Bestätigt sich ein eindeutiges Überwiegen des nicht-protektionistischen Umwelstschutzzwecks gegenüber gegebenenfalls bestehenden protektionistischen Zwecken, so muss die Maßnahme unter Art. III GATT als erlaubt gelten.396 An dieser Stelle zeigt sich nicht nur das in praxi wichtige methodische Problem der Anforderungen an den Nachweis protektionistischer Gesetzeszwecke.397 Es Rahmen der Frage entschieden werden, welche Anforderungen an den Nachweis des Bestehens oder Überwiegens protektionistischer Zwecke zu stellen sind. 395 Daher handelt es sich um eine der großen zukünftigen Herausforderungen der Dogmatik des Art. III GATT. Grundlegend Zarilli, Simonetta, Domestic Taxation of Energy Products and Multilateral Trade Rules: Is This a Case of Unlawful Discrimination?, 37 (2) JWT 2003, S. 359. 396 Siedelt man den aims and effects-Test in der Gleichartigkeitsprüfung an, so wird es trotz des angenommenermaßen hohen Grades an Substituierung schon an einer Gleichartigkeit fehlen. Siedelt man ihn demgegenüber im behandlungsbezogenen Merkmal an, werden Erdöl und Erdgas demgegenüber gleichartig sein, in der etwas fragwürdigen Praxis des Berufungsgremiums (Hormonfall!) aber nicht in protektionistischer Weise ungleich behandelt werden, da die nicht-protektionistischen Zwecke der Maßnahme die gegebenenfalls ebenfalls bestehenden protektionistischen Zwecke überwiegen.

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zeigt sich auch das Problem des gegebenenfalls falschen Ergebnisses. Denn wenn die Streitbeilegungsorgane in diesem Fall tatsächlich davon ausgingen, dass der Nachweis protektionistischer Zwecke nicht gelungen sei, nur weil es auch (gegebenenfalls wichtigere) andere umweltpolitisch motivierte Zwecke gäbe, dann wäre die Maßnahme von Art. III GATT hier trotz der quantitativen und gegebenenfalls (je nach Produktionsstruktur des Exportstaates) qualitativen Schlechterstellung ausländischer Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren in der Erfüllbarkeit erlaubt. Aus Sicht des Verfassers wäre dieses Ergebnis trotz der institutionell im Grundsatz begrüßenswerten Autonomiesensibilität der Streitbeilegungsorgane nicht richtig. Es ist zwar „politischer Sprengstoff“, wenn eine Steuerreform zur günstigen Besteuerung von Erdgas unter dem Gesichtspunkt des Art. III GATT nur deshalb nicht umgesetzt werden kann, weil ölexportierende Staaten nicht gleichermaßen Erdgas exportieren können. Dennoch ist das vom Verfasser hier vertretene Ergebnis (Verstoß gegen Art. III GATT abhängig von der Produktionsstruktur des Exportlandes) Ausfluß richtig verstandener Dogmatik unter den Diskriminierungsverboten des Art. III GATT. Denn die Anwendung des normativen Gehalts der Diskriminierungsverbotes ist nicht zuletzt von den faktischen Wirtschaftsstrukturen des Exportlandes, also desjenigen Mitgliedstaates abhängig, auf dessen Waren die Diskriminierungsverbote anwendbar sind. Zu bedauern ist dies nicht. Denn es ist zurückzuführen auf die steigende Interdependenz der Mitgliedstaaten in der WTO. Es ist letztlich Ausfluss des Willens der Mitgliedstaaten, mit anderen Volkswirtschaften zu konkurrieren, nicht nur im Rahmen eines regulatives Wettbewerb, sondern auch im Rahmen eines ökonomischen Wettbewerbs um die besten Lösungen. In der zweiten Fallgruppe (Maßnahme mit protektionistischen Wirkungen und protektionistischem Zweck, aber fehlende Schlechterbehandlung) soll ein auf den ersten Blick ganz ähnliches Beispiel angeführt werden. Das Beispiel stammt aus der Feder Regans: Nach dessen Beispiel über Milchverpackungen wird Milch in einem Mitgliedstaat sowohl in Pappkartons („cardboard cartons“) als auch in Plastikbehältern („plastic-jugs“) verkauft. Aus umweltpolitisch motivierten Gründen verbietet der Mitgliedstaat den Verkauf von Milch in Plastikbehältern („plasticjugs“), da diese für die Umwelt belastender seien als Pappkartons („cardboard cartons“). Zufälligerweise (?) liegt es nun allerdings so, dass Pappkartons („card397 Die Abwägung ist insoweit bisher vollkommen prinzipienlos. Das Berufungsgremium hat sich im Hormonfall zu Art. 5.5 SPS etwa auf die Feststellung beschränkt, dass wichtige nicht-protektionistische Zielsetzungen bestünden. An einer offenen und vor allem nachvollziehbaren Abwägung mit den ebenfalls bestehenden protektionistischen Zielsetzungen fehlt es demgegenüber (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b)). Dem Leser der Entscheidung ist mithin das Ergebnis klar, nicht aber dessen Begründung. Mangels näherer methodischer Gesichtspunkte kann man eine Entscheidung des Berufungsgremiums für die hier vorgegebene Konstellation daher nur erspüren. Dies ist in dogmatischer Hinsicht freilich kaum zielführend. Man denke nur daran, wie sehr in der vorliegenden Konstellation Umweltverbände und Erdgasindustrie an einem Strang gezogen haben könnten, und sei es auch aus noch so unterschiedlichen Zweckerwägungen.

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board cartons“) von der heimischen Industrie hergestellt werden, während Plastikbehälter („plastic-jugs“) im mitgliedstaatlichen Ausland hergestellt werden.398 Bei richtiger Analyse nach den oben vorgegebenen qualitativen Kriterien der Erfüllbarkeit liegt hier – anders als im gerade entwickelten Beispiel der ausländische Erdölindustrie oben – mangels Ungleichbehandlung kein Verstoß gegen Art. III GATT vor, obwohl in diesem Beispiel Pappkartons („cardboard cartons“) und Plastikbehälter („plastic-jugs“) von den Verbrauchern unterstelltermaßen substituiert werden. Folgte man der allein quantifizierenden Auslegung des behandlungsbezogenen Merkmals (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(1) oben), müsste man hier zwar die Existenz einer Ungleichbehandlung anerkennen, da die Maßnahme aktuell mehr Waren aus dem Ausland trifft als aus dem Inland. Nach der oben entwickelnden qualifizierenden Prüfung kommt es hier allerdings auf die Gleichheit in der normativen und faktischen Erfüllbarkeit der Maßnahme an (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)cc)(2)). Diese wird insbesondere dann gewahrt, wenn die ausländische Plastikbehälterindustrie Pappkartons für den Verkauf von Milch genauso gut (oder schlecht) herstellen kann wie die heimische Industrie. Schon wie oben sei auch an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben: Es geht hier nicht darum, ob die ausländische Industrie Pappkartons genauso gut herstellen kann, wie Plastikbehälter. Vielmehr geht es allein darum, ob sie Pappkartons genau so gut herstellen kann wie die heimische Industrie. Der aims and effects-Test thematisiert diese Frage der Erfüllbarkeit demgegenüber nicht, sondern prüft lediglich, ob ein protektionistischer Zweck nachweisbar ist. Ist ein solcher Zweck nicht nachweisbar, fehlt es – je nach Ausführung des Tests – entweder an der geforderten Gleichartigkeit der Waren oder an einer Schlechterbehandlung, so dass ein Verstoß gegen Art. III GATT nicht angenommen werden kann. Mit dem aims and effects-Test stellt sich daher die hier alles entscheidende Frage dahin, ob ein protektionistischer Zweck hier nachgewiesen werden kann. Regans Lösung des Falles greift gerade insoweit erstaunlicherweise zu kurz. Denn anstatt zu thematisieren, wie es sich auf den Zweck oder die Zwecke der Maßnahme auswirkt, dass die mitgliedstaatliche Kartonindustrie vor ausländischen Plastikbehältern geschützt wird, definiert er diese Wirkung gewissermaßen hinweg, indem er das Beispiel von vorneherein so konstruiert, als sei der umweltpolitische Zweck der Maßnahme von vorneherin ein ausschließlicher Zweck.399 Es mag zwar sein, dass die Maßnahme überwiegend oder sogar ausschließlich auf umweltpolitischen Druck hin zustandegekommen ist. Daraus folgt aber noch nicht, dass sie keinen protektionistischen Zweck hätte. Im Gegenteil: Dieser kann parallel zu nicht-protektionistischen Zwecken liegen. Die protektionistischen Wirkungen der Maßnahme zugunsten der Kartonindustrie400 legen den Gedanken eines (jeden398 Regan, Donald H., Regulatory Purpose and „Like Products“ in Article III:4 of the GATT (With Additional Remarks on Article III:2), in 36(3) JWT 2002, S. 443, 447. 399 Ibid., S. 447: „[ . . . ] it is clear that the impetus for the ban came from environmental quarters.“

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falls auch) protektionistischen Zwecks immerhin so nahe, dass Regan mindestens hätte begründen müssen, dass ein solcher Zweck nicht vorliegt. Das Beispiel einfach so zu konstruieren, dass dieser Zweck schon ex exemplo nicht vorliege, geht selbst aus Sicht einer Zweckprüfung am Kernproblem des Tatbestandes des Art. III GATT vorbei. Das Problem entsteht ja gerade erst dadurch, dass hier protektionistische Wirkungen bestehen, die gegebenenfalls einen Schluss auf protektionistische Zwecke nahelegen – und sei es eben nur neben anderen (nicht-protektionistischen) Zwecken. Um hier noch deutlicher zu sein: Der Verfasser kritisiert nicht, dass Regan den umweltpolitischen Zweck für den wesentlichen Zweck der Maßnahme hält und dementsprechend gegebenenfalls protektionistische Zwecke vernachlässigt. Er kritisiert lediglich, dass Regan diese Bewertung der multiplen Zwecke nicht näher begründet. Regan verliert hier kein einziges Wort darüber, warum trotz der umweltpolitischen „Initialmotivation“ hier ein gegebenenfalls stattfindender Input der Kartonindustrie nicht als Zweck berücksichtigt werden sollte oder könnte. Angesichts dieser Überlegungen zur möglichen Vielheit gesetzlicher Zwecke ist das Ergebnis nach dem aims and effects-Test hier nicht so eindeutig, wie Regan es darstellt. Letztlich geht es, wenn man denn schon eine Zweckprüfung durchführen möchte, nämlich allein um die Wertung zwischen protektionistischen und nicht-protektionistischen Zwecken, nicht lediglich um deren bloße Feststellung (beziehungsweise Nichtfeststellung). Es ist ein Abwägungsprozess zwischen protektionistischen und nicht-protektionistischen Zwecken, den der aims and effects-Test notwendig macht, und zwar (angesichts des regelmäßigen Nebeneinanders mehrerer Zwecke) regelmäßig notwendig macht. Dies macht den Test zu einem substanziellen Test. Regans Begründung für die Lösung seines Beispielsfalles 400 Protektionistische Wirkungen entfaltet die Maßnahme hier in genau demjenigen Maße, in dem sie den cardboard-Herstellern den Schutz vor plasticjugs gewährt. Diese Wirkungen materialisieren sich allerdings nur insoweit, als die ausländische Plastikindustrie nicht ihrerseits eine Pappindustrie aufbaut und dadurch den gewährten Schutz unterläuft. Je mehr Pappkartons als Substitut eingeführt werden, desto geringer ist die schützende Wirkung. Dies lässt die protektionistische Wirkung aber nicht von vorneherein entfallen. Keinesfalls reicht es aus, einfach festzustellen, wie Regan es tut, dass die Maßnahme „einfach“ keine protektionistische Wirkung habe („The ban is simply not protectionist.“, ibid., S. 448). Zu diesem Ergebnis kommt Regan zudem auch noch ausgerechnet nach der Feststellung, dass die Maßnahme die ausländische Industrie härter treffe, als die inländische Industrie: „[ . . . ] the ban on plastic jugs benefits a local industry and hurts that industry’s foreign competitor“ (ibid., S. 447). Der Sprung von der Vorenthaltung echter Wettbewerbsgleichheit hin zu der Auffassung, die Maßnahme sei in ihren Wirkungen nicht protektionistisch, ist dem Verfasser nicht nachvollziehbar. In ihrer Gesamtheit sind die Aussagen in sich widersprüchlich und schon deshalb falsch. Die Aussage über den nicht-protektionistischen Charakter der Maßnahme wird auch nicht dadurch richtiger, dass Regan im darauf folgenden Satz auf die Gleichartigkeitsprüfung ausweicht und folgende (für sich genommen wohl richtige) Aussage macht „To be sure, the ban burdens foreign producers disproportionately, but only because their product is disproportionately harmful to the environment.“ (ibid., S. 448). Bei allem Respekt: In der Kombination der verschiedenen Aussagen scheinen Regan an dieser Stelle die Konzepte von protektionistischer Wirkung, protektionistischem Zweck, Gleichartigkeit und Ungleichbehandlung etwas durcheinander zu geraten.

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ist hinsichtlich der Begründung der Abwägung der verschiedenen protektionistischen und nicht-protektionistischen Zwecke der Maßnahme daher letztlich genauso wenig stichhaltig, wie die entsprechenden Überlegungen des Berufungsgremiums etwa zu Art. 5.5 SPS im Hormonfall (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c) aa)(2)(b)).

dd) Zusammenfassung zum aims and effects-Test Die Befürworter eines aims und effects-Tests bleiben nicht nur in ihrer (negativen) Kritik gegenüber den Streitbeilegungsorganen (jedenfalls dem Ergebnis) nach unsubstantiiert, also im Hinblick auf ihre Kritik zu starker Marktintegration durch marktanalytische Prüfung der Gleichartigkeit. Sie werden auch mit ihrem (positiven) Vorschlag der Einfügung eines aims und effects-Tests im Rahmen der Gleichartigkeitsprüfung nicht der Funktion des Art. III GATT gerecht. Denn sie effektivieren mit diesem Vorschlag zwar in gewisser Weise den Autonomieschutz, allerdings zu Lasten der effektiven Verhinderung protektionistischer Diskriminierung. Zwar wollen die Befürworter eines aims und effects-Tests die spezifisch protektionistische Ausgestaltung des Diskriminierungsverbots über die entsprechende „Anreicherung“ der warenbezogenen Voraussetzung der Gleichartigkeit lösen, so dass sie das protektionistische Element für ihren Zweck des Autonomieschutzes nicht mehr (notwendig) im Rahmen des gerade behandlungsbezogenen Merkmals (Ungleichbehandlung) brauchen. Mit einer solchen „Vorverlagerung“ des antiprotektionistischen Gehalts des Art. III GATT jeweils vom behandlungsbezogenen Merkmal (Ungleichbehandlung / Schlechterbehandlung) hin zum warenbezogenen Merkmal (Gleichartigkeit / Substitierbarkeit) verschieben die Befürworter eines aims and effects-Tests den Gehalt des Art. III GATT tatsächlich maßgeblich in Richtung auf den Schutz mitgliedstaatlicher Autonomie. Denn sie schneiden sich damit die Möglichkeit effektiven Antiprotektionismus ab, da sie sich damit der Möglichkeit begeben, gut versteckten Protektionismus im Rahmen der Prüfung des Art. III GATT überhaupt noch zu erkennen. Im Rahmen einer (wie auch immer im Einzelnen ausgestalteten) objektiven Konstruktion401 kann man zwar sicherstellen, dass eindeutig protektionistische Regelungen unter Art. III GATT fallen, da derartige Maßnahmen wegen ihres protektionistischen Gehalts immer zur „Gleichartigkeit“ der durch sie unterschiedenen Waren führen, soweit sie substituiert werden. Auch kann man sicherstellen, dass „eindeutig nicht-protektionistische“ 401 Das Berufungsgremium gibt die Koordinaten mit dem „Design, der Architektur und der Struktur“ insoweit vor, wenn auch nicht im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung, sondern im Rahmen des erwähnten eigenständigen Merkmals nach Art. III Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 GATT („so as to afford protection“); Bericht des Ständigen Berufungsgremiums in Japan – Taxes on Alcoholic Beverages (WT / DS8 / AB / R), S. 29: „Although it is true that the aim of a measure may not be easily ascertained, nevertheless its protective application can most often be discerned from the design, the architecture, and the revealing structure of a measure“ (Hervorhebung vom Verfasser).

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Maßnahmen vom GATT-Recht erlaubt sind, da die durch sie unterschiedenen Waren (mangels Protektionismus) im Sinne des Art. III GATT vergleichbar sind. Allerdings kann man damit nicht leicht feststellen, ob eine Maßnahme protektionistische Wirkungen im Wege der Ungleichbehandlung entfaltet (und daher unter Art. III GATT verboten sein sollte), oder ob sie sie im Wege der Gleichbehandlung (oder gar nicht) entfaltet (und damit von Art. III GATT erlaubt sein sollte). Protektionismus zeigt sich im Ergebnis erst in der mitgliedstaatlichen Behandlung von Waren. Zentrales Merkmal der Diskriminierungverbote des Art. III GATT ist damit das Merkmal der protektionistischen Ungleichbehandlung. Führt man die Prüfung des protektionistischen Gehalts schon in das warenbezogene Element der Gleichartigkeitsprüfung ein, so kann man daher zwar den mitgliedstaatlichen Autonomieschutz effektivieren, nicht aber den von Art. III GATT zugleich gewollten Antiprotektionismus. Protektionistisch wirkende Maßnahmen, deren protektionistischer Charakter so gut versteckt ist, dass er sich nicht schon aus dem Design, der Architektur oder der Struktur der Maßnahme ergibt, sondern erst aus der Unterschiedlichkeit in der Behandlung selbst, kann man damit also nicht sinnvoll entgegenwirken. Wegen des ergebnisbezogenen Elements mitgliedstaatlichen Protektionismus kann die von den Anhängern eines aims und effects-Tests vorgetragene antiprotektionistische „Anreicherung“ des jeweils warenbezogenen Merkmals der Verbotstatbestände (Gleichartigkeit) zwar autonomieschützend, nicht aber protektionismusverhindernd wirken. Die Einfügung eines aims und effects-Tests wird der von Art. III GATT bezweckten Funktion des Autonomieschutzes bei effektiver Bekämpfung von Protektionismus daher nicht gerecht. Umgekehrt kann aber die ausschließliche Verortung des Antiprotektionismusprinzips im behandlungsbezogenen Merkmal der Verbotstatbestände, wie sie die Streitbeilegungsorgane nach der hier vorgelegten Analyse vornehmen, sowohl echten Protektionismus (nämlich in seiner Wirkungsbezogenenheit (Schlechterbehandlung)) aufdecken und verbieten, als auch in diesem Sinne nichtprotektionistische Maßnahmen ermitteln und autonomieschützend erlauben. Das antiprotektionistische Prinzip lediglich in das Merkmal der Ungleichbehandlung, nicht aber auch in das Merkmal der Gleichartigkeit einfließen zu lassen, erlaubt es, den von Art. III GATT gewollten Autonomieschutz in effektiver Weise zu garantieren, solange nur das antiprotektionistische Prinzip im Merkmal der Ungleichbehandlung auch tatsächlich effektiv berücksichtigt wird. In den allermeisten Streitbeilegungsentscheidungen war dies im Ergebnis der Fall. Allerdings fehlte es meist an der entsprechenden Prüfung hierüber (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa) oben). Dies ist letztlich wohl erst der Grund für die Forderung nach einem aims und effects-Test. Die richtige Reaktion der Kritiker wäre daher nicht gewesen, von den Streitbeilegungsorganen die Einbeziehung des Antiprotektionismusprinzips in die Gleichartigkeitsprüfung durch einen wie auch immer auszugestaltenden aims and effects-Test zu fordern, sondern das von den Streitbeilegungsorganen gefundene Ergebnis, das auch aus Sicht der Kritiker in der Regel so schlecht nicht war, dogmatisch besser zu begründen, namentlich im Rahmen des behandlungsbezogenen

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Merkmals der Ungleichbehandlung über den hier eingeschlagenen Weg der Prüfung der normativen und faktischen Erfüllbarkeit.

b) Die hier vorgetragene Analyse im Lichte des Vorschlags einer Effizienzprüfung (integrated necessity-Test) Nach dem zweiten hier zu diskutierenden Vorschlag zur Effektivierung der Prüfungen unter Art. III GATT soll nicht nur der Zweck der Maßnahme auf seine protektionistischen Elemente hin überprüft werden, sondern auch das Mittel zur Verwirklichung gegebenenfalls nicht protektionistischer Zwecke.402 Ein solches Prüfungsprogramm setzt mindestens voraus, dass der Zweck der Maßnahme legitim, d. h. nicht-protektionistisch, und dass das Mittel zur Erreichung des Zwecks legitim, geeignet und vor allem notwendig ist. Beide Elemente zusammen ergeben einen echten Effizienztest. Der Verfasser hält diese Art der Überprüfung ausgerechnet im Rahmen des Art. III GATT für vollkommen fehlgeleitet. Insbesondere der Ansatz einer integrierten Notwendigkeitsprüfung, wie Verhoosel sie vorschlägt, formuliert den Artikel III GATT vom Diskriminierungsverbot in ein Beschränkungsverbot um. Denn eine derartige Mittel-Zweck-Prüfung ist letztlich eine vollumfängliche Prüfung über die Notwendigkeit einer Handelsbeschränkung, nicht über das Vorliegen einer protektionistischen Diskriminierung. Verhoosel schreibt dies selbst, wenn er die Frage in den Mittelpunkt rückt, ob eine Maßnahme „unneccessarily trade-restrictive“ sei.403 Es erscheint wenig sinnvoll, ein Erfordernis der Verhältnismäßigkeit dieser Art in Art. III GATT zu integrieren. Ungeachtet der fehlenden Notwendigkeit eines solchen Tests und der Wortlautschwierigkeiten bei seiner Verwirklichung bringt dieser Vorschlag nicht nur nicht das von Verhoosel behauptete Mehr an rechtlicher Sicherheit (auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ist – in Verhoosels Worten – letztlich ein „smell test“, jedenfalls, wenn man ihn so vornimmt, wie Verhoosel es vorschlägt). Er ist, und dies wiegt viel schwerer, zudem nicht dazu geeignet, das Ziel des Schutzes der regulativen Autonomie, um das es Verhoosel nach eigener Behauptung jedenfalls auch geht404, tatsächlich voranzubringen. Im Gegenteil: Wird die Verhältnismäßigkeit nicht zusätzlich zu den bestehenden Voraussetzungen geprüft, sondern, wie Verhoosel es vorschlägt405, als Ersatz für das Element 402 Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford: Hart 2002. In eine ähnliche Richtung schon Mattoo, Aaditya und Arvind Subramanian, Regulatory Autonomie and Multilateral Disciplines: The Dilemma and a Possible Resolution, 1 JIEL 1998, S. 303. Zusammenfassend Lester, Simon, Book Review: National Treatment and WTO Dispute Settlement, 5 JIEL 2003, S. 291. Nähere Einzelheiten zu den Vorschlägen Mattoos und Supramanians einerseits und Verhoosels andererseits C.I.1.c)aa)(3). 403 Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford: Hart 2002, S. 76. 404 Ibid., S. 51.

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der protektionistischen Diskriminierung (gewissermaßen als Prüfung, ob eine Diskriminierung vorliegt), dann ermöglicht dies gerade umgekehrt viel tiefere Eingriffe in die mitgliedstaatliche Autonomie als das klassische Nichtdiskriminierungsprinzip. Denn eine weniger handelsbeschränkende Maßnahme wird, je nach Wertung des dahinter liegenden Zwecks, (fast) immer denkbar sein. In dieser Sicht der Dinge ähnelt die von Verhoosel zum Schutz der Autonomie vor marktintegrativen Elementen vorgetragene integrierte Notwendigkeitsprüfung einem echten Ansatz der Marktintegration, der ironischerweise gerade den unten näher erörterten marktintegrativen Ansätzen von TBT und SPS (C.II unten) stärker ähnelt als der autonomieschützenden Funktion des Art. III GATT (indem er nämlich letztlich am Begriff der „Handelsbeschränkung“ ansetzt). Aus Sicht des Autonomieschutzes wäre Verhoosels Vorschlag mithin ein echtes Eigentor. Mit der Entwicklung eines derartigen Prüfungsprogramms nimmt Verhoosel im Rahmen des Art. III GATT einen Paradigmenwechsel vor. Er führt mit seiner integrierten Notwendigkeitsprüfung genau jene deregulativen Elemente in den Art. III GATT ein, die sich zwar, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, in den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse finden406, im Art. III GATT seiner Funktion nach aber gerade abwesend sind. Die Beiläufigkeit, mit der Verhoosel diesen Paradigmenwechsel vornimmt, lässt die Vermutung aufkommen, dass die wirklich relevante Frage, nämlich das damit eröffnete Eingriffspotenzial in die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten, von Verhoosel unvollständig gewürdigt worden ist. Erst im ausgerechnet allerletzten Absatz seines Buches nimmt Verhoosel zum Problem des Eingriffspotenzials Stellung. Die Diskussion nimmt er insoweit allerdings nicht sehr substantiiert vor. Die wenigen Worte Verhoosels erinnern eher an eine zum Ende des Buches noch schnell hingeworfene Beruhigungspille, nach der der von ihm vorgeschlagene Test die Streitbeilegungsorgane „schon nicht zu zu autonomieunfreundlichem Entscheiden verleiten werde“. Letztlich wirft Verhoosel dem Leser lediglich eine bloße Behauptung entgegen, namentlich die Behauptung: „[ . . . ] the balancing test is only used to soften the standard of indispensibility in function of the policy objective at issue, and not to make it more stringent [ . . . ]“.407

Ein kühne Aussage wahrhaftig, wenn sie mit nicht einem einzigen Wort auf den mehr als hundert vorangehenden Seiten näher substantiiert wird! Zur Vermeidung von Mißverständnissen bedarf es an dieser Stelle freilich einiger Deutlichkeit: An dieser Stelle geht es dem Verfasser nicht darum, den Sinn oder Unsinn von Verhältnismäßigkeitsprüfungen dieser Art im internationalen

Ibid. S. 77 ff. Hierzu in Ansätzen schon Hudec, Robert E., GATT / WTO Constraints on National Regulation: Requiem for an „Aim And Effects“ Test, 32 The International Lawyer 1998, S. 619, 642 ff. 407 Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford: Hart 2002, S. 111 f. 405 406

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Handelsrecht zu diskutieren (dazu nähere Einzelheiten Teil E. unten). Es mag sein, dass derartige Prüfungen in der Tat eine mögliche Richtung für die Zukunft weisen (obwohl der Verfasser auch die normative Behauptung der Angemessenheit derartiger Prüfungen angesichts des Zustandes der Weltwirtschaftsbeziehungen in Zweifel zieht, vgl. dazu die Theorie autonomiefreundlichen Entscheidens, E.II.3. unten). Und mit den marktintegrativen Regelungen der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse sind ja auch schon erste Ansätze in diese Richtung im WTO / GATT-Recht positiv vorhanden (nähere Einzelheiten Teil C.II. unten). Völlig ungeachtet der sachlichen Richtigkeit oder Unrichtigkeit derartiger Ansätze scheint doch aber eines hinreichend deutlich zu sein: Angesichts der oben herausgearbeiteten Zielstruktur des Art. III GATT, die allein die Wettbewerbsgleichheit ausländischer Waren in den Mittelpunkt rückt, ist es nicht sachgerecht, die von Verhoosel vorgeschlagene Effizienzprüfung ausgerechnet in den Art. III GATT zu integrieren. Die Kritik des Verfassers an Verhoosels Vorschlag richtet sich – jedenfalls an dieser Stelle – daher nicht so sehr gegen die normativen Grundlagen, auf denen sich Verhoosel unausgesprochenerweise offenbar bewegt (Marktintegration!), sondern gegen seine Analyse des Art. III GATT. Die Kritik an Verhoosel ist an dieser Stelle mithin ihrerseits nicht eine normative Kritik, sondern eine rein analytisch-deskriptive Kritik daran, wie Verhoosel sein offenbar bestehendes Ziel der Einfügung von Beschränkungsverboten zu erreichen sucht.408 Der Vorschlag Verhoosels ist aber nicht nur in dogmatischer, sondern auch in methodischer Hinsicht fragwürdig. Er lässt sich in keiner Weise durch Entscheidungen aus der Streitbeilegungspraxis stützen. Insbesondere die Aussagen des Berufungsgremiums im chilenischen Alkoholfall, auf die Verhoosel explizit hinweist409, lassen sich nicht als Intention verstehen, einen Effizienztest im Sinne Verhoosels in den Art. III GATT zu integrieren. Verhoosel zitiert das Berufungsgremium im Prinzip zwar richtig, wenn er es wie folgt zitiert: „It appears to us that the Panel did no more than try to relate the observable structural features of the measure with its declared purposes, a task that is unavoidable in appraising the application of the measure as protective or not of domestic production.“410

Verhoosels Interpretation dieser Aussage als eine Anerkennung des grundlegenden Gedankens des von ihm (dann später) vorgetragenen Effizienztests411 ist dem Verfasser aber alles andere als einleuchtend. Denn die noch in demselben Text408 Aus wissenschaftlich-dogmatischer Perspektive wäre Verhoosels Vorschlag überzeugender gewesen, wenn er ihn im Rahmen etwa des Art. 2.2 TBT verankert hätte. Angesichts der Weite des Begriffs „technischer Vorschriften“ in Anhang 1.1 zum TBT (dazu näher Teil C.II.1.) wäre die Anwendungsweite seines Vorschlags in dieser Verankerung wohl ohnehin (fast) genauso groß gewesen, wie unter Art. III GATT. 409 Ibid., S. 29 f., insbesondere S. 30. 410 Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13 Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rz. 72. 411 Verhoosel, Gaëtan, National Treatment and WTO Dispute Settlement – Adjudicating the Bounderies of Regulatory Autonomy, Oxford: Hart 2002, S. 30.

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abschnitt unmittelbar vorangehenden Sätze sagen gerade das Gegenteil dessen aus, was Verhoosel diesen Sätzen entnimmt. Das Berufungsgremium lehnt in den unmittelbar vorangehenden Sätzen einen derartigen Effizienztest nämlich ausdrücklich ab: „[ . . . ] we agree with Chile that it would be inappropriate, under Article III:2, second sentence, of the GATT 1994, to examine whether the tax measure is necessary for achieving its stated objectives or purposes (Hervorhebung durch das Berufungsgremium).“412

Angesichts einer derartig deutlichen Aussage erscheint die Interpretation Verhoosels fast mutwillig! Denn er interpretiert einen Gehalt in die Aussagen des Berufungsgremiums hinein, den das Berufungsgremium ausdrücklich gerade ablehnt. Man kann zu Verhoosels Entschuldigung nicht einmal anführen, Verhoosel habe die Ablehnung seiner Interpretation durch das Berufungsgremium in dem Satz vor der von ihm interpretierten Textstelle übersehen (eine Entschuldigung, die ohnehin nicht weit tragen würde . . . ). Denn Verhoosel zitiert den Beginn des Textabschnitts ausdrücklich mit, bewertet allerdings nur den letzten Satz der zitierten Textstelle.413 Verhoosels Interpretation der genannten Textstelle des Berufungsgremium im chilenischen Alkoholfall trägt aber sogar unabhängig solcher kontextualen Argumente nicht. Denn auch für sich genommen ist dem von Verhoosel herangezogenen Satz (beginnend mit: „It appears to us that the Panel did no more than [ . . . ]“) der Gedanke eines Effizienztest (Zweck-Mittelprüfung) nach der Verhooselschen Konstruktion nicht zu entnehmen. Blickt man auf den Wortlaut dieses Satzes allein, so wird man (selbst ohne ein „Mitlesen“ der vorangegangenen Sätze) ohne Umschweife feststellen, dass das Berufungsgremium hier nicht, wie Verhoosel meint, eine Zweck-Mittel-Relation ins Auge gefasst hat, sondern allenfalls eine Zweck-StrukturRelation, d. h. eine Relation zwischen dem Zweck und der normtiven Struktur der Maßnahme. Dies wird bereits aus dem Wortlaut des hervorgehobenen Satzes allein unmittelbar deutlich, denn das Berufungsgremium sagt an der entscheidenden Stelle, dass es notwendig sei, die normativen Struktur der Maßnahme mit dem Zweck der Maßnahme zu verbinden („[ . . . ] try to relate the observable structural features of the measure with its declared purposes [ . . . ]“). Der Vergleich findet also zwischen purpose und structural features statt, nicht zwischen purpose und means! 412 Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13. Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rz. 72. 413 Die Textstelle liest sich als Ganzes wie folgt und wurde in genau dieser Form von Verhoosel auch zitiert: „[ . . . ] we agree with Chile that it would be inappropriate, under Article III:2, second sentence, of the GATT 1994, to examine whether the tax measure is necessary for achieving its stated objectives or purposes. The Panel did use the word ,necessary‘ in this part of its reasoning. Nevertheless, we do not read the Panel Report as showing that the Panel did, in fact, conduct an examination of whether the measure is necessary to achieve its stated objectives. It appears to us that the Panel did no more than try to relate the observable structural features of the measure with its declared purposes, a task that is unavoidable in appraising the application of the measure as protective or not of domestic production.“, vgl. Chile – Alcoholic Beverages, Bericht des Berufungsgremiums vom 13 Dezember 1999, WT / DS87 und 110 / AB / R, Rz. 72.

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Aber auch in ihrem größeren Zusammenhang deutet die von Verhoosel herangezogene Textstelle nicht in Richtung einer Zweck-Mittel-Relation. Denn dem Berufungsgremium ging es in dem größeren Textteil seiner Entscheidung, dem der hier interpretierte Textabschnitt zugehörig ist, gar nicht um eine Effizienz-, sondern um eine Zweckprüfung, nämlich um die bereits oben (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)cc) oben und Teil C.I.3.a)aa) oben) angedeutete „objektive Zweckprüfung“, in deren Rahmen das Berufungsgremium aus „dem design, der Architektur und der Struktur“ auf die schützende Anwendung der Maßnahme schließt („[ . . . ] its protective application can most often be discerned from the design, the architecture, and the revealing structure of a measure [ . . . ]“). Beginnend mit Textziffer 62 setzt sich das Berufungsgremium im chilenischen Alkoholfall dementsprechend mit der normativen Struktur der Maßnahme auseinander und schließt in Textziffer 75 aus dieser Struktur schließlich auf einen protektionistischen Zweck (der Sache nach auf eine protektionistische Anwendung („application“) der Maßnahme). Die hier interpretierte Aussage in Textziffer 72 ist ein Teil dieser Prüfung. Sie sollte daher auch als Teil dieser Prüfung eines „objektiven Zwecks“ verstanden werden, nicht als Teil einer aus dem Zusammenhang gelösten und ohne diesen nicht in die Entscheidung integrierbaren „Zweck-Mittel-Prüfung“. Zum Abschluss noch einige Worte zur größeren Einordnung der genannten Aussage des Berufungsgremiums im chilenischen Alkoholfall, die an Ausführungen anknüpft, die der Verfasser weiter oben gemacht hat (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)cc) oben): Der Sache nach handelt es sich bei der vom Berufungsgremium genannten Prüfung des panels nicht einmal um eine Prüfung der ZweckStruktur-Relation, sondern allenfalls um eine solche der Wirkungen-Struktur-Relation. Bereits oben wurde deutlich gemacht, dass das Berufungsgremium hier zwar von Zweck („aim“ oder „purpose“) spricht, damit allerdings im Wesentlichen Wirkung meint, und dass sich der Verfasser (wohlwissend, dass es sich um Wirkungen handelt . . . ) der Rede vom Zweck nur deshalb anschließt, weil das Berufungsgremium sie bisher nicht aufgegeben hat (nähere Einzelheiten Teil C.I.1.b)cc)). Der Verfasser nennt die Relation aus diesem Grund auch hier nicht Wirkungen-Struktur-Relation, sondern schließt sich weiterhin der Rede des Berufungsgremiums vom „Zweck“ an („Zweck-Struktur-Relation“). Sieht man in der Prüfung eines „objektiven Zwecks“ in diesem Sinne aber tatsächlich eine Prüfung der objektiven Wirkungen der Maßnahme, so wird der Kerngehalt des Gedankens des Berufungsgremiums unmittelbar deutlich: Es geht dem Berufungsgremium getreu seiner Aussagen um eine Einschätzung der tatsächlichen Wirkungsweise einer Maßnahme anhand ihrer normativen Struktur. Das in diesem Zusammenhang bei Verhoosel offenbar aufgetretene Missverständnis zeigt einmal mehr, dass die Rede vom „objective purpose“, wie er sich im „design“, in der „architecture“ und in der „struktur“ der Maßnahme zeige, nicht nur nutzlos, sondern auch irreführend ist. Das Berufungsgremium täte gut daran, diese Rede vom „objektiven Zweck“ der Maßnahme nicht mehr weiter zu verfolgen. Dann läuft es auch nicht Gefahr, Missverständnisse wie dasjenige von Verhoosel über die implizite „Anerkennung“ eines

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C. Autonomie unter dem materiellen WTO / GATT-Recht

Effizienztests gleich welcher Art hervorzurufen.414 Sinvoller wäre es, auch an dieser Stelle soll es noch einmal wiederholt werden, das Kriterium der Erfüllbarkeit zur Prüfung der protektionistischen Ungleichbehandlung heranzuziehen.

c) Die hier vorgetragene Analyse im Lichte der Kritik an der sogenannten product / process-Doktrin Nicht zuletzt ist an dieser Stelle schließlich die Kritik an der oben diskutierten product / process-Doktrin zu untersuchen. Auch kürzlich noch wurde die product / process-Doktrin im Hinblick auf die ganz konkret entschiedenen Fälle heftig angegriffen. Robert Howse und Donald H. Regan etwa gingen noch im Jahre 2000 von einem nichtdiskriminierenden Charakter der zugrunde liegenden Maßnahmen aus.415 Derartige Auffassungen führen zu Fehlwahrnehmungen, die es zu korrigieren gilt. So viel Respekt der Verfasser gegenüber den Vertretern dieser Auffassung hat, so falsch hält er hier ihre Einschätzung der konkreten Fälle. Denn die Voraussetzungen des Art. III GATT lagen nach der oben entwickelten qualitativen Auslegung des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals in den Thunfisch / Delphinfällen auch unabhängig der product / process-Doktrin eindeutig vor (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa) (1)(a)(aa) oben). Dies gilt auch für alle anderen Fälle, die nach der product / process-Doktrin bisher entschieden worden sind. Es hat nicht eine einzige Entscheidung gegeben, in der nach der sogenannten product / processDoktrin eine Maßnahme für GATT-widrig erklärt wurde, ohne dass diese Maßnahme auch unabhängig dieser Doktrin GATT-widrig gewesen wäre. Insbesondere alle der von Hudec noch in jüngerer Zeit diskutierten Fälle416 wären auch ohne Anwendung des tragenden Gedankens der product / process-Doktrin GATT-widrig gewesen, wie sich in der Analyse der Fälle oben zeigt (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c) aa)(1)(a)(aa) oben). Wengleich damit gezeigt ist, dass die Streitbeilegungsorgane mittels ihrer product / process-Doktrin trotz deren marktintegrativen Potenzials mit wenigen Ausnahmen aktuell keine marktintegrativen Entscheidungen getroffen haben, so ist 414 Angesichts der fundamentalen Kritik an Verhoosels Vorschlag bedarf es einer weiteren Ergebnisprüfung seines Vorschlags an dieser Stelle nicht. Die Prüfung unterscheidet sich aus den genannten Gründen derartig von den Vorgaben des Art. III GATT, dass das für eine Überprüfung der Notwenigkeit der angegriffenen Maßnahmen notwendige Material ohnehin den Streitbeilegungsberichten in der Regel nicht zu entnehmen ist. 415 Howse, Robert und Donald Regan, The Product / Process Distinction – An Illusory Basis for Disciplining „Unilateralism“ in Trade Policy, 11 EJIL 2000, S. 249, 251: „In Tuna / Dolphin, the panels held that even non-discriminatory, which conditioned the sale of both domestic and foreign tuna on the adoption of a particular, environmentally friendly technology, constituted violations of the GATT [ . . . ]“. 416 Hudec, Robert E., The Product-Process Doctrine in GATT / WTO Jurisprudence, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 187.

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damit noch nicht gezeigt, dass sie unter den genannten Ansätzen nicht doch marktintegrative Entscheidungen jedenfalls fällen könnten. Das marktintegrative Potenzial einer schwach ausgestalteten Prüfung des behandlungsbezogenen Merkmals (Ungleichbehandlung / Schlechterbehandlung) ist erheblich. Dies ist einer der Gründe, wenn nicht sogar der wesentliche Grund für die scharfe Kritik an den Leitlinien der Streitbeilegungspraxis: Kern der Kritik ist ja gerade, dass unter diesen Leitlinien auch tatsächlich vollkommen unterschiedslos wirkende Maßnahmen verboten werden könnten, wenn derartige Maßnahmen nur vor die Streitbeilegungsorgane getragen würden.417 In Teilen ist diese Kritik dogmatisch richtig. Die marktintegrativen Wirkungen der product / Process-Doktrin können sich in der Tat typischerweise dann zu voller Blüte entfalten, wenn die Maßnahme, die die Doktrin wegen ihrer Prozessbezogenheit unter Art. XI GATT fallen lässt, unter Art. III GATT gerade nicht verboten ist. Ein typischer Fall wäre etwa, wenn in der Garnelen / Schildkröten-Konstellation nicht die Zertifizierung der Herkunftsstaaten, sondern die „Schildkrötenfreundlichkeit“ der einzelnen eingeführten Garnele zur Voraussetzung gemacht worden wäre. In diesem Fall tatsächlich identischer Regelungen für eingeführte einheimische Garnelen wäre – anders als im Originalfall – ein Importverbot schildkrötenfreundlich gefangener Garnelen ohne Anwendung der product / process-Doktrin nicht von Art. III GATT verboten gewesen. Denn ausländische Garnelen hätten die Regelung normativ wie faktisch genauso gut erfüllen können wie inländische Garnelen. Nach der product / process-Doktrin fiele selbst eine solche Konstellation demgegenüber noch immer (wie im Originalfall) unter Art. XI GATT (und würde damit verboten sein), da die Maßnahme auch in ihrer hier abgewandelten Form prozessbezogen ist und daher nach der product / process-Doktrin von der Anmerkung zu Art. III nicht erfasst wird.418 417 Vgl. etwa Howse, Robert und Donald Regan, The Product / Process Distinction – An Illusory Basis for Disciplining „Unilateralism“ in Trade Policy, 11 EJIL 2000, S. 249, 251: „The implication of this holding [that the measure reviewed in Tuna / Dolphin falls under Art. XI GATT, not Art. III GATT] that a huge number of non-dicriminatory regulatory measures would have to be considered prrima facie violations of Article XI of the GATT, and require justification under Article XX, merely because the policy concerns are raised by the process, rather than the content of the product.“ Ähnlich etwa Howse, Robert und Michael J. Trebilcock, The Fair Trade-Free Trade Debate: Trade, Labor and the Environment, 16 Int. Rev. of Law and Ec. 1996, S. 61, 72; Howse, Robert, The Turtles Panel, Another Environmental Desaster in Geneva, 32 JWT 1998, S. 73. Weniger kritisch demgegenüber Jackson, John H., Comments on Shrimp / Turtle and the Product / Process Distinction, 11 EJIL 2000, 303. Zusammenfassung der Kritik im Übrigen Teil C.I.1.c)aa)(2). 418 In der genannten Variante ist der Fall schon deshalb unwahrscheinlich, weil eine eingeführte Garnele mangels „Hoheitsgewalt“ über das Fangschiff schon praktisch kaum sinnvoll auf ihre Schildkrötenfreundlichkeit hin überprüft werden kann. Dies ist wohl einer der Gründe, warum die Maßnahme in ihrer tatsächlichen Form, nicht in der hier abgewandelten Form ergangen ist. In diesem Lichte sind die Erwägungen des Berufungsgremiums zu einer Pflicht zum Verhandeln internationaler Ankommen wohl tatsächlich der einzig mögliche Anknüpfungspunkt, längerfristig mit derartigen Maßnahmen normativ sinnvoll umzugehen, vgl. näher United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 12. Oktober 1998, WT / DS58 / AB / R, Rn. 166 ff.

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Es ist mithin diese Art von nicht-dikriminierenden prozessbezogenen Maßnahmen, die die Aufmerksamkeit der Literatur auf sich ziehen müsste, nicht die den Thunfisch / Delphin- und Garnelen / Schildkrötenfällen tatsächlich zugrundeliegenden Maßnahmen, die nach dem Herkunftsland unterscheiden. In dieser Art der tatsächlich herkunftsneutralen Abwandlung gibt es aber keine tatsächlichen Streitbeilegungsfälle. Aus Sicht des Verfassers ist die Zurückhaltung der Mitgliedstaaten in ihrem Klageverhalten gegenüber derartigen nicht-dikriminierenden prozessbezogenen Maßnahmen – anders wohl als aus Sicht von Howse und Regan – kein Zufall. Sie hat ihren Grund nämlich darin, dass prozessbezogene Maßnahmen, die im oben beschriebenen qualitativen Sinn ausländische und inländische Waren normativ wie faktisch vollkommen gleich behandeln, typischerweise schon wegen ihres nicht-diskriminierenden Charakters nicht unter Art. III GATT angegriffen werden. Zwar wurden nicht-diskriminierende Maßnahmen in den Fällen der unionalen Hormonverbote, des französischen Asbestverbots und nun auch des unionalen Biotechnologiemoratoriums vor die Streitbeilegungsorgane getragen. In allen drei Fällen wurden die Klagen auch tatsächlich mit einem Verstoß gegen Art. III GATT begründet, allerdings nur neben einem Verstoß gegen eines der Beschränkungsverbote in den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse.419 Mit der bloßen Existenz der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse ist in der Tat der wesentliche Grund entfallen, warum die Streitbeilegungsorgane in derartigen Fällen gerade den Art. III GATT über den Weg der product / process-Doktrin in das Feld der Marktintegration überdehnen sollten. Denn wenn sie einen Streitfall tatsächlich in marktintegrativer Weise positiv entscheiden wollen, dann können sie hierfür ganz zwanglos die Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse heranziehen (nähere Einzelheiten Teil C.II. unten). Die Ent-

419 European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT / DS26 und 48 / 1; European Communities – Measures Affecting Asbestos and AsbestosContaining Products, WT / DS135 / 1; European Communities – Measures affecting the approval and marketing of biotech products, WT / DS291, 292 und 293 / 1. In der Tat wurden im Endergebnis ja auch weder im Hormonfall noch im Asbestfall Verstöße gegen Art. III GATT festgestellt (Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(b) und Teil C.I.2.c)aa)(2)(c)). Der Verfasser will hier nicht die These verteidigen, dass den genannten Streitverfahren prozessbezogene Maßnahmen zugrundegelegen hätten. Es geht ihm hier lediglich darum, dass marktintegrative Klagen wie im Hormonfall, im Asbestfall und nun auch unter dem Biotechnologiefall unter den Seitenabkommen möglich sind (wie diese Fälle zeigen), und dass dies im Grundsatz auch dann gilt, wenn sie gegen prozessbezogene Maßnahmen gerichtet werden (was in den genannten Klagen wohl nicht der Fall war). Allerdings kann die dem Hormonfall zugrundeliegende Maßnahme mit etwas gutem Willen vielleicht sogar doch als prozessbezogene Maßnahme bewertet werden, wenn man davon ausgeht, dass im hormonbehandelten Fleisch in der Regel keine Rückstände feststellbar sind. Mit noch mehr gutem Willen mag dies sogar für den Asbestfall gelten, da die Gefährdung durch Asbest erst durch den Prozess des Einatmens aktualisiert wird. Dem Verfasser ist die Kühnheit derartiger Thesen allerdings voll bewusst, weshalb er sie hier nicht weiter vorantreiben will. Ohnehin kommt es in diesen Streitverfahren auf den Charakter der zugrundeligenden Maßnahmen als prozess- oder nicht-prozessbezogene Maßnahmen nicht an, soweit sie unter den Seitenabkommen entschieden wurden.

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scheidung der Organe zu den Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS im Hormonfall420 ist ein herausragendes Beispiel für die Möglichkeiten marktintegrativen Entscheidens unter den Seitenabkommen. Die von den Organen hier angewendete prozeduralökonomische Methode der Nichtprüfung des Art. III GATT wegen positiver Feststellung eines Verstoßes gegen das SPS421 ist ein Muster dafür, dass durch die bloße Existenz des Seitenabkommens Bestrebungen marktintegrativen Entscheidens unter Art. III GATT weitgehend entfallen sind. Für andere als gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen stehen im Übrigen die Art. 2.2 und 2.4 TBT zur Verfügung. Es gibt damit eigentlich gar keinen substanziellen Kritikpunkt mehr gegenüber der product / process-Doktrin. Denn wenn die Maßnahmen, denen gegenüber die product / process-Doktrin von den Streitbeilegungsorganen konkret angewendet wurde, auch ohne die Anwendung der Doktrin GATT-widrig gewesen sind, und wenn für das Ausschöpfen des darüberhinaus anerkanntermaßen bestehenden marktintegrativen Potenzials angesichts der Seitenabkommen nun zudem überhaupt kein Anreiz mehr besteht, scheint dem marktintegrativen Bedrohungspotenzial der Doktrin weitgehend der Boden entzogen zu sein. Wenn der Verfasser den geringen „strategischen Eigenwert“ der product / process-Doktrin für einen klagenden Mitgliedstaat richtig einschätzt, wird es in Zukunft keine Streitfälle mehr geben, die (allein) unter der product / process-Doktrin entschieden werden, und zwar völlig unabhängig irgendwelcher Interpretationen im Zusammenhang des Asbestfalls, nach denen mittlerweile auch das Berufungsgremium das Ende der product / process-Doktrin eingeläutet habe.422 Auf eine weitergehende Diskussion der marktintegrativen Wirkungen der product / process-Doktrin soll an dieser Stelle daher verzichtet werden.

4. Zwischenergebnis: Trotz aller Kritik echte Begrenzung des Art. III GATT auf das Feld der klassischen Handelsliberalisierung! Das Ergebnis der Analyse bestätigt die erste der oben (Eingangs zu Teil C) vorgetragenen Thesen, jene über den klassisch handelsliberalisierenden Charakter des GATT, in eindringlicher Konsequenz: Mit Ausnahme ganz weniger Entscheidungen, die entweder zwischen den Streitparteien nicht bindend waren (CAFE-Regulations hinsichtlich des „full-line-manufacturings“) oder aber in erheblicher, wenn420 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.56 ff. und Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 157 ff. 421 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.272 ff. 422 Howse, Robert und Elisabeth Tuerck, The WTO Impact on Internal Regulations – A Case Study of the Canada – EC Asbestos Dispute, in: Búrca, Grainne de und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Oxford Hart, 2001, S. 283, 297.

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gleich nicht rechtlicher Weise durch das Berufungsgremium relativiert wurden (Asbestpanelentscheidung), entsprechen die untersuchten Entscheidungen im Ergebnis der Zielstruktur des Art. III GATT. Allerdings mangelt es in aller Regel an der richtigen Begründung. Manche der Entscheidungen gehen unnötig komplizierte und nicht gerade wortlautorientierte Wege der Begründung. Dies liegt nicht nur an dem oft unterstellten ökonomischen Hintergrund der Panelisten. Auch das Berufungsgremium hat trotz seines deutlich sichtbaren und mittlerweile auch weitgehend anerkannten Bemühens um die rechtstechnischen Gesichtspunkte steitbeilegender Entscheidungen noch immer nicht den Kern der richtigen Begründung einer Diskriminierung unter Art. III GATT gefunden. Insbesondere fehlt es an einer konsistenten Begründung dafür, warum in bestimmten Fällen eine faktische Diskriminierung vorliegt, in anderen Fällen aber nicht. Was bisher fehlt, ist eine eindeutige Klärung der Voraussetzungen des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals durch eine zielstrukturadäquate Auslegung. Gerade im Hinblick auf die Grenzen des Art. III GATT macht sich das Begründungsdefizit bemerkbar. Denn gerade hier ist die Begründung oft nur unzureichend. Interessanterweise sind die untersuchten Entscheidungen aber auch in Hinblick auf die Grenzen des Art. III GATT im Ergebnis alles in allem trotzdem nicht zu beanstanden – ein Ergebnis, dass zu weiten Teilen der richtigen Intuition der Streitbeilegungsorgane und vor allem des Berufungsgremiums zu verdanken ist. Intuition ist bei all ihrer Bedeutung aber keine ausreichende Grundlage juristischer Argumentation. Selbst in noch immer zum großen Teil diplomatisch geprägten Zusammenhängen trägt das Bedüfnis nach größerer Verrechtlichung daher immer auch das Bedürfnis nach Verbesserung der rechtlichen Begründung in sich. Der Verfasser hat daher ein wortlaut- und funktionsadäquates, zugleich einfach zu handhabendes und ferner für alle möglichen Fälle gleichermaßen zielführendes Kriterium entwickelt, nach dem diskriminierende Maßnahmen im Sinne des Art. III GATT von nicht-diskriminierenden Maßnahmen zu unterscheiden sind. Dabei handelt es sich nicht um ein rein quantifizierendes Kriterium zur Auslegung des Merkmals der protektionistischen Ungleichbehandlung, wie es in der Literatur in jüngerer Zeit immerhin diskutiert wird, sondern um ein qualitatives Kriterium. Eine protektionistische Ungleichbehandlung liegt danach dann vor, wenn ausländische Waren eine mitgliedstaatliche Maßnahme aus Gründen ihrer Herkunft in normativer oder faktischer Weise schlechter erfüllen können als gleichartige inländische Waren (Kriterium der Gleichheit in der Erfüllbarkeit). Kerngedanke dieser Auslegung ist, dass Protektionismus nicht in der Gleichartigkeit oder Ungleichartigkeit von Waren ansetzt, sondern in ihrer Behandlung. Notwendig ist daher eine zielstrukturadäquate Auslegung des jeweils behandlungsbezogenen Merkmals der Tatbestände des Art. III GATT. Zielstrukturadäquat ist es allerdings nicht, dieses Merkmal danach auszulegen, wieviele ausländische und wieviele inländische Waren aktuell betroffen sind. Denn die Einwirkungsmöglichkeiten durch eine Maßnahme auf die Wettbewerbsbeziehung zwischen in- und ausländischen Waren richtet sich nicht danach, wieviele in- und ausländische Waren

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die Maßnahme aktuell trifft, sondern allein danach, in welcher Weise in- und ausländische Waren die Maßnahme erfüllen können. Nur wenn eine Maßnahme so ausgestaltet ist, dass sie ausländische Waren aus Gründen ihrer Herkunft schlecher erfüllen können als inländische Waren, vermag die Maßnahme wirklich strukturell auf die Wettbewerbsbeziehung einzuwirken. Obwohl dieser Gedanke in der Streitbeilegungspraxis sozusagen immer „mit in der Luft liegt“, wird er doch an keiner Stelle ausdrücklich ausgesprochen. Der Verfasser nimmt daher nicht für sich in Anspruch, etwas völlig Neues entdeckt zu haben, wohl aber, an sich Selbstverständliches an das Tageslicht gehoben zu haben, das durch ausdrückliche Konkretisierung für zukünftige Streitfälle nun unmittelbar fruchtbar gemacht werden kann. In der Überprüfung der bisherigen Streitbeilegungspraxis anhand dieses Kriteriums haben sich nicht nur die Streitbeilegungsergebnisse (dem Ergebnis nach), sondern auch das Kriterium selbst bewährt. Die Überprüfung zeigt nicht zuletzt die Praxistauglichkeit der hier entwickelten Gedanken. Aus dieser dogmatischen Position des Verfassers zu Art. III GATT fließt auch die Kritik, die der Verfasser seinerseits an der (überwiegend marktintegrativen) Kritik der bisherigen Literatur gegenüber den Ergebnissen und Begründungen der Streitbeilegungsorgane hat. Kern der Kritik des Verfassers an der literarischen Kritik ist, dass sie die Zielstrukturadäquanz der jeweils erreichten Ergebnisse der Streitbeilegungspraxis in nicht ausreichender Weise würdigt. Methodisch vernachlässigt sie insbesondere das zentrale Merkmal der Schlechter- / Ungleichbehandlung, indem sie die These zu starker Marktintegration weitgehend auf eine Auseinandersetzung mit dem Merkmal der Gleichartigkeit stützt. Das Merkmal der Gleichartigkeit / Substituierbarkeit von Waren wird damit in gewisser Weise aus dem Gesamtzusammenhang der Tatbestände des Art. III GATT herausgerissen. Der normative Gesamtzusammenhang, in dem die Verbotstatbestände des Art. III GATT stehen, wird dadurch verzerrt. Kaum ein Beitrag beschäftigt sich mit der zentralen Bedeutung des behandlungsbezogenen Merkmals der Ungleich- / Schlechterbehandlung für die vorgetragene These der Marktintegration. Und wenn sich ein Beitrag einmal mit diesem Merkmal beschäftigt, wie etwa derjenige von Ehring, dann arbeitet er nicht das richtige Kriterium heraus, sondern begnügt sich mit quantitativen Überlegungen zur aktuellen Erfassung von Waren durch eine Maßnahme. Die noch immer ausgeprägte Vernachlässigung des entscheidenden Merkmals der Ungleich- / Schlechterbehandlung und die sich aus ihr ergebende fehlende Konkretisierung ist im Hinblick auf den Vorwurf der Marktintegration zugleich desaströs und symptomatisch. Desaströs ist die Vernachlässigung des behandlungsbezogenen Merkmals deshalb, weil eine vertiefte Beschäftigung mit der Funktion und Tragweite dieses Merkmals den Vorwurf der Marktintegration weitgehend in sich zusammenfallen und zugleich denkbar einfache Lösungen sichtbar werden lässt (wie sich in der Analyse der Streitbeilegungspraxis gezeigt hat). Symptomatisch ist die Vernachlässigung des behandlungsbezogenen Merkmals, weil die Streitbeilegungsorgane das behandlungsbezogene Merkmal ihrerseits regelmäßig

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C. Autonomie unter dem materiellen WTO / GATT-Recht

nur sehr rudimentär geprüft haben. Angesichts dieses Umstandes drängt es sich auf, dass viele Beobachter aus der „Nichtprüfung“ des behandlungsbezogenen Merkmals durch die Streitbeilegungsorgane offenbar auf die „Nichtbeachtung“ durch die Streitbeilegungsorgane geschlossen haben. Damit aber hat sich die Diskussion in gewisser Weise verselbständigt. Sie hat sozusagen den Boden unter den Füßen verloren, indem sie das jeweilige Ergebnis einer konkreten Entscheidung offenbar vollkommen aus dem Auge verloren hat. Als Zwischenergebnis lässt sich damit feststellen, dass zwischen den Streitbeilegungsorganen und ihren Kritikern im Hinblick auf Art. III GATT vor allem ein „Kommunikationsdefizit“ besteht, das aber durch die Fortschreibung der hier vorgeschlagenen Auslegung, die bereits in der Streitbeilegungspraxis tief verwurzelt ist, maßgeblich abgebaut werden kann. Die Streitbeilegungspraxis hat sich unter Art. III GATT tatsächlich „wohlverhalten“ und trotz vielfacher Kritik weder auf den Abweg der Marktintegration noch auf den der Ineffizienz bei der Sicherung der Wettbewerbsgleichheit ausländischer Waren begeben.

II. Mitgliedstaatliche Marktregulation, Deregulierung und Autonomieschutz unter den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse (TBT / SPS): Marktintegratives Potenzial statt bloßer Handelsliberalisierung Ganz anders liegt es unter den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse.423 Denn anders als Art. III GATT erfassen die Beschränkungsverbote der Art. 2.2 und 2.4 TBT und der Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS ihrem Wortlaut nach auch nicht-diskriminierende Maßnahmen hinter der Grenze. Sie greifen damit in Bereiche vor, die das GATT nicht erfasst. Denn dieses verbietet, wie gerade deutlich wurde, mitgliedstaatliche Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels lediglich an der Grenze (Art. II und XI GATT), während es mitgliedstaatliche Maßnahmen hinter der Grenze nur insoweit verbietet, als sie ausländische Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren in protektionistischer Weise schlechter behandeln (Art. III GATT). In der Fortschreibung des WTO / GATTRechts von Diskriminierungsverboten hinter der Grenze zu Beschränkungsverboten hinter der Grenze liegt ein Übergang zu Formen der Marktintegration (vgl. die schon einleitend zu diesem Teil aufgestellte These 2). Denn Beschränkungsverbote hinter der Grenze haben das Potenzial, die durch bloße Handelsliberalisierung bewahrten Unterschiede zwischen mitgliedstaatlichen Regulierungen aufzuheben. Marktintegration führt in diesem Verständnis zwar nicht notwendig zur vollständi423 Die in diesem Abschnitt folgenden Überlegungen sind zum Teil Gegenstand einer gesonderten Veröffentlichung gewesen, vgl. Duvigneau, Johann Ludwig, Das WTO / GATTRecht zwischen Handelsliberalisierung und Marktintegration – Zur Bedeutung der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse, 58 Aussenwirtschaft 2003, S. 521.

II. Autonomie unter dem TBT und dem SPS: Marktintegratives Potenzial

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gen Aufhebung der regulativen Autonomie der Mitgliedstaaten. Insbesondere bedeutet sie nicht schon per se den Verlust der mitgliedstaatlichen Autonomie zur Regulation der heimischen Waren im heimischen Markt. Sie bringt es aber mit sich, dass ausländische Waren gegebenenfalls auch dann zu einem mitgliedstaatlichen Markt Zugang haben können, wenn sie nicht dessen allgemeinen Gesetzen entsprechen. Die folgende Analyse soll das marktintegrative Potenzial der Seitenabkommen aufzeigen424, zugleich aber auf die Schwierigkeiten seiner vollständigen Ausschöpfung im Rahmen des WTO / GATT-Rechts hinweisen. Zu diesem Zweck soll zunächst kurz in die Unterschiede zur GATT-rechtlichen Handelsliberalisierung einführt werden (Teil C.II.1. unten). Sodann sollen diese Unterschiede konzeptionell (Teil C.II.2. unten) und ihrem Ergebnis nach (Teil C.II.3. unten) näher herausgearbeitet werden. Im Anschluss hieran sollen die bisher von der Streitbeilegungspraxis herausgearbeiteten dogmatischen Leitlinien näher untersucht werden (Teil C.II.4. unten). Die Untersuchung soll abschließend durch einige prozedurale Überlegungen ergänzt werden (Teil C.II.5. unten).

1. Vom GATT zu den Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse: Marktintegration unter dem WTO / GATT-Recht Das Zusammenspiel der Art. II, III und XI GATT ermöglicht offenen regulativen Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten, indem es mitgliedstaatliche Beschränkungen lediglich an der Grenze verbietet. Der in diesem Zusammenhang notwendige Autonomieschutz wird vor allem durch die hohen Anforderungen des Art. III GATT gewährt. Marktintegratives Entscheiden widerspricht danach der Zielstruktur des Art. III GATT. Trotz der erheblichen Kritik in diese Richtung ist insoweit die Streitbeilegungspraxis der Streitbeilegungsorgane konsistent. Der vorhergehende Abschnitt hat gezeigt, dass die Streitbeilegungsorgane bisher weitgehend zielstrukturadäquat entschieden haben, indem sie tatsächlich nur solche protektionistischen Maßnahmen verboten haben, die ihre protektionistische Wirkung gerade durch eine Schlechterbehandlung ausländischer Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren entfaltet haben (nähere Einzelheiten Teil C.I. oben). Unter den TBT- und SPS-Abkommen sind marktintegrative Ansätze demgegenüber der typisierte Regelfall: Art. 2.2 und 2.4 TBT und Art. 2.2 und 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS enthalten Beschränkungsverbote, die sowohl für Grenzmaßnahmen als auch für Maßnahmen hinter der Grenze gelten. Einziges Anknüpfungsmerkmal ist dabei, ob in der Maßnahme eine unzulässige Handelsbeschränkung liegt. Die Unzulässigkeit ergibt sich dabei entweder aus der unnötigen oder nicht hinreichend begründeten Abweichung einer in Bezug genommenen internationalen Norm 424 Ähnlich Weiler, J.H.H., Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders., The EU, the WTO and the NAFTA, Towards a Common Law of International Trade?, Oxford, OUP, 2000, S. 201, 228.

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C. Autonomie unter dem materiellen WTO / GATT-Recht

(Art. 3.1, 3.3, 5.2 SPS und 2.4 TBT) oder allein aus einem bisher noch weitgehend unausgefüllten Maßstab streitbeilegender Entscheidungen (Art. 2.2 SPS und 2.2 TBT). Der lange Weg dieser Regeln über technische Handelshemmnisse in die WTO (Beurteilung technischer Handelsbeschränkungen zunächst nur unter Art. XI und III.4 GATT, sodann Einfügung des TBT-Abkommens in der Tokiorunde bis hin zum TBT und SPS im WTO-Recht) ist nicht zufällig, sondern eine Folge voranschreitender Handelsliberalisierung. Denn mitgliedstaatlicher Protektionismus sucht sich seinen Weg immer weiter hinter der Grenze in allgemeiner mitgliedstaatlicher Regulierung, je effektiver er an und hinter der Grenze verboten wird. Den handelsbeschränkenden und damit schützenden Wirkungen allgemeiner Regulation kann man mit Hilfe von Diskriminierungsverboten kaum sinnvoll entgegentreten. Will man Antiprotektionismus auch bei fortgeschrittener Handelsliberalisierung weiter vorantreiben, muss man daher früher oder später zu geschriebenen Verboten von Handelsbeschränkungen auch hinter der Grenze greifen. Die Beschränkungsverbote der Art. 2.2 und 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS und Art. 2.2. und 2.4 TBT sind in diesem Sinne Ausdruck des handelsliberalisierenden Erfolges des GATT. Sie sind sozusagen die konsequente Fortschreibung des antiprotektionistischen GATT-Rechts in die Marktintegration hinein. Ihr denkbar weiter Anwendungsbereich (vgl. insbesondere Anhänge 1.1 zum TBT Abkommen und A 1 zum SPSAbkommen) dürfte spätestens seit den Entscheidungen im Hormon-425, Asbest-426 oder auch dem Sardinenfall427 weitgehend unbestritten sein. Freilich unterscheiden sich die Beschränkungsverbote des TBT und des SPS in ihrem Gehalt ihrerseits voneinander: Während das TBT in seinen Art. 2.2 und 2.4 eine Abwägung zwischen dem Ziel des freien Handels und jenem Ziel fordert, um dessentwillen die angegriffene Maßnahme den freien Handel beschränkt, unterwerfen die Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS die Mitgliedstaaten lediglich einer Pflicht zur hinreichenden wissenschaftlichen Begründung der Maßnahme. Beobachter bewerten die Entscheidung des ständigen Berufungsgremiums im Hormonfall in diesem Zusammenhang als Absage an substanzielles Entscheiden. Bei näherem Hinsehen sind die strukturellen Unterschiede zwischen dem TBT (offene Abwägung zwischen Rechtsgütern) und dem SPS (prozedurale Prüfung der wissenschaftlichen Begründung einer Maßnahme) allerdings nicht so groß, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Mit der autonomiefreundlichen Auslegung insbesondere der Art. 3.3 und 5 SPS428 nimmt das Berufungsgremium vielmehr bereits substanzielle 425 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.20. 426 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des Berufungsgremiums WT / DS135 / AB / R, angenommen am 5. April 2001, Rn. 70. 427 European Communities – Trade Description Of Sardines, Bericht des Berufungsgremiums, WT / DS231 / AB / R, Rn. 175 ff.

II. Autonomie unter dem TBT und dem SPS: Marktintegratives Potenzial

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Entscheidungen in der Abwägung zwischen dem Gut des freien Handels und dem Gut des Gesundheitsschutzes (beziehungsweise der mitgliedstaatlichen Autonomie im Gesundheitsschutz) für eine Vielzahl von Fällen voraus.429

2. Konzeptionelle Unterschiede zwischen den Beschränkungsverboten der TBT- und SPS-Abkommen einerseits und den Diskriminierungsverboten des Art. III GATT andererseits Der Kern der Beschränkungsverbote der Seitenabkommen liegt in dem Verbot jeglichen mitgliedstaatlichen Handelns, das den grenzüberschreitenden Warenhandel unnötig belastet. Ihrer Struktur und ihrem Anknüpfungspunkt nach ähneln die Beschränkungsverbote der TBT- und SPS-Abkommen damit denjenigen der Art. II und XI GATT, die ebenfalls an einer „Beschränkung des Handels“ ansetzen, jedoch lediglich gegenüber Maßnahmen an der Grenze. Im Rahmen der Art. II und XI GATT findet dieser Ansatz des Verbietens von Beschränkungen seine Berechtigung freilich darin, dass Handelsbeschränkungen an der Grenze in der Regel schon per se dazu geeignet sind, die inländische Produktion zu schützen, soweit sie nicht gerade lediglich in Ergänzung innerstaatlich-marktregulativer Maßnahmen ergehen. Ihnen ist der wettbewerblich benachteiligende, d. h. letztlich diskriminierende Charakter damit sozusagen inhärent. Für innerstaatliche Maßnahmen gilt dies aber nicht in gleicher Weise. Es stellt sich daher die Frage, wie sich die Weiterentwicklung im Recht der Seitenabkommen in Konstellationen auswirkt, in denen eine Maßnahme zwar in den Anwendungsbereich des Art. III GATT fällt (entweder unmittelbar oder über die Anwendung der Anmerkung zu Art. III), von diesem allerdings nicht verboten ist, weil sie keine spezifisch protektionistische Ungleichbehandlung begründet. Ausgangspunkt der Überlegungen muss insoweit sein, dass Handelsbeschränkungen (fast) immer protektionistische Wirkungen entfalten. Die protektionistische Wirkung ist einer Handelsbeschränkung sozusagen inhärent. Denn in jeder Begrenzung des Handelsvolumens, d. h. dem faktischen Ergebnis einer Handelsbeschränkung, liegt begriffsnotwendig ein (gewolltes oder ungewolltes) Weniger ausländischen Wettbewerbs und damit auch eine irgendwie schützende Wirkung. Damit ist noch nicht gesagt, dass jede mitgliedstaatliche Regulierung tatsächlich handelsbeschränkende Wirkungen hat. Es ist damit nur gesagt, dass, wenn mitgliedstaatli428 Vgl. European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 104, 124, 172 und insbesondere 177: Art. 5 SPS als „countervailing factor“. 429 Lediglich „prozedurales“ Entscheiden etwa über die Anwendbarkeit (oder Unanwendbarkeit) des Vorsorgeprinzips ist in diesem Sinne immer auch wertendes Entscheiden in Abwägung zwischen verschiedenen Rechtsgütern. Zum Ganzen Howse, Robert, Democracy, Science und Free Trade: Risk Regulation on Trial at the World Trade Organization, 98 Michigan law review 2000, S. 2329.

16 Duvigneau

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che Regulierung zu Handelsbeschränkungen führt, diese wegen der Abschwächung des Wettbewerbsdrucks aus dem Ausland in aller Regel schützenden Charakter aufweist.430 Freilich können Handelsbeschränkungen durch unterschiedliche Arten von Regulierung erreicht werden. Sie können zum einen durch regulative Ungleichbehandlung solcher Waren erreicht werden, die von den Verbrauchern feststellbar substituiert werden und daher zueinander in Wettbewerb stehen (nähere Einzelheiten Teil C.I oben). Sie können zum anderen aber auch dadurch erreicht werden, dass eine Regulierung in die allgemeine Handlungsfreiheit eingreift, indem sie allgemeine Anforderungen an die Herstellung, die Lagerung, den Vertrieb, die Qualität, die Zusammensetzung usw. von Waren stellt. Die relativ klare konzeptionelle Unterscheidung zwischen solchen Handelsbeschränkungen, die durch regulative Ungleichbehandlung entstehen, und solchen Handelsbeschränkungen, die ohne eine derart regulative Ungleichbehandlung entstehen, macht die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen Art. III GATT und den Beschränkungsverboten der Seitenabkommen unmittelbar deutlich: Beide richten sich zwar gegen protektionistische Maßnahmen. Art. III GATT richtet sich gegen derlei Maßnahmen jedoch allein im Wege eines Verbotes der Ungleichbehandlung (so dass diese Vorschrift als Remedur allein Gleichbehandlung mit inländischen Waren verspricht). Die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen richten sich gegen protektionistische Maßnahmen demgegenüber im Wege des Verbotes ungerechtfertigter Regulation (so dass diese Vorschriften als Remedur nicht nur eine Gleichstellung, sondern je nach Lage des Falles auch eine Besserbehandlung gegenüber inländischen Waren versprechen).431 430 Es ist denkbar, dass positiv existierende Handelsbeschränkungen gegebenenfalls auch einmal gar keine schützende Wirkung auf irgendeine Industrie haben, z. B. wenn (wie etwa im Asbestfall) mit einer bestimmten Regulation ein bestimmter mitgliedstaatlicher Markt in seiner Gesamtheit schlechthin abgeschafft wird (und Substitutmärkte entweder nicht entstehen oder nicht geschützt sind . . . ). Der Regelfall wird dies aber nicht sein. Vielmehr wird man im Regelfall davon ausgehen, dass sich die Existenz einer Handelsbeschränkung (gewollt oder ungewollt) an irgendeiner Stelle auch schützend auf eine heimische Industrie auswirken wird. 431 Dieser an sich recht offensichtliche Unterschied zwischen den Beschränkungsverboten der Seitenabkommen und den Diskriminierungsverboten des GATT wird in der Literatur erstaunlich selten thematisiert. Stattdessen gibt man sich damit zufrieden, allein die Notwendigkeit einer Handelsbeschränkung zu diskutieren. Beispielhaft zeigt sich dies im Vergleich zwischen dem TBT und dem GATT bei Pauwelyn, Joost, Cross-Agreement Complaints Before the Appelate Body: A Case Study for the EC-Asbestos Dispute, 1 World Trade Review 2002, S. 63, 67. Pauwelyn thematisiert die Ähnlichkeiten beziehungsweise Unterschiede zwischen Art. III Abs. 4 GATT und Art. 2 Abs. 1 TBT einerseits und Art. XX GATT und Art. 2 Abs. 2 TBT andererseits, nicht aber die Unterschiede zwischen dem Regime des GATT als Ganzem (also Art. III Abs. 4 und XX GATT) und dem Regime des TBT als Ganzem (also Art. 2. Abs. 1 und 2 TBT). Dass derartige Vergleiche zwischen den Diskriminierungstatbeständen der unterschiedlichen Abkommen jeweils miteinander und den Erlaubnistatbeständen der unterschiedlichen Abkommen jeweils miteinander zu kurz greifen, zeigt sich darin, dass es die Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 TBT allein auf seine Funktion als Erlaubnistat-

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Die Anwendung der Beschränkungsverbote bringt ein viel höheres Potenzial für Eingriffe in die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten mit sich als die Anwendung der Diskriminierungsverbote. Denn die Feststellung darüber, ob und gegebenenfalls inwieweit eine mitgliedstaatliche Regulation im Sinne der Seitenabkommen handelsbeschränkende Wirkungen entfaltet, setzt ein Urteil über die regulative Wirkung der angegriffenen mitgliedstaatlichen Regulation selbst voraus. Insbesondere setzt sie einen Vergleich voraus zwischen den Wirkungen der tatsächlich bestehenden mitgliedstaatlichen Regulation auf den grenzüberschreitenden Handel und den Wirkungen einer den grenzüberschreitenden Handel weniger beschränkenden (hypthetischen) Regulation. Rechtstechnisch verlangen die Beschränkungsverbote damit genau das, was Verhoosel in Form eines integrierten Notwendigkeitstests in den Art. III GATT hineininterpretieren will, nämlich: Eine Prüfung über die protektionistischen Wirkungen einer Maßnahme im Rahmen einer Zweck-Mittel-Relation. Eine derartige Prüfung verlangt also das Bestehen eines legitimen (nicht-protektionistischen) Zwecks und eines legitimen (erforderlichen und angemessenen) Mittels zur Erfüllung dieses Zwecks. Nur Maßnahmen; die in diesem Sinne „notwendig“ (Art. 2.2 und 2.4 TBT) beziehungsweise wissenschaftlich hinreichend bergündbar sind (Art. 2.2 und 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS), passieren danach die Vorschriften der Seitenabkommen (nähere Einzelheiten sogleich C.II.4. unten). Leebron weist darauf hin, dass Forderungen einer Uniformisierung des Rechts weitgehend wertfrei seien, soweit sie nicht zugleich die Forderung einer Uniformisierung in einer ganz bestimmten Form und zu einem ganz bestimmten Niveau in sich tragen (echte Normativität).432 In diesem Sinne tragen die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen einen echten normativen Anspruch in sich: Sie fordern, dass die Mitgliedstaaten den grenzüberschreitenden Handel nicht durch Maßnahmen beschränken, die über einer ganz bestimmten Obergrenze liegen (wenngleich diese Obergrenze im Wege der Auslegung näher zu konkretisieren ist, sei es im Wege der Heranziehung internationaler Normung (Art. 2.4 TBT und Art. 3 SPS), sei es im Wege allgemein-streitbeilegender Konkretisierung (Art. 2.2 TBT und Art. 2.2, 5.1 und 5.2 SPS)). Es ist dieser normativ-materielle Anspruch der Beschränkungsverbote, der einer regulativen / deregulativen Tätigkeit der Streitbeilegungsorgane früher oder später Leben einblasen wird.433 bestand (mithin auf die Gehalte des Art. 2 Abs. 2 S. 3 TBT) reduziert, die vorgelagerte Frage nach dem Verbotstatbestand (Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2 TBT) aber völlig vernachlässigt. Die im vorliegenden Zusammenhang vorrangige Frage stellt sich aber nach den Unterschieden zwischen Art. III GATT (bzw. Art. 2 Abs. 1 TBT / Art. 2 Abs. 3 SPS) einerseits und Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2 TBT (bzw. Art. 2 Abs. 2 SPS) andererseits. Es sind die Unterschiede dieser Tatbestände, die es hervorzuheben gilt. Dasselbe gilt für die Unterschiede zwischen Art. 2 Abs. 4 TBT (beziehungsweise Art. 3 Abs. 1 SPS) einerseits und Art. III GATT (beziehungsweise Art. 2 Abs. 1 TBT und Art. 2 Abs. 3 SPS) andererseits. 432 Leebron, David W., Lying Down with Procrustes: An Analysis of Harmonization Claims, in: Bhagwati, Jadish und Robert E. Hudec, Fair Trade and Harmonization: Prerequisites for Free Trade?, Volume 1: Economic Analysis, Cambridge MA, MIT, 1996, S. 41, 50. 16*

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3. Potenzielle Ergebnisunterschiede zwischen den Beschränkungsverboten der TBT- und SPS-Abkommen einerseits und den Diskriminierungsverboten des Art. III GATT andererseits Die konzeptionellen Unterschiede zwischen den Beschränkungsverboten des TBT und SPS einerseits und dem Diskriminierungsverbot des GATT andererseits können sich im Ergebnis niederschlagen, müssen es aber nicht. In der Tat können die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen derart eng ausgelegt werden, dass sie im Ergebnis an die Diskriminierungsverbote des Art. III GATT heranrücken.434 Durch eine weite Auslegung der „Notwendigkeit“ der Handelsbeschränkung (Art. 2.2 TBT) beziehungsweise des „Hinreichendseins“ des wissenschaftlichen Nachweises (Art. 2.2 SPS) lässt sich eine rechtliche Lage herstellen, nach der im Ergebnis (fast) nur solche Maßnahmen verboten sind, die Art. III GATT wegen ihrer protektionistisch ungleichbehandelnden Gehalte ohnehin verbietet. Eine derartig enge Auslegung der Beschränkungsverbote lässt sich allerdings nicht für alle Fälle nicht-diskriminierenden Handelns erreichen. Rechtswissenschaftlich ist es kaum sinnvoll zu begründen, in welcher Weise die Notwendigkeit einer Handelsbeschränkung beziehungsweise das Hinreichendsein einer wissenschaftlichen Begründung unmittelbar vom Bestehen einer Ungleichbehandlung abhängig gemacht werden könnte. Denn diese Begriffe sind nach völlig anderen Kriterien zu handhaben als ausgerechnet nach dem Kriterium einer Ungleichbehandlung.435 Eine derartig enge Auslegung ist zudem auch gar nicht geboten. Denn 433 Insoweit ist die von Pauwelyn aufgeworfene Frage, ob wir jemals einen Streitbeilegungsverfahren erleben werden, das unter dem TBT entschieden wird, wohl doch rethorischer Natur, vgl. Pauwelyn, Joost, Cross-Agreement Complaints before the Appelate Body: A Case Study of the EC Asbestos Dispute, 1 World Trade Review 2002, S. 63. 434 Eine noch engere Auslegung bietet sich im WTO / GATT-rechtlichen Rahmen sinnvollerweise freilich nicht an. Es wäre sinnwidrig, wenn die Verbote der Seitenabkommen hinter dem gegenwärtigen Stand des Art. III GATT zurückblieben. Dass die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen in jedem Fall auch jene Maßnahmen erfassen, die auch von den Diskriminierungsverboten des Art. III GATT erfasst und verboten werden, bedarf keiner weiteren Erwähnung. Aus Gründen der Verfahrensökonomie wird ein Verstoß gegen Art. III GATT mittlerweile nicht mehr geprüft, wenn sich zeigt, dass schon ein Verstoß gegen das TBT oder SPS vorliegt, vgl.aus jüngerer Zeit etwa European Communities – Trade Description Of Sardines, WT / DS231 / R, Panelbericht vom 29. Mai 2002, Rz. 7.147 bis 7.152. 435 Bei dem Erfordernis hinreichender wissenschaftlicher Begründung nach dem SPS liegt dies klarer auf der Hand als bei dem Erfordernis der Notwendigkeit einer Handelsbeschränkung nach dem TBT, da das SPS insoweit klarere positiv-rechtliche Vorgaben macht als das TBT. Das Hinreichendsein einer wissenschaftlichen Begründung ihrerseits von dem Gehalt der beschränkenden Maßnahme abhängig machen zu wollen, scheint gerade angesichts der Zielstruktur des SPS keine sinnvolle Lösung zu sein. Denn es ist ja gerade das Ziel des SPS, derartige Maßnahmen am Maßstab der wissenschaftlichen Begründbarkeit zu messen, nicht an der Reichweite der Maßnahme selbst. Dies ändert allerdings nichts daran, dass für den streitbeilegenden Rechtsanwender im Einzelfall in der Regel doch Möglichkeiten bestehen, die Begriffe der Notwendigkeit beziehungsweise des Hinreichendseins einer wissenschaftlichen Begründung so auszulegen, dass nicht-diskriminierende Maßnahmen im Ergebnis nicht

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angesichts der dargelegten Grenzen des Art. III GATT besteht offenbar Bedarf für eine Auslegung, die die Beschränkungsverbote weiter fasst, als die Tatbestände des Art. III GATT. Andernfalls hätte man die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen nicht einfügen müssen. Wie weit oder eng die Beschränkungsverbote im Einzelnen auszulegen sind, ist allerdings noch immer eine weitgehend offene Frage. Angesichts der geringen Zahl streitbeilegender Entscheidungen fehlen bisher verlässliche Kriterien darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme von den Beschränkungsverboten der Seitenabkommen zwar erfasst (und verboten) ist, von den Diskriminierungstatbeständen des Art. III GATT und den Beschränkungsverboten des Art. XI GATT aber nicht.436 Im Zusammenhang der Art. 2 Abs. 4 TBT und Art. 3 Abs. 1 SPS besteht zwar die Möglichkeit, erste Orientierungen in der internationalen Norm zu suchen, die die diese Vorschriften in Bezug nehmen. Im Anschluss stellt sich dann aber die weitere Frage nach den Kriterien für eine erlaubte Abweichung von der internationalen Norm. Eine Konkretisierung der Art. 2.2 S. 1 und 2 TBT und Art. 2.2 SPS ist sogar ausschließlich auf eine nähere Konkretisierung durch die Streitbeilegungsorgane angewiesen. Sie setzt eine Abwägung zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten an einer effektiven Bekämpfung mitgliedstaatlichen Protektionismus und den Interessen der Mitgliedstaaten am Schutz des betreffenden Rechtsguts (und zugleich am Schutz ihrer marktregulativen Autonomie) voraus.437 Anhand bereits entschiedener Fallkonstellationen lässt sich an dieser Stelle daher zunächst allenfalls das marktintegrative Potenzial der WTO / GATT-rechtlichen Fortschreibung in den Seitenabkommen gegenüber den (relativ) engen Grenzen des Art. III GATT nachweisen.438 Im Hormonfall etwa hätte das panel die Klage verboten sind. Dass es sich dabei allerdings lediglich um Tendenzen handelt, zeigt bereits der Hormonfall, in dem es den Streitbeilegungsorganen sinnvoller Weise nicht möglich war, die angegriffenen Maßnahmen trotz ihres nicht-diskriminierenden Charakters für wissenschaftlich hinreichend begründet zu halten. 436 Eine andere Frage ist, inwieweit die Seitenabkommen auch jene Konstellationen verbieten, die unter Art. III oder XI GATT zwar verboten, unter einem Erlaubnistatbestand des GATT allerdings erlaubt sind. Diese Frage stellte sich etwa dem panel im Asbestfall, nachdem es entschieden hatte, dass die zugrundeliegende Maßnahme zwar Art. III GATT-widrig war, aber die Voraussetzungen des Art. XX (b) GATT erfüllte (Rz. 8.184 ff.). Mit hypthetischen Beispielen hierzu etwa Pauwelyn, Joost, Cross-Agreement Complaints Before the Appelate Body: A Case Study for the EC-Asbestos Dispute, 1 World Trade Review 2002, S. 63, 73 ff. 437 Die zur wissenschaftlichen Rationalität verpflichtenden Vorgaben des SPS sind in diesem Zusammenhang bereits eine (wenngleich ihrerseits ausfüllungsbedürftige) Richtungsvorgabe. Für die Notwendigkeit von Handelsbeschränkungen im Sinne des TBT fehlt eine vergleichbare, in dem Abkommen selbst enthaltene Vorgabe. 438 Fälle, in denen eine Diskriminierung im Sinne des Art. III GATT vorliegt, sind für einen solchen Nachweis nicht geeignet, selbst dann nicht, wenn sie von den Streitbeilegungsorganen unter Vernachlässigung des Art. III GATT allein am Maßstab der Beschränkungsverbote der Seitenabkommen geprüft worden sind. Denn derartigen Fällen liegen gerade keine

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mangels protektionistischer Ungleichbehandlung abweisen müssen, wenn es diesen Fall statt unter dem SPS allein unter Art. III GATT und der Anmerkung zu Art. III hätte entscheiden müssen. Denn das angegriffene Hormonverbot betraf ausländische und unionale Hersteller gleichermaßen.439 Die US-amerikanischen Rindfleischhersteller hätten die von der unionalen Maßnahme aufgestellten Forderungen in keiner Weise schlechter erfüllen können als die unionalen Rindfleischhersteller.440 Völlig unberührt hiervon bleibt freilich der Umstand, dass US-amerikanische Hersteller hormonbelastetes Rindfleisch traditioneller Weise kostengünstiger herstellen können als nicht hormonbelastetes Rindfleisch. Zwar wird den amerikanischen Herstellern der komparative Kostenvorteil, der ihnen durch die USamerikanische Regelung gegenüber unionalen Herstellern im Rahmen regulativer Diversität entstanden ist, durch die Erstreckung der unionalen Maßnahme auf ihre Waren genommen. Dies ist aber kein Phänomen der Schlechterstellung, sondern ein solches der Beendigung einer Besserstellung, mithin ein Phänomen der Gleichstellung, so dass ein Verstoß gegen Art. III GATT nicht zu erkennen ist.441 Unter den Beschränkungsverboten des SPS-Abkommens ist demgegenüber ein Verstoß feststellbar gewesen, wie es das panel ausgeführt442 und das Berufungsgremium (wenngleich mit teils geänderter Begründung) bestätigt hat443. Zwar bemühte sich marktintegrativen Forderungen nach Besserbehandlung zugrunde, sondern allein Forderungen nach Gleichbehandlung. Insoweit sind derartige Fälle nicht Ausdruck der Grenzen des Art. III GATT, sondern Ausdruck von Überlegungen prozeduraler Ökonomie (so etwa im unionalen Jakobsmuschelnfall oder auch im jüngeren Sardinenfall, vgl. zu diesen Fällen jeweils näher Teil C.I.2.c)aa)(1)(b)). Die Richtigkeit prozeduralökonomischer Überlegungen ergibt sich in diesem Zusammenhang daraus, dass in einer protektionistischen Diskriminierung immer auch eine Handelsbeschränkung liegt, so dass die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen eröffnet sind, soweit eine diskriminierende Regelung in ihren sachlichen Anwendungsbereich fällt. 439 Vgl. Einzelheiten insbesondere auch zu der vom panel unter Art. 5.5 SPS festgestellten, vom Berufungsgremium aber aufgehobenen de facto-Diskriminierung Teil C.I.2.c)aa) (2)(b). Anders als hier offenbar Trebilcock und Soloway, die im Hormonfall vom Vorliegen eines „disparate trade impacts“, mithin also wohl vom Vorliegen einer de facto-Diskriminierung ausgehen: „ . . . clearly the ban differentially impacted and domestically produced beef . . .“, in: Trebilcock, Michael und Julie Soloway, International Trade Policy and Domestic Food Safety Regulation: The Case for Substantial Deference by the WTO Dispute Settlement Body under the SPS Agreement, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 537, 558. 440 An dieser Stelle zeigt sich der Wert der vom Verfasser oben (Teil C.I.2.b)cc)(2)) vorgeschlagenen anforderungsbezogenen Prüfung des Merkmals der Ungleichbehandlung (Gleichheit in der Erfüllbarkeit). 441 Diese Auffassung lässt sich durch die Ausführungen der Streitbeilegungsorgane im konkreten Fall weder bestätigen noch widerlegen, da weder das panel (audrücklich in Rn. 8.272 f.) noch das Ständige Berufungsgremium zu der Frage der Vereinbarkeit der Maßnahme mit Art. III GATT Stellung genommen haben. 442 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.56 ff. (zu Art. 3.1 SPS), Rn. 8.79 ff. (zu Art. 3.3 SPS) und Rn. 8.91 ff. (zu Art. 5 SPS).

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das Berufungsgremium in vielerlei Hinsicht um autonomiefreundliches Entscheiden, so etwa im Hinblick auf die aufgeworfenen Fragen der Beweislast444, auf die Anforderungen an die wissenschaftliche Begründung445 und auf die Voraussetzungen des „Gestütztseins“ einer Maßnahme auf eine internationale Norm446. Um die Feststellung eines Verstoßes kam das Berufungsgremium demgegenüber trotz dieser autonomiefreundlichen Haltung aber nicht herum, da die Union auch die insoweit für sie erleichterten Anforderungen der Beschränkungsverbote noch immer nicht zu erfüllen vermochte.447 Auch im Asbestfall hätte das panel einen Verstoß gegen Art. III GATT ablehnen müssen, zwar nicht notwendigerweise im Rahmen der Gleichartigkeitsprüfung (wie allgemeinen angenommen wird; nähere Einzelheiten Teil C.I.2.b)aa) oben), wohl aber im Rahmen der Prüfung einer protektionistischen Ungleichbehandlung. Denn ähnlich wie im Fall des Hormonverbotes war die Erstreckung der unionalen Maßnahme auf kanadische Asbestwaren kein Fall der Schlechterstellung ausländischer Waren, sondern ein Fall der Gleichstellung mit unionalen Asbestwaren. Asbestsubstitute können in Kanada genauso gut und billig (oder schlecht und teuer) hergestellt werden wie in der Europäischen Union (nähere Einzelheiten Teil C.I. 2.c)aa)(2)(c) oben). Auch hier ist freilich ein ganz anderer Gesichtspunkt, dass die kanadischen Hersteller ohne die unionale Maßnahme einen erheblichen komparativen Kostenvorteil gegenüber unionalen Herstellern gehabt haben, weil das Asbestvorkommen in Kanada sehr viel höher ist als in der Union, und dass ihnen dieser komparative Kostenvorteil mit der Erstreckung der Maßnahme auf kanadische 443 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 157 ff. und Rn. 178 ff. 444 Ibid., Rn. 97 ff. 445 Ibid., Rn. 187. 446 Ibid. 188 ff. 447 Einzelheiten hierzu sogleich Teil C.II.4. Reaktionen aus der Literatur etwa bei Charlier, Christophe, Hormones, Risk Management, Precaution and Protectionism: An Anaysis of the Dispute on Hormone-Treated Beef between the European Union and the United States, 14 European Journal of Law and Economics 2002, S. 83; Neugebauer, Regine, Finetuning WTO jurisprudence and the SPS Agreement, 31 Law and policy in international business 2000, S. 1255; Hughes, Layla, Limiting the jurisdiction of dispute settlement panels: the WTO Appellate Body Beef Hormone Decision, 10 Georgetown international environmental law review 1998, S. 915; MacNiel, Dale E., The first case under the WTO’s Sanitary and Phytosanitary Agreement, 39 Virginia journal of international law 1998, S. 89; Correa, Carlos M., Implementing National Public Health Policies in the Framework of WTO Agreements, in 34(5) JWT 2000, S. 89, 112. Zu den demokratietheoretischen Gesichtspunkten einer auch in nationalen Zusammenhängen beobachtbaren Verschiebung positiver Entscheidungskompetenz von der „demokratischen Masse“ zum „demokratischen Experten“ („Inputverschiebung“) etwa Howse, Robert, Democracy, Science and Free Trade: Risk Regulation on Trial at the World Trade Organization 98(6) Michigan Law Review 2000, S. 2329. Kritischer demgegenüber Hilf, Meinhard, und Barbara Eggers, Verfassungsfragen lebensmittelrechtlicher Normierung im europäischen und internationalen Recht, ZLR 1997, S. S. 289.

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Waren genommen wird. Genau hierin zeigt sich aber der Unterschied zwischen den beiden Regelungsregimen des GATT (hinter der Grenze lediglich Diskriminierungsverbote) und der Seitenabkommen (Beschränkungsverbote hinter der Grenze): Ähnlich wie das Hormonverbot ist auch das unionale Asbestverbot (jedenfalls) mangels protektionistischer Ungleichbehandlung zwar nicht nach Art. III Abs. 4 GATT verboten448, wegen des handelsbeschränkenden Charakters der Maßnahme aber gegebenenfalls nach dem Beschränkungsverbot des Art. 2.2 S. 2 TBT (dazu nähere Einzelheiten sogleich Teil C.II.4.a) unten).449 Nicht anders liegt es schließlich im Fall der im Mai 2003 von den USA, Kanada und Argentinien vor die WTO getragenen450 unionalen Behandlung genmanipulierter Lebensmittel.451 Das unionale Moratorium wirft eine Vielzahl komplexer welthandelsrechtlicher Fragen auf.452 Es scheint aber doch auf der Hand zu liegen, dass die unionalen Vorschriften nicht gegen Art. III GATT verstoßen. Zwar mögen die Streitbeilegungsorgane in ihrer Analyse zu dem Ergebnis kommen, dass gen448 Diese Feststellung ist bedeutsam, denn es gibt viele Fälle, die im Hinblick auf die Gleichartigkeit weniger eindeutig sind als der Asbestfall, in dem der Gesundheitsschutz ja (jedenfalls relativ) deutlich als ein das Marktverhalten gestaltender Faktor hervortrat, weil die Gesundheitsschäden sehr weitgehend in den Marktprozess internalisiert waren (das Berufungsgremium führt insbesondere die in hohem Maße individualisierte Gefahr und die aus ihr folgende Möglichkeit von Zusatzkosten durch Schadensersatzklagen an, Rn. 122; kritisch hierzu schon Teil C.I.2.b)aa)). Ist das in die Marktanalyse einfließende Schutzgut demgegenüber nicht derart deutlich in den Marktprozess internalisiert (etwa mangels Individualisierbarkeit der Schädigung, Beisp.: Umweltschädlichkeit von Kraftfahrzeugen ohne G-Katalysator; dazu ebenfalls näher Teil C.I.2.b)aa)(2), dann ist auch das Ergebnis der Gleichartigkeitsprüfung weniger eindeutig, so dass das streitentscheidende Kriterium gegebenenfalls nicht (wie im Asbestfall) das Merkmal der Gleichartigkeit, sondern dasjenige der Ungleichbehandlung ist. 449 Der Verfasser behauptet an dieser Stelle nicht, dass Art. 2.2 TBT die Maßnahme Frankreichs verbietet, sondern lediglich, dass er seinem Anwendungsbereich nach die Maßnahme umfasst. Angesichts der Überlegungen, die das Berufungsgremium zur möglichen Bedeutung der Gesundheitsschädlichkeit von Asbest für die Gleichartigkeitsprüfung unter Art. III GATT vorgenommen hat (Rn. 119 ff.), ist kaum anzunehmen, dass das Berufungsgremium die Notwendigkeit der Handelsbeschränkung im Sinne des Art. 2.2 S. 2 TBT angenommen hätte. Diese Vermutung wurzelt aber allein in der (relativen) Eindeutigkeit des Falles, wie sie in Fn. 248 beschrieben ist. Am dort angeführten Beispiel der Umweltschädlichkeit von Kraftfahrzeugen ohne G-Katalysator wird dies unmittelbar deutlich: Ist ein nicht-diskriminierendes Verbot oder eine nicht-diskriminierende Besteuerung von Fahrzeugen ohne G-KAT, die mit Kraftfahrzeugen mit G-KAT im Sinne des Art. III GATT gegebenenfalls vergleichbar sind, im Sinne des Art. 2.2 TBT notwendig? 450 European Communities – Measures affecting the approval and marketing of biotech products, WT / DS291, 292 und 293 / 1. 451 Umfassender Überblick über die unionalen Maßnahmen und die aktuellen Entwicklungen in der Union wie in der WTO sowie über die wissenschaftliche Diskussion auf http:// www.law.georgetown.edu/iiel/current/gmos/. Zu den jüngeren Ereignissen etwa Financial Times vom 14. Mai 2003: LEADER: The transatlantic train collision, auf www.ft.com. 452 Vertiefte Darstellung etwa bei Stökl, Lorenz, Der welthandelsrechtliche Gentechnikkonflikt, Berlin: Duncker und Humblot, 2003.

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manipulierte und nicht genmanipulierte Lebensmittel im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT vergleichbar sind.453 Davon unabhängig bedarf es aber auch hier der Feststellung einer aggregierten Schlechterbehandlung ausländischer Waren im Sinne des Asbestdiktums des Berufungsgremiums. Die Voraussetzungen einer aggregierten Schlechterbehandlung liegen, nimmt man sie ernst, hier gerade nicht vor. Denn ausländische Hersteller können genauso gut oder schlecht wie unionale Hersteller solche Lebensmittel herstellen, die nicht genmanipuliert sind (wenngleich sie damit freilich weniger verdienen und letztlich wohl auch weniger exportieren werden).454 Gleiches gilt für die Kennzeichnung genmanipulierter Lebensmittel, für die Rückverfolgbarkeit ihrer Herkunft sowie für den Erhalt einer Genehmigung für genmanipulierte Lebensmittel.455 Unter den Beschränkungsverboten des SPS können die Maßnahmen demgegenüber verboten sein, müssen es aber freilich nicht.456 4. Dogmatische Leitlinien zum TBT und SPS: Einzelheiten Das marktintegrative Potenzial lässt sich dogmatisch, dies wurde bereits deutlich, nur in begrenztem Maße genauer konkretisieren. Insoweit besteht ein großer 453 Nach dem Asbestfall bestehen allerdings noch immer erhebliche Unsicherheiten im Hinblick darauf, unter welchen konkreten Voraussetzungen ein (bestehendes oder nicht bestehendes) Gesundheitsrisiko derart im Marktprozess internalisiert ist, dass es Waren trotz eines im Übrigen durchaus möglichen Wettbewerbsverhältnisses nicht mehr vergleichbar sein lässt (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(2)(c). 454 In einem privaten Schriftverkehr mit dem Verfasser weist Prof. Hauser demgegenüber darauf hin, dass US-amerikanische Hersteller wegen des Gesichtspunkts der ansteckenden Verunreinigung („contamination“) genunbehandelte Lebensmittel gegebenenfalls nicht mehr in gleicher Weise herstellen können wie unionale Hersteller. Dies ist in der Tat ein interessanter Gesichtspunkt, der gegebenenfalls einen Verstoß gegen Art. III GATT begründen könnte. Interessant ist dieser Gesichtspunkt insbesondere deshalb, weil auf diese Weise das insoweit faktenschaffende Verhalten der US-amerikanischen Lebensmittelindustrie selbst für die Art. III-Widrigkeit der unionalen Maßnahme verantwortlich wäre. Dies mindert zwar nicht den Erkenntniswert der oben herausgearbeiteten qualitativen Prüfung der Behandlung von Waren. Es könnte aber gegebenenfalls zu einer unionalen Einrede der Bösgläubigkeit der Kläger führen, deren nähere Herleitung freilich einem späteren Beitrag vorbehalten bleiben muss. An dieser Stelle soll mangels näherer fachlicher Spezialkenntnisse zum Bestehen und zum Ausmaß der Ansteckungsgefahr zunächst von echter normativer und faktischer Gleichheit ausländischer Waren in der Erfüllbarkeit der Anforderungen ausgegangen werden. 455 Insoweit mögen Erörterungen über die Gleichartigkeit genmanipulierter und nicht genmanipulierter Labensmittel zwar akademisch interessant sein, streitentscheidend unter Art. III GATT sind sie aber nicht. Vgl. aber die Ausführungen Scott, Joanne, European Regulation of GMO’s and the WTO, gefunden am 14. Mai 2003 unter http: //www.law.georgetown.edu/ iiel/current/gmos/documents/scott_article.doc, S. 16, die unter Hinweis auf den einschlígigen Beitrag von Regan (Angabe oben Fn. 82) das streitentscheidende Merkmal der Ungleichbehandlung in einen einzigen Satz ihrer Fuûnote 56 verbannt. 456 Eine umfassende Prüfung des unionalen Moratoriums mit weiteren Nachweisen erfolgt am Ende dieser Arbeit (Teil E.III.).

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Bedarf der Konkretisierung durch die Streitbeilegungspraxis. Dies gilt für die Vorschriften des TBT angesichts deren besonders vager Formulierung in besonderem Maße. Das SPS gibt demgegenüber immerhin gewisse Kriterien vor, die ihrerseits aber noch immer erhbliche Unklarheiten fortbestehen lassen. Eine wesentliche Konkretisierung im SPS geht dahin, dass das Vorsorgeprinzip als Ausnahme anerkannt ist (Art. 5.7 SPS: „vorübergehend“).457 Diese Anerkennung als Ausnahme ist im hier interessierenden Zusammenhang besonders bedeutsam, weil die Mitgliedstaaten in ihr für den Fall des Fehlens hinreichender Informationen das RegelAusnahmeverhältnis unmissverständlich festgelegt haben. Bei aller Dehnbarkeit der verwendeten Begriffe („Verfügbarkeit der einschlägigen Angaben“ und „notwendig“) gilt das Vorsorgeprinzip danach nämlich nur im Wege der vorübergehenden Ausnahme, nicht aber als allgemeine Regel für definitive Maßnahmen. Die Konsequenz dessen ist, dass es im Streitverfahren nicht etwa um den Nachweis der Gefahrlosigkeit zur Beendigung einer Maßnahme geht, sondern um den Nachweis der Gefährlichkeit einer bestimmten Suituation zur Aufrechterhaltung der Maßnahme. Hierin liegt mithin eine normativ festgelegte Entscheidung der Mitgliedstaaten darüber, dass der freie Handel als mitgliedstaatliches Schutzgut den Gesundheitschutz als mitgliedstaatliches Schutzgut überwiegt, wenn Zweifel über das Ausmaß der Gefährdung des Gesundheitsschutzes durch die zu regulierende Situation bestehen.458 Bereits hierin liegt eine wesentliche Konkretisierung mit sozusagen „marktintegrativen Vorwirkungen“, an denen die Streitbeilegungsorgane gegebe457 Zu den damit nach Art. 5.7 Satz 2 SPS verbundenen Pflichten, die notwendigen zusätzlichen Informationen für eine objektivere Risikobewertung einzuholen und entsprechende Überprüfungen der Maßnahme fristgemäß durchzuführen vgl. vor allem Japan – Measures Affecting Agricultural Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 22. Februar 1999, WT / DS76 / AB / R, Rn. 92 f. 458 Umweltrechtler kritisieren diese Festlegung, da sie im Fall des Fehlens wissenschaftlicher Kenntnisse (zu den Anforderungen sogleich) eine wichtige Vorentscheidung für den substanziellen Ausgang von Streitbeilegungsverfahren mit sich bringe, vgl. etwa die kritischen Bemerkungen („integration difficile“) bei Arbour, Maurice, Le principe de précaution dans le contexte du commerce international, 43 Les cahiers de droit 2002, S. 5; ferner Briese, Robyn, Precaution and cooperation in the World Trade Organization: an environmental perspective, 22 The Australian yearbook of international law 2002, S. 113; Noiville, Christine, Principe de précaution et Organisation mondiale du commerce, 127 Journal du droit international 2000, S. 263; vermittelnd etwa Bohanes, Jan, Risk regulation in WTO law, 40 Columbia journal of transnational law 2002, S. 323; Douma, Wybe Th., The beef hormone dispute: does WTO law preclude precautionary health standards?, in: Heere, Wybo P. (Hrsg.), International law and The Hague’s 750th anniversary, Den Haag: TMC Asser Press, 1999, S. 333; ferner der Sammelband von O’Riordan, Timothy (Hrsg.), Reinterpreting the precautionary principle, London: CameronMay, 2001. Einen guten Überblick zum Vorsorgeprinzip als Teil der Gesamtvölkerrechtsordnung bietet in jüngerer Zeit vor allem Trouwborst, Arie, Evolution and status of the precautionary principle in international law, Den Haag, Kluwer Law International 2002; ferner etwa Iynedjian, Marc, Le principe de précaution en droit international public, 78 Revue de droit international de sciences diplomatiques et politiques 2000, S. 247. Eine verhaltensökonomische Rechtfertigung bietet Dana, David A., A behavioral economic defense of the precautionary principle, 97 Northwestern University law review 2003, S. 1315.

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nenfalls nur schwer vorbeikommen werden. Weitere Ansätze zur Konkretisierung sollen im Folgenden näher dargelegt werden. Die Darstellung soll entlang der strukturellen Parallelitäten zwischen den beiden Überkommen geschehen. Die wichtigste Parallelität ist der in beiden Übereinkommen jeweils angelegte Dualismus zwischen den jeweiligen „einfachen“ Verboten ungerechtfertigter Handelsbeschränkungen (Teil C.II.4.a) unten) und jenen Verboten, die in ihrem Gehalt an die Vorgaben existierender oder kurz vor dem Abschluss stehender internationaler Normung anknüpfen (Teil C.II.4.b) unten).

a) Die „einfachen“ Beschränkungsverbote im TBT und im SPS: Dogmatische Vorgaben zur Rechtfertigbarkeit von Handelsbeschränkungen Die „einfachen“ Beschränkungsverbote des TBT und des SPS haben im Kern eine Doppelstruktur aus zwei Tatbestandsmerkmalen, namentlich dem Merkmal einer Handelsbeschränkung und dem Merkmal ihrer Rechtfertigung. Da das Element der Handelsbeschränkung in Streitbeilegungsverfahren in der Regel vorliegt (kein Staat wird sich durch Regelungen beschwert fühlen, die nicht in der einen oder anderen Weise den Handel beschränken), ist das in der konkreten Streitbeilegung entscheidende Element typischerweise das letztere, nämlich die Rechtfertigbarkeit der Handelsbeschränkung. In der positiven Prüfung der Rechtfertigbarkeit einer Handelsbeschränkung liegt die gestalterische Aufgabe der Streitbeilegungsorgane: Gefordert ist von ihnen ein substanzieller Abwägungsprozess zwischen dem Schutzgut des freien Handels und jenem Schutzgut, dessentwegen der freie Handel eingeschränkt wird (zur institutionellen und legitimationstheoretischen Bedeutung derartiger Prozesse im Gesamtsystem der WTO und vor allem zu den Möglichkeiten richtigen materiellen Entscheidens nähere Einzelheiten Teil E. unten). Interessanterweise entspricht dieser Vorgang genau jener Form einer allgemeinen Effizienzprüfung, die gerade für den Art. III GATT in Form eines „integrierten Notwendigkeitstest“ vorgeschlagen worden ist („integrated necessety-Test“, nähere Einzelheiten dazu Teil C.I.1.c)aa)(3) oben und Teil C.I.3.b) oben). Es handelt sich bei dem zweiten Merkmal der Notwendigkeit nämlich um die Prüfung einer echten Zweck-Mittel-Relation. Die Prüfung der Zweck-Mittel-Relation hat ihrerseits in der Regel in zwei Stufen stattzufinden, namentlich der Prüfung eines (nicht-protektionistischen) Zwecks und der Prüfung eines (am wenigsten protektionistischen) Mittels. In besonders reiner Form findet sich die Zweigliedrigkeit von Handelsbeschränkung einerseits und Rechtfertigung oder „Notwendigkeit“ in Form einer ZweckMittel-Prüfung andererseits im Tatbestand des bislang vollkommen unkonkretisiert gebliebenen Art. 2.2 Satz 2 TBT (nicht handelsbeschränkender als notwendig, um ein berechtigtes Ziel zu erreichen). Dogmatisch ist Art. 2.2 Satz 2 TBT damit eine äußerst einfach strukturierte Vorschrift. Politisch demgegenüber ist sie ein „heißes Eisen“, da bislang noch vollkommen unklar ist, worin denn eigentlich die Notwen-

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digkeit einer Handelsbeschränkung konkret liegt, welche genauen Anforderungen also an die Prüfung der „Zweck-Mittel-Relation“ zu stellen sind. Deshalb hat das Berufungsgremium, wie gerade deutlich wurde, bisher eine Prüfung unter Art. 2.2 Satz 2 TBT vermieden, obwohl es spätestens im Asbestfall hierzu eigenlich verpflichtet gewesen wäre. Diese Weigerung zur Prüfung ist nicht nur bedauerlich, sondern auch bedenklich, denn das Berufungsgremium hat im Asbestfall dem nach Art. 16 Abs. 4 und 6 DSU wohl bestehenden Anspruch der Union auf eine Entscheidung über alle aufgeworfenen Rechtsfragen nicht genügt. Insbesondere fehlten dem Berufungsgremium hier nicht, wie es behauptete459, die Fakten, sondern die rechtliche Konkretisierung der Vorschriften des TBT durch frühere Entscheidungen. Pauwelyn etwa weist mit stichhaltiger Begründung nach, dass das Berufungsgremium hier nicht zwischen fehlender Zurückverweisungskompetenz und dem kanadischen Anspruch auf eine Berufungsentscheidung „gefangen“ war.460 Dieser Sichtweise folgend hätte das Berufungsgremium die Maßnahme hier nicht nur unter Art. 2.2 TBT prüfen können, sondern sogar prüfen müssen. Die Weigerung des Berufungsgremiums, die Maßnahme unter Art. 2.2 TBT zu prüfen, erscheint in diesem Licht als ein Weg, der delikaten Prüfung der „Notwendigkeit“ der vorliegenden Handelsbeschränkung zu entgehen. Die Doppelstruktur der Merkmale einer Handelsbeschränkung einerseits und ihrer Rechtfertigung über eine Zweck-Mittel-Relation andererseits findet sich auch in den „einfachen“ Beschränkungsverboten des SPS. Freilich liegt sie hier nicht in ihrer ganz einfachen Form vor, sondern ist in etwas kompliziertere Tatbestandsstrukturen eingebettet, die aber unverkennbar dennoch die Handschrift der letztlich zweigliedrigen Prüfungsstruktur aufweisen. Jedenfalls lassen sich die Tatbestände, wie sich im Folgenden zeigen wird, in dieser Doppelstruktur zwanglos auflösen. Dass eine Handelsbeschränkung vorliegen muss (erstes Merkmal), ergibt sich schon aus dem einfachen Umstand, dass mitgliedstaatliche Maßnahmen, ähnlich wie unter dem TBT, nicht handelsbeschränkender sein dürfen als notwendig (vgl. Art. 2.2 und 5.6 SPS). Ohne Handelsbeschränkung gäbe es schon gar keine Klage. Die Prüfung des zweiten Merkmals (Rechtfertigung der mitgliedstaatlichen Maßnahme: Notwendigkeit / hinreichende wissenschaftliche Begründbarkeit) findet im SPS entsprechend der Strukturvorgabe einer Zweck-Mittel-Relation ihrerseits in zwei konsekutiven Stufen statt: Die erste Stufe der Zweck-Mittel-Relation (Prüfung des nicht-protektionistischen Zwecks) liegt bereits in der Überprüfung der Anwendbarkeit des Übereinkommens. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Umstand, dass Art. 1.1 SPS das Übereinkommen nur für solche Maßnahmen anwendbar sein lässt, deren konstitutives Merkmal eine bestimmte Zielsetzung ist, namentlich eine jener vier gesundheits- oder pflanzenschutzrechtlichen Zielsetzungen, die in der (wegen Art. 1.2 SPS anzuwendenden) Definition in Anhang A 1 459 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Bericht des erufungsgremiums vom 12. März 2001, WT/DS 135/ABIR, Rn. 78 ff. 460 Pauwelyn, Joost, Cross-Agreement Complaints Before the Appelate Body: A Case Study for the EC-Asbestos Dispute, 1 World Trade Review 2002, S. 63, 66 ff.

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zum SPS enumeriert sind. Die Prüfung der zweiten Stufe der Zweck-Mittel-Relation (des am wenigsten protektionistischen Mittels) findet demgegenüber gesondert statt und erfordert eine ungleich kompliziertere Prüfung. Gefordert ist insoweit die wissenschaftliche Begründbarkeit der Maßnahme (Art. 2.2, 5.1 und 5.2 SPS). Kann sie bejaht werden, bedarf es ferner einer Abwägung im engeren Sinne zwischen dem gesundheitsschützenden Ziel einerseits und dem Ziel des freien Handels andererseits (Art. 5.6 SPS). Ein positives Ergebnis wird diese Abwägung in aller Regel aber nicht zeitigen, weil bereits die Prüfung der wissenschaftlichen Begründbarkeit diese Abwägung in gewisser Weise vorwegnimmt“.461 Liegt eine hinreichende wissenschaftliche Begründbarkeit demgegenüber nicht vor, bedarf es dieser weiteren Prüfung nach Art. 5.6 SPS schon deshalb nicht mehr, weil deren wichtigste Voraussetzung („notwendig“) dann jedenfalls vermuteterweise nicht mehr bejaht werden kann.462 Kern der Prüfung nach den in diesem Sinne recht „einfachen“ Beschränkungsverboten des SPS ist demnach vor allem die Prüfung der wissenschaftlichen Begründbarkeit nach Art. 2.2, 5.1 und 5.2 SPS. Bereits in der Prüfung der wissenschaftlichen Begründetheit liegt mehr als nur formales Entscheiden. Denn die Prüfung über das Bestehen oder Nichtbestehen wissenschaftlicher Begründetheit selbst ist weitgehend wertendes Entscheiden. Hier besteht ein hohes Maß an Dehnbarkeit der zugrundeliegenden Begriffe, die in keiner Weise hinter der Dehnbarkeit des Begriffs der Notwendigkeit einer Handelsbeschränkung zurücksteht. Dies zeigt sich bereits in allen drei Tatbestandselementen des Art. 5.1 SPS, also dem Bestehen eines Risikos (Gefahren), dem richtigen Bewerten dieses Risikos (Risikobewertung) und schließlich dem Beruhen der Maßnahme auf dieser Bewertung („based on“). Bereits das erste Element, dasjenige des Risikos, kann autonomiefreundlich oder autonomieunfreundlich ausgelegt werden. Eine ausgesprochen autonomiefreundliche Auslegung läge etwa in der Anerkennung von in hohem Maße abstrakten und sogar vollkommen hypothetischen Risiken. Eine autonomieunfreundliche Auslegung wäre demgegenüber, ein hohes Maß an Konkretisierung des Risikos zu verlangen, etwa mit der Angabe von Mindetswahrscheinlichkeitsszenarien o.ä. Das Berufungsgremium geht hier einen Mittelweg, indem es einerseits anerkennt, dass nicht jede auch noch so theoretische Gefahr für ein Risiko im Sinne der Vorschrift ausreicht463, auf der anderen Seite aber auch anerkennt, dass Mindestangaben irgendwelcher Art („minimum magnitude of risk“) von Art. 5.1 SPS nicht gefordert sind.464 Zugleich erhält es sich für künftige Fälle jede Flexibi461 Vgl. Australia – Measures Affecting Importation Of Salmon, Bericht des Berufungsgremiums vom 20. Oktober 1998, WT / DS18 / AB / R, Rn. 121 ff. 462 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 251. 463 Ibid., Rn. 186: „[ . . . ] this theoretical uncertainty is not the kind of risk which, under Article 5.1, is to be assessed“. 464 Ibid., Rn. 186: „[ . . . ]we must note that imposition of such a quantitative requirement finds no basis in the SPS Agreement“.

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lität, um in autonomiefreundlicher Weise geringe oder – in autonomieunfreundlicher Weise – höhere Erfordernisse an das Risiko zu stellen. Eine ähnliche Flexibilität erhält sich das Berufungsgremium im Bereich des zweiten Elements der Prüfung der wissenschaftlichen Begründbarkeit nach Art. 5.1 SPS, nämlich jenem der Risikobewertung.465 Aus Art. 5.2 SPS folgen die näheren Vorgaben für diese Prüfung. Das wesentliche Merkmal nach Art. 5.2 SPS ist dabei die Berücksichtigung des verfügbaren wissenschaftlichen Beweismaterials. Das Berufungsgremium bemüht sich an dieser Stelle zwar, einen möglichst autonomiefreundlichen Ton anzuschlagen. Im Hormonfall wird dies vor allem darin deutlich, dass das Berufungsgremium ausdrücklich auch wissenschaftliche Mindermeinungen als wissenschaftliche Begründungen zulässt.466 Daraus folgt aber noch nicht, dass sich das Berufungsgremium damit den Weg abschneiden würde, Mindermeinungen auch als nicht ausreichend für die wissenschaftliche Begründung zu bewerten, wie es wenige Abschnitte später bei seiner eigenen Bewertung der Stellungnahme eines Sachverständigen (Dr. Lucier) unmittelbar deutlich macht.467 Letztlich erhält sich das Berufungsgremium hier seine Flexibilität dadurch, dass es auf einen formalen und damit inhaltlich schier unbegrenzten Wissenschaftsbegriff Rückgriff nimmt, der allein durch das Bestehen methodischer Mindestanforderungen geprägt ist.468 Die dadurch gewonnene Flexibilität steigert das Berufungsgremium sogar noch, in dem es die Offenheit der Liste in Art. 5.2 SPS ausdrücklich hervorhebt.469 Flexibilität erreicht das Berufungsgremium schließlich im Rahmen des Merkmals des „Beruhens“ der Maßnahme auf der Risikobewertung. Insbesondere eröffnet es sich die Möglichkeit, Maßnahmen auch dann als in diesem Sinne auf der 465 Über Art. 1.2 SPS nimmt das Berufungsgremium die Prüfung anhand der Definition des Begriffs der Risikobewertung in Anhang A 4 vor und fordert dementsprechend die Spezifizierung der zu erwartenden Gefahren, die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts unter Hinwegdenken der angegriffenen Maßnahme und die Wahrscheinlichlichkeit ihres Eintritts unter Berücksichtigung der angegriffenen Maßnahme, vgl. Australia – Measures Affecting Importation Of Salmon, Bericht des Berufungsgremiums vom 20. Oktober 1998, WT / DS18 / AB / R, Rn. 121 ff. 466 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 194. 467 Ibid., Rn. 198. 468 Ibid., Rn. 187: „To the extent that the Panel intended to refer to a process characterized by systematic, disciplined and objective enquiry and analysis, that is, a mode of studying and sorting out facts and opinions, the Panel’s statement is unexceptionable.“ (Hervorhebung durch den Verfasser) Auf die flexibilitätssteigernden Folgen dieser begrifflichen Verdichtung auf den methodischen Gesichtspunkt von Wissenschaft weisen insbesondere Robert Howse und Petros C. Mavroidis hin, vgl. Howse, Robert und Petros C. Mavroidis, Europe’s Evolving Regulatory Strategy for GMOs – the Issue of Consistency with WTO Law: of Kine and Brine, 24 Fordham Int’l LJ 2000, S. 317, 334. 469 Ibid., Rn. 187. Speziell zu diesen Fragen näher Goh, Gavin und Andreas R. Ziegler, A Real World Where People Live and Work and Die. Australian SPS Measures After the WTO Appelate Body’s Decision in the Hormones Case, 32(5) JWT 1998, S. 271.

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Risikobewertung „beruhend“ anzuerkennen, wenn die Risikobewertung erst nach dem Erlass der Maßnahme, aber noch vor dem relevanten Zeitpunkt im WTOrechtlichen Streitbeilegungsverfahren durchgeführt worden ist. Nicht einmal kommt es danach darauf an, wer die Risikobewertung vorgenommen hat. Insbesondere muss nicht einmal der beklagte Mitgliedstaat die Risikobewertung durchgeführt haben. Vielmehr reicht es aus, wenn jemand die Risikobewertung vorgenommen hat, etwa – so die Beispiele des Berufungsgremiums – ein anderer Staat als der beklagte Mitgliedstaat oder eine internationale Organisation.470 Alles in allem ist damit für die Streitbeilegungsorgane auch unter den „einfachen“ Beschränkungsverboten des SPS – ähnlich wie unter jenem des Art. 2.2 TBT – jene Bewegungsfreiheit zwischen Autonomiefreundlichkeit und echter „Eingriffsfreude“ erhalten, die die Organe auf dem schmalen Grat zwischen Marktintegration und klassischer Handelsliberalisierung brauchen. Weder haben sich die Streitbeilegungsorgane bisher auf einen außerordentlich marktintegrativ und deregulierend wirkenden Weg festgelegt, noch haben sie ihn ausgeschlossen.

b) Die Beschränkungsverbote im TBT und im SPS mit „normativer Anknüpfung“: Dogmatische Vorgaben zur Rechtfertigbarkeit der Abweichung von internationaler Normung Etwas weniger Bewegungsspielraum zwischen Autonomiefreundlichkeit und Autonomiefeindlichkeit haben die Streitbeilegungsorgane freilich im Hinblick auf die Beschränkungsverbote im TBT und im SPS mit „normativer Anknüpfung“, wie sie sich in den Art. 3.1. und 3.3 SPS sowie in Art. 2.4 TBT finden. Der Gehalt der Beschränkungsverbote kann hier nicht „frei“ nach den Überlegungen der Streitbeilegungsorgane gestaltet werden, sondern orientiert sich maßgeblich an den von den Vorschriften in Bezug genommen internationalen Normen. Freilich gilt dies nur im Hinblick auf den vorgegebenen Gehalt der Norm selbst, nicht aber im Hinblick auf die Rechtfertigung (Notwendigkeit / wisschenschaftliche Begründbarkeit) einer Abweichung von der internationalen Norm. Für letzteres Merkmal besteht Flexibilität in ganz ähnlicher Weise wie oben dargestellt, mit der Maßgabe freilich, dass sie sich bei Art. 2.4 a.E. TBT notwendig aus dieser Vorschrift ergibt, nicht aus der soeben thematisierten Vorschrift des Art. 2.2 S. 2 TBT. Art. 3.3 S. 2 SPS enthält demgegenüber einen Verweis auf „die Bestimmungen dieses Übereinkommens, so dass insoweit auch die bereits thematiserten Art. 2.2, 5.1 und 5.2 SPS Anwendung finden. Das zu ihnen Gesagte gilt hier daher entsprechend. Die Besonderheit der Beschränkungsverbote im TBT und im SPS mit „normativer Anknüpfung“ gegenüber den „einfachen“ Beschränkungsverboten ergibt sich aus dem Umstand, dass sie die Tätigkeit der internationalen Normungsorganisationen in den Vordergrund rücken.471 Insbesondere machen sie deren Normung – da470

Ibid., Rn. 189, 190.

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rauf soll ausdrücklich hingewiesen werden – trotz deren nicht bindenden Charakters der Sache nach mit allen Konsequenzen vor der WTO judizierbar. Zwar müssen nach dem Wortlaut der Art. 2.4 TBT und Art. 3.1 SPS mitgliedstaatliche technische Vorschriften nicht dieser Normung „entsprechen“, sondern lediglich auf Grundlage dieser Normung (Art. 2.4 TBT) bzw. gestützt auf diese (Art. 3.1 SPS) geschaffen worden sein. Dieses Gebot zur Verwendung einer Normung „als Grundlage“ („based on“) kommt in der Streitbeilegungspraxis des Berufungsgremiums trotz dessen entgegenstehender Behauptungen472 einem Kriterium der Normmäßigkeit (also des „Entsprechens“) allerdings sehr nahe. Im Hormonfall hat das Berufungsgremium zunächst zwar abstrakt auf die textualen Unterschiede von „based on“ und „conform with“ hingewiesen und damit festgestellt, was „based on“ aus seiner Sicht nicht bedeuten soll (nämlich „conform with“).473 Interessanterweise hat es in dieser Entscheidung dann aber nicht näher bestimmt, was es denn im Zusammenhang des konkreten Falles unter „based on“ (positiv) verstehe. Erst in dem jüngeren Sardinenfall hat sich das Berufungsgremium im Zusammenhang des Art. 2.4 TBT dazu geäußert, was es positiv im Einzelnen unter „based on“ fasse. Im Einzelnen führte es dazu aus, dass dieses Merkmal mindestens („at a minimum“) die Abwesenheit eines Widerspruchs („contradiction“) zwischen der mitgliedstaatlichen technischen Vorschrift und der internationalen Norm erfordere.474 Hiermit erreicht das Berufungsgremium aber genau das, was es (aus „verfassungs“-politischen Gründen) verständlicherweise ausdrücklich vermeiden will475, nämlich die Transformation der ursprünglich nicht bindenden Norm in Regeln, die ihrer Wirkmächtigkeit nach bindenden völkerrechtlichen Rechtsregeln jedenfalls vergleichbar sind. Denn wenn sich zwei Regeln (eine nicht bindende internationale Norm und eine bindende mitgliedstaatliche technische Vorschrift) im Hinblick auf ein bestimmtes Merkmal „nicht widersprechen“, dann „entsprechen“ sie sich im Hinblick auf dieses Merkmal476. Wenn sie sich insoweit aber gegenseitig „entspre471 Überblick zur Rolle der Arbeiten der CODEX ALIMENTARIUS Kommission für das Recht der WTO etwa bei Sander, Gerald G., Gesundheitsschutz in der WTO – eine neue Bedeutung des Codex Alimentarius im Lebensmittelrecht?, ZeuS 2001, S. 335. 472 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 163; European Communities – Trade Description Of Sardines, Panelbericht vom 29. Mai 2002, WT / DS231 / R, Rn. 242. 473 Ibid. 474 European Communities – Trade Description Of Sardines, Panelbericht vom 29. Mai 2002, WT / DS231 / R, Rn. 248 ff. 475 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 165. 476 Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass das Wort „Entsprechen“ das Gegenteil des Wortes „Widersprechen“ bedeutet und umgekehrt. Wenn dem aber so ist, dann muss daraus folgen, dass die Negation eines dieser Worte genau den Gehalt des jeweils anderen Wortes annehmen muss. „Nicht Entsprechen“ würde danach in diesem Zusammenhang „Widerspre-

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chen“, dann „entspricht“ – im Hinblick auf jenes Merkmal, um das es im Einzelnen gerade geht – sowohl die internationale Norm der technischen Vorschrift als auch umgekehrt die technische Vorschrift der internationalen Norm (Zweiseitigkeit der Entsprechung). Wenn also, wie es das Berufungsgremium im Sardinenfall fordert (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.c)aa)(1)(b) oben), ein Streitbeilegungsorgan der WTO annimmt, dass eine technische Vorschrift auf eine internationale Norm gestützt ist, weil sie zu dieser im Hinblick auf ein bestimmtes Merkmal nicht in Widerspruch steht, dann kann umgekehrt daraus geschlossen werden, dass die technische Vorschrift auf die internationale Norm gestützt ist, weil sie dieser im Hinblick auf dieses bestimmte Merkmal „entspricht“. Dem Verfasser will der Unterschied zwischen einem Kriterium der Normmäßigkeit einer technischen Vorschrift einerseits und der Abwesenheit eines Widerspruchs („contradiction“) zwischen Norm und technischer Vorschrift andererseits daher nicht einleuchten. Es handelt sich allenfalls um einen nominalen Unterschied, nicht um einen effektiven Unterschied. Diese Einschätzung bestätigt sich darin, dass die Umschreibung von „based on“ als „Abwesenheit eines Widerspruchs“ sehr der im Hormonfall vom Berufungsgremium ausdrücklich zurückgewiesenen477 Interpretation des panels ähnelt, nach der eine SPS-Maßnahme dann nicht im Sinne des Art. 3.1 SPS auf die internationale Norm gestützt („based on“) sein sollte, wenn durch sie ein unterschiedliches Maß des Gesundheits- oder Pflanzenschutzes („different level“) erreicht werde.478 Die Unterschiede von „different level“ einerseits (panel im Hormonfall) und „contradiction“ andererseits (Berufungsgremium im Sardinenfall) sind aus Sicht des Verfassers auch bei bestem Willen nicht sinnvoll nachzuvollziehen: Zum einen muss im Falle eines Widerspruchs („contradiction“) zwischen der internationalen Norm und der mitgliedstaatlichen technischen Vorschrift ein unterschiedliches Maß des Gesundheits- oder Pflanzenschutzes („different level“) zwischen beiden erreicht werden, da andernfalls ein Widerspruch zwischen ihnen nicht möglich wäre (Widerspruch setzt Unterschiedlichkeit voraus). Zum anderen aber muss im Fall eines unterschiedlichen Maßes des Gesundheits- oder Pflanzenschutzes („different level“) zwischen der internationalen Norm und der mitgliedstaatlichen technischen Vorschrift umgekehrt auch davon ausgegangen werden, dass zwischen ihnen ein Widerspruch („contradiction“) besteht. Denn bei derartigen Regeln wie einer mitgliedstaatlichen technischen Vorschrift oder einer internationalen Norm geht es im Allgemeinen um Mindestwerte, die eingehalten werden müssen. Unhabhängig ihres Charakters als bindender oder nicht bindender Regel haben beide Arten von chen“ bedeuten, „Nicht Widersprechen“ dasselbe wie „Entsprechen“. Eine Wortbedeutung, die zwischen „Nicht Widersprechen“ und „Entsprechen“ steht, kann sich der Verfasser nicht vorstellen. 477 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 167 f. 478 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 8.72 ff. 17 Duvigneau

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Regeln in deontischen Begriffen daher die Struktur von (je nach Sichtweise) Verboten oder Erlaubnissen.479 Sie stehen ihrer Regelstruktur nach daher in Widerspruch („contradiction“) zueinander, wenn sie ein unterschiedliches Maß des Gesundheits- oder Pflanzenschutzes („different level“) vorschreiben, da dann die eine Regel (etwa die internationale Norm) zulässige Werte erlaubt, die die andere (etwa die mitgliedstaatliche technische Vorschrift) gerade verbietet.480 Auch die Hinweise des Berufungsgremiums auf die Einschlägigkeit eines Teils einer Norm („relevant parts“) als Voraussetzung für das „Nicht-Auf-Diese-NormGegründet-Sein“ hilft an dieser Stelle nicht weiter. Denn die Einschlägigkeit eines Teils einer rechtlichen Vorschrift oder einer nicht bindenden Norm lässt sich nie abstrakt beurteilen, sondern eben immer nur im konkreten Fall, in dem es auf ein bestimmtes Element ankommt – oder eben nicht. Besteht zwischen einer (nicht bindenden) internationalen Norm und einer (bindenden) technischen Vorschrift im Hinblick auf einen relevanten Teil ein „Widerspruch“, so ist im Hinblick auf diesen Teil die technische Vorschrift daher nicht normmäßig. Damit aber hat sich das Berufungsgremium insoweit weitgehend selbst die Hände gebunden. Art. 2.4 TBT und 3.1 SPS bekommen im Unterschied zu den Diskriminierungsverboten einen weitgehend deregulativen und marktintegrativen Charakter. Dieser Umstand ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Relevanz, denn nach dem letzten Satz der erläuternden Bemerkung in Anhang 1.2 zum TBT sind auch ohne Konsens geschaffene Normen „Normen“ im Sinne des TBT. Die Konsequenz dessen ist, dass die WTO-Streitbeilegungsorgane im Rahmen der Prüfung einer Norm das Vorliegen von Konsens nicht weiter prüfen müssen.481 Dies aber führt in seinem praktischen Ergebnis zu der Möglichkeit eines Abweichens vom Konsensprinzip im Bereich der Normung und damit zu Ansätzen einer Föderalisierung, die zwar außerhalb des WTO-Rechts im Rahmen nicht bindender Normung beginnt, durch die Vorschriften des TBT und des SPS in ihrer Judizierbarkeit aber Eingang in das materielle WTO-Recht findet (zu den Konsequenzen im institutionellen Rahmen nähere Einzelheiten Teil E.II.1. unten). Es handelt sich dabei um einen Systembruch im Recht der WTO, dessen Legitimation vor allem 479 Deontische Begriffe sind solche des Gebots, des Verbots und der Erlaubnis. Sie unterscheiden sich in ihrem normativen Gehalt vom Aussagesatz. In Begriffen der Freiheit (in diesem Fall der regulativen Freiheit der Mitgliedstaaten) sind sie zur Bestimmung eines inhaltsneutralen Gehalts daher von besonderer Bedeutung. Vergleiche näher etwa Hilpinen, R. (Hrsg.), Deontic Logic, Introductory and Systematic Readings, Dordrecht, 1971, Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 2. Aufl. 1994, S. 182. 480 Dass hierin zugleich ein „Konflikt“ liegen müsse, behauptet der Verfasser an dieser Stelle ausdrücklich nicht. Denn der Begriff (jedenfalls der enge Begriff) des „Konflikts“ setzt das Bestehen einer Regel voraus, die ein bestimmtes Verhalten verbietet, das eine andere Regel gerade gebietet, also das Zusammentreffen eine Verbotes mit einem Gebot. Dies ist vorliegend freilich nicht zu beobachten. Der Verfasser beschränkt sich hier daher ausdrücklich auf die Feststellung des Vorliegens eines „Widerspruchs“. 481 Einzelheiten European Communities – Trade Description Of Sardines, Panelbericht vom 29. Mai 2002, WT / DS231 / R, Rn. 220 ff.

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dadurch in Frage gestellt ist, dass die Normungsorganisationen, auf deren Normung die Art. 2.4 TBT und 3.1 SPS verweisen, typischerweise keine bindenden Normen verfassen. In Verhandlungen über Normung spielt der Grad der Bindung aber nicht nur für die spätere Beachtung der Norm eine Rolle, sondern auch für den Inhalt: Verhandlungsführer werden in der Regel zu ganz anderen Gehalten bereit sein, wenn sie wissen, dass diese Gehalte nicht bindend sind („cheap talk“-Argument, vorgetragen etwa von der Union im Hormonfall482). Die Übernahme nicht bindender Normen in ein System bindender Rechtsregeln geschieht dann ihrerseits durch andere Funktionsträger als durch diejenigen, die die Normen verhandelt haben, so dass insoweit „bindende“ Normen entstehen können, die die Experten als bindende Rechtsregeln so gegebenenfalls gerade nicht gewollt haben (vgl. allerdings Anhang A 3 d zum SPS, nach dem die Offenheit der Mitgliedschaft durch den SPS-Ausschuss im Konsensverfahren (Art. 12 Abs. 1 SPS) festgestellt werden muss – eine Vorschrift, die im TBT-Übereinkommen allerdings fehlt, weshalb sich das Problem im Rahmen des TBT tatsächlich stellt). Die Legitimation wird ferner schließlich dadurch in Frage gestellt, dass die Normungsorganisationen eine andere Mitgliedschaft haben als die WTO selbst:483 Zum einen handelt es sich um internationale (Regierungs-)Normungsorganisationen und -kommissionen, deren Mitglieder, wie etwa im Fall der Kommission des CODEX ALIMENTARIUS, zwar Staaten sind, diese sich jedoch gegebenfalls nicht vollständig mit der WTO-Mitgliedschaft decken.484 Zum anderen aber – und dies ist in der Praxis schwerwiegender – handelt es sich bei den Normungsorganisationen auch um internationale Nichtregierungsorganisationen (INGO’s) wie etwa die International Organization of Standardization (ISO) und die International Electrotechnical Commission (IEC) (vgl. insbesondere die Hinweis in Anhang 1 des TBT auf den ISO / IEC Leitfaden). Mit der Ratifikation des TBT-Übereinkommens haben sich die WTO-Mitgliedstaaten daher nicht nur an solche Normen „gebunden“, an deren Zustandekommen gegebenenfalls einzelne WTO-Mitgliedstaaten nicht beteiligt waren. Sie haben sich darüber hinaus auch an Normen „gebunden“, an deren Zustandekommen die WTO-Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit nicht beteiligt waren, die also außerhalb überkommener staatlicher Legitimationsstrukturen entstanden sind485. Die lediglich „paketweise“ Übernahme dieser Nor482 European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Panelbericht vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA, Rn. 4.87. 483 Zu diesem Problem ähnlich Stewart, Terence P. und David S. Johanson, The SPS Agreement of the World Trade Organization and International Organizations: The Roles of the Codex Alimentarius Commission, the International Plant Protection Convention, and the International Office of Epizootics, in: 26 Syracuse Journal of International Law and Commerce 1998 / 1999, S. 27. 484 Im Hormon- sowie im Sardinenfall handelte es sich bei dem herangezogenen Standard um einen solchen des CODEX ALIMENTARIUS, der seiner Natur und Struktur nach als gemeinsames Kommitte von FAO und WHO den Legitimationwegen einer internationalen Regierungsorganisation folgt (über die „Mitgliedstaaten“). Einzelheiten zum CODEX im Internet: www.codexalimentarius.net (Seitenaufruf vom 16. Oktober 2003.

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men in das WTO-System kann das dadurch entstehende Defizit demokratischer Legitimation nur in einem geringen Maße ausgleichen. Besondere Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang zudem, dass der Art. 2.4 TBT nicht nur von (zum Zeitpunkt des Abschlusses der WTO-Übereinkommen) bereits existierenden Normen spricht, sondern darüber hinaus auch von solchen, „deren Fertigstellung unmittelbar bevorsteht“. Der Verfasser will diese Kritik allerdings nicht als demokratietheoretische Fundamentalkritik verstanden wissen (vgl. aber nähere Einzelheiten Teil E.II.1. unten). Lediglich will er darauf hinweisen, dass hier neue Wege der Legitimationsvermittlung beschritten werden. Dies ist kein WTO-Spezifikum. In der komplexen Welt von heute ist die immer stärker stattfindende Experteneinbindung vielmehr ein Zug der Zeit. Er findet seine innerstaatliche Parallele in der Übernahme von Expertise und zum Teil sogar kompletten Regelungskonzepten „von außen“ in die gesetzgebenden Organe hinein. Das Ausschusswesen etwa trägt Ansätze in diese Richtung. Selbst mitgliedstaatliche Gerichtsentscheidungen basieren, soweit sie komplizierte technische Probleme zum Gegenstand haben, auf der Übernahme der Expertise von Sachverständigen, die an sich außerhalb des Gerichts stehen. Der Verfasser hält diese Tendenz nicht notwendig für falsch. Angesichts des begrenzten menschlichen Wissensschatzes und der immer stärkeren zeit- und aufwandsökonomischen Prägung staatlicher Entscheidungen ist sie vielmehr eine „natürliche“ Reaktion auf die wachsende Komplexität der modernen Welt. Sie ist zeitgemäß. Wegen des Beharrungsvermögens der „klassischen“ Demokratieidee soll an dieser Stelle dennoch auf diesen Problemzusammenhang des Regierens in einer komplexen Welt hingewiesen werden. Gegenüber der WTO-Streitbeilegungspraxis wurde bislang noch keine größere Kritik geäußert. Dies mag sich allerdings ändern, sobald in einem WTO-Streitbeilegungsfall die ISO / IEC-Standards zum Maßstab streitbeilegenden Entscheidens herangezogen werden.

5. Prozedurale und strategische Überlegungen Die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen sind zweifelsfrei neben den Diskriminierungsverboten des Art. III GATT anwendbar, da sie, ähnlich wie die Diskriminierungsverbote des GATT, ihren Geltungsanspruch jeweils in sich tragen. Eine Sperrwirkung durch die Diskriminierungsverbote des Art. III GATT kann nicht angenommen werden.486 Insbesondere greift keine Vorrangregel ein. Das 485 Die Einbeziehung der Normen von demokratisch schwer legitimierbaren Nichtregierungsorganisationen birgt die Gefahr in sich, dass die positive Freiheit zur regulativen Gestaltung nicht nur „aus dem Markt heraus“ ausgeübt wird, sondern zudem auch noch von einseitig ausgewählten Marktteilnehmern (vgl. etwa die Mitgliedschaft der ISO, www.iso.ch); für Deuschland allerdings relativ ausgewogen das DIN (http: //www2.din.de). 486 Eine derartige Sperrwirkung von Vorschriften, die ein bestimmtes Verhalten erlauben, liegt in anderen Bereichen demgegenüber durchaus nahe und wird mittlerweile auch dis-

II. Autonomie unter dem TBT und dem SPS: Marktintegratives Potenzial

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WTO / GATT-Recht enthält hinsichtlich des Verhältnisses der Seitenabkommen zum GATT neben verschiedenen gesetzlichen Fiktionen487 zwar die allgemeine Auslegungsregel zu Anhang 1 A. Diese allgemeine Vorrangregel erklärt aber allenfalls die Seitenabkommen für vorrangig, nicht das GATT, so dass es auf das Vorliegen ihrer Voraussetzungen (Widerspruch zwischen dem GATT und den Seitenabkommen) nicht ankommt. Auch Überlegungen unter dem Gesichtspunkt der Spezialität wurden sinnvollerweise bisher immer nur dahin diskutiert, ob die Seitenabkommen über Art. 3 Abs. 2 DSU gegebenenfalls als leges speziales das GATT verdrängen können488, nicht aber umgekehrt. Das konkret nachweisbare Integrationspotenzial der Seitenabkommen lässt sich daher nur unter Schwierigkeiten durch prozedurale Überlegungen einschränken. Umso bedeutsamer ist eine genaue Auflösung darüber, in welchen Fällen es für einen Mitgliedstaat sinnvoll ist, gegen marktregulative Maßnahmen im Rahmen der Befassung der WTO-Streitbeilegung vorzugehen489: Eine klagende Partei wird prozessbezogene marktregulative Grenzmaßnahmen im Zweifel weiter über den Weg des Art. XI GATT angreifen wollen statt über die Vorschriften der Seitenabkommen, da sie auf diesem Wege weder eine protektionistische Diskriminierung noch das Fehlen einer Rechtfertigung nach Art. XX GATT nachweisen muss und zudem die Rechtfertigungsgründe des Art. XX GATT begrenzter Natur sind.490 kutiert, so etwa im Vergleich der unterschiedlichen Erlaubnistatbestände jeweils miteinander (z. B. im Verhältnis des abschließenden und damit engen Art. XX GATT gegenüber dem offenen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 TBT), vgl dazu etwa Pauwelyn, Joost, Cross-Agreement Complaints Before the Appelate Body: A Case Study for the EC-Asbestos Dispute, 1 World Trade Review 2002, S. 63, 75. 487 Die in Art. 2 Abs. 4 SPS und Art. 3 Abs. 2 SPS niedergelegten Fiktionen der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme unter dem GATT begründet freilich keine Vorrangregel. Allerdings führt eine solche Fiktion, soweit sie reicht, zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie eine Vorrangregel, in diesem Fall namentlich zur GATT-Rechtmäßigkeit. Anders liegt es im Fall der Vermutung des Art. 2 Abs. 5 S. 2 TBT, da hier nicht die GATT-Rechtmäßigkeit vermutet wird, sondern lediglich die Abwesenheit eines unnötigen Handelshemmnisses. Angesichts der Ausführungen im zweiten Teil dieses Beitrages, nach denen diskriminierendes Handeln immer handelsbeschränkend wirkt, wird auch eine solche Vermutung im Einzelfall aber wohl kaum mit der Feststellung eines GATT-Verstoßes einhergehen können. Echte Vorrangregeln finden sich in den Seitenabkommen lediglich zum Verhältnis dieser Abkommen jeweils zueinander, namentlich in Art. 1 Abs. 4 SPS in Kombination mit Art. 1.5 TBT, die die Vorrangigkeit des SPS gegenüber dem TBT anorden. 488 Marceau, Gabrielle und Joel P. Trachtman, The Technical Barriers to Trade Agreement, the Sanitary and Phytosanitary Measures Agreement, and the General Agreement on Tarriffs and Trade. A Map of the World Trade Organization Law of Domestic Regulation of Goods, 36 JWT 2002, S. 811, 869 m. w. N. Derartige Versuche, den Begriff der Spezialität zu definieren, sind angesichts der hohen Abstraktheit des Begriffs „Spezialität“ in der Regel ohnehin darauf zurückgeworfen, als Voraussetzung für diesen Begriff ihrerseits Begriffe wie „speziell“ oder „spezifisch“ zu verwenden. Beispiel bei Marceau und Trachtman, ibid.: „The object of such a rule is that when a subject matter is dealt with in specific terms by a (set of) provision(s), the general rule [ . . . ]“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 489 Auch diese Analyse kann vorliegend nicht vertieft vorgenommen werden, folgt aber in einem weiteren Beitrag.

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C. Autonomie unter dem materiellen WTO / GATT-Recht

Produktbezogene marktregulative Marktzugangsbeschränkungen und marktregulative Maßnahmen hinter der Grenze wird eine klagende Partei demgegenüber unter den Vorschriften des TBT und SPS angreifen wollen, wenn sie Schwierigkeiten hat, das Vorliegen einer de facto-Diskriminierung unter Art. III GATT nachzuweisen.491 Ist sie allerdings zudem in Beweisnot hinsichtlich der fehlenden Notwendigkeit der Maßnahme (unter dem TBT also der Nichtnotwendigkeit) oder der nicht hinreichenden wissenschaftlichen Begründung (unter dem SPS also des Nichthinreichendseins der Begründung)492, wird sie demgegenüber die Seitenabkommen und den Art. III GATT nutzen wollen493. In diesem Fall läuft sie Gefahr, dass ihre Klage erfolglos bleibt, wenn sie weder das von Art. III GATT geforderte protektionistisch diskriminierende Verhalten noch das von den Seitenabkommen geforderte Fehlen einer Notwendigkeit beziehungsweise einer wissenschaftlichen Begründung prima facie nachweisen kann. In der Notwendigkeit, eines dieser beiden Elemente (entweder eine protektionistische Diskriminierung oder das Fehlen einer Notwendigkeit beziehungsweise wissenschaftlichen Begründetheit) nachweisen zu müssen, schlägt sich die beobachtbare Tendenz der Streitbeilegungsorgane nieder, marktintegrativ wirkende Entscheidungen aus Gründen ihrer Legitimation so weit wie möglich zu vermeiden.494 490 Dies gilt freilich nur, solange das dictum des Berufungsgremiums zur Ungleichbehandlung im Asbestfall (Rn. 100) nicht ausdrücklich auf die Anmerkung zu Art. III ausgedehnt wird und dadurch die Anwendung des Art. XI GATT auf gleichbehandelnde prozessbezogene Grenzmaßnahmen sperrt. 491 Es sei an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben, dass das Berufungsgremium in seiner Asbestentscheidung mit dem Erfordernis der wertenden Prüfung der border tax adjustment-Kriterien (Teil C.I.2.b)aa)) in praxi auch die Beweislast der klagenden Streitpartei erheblich verschärft hat. Denn mit dem Erfordernis des panels, das Beweismaterial vollständig zu würdigen (im Bericht des Berufungsgremiums taucht mindesten fünf mal „all of the evidence“ auf, vgl. Rn. 102, 103, 109, 113, 118) geht für die klagende Partei naturgemäß das Erfordernis einher, für jede Voraussetzung auch das vollständige Beweismaterial vorzulegen. Die praktische Bedeutung dessen kann kaum unterschätzt werden. Sie wird schon im Asbestfall in Rn. 136 ff. unmittelbar deutlich, in denen das Berufungsgremium nicht die Gleichartigkeitskriterien selbst konkretisiert, sondern lediglich deren fehlenden Nachweis feststellt (Einzelheiten C.I.2.c)aa)(2)(c)). 492 In diesen Fällen liegt die Last für den prima facie-Beweis für das Vorliegen der Voraussetzungen anders als im Fall des Art. XX GATT bekanntlich bei der klagenden, nicht bei der beklagten Partei, vgl. European Communities – Measures Concerning Meat And Meat Products (Hormones), Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R, Rn. 102 ff.; Australia – Measures Affecting Importation Of Salmon, Bericht des Berufungsgremiums vom 20. Oktober 1998, WT / DS18 / AB / R, Rn. 257 ff.; Japan – Measures Affecting Agricultural Products, Bericht des Berufungsgremiums vom 22. Februar 1999, WT / DS76 / AB / R, Rn. 118 ff.; European Communities – Trade Description Of Sardines, Bericht des Berufungsgremiums vom 26. September 2002, WT / DS231 / AB / R, Rn. 272 ff. 493 Zu beachten ist allerdings auch die Offenheit der Liste in Art. 2.2.3 TBT: „unter anderem“. 494 Manche Beobachter verdichten diese Tendenz sogar schon zu einem „interpretativen Prinzip“, vgl etwa Bloche, M. Gregg, WTO Deference to National Health Policy, Toward an Interpretive Principle, 5 JIEL 2002, S. 825.

III. Zwischenbemerkung

263

Gelingt es einem klagenden Mitgliedstaat nicht, wenigstens eines dieser Elemente hinreichend nachzuweisen, wirkt sich das Bemühen des Berufungsgremiums um den Schutz mitgliedstaatlicher Autonomie tatsächlich aus. Ist ein Mitgliedstaat im Rahmen seiner Prüfung im Sinne des Art. 3 Abs. 7 S. 1 DSU demgegenüber davon überzeugt, dass er das Fehlen der Notwendigkeit beziehungsweise der wissenschaftlichen Begründung nachweisen kann, werden die Streitbeilegungsorgane (wie im Hormonfall) um den Erlass marktintegrativ wirkender Entscheidungen trotz allen Bemühens gegebenenfalls nicht herumkommen. Es ist diese Einsicht, die die These stützt, dass sich das WTO / GATT-Recht mit den Seitenabkommen früher oder später auch faktisch in den Bereich der Marktintegration hineinbewegen kann.

III. Zwischenbemerkung Die WTO-Streitbeilegungsorgane haben unter Art. III GATT entgegen zum Teil heftiger Kritik bis heute intuitiv (fast) immer richtig entschieden. Allerdings fehlt ihnen für ihre richtigen Ergebnisse überwiegend die richtige Begründung. Erstaunlicherweise ist trotz der nun immerhin über fünf Jahrzehnte währenden ständigen Streitbeilegungstätigkeit unter Art. III GATT die Dogmatik gerade im Hinblick auf das alles entscheidende Merkmal der protektionistischen Ungleichbehandlung bis heute weitgehend ungeklärt. Statt die dogmatischen Grundlagen für die nähere Bestimmung der Grenzen der Diskriminierungstatbestände des Art. III GATT endlich fruchtbar zu machen, beschäftigt sich die Streitbeilegung weiter fast ausschließlich mit dem zwar wichtigen, dogmatisch aber eigentlich gar nicht entscheidenden Merkmal der Gleichartigkeit der behauptetermaßen ungleich behandelten Waren. Dieser Schwerpunkt auf dem Kriterium der Gleichartigkeit („like product“) hat dazu geführt, dass auch in der Expertenwelt der intellektuelle Fokus im Rahmen der Prüfungen des Art. III GATT allein auf die Gleichartigkeitsprüfung gelegt wurde. Matsushita, Schoenbaum und Mavroidis werden in der welthandelsrechtlichen Literatur kaum Widerspruch ernten, wenn sie noch heute – acht Jahre nach Gründung der WTO – in ihrem Überblick zum WTO-Recht behaupten: „The „like product“ determination is one of the thorniest in GATT / WTO jurisprudence.“495 Man kann den Autoren wahrlich nicht fehlende Erfahrung unterstellen. Und ihre Feststellung hat in vielerlei Hinsicht ja auch tatsächlich ihre Rechtfertigung: Die Streitbeilegungspraxis hat sich über die Jahrzehnte tatsächlich immer wieder vorrangig mit der Frage der Gleichartigkeit beschäftigt.496 Diese Schwerpunktsetzung auf 495 Matsushita, Mitsuo, Thomas J. Schoenbaum und Petros C. Mavroidis, The World Trade Organization: law, practice, and policy, Oxford u. a.: Oxford Univ. Press, 2003, S. 158. 496 Auch ganz neuerdings ist wiederum ein beachtenswerter Beitrag zur Gleichartigkeitsprüfung erschienen Choi, Won-Mog, ,Like Products’ in International Trade Law – Towards a Consistent GATT / WTO Jurisprudence, OUP, vom 3. Juli 2003; ähnlich bereits Tsai,

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C. Autonomie unter dem materiellen WTO / GATT-Recht

der Ebene der Gleichartigkeitsprüfung konnte sie sich aber nur deshalb leisten, weil die ihr zur Entscheidung unterbreiteten Maßnahmen bis in die Mitte der 90er Jahre hinein (eigentlich bis zum Hormonfall) tatsächlich ungleichbehandelnder Art waren. Dass die Grenzen des Art. III GATT aus dem behandlungsbezogenen Merkmal bis zum Hormonfall so gut wie keine Rolle spielten, lag vorwiegend daran, dass die Mitgliedstaaten diese Grenzen nicht herausgefordert haben. Alles in allem waren sie sehr zurückhaltend damit, nicht-diskriminierende Regelungen anderer Mitgliedstaaten / Vertragsparteien anzugreifen. Hätten sie in größerer Zahl auch eindeutig nicht-diskriminierende Regelungen angegriffen, so hätte auch die dogmatische Schwerpunktsetzung der Streitbeilegungsorgane aller Voraussicht nach einen anderen Verlauf genommen. Aus den vorangegangenen Überlegungen wird aber auch deutlich, dass die Streitbeilegungsorgane unter Art. III GATT schon aus dogmatischen Gründen marktintegrativ motivierten Klagen entgegentreten sollten. Unter den Seitenabkommen müssen sie je nach Lage des Falles demgegenüber gegebenenfalls (wie im Hormonfall) marktintegrativ entscheiden. Unter den „einfachen Beschränkungsverboten im TBT und SPS haben sich die Streitbeilegungsorgane ein recht hohes Maß der Bewegungsfreiheit in alle Richtungen erhalten. Bei den Beschränkungsverboten im TBT und SPS mit „normativer Anknüpfung“ besteht demgegenüber mittlerweile ein hohes Maß an Orientierung an den Gehalten der von den Vorschriften in Bezug genommenen internationalen Norm. Aus der Analyse der bisherigen Streitfälle wird deutlich, dass das Berufungsgremium zu Eingriffen in die Autonomie der Mitgliedstaaten unter den Seitenabkommen offenbar jedenfalls dann bereit ist, wenn – wie im Hormonfall – eine gewisse normative Verdichtung im zwischenstaatlichen Zusammenhang zu beobachten ist, die Anhaltspunkte dafür liefert, dass die Freiheit des Handels den von den Mitgliedstaaten bezweckten Gesundheits- oder Pflanzenschutz nach dem politischen Willen der Mitgliedstaaten überwiegt. Diese Anhaltspunkte sind insbesondere dann erkennbar, wenn in internationaler Normung Vorgaben festgelegt worden sind, die deutliche Hinweise dafür liefern, dass die Streitparteien jedenfalls abstrakt einen gemeinsamen Willen dazu haben, entsprechende Vorgaben normativ zu verdichten. Allerdings muss angesichts des Umstandes, dass derartige Verdichtungen in einem nicht-bindenden Zusammenhang entstanden sind, Vorsicht herrschen. Denn es ist möglich, dass ein Mitgliedstaat nicht-bindenden Normen zustimmt, im konkreten Fall sein Verhalten nach diesen aber nicht ausrichtet. Der Hormonfall ist hierfür ein ausgeprägtes Beispiel. Fehlt demgegenüber, wie etwa im Asbestfall, eine derartige normative Verdichtung, schrecken die Streitbeilegungsorgane vor marktintegrativen Entscheidungen eher zurück. Diese Schlussfolgerung ist allerdings „auf dünnem Eis“ gebaut, da es bislang viel zu wenig Entscheidungen gibt, die sie verdichten könnten. Im heutigen EntEdward S., „Like“ is a Four-Letter Word – GATT Article III’s „Like Product“ Conundrum, 17 Berkeley J.Int’l. L. 1999, S. 26.

III. Zwischenbemerkung

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scheidungsbestand sieht der Verfasser aber erste Ansätze in diese Richtung, deren weitere Entwicklung freilich völlig offen ist. Trotz dieser ersten Ansätze herrscht bis heute damit ein hohes Maß an Unsicherheit darüber, inwieweit die Streitbeilegungsorgane über die Anwendung der Beschränkungsverbote der Seitenabkommen in die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten eingreifen werden oder eingreifen sollen. Früher oder später werden sie aber zum marktintegrativen Potenzial der Seitenabkommen in die eine oder andere Richtung substanziell Stellung beziehen müssen. Bereits im Asbestverfahren hätten sie substanziell Stellung beziehen müssen, statt den Fall mit fadenscheinigen Erwägungen und in dogmatisch fragwürdiger Weise abschließend anhand des Art. III GATT statt des Art. 2.2 TBT zu entscheiden. Auch im GMO-Fall, der die Streitbeilegungsorgane gegenwärtig beschäftigt, müssen sie näher Stellung nehmen, da dieser Fall unter dem SPS zu entscheiden ist, nicht unter Art. III GATT. Insoweit sollten die Streitbeilegungsorgane die Herausforderung aktiv annehmen und substanzielle Leitlinien entwickeln, nach denen sie die gegenwärtigen und vor allem zukünftigen Streitverfahren zu entscheiden gedenken. Bevor im Schlusskapitel hierzu substanziell Stellung genommen wird, soll im Anschluss zunächst über die institutionelle Verdichtung weiter nachgedacht werden.

D. Zustand „relativer Verdichtung“ der WTO-Streitbeilegung: Wettbewerbsgleichheit und Deregulierung im Geflecht voranschreitender Institutionalisierung Die Verdichtung, die das Welthandelsrecht auf dem Weg vom GATT 1947 zur WTO genommen hat, hat nicht nur normativ-materielle Züge, sondern auch eine ausgeprägt prozedural-faktische Dimension. Normativ folgt das Maß des rechtlich erlaubten Handelns aus dem Gehalt der Normen, mittels derer die Autonomie im Handeln beschränkt wird. Faktisch allerdings folgt das Maß an Selbstbeschränkung demgegenüber nicht dem Gehalt der Normen selbst, sondern der Möglichkeit, diese gegebenenfalls auch gegen den Willen eines Mitgliedstaates durchzusetzen. Erst in der Kombination normativer und faktischer, d. h. normativ geleiteter tatsächlicher Begrenzung der Autonomie (normativ-faktische Begrenzung) liegt der Schlüssel für eine Beurteilung nicht nur des „Verfasstheitsgrades“ der rechtlichen Regeln, sondern insbesondere auch des Bedürfnisses der Legitimation der nach ihnen getroffenen Entscheidungen. Denn nur die normativ geleitete tatsächliche Einschränkung der Entscheidungsgewalt der Mitgliedstaaten wirft die Fragen WTO-rechtlicher Legitimation überhaupt auf. Nur wenn die Mitgliedstaaten wegen ihrer WTO-rechtlichen Bindungen auch faktisch nicht mehr in der Lage sind, in freier Wahl eigenständige Politikziele konkret zu formulieren und tatsächlich umzusetzen, ist die Legitimationsfrage tatsächlich gestellt. Es ist mithin erst die Wirkmacht der Regeln, die den Kern des so oft beschworenen Verfassungsparadigmas bildet. Unabhängig davon, ob man insoweit nun eine strikte Anwendung der Regeln1, eine allgemeine Orientierung an den Regeln2 oder eine Indienststellung der Regeln in die Kosten-Nutzen-Rechnungen der Staaten3 1 Grundlegend Petersmann, Ernst-Ulrich, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, Fribourg: Fribourg University Press, 1991. Die bisher überzeugenste Kritik an dieser aufgeladenen und Individualwirksamkeit fordernden Konstitutionalisierungsthese findet sich bei Howse, Robert und Kalypso Nicolaidis, Legitimacy and Global Governance: Why Constitutionalizing the WTO is a Step too Far, in: Sauvé, Pierre und Roger B. Porter (Hrsg.), Efficiency, Equity and Legitimacy: The Multilateral Trading System at the Millenium, Washington D.C.: Brookings Institution Press, 1999, S. 125. 2 Grundlegend Jackson, John H., The Crumbling Institutions of the Liberal Trade System, 12 JWTL 1978, S. 93; ferner etwa ders., The World Trade Organization: Constitution and Jurisprudence, London: Pinter, 1998, S. 97 ff. 3 Grundlegend etwa Hauser, Heinz und Alexander Roitinger, A Renegotiation Perspective on Transatlantic Trade Disputes, University of St. Gallen, Department of Economics, April 2002 Discussion Paper no. 2002 – 09, S. 13 ff. m. w. N. (www.fgn.unisg.ch/public/public. htm).

D. Autonomie im Geflecht voranschreitender Institutionalisierung

267

zum normativen Leitbild erhebt, so ist doch unbestreitbar, dass es hier nicht lediglich um „rechtliche“ Fragen des Welthandelsrechts geht, sondern ihrer Art nach auch um grundlegende und in diesem Sinne vielleicht sogar um „konstitutionelle“ Fragen des Welthandelsrechts. 4 Das in Teil C. oben diskutierte materiell-rechtliche Problem ist mithin ein wichtiges Element im „Konstitutionalisierungsprozess“ der WTO. Der Begriff eines Konstitutionalisierungsprozesses mag insoweit allerdings etwas beladen sein. Die wissenschaftliche Diskussion um die WTO als einer „Verfassung“ des Welthandels5 lässt die WTO zuweilen verdichteter erscheinen, als sie tatsächlich ist. Folgt der Beobachter der Diskussion, fühlt er sich fast unweigerlich in die Situation von Jim Knopf und Lukas versetzt, die auf ihrer Reise durch die Wüste dem Riesen Tur Tur begegnen, der, je näher sie ihm kommen, immer kleiner wird und sich am Ende als Mensch ganz normaler Größe, mithin als Scheinriese, entpuppt.6 Nähert man sich dem Recht der WTO durch dessen positive Analyse, erscheint auch die WTO nicht als in besonderer Weise „verfasste Organisation“, sondern als eine „ganz normale“ internationale Organisation, gegründet durch einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, dessen Adressaten die Mitgliedstaaten sind. Ihre rechtlichen Besonderheiten haben die WTO entgegen dem mittlerweile immer stärker um sich greifenden Verständnis nicht dem Verfassungsparadigma zuwachsen lassen. Weder hat das WTO-Recht unmittelbare Wirkungen, noch kann es sich anderweitig auf die Durchsetzungsmechanismen in den Mitgliedstaaten stützen. Zwar kann der Streitbeilegungsmechanismus die fehlende Wirkmächtigkeit in gewisser Weise kompensieren. Die Kompensationsfähigkeit ist bei näherem Hinsehen aber doch viel geringer, als man zunächst vermuten mag. Verfassungsqualität in einem aufgeladenen Sinne kommt der WTO trotz ihrer zunehmend substanz- und werthaften Entscheidungstätigkeit heute daher nicht zu.7 4 Am Beispiel der Rechtsprechung des EuGH zu den Wirkungen des WTO-Rechts im Unionsrecht entwickelt etwa Steve Peers die Unterscheidung zwischen „rechtlichen“ und „konstitutionellen“ Argumenten über die Rolle des Welthandelsrechts, wobei „rechtliche Argumente“ Fragen der dogmatischen Begründung betreffen sollen, „konstitutionelle Argumente“ hingegen Fragen der fundamental-politischen Bedeutung liberaler Handelsrechtsregeln für moderne Volkswirtschaften, vgl. Peers, Steve, Fundamental Right or Political Whim? WTO Law and the European Court of Justice, in: De Burca, Gráinne und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Hart Publishing, 2001, S. 111, 112. 5 Vgl. die Beiträge von Cass, Deborah Z., The „Constitutionalization“ of International Trade Law: Judicial Norm-Generation as the Engine of Constitutional Development in International Trade, in 12(1) EJIL 2001, S. 39; ferner die Beiträge in de Burca, Gráinne und Joanne Scott, The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Hart Publishing, 2001; Evans, Gail E., Lawmaking under the Trade Constitution, Den Haag, Kluwer, 2000; MacGinnis, John O. und Mark L. Movsesian, The World Trade Constitution, 114 Harv. Law Rev. 2000; Langer, Stefan, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung – Strukturprinzipien, Typik und Perspektiven anhand von Europäischer Union und Welthandelsorganisation, München: Beck, 1995. 6 Ende, Michael, Kim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, Stuttgart, Thinemann, 1990, S. 126 ff.

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D. Autonomie im Geflecht voranschreitender Institutionalisierung

Dennoch lässt sich eine materielle wie auch institutionelle Verdichtung angesichts der beschriebenen Ansätze nicht vollkommen abweisen. Insoweit steht das hier aufgeworfene Problem ganz im Zeichen der, wenn auch nur langsam und graduell stattfindenen, so doch unbestreitbar beobachtbaren Verdichtung der Völkerrechtsordnung insgesamt. Es häufen sich mittlerweile die Konzepte etwa eines „internationalen Verfassungsrechts“8, eines „kommunitären Völkerrechts“9 oder auch einer „Konstitutionalisierung des Völkerrechts“10. So unterschiedlich die Konzepte in ihren Einzelheiten auch sein mögen, so sehr eint sie doch der Dualismus in ihrer Struktur: Immer geht es um ein Neben- und Miteinander voranschreitender Materialisierung und Institutionalisierung des zwischenstaatlichen Rechts.11 Diese beobachtbare Zweigleisigkeit von Materialisierung und Prozeduralisierung wird durch Komplementärkonzepte einer „Internationalisierung des Verfassungsrechts“ oder der „Öffnung des Verfassungsstaates nach außen“12 ergänzt. Beobachtbar ist dabei insbesondere ein Konvergenzphänomen, das im Wesentlichen aus der gegenseitigen Aufeinanderzubewegung nationaler und internationaler Werteordnungen besteht. Mit der Öffnung nach außen werden überkommene nationalstaatliche Wertevorstellungen von außen durchdrungen, so dass zum Teil Auflösungs- oder Neuordnungstendenzen in den Werteordnungen der Mitgliedstaaten entstehen. Umgekehrt verdichten die konstitutionellen Ordnungen der Staaten die herkömmlicherweise zwischen ihnen bestehende weitgehend formale Normativität des Völkerrechts hin zu einer substanzhaften Normativität. Das zwischenstaatliche Recht nimmt aus den konstitutionellen Ordnungen der Staaten Wertungen in sich auf, die sich in ihrer Substanzhaftigkeit innerstaatlichen Vorgaben annähern. In der WTO 7 Näher dazu Nettesheim, Martin,Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung. Zur Entwicklung der Ordnungsformen des internationalen Wirtschaftsfrage, in: Classen u. a. (Hrsg.), Liber Amicorum Thomas Oppermann, Tübingen, 2001, S. 381. Im WTO-Recht, einem Bereich des Völkervertragsrechts, fehlen nicht zuletzt erga omnes partes Pflichten, also jene Pflichten, die im Zentrum der Diskussion um die werthaften Verdichtung des Völkerrecht stehen. Auf diesen Gesichtspunkt weist etwa Pauwelyn hin, in dem er, wenn auch etwas umständlich, nachweist, dass WTO-Pflichten reziproke (ggf. bilaterale) Vertragspflichten seien, vgl. Pauwelyn, Joost, The Nature of WTO Obligations, Jean Monnet Working Paper 1 / 02, zu finden im Internet unter www.jeanmonnetprogram.org. Etwas unklar im Hinblick auf den „Mehwert“ der Verwendung des Verfassungsbegriffs im Zusammenhnag des Welthandelsrechts demgegenüber Maduro, Miguel Poiares, The Constitution of the Global Market, in: Snyder, Francis, Regional and Global Regulation of International Trade, Oxford: Hart 2002, S. 49. 8 Überblicksartig Uerpmann, Robert, Internationales Verfassungsrecht, 65 JZ 2001, S. 565. 9 Nettesheim, Martin, Das kommunitäre Völkerrecht, 57 JZ 2002, S. 569. 10 Frowein, Jochen A., Die Konstitutionalisierung des Völkerrechts, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 39, 2000. S. 427. 11 Näher etwa Duvigneau, Johann L., Die Konstitutionalisierung des WTO-Rechts, 56 Aussenwirtschaft 2001, S. 295, 306. 12 Di Fabio, Udo, Das Recht offener Staaten: Grundlinien einer Staats- und Rechtstheorie, Tübingen: Mohr Siebeck, 1998; ders., Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, Tübingen: Mohr Siebeck, 2001; Hobe, Stephan, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, Berlin: Duncker und Humblot, 1998.

D. Autonomie im Geflecht voranschreitender Institutionalisierung

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treten beide Wirkrichtungen substanzieller Verdichtung unmittelbar zu Tage. In Fällen wie dem Hormonfall oder auch dem aktuellen Biotechnologiefall wird sowohl der „Wertedruck“ von außen auf den einzelnen Mitgliedstaat als auch die Substanzverdichtung der internationalen Ordnung selbst, über die dieser Wertedruck vermittelt wird, unmittelbar deutlich. Nur vordergründig geht es hier um formale Anforderungen etwa einer „Wissenschaftlichkeit“ der Begründung einer Maßnahme. In der Sache handelt es sich vielmehr um substanzhaftes Entscheiden und Bewerten, also um eine Abwägung zwischen dem Wert des Gesundheitsschutzes und dem des freien Handels.13 Angesichts der Fortentwicklung des materiellen WTO / GATT-Rechts in den Bereich der Marktintegration hinein fragt es sich, wie weit der Streitbeilegungsmechanismus die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten über die Effektivierung der beschriebenen Beschränkungsverbote tatsächlich einzuschränken vermag.14 Im folgenden Kapitel soll daher ein kurzer Blick auf die normativ geleitete Allokation tatsächlicher Entscheidungsmacht gegenüber den WTO-Mitgliedstaaten geworfen werden.15 Dabei soll vor allem der bisher nur „halbe“ Weg der WTO aus dem Paradigma der Diplomatie in das Paradigma des rechtlich-verfassten Systems sichtbar werden. Zwar hat, wie gerade angedeutet, ein Verdichtungsprozess gegenüber dem GATT 1947 tatsächlich stattgefunden, der angesichts der schwachen Durchsetzungsstrukturen des Völkerrechts als wichtiger Schritt in Richtung echter institutioneller Verdichtung gewertet werden kann. Wegen der noch immer bestehenden Schwächen im Sanktionsmechanismus geht diese institutionelle Verdichtung aber doch bei weitem nicht so weit, wie von vielen Beobachtern zunächst vermutet wurde (Teil D.I. unten). In der Abwesenheit stark verfestigender Elemente wird dieser Umstand besonders deutlich (Teil D.II.). Nach Meinung des Verfassers wird die WTO daher nicht durch die Brille der Staats- und Verfassungslehre, sondern am ehesten in einem Bild der „relativen Verdichtung“ lebendig (Teil D.III. unten).

13 Vertiefend in diese Richtung etwa Howse, Robert, Democracy, Science und Free Trade: Risk Regulation on Trial at the World Trade Organization, 98 Michigan law review 2000, S. 2329. 14 Für die oben herausgearbeitete Ausgestaltung des Art. III GATT ist die institutionelle Verdichtung – so wichtig sie in diesem Bereich auch sein mag – unter legitimationstheoretischen Gesichtspunkten weniger bedeutsam als für die marktintegrativen Ansätze unter den Seitenabkommen, denn Art. III GATT ist, wie festgestellt wurde, eine substanzferne Vorschrift. Insoweit ist das von hier ab folgende für die Seitenabkommen von größerer Relevanz als für Art. III GATT. 15 Zur Einordnung der zentralen Frage nach der Allokation von Entscheidungsmacht in die größere „Verfassungsdebatte“ aus jüngerer Zeit überblickartig etwa Jackson, John H., Sovereignty, Subsidiarity, and Seperation of Powers: The High-Wire Balancing Act of Globalization, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 13.

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D. Autonomie im Geflecht voranschreitender Institutionalisierung

I. Ansätze institutioneller Verfestigung in der WTO-Streitbeilegung Im Rahmen weitgehend akzeptierter Rechtssysteme liegt ein Teil der normativen Kraft rechtlicher Regeln schon in ihrer bloßen Existenz. Denn wenn eine Rechtsordnung als ganze von den meisten ihr unterworfenen Rechtssubjekten anerkannt wird, dann werden viele ihrer Regeln von den meisten Rechtssubjekten schon deshalb befolgt werden, weil sie eben im Rahmen dieser anerkannten Ordnung und entsprechend der von ihr bereitgestellten Verfahren existieren. Es ist eine wesentliche Erkenntnis des soziologischen und psychologischen Positivismus, dass eine Rechtsordnung von der inneren Haltung ihrer Rechtssubjekte getragen wird (also dem Hart’schen „internal point of view“), wenn diese innere Haltung auch nicht bei allen Rechtssubjekten vor allem auch nicht hinsichtlich jeder einzelnen Regel bestehen muss. Es reicht vielmehr aus, wenn die dem Recht Unterworfenen „ihr Recht“ seinen wesentlichen Gehalten nach akzeptieren und daher auch weitgehend beachten16. Dieser Mechanismus wirkt auch im internationalen Handelsrecht. Nicht nur führt er dazu, dass dieses als Rechtssystem überhaupt existiert. Auch führt er dazu, dass das Recht schon weitgehend im Vorfeld und unabhängig einzelner Rechtsstreitigkeiten zu Gunsten des Individuums zu wirken beginnt. Denn oft wird politischer Widerstand schon im Angesicht der geltenden Rechtsnorm selbst überwunden. Das Außenwirtschaftsrecht der WTO-Mitgliedstaaten ist voller Beispiele für diese mehr oder weniger „unauffällige“ Wirkkraft des WTO-Rechts17. Aber auch innerstaatliche Rechtssetzungsprozesse sind mittlerweile zunehmend durch die (weitgehend bereits interne) Beachtung des WTO-Rechts geprägt18. Dass ein rechtlich relevantes Verhalten bis vor die Gerichte – im Fall des Welthandelsrechts also bis vor die Streitbeilegungsorgane der WTO – getragen wird, geschieht trotz der vergleichslos hohen Zahl von Verfahren gemessen an der Gesamtzahl „potenzieller“ Hart, Herbert L.A., The Concept of Law, 2. Aufl., Oxford UP, 1994, S. 88 ff. Am Beispiel des europäischen Außenwirtschaftsrechts etwa Nettesheim, Martin und Johann Ludwig Duvigneau, Titel IX (Gemeinsame Handelspolitik), Art. 131 bis 134 EGV, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV, München: Beck, 2003, Art. 133, Rn. 55 ff. 18 Im Rahmen des Gemeinschaftsrechts wurde dieser Zusammenhang kürzlich etwa von de Búrca und Scott dargestellt, vgl. De Búrca, Gráinne und Joanne Scott, The Impact of the WTO on EU Decision Making, in: dies.: The EU and the WTO, Legal and Constitutional Issues, Hart Pub., Oxford, 2001, S. 1, 6 ff. Scott und de Burca verdeutlichen den Mechanismus sehr detailliert am Beispiel der Änderungen der Kosmetikrichtlinie 76 / 768 / EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel, ABl. 1976 L 262 vom 27. 90. 1976 S. 169 – 200; zuletzt geändert durch die Sechsundzwanzigste Richtlinie 2002 / 34 / EG der Kommission vom 15. April 2002 zur Anpassung der Anhänge II, III und VII der Richtlinie 76 / 768 / EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel an den technischen Fortschritt (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. 2002 L 102 vom 18. 4. 2002, S. 19 – 31. 16 17

I. Ansätze institutioneller Verfestigung in der WTO-Streitbeilegung

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WTO-Streitfälle noch immer relativ selten19. Es ist immer noch ein Ausnahmefall zu großen politischen Widerstands, wenn sich ein Streitfall nicht lösen lässt und zu einem Streitverfahren, also einem „Fall“ vor den Streitbeilegungsorganen wird. Dennoch sind es gerade diese Ausnahmefälle zu großen politischen Widerstandes, die für die Verfassungsstrukturen des WTO-Rechts aus Sicht der regulativen Autonomie besonders relevant – und interessant – sind. Denn erst in diesen Situationen erweist sich die „harte“ Wirkmächtigkeit des Rechts und damit auch seine Effektivität. Wenn ein Mitgliedstaat dem Verhalten eines anderen Mitgliedstaates entgegentreten will, so reicht angesichts zu großen politischen Widerstands die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens nicht aus. Es bedarf dann vielmehr der effektiven Durchsetzung der normativen Gehalte. Daran ändert auch nichts, dass das Recht, wo es klar und deutlich ist, regelmäßig ohne die Initiierung eines solchen Verfahrens angewendet wird. Noch ändert daran etwas, dass umgekehrt eine Vielzahl von offenbaren Rechtsverletzungen weiter fortbestehen, ohne dass es – etwa aus strategischen Gründen – zu einem Verfahren käme. Denn die Effektivität eines Streitbeilegungsmechanismus zeigt sich erst in eben jener Konstellation, in der ein Mitgliedstaat an einem Verhalten festhalten will, das ein anderer Mitgliedstaat aus bestimmten Gründen für rechtswidrig hält und daher mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln beenden will. Gerade in diesem Bereich der Durchsetzung fehlt es bisher an einer verfassungsähnlichen Verdichtung. Zwar sind die Mitgliedstaaten alles in allem in befriedigender Weise bereit, die Anforderungen selbständig oder auf Druck anderer Mitgliedstaaten umzusetzen, die das System an sie stellt. Insoweit ist das multilaterale Regelwerk in einem (relativ) gut austarierten Zustand gegenseitiger Kontrolle und eigenem „guten Willen“ der Mitgliedstaaten. Die WTO ist bis heute demgegenüber aber nicht in der Lage, große Mitgliedstaaten in ihrer autonomen Entscheidung zur Marktregulation auch dann in selbstverständlicher Weise zu bändigen, wenn diese Widerwillen zeigen. Der Hormonfall ist insoweit ein eindeutiges Beispiel: Die zugrundeliegenden Importverbote der EU sind von der Streitbeilegung zwar eindeutig als systemwidrig eingestuft worden. An einer Umsetzung fehlt es aber bis heute (nähere Einzelheiten dazu einleitend Teil A.I. oben). Bereits vor Durchlaufen der Streitbeilegung lag die Vermutung der WTO / GATT-Rechtswidrigkeit des zugrundeliegenden Unionsrechts auf der Hand. Der transatlantische Streit zwischen der Union und den USA schwelte schon jahrelang, bevor die USA die Streitbeile19 Ein Blick auf die aktuelle WTO-Internetseite zeigt zwar die hohe Zahl anhängiger wie auch abgeschlossener Streitbeilegungsverfahren (http: //www.wto.org/english/tratop_e/dispu _e/dispu_status_e.htm). Gemessen an der Gesamtzahl an in der WTO anderweitig zur Sprache gekommenen mitgliedstaatlichen Maßnahmen ist die Zahl von Streitbeilegungsfällen in der WTO notwendigerweise dann aber doch noch immer relativ gering. Zum ganzen etwa Busch, Marc L. und Eric Reinhardt, Testing International Trade Law: Empirical Studies of GATT / WTO Dispute Settlement, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 457.

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gungsorgane der WTO mit der unionalen Rechtslage befasste. Gleichwohl hat die Europäische Union aber das SPS-Abkommen mit dessen spezifischen Gehalten in der Uruguay-Runde abgeschlossen und damit dessen Aufnahme in das WTO-Recht erst ermöglicht. Daraus folgt, dass die EU den normativen Widerspruch zwischen den Verboten des SPS einerseits und den normativen Gehalten der unionsrechtlichen „Hormongesetzgebung“ zwar gegebenenfalls erkennt, daraus aber nicht den Schluss zieht, die unionalen Regeln aufheben zu müssen. Es besteht in der Union vielmehr offenbar der Wille, die Regeln des SPS als allgemeine Regeln mitzutragen, zugleich aber einzelne ihr widersprechende Rechtsakte aufrechtzuerhalten. Der Fortbestand der im Hormonfall angegriffenen unionsrechtlichen Maßnahmen über das Ende des Streitverfahrens hinaus ist mithin ein Beispiel für das offenbar ausgeprägte Bedürfnis der Mitgliedstaaten nach politischer Flexibilität. Dieses Bedürfnis kam bereits in mehreren Streitfällen zum Ausdruck, in denen die Auseinandersetzung ebenfalls in das Umsetzungsstadium und sogar darüber hinaus getragen worden ist (nähere Einzelheiten Teil D.II.2. unten). Es sind gerade die politisch brisanten Fälle wie etwa der Hormonfall, in denen sich die WTO-Streitbeilegung bewähren muss. Denn es ist der politische Widerstand in den Mitgliedstaaten, der die Legitimation der WTO untergraben kann. Wenn verschiedene Mitgliedstaaten im Rahmen regulativer Diversität um die Richtigkeit ihrer eigenen Lösung zu einem bestimmten regulativen Problem kämpfen, muss die WTO die darin liegende Sprengkraft notgedrungen abfedern, um nicht selbst irgendwann von ihr zerrissen zu werden. Gerade im Bereich der Marktintegration bestehen politische Widerstände in besonders heftiger Weise, weil es hier um die Substanz der von den Mitgliedstaaten jeweils gefundenen politischen Lösung selbst geht. Man kann das Problem der politischen Sprengkraft auch nicht durch einen Hinweis auf die alles in allem sehr erfolgreiche Umsetzungsstatistik der Streitbeilegungspraxis „hinwegreden“. Denn es waren gerade nicht die politisch brisanten Fälle, in denen eine „positive Lösung“ der Streitigkeit (Art. 3 Abs. 7 S. 2 DSU, vgl auch Art. 3 Abs. 4 DSU) erreicht wurde, sondern eher solche, in denen die jeweils angegriffene Maßnahme ihre protektionistische Wirkung durch eindeutig diskriminierende Elemente erzeugt hatte (nähere Einzelheiten Teil C.I oben). Insoweit ist die relativ große Zahl der positiven Lösung derartiger „einfacher“ Fälle zwar ein Zeichen für das gute Funktionieren der Organisation im Feld der Handelsliberalisierung, nicht aber ein Indiz für ihre Fähigkeit, mit den wirklich schwierigen Fällen der Marktintegration überzeugend umzugehen.20

20 Ohnehin muss in einer „positiven Lösung“ einer Streitigkeit noch nicht eine in jeder Hinsicht befriedigende Lösung liegen. Die angestrebte Öffnung der Märkte kann nämlich trotz Umsetzung gegebenenfalls weiter effektiv verhindert werden. Formale Streiterledigung und effektive Streiterledigung sind insoweit genau auseinanderzuhalten. Zur Effektivität der Umsetzung von Streitschlichtungsentscheidungen etwa Zimmermann, Thomas A., Gewährleisten umgesetzte WTO-Streitschlichtungsurteile offene Märkte?, 56 Aussenwirtschaft (2001), S. 359.

I. Ansätze institutioneller Verfestigung in der WTO-Streitbeilegung

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Dennoch ist eine institutionelle Verdichtung deutlich erkennbar. Sie wird vor allem durch die Einfügung des Erfordernisses eines Konsenses für die Ablehnung einer Streitbeilegungsentscheidung vollzogen (sog. „negativer Konsens“). Denn die Änderung des durch Konsens zu entscheidenden Entscheidungsziels (Ablehnung statt Annahme der Streitbeilegungsentscheidung) macht eine von der Entscheidung der Streitbeilegungsorgane abweichende Entscheidung des Streitbeilegungsgremiums mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit eines Konsenses so gut wie unmöglich. Die Deutlichkeit, mit der dieser prozedurale Schritt stärkerer Institutionalisierung vollzogen wurde, zeigt sich vor allem darin, dass die Regeln zum „negativen Konsens“ nicht nur die Einrichtung von panels (Art. 6 Abs. 1 DSU) und die Annahme von Streitbeilegungberichten der panels (Art. 16 Abs. 4) und des Berufungsgremiums betreffen (Art. 17 Abs. 14 DSU), sondern eben auch die Mechanismen zur Durchsetzung dieser Berichte, insbesondere zur Aussetzung von Zugeständnissen (Art. 22 Abs. 6 DSU). Dabei fällt dem Streitbeilegungsgremium nach dem Wortaut des Art. 22 Abs. 6 S. 1 DSU21 anders noch als den Vertragsparteien nach der überaus weichen Vorschrift des Art. XXIII Abs. 2 S. 4 GATT22 insbesondere auch kein Ermessen mehr über das „Ob“ einer Entscheidung zu. Selbst der Beurteilungsspielraum, der nach letzterer Vorschrift bestand, besteht nach den jetzigen Vorschriften im DSU nicht mehr. Die Einführung des „negativen Konsenses“ ist damit ein deutlicher Schritt in die institutionellrechtliche Verfestigung des materiellen WTO / GATT-Rechts. Dieser deutliche Schritt institutioneller Verfestigung wird durch die Schaffung des Ständigen Berufungsgremiums (Art. 17 DSU) komplementiert. Die mit der Schaffung des Berufungsgremiums verbundene institutionelle Verfestigung liegt noch nicht in der Schaffung einer Berufungsinstanz als solcher, sondern in dem Umstand, dass die Zusammensetzung des Berufungsgremium nicht von dem Willen der konkreten Streitparteien abhängig ist. Eine Verfestigung liegt hierin deshalb, weil die Zusammensetzung der nach Art. 6 DSU einzusetzenden panels noch sehr wohl zwar nicht vollständig, wohl aber in erheblichem Maße von dem Willen der konkreten Streitparteien abhängig ist (Art. 8 Abs. 6 und 7 DSU). Zwar sind die Panelmitglieder weisungsunabhängig (Art. 8 Abs. 9 DSU). Die Erfahrung zeigt jedoch, dass bereits in der Auswahl der Panelmitglieder eine besondere Einflussnahme auf den möglichen Ausgang der Entscheidung liegen kann. Der Schritt der Verfestigung durch die Lösung der Ernennungsprozesse von der Einflußsphäre der konkreten Streitparteien wird sogar als derartig wünschenswert betrachtet, dass eine ähnliche Lösung von der einzelstaatlichen Einflußsphäre auch im Hinblick auf die Zusammensetzung von panels diskutiert wird, etwa in Richtung eines permanenten Gremiums.23 Freilich erheben sich gerade unter dem Gesichtspunkt der 21 „[ . . . ] so erteilt [ . . . ]“, in der englischen Fassung: „[ . . . ] shall grant authorization [ . . . ].“ 22 „Sind die Vertragsparteien der Ansicht, dass die Umstände hinreichend schwer wiegen, um eine solche Maßnahme zu rechtfertigen, können sie [ . . . ]“; in der englischen Fassung: „[ . . . ] may [ . . . ].“

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Machtbalance, nicht zuletzt des hier thematisierten Autonomieschutzes, zunehmend kritische Stimmen.24 Der Verhandlungsprozess zur Änderung der Streitbeilegungsvereinbarung ist gegenwärtig noch immer in vollem Gange25, da das angestrebte Zieldatum, wenn teilweise auch aus anderen Gründen, um ein Jahr nach hinten auf den Mai 2004 verschoben wurde.26 Auch die Ernennung der Mitglieder des ständigen Berufungsgremiums ist in gewisser Weise von dem gemeinsamen Willen der (potenziellen) Streitparteien abhängig, denn das Streitbeilegungsgremium, das die Mitglieder ernennt (Art. 17 Abs. 2 DSU), setzt sich naturgemäß aus eben jenen Mitgliedstaaten zusammen, die als potenzielle Streitparteien an künftigen Streitverfahren teilnehmen werden. Insbesondere bei den hier thematisierten Fragen zu den marktintegrativen Tendenzen des WTO / GATT-Rechts könnte sich dieser Einfluss bemerkbar machen, weil sich hier, anders als beim Schutz von Wettbewerbsgleicheit, substanzielle Orientierungen für mehr oder weniger Marktintegration und mehr oder weniger Autonomieschutz schon im Vorfeld personell verankern lassen. Eine solche Verankerung bestimmter (nicht zuletzt politischer) Zielsetzungen im Vorfeld sind insbesondere dann denkbar, wenn sich bestimmte Positionen der einen oder anderen Richtung bestimmten „Blöcken“ von Mitgliedstaaten ungefähr zuordnen lassen. So könnte man etwa vermuten, dass die nordamerikanischen Mitgliedstaaten USA und Kanada, die bisher marktintegrative Klagen vorgebracht haben, ihre gegebenenfalls in diese Richtung gehenden Interessensschwerpunkte auch durch die Besetzung der Mitglieder des Berufungsgremiums bereits im Vorfeld personell berücksichtigt sehen wollen. Auch könnte man vermuten, dass Mitgliedstaaten, die bisher insoweit eher die Beklagtenstellung eingenommen haben, wie etwa die Europäische Union, ihrerseits eher darauf drängen werden, Mitglieder zu bestellen, die dem Gedanken des Autonomieschutzes zuneigen. Es gibt keinen Grund, warum die Besetzung der Mitglieder des Berufungsgremiums weniger interessegeleitet sein sollte als diejenige von Mitgliedern der panels.27

23 Davey, William J., A permanent panel body for the WTO dispute settlement: Desirable or practicle?, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 496; ders., The Case for A Permanent WTO Panel Body, 6 JIEL 2003, S. 177. 24 Für einen eher evolutorischen Ansatz daher etwa Cottier, Thomas, The WTO Permanent Panel Body: A Bridge Too Far?, 6 JIEL 2003, S. 187. 25 Vgl. die unzähligen Sitzungen, zu finden auf der WTO-Internetseite unter TN / DS. Zusammenfassend zuletzt der Text des Vorsitzenden vom 28. Mai 2003 im Anhang I, Special session of the Dispute settlement body, Report by the Chairman, Ambassador Péter Balás, to the Trade Negotiations Committee vom 6. Juni 2003, TN / DS / 9. 26 Vgl. die Angabe im Internet unter http: //www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dispu _e.htm#intro (Seitenaufruf vom 24. Oktober 2003). 27 Eine bildhafte Darstellung der Bedeutung mitgliedstaatlicher Interessen bei der Besetzung von panels („high stakes game“) liefert etwa Shoyer, Andrew W., Panel selection in WTO dispute settlement proceedings, 6 JIEL 2003, S. 203.

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Bei allen Vermutungen derartiger interessengeleiteter „Personalpolitik“ ist aber eine gewisse institutionelle Streuung und damit auch Brechung der einzelstaatlichen Interessen mitzuberücksichtigen. Denn es ist das Streitbeilegungsgremium als Organ, das die Mitglieder des Berufungsgremiums ernennt, nicht (bei Berücksichtigung aller Machtverhältnisse im Streitbeilegungsgremium) der einzelne Mitgliedstaat.28 Ferner sollen die Mitglieder schon nach den Vorgaben der Streitbeilegungsvereinbarung (Art. 17 Abs. 3 S. 2 DSU) die Mitgliedschaft in der WTO als Ganze widerspiegeln. Darüberhinaus, und dies scheint wichtiger zu sein, haben die Mitgliedstaaten eine ganze Reihe unterschiedlicher personeller Orientierungen zu berücksichtigen, so dass die hier angesprochenen Orientierungen ihrerseits nur einen Teil der Überlegungen ausmachen. So kann ein Mitgliedstaat etwa die besonderen Kenntnisse und Orientierungen eines Kandidaten im Bereich etwa der Subventionspolitik als so erheblich einschätzen, dass die hier angesprochenen Orientierungen über die Grundlagen der Marktregulation in den Hintergrund treten. Schließlich, und dies ist vielleicht der wichtigste Punkt, sind auch die einzelstaatlichen Interessen nicht immer in derartig genauer Weise vorherzubestimmen, wie es hier idealtypisch gerade konstruiert wurde. Nicht einmal die Mitgliedstaaten selbst können ihre Interessen in dieser Weise „passgenau“ konkretisieren: Aus dem Umstand etwa, dass die Union in marktintegrativ motivierten Verfahren bisher lediglich als Beklagte aufgetreten ist, lässt sich noch nicht schließen, dass sie nicht auch einmal selber marktintegrativ motivierte Klagen erheben wird. Umgekehrt werden auch Kanada und die USA früher oder später vieleicht einmal mit marktintegrativ motivierten Klagen überzogen. Der zum Teil auch noch sektoriell unterschiedlich verlaufende Strukturwandel in den Mitgliedstaaten tut hier sein übriges. Die Mitgliedstaaten lassen sich daher auch in ihrer Ernennungspolitik nicht in konzeptionell sauberer Weise der einen oder anderen Konzeption (mehr oder weniger Marktintegration) zuordnen. Die institutionelle Verfestigung zeigt sich nicht zuletzt durch die Verankerung des Gedankens der Durchsetzung des materiellen WTO-Rechts in der WTORechtsordnung. Insbesondere Art. 20 Abs. 1 und 8 DSU machen unmissverständlich deutlich, dass eine Gegenmaßnahme dazu diene, die Anwendung des WTO Rechts durchzusetzen. Denn nach diesen Vorschriften sind Gegenmaßnahmen nur zum Zwecke der Durchsetzung und in diesem Rahmen auch nur vorübergehend erlaubt. Dementsprechend geht die neuere Streitbeilegungspraxis zu Art. 22 Abs. 6 DSU davon aus, dass die Aussetzung von Zugeständnissen unter dieser Vorschrift den Zweck habe, die Beachtung der Regeln des WTO-Rechts durchzusetzen, wenn sie statuiert: „[ . . . ] it is the purpose of countermeasures to induce complience.“29 28 Der (mittlerweile ehemalige) amerikanische Angehörige des Berufungsgremius, James Bacchus, hält die Mitglieder aus diesem Grund tatsächlich, jedenfalls offiziell, für vollkommen unabhängig, Bacchus, James, Table Talk: Around the Table of the Appellate Body of the World Trade Organization, 35 Vanderbilt Journal of Transnational Law 2002, S. 1021, 1024. 29 Bericht des Schiedsrichters WT / DS27 / ARB vom 9. April 1999 in EC – Bananas, Recourse to Art. 22.6 DSU by the US, Rz. 6.3. In diese Richtung auch der Bericht des

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Völkerrechtlich liegt das Verständnis von Gegenmaßnahmen als spezifischen Durchsetzungsinstrumenten durchaus nahe. Nach Art. 49 des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit etwa ist eine Gegenmaßnahme ein völkerrechtliches Durchsetzungsinstrument, nicht Teil eines vertraglichen Gesamtpakets gegenseitiger Zugeständnisse, dessen allgemeine Balance im Vordergrund stünde30. Dies entspricht der Tradion des Völkerrechts. Seit Jahrhunderten gelten Repressalie und Retorsion als – wenn auch teilweise schwache – Durchsetzungsinstrumente des Völkerrechts. Dem Völkerrecht ist der Gedanke der Durchsetzung bei aller Dezentralität daher nicht an sich fremd. Die mit diesen Schritten einhergehende Institutionalisierung bringt nicht den so oft zitierten Übergang von der „Politik“ zum „Recht“ mit sich. Zwar mag es mit jedem Prozess der Rechtsfortbildung bestimmte Übergänge von Formen der „Politik“ zu Formen des „Rechts“ gegeben haben, obgleich der Verfasser insoweit aus kategorischen Gründen skeptisch ist, da „Recht“ sinnvoller als verfestigte Form von Politik gelten kann. Wie immer derartige Verdichtungsprozesse im Einzelnen wahrgenommen werden: Sie hängen nicht kausal mit dem spezifischen Phänomen einer Institutionalisierung zusammen. Denn das Mit- und Gegeneinander von Politik und Recht liegt auf einer kategorisch anderen Ebene als der Prozess der Institutionalisierung und Effektivierung des Rechts. Zur Existenz von „Recht“ gehört nämlich nicht die Möglichkeit seiner effektiven Durchsetzung. Die gerade rechtliche Eigenschaft normativer Regeln ist nicht von Mechanismen der Durchsetzung abhängig, sondern von dem in den Regeln selbst angelegten Anspruch ihrer normativen Geltung (Geltungsanspruch).31 Wenn im Hinblick auf die hier angesproSchiedsrichters in WT / DS46 / ARB vom 28.August 2000 in Brazil – Aircraft, Recourse to Art. 22.6 DSU by Brazil, Rz. 3.44 und 3.45, und European Communities – Measures, Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Original Complaint by Canada, Recourse to Arbitration by The European Communities under Article 22.6 of the DSU, Decision by the Arbitrators, (WT / DS48 / ARB) vom 12. Juli 1999, Rz. 39 und 22.6. 30 Art. 49 Abs. 1 der Draft Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts, adopted by the International Law Commission at its fifty-third session 2001 etwa lautet: „An injured State may only take countermeasures against a State which is responsible for an internationally wrongful act in order to induce that State to comply with its obligations [ . . . ]“; Official Records of the General Assembly, Fifty –sixth session, Supplement No. 10 (A / 56 / 10), chp. IV.E.1. 31 Die rechtliche Qualität des Völkerrechts kann heute daher kaum mehr sinnvoll aus Gründen schwacher Durchsetzungsstrukturen bezweifelt werden, vgl. etwa Cheng, Bin, Whither International Law? The Josephine Onoh Memorial Lecture 1987, in: Freestone, David A., Contemporary Issues in International Law, The Hague: Kluwer Law International, 2002, S. 29; Puzzini, Gionata P., La théorie des sources face au droit international général, 106, Revue générale de droit international public 2002, S. 581; Amerasinghe, Chittharanjan Felix, „Binding Force“ Revisited, 44 Netherlands International Law Review 1997, S. 224. Einen interessanten Versuch zur Auflösung der zwischen Naturrecht und Positivismus bestehenden Widersprüche zur Begründung des Geltungsanspruchs rechtlicher Regeln macht Alexy, Robert, Begriff und Geltung des Rechts, Freiburg u. a.: Alber, 1992. Zum Geltungsanspruch rechtlicher Regeln in Verfahren vor dem Richter etwa Lüderssen, Klaus, Genesis und Geltung in der Jurisprudenz, 1. Aufl, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1996.

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chenen Fortentwicklungen hin zur WTO daher von einem Übergang eines überwiegend politischen Systems hin zu einer Ordnung „des Rechts“ gesprochen wird, so ist dies in phänomenologischer und begrifflicher Hinsicht ungenau. Gemeint ist damit in der Regel nämlich nicht ein Übergang zu „Formen des Rechts“, sondern ein Wandel in der Art und dem Maß, nach dem sich die Rechtsunterworfenen von den rechtlichen Regeln im Einzelnen tatsächlich leiten lassen. Es geht bei derartigen Überlegungen mithin um das Maß der tatsächlichen Anerkennung des Geltungsanspruch des Rechts durch die Rechtsunterworfenen. Es ist dieser Gedanke der faktischen Kraft der Verhaltenssteuerung, der mit dem Gedanken der Durchsetzungsmöglichkeit verbunden ist. Die Richtigkeit der hier vertretenen Argumentation zeigt sich insbesondere darin, dass der sogenannte Macht-Ansatz („power-approach“) des frühen GATT 1947 nie im Hinblick auf das Fehlen eines Geltungsgrundes, sondern allenfalls im Hinblick auf das Fehlen einer wirklich verhaltenssteuernden Kraft kritisiert wurde.32 Nach Meinung mancher Autoren sei die Vertiefung des Durchsetzungsgedankens im Hinblick auf Verpflichtungen aus den neueren Abkommen der WTO mit marktintegrativer Wirkung wie dem TBT, dem SPS oder dem TRIPS Abkommen unabdingbar, da sich diese neueren Verpflichtungen ihrer Natur nach dem Vertragsdenken weitgehend entzögen. Insbesondere seien sie nicht im engeren Sinne Teil der vertraglich ausgehandelten „Balance“, jedenfalls nicht in einer den Vorschriften des GATT 1947 vergleichbaren Weise33. Dieses Argument ist nicht stichhaltig. Denn zum einen können auch harmonisierende Regeln Teil der Balance sein, insbesondere weil harmonisierende Regeln dem einen Staat unter bestimmten Gesichtspunkten günstig sein können, dem anderen aber ungünstig. So etwa kann das TBT oder das SPS – ganz ähnlich wie übrigens das TRIPS – von den Mitgliedstaaten durchaus als „Wucherpfund“ benutzt werden, wenn es darum geht, ein unter diesen Abkommen vertragswidriges Verhalten eines anderen Mitgliedstaates abzustellen. In diesem Zusammenhang kann es daher durchaus als Teil der „Balance“ angesehen werden34. Daran ändert auch nichts, dass potenziell jeder Mitgliedstaat mit diesen Abkommen „wuchern“ kann. Denn die Balance wird nicht dadurch be32 Vgl. etwa die grundlegenden Beiträge von Jackson, John H., The Crumbling Institutions of the Liberal Trade System, 12 Journal of World Trade Law 1978, S. 93, 98 und Jackson, John H., The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, 1998, S. 97 ff. 33 In diese Richtung etwa Pauwelyn, Joost, Enforcement and Countermeasures: Rules are Rules – Toward a More Collective Approach, 94 AJIL (2000), S. 335, 342; Charnovitz, Steve, Should the teeth be pulled?, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 602, 611. 34 Gerade dies war überhaupt erst einer der Gründe für den erfolgreichen Abschluss der Uruguayrunde, wie etwa die Inbeziehungsetung von TRIPS und DSU während der ihrem Ende zugehenden Verhandlungsphase deutlich zeigt, dazu etwa Steger, Debra, The World Trade Organization: A New Constitution for the Trading System, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick, New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 135, 143.

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stimmt, wieviele Mitgliedstaaten mit einem Abkommen potenziell wuchern „können“, sondern dadurch, welchen Wert jeder einzelne Mitgliedstaat einem Abkommen zu einem gegebenen Zeitpunkt aus seiner Sicht zumisst. Zum anderen aber ist auch der Durchsetzungsgedanke selbst nicht auf die Durchsetzung von „Recht“ (was immer man unter dem Begriff „Recht“ im Einzelnen versteht) begrenzbar, sondern kann auch auf die gefundene Balance unabhängig ihrer Wahrnehmung „als Recht“ Anwendung finden. Selbst wenn jemand also mit dem Gedanken der „Balance“ nicht nur das Fehlen einer verhaltenssteuernden Kraft, sondern auch das Fehlen eines Geltungsanspruchs verbindet, ist der Gedanke der Durchsetzung in diesem Zusammenhang an sich denkbar. Durchgesetzt würde dann aber nicht die (in dieser Wahrnehmung nicht-rechtliche) Regel, sondern die in ihr gefundenen Balance. Eine solche Wahrnehmung erscheint dem Verfasser aber vollkommen fehlgeleitet. Es wurde schon soeben deutlich und soll hier nur noch einmal wiederholt werden: Ein Denken in Begriffen eines Verhandlungssystems („Balancedenken“) schließt die Wahrnehmung der in der Balance entstehenden Regeln als Rechtsregeln nicht aus. Das Denken von der Balance ist nach richtigem Verständnis nicht ein „rechtsfernes“ Denken, das den Geltungsanspruch der rechtlichen Regeln negiert, sondern lediglich ein Denken, das den rechtlichen Regeln eine verhandlungsbezogene Rolle und Funktion unter Anerkennung ihres Geltungsanspruchs zuweist (nähere Einzelheiten Teil E.I. unten).

II. Fortbestehen handelsdiplomatischer Elemente im WTO-Streitbeilegungsmechanismus Trotz dieser Ansätze institutioneller Verfestigung ist die WTO heute also nicht dem Macht-Ansatz („power-approach“) des alten GATT vollständig entwachsen, da in den Regeln des DSU noch immer Elemente des bereits erwähnten Balanceoder auch „Vertragsdenkens“ zu finden sind. Dies zeigt sich bereits in den Zielen des Streitbeilegungsmechanismus, wie sie in der Streitbeilegungsvereinbarung (Art. 3 Abs. 7 DSU) niedergelegt sind. Das primäre Ziel des Streitbeilegungsmechanismus ist nach dem DSU nicht etwa die Durchsetzung des WTO Rechts, sondern die „positive Lösung einer Streitigkeit“ (Art. 3 Abs. 7 Satz 2). Dementsprechend ist die Durchsetzung nach dem DSU nur das „letzte Mittel“, das einem Mitgliedstaat zur Verfügung steht (Art. 3 Abs. 7 Satz 6 DSU). Solange sich eine für die Streitparteien beiderseits akzeptable Lösung im Rahmen des WTO-Rechts hält, ist diese nach dem Wortlaut des DSU „eindeutig vorzuziehen“ (Art. 3 Abs. 7 S. 3 DSU). Die Lösung darf, wie übrigens alle Lösungen unter dem DSU, insbesondere mitgliedstaatliche Vorteile nicht zunichte machen oder schmälern (Art. 3.5 Alt. 2 DSU). Diese zentralen Vorschriften der Streitbeilegungsvereinbarung machen deutlich, dass der WTO-Streitbeilegungsmechanismus in erster Linie ein Beitrag zur in diesem Sinne „friedlichen Streitbeilegung“ ist, ohne dass es ihm notwendiger Weise

II. Fortbestehen handelsdiplomatischer Elemente der Streitbeilegung

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um die Beachtung des Rechts per se geht. Sie erinnern eher an die Dispositionsmaxime im klassischen Zivilprozess als an ein Klageverfahren zur Durchsetzung überpersonal geltenden Rechts. Dieser Eindruck wird in einer Vielzahl der prozeduralen Vorschriften der Streitbeilegungsvereinbarung bestägt.35 So finden sich in den Vorschriften über Konsultation (Art. 4 DSU) nicht nur Möglichkeiten zur diplomatischen Streitbeilegung, sondern sogar bestimmte Pflichten, diese zu ermöglichen, wie etwa die Verpflichtung, Vorstellungen einer anderen Vertragspartei zu prüfen und ausreichend Gelegenheit zur Konsultation einzuräumen (Art. 4.2 DSU). Erst nach sechzig Tagen kann ein Mitgliedstaat die Einrichtung eines panels beantragen (Art. 4.7.1 DSU). Hierin liegt die Verpflichtung zu einer Ruhefrist, vor deren Ablauf die Einrichtung eines panels nur unter bestimmten Ausnahmegesichtspunkten beantragt werden kann, namentlich dann, wenn eine fristgemäße Stellungnahme seitens der anderen Partei nach Art. 4.3.1 DSU nicht erfolgt (Art. 4.3.2 DSU), wenn die Parteien dies gemeinsam vereinbaren (Art. 4.7.2 und 4.9 DSU) oder wenn bestimmte dringende Fälle vorliegen (Art. 4.8 DSU)36. Aber auch in späteren Verfahrensstadien zeigt sich der Vorrang der politischen Lösung. Im Rahmen der Durchsetzung etwa verpflichtet Art. 22 Abs. 2 Satz 2 DSU den obsiegenden klagenden Staat zu einer Ruhefrist von 20 Tagen, innerhalb derer nach Möglichkeit eine einvernehmlich Lösung erziehlt werden soll. Auch außerhalb der Streitbeilegungsvereinbarung finden sich Hinweise auf die noch immer fortbestehende Verwurzelung des WTO-Rechts in der Sphäre des Diplomatischen. So zeigt etwa die Fortexistenz der Nichtverletzungsklagen („nonviolation complaints“) nach Art. XXIII Abs. 1 lit. b) GATT und ihre Übernahme in neue Bereiche nach Art. XXIII Abs. 3 GATS und Art. 64 TRIPs, wie sehr das WTO-Recht trotz seiner beachtlichen Fortentwicklungen dem Vertragsdenken noch immer verhaftet ist. Denn Grundlage dieser Vorschriften ist der Gedanke, dass es vorwiegend auf das Fortbestehen der ausgehandelten Balance ankomme, nicht auf die innere Geschlossenheit eines juristischen Regelwerkes.37 Angesichts der Existenz von Beschränkungsverboten ist die gegenwärtige und zukünftige Bedeutung von non-violation complaints allerdings in hohem Maße zweifelhaft (nähere Einzelheiten Teil C.I.2.a) oben)38. Bedeutsam für den Nachweis der fortbeste35 Einzelheiten etwa bei Waincymer, Jeffrey, WTO litigation: procedural aspects of formal dispute settlement, London: Cameron May, 2002. 36 Die Wirkung dieser Vorschriften zeigt sich schon insbesondere darin, dass annähernd die Hälfte aller Streitfälle schon das Stadium eines erstellten Panelberichts gar nicht erreichen, vgl. etwa den regelmäßig aktualisierten Überblick zur Streitbeilegungspraxis, zuletzt etwa Update of WTO Dispute Settlement Cases – New Developments Since Last Update (from 13 September 2003 Until 15 October 2003), WT / DS / OV / 16, zu finden im Internet auf http: //www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dispu_e.htm#intro. 37 Dazu nur Cho, Sungjoon, GATT Non-Violation Issues in the WTO Framework: Are they the Achilles’Heel of the Dispute Settlement Process?, 39 (2) Harvard Int’l. LJ (1998), S. 311, 315; zum zugrundeliegenden Gedanken der non-violation-complaints ferner Bogdandy, Armin von, The Non-Violation Procedure of Article XXIII:2 GATT – Its Operations Rationale, 26 JWT (1992), S. 95.

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henden diplomatischen Verwurzelung des WTO-Rechts erscheinen dem Verfasser daher nicht nur jene Elemente, die im WTO-Recht positiv niedergelegt sind, sondern vor allem die Abwesenheit bestimmter Elemente, die sich in klassisch und mittlerweile auch supranational verfassten Gemeinwesen im allgemeinen finden. Ins Auge fällt dabei insbesondere, dass sich die Durchsetzung der materiellen Gehalte nicht auf die Monopolisierung von Zwangsgewalt stützen kann, weder über den Weg unmittelbarer Wirkungen in den mitgliedstaatlichen Rechtssystemen (Teil D.II.1. unten) noch über eine gegebenenfalls denkbare Monopolisierung multilateraler Zwangsgewalt im Streitbeilegungssystem selbst. Vor allem die inhärenten Schwächen der als Durchsetzungsmaßnahme etablierten „Aussetzung von Zugeständnissen“ lassen die WTO – gemessen an den verfassten Ordnungen der Mitgliedstaaten – als eine (relativ) schwache Organisation erscheinen (Teil D.II.2. unten). Vorschläge zur Multilateralisierung fallen gegenwärtig in das Feld kaum realiserbarer Wünsche und Hoffnungen jener, die das System effektivieren wollen (Teil D.II.3. unten). Gleiches gilt für die Idee einer „Kompensation“ als Durchsetzungsmaßnahme (Teil D.II.4. unten).

1. Das Fehlen unmittelbarer Wirkungen am Beispiel der Europäischen Union Das internationale Handelsrecht wird vor allem in der Konstellation des Individuums gegenüber einem fremden Staat aktuell. Denn gegenüber dem eigenen Staat wird sich das Individuum im Grundsatz zunächst auf innerstaatliche Schutzvorschriften, insbesondere auf den innerstaatlichen Grundrechtsschutz berufen können39. Zwar können sich auch ausländische Individuen in der Regel in dem fremden Staat auf innerstaatliche Schutzvorschriften berufen. Diese sind jedoch von dem gesetzgeberischen Wirken des fremden Staates abhängig, das sie ihrerseits nicht beeinflussen können. Zudem sind sie oft auch prozedural schlechter gestellt als Inländer. Das WTO-Recht wird aus der Sicht des benachteiligten Ausländers

38 Cottier, Thomas und Krista N. Schefer, Non-Violation Complaints in WTO / GATT Dispute Settlement: Past, Present and Future, in: Petersmann, Ernst-Ulrich (Hrsg.), International Trade Law and the GATT / WTO Dispute Settlement System, Den Haag, Kluwer, 1997. 39 Obgleich auch in diesem innerstaatlichen Zusammenhang in vielen Mitgliedstaaten der WTO noch immer Defizite des Schutzes bestehen. So etwa ist die negative Außenhandelsfreiheit im Gemeinschaftsrecht zwar grundrechtlich geschützt. Die Voraussetzungen zur Rechtfertigung von Eingriffen sind allerdings denkbar gering, so dass selbst das interventionistischste Marktordnungssystem der Gemeinschaft noch Zweck genug für einen Eingriff in den Grundrechtsbestand des Gemeinschaftsrechts ist. In der Sache wird sich der Gemeinschaftsbürger daher in den meisten Fällen auf seine lediglich sekundärrechtlich garantierte Außenhandelsfreiheit berufen müssen, die durch den innerstaatlichen (gemeinschaftlichen) Gesetzgeber in der Regel aber nach belieben wieder aufhebbar ist; Einzelheiten bei Nettesheim, Martin und Johann Ludwig Duvigneau, Titel IX (Gemeinsame Handelspolitik), Art. 131 bis 134 EGV, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV, München: Beck, 2003, Art. 131, Rn. 5.

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daher gerade in derjenigen Situation bedeutsam, in der er einem WTO-Rechtsverstoß eines fremden Mitgliedstaates durch Inanspruchnahme der Gerichte dieses Mitgliedstaates nach dessen innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht beenden kann. Wie schwierig ein solches Vorgehen vor den fremden mitgliedstaatlichen Gerichten sein kann, zeigt sich am Beispiel der Rechtslage in der Europäischen Union.40 Nach Art. 300 Abs. 7 EGV, auf den der Art. 133 Abs. 3 UAbs. 3 EGV ausdrücklich verweist, sind die nach diesem Artikel geschlossenen Abkommen für die Organe der Union und für die Mitgliedstaaten verbindlich. Dementsprechend hat der EuGH entschieden, dass die Bestimmungen solcher Abkommen „einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ bilden41. Dies nimmt der EuGH allerdings nicht zum Anlass, unionale Maßnahmen grundsätzlich am Maßstab des WTO / GATT-Rechts zu messen. Schon früh hat er festgestellt, dass Vorschriften des GATT gemeinschaftsrechtliche Akte insbesondere mangels unmittelbarer Wirkung nicht berühren können42. In jüngerer Zeit, vor allem in seinem vielbeachteten Urteil Portugal / Rat vom November 1999, hat er auch für das WTO / GATT-Recht klargestellt, dass „die Übereinkünfte und Vereinbarungen der Anhänge 1 bis 4 des WTO-Übereinkommens wegen ihrer Natur und ihrer Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften [gehören], an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst“43. Zur Begründung hat er auf das der WTO zugrundeliegende Prinzip der Gegenseitigkeit sowie auf die den WTO-Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 2 DSU eingeräumte Befugnis hingewiesen, auf dem Verhandlungswege Lösungen zu suchen. Nur wenn die Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen des GATT / WTORechts übernommene Verpflichtung umsetzt oder wenn die Gemeinschaftshandlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen des GATT / WTO-Rechts verweist, prüft der EuGH in Fortführung seiner Rechtsprechung zum alten GATT 194744 die Rechtmäßigkeit der fraglichen Gemeinschaftshandlung anhand der Vorschriften des GATT / WTO-Rechts45. So haben die Gemeinschaftsgerichte in jüngerer Zeit 40 Die Überlegungen in den folgenden Absätzen zur Wirksamkeit des WTO-Rechts in der Union stammen aus eigenständigen Vorarbeiten des Verfassers zu der soeben zitierten gemeinsamen Veröffentlichung des Verfassers mit Herrn Prof. Nettesheim. In fast allen Mitgliedstaaten der WTO findet sich eine zu der beschriebenen Situation alles in allem vergleichbare Rechtslage. Zu einem Rechtsvergleich zwischen der Situation in der Europäischen Union und jener in den USA jüngst umfassend und mit vielen weiteren Nachweisen etwa Cascante, Christian, Rechtsschutz von Privatrechtssubjekten gegen WTO-widrige Maßnahmen in den USA und der EG, Berlin, Duncker und Humblot, 2003. 41 EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, 3641, Rn. 13 (ständige Rspr.). 42 EuGH, verb. Rs. 21 bis 24 / 72, International Fruit Company, Slg. 1972, 1219, Rn. 27 und 28. 43 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, Rdnr. 47. 44 EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol / Kommission, Slg. 1989, 1781, Rn. 19 bis 22; Rs. C-69 / 89, Nakajima / Rat, Slg. 1991, I-2069, Rn. 31. 45 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, Rdnr. 49.

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vor allem etwa Antidumpingmaßnahmen am Maßstab des WTO-Rechts überprüft46. Es ist allerdings hervorzuheben, dass diese Fälle Ausnahmen sind. Der Ausnahmecharakter wird vor allem im Lichte der von den Gemeinschaftsgerichten entschiedenen weiteren Fälle deutlich. Noch kurz vor Inkrafttreten des WTO-Abkommens etwa hatte der EuGH der Bundesrepublik Deutschland verweigert, sich auf das GATT 1947 zu berufen47, obwohl die von Deutschland angefochtene Maßnahme, die Bananenmarktordnung48, an sich in dessen Anwendungsbereich fiel und insofern eine Prüfung nahegelegen hätte. Zur Begründung hatte der EuGH im damaligen Fall neben dem Hinweis auf das Gegenseitigkeitsprinzip des GATT 1947 insbesondere auf die „große Flexibilität seiner Bestimmungen“ verwiesen49. In einer jüngeren Entscheidung hat der EuGH erneut entschieden, dass er die Bananenmarktordnung der Gemeinschaft im Grundsatz nicht am Maßstab des WTO-Recht prüfen kann – wegen der Eindeutigkeit der Rechtslage mittlerweile sogar im Wege des vereinfachten Verfahrens nach dem neu eingefügten Art. 104 Abs. 3 VerfO EuGH50. Auch Schutzmaßnahmen gegen erhöhte oder sonst schädigende Einfuhren werden vom EuGH in der Regel nicht am Maßstab des WTORechts überprüft.51 Da der EuGH mit seiner fehlenden Zuständigkeit zugleich eine unmittelbare Wirkung der Vorschriften abgelehnt hat, versucht man nun, die Durchsetzung des WTO-Rechts über den Umweg der Schadensersatzklage zu erzwingen52 und stützt sich dabei mangels unmittelbarer Anwendbarkeit der verletzten Vorschriften vor allem auf das Gebot des „venire contra factum proprium“, insbesondere dann, wenn WTO-Gremien die angegriffene Maßnahme zuvor für WTO-rechtswidrig erklärt und sodann in einer Folgeentscheidung nach Art. 21 Abs. 3 DSU festgestellt haben, dass auch die Umsetzung dieser Entscheidungen WTO-rechtswidrig ist. Auch diesem Argument aber stehen die Gemeinschaftsgerichte ablehnend gegenüber53.

46 Neuere Entscheidungen EuG. Rs. T-188 / 99, Euroalliages / Kommission, Slg. 2001, II-1757, Rn. 44, 57; Rs. T-256 / 97, BEUC / Kommission, Slg. 2000, II-101, Rn. 66 und 67; EuG vom 29. 11. 2000, Rs. T-213 / 97, Eurocoton / Rat, Slg. 2000, II-3727, Rn. 50, dazu Müller / Kahn / Neumann, S. 11 (Rn. 0.15) sowie GA Jacobs, Schlußanträge vom 16. 1. 2003, Rs. C-213 / 97 P (noch nicht in der amtl. Sammlung). 47 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat (Bananenmarktordnung), Slg. 1994, I-4973, Rn. 109. 48 VO 404 / 93 / EWG des Rates vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen, ABl. 1993 L 47 / 1. 49 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat (Bananenmarktordnung), Slg. 1994, I-4973, Rn. 106. 50 Zuletzt EuGH, Beschl. vom 2. Mai 2001, Rs. C-307 / 99, OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH / HZA Hamburg-St. Annen, Slg. 2001, I-3159; Kodifizierte Fassung der VerfO EuGH in ABl. 2001 C 34 / 1. 51 Etwa EuGH, vom 22. 11. 2001, Rs. C-301 / 97, Niederlande / Rat (Einfuhr von Reis); Slg. 2001, I-8853, Rd. 55. 52 Zu diesem Gedanken etwa Schoißwohl, Birgit, Haftung der Gemeinschaft für WTORechtsverletzungen ihrer Organe, 4 ZeuS 2001, S. 689.

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Mit diesen Entscheidungen führen die Gemeinschaftsgerichte die Rechtsprechung zum alten GATT 1947 im Prinzip fort. Zwar wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass sich bei gleichem Ergebnis die Begründung angesichts des WTO-Rechts maßgeblich geändert habe54. Im Grundsatz sind es aber noch immer dieselben Überlegungen, die für den EuGH bestimmend sind. Insbesondere kommt es ihm früher wie heute auf das Gegenseitigkeitsprinzip sowie auf die Befugnis zum Verhandeln an. Dem EuGH schlägt aus dem Schrifttum wegen dieser Rechtsprechung erhebliche Kritik entgegen. Insbesondere wird vorgetragen, der EuGH verschließe die Augen vor dem WTO-Recht, welches die ursprünglichen GATTVerpflichtungen insbesondere durch den Streitbeilegungsmechanismus der WTO derart verdichtet habe, dass spätestens angesichts dieser neuen Rechtsordnung jedenfalls den grundlegenden Regeln des GATT unmittelbare Wirkung zuzuerkennen sei55. Grundlage dieser Kritik ist die Auffassung, dass das WTO / GATT-Recht nur durch Individualwirksamkeit seine volle Effektivität und Legitimität erhalten könne56. Demgegenüber lehnen andere eine unmittelbare Wirksamkeit von GATT / WTO-Vorschriften vor allem aus Gründen der demokratischen Legitimation ab57. Beide Richtungen der Diskussion58 können auf ein erhebliches theoretisches Gerüst zurückgreifen, erstere im Rahmen eines eher liberalen Wirtschaftsverständnisses, letztere im Rahmen demokratischer Gestaltbarkeit und Legitimität von Regeln59. 53 Etwa EuG, Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981, Rn. 52 ff.; Rs. T-2 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-2093, Rn. 51 ff.; Rs. T-3 / 99, Bananatrading, Slg. 2001, II-2123, Rn. 51 ff. 54 So etwa Hilf, Meinhard und Frank Schorkopf, WTO und EG: Rechtskonflikte vor dem EuGH?, EuR 2000, S. 74, 84. 55 Etwa Petersmann, Ernst Ulrich, Darf die EG das Völkerrecht ignorieren?, EuZW 1997, S. 325; Kuilwijk, Kees Jan, The European Court of Justice and the GATT Dilemma: Public Interest versus Individual Rights?, Beuningen: Nexed Ed., 1996, S. 299; Becker-Çelik, Astrid, Ist die unmittelbare Anwendung der GATT-Vorschriften durch den EuGH heute noch gerechtfertigt?, EWS 1997, S. 12. 56 Grundlegend Tumlir, Jan, International Economic Order and Democratic Constitutionalism, ORDO 1983, S. 71; Petersmann, Ernst-Ulrich, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, Fribourg, Fribourg University Press, 1991. 57 Etwa Sack, Jörn, Von der Geschlossenheit und den Spannungsfeldern in einer Weltordnung des Rechts, EuZW 1997, S. 650; grundlegend Jackson, John H., Status of Treaties in Domestic Legal Systems: A Policy Analysis, AJIL 1992, S. 310; ders., National Constitutions, Transnational Economic Policy and International Economic Law, in: Hilf, Meinhard und Ernst-Ulrich Petersmann, National Constitutions and International Economic Law, Den Haag: Kluwer Law International, 1993, S. 569. 58 Vermittelnd etwa Royla, Pascal, WTO-Recht – EG-Recht: Kollision, Justiziabilität, Implementation, EuR 2001, S. 495; Stoll, Peter T., Freihandel und Verfassung. Einzelstaatliche Gewährleistung und die konstitutionelle Funktion der Welthandelsordnung (GATT / WTO), ZaöRV 1999, S. 83, Eeckhout, Piet, Judicial Enforcement of WTO Law in the European Union – Some Further Reflections, 5 JIEL 2002, S. 91; Lavranos, Nikolaos, Die Rechtswirkung von WTO panel reports im europäischen Gemeinschaftsrecht sowie im deutschen Verfassungsrecht, EuR 1999, S. 289.

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Das WTO-Recht selbst verhält sich weitgehend neutral zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit – insbesondere macht es insoweit keine Vorgaben. Es ist zwar richtig, dass das Streitbeilegungssystem der WTO insbesondere das GATT-Recht erheblich verdichtet hat (vgl. etwa Art. 3 Abs. 2 S. 1 und 2 DSU, Art. 22 Abs. 7 S. 5 DSU: „Die Parteien nehmen die Entscheidung des Schiedsrichters als endgültig an[ . . . ]“)60. Trotzdem aber haben die Mitgliedstaaten, wie einleitend deutlich wurde, bei der Abfassung gerade auch dieses Bereichs des WTO-Rechts sorgsam darauf geachtet, dass ihnen demokratisch legitimierte Entscheidungen im Rahmen der Streitbeilegung im Grundsatz zu keinem Zeitpunkt verwehrt sind (etwa Art. 3 Abs. 7 S. 1, Art. 22 Abs. 2 DSU usw.). Dies ist auch sinnvoll, da dem WTO-Recht anders als dem Gemeinschaftsrecht so grundlegende Prinzipien wie die der Subsidiarität, der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit bis heute weitgehend fehlen. Streiten diese Prinzipien im Prinzip für die unmittelbare Anwendbarkeit von Normen des Gemeinschaftsrechts, so streitet ihr Fehlen im WTO-Recht eher gegen eine solche unmittelbare Anwendbarkeit gerade WTO-rechtlicher Normen61. Auch das Gemeinschaftsrecht aber enthält keine eindeutigen Vorgaben. Insbesondere verfolgt es sowohl den Zweck der Wohlstandssteigerung als auch denjenigen der Verteilungsgerechtigkeit. Damit aber ist das Gemeinschaftsrecht gegenüber der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts im Grundsatz neutral. Es lässt die wohlstandsfördernden Effekte einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Diskriminierungsverbote des WTO-Recht genauso zu wie die verteilungspolitischen Effekte deren Ablehnung. Weder gebietet es damit die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendung, noch verbietet es sie. Aus rechtsdogmatischer Sicht ist im Grundsatz die Anerkennung unmittelbarer Wirkung damit lediglich erlaubt, genauso wie deren Versagung erlaubt ist, mag dies rechtspolitisch nun wünschenswert sein oder nicht. Dem EuGH ist aus dogmatischen Erwägungen daher kein Vorwurf zu machen, insbesondere insoweit nicht, als er es dem (jedenfalls im Grundsatz demokratischen) Gemeinschaftsgesetzgeber überläßt, Rechtsakte etwa durch einen Verweis auf das WTO-Recht vor dem EuGH justiziabel zu machen62. Im Lichte seiner 59 Zu den theoretischen Grundlagen etwa Duvigneau, Johann L., Die Konstitutionalisierung des WTO-Rechts, Aussenwirtschaft 2001, S. 295, Cottier, Thomas, A Theory of Direct Effect in Global Law, in: Bogdandy, Armin von, Petros C. Mavroidis und Yves Mény (Hrsg.), European Integration and International Co-Ordination, FS Ehlermann, Den Haag: Kluwer Law International, 2001, S. 99; Schmid, Ulrich, A Theoretical Reconstruction of WTO Constitutionalism and ist Implication for the Reationship with the EU, EUI Working Paper LAW Nr. 2001 / 5, zu finden unter www.eui.it. 60 Dazu etwa Cottier, Thomas, Dispute Settlement in the World Trade Organization: Characteristics and Structural Implications for the European Union, CMLRev. 1998, S. 325. 61 Bogdandy, Armin von, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und Subsidiarität im transnationalen Wirtschaftsrecht, EuZW 2001, S. 357, 362. 62 Zum Verhältnis von Recht und Politik in diesem Zusammenhang Danwitz, Thomas von, Der EuGH und das Wirtschaftsvölkerrecht – ein Lehrstück zwischen Europarecht und Politik, JZ 2001, S. 721.

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Nakajima- und Fediol-Rechtsprechung erscheint die Linie des EuGH nicht als Ausdruck einer WTO-Rechtsblindheit, sondern als Ausdruck eines „judicial self-restraint“, der angesichts des 11. Erwägungsgrundes in dem Beschluss des Rates zur Genehmigung der WTO-Übereinkommen nicht unweise erscheint. Nach dieser Erwägung ist „das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation einschließlich seiner Anhänge nicht so angelegt, dass es unmittelbar vor den Rechtsprechungsorganen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten angeführt werden kann“63. Allerdings ist es fragwürdig, dass der EuGH auch den Mitgliedstaaten gegenüber eine Überprüfung am Maßstab des WTO-Rechts verweigert. Schon wegen der privilegierten Stellung der Mitgliedstaaten nach Art. 230 Abs. 2 EGV müssen diese im Grundsatz berechtigt sein, eine Überprüfung des Gemeinschaftsrechts anhand des WTO-Rechts vornehmen zu lassen, ohne dass man ihnen gegenüber die unmittelbare Anwendbarkeit genauso zur Voraussetzung macht wie gegenüber jedem Bananenimporteur64. Ironischerweise könnte eine Ausnahme in diesem Bereich entgegen der allgemeinen Wirkrichtung des WTO-Rechts sogar verteilungspolitischen Zielen dienen, hatte sich Portugal in dem Streitfall gegen den Rat von 1999 doch nicht etwa auf die liberalisierende Grundsatzregel, sondern gerade auf deren Ausnahme nach dem ATC berufen.

2. Die „Aussetzung von Zugeständnissen“ als schwache Durchsetzungsmaßnahme Neben dem Fehlen unmittelbarer Wirkungen, das in ähnlicher Weise in der ganz überwiegenden Zahl der WTO-Mitgliedstaaten zu finden ist, steht die Schwäche des wichtigsten Instruments der Durchsetzung, nämlich die sogenannte „Aussetzung von Zugeständnissen“ nach Art. 22 DSU. Es ist geradezu eine Ironie der Geschichte der Wirtschaftstheorie, dass ausgerechnet in jener Organisation, die dem Freihandel verpflichtet ist, Handelsliberalisierung nicht nur im Rahmen von gegenseitigen „Zugeständnissen“ vorangetrieben wird, sondern ihre Durchsetzung auch noch ihrerseits durch Aussetzung derartiger „Zugeständnisse“ geschieht. Dies zeigt die tiefe Spaltung der WTO zwischen den Erkenntnissen der Außenwirtschaftstheorie einerseits und der in praktischer Hinsicht noch tief in den Traditionen des Merkantilismus steckenden Staatenwelt andererseits. Den Abbau von Diskriminierung überhaupt als ein derartiges „Zugeständnis“ verstehen zu wollen, macht die 63 Beschl. 94 / 800 / EG d. Rates v. 22. 12. 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986 – 1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche Zuständigkeiten fallenden Bereiche, ABl. 1994 L 336 / 1. 64 So etwa auch Bogdandy, Armin von, Kollision, Koexistenz oder Kooperation? Zum Verhältnis von WTO-Recht und europäischem Außenwirtschaftsrecht in neueren Entscheidungen, EuZW 2000, S. 261.

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Absurdität dieser Spaltung bereits deutlich. Denn der Begriff des „Zugeständnisses“ selbt impliziert in der Regel die Gewährung eines Vorteils gegenüber anderen unter Inkaufnahme eigener Kosten. Dass sich der Abbau von Diskriminierungen in diesem Typus der Gewährung eines Vorteils nicht fassen lässt, ist mittlerweile Allgemeingut geworden. Man braucht heute nicht mehr Volkswirtschaftler sein, um dieser Art von Denken an sich nur mit Kopfschütteln begegnen zu können. Der Umstand, dass derartiges Denken zur intellektuellen Grundlage der WTO wurde, ist aber der Existenz von Staaten, ja der Organisation der Welt in staatliche Einflussphären schlechthin geschuldet. Die Fortexistenz von Staaten selbst ist sozusagen (jedenfalls auch) Ausdruck merkantilistischen Denkens. Wenn eine Organisation zur Sicherung des Freihandels zwischen Staaten gegründet wird, ist ihr dieser Widerspruch damit sozusagen inhärent. Konkret wirkt sich dies im Fehlen besserer Sanktionsmechanismen aus. An dieser Stelle wirken daher das allgemeine Völkerrecht und das Welthandelsrecht wie überhaupt das internationale Handelsrecht gegeneinander. Hat ersterer Rechtsbereich gerade die Aufrechterhaltung und den Schutz von Staatsgrenzen zum Ziel, dient letzteres gerade dem Einreißens und Überwindbarmachen derartiger Grenzen. Das internationale Wirtschaftsrecht leidet insoweit an einer unauflösbaren inneren Widersprüchlichkeit, deren vielleicht stärkster Ausdruck sich gerade in dem Bild der „Aussetzung von Zugeständnissen“ findet. Aus Sicht echter Handelsliberalisierung – also in Begriffen der Offenheit der Märkte – wirkt der Durchsetzungsmechanismus kontraproduktiv. In einem Handelssystem, das sich dem freien Handel verschrieben hat, ist es systemwidrig, zur Durchsetzung der rechtlichen Regeln ausgerechnet die, wenn auch vorübergehende, (Wieder-)Errichtung bereits eingerissener Handelsbarrieren zuzulassen.65 Die Begrenzung der Durchsetzungsmaßnahmen auf die Aussetzung von Zugeständnissen ist damit notwendigerweise aber auch ein an sich durchsetzungsschwaches Element. Unter dem Gesichtspunkt der Freiheit des Handels ist es daher zu begrüßen, dass Zugeständnisse nach Art. 22 Abs. 4 und 7 S. 1 a. E. DSU ähnlich wie zuvor schon unter Art. XXIII GATT noch immer lediglich in Höhe der ursprünglichen Zunichtemachung oder Schmälerung von Zugeständnissen oder Vorteilen (Art. XXIII GATT: „nullification or impairment“) ausgesetzt werden können. In dem Verfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU im Fall Brazil – Aircraft haben die Schiedsrichter in Ausnahme zu Art. 22 Abs. 4 DSU die Höhe der Aussetzung von Zugeständnissen allerdings nicht am Maßstab der ursprünglichen Zunichtemachung oder Schmälerung von Zugeständnissen oder Vorteilen gemessen („nullification or 65 Dazu etwa Hoekman, Bernhard M. und Petroc C. Mavroidis, WTO Dispute Settlement, Transparency and Surveillance, World Bank, 1999, S. 6; Meltzer Commission in den USA, International Financial Institutions Advisory Committee Report, März 2000, S. 57. Im Fall European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU (WT / DS27 / ARB, dated 9 April 1999) hatten die Schiedsrichter zu diesem merkantilen Element mit Recht lediglich den lapidaren Satz übrig, dass „the suspension of concessions is not in the economic interest of either [party]“ (Rz. 2.13).

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impairment“), sondern an der geleisteten Exportsubvention selbst66 – ein Vorgehen, dass im späteren Verfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU im Fall US – Foreign Sales Corporations ausdrücklich unkommentiert blieb67, so dass davon ausgegangen werden muss, dass diese Entscheidung ein Einzelfall bleiben wird. Die offenliegende Systemwidrigkeit der „Aussetzung von Zugeständnissen“ führt in vielerlei Hinsicht zu Dysfunktionalitäten. Selbst wirtschaftlich und politisch „große“ Mitgliedstaaten können in nur begrenztem Maße Druck ausüben, wenn sie lediglich einen in früheren Zeiten bestehenden Zustand eigener Zugeständnisse herbeiführen können. Ihnen sind insbesondere die Hände gebunden, wenn sie sich mit der Aussetzung von Zugeständnissen höhere Kosten auch gerade für die heimische Wirtschaft erkaufen müssen.68 Zwar können unter dem WTORecht auf einzelne Produkte weit erhöhte Zölle erhoben werden, so dass im Hinblick auf diese einzelnen Produkte Gegenmaßnahmen dann eben auch weit über einen früher bestehenden Rechtszustand hinausgehen können69. Diese Praxis bestimmter überhöhter Zölle ist allerdings nur in einer ganz bestimmten Gesamthöhe möglich, nämlich in genau derjenigen Gesamthöhe („level of the suspension of concessions or other obligations“), die der Gesamthöhe der zunichtegemachten oder geschmälerten Vorteile („level of the nullification and impairment“) entspricht. Wenngleich also im Hinblick auf einzelne im Verfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU näher zu spezifizierende Produkte durchaus eine Erhöhung von Zöllen 66 Entscheidung der Schiedrichter in Brazil – Export Financing Programme For Aircraft, Recourse to Arbitration by Brazil under Article 22.6 of the DSU and Article 4.11 of the SCM Agreement, WT / DS46 / ARB, 28. August 2000, Rz. 3.54: „[ . . . ] given that export subsidies usually operate with a multiplying effect (a given amount allows a company to make a number of sales, thus gaining a foothold in a given market with the possibility to expand and gain market shares), we are of the view that a calculation based on the level of nullification or impairment would, as suggested by the calculation of Canada based on the harm caused to its industry, produce higher figures than one based exclusively on the amount of the subsidy. On the other hand, if the actual level of nullification or impairment is substantially lower than the subsidy, a countermeasure based on the actual level of nullification or impairment will have less or no inducement effect and the subsidizing country may not withdraw the measure at issue.“ 67 Entscheidung des Schiedsrichters in United States – Tax Treatment For „Foreign Sales Corporations“, Recourse to Arbitration by the United States under Article 22.6 of the DSU and Article 4.11 of the SCM Agreement, WT / DS108 / ARB, 30. August 2002, Rz. 6.42. 68 Dies macht sich naturgemäß bei besonders hohen Strafzöllen wie nun etwa im Fall USamerikanischer Außenhandelsgesllschaften besonders bemerkbar. Nach Berichten der Tagespresse soll die Union politisch mittlerweile tatsächlich zu einer Aussetzung in Höhe von vier Milliarden US-Dollar bereit sein, vgl. den Bericht „USA provozieren Handelskrieg mit Europa“ in: Süddeutsche Zeitung vom 6. Oktober 2003, S. 21. 69 Im Hormonfall etwa hat Kanada 100%-Zölle ad valorem auf Produkte erhoben, die auf einer im Verfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU eingereichten Liste gesondert aufgeführt waren, vgl. European Communities – Measures, Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Original Complaint by Canada, Recourse to Arbitration by The European Communities under Article 22.6 of the DSU, Decision by the Arbitrators, (WT / DS48 / ARB) vom 12. Juli 1999, Rz. 13 ff.

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denkbar ist, die weit über die Aussetzung der im Hinblick auf diese Produkte abgegebenen Zugeständnisse hinausgeht, so gilt dies immer nur für die einzelnen näher spezifizierten Produkte, nicht für die Gesamthöhe der Aussetzung70. Der prohibitive Charakter von Gegenmaßnahmen ist unter dem WTO-Recht daher ausgesprochen gering. Er kann nur insoweit wirken, als ganz bestimmte Produkte den Verletzerstaat besonders treffen (etwa solche, deren Konsum in der Gesellschaft des Verletzerstaates besondere Bedeutung erlangt oder deren Import besondes katalysierte Interessen betrifft, so dass entsprechend prohibitive Zölle trotz der eingehaltenen Gesamthöhe sozusagen gebündelt auf die mitgliedstaatliche Gesellschaft wirken können). Auch große Handelspartner haben daher Probleme, ihre Interessen gegenüber anderen WTO-Mitgliedstaaten gerade mittels der WTO-Regeln effektiv durchzusetzen.71 Dies zeigt sich insbesondere in den bisherigen Verfahren nach Art. 22.6 DSU. Bezeichnenderweise involvieren sie allesamt (jedenfalls auch) große Handelspartner, teilweise die größten Handelspartner unter der WTO. Dies gilt in besonderem Maße für die Verfahren zur Bananenmarktordnung72, zum hormonbehandelten Rindfleisch73 und zu den Foreign Sales Corporations74. Diese Streitverfahren zeigen, dass die effektivitätsbegrenzenden Wirkungen der „Aussetzung von Zugeständnissen“ nicht nur aus der Sicht von kleinen Handelsnationen auftreten. Derartige Streitigkeiten vermögen die Leistungsfähigkeit des WTO-Regimes zu überfordern und daher, wenn sie vor die WTO gebracht werden, deren Legitimität 70 Die Gefahr neuer Handelsstreitigkeiten wegen der Aussetzung von Zugeständnissen ist daher trotz zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung (relativ) gering – vgl. zur Problematik allerdings Art. 3.7.2 DSU. 71 Vgl. am Beispiel der Streitigkeit um die Exportsubventionen im Flugzeugbau etwa Sullivan, Helena D., Regional jet trade wars: politics and compliance in WTO dispute resolution 12 Minnesota journal of global trade 2003, S. 71; Behboodi, Rambod, The Aircraft cases: Canada and Brazil, 39 The Canadian yearbook of international law 2001, S. 387. 72 European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU – Decision by the Arbitrators (9. 4. 1999), WT / DS27 / ARB; European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU – Decision by the Arbitrators (24.3. 2000), WT / DS27 / ARB / ECU. 73 European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones) – Original Complaint by the United States – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU – Decision by the Arbitrators (12. 7. 1999), WT / DS26 / ARB; European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones) – Original Complaint by Canada – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU – Decision by the Arbitrators (12. 7. 1999), WT / DS48 / ARB. 74 United States – Tax Treatment for Foreign Sales Corporations – Recourse to Arbitration by the United States under Article 22.6 of the DSU and Article 4.11of the SCM – Decision of the Arbitrator (30. 8. 2002), WT / DS108 / ARB.

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zu untergraben75. Aus der Sicht eines Entwicklungslandes mit kleiner Volkswirtschaft besteht neben diesen ohnehin schon kaum überwindbaren Schwierigkeiten zudem das Problem der relativen Schwäche gegenüber den großen Handelsnationen. Insbesondere stellt sich für Entwicklungsländer die Frage, ob das Mittel der sogenannten abkommensübergreifenden Aussetzung („cross-retaliation“) nach Art. 22 Abs. 3 DSU ein angemessenes Instrument zur Durchsetzung ist, eine Frage, die insbesondere in dem Schiedsverfahren Ecuadors gegen die Union nach Art. 22.6 DSU wegen der mangelhaften Umsetzung der WTO Entscheidungen zur Bananenmarktordnung relevant wurde.76

3. Fehlen multilateral monopolisierter Zwangsgewalt – Bilateralität der Gegenmaßnahmen Ein weiteres Effektivitätsdefizit liegt im bilateralen Charakter des Durchsetzungssystems. Der bilaterale Charakter zeigt sich vor allem darin, dass die Gegenmaßnahme trotz ihrer vorherigen multilateralen Autorisierung allein vom verletzten Mitgliedstaat vorgenommen wird. Zwar kommt der multilateralen Autorisierung der Aussetzung von Zugeständnissen in gewisser Weise eine legitimierende Wirkung zu. Im Hinblick auf die Effektivität der Gegenmaßnahme ist der verletzte Mitgliedstaat allerdings auf seine eigenen Handlungen zurückgeworfen. Sind diese aus den beschriebenen Gründen uneffektiv, so bleibt die Durchsetzung endgültig uneffektiv. Insbesondere die multilaterale Autorisierung unilateraler Zwangsmaßnahmen entsprechend den Vorschriften des Art. 22 DSU ist kein Äquivalent zur Monopolisierung. Der Multilateralisierungsansatz der WTO endet bislang bei der Autorisierung der Zugeständnisse. Die Schwäche der multilateralen Durchsetzung wird im Lichte von Möglichkeiten zum aggressiven Unilateralismus deutlich: Wenn multilateral autorisierte Gegenmaßnahmen den Mitgliedstaaten nicht weit genug gehen, besteht bei ausreichender wirtschaftlicher Stärke die Gefahr, dass ein Mitgliedstaat wie in früheren Zeiten auf weitergehende unilaterale Maßnahmen 75 Hudec bezeichnet sie daher als „wrong cases“, Hudec, Robert E., Review Article, Free Trade, Sovereignty, Democracy: The Future of the World Trade Organization by Claude E. Barfeld, 1 (2) World Trade Review 2002, S. 211, 212 f. 76 European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU (WT / DS27 / ARB / ECU, dated 24 March 2000). Zum Problem etwa Müller, Jörg, Die effektive Durchsetzung von WTO-Recht zugunsten von Entwickklungsländern – Ein Beitrag zur Bewertung der Funktionsweise des Streitbeilegungsmechanismus, 56 Aussenwirtschaft (2001), S. 391; Vranes, Erich, Principles and Emerging Problems of WTO Cross Retaliation, EuZW 2001, S. 10; allgemein ferner Footer, Mary E., Developing Country Practice in the Matter of WTO Dispute Settlement, 35 (1) JWT (2001), S. 55; Jürgensen, Thomas, Das WTO Schiedsverfahren zur Festlegung von Sanktionen nach Art. 22 DSU, RIW 2000, S. 577; Kufuor, Kofi O., From the GATT to the WTO, The Developing Countries and the Reform of the Procedures for the Settlement of International Trade Disputes, 31(5) JWT (1997), S. 171.

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zurückgreift und sich damit außerhalb des nach WTO-Recht zulässigen Bereichs bewegt.77 Besonders eindrucksvoll zeigte sich das Fehlen multilateral monopolisierter Zwangsgewalt im WTO-Recht bislang in der Existenz von Streitverfahren wie dem bekannten Section 301-Verfahren78 und dem Verfahren US – Import Measures against certain Products from the EC79. Beide Streitverfahren stehen in engem Zusammenhang mit dem Streit um die unionale Bananenmarktordnung80 – bezeichnenderweise einem Fall, der nach Meinung von Beobachtern nicht vor die WTO gehörte81. Besonders deutlich wird das Gegeneinander von Unilateralismus und Multilateralismus in dem Streitverfahren zur section 301. Denn in diesem Fall setzte die USA mit der Behauptung, dass die Union den Anforderungen des Streitbeilegungsmechanismus nicht nachgekommen sei, einseitig Zugeständnisse in Höhe eines zuvor nach Art. 22.2 DSU gestellten Antrags aus, obwohl die Frage nach der Höhe der Aussetzung Gegenstand eines noch anhängigen Schiedsverfahrens nach Art. 22.6 DSU war, so dass eine entsprechende Autorisierung noch fehlte. In diesem Verfahren standen sich mithin uni- und multilaterale Sanktionen diametral gegenüber. Die Brisanz zeigt sich insbesondere darin, dass sich die Berechnungen des Schiedsrichters über die richtige Höhe der zu autorisierenden Aussetzung von Zugeständnissen mit etwa 191.4 Millionen US$82 auf wenig mehr als ein Drittel der von den USA beantragten83 – und dann auch einseitig ausgesetzten – Summe von 520 Millionen US$ belief. Die Legitimation und Effektivität der WTO wurde im konkreten Fall zudem noch weiter durch die vorübergehenden Bemühungen der USA geschwächt, im Anschluss an das Verfahren US – Section 301 eine Bestimmung in den Trade Act von 1974 einzufügen, nach der unterschiedliche Güter in periodischer Rotation einer Gegenmaßnahme unterworfen werden („ca77 Zur rechtfertigenden Element der Rechtsfortbildung durch aggressiven Unilateralismus („justified disobedience“) am Beispiel der Section 301 Hudec, Robert E., Thinking about the New Section 301: Beyond Good and Evil, in: ders., Essays on the Nature of International Trade Law, Cameron May 1999, S. 153. 78 United States – Sections 301 – 310 of the Trade Act of 1974, Panelbericht vom 22. Dezember 1999, WT / DS152 / R. 79 United States – Import Measures on Certain Products from the European Communities, Panelbericht vom 17. Juli 2000 (WT / DS165 / R) und Bericht des Berufungsgremiums vom 11. Dezember 2000 (WT / DS165 / AB / R). 80 Überblick über diese und weitere Folgeverfahren etwa bei Jackson, John H. und Patricio Grane, The Saga Continues: An Update on the Banana Dispute and its Procedural Offspring, 4 JIEL 2001, S. 581. 81 Hudec, Robert E., Review Article, Free Trade, Sovereignty, Democracy: The Future of the World Trade Organization by Claude E. Barfeld, 1 (2) World Trade Review 2002, S. 211, 212 f. 82 European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU – Decision by the Arbitrators (9. 4. 1999), WT / DS27 / ARB, Rz. 8.1. 83 European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse by the United States to Article 22.2 of the DSU (14. 1. 1999), WT / DS27 / 43.

II. Fortbestehen handelsdiplomatischer Elemente der Streitbeilegung

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roussel provision“) – ein weiterer Versuch des aggressiven Unilateralismus.84 Angesichts solcher unilateralen Verhaltensweisen zeigt sich die Schwäche des Rechts der WTO besonders deutlich. Der begrenzte Durchsetzungsansatz des WTO-Rechts ist der Anfechtung der Nichtbeachtung in besonders herausfordernder Weise ausgesetzt. Das Fehlen wirklich multilateraler Durchsetzungsstrukturen wird nicht zuletzt angesichts der bisher bereits in großer Zahl vorgetragenen Effektivierungsvorschläge besonders deutlich.85 Im Zentrum der Effektivierungsdiskussion stehen Vorschläge zur Multilateralisierung des Durchsetzungssystems. Leitgedanke dieser Vorschläge ist es, Gegenmaßnahmen im Rahmen des Streitbeilegungsmechanismus auch von Seiten eines solchen Mitgliedstaates zuzulassen, der an dem ursprünglichen Streitverfahren nicht beteiligt war und dadurch dem bilateralen Charakter des Sanktionsmechanismus einen Ansatz der Multilateralität entgegenzustellen. Schon vor Ende der Uruguayrunde wurden solche Vorschläge geäußert86. In jüngerer Zeit sticht insbesondere ein Vorschlag von Pauwelyn hervor.87 Pauwelyn will Gegenmaßnahmen von einzelnen Mitgliedstaaten auch dann zulassen, wenn diese nicht am vorangegangenen Streitverfahren teilgenommen haben. Dieser Vorschlag will also die Multilateralisierung in der Verfahrensbeteiligung („Standing“), wie sie im Bananen III-Fall stattgefunden hat88, auf das Verfahren der Durchsetzung übertragen, allerdings nicht als Problem des „Standing“, sondern als Problem des autorisierten Handelns. Pauwelyn will diese Erweiterung des Kreises autorisierter Mitgliedstaaten allerdings nur soweit vorantreiben, wie dem betroffenen Mitgliedstaat auch selbst Vorteile und Zugeständnisse tatsächlich zunichtegemacht bzw. geschmälert worden sind. Dieser Vorschlag erscheint praxistauglich, weil er eine sozusagen unbegrenzte Kollektivierung vermeidet. Genaugenommen handelt es sich dabei nämlich gar nicht um eine echte Kollektivierung von Gegenmaßnahmen, sondern lediglich um eine Ausweitung des bilateralen Verhältnisses auf mehrere 84 Section 306 of the Trade Act of 1974, as amended by Section 407 of the Trade and Development Act of 2000, United States Public Laws 106 – 200, 18 May 2000, 114 Stat 251. Entsprechenden Bemühungen wurden angesichts des zwischen der EG und den USA abgeschlossenen Schlichtungsvertrages mittlerweile allerdings beendetet. Zu dem Vertrag siehe „Understanding on Bananas between the EC and the United Staes of 11 April 2001“, Notifizierung vom 22. Juni 2001, enthalten in WT / DS27 / 58 vom 2. Juli 2001. Das Bedrohungspotenzial derartiger Praktiken steht aber freilich weiter im Raum. 85 Zur politischen Machbarkeit von Effektivierungsvorschlägen insbesondere Hudec, Robert E., Broadening the Scope of Remedies in WTO Dispute Settlement, in: Weiss, Friedl and Jochem Wiers, Improving WTO Dispute Settlement Procedures, Cameron May, 2000, S. 345. 86 In diese Richtung („true community sanction“) schon 1992 etwa Abbott, Kenneth, Multilateral suspension of concessions, in: GATT as a Public Institution: The Uruguay Round and Beyond, 18 Brookliyn J Int’l. Law (1992), S. 31, 64 f., 78 f. 87 Pauwelyn, Joost, Enforcement and Countermeasures in the WTO: Rules are Rules – Toward a More Collective Approach, 94 AJIL 2000, S. 335, 345. 88 European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Berufungsgremiums vom 9. September 1997, WT / DS27 / AB / R, Rn. 132 ff.

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(ebenfalls durch Bilateralität geprägte) Verhältnisse, mithin also auf eine begrenzte Plurilateralität. Indem dieser Vorschlag ebenfalls auf ein „Jedermannrecht“ zu Gegenmaßnahmen verzichtet und damit den Übergang zu „echter Multilateralität“ vermeidet, hält er sich am ehesten im Rahmen des derzeit politisch Möglichen. Daneben finden sich weitere Vorschläge insbesondere zur Aussetzung anderer Berechtigungen als gegenseitiger Zugeständnisse, wie etwa des Wahlrechts eines Mitgliedstaates89, einzelner Berechtigungen aus dem DSU90 oder sogar privater Rechte unter dem TRIPs.91 Schließlich wird auch an die Entwicklung eines sozusagen parallel zur Aussetzung von Zugeständnissen wirkenden Kompensationsmechanismusses gedacht, der zugleich rückwirkend (Reparation) und prohibitiv sein könnte und auch Geldzahlungen umfassen könnte.92 An eine ex offizio89 Dazu etwa Charnovitz, Steve, Should the teeth be pulled?, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 602, 628. Dieser Vorschlag ist schon deshalb uneffektiv, weil die WTO gegenwärtig nicht „wählt“, sondern im Consensus-Verfahren beschließt. Charnovitz spricht sich zudem für die Einführung weittragender innerstaatlicher Maßnahmen aus (S. 634 ff.), so etwa dem Aufbau interner „Fast-track“ Verfahren und unabhängiger Behörden zur Überwachung der Umsetzung von WTO-Streiteilegungsentscheidungen. Beide Überlegungen erscheinen nicht sehr realistisch, wenn sie nicht gerade im Gegenseitigkeitsverhältnis, also in möglichst allen Mitgliedstaaten gleichermaßen umgesetzt werden. Eine solche (sozusagen verbreiterte) Umsetzung erscheint aus Sicht des Verfassers gegenwärtig daher ebenso schwierig wie die Einführung unmittelbarer Wirkungen. Zudem aber haben die Vorschläge den weiteren Nachteil, dass sie, selbst wenn sie einmal umgesetzt sind, im konkreten Fall zur Überwindung der politischen Widerstände, um die es ja letztlich geht, nicht wirklich geeignet sind. Denn Fast-Track Verfahren und eigenständige Behörden führen nicht von sich aus zu einem bestimmten politischen Klima, sondern setzen dieses zu ihrer Anwendung umgekehrt gerade erst voraus. Auch in der praktischen Umsetzung von Charnovitz’ Vorschlägen (insbesondere: optionales Protokoll zum DSU) zeigen sich Schwierigkeiten, insbesondere die Gefahr einer WTO mit mehreren Geschwindigkeiten. Denn selbst wenn (wider Erwarten) einige Mitgliedstaaten den Vorschlägen zustimmen würden (z. B. weil andere Mitgliedstaaten ähnlicher Größe und mit besonderen Handelsbeziehungen untereinander im Rahmen begrenzter Reziprozität ebenfalls zustimmen), gäbe es immer noch eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten, die entsprechende Vorschläge nicht umsetzen. Genau diese Situation sucht das Marakesch-Abkommen aber gerade zu vermeiden. Etwas realistischer hingegen erscheint der weitere Vorschlag Charnovitz’ zu einer innerstaatlichen Weiterleitung der Gewinne aus Strafzöllen als Entschädigung an die sich (im klagenden Mitgliedstaat) beklagende Industrie (S. 620). Realistischer erscheint dem Verfasser dieser Vorschlag deshalb, weil er der eigenen Industrie der Mitgliedstaaten im Prinzip entgegenkommt und daher eine wie auch immer geartete Reziprozität nicht voraussetzt. 90 Pauwelyn, Joost, Enforcement and Countermeasures in the WTO: Rules are Rules – Toward a More Collective Approach, 94 AJIL 2000, S. 335, 345. 91 Dazu Subramanian, Arvind und Yahashree Watal, Can TRIPs Serve as an Enforcement Device for Developing Countries in the WTO?, in 3 JIEL (2000), S. 403. Aus Sicht der betroffenen Individuen erscheint dies nicht minder unverhältnismäßig als die Aussetzung von Zugeständnissen, da die betroffenen Individuen mit dem ursprünglichen Rechtsverstoß garnichts zu tun hatten. 92 Pauwelyn, Joost, Enforcement and Countermeasures in the WTO: Rules are Rules – Toward a More Collective Approach, 94 AJIL 2000, S. 335, 345. Für reiche Staaten wird sich eine entsprechende Zahlungspflicht selbst in prohibitiver und rückwirkender Form nur margi-

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Überprüfung und -Festlegung von Gegenmaßnahmen wird demgegenüber zu Recht heute kaum gedacht. Funktional würde es sich bei der Einführung eines solchen Mechanismusses um ein Äquivalent zur Europäischen Kommission handeln, ein Gedanke, der nach der gegenwärtigen Verfasstheit des WTO-Rechts und angesichts der weiter wachsenden Zurückhaltung in den Mitgliedstaaten wenig plausibel erscheint. Die Mitgliedstaaten sind gegenwärtig offenbar nicht dazu bereit, ihre konkreten mitgliedstaatlichen Einzelinteressen einem gegebenenfalls bestehenden „Gemeininteresse“ insoweit institutionell unterzuordnen.

4. Kompensation als Durchsetzungsmaßnahme? Diese vielfältigen Effektivitätsschwächen der Durchsetzung können gegenwärtig auch nicht durch ein überzeugendes Kompensationsregime ausgeglichen werden. Denn Kompensation ist nach Art. 22 Abs. 1 DSU zwar grundsätzlich möglich. Diese entspricht der Zielstruktur des WTO-Rechts auch insofern, als die in Bezug genommene Kompensation keine pekuniären Leistungen umfasst, sondern das Einreißen von Handelsbarrieren, insbesondere also das Senken von Zollsätzen. Sie wirkt damit in Begriffen effektiver Marktöffnung an sich WTO-systemimmanenter als die „Aussetzung von Zugeständnissen“. Ein echtes Remedur der genannten Effektivitätsschwächen des Durchsetzungsmechanismusses kann das Kompensationsregime gleichwohl nicht bieten, denn es handelt sich schon seiner Zweck-Mittel-Relation nach gar nicht um ein Instrument echter Rechtsdurchsetzung. Insbesondere ist die Kompensation nach Art. 22 Abs. 1 und 2 DSU freiwillig, denn sie setzt eine Vereinbarung zwischen den Streitparteien voraus. Angesichts der bestehenden protektionistischen Interessen in den Mitgliedstaaten ist sie als Durchsetzungsinstrument ferner schon deshalb unpraktikabel, weil sie entsprechend der Meistbegünstigungsklausel allen WTO Mitgliedstaaten gewährt werden muss, nicht also lediglich der ursprünglich klagenden Partei. Schließlich wird Kompensation nur für die Zukunft geleistet. Rückwirkende Entschädigung ex tunc kommt daher wohl nur selten in Betracht. Damit treffen die Kompensationsregelungen unter dem DSU schon den Standard des Entwurfs der International Law Commission (ILC) aus dem Jahre 2001 für eine Konvention zur Staatenverantwortung93 nicht. Denn Kern der einschlägigen Vorschriften zur Staatenverantwortung ist die sofortige Beendigung des völkerrechtswidrigen Verhaltens (Art. 31 a) ILC- Entwurf) und die vollständige Reparanal auswirken, wenn man nicht den „Reichtum“ eine Mitgliedstaats selbst mit in Anschlag stellt. Will man die Finanzlage eines Staates aber mitberücksichtigen, werden sich vielfältige Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Maßstäben zeigen, nach denen dieses geschehen soll usw. 93 International Law Commission, Draft articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, zu finden im Internet unter http: //www.un.org/law/ilc/texts/ State_responsibility/responsibilityfra.htm (Seitenaufruf vom 24. Oktober 2003).

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tion des entstandenen Schadens (Art. 32 ILC-Entwurf). Reparation in diesem Sinne meint dabei vor allem die vollständige Restitution des Schadens (Art. 35 ILCEntwurf), also seine Behebung ex tunc. Erst in zweiter Linie treffen den verantwortlichen Staat darüberhinaus Pflichten zur Kompensation und Satisfaction (Art. 36 und 37 ILC-Entwurf). Die Konkretisierung zum ILC-Entwurf und zu den Kompensationsregelungen in anderen Bereichen völkerrechtlicher Streitbeilegung macht deutlich, dass es nach dem Kompensationsregime des DSU schon entsprechend seinem Wortlaut nicht um eine Restitution des entstandenen Schadens geht, sondern allenfalls um eine Entschädigung. Gerade diese vermag als Durchsetzungsmittel aber noch weniger zu fungieren als echte Restitutionspflichten. Unter dem DSU sind Kompensationsleistungen als Durchsetzungsinstrument bis heute daher weitgehend vernachlässigbar94.

III. Würdigung: Zustand „relativer Verdichtung“ durch begrenzte Institutionalisierung Blickt man auf die Streitbeilegung in der WTO aus der Perspektive des allgemeinen Völkerrechts, so muss sie angesicht der festgestellten Institutionalisierung zwar schon wegen ihres durch negativen Konsens geprägten multilateralen Autorisierungsverfahrens notwendig als fortschrittlich bezeichnet werden.95 Denn das Völkerrecht wird regelmäßig dezentral im Wege von Instrumenten wie Retorsion und Repressalie durchgesetzt, in der Regel durch den verletzten Staat. Dem verletzten Staat steht in diesem Zusammenhang die Entscheidungsprärogative über die Mittel der Durchsetzung zu. Der Gedanke der multilateralen Autorisierung von Gegenmaßnahmen, wie er im WTO-Recht Ausdruck gefunden hat, ist mithin ein wichtiger Schritt hin zu einer Multilateralisierung der Entscheidung über die Durchsetzung. Dass die Regel vom negativen Konsens auf im Wesentlichen alle Stadien des Streitbeilegungsmechanismus, insbesondere auch auf die Autorisierung der Aussetzung von Zugeständnissen anwendbar ist, verstärkt diesen Schritt in Richtung eines verfassten Systems96. Blickt man auf die Streitbeilegung in der WTO demgegenüber aus der Sicht eines klassisch verfassten Rechtssystems mit zentralisiertem Zwangsmonopol, so wirkt sie noch immer ausgesprochen defizitär. Die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten bleibt trotz des normtiven Anspruchs des WTO-Rechts faktisch bis heute weitgehend unangetastet. Nicht durch das WTO-Recht selbst, sondern allen94 Zum ganzen etwa Pauwelyn, Joost, Enforcement and Countermeasures: Rules are Rules – Toward a More Collective Approach, 94 AJIL (2000), S. 335. 95 Zum Verhältnis des WTO-Rechts zum allgemeinen Völkerrecht näher etwa Pauwelyn, Joost, The Role of Public International Law in the WTO: How Far Can We Go?, 95 AJIL 2001, S. 535 mwN. 96 Jackson, John H., The World Trading System, Law and Policy of International Economic Relations, MIT, Camridge, Mass., 1997, S. 125.

III. Würdigung: Relative Verdichtung

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falls durch die gegebenenfalls bestehende wirtschaftliche und politische Übermacht anderer WTO-Mitgliedstaaten ist ein WTO-Mitgliedstaat heute dazu gezwungen, sein Verhalten zu ändern. Lässt es seine wirtschaftliche und politische Stärke zu, ist er durch das WTO-Recht weiterhin allein normativ, nicht auch faktisch in seiner regulativen Autonomie eingeschränkt. Angesichts dieser Schwächen zeigt sich der schwache Verfasstheitszustand der WTO besonders deutlich nicht so sehr im Angesicht dessen, was die WTO ist, sondern im Angesicht dessen, was sie bis heute nicht ist, nämlich eines weitenteils kollektiven Gemeinwesens. Insbesondere in der Durchsetzung fehlt der WTO in sehr weitgehendem Maße jene Kollektivität, die verfassungsspendend wirken kann97. Dies ist einer der (vielen) Gründe dafür, dass Kritiker trotz ihrer Anerkennung des grundsätzlich Neuen das Verfasungsparadigma für die WTO als solches noch weitgehend ablehnen. Das WTORecht hat bis heute nicht eine solche Wirkmächtigkeit erreicht, dass wir es voraussetzungsvoll als eine „verfasste Ordnung“ bezeichnen könnten (nähere Einzelheiten Teil E. unten).98 Nach Meinung des Verfassers wird die WTO daher am ehesten in einem Bild der „relativen Verdichtung“ lebendig. Diese Beschreibung ist in ihrem Kern zwar recht allgemein gehalten. Sie lässt insbesondere Bewegungen in alle Richtungen zu, so dass Kritiker gegebenenfalls entgegenhalten werden, sie sei nicht sonderlich aussagekräftig. Dieser Einwand trägt aber nicht. Denn gerade erst durch diese Allgemeinheit des Konzepts wird es möglich, die Besonderheiten der politischen Flexibilität bei der Anwendung der Rechtsvorschriften richtig zu erfassen. Die Wahrnehmung des gerade relativen Charakters der institutionell-rechtlichen Verdichtung des WTO-Rechts macht es aus Sicht des Verfassers überhaupt erst möglich, alle legitimatorischen Dimensionen streitbeilegenden Entscheidens in der WTO zu würdigen, insbesondere auch die bei aller institutionellen Verfestigung offenbar so dringend erforderliche politische Flexibilität. Die im folgenden Schlusskapitel vorgenommenen funktionalen, legitimationstheoretischen und entscheidungspraktischen Überlegungen sind daher in diesem Bild einer „relativen institutionellen Verdichtung“ der WTO zu lesen, deren genauer Grad für die zu entwickelnden Entscheidungsmaßstäbe weder festgestellt werden kann (es fehlt schon an einem sinnvollen Vergleichstypus) noch festgestellt werden muss. Denn mehr als abstrakte Verdichtungsstufen lassen sich über die festgestellten Gehalte hinaus gedanklich ohnehin nicht erfassen. Es reicht vollkommen aus, hier festzustellen, dass die WTO gegenüber dem allgemeinen Völkerrecht und vor allem gegenüber dem GATT 1947 einen gewissen Grad der Verdichtung erreicht hat (der bei substanzhaftem Entscheiden erhebliche Friktionen erwarten lässt), dass 97 Zum Verhältnis von Verfassung, Staat und Zwangsmononopol grundlegend Kelsen, Hans, General Theory of Law and State, MA: Harvard UP, 1949, S. 303 ff., 325 ff. 98 Insbesondere Nettesheim, Martin,Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung. Zur Entwicklung der Ordnungsformen des internationalen Wirtschaftsfrage, in: Classen u. a. (Hrsg.), Liber Amicorum Thomas Oppermann, Tübingen, 2001, S. 381.

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D. Autonomie im Geflecht voranschreitender Institutionalisierung

dieser Grad aber bei weitem nicht so sehr fortgeschritten ist, dass man ihn sinnvoll als einen Übergang in eine Form aufgeladener weltweiter Verfasstheit verstehen könnte.

E. Konsequenzen für die Zukunft: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts zwischen bloßer Handelsliberalisierung und zwischenstaatlicher Deregulierung Die Fähigkeit der WTO, mit dem marktintegrativen Potenzial der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse in Zukunft richtig umzugehen, hängt angesichts der relativen institutionellen Verdichtung der WTO vorwiegend davon ab, ob sie den richtigen Weg findet zwischen vornehmer Zurückhaltung und echter Politikgestaltung im Wege substanziell-streitbeilegender Entscheidungstätigkeit. Die bloße Existenz der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse (TBT und SPS) als Teil des multilateralen Rechts ist nicht nur ein Indikator für das steigende marktintegrative Interesse der Mitgliedstaaten an mehr Marktintegration. Sie lädt die Mitgliedstaaten auch zunehmend dazu ein, eine marktintegrativ motivierte Klage gegen nicht-diskriminierende Maßnahmen mit einiger Aussicht auf Erfolg einzuleiten. Der aktuelle Stand marktintegrativ motivierter Klagen ist vielleicht erst der Beginn einer ganzen Welle derartiger Klagen. Treiben die Organe die Eingriffe in die marktregulative Autonomie der Mitgliedstaaten in Reaktion auf zukünftige Klagen zu weit, kann dies zur Nichtbefolgung von Streitbeilegungsentscheidungen führen oder sogar zur Fluchtbewegung kleinerer Staaten aus der WTO heraus. Treiben sie demgegenüber die Eingriffe in die marktregulative Autonomie nicht weit genug, kann dies umgekehrt zu einer Reorientierung (vor allem der die WTO tragenden Mitgliedstaaten) in den Bilateralismus führen. Beide Szenarien könnten angesichts der gegenwärtig ohnehin ausgesprochen destabilen Lage1 das Ende der WTO überhaupt bedeuten. Wie immer die Organe im Einzelnen entscheiden – es wird eine schwierige Gratwanderung sein zwischen Abweisung und Stattgabe marktintegrativ motivierter Klagen. Die richtige Reaktion der Streitbeilegungsorgane auf marktintegrativ motivierte Klagen ist daher von großer Bedeutung. In der Sache geht es bei den aufgeworfenen Fragen darum, ob die WTO längerfristig zu einem „Deregulierungshebel“ ausgebaut werden soll, oder ob sie in der Tradition des GATT weiterhin bloße Wettbewerbsgleichheit sichern soll. Die Frage hierüber impliziert mehr als nur einen bloßen Richtungsstreit zwischen klassischen „Handelsliberalisten“, denen es um die Sicherung von Wettbewerbsgleichheit geht, und „Wirtschaftsliberalen“, denen es um echte Deregulierung und Entfachung wirtschaftlicher Kraft in den Mitglied1 Vgl. aus der Tagespresse etwa The Wall Street Journal vom 16. September 2003, S. 1: Cancun: Victory for Whom?

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

staaten geht. Denn die Situation unterscheidet sich heute von derjenigen in den frühen Zeiten des GATT 1947. Das hier zu lösende Problem gab es damals in praktischer Hinsicht nicht. Es gab zwar immer schon Handelsbeschränkungen, die allein in der Existenz regulativer Diversität wurzeln. Sie wurden angesichts des hohen Grades staatlich veranlasster anderweitiger Wettbewerbsverzerrungen aber nicht als besonders dringliches Problem empfunden. Die sichtbar im Wege der Diskriminierung errichteten Marktzugangsschranken verstellten gewissermaßen den Blick auf die durch bloße Diversität verursachten Handelsbeschränkungen. Erst durch den Erfolg der klassischen Handelsliberalisierung wurden letztere sozusagen sicht- und spürbar. Handelsliberalisierung dringt insoweit immer weiter in die Tiefenschichten moderner Staatlichkeit vor. Es ist kein Wunder, dass Fälle wie der Hormon-, Asbest- oder Biotechnologiefall erst in jenem Moment die Streitbeilegungsorgane zu beschäftigen beginnen, in dem sonstige Handelsbeschränkungen wie Zölle, Grenzmaßnahmen gleicher Wirkung oder diskriminierende Maßnahmen hinter der Grenze weitgehend abgebaut sind. Gerade angesichts der relativen Verstärkung der Bindungswirkung, die der Streitbeilegungsmechanismus im Rahmen des WTO-Rechts erfahren hat, hält der Verfasser das richtige Entscheiden zwischen Abweisung und Stattgabe marktintegrativ motivierter Klagen für eine wichtige, wenn nicht sogar für die wichtigste Herausforderung, der sich die WTO zu stellen hat. Denn hier geht es nicht um die rein prozedurale Sicherung materieller Wettbewerbsgleichheit, sondern um substanzhaftes Entscheiden. Die Entscheidung über die Notwendigkeit oder wissenschaftlichen Begründetheit einer Maßnahme ist eine Abwägungsentscheidung zwischen dem mitgliedstaatlich identifizierten Schutzgut (Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz usw.) und der Freiheit des Handels von Beschränkungen, die in Verfolgung des identifizierten Schutzguts notwendig entstehen. In der letzten Instanz handelt es sich bei derartigen Entscheidungen mithin um genuin politische Abwägungsentscheidungen. Die mit derartigem substanziell-politischem Entscheiden verbundenen Legitimationsprobleme liegen unmittelbar auf der Hand. Denn letztlich entscheiden die Streitbeilegungsorgane in diesem Umfeld über die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit der von den Mitgliedstaaten in jeweils unterschiedlicher Weise getroffenen regulativen Antwort auf ein bestimmtes Marktphänomen. Geben sie einer marktintegrativ motivierten Klage statt, so liegt hierin eine positive Entscheidung darüber, dass aus Gründen des grenzüberschreitenden Handels die weniger handelsbeschränkende Lösung des klagenden Mitgliedstaates gegenüber der stärker handelsbeschränkenden Lösung des beklagten Mitgliedstaates vorzuziehen sei. Weisen sie eine marktintegrativ motivierte Klage demgegenüber ab, so entscheiden sie damit zugleich, dass auch am Maßstab des WTO / GATT-Rechts die regulative Lösung des beklagten Mitgliedstaates nicht weniger vorzugwürdig ist als diejenige des klägerischen Mitgliedstaates. Es ist mithin eine Entscheidung über die vom beklagten Mitgliedstaat gefundene regulatorische Lösung als ganzer, die die Streitbeilegungsorgane zu fällen haben. Das normative Eingriffspotenzial, das die Streitbeile-

E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

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gungsorgane damit ganz offensichtlich in sich tragen, ist unmittelbarer Ausfluss der Notwendigkeit zur Entscheidung über die Richtigkeit der regulatorischen Lösung des beklagten Mitgliedstaates als solcher: Autonomieschutz und Freiheit des Handels streiten hier – anders als im Rahmen der Beschränkung auf das formale Prinzip der Wettbewerbsgleichheit – unmittelbar gegeneinander, so dass ein von Außen durchgesetztes Mehr an freiem Handel immer ein Weniger an substanzieller Autonomie des beklagten Mitgliedstaates mit sich bringt. Man muss daher bestrebt sein, den WTO-Organen die richtigen Maßstäbe für ihre Entscheidung über deregulativ motivierte Klagen an die Hand zu geben. Dies gilt umso mehr, als es für derartige im Politisch-Substanziellen wurzelnde Abwägungsentscheidungen letztlich an anerkannten dogmatischen Regeln fehlt. Denn die Streitbeilegungsorgane können zwar formale Regeln zur richtigen Abwägung beachten, wie zum Beispiel die Regel innerer Widerspruchsfreiheit.2 Substanziell sind sie in ihrer Abwägungsentscheidung aber weitgehend „auf sich selbst“ zurückgeworfen. Es handelt sich letztlich um Evidenzerlebnisse, die nur noch in begrenztem Maße letztbegründbar sind.3 Damit soll nicht gesagt sein, dass die streitbeilegenden Organe substanziell „irgendwie“ abwägen können. Es soll lediglich gesagt sein, dass die Letztbegründbarkeit ihre Grenzen hat. Selbst aufgeladene Versuche zur Erklärung des Bedürfnisses und der Machbarkeit einer Begründungsvertiefung juristischer Entscheidungen setzen in der Regel lediglich an dem Bedürfnis nach Rationalität, nicht an demjenigen nach Gewissheit an. Insofern ist die Verdichtung juristischer Argumentation zu „richtiger Argumentation“ schon in ihrer Zielsetzung typischerweise beschränkt.

2 Dabei geht es um Fragen der „Prämissengemäßheit“ einer juristischen Entscheidung. In der Rechtstheorie wird diese Prämissengemäßheit allgemein als „interne Rechtfertigung“ der Entscheidung bezeichnet, näher etwa Alexy, Robert, Theorie der juristischen Argumentation, 3. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1996, S. 273 ff. 3 So mag man etwa die Forderung nach möglichst schonendem Umgang mit der mitgliedstaatlichen Autonomie aufstellen und auch einige Gründe dafür anführen, etwa den geringen faktischen Integrationsstand der Weltwirtschaft (die fehlende „Binnenmarktqualität“), die großen Unterschiede in den mitgliedstaatlichen politischen Strukturen, das zum Teil darauf zurückzuführende Fehlen der Möglichkeit weltweiter Regulierung (positiver Integration), die, wie der unionale Binnemarkt zeigt, der negativen Integration typischerweise folgt usw. Dies wird aber niemanden daran hindern, die Forderung politisch für falsch zu halten, hierfür einige Gründe anzuführen und dementsprechend eine entgegengesetzte Forderung in den Raum zu stellen, etwa die Forderung danach, die WTO trotz gegebenenfalls bestehender Destabilisierungstendenzen zu einem Deregulierungshebel auszubauen. Als mögliche Gründe hierfür könnten etwa die leistungstimulierende Wirkung von wirtschaftlicher Freiheit, die daraus folgenden Skalenvorteile weltweit tätiger Unternehmen und die damit verbundene Steigerung allgemeinen Wohlstandes angeführt werden. Über entsprechende „trickle down“-Effekte mag man sogar allgemein armutsbekämpfende und demokratiefördernde Aspekte von außen durchsetzbarer Deregulierung ins Felde führen usw. Nichts steht dem entgegen, in dieser Weise einander entgegengesetzte Forderungen und Begründungen für die Auslegung der Beschränkungsverbote nutzbar zu machen. In einem solchen Fall steht dann normative Aussage gegen normative Aussage.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

Trotz dieser Beschränkung in der Zielsetzung gibt es aber beachtenswerte Versuche, die normativ-praktische Richtigkeit von Entscheidungen „so weit wie möglich“ herzuleiten. Beachtenswert sind insoweit zum einen Robert Alexys These von der juristischen Argumentation als Sonderfall allgemeiner praktischer Argumentation, die er zu einer allgemeinen Theorie der „externen Rechtfertigung“ juristischer Entscheidungen ausgebaut hat4, und zum anderen die positivismuskritische These Ronald Dworkins, der im Rahmen seiner Theorie richtigen substanziellen Entscheidens davon augeht, dass die Rechtsanwender (Richter / Streitbeileger) „ihr Bestes“ tun können, um das Recht in einem kontinuierlichen Prozess der Abwägung immerfort interpretierend und abwägend voranbringen.5 Der Verfasser schließt sich derartigen Forderungen nach bestmöglicher Begründung an. Er ist der festen Überzeugung, dass streitbeilegende Entscheidungen in normativ-praktischer Hinsicht „so weit wie möglich“ dem Gebot der praktischen Richtigkeit entsprechen müssen. Man mag dies ungefähr im Sinne einer „relativen Verdichtbarkeit“ normativ-praktischer Argumentation verstehen. Dieses Erfordernis nach der besten Entscheidung ist Ausfluss der aktuell vorgenommenen Allokation von Entscheidungsmacht in der WTO-Streitbeilegung. Denn wenn substanzielle Entscheidungsmacht in die Hände weniger gelegt wird, dann muss dies seinen Grund darin haben, dass die von ihnen gefällten Entscheidungen besser oder richtiger sind als die Entscheidungen der Vielen (etwa in einem mitgliedstaatlich-legislativen Gremium). Die Vermittlung der Entscheidung kann daher kaum darin bestehen, dass sich die Streitbeilegungsorganen „das richtige Gespür“ für die angemessene Entscheidung zuschreiben. Die Streitbeilegungsorgane haben nicht die Macht autoritativen Entscheidens, die ein Richter in einem Mitgliedstaat hat (der dabei übrigens auch richtig begründen muss), sondern allenfalls die Macht der Überzeugung darüber, dass die getroffene Entscheidung auch wirklich richtig ist.6 Die folgenden Ausführungen sind damit letztlich Ausdruck der Überlegung, dass nicht nur die Streitbeilegungsorgane in normativ-praktischer Hinsicht so weit wie möglich richtig entscheiden können und müssen, sondern dass auch der Diskurs des Beobachters über das substanziell-regelgeleitete Entscheiden der Streitbeilegungsorgane bei aller Bezugnahme auf die positiv sichtbaren Regeln, die die Organe anwenden, 4 Alexy, Robert, Theorie der juristischen Argumentation, 3. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1996, S. 283 ff. 5 Zuletzt Dworkin, Ronald, Law’s Empire, Cambridge MA: Belknap, 1986, S. 233: „Your assignment is to make the text the best it can be, and you will therefore choose the interpretation you believe makes the work more significant or otherwise better.“ 6 Damit soll nicht gesagt sein, dass die Art. 21 bis 23 DSU keinen Fortschritt gegenüber sonstigem Völkerrecht bedeuteten, ist doch nach allgemeinem Völkerrecht der Staat berechtigt, in eigener Wahl ihm günstige Entscheidungen im Wege von Retorsion und Repressalie durchzusetzen, soweit dies nur den formalen Anforderungen des Rechts entspricht. Es soll nur gesagt werden, dass die zentralisierte Authorisierung der Durchsetzung noch keine Zentralisierung von Entscheidungsmacht in jenem Sinne bedeutet, wie sie für ein Gericht notwendig ist, um seine Entscheidungen durchzusetzen. Näher zum ganzen sogleich Teil E.I.

E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

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letztlich ein metaphysischer Diskurs über die Richtigkeit der Entscheidungen selbst ist.7 In diesem Sinne nimmt der Verfasser im Folgenden substanziell-inhaltlich Stellung. Zu diesem Zweck wird er zunächst funktionale Überlegungen zur Rolle der Streitbeilegung in der WTO anstellen. Denn interessegeleitetes und damit im vorliegenden Verständnis richtiges Entscheiden ist durch eine Reihe von institutionellen und funktionalen Zusammenhängen vorgeprägt. Haben die WTO-Mitgliedstaaten den WTO-Organen etwa die Funktion eines echten „Verfassungsgerichts“ zugewiesen, so kann hierin ein wichtiges Indiz für einen materiell-politischen Gestaltungssauftrag über die mitgliedstaatlichen Grenzen hinweg liegen. Haben sie demgegenüber den WTO-Organen lediglich klassische zwischenstaatliche Streitbeilegungsaufgaben zugewiesen, so liegt bereits hierin ein Hinweis auf eine funktionale Beschränkung politikgestaltender Entfaltung der Streitbeilegungsorgane (Teil E.I. unten). Auf dieser Grundlage sollen dann in einem zweiten Schritt die hier relevanten entscheidungspraktischen Gesichtspunkte interessegeleiteten Entscheidens entfaltet werden. Auf der Grundlage Scharpfscher komplexer Demokratietheorie soll nach einer kurzen Auseinandersetzung mit der recht weit verbreiteten, hier aber abgelehnten kosmopolitischen Sichtweise eine Gesamtanalyse aller in einem Streitverfahren beteiligten gemeinsamen mitgliedstaatlichen Interessen versucht werden. Freilich geht in diesem Zusammenhang nicht darum, jedes einzelne in den Vorschriften möglicherweise zum Ausdruck kommende mitgliedstaatliche Interesse auf seine Fähigkeit hin zu überprüfen, ein gemeinsames Interesse zu sein. Insbesondere soll nicht durch die unendliche Vielzahl denkbarer mitgliedstaatlicher Einzelinteressen „hindurchgekämmt“ werden. Lediglich sollen im Rahmen einer Interessenstrukturanalyse die hier entscheidenden mitgliedstaatlichen Interessen auf ihre Struktur und ihr Verhältnis zueinander hin untersucht werden (Teil E.II. unten). In einem Ausblick wird der Verfasser auf dieser Grundlage abschließend einige konkrete Empfehlungen an die Streitbeilegungsoragen zur „möglichst richtigen Entscheidung“ des gegenwärtig von ihnen zu entscheidenen Biotechnologiefalls abgeben (Teil E.III. unten). 7 Der amerikanische Rechtsphilosoph Joseph Raz hat zwar hervorgehoben, dass es nicht auf einen „internal point of view“ der Teilnehmer am Rechtsprozess ankomme, sondern auf einen „point of view“, namentlich denjenigen des Rechts bzw. einer Rechtsnorm, der dann – von einem Teilnehmer wie von einem Beobachter – entweder einnehmbar ist oder auch nicht („a point of view, according to which a participant may think that . . . “), vgl. Raz, Joseph, The Authority of Law, Oxford: Clarendon Press, 1979, S. 50 und S. 153. Damit hat er in gewisser Weise die Kritik Dworkins an der Rolle des „internal point of view“ der am Rechtprozess Beteiligten in der soziologischen Positivismustheorie Harts entschärft. Nicht hingegen hat er damit das Problem gelöst, dass auch dieser allgemeine, in der Norm selbst angelegte „point of view“ konkretisiert werden muss. Es ist diese Konkretisierung, die substanziellen Diskurs erfordert, sei es nun von den Beteiligten oder den „Beobachtern“ des Rechtsprozesses (wie etwa dem Verfasser). Kritisch zu dieser Position etwa Marmor, Andrei, Interpretation and Legal Theory, Oxford: Clarendon Press, 1992, S. 45 ff.; Perry, Stephen R., Interpretation and Methodology in Legal Theory, in: Marmor, Andrei (Hrsg.), Law and Interpretation, Essays in Legal Philosophy, Oxford: Clarendon Press, 1995, S. 122.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

I. Funktionale Überlegungen: Die Verwurzelung der WTO-Streitbeilegung in der Diplomatie Fuinktional stellt sich vor allem die Frage, inwieweit ein Mitgliedstaat dem anderen unter Nutzung des multilateralen Vertragswerks seine regulativen Lösungen aufdrängen darf. Die funktionale Perspektive transponiert das Problem des Verhältnisses zwischen „politischen“ und „juristischen“ Organen der WTO (zu dieser Debatte sogleich) sozusagen in das bilaterale Verhältnis zweier Streitparteien hinein. Es geht dabei letztlich um die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit ein Staat über den Hebel der Streitbeilegung seine regulative Lösung gegenüber anderen Mitgliedstaaten durchsetzen und dadurch in der Sache harmonisierende Wirkungen herbeiführen darf, die zwischenstaatlich typischerweise im Wege „rechtssetzender Diplomatie“ verhandelt werden. In föderativen Systemen wie dem klassischen Bundesstaat oder der europäischen konsoziatiativen Föderation8 wird diese Frage in der Regel dadurch beantwortet, dass Harmonisierungen nicht durch Beschränkungsverbote der hier vorliegenden Art vorgenommen werden, sondern durch die konkrete Gestaltung bündischer Rechtsregeln (in der Regel durch Wahrnehmung entsprechender primärrechtlicher Regelungskompetenzen). Ein solches Vorgehen ist in der WTO gegenwärtig aber nicht denkbar. Es handelt sich nicht um ein föderales, sondern um ein durch und durch zwischenstaatliches System, in dem der Streit zwischen den Mitgliedstaaten nicht im Wege „gesetzgeberischer Kompromisse“ erfolgen kann. Entscheidungen fallen allenfalls im Wege des Konsenses, oder, soweit dieser nicht erreicht werden kann, durch die oben diskutierten (D. oben) fomalisierten Formen der Streitbeilegung – oder gar nicht.9 In der WTO 8 Zum Begriff Schneider, Heinrich, Alternativen der Verfassungsfinalität: Föderation, Konföderation – oder was sonst?, 23 integration 2000, S. 171; Nettesheim, Martin, EU-Recht und nationales Verfassungsrecht, Deutscher Bericht für die XX. FIDE-Tagung 2002, zu finden auf www.fide2002.org, S. 29. 9 Die WTO unterscheidet sich wegen dieser Charakteristika von bündischen Systemen. Auch in bündischen Systemen stellt sich zwar die Frage, ob und inwieweit die eine entité fédérée (in der Bundesrepublik also etwa ein Land, in der EU / EG ein Mitgliedstaat usw.) der anderen ihre Wertungen aufdrängen darf. Die Frage stellt sich dort angesichts der bündischen Verfasstheit allerdings vorrangig im Zusammenhang gesetzgebender Tätigkeit und erst in zweiter Linie im Bereich juristisch geprägter Streitbeilegung. Denn juristisch geprägte Streitbeilegung setzt in bündischen Systemen in der Regel zunächst gesetzgebende Tätigkeit voraus, da Gesetzgebungsverfahren in der Regel der vorrangige Weg politisch-rechtlicher Gestaltung sind und Gerichtsverfahren in der Regel daher erst „in zweiter Linie“ der politischen Auseinandersetzung geführt werden (in der Bunderepublik etwa klagt ein Land gegen das andere ausgesprochen selten (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 GG); auch in der EU sind Verfahren zwischen einem Mitgliedstaat und einem anderen Mitgliedstaat (Art. 227 EGV) äußerst selten). Die Durchsetzung eigener Wertungen erscheint im bündischen System damit als vorwiegend offener politischer Kampf im zentralen Gesetzgebungsorgan um die beste Lösung. Erst in zweiter Linie wird dann gegen die gesetzgebende Körperschaft geklagt (in der Regel nicht eine andere entité fédérée, sondern die entité fédérale, in der Bundesrepublik also der Bund, in der EU / EG die EG usw.). In der WTO hingegen ist es genau umgekehrt: Die Mitgliedstaaten gehen, um ihre Interessen im System durchzusetzen, nicht den Weg der

I. Funktionale Überlegungen: Streitbeilegung als Form der Diplomatie

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müssen Antworten auf die Frage der Durchsetzung der Werte einer mitgliedstaatlichen Gemeinschaft gegenüber einer anderen mitgliedstaaatlichen Gemeinschaft daher anders gelagert sein als in bündischen Systemen. Mögliche Anworten finden sich durchaus im Spannungsfeld zwischen Föderalisierung und Systemwettbewerb.10 „Föderalisierung“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht notwendig „Aufbau eines bündischen Systems“, sondern kann auch bloße Entwicklungen in Richtung auf ein solches System bedeuten, ohne notwendig in ihm anzukommen. Umgekehrt aber ist auch der Begriff des Systemwettbewerbs als einem Such- und Findungsprozess zwischen Systemen nicht auf das vollständige Fehlen jeder Kooperation angewiesen, sondern kann durchaus mit anderen Ordnungsmodellen kombiniert werden. Der Weg der WTO liegt mithin nicht in den Extrempolen klassischer Föderalisierung einerseits oder vollständigen Systemwettbewerbs andererseits. Er liegt vielmehr irgendwo zwischen diesen beiden Polen. Begrifflich wurde ein solcher Weg zwischen föderal-kooperativer Regulation einerseits („regulatory Co-operation“) und regulativem Systemwettbewerb andererseits („regulatory Competition“) bereits treffend als „regulatory Co-Opetition“ bezeichnet.11 Die weitere Entwicklung der WTO wird sich in diesem Bereich der „regulatory Co-Opetition“ bewegen – und bewegt sich in der Tat bereits in diesem Bereich. Denn die WTO ist, wie sich aus den Erörterungen oben (Teil C.) ergeben hat, in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung mit sowohl handelsliberalisierenden als auch marktintegrierenden Regelungen bereits Ausdruck eines Systems der „regulatory Co-Opetition“. Die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen sind sozusagen echte Ansätze substanzhafter regulativer Kooperation. In der WTOVerfassungsdiskussion gewinnt diese Idee eines zunehmend gemischten regulativen Systems mit Elementen der Marktintegration und der klassischen Handelsliberalisierung bereits ausgeprägte Konturen (vgl. etwa Weilers These zunehmender Konvergenz von WTO- und Unionsrecht12). sekundärrechtlichen Gesetzgebung, sondern nutzen bereits „in der ersten Linie“ den (jedenfalls weitgehend) juristisch orientierten zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismus. Gerade die Zwischenstaatlichkeit der WTO-Streitbeilegung ist damit ein eindrucksvolles Merkmal des Unterschieds zwischen bündischen Systemen einerseits und der WTO andererseits: Während in bündischen Systemen eine entité fédérée den (juristischen) Streit in der Regel nicht gegenüber anderen entités fédérées sucht, sondern gegenüber der entité fédérale (da diese im Streit bereits gesetzgebend tätig geworden ist), gibt es in der WTO keine entité fédérale, gegen die eine entité fédérée (WTO Mitgliedstaat) klagen könnte, so dass der Streitbeilegungmechanismus notwendig zwischenstaatlich bleibt, zugleich aber auch häufig genutzt wird. 10 Sauvé, Pierre und Americo Beviglia Zampetti, Subsidiarity Perspectives on the New Trade Agenda, 3 JIEL 2000, S. 83. 11 Esty, Daniel C. und Damien Geradin, Regulatory Co-Opetition, in: dies. (Hrsg.), Regulatory Competition and Economic Integration, Oxford: Oxford University Press, 2001, S. 30. 12 Weiler, J.H.H., Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders., The EU, the WTO and the NAFTA, Towards a Common Law of International Trade?, Oxford, OUP, 2000, S. 201, 228.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

Angesichts dieser Situation erscheint es wenig sinnvoll, für die weitere Entwicklung der WTO Extrempositionen vorzuschlagen, etwa im Sinne der Entwicklung eines bündischen Systems oder eines ausschließlich klassisch zwischenstaatlichen Systems. Ein evolutorischer Ansatz legt es vielmehr nahe, entlang der aktuellen Notwendigkeiten irgendwo zwischen den Polen der Marktintegration einerseits und des Systemwettbewerbs andererseits voranzuschreiten. Dies setzt insbesondere nähere Überlegungen über die Funktion der Streitbeilegungsorgane voraus. Ausgangspunkt muss dabei die Einordnung der Tätigkeit der Organe in das Gesamtsystem der WTO sein. Denn die Funktion der Streitbeilegung ergibt sich aus dem Auftrag, den die Mitgliedstaaten ihr zugewiesen haben. Die Streitbeilegungsorgane sind die Organe eines „gekorenen“ Völkerrechtssubjekts. Sie tragen ihre Rechtfertigung daher nicht in sich, sondern speisen sich unmittelbar aus dem Interesse der sie kürenden Mitgliedstaaten. Damit sind sie sozusagen von vorneherein in einen funktionalen Zusammenhang hineingestellt, an dem sie sich und ihre Tätigkeit messen lassen müssen. Dieser funktionale Zusammenhang bedarf allerdings der näheren Konkretisierung. Es reicht nicht aus, unter Hinzufügung einiger Gründe zu behaupten, die Streitbeilegungsorgane hätten eben die eine oder andere Funktion in der WTO, etwa eine „rechtsprechende“ oder „handelsdiplomatische“ Funktion. Vielmehr muss die Funktion aus dem rechtlichen Gesamtsystem der WTO heraus abgeleitet werden. Insbesondere reicht es nicht aus, die WTO ohne nähere Begründung durch die „Brille der Staatslehre“ hindurch zu betrachten, wie es in der gegenwärtigen Diskussion um die Rolle der WTO-Streitbeilegung typischerweise gepflegt wird. Mit einer frappierenden Selbstverständlichkeit wird die Streitbeilegung in der WTO funktional mittlerweile als „Judikative“ deklariert. Im Anschluss wird von einem strukturellen „Ungleichgewicht zwischen quasijuristischer und politischer Entscheidungsfindung“ gesprochen. In dieser Perspektive fällt insbesondere die Wahrnehmung einer besonderen „Stärke“ der WTO-Streitbeilegung gegenüber dem „politischen Arm“ der WTO auf. Wurde das Streitbeilegungssystem zu Beginn der WTO dabei noch überwiegend als „Sieg“ des Rechts über die Macht gefeiert13, überwiegen in diesem Zusammenhang heute demgegenüber die kritischen Töne.14 Wie immer man sich hier im Einzelnen zwischen Zustimmung und Kritik gegenüber der Streitbeilegungspraxis positioniert: Die These vom Ungleichgewicht steht weiterhin unwidersprochen im Raum. Alles in allem wird der WTO-Streitbeile13 Vgl. etwa den Sammelband von Petersmann, Ernst-Ulrich (Hrsg.), The GATT / WTO dispute settlement system: international law, international organizations and dispute settlement, Den Haag, Kluwer Law International, 1997; ferner etwa Reich, Arie, From Diplomacy To Law: The Juridicization of International Trade Relations, 17 Nw. J. Int’l L. & Bus. 1996 / 97, S. 775. 14 Einen differenzierten Überblick hierzu bietet neuerdings allerdings der Sammelband von Petersmann, Ernst-Ulrich (Hrsg.), Transatlantic economic disputes: the EU, the US, and the WTO, Oxford u. a.: Oxford Univ. Press, 2003.

I. Funktionale Überlegungen: Streitbeilegung als Form der Diplomatie

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gung zwar bescheinigt, dass sie die Vorschriften wortlautgetreu auslege.15 Kritik erntet das Berufungsgremium allenfalls im Hinblick auf Entscheidungen, in denen es seine ausgeprägte Zurückhaltung ausnahmsweise einmal aufgegeben hat und, wie etwa in dem Fall indischer Zahlungsbilanzprobleme, im echten Sinne gestalterisch tätig wurde.16 Ungeachtet derartiger Einzelentscheidungen wird das strukturelle Ungleichgewicht als solches aber eher als Bedrohung denn als Chance wahrgenommen.17 Von manchen werden pragmatische Lösungsvorschläge gemacht, so etwa zu der alles in allem weiter gebotenen Zurückhaltung der Streitbeilegungsorgane18 oder auch zu den (nicht mehr ganz so pragmatischen) Möglichkeiten der Einführung von gewichtetem Wählen19. Andere stellen aus einer politisch konservativen und staatsschützenden Position wenig nutzbringende Forderungen nach einer Reflexibilisierung des Streitbeilegungsystems durch die Wiedereinführung bestimmter blockweiser Vetomöglichkeiten.20 Wieder andere verkünden vollmundig 15 Das Bemühen des Berufungsgremiums um die rechtlich-methodische Qualität seiner Entscheidungen wird, soweit der Verfasser die Literatur überblickt, wohl von allen Beobachtern innerhalb wie außerhalb des Streitbeilegungsgremiums in jedenfalls allgemeiner Form anerkannt, vgl. etwa Hudec, Robert E., The New WTO Dispute Settlement Procedure: An Overview of the First Three Years, 8 Minnessota Journal of Global Trade 1999, S. 1; Davey, William J., Has the WTO Dispute Settlement System Exceeded its Authority?, 4 JIEL 2001, S. 79; Howse, Robert, The Most Dangerous Branch? WTO Appellate Body jurisprudence on the Nature and Limits of the Judicial Power, in: Cottier, Thomas, Petros C. Mavroidids und Patrick Blatter, The Role of the Judge in international trade regulation: Experience and Lessons for the WTO (World Trade Forum 2000), University of Michigan Press, 2003, S. 286; Steger, Debra P., The Appelate Body and its Contribution to WTO Dispute Settlement, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 482. 16 Vgl. etwa Roessler, Frieder, The Institutional Balance between the Judicial and the Political Organs of the WTO, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 325. Der Vorwurf wird mittlerweile auch im Hinblick auf andere harmonisierende Regeln des WTORechts geäußert, etwa im Recht der Sonderzölle, vgl. dazu aus neuerer Zeit etwa Greenwald, John, WTO Dispute Settlement: An Exercise in Trade Law Legislation?, 6 JIEL 2003, S. 113. Weniger kritisch insoweit etwa Durling, James, Deference, But Only When Due: WTO Review of Anti-Dumping Measures, 6 JIEL 2003, S. 125. 17 Vgl. etwa das Stimmungsbild von McRae, Donald, Claus-Dieter Ehlermann’s Presentation on „The Role and Record of Dispute Settlement Panels and the Appelate Body of the WTO“, 6 JIEL 2003, S. 709. 18 Etwa Ehlermann, Claus-Dieter, Tensions between the dispute settlement process and the diplomatic and treaty-making activities of the WTO, 1 World Trade Review 2002, S. 301, 302; ferner Ehlermann, Claus-Dieter, Six years on the bench of the „World Trade Court“, 36 JWT 2002, S. 605. 19 Jüngst Cottier, Thomas und Takenoshita Satoko, The Balance of Power in WTO Decision-Making: Towards Weighted Voting in Legislative Response, 58 Aussenwirtschaft 2003, S. 171. 20 Vor allem Barfield, Free Trade, Sovereignty, Democracy, The Future of the World Trade Organization, AEI 2002. Überlegtere Kommentatoren halten diese Art von „block-voting“ zu Recht für realitätsfern und kontraproduktiv, vgl. etwa Hudec, Robert E., Review Article: Free

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sogar eine „Entkoppelung von Recht und Politik in der WTO“21, machen dann in der Sache aber substanziell gar keine echten Vorschläge einer „Wiederverkoppelung“, sondern belassen es bei einer Anwendung eines aus der Europarechtswissenschaft übernommenen Konzepts der „antiprotektionistisch-majoritären Judizierung“ („majoritarian judicial activism“, nähere Einzelheiten dazu schon Teil B.II.1. oben) und verkünden dieses als „neuen Weg globaler Demokratie“, freilich ohne auf die drängenden und hier thematisierten Probleme der Marktintegration näher einzugehen.22 Die WTO-Streitbeilegung lässt sich in dieser Weise nicht sinnvoll betrachten. Schon die „Brille der Staatslehre“ selbst ist unangemessen. Für falsch hält der Verfasser insbesondere die Auffassung, Art. III WTO spiegele in funktionaler Hinsicht ungefähr die von der Staatslehre (etwa Jellineks) typischerweise geforderte Gewaltenteilung eines Staates wider.23 Diese Sichtweise mag sich „mathematisch“ zwar konstruieren lassen und drängt sich auf den ersten Blick vielleicht sogar auch auf („Parallelitätsthese“). Sie verkennt aber die Funktion, die der WTO insgesamt zukommt und die sie vom staatlichen Gebilde unterscheidet. Ja sie verkennt in gewisser Weise sogar die Aufeinanderbezogenheit der Funktionen im gewaltenteilenden System selbst, da sie die Funktionenteilung selbst dort aufrechterhält, wo echte Herrschaftsgewalt, zu deren Trennung die Gewaltenteilungslehre ja dient, gar nicht besteht! Dadurch simplifiziert sie die zugrundeliegenden Probleme in verzerrender Weise. Insbesondere erhellt sie nicht die richtige Einordnung der WTO-Streitbeilegungstätigkeit in den Gesamtzusammenhang der WTO, sondern verstellt im Gegenteil den freien Blick auf sie. In der WTO geht es – anders als in mitgliedstaatlichen Systemen, die echte Herrschaftsgewalt verfassen – nicht um die Bändigung einer Exekutiven, sondern um zwischenstaatliche Streitbeilegung. Ohne Exekutive ist die klassische Funktion einer Judikative aber gar nicht sinnvoll denkbar. Denn ohne Exekutive fehlt gerade jene Machtausübung, zu deren Bändigung die Judikative in diesem Modell gerade dient.24 Trade, Sovereignty, Democracy: The Future of the World Trade Organization, 1 World Trade Review 2002, S. 211, 222. 21 Bogdandy, Armin von, Verfassungsrechtliche Dimensionen der Welthandelsorganisation, in KJ 2001, S. 264 (Teil I: Entkoppelung von Recht und Politik). 22 Bogdandy, Armin von, Verfassungsrechtliche Dimensionen der Welthandelsorganisation, in KJ 2001, S. 425 (Teil II: Neue Wege globaler Demokratie?), der die marktintegrativen Elemente ausdrücklich als „Ausnahme“, nicht als Hauptproblem ansieht (S. 435 ff.). 23 So aber von Bogdandy, ibid. (Teil I), der ausführt, dass die WTO sich nach Art. III WTO zwar „begrifflich an die herkömmliche Gewaltenteilung anlehnt“, indem sie eine exekutive (Abs. 1), eine legislative (Abs. 2) und eine judikative Funktion (Abs. 3) in Bezug nehme, dabei „jedoch eine Organisation etabliert, die lediglich eine dieser Gewalten ausübt“ [S. 268, Hervorhebung vom Verfasser]. 24 In der Literatur findet sich am Paradebeispiel der Überprüfung präferenzieller Abkommen nach Art. XXIV GATT Unterstützung für diese kritische Haltung gegenüber der These von der Streitbeilegung als einer funktionalen WTO-Judikative, vgl. Mavroidis, Petros C., Judicial Supremacy, judicial restraint, and the issue of consistency of preferential trade agree-

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Die Fehlerhaftigkeit der These von der WTO-Streitbeilegungsorgane als einer funktionalen WTO-Judikative zeigt sich besonders deutlich in der näheren Konkretisierung, die sie gerade nach Ansicht ihrer Vertreter in der Idee der „majoritären Judizierung“ erhält.25 Die für den regulativen Wettbewerb unter dem GATT sehr einleuchtende These von der Mehrheitsjudizierung26 ist mit dem klassischen Gewaltenteilungsmodell nicht in Einklang zu bringen, nach dem die Judikative dem Minderheitenschutz dient. Das Neue der These vom verfahrensgeleiteten Mehrheitsschutz ist die Umkehrung des Gedankens der Schutzwürdigkeit von der Minderheit auf die Mehrheit. In dieser Umkehrung steckt aber zugleich eine Abkehr vom Modell klassischer Gewaltenteilung und von der Wahrnehmung der Streitbeilegung als einer funktionalen Judikative, denn letztlich geht es in ihr allein um die Zusammenbringung von antiprotektionistischer Zielsetzung (Ausfluss der Wirtschaftstheorie) und richterähnlicher Rechtsanwendungstechnik (Ausfluss der Rechtsdogmatik). Denn wenn – so der dahinterstehende Gedanke – die ausländischen Interessen nicht im Wege der Diplomatie geschützt werden können, dann eben im Wege der Streitbeilegung, sozusagen im Rahmen einer Fortsetzung der Diplomatie in das streitbeilegende Verfahren hinein. In der These von der „majoritären Judizierung“ liegt damit letztlich die Anerkennung der diplomatischen Verwurzelung der Streitbeilegung. Dies ist der Gedanke des „richterlichen“ Majoritätsschutzes, nicht eine in der Prozeduralisierung liegende plakative Ähnlichkeit der Streitbeilegung in der WTO zur Judikative im Staat (in dem Begriff der „majoritären Adjudikation“ wird dieser Zusammenhang, also die größere Nähe der Streitbeilegung zur Diplomatie als zur Rechtsprechung, freilich nicht ments with the WTO: The Apple in the Picture, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 583, bei 595: [ . . . ] in a constitutional context (like the EC), there is no doubt that only one organ (the executive) is entrusted with a particular power whereas another (the judiciary) is entrusted with the power to review the practice of the former. This, of course, is not the case in the WTO where the issue arises not because panels will be called to review CRTA (Committee on Regional Trade Agreements) decisions but because both panels and the CRTA have been acknowledged to have the competence to review preferential trade agreements. This is in itself a very important difference: the institutional balance in the domestic context is drastically different than in the international context“. 25 Von Bogdandy etwa hat diese These unter ausdrücklichem Hinweis auf Miguel Poiares Maduros Buch zu Art. 30 EGV aufgegriffen und für das WTO / GATT-Recht nutzbar gemacht, vgl. den Hinweis in Bogdandy, Armin von, Verfassungsrechtliche Dimensionen der Welthandelsorganisation, in KJ 2001, S. 264 (Teil I: Entkoppelung von Recht und Politik), Fn. 2 auf Maduro, Miguel Poiares, We, the Court. The European Court of Justice and the European Economic Constitution, Oxford: Hart Publishing, 1998. 26 Der tragende Gedanke derartiger „Mehrheitsjudizierung“ ist, dass „Freihandelsgerichte“ – anders als nationale Gerichte – nicht nur die Interessen der Minderheit gegen die Tyrannis der Mehrheit schützen, sondern – bei nicht befriedigenden Rechtssetzungsprozessen – gerade auch die Interessen der Mehrheit gegen die Interessen der (nationalen) Minderheiten („majoritarian judicial activism“); am Beispiel des EuGH insoweit Maduro, Miguel Poiares, We, the Court. The European Court of Justice and the European Economic Constitution, Oxford: Hart Publishing, 1998, S. 61 ff. 20*

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

ohne weiteres deutlich – sie wird, dies macht gerade den überraschenden Charakter der These aus, durch die Verwendung des Begriffs der „Adjudikation“ sogar versteckt). Die WTO-Streitbeilegung ist in funktionaler Hinsicht daher keine „Judikative“, sondern nur die Fortschreibung der Diplomatie im verfahrensgeleiteten Gewande (regelgeleitete Streitbeilegung als moderner Ausdruck zwischenstaatlicher Diplomatie).27 Der Unterschied zwischen der diplomatischen Tätigkeit der „politischen“ Organe der WTO und der regelgeleiteten („quasi-juristischen“) Tätigkeit der Streitbeilegungsorgane ist nicht ein Unterschied in der Funktion, sondern ein solcher in der Form. Die Tätigkeit der Streitbeilegungsorgane und diejenige der „politischen“ Organe bilden lediglich unterschiedliche Ausprägungen ein und derselben Sache, nämlich des Bestrebens der Mitgliedstaaten, ihre Streitigkeiten beizulegen. Wenn man die Streitbeilegungstätigkeit in der WTO schon mit der Tätigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte vergleichen will, dann scheint dies allenfalls im Vergleich zu privaten Streitigkeiten vor dem Zivilgericht sinnvoll zu sein (wenngleich der Streitbeilegung freilich die Durchsetzungskraft der hinter dem Zivilgericht stehenden Verfassungsordnung fehlt, so dass selbst dieser Vergleich „hinkt“ . . . ). Mit mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichten ist das Streitbeilegungssystem allenfalls insoweit vergleichbar, als diese über föderale Streitigkeiten im horizontalen Verhältnis entscheiden – eine Streitform, die in föderalen Systemen gerade wegen deren Föderalisierung heute weitgehend unbedeutend ist.28 Der Verfasser stellt sich derartigen staatsrechtlich geprägten Wahrnehmungen des WTO-Systems daher entgegen. Es gilt, die unter dem alten GATT 1947 noch vollkommen gängige Wahrnehmung des weitgehend diplomatischen Charakters der Streitbeilegung auch unter der institutionell relativ verfestigten WTO wiederzubeleben. Die Streitbeilegungstätigkeit der WTO-Organe ist in funktionaler Hinsicht ein Instrument gemeinsamer zwischenstaatlicher Politik der Mitgliedstaaten. Die Streitbeilegungsorgane agieren zwar in einem hochgradig prozeduralisierten Umfeld. Diese Prozeduralisierung trennt die Streitbeilegung aber nicht von ihren diplomatischen Wurzeln.29 27 Kritisch insoweit unter dem Gesichtspunkt der Präzedenzfallbildung durch Streitbeilegungsentscheidungen Lanye, Zhu, The effects of the WTO Dispute Settlement Panel and Appellate Body reports, 17 Temple international and comparative law journal 2003, S. 221. 28 Gerade in diesem Vergleich zeigt sich bereits der wesentliche Unterschied zwischen rein horizontaler Streitbeilegung und umfassender Verfassungsgerichtsbarkeit. Fragen eines horizontalen Finanzausgleichs etwa haben in der Tat starke „diplomatische“ Züge, wenn die natürlichen Wesenselemente des Wettbewerbsföderalismus nicht, wie etwa in der Bundesrepublik Deutschland, weitgehend „abgewürgt“ werden (vgl. etwa Art. 107 GG). Bei Streitigkeiten in ausgeprägt föderalistischen Systemen verschiebt sich die Streitkultur demgegenüber aus der horizontalen Ebene in die vertikale Ebene, also in genau jene Ebene, die in der WTO fehlt. 29 Angesichts der vielfältig bestehenden Effektivitätsschwächen werden für die Effektivität der Streitbeilegung unter dem DSU dementsprechend gerade jene Vorteile vorgebracht, die die „Weichheit“ und politische Flexibilität der WTO-Streitbeilegung hervorheben. Vor-

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Die Verwurzelung der WTO-Streitbeilegung im Feld der Diplomatie ist freilich gradueller Art. Kategorisch eindeutige Zuordnungen lassen sich hier nicht ohne weiteres vornehmen. Es kann (und soll) an dieser Stelle nicht behauptet werden, dass die Streitbeilegungsorgane „Organe der Diplomatie“ seien. Lediglich soll behauptet werden, dass ihnen die Mitgliedstaaten (jedenfalls auch) eine ausgeprägte diplomatische Funktion zugewiesen haben.30 Der diplomatische Charakter der WTO-Streitbeilegung wird insbesondere in den Effektivitätsschwächen deutlich, die das multilaterale Streitverfahren im Stadium der Umsetzung aufweist (nähere Einzelheiten Teil D.II. oben). Diese Schwächen wirken sich unmittelbar auf die Position einer unterlegenen Partei aus: Sie ist normativ zwar zur Umsetzung der streitbeilegenden Entscheidungen verpflichtet, kann hierzu aber nicht gezwungen werden – jedenfalls nicht über ein verfassungsähnliches Zusammenspiel der Regeln des Rechts.31 Die Konsequenzen dieser funktionalen Zuordnung sind für die inhaltlichen Ergebnisse der praktischen Streitbeilegungstätigkeit gerade im Feld der Marktintegration von ganz entscheidender Bedeutung. Denn das WTO-Recht kann sich dadurch trotz der relativen Institutionalisierung seines Streitbeilegungsystems nicht von der gemeinsamen politischen Zielsetzung der Mitgliedstaaten lösen. Es bleibt vielmehr unmittelbarer Ausdruck der gemeinsamen Zielsetzung der Mitgliedstaaten. In rechtsrealistischer Perspektive handelt es sich beim WTO-Recht daher nicht um eine Ordnung, die sich – ähnlich dem europäischen Unionsrecht – verselbständigen und in ihrer Verdichtung den verfassten Ordnungen der Mitgliedstaaten zunehmend vergleichbar werden könnte, sondern um ein noch immer klassisches rangig wird dabei die politische Lösbarkeit des Konflikts vorgebracht, namentlich die Möglichkeit der klagenden Regierung, den Streitfall ohne Gesichtsverlust zu beenden und die Möglichkeit der beklagten Partei, unter dem Druck der multilateral autorisierten Gegenmaßnahme innerstaatlichen Druck von Interessengruppen zu überwinden. Zusammenfassung etwa bei Charnovitz, Steve, Should the teeth be pulled?, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 602, 615. 30 Über den Grad der Zuweisung diplomatischer Aufgaben und das Verhältnis zur regelanwendenden Methode der Streitbeilegungsorgane mag man im Einzelnen streiten. Dem Verfasser geht es an dieser Stelle nicht um den Grad der diplomatischen Verwurzelung. Angesichts der weittragenden Äußerungen über die relative „Stärke“ der Streitbeilegung in der WTO geht es ihm eher um die Herausstellung der diplomatischen Funktion als solcher. Will man über diese Feststellung aber hinausgehen, scheint am ehesten eine ökonomische Analyse des WTO-rechtlichen Systems hilfreich zu sein. Weiterführende Ansätze liefert insoweit (freilich ohne einen expliziten Hinweis auf die spezifisch diplomatische Verwurzelung) aus einer law an economics-Perspektive etwa Trachtman, Joel P., The Domain of WTO Dispute Resolution, 40 Harvard International Law Journal (1999), S. 333. 31 Eine ganz andere Frage ist freilich, ob eine Partei aus anderen als rechtlichen Gründen zur Umsetzung gezwungen werden kann. Diese Frage ist aber keine Frage über die Stärke des Rechts, sondern über die Stärke der Macht. Dies zeigt sich schon darin, dass die Antwort auf diese Frage typischerweise dahin zu geben sein wird, dass in diesem Sinne überwiegend wohl eher kleinere als größere Mitgliedstaaten zur Beachtung streitbeilegender Entscheidungen gezwungen werden können.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

Verhandlungssystem, dessen Kern das gegenseitige Verhandeln zwischen den Mitgliedstaaten ist, ohne dass dieses in einen größeren Rahmen, eben ein verfasstes System, eingebunden wäre.32 Das Recht der WTO ist dabei nur ein Faktor unter verschiedenen weiteren Faktoren, die die Verhandlungsposition der WTO-Mitgliedstaaten im Hinblick auf ganz bestimmte Verhandlungsziele entweder zu stärken oder zu schwächen vermögen, wie z. B. die politische und wirtschaftliche Stärke des WTO-Mitgliedstaates, die innerstaatliche Ausgestaltung und Organisation bestimmter Sonderinteressen, die rechtliche und politische Durchsetzbarkeit dieser Sonderinteressen im Mitgliedstaat, die Bereitstellung mehr oder weniger rechtsstaatlicher Verfahren zum Unilateralimsus, die regionale oder politische Nähe zu anderen Mitgliedstaaten mit der Folge einer Koalitionenbildung usw. Um den Wesenszügen der WTO in diesem Zusammenhang näher zu kommen, bedarf es einer Perspektive, die die Beachtung des Rechts als Element mitgliedstaatlichen Verhaltens zwar anerkennt, daneben aber auch jene anderen Elemente berücksichtigt, die ebenfalls mitgliedstaatliches Verhalten zu beeinflussen vermögen. Eine solche Perspektive bietet der als „Vertragsansatz“ („contract-approach“) bekanntgewordene handelsdiplomatische Ansatz von der vertraglichen Balance.33 Danach tragen die rechtlichen Regeln der WTO im Kern die Anordnung ihrer Befolgung zwar in sich, sind im Hinblick auf ihren Geltungsanspruch aber lediglich ein Teil der Verhandlungsmasse zwischen den Rechtssubjekten. Manche Autoren gehen sogar davon aus, dass das DSU lediglich begrifflich einen Durchsetzungsmechanismus begründe, in der Sache aber noch immer nahezu vollständig im alten Vertragsdenken verwurzelt bleibe34. Der Geltungsanspruch des Rechts wird 32 Unter dem GATT-Recht wird der Gedanke des Verhandlungssystems besonders deutlich in der Bedeutung, die den Merkmalen der Zunichtemachung und Schmälerung von Zugeständnissen oder sonstigen Vorteilen in Art. XXIII Abs. 1 GATT zugewiesen wird, vgl. näher etwa nur Roessler, Frieder, The Concept of Nullification and Impairment in the Legal System of the World Trade Organization, in: Petersmann, Ernst-Ulrich (Hrsg.), International Trade Law and the GATT / WTO Dispute Settlement System, London u. a.: Kluwer Law International, 1997, S. 123. 33 Grundlegend Schwartz, Warren F. und Alan O. Sykes, The Economic Structure of Renegotiation and Dispute Resolution in the World Trade Organization, 31 Journal of Legal Studies 2002, S. S179, bei S200; Steinberg, Richard H., In the shadow of law and or power?, Consensus-based bargaining and outcomes in the GATT / WTO, 56 International Organization 2002, S. 339. 34 So etwa Palmeter, David und Stanimir A. Alexandrov, „Inducing Complience“ in WTO Dispute Settlement, in: Kennedy, Daniel L. und James D. Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge UP, 2002, S. 646, 665. Evolutionstheoretisch ist dies nicht weiter verwunderlich. In der Perspektive des Vertragsansatzes war die Gründung der WTO nicht etwa die Schaffung von etwas völlig Neuem, sondern lediglich die Fortentwicklung des bestehenden Rechtsregimes; zuvor schon in diese Richtung etwa Lowenfeld, Andreas F., Remedies Along with Rights: Institutional Reform in the New GATT, 88 AJIL 1994, S. 477, 487. An dieser Stelle ist freilich hervorzuheben, dass diese unterschiedlichen Perspektiven das WTO-Recht nicht anders sein lassen, als es nun einmal eben ist. Allenfalls lassen sie es in jeweils unterschiedlicher Weise erscheinen. In der Sache führt dies aber nicht an der Notwendigkeit vorbei, es so zu betrach-

I. Funktionale Überlegungen: Streitbeilegung als Form der Diplomatie

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als solcher damit zwar nicht negiert. Wohl aber wird seine Funktion differenzierter wahrgenommen als aus der Perspektive der „rule-orientation“. 35 Der dahinter stehende Gedanke ist, dass das Schicksal eines durch hohe Komplexität gekennzeichneten mehrseitigen Vertrages nicht nur vom Vertragstext, sondern insbesondere auch von den Interessen der Vertragsparteien und ihrem sonstigen Verhalten abhängig ist. Damit macht sich dieser Ansatz insbesondere die Erkenntnis der ökonomischen Analyse innerstaatlicher Verträge zunutze. Den Ansatz zeichnet dabei aus, dass er die Verhandlungsposition und das Verhandlungsziel der Vertragsparteien (mithin die wesentlichen Koordinaten der Diplomatie) in den Vordergrund rückt. Dadurch gelingt es ihm, den rechtlichen Gehalt des Vertrages in den größeren Zusammenhang der Interessen der Parteien zu stellen. Dies bedeutet eine besondere Stärke. Denn für die Effektivität und Funktionsweise eines Vertrages kann die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der Parteien mit seinen normativen Gehalten in der Tat genauso bedeutsam sein wie seine bindenden Gehalte selbst. Nach diesem Ansatz geht es (trotz der Anerkennung der bindenden Wirkung des Rechts!) mithin nicht so sehr um das normative Ziel der Rechtsbefolgung selbst, sondern um ihren Wert oder Unwert in der Verhandlungssituation zwischen den Vertragsparteien.36 Wert und Unwert des Geltungsanspruchs einer rechtlichen ten, wie es eben gerade ist. Der Streitbeilegungsmechanismus etwa hat diejenigen Regeln, die er hat – unabhängig von der Perspektive. Und die WTO-Mitgliedstaaten verhalten sich während und nach einer Streitbeilegung so, wie sie sich eben verhalten – ebenfalls unabhängig von der Perspektive. Die Perspektive ändert mithin weder den normativen Gehalt von Regeln, noch ändert sie deren Wirkkräftigkeit. Lediglich beeinflußt sie die Deutung einzelner normativer Gehalte. 35 In der hier eingenommenen Verhandlungsperspektive ist das Recht ausdrücklich nicht seines normativen Anspruchs als „Recht“ beraubt (zum Geltungsanspruch rechtlicher Regeln als Voraussetzung ihres Charakters „als Recht“ Teil D.I.). Insbesondere wird denjenigen Autoren nicht widersprochen, die den verhaltenssteuernden Anspruch der rechtlichen Regeln des WTO-Rechts explizit hervorheben, wie kürzlich etwa Bacchus, James, Groping Toward Grotius: The WTO And The International Rule Of Law, 44 Harvard International Law Journal 2003, S. 533. Lediglich ist das Recht in den größeren Zusammenhang seiner verhaltenssteuernden Kraft, d. h. seiner tatsächlichen Beachtung durch die Mitgliedstaaten gestellt. Die Perspektive unterscheidet sich daher von der etwas gewagten These Judith Hippler Bellos, nach der dem WTO-Recht schon seine bindende Wirkung fehle, vgl. Bello, Judith H., The WTO Dispute Settlement Understanding: Less is More, in 90 AJIL (1996), 416. Mit überwiegend dogmatischen Argumenten hierzu kritisch vor allem Jackson, John H., The WTO Dispute Settlement Understanding – Misunderstandings on the Nature of Legal Obligation, in 91 AJIL (1997), 60; zusammenfassend zur Diskussion etwa Perez, Antonio F., WTO and U.N. Law: Institutional Comity in National Security, 23 Yale JIL (1998), 301, 317; Sykes, Alan O., The Remedy for Breach of Obligations under the WTO Dispute Settlement Understanding: Damages or Specific Performance?, in: Bronckers, Marco und Reinhard Quick, New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 347. 36 Voraussetzung ist freilich ein hinreichend weiter Begriff des „Verhandlungssystems“, in dem insbesondere auch rechtswidriges Verhalten als echte Verhandlungsoption begriffen wird, dazu etwa Hauser, Heinz und Alexander Roitinger, A Renegotiation Perspective on Transatlantic Trade Disputes, University of St. Gallen, Department of Economics, April 2002 Discussion Paper no. 2002 – 09, S. 13 ff. m. w. N. (www.fgn.unisg.ch/public/public.htm).

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

Regel und damit der rechtlichen Regel selbst kann die Verhandlungsposition der beteiligten Parteien – je nach Wirkrichtung der Regel – danach entweder stärken oder schwächen. Das Beschreiten des Weges der Rechtsdurchsetzung bedeutet mithin eine Veränderung der Verhandlungsposition der Parteien. Eine einem Mitgliedstaat günstige Entscheidung der WTO-Streitbeilegungsorgane bringt in diesem Zusammenhang nicht mehr – aber auch nicht weniger – als eine Stärkung der Verhandlungsposition der obsiegenden Partei mit sich.37 Die Stärkung der mitgliedstaatlichen Position wurzelt gerade in dem Geltungsanspruch der Rechtsregel, die für diesen Mitgliedstaat im Einzelnen streitet. Ihr Wert ist in dieser Perspektive vorwiegend davon abhängig, wie wertvoll den Mitgliedstaaten der Multilateralismus als solcher ist. Überwiegt im Einzelfall der Wert der mitgliedstaatlich-demokratischen Entscheidung denjenigen des Multilateralismus, so sind die Mitgliedstaaten, dies zeigt sich etwa im Hormonfall, sogar nach entgegenstehenden Entscheidungen der Streitbeilegung noch immer zu WTO / GATT-rechtswidrigem Unilateralismus bereit. Regelwidriges Verhalten erscheint umgekehrt nicht schon als solches fehlerhaft, sondern als eine Anpassung („Rebalancing“), die – trotz der damit verbundenen und nicht hinweg definierten Rechtsverletzung – dann gerechtfertigt ist, wenn sie die Balance tatsächlich wieder herstellt.38 Freilich hat der Vergleich des WTO-Rechts mit einem innerstaatlichen Vertrag auch Schwächen. Insbesondere hinkt er, da ein mehrseitiger Vertrag in der Regel nicht im rechtsfreien Raum steht, sondern in einer verfassten Ordnung, die von außen insbesondere Durchsetzungsinstrumente zur Verfügung stellt. Dies hat zur Folge, dass Pflichten nicht nur „weich“ sind, sondern – gegebenenfalls durch Anrufung der staatlichen Gerichte – auch gegen den Willen einer bestimmten Partei („hart“) durchgesetzt werden können. In der WTO ist dies nicht der Fall. Der WTO-Vertrag ist nicht eingebettet in eine verfasste Ordnung, sondern muss seine Durchsetzungsmechanismen selbst bereitstellen.39 Dieser Unterschied macht den

37 Busch, Marc L. und Eric Reinhardt, Bargaining in the shadow of the law, 24 Fordham international law journal 2000, S. 158. 38 Heinz Hauser und Alexander Roitinger etwa stellen die Nichtbeachtung des WTORechts in ökonomischer Perspektive in eine (wenn freilich auch abgestufte) Reihe mit den Ausnahmtatbeständen des WTO-Rechts, etwa den Safeguards, den Antidumpingregeln und den allgemeinen Ausnahmen, vgl. Hauser, Heinz und Alexander Roitinger, A Renegotiation Perspective on Transatlantic Trade Disputes, University of St. Gallen, Department of Economics, April 2002 Discussion Paper no. 2002 – 09, S. 13 ff. m. w. N. (www.fgn.unisg.ch/public/public.htm). Das Gegenmodell hierzu wird demgegenüber in Beiträgen deutlich, die unter Berufung auf „das Recht“ die Ausnahmetatbestände kohärenter gestalten wollen, so etwa Horlick, Gary N., Time for Coherence in WTO Escape Clauses, Beitrag zur World Trade Institute Round Table Series am 7. Februar 2003, zu finden im Internet unter http: //www. wto.org/english/res_e/reser_e/time_for_coherence_article.pdf. 39 Prozedural – dies sei an dieser Stelle zur Vermeidung von Mißverständnissen noch einmal ausdrücklich anerkannt – ähnelt die Streitbeilegung in vielerlei Hinsicht dem Zivilverfahren. Im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit bestehen derartige Ähnlichkeiten aber nicht, da der WTO die hinter dem Zivilgericht stehende und ihm Biss gebende verfasste Ordnung fehlt.

II. Autonomieschonung als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens

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Vergleich zum innerstaatlichen Vertrag freilich nicht unzulässig. Denn auch beim innerstaatlichen Vertrag kann die sozusagen von außen kommende harte Durchsetzbarkeit als Teil der Verhandlungsposition der Parteien und damit als Teil der Balance aufgefasst werden. Fehlt dieses Element in der WTO, so ändert dies vielleicht etwas an der konkreten Ausgestaltung der Balance, nicht aber notwendigerweise an dem normativen oder deskriptiven Wert des Vertragsansatzes als solchem.

II. Normativ-praktische Überlegungen zur „richtigen Reaktion“ der Streitbeilegungsorgane: Autonomiefreundlichkeit als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens Folgt man diesen durch den Vetragsansatz fundierten Überlegungen zur WTO als Verhandlungssystem mit diplomatisch geprägter Streitbeilegung, sollte die Tätigkeit der Streitbeilegungsorgane schon aus funktionalen Gründen keine besondere Schärfe gegenüber den „politischen“ Organen entfalten.40 Dennoch könnten die marktintegrativen Ansätze der Seitenabkommen von den Streitbeilegungsorganen in einer Weise überdehnt werden, die von dem gemeinsamen Willen der Mitgliedstaaten nicht mehr getragen ist. In den potenziell marktintegrativen Vorschriften ist es zum Teil gerade die Auslegung eines einzigen Wortes, die über den Gehalt der Vorschriften entscheidet. In Art. 2.2. Satz 2 TBT etwa lässt der Begriff „handelsbeschränkend“ kaum Bewegungsraum zu. Die Enge oder Weite der Vorschrift ist in diesem Fall allein von der Auslegung des Begriffs „notwendig“ abhängig. Trotz der oben angestellten funktionalen Überlegungen kann es daher durchaus sein, dass die Streitbeilegungsorgane diesem Begriff „notwendig“ einen sehr viel engeren Gehalt zuweisen, als es die Mitgliedstaaten eigentlich beabsichtigen. Nicht jede Auslegung ist vom politischen Willen getragen, nur weil die Vorschriften selbst politisch getragen sind.

40 Wenn in den Beschränkungsverboten der Seitenabkommen tatsächlich marktintegrative Ansätze angelegt sind, dann sind diese Ansätze ohnehin bereits das Ergebnis gemeinsamer politischer Entscheidung der Mitgliedstaaten. Die Niederlegung dieser Ansätze selbst, insbesondere die Gehalte von Vorschriften wie Art. 2.2 oder 2.4 TBT, sind Ergebnisse der Uruguayrunde, nicht der Tätigkeit irgendwelcher Streitschlichtungsgremien. Insofern kann auch das Argument nicht tragen, dass die Streitbeilegungsorgane in diesem Fall „richterlich“ etwas vorantreiben, das politisch nicht gewollt sei (nämlich den Übergang von der Nichtdiskriminierung zur Marktintegration). Bei näherem Überlegen verschleiert dieses Argument den tatsächlich offenbar bestehenden Interessenkonflikt eher, als dass es ihn erhellt. Nun kann man natürlich behaupten, dass die Mitgliedstaaten derartige Vorschriften heute nicht mehr erlassen würden. Man kann es sogar auf die Spitze treiben und behaupten, sie hätten damals nicht gewusst, was sie tun. Ein solches Argument ist gerade angesichts der Häufung marktintegrativ motivierter Klagen aber nicht sonderlich schlagkräftig. Insbesondere ändert es nichts an der Existenz und mitgliedstaatlichen Instrumentalisierung der Beschränkunsverbote.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

Angesichts einer marktintegrativ motivierten Klage sind die Streitbeilegungsorgane zudem in die Situation gestellt, die von derartigen Vorschriften geforderte Abwägung zwischen dem Interesse des Exportstaates am Zugang zum mitgliedstaatlichen Markt und dem Interesse des Importstaates an dem von ihm geschützten Gut (und seiner marktregulativen Autonomie) vorzunehmen, ohne dabei auf einen Fundus streitbeilegender Entscheidungspraxis zurückgreifen zu können. In derartigen Fällen rechtlicher Uneindeutigkeit ist die positivistische Leitlinie, nach der der Rechtsanwender (Streitbeileger) das Recht aus Gründen der Funktionsteilung „vorfindet“, nicht „erfindet“, kaum durchzuhalten. Der Vorwurf „gesetzgebender“, also rechtsetzender Tätigkeit41, ist daher mit den oben entwickelten funktionalen Überlegungen nicht vollständig von der Hand zu weisen (nähere Einzelheiten Teil E.I oben). Die Kritik gewinnt auch tatsächlich dadurch besonderes Gewicht, dass es in der WTO kein im herkömmlichen Sinne funktionierendes politisches Organ gibt, das Entscheidungen rückgängig machen könnte, die zum Unwillen der Mehrheit der Rechtsunterworfenen ergangen sind, hier also der Mitgliedstaaten.42 Diese für die Streitbeilegungsorgane schwierige Situation kann rechtstatsächlich zu einem besonderen legitimatorischen Problemfall für die praktische Entscheidungsfindung werden. Denn es mag zwar sein, dass ein Mitgliedstaat nicht in verfassungsähnlicher Weise zu einem WTO / GATT-rechtmäßigen Verhalten gezwungen werden kann. Daraus folgt aber umgekehrt noch nicht, dass dem WTO-Recht jede Wirkmacht fehlen würde. Im Gegenteil, der äußere Druck zu effizientem Entscheiden ist gerade nach einer entsprechenden Streitbeilegungsentscheidung außerordentlich hoch. Ein Mitgliedstaat kann die demokratische Legitimation einer von seiner Bevölkerung getragenen Entscheidung entgegen einer ausdrücklich anderslautenden Entscheidung zwar faktisch aufrechterhalten, soweit er hierfür nur groß und mächtig genug ist. Angesichts einer solchen Weigerung zur Umsetzung wird die fehlende Effizienz seiner demokratisch getragenen Entscheidung aber jedermann deutlich sichtbar. Der Verlust an Effizienz begründet in den modernen Volkswirtschaften seinerseits ein hohes Legitimitätsdefizit. Mit anderen Worten: Ein Mitgliedstaat kann es sich, wie im unionalen Hormonfall, vielleicht einmal „leisten“, eine streitbeilegende Entscheidung aus Gründen der demokratischen Legiti41 Der Hormonfall wurde daher auch – als bisher einzige Entscheidung mit eindeutig marktintegrativen Wirkungen – aus Gründen ihrer Legitimation angegriffen. Statt vieler etwa Hilf, Meinhard und Barbara Eggers, Verfassungsfragen lebensmittelrechtlicher Normierung im europäischen und internationalen Recht, ZLR 1997, S. 289 ff. 42 Diese Schwerfälligkeit kann die große Zurückhaltung der Streitbeilegungsorgane in der Anwendung der Beschränkungsverbote der Seitenabkommen (jedenfalls teilweise) erklären. Insoweit besonders kritisch gegenüber der Weigerung des Berufungsgremiums im Asbestfall, das TBT anzuwenden, etwa Pauwelyn, Joost, Cross-Agreement Complaints Before the Appelate Body: A Case Study for the EC-Asbestos Dispute, 1 World Trade Review 2002, S. 63, der in seinen Überlegungen zu Möglichkeiten der Rechtfertigung das dogmatisch entscheidende „Recht auf Revision“ nach Art. 17 Abs. 4 und 6 DSU erstaunlicherweise völlig ausspart.

II. Autonomieschonung als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens

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mation seiner ursprünglich angegriffenen Maßnahme nicht umzusetzen. Eine ständige Weigerung in einer Vielzahl von Fällen wird sich aber selbst ein mächtiger Mitgliedstaat nicht ohne Schaden leisten können. Ist er zu groß, reißt er die WTO mit einem solchen Verhalten in die Bedeutungslosigkeit. Ist er nicht groß genug, wird er sich in der WTO isolieren und seinerseits von den anderen Mitgliedstaaten kaum mehr glaubhaft die Umsetzung (anderer) streitbeilegender Entscheidungen fordern können. Die durch diese Zusammenhänge geprägte Situation wird durch die mit einem Streitverfahren verbundene Streitkultur verschärft. Die mit der institutionellen Verfestigung der Streitbeilegung (Teil D oben) einhergehende Verlagerung des politischen Tagesgeschäfts von der Verhandlung in die Streitbeilegung hinein hat nämlich den pikanten Effekt der Reduzierung der gegenseitigen Kompromissbereitschaft. Die durch „juristische Kultur“ – also durch die Kultur des Rechtsstreits – geprägten Streitverfahren dienen aus der Sicht der beteiligten Streitparteien nicht gerade dem Kompromiss, sondern dem „Gewinn“ des Verfahrens. Juristische Verfahrensführung ist Ausfluss einer bestimmten Streitkultur, die insbesondere darin liegt, dass die Beteiligten ihr Ziel mit gesteigertem Willen durch Einschaltung eines neutralen Dritten erreichen wollen: Wer klagt, sucht nicht in erster Linie den Kompromiss, sondern eine Stattgabe. Wer beklagt ist, will eine Abweisung. Daran ändern die oben erwähnten diplomatischen Charakterzüge des Streitverfahrens genauso wenig wie ihre positive Festlegung in der Streitbeilegungsvereinbarung (vor allem Art. 3 und 4 DSU). Weiler weist daher vollkommen zu Recht darauf hin, dass die Kompromissfähigkeit und der Kompromisswille der Streitparteien schon aus Gründen der „juristischen Streitkultur“, die mit der zunehmenden Prozeduralisierung der Streitverfahren verbunden ist, immer geringer wird.43 Natürlich erklärt gerade der oben dikutierte Vertragsansatz, dass eine gewonnene Klage durchaus als Verhandlungsmittel verstanden werden kann und soll. Dies ändert allerdings nichts daran, dass gerade die klagende Partei – auch die Marktintegration einklagende Partei – alles dafür tun wird, das Streitverfahren zu gewinnen. Insoweit vergrößert der Wille der klägerischen Partei zum Gewinn der Klage, mit dem die Entscheidungsorgane konfrontiert werden, die Gefahr einer von den Mitgliedstaaten politisch nicht mehr getragenen Überdehnung der potenziell marktintegrativ wirkenden Vorschriften, wenn die Organe diesem Willen, zu gewinnen, nicht standzuhalten vermögen.44 Es geht an dieser Stelle nicht darum, die oben ent43 Weiler, Joseph H.H., The Rule of Lawyers and the Ethos of Diplomats, Refelctions on the Internal and External Legitimacy of WTO Dispute Settlement, 35 JWT 2001, S. 191, 199: „Surgeons like to operate: they have been trained to do that. Lawyers like to litigate and win cases“. Daniel Brinza hebt demgegenüber hervor, dass zwei Drittel aller Verfahren, an denen die USA beteiligt seien, nicht in die Endphase gelangten – ein Gesichtspunkt, der den Weilerschen Ansatz freilich etwas in Frage stellen könnte, vgl. Brinza, Daniel, International Trade Dispute Settlement System, 6 JIEL 2003, S. 719. 44 In der Tendenz mag dies zwar etwas vereinfachend sein. Es kommt wohl vor allem auf die auf dem Spiel stehenden Interessen und die Eindeutigkeit / Uneindeutigkeit der Rechtslage an. In bestimmten Fällen mag die Kompromissbereitschaft angesicht eines hohen Ver-

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

wickelten funktionalen Überlegungen sozusagen „durch die Hintertür“ wieder aufzuheben. Lediglich geht es um die Feststellung, dass die Streitbeilegungsorgane trotz ihrer diplomatischen Funktion notwendigerweise nicht jedem mitgliedstaatlichen Interesse dienen können. Angesichts der gerade in marktintegrativ motivierten Klageverfahren auftretenden Interessengegensätze ist es daher bedeutsam, den Streitbeilegungsorganen einen Leitstern an die Hand zu geben, der es ihnen ermöglicht, zwischen dem Ausbau der WTO zu einem Deregulierungshebel und ausgeprägter Autonomiefreundlichkeit richtig zu entscheiden.45 Wegen der Interessengegensätze ist kaum zu erwarten, dass Streitbeilegungsentscheidungen ein verobjektivierbar „ideales“ Maß an Legitimation zu begründen vermögen (Teil E.II.1. unten). Es ist allerdings nicht zielführend, bei dieser Aussage stehen zu bleiben. Auch und vielleicht sogar gerade in einer komplexen Welt wiedersprüchlicher Legitimationsströme und -tendenzen bedarf es eines normativen Leitbildes zur richtigen Entscheidung. Zur Überzeugung des Verfassers liegt der richtige Ansatz allerdings nicht etwa in den gerade in jüngerer Zeit immer wieder vorgetragenen kosmopolitischen Ideen der Berücksichtigung der Belange einer weltweit entstehenden Zivilgesellschaft (Teil E.II.2. unten), sondern in einem ausgeprägt autonomiefreundlichen Entscheiden, wie der Verfasser im Folgenden interessenstrukturtheoretisch begründen wird. Im Rahmen einer Interessenstrukturanalyse wird der Verfasser zu dem Ergebnis kommen, dass den gemeinsamen Interessen der Mitgliedstaaten am besten durch eine möglichst autonomiefreundliche Auslegung der Vorschriften durch die Streitbeilegungsorgane gedient ist. Im Hinblick auf substanzhaftes Entscheiden liegt der richtige Weg der WTO allein in einer ausgeprägten Autonomiesensitivität. Denn zu viel Marktintegration widerspricht nicht nur den Interessen der jeweils beklagten Mitgliedstaaten. Sie läuft auch den wohlverstandenen Interessen des klägerischen Staates entgegen. Auch jene Mitgliedstaaten, die ihr Interesse an mehr Marktintegration durch eine Klage konkret deutlich machen, werden als potenzielle Beklagte ein zwar abstraktes, dafür aber sektorübergreifendes und daher gewichtiges Interesse an autonomieschonendem Entscheiden haben. Die WTO-Streitbeilegungslustrisikos auch einmal groß sein. In der Sache ist dem Argument Weilers aber weitgehend beizupflichten. Allein der Ton juristischer Auseinandersetzung verschärft das Klima. Dies ist auch in der WTO nicht anders als in jedem Zivilprozess, wie sich unschwer aus den jeweiligen öffentlichen Kommentaren der Streitparteien während und im Anschluss an ein Streitverfahren ablesen lässt. Man braucht zur Bestätigung lediglich einen Blick auf die regelmäßigen Pressemitteilungen etwa der Europäischen Kommission (http: //europa.eu.int/comm/trade/ gentools/news_en.htm) oder des United States Trade Representative (USTR, http: //www. ustr.gov/wto/releases.shtml) zu einzelnen Klageverfahren zu werfen. 45 „Richtiges Entscheiden“ in diesem Sinne meint das in der Einleitung zu diesem Schlusskapitel bereits erwähnte „möglichst richtige Entscheiden“. Zu den Anforderung an richtiges Entscheiden Dworkin, Ronald, Is There Really No Right Answer in Hard Cases?, in: ders., A Matter of Principle, Oxford: Clarendon Press, 1986, S. 119; ders., Taking Rights Seriously, London: Duckworth, 1977, S. 66; Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl., Frankfurt: Suhrkamp, 1994, S. 519.

II. Autonomieschonung als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens

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organe sollten das marktintegrative Potenzial der Seitenabkommen daher nicht voll ausschöpfen, sondern im Rahmen interessegeleiteten Entscheidens so autonomieschonend wie möglich mit dem marktintegrativen Potenzial der materiellen Vorschriften des WTO / GATT-Rechts umgehen. Die Überlegungen sind insoweit unmittelbarer Ausfluss der oben entfalteten Auffassung von der diplomatischen Funktion der Streitbeilegungsorgane (Teil E.II.3. unten).

1. Das Mit- und das Gegeneinander von In- und Outputlegitimation in der substanziellen Abwägung zwischen Autonomieschutz und der Freiheit des Handels von mitgliedstaatlichen Schranken Mit dem Ziel der Ermöglichung spezifisch grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Handelns ist der WTO ein Supranationalitätspotenzial gewissermaßen in die Wiege gelegt46, auch wenn sich die Mitgliedstaaten als Entitäten der Anerkennung unmittelbarer Wirkungen bislang erfolgreich zu erwehren vermochten. Auf der anderen Seite aber ist der WTO auch ein hohes Maß politischer Flexibilität eingepflanzt, wie sich nicht nur im faktischen Verhalten der Mitgliedstaaten zeigt, sondern insbesondere auch in den von diesen geschaffenen normativen Anforderungen des Rechts selbst. Arbeiten, die sich mit den Grundlagen internationaler Verfasstheit und der Rolle der WTO beschäftigen, kommen um eine genauere Verortung der Rolle der WTO zwischen Staatenwelt und Weltwirtschaft daher nicht herum.47 Auch die hier vorliegende Arbeit ist letzten Endes Ausdruck einer – wenn auch eher unter rechtspraktischen Gesichtspunkten vorgenommenen – Verortung der WTO zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen merkantiler Grenzziehung und außenwirtschaftstheoretisch begründeter Grenzüberschreitung. Das Spannungsfeld von Wirtschaft und Politik, in das die WTO gestellt und durch das sie geprägt ist48, ist grundsätzlicher Natur und kann daher durch internationale Regeln nicht überwunden werden. Denn Wirtschaft ist grenzüberschreitend49, Politik demgegenüber grenzerrichtend und -aufrechterhaltend. Demokratisches Entscheiden ist dementsprechend bis heute weitgehend national gebunden.50 46 Vgl. den Panelbericht vom 22. Dezember 1999, United States – Section 301 – 310 of the Trade Act of 1974, WT / DS152 / R, Rn. 7.73. 47 Vertiefend hierzu Langer, Stefan, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung – Strukturprinzipien, Typik und Perspektiven anhand von Europäischer Union und Welthandelsorganisation, München, 1995, S. 17 bis 83; aus neuerer Zeit eher politiktheoretisch geprägt Mortensen, Jens, WTO, governance and the limits of law, London: Routledge, 2004. 48 Näher etwa Jackson, John H., Global Economics and International Economic Law, 1 JIEL 1998, S. 1. 49 Einführend dazu etwa Lipsey, Richard G. und K. Alec Chrystal, An Introduction to Positive Economics, 8. Aufl., Oxford: Oxford University Press, 1995, Kap. 1. 50 Das Spannungsfeld von Wirtschaft und Politik wird oft in die Dychotomie international / national übersetzt, nur um dann festzustellen, dass die internationale Politik nicht eben

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

Das Ordnungsprinzip nationaler Demokratie ist als typische Regierungsform entstanden, weil nationale Demokratie – trotz ihrer vielfältigen Effektivitätsschwächen – im Wettbewerb mit anderen Regierungsformen bisher offenbar die beste Antwort zur Lösung politischer Probleme bereithält. Dementsprechend ist auch die Errichtung und Erhaltung politischer Grenzen eine wichtige Aufgabe nationaler wie internationaler Politik. Die rechtlichen Systeme in und zwischen den Staaten spiegeln diesen Zusammenhang deutlich wider: Die innerstaatlichen Verfassungsrechtssysteme definieren sich über ihre politisch-rechtliche Grenze51; das Völkerrecht erkennt diese Grenzziehung an und schützt sie. Das Völkerrecht wäre schon als Rechtsgebiet gar nicht denkbar, gäbe es keine politischen Grenzen. Es ist auf diese ebenso aufgebaut wie nationales Verfassungsrecht52. Daher erscheint es folgerichtig, dass das Völkerrecht die Erhaltung und institutionelle Verfestigung politischer Grenzen zu einer seiner vornehmsten Aufgaben erhebt53, um im Anschluss die Durchlässigkeit dieser Grenzen durch Regelungen wie diejenigen des WTORechts zu gewährleisten. Allerdings fragt es sich gerade unter legitimationstheoretischen Gesichtspunkten, wie weit diese Gewährleistungen der Durchlässigkeit mitgliedstaatlicher Grenzen zu gehen hat. Bereits im Rahmen der konzeptionellen Ausgestaltung des Begriffs der Autonomie der Mitgliedstaaten (Teil B. oben) wurde angedeutet, dass nicht nur die Autonomie der Mitgliedstaaten selbst legitimationsbegründend wirkt. Auch das WTO / GATT-rechtliche Autonomiehindernis des Antiprotektionismus kann seinerseits legitimationsbegründende Wirkungen haben. Beide Formen der Legitimation sind freilich unterschiedlicher Art. In Scharpfschen Begriffen komplexer Demokratietheorie lässt sich die aus autonomem Entscheiden hergeleitete demokratische Legitimation als Gesichtspunkt des gelieferten „inputs“ einer mitgliedstaatlichen Entscheidung deuten, während die gegen den konkreten mitgliedstaatlichen Willen vollzogene WTO / GATT-rechtliche Streitbeilegungsentscheidung ihre Legitimation eher aus dem effizienzfördernden „output“ der inhaltlichen Richtigkeit bezieht.54 Input- und Outputlegitimation sind in diesem Sinne nicht gut dazu geeignet sei, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen durch Regelungssysteme zu ordnen, die eine aus staatlichen Zusammenhängen bekannte Verdichtung in sich tragen. Näher Streeck, Wolfgang, Einleitung: Internationale Wirtschaft, nationale Demokratie, in: ders. (Hrsg.), Internationale Wirtschaft, nationale Demokratie, Herausforderungen für die Demokratietheorie, Frankfurt a.M., Campus, 1998, S. 11. 51 Das deutsche Grundgesetz etwa gilt zwar subjektsbezogen „für das geamte deutsche Volk“, vgl. Satz 3 der Präambel des deutschen Grundgesetzes. Der territoriale Bezug wird aber – ungeachtet der historisch bedingten technischen Kompliziertheit – in Art. 116 GG unmittelbar deutlich. Auch Satz 2 der Präambel des Grundgesetzes stellt den territorialen Bezug her. 52 Vgl. nur etwa die auch völkerrechtstheoretisch konstitutive Rolle der Lehre von der Völkerrechtssubjektivität und im Rahmen dieser die Bedeutung des „Staatsgebiets“ als einem politisch abgegrenzten Gebiet, dazu statt vieler nur etwa Brownlie, Ian, Principles of Public International Law, 4. Aufl., 1990, Clarendon Press, Oxford, S. 72. 53 Vgl. nur etwa Art. 2 Nr. 1 und 7 der Satzung der Vereinten Nationen.

II. Autonomieschonung als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens

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statisch festgelegte und unveränderliche Legitimationselemente, sondern Teile einer Gesamtlegitimation, die sich aus dem Zusammenspiel von Elementen des input als auch von Elementen des output ergibt.55 Das Gesamtpaket legitimierender Gesichtspunkte ist in seiner Ausgestaltung am besten aus Sicht der konkreten Akzeptanz und Schwerpunktsetzung derjenigen zu erfassen, die mit einer bestimmten Entscheidung leben müssen. Um in den Worten eines Teilnehmers eines gemeinsamen Seminars der Universitäten von St. Gallen und Tübingen im Jahre 2002 zu sprechen: „Es kommt auf den jeweiligen Mix an, nicht auf ein vorgefertigtes Konstrukt immer gleicher Legitimationsvermittlung“.56 In dieser auf Flexibilität und Evolutionsfähigkeit bedachten Wahrnehmung ist das Legitimationspotenzial sowohl des inputs als auch outputs einer Entscheidung in hohem Maße vom jeweils eingenommen gedanklichen Ausgangspunkt abhängig. In Anlehnung an die Public Choice-Schule57 etwa halten manche Autoren die Anerkennung substanziellen Mehrheitschutzes für ein spezifisches Element moderner Demokratie (Schutz der nicht jedermann unmittelbar offenliegenden Interessen der Mehrheit gegenüber gut organisierten protektionistischen Interessen von Minderheiten). Konsequenterweise müssen sie Protektionismus damit nicht nur für wachstumsschädlich, sondern auch für demokratieschädlich halten und folgerichtig der WTO auch über die Diskriminierungsverbote hinaus eine demokratiesichernde Funktion zuweisen.58 Eine derartige Sichtweise setzt freilich nicht nur ein in der Substanz angereichertes Demokratieverständnis voraus (Mehrheitsschutz vor bestimmten Minderheiteninteressen), sondern in gewisser Weise auch ein paternalistisches Demokratieverständnis. Denn es geht um den Schutz der Mehrheit gegen deren Willen, weil sie im konkreten Fall das Schutzgut nicht erkennt oder nicht angemessen hoch bewertet, kurz, weil sie es nicht besser weiß. Es scheint unmittel54 Scharpf, Fritz W., Legitimationsprobleme der Globalisierung. Regieren in Verhandlungsystemen, in: Böhret, Carl und Göttrik Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert – Zwischen Globalisierung und Regionalisierung, Opladen, 1993, S. 165, 176. Die frühen Ansätze komplexer Demokratietheorie finden sich in Scharpf, Fritz W., Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Konstanz: Universitätsverlag, 1970. 55 Am Beispiel der europäischen Union etwa Scharpf, Fritz W., Governing in Europe, Democratic and Effective, Oxford, Oxford University Press, 1999, S. 12 ff. 56 Dieser „Mix“ möglicher Legitimationsstränge zwischen volkswirtschaftlicher Effizienz einerseits und mitgliedstaatlich demokratischer Entscheidungsfindung andererseits wird in der Diskussion um das Welthandelsrecht sehr deutlich; vgl. etwa die zum Teil aus sehr unterschiedlichen Perspektiven zusammengetragenen Beiträge in dem Sammelband von Sauvé, Pierre und Roger B. Porter (Hrsg.), Efficiency, Equity and Legitimacy: The Multilateral Trading System at the Millenium, Washington D.C.: Brookings Institution Press, 1999; ferner Esty, Daniel C., The World Trade Organization’s Legitimacy Crisis, 1 Journal of World Trade 2002, S. 7. 57 Überblick etwa bei Mueller, Dennis C., Perspectives on Public Choice, Cambridge: CUP, 1997; Downs, Anthony, Political Theory and Public Choice, Cheltenham: Elgar, 1998. 58 In diese Richtung besonders deutlich MacGinnis, John O. und Mark L. Movsesian, The World Trade Constitution, 114 Harv. L. Rev. S. 511.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

bar auf der Hand zu liegen, dass bei Zugrundelegung eines derartigen antiprotektionistischen Demokratiebegriffs im Zweifel die effizienzfördernden Gesichtspunkte der Umsetzung von Streitbeilegungsentscheidungen in ihrer legitimationsbegründenden Wirkung höher bewertet werden als eine zwar von der Mehrheit getragene, aber gegebenenfalls uneffiziente Entscheidung der Nichtumsetzung.59 Aus formaldemokratischer Sicht, der der Verfasser an dieser Stelle folgt, ist die Mehrheit gegenüber gut organisierten Minderheiteninteressen demgegenüber nicht sonderlich schützenswert, solange die Mehrheit ihr Schutzinteresse nicht selbst durchsetzt: Eine Bevölkerung kann sich danach auch für suboptimale Lösungen entscheiden, ohne davor notwendig durch verfassungsmäßige Bindungen geschützt werden zu müssen.60 Aus dieser Sicht scheint die Effektivierung des marktintegrativen Potenzials des WTO-Rechts nicht in Gleichlauf zu mitgliedstaatlich-demokratischen Strukturen (Effektivierung WTO-rechtlicher Vorgaben als Stärkung mitgliedstaatlicher Demokratie), sondern in Gegenlauf hierzu zu stehen (Effektivierung WTO-rechtlicher Vorgaben als Schwächung und Gefährdung mitgliedstaatlicher Demokratie). Die Kritik formuliert insoweit insbesondere den Vorwurf, dass die Effektivierung welthandelsrechtlicher Rechtsregeln die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten in ihrer demokratieschützenden Funktion ungebührlich einschränke61. Mangels eigener demokratischer Strukturen wird mittlerweile sogar behauptet, die WTO habe ein „Legitimationsdefizit“62, weshalb entweder die Effi59 Das Klub-Modell zum alten GATT 1947 lässt die hohe Divergenz im GATT zwischen Legitimation durch Effizienz und fehlende Legitimation mangels demokratischer Entscheidung besonders deutlich werden, vgl. näher Keohane, Robert O., The Club Model of Multilateral Cooperation and the WTO: Problems of Democratic Ligitimacy, in: Sauvé, Pierre und Roger B. Porter (Hrsg.), Efficiency, Equity and Legitimacy: The Multilateral Trading System at the Millenium, Washington D.C.: Brookings Institution Press, 1999, S. 154. 60 Der Verfasser weist an dieser Stelle ausdrücklich darauf hin, dass er derartige suboptimale Lösungen nicht notwendig für richtig hält, selbst wenn sie demokratisch getragen werden. Die inhaltliche Richtigkeit einer in diesem Sinne demokratisch getragenen Entscheidung spielt in dieser formaldemokratischen Perspektive im input keine Rolle, weshalb sie im Folgenden nicht näher thematisiert werden soll. 61 Vgl. nur etwa Barfield, Claude, Free Trade, Sovereignty and Democracy: The Future of the World Trade Organization, Washington D.C., AIE Press, 2001, S. 42 ff.; Wallach, Lori und Michelle Sforza, Whose Trade Organization? Corporate Globalization and the Erosion of Democracy: An Assessment of the World Trade Organization, New York: New Press, 1999; Atik, Jeffrey, Identifying Antidemocratic Outcomes: Authenticity, Self-Sacrifice and International Trade, 19 UPaJIEL 1998, S. 229; Goldman, Patti, The Democratization of the Development of United States Trade Policy, 27 Cornell Int’l. L.J. 1994, S. 631; Housman, Robert F., Democratizing International Trade Decision-making, 27 Cornell Int’l. L.J. 1994, S. 699; Trimble, Philip R., Globalization, International Institutions and the Erosion of National Sovereignty and Democracy, 95 Mich. L. Rev., 1997, 1944; kritisch Hilf, Meinhard, New Economy – New Democracy? Zur demokratischen Legitimation der WTO, in: Classen, Claus Dieter u. a. (Hrsg.), „In einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen . . . “, Liber amicorum Thomas Oppermann, Duncker und Humblot, Berlin 2001, S. 427. 62 Krajewski, Markus, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), Berlin, Duncker und Humblot, 2001, S. 265.

II. Autonomieschonung als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens

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zienz des WTO-Rechts reduziert oder seine Legitimation erhöht werden müsse63. In diesem Zusammenhang wird immer öfter – insbesondere im Rahmen kosmopolitischer Konzepte64 – auch auf die Rolle von NGOs hingewiesen65, eine Rolle, die gerade von jenen, die im Antiprotektionismus eine Möglichkeit der Stärkung mitgliedstaatlicher Demokratie sehen, mit besonderem Argwohn betrachtet wird.66 Für viele Autoren bringt das Vordringen des Antiprotektionismus zum Inneren des Staates hin daher Schwächen in der innerstaatlich gelebten Demokratie mit sich. Eine typische Argumentation in diese Richtung geht dahin, dass die Internationalisierung der Wirtschaft der staatlichen Demokratie ihre Funktionsbedingungen nehme, insbesondere ihren funktional vollständigen Regelungszusammenhang. Nationale Demokratie werde im modernen Zeitalter dadurch zunehmend uneffektiv.67 Dieser These wird von anderen Autoren freilich heftig widersprochen, etwa 63 Zusammenfassung der Optionen in Krajewski, Markus, Democratic Legitimacy and Constitutional Perspectives of WTO Law, 35 JWT 2001, S. 167. 64 In diese Richtung, die in vielerlei Hinsicht auf Kants Essay über den Ewigen Frieden zurückgeht, jüngst etwa Charnovitz, Steve, WTO Cosmopolitics, 34 NYUJInt’l. L &Pol 2002, S. 299. In eine ähnliche Richtung das sogenannte „stakeholder-Modell“, dazu Shell, Richard E., Trade Legalism and International Relations Theory: An Analysis of the World Trade Organization, 44 Duke Law Journal 1995, S. 829; Evans, Gail E., Lawmaking under the Trade Constitution, Den Haag, Kluwer, 2000, S. 221 ff. Vertiefend zu Möglichkeiten kosmopolitischer Demokratie allgemein Held, David, Democracy and the Global Order: From the Modern State to Cosmopolitan Governance, Tübingen, 1995, S. 271 ff.; ferner der Sammelband von Archibugi, Daniele, David Held und Martin Köhler (Hrsg.), Re-Imagining Political Community: Studies in Cosmopolitan Democracy, 1998; allgemein auch Zürn, Michael, Regieren jenseits des Nationalstaates, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1998, S. 294 ff. und Höffe, Ottfried, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München: C.H. Beck, 1999, S. 310 ff. 65 Überblick etwa in López-Hernandez, Ernesto, Recent Trends and Perspectives for NonState Actor Participation in World Trade Organization Disputes, 35 JWT 2001, S. 469 m. w. N. 66 Zur Diskussion etwa Nichols, Philip M., Trade Without Values, 90 NwULRev. 1996, S. 658; ders., Realism, Liberalism, Values, and the World Trade Organization, 17 UPaJIEL 1996, S. 851. Die Werte-Diskussion findet sich auch in der Diskussion um die Verbindung von Handel mit anderen Bereichen wieder, die für sich genommen noch nichts mit Handel zu tun haben („Trade and . . . “-Problematik). Dazu aus der umfangreichen Literatur mit Blick auf die Rolle von NGO’s nur etwa Esty, Daniel C., Linkages and Governance: NGOs at the World Trade Organization, 19 UPaJIEL, S. 709; Nichols, Philip M., Forgotten Linkages-Historical Institutionalism and Sociological Institutionalism and Analysis of the World Trade Organization, 19 UPaJIEL 1998, S. 461. Zur ganzen Debatte vgl. etwa das im American Journal of International Law veröffentlichte Symposium „The Boundaries of the WTO“: Alvarez, José E., Symosium: The Boundaries of the WTO, 96 AJIL 2002, S. 1 ff. 67 In diese Richtung etwa Jackson, John H., Global Economics and International Economic Law, in 1 JIEL 1998, S. 1, 7 f.; Scharpf, Fritz W., Die Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, 32 Politische Vierteljahresschrift (1991), S. 621; ders., Regieren in Europa. Effektiv und demokratisch?, in Frankfurt: Campus Verlag, 1999, S. 33 f.; Taylor, C. R., A Modest Proposal: Statehood and Sovereignty in a Global Age, 18 UPaJIEL 1997, S. 745.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

unter Hinweis auf den bis heute immer noch geringen Integrationsstand der Weltwirtschaft (relativ zum bestehenden Integrationspotenzial).68 Dieser Einwand mag in der Sache richtig sein. Im Hinblick auf die neueren Phänomene negativer Integration stellt sich aber tatsächlich ganz konkret die Frage, inwieweit einem Mitgliedstaat durch eine stattgebende streitbeilegende Entscheidung eines WTOStreitbeilegungsorgans mit deregulativer Wirkung die Möglichkeit zu demokratisch getragenem Entscheiden genommen wird, wie stark erodiert dieses auch immer durch innerstaatliche Prozesse bereits sein mag.69 Zwar hat der Mitgliedstaat der anzuwendenen Rechtsregel (etwa Art. 2.2 oder 2.4 TBT) zugestimmt und damit zu ihrer Entstehung beigetragen. Daraus allein folgt aber noch nicht, dass dieser Mitgliedstaat tatsächlich auch alle streitbeilegenden Entscheidungen, die in Anwendung dieser Regel ergehen, demokratisch mitträgt. Vielmehr kann es sein, dass er eine bestimmte Regel in ihrem Wortlaut zwar allgemein mitträgt, konkrete Entscheidungen demgegenüber aber nicht. Das Entscheidungsverhalten der Union im Hormonfall ist hierfür ein ausgeprägtes Beispiel. Es sind diese Situationen der mitgliedstaatlichen Weigerung der Umsetzung, in denen die Legitimationsfrage besonders deutlich gestellt ist. Eine einfache Lösung ist insoweit nicht in Sicht. Ein wesentlicher Gesichtspunkt zur Lösung findet sich allerdings in den Überlegungen Scharpfs selber: Bei aller Betonung, dass es auf die Mischung der verschiedenen Elemente ankomme, hebt nämlich auch Scharpf hervor, dass das wichtigste Element herrschaftsrechtfertigender Legitimation noch immer dasjenige der 68 Vehement insoweit etwa Wade, Robert, Globalization and Its Limits: Reports of the Death of the National Economy Are Greatly Exagerated, in: Berger, Suzanne und Ronald Dore (Hrsg.), National Diversity and Global Capitalism, Cornell UP, 1996, S. 60. 69 Manche Autoren weisen darauf hin, dass der Prozess zunehmender Ineffizienz staatlichen Handelns (wie weit er im Einzelnen auch immer fortgeschritten sein mag), zu einem guten Teil nicht durch Globalisierung, sondern durch Individualisierung und Privatisierung stattfinde (Abkehr vieler Bürger von der aktiven Politikgestaltung). Zwischen wie auch in den Staaten finde mithin ein Erosionsprozess politischer Machtausübung hin zu einer allgemeinen Entfähigung des Staates zu effektiver Regulation statt. In diese Richtung etwa Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Die Zukunft politischer Autonomie, Demokratie und Staatlichkeit im Zeichen von Globalisierung, Europäisierung und Individualisierung, in ders.: Staat, Nation, Europa, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1999, S. 103, 109. Die derart beschriebenen Tendenzen werden mittlerweile auch in den Massenmedien zum Gegenstand der Diskussion gemacht: Mit Blick auf die Blockademöglichkeiten im föderalen System durch Länderkooperation im Bundesrat und den darunter liegenden Ebenen der verwaltungstechnischen Zusammenarbeit der Länder in Arbeitsgruppen und Kooperationsgremien etwa Darnstädt, Thomas, Die enthauptete Republik, Warum die Verfassung nicht mehr funktioniert, Nr. 20 DER SPIEGEL 2003, S. 38 ff. Derartige Gremienarbeit ist ein typisches Phänomen immer komplexer werdender Gesellschaften. Die Kritik etwa am Ausschusswesen in der europäischen Union wie in den Einzelstaaten ist nur ein einzelner Ausfluss dieser zunehmenden Komplexität unter vielen anderen, vgl. zur Union etwa Toeller, Annette E. und Herwig C.H. Hofmann, Democracy and the Reform of Comitology, in: Andenas, Mads und Alexander Türk, Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, Den Haag: Kluwer, 2001, S. 25, Joerges, Christian und Josef Falke (Hrsg.), Das Ausschußwesen der Europäischen Union. Praxis der Risikoregulierung im Binnenmarkt und ihre rechtliche Verfassung, Baden-Baden: Nomos, 2000.

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Verantwortlichkeit gegenüber den Wählern bilde. Fehle dieses Element, vermittelten auch die anderen Elemente wie etwa eine funktionierende (richterliche oder streitbeilegende) Expertokratie, korporatistische Abkommen, pluralistische Politiknetzwerke usw.70 keine hinreichende Legitimation mehr.71 Dies ist bereits ein erstes legitimationstheoretisch getragenes Indiz für ein großes mitgliedstaatliches Bedürfnis nach Autonomieschutz.

2. Keine Berücksichtigung der Interessen einer kosmopolitischen „Zivilgesellschaft“ Ein kategorisch abzulehnender Ansatz „richtigen“ Begründens wurzelt daher in der Idee des Kosmopolitismus, wie sie vor allem anglo-amerikanische Wissenschaftler in theoretischer (stakeholdermodell)72 oder auch ganz praktischer Weise (WTO Cosmopolitics)73 vorschlagen. Die dahinterstehende Idee ist diejenige einer weltweiten Zivilgesellschaft. Richtiges Begründen soll danach darin wurzeln, dass die Interessen der Zivigesellschaft als ganzer angemessen berücksichtigt werden. Ein wichtiger Ausfluss derartiger Überlegungen im Rahmen der Streitbeilegung wäre etwa die Berücksichtigung individueller Stellungnahmen („amicus curiae briefs“) über eine entsprechende Auslegung des Art. 13 DSU.74 Das Berufungsgremium hat in seinem Bericht zum Asbestfall für die Behandlung derartiger Stel70 Scharpf, Fritz W., Governing in Europe, Democratic and Effective, Oxford: Oxford University Press, 1999, S. 13 ff. 71 Ibid., S. 16, wonach das Wesentliche der durch Expertokratie, insbesondere durch die Richter vermittelten demokratischen Legitimation die Möglichkeit der nachträglichen Aufhebung sei („electorally accountable office holders would still be able to override the expert judgement“). 72 Shell, Richard E., Trade Legalism and International Relations Theory: An Analysis of the World Trade Organization, 44 Duke Law Journal 1995, S. 829, 907; ders., The Trade Stakeholder Model and Participation by Nonstate Actors in the World Trade Organization, 17 UPaJIEL 1996, S. 359; Evans, Gail E., Lawmaking under the Trade Constitution. A Study in Legislating by the World Trade Organization, Den Haag: Kluwer Law International, 2000, S. 221 ff.; Charnovitz, Steve, Opening the WTO to nongovernmental interests, 24 Fordham international law journal 2000, S. 173. 73 Zuletzt etwa Charnovitz, Steve, WTO Cosmopolitics, 23 NYUJInt’l. Law & Pol. 2002, 299 mit vielen weiteren Nachweisen. Herausragend insoweit etwa auch Shaffer, Gregory C., The World Trade Organization Under Challenge: Democracy and the Law and Politics of the WTO’s Treatment of Trade and Environment Matters, 25 Harvard Environmental Law Review 2001, S. 1. Zum größeren Zusammenhang etwa Leighton, Michelle und Elena Castaneda, Civil Society Concerns in the Context of Economic Globalization, 15 Transnat’l Lawyer 2002, S. 105. 74 In den frühen Fällen ging es lediglich um von den Parteien selbst eingereichte Stellungnahmen privater „stakeholder“; vgl. insoweit bereits die Berichte des Berufungsgremiums in den Fällen US – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, WT / DS58 / AB / R; US – Imposition of Countervailing Duties on Certain Hot-Rolled Lead and Bismouth Carbon Steel Products Originating in the United Kingdom, WT / DS138 / AB / R.

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lungnahmen gemäß Regel 16(1) seiner Verfahrensordnung („Working Procedures“) gesonderte, allein für dieses konkrete Berufungsverfahren geltende zusätzliche Verfahrensbestimmungen („additional procedures“) geschaffen, diese aber so streng gehalten, dass es keine einzige der eingereichten Stellungnahmen effektiv angenommen hat.75 Im Anschluss haben sich die Mitgliedstaaten vehement gegen eine Annahme oder gar Berücksichtigung derartiger Stellungnahmen ausgesprochen, weshalb entsprechende Versuche mittlerweile weitgehend keine Rolle mehr spielen.76 Der Verfasser hält die aktuell zu beobachtende Zurückhaltung der Streitbeilegungsorgane im Hinblick auf die tatsächliche Berücksichtigung derartiger Stellungnahmen privater „stakeholder“ für richtig. Die weltweite Zivigesellschaft existiert bisher nicht. Der kosmopolitische Ansatz ist trotz seiner gegenwärtigen Beliebtheit nicht der richtige Weg zu richtigem Begründen. Der Traum vom politischen Weltbürger bleibt bis heute unverwirklicht.77 „Trade stakeholdern“ fehlt in der Regel jene funktionale Vollständigkeit, die gerade das Hauptelement demokratischer Legitimationsvermittlung darstellt. Dies gilt für nicht-profitorientierte 75 EC – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, WT / DS135 / AB / R, Rn. 50 ff. Aus der umfangreichen Literatur aus der Zeit vor und nach der Asbestberufungsentscheidung etwa Covelli, Nick, Member Intervention in World Trade Organization Dispute Settlement Proceedings After EC – Sardines: The Rules, Jurisprudence, and Controversy, 37(3) JWT 2003, S. 673; Trachtman, Joel P. und Philip M. Moremen, Costs and Benefits of Private Participation in WTO Dispute Settlement: Whose Right is it Anyway?, 44 Harv. Int’l L.J. 2003, S. 221; Ohloff, Stefan und Hannes Schloemann, Transcending the Nation-State? Private Parties and the Enforcement of International Trade Law, in: Frowein, Jochen A. und Rüdiger Wofrum, 5 Max Planck Yearbook of United Nations Law (2001), S. 675, 685 ff.; Baroncini, Elisa, L’apertura alla societá civile del sistema di risoluzione delle controversie dell’ OMC, 42 Diritto comunitario e degli scambi internazionali 2003, S. 115; Appelton, A.E., Amicus Curiae Submissions in the Carbon Steel Case: Another Rabbit from the Appelate Body’s Hat?, 3 JIEL 2000, S. 691 ff.; Prévost, Denise, WTO Subsidies Agreement and Privatised Companies: Appellate Body Amicus Curiae Briefs, 27 LIEI 2000, S. 279; Marceau, Gabrielle und Matthew Stilwell, M., Practical Suggestions for Amicus Curiae Briefs before the WTO Adjudicating Bodies, 4 JIEL 2001, S. 155; Umbricht, G. C., An ,Amicus Curiae Brief‘ on Amicus Curiae Briefs at the WTO, 4 JIEL 2002, S. 773; Padideh Ala’i, Judicial Lobbying at the WTO: The Debate over the Use of Amicus Curiae Briefs and the U.S. Experience, 24 Fordham Int’l L.J. 2000, S. 62; Zonnekeyn, Geert A., The Appellate Body’s Communication on Amicus Curiae Briefs in the Asbestos Case. An Echternach Procession?, in 35(3) JWT 20001, S. 553; Mavroidis, Petros C., Amicus Curiae Briefs before the WTO: Much Ado about Nothing, in: Bogdandy, Armin von u. a. (Hrsg.), European Integration and International Co-Ordination, FS Claus Dieter Ehlermann, Den Haag, Kluwer Law International, 2002, S. 317; Robbins, Josh, False Friends: Amicus Curiae and Procedural Discretion in WTO Appeals Under the Hot-Rolled Lead / Asbestos Doctrine, 44 Harvard International Law Journal 2003, S. 317. 76 Zur Reaktion auf derartige Aussprachen aus der Sicht eines Mitgliedes des Berufungsgremiums Ehlermann, Claus-Dieter, Tensions between the dispute settlement process and the diplomatic and treaty-making activities of the WTO, 1 World Trade Review 2002, S. 301. 77 Coulmas, Peter, Weltbürger, Geschichte einer Menschheitssehnsucht, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1990.

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Nichtregierungsorganisationen genauso wie für alle anderen nichtstaatlichen Akteure: Auch sie bindet lediglich ein bestimmtes Interesse ihrer Mitglieder – sie sind letztlich nur pouvoirs de fait.78 Sie können zwar zu einer stärkeren Öffentlichkeit beitragen. Insofern vermögen sie die tatsächlichen Voraussetzungen zur Vermittlung demokratischer Legitimation zu fördern.79 Nicht hingegen können sie demokratische Legitimation selbst vermitteln. Mangels funktionaler Vollständigkeit privater Verbände kann das „trade stakeholder“-Modell zur demokratischen Legitimation selbst supranationaler Organisationen daher kaum etwas beitragen. So überrascht es nicht, dass die Vorschläge zur Einbindung der Zivilgesellschaft, wie sie etwa die Europäischen Kommission in ihrem „Governance“-Weissbuch von 2001 vorgetragen hatte80, auf erhebliche Kritik aus dieser Richtung gestoßen sind.81 Was aber für die Europäische Union gilt, muss umso mehr für ein rein zwischenstaatliches Regime gelten, dem, wie im Fall der WTO, nicht einmal die Qualität eines echten Herrschaftsverbandes zukommt. Selbst eine so mittelbare Berücksichtigung derartiger Interessensträger wie die bloße Annahme von amicus curiae briefs durch die Streitbeilegungsorgane ist daher nicht der richtige Weg. Man mag noch weiter gehen: In einem Zusammenhang, in dem es Mehrheitsentscheidungen (mit wenigen Ausnahmen) nicht gibt und ein eigenes (Welt-)Parlament kaum sinnvoll legitimierend tätig werden könnte, fördert das kosmopolitische Modell richtiges Entscheiden nicht nur nicht – es gefährdet sogar richtiges Entscheiden: Denn in der WTO kann sich, anders als etwa in der Europäischen Union, eine einmal getroffene Entscheidung – auch streitbeilegende Entscheidung – nur über die ihnen vorangegangenen nationalen Entscheidungsverfahren in den Mitgliedstaaten demokratisch legitimieren. Mit der Schwerpunktsetzung des trade stakeholder-Modells die nationalen Ratifikationsverfahren aus dem Blick zu verlieren bedeutet damit nicht eine Verstärkung, sondern allenfalls eine Aufweichung demokratischer Legitimation. Dies wirkt umso schwerer, als völlig ungeklärt ist, wie das Modell im Einzelnen umgesetzt werden soll. Wird mit der Berücksichti78 Vgl. etwa Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Demokratie als Verfassungsprinzip, in ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 291, 315 f., Rz. 29 f.: „Ist die demokratische Legitimation auf das Staatsvolk in seiner Gesamtheit bezogen, können sich Gruppen und Organisationen von Bürgern, auch wenn sie zahlenmäßig stark sind, nicht auf sie berufen. Was sie zusammenführt und eint, sind bestimmte Eigenschaften [ . . . ].“ 79 Zu diesem Diskurselement der Demokratie im Prozess der Internationalisierung etwa Schmidt, Vivien A., Democracy and Discourse in an Integrating Europe and a Globalising World, 6 ELJ 2000, S. 277; Habermas, Jürgen, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: ders., Die postnationale Konstellation, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1998, S. 91. 80 KOM (2001) 428 endgültig vom 25. 7. 2001, mit Vorschlägen zur Einbindung der Zivilgesellschaft vor allem auf S. 21 ff. 81 Vgl. etwa Scharpf, Fritz W., European Governance: Common Concerns vs. the Challenge of Diversity, Jean Monnet Working Paper 6 / 01 (Symposium), und Eriksen, Erik Oddvar, Democratic or technocratic governance?, Jean Monnet Working Paper 6 / 01 (Symposium), beide zu finden im Internet unter www.jeanmonnetprogram.org.

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gung von amicus curiae briefs nicht gerade die Stellung der Mitglieder des gebildeten panels bzw. des Berufungsgremiums und damit letztlich der WTO gestärkt? Schließlich ist es doch der Streitbeileger, der in diesen Verfahren über die Stellungnahmen der stakeholder entscheiden würde, nicht die stakeholder selbst – eine schwierig zu lösende Inkongruenz des trade stakeholder-Modells, das doch gerade ein partizipatives Modell sein will. 3. Gesamtbetrachtung der mitgliedstaatlichen Interessenstruktur – Autonomiefreundlichkeit als normativ-praktisches Leitbild interessegeleiteten Entscheidens Nach Ansicht des Verfassers kann der entscheidende Gesichtspunkt richtigen Begründens daher nicht im Aufbau fiktiver Kosmopolitismen wurzeln, sondern allein in den Interessen der beteiligten Mitgliedstaaten. Die „Richtigkeit“ einer Entscheidung muss sich in diesem Sinne aus interessegeleitetem Entscheiden ergeben. Dies ist unmittelbarer Ausfluss der fortbestehenden Verwurzelung der WTO in der Diplomatie (nähere Einzelheiten Teil E.I. oben). Die Notwendigkeit interessegeleiteten Entscheidens ergibt sich ferner schon aus der „Gekorenheit“ der WTO-Streitbeilegungsorgane und ist letztlich auch Ausfluss der rechtspositivistischen Tradition des Völkerrechts. Die Mitgliedstaaten haben die WTO-rechtlichen Vorschriften nicht ohne Grund so niedergelegt, wie sie sie eben niedergelegt haben. Vielmehr haben sie versucht, die Vorschriften so auszugestalten, dass sie ihren gemeinsamen Interessen weitestgehend zu dienen vermögen. Staaten sind zwar keine „rationalen“ Gebilde, sondern folgen in ihrem politischen Leben in vielerlei Hinsicht den eben gerade vorherrschenden politischen Tagesstimmungen.82 Will man dem Gedanken des zwischenstaatlichen Rechts einen sinnvollen Gehalt beimessen, muss man ein Minimum an Zweckrationalität und Eigeninteresse unterstellen, wie immer sich dies dann im Einzelnen konkretisiert. In diesem begrenzten Sinne sollen die Vorschriften des WTO-Rechts daher als Ausdruck der gemeinsamen Interessen der Mitgliedstaaten betrachtet werden. Allerdings ist die Herausarbeitung der in den Vorschriften niedergelegten gemeinsamen Interessen aus den bestehenden Vorschriften ihrerseits kein einfaches Unterfangen. Denn die Feststellung und Konkretisierung der gemeinsamen Interessen wird ja gerade erst nötig, weil die Vorschriften in ihrem Wortlaut keine nachprüfbare Auskunft über die richtige Auslegung zulassen. Begriffe wie die „Notwendigkeit“ oder die „wissenschaftliche Begründetheit“ einer Handelsbeschränkung lassen sowohl eine Auslegung im Sinne bloßer Sicherung von Wettbewerbsgleichheit als auch auch eine solche im Sinne tiefer Marktintegration zu. Ein Hinweis auf die formale Zielstruktur der Streitbeilegungsvereinbarung, nach der es 82 Kritisch etwa Buchanan, James M. und Gordon Tullock, The Calculus of Consent, Legal Foundations of Constitutional Democracy, Ann Arbor: The University of Michigan Press, 1962.

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ein wichtiges Ziel der Streitbeilegung ist, die „positive Lösung einer Streitigkeit“ herbeizuführen (Art. 3 Abs. 7 S. 2 DSU), vermag hier als solcher noch nicht weiterzuführen. Denn die „positive Lösung einer Streitigkeit“ ist ihrerseits nur eine formale Vorgabe, die nach den Vorgaben des materiellen Rechts gefüllt werden muss. Man mag ferner einwenden, dass eine streitbeilegende Entscheidung schon strukturell nicht allen Interessen aller Streitparteien dienen könne, da diese – jedenfalls im Bereich der Marktintegration – substanziell in engegengesetzte Richtung gelagert seien, der Rechtsanwender ab einem gewissen Punkt aber schon aus rechtspraktischen Gründen zu einer substanziellen Entscheidung kommen müsse.83 Dieser Einwand ist in der Sache zwar richtig. Er trägt hier aber dennoch nicht. Denn zwar kann ein Streitbeilegungsorgan in der Tat nicht allen aktuell vorgetragenen Interessen vollständig Rechnung tragen.84 Zur Überzeugung des Verfassers kann das streitbeilegende Organ aber gleichwohl der Gesamtheit aller Interessen der Streitbeilegungsparteien in richtiger Weise genüge tun. Voraussetzung hierfür ist freilich, dass es auch jene Interessen berücksichtigt, die im aktuellen Verfahren nicht angesprochen werden (Gesamtwürdigung aller Interessen).85 Derlei nicht geäußerte Interessen bestehen in großer Zahl. Denn die an einem WTO-Streitverfahren beteiligten Streitparteien verschweigen nicht nur manchmal, sondern sogar in der Regel einen Teil ihrer positiv bestehenden Interessen. Eine Interessenstrukturanalyse zeigt, dass die Streitparteien fast immer eine ganze Reihe längerfristiger Interessen haben, die sie typischerweise im konkreten Streitverfahren nicht äußern (und im Hinblick auf die Führung des konkreten Verfahrens sinnvollerweise auch nicht äußern sollten). Im Hinblick auf den materiellrechtlichen Bereich des GATT 83 Zum Problem etwa Hilf, Meinhard, Power, Rules, Priciples – Which Orientation for WTO / GATT Law?, 4 JIEL 2001, S. 111. 84 So wird es mit einer stattgebenden Entscheidung auf eine marktintegrative Klage kaum den konkreten und aktuellen Interessen der unterlegenen beklagten Partei dienen. Mit einer abweisenden Entscheidung über eine marktintegrative Klage wird das Berufungsgremium umgekehrt kaum den konkreten und aktuellen Interessen der unterlegenen klägerischen Partei dienen können. 85 Dieser Gesichtspunkt unterscheidet die WTO-Streitbeilegung maßgeblich von der Tätigkeit eines Amtsrichters, zu der soeben vor allem die Gemeinsamkeiten hervorgehoben worden sind. Denn der Amtsrichter wird über die Interessen der Streitparteien ein einziges mal, allenfalls zufällig öfter als einmal entscheiden. Er muss daher nicht die Gesamtheit aller ihrer Interessen berücksichtigen, sondern kann (und muss) es bei der Berücksichtigung der aktuell vorgetragenen Interessen bewenden lassen. Wenn jemand als Mieter auftritt, wird er in seiner Klageschrift kaum berücksichtigen müssen, dass er in späteren Verfahren gegebenenfalls auch als Vermieter einmal eine vom Sachverhalt her vielleicht ähnlich gelagerte Klage mit genau umgekehrter Interessenlage begründen will. Dies ist in der WTO anders. Die Kombination einer geringen Zahl von potenziellen Streitparteien, die oft frappierende Parallelität der angegriffenen Sachverhalte und der Umstand, dass fast jede Partei potenziell genauso oft Kläger wie Beklagter sein kann, lässt einen Mitgliedstaat vor der WTO ganz anders auftreten als eine Individualperson vor dem Amtsgericht – jedenfalls dann, wenn der Mitgliedstaat seine wohlverstandenen Interessen in gehörigem Maße ernst nimmt.

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(Wettbewerbsgleichheit) ist dieses Verschweigen von Interessen spätestens seit den Erkenntnissen der public choice-Schule kein Geheimnis mehr.86 In einem marktintegrativ motivierten Streitverfahren liegt die Interessenstruktur der beteiligten Streitparteien – und damit auch die Leitlinie für interessengerechtes und in diesem Sinne richtiges Entscheiden – sogar recht deutlich auf der Hand (vielleicht noch deutlicher als bei Verfahren zur Sicherung bloßer Wettbewerbsgleichheit).87 Deutlich wird zunächst das spezifische Interesse der klägerischen Mitgliedstaaten an mehr Marktintegration. Je öfter einzelne Mitgliedstaaten die hier diskutierten Vorschriften gegen nicht-diskriminierendes Verhalten zur Öffnung fremder Märkte heranziehen, desto öfter bestätigen sie damit ihren Willen zu mehr Marktintegration. Daran müssen sie sich in späteren Streitfällen im Prinzip festhalten lassen. Auf der anderen Seite steht aber das Interesse der Mitgliedstaaten an effektivem Autonomieschutz. Nicht nur der beklagte Mitgliedstaat wird naturgemäß ein Interesse am Schutz seiner Autonomie haben (und es in der Regel auch konkret in das Streitverfahren einführen). Auch der klägerische Mitgliedstaat wird in der Regel ein (wenn auch abstraktes) Interesse am potenziellen Schutz seiner mitgliedstaatlichen Autonomie haben. Denn auch er muss immer damit rechnen, künftig in der einen oder anderen Form unter marktintegrativen Gesichtspunkten angegriffen zu werden und dann seinerseits den Schutz der Autonomie ins Feld führen zu müssen. Diese Verteidigungsmöglichkeit wird sich ein klägerischer Mitgliedstaat durch eine marktintegrativ motivierte Klage kaum abschneiden wollen. Er wird in einem von ihm eingeleiteten Streitbeilegungsverfahren daher nicht nur dieses konkrete Streitbeilegungsverfahren, sondern auch zukünftige Streitverfahren mit gegebenenfalls anderen Konstellationen in den Blick nehmen. Nun lässt sich aus dem Umstand, dass beide verfahrensbeteiligten Mitgliedstaaten ein (wenn auch in unterschiedlichem Maße aktualisiertes) Interesse am Autonomieschutz haben, noch nicht herleiten, dass dieses beiderseitige Autonomieschutzinteresse das klägerische Interesse an mehr Marktintegration grundsätzlich überwiegt. Denn auch das Interesse an mehr Marktintegration können (wenn auch 86 Bei richtigem Verständnis hat gerade der beklagte Mitgliedstaat ein eigenes Interesse an der Aufhebung seiner wettbewerbsverzerrenden Maßnahme, auch wenn er dies in merkantilisitischer Tradition freilich nicht deutlich macht. 87 Der Verfasser schließt sich mit der hier vorgenommenen Analyse ausdrücklich nicht der in der Literatur vorgetragenen Forderung an, die WTO-Streitbeilegung sollte strenger sein als der EuGH gegenüber den Gemeinschaftsinstitutionen, aber weniger streng als der EuGH gegenüber den EU-Mitgliedstaaten, vgl. in diese Richtung McNelis, Natalie, The Role of the Judge in the EU and WTO: Lessons from the BSE and Hormones Cases, 4 JIEL 2001, S. 189, 205. Der Verfasser hält diese These für etwas vereinfachend, da derartige Vergleiche unter „Abschleifung der Details“ Gemeinsamkeiten herausarbeiten, die in der normativ-praktischen Tätigkeit von EuGH und WTO-Streitbeilegung so nicht bestehen. Als erster Schritt auf dem Weg zu richtigem, d. h. interessegeleitetem Entscheiden mag die Hervorhebung des Verhältnisses zwischen den Rechtsanwendern und den Rechtsunterworfenen („the relationship of the ,judge‘ to the ,judged‘“, S. 201 f.) hilfreich sein, vermag eine zur Ausfüllung dieses Verhältnisses notwendige Interessenstrukturanalyse aber freilich nicht zu ersetzen.

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wiederum in unterschiedlich aktualisiertem Maße) durchaus beide verfahrensbeteiligten Mitgliedstaaten haben. Auch der unter den Seitenabkommen beklagte Staat kann ein (wenn auch abstraktes) Interesse an mehr Marktintegration haben. Er wird ein solches abstraktes Interesse in der Regel immer dann entwickeln, wenn er dem einzelnen in bestimmten, unter die Seitenabkommen fallenden Politikbereichen mehr Freiheit garantiert als ein anderer Mitgliedstaat. So kann ein Mitgliedstaat, der unter dem SPS wegen einer zwar nicht-diskriminierenden, den Handel mit genmanipulierten Waren aber gleichwohl hemmenden Regelung angegriffen wird, ein Interesse daran haben, dass der in diesem konkreten Bereich mehr Marktintegration einklagende Mitgliedstaat in anderen Politikbereichen seinerseits mehr Freiheit zulässt, etwa beim Konsum bestimmter alkoholischer Getränke oder teurer Luxuslimusinen. Dasselbe gilt freilich für ein entsprechendes Interesse gegenüber einem Drittstaat.88 Beide streitbeteiligten Parteien werden daher mit mehr oder weniger stark ausgeprägten „inneren Vorbehalten“ in das konkrete Streitverfahren eintreten. Im welthandelsrechtlichen Zusammenhang sind derartige „innere Vorbehalte“ an sich nichts Neues. Auch aus der Streitbeilegung unter dem GATT sind sie bekannt, etwa wenn ein Mitgliedstaat ein bestimmtes diskriminierendes Verhalten anprangert, das er in anderen Bereichen selbst an den Tag legt, oder wenn ein Mitgliedstaat umgekehrt sein diskriminierendes Verhalten in einem Verfahren konkret rechtfertigt, zugleich aber entsprechende Verhaltensweisen der klagenden Partei (wenn auch in anderen Bereichen) kritisiert. Der innere Zielkonflikt wird im Zusammenhang marktintegrativ motivierter Klagen aber besonders virulent, weil von den Streitbeilegungsorganen in diesem Zusammenhang ein substanzielles Entscheiden und Wägen in der Sache verlangt wird. Mit ihren in diesem Zusammenhang in der einen oder anderen Form entstehenden „inneren Vorbehalten“ stellen die in einem Streitverfahren beteiligten Mit88 Aus dem Umstand, dass bisher die vorwiegend liberal ausgerichteten nordamerikanischen WTO-Mitgliedstaaten Kanada und USA marktintegrativ motivierte Klagen eingereicht haben, lässt sich noch nicht schließen, dass sich diese Staaten später nicht gegen von Drittstaaten gegebenenfalls eingereichte marktintegrative Klagen wehren wollen würden. Umgekehrt folgt aus dem Umstand, dass die Union in den Streitfällen um Hormone, Asbest und nun genmanipulierte Lebensmittel als Beklagte auftrat, noch nicht, dass sie nicht ihrerseits auch einmal eine marktintegrativ motivierte Klage erheben würde. Liberale Mitgliedstaaten sind nicht per se liberal. Und auch hoch regulierte Mitgliedstaaten sind nicht per se hoch reguliert. Vielmehr können Mitgliedstaaten in dem einen Politikbereich ein hohes Maß an Freiheit garantieren, während sie zur selben Zeit in einem anderen Politikbereich ein nur geringes Maß an Freiheit gewähren. Regelmäßige Untersuchungen des Fraser Institutes in Toronto über das Maß der wirtschaftlichen Freiheit des Einzelnen ergeben zweifelsfrei, dass das unter bestimmten Gesichtspunkten messbare „Gesamtmaß“ wirtschaftlicher Freiheit noch nichts über die „Verteilung“ der Freiheit als solcher sagt, d. h. über die Politikbereiche, in denen sie besteht oder eben nicht besteht, vgl. Fraser Institute, The Economic Freedom of the World: 2003 Annual Report, gefunden am 21. Juli 2003 auf http: / / www.freetheworld.com. Dem Bericht des Instituts über die wirtschaftliche Freiheit liegen allein 38 verschiedene Variablen zur Messung der wirtschaftlichen Freiheit zugrunde.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

gliedstaaten nicht nur sich selbst, sondern auch die WTO-Streitbeilegungsorgane in eine paradoxale Situation: Ein vor der WTO klagender Mitgliedstaat etwa verlangt auf der einen Seite mehr Marktintegration in dem von ihm vorgetragenen Bereich, also etwa im Hinblick auf die Regulierung von Hormon- oder Asbestgehalten in grenzüberschreitend gehandelten Waren. Auf der anderen Seite aber erwartet er von den Streitbeilegungsorganen (freilich ohne dies deutlich zu sagen), die von ihm geforderte Marktintegration nur soweit zu gewähren, dass es ihm möglich bleibt, in künftigen Verfahren marktintegrative Klagen dritter Mitgliedstaaten unter dem Gesichtspunkt seiner eigenen Autonomie abzuwehren.89 Umgekehrt verteidigt sich der beklagte Mitgliedstaat, indem er zwar seinen Autonomieschutz ins Feld führt, sich dabei aber seinerseits einen Gang zur WTO für den Fall offenhalten möchte, dass ein anderer Mitgliedstaat durch dessen Regeln den Handel in Bereichen hemmt, die gerade für seine Industrie von besonderer Bedeutung sind. Angesichts der derart widerstreitenden Interessen in den beteiligten Mitgliedstaaten müssen die Streitbeilegungsorgane notwendig nicht nur die in einem Verfahren konkret geäußerten Interessen der Streitparteien berücksichtigen (beim Kläger: Marktintegration, beim Beklagten: Autonomieschutz). Sie müssen auch die nicht geäußerten Interessen der Mitgliedstaaten berücksichtigen (beim Kläger: abstrakter Autonomieschutz; beim Beklagten: abstrakte Marktintegration). Der einzige Ansatz, mit dieser paradoxalen Situation sinnvoll umzugehen, liegt in einer möglichst autonomieschonenden Entscheidungspraxis. Genau diese deutet sich in den Entscheidungen des Berufungsgremiums im Hormonstreit (weiter Begriff der wissenschaftlichen Begründung) und im Asbestfall (keine Anwendung des Art. 2.2 TBT) ja auch schon unmittelbar an. Allerdings fehlt es bisher an einer sinnvollen Erklärung dieser Entscheidungspraxis. Insbesondere fehlt es an einer auch theoretisch gestützten Begründung dafür, warum eine solche autonomieschonende Entscheidungspraxis richtig ist. An dieser Stelle soll daher ein Begründungsansatz für die Richtigkeit autonomieschonenden Entscheidens über marktintegrativ motivierte Klagen vorgestellt werden. Der hier entwickelte Ansatz wurzelt in einer vom Einzelfall losgelösten Strukturanalyse der im Streitverfahren beteiligten Interessen der Mitgliedstaaten. Ausgangspunkt der Überlegungen muss die Unterscheidung der beteiligten mitgliedstaatlichen Interessen nach dem Maß ihrer Inhaltsabhängigkeit sein („contentdependency“). Mitgliedstaatliche Interessen variieren im Rahmen eines Streitbeile89 Diese Kollision innerhalb der Interessen des klägerischen Mitgliedstaates bestünde nicht, erwartete er von den Streitbeilegungsorganen nicht Kontinuität und Rechtssicherheit. Er erwartet aber Kontinuität und Rechtssicherheit. Schließlich würde er kaum sinnvoll Klage erheben können, wenn er nicht davon ausginge, dass die Streitbeilegungsorgane jedenfalls normativ dem Anspruch kontinuierlicher Streitbeilegung verpflichtet wären. Zwar besteht in der Tat ein erheblicher Unterschied zwischen „Streitbeilegung“ und „Rechtsprechung“. Der Unterschied liegt aber nicht in einem Bestehen oder Nichtbestehen des Gedankens der Kontinuität. Er liegt vielmehr im Graduellen.

II. Autonomieschonung als Ausfluss interessegeleiteten Entscheidens

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gungsverfahrens nämlich nach dem Grad ihrer Inhaltsabhängigkeit. So sind Interessen an freierem Handel (z. B. an mehr Marktintegration), aber auch Interessen an höherem Gesundheits-, Umwelt- oder Verbraucherschutz in hohem Maße inhaltsabhängige Interessen. Das Interesse am Schutz der regulativen Autonomie beziehungsweise an der Aufrechterhaltung der institutionellen Ordnung usw. sind demgegenüber in hohem Maße inhaltsunabhängige Interessen. Das Maß der Inhaltsabhängigkeit ergibt sich dabei vorwiegend aus der Konkretheit des Schutzgutes, auf das das Interesse bezogen ist. Man kann die Analyse daher auch als eine schutzgutbezogene Analyse verstehen.90 Kern der Strukturanalyse ist nun der Gedanke, dass inhaltsunabhängige (formale) Interessen der Mitgliedstaaten im Rahmen streitbeilegender Tätigkeit jedenfalls im Grundsatz schwerer wiegen müssen als inhaltsabhängige (substanzielle) Interessen. Denn inhaltsunabhängigen (formalen) mitgliedstaatlichen Interessen kommt im Rahmen streitbeilegender Tätigkeit eine „Bündelungsfunktion“ für eine große Vielzahl inhaltsabhängiger (substanzieller) Interessen zu. Dadurch nehmen inhaltsunabhängige Interessen das ganze Gewicht aller in ihnen „gebündelten“ substanziellen Interessen eines Mitgliedstaates in sich auf. Inhaltsabhängige (substanzielle) Interessen bestehen demgegenüber nur im Hinblick auf den Inhalt, auf den sie sich nun einmal eben beziehen. Zudem können sie sektorspezifisch begrenzt bleiben. In einer Gesamtwürdigung aller in einem Streitbeilegungsverfahren (konkret wie abstrakt) beteiligten Interessen wird daher das (inhaltsunabhängige) Interesse am eigenen Autonomieschutz das (inhaltsabhängige) Interesse an mehr Marktintegration grundsätzlich überwiegen müssen. Die Streitbeilegungsorgane sollten in der Abwägung im Rahmen der Seitenabkommen daher im Grundsatz dem (inhaltsunabhängigen und damit sektoral unbegrenzten) Interesse am Schutz der eigenen Autonomie Vorrang gegenüber dem (inhaltsabhängigen und damit sektoral begrenzten) Interesse an freierem Handel durch Marktintegration geben. Denn letzteres Interesse ist in beiden beteiligten Mitgliedstaaten in der Regel nur auf ganz bestimmte Sektoren begrenzt, während ersteres in beiden Mitgliedstaaten sektorübergreifend besteht.91 Dem Interesse am Schutz der eigenen mitgliedstaatlichen Autonomie kommt das gemeinsame Gewicht aller jener Interessen zu, deren Verfolgung die mitgliedstaatliche Autonomie dient, also aller umwelt-, sozial- oder 90 Die Schutzgüter des freien Handels oder des Umweltschutzes etwa sind konkreter als das Schutzgut der regulativen Autonomie, da letzteres Schutzgut sowohl für freieren Handel als auch für mehr oder besseren Umweltschutz instrumentalisiert werden kann, ohne selbst substanzielles Interesse zu sein. 91 Insoweit greift es zu kurz, wenn Mitglieder des Berufungsgremiums allein das Interesse an freierem Handel der Mitgliedstaaten in den Vordergrund rücken, wie jüngst etwa Bacchus, James, The Bicycle Club: Affirming the American Interest in the Future of the WTO, 37 (3) JWT 2003, S. 429. Stärker auf Machtasymmetrien rekurierend demgegenüber Goldstein, Judith und Joanne Gowa, US National Power and the Post-War Trading Regime, 1 World Trade Review 2002, S. 153.

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

wettbewerbspolitischen Interessen, die von den Mitgliedstaaten immer wieder angeführt werden. Diese strukturanalytischen Überlegungen zu den in einem Streitverfahren beteiligten Interessen der Mitgliedstaaten können freilich nicht für alle denkbaren Fälle die entscheidenden Kriterien liefern. Sie ermöglichen aber einen wichtigen Anhaltspunkt zur Rationalisierung des Abwägungsprozesses im Rahmen der Vorschriften der Seitenabkommen. Für die Konkretisierung der offenen und vagen Vorschriften des TBT kann ein solcher Ansatz zweifelsohne hilfreich sein. Aber auch für die Abwägung im Rahmen des SPS können solche Überlegungen weiterführen. Zwar haben die Mitgliedstaaten mit dem Erfordernis der wissenschaftlichen Begründung im SPS bereits konkrete Vorgaben für die Abwägung gegeben. Allerdings zeigt sich, dass sich durch diese Konkretisierung die hier ermittelten Interessengegensätze nicht vollständig auflösen lassen. Sie tauchen vielmehr an anderer Stelle wieder auf, namentlich im Streit um die Anforderungen an die wissenschaftliche Begründung gesundheitspolitischer Maßnahmen (nähere Einzelheiten Teil C.II.4. oben).

III. Ausblick und konkrete Empfehlungen für die bevorstehende Entscheidung im Biotechnologiefall Die Weltwirtschaft ist (noch) nicht auf einem Integrationsstand, der es den WTO-Streitbeilegungsorganen erlauben würde, einen marktintegrativen Befreiungsschlag etwa im Sinne einer Dassonvilleformel des EuGH92 zu führen. Es kann aber festgehalten werden, dass die WTO-Mitgliedstaaten trotzdem die hier thematisierten marktintegrativen Ansätze in die Seitenabkommen eingefügt und zudem mit einer (wenn auch nur relativen, doch aber unübersehbaren) Stärkung des Streitbeilegungsmechanismus kombiniert haben. Will man der WTO gerecht werden, muss man das Nebeneinander der (relativ) starken Streitbeilegung einerseits und des hohen marktintegrativen Potenzials der materiellen Regeln der Seitenabkommen andererseits klären. Es ist daher nicht sachgerecht, den materiellen oder prozeduralen Entwicklungsstand der WTO pauschal in Frage stellen zu wollen. Angesichts des gegenwärtigen Verhandlungsstandes erscheint insbesondere der Vorschlag wenig zielführend, die prozedural erreichte (relative) Strenge des WTORechts zurückzudrehen.93 Man mag die WTO-rechtlichen Regeln aus politischen Gründen zwar ändern wollen. Solange die Mitgliedstaaten hierzu aber nicht bereit EuGH, Rs. 8 / 74, Dassonville, Urteil vom 11. Juli 1974, S. 837. So aber vor allem Barfield, Claude, Free Trade, Sovereignty and Democracy: The Future of the World Trade Organization, Washington D.C., AIE Press, 2001, der insbesondere eine Repolitisierung des Streitbeilegungsmechanismusses fordert (S. 111 ff.). Bescheidener etwa Bièvre, Dirk de, Redesigning the Virtious Circle: Two Proposals for World Trade Organization Reform, 36 JWT 2002, S. 1005; Ostry, Sylvia, The world trading system: in dire need of reform, 17 Temple international and comparative law journal 2003, S. 109. 92 93

III. Ausblick und konkrete Empfehlungen zum Biotechnologiefall

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sind, müssen sie (und die Wissenschaft) mit der gegenwärtigen Ausgestaltung des WTO-Rechts leben. Eine interessengeleitete Ausrichtung der Streitbeilegungsorgane hebt die legitimierende Kraft der streitbeilegenden Tätigkeit der WTO hervor, ohne dass hierfür der Entwicklungsstand des WTO-Rechts in materieller oder prozeduraler Hinsicht zurückgeschnitten werden müsste.94 Sie ermöglicht es zudem, von der wenig fruchtbaren These einer „Trennung von Recht und Politik“ Abstand zu nehmen (nähere Einzelheiten Teil E.I.). Eine eindeutige Zuordnung der unterschiedlichen WTO-Funktionen zur Politik einerseits oder zum Recht andererseits muss angesichts des Fehlens vergleichbarer Organisationstypen ohnehin scheitern. Vielmehr bedarf es der Anerkennung, dass die WTO sowohl rechtliche als auch politische Züge in sich aufnimmt und interessengeleitet zu neuen Formen miteinander kombiniert, wie immer diese Formen im Einzelnen zu etikettieren sind. Die hier vorgetragene Analyse der einem WTO-Streitverfahren zugrundeliegenden Interessenstruktur ist lediglich ein erster Schritt in Richtung einer eher interessengeleiteten Wahrnehmung und gegebenenfalls Ausrichtung der WTO-Streitbeilegungstätigkeit. Der Beitrag legt dar, dass die WTO-Streitbeilegungsorgane den gemeinsamen Interessen der Mitgliedstaaten und damit auch den Interessen beider Verfahrensbeteiligten entgegenkommen, wenn sie marktintegrativ motivierte Klagen einzelner Mitgliedstaaten möglichst autonomieschonend behandeln. Angesichts des hohen marktintegrativen Potenzials der Seitenabkommen bleibt den WTO-Streitbeilegungsorganen im Lichte der beteiligten mitgliedstaatlichen Interessen eigentlich gar nichts anderes als eine ausgeprägte Schonung mitgliedstaatlich-regulativer Autonomie übrig. Sie sind daher gut beraten, wenn sie den bisher eingeschlagenen Kurs autonomieschonenden Entscheidens trotz der sich mehrenden maktintegrativen Vorstöße einzelner Mitgliedstaaten unter Inkaufnahme des damit verbundenen Effizienzverlustes weiter fortführen. Im Hinblick auf die Entscheidung im Biotechnologiefall ergeben sich daraus folgende Empfehlungen für die Streitbeilegungsorgane.95 Bei ihrer Lektüre soll mitgelesen werden, dass der Verfasser es nicht für hilfreich hält, dass der Streit um die Anwendung der Biotechnologie bei der Herstellung von Lebensmitteln vor die Streitbeilegungsorgane der WTO getragen worden ist. Der Verfasser schließt sich, was den institutionellen Gesamtzusammenhang des Streitverfahren angeht, einem Beitrag zweier amerikanischer Autoren an, die eindrücklich für eine diplomatisch getragene Langzeitlösung plädieren.96 Es kann angesichts der vorangegangenen 94 Zur legitimationsfördernden Funktion interessegeleiteten Entscheidens der WTO-Streitbeilegungsorgane jetzt grundlegend Nettesheim, Martin, Legitimizing the WTO: The Dispute Settlement Process as Formalized Arbitration, 53 Rivista trimestrale di diritto pubblico 2003, S. 711. 95 Sie sollen hier (wenn auch nur nur in Stichpunkten) niedergelegt werden, um die Anwendung der herausgearbeiteten allgemeinen Leitlinien für den konkreten Fall zu verdeutlichen. 96 Victor, David G. und Ford C. Runge, Sustaining a Revolution. A Policy Strategy for Crop Engineering, A Product of the Study Group on Trade, Science and Genetically Modified

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

Überlegungen hier sinnvollerweise nicht um ein „Abwürgen“ der Biotechnologie als einer Schlüssel- oder Schwellentechnologie gehen. Diese Technologie und ihre Anwendungsfelder sollten gerade wegen ihres erheblichen Nutzen- und Hebelpotenzials besser im Rahmen des klassisch-diplomatischen Mit- und Gegeneinanders sinnvoll fortentwickelt werden als ausgerechnet im Rahmen eines streitbeilegenden Verfahrens vor der WTO. Nun, wo der Fall in strategisch vollkommen falscher Weise aber einmal vor die WTO-Streitbeilegungsorgane getragen worden ist, sollte er aus den genannten institutionellen, funktionalen und legitimationsgetragenen Gründen so autonomieschonend wie möglich entlang der oben entwickelten und im Folgenden konkretisierten Linien entschieden werden, so wenig hilfreich dies auch immer für die Freisetzung technologieentwickelnder Kräfte im Einzelnen sein mag: – Im Rahmen des GATT sollte zunächst von der Anwendung der product / process-Doktrin abgesehen werden. Zwar betreffen die unionalen Maßnahmen97 gegebenenfalls nur die Herstellung der Lebensmittel, nicht deren „Körperlichkeit“ im Sinne der product / process-Doktrin, so dass an sich der Weg für die Doktrin offenstünde. Die Doktrin findet allerdings keinen Halt in den rechtlichen Vorgaben des GATT, und die ihr zugrundeliegende Unterscheidung ist zudem in der Sache nicht sinnvoll. So grundlegende Fragen wie die Haltbarkeit der unionalen Maßnahmen unter dem WTO-Recht sollten daher nicht auf Grundlage dieser fragwürdigen Doktrin unter Art. XI GATT entschieden werden. Es bedarf vielmehr offener substanzieller Überlegungen über die Abwägung von freiem Handel und den Gefahren, die mit der massenhaften Anwendung der Biotechnologie und des „genetic engineering“ verbunden sind, um der Entscheidung ein Mindestmaß an der so dringend benötigten Legitimität zu verleihen. Dieses offen substanzielle Wägen hat in der product / process-Doktrin keinen Platz. – Die unionalen Maßnahmen verstoßen aber auch bei dogmatisch richtiger Anwendung der Vorschriften nicht gegen Art. III Abs. 4 GATT. Ausländische biotechnologisch behandelte Waren und inländische biotechnologisch nicht behandelte Waren sind im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT zwar gegebenenfalls gleichartig, werden gegenüber diesen aber nicht in protektionistischer Weise schlechter behandelt. – Man mag zwar behaupten, biotechnologisch behandelte Waren und biotechnologisch nicht behandelte Waren seien in der verdichteten Anwendung der Foods, 2002, zu finden im Internet unter http: //www.cfr.org/pdf/GMO_concept.pdf (Seitenaufruf vom 22. Oktober 2003). 97 Zu den Einzelheiten des unionalen Moratoriums vgl. etwa die Darstellung des Institute of International Economic Law (IIEL) der Georgetown University in Washington DC, im Internet unter http: / / www.law.georgetown.edu / iiel / current / gmos / index.html (Seitenaufruf vom 22. Oktober 2003); ferner Covelli, Nick und Viktor Hohots, The Health Regulation of Biotech Foods under the WTO Agreements, 6 JIEL 2003, S. 773; Claus, Johannes S. A., The European Union’s efforts to sidestep the WTO through its ban on GMOs, 24 Northwestern journal of international law and business 2003, S. 173.

III. Ausblick und konkrete Empfehlungen zum Biotechnologiefall

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border tax adjustment-Kriterien, wie sie im Asbestfall stattgefunden hat (wertende Betrachtungsweise), keine „gleichartigen Waren“. Zur Begründung mag man anführen, die europäischen Verbraucher würden biotechnologisch behandelte Waren überwiegend wohl nicht mit biotechnologisch nicht behandelten Waren substituieren wollen. Allerdings steht diese Behauptung – ähnlich wie die Argumentation des Berufungsgremiums im Asbestfall – auf außerordentlich dünnem Eis. Denn es ist schwer feststellbar, ob die unionalen Bürger die biotechnologisch behandelten Lebensmittel nur deshalb nicht wollen, weil der öffentliche Druck gegen sie in so hohem Maße aufgebaut wird („regierungsgeleitete Abneigung“), oder ob sie biotechnologisch behandelte Waren auch im konkreten Fall tatsächlich nicht mit biotechnologisch nicht behandelten Waren substituieren würden, obwohl sie es gegebenenfalls könnten. Die Erfahrung zeigt, dass nicht bestehende Möglichkeiten im Denken der Verbaucher in der Regel anders behandelt werden als konkret bestehende Handlungsalternativen. Es ist ein Unterschied, ob ein Verbraucher sich abstrakt darüber Gedanken macht, ob er grundsätzlich biotechnologisch modifizierte Lebensmittel wohl kaufen würde, wenn er nur dürfte, oder ob sich ein Verbraucher in einer konkreten Entscheidungssituation, die von unendlichen Variablen geprägt sein kann, für oder gegen eine Ware entscheidet. Man stelle sich nur vor, ein überzeugter Gegner der Anwendung der Biotechnologie bei der Herstellung von Lebensmitteln kaufe für seinen Haushalt in einem Supermarkt ein, stelle fest, dass dieser nur biotechnologisch modifizierte Lebensmittel anbiete, habe aber zufälligerweise gerade keine Zeit, zu einem anderen Supermarkt zu fahren. Oder er stellt fest, dass das Geld bis zum Monatsende nun gerade nur noch für die günstigeren biotechnologisch behandelten Lebensmittel reicht. Man stelle sich ferner vor, er habe neulich einmal ein biotechnologisches Produkt probiert und festgestellt, dieses habe einen viel besseren Geschmack, als er erwartet habe usw. Wird er das biotechnologisch behandelte Lebensmittel substituieren? Wie wird sich sein Verhalten über die Zeit ändern? Lässt sich dies überhaupt abstrakt festlegen? Wie viele Verbraucher werden ihr Verhalten gerade angesichts der jeweils immer gerade konkreten, überwiegend durch Sachzwänge geprägten Lebenssituation gegebenenfalls wandeln? Abstrakt lassen sich diese Fragen nicht sinnvoll beantworten (kritisch daher C.I.2.b)aa) oben). – Will man entgegen den Asbestvorgaben des Berufungsgremiums nach Prüfung der weiteren border tax adjustment-Kriterien daher richtigerweise davon ausgehen, dass den klägerischen Mitgliedstaaten der Nachweis der Gleichartigkeit biotechnologisch behandelter Waren und biotechnologisch nicht behandelter Waren trotz der hier nicht bestrittenen allgemeinen Ängste der Unionsbürger gelingt, so fehlt es jedenfalls an der protektionistischen Schlechterbehandlung der ausländischen Waren. Zwar hat die unionale Regelung unbestrittenerweise protektionistische Wirkungen im Sinne des Art. III Abs. 1 GATT, soweit sie die inländische Lebensmittelindustrie vor der Kon-

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

kurrenz durch die ausländischen biotechnologisch behandelten Waren schützt. Diese protektionistischen Wirkungen werden aber gerade nicht durch Ungleichbehandlung erziehlt, sondern im Wege der Gleichbehandlung. Zwar trifft die Maßnahme aktuell mehr ausländische Waren als inländische Waren. Dies liegt aber allein an der insoweit bestehenden regulativen Diversität. Nach dem oben (C.I.2.b)cc)(2) oben) herausgearbeiteten qualitativen Verständnis protektionistischer Ungleichbehandlung reicht regulative Diversität als solche für die Annahme einer Ungleichbehandlung aber noch nicht aus.98 Vielmehr bedarf es des Nachweises einer (normativ oder faktisch) schlechteren Erfüllbarkeit der Maßnahme durch die ausländischen Waren. Ausländische Hersteller können, wenn man von dem Gesichtspunkt der genetischen Ansteckung („contagion“) einmal absieht, manipulationsfreie Lebensmittel im Sinne des oben entwickelten Kriteriums normativ wie faktisch aber genauso gut erfüllen wie unionale Hersteller (nähere Einzelheiten Teil C.II.3. oben). Eine Diskriminierung im Sinne des Art. III GATT liegt hier – bei allen protektionistischen Wirkungen, die die Maßnahme im Übrigen hat – mangels Ungleichbehandlung daher nicht vor. – Damit ist der Fall abschließend unter den Beschränkungsverboten des SPS zu entscheiden (Art. 1 Abs. 1 und 2 SPS iVm dem Anhang A 1 zum SPS). Unter allen hier einschlägigen Beschränkungsverboten können und sollen die Streitbeilegungsorgane autonomiefreundlich entscheiden. Zwar müssen sie die Begrenzung des Vorsorgeprinzips im SPS auf vorübergehende Maßnahmen ernst nehmen. Insbesondere können sie nicht einfach anderslautende Vorgaben aus dem internationalen Umweltrecht an die Stelle der Vorgaben des SPS setzen, wie etwa die Übernahme des Vorsorgeprinzips in das am 11. September 2003 in Kraft getretene sogenannte Biosafety Protocol aus dem Jahr 200099 zur Biodiversitätskonvention aus dem Jahre 1992100. Dies gilt umso mehr, als dieses Protokoll von den USA, die schon nicht Mitglied der zugrundeliegenden Konvention sind, trotz ihrer Beteiligung an den Verhandlungen naturgemäß nicht unterzeichnet worden ist. Daraus folgt aber noch nicht, dass die Beschränkungsverbote des SPS nicht im Lichte des in diesem Rahmen besonders deutlich werdenden diplomatischen Streits ausgelegt werden könnten.101 Die Streitbeile98 Die Literatur sieht dies aus den in der vorliegenden Arbeit (Teil C.I.2.b)cc)(1)) dargestellten Gründen der rein quantitativen Betrachtung freilich überwiegend anders, vgl. beipielhaft etwa die Analyse des Institute of International Economic Law (IIEL) der Georgetown University in Washington DC, zu finden im Internet unter http: //www.law.georgetown.edu/ iiel/current/gmos/gmos_wto_gattiii_likeness.html #lessfavorable (Seitenaufruf vom 23. Oktober 2003). 99 Vgl. Art. 1 und 11 Abs. 8 des Cartagena Protocol on Biosafety, im Internet zu finden auf http: //www.biodiv.org/biosafety/protocol.asp# (Seitenaufruf vom 19. Oktober 2003). 100 Im Internet zu finden auf http: //www.biodiv.org/convention/articles.asp. 101 Das Verhältnis zwischen dem Protokoll und der WTO ist im Übrigen in hohem Maße umstritten. Einen guten Überblick zu den normativ-praktischen Problemen gibt mit vielen weiteren Nachweisen etwa Rivera-Torres, Olivette, The Biosafety Protocol and the WTO, 26

III. Ausblick und konkrete Empfehlungen zum Biotechnologiefall

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gungsorgane dürfen gerade angesichts der oben (Teil E.I. oben) herausgearbeiteten diplomatischen Funktion der Streitbeilegungsorgane bei der Auslegung der Vorschriften des SPS nicht „blind“ gegenüber dem Umstand sein, dass eine tragfähige Lösung auf diplomatischem Wege trotz allen Bemühens bisher nicht gefunden werden konnte.102 Angesichts der Schwierigkeiten in der normativen Verdichtung materieller Vorgaben sollten die Streitbeilegungsorgane nicht etwas entscheiden (nämlich Marktintegration), worauf sich die Mitgliedstaaten diplomatisch (noch) nicht einigen konnten. – Dies gilt zunächst unter den Beschränkungsverboten „mit normativer Anknüpfung“ der Art. 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS. Maßgeblich ist insoweit zunächst die Existenz der Vorarbeiten der von der CODEX ALIMENTARIUS Kommission auf ihrer 23. Sitzung 1999 eingerichteten „Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology“. Die in diesem Rahmen angestrebte Normung ist allerdings noch nicht verabschiedet103, so dass sie hier noch nicht berücksichtigt werden kann (Art. 3.1 SPS: „soweit diese bestehen“). Aber auch andere Normen als jene der CODEX ALIMENTARIUS Kommission, die über Annex A 3 d zum SPS Abkommen als Normung im Sinne des Art. 3.1 SPS in Frage kommen könnten, können hier keine Berücksichtigung finden. Howse und Mavroidis schlagen zwar insbesondere das erwähnte Biosafety Protocol zur Biodiversitätskonvention vor, überprüfen die unionalen Maßnahmen anhand dieses Protokolls und kommen zu dem Ergebnis, dass die Maßnahmen der Union den Anforderungen dieses Protokolls entsprächen.104 Im Grundsatz ist die Berücksichtigung der materiellen GehalBoston College International and Comparative Law Review 2003, S. 263; ferner etwa Phillips, Peter W. B. und William A. Kerr, Alternative Paradigms: The WTO Versus the Biosafety Protocol for Trade in Genetically Modified Organisms, , 34 JWT 2000, S. 63. Zum Problem der Anwendbarkeit von internationalen Rechtsregeln außerhalb des WTO-Rechts aus der mittlerweile überbordenden Diskussion etwa Bartels, Lorand, Applicable Law in WTO Dispute Settlement Proceedings, 35 JWT 2001, S. 499; Marceau, Gabrielle, Conflicts of Norms and Conflicts of Jurisdictions, The Relationship between the WTO Agreement and MEAs and other Treaties, 35 JWT 2001, S. 1081. 102 Verfahrenstechnisch lässt sich dies etwa durch die Zuerkennung einer „Beweisfunktion“ internationaler Abkommen konstruieren, in denen die unüberwindbaren diplomatischen Schwierigkeiten deutlich werden. In diese Richtung am Beispiel des Biosafety Protocols Stökl, Lorenz, Das Verhältnis multilateraler Umweltschutzabkommen zum WTO-Recht, dargestellt am Beispiel des Biosafety Protocol, 56 Aussenwirtschaft 2001, S. 327, 341: „[ . . . ] Beweismittel [ . . . ], dass sich die EG vergeblich um eine multilaterale Problemlösung auch mit den USA bemüht hat“. 103 Der Bericht der dritten Sitzung der Task Force im März 2002 findet sich im Internet unter ftp: //ftp.fao.org/codex/alinorm03/Al03_34e.pdf. Der Bericht der zweiten Sitzung der Task Force im März 2001, der Zeitplan (Agenda) und die bisher vorliegenden Arbeitsdokumente finden sich im Internet: http: //www.who.int/foodsafety/publications/biotech/ctf_march 2001/en/(Seitenaufruf jeweils am 16. Oktober 2003). 104 Mit Beschränkung der prüfung vorwiegend auf die prozeduralen Gehalte des Biosafty Protocol (case by case-Ansatz) Howse, Robert und Petros C. Mavroidis, Europe’s Evolving 22 Duvigneau

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

te des Biosafety Protocol als Normung im Sinne des Art. 3.1 SPS auch durchaus denkbar. Denn zwar ist den USA der Zugang zum Biosafety Protocol gegenwärtig versperrt, da sie der Biodiversitätskonvention bisher nicht beigetreten sind (s. o.). Dieser Nichtbeitritt zur Biodiversitätskonvention wurzelt aber allein in der freien Entscheidung der USA. Weder in der Biodiversitätskonvention noch in dem Biosafety Protocol findet sich eine Vorschrift, die den USA oder sonst irgend einem Mitgliedstaat der WTO den Beitritt versagen würde, so dass die Mitgliedschaft im Biosafety Protocol damit allen Mitgliedstaaten der WTO im Sinne des Anhangs A 3 d zum SPS Abkommen offensteht. Voraussetzung für eine Berücksichtigung des Protokolls als Normung im Sinne des Art. 3.1 SPS nach Anhang A 3 d ist allerdings zudem die Feststellung dieser Offenheit des Biosafety Protocols für alle Mitglieder der WTO durch den SPS-Ausschuß, der wie auch sonst alle Ausschüsse in der WTO im Wege des Konsensusverfahrens entscheidet (Art. 12 Abs. 1 SPS). Für eine Berücksichtigung des Protokolls als Normung im Sinne des Art. 3.1 SPS ist es daher notwendig, dass die USA sich nicht gegen eine solche Feststellung wenden. Da sie weder Mitglied der Konvention noch Unterzeichnerstaat des Protokolls sind, ist eine solch zustimmende Haltung der USA bisher aber kaum zu erwarten. Das Erfordernis der Feststellung der Offenheit durch den Ausschuss kann auch nicht (etwa als formales Erfordernis) durch eine entsprechende Feststellung der Streitbeilegungsorgane ersetzt werden. Denn mit diesem Erfordernis haben sich die Mitgliedstaaten eine weitere eigene Überprüfung der in Anhang A 3 d in Bezug genommenen Abkommen auf deren politische Erwünschtheit als Normung im Sinne des Art. 3.1 SPS vorbehalten. Gerade eine interessegeleitete Auslegung der WTO-Vorschriften, wie sie in dieser Arbeit gefordert wird, versagt den Streitbeilegungsorganen daher eine Berücksichtigung des Biosafety Protocols als Normung im Sinne des Art. 3.1 SPS. Ohnehin würde eine Anwendung des Protokolls eher zugunsten der Union wirken als zu ihren Lasten. – Aber auch unter den „einfachen Beschränkungsverboten“ der 2.2, 5.1 und 5.2 SPS können und müssen die Streitbeilegungsorgane die Klage abweisen. Vorliegend wird die Union nachweisen können, dass die Nutzung der Biotechnologie für die Herstellung von Lebensmitteln Risiken aufwirft, die den Anforderungen des Art. 5.1 SPS, wie ihn die Hormonentscheidung des Berufungsgremium ausgeformt hat (Teil C.II.4.a) oben), genügen. Denn diese Risiken stellen wegen der Ungeklärtheit der zukünftigen Konsequenzen eindeutig mehr als ein allgemeines Lebensrisiko dar.105 Aber auch eine RisikobewerRegulatory Strategy for GMOs – the Issue of Consistency with WTO Law: of Kine and Brine, 24 Fordham Int’l LJ 2000, S. 317, 354 ff. 105 Typischerweise werden als Risiken die Allergenität (allergische Reaktion des die behandelten Stoffe aufnehmenden Körpers), der Gentranfer (Übernahme der aufgenommenen Genmanipulation in die Genstruktur des aufnehmenden Körpers) und die Ansteckung („outcrossing“ oder allgemeiner „contagion“) von nicht behandelten Lebensmitteln durch behan-

III. Ausblick und konkrete Empfehlungen zum Biotechnologiefall

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tung im Sinne des Art. 5.1 SPS liegt nach den Vorgaben der Hormonberufungsentscheidung hier vor. Zwar ist naturgemäß heillos umstritten, wie das Risiko im Einzelnen zu bewerten ist. Das Berufungsgremium erwartet aber ausdrücklich keine „mainstream“-Erkenntnisse, sondern lediglich methodisch saubere Untersuchungen, unabhängig davon, ob diese trotz ihrer methodischen Unangreifbarkeit bloße „Mindermeinungen“ geblieben sind oder nicht (nähere Einzelheiten Teil C.II.4.a) oben). – Erst an dieser Stelle kommt die hier entwickelte und auf die Strukturen der Interessen der Mitgliedstaaten gestützte Theorie autonomiefreundlichen Entscheidens konkret zum Tragen, weil erst hier klassische Auslegungsmöglichkeiten keine eindeutige Antwort auf die aufgeworfene Frage mehr geben. Der Verfasser ist sich über die Beweislage im gegenwärtigen Verfahrenstand mangels näherer Informationen nicht vollständig im Klaren. Nach seiner Ansicht gibt es – im Sinne der Anforderungen der Hormonberufungsentscheidung an die Bewertung des bestehenden Risikos nach Art. 5.2 SPS – aber methodisch hinreichend gesichertes wissenschaftliches Beweismaterial.106 Wenn die Union das existierende Beweismaterial vorlegt, das den Mindestanforderungen wissenschaftlicher Methodik genügt, sollte den Streitbeilegungsorganen autonomiefreundliches Entscheiden daher in hinreichendem Maße möglich sein.107 Daneben kann jede weitere Erkenntnisquelle in autonomiefreundlicher Weise genutzt werden, da der Art. 5.2 SPS nicht abschließend ist (nähere Einzelheiten Teil C.II.4.a) oben). delte Lebensmittel im Wege der nicht abschließend kontrollierbaren Züchtung und Vermehrung genannt, vgl. etwa die Antwort auf Frage 5 der für den Laien hilfreichen Informationsseite der Weltgesundheitsorganisation (WHO), zu finden im Internet unter http: //www. who.int/foodsafety/publications/biotech/20questions/en/. Freilich ist das Maß des Risikos je nach Untersuchungsmethode und Untersuchungshintergrund (z. B. der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der untersuchenden Institute) sehr unterschiedlich. Einigkeit herrscht aber, soweit sich der Verfasser einen Überblick verschafft hat, dahin, dass dieses Risiko jedenfalls mehr als nur ein allgemeines Lebensrisiko im Sinne der Hormonberufungsentscheidung ist (nähere Einzelheiten Teil C.II.4.a)). Ein guter Überblick über die unterschiedlichen offiziellen und inoffiziellen Stellungnahmen der EG, der USA, internationaler Regierungsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen sowie Forschungsinstitute und Universitäten findet sich auf der Linkliste des bereits erwähnten Institute of International Economic Law (IIEL) der Georgetown University in Washington DC, zu finden im Internet unter http: //www. law.georgetown.edu/iiel/current/gmos/gmos_links.html. 106 Vgl. etwa den von Howse und Mavroidis (ibid.) erwähnten besonders frühen und aus Sicht des Verfassers methodisch kongruenten Bericht zu den Risiken der Biotechnologie bei der Herstellung von Lebensmitteln des Edmondinstituts in Washington, in: Scientists’ Working Group on Biosafety, Manual for Assessing Ecological and Human Health Effects of Genetically Engineered Organisms (1998), at http: / / www.edmonds-institute.org / manual.html. 107 Ganz ähnlich wie hier die erwähnte Analyse des Institute of International Economic Law (IIEL) der Georgetown University in Washington DC, zu finden im Internet unter http: //www.law.georgetown.edu/iiel/current/gmos/gmos_wto_sps5_1.html (Seitenaufruf vom 23. Oktober 2003). 22*

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E. Konsequenz: Autonomieschonende Ausrichtung des WTO / GATT-Rechts

– Entscheiden die Streitbeilegungsorgane in diesem Sinne autonomiefreundlich, bedarf es schließlich einer Prüfung des Art. 5.6 SPS, der eine bloße Abwägung der zwischen den von der Union vorgetragenen Schutzgütern einerseits und dem Schutzgut des freien Handels andererseits erfordert. Haben die Organe bis hierher Autonomiefreundlichkeit walten lassen, werden sie auch die hier vorzunehmende Abwägung in autonomiefreundlicher Weise vornehmen müssen. Denn ohne Verstoß gegen Art. 5.1 und 5.2 SPS lässt sich ein autonomieunfreundliches Ergebnis der Abwägung zwischen dem Gesundheitsschutz und dem freien Handel kaum sinnvoll begründen. Einer Anwendung des Art. 5.7 SPS bedarf es dann schon mangels Verstoßes gegen das SPS nicht mehr.108

108 Mit genau dem entgegengesetzten Ergebnis etwa Victor, Marc, Precaution or protectionism? The precautionary principle, genetically modified organisms, and allowing unfounded fear to undermine free trade 14 The transnational lawyer 2001, S. 295. Vgl. aus der mittlerweile überbordenden Literatur ferner Buckingham, Donald E. und Peter W. B. Phillips, Hot potato, hot potato: regulating products of biotechnology by the international community, 35 JWT 2001, S. 1; Phillips, Peter W. B. und William A. Kerr, Frustrating Competition Through Regulatory Uncertainty: International Trade in the Products of Biotechnology, 25 World Competition 2002, S. 81; Salmon, Naomi, A European Perspective on the Precautionary Principle, Food Safety and the Free Trade Imperative of the WTO, 27 Eur. L. Rev. 2002, S. 138; Fredland, John S., Unlabel Their Frankenstein Foods! Evaluating a U.S. Challenge to the European Commission’s Labeling Requirements for Food Products Containing Geneticallymodified Organisms, 33 Vand. J. Transnat’l L. 2000, S. 183.

F. Zusammenfassung der Ergebnisse In der vorliegenden Arbeit wurde das Problem der engen Kopplung nicht-protektionistischer Zwecke mit protektionistischen Wirkungen einer gleichbehandelnden mitgliedstaatlichen Maßnahme diskutiert. Eine solche Koppelung entsteht, wenn aus unter anderem nicht-protektionistischen, d. h. legitimen (wenn auch politisch vielleicht nicht „richtigen“) Überlegungen heraus eine Regelung geschaffen wird, die allein deshalb schützende Wirkungen entfaltet, weil in einem anderen Mitgliedstaat Regelungen mit weniger strengen Gehalten anwendbar sind. Die schützenden Wirkungen ergeben sich in derartigen Fällen aus dem Zusammenspiel der eigenen (strengen) Regelung mit der ausländischen (weniger strengen) Regelung. Sie ergeben sich mit anderen Worten also aus dem Maß der regulativen Diversität selbst, sozusagen aus der „Beschränkungsdifferenz“ zwischen der strengeren Regel und der weniger strengen Regel. Dieses Problem der sachlich engen Kopplung nichtprotektionistischer Zwecke mit protektionistischen Wirkungen in gleichbehandelnden Maßnahmen ist eine der größten dogmatischen und politischen Herausforderungen für die WTO. In vielbeachteten jüngeren Streitfällen wie dem Hormonfall und dem Asbestfall wurden die Streitbeilegungsorgane mit dieser Herausforderung bereits konfrontiert. In beiden Fällen hatten die angegriffenen Regelungen trotz ihres vollkommen gleichbehandelnden Charakters protektionistische Wirkungen (Schutz der unionalen Fleischindustrie vor Hormonfleischimporten beziehungsweise Schutz der französischen Zement- und PVC-Industrie vor Asbestimporten), die nicht „abgeschliffen“ werden konnten, ohne die Maßnahme insgesamt zu „kippen“. Ganz ähnlich liegt es nun auch im aktuell zu entscheidenden unionalen Biotechnologiefall, in dem die Genehmigungs-, Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitspflicht für biotechnologisch behandelte Lebensmittel in Kombination mit einer strengen Verwaltungspraxis angegriffen wurde. Auch hier liegt es so, dass die handelsbeschränkenden Wirkungen nicht beendet werden können, ohne die Substanz der Regelung selbst aufzugeben. Es ist technisch schlichtweg nicht möglich, das unionale Regime unter Wegdenken seiner protektionistischen Wirkungen aufrechtzuerhalten. Eine Herausforderung bilden derartige Konstellationen deshalb, weil es hier nicht mehr nur um die Sicherung von Wettbewerbsgleichheit unter gleichzeitiger Wahrung der substanziell marktregulativen mitgliedstaatlichen Autonomie selbst geht, sondern um die Richtigkeit der von den Mitgliedstaaten jeweils gefundenen regulativen Antwort auf eine bestimmte Problemlage. Es ist die Richtigkeit der jeweiligen Regelungen in ihrer Substanz, über die zu entscheiden ist, wenn ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat vor der WTO mit einem Streitverfahren

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F. Zusammenfassung der Ergebnisse

überzieht. Die Streitbeilegungsorgane geraten angesichts eines marktintegrativ und damit deregulativ motivierten Klageantrags daher in die Situation, anhand der Regeln des WTO / GATT-Rechts über die Substanz der vom beklagten Mitgliedstaat gefundenen regulativen Lösung selbst entscheiden zu müssen. Dies wirft nicht nur die politische Frage auf, inwieweit ein Mitgliedstaat über die Instrumentalisierung der WTO-Streitbeilegung einem anderen Mitgliedstaat seine eigene regulative Wahl zur Lösung eines bestimmten Problems aufdrängen darf (aufgedrängte Regulation). Es wirft auch die Frage nach der Kompetenz zur Letztentscheidung über die Substanz der regulativen Systeme der Mitgliedstaaten auf. Nicht nur geht es um das Verhältnis der Streitbeilegungsorgane zum mitgliedstaatlichen Regulator. Es geht auch um das institutionelle Verhältnis der Streitbeilegungsorgane zu dem System des zwischenstaatlichen Verhandelns in der WTO als ganzem. Die vorliegende Arbeit widmet sich den damit aufgeworfenen Fragen, um den Streitbeilegungsorganen Vorgaben für das in dieser komplizierten Situation richtige Entscheiden an die Hand zu geben. Nicht geht es dem Verfasser dabei um eine abstrakte Erörterung der „Verfassungsfragen“ der WTO, obwohl auch diese im Zuge der substanziellen Auseinandersetzung mit den Sachfragen sozusagen mit erörtert werden (der vorliegende Beitrag ist sozusagen Ausdruck der „WTO-Verfassung“, wie der Verfasser sie sieht). Vielmehr geht es um konkrete Leitlinien für normativ-praktisches Entscheiden der Streitbeilegungsorgane selbst. Der Verfasser macht daher keine Vorschläge für eine umfassende Reform der WTO, sondern lediglich Vorschläge darüber, wie die WTO-Streitbeilegungsorgane angesichts der normativ wie faktisch komplizierten Entscheidungssituation „möglichst richtig“ entscheiden können. Dieser Zielsetzung liegt die Überzeugung zugrunde, dass bei aller positivistischen Methode „richtiges Entscheiden“ nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Allerdings ist „richtiges Entscheiden“ hier nicht im Sinne echter Gewissheit möglich, da auch durch juristische Argumentation die erkenntnistheoretischen Grenzen des menschlichen Verstandes nicht ausgedehnt werden können. Denkbar ist „richtiges Entscheiden“ aber im Sinne einer größtmöglichen Rationalität. Der Verfasser baut diese Überlegung aus zu einer Idee „möglichst richtigen Entscheidens“, deren Kerngedanke die relativ einfache Idee ist, die zugrundeliegenden Streitfälle anhand der normativ festgelegten Regeln „so richtig wie möglich“ zu entscheiden. Im Sinne dieser relativen, insbesondere durch das Bemühen um größtmögliche Rationalität geprägten Zielvorstellung „möglichst richtigen Entscheidens“ widmet sich die Arbeit den hier aufgeworfenen Fragen, zunächst in konzeptionell-begrifflicher (Teil B. oben), darauf in materiell-dogmatischer (Teil C. oben), sodann in prozedural-institutioneller (Teil D. oben) und schließlich in normativ-praktischer (Teil E. oben) Hinsicht. Kern der Überlegungen ist dabei immer die Frage: Wie haben die Streitbeilegungsorgane mit gleichbehandelnden mitgliedstaatlichen Maßnahmen, die nichtprotektionistische Zwecke mit protektionistischen Wirkungen koppeln, in möglichst richtiger Weise umzugehen? Die in Auseinandersetzung

F. Zusammenfassung der Ergebnisse

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mit dieser Frage angestellten Überlegungen werden im Folgenden noch einmal knapp zusammengefasst. Teil B. (Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen) Während sich das Konzept der klassischen Handelsliberalisierung auf die Sicherung der Wettbewerbsgleicheit der ausländischen Waren beschränkt (Abbau von mitgliedstaatlichen Diskriminierungen durch Öffnung der Grenzen und Nichtdiskriminierung hinter der Grenze) und dadurch die substanziell-marktregulative Automie der Mitgliedstaaten weitgehend schont, greift das Konzept der Marktintegration substanziell in die Autonomie der Mitgliedstaaten ein, indem es diesen, je nach Ausgestaltung, verbietet, ihre selbst gewählten marktregulatorischen Maßnahmen zu ergreifen. Die Unterschiede dieser beiden Konzepte wirken sich auf den Legitimationsbedarf der sie verwirklichenden Regeln unmittelbar aus: Während der Legitimationsbedarf handelsliberalisierender Regeln wegen des durch sie ermöglichten Schutzes substanzieller marktregulativer Autonomie vergleichsweise gering ist, weisen die Eingriffe in die marktregulative Autonomie der Mitgliedstaaten durch marktintegrative Regeln wegen ihrer substanziellen Reichweite einen sehr viel höheren Legitimationsbedarf auf. Das antiprotektionistische Ziel, dem das WTO-Recht verpflichtet ist, ist durch beide Konzepte umsetzbar, also sowohl durch klassische Handelsliberalisierung (Sicherung von Wettbewerbsgleichheit) als auch durch Formen der Marktintegration (Erzwingung von Deregulierung). Teil C. (Materiell-Dogmatische Überlegungen) Die GATT-rechtlichen Regeln sind nicht, wie man auf den ersten Blick vielleicht vermuten möchte, der wirtschaftspolitischen Kategorie der Deregulierung (Marktintegration) zuzuordnen. Der Konzeption nach setzen sie den Mitgliedstaaten keine Grenzen in der Wahl ihrer regulatorischen Ziele. Denn die durch sie zu sichernde Gleichheit ist – jedenfalls dem Grundsatz nach – nicht dazu geeignet, wirtschaftspolitische Ziele entweder zu verbieten oder vorzugeben. Um in deontischen Begriffen zu sprechen verbieten die Diskriminierungsverbote des GATT-Rechts weder nationale Regulierung noch gebieten sie sie. Vielmehr erlauben sie sie, wenngleich eben unter der Einschränkung der Gleichbehandlung. Sie sind in ihrer marktregulativen Dimension daher im Grundsatz neutral. In dieser wirtschaftspolitischen Neutralität liegt der Grund dafür, dass in den Mitgliedstaaten das Verhältnis von Regulierung und Deregulierung vollkommen unterschiedlich ausgestaltet sein kann und trotzdem GATT-rechtmäßig ist. Nach den Vorschriften der Nichtdiskriminierung ist es eine Frage der innerstaatlichen Verfasstheit der Mitgliedsstaaten, wieviel Regulierung beziehungsweise Deregulierung sie zulassen. In der verbindlichen Schaffung von Verboten mitgliedstaatlicher Diskriminierungen liegt die Anerkennung der mitgliedstaatlichen Autonomie zur eigenständigen Regulierung. Es

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ist danach jedenfalls im Grundsatz allein den mitgliedstaatlichen Gemeinschaften überlassen, über den Umfang und die Art der Regulierung zu entscheiden. Umso bedeutsamer ist die dogmatisch richtige Anwendung der zentralen Vorschrift des Art. III GATT. Die Streitbeilegungsorgane haben die Vorschrift bisher immer zielstrukturadäquat ausgelegt, allerdings fehlte ihnen hierzu eigentlich immer die richtige Begründung. Der Verfasser entwickelt die aus seiner Sicht einzig richtige Lösung zur Ausgestaltung der Grenzen des Art. III GATT. Entgegen der Streitbeilegungspraxis und der Literatur ist das entscheidende Element in der Auslegung des Art. III GATT bei aller seiner Bedeutung nicht die Gleichartigkeit von Waren („like product“), sondern vielmehr die protektionistische Ungleichbehandlung von Waren, deren Gleichartigkeit zuvor als Voraussetzung zur Entwicklung der richtigen Dogmatik geprüft wurde. Die dogmatisch richtige Auslegung des Elements der Ungleichbehandlung wurzelt allerdings nicht, wie manche Autoren neuerdings anregen, in der Zahl der Waren, die eine Maßnahme aktuell trifft (rein quantifizierende Auslegung). Sie wurzelt vielmehr in dem qualitativen Gedanken der gleichen Erfüllbarkeit der Maßnahme. Normativer Kern der Gehalte des Art. III GATT ist in diesem Sinne die Garantie der normativen und faktischen Gleichbehandlung zwischen gleichartigen ausländischen und inländischen Waren in der Erfüllbarkeit der Maßnahme. Der Verfasser baut diesen Gedanken zu einem dogmatischen Gerüst aus, das die Gehalte wie auch die Grenzen des Art. III GATT in zwangloser Weise judizierbar macht. Anhand einer Überprüfung der wichtigsten Streitbeilegungsfälle der letzten zwei Jahrzehnte weist der Verfasser nach, dass die Streitbeilegungsorgane den hier entfalteten Gedanken der normativen und faktischen Gleichbehandlung in der Erfüllbarkeit fast ausnahmslos verwirklicht haben, freilich ohne dies immer ausdrücklich deutlich zu machen. Zugleich haben sie damit die einzelnen Tatbestände des Art. III GATT zu einer funktional kohärenten Vorschrift gemacht. Die Kritik aus der Literatur trägt daher nicht, soweit sie behauptet, die Streitbeilegungspraxis zu Art. III GATT sei in sich nicht konsistent. Sie trägt erst recht nicht, soweit sie behauptet, die Streitbeilegungspraxis entspreche nicht der Zielstruktur des Art. III GATT. Ergebnis der Untersuchung ist vielmehr, dass die Praxis der Streitbeilegungsorgane sowohl den Gehalt des Art. III GATT effektiv verwirklicht (Sicherung der Wettberbsgleichheit ausländischer Waren), als auch die Grenzen hierzu beachtet (keine Eingriffe in die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten). Freilich ist den Streitbeilegungsorganen anzuraten, ihre insoweit richtigen Ergebnisse nicht nur intuitiv richtig zu finden, sondern auch dogmatisch richtig zu begründen. Das vom Verfasser hier entwickelte Kriterium der normativen und faktischen Gleichbehandlung in der Erfüllbarkeit eignet sich hierfür in besonderem Maße, wie im Laufe der Untersuchung deutlich wird. Soweit die Seitenabkommen über technische Vorschriften demgegenüber das Konzept der Marktintegration verwirklichen, begrenzen sie die regulative Autonomie der Mitgliedstaaten in substanzieller Weise. Während das GATT getreu dem

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Konzept der Handelsliberalisierung nationale Wirtschaftspolitiken im Wesentlichen respektiert und damit die Trennung mitgliedstaatlicher Märkte weiter fortbestehen lässt, ermöglichen die Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse die Integration der mitgliedstaatlichen Märkte und dienen damit ganz wesentlich der Überwindung der diese hindernden mitgliedstaatlich-regulativen Unterschiede. Damit geht das materielle Eingriffspotenzial der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse getreu dem Konzept der Marktintegration weit über dasjenige des GATT hinaus. Allerdings hat sich dieses Eingriffspotenzial der Seitenabkommen bislang nur in begrenztem Maße verwirklicht. Die Streitbeilegungsorgane schrecken vor marktintegrativen Wirkungen ihrer Entscheidungen zurück, um das System nicht zu überlasten. Die einzigen Entscheidungen, in denen die Streitbeilegungsorgane an marktintegrativen Wirkungen nicht vorbeigekommen sind, sind jene zum unionalen Hormonverbot. Obwohl die Streitbeilegungsorgane, insbesondere das Berufungsgremium, in weiten Teilen überaus autonomiefreundliche Überlegungen angestellt haben (insbesondere zu den Anforderungen an die wissenschaftliche Begründung gesundheitsschützender Maßnahmen), haben sie die unionale Maßnahme letztenendes doch für WTO-rechtswidrig halten müssen. Grund hierfür war vor allem die Existenz internationaler Normung durch die CODEX ALIMENTARIUS Kommission, auf die die unionale Maßnahme nicht gestützt war, sowie das Fehlen jeder wissenschaftlichen Methode zur Begründung dieses „Nichtgestütztseins“ auf die internationale Norm. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass das Berufungsgremium zu Eingriffen in die Autonomie der Mitgliedstaaten dann bereit ist, wenn jedenfalls eine gewisse normative Verdichtung im zwischenstaatlichen Zusammenhang zu beobachten ist, die Anhaltspunkte dafür liefert, dass die Freiheit des Handels den von den Mitgliedstaaten bezweckten Gesundheits- oder Pflanzenschutz nach dem gemeinsamen politischen Willen der Mitgliedstaaten überwiegt. Fehlt eine solche normative Verdichtung, wie etwa im Asbestfall, schrecken die Streitbeilegungsorgane vor marktintegrativen Entscheidungen demgegenüber zurück. Diese Schlussfolgerung ist allerdings auf „dünnem Eis“ gebaut, gibt es bislang doch viel zu wenige Streitbeilegungsentscheidungen, die die damit aufgezeigte allgemeine Richtung bestätigen könnten. Teil D. (Prozedural-institutionelle Überlegungen) Der in der Fortentwicklung vom (reinen) GATT-Recht zu den Seitenabkommen liegende Paradigmenwechsel hat nicht nur für die normativ-materiellen Gehalte erhebliche Konsequenzen. Er ist auch in rechtstatsächlicher Hinsicht zu beachten. Denn mit ihm geht die institutionelle Verdichtung des WTO-Rechts einher. Diese Verdichtung ist zwar ihrem Charakter nach nur „relativ“, weil sie weit hinter der Verdichtung verfasster Systeme, d. h. Herrschaftsgewalt verfassender Systeme, zurückbleibt (Zustand „relativer Verdichtung“). Insbesondere hat sie die WTO-recht-

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liche Ordnung noch nicht in eine Verfassungsordnung verwandelt. Die Verdichtung ist umgekehrt aber auch nicht vollkommen zu verleugnen. Auf einem Mitgliedstaat lastet ihretwegen heute nicht nur ein erheblicher normativ-materieller Druck, streitbeilegende Entscheidungen umzusetzen, sondern auch ein erheblicher normativ-institutioneller Druck. Es ist danach in materieller wie auch institutioneller Hinsicht nicht mehr allein Sache eines Mitgliedstaates, die handelsbeschränkenden Wirkungen seiner Maßnahmen selber festzulegen. Vielmehr entsteht in der multilateralen Organschaft über die Beschränkungsverbote der Seitenabkommen eine neue (ebenfalls relative) Kompetenz zur Letztbeantwortung marktregulativer politischer Gestaltung. Die Relevanz dessen wird unmittelbar deutlich, wenn ein Organ der WTO-Streitbeilegung etwa feststellen muss, dass eine unterschiedslos wirkende innerstaatliche Vorschrift gegen ein Beschränkunsverbot des TBT oder SPS verstößt. Trotz der allseits bekannten Effektivitätsschwächen des WTO-Rechts gehören die mit der damit verbundenen marktintegrativen Harmonisierung einhergehenden legitimatorischen Fragen derzeit zu den drängendsten des WTORechts.

Teil E. (Legitimationstheoretische, funktionale und normativ-praktische Überlegungen) Angesichts dieser Herausforderungen müssen die Rechtsvorschriften in der praktischen Auslegungsarbeit so weit wie möglich anhand derjenigen Gehalte rationalisiert werden, die in den Rechtsvorschriften selbst sichtbar angelegt sind. Im Rahmen des Art. III GATT bringt dies keine größeren dogmatischen Schwierigkeiten mit sich. Im Rahmen der Seitenabkommen über technische Handelshemmnisse ist dies aber bereits viel schwieriger. Die „richtige“ Forderung zwischen Deregulierung und Autonomieschutz lässt sich nach Ansicht des Verfassers ganz maßgeblich aus der Feststellung der mitgliedstaatlichen Interessen herausarbeiten, wie sie in den normativen Gehalten selbst vorgegeben sind (regel- und zugleich interessegeleitetes Entscheiden). Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass den Streitbeilegungsorganen noch immer eine wichtige diplomatische Funktion zugewiesen ist. In der Würdigung werden die noch immer stark ausgeprägten diplomatischen Funktionen des institutionell-prozeduralen Rechts der WTO-Streitbeilegung unmittelbar deutlich. Die Streitbeilegungstätigkeit der WTO ist danach keine „quasirichterliche“ oder gar „quasiverfassungsrichterliche“ Tätigkeit, wie von vielen Autoren heute behauptet wird. Die Streitbeilegungsorgane sind insbesondere kein „richterlicher Arm“ oder gar eine „richterliche Gewalt“ (Judikative) eines verfassten Gemeinwesens, die eine „Stärke“ oder „Schwäche“ relativ zu einer „gesetzgebenden Gewalt“ (beziehungsweise deren Fehlen) haben könnte. Schon die durch die klassische Staatslehre vorgegebene Perspektive ist insoweit unangemessen. Zielführender ist eine Perspektive, die die diplomatischen Interessen der Mitgliedstaaten in den Mittelpunkt rückt: In ihrer diplomatischen Funktion können die

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Streitbeilegungsorgane entlang der Vorschriften nämlich durchaus richtige Entscheidungen herbeiführen, wenn sie zielstrukturadäquat und in diesem Sinne interessegeleitet vorgehen. Dogmatisch richtig kann danach gegebenenfalls sogar marktintegratives Entscheiden sein, soweit sich die Streitbeilegungsorgane nur von der Zielstruktur der Vorschriften der Seitenabkommen „richtig“ leiten lassen. Die Existenz der Beschränkungsverbote in den Seitenabkommen selbst ist sichtbarer Ausdruck eines gemeinsamen Interesses der Mitgliedstaaten an Marktintegration, das sich mit dem Interesse am Autonomieschutz sozusagen überlagert. Die zunehmende Zahl marktintegrativ motivierter Klagen bestätigt dies eindrücklich. Eine Strukturanalyse der an einem Streitverfahren beteiligten Interessen der Mitgliedstaaten (Interessenstrukturanalyse) zeigt aber, dass interessegeleitetes Entscheiden in der Regel doch autonomiefreundliches Entscheiden sein wird, da nicht nur der beklagte Mitgliedstaat, sondern sogar der klägerische Staat (als potenziell beklagter Mitgliedstaat) im Hinblick auf künftige Verfahren ein sektorübergreifendes und damit allgemeines Interesse an dem Schutz der eigenen marktregulativen Autonomie hat. Der vorliegende Beitrag gipfelt daher in der These, dass die Streitbeilegungsorgane auf marktintegrativ motivierte Klagen aus Gründen der längerfristigen Interessen aller jeweils beteiligten Streitparteien am Fortbestand der gegenwärtigen Strukturen so autonomiefreundlich wie möglich reagieren sollten. In einer kurzen Analyse des gegenwärtig verhandelten Biotechnologiefalls verdeutlicht der Verfasser diese These und verknüpft mit ihr die Aufforderung an die Streitbeilegungsorgane, die diesem Fall zugrundeliegende Klage trotz der damit verbundenen erheblichen volkswirtschaftlichen Effizienzverluste abschlägig zu entscheiden.

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Streitbeilegungsverfahren unter der WTO (geordnet nach Geschäftszeichen / Eingangsdatum des Klageantrags) United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT / DS / 2 – Bericht des Panels vom 15. Mai 1996, WT / DS2 / R 24 Duvigneau

71, 145

370

Verzeichnis zitierter Streitbeilegungsverfahren

– Bericht des Berufungsgremiums vom 29. April 1996, WT / DS2 / AB / R 145, 185 Japan – Taxes On Alcoholic Beverages, WT / DS8, 10 und 11 – Bericht des Panels vom 11. Juli 1996, WT / DS8, 10 und 11 / R

157

– Bericht des Berufungsgremiums vom 4. Oktober 1996, WT / DS8, 10 und 11 / AB / R 72 f., 75, 76, 78, 93, 158, 225

70,

Australia – Measures Affecting Importation Of Salmon, WT / DS18 – Bericht des Berufungsgremiums vom 20. Oktober 1998, WT / DS18 / AB / R 126, 253 f., 262 European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT / DS26 und 48 16 ff. – Bericht des Panels vom 18. August 1997, WT / DS26 / R / USA 174 ff., 241, 246, 257, 259 – Bericht des Berufungsgremiums vom 16. Januar 1998, WT / DS26 und 48 / AB / R 174 ff., 241, 246, 253 ff., 262 – Original Complaint by Canada, Recourse to Arbitration by The European Communities under Article 22.6 of the DSU, Decision by the Arbitrators (WT / DS48 / ARB) vom 12. Juli 1999 275, 287, 288 – Original Complaint by the United States – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU, Decision by the Arbitrators (WT / DS26 / ARB) vom 12. Juli 1999 288 European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, WT / DS27 – Bericht des Berufungsgremiums vom 9. September 1997, WT / DS27 / AB / R 71, 76, 78, 291 – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU, Decision by the Arbitrators (WT / DS27 / ARB) vom 9. April 1999 286, 288 – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU – Decision by the Arbitrators (WT / DS27 / ARB / ECU) vom 24. März 2000 288, 289, 290 – Recourse to Arbitration by the United States under Article 22.6 of the DSU, Decision by the Arbitrators (WT / DS27 / ARB) vom 9. April 1999 275, 290 Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, WT / DS31 – Bericht des Panels vom 14. März 1997, WT / DS31 / R 67, 146 ff. – Bericht des Berufungsgremiums vom 30. Juni 1997, WT / DS31 / AB / R

70, 80, 146 ff.

Brazil – Export Financing Programme For Aircraft, WT / DS46 – Recourse to Arbitration by Brazil under Article 22.6 of the DSU and Article 4.11 of the SCM Agreement, Decision by the Arbitrators (WT / DS46 / ARB) vom 28. August 2000 275, 287 Indonesia – Certain Measures Affecting the Automobile Industry, WT / DS54, 55, 59 und 64 – Bericht des Panels vom 2. Juli 1998, WT / DS54, 55, 59 und 64 / R 67, 80, 148 ff.

Verzeichnis zitierter Streitbeilegungsverfahren

371

Argentina – Certain Measures Affecting Imports of Footwear, Textiles, Apparel and Other Items, WT / DS56 127 United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, WT / DS58 – Bericht des Panels vom 15. Mai 1998, WT / DS58 / R 80 – Bericht des Berufungsgremiums vom 12. Oktober 1998, WT / DS58 / AB / R 80, 136 ff., 141, 185 Korea – Taxes On Alcoholic Beverages, WT / DS75 und 84 – Bericht des Panels vom 17. September 1998, WT / DS75 und 84 / R

158

– Bericht des Berufungsgremiums vom 18. Juni 1999, WT / DS75 und 84 / AB / R 93, 158 Japan – Measures Affecting Agricultural Products, WT / DS76 – Bericht des Berufungsgremiums vom 22. Februar 1999, WT / DS76 / AB / R 262

126, 250,

Chile – Taxes on Alcoholic Beverages, WT / DS87und 110 – Bericht des Panels vom 13. Dezember 1999, WT / DS87und 110 / R 158 f. – Bericht des Berufungsgremiums vom 110 / AB / R 72, 76, 79, 87, 117, 158, 230

13.

Dezember

1999,

WT / DS87

und

India – Quantitative Restrictions on Imports of Agricultural, Textile and Industrial Products (complaint by the United States), WT / DS90 150 India – Quantitative Restrictions on Imports of Agricultural, Textile and Industrial Products (complaint by the European Communities), WT / DS96 150 United States – Tax Treatment For „Foreign Sales Corporations“, WT / DS108 – Recourse to Arbitration by the United States under Article 22.6 of the DSU and Article 4.11 of the SCM Agreement, Decision by the Arbitrators (WT / DS108 / ARB) vom 30. August 2002 287, 288 European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, WT / DS135 16 ff. – Bericht des Panels vom 18. September 2000, WT / DS135 / R

66, 189 ff., 241

– Bericht des Berufungsgremiums vom 12. März 2001, WT / DS135 / AB / R 74, 76 f., 89 ff., 96 ff., 109 ff., 189 ff., 241, 324

66, 70, 72,

Canada – Certain Measures Affecting the Automotive Industry, WT / DS139 und 142 – Bericht des Panels vom 11. Februar 2000, WT / DS139 und 142 / R

149

– Bericht des Berufungsgremiums vom 31. Mai 2000, WT / DS139 und 142 / AB / R India – Measures Affecting the Automotive Sector, WT / DS146 und 175 – Bericht des Panels vom 21. Dezember 2001, WT / DS146 und 175 / R 150 United States – Sections 301 – 310 of the Trade Act of 1974, WT / DS152 – Bericht des Panels vom 22. Dezember 1999, WT / DS152 / R 24*

290, 317

150

372

Verzeichnis zitierter Streitbeilegungsverfahren

Argentina – Measures Affecting The Export Of Bovine Hides And The Import Of Finished Leather, WT / DS155 – Bericht des Panels vom 19. Dezember 2000, WT / DS155 / R

94, 151

Korea – Measures Affecting Imports Of FreshÇhilled And Frozen Beef, WT / DS161 und 169 – Bericht des Panels vom 31. Juli 2000, WT / DS161 und 169 / R

152

– Bericht des Berufungsgremiums 169 / AB / R 94, 119, 152

2000,

vom

11.

Dezember

WT / DS161

und

United States – Import Measures on Certain Products from the European Communities, WT / DS165 – Bericht des Panels vom 17. Juli 2000, WT / DS165 / R 290 – Bericht des Berufungsgremiums vom 11. Dezember 2000, WT / DS165 / AB / R

290

European Communities – Trade Description Of Sardines, WT / DS231 – Bericht des Panels vom 29. Mai 2002, WT / DS231 / R 161 ff., 256, 258 – Bericht des Berufungsgremiums vom 26. September 2002, WT / DS231 / AB / R 241, 262

163 ff.,

Japan – Measures Affecting the Importation of Apples, WT / DS245 126 United States – Equalizing Excise Tax Imposed by Florida on Processed Orange and Grapefruit Products, WT / DS250 – Antrag Brasiliens vom 16. August 2002, WT / DS250 / 2 153 Uruguay – Tax Treatment on Certain Products, WT / DS261 166 European Communities – Measures affecting the approval and marketing of biotech products, WT / DS291, 292 und 293 16 ff., 249, 332 ff. Mexico – Tax Measures On Soft Drinks And Other Beverages, WT / DS308 – Antrag der USA auf Konsultation vom 18. März 2004, WT / DS308 / 1 China – Value-Added Tax On Integrated Circuits, WT / DS309 – Konsultationsantrag der USA vom 23. März 2004, WT / DS309 / 1 154

166

Verzeichnis zitierter Gerichtsentscheidungen EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, 3641

281

EuGH, verb. Rs. 21 bis 24 / 72, International Fruit Company, Slg. 1972, 1219 281 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395 281 EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol / Kommission, Slg. 1989, 1781 281 EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima / Rat, Slg. 1991, I-2069 281 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat (Bananenmarktordnung), Slg. 1994, I-4973 282 EuGH, Rs. C-307 / 99, OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH / HZA Hamburg-St. Annen, Slg. 2001, I-3159 282 EuGH, Rs. C-301 / 97, Niederlande / Rat (Einfuhr von Reis); Slg. 2001, I-8853 282 EuG, Rs. T-188 / 99, Euroalliages / Kommission, Slg. 2001, II-1757 282 EuG, Rs. T-256 / 97, BEUC / Kommission, Slg. 2000, II-101 282 EuG, Rs. T-213 / 97, Eurocoton / Rat, Slg. 2000, II-3727 282 EuG, Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981 282 EuG, Rs. T-2 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-2093 282 EuG, Rs. T-3 / 99, Bananatrading, Slg. 2001, II-2123

282

Sachwortverzeichnis aggregierte Schlechterbehandlung 78, 112 aims and effects-Test 82, 203, 208 Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) 59 Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) – Anmerkung zu Art. III 62 – Art. II GATT 61 – Art. III GATT 61 ff. – Art. XI GATT 61 – Art. XX GATT 185, 261, 58 Allokation von Entscheidungsmacht 269 amicus curiae briefs 323 Antidumping 49 Antiprotektionismus 37, 43 asymmetric impact test 112 Ausgleichszölle 49 Außenwirtschaftstheorie 285 Aussetzung von Zugeständnissen 285 Autonomie 16, 34, 38, 95 Balance 277 Behandlung von Waren 107 Beschränkungsverbot 238, 241, 251 Binnenmarktprogramm (1992) 51 Border Tax Adjustment 73 caroussel provision 290 f. CODEX ALIMENTARIUS 162 cross-retaliation 289

Commission

de facto-Diskriminierung 119, 154 ff. de jure-Diskriminierung 119, 127 ff. demokratische Legitimation 318 deontische Begriffe 258 Deregulierung 50 diplomatische Verwurzelung der Streitbeilegung 307 dormant commerce clause 52

Durchsetzung des WTO-Rechts 271, 275 Effizienzprüfung 251 Erfüllbarkeit 109, 118 Evidenzerlebniss 299 Evolutionsfähigkeit 319 Fediol-Rechtsprechung des EuGH 285 Föderalisierung 303 Freiheit des Einzelnen 41 Funktion der Streitbeilegungsorgane 304 Funktionalistische Konstitutionalismustheorie 38 Gegenmaßnahme 275 Geltungsgrund des WTO-Rechts 276 Gesamtsystem der WTO 304 Gewaltenteilungslehre 306 Gleichartigkeit 100 Gleichheit der Staaten 39 gruppenweise Schlechterbehandlung 112 Handelsliberalisierung 45, 61 ff. harmonisierende Handelsliberalisierung 49 Harmonisierung 53 Herrschaftsdichte 41 Herrschaftsgewalt 306 Individualwirksamkeit 283 Individuum 280 ineffiziente Regulierung 85 Institutionalisierung 276 institutionelle Verdichtung 268, 273 integrated necessity-Test 85, 227 interessegeleitetes Entscheiden 326 Interessenstruktur 328 internal point of view 270 Internalisierung 103 International Law Commission (ILC) 293

Sachwortverzeichnis Internationale Nichtregierungsorganisation (INGO) 259, 325 Internationale Organisation 267 Internationales Verfassungsrecht 268 Internationalisierung des Verfassungsrechts 268 juristische Argumentation 300 kommunitäres Völkerrecht 268 Kompensation 293 komplexe Demokratietheorie 318 Konstitutionalisierung des Völkerrechts 268 Konstitutionalisierungsprozess 267 konstitutionelle Ökonomie 38 Kosmopolitismus 323 Legitimation 34, 272 Legitimationsdefizit 320 Legitimationspotenzial 319 Letztbegründbarkeit 299 Machtbalance 274 majoritäre Adjudikation 46, 307 Marktanalyse 99 Marktbürger 99 Marktintegration 50, 238 marktintegrative Harmonisierung 51 Marktversagen 102 Materialisierung 268 Merkantilismus 285 Mittel-Zweck-Prüfung 227 Monopolisierte Zwangsgewalt 290 Multilateralisierung des Durchsetzungssystems 291 Nakajima-Rechtsprechung des EuGH 285 negativer Konsens 273 Nichtverletzungsklagen 92, 279 Non-Trade-Werte 37 normative Fiktion 216 normativer Regress ad infinitum 216 Normativität 268 objektive Zweckprüfung 210 Öffnung des Verfassungsstaates 268 Ökonomische Analyse 311 Paradigmenwechsel 23 politische Flexibilität 272

375

power-approach 277 product / process-Doktrin 80, 84, 128, 232 protektionistische Wirkungen 17 Prozeduralisierung 268 Public Choice 319 Quantifizierung 112 Ratifikation 39 Rationalisierung 86 Rechtspositivismus 35, 270 regulative Diversität 50 regulativer Wettbewerb 47 Regulatory Co-Opetition 303 Reparation 292 Repressalie 294 Retorsion 294 Richtigkeit von Entscheidungen 300 Safeguards 49 Souveränität 38 Staatenverantwortung 293 Staatslehre 304, 306 Stakeholder-Modell 323 Ständiges Berufungsgremium 273 Streitbeilegung 304 Streitbeilegungsmechanismus 278 Streitkultur 315 Subventionen 59 Systemwettbewerb 303 tertium comparationis 83 Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS) 60 – Art. 2.2, 3.1, 3.3, 5.1 und 5.2 SPS 238 ff. – Art. 2.3 und 5.5 SPS 179 Übereinkommen über die Landwirtschaft 40 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) 40 Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen 59 Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT) 60 – Art. 2.2 und 2.4 TBT 189, 238 ff.

376

Sachwortverzeichnis

Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung 40 Unilateralismus 289 unmittelbare Anwendbarkeit 284 Verfassung des Welthandels 267 Verfassungsparadigma 266, 295 Vergleichsgruppenbildung 99, 100 Verhältnismäßigkeitsprüfung 227 Verhandlungssystem 88, 278, 309

Verschleierung von Handelsbeschränkungen 54, 62 Werteordnungen der Mitgliedstaaten 268 Wettbewerbsgleichheit 45, 88, 93, 118, 126 Wirkmacht von Rechtsregeln 266, 314 Zurückhaltung der Streitbeilegungsorgane 305 Zwangsmonopol 294 Zweck-Mittel-Relation 85, 252

SUMMARY WTO / GATT law comes under a growing pressure of market integration as cases such as Hormones, Asbestos and GMOs indicate. What is at stake in these cases is the anti-discriminatory paradigm of WTO / GATT law. This book embarks on a theoretical and doctrinal account of how best to decide upon the claims underlying these cases. It starts from the concept of regulatory competition and reconstructs it within the overall framework of WTO law, especially with regard to GATT Art. III. The author thoroughly analyses the dispute settlement practice of the past twenty years and demonstrates that the common interests of the member States in the free functioning of regulatory competition usually outweigh the specific interests in market integration of the claimant state. This is also true of the agreements on technical barriers to trade (TBT and SPS). The author’s overall argument therefore is that, in order to protect the system as a whole from being overburdened, panels and the Appelate Body – also under TBT and SPS – need to decide as autonomy friendly as they can, thereby paying tribute to the common interests of both the parties to the dispute and the WTO member States as a whole.

RÉSUMÉ Le droit de l’OMC / GATT est sous une pression croissante de l’intégration des marchés. Des cas comme Hormones, Amiante et Produits Biotechnologiques indiquent vivement le défi face auquel les organes pour le règlement des différends se retrouvent aujourd’ hui. Ce qui est en jeu c’est l’avenir du paradigme anti-discriminatoire du droit de l’OMC / GATT. Ce livre approche ce sujet d’un point de vue théorique et dogmatique et fait des recommendations à ceux qui sont chargés de l’interprétation de droit. L‘auteur met l’accent sur le concept de compétition régulatrice et le reconstruit dans le context de l’OMC, notamment dans celui de l’article III GATT. Il analyse minutieusement la pratique du règlement des différends lors des dernière vingt années et montre que les intérêts communs des États membres concernant le fonctionnement libre de la compétition régulatrice prevalent normalement les intérêts spécifiques de l’État plaignant à propos l’intégration des marchés. Ceci est aussi valable dans le context des accords sur les obstacles techniques au commerce (OTC et SPS). C’est pour cette raison que les décideurs à l’OMC devraient – aussi sous les règles de l’OTC et du SPS – décider en respectant le plus possible l’autonomie régulatrice des États membres, ainsi tenant compte des intérêts communs des États parties au différend et des États membres en tout.