Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts: Erster Band. Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Neunte Abtheilung, zweiter Theil, erster Band. Hrsg. von Karl Binding [1 ed.] 9783428561483, 9783428161485

Das vorliegende Werk erschien als neunte Abteilung, zweiter Teil des von Karl Binding herausgegebenen Werkes »Systematis

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Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts: Erster Band. Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Neunte Abtheilung, zweiter Theil, erster Band. Hrsg. von Karl Binding [1 ed.]
 9783428561483, 9783428161485

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Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts Von Adolf Wach

Erster Band

Duncker & Humblot reprints

Systematisches Handbuch der

Deutschen Rechtswissenschaft. Unter Mitwirkung der Professoren Dr. H. Brunner in Berlin,

Dr. E. Brunnenmeister in Halle,

Dr. 0. Bülow in Leipzig, Dr. H. Degenkolb in Tübingen,

Dr. V. Ehrenberg in

Rostock, Dr. A. Franken in Jena, des General-Procurators Dr. J. Glaser in Wien,

der Professoren Dr. A. Grawein in Czernowitz, Dr. A. Haenel in Kiel, Dr. R. Heinze in Heidelberg, Dr. A. Heusler in Basel, Dr. R. v. Jhering in Göttingen, Dr. P. Krüger in Königsberg, Dr. P. Laband in Strassburg, Dr. F.V.Martitz in Tübingen, Dr. E. Meier in Halle, Dr. Th. Mommsen in Berlin, Dr. F. Regelsberger in Göttingen, Dr. W. v. Rohland in Dorpat, Dr. A. Schmidt in Leipzig, Dr. R. Sohm in Strassburg, Dr. A. Wach in Leipzig, Dr. R. Wagner in Leipzig, Dr. B. Windscheid in Leipzig

herausgegeben von

Dr. K a r l B i n d i n g , Professor in Leipzig.

Neunte Abtheilung, zweiter Tlieil. erster Band: W a c h , H a n d b u c h des D e u t s c h e n Civilprozessrechts.

Leipzig, Verlag

von Duncker 1885.

& H u m b 1 ο t.

Band I.

Handbuch des

Deutschen Civilprozessrechts. Von

Dr. A d o l f

Erster

Wach.

Band.

Leipzig, V e r l a g von D u n c k e r & H u m b l o t . 1885.

Das Recht der Uebersetzung bleibt vorbehalten.

Pierer'sche Hofbuchdruckerei.

Stephan Geibel & Co. in Altenburg.

Dr. Eduard Simson, dem

Präsidenten

des

gewidmet.

Reichsgerichts

Vorrede. Die Aufgabe, ein System des deutschen Civilprozessrechts zu schreiben, ist heutzutage schwieriger, denn je.

Wir haben den Kin-

derglauben abgethan, dass der Gesetzgeber der Wissenschaft die Arbeit abnehmen könne.

Wir bemessen sie nicht nach der Masse des

Stoffs, noch finden wir sie in der Auslegung des Gesetzesparagraphen. Mit der Erkenntniss dessen, was das Gesetzeswort sagen will, beginnt die Wissenschaft ihre Aufgabe.

Ihr Ziel ist, zu den Lebenskräften

und Grundgedanken hinabzusteigen, welche das Gesetz hervorbrachten und tragen, und auf diesem Grunde aufzuführen den Gedankenbau, in welchem sich das Einzelne zum Ganzen fügt. inneren Zusammenhang mit

Den Prozess im

der Gesammtrechtsordnung

und die

Funktion des Einzelnen in Zweckmässigkeit und Wirksamkeit zu erkennen: das ist die Aufgabe.

Sie wird nicht erleichtert, sondern er-

schwert durch eine Gesetzgebung, welche das Alte aufgelöst und zu einer neuen Ordnung umgewandelt hat. Die Schwierigkeit ist um so grösser, als das Gesetz innerhalb der knappen Spanne Zeit, in welcher es besteht, selbst dem sorgsamen und in der Praxis thätigen Beobachter nicht genügende Gelegenheit geboten hat, seine Tragweite nach allen Seiten hin zu ermessen. Musste und konnte man auch Kritik üben, bevor das Gesetz in Kraft trat, so ist doch schon die kurze Zeit seiner Anwendung

Vorrede.

VIII

hinreichend gewesen, viele Anschauungen über seine Praktikabilität zu berichtigen und die Erkenntniss seines Inhalts erheblich zu vertiefen.

Die wegwerfenden Urtheile sind mehr und mehr verstummt,

und wenn sie jetzt noch vereinzelt mit grosser Schärfe auftauchen, so trifft sie der Vorwurf der Voreiligkeit und der vielfachen Verkennung des Grundes hervorgetretener Mängel. Diese wurzeln vielmehr in der unrichtigen Handhabung des Gesetzes, als in ihm selbst. Wie die Bildung neuen Rechts nur langsam reift, wenn sie gedeihen soll, so müssen wir in Geduld seinem Verständniss und Einleben Zeit gönnen. Die Ernte ist gross und der Arbeiter sind wenige. Das lebhafte Interesse, welches frühere Jahrhunderte der Lehre des Prozesses entgegenbrachten, hatte sich auf das unserige nicht vererbt.

Die neu

belebte Rechtswissenschaft hat ihre Hauptkraft dem Privatrecht zugewendet, und wir werden viel gewonnen haben, wenn es uns gelungen sein wird, die Ergebnisse privatrechtlicher Forschung für den Prozess hinreichend nutzbar zu machen. Die umfassenden Kommentare zur Civilprozessordnung sind werthvolle Vorarbeiten; ich werde an anderer Stelle Gelegenheit nehmen, über ihr Verhältniss zur Aufgabe des Systematikers zu sprechen.

In neueren Abhandlungen und

Monographien sind wichtige Beiträge zu ihrer Lösung geliefert. Aber ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass die Hauptprobleme kaum gestellt, geschweige denn gelöst sind. Wenn ich es dennoch wagte, die Hand an die gewaltige Aufgabe zu legen, so trieb mich das Gefühl der Pflicht, mein Scherflein, so gering es sein mag, beitragen zu sollen zur Förderung unseres Rechtslebens. Ich habe dazu die Form des Handbuchs, dieses Mitteldinges zwischen dem sich wesentlich in Behauptungen bewegenden Lehrbuch und der monographischen Bearbeitung gewählt.

Denn mir schien,

dass eine zusammenfassende Darstellung, so vieles auch zu ihrer Vorbereitung mangelt, dringendes Bedürfhiss für die Praxis sei und dass sie förderlich nur sein könne, wenn sie nicht bei der Behauptung beharrt, sondern ihren Beweis versucht.

Vorrede.

IX

Das System erbaut sich auf dem Gegensatz des objektiven Rechts und seines Inhalts. die folgenden gewidmet.

Jenem ist das erste Buch, diesem sind

Voraus schicke ich eine Einleitung, welche

in Kürze den Civilprozess begrifflich nach seinen verschiedenen Seiten behandelt, sein Gebiet gegen verwandte Disciplinen abgrenzt und seine Quellen und Literatur nachweist. Der vorliegende Band enthält von der Darstellung des Inhaltes des objektiven Rechts die Lehre von den Prozesssubjekten ; ihr wird folgen die Theorie der prozessualen Handlungen und Rechtsverhältnisse und daran sich anschliessen die Darstellung des Verfahrens, des ordentlichen und der besonderen Prozessarten mit Ausschluss des Konkursprozesses. Nicht ohne Schwierigkeit war die Abgrenzung der Aufgabe gegenüber cler Gerichtsverfassung.

Es bedarf keiner Rechtfertigung, dass

unter den Prozesssubjekten das Gericht als Rechtspflegeorgan des Staates behandelt wird.

Aber wie weit war zu gehen in der Dar-

stellung seiner inneren und äusseren Organisation?

Alles Justiz-

administrative und specifisch Staatsrechtliche suchte ich auszuscheiden; andererseits musste ich aufnehmen die Gerichtsverfassungsgrundsätze , sofern ihnen unmittelbar prozessuale Bedeutung zukommt. Einen äusserlichen aber immerhin werthvollen Anhalt für die Abgrenzung bot die Scheidung innerhalb der Gesetze der Gerichtsverfassung und des Prozesses. An sie habe ich mich, so weit thunlich, gehalten. — Die Lehre von der Organisation der Rechtsanwaltschaft hätte mit gutem Grund in das Prozesssystem einbezogen werden können ; denn der Rechtsanwalt ist nicht staatliches Rechtspflegeorgan, sondern eigenartiger Vertreter der Partei. fortliess,

Dass ich jene dennoch

begründe ich mit der gleichmässigen Bedeutung dieses

Gegenstandes für den Straf- wie für den Civilprozess.

Es schien an-

gemessen denselben innerhalb des systematischen Handbuchs der Rechtswissenschaft dem Werke zu überlassen, welches gleichmässig für die beiden Prozessdarstellungen bietet.

die nothwendige Ergänzung

Vorrede.

χ

Die Literatur und Praxis möglichst eingehend zu berücksichtigen, habe ich mir angelegen sein lassen, wennschon ich in den Anführungen Maass zu halten suchte. Zumal die Citate aus den Kommentaren zu häufen, schien mir überflüssig, da dieselben mit Leichtigkeit für jedermann erfindlich sind. Daher habe ich mich oft mit allgemeinen Verweisungen oder mit der Berufung auf einige dieser Werke begnügt. In die Kasuistik bin ich nicht tiefer eingegangen, als es mir für die Klärung der Begriffe wünschenswerth erschien. Die beiden Register sind die Arbeit des Herrn Rechtsanwalt Dr. A l e x a n d e r P e t e r , welchem ich für diese Unterstützung zu grossem Dank verpflichtet bin· A u f dem R i e d , den 22. September 1885. Wach.

Inhältsverzeichniss. Einleitung. Seite

Erstes Kapitel.

Der Begriff des Ciyilprozesses.

§ 1. Die Prozessordnung und der Prozesszweck § 2. Gegenstand des Civilprozesses § 3. Der Prozess als Rechtsgang § 4. Der Civilprozess als Rechtsverhältniss. Rechtsverhältnisse Civilprozess § 5. Die Prozessarten

Zweites Kapitel.

Die

Abgrenzung:

des

3— 12 12— 24 24— 34 im 34— 39 40— 46

Ciyilprozesses

gegenüber verwandten Rechtsbildüngen und seine Stellung im Rechtssystem· § 6. Die Handlungen der sogen, freiwilligen Gerichtsbarkeit § 7. Das Schiedsverfahren § 8. Civilprozesssache und Administrativsache § 9. Die Stellung des Prozessrechts im Rechtssystem. — Privatrecht und Prozess

Drittes Kapitel.

Quellen.

47— 64 64— 77 77—113 114—129

Literatur und Praxis.

§ 10. Quellen I. Reichsrecht a. Vorgeschichte § 11. b. Die Civilprozessordnung § 12. c. Reichsgesetze ausserhalb der Civilprozessordnung . . . . § 13. Π. Landesrecht § 14. Wissenschaft und Praxis des Civilprozesses

129-168 129—159 129—150 151—155 155—159 159—168 169—182

Inhaltsverzeichnis*.

XII

Erstes Bucli. Die Lehre vom Prozessgesetz, den Grenzen seiner Herrschaft und der Auslegung. Erstes Kapitel.

Das Oesetz.

§ 15. Das Gesetz § 16. Reichsrecht und Landesrecht

Zweites Kapitel.

§ § § §

185-189 189—205

Die Herrschaft der Prozessgesetze.

§ 17. Allgemeines § 18. Die Herrschaftszeit der Prozessgesetze § 19. Das Herrschaftsgebiet des Prozessrechts

Drittes Kapitel.

Seite

206—210 211—218 219—254

Die Auslegung des Gesetzes.

20. Gegenstand und Zweck der Auslegung 21. Die Methode der Auslegung im allgemeinen 22. Die Auslegungsthätigkeit im einzelnen 23. Fortsetzung. Der Sprachgebrauch des Gesetzes

254—265 265—270 270—284 284—305

Zweites Buch. Die Prozesssubjekte, ihre Vertreter und Gehilfen. Erstes Kapitel. § 24. Die § 25. Die I. § 26. II. § 27. III.

Das Gericht.

Civilgerichtsbarkeit und ihre Ausübung innere Organisation der Gerichte Die gerichtlichen Aemter Die gerichtlichen Behörden Die gerichtlichen Personen

§ 28. Die äussere Organisation der Gerichte. Die Kompetenzordnung im allgemeinen § 29. I. Die objektive Kompetenz a. Die Kompetenzgrenzen § 30. b. Die juristische Bedeutung der Kompetenzgrenze . . . . §31. c. Der Streitwerth als Kompetenzkriterium § 32. II. Funktionelle Kompetenzordnung

309—317 317—347 317—323 323—332 333—347 347—350 350-391 350—360 360—368 368—391 392—395

Inhaltsverzeichniss.

XIII Seite

§ 33. III. Räumliche Kompetenzordnung a. Die Gerichtsstände b. Die allgemeinen Gerichtsstände § 34. c. Die besonderen Gerichtsstände der vermögensrechtlichen § 35. Klagen d. Der Gerichtsstand der Erbschaft § 36. e. Der dingliche Gerichtsstand (Gerichtsstand der gelegenen § 37. Sache) f. Die Gerichtsstände der Obligation § 38. § 39. g· Der Gerichtsstand der Ehesachen h. Der Gerichtsstand der Widerklage § 40. i. Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs § 41. § 42. k. Der Gerichtsstand der Zwangsbereitschaft 1. Die dispositiven Gerichtsstände § 43. m. Das Yerhältniss der Gerichtsstände zu einander . . . . § 44. n. Der Umfang der Zuständigkeit und die Rechtshilfe. . . § 45.

Zweites Kapitel.

§ 49. § 50. §51. § 52. § 53.

§ § § § § §

5*. 55. 56. 57. 58. 59.

Der Das Das Der Der Die

518—532 532-550 551—557

557—568 568—586 586-593 593—605 605—612

Der Nebenintervenient.

Begriff Interventionsrecht Interventions verfahren Intervenient als Parteigehilfe Intervenient als Streitgenosse Streitverkündung

Sachregister Quellenregister

434-445 445—471 472—474 474-486 486 - 4 9 0 490—491 491—511 511-513 513-518

Stellvertreter und Beistand der Partei.

Die Stellvertretung im allgemeinen Der Bevollmächtigte Der gesetzliche Stellvertreter . . Der vollmachtlose Vertreter . . . Advokatur und Anwaltszwang . .

Viertes Kapitel.

414-429 429—434

Die Parteien·

§ 46. Partei und Parteifähigkeit § 47. Die Prozessfähigkeit § 48. Die Prozessfähigkeit der Ehefrau und des Hauskindes als solcher

Drittes Kapitel.

395—518 395—397 3 9 8 - 414

613—615 615—631 631—636 637—646 646—652 653—659

660—685 686—690

Erläuterung der Abkürzungen. A = Archiv. = Ausführung. ACPO = Ausführungsgesetz zur Civilprozessordnung. AG = Ausführungsgesetz. = Appellationsgericht. AGKG = Ausführungsgesetz zum Gerichtskostengesetz. AGO = Allgemeine Gerichtsordnung für die preussischen Staaten. AGYG = Ausfiihrungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz. Allg.Vfg => Allgemeine Verfügung. ALR = Allgemeines Landrecht für die preussischen Staaten. AV = Ausführungsverordnung. Bek. = Bekanntmachung. BGB = Bürgerliches Gesetzbuch. CA = Archiv für die civilistische Praxis. CP = Civilprozess. CPO =• Civilprozessordnung. CPR = Civilprozessrecht. CPV = Civilprozessverfahren. CS = Civilsenat. D. = Deutsch. DPrR = Deutsches Privatrecht. Ε = Entscheidungen des Reichsgerichts. ECPO = Einführungsgesetz zur Civilprozessordnung. EG = Einfuhrungsgesetz. EGVG = Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz.

EKO = Einführungsgesetz zur Konkursordnung. EStPO = Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung. G = GenV = GK = GKG = GO = GOf.GV= GO f. RA = GO f. ZS = Gruchot = Grünhut =

GSchr GV GVf GVG

= = = =

Gesetz. Generalverordnung. Gerichtskosten. Gerichtskostengesetz. Gebührenordnung. Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher. Gebührenordnung für Rechtsanwälte. Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige. Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts. Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart. Gerichtsschreiber. Gerichtsverfassung. Gerichtsverfahren. Gerichtsverfassungsgesetz.

HE = Entwurf einer allgemeinen Civilprozessordnung fur die deutschen Bundesstaaten. HGB = Handelsgesetzbuch. HPO = Hannoversche Civilprozessordnung. HRLex = v. Holtzendorff, Encyklopädie der Rechtswissenschaft. Zweiter, lexikalischer Theil. J. du d. i. p. — Journal du droit international privé.

Abkürzungen. JMB1 = Justizministerialblatt. JRA = Jüngster Reichsabschied. KabO — Kabinetsordre. KO = Konkursordnung. KR = Konkursrecht. KrG-Rath = Kreisgerichtsrath. KrV = Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. LG LR

= Landgericht und Landesgericht. Landrecht.

MV =

Ministerialverordnung.

NE = Norddeutscher Entwurf für Civilprozessordnung. NotO = Notariatsordnung. Ο = Ordnung. OAG = Ober-Appellationsgericht. OAGO = Ober - Appellationsgerichtsordnung. OG = Oberster Gerichtshof. OLG = Oberlandesgericht. OTr = Obertribunal. PlenE — Plenarentscheidung. PE = Prozessordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für die preussischen Staaten. PG = Prozessgesetze. PO = Prozessordnung. PR =» Prozessrecht. PrALR = Preussisches Allgemeines Landrecht.

Prot PrR RA RAO RCP RCPO RG RGBl RGes RGV RJG RJK RKO ROHG RR RV StPO StS V Vfg VormO VU WO

XV = = = = = = = = = = = = = = =

= =

Protokolle. Privatrecht. Rechtsanwalt. Rechtsanwaltsordnung. Reichscivilprozess. Reichscivilprozessordnung. Reichsgericht. Reichsgesetzblatt. Reichsgesetz. Reichsgerichtsverfassung. Reichsjustizgesetze. Reichsjustizkommission. Reichskonkursordnung. Reichsoberhandelsgericht. Römisches Recht. Reichsverfassung. Strafprozessordnung. Strafsenat.

=

Verordnung. Verfügung. Vormundschaftsordnung. Verfassungsurkunde.

=

Wechselordnung.

= = =

Zeitschrift. Ζ Ζ f. CP = Zeitschrift für Civilprozess. Ζ f. CR u.P = Zeitschrift für Civilrecht und Prozess. Ζ f. HR — Zeitschrift für Handelsrecht. Ζ f. RG = Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Ζ f. StRW = Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft. ZV = Zwangsvollstreckung.

Die Lehrbücher des CP von W e t z e l l , R e n a u d , B a y e r , v. C a n s t e i n , M e n g e r (s. unten S 176), die Kommentare zur CPO (s. unten S 178), W i n d s che ids Lehrbuch des Pandektenrechts, 5. Aufl. Bd. 1—3 Stuttgart 1879, v. B e t h m a n n - H o l l w e g s Civilprozess des gemeinen Rechts in geschichtlicher Entwickelung Bd. 1—6, 1. Abth. Bonn 1864—1874, K e l l e r s römischer Civilprozess, 6. Aufl., herausg. von Wach, Leipzig 1883 werden nach den Namen der Autoren citirt. S e u f f e r t mit folgender lateinischer Bandzahl und Nr bezeichnet Archiv für Entsch. der obersten Gerichte (s. unten S 182 Anm 35).

Berichtigungen. S S S S S S S S S S S S S S S S S S S S S

87 104 122 131 161 223 238 245 271 273 276 293 303 328 332 349 360 365 365 384 395

Ζ. 9 ν. ο. streiche: „Der". Ζ. 12 ν. ο. lies: § 17 (st. § 16). Ζ. 16 ν. ο. tilge: 1 8 ; die Ziffer gehört auf Z. 21 hinter „Rechtsweg". Anm 4 lies: des Grossherzogth. Hessens. Ζ. 10 v. u. lies: PO (st. PG). Ζ. 10 v. u. lies: du (st. de). Ζ. 12 V. u. lies: § 260 vgl. OLG. Ζ. 17 V. 0. lies: unanfechtbaren (st. anfechtbaren). Ζ. 21 V. 0. lies: §§ 477 (st. §§ 447). Ζ. 3 V. u. lies: Kuhn in Gruchot (st. und Gruchot). Ζ. 6 v. u. lies: § 774 (st. § 744). Ζ. 6 v. 0. lies: S 14 (st. S 114). Ζ. 12 v. 0. lies: Unwahrheit zur Wahrheit. Ζ. 23 v. u. lies: CPO (st. ECPO). Ζ. 15 v. o. lies: § 365 (st. § 367). Ζ. 9 v. u. lies: wie diese und ähnliche Gedanken. Ζ. 13 v. u. lies: weisen (st. weist). Ζ. 18 v. u. lies: doch (st. dafür). Ζ. 10 v. u. lies: diese (st. dies). Ζ. 9 v. 0. lies: § 240 Nr 2 (st. Nr 3). Ζ. 18 v. 0. lies: GVG § 24 (st. GVG § 27).

Einleitung.

Binding, Handbuch. IX. 2. I :

W a c h . Civilprozess. I.

1

Erstes Kapitel. Der Begriff des Civilprozesses. S 1. Die P r o z e s s o r d n u n g und der Prozesszweck. I. Das Gesetz als der abstrakte, hypothetisch - normirende Wille, tier Thatbestand als der normirte Lebensvorgang, die Rechtswirkung als das aus Gesetz und Thatbestand entspringende Rechtsverhältniss sind die drei Begriffe, welche angewandt auf den Civilprozess den Gegenstand der ersten einleitenden Betrachtung zu bilden haben. Sie handelt vom Civilprozess als Prozessgesetz (Prozessordnung), als Prozessthatbestand, als Prozessrechtsverhältniss.' Civilprozess1, bürgerliches Verfahren, ist die gesetzlich geregelte Form der staatlichen Privatrechtspflege. Die funktionirenden Staatsorgane sind die bürgerlichen Gerichte. Die Privatrechtspflege ist die Gewährung des Privatrechtsschutzes durch sie. Der Civilprozess ist sonach die Form der gerichtlichen Verwirklichung des objektiven Privatrechts mit Beziehung auf ein ihm unterstelltes Lebensverhältniss zum Zwecke des Schatzes privatrechtlicher Interessen. 1

T e r m i n o l o g i e a. des r ö m i s c h e n R e c h t s : 1. für den Prozess : iudicium, Iis, iurgium, disceptatio, causa,} negotium iquod iudicio contrahitur, ordo iudiciorum : 2. für die Thätigkeit der Parteien contendere, disceptare, agere, appellare, postulare usw., für die des Richters : cognoscere, audire, examinare, expeclire usw. ' — b. des k a n o n i s c h e n R e c h t s : ausser den römischen Termini: procedere und processus zur Bezeichnung des fortschreitenden Verfahrens c. 22 X de rescriptis I 3 ; c. IS X de off. iud. ord. I 31; c. 19. 20 X de iudic. I I 1; c. 11 X de probat. I I 19 und öfter; ordo iudiciarius c. 1 X ut lite non cont. I I 6; c. 2 in Clem. de V. S. V 11. — Die D o k t r i n , schon früh des Ausdrucks processus (nicht nur in der Verbindung processus iudicii) im heutigen Sinne sich bedienend (vgl. T a n c r e d , Ordo iudichirius c. a. 1216 in B e r g m a n n , Pillii, Tancredi et Gratiae libri de iudiciorum online. Gottingae 1842. S 153 ff.; B o n a g u i d a , Summa sup. off. adv. c. a. 1247τ her. von W u n d e r l i c h . Anecdota S 152), hat ihm allmählich den Vorrang vor den römischen Termini gegeben.

4

1. Die Prozessordnung

. der Prozesszweck.

Die Prozessordnung ist Rechtsschutzordnung und als solche ein sekundäres Gebilde, Mittel zum Zweck der Privatrechtsbewährung. Damit Recht nicht nur sei, sondern auch gelte, muss Prozess sein. In ihm bringt der Staat gegen das dem Recht widersprechende Verhalten das Recht zur Geltung durch Zwang zur Unterwerfung unter die Rechtsverfolgung, durch autoritative richterliche Feststellung im Urtheil (Bejahung des Rechts, Verneinung des Nicht-Rechts), durch Vollstreckung. Also ist der Prozess Zwangsordnung2. In ihm bethätigt sich die Potenz des Rechts, sich gegen den bewusst oder unbewusst, schuldhaft oder schuldlos widerstrebenden Willen zu behaupten und zu bewähren. Der regelmässige Ausschluss der Selbsthilfe auf dem Gebiete des Privatrechts geht Hand in Hand mit der Gewähr der Staatshilfe, des prozessualischen Rechtsschutzes für die gefährdeten Privatrechtsinteressen. II. Die Privatrechtsordnung will sein die Ordnung der individuellen Interessen. Sie regelt die Herrschaftssphäre der Einzelnen in ihrem Verhältniss zu einander. Daher ist der Privatrechtsschutz, wenn auch durch den Staat, so doch nicht für ihn als das berechtigte interessirte Subjekt. Darauf stützt sich die häufige subjektive Bestimmung des Prozesszweckes und die daraus abgeleitete Definition des Prozesses3. Man nennt ihn das Verfahren zur Geltendmachung oder Feststellung, Verwirklichung von Privatrechten, verletzten Privatrechten, Privatrechtsansprüchen, eine Begriffsbestimmung, deren römische Wurzel unschwer erkennbar ist 4 . Sie ist in mehrfacher Beziehung für unser heutiges Recht unrichtig. Es ist unrichtig, den Prozesszweck s u b j e k t i v zu fassen. Er ist nicht der von dem einzelnen Prozesssubjekt und speziell dem Kläger verfolgte Zweck. Klagzweck ist nicht Prozesszweck. Jener bestimmt den Gegenstand, nicht den Zweck des Prozesses. In diesem stehen sich kollidirende Interessen gegenüber : das behauptete Rechtsschutzinteresse des Klägers und das des Beklagten. Der Prozess dient dem Angriff und der Abwehr, der Position und Negation des Rechts. Das zeigt sich in der kontradiktorischen Natur des Prozesses, der auf dem Gegensatze des Klagantrags und des Abweisungsantrags ruht, 2

Vgl. dazu meine Abhandlung in Grünhut VI 538. Vgl. u. a. B a y e r , Vorträge § 1; W e t z e i l , CP S 2; E n d e m a n n , Das deutsche CPR § 1 ; v. C a n s t e i n , Lehrb. d. österr. CP § 1. 4 Pr. Inst, de act. IV 6: actio autem nihil aliud est quam ius persoquendi iudicio, quod sibi debetur. 3

1.

Die Prozessordnung

. der Prozesszweck.

und in dem Umfange der rechtskräftigen Entscheidung, welche nicht nur ist Urtheil über den Klagantrag, sondern auch über den Abweisungsantrag5. Und es wird diese Zwiespältigkeit des subjektiven Prozesszweckes auch nicht beeinträchtigt durch die ihm innewohnende Relativität. Allerdings besteht der Vertheidigungszweck nur mit Rücksicht auf den Angriffszweck und fällt mit ihm. Aber er ist ihm widersprechender Zweck. Die Zwiespältigkeit der Parteizwecke wurzelt in der Nothwendigkeit der Zulassung von R e c h t s b e h a u p t u n g e n als prozessbegründenden Parteihandlungen. Welche Behauptung begründet ist, ist Frage des Prozesses. Nur eine von beiden kann es sein. Daraus folgt, dass nur der eine Parteizweck dem Rechte wirklich entspricht und zum Rechtsschutze berechtigt ist, also nur das eine Parteiinteresse ein wahres Rechtsschutzinteresse ist. Der Prozesszweck aber bleibt stets ein und derselbe: die Wahrung der Gerechtigkeit durch Uebung der Gerichtsbarkeit. Er wird befriedigt ebenso durch Klagabweisung wie durch Verurtheilung. Also nur soweit sich der Parteizweck mit diesem objektiven Prozesszweck deckt, ist er solcher. Diese Kongruenz lässt sich auch nicht dadurch herstellen, dass man der Klage bez. dem Abwehrantrage den egoistischen subjektiven Charakter abspricht und in ihnen die Willenserklärung findet, eine objektive gerichtliche, sei es bejahende oder verneinende Entscheidung herbeizuführen. Es soll nicht bestritten werden, dass derartige Unbefangenheit wirkliches Motiv des Prozesses sein kann, aber niemals ist sie Inhalt der relevanten Willenserklärung. Die Partei fordert niemals nur Entscheidung, sondern Entscheidung zu ihren Gunsten. Prozesszweck und Parteizweck sind also sorgfältig zu scheiden. Jener erschöpft sich im Urtheil bez. der Vollstreckung schlechthin; der Tarteizweck nur in dem der Partei günstigen Urtheile und dessen eventueller Vollstreckung. Der (Aufbau der Prozesswissenschaft hat auf der objektiven, nicht der subjektiven Zweckbestimmung zu erfolgen. Noch in besonderer Hinsicht unrichtig ist die Definition des Prozesses als der Form der Verwirklichung von P r i v a tree h tsa η Sprüchen. Es wird dadurch als Klag- und Prozessgegenstand der nach Verwirklichung strebende civile Anspruch bezeichnet. Aber weder der eine noch der andere ist nothwendig ein solcher Anspruch des Klägers. Der Beweis dieses Satzes bleibt dem folgenden Paragraphen vorbehalten. 5

Allerdings kann Prozess ohne solchen sein: so dann, wenn der Beklagte den Klaganspruch anerkennt.

1.

6

Die Prozessordnung

. der Prozesszweck.

III. Der Prozesszweck findet Mittel und Form seiner Erledigung im U r t h e i l und in der V o l l s t r e c k u n g . Daher spielt deren verschiedene Auffassung in die Begriffsbestimmung hinein. 1. Der Prozess ist Rechtsschutzordnung. E r s o l l n i c h t o b j e k t i v e s Recht schaffen, s o n d e r n Recht bewähren. Das Urtheil ist nicht Gesetz, sondern Gesetzesanwendung. |Die konkrete Rechtslage gilt es nach Maassgabe des objektiven Rechts zu erkennen und zur Geltung zu bringen; nicht gilt es, für sie ein neues objektives Recht zu geben. Dem stellt sich die Ansicht entgegen, dass das Urtheil Gesetz, lex specialis sei 6 . Aber man schliesst fehlerhaft aus der gesetzesähnlichen Wirkung auf die Gesetzesursache. Gleiche Wirkungen berechtigen nicht zum Rückschlüsse auf gleiche Ursachen. Die bindende Kraft kommt dem Urtheile ähnlich wie dem Gesetz zu, aber nicht überall, wo solche bindende Kraft ist, ist Gesetz; andernfalls wäre Rechtsgeschäft, Schiedsspruch auch Gesetz und Gesetz jeder bindende (Befehl des Vorgesetzten. Ueberdies ist die Wirkung nur gesetzesähnlich, nicht gesetzesgleich. Wäre letzteres der Fall1, so müsste das Urtheil in seiner speciellen Normirung allseitig anerkannt werden. In der That aber beschränkt sich seine Anerkennung nur auf diejenigen Personen, für welche es gefällt ist (res iudicata ius facit inter partes). Man irrt ferner, wenn man aus der Natur des Urtheils als Staatsausspruches die Gesetzeseigenschaft folgert. Unser Staatsrecht unterscheidet scharf den Akt der staatlichen Gesetzesanwendung und der Gesetzgebung und basirt die ganze Gerichtsverfassung, das Princip der Unabhängigkeit der Rechtspflege auf diese Unterscheidung. Man i n t endlich, wenn man aus der Neuheit der individuell in Anwendung zu bringenden, durch Kombination zu gewinnenden Norm auf die rechtschöpferische Thätigkeit des Richters schliesst. Er schöpft auch hier die konkrete Norm aus dem objektiven Rechte in Anwendung auf den Thatbestand ; denn dieses besteht nicht in einzelnen zusammenhangslosen Sätzen, sondern in deren Kombination und Einheit. Die richterliche Thätigkeit ist also die oft höchst komplicirte des Interpreten in Verbindung mit konkreter Subsumtion 6

Wäre der Richter Gesetzgeber, so wäre ihm die „authentische" Auslegungseiner Willensäusserung folgerichtig nicht zu versagen. —|Das Urtheil des RG I I CS vom 4. Juli 1882 (Ε V I I 353) sieht nicht das Urtheil als Gesetz an, wennschon es seine Auslegung um deswillen — im Gegensatz zur Interpretation von Rechtsgeschäften — für revisibel erklärt, weil es „formelles Recht" schaffe. Der richtige Entscheidungsgrund ist m. E. übersehen. Er liegt in der Natur des Urtheils alsRechtspflegeakt.

1. Die Prozessordnung

. der Prozesszweck.

Schlussfolgerung und arbitrirender Feststellung, aber nie die des Gesetzgebers 7 . 7 Das Gesetz ist der ihn beherrschende, nicht der von ihm beherrschte Wille. Es ist also der zur Konkretisirung der Rechtsordnung mitthätige Wille dem gesetzgeberischen entgegengesetzt und die ihm beigelegte disponirende Kraft als eine qualitativ von der Gesetzgebung verschiedene, lediglich ausführende zu denken. — In neuerer Zeit hat sich eingehend mit dieser konkreten Rechtsnormirung beschäftigt B ü l o w (CA L X I I 93 Anm 72, L X I V 1 if., vgl. auch cless. Lehre von den Prozesseinreden und Prozessvoraussetzungen. Glessen 1868. S 3 Anm 3), und zwar, wie mich bedünken will, in wesentlicher Uebereinstimmung mit dem Gesagten (vgl. z. B. CA L X I V 17 Anm 9) und der bisherigen allgemeinen Meinung. Hieran dürfen doch wohl auch nicht beirren Aeusserungen, welche mit derselben in Gegensatz zu treten, zur Annahme einer Art abgeleiteten gesetzgeberischen Gewalt des Richters oder Einzelnen zu führen scheinen. So wenn B ü l o w , Prozesseinreden a. 0. mit vielen Anderen spricht vom Urtheil als einer lex specialis, wenn er CA L X I I 93 Anm 72 das Sprichwort: „die Obrigkeit ist ein lebendig ordnendes Recht, das Gesetz eine stumme Obrigkeit", bezieht auf den Richter, wenn er das individuelle Wollen der Einzelnen oder des Richters, welches das konkrete Reclitsverhältniss erzeugen hilft, als bevollmächtigtes Hilfsorgan des objektiven Rechts denkt (vgl. auch CA LXIV 88 ff. 92. 108). Das objektive Recht wird nicht in „konkreter Rechtsnorm" ergänzt, entwickelt, es wird nicht im Willen des Richters oder Einzelnen eine ihm innewohnende, gesetzgeberisch anerkannte nomothetische Potenz geäussert, sondern das v o r h a n d e n e Recht auf den von ihm gedeckten Fall, sei es durch Herstellung eines Thatbestandes, sei es durch dessen urtheilende Subsumtion unter das Gesetz angewendet. Wird das Gewohnheitsrecht als „objektives a b s t r a k t e s Recht" auf die Quelle der Praxis, der „ k o n k r e t e n Rechtsnormirung" zurückgeführt ( B ü l o w , CA L X I V 84 ff.), so ist damit empirisch ein Werdegang des objektiven Rechts bezeichnet (vgl. unten § 14), dagegen nichts gesagt für die Qualität des Urtheils als lex specialis im eigentlichen Sinne. Wir haben innerhalb der Dogmatik nicht den empirischen, aus der Wirkung abstrahirten, sondern den der I d e e der Sache, i h r e m W e s e n a d ä q u a t e n , den sog. m e t a p h y s i s c h e n B e g r i f f (vgl. S i g w a r t , Logik I 271. 41 ff.) zu suchen. Die Verwirrung beider Betrachtungsweisen ist ein nicht seltener methodischer, Kontroversen und Missverständnisse erzeugender Fehler. Der „metaphysische" Begriff des Prozesses aber ist bei jedem Urtheil Rechtsanwendung, nicht Rechtsschöpfung, „freie Rechtsproduktion" (CA L X I I 94). Das Urtheil zweckt ideell nur ab und zweckte stets nur ab auf jene, nicht auf diese, und entnahm seine Kraft und Legitimation stets nur dieser seiner Zweckbestimmung. Hiermit werden die Ausführungen von S c h u l t z e , Privatrecht und Prozess. Stuttg. u. Tübingen 1883. S 95 ff. abgelehnt. Nach ihnen findet der Schöffe den Inhalt des Rechtssatzes und zugleich das konkrete (subjektive) Recht. „Der Richter gebietet den gefundenen Rechtsinhalt und zwar sowohl den Rechtssatz, als auch das aus ihm abgeleitete konkrete Recht." Das wird als Schaffen des Rechtssatzes durch Gebot, Sanktion und Promulgation desselben, Rechtsproduktion, bezeichnet (S 101. 114. 117 ff.) und in Folge dessen die Rechtsordnung nicht als Thatsache, sondern nur als Vorstellung, Illusion behandelt (S 105). Aber gerade diese Vorstellung entscheidet über das begriffsmässige Wesen der gerichtsbarkeitlichen (Schöffen- und Richter-) Thätigkeit.

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. der Prozesszweck.

2. T)er Prozess hat nicht den Zweck, Rechte ( s u b j e k t i v e s R e c h t ) zu schaffen, s o n d e r n den Z w e c k , Recht zu schützen. Die Bewährung des objektiven Rechts ist immer nur denkbar in Anwendung auf ein konkretes Lebensverhältniss. Seine vorhandene rechtliche Gestalt soll gegen Beeinträchtigung erhalten, nicht rechtlich neu gestaltet werden. Der Zweck des Prozesses ist nicht ein rechtsgeschäftlicher, wie immer man auch den Begriff desselben fasse. Denn dem civilen Rechtsgeschäft ist wesentlich die rechtsproduktive (aus dem objektiven Rechte abgeleitete) Kraft des individuellen Willens 8 . Solcher rechtsgeschäftlicher Wille kann nach den obigen Auseinandersetzungen nicht im Prozess verwirklicht werden. Denn was gewollt wird, ist das Gegentheil der Rechtsproduktion. Allerdings kommt dem Urtheil eine Art rechtsgeschäftlicher Wirkung zu; das ein Recht bejahende rechtskräftige Urtheil ist um seiner bindenden Kraft willen selbst rechtskonstituirender, verpflichtender ThatS e h u l t z e hätten seine eigenen Ausführungen über die Art. wie die Schöffen das Recht ausser sich, nicht in sich suchen (S 102 Anm 1. 2, S 103 Anm 1 ff.), hierzu führen sollen. Gewiss geben die Schöffen den „Rechtsinhalt" als ihre „Ueberzeugung", aber als Ueberzeugung von dem, was Rechtens ist, nicht von dem, was durch den Richter zum Rechtssatz erhoben zu werden verdient. Vgl. P l a n c k , Deutsches GVf I 311 f. 315 f. 317. Zurückzuweisen ist denn auch alles, was S c h u l t z e über die mangelnde zwingende Kraft eines deutschen objektiven, ausserhalb des Urtheils liegenden Rechts (S 111 ff.) sagt. Die berechtigte Selbsthilfe, die Gestalt des germanischen und deutschen Prozesses (vgl. S ο hm, Prozess der Lex Salica S 6. 11 ff.; H e u s l e r , Gewere. Weimar 1872. S 489 ff.; P l a n c k I I 236; m e i n Arrestprozess S 1 ff.) steht dem entgegen. — B i n d i n g , Ζ f. StRW I 14 geht aus von der Alternative des „Urtheils im logischen Sinne" (der rein wissenschaftlichen Thätigkeit) und der „Rechtssatzung im Sinne der lex specialis". Aber dazwischen liegt die autoritative Gesetzesanwendung. Vgl. Text unter I I I 3. Dass im Urtheil „authentische" Gesetzesauslegung stecke, ist schon deshalb nicht zuzugeben, weil die Gesetzesauffassung selbst nicht an der Rechtskraft Theil hat; dass der Richter „früher nicht vorhandene Pflichten erzeugt", ist gerade Folge der Gesetzesanwendung und theilt das Urtheil mit jedem Rechtsgeschäft (s. Text unter I I I 2); dass sich „die Unbestimmtheit des Gesetzes in bestimmten Rechtswillen umsetzt", postulirt das zu Beweisende, weil es den Richterwillen als gesetzgeberischen Willen voraussetzt Der „bestimmte Rechtswille" des Urtheils, der sich im Auswerfen der Strafart, des Strafmaasses, in jeder arbitrirenden Thätigkeit (Schätzung: CPO § 260) äussert, ist Anwendung des Gesetzes, welches das Ermessen zum Entscheidungsfaktor erhebt. Die bindende Kraft ist allein aus dem Gesetz. Der Richter ist also nicht Vertreter des Gesetzgebers, der für ihn, an seiner Statt will, sondern er ist Ausführer des Gesetzes. Er ist nicht Vertreter im gesetzgeberischen Wollen, sondern im gesetzanwendenden Wollen. 8 Es kann hier auf diesen Begriff nicht eingegangen werden. Vgl. W i n d s c h e i d § 69 und die dort. Ang. Ich habe m e i n e Ansicht kurz dargelegt in CA L X I V 238 ff. Vgl. unten § 6 und den Abschnitt über prozessuale Rechtsgeschäfte.

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bestand. Aber diese Wirkung macht es so wenig zum Rechtsgeschäft, wie seine bindende Kraft es zum Gesetz erhebt. Seiner Idee nach wirkt das Urtheil rechtskonstituirend nur, weil es vorhandenes Recht a n e r k e n n t . Und dieser Gedanke ist praktisch von grösster Erheblichkeit für die Datirung und den Inhalt des anerkannten Rechts, für das Verhältniss des prozessualischen Gebiets zu Grenzgebieten (s. unten § 6 ff.). Der Prozess ist Rechtsgeschäft weder in p r i v a t r e c h t l i c h e m , noch in p r o z e s s r e c h t l i c h e m Sinne. Prozessualisches Rechtsgeschäft kann er nicht sein, weil er sich nicht selbst Zweck, sondern nur Mittel zum Zweck der Privatrechtsbewährung ist. Er kann nicht gedacht werden als eine Willensbethätigung, welche auf eine über sie hinausliegende prozessualische Rechtswirkung abzielt. Es giebt kein subjektives prozessualisches Recht, welches zu begründen, Aufgabe des Prozesses wäre. Der Begriff des Prozesses als eines prozessualischen Rechtsgeschäfts ist also ein innerer Widerspruch 0. An diesem Resultat darf nicht beirren, dass Rechtsgeschäfte, sowohl privatrechtliche wie prozessualische, im Prozess vorkommen 10 und dass es prozessuale Rechtsgeschäfte, d. h. auf lediglich prozessuale Rechtswirkung abzielende Rechtsgeschäfte ausserhalb des Prozesses giebt. 3. Der Zweck des Prozesses i s t n i c h t ein t h e o r e t i scher, sondern ein p r a k t i s c h e r . Nicht „Erkenntniss", „Vergewisserung" von objektivem und subjektivem Recht, sondern Rechtsbewährung durch autoritative Feststellung bez. Vollstreckung wird erstrebt. Das Gericht ist der Mund, nicht das „Mundstück" des Gesetzes; der abstrakt ausgesprochene Wille kommt im Urtheil zum konkreten Ausdruck. Sein Inhalt muss demnach Willensausdruck, Ausdruck des Gesetzeswillens sein. Das Urtheil im Prozess bindet nicht kraft seiner Wahrheit, als Ausfluss des Sachverstandes, sondern in Folge seiner autoritativen Eigenschaft, als Ausfluss der Amtsgewalt, Staatsgewaltn. 9

Dieses logischen Fehlers macht sich schuldig S c h u l t z e , Das deutsche Konkursrecht. Berlin 1880. S 139 Anm 1 ; Privatrecht und Prozess S 48 ff. Vgl. gegen ihn B ü l o w , CA L X I V 24 Anm und die dort. Ang. S c h u l t z e s Bemerkungen in der zweitangeführten Schrift ruhen auf der Annahme, dass aus dem Vorkommen von Rechtsgeschäften i m Prozess geschlossen werden dürfe auf die rechtsgeschäftliche Natur des Prozesses. 10 Vgl. einstweilen meine ang. Abh. CA L X I V 241 ff. 11 Dieser Gedanke ist richtig auch dort, wo die Gerichtsorganisation auf der Theilung der gerichtsbarkeitlichen Funktionen ruht, gleichviel ob diese Theilung

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4. Aber i r r t h ü m l i c h w i r d Zweck und Wesen des P r o zesses i n der u r t h e i l s g e m ä s s e n d. h. u n a n f e c h t b a r e n F o r m u l i r u n g des Rechts g e s u c h t 1 2 . Denn einerseits ist nicht ist nur eine stoffliche Spaltung der Urtheilsfunktion in Beziehung auf das Sacliurtheil — wie im Geschworenengericht —, oder eine Scheidung von Urtheilen und Richten — wie im germanisch-deutschen Prozess —, oder ein Gegensatz des rechtspflegenden Magistrats und des Iudex — wie im römischen Verfahren. Die Urtheilsfindung oder der Theil derselben, welcher hier nicht dem Beamten im eng. S. („Richter", „Magistrat") zufällt, darf nicht als Sachverständigenfunktion, als eine reine Bethätigung des Schlussvermögens gedacht werden ; sie ist verfassungsmässige Mitwirkung zum Zustandekommen des relevanten Willens, gleichviel ob sie ihm nur den Inhalt oder zugleich die Form giebt und ihn erklärt. Sowenig der Iudex sein Amt ableitet aus der magistratlichen Amtsgewalt, er nicht Mandatar oder Delegatar des Magistrats ist, sondern eine verfassungsmässig dem Magistrat entzogene Funktion übt, sowenig der Schöffe sein Amt aus dem des Richters, der Geschworene aus dem des Gerichts ableitet, ebenso wenig darf ihr Urtheil, Verdikt gedacht werden als wirksam nur durch die ihm innewohnende Wahrheit oder Ueberzeugungskraft. Anders stand's mit (1er Funktion der durch Aktenversendung um Consilium, Urtheil angegangenen physischen oder juristischen Person. Sie bildete zu keinem Theil ein verfassungsmässiges Organ der Gerichtsbarkeit; sie wirkte an deren Ausübung schlechthin nicht mit; die richterliche Funktion lag ganz und ungetheilt beim aktenversendenden Gericht. Das Votum der Konsiliarperson war nicht mehr als der Beirath, welchen sich der allein urtheilende Richter schon nach altgermanischem oder römischem Kaiserrecht aus seinem Umstand, Consilium erbat. Das beweist zumal die interessante und noch immer nicht genügend dargestellte Geschichte der Aktenversendung in Italien, welche in Verbindung mit dem „Zug an die reinere Rechtsquelle" der Thätigkeit der Oberhöfe die historische Wurzel des deutschen Aktenversendungsrechts ist. (Vgl. für Italien W e t z e l l § 44 Anm 43. 44; H o l t i u s, Commentatio de consilio sapientis et de transmissione actorum. 1850 ; m e i n Arrestprozess S 193; F i c k e r , Forschungen zur Reichs- und Rechtsgesch. Italiens. Innsbruck 1870. I I I Nr 567. 579. 581 ff. 586 ff. 596. 601 ff.; für Deutschland S t o b b e , Gesch. d. deutschen Rechtsquellen I 277 ff. 629 ff., I I 63 ff; S t ö l z e l , Kntwickelung des gelehrten Richterthums. Stuttgart 1872. S 187—231; Seeger, Die strafrechtlichen consilia Tubingensia. Tübing. 1877; v. S t i n t z i n g , Gesch. der deutschen Rechtswissenschaft. München 1880. I 64 f.; S c h u l t z e , Privatr. S 28 ff. 127 ff'. 193 ff.) Die Bindung des Richters an den Versendungsantrag und an den Spruch — eine bereits mittelalterlich - italienische Einrichtung — schafft weder mandatum iurisdictionis, noch „beschränkte Gerichtsbarkeit" für die Konsiliarperson. Sie ist nur ein Satz darüber, wie der Richter seine Gerichtsbarkeit auszuüben habe. Er spricht „nach eingeholtem R a t h der Rechtsverständigen", prehabitato consilio. „Raths pflegen", nicht „Rechts pflegen" ist das Wesen der Sache. Anders B ü l o w , CA L X I V I f f . ; vgl. S c h u l t z e a. O. und die Juristenfakultät Halle in Ζ f. CP V 172 ff. 12 S c h u l t z e , Das deutsche Konkursrecht S 147 ff: „Das Wesen des Civilprozesses beruht . . . allein in der formellen rechtskräftigen Feststellung von subjektiven Rechten, von Rechtsverhältnissen, oder — in beschränktem Umfang — selbst von rechtserheblichen Thatsaehen, in der unanfechtbaren Formalisirung kon-

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. der Prozesszweck.

überall Prozess, wo diese das Ziel und den Inhalt der Handlungen bildet, und andererseits ist Prozess, wo sie nicht das Ziel bildet. Rechtsgeschäftliche Thätigkeit kann solche unanfechtbare Formulirung bezwecken und erreichen. So der Schiedsvertrag, das auf ihm ruhende receptuiu arbitri und das durch Vereinbarung geregelte Schiedsverfahren (s. unten £ 7); so Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 6). Der Prozess zweckt nicht schlechthin ab auf unanfechtbare Rechtsformulirung. Er thut es nicht in der Form der exekutivischen (sogen, summarischen) Prozessarten, nicht im Konkursverfahren, nicht bei der Klage auf Vollstreckungsuitheil 13 oder auf Ertheilung der Vollstreckungsklausel14. Hier wird Vollstreckung, nicht definitive Entscheidung erstrebt. 5. Es wäre e n d l i c h i r r i g , den Zweck des Prozesses aufgehen zu lassen i n dem V o l l s t r e c k u n g s z w a n g ; denn dieser ist nur einer seiner Zwecke. Er fällt selbst als möglicher Erfolg fort, wenn sog. „Feststellung" (im Gegensatz zur Verurtheilung) Klagezweck ist. Er fällt aus, wo die Klagabweisung dem objektiven Prozesszwecke entspricht, und ist auch im Falle der Verurtheilung nur eventueller Zweck 15 . Der Leistungsklage wohnt er als solcher immer inne, als principaler dann, wenn die Klage unmittelbar auf eine richterliche, den erwünschten Zustand herstellende Handlung gerichtet ist is. unter IV 1). IV. Der Prozesszweck, die rechtsordnungsmässige konkrete Privatrechtsbewährung, w i r d e r f ü l l t 1. durch das U r t h e i l , die richterlich - autoritative Feststellung des den Prozessgegenstancl bildenden Rechtsverhältnisses. Sie ist je nach der Richtung, in welcher die Partei Urtheilsschutz begehrt, nur F e s t s t e l l u n g im engeren Sinne (Feststellungsurtheil) d. h. nicht kreten Rechtes". Die Folgenschwere für die Scheidung von streitiger und freiwilliger Gerichtsbarkeit erhellt u. a. aus ECPO § 3. 14. 13 CPO § 660. 661. 868. Diese will schlechthin nicht materiell rechtskräftige Entscheidung. Der Anspruch steht rechtskräftig fest (exceptio rei iudicatae); es gilt, ihm die Kraft des Staatsbefehls an die staatlichen Vollstreckungsorgane zu geben. S. unt. § 19. 14 Sie will nicht nur rechtskräftige Formulirung des Rechts, sondern mehr: die Vollstreckungsanordnung. 15 Das würdigt wohl nicht genug L a b a n d , Staatsrecht des Deutschen Reichs. Tübing. 1880. I I I 23 if. Seine Identificirung der „Aussicht auf Vollstreckung" mit dem „Zwang", zumal in Beziehung auf „Feststellungsurtheile" (CPO § 231, a. 0. S 25 Anm 3) ist mir nicht klar. In einnn andern Sinne gegen ihn S c h a n z e in Ζ f. StRW IV 443.

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auf Zukünftiges, Zustanclsveränderung und dergl. abzielende urtheilsgemässe Rechts-Bejahung oder -Verneinung; oder sie ist V e r u r t h e i l u n g , die einen Vollstreckiuigstitel gewährende Auflage einer Leistung, Handlung, Duldung, Unterlassung, die das Recht zur unmittelbaren zwangsweisen Veränderung des Zustande (Vollstreckung) begründende Sentenz; oder sie ist endlich der sofort den beanspruchten Erfolg ohne Vollstreckungshandlung mit dem Eintritt der Rechtskraft herstellende Ausspruch. Letzteres, wenn es sich lediglich um Rechtsnormirung, nicht um ΤhatbestandsVeränderung handelt, ζ. B.: um Supplirung, eines Konsenses, Aufhebung eines Rechtsverhältnisses, Liberation, Aufhebung eines Schiedsspruchs (CPO § 867. 870), Ehescheidung, Auflösung einer Genossenschaft nach § 35 des RGes v. 4. Juli 1868, Entziehung eines Rechts, wie nach RBankges. ν. 14. März 1875 § 49. 50 1(i . Keiner Vollstreckungsmaassregel bedarf das die Verpflichtung zur Willenserklärung aussprechende Urtheil (CIO § 779). In die Vollstreckung greift ausdrücklich hinüber das verurtheilende Erkenntniss, insofern als es die Vollstreckungsklausel anordnet oder vorläufige Vollstreckbarkeit ausspricht oder Strafen nach CPO § 775 Abs 2 droht; stillschweigend enthält jedes verurtheilende Erkenntniss den Vollstreckungsbefehl, sobald es die Rechtskraft besitzt 17 . Feststellungsurtheil ist möglich nicht nur als Folge der Feststellungs-, sondern auch der Leistungsklage. Das diese abweisende Sachurtheil ist stets Feststellungsurtheil. 2. Durch die V o l l s t r e c k u n g s m a a s s r e g e l . Solche dient nicht nur dem Urtheil, geschweige denn nur dem rechtskräftigen Urtheil, sondern jedem sog. Vollstreckungstitel. Sie dient als provisorische Maassregel, Sicherheitsmaassregel, in der Form des Arrests und der einstweiligen Verfügung. § 2. Gegenstand des C i v i l p r o z e s s e s . I. Der Gegenstand des Civilprozesses ist der seiner Wesensbestimmung entsprechende Gegenstand; also nicht derjenige, welchen thatsächlich und im Widerspruche mit derselben die Partei zum Prozessgegenstande machen will. Klaggegenstand ist nicht schlechthin Prozessgegenstand. Die Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs besagt , dass das geltend gemachte Recht nicht geeignet ist, Prozessgegenstand zu sein. 16

Vgl. Ζ f. CP V I I I 496. 501. Vgl. auch W e i s m a n n , Die Feststellungsklage. Bonn 1879. 8 33 ff. 39 ff. 43 ff. 141 ff. Ungenügend Schanze a. 0. 17

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Wir sprechen von Civilprozesssache, bürgerlicher Rechtsstreitigkeit, im Gegensatz einmal gegen die Rechtssache, welche, obschon Justizsache, nicht zur civilprozessualen Erledigung geeignet ist (Strafsache) und sodann im Gegensatz gegen die Prozesssache, welche nicht zum Rechtsweg geeignet ist (Verwaltungssache)1. II. Der Gegenstand des Prozesses ist e i n P r i v a t rech t s v e r h ä l t n iss, d. h. ein Verhältniss von Personen, kraft dessen sie sich als privatrechtlich berechtigt und verpflichtet gegenüberstehen 2 . Der denkbaren Mannigfaltigkeit desselben entspricht die des Prozessgegenstands. Das Rechtsverhältniss ist Prozessobjekt nur in den Grenzen, in welchen der prozessuale Rechtsschutz in Anspruch genommen wird. Dafür ist bestimmend die Klage; der Prozessgegenstand wird solcher nur als Klaggegenstand8; daher entscheiden die denkbaren Klagtypen über Umfang und Richtung, in welchen Privatrechtsverhältnisse Gegenstand des Prozesses sein können. Zwei Klagtypen kommen in Frage, die Fe s ts t e l l u n g s - und die V e r u r t h e i lungs- (Leistungs-) K l a g e , jene gerichtet auf positive oder negative Feststellung eines Rechtsverhältnisses bezw. Rechts (CPO § 231), diese gerichtet auf richterliche Feststellung eines befriedigungsbedürftigen Rechts, auf Verurtheilung. Aus der Natur der Feststellungsklage4 folgt, dass das a k t i v e oder passive S u b j e k t des Rechtsverhältnisses ebenso der Kläger wie der Beklagte sein kann. Der Kläger macht das Recht entweder als eigenes geltend oder leugnet es als fremdes. Obsclion also formell die 1

Vgl. hierüber unten § 8. Die Klage auf Feststellung einer Thatsache : der Echtheit oder Uncchtheit einer Urkunde CPO § 231 bildet keine Anomalie. Ihr Gegenstand ist ein privatrechtliches Verhältniss nicht zwecks seiner Aburtheilung, sondern zwecks seines Schutzes durch Wahrung, Sicherung eines Beweisinteresses. Wie die Klage auf Ausstellung einer Urkunde (vgl. W e i s m an η S 58 ff. 93), auf Herausgabe einer solchen, dient die Klage auf Anerkennung der Echtheit der Urkunde mittelbar dem materiellen Recht, macht dieses mittelbar geltend. Ihr Widerspiel ist die Klage auf Feststellung der Unechtheit. Vgl. unten die Lehre von der Klage. 2

* Auf die eigenartige Kompensationseinrede ist an dieser Stelle nicht einzugehen. Die Widerklage ist Klage. — Die Bedeutsamkeit des Satzes im Text springt in die Augen: er normirt den Umfang der res in iudicium deducta, der Rechtshängigkeit, Rechtskraft. Aus ihm folgt, dass die abstrakte negative Feststellungsklage alle erdenklichen Rechtsgründe, Erwerbsgründe des verneinten Anspruchs in iudicium deducirt. Vgl. einstweilen m e i n e Vorträge S 24 Anm und dazu den unzutreffenden Einwurf von H e l l m a n n , Lehrbuch S 389 f. 4 TJeber welche das Nähere bei der Lehre von der Klage.

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Klage stets Angriff ist, kann sie materiell Verteidigung sein5. Es ist eine Frage der Initiative, ob der angeblich Berechtigte oder der angeblich Verpflichtete als Kläger zur Rechtsbewährung oder Rechtsabwehr mit positiver oder negativer Klage auftritt. In dem einen wie in dem andern Falle wird dasselbe Recht zum Gegenstande des Prozesses gemacht. Der Prozessgegenstand ist entweder ein e i n - oder ein mehrs e i t i g e s R e c h t s v e r h ä l t n i s s , d. h. ein solches, bei welchem nur einer der Berechtigte, der andere der Verpflichtete ist, oder beide sich als Berechtigte und Verpflichtete gegenüberstehen. Aber auch dann, wenn ein an sich zweiseitiges Rechtsverhältniss den Grund der Klage bildet, wird es gewöhnlich nur einseitig zum Prozessgegenstand gemacht. Das egoistische Interesse des Klägers lässt es ihm der Regel nach als wesentlich erscheinen, sein subjektives Privatrecht zu verfolgen bezw. seine Rechtspflicht, das subjektive Recht des Beklagten zu verneinen. Die begriffliche Einheit des Rechtsverhältnisses hindert nicht, aus demselben zum Zwecke der prozessualen Erledigung Theile herauszuschälen. Aber es kann auch sein, dass der Kläger mit seinem Recht z u g l e i c h seine P f l i c h t u r t h e i l s m ä s s i g b e j a h t wissen w i l l ; letzteres natürlich im Sinne der Feststellung, nicht im Sinne der Verurtheilung; das schon deshalb nicht, weil der Kläger seinem Gegner das Recht nicht aufdrängen kann. Eine solche Klage zur Feststellung des zweiseitigen Rechtsverhältnisses liegt in der Klage auf Leistung gegen Gegenleistung6, in der Klage, welche lediglich Feststellung der beiderseitigen Rechte und Verpflichtungen, der Existenz des Rechtsverhältnisses bezweckt7. Der Prozessgegenstand kann ein A n s p r u c h des K l ä gers sein, er muss es n i c h t s e i n 8 . Der klägerische civile 5 Jeder Klagabweisungsantrag i n der Sache ist materiell nichts anderes als der negative Feststellungsantrag mit Beziehung auf die in der Klage auftretende Rechtsberühmung. β Die Verurtheilung des Beklagten ist abhängig gemacht von der Gegenleistung nicht in dem Sinne, dass der Kläger zu letzterer v e r u r t h e i l t werde— denn eine Vollstreckung gegen ihn giebt es nicht —, wohl aber in dem Sinne, dass seine Verpflichtung zur Gegenleistung rechtskräftig festgestellt werde. 7 Eine sehr vulgäre, aber theoretisch unbeachtete Erscheinung. Der Kläger klagt auf Feststellung der Existenz des Kauf- oder Miethverhältnisses u. dgl. Es wird dieselbe bejaht. Bejaht ist das Recht des Klägers und das des Beklagten; denn beides liegt im zweiseitigen Rechtsgeschäft eingeschlossen. Ueber einen besonderen Fall, die Theilungsklage, s. unten bei der Lehre von den Parteien. 8 Die hergebrachte Anschauung steht dem entgegen und hat neue Nahrung durch die Terminologie der CPO empfangen. S. über diese unten § 23.

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Gegenstand des Civilprozesses.

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Anspruch im Sinne des subjektiven, befriedigungsbedürftigen Rechts1', des rechtlichen Begehrens einer Leistung, eines Handelns, Duldens, Unterlassens, ist nur ein denkbarer Gegenstand der Klage. Noch weniger freilich ist der Prozessgegenstand der Anspruch, dass niemand sich mit dem Rechte des Klägers in Widerspruch setze, dasselbe verletze 10 . Dieser generelle, gegen alle gerichtete Anspruch ist nur subjektivirte Formulirung des nackten Normenschutzes, also nur die negative Seite des subjektiven Rechts, ohne die den rechtlich verfolgungsfähigen Anspruch kennzeichnende Richtung gegen eine bestimmte Person 11. 9

Für eingehende Erörterungen Uber den viel besprochenen Begriff des subjektiven Rechts und des Anspruchs ist hier nicht Raum noch Gelegenheit. Zur Kennzeichnung meines Standpunkts verweise ich auf Grünhut V I 551 ff. Hier nur einige Bemerkungen: J l i e r i n g s „rechtlich geschütztes Interesse" erfasst Motiv und Wirkung der Sache, aber nicht die Sache. Es kann gegenüber unseren Ergebnissen über den Rechtsschutzanspruch, s. Text Nr IV, nicht bestehen. Vgl. auch T h o n , Rechtsnorm S 218 ff. 288 ff.; B i e r l i n g , Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe. Gotha 1883. I I 58. Auch D e r n b u r g s Begriff, Pandekten § 39: „Recht im subjektiven Sinne ein dem Individuum nach der Rechtsordnung zustehender Antheil an den Lebensgütern", haftet an der wirtschaftlichen Seite und stellt nicht klar, welche Rolle hierbei der Rechtsordnung zufällt (Schutzordnung? konstitutive Rechtsordnung?). Alle Einwendungen, welche gegen die Willenstheorie (vgl. B i e r l i n g S 34) beigebracht werden, verfangen nicht genügend (v. S a v i g n y , System I 7: W i n d s c h e i d I § 37). Die subjektivirte Norm ( B i e r l i n g S 69.349, vgl. auch T h o n S 152. 223 und gegen ihn B i n d i n g , KrV X X I 561 ff.) ist, wenn Norm WTille ist, der für den Einzelnen daseiende und deshalb ihm subjektiv beigelegte, subjektivirte maassgebende Wille. Aus der Trennung der Rechts- und Handlungsfähigkeit, dem Haben von Rechten seitens Willensunfähiger und der Möglichkeit gesetzlicher Stellvertretung (vgl. J h e r i n g , Geist des röm. Rechts I I I § 60 ff.; D e r n b u r g S 86) folgt nichts gegen das „maassgebende Wollendürfen". Denn maassgebend wollen dürfen und wollen können, das Recht zu gebieten und das tatsächliche Ausüben des Rechts sind zweierlei. Wo aber jenes beigelegt werden soll, muss gesorgt werden, dass dieses sei. Daher die gesetzliche Ergänzung mangelnder Handlungsfähigkeit (Vertretung). Sie folgt vernünftigerweise aus dem Wesen des Rechts ; denn es ist nicht vernünftig Rechte zu geben, welche nicht geübt werden können. Daher giebt das Recht höchstpersönliche Rechte und Pflichten, d. h. solche, welche durch Vertreter nicht geübt werden können, dem Handlungsunfähigen nicht (vgl. B i n d i n g , Normen I I 52 ff.) S. auch unten § 15. 10 Vgl. B i e r l i n g I I 46. 176, auch W i n d s c h e i d I § 43, und dagegen D e r n b u r g I 87 ff. Anm 5; W e i s m a n n , Hauptintervention. Leipzig 1884. S 43 Anm 5 a. E. 11 Besonders deutlich wird die Hohlheit dieses angeblichen generellen, abstrakten Rechtes angesichts der Feststellungsklage und der Thatsache, dass nach rechtskräftiger Feststellung die Rechtsberühmung oder Rechtsnegation des Gegners nicht mehr durch Klage verfolgt werden kann. Vgl. auch unten Anm 14.

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Gegenstand des Civilprozesses.

Ein klägerischer civiler Anspruch ist allemal Gegenstand der positiven Leistungsklage, niemals Inhalt der negativen Feststellungsklage 12 . Ob das durch diese negirte und in Folge dessen zum Prozessgegenstand gewordene Recht ein Anspruch des Beklagten gegen den Kläger ist, bleibt hier ausser Frage. Wer Rechtsanmaassung behauptet, daher rechtskräftige richterliche Verneinung des berühmten Rechts fordert, behauptet keinerlei eigenen Anspruch gegenüber dem Gegner, weder auf Leisten (Sicherung), noch auf Handeln (Anerkennung der Nichtexistenz des Rechts), noch auf Unterlassen (der Berühmung), noch endlich auf Dulden (etwa des klägerischen Leugnens der Existenz oder gar auf Dulden des Urtheilserlasses oder der Urtheilswirkungen) 13. Denn unter allen Umständen würde damit die 12

Dabei wird, wie ersichtlich, hier wie im Folgenden nicht „Anspruch" identiftcirt mit subjektivem Recht schlechthin (so L o e n i n g , Widerklage. Berlin 1881. S 184), sondern mit befriedigungsbedürftigem subjektiven Recht. 13 D e n A n s p r u c h a u f S i c h e r u n g findet in ihnen D e g e n k o l b , Einlassungszwang und Urtheilsnorm. Leipzig 1877. S 175. 203. 227 (vgl. gegen ihn u. a. W e i s mann, Feststellungsklage S 151 if.; F ö r s t e r - E c c i us, Pr. PrR I 259). Sicherung ist gesetzgeberisches Motiv und der erstrebte Effekt, aber nicht der Inhalt eines „materiellen" Feststellungsanspruchs. D e g e n k o l b selbst führt dafür den Beweis. Es giebt keinen „materiellen" Feststellungsanspruch. Nach P l o s z , Beiträge zur Theorie des Klagerechts. Leipzig 1880. S 162 ff. ist der Feststellungsanspruch A n e r k e n n u n g s a n s p r u c h (S 169), welchen er dem allgemeineren Begriff des Sicherungsanspruchs unterordnet. Aber eine „Anerkennungspflicht", eine Pflicht auf Anerkennung durch öffentliche Urkunde folgt nicht aus dem Bestreiten oder Berühmen und sollte durch die CPO nicht geschaffen werden. Das Urtheil enthält keine Verurtheilung zur Anerkennung und kann nicht durch „Anerkennung" abgewendet werden (CPO § 277. 278). P l o s z ' Versuch des Gegenbeweises ist misslungen und gerade durch die als „ähnlich" herangezogene Vorschrift CPO § 779 widerlegt. Anerkennungsklage ist nicht Feststellungsklage. Vgl. L o e n i n g , Widerklage S 190; W e i s m a n n S 136 ff. — Ein Anspruch auf D u l d e n des U r t h e i l s e r l a s s e s wäre rein prozessualisch (s. unten Nr IV. V). Als Anspruch auf Dulden der Urtheilswirkungen denkt W e i s m a n n in seiner scharfsinnigen, gedankenreichen und fruchtbaren Schrift über die Hauptintervention § 20. 21 den Feststellungsanspruch. Er ist ihm ein Fall seines „Klaganspruchs"; dieser selbst privatrechtlich (S 77) das Recht in seinem Streben nach den ihm zukommenden Urtheilswirkungen ; bei der negativen Feststellungsklage verneint er das also strebende Recht und schwindet der Klaganspruch, Feststellungsanspruch ein in den Anspruch auf materielle Rechtskraft des Urtheils zwecks Sicherung des Zustandes (Anm 7). Aber die privatrechtliche Natur des Anspruchs soll bleiben. Ich habe, wie unten näher zu begründen (Nr IV. V) dreierlei auszusetzen: 1. dass W e i s m a n n zu keinem einheitlichen Klagbegriff („Klaganspruchsbegriff") kommt; einmal ist der Klaganspruch Ausfluss des Rechts und um deswillen privatrechtlich (S 77), das andere mal ist er es nicht und doch privatrechtlich (Anm 7) ; 2. dass die Anknüpfung publicistischer Ansprüche an privates Recht nicht hervorgehoben und demnach der

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2. Gegenstand des Civilprozesses.

negative Feststellungsklage den Zweck eines zukünftig zu realisirenden Verhaltens verfolgen. Davon aber ist bei ihr schlechterdings nicht die Rede. Ihr Zweck erschöpft sich im rechtskräftigen Urtheil. Dieses bejaht hier ebensowenig ein subjektives privates Recht in seiner Anspruchsqualität, wie es ein Sachurtheil thut, welches die Leistungs- oder positive Feststellungsklage rechtskräftig abweist. Die positive Feststellungsklage bezweckt nicht Anspruchsbewährung. Denn obschon sie nicht durch den Umstand ausgeschlossen wird, dass ein Anspruch besteht, so macht sie ihn doch nicht geltend. Nicht Leistungsbegehren, sondern Feststellung des Rechts, abgesehen von jeder Zustandsveränderung, ist ihre Richtung. Der also Klagende zeigt, dass ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse besteht ohne Leistungsbegehren, dass bei Möglichkeit desselben das Nichtleisten an und für sich nicht dem berechtigten Willen widerspricht, oder doch schon auf Grund der Feststellung allein die freiwillige Leistung erhofft wird, oder irgend ein Hinderniss der Verurtheilung entgegensteht14. Vollends „anpublicistische „Klaganspruch" verkannt wird; 3. dass ein „Erdulden" der materiellen Urtheilswir k l i n g e η angenommen wird. Diese bestehen beim Feststellungsurtheil lediglich in der Vorstellung der materiellen Rechtskraft, und Vorstellungen losgelöst von der verwirklichenden Handlung (Anm 27) kann man nicht erdulden. Dass ein Anspruch auf Anerkennung dieser Urtheilswirkungen, Unterlassen der „Berühmung" u. dgl. nicht annehmbar, liegt auf der Hand. — H e l l m a n n , Lehrb. S 376 ff. vertritt den Sicherungsanspruch nicht ohne Verwechslung des materiellen Anspruchs und des unter Nr IV darzulegenden Rechtsschutzanspruchs. 14 Es ist zu unterscheiden: 1. Die Leistungsklage gerichtet auf pure existenten A n s p r u c h in der Form der Feststellungsklage („bitte festzustellen, dass der Beklagte schuldig ist zu zahlen"); 2. die Leistungsklage in Form der Feststellungs- oder Verurtheilungsklage gerichtet auf nicht pure existenten (bedingten, betagten) A n s p r u c h ; 3. die Feststellungsklage gerichtet auf das R e c h t s v e r h ä l t n i s s während purer oder noch nicht purer Existenz des Anspruchs. — ad 1. Es versteht sich von selbst, dass der Gebrauch des Wortes „feststellen" der Klage nicht den Charakter, dem Urtheil nicht eine Verschiedenheit der Wirkung giebt. Es giebt Verurtheilungsklage und Verurtheilung in „Feststellungs"-Form („der Beklagte wird verurtheilt", „er ist schuldig", „es wird festgestellt, class der Beklagte zu zahlen schuldet"). — ad 2. Es ist daher weiter anzunehmen, dass nicht nur die Verurtheilung, sondern auch die „Feststellung" eines Anspruchs („der Beklagte ist schuldig") d. h. realisationsbedürftigen Rechts Verurtheilung, Vollstreckungstitel selbst dann ist, wenn sie noch nicht alle Elemente für die Befriedigungsbedürftigkeit, die unmittelbare Vollstreckbarkeit enthält, sei es dass noch nicht die Fälligkeit eingetreten ist oder die Leistung vom Eintritt einer Bedingung abhängt, wenn nur die U r t h e i l s f o r m e l selbst unter der Voraussetzung des Eintritts die Leistungspflicht ausspricht (CPO § 664—667. 672; vgl. B ä h r , Urtheile des Reichsgerichts. München 1883. S 156f.; R o c h o l l , Ζ f. CP V I I I 353f. — And. Mein. F ö r s t e r , das. S 128 bis 142. — ad 3. Besteht nur Feststellungsinteresse, so kann die Klage auf das R e c h t , Binding, Handbuch. IX. 2. I : W a c h , Civilprozess. I.

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spruchslos" tritt die Feststellungsklage auf. wenn es gilt, das Recht an sich, ohne mögliches Leistungsbegehren — das dingliche Recht an sich, gegenüber dem dasselbe bestreitenden, aber nicht thatsächlich beeinträchtigenden Beklagten —, das Forderungsrecht an sich, nicht gegenüber dem Verpflichteten, zur Feststellung zu bringen. Sonach bildet ein subjektives Recht des Klägers den Klaggegenstand entweder als ein Befriedigung suchendes (Anspruch) oder abgesehen von solchem Begehren. III. Der Gegenstand des Prozesses ist nicht nothwendig ein s t r e i t i g e s Rechtsverhältniss. Allerdings sprechen mit Vorliebe die Reichsjustizgesetze von „ S t r e i t gegenständ ", s t r e i t i g e m Rechtsverhältniss", bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten 1 ' als Prozessobjekt. Aber die Meinung ist keine andere, als sie dem alten gemeinrechtlichen Sprachgebrauch innewohnt, nach dem man von Litispendenz im Augenblick der Klagzustellung redete und die Rechtsparömie aufstellte: „Lite pendente nil innovetur." Der Sprachgebrauch folut hier, wie oft, der Regelerscheinung. Damit Prozess und Prozessgegenstand sei, ist ein Bestreiten weder vor dem noch in dem Prozess erforderlich. Die Thatsache der Nichtbefriedigung des befriedigungsbedürftigen Rechts genügt zum Rechtsschutzbedürfniss (s. unten unter IV). Fs ist Prozess und demnach Prozessgegenstand auch dann vorhanden, wenn der Beklagte auf die Klage ohne jedes Bestreiten „anerkennt", wenn der Kläger vor der mündlichen Verhandlung oder sofort in derselben die Klage zurückzieht oder diese wegen Unzulässigkeit abgewiesen werden nicht das Rechtsverhältniss in seiner begehrlichen Richtung (Anspruch) gestellt werden und ist dann n i c h t Vollstreckungstitel: z. B. K l ä g e r will Feststellung des Eigenthums, vindicirt nicht, obschon Beklagter besitzt: er ist schadensersatzberechtigt, fordert aber nur Feststellung der Existenz, nicht der Höhe des Schadens ; er ist forderungsberechtigt auf Grund des Haftpflichtgesetzes, aber der die Verpflichtung an und für sich bestreitende Beklagte hat bisher freiwillig ausreichende Unterstützung gewährt; ist forderungsberechtigt aus zweiseitigem Rechtsgeschäft, fordert aber nicht Leistung sondern nur Feststellung der Existenz des bestrittenen Rechtsverhältnisses, des Erloschenseins desselben (z. B. des Mietvertrags, aus dem Beklagter noch detinirt). S. oben Anm 7. Hier giebt das Urtheil weder dem siegenden Kläger noch dem Beklagten, dessen Recht aus dem b e s t e h e n d e n Rechtsverhältniss durch dessen Feststellung mit festgestellt ist, einen Vollstreckungstitel. Diese unter Nr 3 erwähnte ist die e c h t e , eigentliche Feststellungsklage. Vgl. auch R ο c h ο 11 S 368 f.. welchem jedoch insofern nicht zuzustimmen ist, als er die Feststellungsklage mit der Anerkennungsklage konfundirt (S 363. 376) und das Leistungsuitheil eigentlich für ein Feststellungsurtheil erklärt (S 3651 S. unten Anm 28.

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muss, ohne class es auch nur zur Erklärung des Streitwillens in der Sache selbst (Litiskontestation) kommt. IV. In einem andern Sinne als oben (Nr II) ist der Gegenstand jedes Prozesses ein Anspruch, der R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h , d. i. der A n s p r u c h des K l ä g e r s bezw. des B e k l a g t e n auf G e w ä h r u n g prozessualischen R e c h t s s c h u t z e s 1 5 . Der Prozess ist Mittel zur Gewährung des gerechten Rechtsschutzes, subjektiv gesagt: zur Befriedigung berechtigten Rechtsschut» interesses. Dieses giebt Anspruch auf die prozessuale Rechtsschutzhandlung. Der Rechtsschutzanspruch ist Mittel zum Zwecke des materiellen Rechts, nicht dieses selbst, nicht seine „Funktion", nicht die publicistische Seite des subjektiven Rechts, die ihm immanente Erzwingbarkeit, das was man Klagbarkeit , Klagerecht, klagbares Recht zu nennen beliebt. Çr ist der durch das Recht an den ausserprozessualen Thatbestand angeknüpfte Anspruch gegenüber dem Staate, das Rechtsschutzinteresse in prozessordnungsmässiger Form gegenüber dem Beklagten zu befriedigen, der Anspruch gegenüber dem Gegner, die Rechtsschutzhandlung zu dulden 10 . Der Rechtsschutzanspruch ist nicht eine Funktion des subjektiven Rechts, denn er ist nicht bedingt durch solches. Rechtsschutzinteresse und -anspruch besteht nicht nur, wo Recht besteht. Die sogen, negative Feststellungsklage bezweckt nicht die Bewährung, Erhaltung eines subjektiven Rechts, sondern der integern Rechtsposition des Klägers überhaupt. Der Beklagte, welcher mit grundloser Leistungs- oder positiver Feststellungsklage belangt wird, hat das Rechtsschutzinteresse der Abweisung der unbegründeten Klage 17 . ir>

Es kann auf das Wesen des Kechtsschutzanspruchs als Klage- oder Yeitheidigungsanspruch im Verhältniss und Gegensatz zum materiellen Rechtsanspruch hier nur ganz allgemein und einleitungsweise eingegangen werden. Alles Nähere bleibt der Lehre von der Klage vorbehalten. 16 Indem ich einen Rechtsschutzanspruch annehme, verlasse ich eine früher — vgl. m e i n e Abh. in Grünhut VI 555 f. — vertheidigte Ansicht, nach welcher von einem subjektiven Rechte gegenüber dem Staate hier nicht zu reden sei (vgl. L a b and a. 0.), halte aber fest an der Ablehnung des sog. abstrakten publicist:sehen Klagerechts. S. unten Nr V. Gegen L a b and ist zu bemerken, dass er mit Unrecht den Anspruch gegen den Beklagten verneint. Er beschränkt das prozessualische Rechtsverhältniss auf das zwischen Staat und Kläger. Vgl. darüber unten § 4 und § 15. 17 Die relative Selbständigkeit des Rechtsschutzinteresses des Beklagten dokumentirt sich in der sogen. Prozessobligation, seinem Recht Urtheil zu fordern 2*

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Gegenstand des Civilprozesses.

Und auch dort, wo ein Recht besteht, tritt zu demselben das Rechtsschutzinteresse und demnach nach Maassgabe des Prozessr e c h t s der Rechtsschutzanspruch nur dann, wenn es gefährdet oder beeinträchtigt wird, wenn es, obschon rechtlich befriedigungsbedürftig, nicht befriedigt wird. Das unbedrohte und das befriedigte Recht bedarf des Schutzes nicht 18 . nach der Litiskontestation (CPO § 243), und günstiges Urtheil zu fordern, wenn der Kläger auf sein Recht verzichtet (CPO § 277). 18 Vgl. hierzu einstweilen W i n d s c h e i d § 122; W e i s m a n n , Hauptintervention § 21. Ersterer fordert freilich m. E. zu viel, wenn er ausser (1er fortbestehenden „Verletzung" noch ein „Widerstreben des Verpflichteten" als Voraussetzung des Rechtsschutzanspruchs ansieht und dafür Bestätigung in CPO § 89 findet. Vgl. dagegen T h o n S 257 ff., Ρ Ιό s z S 38 Anm 36. Die das Rechtsschutzinteresse begründende Thatsache und das „klagveranlassende" Verhalten des Beklagten sind nicht identisch; jenes kann vorliegen, dieses fehlen; ohne Rechtsschutzinteresse ist Rechtsschutz (speciell Verurtheilung) unmöglich; das klagveranlassende Verhalten des Beklagten dagegen ist für die Zulässigkeit der Verurtheilung indifferent. Der Begriff hat Bedeutung nur für die Kostenfrage (CPO § 89). Ihm wohnt eine gewisse Beachtung des Verschuldens inne. — Der Rechtsschutzanspruch ist nicht das Recht, klagen zu dürfen, sondern Rechtsschutz fordern zu dürfen ; daher genügt es, wenn das begründende Rechtsschutzinteresse im Augenblick des Urtheils vorhanden ist. Andererseits ist es schon immer und von vornherein vorhanden, wenn das subjektive Recht des Klägers objektiv beeinträchtigt, unbefriedigt, obschon befriedigungsbedürftig ist. Ist dem so, dann muss die Verurtheilung erfolgen auf Grund Rechtsschutzanspruchs, obschon der Beklagte zur Klage nicht Veranlassung gegeben hat. Fälle : es wird gegen den Bürgen geklagt wegen fälliger Forderung aber ohne dass er vorher zur Zahlung aufgefordert worden ; es wird vom Beklagten Rückgabe einer Sache gefordert, welche ihm zugekommen ist ohne Bekanntschaft mit der Person des Eigenthümers ; es wird Freigabe einer gepfändeten Sache eingeklagt vom bona fide pfändenden Gläubiger ohne vorgängige Mahnung (CPO § 690); es wird unbefristetes Darlehn ohne vorgängige Mahnung zurückgefordert : leistet Schuldner sofort, so wird Kläger abgewiesen, leistet er nicht, so schützt ihn sein Anerkenntniss nicht vor der Verurtheilung in der Sache (CPO § 278). Dabei ist zu beachten, dass die einfache „Anerkennung" des Schuldners ohne Erfüllungsbereitschaft ihn nicht von den Kosten befreit, andernfalls ergäbe sich die absurde Folge, dass der anerkennende Beklagte kostenfrei bliebe, obschon er erklärt, nicht erfüllen zu wollen, obschon er also ausdrücklich den objektiv widerrechtlichen Zustand billigt und aufrecht erhalten will. Das Gesetz (CPO § 89) drückt sich ungenau aus. — Am allerwenigsten wäre es berechtigt, aus CPO § 89 ableiten zu wollen, dass das Gesetz die Klage von dem Erforderniss des Rechtsschutzinteresses entbinde, wenn der Beklagte anerkenne. Wie in der Sache zu entscheiden ist, sagt § 89 nicht. Er findet auch dann und dann hauptsächlich Anwendung, wenn der Kläger abgewiesen werden muss, weil der Beklagte auf die Klage sofort erfüllt. Er bezieht sich auf den Fall gar nicht, wenn unerachtet des beklagtischen „Anerkennens" der Kläger abgewiesen werden muss, weil ihm kein Rechtsschutzanspruch oder diese Art von Rechtsschutzanspruch nicht zukommt. Denn alsdann muss bereits nach CPO § 87 der Kläger

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Wie hiernach die Voraussetzungen des Rechtsschutz anspruchs und materiellen Rechts sich nur decken bei dem schon existenten und an und für sich befriedigungs- und schutzbedürftigen Recht (dem Anspruch), wie das eine ohne clen anderen bestehen kann, so decken sich beide auch nicht in ihrem Inhalt 19 . Der Rechtsschutzanspruch wird befriedigt durch Rechtsschutzhandlung, speciell durch günstiges Urtheil (z. B. bei der Feststellungsklage), und erlischt in seiner Befriedigung, während das materielle Recht im Urtheil neue Kraft und Bestätigung empfängt. Er erlischt in seiner Befriedigung ohne Befriedigung des materiellen, befriedigungsbedürftigen Rechts, wenn die Mittel des Rechtsschutzes erschöpft und unzureichend sind 20 . Er wurzelt im Sicherungs- oder Realisirungsinteresse, in dem Interesse an der Erhaltung oder an der Durchsetzung des Rechts, bezw. der Rechtsposition. Die Mittel der Befriedigung sind: Urtheil (Feststellung, Verurtheilung usw.), Vollstreckung, Arrest, einstweilige Verfügung, konkursmässige Befriedigung 21. Mit Rücksicht auf diese verschiedenen Formen der Befriedigung des Rechtsschutzanspruchs darf man ihn unterscheiden als Feststellungs-, Verurtheilungs-, Vollstreckungs-, Arrestanspruch, als Anspruch auf Schutz durch provisorisches oder definitives Urtheil u. dergl. Der Rechtsschutzanspruch wird befriedigt nur durch den Staat, den Richter, er kann nicht befriedigt, sondern nur gegenstandslos gemacht werden durch den Gegner 22. Dieser hat den Rechtsschutz zu dulden (condemnari oportere), nicht zu gewähren. die Kosten tragen. Z. B. : der Kläger klagt ohne Anführung irgend eines behaupteten Feststellungsinteresses auf Feststellung seines Eigenthums gegen eine Person, welche dasselbe nie bestritten oder verletzt hat, in keiner Beziehung zur Klage steht; der Beklagte stellt den Sachverhalt klar und erkennt das Eigenthum unumwunden an. Oder : der Kläger hat Yollstreckungstitel und zieht es vor zu klagen auf Ertheilung der Vollstreckungsklausel, statt den gesetzlichen Weg der CPO § 662 zu beschreiten ; vgl. auch KO § 152. 192. Hier muss Abweisung wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses trotz Anerkennung erfolgen. 19 W i n d s c h e i d § 122 Anm 5, L a b a n d a. 0., S e u f f e r t in Grünhut X I I 619. 627; s. jedoch unten Anm 22. 20 Beispielsweise, wenn die Zwangsmittel der CPO § 774 Abs 1 erfolglos angewendet sind. 21 Hiermit wird nicht dem unhaltbaren Begriff des sog. „Konkursanspruchs" das Wort geredet. 22 Durch Beseitigung des Rechtsschutzinteresses: Befriedigung des befriedigungsbedürftigen Rechts, Erfüllung der eingeklagten Verpflichtung, durch Abgabe der geforderten Willenserklärung usw. Dass bei der Feststellungsklage das „Anerkenntniss", bezw. (gegenüber der negativen Feststellungklage) der „Verzicht" nicht genügt, um das Urtheil abzuwenden (CPO § 277. 278), erklärt sich daraus, dass

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2.

Gegenstand des Civilprozesses.

V. Ein Rechtsschutzanspruch kommt nur demjenigen zu, welcher w i r k l i c h e s , nicht e i n g e b i l d e t e s Rechtsschutzinteresse hat und im Prozesse darthut 23 . Zwecks solcher Darlegung muss er prozessiren können, die Klagmöglichkeit haben, abgesehen von der Existenz des Rechtsschutzanspruchs. Eine neue Lehre spricht von p u b l i e i s t i s c h e m , a b s t r a k t e m Klafgrechte überall, wo rechtliche Klagmöglichkeit und in diesem Sinne Κ l a g b e f u g η iss gegeben ist 2 4 . Weil man rechtswirksam klagen kann, ohne materielles Recht und Rechtsschutzanspruch zu haben, legt sie Klagrecht auch demjenigen bei, welcher weder subjektives privates |Recht, noch Schutzbedürfniss für dieses oder seine Rechtsposition hat. Die Thatsache der Klagbehauptung in legaler Form ist ihr das Zeichen eines Klagr e c h t s , weil an sie sich knüpft das prozessuale Rechtsverhältniss, die Folge eines Prozesses und Urtheils (vgl. § 4). Aber diese Möglichkeit, (sei es gut- oder bösgläubig) rechtswirksam zu klagen, dieses sogen, publicistische Klagrecht ist res merae facultatis 2 \ nicht Ausübung eines Rechts, geschweige denn eines Rechts auf Urtheil bestimmten Inhalts. Es gehört nicht der konkreten, in bestimmten Thatbeständen verkörperten Rechtsordnung an, sondern ist nur subjektivirte Formulirung des abstrakten Rechtssatzes20. Die formell korrekte Klage ist der rechtserhebliche Thatbestand, welcher das prozessuale Recht auf Urtheil schlechthin begründet. Ob dieses dem Klagenden günstig oder ungünstig fällt, beurtheilt sich allein nach seinem wahren Rechtsschutzbedürfniss. Ueber letzteres, nicht über die Existenz des sog. publicistischen, abstrakten Klagrechts wird in der Sachentscheidung geurtheilt 27 . Damit Prozess und Rechtsschutz hier die CPO der protokollarischen Feststellung die Hechtskraftwirkung versagt hat und doch Anspruch auf diese im Rechtsschutzanspruch eingeschlossen ist. 23 L o e n i n g , Widerklage S 188 macht die Ueberzeugung des Richters von der Existenz des Rechtsschutzanspruchs zu einer Voraussetzung des letzteren und negirt ihn demzufolge. Damit verwechselt er subjektive und objektive Ungewissheit. 24 Der Autor dieser Lehre ist D e g e n k o l b . Einlassungszwang S 1 ff. Ihm hat sich u. a. angeschlossen Ρ Ιό s z S 47 ff. Dagegen meine Abh. Grünhut VI 515 ff.; K o h l e r , KrV X X I I 358; L o e n i n g a. 0. S 189; F ö r s t e r - E c c i u s , Pr. PrR I 274 Anm 7; W e i s m a n n , Hauptintervention S 108 Anm 3. 25 Vergleichbar der Befugniss, Rechtsgeschäfte vorzunehmen. Dass man mit bindender Wirkung für Dritte (Gericht, Beklagten) klagt, berechtigt nur zu dem Schluss, dass Klagen ein wirksamer Thatbestand ist. 26 Es fiele zusammen mit (1er Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit: trotz Ρ1 ό s z S 82 ff., welcher die nicht zutreffende Analogie des Schiedsvertrags benutzt. Vgl. auch v. S a v i g n y V I I I 385 ff. 27 Vgl. auch L o e n i n g a. 0. Dass t h a t s ä c h 1 i ch auch die unwahre, in diesem Sinne grundlose Klage und die Entwicklung des Prozesses zu einem dem

2. Gegenstand des Civilprozesses.

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sein kann, muss Klagbefugniss sein. Aber sie ist nur Mittel /um Zweck, weder Gegenstand noch Zweck des Prozesses. Also ist es richtiger aus mannigfachen Gründen, jenes sog. publicistische Klagrecht als irreführend und wissenschaftlich unfruchtbar gänzlich bei Seite zu lassen28, während der Begriff der abstrakten Klagmöglichkeit oder Klagbefugniss unentbehrlich ist. Kläger günstigen Sachurtheil führen, er also solches ohne Rechtsschutzanspruch bekommen kann, gestattet uns nicht, diesen im abstrakten Klagerecht aufgehen zu lassen. Denn ob er besteht, ist Frage des Prozesses; seine Realisirung ist sein Zweck. Das Recht sagt nicht: ich gebe Klage im Sinne von Klage r e c h t Jedem, der die Klagthatsachen behauptet und beweist, sondern dem, zu dessen Gunsten sie vorliegen. Das gilt auch für den Urkundenprozess (CP § 555 ff.). — Man darf auch nicht, wie das W e i s m a n n , Hauptintervention S 77.93. 107 Anm 2 thut, den prozessualen Apparat abstellen auf: 1. Klagerecht als Recht auf Urtheilswirkung und 2. prozessualisches Parteirecht als Recht auf U r t h e i l s c h l e c h t h i n entsprungen aus Klagehandlung bezw. Einlassung. Denn wir haben das Recht auf Urtheilswirkung nicht ohne Recht auf Urtheil, wenn dieses die alleinige Ursache ist, durch welche die Wirkung hervorgebracht wird. Vgl. auch W e i s m a n n S 89: .,I>ie Urtheilswirkungen sind unzertrennlich vom Urtheil, sie werden dem Kläger nothwendig mit dem Urtheil und sie werden ihm nicht anders als durch Urtheil." Vgl. S 80 Anm 11. Also ist der Rechtsschutzanspruch Recht auf Rechtsschutz gewährendes Urtheil. Aus ihm, nicht aus dem Recht auf Urtheil an und für sich folgt «lie günstige Sentenz, wenn sie aus ihm auch nur folgt nach Maassgabe und auf Grund des prozessualischen Thatbestandes. Die gegentheilige Auffassung begeht den bereits oben $ 1 Anm 7 betonten Fehler, zu rechnen mit dem empirischen statt mit dem „metaphysischen Begriff", welcher allein zur wissenschaftlichen Konstruktion brauchbar ist. 28 Im Vorstehenden ist unberührt gelassen eine neue, von R ο c h ο 11 S 338 ff. entwickelte Klagerechtstheorie. Er unterscheidet 1. formelles und 2. materielles Klagerecht: ersteres die Klagemöglichkeit (die „prozessgesetzliche Befugniss, eine Partei vor Gericht zu l a d e n , um durch deren Mitwirkung ein Privatrecht zum Gegenstand einer gerichtlichen Verhandlung und Entscheidung zu machen"), letzteres die „durch das bürgerliche Gesetz gerechtfertigte Befugniss, die Einlassung der geladenen Person vor dem Gericht zu dem bezeichneten Zweck verlangen zu können". Aber sein Einlassungszwang wird S 339 bereits an formell korrekte Ausübung der Klagemöglichkeit geknüpft und dadurch sein zweiter, angeblich materiellrechtlicher Begriff des Gegensatzes beraubt. Er verkennt, obschon von der Wahrheit nicht weit entfernt (S 369. 374 ff.), den Rechtsschutzanspruch (vgl. auch S 363), indem er ihn mit dem Recht, Einlassung zu fordern, identificirt. Es giebt keine „materielle" Einlassungspflicht im Gegensatz zur „formellen". — Aehnliche schiefe Anschauungen in RG I I I CS v. 12. April 1883 (Ε IX 337): „Der Klaganspruch richtet sich bei der Feststellungsklage auf Zulassung der Klage (!) und somit auf die Verpflichtung des Beklagten, sich auf die \rerhandlung über das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses einzulassen." — R o c h o l l gliedert nun weiter als angebliche Unterarten seines materiellen Klagerechts: Leistungs-, Feststellungsund Konfliktsklage (S 345. 405 ff.). Er kommt dazu vom Weis m an η sehen, von

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§ 3.

Der CP als Rechtsgang.

VI. Hienach ist der Gegenstand des Prozesses: das Privatrechtsverhältniss, über welches Urtheil, bezw. zu dessen Realisirung Vollstreckung gesucht wird, und also Privatrechtsverhältniss als Gegenstand des Rechtsschutz an spruchs, welcher das der Partei günstige Urtheil bezw.'die gewollte Vollstreckung zum Inhalt hat. § 3.

Der Prozess als Rechtsgang.

I. Der Prozess ist ein thatsäehlieher Vorgang, der prozessgesetzlich norniirte Lebensvorgang, Ρ r o z e s s t h a t b e s t a n d . In zeitlichem Verlauf reihen sich in ihm an einander Thatsachen verschiedenster Art und verschiedensten Inhalts. Ihr gemeinschaftliches Charakteristikum ist, dass sie im Dienste des Prozesszweckes als Prozessakte auftreten. Ob sie diesem Zweck und dem sie regelnden Gesetz entsprechen, entscheidet über ihre Rechtsgiltigkeit und Wirksamkeit, nicht über ihre Eigenschaft als Verfahrensbestandtheile. Auch die unzulässige Klage ist Klage in dem hier in Betracht kommenden Sinn; auch sie veranlasst Verfahren, Prozess. Die P r o z e s s t h a t s a c h e n sind zum grossen Theil Handlungen, Willensbethätigungen. Sie sind es zu einem so grossen Theil. dass man den Prozess selbst eine Handlungsreihe nennen könnte. So versteht man auch unter Prozessiren prozessualisches Handeln. Aber daneben stehen Prozessthatsachen, äussere, durch das Prozessgesetz für rechtserheblich erklärte Vorgänge, welche nicht Handlungen sind : ζ. B. der Tod der Partei, des Anwalts, der Verlust der Prozessfähigkeit. Die Prozesshandlungen sind die Handlungen der Prozesssubjekte (siehe den folgenden §), Parteihandlungen oder gerichtliche Handlungen. Unter jenen werden einbegriffen die der Partei, ilirer Vertreter, Gehilfen, unter diesen die Handlungen der gerichtlichen Personen, des Richters, Gerichtsschreibers, Gerichtsvollziehers. Diese Auffassung lässt diesem selbst bereits aufgegebenen Begriff der Feststellung als einer partiellen Anticipation des Leistungsurtheils und von der Wahrnehmung aus, dass solche nicht (lenkbar, wenn sich zwei Rechtsprätendenten bezüglich einer Obligation (z. B. KO § 134) streitend gegenüberstehen. — Neuestens will L. S e u f f e r t a. 0. S 617 ff. trennen 1. civiles Recht, 2. Klagerecht, d. i. Recht, durch Klage Urtheil herbeizuführen, und 3. Recht auf Zwangsvollstreckung, cl. i. Anspruch auf Ausübung des civilen Anspruchs durch den Staat. Er trifft in vielen Punkten mit den obigen Ausführungen zusammen; aber das wahre Wesen des Rechtsschutzanspruchs bleibt ihm verborgen — sein Vollstreckungsanspruch ist nur ein Fall desselben —, wie er verkennt, dass ein solcher nicht sein kann, wenn nicht zugleich die Pflicht zum Erdulden der Rechtsschutzhandlung für den Beklagten besteht.

§

. Der CP als Rechtsgang.

die Aeusserungen der Zeugen und Sachverständigen, welche Mittel in den Händen der Prozesssubjekte sind, nicht als Handlungen sondern nur als sonstige Prozessthatsachen gelten. Aber in einem anderen und weiteren Sinne werden auch sie Prozesshandlungen genannt werden müssen. Die Prozesshandlung ist ihrer Idee nach r e c h t s e r h e b l i c h e s Handeln, d. h. sie ist für die Begründung, Erhaltung, Ausübung, Veränderung, Aufhebung von Rechten bez. Pflichten von rechtlicher Bedeutung. Eine solche kann ihr in zwiefacher Beziehung zukommen, als Erheblichkeit für das materielle in Streit befangene Rechtsverhältniss und als solche für die prozessualische Stellung der Person. Letztere Bedeutung kann zutreffen, jene fehlen, wie z. B. bei denjenigen Handlungen, welche nur die Konstituirung des Rechtsstreits in der Sache selbst, nicht die Sachverhandlung zum Gegenstand haben. Dagegen giebt es keine prozessualen rechtserheblichen Handlungen, welche lediglich civilrechtlich bedeutsam, reines civiles Rechtsgeschäft wären. Prozessiren ist ein solches nicht, zweckt nicht ab auf materielle Rechtsproduktion, wennschon es civile Rechtsgeschäfte, wie z. B. Vergleich, Verzicht, Zahlung, Kompensation zum Inhalt haben kann. Es erscheinen derartige Geschäfte dann eingegliedert in den Zweck des Prozesses und von prozessualischen Wirkungen begleitet1. II. Die R e i h e n f o l g e der prozessualischen Handlungen kann an dieser Stelle nur als logische Konsequenz des Prozesszwecks betrachtet werden. Er führt zu drei möglichen Hauptabschnitten des Verfahrens: sie gelten der Klagbefugniss und Defensionspflicht 2 (Zulässigkeit der Sachverhandlung), der Wirklichkeit des Rechtsschutzanspruchs (Sachverhandlung, Sachentscheidung), der Verwirklichung desselben (Vollstreckung), und das alles in strenger Aufeinanderfolge oder in einer Art Eventualbehandlung mit zulässigen Anticipationen. als Verfahren vor ein und demselben Gericht oder vor verschiedenen Gerichten, als Verfahren mit einmaliger Verhandlung und Entscheidung oder mit Urtheilsnachprüfung (Rechtsmittelinstanz). 1. Die Z u l ä s s i g k e i t des Prozesses über den g e l t e n d gemachten R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h ist Gegenstand des ersten Verfahrensabschnittes. Hier handelt es sich um die Beantwortung der Frage, ob zwischen diesem Kläger und Beklagten, vor diesem Gericht, mit Beziehung auf diese Sache Prozess, Sachverhandlung und Ent1

Dadurch wird nicht ausgeschlossen, dass der Civilist sie gelöst aus dieser Verbindung und Zweckbeziehung als rein civile Rechtsgeschäfte ins Auge fasst. 2 lieber diese siehe § 4 Nr II.

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3.

Der CP als Rechtsgang.

Scheidung eintreten soll. Ich nenne diesen Abschnitt das Vor ν erfahre n 3 . a. Im römischen Recht entspricht ihm das Verfahren i n i u r e , wennschon dieser Theil des Prozesses weder inhaltlich, noch der Zweckbestimmung nach sich gänzlich mit dem Vorverfahren im genannten Sinne deckte. Er war formell das Verfahren vor dem Rechtspflegemagistrat zwecks Konstituirung des Iudicium (contentio de ordinando iudicio), materiell unzweifelhaft bereits Verhandlung zur Sache: Erklärung des Streitwillens mit Beziehung auf gegnerische Rechtsbehauptungen zwecks Feststellung des Status causae et controversiae. Die Eigenart des Verfahrens in iure bestand zur Zeit der Legisactio und des Formularprozesses in seiner organisatorischen Selbständigkeit und Nothwendigkeit und seinem Endziel: der Prozessbegründung. Diese war Streitbegründung (litiscontestation denn ohne Streit kein Iudicium. Die Litiscontestatio, ursprünglich der solenne Parteiakt, Zeugenaufruf, durch welchen die vor dem Magistrat vollzogene Streitbegründung kontestirt und formell abgeschlossen ward, ist im Formularverfahren 'zu dem auf der Thatsache des bekundetem Streitwillens ruhenden, mit der Geschworenenernennung verbundenen inagistratlichen Akt der Konstituirung des Iudicium durch Geben der Formel geworden. Dem entsprechend lag im Dare formulam mehr als Entscheidung eines Streites über die Zulässigkeit des Iudicium 4 ; in ihm eröffnete die Gerichtsobrigkeit den Rechtsweg; das Denegare actionem andererseits griff hinüber in die materielle Kognition, wennschon das lus schlechthin nicht Urtheilsverfahren in der Sache, der Magistrat nicht Urtheilsfaktor war. So wenig wie das Lege agere, war die Formel Urtheil in der Sache 5 . Das Dare actionem ist Zu3

Wir brauchen einen Terminus. Ich finde den vorgeschlagenen bereits bei L e o n h a r d t , Die Reform des Civilprozesses. Hannover 1865. S 7 f.; v. C a n s t e i n . Die rationellen Grundlagen des CP. Wien 1877. S 204; ders., Oesterr. CP I 238: M e n g e r , System S 332 ff. u. a. 4 Vgl. K e l l e r - W a c h §20 Anm 594a und die Bemerkungen von S c h u l t z e , Privatrecht S 228 f.; s. jedoch die folgende Anm. 5 And. Mein. S c h u l t z e a. 0 . ; vgl. gegen ihn Per ni ce, Parerga I I 47 ff.; D e m e l i u s , Grünhut X I 736 ff.; E i s e l e in den Gotting, gelehrten Anzeigen 1884 Nr 20 S 823 ff. Die Möglichkeit a zu geben oder zu versagen bedingt nicht, wie S c h u l t z e meint, die Notwendigkeit der Vorprüfung, ob der Thatbestand, wie er in iudicio behandelt werden soll, das m dare rechtfertigt; wäre dem so, dann wäre das Stadium in iure das der Behauptungen, das Iudicium das der näheren Substanziirung und des Beweises gewesen. Lex 1 § 3 D de edendo I I 13 wird irrthümlich von S c h u l t z e S 258 auf die Behauptungen bezogen. Vgl. dagegen L e n e l , Edictum perpetuum. Leipzig 1883. S 49. Schon praktische Bedenken sind gegen

3.

Der CP als Rehtsgang.

lassen, das Denegare actionem Xichtzulassen des Rechtsschutzanspruchs, nicht ist jenes Bejahen, dieses Verneinen desselben. Geurtheilt wird nicht über die Sache, sondern über die Zulässigkeit der Sachentscheidung8. Nur insofern letzterer selbst Schranken durch den Inhalt der Formel gezogen werden, bedeutet sie einen Relevanzbescheid. Das Aufnehmen oder Aussehliessen von Exceptionen, Kondemnationsbeschränkungen und dergl. wirkt die Einschränkung des Angriffs bez. der Verteidigung. Aber es ist ebensowenig ein Urtheil, wie die Fragstellung im Schwurgericht ein solches ist, obschon auch ihr durchaus die Wirkung eines Relevanzbescheides zukommt. b. Der germanische und der deutsche Prozess des M i t t e l a l t e r s haben im Streit über die Pflicht zur Antwort ihren prozessbegründenden Abschnitt7. Auf die Klage giebt es keine Sachdie Verhandlung „minutiöser Einzelheiten" ( S c h u l t z e S 270) in iure. Wie hätte der e i n e .lurisdiktionsniagistrat alljährlich tausende von Prozessen ordiniren können hei solcher Behandlung! Der Prätor hätte die Erheblichkeit und Schlüssigkeit der Parteibehauptungen für die erbetene a* prüfen und für den Iudex bindend beantworten müssen. Eine umfassende Erklärungspflicht (das. S 267) der Parteien wäre unerlässlich gewesen und liesse uns die Grundsätze über die interrogatio in iure unbegreiflich erscheinen. Die Formel, welcher S c h u l t z e die Sachurtheilsbedeutung beilegt, hätte nicht ausgereicht, den wesentlichen Inhalt des Verfahrens in iure aufzunehmen. Das giebt auch S c h u l t z e zu (S 270) und vermuthet daher, dass doch in iure auch noch anderweit möchte protokollirt worden sein. AVie? Im Sinne obligatorischer Beurkundung der wesentlichen, die a° und exc° (z. B. doli) stützenden Thatsachen? Mit der Wirkung urkundlicher Feststellung für das Iudicium? Es wäre wünschenswerth gewesen, hierüber aus dem „unendlich reich tliessenden Quellenmaterial" (S 272) Aufschluss zu bekommen. Schon aus den Quellenstellen, welche von den causa cognita zu gebenden Klagen im Gegensatz zu den passim indulgendae s. dandae (1 9 § 5 D de dolo malo IV 3 u. oft.) handeln, folgt die Unrichtigkeit der bekämpften Ansicht. Dem von S c h u l t z e so sehr betonten Substanziirungsbedürfniss war der Regel nach durch die editio actionis und die damit verbundene Ausfüllung des Klagformulars genügt. Vgl. auch L o t m a r . KrV XXVI 671 ff. und besonders D e g e n k o l b S 94 Anm 1. 6 Contentio de constituendo iudicio: Cie. de part. orat. dial. 28, 99, welche Stelle S c h u l t z e S 259 falsch übersetzt, indem er „iudicium" zu „de constituendo ipso iudicio" zieht. — Die auf liquide materielle Vertheidigungsgründe gestützte denegatio a« ist t h a t s ä c h l i c h Sachentscheidung und schliesst für das Amtsjahr des Recht weigernden Magistrats die Klage aus, begründete aber nicht die exceptio rei iudicatae. 7 Vgl. S i e g e l , Gesch. des deutschen Gerichtsverfahrens I. Glessen 1857. S 131 f. 136; Sohm, Prozess der Lex Salica S 143 ff.; v. B e t h m a n n - H o l l weg V 337; K a n n e n g i e s s e r , Die prozesshindernde Einrede. Leipzig 1878. S 36 ff. 71 ff.; P l a n c k , Deutsches GVf I 372—422. In den lateinischen Quellen ist die Redewendung für die Antwortsweigerung gewöhnlich ..non tibi respondeo" oiler :,non debes mecum placitare": daher hat sich das respondere als gleich-

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§ 3.

Der CP als Rechtsgang.

entscheidung, es habe denn der Beklagte in der Sache selbst geantwortet oder grundlos die Antwort geweigert 8. So lange seine Weigerungsgründe nicht verworfen sind, ist keine Möglichkeit des Urtheils in der Sache gegeben. Der so entstehende, dem Verfahren in iure entsprechende Abschnitt nimmt freilich nach unserer heutigen Auffassung manches auf, was wir jetzt zur SachVerhandlung rechnen; so die Frage nach der sog. Aktiv- und Passivlegitimation0. Immerhin ist das Urtheil nicht Urtheil in der Sache, sondern nur Entscheidung über die Antwortspflicht des Beklagten, der Ausspruch, er solle antworten oder er brauche nicht zu antworten 10. c. Der k a n o n i s c h e , überhaupt m i t t e l a l t e r l i c h e i t a l i e nische Prozess sondert vom Iudicium die Praeparatoria iudicii, das Verfahren vor der Litiskontestation11. Die Scheidung ist markirt durch die wenigstens im solennis ordo iudieiorum f o r m e l l e Streitbegründung 12 . Was vor ihr liegt, ist nun aber keineswegs nur Streit über die Zulässigkeit des Iudicium. Verführt durch die römischen Quellen forderte man Behaupten aller, auch der materiell dilatorischen Einreden vor der Litiskontestation und gab man Sachentscheidung ohne solche, wenn sofort liquide materielle dilatorische oder gewisse peremtorische Einreden (sog. dilatoriae s. declinatoriae iudicii und dilatoriae bedeutend mit Einlassung auf die Klage in der Rechtssprache auch der späteren italienischen mittelalterlichen Quellen und Schriftsteller erhalten. Das deutsche Recht spricht von „Antworten" (s. bes. P l a n c k a. 0.). 8 Die Sachfälligkeit als Kontumacialfolge gegen den indefensus — Versäumnissurtheil im heut. Sinne — steht auf einer Stufe mit der des römischen indefensus in iure. Vgl. K e l l e r - W a c h § 65 mit P l a n c k I I 314, auch K u h n s Gesch. der deutschen Gerichtsverfassung u. d. Proz. in d. Mark Brandenburg II; Berlin 1867. S 460 ff. — Das Nähere hierüber unten bei der Lehre von der Einlassung und dem Versäumnissverfahren. 0 Darüber vergl. einstweilen P l a n c k I 391 ff. und unten die Lehre von der Streitverkündung. 10 P l a n c k I 421 f. 11 Praeparatoria iudicii ist ein durchgängig gebrauchter Terminus: vgl. O r d o i u d . ed. Schulte 1872 S 7; O r d o iud. ed. Gross 1870 S 87; Florentiner Rechtsbuch ed. Conrad IV § 14; D u r a n t i s , Spec. lib. I I 2 tit. de except. § 3 Nr 32: ea . . . quae sunt de processu non contingunt negotium principale et ideo de his quaeritur ante litiscontestationem tanquam de dilatoriis. — Vgl. überhaupt über das Verhältniss des Verfahrens vor und nach der Litiskontestation: Mite h e i , Das Verf. bis zur Litiskontest. Leipzig 1870. Eine gute Schilderung bei J ο h. Β ο η ο η i e η s i s (s. unt. Anm 15) S 648 ff.; vgl. auch § 5 Anm 2. 12 Vgl. B r i e g l e b , Einleitung in die Theorie der summarischen Prozesse. Leipzig 1859. § 13 S 35 ff. Dass der beherrschende Grundgedanke germanisch ist, kann keinem Zweifel unterliegen.

§ 3.

Der CP als Rechtsgaiig.

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s. declinatoriae solutionis) vorgeschützt wurden 13 . Auch nahm man nicht Anstand zu den prozessablehnenden Einreden zu rechnen, gleich dem germanischen Recht, Vertheidigungsgründe, welche die Frage der Passivlegitimation betrafen 14. Der Abschnitt der Prozessbegründung ist als selbständiges Verfahren über die Zulässigkeit des Iudicium hier wie im germanisch-deutschen Prozess nicht organisatorisch n o t wendig, sondern wie im justinianischen Prozess das Resultat der prozessablehnenden Verteidigung des Beklagten. Daher an diesen die hergebrachte Frage, ob er prozesshindernde Einwendungen vorzubringen habe, und nur wenn dies nicht der Fall, Zwang zur Litiskontestation (zum Respondere libello) 15 . Im italienischen Territorialprozess wird ihr bereits früh der Formalcharakter genommen und die Eventualbehandlung Rechtens, welche für das sog. unbestimmt summarische Verfahren des kanonischen Rechts und den späteren gemeinrechtlichen Prozess vorbildlich ward 16 . d. Die g e m e i n r e c h t l i c h e Entwickelung hat sich aus der durch die Lage der römisch-kanonischen Quellen und der Doktrin bedingten Unklarheit über den Gegensatz des Abschnittes vor der Litiskontestation und nach derselben erst sehr allmählich herausgearbeitet 17. Sie stand bis in die neuere Zeit unter dem Banne der Vorstellung, dass die sog. verzögerlichen Sacheinreden in den Abschnitt vor der Litiskontestation gehören, welche letztere sie als die Beantwortung 13 Vgl. m e i n e n Arrestpr. 8 179 Anm 33; Sc h w a l 1) ach in Ζ f. RGXV(GA) 206. Die illiquide materielle dilatorische Einrede wird zwar vorgeschützt, aber nicht bewiesen vor der Litiskontestation: c. 4 X de except. I I 25; Azo ad c. 19 C de prob. IV 19 § 1; summa in Cod. tit. de except. V I I I 36 § 6. 7; gl ad h. leg.; gl ad c. exceptionum X de except, verba: in dilatoriis. Rieh. A n g l i eus, Ord. iud. ed. Witte ruh. de except. S 50 Ζ 12 f. — O r d o iud. (s. Ulp. de edendo) ruh. de except,; Dam as us, Summa ed. Wunderlich S 68 tit. 23. And. Mein. u. a. B o n a g u i d a , Summa de off. adv. ed. Wunderlich S 263 p. I I I tit. 3. 14 Vgl. ζ. Β. Ι ) am as us a. Ο. tit. 18 S 63 f.; U r b a c h , Processus iudiciarius ed. Muther 1873 S 129. 15 Diese Wendung vgl. u. a. bei P l a c e n t i n u s , Summa de lit. cont. I I I 9; .Johannes B o n o n i e n s i s , in Quellen und Erört. z. bayer, u. deutsch. Gesch. IX 2 S 628. 648. 658. — Klassische Zeugnisse über die Ausdehnung dieses Prozessabschnitts: Joh. B o n o n i e n s i s S 655: sed quia plerumque quam plures anni transeunt antequam litis contestatio obsequatur tutius est etc. S t a t . B o n o n i a e (a. 1250—1267) ed. F r a t i . Bologna 1869. lib. IV rub. 1 S 389: quia propter cavillationes quorundam advocatorum calumpniosas lites prorogantur cotidie et sepe sepius post libelli oblationem antequam ad litis contestationem perveniatur labuntur sex menses et annus et biennium etc. 10 Vgl. unten Anm 23, 24 und § 5. 17 Vgl. W e t z e l l S 141. 943 ff. 967 ff.

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S 3.

Der CP als Rechtsgaiig.

der klägerisehen tatsächlichen Behauptungen auffasste. Aber in der That hat man damit nur falsch bezeichnet, was man praktisch richtig behandelte. Denn in Folge eines hier noch nicht weiter darzulegenden Grundsatzes, der sog. Eventualmaxime, war der Beklagte gehalten zum gleichzeitigen eventuellen Vorbringen aller seiner sachlichen angesichts der Klage möglichen Vertheidigungsgri'inde in Verbindung mit den prozessablehnenden Defensionen. Nur einige, die sog. fori281 ff.

§ 6.

Handl. der sog. freiw. Gerichtsbarkeit.

des Rechtsvorganges, um des allgemeinen Interesses willen (Publicitlit) als nothwendig vorgeschrieben sein; es kann mit einer besonderen vorgängigen Beweisaufnahmethätigkeit verbunden oder ohne solche vollzogen werden. Jene obligatorische Beurkundung begegnet uns u. a. durch Strafe erzwingbar in der Einrichtung der Civilstandsregister 56 , Handelsregister 57. Die Beurkundung auf Grund vorgängiger Beweisaufnahmethätigkeit liegt beispielsweise in der Anfertigung gerichtlichen Inventars, in der Beweisaufnahme zum ewigen Gedächtniss 58 . Die letztere erscheint — das ist die gewöhnliche Anschauung — als prozessualischer Vorgang, als anticipirter Bestandteil eines Prozesses. Aber die Bestimmung, ein solcher zu sein, wohnt ihr keineswegs mit Nothwendigkeit inne. Zumal wenn die Beweisaufnahme stattfindet auf Vereinbarung der beiden Interessenten, kann sie dem bewussten Zwecke dienen, die Unterlage gütlicher Auseinandersetzung zu schaffen. Es ist ein qualitativer Unterschied zwischen dem unzweifelhaft der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuweisenden Institut der gerichtlichen Verklarung 59 , der ausserprozessualisçhen Beweisaufnahme zwecks Feststellung von Waarenmängeln beim Kauf, beim Kommissionsgeschäft, beim Frachtgeschäft βυ und der Beweisaufnahme zum ewigen Gedächtniss nicht. Nur die ersichtliche Zweckbestimmung kann hier entscheiden, ob wir die Handlung hierher oder dorthin stellen. Die Beurkundung wird des weiteren verwerthet als zulässige, als wesentliche Form des rechtserheblichen Vorgangs des Rechtsgeschäfts. Hier liegt ihre wichtigste Verwendung 61. Aber nicht nur in dieser Form entwickelt der Staat privatrechtsgeschäftliche Thätigkeit; er thätigt den fraglichen Akt für die Partei — beispielsweise bei gerichtlicher Kündigung, gerichtlicher freiwilliger Subhastation, Versteigerung —; er wirkt mit der Partei zusammen — wie bei der Eheschliessung, bei der Intercession der Frauen, der gerichtlichen Hinterlegung —: er 56

Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875 § 68. HGB Art. 89. 154. Anders bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien, der Aktiengesellschaft. Hier ist die Beurkundung formales Essentiale für die Entstehung der Gesellschaft, konstitutiver Akt, nicht blos Zeugniss. HGB Art. 178. 179. 211. 212. 58 Damit nahe verwandt auch die freiwillige gerichtliche Schätzung: Oesterr Ο vom 9. Aug. 1854 § 267. 272—274. 280. Vgl. M e r k e l S 81 ff. 59 HGB Art. 492. 493. 60 HGB Art. 348. 365. 407; ECPO § 13 a. E. 61 Man denke an das Grundbuchwesen, an clie notariellen, gerichtlichen Geschäftsurkunden (ζ. B. CPO § 702 Nr 5 ; Sächs. BGB § 822. 984. 1056\ die gerichtlichen Testamente und Erbvergleiche u. dgl. 57

6.

andl. der sog. freiw. Gerichtsbarkeit.

prüft nicht nur die formelle Zulässigkeit des Aktes, sondern auch seine Rationabilität, bestätigt daher oder versagt seine Bestätigung - wie das geschieht bei der causae cognitio über den Vergleich betreffs legirter Alimente und der Zulassung zur Adoption —. Theils leitet ihn dabei der Wunsch, dem Publikum Erleichterung zu schaffen, theils das Interesse an der erforderlichen Publicität und an der Fürsorge für bestimmte Personengruppen und Vermögensmassen bezw. etwaige unbekannte oder auch bekannte Interessenten. Diese fürsorgliche Thätigkeit erscheint in höchster Potenz in der obervormundschaftlichen Funktion, gemindert, wenn auch immerhin weitgreifend, in der staatlichen ausserprozessualen Verlassenschaftsverhandlung. Hier ist nicht nur rechtsgeschäftliche, sondern ausgedehnte Verwaltungsthätigkeit, welche sich in Formen äussert, in denen gewöhnlich die prozessualische Befehls- und Zwangsgewalt geübt wird. Man denke an Siegelung02, Ladung, Ediktalaufforderung, sich zu melden mit einer Aeusserung gewissen Inhalts. Die Ediktalaufforderung wird verwendet in höchst mannigfaltiger Weise. Wir haben bereits gesehen, dass sie dazu dient, Thatsachen festzustellen, die Wahrheit zu erforschen: so bei dem Todeserklärungsverfahren r>3. Sie kann darauf abzwecken, den unbekannten Gläubiger (Hypothekarier) in Verbindung mit gerichtlicher Hinterlegung in Annahmeverzug zu versetzen (und demgemäss Löschung der Hypothek zu erreichen) 04, oder — und das ist die gewöhnlichste Verwendung — eine Präklusion etwaiger Rechtsprätensionen oder wirklicher Rechte und damit die Herstellung eines gesicherten Rechtszustandes oder die Legalisirun^ eines thatsächlichen zu verfolgen. Man denke an das die Mortifikation von Urkunden, Werthpapieren bezielende Aufgebot, an das Aufgebot hinterlegter Gelder, Werthpapiere, Kostbarkeiten unbekannter Berechtigter, an das Aufgebot einer gefundenen Sache, eines Schatzes, der Nachlassgläubiger, Vermächtnissnehmer, der unbekannten Erben u. s. w. 6 5 . In keinem aller der zahlreichen und verschiedenen in Betracht kommenden Fälle handelt es sich um Rechtsschutz, Rechtsbewährung gegen objektiv rechtswidriges Verhalten. Denn kann auch möglicherweise der Zustand, welcher das Aufgebot veranlasst, eine rechtsverletzende Handlung zur 62

M e r k e l 8 76 ff.; Preuss. AGO Th. I I Tit. 5 und ALR I 9 § 461-464; C. de proc. civile Art. 907—952; Oesterr. G vom 9. Aug. 1854 § 43 ff. 63 Die mit ihr eintretende Erbfolge ist nur sekundäre Thatsache, nicht Zweck. 64 Vgl. preuss. Grundbuchordn. vom 5. Mai 1872 § 106—109; N e u m a n n , Aufgeb.-Verf. S 26 ff. 6r> Vgl. über historische Anknüpfungspunkte : W e t z e l l S 99; W e i s man η , Feststellungsklage S 19 ff.

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§ 7. Das Schiedsverfahren.

Quelle oder Folge haben, wie das bei der abhanden gekommenen Urkunde gar leicht möglich ist, so ist doch solches Unrecht weder der Grund, noch seine Beseitigung Zweck des Aufigebotsverfahrens. Völlig ausgeschlossen erscheint solche rechtserhaltende Tendenz dort, wo es gilt, wirklich vorhandene Rechte, wie solche doch an der verlorenen Sache unzweifelhaft bestehen, zu Gunsten des Aufbietenden zu vernichten. Wir werden daher das Aufgebotsverfahren wie Entmündigungsverfahren der CPO von der folgenden Darstellung auszuschliessen haben. § 7. Das S c h i e d s v e r f a h r e n 1 . I. Der B e g r i f f . Das schiedsrichterliche Verfahren ist prozessähnlich. Es theilt mit dem Prozess den Zweck der urtheilsmässigen Streiterledigung und erreicht denselben durch ein nahezu gleich wirksames Mittel. Der Schiedsspruch hat die wenn auch nicht ungeschmälerte Kraft richterlichen Urtheils im Sinne der Unabänderlichkeit und Unanfechtbarkeit 2. Aber das Schiedsverfahren ist nicht Prozess. Es ist nicht Zwangsordnung, nicht Rechtsschutzordnung. Es ruht auf der Parteien-Willkür. Der Schiedsrichter 3 hat nicht Gerichtsbarkeit, 1

Ueber das gemeine Recht vgl. W i n d s c h e i d I I § 415—417 (Liter. S 570 Anm 1), speciell über das römische Recht W e i z s ä c k e r , Das römische Schiedsrichteramt unter Yergleichung mit dem officium iudicis. Tübingen 1879; auf die CPO gehen näher ein F ö r s t e r - E c c i u s , Preuss. PrR § 49; D e r n b u r g , Preuss. PrR § 142—144. — Die gemeinrechtliche Literatur über den Gegenstand, zumal die mittelalterlich italienische ist sehr umfassend; das Mittelalter wendete ihm als wichtiges Mittel der Streiterledigung angesichts des schwankenden objektiven Rechts und der Unsicherheit des Rechtsgangs grosse Aufmerksamkeit zu (vgl. z. B. die Abhandl. im Tract, tract. I I I 1, die Notariatsschriftsteller, die Kommentare zu den einschlagenden Titeln). Die Bedeutung des Kompromisses fur die Reception s. M u t h e r , Gesch. der Rechtswissenschaft. Jena 1876. S 23 ff.; S t ö l z e l , Die Entwickelung des gelehrten Richterthums I I 27 ff. ; O t t , Beiträge zur Receptionsgeschichte des röm.-kanon. Prozesses. Leipzig 1879. S 135 ff. Vgl. auch m e i n e n italienischen Arrestprozess. S 180 ff. 2 Heute gilt das Wort des P a u l . lib. 2 ad edictum: 1 1 D de receptis IV 8: compromissum ad similitudinem iudiciorum redigitur et ad finienclas lites pertinet, voll und ganz. 3 Arbiter zu unterscheiden 1. von bonus vir, a r b i t r a t o r , welcher arbitrio suo, nach billigem Ermessen, irgend eine Thatsache, die Höhe oder Angemessenheit des Kaufpreises, Schadens, die Angemessenheit einer Lieferung, Belastung usw. festzustellen hat. Er ist der vernünftig, billig denkende Durchschnittsmensch, bonus pater familias ( F i t t i n g , Ζ f. HR V 91 f.; W i n d s c h e i d I § 93 Anm 7,

§ 7. Das Schiedsverfahren.

Amtsgewalt. Seine Aufgabe ist nicht Rechtsprechung und Uebung prozessualer Zwangsgewalt. Seinem Urtheil wohnt die Zwangswirkung im Sinne der Vollstreckbarkeit nicht bei. Er ist gewillkürter Richter und leitet als solcher seine Funktion aus dem Parteiwillen ab. Seine Thätigkeit besteht demgemäss nicht in Rechtsanwendung, sondern in dem arbitrirenden Ausgleichen des Streits nach freiem Ermessen4. Fällt also auch das Schiedsverfahren ausserhalb unserer Aufgabe, so kann dasselbe doch schon um deswillen hier nicht ganz umgangen werden, weil es in einigen Stücken in den Prozess hinübergreift. II. Die g e s c h i c h t l i c h e E n t w i c k e l u n g . In seiner heutigen gemeingiltigen Gestalt bildet das Schiedsverfahren den Abschluss einer langen und nicht uninteressanten Entwickelung5. Das gemeine Recht begünstigte den Schiedsvertrag nicht. Wenn auch das Verfahren entbunden war von den Formen und Vorschriften des ProzessesG, wurde ihm doch die Lebenskraft verkümmert durch den Satz, dass der Schiedsspruch nicht gleich dem I I 254 Anm 5. 386 Anm 6. 495 Anm 4). Er ist dem Sachverständigen vergleichbar; sein arbitrium untersteht der richterlichen Nachprüfung und kann wegen Unbilligkeit oder Unangemessenheit korrigirt werden (1 76—79 D pro socio X V I I 2: unde si Nervae arbitrium ita pravum est, ut manifesta iniquitas eius appareat, corrigi potest per iudicium bonae fidei) ; Preuss. ALR I 11 § 51 nennt ihn gleich dem röm. Recht „Schiedsrichter" (arbiter) und bestimmt sein Wesen nicht näher. S. jedoch F ö r s t e r - E c c i u s I § 49a Anm 8; Sächs. BGB § 803; vgl. auch S eu f f er t X X V I Nr 187, X X V I I Nr 237, X X X I I Nr 128, X X X I I I Nr 133; ROHG I I I 74. 167, IV 428 if., V I I I 110, X 428, X V I 427, X V I I I 344; RG I I I CS 9. März 1882 (E V I 201 ff.). — 2. Vom S c h i e d s m a n n , als berufenem V e r g l e i c h s stifter. Dieser kann durch Parteiwillen (1 1 § 1. 13 § 2 D de recept. IV 8) oder durch Gesetz bestimmt sein. Vgl. F ö r s t e r - E c c i u s I § 49a Anm 9 u. Preuss. SchiedsmannsO vom 29. März 1879. In dieser Funktion erscheint der Amtsrichter im Falle CPO § 471 Abs 1. — 3. Vom S c h i e d s g e r i c h t im Sinne der RGewO § 120a (Ges vom 17. Juli 1878); dieses ist „besonderes Gericht" des GVG § 14 Nr 4. — 4. Vom S c h i e d s r i c h t e r des U n f a l l Versicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 § 63 ff. Dieses schafft wahres Schiedsgericht, welches jedoch von dem der CPO unterschieden ist durch die Eigenart seiner Konstituirung, seines Verfahrens und der Anfechtbarkeit der Entscheidung. 4 Das wird u. a. verkannt von P l o s z , Klagrecht S 82 ff. Er folgert aus der Rechtskraftwirkung des Schiedsspruchs, seiner „öffentlichen Autorität", dass der Schiedsrichter Richter sei, dem durch die Parteien nach Staatswillen die öffentlichrechtliche Gerichtsbarkeit übertragen wird. In Anm 44 giebt er selbst zu, dass der Schiedsrichter keine Zwangsgewalt hat. Auch S c h u l t z e muss konsequent von seiner Auffassung des Civilprozesses (s. oben S 10) aus das Schiedsverfahren für wahren Prozess halten. R Vgl. Motive zu CPO S 470 f. 6 Vgl. W i n d s c h e i d § 416 Anm 1; W e i z s ä c k e r S 79 ff. Binding, Handbuch. IX. 2. I :

W a c h , Civilprozess. I.

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§ 7.

Das Schiedsverfahren.

rechtskräftigen Urtheil wirken, sondern einen neuen im ordentlichen Prozess zu verfolgenden und zu entscheidenden Anspruch geben sollte7 ; also gerade das, was man erstrebte, die Vermeidung des Prozesses, war schwer erreichbar. Bedeutsame Reformen auf diesem Gebiete inaugurirten bereits die Preussische A l l g . G e r i c h t s - O r d n u n g und der Code de p r o c é d u r e c i v i l e , indem sie das Laudum als Urtheil behandelten; aber sie nahmen mit der andern Hand, was sie mit der einen gaben, denn sie unterwarfen den Spruch Rechtsmitteln und beschwerten ausserdem den Schiedsrichter mit der Vorschrift, Prozess- und Civilrecht zu beobachten8. Auch das B a y e r i s c h e Recht bewegte sich in dieser Richtung, wenn schon es dadurch dem wünschenswerthen Zustande näher kam. dass es den Schiedsspruch den Rechtsmitteln entzog, falls die Parteien nicht die Berufung vorbehalten hatten 9 . Aehnlich das B a d i s c h e Recht. Es entband zudem den Schiedsrichter von der Beobachtung der Prozessvorschriften, dagegen nicht des Civilrechts. Es forderte diese, soweit nicht vertragsmässig billiges Ermessen entscheiden sollte 10 . Am weitesten ging die H a n n o v e r s c h e Prozessordnung; ohne den Schiedsrichter irgendwie der Prozessordnung oder dem Civilrecht zu unterwerfen, entzog sie das Laudum dem Rechtsmittel und erklärte es für vollstreckbar, gleich dem ausländischen rechtskräftigen Urtheile 11 . Auf diese Basis sind die eingehenden Gesetzesvorschläge des N o r d d e u t s c h e n Entwurfs einer CPO 12 gestellt und ihm ist das Reich s recht gefolgt. III. Der S c h i e d s v e r t r a g . Das Schiedsverfahren hat eine r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e Causa. Die CPO erwähnt als solche den S c h i e d s v e r t r a g (§ 851) und letztwillige oder andere, nicht auf Vereinbarung ruhende Anord7

Vgl. G l ü c k , Erl. d. Pand. V I 100. 97 ff.; C l a p r o t h , Einl. in d. ord. bürg. Proz. 4. Ausg. Göttingen 1816. S 52; H e f f t e r , Syst. des römischen und deutschen CPR. 2. Ausg. Bonn 1843. S 105; W i n d s c h e i d § 415 Anm 4; W e i z s ä c k e r S 91. And. Mein. K e l l e r , Pand. I 606; S i e b e n h a a r , CPO S 743. 8 Für das Preuss. Recht: AGO I 2 § 171. 172. 174, s. jedoch § 173; F ö r s t e r - E c c i u s § 49a Anm 19 ff. — Für das F r a n z . Recht: C. de proc. civ. Art. 1009. 1010. 1019 ff. Dispositiver Ausschluss der Beobachtung der Regeln des Prozess- und Civilrechts (Art. 1009. 1019), der Appellation (Art. 1010). Sehl i n k , Kommentar über die franz. CPO I I I § 523 f. 527. — B r e m i s c h e GO I I § 50. 51 (ROHG I V 430 ff.). 9 Bay. CPO Art. 1332 f. 1337 f. 1340. 10 11 Bad. CPO § 1075. 1080. 1083. Hann. CPO § 533. 534. 12 NE § 1155—1187. Der PE § 1374 ff. Hess Berufung nach Vereinbarung der Parteien ^u.

§ 7.

Das Schiedsverfahren.

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innigen (§ 872). Inwiefern solche einen hinreichenden Rechtsgrund des Schiedsverfahrens zu bilden geeignet ist 1 3 , sowie darüber, welche materiellen und formellen Erfordernisse der Kompromiss hat, entscheidet das Civilrecht nach den Vorschriften der CPO 14 . Diese sind ausdrücklich nur für den Schiedsvertrag gegeben, müssen aber entsprechend Anwendung auch auf die anderweiten das Schiedsverfahren begründenden Rechtsgeschäfte finden. Der Schiedsvertrag ist nach wie vor rein privates und privatrechtliches Geschäft, dem durch die unten näher darzulegende publicistische Wirkung nicht publicistische Natur zukommt, so wenig wie solche zukommt der Ausstellung einer exekutorischen Urkunde im Sinne der CPO § 702 Nr 5 ] \ Der Schiedsvertrag hat negative publicistische Bedeutung; er schliesst die Staatsrechtspflege aus; nicht hat er positive in dem Sinne, dass er in Verbindung mit dem Receptum Gerichtsbarkeit begründen soll. Der Schiedsvertrag involvirt den Verzicht auf den Rechtsschutzanspruch als Anspruch auf richterlichen Urtheilsschutz. Die Willenserklärung, welche das Schiedsgericht begründet, muss zum Inhalt haben die Entscheidung eines Rechtsstreits durch einen oder mehrere Schiedsrichter. Dazu gehört Determination hinsichtlich des Gegenstandes, nicht hinsichtlich der Person des Schiedsrichters. 13 Eine testamentarische Anordnung: es sollen die auf Grund des Testaments entstehenden etwaigen Streitigkeiten zwischen Legataren und Erben auf dem Wege des Schiedsverfahrens durch sofort näher bezeichnete oder durch das Gericht zn bezeichnende Schiedsrichter ausgetragen werden und zwar bei Verlust des Legats bezw. der Erbschaft im Falle der Auflehnung, unterliegt einem Rechtsbedenken nach keinem in Deutschland geltenden Civilrecht. Ebenso wenig wäre es untluinlich, in Familienfideikommiss-Stiftungen ( D e r n b u r g I 325 Anm 1), Statuten von Aktiengesellschaften (ROHG I I 426), Gewerkschaften (vgl. preuss. Berggesetz vom 24. Juni 1865 § 115 Abs 2; D e r n b u r g a. 0. Anm. 2) u. dergl. Bestimmungen über Schiedsgerichte aufzunehmen. — Das Gesetz verweist einen Rechtsstreit an Schiedsgerichte in dem Unfallversicherungsgesetz (s. oben Anm 3); vgl. F ö r s t e r - E c c i u s I 266 Anm 8; D e r n b u r g a. 0. Anm 4. 14 Dass, soweit sie reichen, das Landesrecht aufgehoben und ausgeschlossen ist, folgt aus dem Verhältniss des Reichs- und Landesrechts, nicht aus der allgemeinen abrogatorischen Klausel des ECPO § 14, denn die das Schiedsverfahren betreffenden Vorschriften der Landesgesetze sind an und für sich nicht prozessrechtlicher Natur. Es kann also nicht von ihrer Aufhebung in complexu, sondern nur soweit die CPO sie inhaltlich ausschliesst, gesprochen werden. Vgl. auch M a n d r y , Civilr. Inhalt der Reichsgesetze. 2. Aufl. Freib. 1882. S 453. ir ' And. Mein. D e r n b u r g § 142 a. E.: „Der Kompromiss hat also im neuen Recht den Boden des reinen Vertragsrechts verlassen und ist zu einer Einrichtung des öffentlichen Rechts geworden." 5*

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§ 7.

Das Schiedsverfahren.

1. Der Gegenstand. a. Er darf n i c h t u n b e s t i m m t sein. Bestimmt aber ist der Rechtsstreit schon dann, wenn er seiner Causa und Res nach bestimmt ist, gleichviel ob e r 1 6 und diese selbst17 bereits gegenwältig oder erst zukünftig sind. Mit der erforderlichen Bestimmtheit verträgt sich, dass der Kompromiss auf mehrere konkrete Rechtsverhältnisse zusammenfassend sich bezieht18. Der Schiedsvertrag, welcher auf alle und jede oder doch nur der Art nach bezeichnete denkbare Rechtsstreitigkeiten einer Person gerichtet wird, ist nichtig. b. Der Gegenstand des Schiedsvertrags muss nach CPO § 851 t r a n s i g i b e l sein, d. h. der selbstthätigen Parteinormirung ungewissen (nicht nur bestrittenen) Rechtsverhältnisses, seiner Existenz, seines Umfangs, Inhalts, seiner Dauer nach, ohne Rücksicht auf die vorhandene wirkliche Rechtslage unterstellt werden können. Diese Vergleichsmöglichkeit ist nicht mit der Dispositionsmöglichkeit zu identificiren ; denn letztere kann vorliegen ohne erstere. Der rechtskräftig festgestellte Anspruch kann aufgegeben, aber nicht zum Gegenstande des Vergleichs gemacht werden 19. Es ermangelt der Zweck des letzteren. P a r t i e l l e Vergleichsmöglichkeit bedingt nicht entsprechende Zulässigkeit des Schiedsvertrags : ist jene nur in gewissen Richtungen gegeben, so folgt daraus die Unzulässigkeit eines Schiedsvertrags, welcher zu einer der Vergleichsstiftung entzogenen Regelung des Rechtsverhältnisses führen könnte. Daher kein Kompromiss über Streitigkeiten, welche das Recht zur Aufhebung eines Rechtsverhältnisses betreffen, falls der Vergleich allein zu Gunsten seines Bestandes zulässig ist 2 0 . 16 Gemeinrechtlich zweifelhaft wegen 1 46 D h. t. Bejahend : ROIIG II 159. 426; W i n d s c h e i d a. 0. § 416 Anm 14; W e i z s ä c k e r S 45 ff.: verneinend: P u c h t a , Pand. § 296. — Sächs. BGB § 1417 entscheidet die Frage nicht, ebenso wenig Preuss. AGO I 2 § 167 („eines darüber obwaltenden Streites" ist enuneiativ), C. de proc. civ. Art. 1006. 17 Das sagt § 852 nicht. Aber es ist nicht einzusehen, weshalb nicht ein zukünftiges Rechtsverhältniss als im Sinne dieses Gesetzes genügend determinirt gedacht werden könnte. Es steht nichts im Wege, den Kompromiss bedingt, d. h. durch Entstehung des bedingten Rechtsverhältnisses bedingt, abzuschliessen. Vgl. W i n d s c h e i d a. 0.; F ö r s t e r - E c c i u s S 267 Anm 10; ROHG I I 160 und die Ci täte das. Anm *. 18 1 21 § 6 D de rec. IV 8 (compromissum plenum). Dazu W e i z s ä c k e r S 44. 47. 19 W i n d s c h e i d §414 Anm6; F ö r s t e r - E c c i u s § 103 Anm 10; W e n g l e r B r a c h m a n n zu Sächs. BGB § 1409 Anm 2. 20 Wie in Ehescheidungsfragen, |in denen nur in favorem matrimonii Vergleiche möglich sind (z. B. Sächs. BGB § 1692: Preuss. AGO I 2 § 167. 168),

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Das Schiedsverfahren.

2. Die B e s t i m m u n g des S c h i e d s r i c h t e r s in der Willenserklärung ist nicht erforderlich 21. Das Gesetz findet in dem Wollen des Schiedsspruches auch die bindende Verpflichtung, zur Entstehung des Schiedsgerichts mitzuwirken. Ist der Schiedsrichter im Vertrag nicht genannt, so ernennt jede Partei einen Schiedsrichter (CPO § 854). Das ist nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre Pflicht gegenüber dem Gegner. Kommt sie derselben nicht nach, so ersetzt die gerichtliche Ernennung den Parteiakt (CPO § 855 Abs 2). Dass die Parteien berechtigt sind, von vorn herein die Ernennung Dritten zu überlassen, unterliegt keinem Zweifel. Jedoch ist solche Vereinbarung von wesentlich anderer Wirkung, als der Schiedsvertrag ohne Bestimmung des Schiedsgerichts. Der letztere ist allemal ausführbar; die Parteien haben Vorschläge zu inachen, bis es gelingt das Schiedsgericht zu Stande zu bringen. Der Schiedsvertrag dagegen, welcher einer oder mehreren bestimmten Personen die Ernennung überlässt, ist hinfällig, wenn diese sich der Ernennung nicht unterziehen wollen oder nicht unterziehen können 22 . 3. Der S c h i e d s v e r t r a g k a n n e n t h a l t e n die Ernennung der Schiedsrichter, Vorschriften über die eventuelle Wahl des Obmanns, die Abstimmung. Gesetzliche Schranken sind solcher Parteidisposition nicht gezogen. a. Hinsichtlich der Person des Schiedsrichters werden nur veroder in Streitigkeiten über die Alimentationsberechtigung überhaupt, auf welche für die Zukunft zu verzichten das Gesetz nicht gestattet (vgl. Sächs. BGB § 1852); s. auch D e r n b u r g § 143 Anm 3, welcher jedoch den entscheidenden Gesichtspunkt nicht genügend klar stellt. 21 Anders gemeines Recht, arg. 1 17 § 4. 5, 1 9 h. t.; ROHG I I 160, X 6; S e u f f er t X I I I Nr 314; W e i z s ä c k e r S7 ff. Bestimmung ist aber nicht nur Nennung des Namens der Person, sondern auch Bestimmung des Weges, auf welchem ohne weitere Willenseinigung der Schiedsrichter zu erlangen ist. Fehlt es an solcher Bestimmung, so liegt gemeinrechtlich höchstens ein pactum de compromittenclo vor. Ob und wie diesem Wirksamkeit zu geben sei, darüber theilten sich die Meinungen. Vgl. die Citate in ROHG I I 160 Anm ** ; W i n d s c h e i d S 575 Anm 17. Für Sächs. Recht : We η g i e r - B r a c h m a n n zu BGB § 1417 Anm 7 ; Preuss. Recht : F ö r s t e r - E c c i u s a. 0. Anm 11; D e r n b u r g I 326. 22 Es kann dahin gestellt bleiben, ob das der Sinn der 1 17 § 5 D h. t. ist. Nach einer Meinung wäre der Kompromiss, durch welchen ausdrücklich die Wahl «ines Schiedsrichters auf die Einigung zweier Parteien gestellt wird, nichtig; c. 12 X de arb. I 43 erweitert diesen Gedanken zu dem allgemeinen Satze: „compromissum de incerta persona in arbitrium assumenda non valere". — Aber die Theorie hat der Praxis durch Annahme eines Widerspruchs mit andern überwiegenden Quellenstellen (1 17 § 6 D h. t., vgl. W i n d s c h e i d § 416 Anm 13) oder durch Berufung auf gewohnheitsrechtliche Entwickelung geholfen, oder sie hat künstliche Vereinigungsversuche gemacht (ROHG I I 163).

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§ 7. Das Schiedsverfahren.

zichtbare Ablehnungsgründe in CPO § 858 erwähnt. Essentielle Voraussetzungen für die Befähigung zum Schiedsrichter stellt die CPO nicht auf. Es können also auch Frauen, Minderjährige, Taube, Stumme23, Personen, welchen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, ernannt werden (CPO § 858 Abs 3), ebenso solche, welche nach CPO § 41—43 als Richter ablehnbar sind. Doch versteht es sich von selbst, dass der Schiedsrichter nicht die Partei sein, noch dass er des Intellekts entbehren darf 24 . b. Die Möglichkeit, eine j u r i s t i s c h e Person, speciell eine Behörde zum Schiedsrichter zu ernennen, wird gewöhnlich in dem Sinne bejaht, dass die diese Person Repräsentirenden, die jeweiligen Organe, die gekorenen Richter seien. Es lässt das einen doppelten Sinn zu: entweder den, dass durch Bezeichnung der Korporation usw. die jeweiligen Repräsentanten als I n d i v i d u e n ernannt sein sollen, oder den, dass mit dem Wechsel der Repräsentanten zugleich der Wechsel der Schiedsrichter einzutreten habe. Beides kann die Absicht der Parteien sein, und beides ist juristisch möglich. Auch die Behörde als solche kann zum Schiedsgericht gemacht werden, wenn das Gesetz ihr das Recht oder die Pflicht beimisst, sich derartigen schiedsrichterlichen Aufgaben zu unterziehen 25. 4. Die F o r m des Verfahrens ist ganz der freien Vereinbarung anheim gestellt. Zwar bestimmt CPO § 860: „die Schiedsrichter haben vor Erlassung des Schiedsspruchs die Parteien zu hören", aber aus § 867 Abs 2 erhellt, dass selbst das rechtliche Gehör durch Vereinbarung ausgeschlossen werden kann. Nur insoweit ist der Parteidisposition Schranke gezogen, als offenbar die CPO gewisse Verfügungen mit dem principiellen Wesen des Schiedsverfahrens für unvereinbar erachtet 26. 5. Betreffs der A b s t i m m u n g können die Parteien beliebig disponiren (CPO § 859 Nr 2, § 864). Sie können jede B e g r ü n d u n g 23

Anders das römische Recht : D e r η h u r g S 341 Anm 14 ; We i z s ä c k e r S18 ft". F ö r s t e r - E c c i u s S 268; D e r n b u r g S 327. 26 ROHG I I 269 ff., X V I I 252 f.; vgl. RV Art. 76 (vom Bundesrath mehrfach höchste Gerichte zum Schiedsgericht gewählt). Vgl. auch Ges vom 8. Nov. 1867 betr. die Organisation der Bundeskonsulate § 21 ; dazu Allgem. Dienstinstruktion vom 6. Juni 1871 zu § 21 (bei Z o r n , Konsulargesetzgebung S 63j; Konsularkonvention mit den Niederlanden vom 16. Juni 1856 bis 11. Jan. 1872 (RGBl 1872 S 67) Art. 12; Konsularvertrag mit Brasilien vom 10. Jan. 1882 (RGBl 1882 S 69) Art. 11 Nr 2. 26 Nicht zulässig ist eine Vereinbarung über die Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen den Schiedsspruch (CPO § 867 Nr 1—3 Abs 2). Vgl. auch HG I CS 11. Febr. 1882 (Jur. Wochenschr. X I 1882 S 91). 24

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Das Schiedsverfahren.

des Laudum für überflüssig erklären, ja verbieten (CPO § 867 Abs 1 Nr 5, Abs 2). IV. D i e Form des Kompromisses. Die CPO hat über sie keinerlei Anordnungen getroffen. Sie giebt nur in § 853 den Kontrahenten ein Recht auf Beurkundung für den Fall, dass nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts ein mündlich geschlossener Schiedsvertrag giltig ist. Von der Erfüllung dieser Verpflichtung hängt die Realisirung des Kompromisses durch Schiedsverfahren nicht ab. V. Die R e c h t s w i r k u n g des S c h i e d s v e r t r a g s . Aus ihm folgt die beiderseitige Verpflichtung der Kontrahenten, die Streitsache auf dem Wege des Schiedsverfahrens auszutragen und die dazu erforderlichen Handlungen vorzunehmen. Darin liegt:. einmal die Verpflichtung, das Schiedsgericht auf Erfordern des andern Theils zu Stande bringen zu helfen; sodann die Verpflichtung, nur vor dem Schiedsgericht Recht zu nehmen und vor ihm Recht zu geben27, alles nach Maassgabe des Kompromisses und Gesetzes. Einer Bekräftigung durch Strafklauseln bedarf der Vertrag nicht. Klage, Einrede, Replik sind die Mittel, mit denen seine Wirkungen zur Geltung gebracht werden. 1. Die E i n r e d e des S c h i e d s v e r t r a g s . Der vertragsmässige Ausschluss der klagweisen Rechtsverfolgung, des Rechtswegs in diesem Sinne, wird durch E i n r e d e verfolgt. Sie ist nicht prozesshindernde Einrede der vertragsinässigen Unzulässigkeit des Rechtswegs (CPO § 247 Nr 2), denn es verliert die Sache durch den Kompromiss nicht die Qualität als Rechtssache. Diese Eigenschaft kann der Parteiwille ihr weder geben noch nehmen28. Der Kompro27 Diesen Ausdruck gebrauche ich gleichbedeutend mit zu Rechte stehen und gestattete ihn mir unerachtet des belehrenden Widerspruchs L a b a n d s , Staatsr. I I I 2 S 24 Anm 1: „dass Recht nur der Staat gebe, dagegen die Partei das, worauf ihr dare facere praestare oportere gehe, also Geld, Gut u. s. w. u . Ich befinde mich damit im Einklang mit der alten Rechtssprache, welche von einem iustitiam facere des Beklagten redet, und doch wohl auch mit unserem guten Deutsch, welches vom Beklagten sagt, dass er Recht weigere (vgl. Ssp Lehnrecht I I I 87 § 3. 4, I I 44 § 2; denn was er weigern kann, muss er auch geben können. Auch konstatire ich den heutigen Sprachgebrauch, vgl. z. B. P l a n c k I 59: „In der Dingpflicht ist endlich eingeschlossen die Pflicht, dem Richter rechtes to plegen d. h. in eigenen Angelegenheiten vor ihm Recht zu geben und zu nehmen." 28 RG I I CS 28. Nov. 1882 (Ε V I I I 347), IV CS 8. Febr. 1883 (Ε V I I I 398), I CS 26. Sept. 1883 (Ε X 367 ff.). Hanseat. OLG 24. März 1881 bei S eu f f er t X X X V I I Nr 156.

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§ 7.

Das Schiedsverfahren.

miss berührt den Anspruch seiner Existenz nach nicht — es liegt in ihm weder ein Verzicht auf das Recht, noch eine Stundung — ; auch macht er das Recht nicht aus einem erzwingbaren (klagbaren) zu einem nicht erzwingbaren (klaglosen), die Obligatio nicht aus einer civilis zu einer naturalis; die Einrede des Kompromisses behauptet nur, dass das Recht nicht festgestellt werden dürfe durch den Richter, sondern allein durch Schiedsrichterspruch. Sie lehnt in diesem Sinne den Rechtsschutzanspruch ab. Damit erscheint in der That diese Einrede als Verneinung der Defensionspflicht, als eine die F o r m der Rechtsverwirklichung, nicht ihren Inhalt betreffende, als prozessualische, nicht als materielle Einrede 2 9 . Aber nicht jede prozessualische Einrede ist eine prozesshindernde des § 247. Unrichtig wäre es, die Einrede des Schiedsvertrags als Einrede der Rechtshängigkeit zu bezeichnen, denn der Schiedsvertrag begründet solche nicht. Er lässt sich weder mit der Litiskontestation, noch mit der Klagerhebung parallelisiren. Das springt besonders klar heraus beim Kompromiss über zukünftige Rechtsstreitigkeiten. Durch den Schiedsvertrag ist nur festgestellt, dass wenn es zur urtheilsmässigeii Erledigung kommen soll, dieselbe auf dem Wege des Schiedsverfahrens zu geschehen habe, dagegen noch keineswegs, dass es zu diesem kommen müsse. Auch das zum Schiedsvertrag hinzutretende Receptum begründet nicht Rechtshängigkeit; es schafft das gewillkürte Rechtspflegeorgan. Von der Rechtshängigkeit liesse sich nur reden mit dem Momente des der Klagerhebung analogen Akts, der Rechtsbetreibung vor dem Schiedsgericht 30 . Aber auch dann giebt es keine technische sog. Einrede der Rechtshängigkeit, sondern immer nur die Einrede des Schiedsvertrags. 20

And. Mein. S t r u c k m a n n - K o c h § 247 Anm 5; v. W i l m o w s k i - L e v y § 247 Anm 4 zu Nr 2; S e u f f e r t S 308 Anm 5; O s t e r l o h , Ζ f. CP I I I 77, auch oben Anm 28 ang. E. d. Hanseat. OLG. So auch der Standpunkt des RG, s. die in der vor. Anm ang. E. Für uns: P e t e r s e n zu § 247 S 414 ff., Ζ f. CP I I I 206 Anm; P u c h e l t I I 38, welche beide nur insofern irren, als sie hier eine Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges annehmen. Auch F ö r s t e r - E c c i u s S 268 Anin 13 spricht von Unzulässigkeit des Rechtswegs. Näheres darüber bei der Lehre von den Prozessvoraussetzungen. 30 L 5 § 1 C h. t.; W e i z s ä c k e r S 75. Wenn W i n d s c h e i d für das gemeine Recht eine Einrede des Schiedsvertrags anerkennt (§ 415 Anm 7), so sagt er doch nicht, dass er sie als Einrede der Rechtshängigkeit denkt (wie D e r n b u r g § 142 Anm 4 annimmt); sie kann als eigenartige exceptio pacti (le non petendo aufgefasst sein. D e r n b u | r g a. 0. Anm 7: „Bei uns macht das Kompromiss die Sache selbst vor dem Schiedsrichter anhängig, so dass dieselbe nicht vor die ordentlichen Gerichte gebracht werden kann, so lange das Kompromiss noch (reitung hat." — Vgl. F ö r s t e r - E c c i u s S 270.

7. Das Schiedsverfahren.

2. Die K l a g e aus dem S c h i e d s v e r t r a g . Aber der Schiedsvertrag erzeugt auch K l a g e , Klage zur Herbeiführung des Schiedsverfahrens, und zwar, wenn nichts abweichendes bestimmt ist, für beide Theile. Jeder kann als betreibende Partei den Gegner zur Ernennung des noch zu bestellenden Schiedsrichters nöthigen (CPO § 855. 857); er richtet zu diesem Zwecke unter eigener Ernennung des Schiedsrichters an den Andern die Aufforderung, binnen einer einwöchigen Frist seinerseits ein gleiches zu thun; eventuell klagt er auf richterliche Ernennung des Schiedsgerichts (CPO § 871. 855 Abs 2). Der dadurch entstehende Prozess ist nicht Prozess über eine civilistische Verpflichtung des Richters, sondern Klage gegen den Gegner, Geltendmachung des Anspruchs auf Erfüllung des Schiedsvertrags mit Aufnahme des zu exequirenden Rechtsschutzaktes in das Petitum. Es wird daher auf Grund der Klage rechtskräftig über die Existenz des Schiedsvertrags erkannt, wenn dieser bestritten werden sollte. Es greifen die gewöhnlichen Regeln des Prozesses Platz. Die Eigentümlichkeit der Klage liegt lediglich darin, dass sie nicht die gegnerische Handlung zu erzwingen sucht, sondern sich direkt auf die Ersatzhandlung des Richters richtet. VI. Das S c h i e d s v e r f a h r e n . Das Verfahren vor dem Schiedsgericht ist regellos, sofern nicht die Vereinbarung der Parteien Regeln setzt. Nur der Zweck zieht gewisse vernunftmässig zu beobachtende Schranken. Daher darf man nicht sagen, dass der Schiedsrichter „die wesentlichsten Prozessgrundsätze4' zu wahren habe 31 . Das Gesetz fordert von ihm allein, dass er gewissenhaft die Parteien und ihre Vertreter höre, das dem Streit zu Grunde liegende Sachverhältniss ermittele, so weit er die Ermittelung für erforderlich erachtet (CPO § 860. 867 Nr 4), und seinen Spruch begründe (CPO § 867 Nr 5). Ob er mündlich oder schriftlich verhandelt, den Parteien präklusivische Zeiträume für ihre Handlungen setzt, aus ihrer Säuinniss, ihrem Schweigen der CPO entsprechende oder widersprechende Folgerungen zieht, ist ihm anheim gestellt. Das Princip des rechtlichen Gehörs fordert nur die Entgegennahme der Angriffs-, Vertheidigungs-, Beweis-Mittel, aber nicht zeitlich und formell unbeschränkte Entgegennahme. Der Umfang, in welchem der Schiedsrichter Beweise erheben will, ist ganz seinem Ermessen überlassen. Selbst dann, wenn er sich der Beweisaufnahme ganz entschlagen sollte, ist der Schiedsspruch unanfechtbar 32. Es folgt das 31 32

So D e r n b u r g § 144 S 343. Nur darf er nicht die ,.Yersäumniss" der Partei als Grund behandeln, sich ganz

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§ 7. Das Schiedsverfahren.

aus seiner vertragsinässigen Grundlage. Seine Kraft ruht nicht in seiner Wahrheit oder Gerechtigkeit, sondern in dem übereinstimmenden Wollen der Parteien. Wünschen sie eine Garantie sorgfältiger Sachprüfung, so haben sie diesbezügliche Vorschriften in den Schiedsvertrag aufzunehmen. — Ob das Verfahren zu sistiren ist, wenn dessen Unzulässigkeit gerügt wird, bestimmt der Schiedsrichter nach freiem Ermessen (CPO § 863). Eine prozessualische Zwangsgewalt kommt ihm nicht zu. Er kann wohl Zeugen und Sachverständige vernehmen, aber sie nicht zum Erscheinen und Aussagen zwingen (CPO § 861). Er darf sie, wie die Partei auch dann nicht beeidigen, wenn sie zum Schwüre bereit sind (CPO § 862). Ueberall ist er hier auf die Unterstützung des Gerichts gewiesen. Aber auch diese kann er, weil der Gerichtsbarkeit entbehrend, nicht durch Requisition erbitten; die Partei allein hat durch diesbezüglichen Antrag die Handlung des Gerichts zu veranlassen (CPO § 862). VII. Der Schiedsspruch. Bei kollegialer Besetzung fällt das Schiedsgericht seine Entscheidung mit absoluter Mehrheit, falls nicht anderes vereinbart ist (CPO § 864). Sie ist schriftlich unter Angabe des Tages der Abfassung (nicht der Publikation) abzusetzen und von den Schiedsrichtern zu unterzeichnen. Sie ist von diesen den Parteien zuzustellen33 und in gleichfalls unterschriebener Ausfertigung unter Beifügung der Zustellungsurkunde auf der Gerichtsschreiberei des zuständigen Gerichts niederzulegen (CPO § 865). VIII. Die R e c h t s w i r k u n g des Schiedsspruchs. Der Schiedsspruch hat Recht skr aft s Wirkungen. Die CPO § 866 fasst diesen Gedanken in die Worte: „Der Schiedsspruch hat unter den Parteien die Wirkungen eines rechtskräftigen gerichtlichen Urtheils." Es ist zu untersuchen, ob und in welchem Umfange solche Wirkungen in der That anzunehmen sind: wäre der Schiedsrichter Staatsorgan, ausgerüstet mit staatlicher Gerichtsbarkeit, so würde das der Sachprüfung zu entschlagen. Es folgt das schon aus der Pflicht, den Schiedsspruch mit Gründen zu versehen. Als solcher Grund kann die Berufung auf die Versäumniss nicht gelten. And. Mein., wie es scheint, D e r n b u r g S 341, gestützt auf S t r i e t h o r s t X X X I X 347. Vgl. gegen ihn die Motive zur CPO § 860 a. E., auch PE § 1370 und dazu Motive S 335; Nordd. Prot V 2280; Ende ma η η I I I 468; v. W i l m o w s k i - L e v y § 860 Anm 1; S t r u c k m a n n - K o c h § 860 Anm 3; S e u f f e r t § 860 Anm 2. 33 Vgl. RG I CS 5. Nov. 1881 (Ε V 400) und dagegen nicht überzeugend M o e i l er, Ζ f. CP V 275 if.

§ 7. Das Schiedsverfahren.

Laudum nicht nur Wirkungen der Rechtskraft haben, sondern selbst rechtskräftiges Urtheil im Sinne der CFO sein. Da jene Prämisse nicht zutrifft, ist es nicht nur nicht „rechtskräftiges Urtheil", sondern ist es auch — unerachtet des § 866 — nicht aller Rechtskraftswirkungen theilhaftig. 1. Der Schiedsspruch besitzt nicht V o l l s t r e c k b a r k e i t ; ist sie auch nicht die Rechtskraft, so ist sie doch eine Rechtskraftswirkung. Das voll wirksame rechtskräftige Urtheil bedarf nicht der Verleihung der Vollstreckbarkeit durch Richterakt, sondern nur der Beurkundung derselben durch Gerichtsschreiberakt (CPO § 644. 662) 34 . Dem Schiedsspruch ist die Vollstreckbarkeit versagt; er empfängt sie erst durch richterliches Vollstreckungsurtheil (§ 868). Auf dieses ist zu klagen (§871); die Klage wird im ordentlichen Verfahren verhandelt; ihr Klaggrund ist der Schiedsspruch, ihr Gegenstand der in ihm zuerkannte feststehende Anspruch. Inwieweit die Gesetzmässigkeit des Schiedsspruchs zu prüfen ist und Einreden gegen ihn zulässig sind, ist im Zusammenhang mit der Frage seiner Anfechtbarkeit überhaupt zu beantworten. 2. Wesen und Wirkung der Rechtskraft 35 des Urtheils ist die nicht entscheidungsbedürftige und nicht mehr entscheidungsfähige Rechtsnormirung, ist die unbestreitbare, unanfechtbare, unabänderliche Feststellung des entschiedenen Rechtsverhältnisses, die bindende Kraft der Entscheidung für diese Parteien und die Gerichte dieses Staates betreffs dieser Sache. Sie macht sich prozessualisch formell geltend in Ausschluss des ordentlichen Rechtsmittels oder Einspruchs, materiell positiv und negativ in der Ao iudicati und Exco rei iudicatae. Und [ist die Unanfechtbarkeit auch keine absolute, da das Gesetz Ausnahmen von ihr zulässt in der Form und den Fällen der „Wiederaufnahmeklage" (CPO § 541—554), so beschränkt es doch die Anfechtbarkeit schlechthin auf die ausdrücklich zugelassenen Ausnahmen § 542. 543—545) und auf die für ihre Geltendmachung eingeräumte Frist (§ 549. 545) und Form. — In allen diesen Beziehungen — abgesehen von der formellen Rechtskraft im Sinne der Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln oder Einspruch — weicht der Schiedsspruch von dem Urtheil ab; die Rechtskraft erscheint nicht negirU aber erheblich abgeschwächt. a. Wie das Schiedsverfahren, so steht der Schiedsspruch unter der D i s p o s i t i o n der Parteien. Das Urtheil ist ihr entzogen; die Parteien können über die aus ihm erwachsenen Rechte verfügen, aber 34 3Γ

Vgl. m e i n e Vorträge S 235. · Das Nähere darüber unten bei der Lehre vom Urtheil.

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§ 7.

Das Schiedsverfahren.

nicht das Urtheil vertragsmäßig aus der Welt schaffen. Nichts aber steht im Wege, dass sie durch Vereinbarung den Schiedsvertrag mit allen seinen Folgen einschliesslich des Laudum nachträglich wieder aufheben, in. a. W. sich dahin einigen, das Rechtsverhältniss als unentschieden behandeln zu wollen 36 . Daher können die Parteien, wenn es ihnen beliebt, die schiedsrichterlich abgethane Sache zum Gegenstand des Prozesses machen, ohne dass der Richter, dem etwa das Laudum offenkundig wäre, berechtigt erschiene, dasselbe von Amtswegen zu berücksichtigen. b. Die A n f e c h t u n g des Schiedsspruchs ist formell und materiell erheblich gegenüber dein Urtheil erweitert. F o r m e l l : sie kann in Form der K l a g e , der E i n r e d e oder R e p l i k (gegen die Einrede des Schiedsspruchs) geschehen, während die des rechtskräftigen Urtheils nur durch Wiederaufnahmeklage (§ 541) möglich ist. Die Einrede gegenüber der Klage auf Ertheilung der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs statuirt das Gesetz ausdrücklich in § 868 Abs 2. Und so lange diese Klage zulässig ist, so lange ist es die Anfechtung, also — wie logisch hiernach unabweisbar — auch clie Anfechtung durch Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs (CPO § 870. 871). Nur dann, wenn bereits das Vollstreckungsurtheil ergangen ist, wird die klageweise Anfechtung — welche nunmehr allein übrig bleibt — an eine Nothfrist gebunden (§ 870). Hier zeigt sich deutlich, dass das Vollstreckungsurtheil dem Schiedsspruch nicht nur Vollstreckbarkeit, sondern gesteigerte Rechtskraftswirkung verleiht. Die Anfechtung ist nach CPO § 867 aus folgenden Gründen zulässig: 1. Unzulässigkeit des Verfahrens, 2. Unzulässigkeit des Urtheilsgebots, 3. mangelnde gesetzliche Vertretung der Partei, 4. Versagung rechtlichen Gehörs, 5. Mangel der Gründe, 6. Restitutionsfall des § 543 Nr 1—6. Die Aufhebungsgründe Nr 4. 5 fallen fort, wenn die Parteien gegentheiliges vereinbart hatten, der Grund Nr 3 ( = § 542 Nr 4) wird beseitigt durch nachträgliche Ratihabition. — Der Grund Nr 1 deckt die Nichtigkeitsgründe des Urtheils § 542 Nr 1—3, geht aber zugleich erheblich weiter; er sowohl wie Nr 4 gestatten die Nachprüfung der gesetzmässigen Entstehung des Schiedsspruchs wenn auch nicht in vollem, so doch in weitem Umfang. Die „ U n z u l ä s s i g k e i t " des Verfahrens (Nr 1) ist nicht die Fehlerhaftigkeit des zulässigen Verfahrens 37: das erhellt bereits aus dem 36 Man könnte darüber streiten wollen: vgl. jedoch B e k k e r , Aktionen des röm. PrR I I (1873) S 299. 87 Möglicherweise anders zu deuten M o t i v e zu § 867 (E § 808): ,.So hangt

§ 8. Civilprozesssache und Administrativsache.

Nebeneinander der Nr 1, 4 und 6. Unzulässig ist das Verfahren, wenn es nicht zuzulassen gewesen wäre 38 , d. h. wenn es an seinen Voraussetzungen mangelte. Das ist der Fall, wenn es entweder am S c h i e d s v e r t r a g f i'i r d i e s e S a c h e (sei es dass er nichtig, anfechtbar oder fortgefallen ist : § 859) oder am S c h i e d s g e r i c h t fehlt (sei es dass kein Receptum arbitri zu Stande gekommen oder das Schiedsgericht nicht Vertrags- bezw. gesetzmässig konstituirt ist 3 9 ). Diese Begriffsbestimmung findet ihre unmittelbare Bestätigung in § 863 (vgl. mit g 871), wo exemplificirend der Begriff der „Unzulässigkeit" des Schiedsverfahrens dargelegt wird. — Hieraus aber erhellt, dass in dem Umfang, in welchem die Causa des Schiedsverfahrens anfechtbar ist, der Schiedsspruch selbst es ist. Sonach kann von seiner Rechtskraft nur in höchst abgemindertem Maasse gesprochen werden und bedarf § 866 einschränkender Auslegung. S 8. C i v i l p r o z e s s s a c h e und A d m i n i s t r a t i v s a c h e 1 . I. C i v i l p r o z e s s s a c h e ist Rechtssache, nach Recht und Gesetz zu erledigender Gegenstand der Rechtspflege. Aber nicht jede Rechtsseine (sc. des Schiedsspruchs) Geltung davon ab. dass der Schiedsvertrag dem Gesetze und das schiedsrichterliche Verfahren dem AVillen der Parteien und den ergänzenden Normen dieses Gesetzbuchs entspricht." Aber die Motive sind nicht Gesetz. Vgl. auch zu § 867 S e u f f e r t Anm 2 (woselbst Vorgeschichte); S t r u c k m a n n - K o c h Anm 2; G a u p p I I I 578 ff.; P e t e r s e n S 1163; ν. S a r w e y I I 307. And. Mein. v. W i l m o w s k i - L e v y Anm 2: E n d e m a n n I I I 481; H e l l m a n n I I I 221 f.; K l e i n e r I I I 357 f.: P u c h e l t I I 759. 38 In diesem Sinne spricht das Gesetz von Zulässigkeit bezw. Unzulässigkeit des Rechtswegs § 247 Nr 2. 528 Nr 2, der Berufung § 483. 497, der Revision § 529, des Einspruchs § 306. 307. 500 Nr 1, der Beschwerde § 537, der Wiederauihahmeklage § 552, der Eideszuschiebung, -Zurückschiebung § 410. 413. 417 Abs 2. 577 Abs 2, der Zwangsvollstreckung § 660. 661 Nr 2. 868 u. a. 0. Das Gesetz braucht damit nicht selten synonym das Adjektiv „statthaft" und „unstatthaft" oder das Zeitwort „stattfinden", wenn schon jenes auch noch einen engeren Sinn hat. 39 Dazu auch § 859 und der Fall der Mitwirkung eines Schiedsrichters, welcher gesetzlich abgelehnt worden ist: § 858 vgl. mit § 542 Nr 3. 1

Die Literatur des Gegenstandes ist weit verzweigt ; es orientiren über ältere Arbeiten Z a c h a r i a e , Deutsches Staats- und Bundesrecht. 3. Aufl. Göttingen 1867. I I g 147. 175; ν. G e r b e r , Grundzüge des deutschen Staatsrechts. 3. Aufl. Leipzig 1880. S 181 ; ν. R ö n n e , Staatsrecht der preuss.Monarchie. 4. Aufl. Leipzig 1881. I 1 S 485 und besonders v. S a r w e y , Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege. Tübingen 1880. S 119 ff. — Für Preuss. Recht vgl. H. S c h u l z e , Preuss. Staatsr. I I 1 S 275. 354 ff.; Sydow, Die Zulässigkeit des Rechtswegs und die Kompetenzkonflikte. Berlin 1860; O p p e n h o f f , Die preuss. Gesetze über die Ressortverhältnisse zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden. Berlin

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sache ist civilprozessfähig. Wir haben bereits oben (§ 2) das rechtsschutzbedürftige Privatreehtsverhältniss als den Gegenstand des Civilprozesses bezeichnet, dabei aber den Begriff desselben unerörtert gelassen. Zur näheren Bestimmung der Civilprozesssache und damit des Civilprozessgebietes bedarf es der Grenzregulirung derselben gegenüber der aussercivilprozessualen Rechtspflege, d. h. einerseits gegenüber der Strafsache, andererseits der V e r w a l t u n g s s a c h e . Mannigfache Gründe theils innerer, theils äusserer Natur haben die Trichotomie der Rechtssachen, die Verschiedenheit der Organisation der Rechtspflegefaktoren und des Verfahrens bestimmt. Dies darzulegen fällt der Geschichte, der Staats- und Verwaltungsrechtslehre zu. Wir haben mit dem Gewordenen zu rechnen. Seine Betrachtung wird zeigen, dass der oben angegebene Begriff der Civilprozesssache als des Privatrechtsverhältnisses berichtigungsbedürftig ist. II. C i v i l - und Strafsache. Der Gegensatz zwischen Straf- und Civilsache ist einfach und klar. Er ist der Gegensatz zwischen staatlicher Strafberechtigung und Civilrecht. zwischen dem publicistischen Strafanspruch, d. h. dein Ansprüche des Staates als solchen auf Schuldvergeltung durch öffentliche Strafe und dem subjektiven privaten Recht. III. C i v i l j u s t i z - und A d m i n i s t r a t i v s a c h e . P r i n c i p l o s i g k e i t des Reichsrechts. Sehr viel dunkler und verwickelter liegt das Verhältniss der Civiljustiz- und Administrativjustizsachen, des „Rechtswegs" und „Verwaltungswegs", wie man sich ungenau, ja unrichtig auszudrücken gewöhnt hat. Die Reichsgesetzgebung hat bewusst darauf verzichtet, für den Unterschied der Justiz- und Verwaltungssachen entscheidende Kriterien aufzustellen. Sie unterscheidet „bürgerliche Rechtsstreitigkeiten" und „Strafsachen" von den übrigen der Verwaltung oder den Verwaltungsbehörden überlassenen Rechtssachen und weist den ordentlichen Gerichten diejenigen „bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten" und „Strafsachen" Ii63. Wichtig die Präjudicien des königl. Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte ( U l r i c h , Präjudicien. Berlin 1850; V e r z e i c h n i s s der hei dem königl. Gerichtshofe usw. erledigten Sachen. Berlin 1870; H i l s e , Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte. Berlin 1874) und des königl. Oberverwaltungsgerichts ( E n t s c h e i d u n g e n , her. von v. J e b e η s und v. M e y e r η. Berlin 1877 ff.). — Anderweite partikularrechtliche Literatur s. unten Anm 9 ff. — Das Hauptwerk über diese Materie ist zur Zeit die angeführte Schrift v. S a r w e y s . Dazu für das Reichsrecht Ha us er, Die deutsche Gerichtsverfassung. Nördlingen 1879 (Sep.-Ausg. aus Ζ f. Reichs- und Landesr., herausg. von Hauser, IV 1 ff. 241 ff., V 1 ff.).

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zu, „für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind" 2 . Das Gesetz scheint einen festen materiellen Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit vorauszusetzen ; in der That aber fehlt ihm ein solcher. Bestimmt ist nur der Begriff der Rechtsstreitigkeit, als einer nach Recht und Gesetz zu entscheidenden Rechtssache, nicht das Kriterium „bürgerlich". Daher zahlreiche Missverständnisse. Man hat gemeint, es beschränke das Wort „bürgerlich" den allgemeinen Begriff der Rechtsstreitigkeit auf die Privatrechtssachen: d.h. den Streit um Privatrecht, den nach objektivem Privatrecht zu entscheidenden Streit 3 . Diese Auslegung würde einen materiellen reichsrechtlichen oder doch einen landesrechtlichen Begriff des Privatrechts fordern. Nur die unter ihn fallende Rechtssache, nicht die publicistisch geartete, wäre Civilprozesssache. Sollte demnach aus Reichs- oder Landesrecht ein Begriff der privatrechtlichen Sache erweislich sein, so wäre nach ihm die civilgeriehtliche Kompetenz positiv oder negativ zu bestimmen. Das aber ist nicht der Inhalt des GVG § 13. Das Gesetz giebt weder positiv noch negativ eine materielle Begrenzung des Rechtswegs. Es spricht nur die Aufrechterhaltung des Reichs- und Landesrechts aus. Es sagt nicht mehr und nicht weniger als : Alle nach Reichs- oder Landes2

GVG § 13 vgl. mit GVG § 12, EGVG § 2, ECPO § 3, EStPO § 3. Das ECPO § 3 bestimmt: „Die Civilprozessordnung findet auf alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung, welche vor die ordentlichen Gerichte gehören. Insoweit die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für welche besondere Gerichte zugelassen sind, durch die Landesgesetzgebung den ordentlichen Gerichten übertragen wird, kann dieselbe ein abweichendes Verfahren gestatten." 3 So die gemeine Meinung. Vgl. u. a. v. W i l m o w s k i - L e v y S 16. 1056; G a u ρ ρ 12 f. ; er formulirt den Satz : Der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten ist ausgeschlossen . . . für solche Rechtsstreitigkeiten, welche nicht die Natur von „bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten" haben. „Der Anspruch muss hiernach ein privatrechtlicher sein. Ausgeschlossen sind alle Ansprüche, deren Rechtsgrund in dem Subjektionsverhältniss zur Staatsgewalt oder in der Beziehung zu einem anderen, dem öffentlichen Rechte angehörigen Verbände wurzelt." E n d e m a n n I 61: „Jedenfalls gehören hierher nur solche Streitigkeiten, in denen ein Privatrechtsanspruch verfolgt wird." — Die Unklarheit und Inhaltslosigkeit des GVG § 13 ist schon bei der Berathung des Ε in der RJK wiederholt gerügt worden; der Abg. R e i c h e n s p e r g e r bemerkt: die Bestimmung des § 2 des Ε (§ 13 GVG) sei nichts als ein circulus vitiosus (Prot Sitz. 122 II. Th. S 804); der Abg. B a h r : in § 2 des Ε des GVG sei eigentlich gar nichts gesagt als: „vor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, soweit sie nicht vor andere Behörden gehören" und — hätte B a h r hinzusetzen sollen — soweit sie von dem Reichs- oder Landesrecht für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten erklärt werden.

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recht als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, d. Ii. als nach Recht und Gesetz von den Civilgerichten abzuurtheilende ausserstrafrechtliche Streitigkeiten der Bürger, Einzelner im Staate, anzusehende Sache, gehören vor die ordentlichen Gerichte, soweit sie nicht nach Reichsoder Landesrecht den Verwaltungsinstanzen überwiesen sind. Sie gehören also vor die Civilgerichte, gleichviel ob sie privatrechtlich oder publicistisch sind. Dass dieses die Meinung des Gesetzes, folgt 1. aus der absichtlichen Unbestimmtheit des Begriffes „bürgerliche Rechtsstreitigkeit", derzufolge nur ein durch das ausserprozessuale Recht, nicht durch die Wissenschaft auszufüllendes Begriffsschema aufgestellt wird 4 ; 2. aus der Geschichte des Gesetzes, welche deutlich erkennen lässt, dass keinerlei Verschiebung des geltenden Rechts durch § 13 des GVG beabsichtigt war 5 . 4 Der Ausdruck „bürgerliche Rechtsstreitigkeit" wird in den Reichsgesetzen häufig gebraucht und zwar 1. gewöhnlich für die Civiljustizsache im Gegensatz zur S t r a f s a c h e : z. B. EGVG § 3. 8; GVG § 23. 70. 71. 101. 123 Nr 1. 135. 156. 157; Ges über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879 § 9, II., III., § 21 ff. ; aber auch 2. im Gegensatzzur K o n k u r s - und S t r a f s a c h e : GK G II., III.. IV. Abschn.; GO f. RA II., III., IV. Abschn.; Ges über die Konsulargerichtsbarkeit § 14. 18; 3. synonym mit civilrechtlicher Verfolgung braucht den Ausdruck EGVG § 11 (entsprechend stellt das Konsular-Ges § 3. 4 entgegen dem Strafrecht das „bürgerliche Recht" — vgl. dazu ECPO § 10—16 Nr 1 ff. —), während 4. GVG § 15 Abs 3 die ^bürgerlichen Wirkungen" — d. h. Rechtswirkungen — als staatliche in Gegensatz stellt zu k i r c h l i c h e n . Hieraus geht hervor, dass das Eigenschaftswort „bürgerlich" keineswegs identificirt werden darf mit dem doktrinären Begriffe des Privatrechts, sondern dass es seine allgemeinste Bedeutung hat in der Beziehung auf das Staatliche — die Angehörigen des Staats als solche —, seine speciellere im Gegensatz zur Strafsache, eine noch engere im Gegensatz zur Konkurssache. 5 Die M o t i v e zu GVG § 13 — (E § 2 S 32 ff.) — sagen: „Den ordentlichen Gerichten werden dem Grundsatze nach a l l e bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen überwiesen. Der Begriff der «bürgerlichen Rechtsstreitigkeit < leidet keine (vgl. Motive zur Badischen Prozessordnung § 1), oder doch nur eine durchaus ungenügende (vgl. Preuss. AGO I Einl. § 1) Definition. Ihn gemeinsam für alle deutschen Staaten zu präcisiren war um so weniger ausführbar, als nach einigen Rechten auch Justizpolizeisachen bezw. Akte d e r . . . gemischt... freiwilligen Gerichtsbarkeit, namentlich auch Vormundschaftssachen, in den Formen eines Prozesses verhandelt werden (vgl. Nordd. Prot V 2200). Der Entwurf konnte aber den Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit als einen gegebenen voraussetzen, weil er ungeachtet seiner Verschiedenheit in den verschiedenen Gebieten des Deutschen Reichs überall gesetzlich, sei es im geschriebenen oder ungeschriebenen Rechte, fixirt ist (Hann. Prot I 343 ff.). Für die Bestimmung einer Sache als »bürgerliche Rechtsstreitigkeit« sind sonach in erster Linie die Reichsgesetze, in weiterer Linie aber das Landesrecht' des einzelnen Staates maassgebend." — Die Motive fahren fort: „Eine Reihe von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, deren Verhandlung und

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IV. Der G r u n d g e d a n k e des Gegensatzes. Unverkennbar geht durch die einschlagende Gesetzgebung der widerspruchsvolle Zug hindurch, einerseits die individuelle Rechtssphäre Entscheidung nach allgemeinen Grundsätzen vor die ordentlichen Gerichte gehören w^rde, ist denselben entzogen und den Verwaltungsbehörden zugewiesen worden . Ûie Frage, welche Sachen den Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten zuzuweisen sind, steht mit dem materiellen Rechte und dem inneren Staatsrechte der einzelnen Länder in unlösbarer Verbindung (vgl. Nordd. Prot V 2255), sie ist in den verschiedenen Staaten verschieden beantwortet und es musste im GVG, welches in den inneren Staatsorganismus der einzelnen Bundesstaaten und in das materielle Recht nicht eingreifen darf, von einer gemeinsamen Regelung dieser Frage Abstand genommen worden. Der Ε beschränkt sich daher auf die Bestimmung, dass diejenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche — reichs- und landesgesetzlich — die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden einschl. der Verwaltungsgerichte begründet ist, vor die ordentlichen Gerichte nicht gehören. Danach werden die bestehenden Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung aufrecht erhalten." — Obschon die Motive nicht ganz klar gedacht sind, wie auch von anderer Seite — H au s er a. 0. S 52 — bemerkt worden und besonders aus der Anführung der für ihre Haltung unverwerthbaren Motive der Badischen PO und der Hannöv. Prot zu entnehmen ist, so zeigen sie doch deutlich, dass nicht ein materieller Begriff der „bürgerlichen Rechtsstreitigkeit" aufgestellt, sondern sein Inhalt lediglich aus den reichs- und territorialgesetzlichen Grenzvorschriften über Justiz und Verwaltung entnommen werden sollte. Die Aeusserung des Regierungsvertreters Geh. Justizrath S c h m i d t in der RJK — Prot S 802 — , dass der Ε unter dem fraglichen Ausdruck begreife „alle, welche Privatrechte betreffen", kommt nicht in Betracht gegenüber der sowohl von Seiten des Bundesrathsvertreters — v o n Arnsberg S 805—, wie einzelner Abgeordneten — M i q u é l , B ä h r S 806; H a u s e r S 801 f. ; G η e i s t S 800 — ausgesprochenen Ueberzeugung, dass die doktrinäre Qualificirung eines Anspruchs als eines öffentlich-rechtlichen ihn nach § 13 dem Gericht nicht entziehen solle, wenn das Landesrecht ihn demselben zugewiesen habe. Auch S c h m i d t erklärte ausdrücklich, dass der Ε § 3 — GVG § 13 — „insofern etwas leer sei, als er es bei dem bestehenden Recht der einzelnen Bundesstaaten belasse" . . . Die Unklarheit des GVG § 13 findet sich bereits im Nordd. Ε — vgl. Prot IV 1730. Einleitende Bestimmungen: „die Prozessordnung findet auf alle nach den Gesetzen vor die Gerichte gehörenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung"; V 2255 (definitive Fassung): „die Bestimmungen dieses Gesetzbuchs finden auf alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung, für welche der Rechtsweg nicht durch das Gesetz ausgeschlossen ist"; das.: „man war einig, dass darüber, welche Sachen dem ordentlichen Rechtsweg entzogen seien, Bestimmungen in den Ε nicht aufgenommen werden könnten, weil diese Frage mit dem inneren Staatsrecht der Bundesstaaten in unlösbarer Verbindung stehe". War man auch einig darüber, was man unter „bürgerlicher Rechtsstreitigkeit" verstand ? — Anders H a u s e r S 62 und die oben Anm 3 Angeführten. Jener findet in § 13 den Grundsatz, dass alle Rechtssachen, welche sich als bürgerliche darstellen, vor die ordentlichen Gerichte gehören, und in dem relativen „für welche" u.s.w. eine Ausnahme. Daher tadelt er L ö w e in Anm 5 S 63 f., welcher dem § 13 für die CivilSachen den legislativen Inhalt bestreitet. Für uns: u. a. v. S a r w e y a. 0. S 288; Binding, Handbuch. IX. 2. I : W a c h , Civilprozess. I .

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nach Möglichkeit vor Willkür zu schützen, andererseits nicht das öffentliche Interesse durch Unterstellung der Regierungsthätigkeit unter die — zudem vielfach ungenügend auf den einschlagenden Lebensund Rechtsgebieten geschulten — Gerichte, oder die Sache durch künstliches Trennen von Opportunitäts- und Rechtsfragen, von publiS t r u c k m a n n - K o c h zu GVG § 13 Anm 1; P e t e r s e n zu ECPO § 3 S 1169; v. R ö n n e , Das Staatsrecht des Deutschen Reichs I I 2 § 102 S 25 ff., Preussisches Staatsrecht I 489; L o e n i n g , Lehrb. des deutschen Verwaltungsrechts S 785. Das RG I I I CS 1. Juli 1881 (Ε V 36) nimmt unumwunden den von uns vertheidigten Standpunkt ein; aber schon S 38 spricht es in derselben Entscheidung davon, dass eine bestimmte Frage — ob ein Reichszoll gesetzlich, oder zu Ungebühr erhoben sei — „an sich" dem Gebiete der Justiz angehöre. Aber ein „an sich" giebt es nach GVG § 13 nicht. Die Ε I CS 15. März 1882 (VI 207) will mit dem „an sich" wohl auf das gemeine Recht verweisen. Es ist denn auch des weiteren nicht zu billigen, wenn das RG I I I CS glaubt in Ermangelung von reichsrechtlichen Vorschriften die Frage nach der Zulässigkeit des Rechtswegs für Ansprüche gegen das Reich aus „allgemeinen" staatsrechtlichen Grundsätzen über die Abgrenzung der Gebiete der Justiz und Verwaltung und über die Frage, ob es sich um einen gerichtlich verfolgbaren Anspruch oder um eine Verwaltungsmaassregel handle, beantworten zu können (V 41). Woher sind diese „allgemeinen Grundsätze" zu entnehmen? Aus der Wissenschaft? Ist sie Rechtsquelle? Aus der materiellen Uebereinstimmung der Landesrechte bezw. aus dem sog. gemeinen Recht? Gewinnen wir durch sie einen selbständigen gemeinen deutschen Rechtssatz? Die Frage nach der Zulässigkeit des Rechtswegs ist eine gerichtsorganisatorische, welche sich nur nach der fur das einzelne Gericht geltenden Lex fori (Reichs-, Landesgesetz) beantworten lässt. Das übersah das RG, als es für die Entscheidung (1er Rechtsstreitigkeiten des Reichs von dem Axiom glaubte ausgehen zu müssen, dass das Landesrecht für sie keine Regel geben könne. Vgl. die angeführte Ε V 40; siehe jedoch I I I CS v. 20. Mai 1884 (XI 96 ff.), wo der bekämpfte Standpunkt verlassen wird. Nicht spricht sich darüber aus I CS v. 2. Febr. 1884 (XI 76 ff). Es wird S 73 ff. n e g a t i v dargelegt, dass das Schweigen der Reichsgesetze über die Zulässigkeit des Rechtswegs in Rechtsstreitigkeiten wegen Reichszollüberhebung nicht gleichbedeutend sei mit dem Ausschluss des Rechtswegs, und weiter versucht zu deduciren, dass die Reichsgesetze hier den Rechtsweg stillschweigend voraussetzten. Die Berufung auf GVG § 70 und § 9 (S 73) ist nicht beweisend, denn 1. giebt § 70 Abs 2. 3 keine Rechtswegs-, sondern Gerichtsstandsvorschrift, wennschon er von der Zulässigkeit des Rechtswegs in den erwähnten Fällen ausgeht; 2. ist aus ihm irgend ein materiales Kriterium für den Begriff der „bürgerlichen Rechtsstreitigkeit" nicht zu entnehmen; 3. ist der Wortlaut des § 9 GVG („nicht a u s g e s c h l o s s e n werden") nicht zu deuten auf einen allgemeinen derartigen Begriff. — Es kann daher auch nicht dem Schlüsse zugestimmt werden, dass aus dem „Nichtausschluss" jedes Rechtswegs im Zusammenhalt mit der Thatsache, dass es sich um eine Vermögensverletzung durch ungerechtfertigte Abgabenerhebung handele, die r e i c h s g e s e t z l i c h e Zulässigkeit des Rechtswegs folge. Auf diesem Wege wäre zu der These zu gelangen, dass das Reichsrecht bereits überall p o s i t i v den Rechtsweg geregelt habe, sowreit nicht reichs- oder landesgesetzliche Ausnahme gemäss GVG § 13 begründet ist. — Zu EGVG § 11 vgl. unten S 113 Anm 90.

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cistischen und privatrechtlichen Fragen zu schädigen. Die Grenzlinie war um so schwieriger zu finden, als es für die Rechtsprechung durch die Verwaltungsinstanzen an den wünschenswerthen Garantien gerechter Gesetzesanwendung vielfach gebrach, oder politische, der Idee des Rechtsstaats hinderliche Strömungen periodisch die Oberhand gewannen. Es kann danach den Kenner deutscher Staatengeschichte nicht Wunder nehmen, dass bunteste Mannigfaltigkeit das Ergebniss der Entwickelung wurde. Es wäre müssig, ein durchgreifendes Unterscheidungsmerkmal zwischen Justiz- und Verwaltungssache zu suchen. Dass es unerfindlich ist, beweist schon der Umstand, dass die Strafsache entschieden öffentlich-rechtlich und dennoch Justizsache ist und dass sie andererseits zum Theil der Verwaltungsinstanz überwiesen wird 6 . Weder die publicistische bez. privatrechtliche Natur der Streitsache, noch die verschiedene Qualität ihrer Subjekte, noch sonst irgend ein juristisch fassbares Moment bildet einen überall zutreffenden Unterscheidungsgrund. Immerhin vereinfacht sich die Frage wesentlich, wenn sie gestellt wird nicht zwischen J u s t i z - und V e r w a l t u n g s sache, sondern zwischen C i v i l p r o z e s s - und V e r w a l t u n g s sache. Hier ist in dem Vielerlei des Positiven der eine Grundgedanke vorherrschend : das Privatrechtliche dem Civilgericht, das Oeffentlich-rechtliche der Verwaltungsinstanz7. Dieser Gedanke ist für Preussen bereits in dem Ressortreglement König Friedrichs II. vom 19. Juni 1749: „was für Justizsachen flen Kriegs- und Domänenkammern verbleiben, und welche vor die Justizkollegien oder Regierungen gehören", dahin formulirt: „dass regulariter alle Prozesssachen, welche das intéresse privatum vel jura partium, quamm interest, betreffen, bei den ordentlichen Justizkollegien erörtert und decidirt werden müssen, dahingegen zum Ressort der Kriegs- und Domänenkammer hauptsächlich königliche Intraden und Domänen, ferner den statum oeconomicum et politicum angehende und überhaupt in das interesse publicum einschlagende Sachen gerechnet werden können". Die preussische AGO definirt in ihrer Einleitung § 1 die Civilsache als Streitigkeit über Sachen und Rechte, welche „einen Gegenstand des Privateigenthums ausmachen", welcher Begriff gleichbedeutend mit subjektivem Privatrecht gedacht wird. Und wenn auch richtig bemerkt worden ist, dass dieses Gesetz nicht den Zweck hat, Justiz und Administration in ihrem Verhältniss zu reguliren, den Civilrechtsweg ausschliesslich auf Privatrechtssachen zu beschränken, so ist ihm doch letztere unzweifelhaft der Regel 6 7

Vgl. StPO § 453. 459. Literaturnachweise bei v. Sarwey S 93. 119 tf". 6*

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nach Civilprozesssache und ihr Gegensatz durch Praxis und Wissenschaft in dem publicistischen Charakter der Administrativsache gesucht worden 8. Auch die Gesetzgebung Sachsens nimmt von hier aus den Ausgangspunkt9. W ü r t t e m b e r g 1 0 hat sich einer grundsätzlichen gesetzlichen Regelung der Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung enthalten. Die Verfassung vom 25. September 1819 geht davon aus, dass die „bürgerlichen Gerichte" im Gegensatz zu den peinlichen mit den Privatrechtsstreitigkeiten zu thun haben11. Die Gesetzgebung, soweit sie unsere Frage berührt, zeigt sich durchdrungen von der Vorstellung, dass der Verwaltungsrechtspflege die öffentlichrechtliche, dem bürgerlichen Gericht die Privatrechtssache gehöre 12. 8

S y d o w , Die Zulässigkeit des Rechtsw. S 56; O p p e n h o f f a. 0. S 17 ff.; y. R ö n n e , Preuss. Staatsr. I § 105 S 485 ff.; H. S c h u l z e , Preuss. Staatsr. I I 1 S 359 ff. Diese Auffassung wird nicht unerheblich unterstützt durch die V vom 28. Dez. 1808 wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialpolizei- und Finanzbehörden, welche in § 34 den Rechtsweg eröffnet in allen fiskalischen Streitigkeiten „vor dem Gericht, vor welches dieselben gehören würden, wenn sie blos zwischen Privatpersonen schwebten". Dabei ist die Voraussetzung, dass Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten vor die Gerichte gehören. Vgl. auch Preuss. ALR I I 14 § 81 ff. Dass in § 35. 36 der angef. V eine allgemeine Regel zu Gunsten der Rechtssache qua Justizsache aufgestellt sei ( O p p e n h o f f a. 0.), ist nicht aus dem Gesetz zu erweisen. 9 v. S a r w e y S 293; O s t e r l o h , Der ordentl. bürgerl. Prozess nach sächs. Recht I § 12—25; L e u t h o l d , Das königl. sächs. Verwaltungsrecht. Leipzig 1878. S 140. — Es gehören hierher zahlreiche Abhandlungen aus K r u g s Ζ f. Verwaltungspraxis (ζ. Β. I 152. 321, V 1), der Ζ f. Rechtspflege und Verwaltung ( M ü l h ä u s e r I I 164 ff. 441 ff. 533 ff, NF I 33 ff.; anonym I I I 494 ff; F u n k e NF V I I 324 ff.; v. Bosse NF X X X V I 97 ff. u. a.), der Ζ f. Praxis und Gesetzgebung der Verwaltung, herausg. von Fischer. Leipzig 1880 ff. Die Hauptgesetze sind: VU vom 4. Sept. 1831 § 47, AG vom 28. Jan. 1835, AV dazu vom 28. März 1835, V vom 9. April 1836, 25. Jan. 1838; DGes vom 30. April 1835. 10 B e r n e r - S c h ä f e r , Das Verfahren in bürgerlichen Streitsachen vor den Württembergischen Gerichten. Stuttg. 1858. S 54 ff.; v. S a r w e y über Administrativjustiz nach Württemb. Recht im Württemb. Arch. XIV 1871 S 96 ff. 185 ff, XV 1873 S I f f ; der s., Oeff. Recht S 255 ff; H o h l , Ges über Verwaltungsrechtspflege vom 16. Dez. 1876. Stuttgart 1877; G a u p p I 7 ff. 11 VU § 93. 94; Ges vom 28. Febr. 1873 betr. Aufhebung von Vorrechten des Fiskus und anderer gesetzlich begünstigter Personen. 12 Vgl. CPO von 1868 Art. 2: „Vor den bürgerlichen Gerichten sind alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu verhandeln, ausgenommen diejenigen, welche durch gesetzliche Bestimmungen an andere Behörden verwiesen sind. Die nähere Bestimmung der Grenze zwischen der bürgerlichen Gerichtsbarkeit und Verwaltungsjustiz bleibt einem besonderen Gesetz vorbehalten; einstweilen hat es bei den bestehenden Rechtsgrundsätzen sein Bewenden." M o t i v e zu Art. 2: „Es giebt manche unzweifelhaft p r i v a t r e c h t l i c h e Streitigkeiten, welche durch die Gesetze

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In B a d e n 1 3 bestimmt die Verfassungsurkunde vom 22. August 1818 in § 14 Abs 2: „alle Erkenntnisse in bürgerlichen Rechtssachen müssen von den ordentlichen Gerichten ausgehen" und in § 15 Abs 1: „niemand darf in Criminalsachen seinem ordentlichen Richter entzogen werden". Die badische Civilprozessordnung vom 18. März 1864 wiederholt in § 1 das Princip des angeführten § 14 Abs 2, zieht in § 2 die Folgerung, dass jede Verfügung oder Entscheidung von Verwaltungsbehörden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nichtig sei, und giebt in § 3 eine Interpretation der letzteren, indem sie ihnen die aus Privatrechtsverhältnissen entspringenden „fiskalischen Streitigkeiten" unterordnet 14. Dieser principielle Standpunkt ist in der Gesetzgebung15, Wissenschaft 16 und Praxis 17 im wesentlichen festgehalten. Auf ihm bewegen sich auch das b a y e r i s c h e 1 8 , das hessische Recht 19 , die den Civilgerichten entzogen sind." — „Weit häufiger auf Doktrin und Praxis als auf ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen beruht die für die Zuständigkeit maassgebende Feststellung der Grenzen zwischen P r i v a t r e c h t s t i t e l und öffentl i c h e m R e c h t . " Das Ges vom 16. Dez. 1876 über die Verwaltungsrechtspflege geht davon aus, dass die Verwaltungssache die öffentlich-rechtliche ist. Vgl. dazu Gaupp S 8 ff. 13 Frh. v. W e i l e r , Ueber Verwaltung und Justiz und über die Grenzlinien zwischen beiden. Mannheim 1826; Z e n t n e r , Ueber die Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung mit bes. Rücksicht auf die Gesetzgebung und Praxis in Baden, im Magazin f. badische Rechtspflege und Verwaltung V 1861 S 229 ff. 321 ff.; W e i z e l , Das badische Gesetz vom 5. Okt. 1863 über die Organisation der inneren Verwaltung. Karlsruhe 1864; S ta b e i , Vorträge über den bürgerlichen Prozess S 6 ff. 16 ff ; v. F r e y d o r f , Prozessordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Grossh. Baden. Heidelberg 1866. S 228 ff; v. S a r w e y S 96. 210 ff. 14 Vgl. M o t i v e zur Bad. CPO § 1: Der § 1 der Prozessordnung weist die Entscheidung der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vor die Gerichte und § 3 stellt in Bezug auf diese Streitigkeiten den grossherzogl. Fiskus einer jeden Privatperson gleich (v. F r e y d o r f S 231). 16 Vgl. dafür besonders das Ges vom 5. Okt. 1863 über die Organisation der inneren Verwaltung, in welchem die Kompetenz der Verwaltungsinstanzen in Verwaltungsstreitigkeiten durchweg auf „Streitigkeiten über öffentliches Recht" bezogen wird: § 1. 5. 56. Vgl. auch u. a. Neue Mühlenordnung vom 18. März 1822 § 25, 1: „Wo durch Ausübung des Mühlengewerbes solche Berechtigungen verletzt werden, welche auf Privatrechtstiteln beruhen, da hat der ordentliche kompetente bürgerliche Richter zu entscheiden." Eingehend darüber v. F r e y d o r f S 235 f. 16 Vgl. die oben Anm 13 angeführten Schriftsteller. 17 Vgl. dazu die sorgsame Zusammenstellung von Aeusserungen der Rechtsprechung bei v. F r e y dor f S 248 ff. 18 Κ. P ö h l m a n n , Ueber das Wesen der sog. administrativ - kontentiösen Sachen mit bes. Rücksicht auf Bayern. Würzburg 1853; Β r a t er, Studien zur Lehre von den Grenzen der civilrichterlichen und der administrativen Zuständigkeit mit bes. Rücksicht auf bayer. R. Nördlingen 1855; M a t t h ä u s , Die Grenzen der

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übrigen Landesrechte Deutschlands20. Wenn nun auch vielfach positivrechtlich das privatrechtliche bez. publicistische Kriterium der Civilbez. Administrativsache verlassen ist, so darf doch als allgemeiner deutscher, durch das Reichsrecht nicht alterirter Grundsatz der ausgesprochen werden, dass, soweit solche Ausnahme nicht ersichtlich ist, die privatrechtliche Sache Civilprozesssache ist. Hiernach ist es unerlässlich die Merkmale zu bestimmen, welche die P r i v a t r e c h t s sache von der ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n scheiden. Sie sind theils m a t e r i e l l e , theils prozessuale. V. A b l e h n u n g u n w e s e n t l i c h e r Un terse hei dungsmerkmale.

Wie ö f f e n t l i c h e s und p r i v a t e s Recht zu unterscheiden, ist theoretisch lebhaft umstritten. Es wird sich zeigen, dass aller Meinungsverschiedenheit unerachtet Einverständniss im Hauptpunkt herrscht. Vorerst jedoch gilt es durch Ausscheidung von Irrthümern für die principielle Betrachtung den Boden zu ebnen und dadurch die Frage zu beschränken. 1. Die Qualität der Streitsache bestimmt sich nicht nach der E n t s c h e i dungs norm in dem Sinne, dass in der Civilsache ausschliesslich privates Recht, im Administrativverfahren öffentliches Recht die richterliche Entscheidungsnorm bildet 21 . Es wird allgemein civilger. u. administrai. Zuständigkeit nach d. Erkenntnissen d. Kompetenzkonfliktssenates am OG in Bayern. Nördlingen 1878; v. S a r w e y S 268 if. 98 ff. 19 [zu s 85] Vgl. v. S a r w e y S 96 ff. 235 ff; E i g e n b r o d t , Das Verhältniss der Gerichte zur Verwaltung, mit Entsch. des Staatsraths. Darmstadt 1840. 20 Vgl. für H a m b u r g Ges vom 23. April 1879 § 1: „Streitigkeiten, welche nach staatsrechtlichen Grundsätzen zu beurtheilende öffentliche Verhältnisse, namentlich die innere Einrichtung der Staatsbehörden und die Verhältnisse der einzelnen Mitglieder zu denselben, desgleichen die Verhältnisse der Staatsbehörden gegen einander und gegen den Staat betreffen, gehören nicht zur Zuständigkeit der Gerichte, sondern sind nach Maassgabe des geltenden Rechts entweder im Wege der Verwaltung oder durch die gesetzgebende Gewalt zu erledigen. Insbesondere gilt dies auch für die Entscheidung der Frage, ob jemandem staatsbürgerliche Rechte zustehen und ob jemand zur Annahme und Fortführung eines bürgerlichen Ehrenamtes verpflichtet sei." § 24: „Handelt es sich um kontraktliche oder andere privatrechtliche Arerhältnisse, so hat in Streitfällen jede Staatsbehörde vor den Gerichten Recht zu nehmen. Ausserdem kann wegen Verletzung von Privatrechten durch Verfügungen oder Maassregeln von Verwaltungsbehörden, welche nicht unter die Bestimmungen des ersten und zweiten Abschnittes dieses Gesetzes fallen, gegen die betr. Verwaltungsbehörde Klage vor den Gerichten nach Maassgabe der folgenden Bestimmungen erhoben werden." 21 H a u s e r S 77 ff.; v. S a r w e y S 648 ff; vgl. auch H. S c h u l z e , Preuss. Staatsr. I I 1 S 359 ff; Sydow S 54; O p p e n h o f f S 29 ff. Nr 70.

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zugegeben, dass der Civilrichter Vorfragen, Incidentfragen öffentlichen Rechtes, der Verwaltungsrichter solche privaten Rechtes abzuurtheilen berechtigt und genöthigt ist. Die Entscheidungspflicht in einer Sache muss die Entscheidungsberechtigung in ihren Theilen einschliessen. Die Kompetenzregulirung zwischen Justiz und Verwaltung hat ihren letzten Grund nicht in der Unfähigkeit des Civilrichters, öffentliches Recht zu handhaben — denn andernfalls dürfte er überhaupt nicht prozessiren —, sondern in den unten zu beleuchtenden tiefgreifenden Verschiedenheiten des subjektiven privaten und öffentlichen Rechts. Der Der gegenteilige französische Standpunkt, welcher wurzelt in der mechanischen Trennung der Gewalten, hat wohl starke Spuren in unserer Legislation und Praxis hinterlassen, aber sie nicht beherrscht 22. Publicistische entscheidungsbedürftige Fragen können in reichlicher Fülle und Verquickung im Civilprozess auftauchen. So die Frage der verfassungsmässigen Giltigkeit des Gesetzes, des Verhältnisses von Reichsund Landesrecht, der Staatsangehörigkeit der Streittheile (CPO § 53 102. 106 Abs 2), des völkerrechtlichen Verhältnisses der Reciprocität (CPO S 106 Abs 2, S 661 Abs 2 Nr 5), der Exterritorialität der Partei (CPO § 16) und dergl. mehr. Der civilrechtlich erhebliche Thatbestand kann mit öffentlich - rechtlichen Verhältnissen auf das engste verkettet sein. Eigenschaften der handelnden Subjekte, z. B. ihre auf Staatsamt ruhende Vertreterstellung, ihre Staatsangehörigkeit, bestimmen gelegentlich die Giltigkeit des Rechtsgeschäfts, seine Unterwerfimg unter in- oder ausländisches Recht. Das Objekt eines Rechtsgeschäfts, Vertrags, kann öffentlich-rechtlicher Natur sein. Es kann gegen Gegenleistung oder ohne diese die Verpflichtung eingegangen 22

H a u s e r S 80; ν. Sarwey S 187 ff. 650; S c h u l z e S 361 Anm 1. 283. Vgl. R. D a r e s t e , La justice administrative en France ou traité du contentieux de l'administration. Paris 1862. S 207: Enfin la règle de la séparation des pouvoirs ne s'applique pas seulement aux actions principales mais encore à tous les incidents. Lorsqu'il s'élève un incident qui n'est pas de la compétence de l'autorité saisie, celle-ci doit surseoir et renvoyer les parties à se pourvoir devant la jurisdiction compétente pour y faire juger la question préjudicielle sans toutes réserves du fond. — Wenn man sich gegen diesen Standpunkt auf CPO § 139 beruft ( H a u s er S 84), so darf man nicht vergessen, dass hier zwar das Reichsrecht die Zuständigkeit des Civilrichters für die incidente und präjudicielle Verwaltungsfrage voraussetzt, aber nicht vorschreibt. Aus § 139 lässt sich nicht mehr und nicht weniger entnehmen, als dass das Gericht die der Administrativjustiz überwiesene Sache gelegentlich und zum Zwecke der Entscheidung des Civilrechtsstreits aburtheilen darf, wenn nicht das geltende Recht entgegensteht. Vgl. jedoch auch GVG § 9. 17. 70. — Eine bedeutende Hinneigung der Praxis zum französischen Standpunkt zeigt sich in der badischen Judikatur: s. v. F r e y d o r f S 248 ff.

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werden, eine staatsbürgerliche Last, soweit dieselbe eine vertretungsweise Leistung zulässt, ζ. Β. Steuerpflicht, Armenlast, zu erfüllen 23 . Es kann ein Civilrecht ein öffentlich-rechtliches Verhältniss zur Voraussetzung haben24. Der publicistische Charakter von Thatbestandsmomenten ist unerheblich für die Qualität der Streitsache, wenn er nicht den zu entscheidenden Anspruch, das abzuurteilende, im Prozess befangene Rechtsverhältniss ergreift. Die Grenze der Rechtskraft bezeichnet das Gebiet , auf welchem die Frage nach der publicistischen Natur des Rechtsstreits gestellt wird. 2. F ü r sie ist b e d e u t u n g s l o s die E i g e n s c h a f t des P a r t e i i n t e r e s s e s als eines g e l d w e r t h e n , als eines Vermögensinteresses. Das Gegentheil ist nicht selten behauptet. Man identificirt objektives Privatrecht mit Vermögensrecht 25 oder findet wenigstens überall dort, wo es sich um rechtlich geschütztes Vermögensinteresse handelt, ein subjektives Privatrecht 26. Das eine wie 23 S e u f f e r t IV Nr 251, 1. 3. X I I Nr 195, XIV Nr 247; v. F r e y d o r f S 261 Nr 34; O p p e n h o f f S 70 Nr 202. Vgl. auch v. Sarwey S 320 if. 657. Betreffs der Geschäftsführung ohne Auftrag bez. nützlicher Verwendung s. jedoch RG IV CS 10. Jan. 1881 (E I I I 270). Vgl. auch v. Bosse in Ζ f. Rechtspfl. und Verw. X X X V I 1871 S 97 ff. — Wie steht es mit der Zwangsvollstreckung, im Falle ein publicistisches facere übernommen wäre? Die Frage kann wichtig werden für § 660. 661; vgl. F r a n c k e , Ζ f. CP V I I I 25. 24 Und ebenso umgekehrt. Erbeseinsetzung, Legat, irgend eine Disposition kann an die Bedingung oder Voraussetzung geknüpft sein, dass ein bestimmtes öffentlich-rechtliches Verhältniss vorliege. Steuerpflicht kann abhängig sein von Erbrecht, Eigenthum. 26 Z . B . S ο h m, «Institutionen des RR S 71. 26 Vgl. S y d o w S 54, Entsch. des Gerichtshofs fur Kompetenzkonflikte vom 9. Juni 1855. v. S a r w e y S 103 ff. lässt in diesem Punkte die wünschenswerte Klarheit vermissen; er geht aus von dem Satze: „Alle Rechte, welche einen Geldwerth in sich haben, sind geschützte Privatinteressen, welche das Vermögen des Einzelnen bilden. Jeder Eingriff in solche ist ein Eingriff in die Privatrechtssphäre der Persönlichkeit." „Das Wesen jedes Vermögensrechts, mag es auf einem Grunde des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts beruhen, ist seine privatrechtliche Bedeutung für das Vermögen der Person. Als Vermögensrecht hört es dadurch, dass es einem durch die Verwaltung zu handhabenden höheren Rechte des Staats, der Gemeinde, der Gesellschaft weichen muss oder die Verwirklichung eines öffentlich-rechtlichen Verhältnisses ist und dieses zu seiner Voraussetzung hat', nicht auf, rechtlich geschütztes Privatinteresse zu sein. Insofern ist jede Rechtsprechung, welche das Vermögen im volkswirtschaftlichen Sinne berührt, Rechtsprechung über Privatrechte oder über Privatinteressen." Diese grundlegende begriffliche Auffassung giebt v. S a r w e y selbst preis S 107: „Nicht jedes Vermögensrecht ist Privatrecht und nicht jedes \rermögensrecht hat gegenüber einem öffentlichen Interesse unbedingte Geltung." Vgl. dazu das. S 297 f. 499 f. Richtig ist, dass das Vermögen nie als Selbstzweck in den Kreis der öffentlichen Interessen

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das andere mit Unrecht. Das Personenrecht bildet einen Theil des Privatrechts, welcher nicht nur ist um des Vermögensrechts — der Vermögensfähigkeit — willen, sondern um des individuellen Rechtskreises willen, dessen gesammte Beziehungen wir mit dem Worte Familie zu decken pflegen. Es ist denn auch unbestreitbar, dass Statusrechte, das Recht zur Führung eines Familiennamens27, Erziehungsrechte 28, eherechtliche Streitigkeiten und ähnliches als Civilsache zu behandeln sind. Bezüglich der Ehesachen ist die Anerkennung durch CPO § 568 ff. erfolgt. — Vermögen ist allerdings die w i r t schaftliche Seite der Privatrechte, welche wir Vermögensrechte zu nennen pflegen und als deren Objekte die Dinge der Aussenwelt in ihrer Eigenschaft als wirtschaftliche Güter erscheinen. Das Vermögen ist der Gegenstand der individuellen Herrschaftssphäre und an und für sich nicht Zweck der öffentlich-rechtlichen Person. Aber es ist ihr Mittel. Und diese seine Zweckbestimmung führt zur notwendigen Annahme publicistischer Vermögensrechte. Auch das Vermögen des Einzelnen ist Mittel nicht nur für seine individuellen, sondern auch für die allgemeinen Zwecke. Die Einzelnen sind dem Staate und dieser ist dem Einzelnen zu Vermögensleistungen verbunden, an deren publicistischer Qualität ein Zweifel gar nicht aufkommen kann. Man denke an Steuerpflicht, öffentliche Geldstrafen, an die Verpflichtung zur Abtretung des Eigenthums im öffentlichen Interesse, zur Duldung eintritt, wogegen es im Bereiche des Privatrechts als solcher erscheint. Aber der Umstand, dass ein Anspruch öffentlichen materiellen Zwecken dient, nimmt ihm an und für sich nicht die geldwerthe Eigenschaft, die Qualität eines Vermögensanspruchs. Ueber die Bedeutung des Zweckes für den Gegensatz des öffentlichen und privaten Rechts s. unten S 93 ff. — Ein Urtheil des RG I CS vom 2. Februar 1884 (Ε X I 71) schlechtweg: „die ordentlichen Gerichte sind berufen, Vermögensstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn zur Entscheidung Normen des öffentlichen Rechts anzuwenden sind", und scheint damit unterschiedslos die Vermögensrechtsstreitigkeiten dem Rechtsweg zuzuweisen. Vgl. auch das bei v. S a r w e y a. 0. S 383 abgedruckte Erk. vom 1. April 1880: „jeder Eingriff in das Privatvermögen, mag er von einer Privatperson oder von Staatsbehörden ausgehen, unterliegt bei entstehendem Streit der Regel nach der richterlichen Kognition", und die dagegen gerichtete Kritik v. S a r w e y s S 384 f., welcher jedoch insofern nicht beizupflichten ist, als er den Unterschied der Ausübung des Gesetzes und des Hoheitsrechts nicht gelten lassen will. — Vgl. auch das schiefe Urtheil des O l d e n b u r g e r OAG in S e u f f e r t X V H Nr 174 lit. f. 27 S e u f f e r t V I Nr 6, X V I I Nr 3, XIX Nr 114, X X X V I I Nr 86; RG Ε I I 147, V 172; vgl. auch v. S a r w e y S 435. 28 S e u f f e r t I I I Nr 275, X X I I Nr 265 a. Ε., XXV Nr 172 (Celle), X X X I Nr 244 (Berlin). XXXVI Nr 203 (Bayern OLG). Annalen des Dresdener OLG I I I 374. 378.

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von Eigenthumsbeschränkungen bau-, wegepolizeilicher Natur, man denke an öffentliche Annenlasten und dergl. mehr. Auch die nutzbaren Hoheitsrechte, Regalien, die Rechte an den dem öffentlichen Gebrauch gewidmeten Sachen, welche dem Einzelnen in seiner Eigenschaft als Mitglied der Gemeinschaft zukommen, gehören den publicistischen Vermögensrechten an 2 9 . Ihrem Inhalt nach können die öffentlichen Vermögensrechte mit den privaten zusammenfallen: baupolizeiliche, gesundheitspolizeiliche, im allgemeinen staatlichen Wohlfahrtsinteresse auferlegte Eigenthumsschranken können inhaltlich vertragsmässig zwischen Nachbarn stipulirt werden. Daher kann die Form der Realisirung (Vollstreckung) des öffentlichen Vermögensanspruchs, wie die juristische Wirkung seiner Erfüllung durchaus die gleiche sein, wie die des Privatanspruchs. Die öffentliche Geldstrafe wird in der Form der CPO vollstreckt, der Steueranspruch im Konkursverfahren liquidirt (KO § 54, 2. 3. 134) ; die Zahlung der öffentlichen Geldstrafe, der Steuer, ist ein solvere, dare, tilgt die Verpflichtung, giebt Eigenthum. Soweit die Gleichheit des öffentlichen und privaten Vermögensrechts geht, soweit werden die civilistischen Grundsätze auf beide gleichmässig Anwendung finden, und diese Gleichstellung, deren Grenzen hier nicht zur Untersuchung stehen30, geht im einzelnen sehr weit. Aber dessen ungeachtet besteht der hier zu erörternde grosse Gegensatz und die Verschiedenheit des Rechtsschutzes. 3. Für ihn ist oft irrthümlich für erheblich erklärt worden die F o r m des R e c h t s t i t e l s . Man unterscheidet Privatrechtstitel und öffentlich-rechtlichen 31. Die Unterscheidung ist tautologisch, wenn man mit jenem den Entstehungsgrund des privaten, mit diesem den des öffentlichen Rechts bezeichnet; sie ist unrichtig, wenn man mit ihr glaubt, verschiedene Arten von Entstehungsgründen bezeichnet zu haben. Sowohl nach Objekt wie Form können die das private oder öffentliche Recht begründenden Akte gleich sein. Staatsakt kann das 29

Dass diese Nutzungsrechte das Eigenthum, Staats- oder Privateigenthum, an der Sache nicht ausschliessen, wird jetzt vielseitig anerkannt : S t o b b e I 532 f.; Samml. der Entsch. des OAG zu Rostock I I 69, V 293; RG I CS vom 15. März 1883 (E V I 207). 30 Deren Feststellung aber der wissenschaftlichen Bearbeitung werth und bedürftig ist. — In welchem Umfange können öffentliche Vermögensrechte Gegenstand privatrechtlichen Verkehrs werden? v. Sarwey S 316 scheint die Frage schrankenlos bejahen zu wollen; jedenfalls mit Unrecht. 31 Diese vulgäre Unterscheidung auch in den P r o t . d e r R J K : 173. Sitz. S 24. Als Privatrechtstitel bezeichnet man gewöhnlich Privileg, Vertrag, letztwillige Verfügung, rechtskräftiges Erkenntniss des Civilgerichts, erwerbende Verjährung. Weshalb nur diese? Und weshalb diese? Vgl. v. S a r w e y S 316 f.

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eine wie das andere schaffen, nicht nur als objektives Recht, welches Quelle allen subjektiven Rechts ist, sondern als rechtserheblicher Thatbestand32. Der Vertrag, das Delikt, die Verfügung auf den Todesfall, die Okkupation, die Ersitzung, das rechtskräftige Urtheil erzeugen je nachdem öffentliches oder privates Recht 33 . Sie erzeugen unter Umständen beides, öffentliches und privates Recht zugleich. 4. Es begreift sich bereits nach den vorstehenden Ausführungen, dass endlich unwesentlich für unsere Frage ist die E i g e n s c h a f t des be32

Man hat das eine wie das andere ohne genügenden Grund bestritten. Man denke an das Privileg, die lex specialis. L o e n i n g , Verwaltungsrecht S 785 behauptet, dass Ansprüche, die auf eine Verletzung des subjektiven Rechts durch Ausübung der Staatsgewalt begründet werden, schlechthin öffentlich-rechtliche seien. Der Grund ist nicht einzusehen. Der publicistische Thatbestand kann privatrechtliche Folgen haben. Der Vollstreckungsakt ist publicistisch und seine Wirkung privatrechtlich. So auch die Vollstreckung öffentlicher Geldstrafen, deren Einziehung. Die Bestellung des Vormunds ist öffentlich-rechtlicher Akt, aber aus ihr erwächst das Privatrechts verhältniss zwischen Vormund und Mündel. Die Enteignung, die Auferlegung von Naturalleistungen an den Militärfiskus gemäss dem RGes über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden vom 13. Febr. 1875 § 11—14. 16 und RGes über die Kriegsleistungen § 34 — vgl. G. M e y e r , Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts I I 153. 163 —, die Tödtung von Vieh kraft obrigkeitlicher Anordnung gemäss dem Rinderpestgesetz vom 7. April 1869 § 3 geben privatrechtliche Entschädigungsansprüche; das Nähere darüber s. unten S 97. 107 Anm 78. Vgl. auch v. R o h l a n d , Zur Theorie und Praxis des deutschen Enteignungsrechts. Leipzig 1875. S 38; ν. S a r w e y S 387 f. — Ueber die Frage, inwiefern der, sei es objektiv oder zugleich subjektiv widerrechtliche Verwaltungsakt einen Privatanspruch gegen den Staat bezw. den Beamten zu begründen vermag, s. unten S 98. 109. 33 Der S t a a t s v e r t r a g ist für den Unterthan des paciscirenden Staates Gesetz; wie aus jedem Gesetz, kann aus ihm Privatrecht erwachsen. Diese Ansicht vertritt das Erk. des preuss. K o m p . - G e r . vom 11. März 1848, bezüglich der bulla de salute animarum. And. Mein, die preuss. O T r i b . - E 11. März 1850 und mit Beziehung auf Wiener Kongressakte Ε des K o m p . - G e r . vom 13. November 1858. Vgl. O p p e n h o f f S 24 f.; H i l s e Nr 435; S e u f f e r t IV Nr 82. — Ob V e r t r ä g e zwischen Privatpersonen nur privatrechtlich wirken können ? Man denke an ihre prozessuale Wirkung. Die zahlreichen Urtheile höherer Gerichte, welche auf die privatrechtliche oder publicistische Natur des Titels Gewicht legen, deduciren im Grunde genommen grösstenteils aus der Natur des Rechts- bezw. Lebensverhältnisses. Vgl. ζ. B. S e u f f e r t IV Nr 251, 1. 2. 3, XIV Nr 63. Vgl. auch RG IV CS 10 Jan. 1881 (E I I I 270) und die zum grössten Theil unzutreffenden Entsch. der badischen Gerichte bei v. F r e y d o r f S 249 Nr 3. 4, S 250 Nr 5. 6, S 255 Nr 20, S 273 Nr 71. Vgl. auch v. Sarwey a. O. — Verfügungen auf den Todesfall als causa öffentlichen Rechts: Erbverbrüderung, Erbverzichte betr. Thronfolgerecht, Okkupation vgl. H e f f t e r - G e f f c k e n , Völkerrecht S 35. 155. 279; Ersitzung das. S 36 ff.; rechtskräftiges Urtheil der Civilgerichte über öffentliche Rechte vgl. GVG § 17 Abs 2 Nr 4.

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t h e i l i g t e n R e c h t s s u b j e k t s als eines E i n z e l n e n oder des Staates bezw. e i n e r ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n K o r p o r a t i o n . Zwischen Staat, Kommune einerseits und Einzelnem andererseits bestehen privatrechtliche unci publicistische Rechtsverhältnisse. Wollte man eine Art Zweiheit der Persönlichkeit des Staates unterscheiden, und ihn als vermögensrechtliches Subjekt, Fiskus ins Privatrecht, als die beherrschende Staatsgewalt in das öffentliche Recht verweisen 34, so wäre das in zwiefacher Beziehung unrichtig. Der Fiskus ist der Staat in seiner vermögensrechtlichen privatrechtlichen und publicistischen Beziehung. Er ist Staat auch dann, wenn er in ersterer erscheint35. Der Staat hat private und öffentliche Rechte und Pflichten ; welche jene, welche diese sind, beantwortet sich nicht nach der privatrechtlichen oder publicistischen Natur des Subjekts, sondern nach dem Inhalt des Rechtsverhältnisses. Daher sagen Reichsrecht und Landesgesetze nicht, dass alle fiskalischen Rechtsstreitigkeiten Civiljustizsachen seien, sondern nur, dass diese Sachen nicht um deswillen Verwaltungssachen sein sollen, weil der Staat oder eine andere öffentlichrechtliche Korporation Träger der privatrechtlichen Befugniss oder Pflicht ist 3 6 . In ähnlicher Weise unterstellt das Reichsrecht unbeschränkt den Landesherrn und seine Familie gegenüber allen vermögensrechtlichen Ansprüchen Dritter den Civilgerichten 37. 34

Eine verbreitete Anschauung, vgl. u. a. von G e r b e r S 2 Anm 2, S 21 Anm 3, S 72. 36 Z a c h a r i a e I I § 205; M e y e r , Lehrb. des deutschen Staatsr. § 201. — Vgl. auch Preuss. ALR I I 14 § 1 und die folg. Anm. 36 ECPO § 4: „Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, für welche nach dem Gegenstande oder der Art des Anspruchs der Rechtsweg zulässig ist, darf aus dem Grunde, weil als Partei der Fiskus, eine Gemeinde oder andere öffentlich-rechtliche Korporation betheiligt ist, der Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden" (und dazu Prot d. RJK S 749 f.). — Für P r e u s s e n vgl. ALR I I 14 § 31 f.; V v. 28. Dez. 1808 § 34; B a y e r n VU V I I I § 5; W ü r t t e m b e r g VU § 94; B a d e n VU § 14 Abs 3; H e s s e n VU Art. 102. — S a c h s e n VU § 50 spricht zu allgemein „von allen ihn (den Fiskus) betreffenden Rechtsstreitigkeiten"; B r a u n s c h w e i g VU §198 von seinen „streitigen Rechtssachen". Beide Staaten haben nur die privatrechtlichen Streitigkeiten des Fiskus im Auge. — Die Anwendung von ECPO § 4 ist nicht ohne Schwierigkeit; es handelt sich darum, festzustellen, was „nach Gegenstand und Art des Anspruchs" Civiljustizsache ist. Vgl. v. S a r w e y S 298 f. Es ist ihm zuzustimmen, dass verbriefte Staatsschuld ein — abgesehen von der durch ECPO § 4 für irrelevant erklärten rein subjektiven Beziehung — rein privatrechtliches Verhältniss zwischen Schuldner und Gläubiger darstellt. And. Mein. O p p e n h o f f S 86 Nr 252. — v. S a r w e y s Bedenken wegen P r o t d. R J K S 749 f. 173. Sitzung S 23 f. vermag ich nicht zu theilen. ?7 ECPO § 5.

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VI. Die m a t e r i e l l e n K r i t e r i e n der U n t e r s c h e i d u n g . Im I n h a l t des R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s oder des dasselbe normirenden Gesetzes ist von Alters her der Gegensatz des öffentlichen und Privatrechts gesucht worden. Denn an diesen Inhalt denken die Römer, wenn sie das „ius, quod ad singulorum utilitatem spectat", von dem „quod ad statum reipublicae Romanae pertinet" trennen, mit der Motivirung: „sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim" 38 . Diesen Gedanken variiren die Neueren, wenn sie vom Gegensatz des privaten und öffentlichen Interesses 39, der individuellen oder generellen Zweckbestimmung, vom Recht, welches dem Inhaber um seiner selbst willen, unabhängig vom Staat, innerhalb seiner individuellen Rechtssphäre zukommt, und dem Rechte des Genossen der Gemeinschaft als solchem reden 40 , wenn sie reden von dem Verhältniss zwischen den koordinirten Einzelnen (denen sich der Staat und die öffentlich-rechtliche Korporation als Subjekt privatrechtlicher Verhältnisse beigesellen) und zwischen dem Einzelnen und dem ihn beherrschenden Gemeinwesen41. Es ist selbstverständlich, dass dem erörterten Gegensatz verschiedene Seiten der Betrachtung und des Unterschiedes abzugewinnen sind: nach dem normirten Lebensverhältniss (dem Thatbestand), dem Gegenstand, Grund und Zweck, der formal juristischen Befugniss bez. 38

U l p i a n , 1 1 § 2 D de iust. et iure I 1. ü. a. v. S a v i g n y I 22; B r u n s in HE S 340; B r i n z , Pand. I § 24; D e r n b u r g , -Pand. I § 21 S 46; M e r k e l , Jurist. Encyklopädie. Berlin 1875. § 84 f. — Die Kritik setzt bei der Thatsache des allgemeinen Interesses an der Existenz des objektiven Privatrechts und der Privatrechtspflege ( B a c o n , De augm. scientiae V I I I aphor. 3: ius privatum sub tutela iuris publici latet) ein: T h o n , Rechtsnorm S 100. Damit wird der richtige Gesichtspunkt verschoben. Dass der Einzelne im Ganzen und dieses durch die Einzelnen sich vollendet, dass öffentliches Wohl in dem individuellen und dieses in jenem gefördert wird, schliesst nicht den Gegensatz des Ich und seiner egoistischen Zwecke und Aufgaben gegenüber der Gesammtheit aus. Vgl. A h r ens, Rechtsphilosophie I § 35 S 284 f.; S t a h l , Philosophie des Rechts 4. Aufl. I I 1 § 46. — Andererseits ist nicht zu verkennen, dass der Begriff des „Interesses" ein relativer, schwankender und unklarer ist, und dass er zu dem Irrthum verleitet, überall dort, wo individuelle publicistische Rechte vorliegen, ein individuelles prävalirendes Interesse anzunehmen. 40 S t a h l § 45 S 301; ν. G e r b e r , Staatsr. S 183 f.; v. R ö n n e , Preuss. Staatsr. I 493. Vgl. auch R e g e l s b e r g e r, KrV IV 66 f. 41 Eine zumal früher sehr beliebte Formulirung ( T h i b a u t , W e n i n g - I n g e n h e i m , T h ö l ) . Was W ä c h t e r , Württemb. PrR I 4 f. einwendet, dringt nicht in die Tiefe. — Von den neuesten Bearbeitern der Frage kommt B i e r l i n g , Jur. Grundbegriffe I 150 f. 157 f. — mit dessen Ausführungen man sich in vielen Stücken einverstanden erklären muss — in neuer Form auf diesen 'Gedanken zurück. T h o n , Rechtsnorm S 108 f. variirt U l p i a n s Gedanken. .,Ist der Privat39

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Verpflichtung. Die Substanz des Lebensverhältnisses, die Natur des rechtlichen Gutes, Lebensinteresses als eines wirthschaftlichen oder ideellen und dergl. ergiebt kein durchgreifendes Unterscheidungsmerkmal, wohl aber liegt solches in der Zweckbeziehung des Rechtes, der Pflicht unmittelbar auf das Ganze oder den Einzelnen. So sicher das Ganze nicht gleich ist der Summe der einzelnen Theile und die Zweckerfüllung des staatlich geeinten Volksganzen sich nicht deckt mit der des Individuums, so sicher die Zugehörigkeit zu dem Lebenskreise des Staates, der Kommune, Kirche ein anderes Lebensverhältniss ist, als dasjenige, in dessen Mittelpunkte das Ich steht, so sicher scheiden wir das öffentliche und das private Recht 42 . Nur der die Freiheit des Einzelnen vernichtende Staat saugt in unbegrenztem Kommunismus die Privatrechte des Einzelnen und damit die natürlichen Bedingungen des sittlichen Seins auf. Die Zweckbeziehung der Rechte und Pflichten auf die Gesammtheit aber bedeutet, dass der Einzelne nicht gegenüber allen als Einzelnen, auch nicht als Einzelner (physische Person) gegenüber dem Begriffsganzen (der juristischen Person, zu deren Gliedern auch er gehört), sondern dass er als G l i e d dem Ganzen gegenüber verpflichtet und berechtigt ist. Und darin wiederum liegt, dass solches Verhältniss nur gedacht werden kann, soweit der Einzelne als Glied des Ganzen von dessen Zwecken ergriffen wird. Es genügt also nicht die e i n s e i t i g e Zweckbeziehung des fraglichen Verhältnisses auf das Gemeinwesen — diese fehlt nie bei Rechtsgeschäften desselben43 —, sondern es bedarf der z w e i s e i t i g e n publicistischen Richtung. Auch der Einzelne muss in seiner Eigenschaft als Glied des Gemeinwesens in das Rechtsverhältniss eintreten. Gerade dieses Erforderniss vermissen wir in den privatrechtlichen Verhältnissen des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Personen. Das Vermögen des Individuums wird vom Staatszwecke nur ergriffen, soweit die Staatsgewalt es in ihre Dienste zieht; stellt es der Einzelne k r a f t anspruch das Kennzeichen des Privatrechts, der öffentlich-rechtliche der des öffentlichen Rechts", so fragen wir: an welchem Kriterium erkennen wir diesen und jenen? Wir bekommen die Antwort, S 133, dass das Kennzeichen des Privatanspruchs sei seine Zuständigkeit an den Einzelnen in dessen unmittelbarem Interesse gegenüber dem Einzelnen, während der Staat hier nur mittelbares Interesse an der Erfüllung der Imperative habe. 42 Was S t a h l a. 0. S 303 hierzu über die Wesentlichkeit der Individualität bemerkt, ist unrichtig. Er hat clie privatrechtliche juristische Person ausser Augen gelassen. 43 Das gilt ausnahmslos für alle fiskalischen Rechtsverhältnisse. Ueber die Verträge betr. die Benutzung sog. öffentlicher Sachen und Verkehrsanstalten gut v. S a r w e y S 329 f.

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seines W i l l e n s durch Rechtsgeschäft in den Zweck des Staates, so steht er demselben koordinirt, nicht als Theil dem Ganzen gegenüber. Andererseits kann von privatrechtlichem Verhältniss da nicht geredet werden, wo der Staat kraft seiner Hoheitsrechte fordert, wo er die Güter des Einzelnen einschliesslich seiner wahren privatrechtlich geschützten Vermögensrechte für seinen Zweck in Anspruch nimmt. Hier liegt nicht eine Kollision von öffentlichem und privatem Recht vor 4 4 — eine überhaupt abwegige Vorstellung—, sondern ein schlechthin öffentlich - rechtliches Verhältniss. Der Einzelne ist Theil dem Ganzen gegenüber in seiner Eigenschaft als dessen Angehöriger oder Organ. Wenn er in dieser seiner Eigenschaft berechtigt oder verpflichtet ist, ist sein Recht oder seine Pflicht publicistisch, mag sie eine Vermögensleistung zum Inhalt oder überhaupt einen Vermögenswerth haben oder nicht. Die Anwendung des einfachen Gedankens ist nicht ohne Schwierigkeit, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, welche durch die prozessuale Gestaltung der Sache (Kollision der Rechtsbehauptungen) herbeigeführt werden kann. 1. Es ist gewiss, dass die sogen, staatsbürgerlichen oder gemeindebürgerlichen Rechte und Pflichten im weitesten Sinne des Wortes, sowie die im Staats- oder Municipalamt und dergl. eingeschlossenen Rechte und Pflichten öffentlich-rechtlicher Natur sind. Dagegen kann man zweifeln, ob das gleiche gilt von den etwaigen Vermögensansprüchen, welche diesen Rechten oder Pflichten korrespondiren. Vorherrschend neigt man sich der Verneinung, d. h. der Annahme der privatrechtlichen Eigenschaft dieser Ansprüche zu. Dabei ist man nicht unbefangen; denn man wird beeinflusst durch die Thatsache, dass für eine unparteiische Rechtspflege der öffentlich-rechtlichen Sachen nicht überall genügend gesorgt ist, und durch das Bedürfniss nach einer solchen. Dieses drängt dahin, die Civilrechtspflege für die mangelnde öffentliche Rechtspflege vikariiren zu lassen. Aber einer vorurtheilsfreien Prüfung kann nicht entgehen, dass in all den fraglichen Beziehungen die Kriterien des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zutreffen. Wenn der Militär Sold, der Landtagsabgeordnete Diäten, der Zeuge oder Sachverständige Gebühren, der Beamte Gehalt und Pension empfängt, wenn für den öffentlichen Schulunterricht Schulgeld, für die Benutzung von öffentlichen Fahrstrassen Chausseegeld gezahlt wird, so sind alle diese Vermögensleistungen gemacht an den Einzelnen oder von dem Einzelnen in seiner Eigenschaft als Staatsgenosse oder Beamter des Staats. Weder der Um44

Nur Interessen oder Rechtsbehauptungen können mit einander kollidiren.

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stand, dass es sieh um Rechte oder Pflichten von Individuen handelt, noch der andere, dass Vermögenswerth in Frage kommt, entscheidet nach obigen Erörterungen für den privatrechtlichen Charakter. Auch wäre es unzulässig, in dem Vermögensanspruche des Einzelnen lediglich die Zweckbestimmung für das Individuum, das individuelle Interesse wiederfinden und daher ihn in das privatrechtliche Gebiet verweisen zu wollen. Es ist durchweg der Staatszweck, das Staatsinteresse, welches das gesammte Rechtsverhältniss dominirt; und es ist unzulässig, dasselbe mit Zerstörung seiner organischen Einheit in zwei, wenn auch konnexe, verschiedenartige Rechtsverhältnisse zu zerlegen. Das Staatsinteresse gebietet die Löhnung des Soldaten: er empfängt sie in seiner Eigenschaft als militärpflichtiger Unterthan. Der Ansatz von Reisekosten und Diäten des Abgeordneten wird als im unmittelbaren Staatsinteresse gelegen angesehen. Das prägt sich scharf aus in dem Ausschlüsse des Verzichts auf diese Emolumente4δ. Der Staatsbeamtengehalt ist nicht eine auf privatrechtlichem Vertrag, überhaupt nicht auf Vertrag ruhende Leistung, nicht im civilistischen Sinne eine Gegenleistung für Geleistetes, sondern ein mit dem Amt als solchem verbundener Bezug, welcher durch den Staatsakt der Anstellung im Interesse des Amts, gleich dem Range und Titel, dem Staatsdiener als solchem, dem Organe des Staats gewährt wird 4 6 . Lediglich das öffentliche Interesse entscheidet darüber, ob ein Amt Ehrenamt oder besoldetes Staatsamt ist. Gerade bei der Beamtenkategorie, welche wir am stärksten durch Garantien der Unabhängigkeit zu schützen suchen, beim Richter springt diese einheitliche publicistische Natur des Verhältnisses am schärfsten ins Auge. Denn auch hier, wenn auch nicht blos hier ist die Verzichtsmöglichkeit, die Abmachung, dass man ohne Gehalt amtiren wolle, durchaus unzulässig47. Die Thatsache, dass es sich um subjektiven, wohlerworbenen 48, nach positiver Vorschrift auf dem Civilrechtswege verfolgbaren Anspruch auf Vermögensleistung handelt, beeinträchtigt die publicistische Natur des 45

Vgl. ζ. B. Preuss. VU Art. 85; v. R ö n n e , Preiiss. Staatsr. I 318. Ueber die verschiedenen Ansichten vgl. v. G e r b e r § 36 f.; II. S c h u l z e a. Ο. I § 99; ders., Deutsches Staatsr. I 320 f.; v. R ö n n e , Preuss. Staatsr. I I I § 254; L a b a n d , Staatsrecht des Deutschen Reichs I 401 f. Uebrigens ist der der Anstellung vorausgehende Vertrag keineswegs privatrechtlicher Natur. 47 Dabei soll nicht übersehen werden, dass in dem gesetzlichen Ausschluss der Disposition der Kontrahenten an und für sich kein Argument gegen die privatrechtliche Natur des zwängenden Rechtssatzes liegt. Es giebt unverzichtbare Privatrechte. 48 Davon spricht u. a. S c h u l z e , Preuss. Staatsr. I 317 f.; K r o l l , Klage und Einrede. Berlin 1884. S 20. 46

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Verhältnisses nicht 4 9 ; denn es giebt wohlerworbenes öffentliches Recht — ζ. B. [das aus der Anstellung erwachsene Recht des Richteramts selbst ; es giebt zahlreiche öffentliche subjektive Rechte, für deren Verfolgung der Civilrechtsweg eröffnet ist. 2. Ein publicistisches Rechtsverhältniss kann Voraussetzung, Veranlassung^ oder Grund eines privatrechtlichen sein. iDazu wird es immer bedürfen eines mitwirkenden privatrechtlichen Thatbestands, privatrechtlicher Veränderungen, welche mit dem und durch den politischen Vorgang hervorgerufen werden. Schon oben S 90 wurde auf derartiges hingewiesen. Die publicistische Vermögensleistung kann sich nicht anders vollziehen, als durch Eigenthumsübertragung. Wenn nun solche oder eine Eigenthumsbeschränkung oder Leistung für das Gemeinwesen seitens des Einzelnen im Interesse des Gemeinwohls — kraft des staatlichen lus eminens — geschehen muss und ihm dafür gesetzlich eine Entschädigung zugebilligt wird, so entsteht aus der Verwirklichung rein publicistischen Anspruchs — auf Enteignung usw. — ein privates Recht 50 . Dagegen darf man sich nicht auf die Einheit des Rechtsvorganges, Thatbestandes berufen. Diese bedingt, wie oben S 90 dargelegt wurde, nicht die Einheitlichkeit des rechtlichen Charakters der Wirkung. Es kommt darauf an, ob der Entschädigungsanspruch gleich dem publicistischen Anspruch der Unterwerfung des einzelnen Interesses unter das Gemeininteresse, der Pflicht zur Aufopferung des individuellen Gutes an das Ganze entspringt. Und das gerade muss verneint werden. Als Glied des Gemeinwesens wird man expropiirt, als bisheriger Eigenthümer entschädigt51. Das 49 Vorwiegend wird das Rechtsverhältniss zum Theil dem öffentlichen, zum Theil dem privaten Recht zugewiesen, letzteres soweit es Vermögensansprüche des Beamten zum Inhalt hat. Vgl. dag. L a b a n d I 475 f. — v. S a r w e y S 321 giebt zu, dass principiell der Besoldungsanspruch publicistisch ist. Aber „in der Anstellung in Verbindung mit der Bewerbung und Annahme der Ernennung liegt ein Vertrag, und hierdurch erscheint das rechtlich geschützte Privatinteresse, der vermögensrechtliche Anspruch von der öffentlich-rechtlichen Natur des Verhältnisses losgelöst, zu dem Gesetze tritt ein vertragsmässiges Recht und eine vertragsmässige Pflicht bezüglich (1er vermögensrechtlichen Ansprüche". Der Vorgang ist mystisch. Woher die Loslösung? Weil Vertrag geschlossen? Wenn solcher überhaupt erheblich, ergreift er das ganze Verhältniss. Weil es sich um Vermögen handelt? Aber giebt es nicht publicistische Vermögensansprüche? 50 Anders L o e n i n g , Verwaltungsrecht S 785: „denn das Verhältniss, das durch den Eingriff des Staates in die Rechtssphäre des Einzelnen zwischen diesem und dem Staate entsteht, ist immer ein öffentlich-rechtliches." Dazu S 786 Anm 3. Vgl. auch H au s er S 92. 51 v. S a r w e y S 373 f., welcher treffend dagegen polemisirt, hier von „Rechtsverletzungen" durch die Staatsgewalt oder Verwaltung zu sprechen.

Binding. Handbuch. IX. 2. I:

W a c h , Civilproze-. I .

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öffentliche Interesse hört dort auf, wo der Entschädigungsanspruch beginnt. Es besteht an ihm nur ein öffentliches Interesse, wie solches än der Existenz gerechter Privatrechtsordnung und ihrer Bewährung überhaupt besteht. Das lus eminens fordert die Aufopferung des Einzelnen, aber sie fordert nicht Ungleichheit, wo Ausgleich möglich ist. Der letztere stellt sich als reiner Ausgleich des Vermögensschadens dar und fällt als solcher unter den specifisch privatrechtlichen Gesichtspunkt52. ό. Die rechtswidrige Handlung empfängt ihren privatrechtlichen bez. publicistischen Charakter aus den rechtlichen Wirkungen, welche an sie geknüpft werden, der Qualität des Rechtsverhältnisses, welches aus ihr entsteht, und dieses wiederum regelt sich vernünftigerweise danach, ob man in dem rechtswidrigen Handeln findet lediglich die Verletzung des Einzelnen in seiner Privatrechtssphäre, oder der Gesammtheit als solcher bez. des Einzelnen in seiner öffentlich-rechtlichen Stellung, als Glied derelben, oder beider zugleich53. Dagegen ist die Persönlichkeit des Verletzenden bez. für ihn Haftenden — m. a. W. die Frage, ob derselbe ein Privater oder Beamter oder eine öffentlichrechtliche Korporation, Staat ist — durchaus unerheblich r>4. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass Privatdelikte von Beamten, mögen dieselben unter der Firma der Amtsausübung geschehen oder nicht, mag für sie der Staat haften oder nicht 5 5 , einen privatrechtlichen Anspruch erzeugen. Andererseits wird sich nicht bestreiten lassen, dass die Frage, ob ein Einzelner verbunden ist, einem amtlichen Befehl zu gehorchen, eine amtliche Handlung, Rechtsbeschränkung, ja vielleicht Rechtsaufopferung zu dulden, nicht privatrechtliche, sondern publicistische Frage ist: sie ist identisch mit der Frage der Amtsüberschreitung, der Existenz des Privatdelikts selbst und daher keineswegs für den eingeklagten Privatdeliktsanspruch Vorfrage, sondern das s t r i t t i g e R e c h t s v e r h ä l t n i s s 5 6 . Sie ist, abgesehen von der Frage nach der Schuldhaftigkeit und Höhe des Schadensersatzes, die Frage des Rechtsstreits. Das tritt besonders deutlich hervor, wenn man die 52

Man bringt diese Kategorie ins schiefe, wenn man sie als Verhältniss von Leistung und Gegenleistung, von Verpflichtung zum Dulden gegen Gegenleistung u. dgl. denkt. Das lus eminens ist durch die Entschädigungspflicht nicht innerlich beschränkt. 53 Was Ha us er S 90 f. hiergegen bemerkt, ruht auf falscher Fragestellung. 54 Das Gegentheil wird oft behauptet; vgl. u. a. Ha us er S 113. 55 Vgl. hierüber E. L o e n i n g , Die Haftung des Staats aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten. Frankfurt 1879; v. Sarwey S 304. 66 And. Mein. H a u s e r S 88. 102. S. jedoch ν. Sarwey S 305.

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Feststellungsklage als Form der Rechtsverfolgung ins Auge fasst, der Einzelne auf Feststellung klagt, dass er nicht verpflichtet sei, der Anordnung der Behörde zu gehorsamen. Es leuchtet ein, dass in solchen Fällen die widerstreitenden Parteibehauptungen gerade die Qualität der Streitsache als öffentlich-rechtliche und privatrechtliche betreffen: die Behauptung des Klägers lässt sie als letztere, die des Beklagten als öffentlich-rechtliche erscheinen. Daher wird über ihre endgiltige juristische Qualificirung entschieden und entscheidend sein, ob in solcher Lage der klägerischen oder beklagtischen Behauptung das Uebergewicht zukommt. Hiermit ist der Weg gewiesen für die Behandlung aller der Fälle, in welchen die privatrechtlichen und publicistischen Rechtsbehauptungen in Kollision treten: der Kläger behauptet, ihm werde sein Eigenthum gekränkt, der Beklagte nimmt an der Sache öffentliches Gebrauchsrecht in Anspruch. Der Kläger kondicirt Vermögensleistungen wegen civilistischer ungerechtfertigter Bereicherung und führt als Scheingrund des gegnerischen Habens einen Privatrechtstitel an, wogegen der Beklagte es auf publicistischen Titel zurückfühlt 57. 4. Individuelle Befreiungen von öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen kraft eines speciellen Titels, Privilegs, Vertrags u. dgl. schaffen privatrechtliches Verhältniss, denn sie belassen nicht, wie ein auf konkrete publicistische Leistungspflicht sich beziehender Stundungs- oder Erlassvertrag δ3, das Rechtsverhältniss auf der Basis des verpflichtenden öffentlich-rechtlichen Grundes, sondern stellen den Liberirten ausserhalb desselben. Er ist befreit, nicht weil er Unterthan ist, sondern obschon er es ist. Die Befreiung wirkt eine persönliche Exemtion. So weit sie reicht, steht der Einzelne dem Ganzen koordinirt gegenüber59. VII. Die prozessualen K r i t e r i e n der U n t e r s c h e i d u n g . Das subjektive Privatrecht oder öffentliche Recht tritt als Rechtssache, Streitsache in bestimmter prozessualischer Form auf. Es sind 67

Das Nähere darüber unten S 107 ff. S e u f f e r t IV Nr 251. 1 (Stuttgart). 69 So die gemeine Meinung: vgl. v. S a r w e y S 335. Wohl zu unterscheiden hiervon ist das lus singulare, welches ganze Personenklassen besonderen Rechtsgrundsätzen unterstellt (Steuerbefreiung von Beamten, fiskalischen Grundstücken u.dgl.). Vgl. darüber das eingehende Urtheil des RGIVCS v. 21. Febr. 1881 (Ε I V 213 f. 218 f.) und die damit in Widerspruch stehende unhaltbare Deduktion in RG I V CS vom 22. Sept. 1881 (E V;301). * 68

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nunmehr die p r o z e s s u a l i s c h e n R e g e l n zu entwickeln, nach denen die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs zu behandeln ist. 1. Sie ist die Frage nach dem sachlichen Umfange der Gerichtsgewalt, speciell der Urtheilsgewalt, schlechthin, nicht nach dem sachlichen Umfange der Gerichtsgewalt des einzelnen Gerichts innerhalb der Gerichtsorganisation. Die Parteien und das Gericht sind ohne Einfluss auf die dem Rechtsweg gezogenen Grenzen. Jene können nicht durch Vertrag den Rechtsweg zulassen, wo er unzulässig ist, noch den Verwaltungsweg einer Sache eröffnen, der er verschlossen ist 6 0 . Mit diesem Gedanken ist nicht zu verwirren die Frage, ob und in welcher Form die Parteidisposition einem Ansprüche die civilistische Klagbarkeit nehmen bez. an Stelle derselben seine Verfolgbarkeit lediglich im Wege des Schiedsverfahrens setzen kann 61 . Justiz- und Verwaltungsbehörden können ihrer Zuständigkeit weder einseitig noch durch Uebereinkunft entsagen62. Daraus folgt jedoch nicht, dass sie auch nicht befugt wären, über dieselbe zu erkennen. Das Reichsrecht weist principiell den Gerichten die Aufgabe zu, über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden (GVG § 17), d. h. zu entscheiden von Amtes wegen, nicht nur auf Einrede 63 (CPO § 247 Nr 2), und zwar bejahend oder verneinend in für den Staat, die Verwaltungsbehörde bindender Weise 64 . Dieses Princip hat nicht ausnahmslos 60

Ueber die französische Praxis vgl. O p p e n h o f f S 13 f. Er bezeugt, dass die preussischen Verwaltungsbehörden im Widerspruch mit der Ansicht der Gerichte Vertragsklauseln über den Ausschluss des Rechtswegs zu Gunsten des administrativen Ressorts begünstigen. Vgl. RG V CS v. 25. Sept. 1880 (E I I 313), I I CS v. 28. Nov. 1882 (Ε V I I I 350), IV CS v. 8. Febr. 1883 (das. S 399), I CS v. 26. Sept. 1883 u. 2. Febr. 1884 (Ε X 368, X I 66). Vgl. auch OTr Berlin in S e u f f e r t X X I I I Nr 133, X X X I I Nr 39; OG Wolfenbüttel X X I X Nr 133; AG Celle XXX Nr 246; ROHG (mit Beziehung auf GewO § 108) X X X I I I 160. Sonach ist es unzutreffend, wenn das OLG D r e s d e n in Sachen Krietsch/Fiskus GSO I I 100/84 Nr 10 vom 17. Febr. 1885 entschied, „dass eine Entscheidung über die Oeffentlichkeit eines Flusses unbedenklich sei, da seitens des Beklagten der Zulässigkeit der Kognition seitens der Justizbehörde in keiner Weise entgegengetreten sei". 61 Vgl. die in der vorigen Anm angeführten Entsch. des RG und S e u f f e r t X X I I I Nr 133, X X I X Nr 133. 62 Vgl. O p p e n h o f f S 14. 63 v. R ö n n e a. O. S 523 f. 528 f. Anm 2. 64 So das alte gemeine Recht — Z a c h a r i a e I I 259 ff. — und so das neue nach GVG § 17 Abs 1. Die richterliche rechtskräftige Entscheidung kann von der Verwaltungsbehörde nicht in ihrer Richtigkeit angezweifelt oder in ihrer Wirksamkeit ignorirt werden. Hat das Gericht rechtskräftig seine Zuständigkeit bejaht, so kann ihm keine Verwaltungsinstanz den Respekt versagen — GVG § 17 Nr 4 — und umgekehrt. — G\ r G § 17 Abs 1 ist von der RJK auf Anregung von

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Geltung. Abgesehen davon, dass es nach EGVG § 2 an und für sich nur für die ordentlichen Gerichte, soweit sie die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit ausüben, aufgestellt ist, zieht ihm das Reichsrecht selbst (GVG § 17 Abs 2. ECPO § 15 Nr 1) fakultative Schranken durch Zulassung eines sogen. K o m p e t e n z - K o n f l i k t s - G e r i c h t s hofs. Die Grundsätze über dessen Organisation gehören in die Darstellung der Gerichtsverfassung 65. Dagegen greifen hier ein die Vorßchriften über seine Funktion. Solche ist durchaus ausgeschlossen, a. sofern das Gericht bereits durch rechtskräftiges Urtheil die R e i c h e n s p e r g e r mit Yerbesserungsanträgen von L a s k e r , S t r u c k m a n n eingeschaltet (RJK Prot S 481—493. 583—586. 759—763 Sitz. 169 S 15). Aus den Materialien ergieht sich für die Frage des negativen Kompetenzkonflikts folgendes. Der Abg. K l o t z erklärte in der RJK (Prot S 585): „wo sich das Gericht für unzuständig erklärt, trete die Verwaltung von selbst ein". Vgl. auch die Aeusserung des Regierungsvertreters S c h m i d t S 490: „die rechtskräftige Entscheidung des Gerichts sei natürlich maassgebend"; des Abg. v. P u t t k a m e r S 488: „die Entscheidung der Gerichte, dass in einer gewissen Sache der Rechtsweg unzulässig sei, müsse natürlich auch die Verwaltung binden, denn das Staatsoberhaupt, dessen Organe sämmtliche Behörden seien, dürfe den Rechtsschutz den Unterthanen nicht deshalb versagen, weil er durch die Gerichte, auf deren Urtheil eine Einwirkung niemand zustehe, infolge deren rechtskräftiger Entscheidung nicht zu erreichen sei". Andererseits trat die Meinung hervor, dass der Antrag R e i c h e n s p e r g e r sich gar nicht auf den negativen Kompetenzkonflikt beziehe. Der Antragsteller sagte selbst (S 488): „Man habe es hier mit einem Gesetz fur die Justiz zu thun und genüge es daher, wenn gesagt werde, dass die Gerichte über ihre Zuständigkeit zu entscheiden hätten. Was zu geschehen habe, wenn sich die Gerichte für unzuständig erklären, und wie in solchen Fällen von der Verwaltung zu verfahren sei, gehöre nicht in ein Justizgesetz, wie das vorliegende." Man war darüber einig, dass der Abs 1 des § 17 an u n d f ü r s i c h alle Konfliktsgerichtshöfe beseitigen würde; und da das Gesetz nicht zwischen positivem und negativem Konflikt unterscheidet, bezieht er sich auch auf diesen. (Vgl. auch T u r n a u , Die Justizverfassung. 1882. I I S 133.) Ueber die Landesgesetze s. die folgende Anm. 65 Vgl. die Kommentare zum GVG § 17; T u r n a u a. 0. Für die einzelnen Territorien sind maassgebend: 1. f ü r P r e u s s e n V vom 1. Aug. 1879 betr. die Kompetenzkonflikte und dazu v. R ö n n e S 524 f. u. S t r u c k m a n n - K o c h , Preuss. Ausfuhrungsges. S 521 f.; 2. Sachsen Ges vom 3. März 1879; 3. B a y e r n Ges vom 18. Aug. 1879; 4. W ü r t t e m b e r g Ges vom 25. Aug. 1879 ( S t i e g e l e , Die württemb. Ges usw. Stuttg. 1879); 5. H e s s e n ACPO vom 4. Juni 1879 Art. 22 ff. Ges vom 16. April 1879 vgl. mit Ges vom 11. Jan. 1875 betr. die Bild, und Zuständigkeit des oberst. Verwaltungsgerichtshofs; 6. B a d e n Ges vom 30. Jan. 1879; 7. M e c k l e n b u r g - S c h w e r i n V zur Ausf. von § 17 des GVG, vom 19. Mai 1879 (v. A r n s b e r g , V zur Ausf. der RJG. Schwerin 1879. S 211 f.); 8. O l d e n b u r g AG vom 10. April 1879 Ziff. 4 Art. 54 f.; 9. B r a u n s c h w e i g Ges vom 1. April 1879; 10. B r e m e n Ges vom 25. Juni 1879 (Reichsgericht ist Konfliktsgericht); 11. K o b u r g - G o t h a Ges vom 8. April 1879. 12. Das H a m b u r g e r Ges vom 23. April 1879 schafft keinen Kompetenzkonfliktsgerichtshof.

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Zulässigkeit des Rechtswegs bejaht hat, ohne dass zuvor auf die Entscheidung der besonderen Behörde angetragen wurde (GVG § 17 Abs 2 Nr 4). Hat das Gericht die Zulässigkeit des Rechtswegs rechtskräftig verneint, so gilt nicht das gleiche. Den negativen Konflikt, die rechtskräftige Verneinung sowohl des Rechts- wie des Verwaltungswegs durch Gericht bez. Verwaltungsinstanz kann das Landesgesetz dem Kompetenzkonflikts-Gerichtshof zur Entscheidung überweisen 66. Unter Rechtskraft ist dabei zu verstehen der reichsrechtliche Begriff der sog. formellen Rechtskraft, der Unanfechtbarkeit durch ein Rechtsmittel oder durch Einspruch (CPO § 645), gleichviel ob solche schon mit der Publikation (etwa wegen Erschöpfung des Instanzenzugs) bestand oder durch definitiven Verlust des Rechtsmittels oder Einspruchs nachträglich eintrat. Die Zulässigkeit des Rechtswegs kann ausdrücklich oder stillschweigend im Zwischen- oder Endurtheil bejaht werden. Die Entscheidung in der Sache ist immer stillschweigende Bejahung: aber solche nur in den sachlichen Grenzen der formellen Rechtskraft. Das rechtskräftige Theilurtheil schliesst die Erhebung des Konflikts für den nicht entschiedenen Theil nicht aus. Diese Grundsätze sind für das Reichsgericht nicht maassgebend. Weder kann das Urtheil des Reichsgerichts durch Landesgesetz in der Revisionsinstanz ausgeschlossen, noch im Falle des negativen Kompetenzkonflikts durch Urtheil des Kompetenzkonflikts-Gerichtshofs aufgehoben werden. Allerdings spricht der Wortlaut des Gesetzes für das Gegentheil 6 7 . CPO § 509 berührt die vorliegende Frage nicht; auch kann kein Argument für unsere Ansicht entnommen werden der allgemeinen Erwägung, dass Landesgesetz auf das Reichsgericht einzuwirken nicht vermag. Die Landesgesetzgebung bestimmt clie Zulässigkeit des Rechtswegs auch für das Reichsgericht. Aber freilich steht eine Einwirkung besonderer Art auf dasselbe in Frage. Es handelt sich darum, ob das höchste, kraft der Justizhoheit des Reichs bestehende und zu deren Ausübung berufene Gericht der Landesjustizhoheit untergeordnet werden dürfe. Das Reich hätte solche Subordination aussprechen können; aber dass das geschehen, kann aus dem allgemeinen Wortlaute des GVG § 17 Abs 2 nicht gefolgert werden. Es würde der in der gesammten Reichsjustizgesetzgebung durchgefühlten und festgehaltenen Stellung des höchsten Gerichts wiedersprechen, wenn es einem Landes06 Das bestimmt u. a. für Preuss en § 21 der angef. V ; Sachsen § 17 des ang. Ges; W ü r t t e m b e r g Art. 12; Hessen ACPO Art. 29; M e c k l e n b u r g § 26. 67 Vgl. auch v. A r n s b e r g a. 0. S 220 und die Motive zum W ü r t t e m b . Ges vom 25. Aug. 1879 S 8 f.

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gericht gestattet sein sollte, ein Urtheil des Reichsgerichts, welches die Unzulässigkeit des Rechtswegs ausspricht, zu vernichten und das Reichsgericht zur Entscheidung in der Sache zu zwingen, oder eine Sache infolge der Erhebung des positiven Kompetenzkonflikts vom Reichsgericht ohne jedes Widerspruchsrecht desselben zu avociren 68. In diesem Sinne ist die Landesgesetzgebung zu deuten bez. zu behandeln69. Die zur Ausführung des GVG § 17 Abs 2 gegebenen Gesetze, welche wie das preussische, sächsische, hessische, über die soeben beregte Frage schweigen, sind gleich dem GVG § 17 Abs 2 einschränkend auszulegen. Diejenigen, welche, wie das bayerische, nur für den negativen Kompetenzkonflikt die Entscheidung des Reichsgerichts für bindend anerkennen, dagegen offenbar die Avokation vom Reichsgericht für zulässig halten, müssen in diesem Stücke als gegen das Reichsrecht verstossend unbeachtet bleiben 70 . b. Seine Funktion ist ausgeschlossen in Konflikten zwischen der 68 Dazu gelangt M ü n k , Die Preuss. GV. Berlin 1880. S 5; T u r n a u S 183 Anm 6, unterstützt durch die allgemeine Fassung der Preuss. V. — Anders W ü r t t e m b e r g Art. 5. 13, M e c k l e n b u r g § 12. 26, B a y e r n Art. 22, B r a u n schweig § 6. Diese Gesetze unterscheiden sich dadurch, dass die beiden erstgenannten schon im Stadium zulässiger Revision den p o s i t i v e n Kompetenzkonflikt ausschliessen, B r a u n s c h w e i g solchen Ausschluss an die Anhängigkeit der Sache beim Reichsgericht knüpft und B a y e r n Art. 22 Abs 2 nur beim negativen Kompetenzkonflikt die Rechte des Reichsgerichts wahrt. 69 Präcedenzfälle verwandter Art bieten Streitsachen des ROHG, in welchen unter Anwendung der Territorial-Prozessordnungen ein Rechtsmittel gegen das Urtheil dieses höchsten Reichsgerichts bei einer Territorialinstanz bezw. durch Aktenversendung erstrebt ward: 1. ROHG Rep. 258/73 Kühn c. Andreashütte (Anhaltische Sache): über eine auf Grund der Zerbster OAGO § 48 f. eingelegte Revision gegen ein Urtheil des ROHG entscheidet dieses ohne Aktenversendung in pleno; 2. Rep. 1113/76 Rogge c. Korn (Anhaltische Sache): Billigung der Ansicht des ROHG durch den Bundesrath, nach welcher jenes über die Revision nach § 52 der Zerbster OAGO — vgl. H e i m bat;h, Sächs. bürg. Prozess I 433, I I I 204 f. — selbst entscheidet, s. Prot des Bundesraths 1877 § 406 S 235; 3. Rep. 278/79 Naumann c. Gillespie et cons. (Hamburger Sache): der Direktorialsenat Bremen fordert das ROHG auf, betreffs einer bei dem Senat eingereichten Nichtigkeitsbeschwerde nach den Bestimmungen der Lübecker OAGO zu verfahren (f. 46); Antwort entsprechend dem vorigen Fall (f. 49); der Senat giebt nach und „ersucht" das ROHG, die Entscheidung zu „übernehmen" (f. 54); 4. Rep. I 607/79 Sächsisch-Thüringische Eisenbahn c. Vollhering (Reuss ä. L.): Nichtigkeitsbeschwerde nach der Jenaer OAGO § 24 f. — H e i m b a c h a. 0. — gegen ein Urtheil des ROHG gehört vor dessen Plenum. So auch RG Rep. I 103/81 Friedrich c. Phönix (Meininger Sache): das Reichsgerichtsplenum entscheidet über die Nichtigkeitsbeschwerde nach der Meininger Prozessnovelle 1862 bezw. der Jenaer OAGO. Ich verdanke diese Mittheilungen der Güte des Herrn Reichsgerichtsraths Dr. v. Hahn. 70

Ungenügend in diesem Punkte v. Sarwey S 686.

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Kompetenz der Reichsverwaltungsbehörden oder -gerichte mit den ordentlichen bürgerlichen Gerichten. Das Reich hat wenigstens bislang auf Errichtung eines Kompetenzkonflikts - Gerichtshofs verzichtet 71. Der in der RJK gestellte Antrag, als solchen das Reichsgericht eintreten zu lassen, blieb erfolglos. Die Reichsverwaltungsbehörden sind nicht befugt, Konflikte zu erheben. Die Landesgesetzgebung kann ihnen diese Befugniss nicht verleihen 72. Die Reichsverwaltungsbehörden sind Funktionäre der Reichs-Staatsgewalt und als solche der Territorial-Staatsgewalt nicht unterworfen. Diese kann sie einem dominirenclen Landeskonfliktsgericht nicht unterordnen. Daher kommt allemal im Verhältniss der Gerichte zu den Reichsverwaltungsinstanzen das GVG § 16 Abs 1 zur Geltung, d. h. es entscheidet das angegangene Gericht selbständig maassgebend über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Aehnlich steht es c. bei Konflikten zwischen der Kompetenz der Gerichte und Verwaltungsinstanzen verschiedener Gliedstaaten. Dieselbe Erwägung, die Zweiheit der hier koordinirten Staatsgewalten, macht die landesgesetzliche Organisation eines gemeinschaftlich beherrschenden Konfliktsgerichtshofs unmöglich73. Soweit die Funktion des Konfliktsgerichtshofs zugelassen ist, kann dieselbe verschieden durch Landesgesetz gestaltet sein. Es kann von der Fakultät des § 17 ein voller oder beschränkter Gebrauch gemacht werden. Dieselbe geht dahin, dass kraft Landesrechts dem Konfliktsgericht an Stelle des Gerichts die bejahende oder verneinende Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs eingeräumt wird, und das als Ausnahme von dem Satze, dass die Gerichte über die Prozessfähigkeit der Sache selbst entscheiden. Dass damit nicht die formelle 71

Vgl. Antrag K l o t z in Prot der RJK S 486. 491. Hierüber ist in der RJK kein Zweifel aufgetaucht: vgl. die betreffenden Ausführungen der Abg. B a h r Prot S 491, L a s k e r S 485. Sie bekämpften mit Recht die Ansicht der Abg. G n e i s t und v. P u t t k a n i e r , dass die Licenz des GVG § 17 Abs 2 nicht Platz greife, wo es sich um die Anwendung des Reichsrechts handle, dass selbstverständlich hier das Reichsrecht entscheide. Diese Ansicht würde vice versa zu dem Resultate führen, dass in landesrechtlichen Konfliktsfragen das RG den Landesgerichten unterstellt wäre. Aber die Qualität der Rechtsquelle (Reichs- oder Territorialstaatsgewalt) und demgemäss der Unterschied zwischen Reichs- und Landesrecht ist bedeutungslos für die Frage der sachlichen Abgrenzung der Behördenorganismen. So lange und so weit diese der Landesgesetzgebung überlassen ist (GVG § 13), ergreift sie auch die aus dem Reichsrecht fliessenden Rechtsverhältnisse. Vgl. T u r n a u S 132 Anm 5; S t r u c k m a n n K o c h , GVG § 17 Anm 2; v. W i l m o w s k i - L e v y , GVG § 27 Anm 2; T h i l o , GVG § 17 Anm 3. 73 Vgl. dazu T u r n a u S 133 Anm 6. 72

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Erledigung des Prozesses dem Konfliktsgericht zugewiesen wird, leuchtet ein. Es spricht lediglich über die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs; auf Grund seiner Entscheidung hat das Gericht die Klage abzuweisen, wenn die Frage verneint wurde; es hat die etwa erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs zu verwerfen, wenn der Rechtsweg für zulässig erklärt wurde: m. a. \V. es devolvirt nicht nach GVG § 17 Abs 2 der ganze Prozess, sondern nur jene eine Frage an das Konfliktsgericht. Die Landesgesetze gehen hierin nicht konform. Einige erklären ausdrücklich, dass sich das Konfliktsgericht nur mit der Rechtswegsfrage zu befassen habe und seine Entscheidung das Prozessgericht binde 74 . Andere binden das Gericht bei positivem Konflikt nur an die den Rechtsweg ausschliessende Entscheidung7δ, andere endlich lassen den Punkt unerledigt, soweit es sich nicht um den negativen Kompetenzkonflikt handelt 70 . Auch darin ist Verschiedenheit, dass nach einigen 74

Ζ. B. W ü r t t e m b e r g Art. 14 Abs 5, 6; vgl. auch H e s s e n Ait. 26. 27. So die M e c k l e n b u r g i s c h e V vom 19. Mai 1879 § 25 vgl. mit § 28. 76 So Sachsen, vgl. unten Anm 77; preuss. V vom 1. August 1879 § 18. 21. Das RG I I I CS vom 3. März 1879 (Ε X I 392 ff.) nimmt in Uebereinstimmung mit p r eus si scher, freilich nicht konstanter Praxis — vgl. O p p e n h o f f S 494 Nr 132 f. — an, dass beim positiven Konflikt das Urtheil des Kompetenzgerichts nur dann das Prozessgericht binde, wenn es die Zuständigkeit verneint, nicht wenn es dieselbe bejaht; in jenem Falle soll ein weiteres gerichtliches Verfahren ausgeschlossen sein, in diesem dagegen das Gericht seine Zuständigkeit frei zu prüfen haben. Es fehlt dieser Ansicht an gesetzlicher Basis: 1. Es ist unrichtig, dass im Verneinungsfalle jedes Verfahren ausgeschlossen sei. V vom 1. August 1879 § 18, auf welche sich RG beruft, konservirt den Grundsatz des § 18 des Ges vom 8. April 1847, nach welchem die gerichtlichen Kosten niedergeschlagen, die aussergerichtlichen nicht ersetzt werden. Freilich hat die V die Worte „so hat das Gericht das Rechtsverfahren aufzuheben" nicht aufgenommen. Daraus aber folgt nicht, dass nicht nach Entscheidung des Konfliktsgerichts noch die Klage abzuweisen und das gesetzliche Ergebniss betreffs der Kosten im Urtheil auszusprechen sei. 2. Der allgemeine Grund für die Freiheit des Gerichts im Falle der Bejahung des Rechtswegs durch das Konfliktsgericht ist, dass das Erkenntniss des letzteren nicht unter den Parteien ergangen sei und daher eine noch nicht erledigte Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs noch durch Urtheil des Prozessgerichts frei zu erledigen sei. Aber wenn es auch wahr wäre, dass jenes Erkenntniss nicht zwischen den Parteien ergangen wäre, so würde daraus doch nicht folgen, dass das Gericht nicht an dieses Erkenntniss gebunden ist, sondern nur, dass es noch eine prozessbeendigende Sentenz abzugeben hat. Bei dieser kann das Gericht an das Urtheil des Kompetenzgerichtshofs gebunden s ein, wie es daran unzweifelhaft im Falle der Verneinung des Rechtswegs bezw. auch bei der Bejahung im Falle des negativen Kompetenzkonflikts gebunden ist. Dass der letztere heutzutage in Preussen gemäss dem französischen Recht durch den Antrag der Partei veranlasst wird, berührt diesen Einwand nicht; denn nach dem Ges vom 8. April 1847 § 20 war das nicht der Fall. Und doch würden 75

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Gesetzen immer noch auf Grund der Entscheidung des Konfliktsgerichts eine Entscheidung des Prozessgerichts erwartet wird, wogegen nach anderen dies nicht der Fall ist 7 7 . 2. Die Entscheidung der unter Nr 1 gestellten Frage entnimmt das Gericht bezw. das Konfliktsgericht dem Reichsrecht und seinem Landesrecht, denn seine eigene Gerichtsgewalt leitet das Gericht lediglich ab von seiner Staatsgewalt. Ausländisches Recht kann sie nicht normiren. Die Lex fori entscheidet also auch dann, wenn einer der beiden Streittheile ein fremder Staat, eine ausländische Behörde ist. Sie normirt als Landesgesetz die Grenze des Rechtswegs auch in Streitigkeiten unter Reichsbehörden, wo Reichsrecht sie nicht festgestellt hat. Allerdings kann nicht davon die Rede sein, dass das Landesgesetz den Reichsverwaltungsinstanzen Jurisdiktion beilege ; andererseits aber giebt es ausser Reichs- und Landesgesetz keine dritte Quelle für die Abgrenzung der Jurisdiktion der Gerichte, und so lange das Reich sich dieser Materie nicht derart bemächtigt hat, dass es dieselbe erschöpfend regelt oder doch die Ergänzung durch Landesgesetz ausschliesst, giebt die Gründe des RG für dieses G geradeso Geltung beanspruchen müssen, wie für die Y vom 1. August 1879. — In der That ist das Urtheil des Konfliktsgerichts materiell zu denken als ein Urtheil für die Parteien und zwischen den Parteien, als ein Urtheil, welches dieses Gericht an Stelle des Prozessgerichts fallt. Ob bei dem dasselbe veranlassenden Verfahren die Parteien thatsächlich sich betheiligen, ist unerheblich, denn es handelt sich um einen von Amtswegen im unmittelbaren Staatsinteresse zu thätigenden Spruch. Immerhin werden die Parteien zum Termine geladen (§ 13), wie sie durch vorgängige Schriftsätze auf den Ausgang des Verfahrens einwirken können (§ 9. 10): und das Urtheil sollte sie nicht binden? Es sollte den Gerichtshof nicht binden, welcher selbst sich der Entscheidung enthalten muss, sobald das Konfliktsgericht angerufen wird? Was wäre die Folge? Das Konfliktsgericht erklärt den Rechtsweg für zulässig, das Prozessgericht ihn für unzulässig; jetzt wendet sich die Partei an die Verwaltungsinstanz; diese erklärt sich durch das Urtheil des Konfliktsgerichts, welches ihr die Zuständigkeit abgesprochen hat, für gebunden; die Sache kommt auf dem Weg des negativen Konflikts zurück an den Konfliktsgerichtshof; dieser vernichtet das Urtheil des Gerichts und spricht abermals aus, dass der Rechtsweg zulässig sei ; erst jetzt ist das Gericht gebunden! Das RG hat in seinem Urtheil die Nothwendigkeit einer Entscheidung über die unerledigte Einrede verwechselt mit der Nothwendigkeit einer ungebundenen Entscheidung. 77 Sachsen: Ges vom 3. März 1879 § 15 Abs 2 bestimmt: „Ist durch die Entscheidung die Unzulässigkeit des Rechtswegs festgestellt, so findet bei dem Prozessgericht eine weitere Verhandlung und Entscheidung nur noch wegen des Anspruchs auf Erstattung der Prozesskosten statt." Das geht zu weit; denn GVG § 1 7 erkennt an die Zulässigkeit der Entscheidung über die Rechtswegsfrage durch das Konfliktsgericht, aber nicht die Beendigung des Prozesses durch sein Urtheil. H e s s e n Art. 27 lässt das Konfliktsgericht auch die Kostenfrage entscheiden.

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dieses die Entscheidungsnorm. Das ist eine gewöhnliche, durch die staatsrechtliche Gestalt Deutschlands bedingte Erscheinung. Ordnen doch in gewissen Fällen kraft ausdrücklicher Zulassung des Reiches die Landesgesetze den Rechtsweg selbst bei Ansprüchen gegen das Reich 78 . 3. Die Kriterien des Prozess- oder Urtheilsgegenstandes sind die der „Rechtssachen"79 : die Substanz der konkreten Frage nach der Zulässigkeit des Rechtswegs liefert das Parteivorbringen — Behaupten und Begehren — ; denn nur über dieses ist zu urtheilen. Demzufolge ist der wesentliche' Entscheidungsstoff nur das Parteivorbringen in den Grenzen der möglichen Rechtskraft. Sie erstreckt sich auf den Streitgegenstand, soweit er Objekt des Klagantrags geworden ist. Sie er78

Reichsgesetz über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873 § 33. 34 bestimmt, dass die Zulässigkeit des Rechtswegs für Ansprüche auf Entschädigung für die dem Reich gemachten Kriegsleistungen sich nach dem Landesgesetze reguliren soll, in dessen Herrschaftsgebiet diese Ansprüche zu erfüllen sind und welches maassgebend wäre, wenn die Ansprüche gegen den betreifenden Bundesstaat gerichtet wären. Vgl. dazu v. Sarwey S 390 f. — Im Falle des Viehseuchengesetzes vom 23. Juni 1880 handelt es sich nicht um Ansprüche gegen das Reich, sondern die einzelnen Bundesstaaten (vgl. L o e n i n g , Verwaltungsr. S 415). — Wo das Reichsrecht schlechtweg den „Rechtsweg" gegen eine Verwaltungs-Anordnung „offen" lässt (s. unten Anm 90), ist der fragliche Anspruch für Rechtssache erklärt und der Landesgesetzgebung die Möglichkeit genommen, ihn der Verwaltung zu überweisen. Davon ist wohl zu unterscheiden eine hypothetische reichsrechtliche Regulirung des Verhältnisses von Rechts- und Verwaltungsweg für den F a l l , dass jener landesgesetzlich offen steht (wie z. B. in § 11 des EGVG, s. unt. Anm 90). — Wo das Reichsrecht Ansprüche und für sie den Verwaltungsweg regelt ohne den Rechtsweg ausdrücklich offen zu lassen, kann dieser nicht durch Landesgesetz zugelassen werden. Das Reichsrecht hat stillschweigend den Rechtsweg ausgeschlossen u. a. durch Ges, betr. die Quartierleistung für die bewaffoete Macht, vom 25. Juni 1868 (eingeführt in Bayern und Württemberg durch Ges vom 9. Februar 1875); Ges über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden vom 13. Februar 1875 § 16 ; Ges, betr. Maassregeln gegen die Rinderpest, vom 7. April 1869 (v. Sarwey S 394). — Wenn das Reich einen Entschädigungsanspruch auf Grund eines staatlichen Eingriffs in das Privatvermögen einräumt ohne sich über die Zulässigkeit des Rechts- oder Verwaltungswegs zu äussern, so hat die Landesgesetzgebung freie Hand. Aus ihr, nicht aus „allgemeinen wissenschaftlichen Grundsätzen" ist nach den Regeln der Interpretation (Analogie) die Entscheidung auch dann zu entnehmen, wenn sich eine ausdrückliche Vorschrift nicht findet. Gegen dieses Princip Verstössen in der Auslegung des Viehseuchengesetzes L o e n i n g S 416 und v. Sarwey S 396. — Ueber den Standpunkt des RG s. oben S 82 Anm 5. 79 Zum Folgenden vgl. v. K ü b e l im Württemb. A V 235; ν. S a r w e y das, XIV 43 f.; ders., Oeffentl. Recht S 662 f.; auch L a u k , A für prakt. Rechtwissenßchaft I I 1 f., I I I 206 f.

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fasst ihn positiv und negativ. Die Klage, welche ein öffentliches Recht positiv oder negativ als Klage, Widerklage. Incidentklage auf Leistungsoder Feststellungsurtheil geltend macht, ist vom Rechtsweg ausgeschlossen. So die Klage, durch welche ein publicistisches Recht zu richterlicher Verneinung gebracht werden soll. Das kann geschehen durch Antrag auf Feststellung, dass das publicistische Recht nicht bestehe, oder dass überhaupt kein beklagtisches Recht, also auch kein publicistisches Recht bestehe. Dort ist der Klage schlechthin, hier ist ihr, soweit sie etwa publicistische Befugniss verneinen soll, der Rechtsweg verschlossen. Daraus ergiebt sich, dass im letzteren Falle die ? Verteidigung des Beklagten aus den Grenzen der Justizsache ausschreitet, wenn sie sich auf öffentlich-rechtliche Befugniss stützt, und daher die Klage ganz abgewiesen werden muss, wenn sich herausstellt, dass die Parteien nur über ein publicistisches Rechtsverhältniss in Differenz sind. Dabei ist wohl zu beachten, dass die Form der Negation publicistischen Rechts in sich bergen kann die Position privatrechtlichen Verhältnisses ; so bei der Feststellungsklage, welche die Befreiung von publicistischer Pflicht aus individuellem privatrechtlichen Titel (s. ob. S 99 Nr 4) ableitet, oder der Klage, welche Rückgewähr einer formell publicistischen Leistung aus c i v i l i s t i s c h e m Rückforderungsgrund begehrt 80. Wenden wir diese Sätze auf die Negatorienklage an, so ergiebt sich ihre Zulässigkeit, soweit sie lediglich die Freiheit des Eigenthums von privatrechtlicher Beeinträchtigung behauptet, ihre Unzulässigkeit im Rechtsweg, soweit sie publicistische Rechte, z. B. die Existenz eines öffentlichen Weges verneint. Hier wie bei der negativen Feststellungsklage deducirt der Kläger der Form nach angriffsweise, der Sache nach vertheidigungsweise das Recht des Beklagten ins Iudicium. Diese Fälle bieten keine Schwierigkeit. Solche stellt sich ein, wenn der Kläger einen civilistischen Thatbestand und daher ein civilistisches Rechtsverhältniss behauptet oder verneint und der Beklagte ihm entgegensetzt, dass der Thatbestand anders und zwar derart liege, dass aus 80

Als solcher kann das „indebite" oder „sine causa" an und für sich noch nicht gelten. Anders p r e u s s . Ges vom 24. Mai 1861 § 9 und dazu v. Sa r we y S 318 f.; D r e s d n e r OLG vom 24. September 1883 gegen LG D r e s d e n in W e n g l e r 1884 S 517; vgl. auch das. OLG K a r l s r u h e vom 22. September 1883 S 519 f. — Die Rückforderung, welche die Nichtexistenz derartiger publicistischer Verpflichtung behauptet lediglich auf Grund des Inhalts des bestrittenen öffentlichrechtlichen Verhältnisses, ist publicistisch ; dagegen civilrechtlich diejenige, welche Rückforderung ist z. B. wegen irrthümlicher Doppelzahlung. Es kann unmöglich zugegeben werden, dass die Frage einer publicistischen Verpflichtung dadurch zur civilen wird, dass erfüllt und nun das angeblich inciviliter extortum zurückgefordert wird.

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ihm das publicistische Rechtsverhältniss folge. Oben S 98 f. wurden bereits solche Prozessfiguren berührt. Es eröffnen sich folgende Möglichkeiten: Entweder ist der Rechtsweg schlechthin unzulässig, oder er ist zulässig, soweit es sich um die Entscheidung des behaupteten civilistischen, nicht zulässig, soweit es sich um die des publicistischen Rechtsverhältnisses handelt. Die letztere Distinktion ist undurchführbar. Denken wir uns die Sache derart, dass der civilistische Thatbestand unvereinbar ist mit dem publicistischen, so ist die Bejahung des ersteren n o t wendig die Verneinung des letzteren. Es kann also der Rechtsweg nur für den gesammten Inhalt der Parteibehauptungen entweder zulässig oder unzulässig sein. Was von beiden der Fall, ist nicht abhängig vom Ergebniss der Verhandlung und Beweisaufnahme, m. a. W. nicht davon, wie sich der Sachverhalt thatsächlich gestaltet, denn die Sachentscheidung — und als solche würde sich die Thatbestandsfeststellung bereits charakterisiren — ist abhängig von der Zulässigkeit des Rechtswegs, nicht umgekehlt diese abhängig vom Ausfall der Sachentscheidung. Es führt das in dem in Rede stehenden Falle zu der Alternative: entweder ist maassgebend die klägerische oder die beklagtische Sachdarstellung. Xinnnt man ersteres an, so giebt man dem Civilrichter die Zuständigkeit, durch bejahende Entscheidung über den Klaganspruch das publicistische Rechtsverhältniss zu verneinen. Lässt man dagegen die Natur der Streitsache durch die Verteidigung bestimmen, so entscheidet die Verwaltungsinstanz durch Bejahung des publicistischen Rechtsverhältnisses indirekt verneinend über den damit unvereinbaren privatrechtlichen Anspruch. Es ist nun weder aus der Natur der Sache, noch aus dem positiven Recht zu entnehmen, dass an und für sich die Position der Partei, welche die öffentlich-rechtliche Natur des Thatbestandes behauptet, den Vorzug geniesse und die Ait des Streitgegenstands bestimme. Eine auf privatrechtlichen Erwerbsgrund gestützte Eigenthumsklage deducirt unter allen Umständen ein civiles Recht ins Iudicium, wenn schon der Beklagte ihm die Behauptung der öffentlich-rechtlichen Qualität der Sache entgegenhält. Das gleiche gilt von der Behauptung eines privatrechtlichen Anspruchs auf Grund von Amtsüberschreitung, von der Rückforderungsklage aus der dem Civilrecht widerstreitenden Bereicherung. In der That also muss bei der Leistungs- und positiven Feststellungsklage die klägerische Behauptung, das durch sie in den Grenzen des Klagantrags geltend gemachte Rechtsverhältniss über die Zulässigkeit des Rechtswegs entscheiden. Dass hiernach publicistische Rechtsverhältnisse indirekt zur Kognition nicht nur, sondern zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts gelangen, welche direkt von solcher ausgeschlossen

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sind 81 , hat sein Widerspiel in der indirekten Zuständigkeit der Verwaltungsinstanz in privatrechtlicher Frage und liesse sich nur d u r c h p o s i t i v e g e s e t z l i c h e B e s t i m m u n g 8 2 umgehen. Die hier entwickelte Ansicht ist nicht selten in die Fassung gebracht, dass der Klaggrund, die Natur der Klage für die Zulässigkeit des Rechtswegs maassgebend sei. Die negatorische Klage bezw. negative Feststellungsklage ist dabei nicht beachtet. Immerhin zeigt die Praxis, dass die hier vertretene Grundauffassung in ihr die Oberhand hat 8 3 . 81 Besonders tritt das hervor, wenn der Beklagte seine Behauptung publicistischen Rechtsverhältnisses zur Veranlassung einer Widerklage, Feststellungsklage nimmt; z. B. der Kläger beantragt Schadensersatz wegen widerrechtlicher Beeinträchtigung seines Eigenthums an der fur ihn als Eigenthümer im Grundbuch eingetragenen Flussbettparzelle (es ist vom beklagten Eisenbahnfiskus ein EisenbahnBrückenpfeiler ohne vorgängige Expropriation errichtet), der Beklagte dagegen behauptet Oeffentlichkeit des Flusses und beantragt widerklageweise Löschung des Eintrags im Grundbuch. Für die Klage ist der Rechtsweg zulässig, für die Widerklage unzulässig. Vgl. auch v. S a r w e y S 667; K o h l er, Deutsches Patentrecht. Mannheim 1878. S 278 Anm * * * ; im allgemeinen scheint er anzunehmen, dass die Behauptung des publicistischen Rechtsverhältnisses seitens des Beklagten die Sache zur Verwaltungssache mache: S 277 f. 82 Es ist eine Auslegungsfrage, ob ein Gesetz, welches ein Rechtsverhältniss publicistischer Natur dem Verwaltungsweg überweist, in dem Sinne aufzufassen ist, dass dasselbe absolut, gleichviel ob es angriffs- ob vertheidigungsweise zum Gegenstand der Entscheidung gemacht wird, dem Rechtsweg entzogen sein soll. 83 Vgl. S t u t t g a r t OTr in S e u f f e r t I I I Nr 148, IV Nr 221, 5, X I I Nr 194, 4, XV Nr 73, XXV Nr 74, X X V I I I Nr 164. 247; M ü n c h e n , das. XIV Nr 62, X V I I Nr 285, X X V I I Nr 258, OTr B e r l i n X X X I I Nr 181; OAG W o l f e n b ü t t e l X X X I Nr 179; OAG D a r m s t a d t X V I I Nr 99 (vgl. mit IX 174). Ueber die preuss. Praxis s. O p p e n h o f f S 29 Anm 69 (Er k. des K o m p e t e n z g e r i c h t s hofes vom 30. Okt. 1852: Streitigkeiten darüber, ob ein vorhandener Weg ein öffentlicher oder ein Privatweg sei, sind von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden und vom Rechtswege ausgeschlossen; vgl. jedoch E r k . vom 5. A p r i l 1856. Streitigkeiten über die Frage, ob ein Wasserlauf als ein Privatgewässer oder als ein öffentlicher Fluss zu erachten sei und ob die Reinigung und Unterhaltung desselben demgemäss dem Privateigenthümer oder dem Fiskus obliege, sind dem Rechtsweg unterworfen). Kreis-Ordn. vom 13. Dez. 1872 § 135 I I c; vgl. auch O p p e n h o f f S 340 f. Nr 20. Das RG hat sich im oben vertheidigten Sinne geäussert, wennschon das nicht ex professo, sondern nur nebensächlich geschehen ist. Die Entsch. I I Hülfssenat vom 23. Febr. 1880 (Ε I 366 ff.) weist nicht wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs, sondern durch Sachentscheidung ab eine Klage, durch welche der Kläger (Fiskus) civiles Eigenthum am Inselufer behauptete, welches die Beklagten als Meeresufer für den allgemeinen Gebrauch, sowohl vertheidigungs- wie widerklageweise, in Anspruch nahmen. Die Widerklage dagegen ward wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs abgewiesen. Vgl. auch RG I I I CS vom 16. Nov. 1880 (E I I I 171); vom 25. März 1884 (Ε X I 391). Zur Judikatur des RG überhaupt vgl.: Ε I

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VIII. Die p o s i t i v - r e c h t l i c h e D e t a i l b e g r e n z u n g Gebiets von J u s t i z und V e r w a l t u n g .

des

In sie einzutreten ist hier nicht der Ort. Nur eine nach allgemeinen Gesichtspunkten geordnete Uebersicht über die Modalitäten, welche das einschlagende Reichs- und Landesrecht beliebt, ist zu geben. 1. Reichsrecht und Landesrecht haben bestimmte Rechtssachen dem Rechts- bezw. Verwaltungsweg ausschliesslich zugewiesen. Dabei ist die Scheidung zwischen Privat- und öffentlich-rechtlicher Rechtssache nicht immer eingehalten worden. Es sind sowohl Civilrechtsansprüche auf den Verwaltungsweg84, wie umgekehrt öffentlich-rechtliche auf 140. 155. 162. 366. 420, I I 63. 208. 247. 313. 351, I I I 174. 221. 270, IV 213, V 34. 48. 90. 172. 300, V I 104. 204, V I I 137. 335, V I I I 2 20. 280, X 182, X I 65. 96. 84 Reichsgesetzliche Beispiele: G betr. die Krankenversicherung vom 15. Juni 1883 § 57 Abs 2—4, § 58 Abs 2; Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 § 62. 63. Die übrigen von H e 11 m a η η , Lehrb. S 46 unter I angeführten Fälle gehören m. E. nicht hierher. Die Zuständigkeit des Bundesamtes für das H e i m a t h s wesen (G über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 § 38. 41), des Seemannsamts (Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 § 29. 47. 104, vgl. auch W a g n e r , Seerecht I 353 f.) betrifft nicht eigentlich civilrechtliche Ansprüche, wenn schon die Mot z. GVG § 2. 3 S 32 das Gegentheil anzunehmen scheinen, indem sie unter Verweisung auf die diesen Behörden zugewiesenen Sachen sagen: „Endlich sind manche b ü r g e r l i c h e R e c h t s s t r e i t i g k e i t e n . . . mit Rücksicht auf ihre besondere Natur der Entscheidung besonders zusammengesetzter Behörden unterstellt." — Auch die dem P a t e n t a m t zugewiesenen Sachen (Patentgesetz vom 25. Mai 1877 § 13 Abs 1, § 27, vgl. vorzüglich Κ ο h l e r a. Ο. S 280 f. 371 und L a b a n d , Reichsstaatsr. I I 468 f.) sind nicht ihrem Wesen nach Civilprozesssachen ; es handelt sich um den rechtskonstituirenden Verwaltungsakt, eine „rechtspolizeiliche", der freiwilligen Gerichtsbarkeit angehörige Thätigkeit. Vgl. dazu ang. G S 32, K o h l e r S 483. — Allenfalls liesse sich eine Verwaltungsjustiz in Civilsachen finden in der Kompetenz des R e i c h s v e r s i c h e r u n g s a m t e s als Rekursinstanz gegenüber den Entscheidungen des Schiedsgerichts nach Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 § 63. — Auch Landesgesetz und Landespraxis haben in Deutschland in der ausschliesslichen Zuweisung von Civilsachen an die Verwaltung Maass gehalten. Eine solche liegt wohl in den p r e u s s . Bestimmungen über den Ausschluss des Rechtswegs in Landes-Feuersocietäts-Reglements (vgl. S y d o w S 35f.), in Beziehung auf die Verpflichtungen der Mitglieder von durch landesherrliches Statut fundirten Genossenschaften für Be- und Entwässerungsanlagen und Deichverbänden (das. S 37, v. R ö n n e , Preuss. Staatsrecht I 501. 513), die Entschädigungsansprüche der Apotheker wegen Anlegung neuer Apotheken, der Zwangsund Bannberechtigten u. dgl. (v. R ö n n e I 501 und dazu RGewO § 9), in Streitigkeiten über verbriefte Staatsschulden ( O p p e n h o f f S 86 Nr 252 f., S 304 Nr 6). Aehnliche Beispiele lassen sich aus anderen Territorialrechten nachweisen: für B a d e n s. von F r e y d o r f S 243.

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den Rechtsweg gewiesen85. Letztere Erscheinung erklärt hauptsächlich der Mangel einer die erforderliche Unparteilichkeit des Rechtsspruchs garantirenden Verwaltungsrechtspflege. Für sie trat und tritt ein vielfach das Civilgericht. Allgemein schreibt jedoch das Reichsrecht vor, dass eine Sache nicht um deswillen Verwaltungssache sein solle, weil der F i s k u s , eine Gemeinde oder andere ö f f e n t l i c h e K o r p o r a t i o n Partei ist (ECPO § 4) 8 e , und dass in vermögensrechtlichen Streitigkeiten der Rechtsweg nicht von der Einwilligung des L a n d e s h e r r n abhängig gemacht werden darf 87 (ECPO § 5). 2. Eine K o o p e r a t i o n des Civilgerichts und der Verwaltung mit Beziehung auf dieselbe Sache ist häufig ohne genügende Beachtung des Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht in verschiedener Weise ausgebildet worden. Nicht finden wir eine solche in der Vorschrift, dass das Gericht in den Fragen öffentlichen Rechts sich gutachtlich berathen lasse durch die Verwaltungsinstanz88, wohl aber in folgenden Grundsätzen : 85 R e i c h s g e s e t z l i c h ist das m. E. u. a. geschehen durch § 35 des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juli 1868 und § 49. 50 des Reichshankgesetzes (vgl. dazu Beschl. des OLG Dresden vom 19. Nov. 1884 in Ζ f. CP V I I I 496 f. 501), ferner betreffs der vermögensrechtlichen Ansprüche der Richter aus ihrem Dienstverhältnisse, insbesondere auf Gehalt, Wartegeld oder Ruhegehalt (GVG § 9). Die Vorschrift des GVG § 8, EGVG § 13 garantirt „richterliche" Entscheidung aus Gesetzesgrund und nach Gesetzesform in Fragen der Absetzung, Pensionirung, Suspendirung, Versetzung wider Willen. Vergl. betreffs des Reichsgerichts GVG § 128. 129. Damit ist der „Rechtsweg", wenn auch nicht der ordentliche Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten vorgeschrieben. Das Nähere hierüber gehört in die Darstellung der GV. Dass GVG § 70 keine Vorschrift über den Rechtsweg enthält, darüber s. oben S 82 Anm 5. Die dort Abs 2 erwähnten Rechtsstreitigkeiten sind „bürgerliche" schon nach Maassgabe der Abs 2 Nr 1 ang. Gesetze und des G vom 31. März 1873 § 154; die in Abs 3 erwähnten können solche werden oder sind sie geworden durch Landesgesetz. — L a n d e s g e s e t z l i c h gehört hierher: p r e u s s . G betr. die Erweiterung des Rechtswegs vom 24. Mai 1861 § 9. 11. 12. 14—16; ALR I I 11 § 239. 240. 361—364. 707-709. 789. 790, I I 12 § 19 u. a.m. ; das b a y e r i s c h e Recht räumt u. a. dem Staatsdiener die Civilklage auf Pensionirung ein (Verfassungsbeil. I X § 22. 29). 86

Vgl. oben Anm 36. Ueber ECPO § 15 Nr 4 vgl. die Kommentare und H a u s e r S 59. 87 ECPO § 5 und dazu Motive u. Prot d. RJK S 625. 751. 756—758. 765—768; vgl. dazu die Kommentare. Die Lehre vom Verhältniss des Landesherrn zu den Gerichten gehört dem Staatsrecht bezw. der Gerichtsverfassung an. Hier ist also auch nicht zu untersuchen, inwiefern die Unabhängigkeit des Rechtswegs von der Einwilligung des Landesherrn alle Modalitäten des Rechtswegs ergreift. — Ueber den allgemeinen Gerichtsstand des Landesherrn s. unten § 34. 88 Weiter ging für Pr eu s se η V v. 25. Jan. 1823; nach ihr sollten die Gerichte über Fragen öffentlichen Rechts die Aeusserung des Ministeriums der aus-

§ 8.

Civilprozesssache und Administrativsache.

a. Mehrfach sind Verwaltungs- und Rechtsweg k u m u l a t i v angeordnet und zwar letzterer, nachdem die Verwaltungsbehörde entschieden hat. Dabei sind zwei v e r s c h i e d e 11 e F 0 r m e η ausgebildet. Entweder ist die Civilklage unabhängig oder abhängig vom vorgängigen Verwaltungsverfahren. In ihm wird entschieden bez. vollstreckt unter Vorbehalt des Rechtswegs. Aber bei der zweiten Form 8 9 ist dieser unzulässig, so lange die Verwaltung nicht angegangen ist und entschieden hat 9Ü . Die hierher gehörigen Fälle sind nach der Auffassung des sie ordnenden Gesetzes eigentliche Rechtssachen. Man lässt die Verwaltung vorurtheilen und versucht auf diese Weise den komplicirteren Rechtsweg zu vermeiden. b. Die Urtheilsfunktion kann mit Beziehung auf dieselbe Sache zwischen Verwaltung und Justiz s t o f f l i c h g e t h e i l t sein und zwar derart, dass j e n e die ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e , diese die p r i v a t r e c h t l i c h e Frage zu e n t s c h e i d e n h a t , und das wiederum in sehr mannigfacher Regulirung 91. wärtigen Angelegenheiten einholen und sich darnach „lediglich r i c h t e n " . Die V vom 24. Nov. 1843 will nur Auskunftsertheilung. — Vgl. auch Sächs. AGes vom 28. Jan. 1835 § 13. 17. 89 Ein Beispiel der ersten Kategorie bietet wohl GewO (RGBl 1883 S 205) § 75. 90 Diese Erscheinungen liegen ebenso sehr auf dem r e i c h s r e c h t l i c h e n , wie l a n d e s r e c h t l i c h e n Gebiet. A. R e i c h s r e c h t : 1. Generelle Bestimmungen: EGVG § 11. Es wird a. in EGVG § 11 Abs 1 nicht grundsätzlich die Zulässigkeit der Civilklage ausgesprochen, sondern nur wo es civilrechtliche Verfolgung positiv-rechtlich giebt, diese von „besonderen Voraussetzungen" entbunden; vgl. dazu besonders Ha us er S 59. 129 ff.; b. in Abs 2 Nr 1 des Gesetzes die zulässige Vorentscheidung auf die Feststellung des amtlichen Verschuldens beschränkt ; c. in Abs 2 Nr 2 dieselbe in die Hand des obersten Verwaltungsgerichtshofs und in dessen Ermangelung in die des Reichsgerichts gelegt. Welche Kraft der Feststellung beigelegt werden soll, entscheidet das Landesrecht (Hauser S 158. 179). 2. Besondere V o r s c h r i f t e n : Rayonges. v. 21 Dez. 1871 § 39—42; GewO § 120a, RGBl 1883 S 225); SeemO vom 27. Dez. 1872 § 46. 105. 106; Milit.-Pens.-Ges. v. 27. Juni 1871 § 113—115; Postges. v. 28. Okt. 1871 § 2 5 ; Reichsbeamtenges. v. 31. März 1873 § 137 f. 144.149—153; Reichsges. betr. die Kriegsleistungen v. 13. Juni 1873 § 33. 34; StrandungsO v. 17. Mai 1874 § 36 f. 39; Reichsges. betr. die Krankenversicherung v. 15. Juni 1883 § 53 Abs 2, § 58 Abs 1, § 65 Abs 4. 5, § 72 Abs 3, § 73 Abs 1; s. auch Reichsges. betr. die Portofreiheiten v. 5. Juni 1869 § 7, betr. die Flösserei-Abgaben v. 1. Juni 1870 § 2 Abs 3. Vgl. H a u s er S 65 f.; T u r n a u S 110 f.; H e l l m a n n , Lehrb. S 44 f. — B. L a n d e s r e c h t : 1. P r e u s s e n vgl. T u r n a u S 112 f.; v. Rönne I 493 lit. a. aa, S 497 lit. c, S 498 Anm 3. 4, S 504 lit. e. f, S 513 Anm 2. 10; 2. Sachsen vgl. L e u t h o l d S 386 f.; 3. B a y e r n vgl. H a u s e r S 71 Anm 14. 91 Das EGVG § 11 (s. vorstehende Anm) gehört insofern hierher, als Abs 2 die obligatorische bindende Feststellung zulässt. Besondere reichsrechtliche Vorßinding, Handbuch. I X . 2. I :

W a c h , Civilprozess. I.

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114 § 9. D i e S t e l l u n g des P r o z e s s r e c h t s im Rechtssystem. — P r i v a t r e c h t u n d Prozess. I. Man hat von Alters her dem Civilprozessrecht die Stellung einer selbständigen Rechtsdisciplin eingeräumt. Ihm ist unter allen Rechtsmaterien zuerst der Vorzug monographischer Bearbeitung zu Theil geworden. Diese Behandlung ist wohlbegründet durch die innere und äussere Selbständigkeit des Rechtsgebildes. Die innere Selbständigkeit liegt in der oben § 1. 2 entwickelten Selbständigkeit des Zwecks und Gegenstandes, in der Eigenartigkeit des dadurch bestimmten Prozessrechts und der aus ihm erwachsenden Prozessrechtsverhältnisse. Dass diese Selbständigkeit eine relative, der Prozess ein sekundäres Gebilde ist, bestimmt der Erhaltung und Bewährung des Privatrechts zu dienen, und dass andererseits , in der staatlichen Rechtspflegethätigkeit eine Aeusserung der Staatsgewalt, die Betätigung der einen Funktion, welche wir Civilgerichtsbarkeit im engeren Sinne zu nennen pflegen, liegt, zeigt nur den inneren Zusammenhang des gesammten Rechtssystems, nimmt aber dem Prozess nicht den Anspruch auf selbständige wissenschaftliche Behandlung, macht ihn weder zum Theil des Privatrechts, noch des Staatsrechts. Wer anders denkt, sollte keinen Anstand nehmen, das Strafrecht und den Strafprozess als Regelung des staatlichen Strafanspruchs und seiner \rerwirklichung zum Staatsrecht zu stellen oder, je nachdem es Schutzordnung für das Privatrecht oder Staatsrecht ist, zerstückelt hierhin und dorthin zu weisen. — Daher thut man gut, die öfters gehörte Bezeichnung des Civilprozessrechts als „formellen" Privatrechts gänzlich zu meiden. Es ist weder materielles noch formelles Privatrecht. Wie die Grenze zwischen diesem und dem Staatsrecht einerseits und dem Civilprozessrecht andererseits zu ziehen ist, darüber soll das Nähere sogleich gesagt werden. II. Der C i v i l p r o z e s s ö f f e n t l i c h e s Recht. Wenn wir das gesammte Recht in ö f f e n t l i c h e s und p r i v a t e s (ius publicum et privatum) spalten, so g e h ö r t das Prozessrecht s c h l e c h t h i n dem erster en an. Freilich ist dieser Punkt nicht unbestritten Der Streit erklärt sich lediglich daraus, dass man die Schriften: Militärpensionsges. § 118—115; GewO § 51; Reichsbeamtenges. § 149. 155; vgl. H a u s e r S 72 f., daselbst auch Anm 15 Anfuhrungen aus preuss. und bayer. R. 1 Die vorherrschende Meinung erklärt das CPR für öffentlich-rechtlich; G ö n n e r , Handb. des deutschen gem. Prozesses I 120; M a r t i n , Lehrb. des gem. deutschen bürg. Prozesses § 11; G e n s l e r , Handb. S 22 f.; M i t t e r m a i e r , CA

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Kriterien der Begriffsbildung nicht scharf genug erfasste und Gewicht auf unwesentliche Momente legte. Weder der Umstand, dass das Prozessrecht den Zwecken des Privatrechts dient, noch der andere, dass innerhalb des Prozesses dem Einzelnen eine gewisse Verfügungskraft eingeräumt wird, dass das Prozessrecht zum Theil sog. gestattendes oder dass es gar sog. dispositives („nachgiebiges", „ergänzendes") ist 2 , noch endlich die Thatsache, dass sich im Prozess zwischen Privaten individuelle Rechte und Pflichten entwickeln, besitzt unterscheidende Bedeutung. — Was den Zweck des Prozessrechts anbetrifft, so kann derselbe für die fragliche Kategorisirung nur insofern in Betracht kommen, als er dem Prozessrecht selbst innewohnt, nicht ausserhalb desselben liegt, mit anderen Worten nur insoweit, als er im Prozesse selbst sich erschöpft, nicht mittelbar durch den Prozess befriedigt wird. Wie schon oben angedeutet, würde die gegentheilige Anschauung dazu führen, das Strafrecht, so weit es Schutzordnung für das Privatrecht sein will (Vermögens-, Eigenthumsverbreclien, Verbrechen gegen die Familienordnung u. s. w.), diesem einzugliedern3. — Der dem Civilprozess immanente Zweck ist objektiv Rechtsschutz, Rechtsschutz gegen Beeinträchtigung oder Gefährdung subjektiven Rechts, gegen grundlose Berühmung eines solchen ; die zweckerfüllende Thätigkeit ist der Staatsakt : die Bethätigung der Staatsgerichtsbarkeit, der Staatsgewalt. Ihre Wirkung für das Privatrecht gehört diesem an, sie selbst durchaus dem öffentlichen Recht. Dass der verschiedenartige, gestattende oder verpflichtende, absolute oder dispositive (gebietende oder ergänzende) Inhalt des Rechts, X I I I 293: Sclim ici, Handb. des gem. deutschen CP I 7; He f f t e r , Syst. des CP 2. Aufl. S 3 f.; O s t e r l o h , Lehrb. des gem. deutschen ord. CP S 37; E n déni a η η, Deutsches CPR. 1868. S 5; R e n a u d , Lehrb. § 7; v. B a r , HE syst. Th. S 724; U l i m a n n , Oesterr. CPR. 1885. S 9; He 11 m a n n , Lehrb. S 5. Vgl. auch v. S a v i g n y I 26 f.; B r i n z, Lehrb. der Pand. 2. Aufl. I 108; M e r k e l , Jur. Encykl. Berlin 1885. S 58. Für privatrechtlich erklärt das CPR B r a c k e n h ο e f t , Erörterungen zu Lindes Lehrb. 1842. S 51; F r a n c k e , Ζ f. CP V I I I 3 („formaler Theil des Privatrechts")· Zum Theil dem Privatrecht, zum Theil dem öffentlichen Recht (je nachdem das CPR die Verhältnisse der Privaten unter einander oder zum Staat bezw. nur die Prozedur for m norniirte) weisen dasselbe zu: L i n d e , Lehrb. des deutschen gem. CP § 39; B a y e r S 39; ν. C a n s t e i n , Lehrb. I 26 f., auch Rationelle Grundlagen des CP. Wien 1877. S 187 f. 2 Vgl. darüber unten § 15. 3 Wird Busse im Strafprozess verfolgt, so dient derselbe dem Civilanspruch. Aber wer wird die auf die Bussverfolgung Anwendung leidenden Prozessgrundsätze um deswillen und insoweit für privatrechtlich halten? 8*

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dieses verschiedene Maass seiner Bindung nicht über seine Öffentlichoder privatrechtliche Natur entscheidet, ist längst Gemeinbesitz der Wissenschaft 4. Freilich hatte man dabei mehr den Nachweis im Auge, dass die zwingende, Privatwillkür ausschliessende Kraft des Gesetzes nicht dasselbe vom Privatrecht ausschliesse, als die Thatsache, dass die dispositive Natur des Gesetzes nicht mit dem öffentlichen Recht unverträglich sei. Aber schon meine oben in § 8 gegebenen Ausführungen weisen darauf hin, dass es gestattendes und sog. dispositives öffentliches Recht giebt 5 . Schlagend tritt das hervor, wenn man Civilprozess und Strafprozess bezw. Administrativverfahren vergleicht. Der Privatklageanspruch (Strafanspruch) ist nicht privatrechtlich, sondern publicistisch und dennoch ist der Privatkläger nicht ohne Verfügungsgewalt über den Prozess; ja es finden civilprozessuale Regeln Anwendung, welchen man von dem bekämpften Standpunkt aus bereitwillig die privatrechtliche Eigenschaft beilegen müsste6. — Das Administrativverfahren kann dem civilprozessualen in wesentlichen Stücken und gerade in solchen gleich sein, welche sog. gestattender oder ergänzender Natur sind, und dennoch ist es unzweifelhaft publicistisch. Der oben S 93 entwickelte Begriff des publicistischen Elements im Recht und die § 4 angedeutete Natur der prozessualen Rechtsverhältnisse lassen keinen Zweifel zu darüber, dass auch die Rechte unci Pflichten zwischen den Parteien als solchen nicht privatrechtlichen Charakter haben. Sie laufen alle zusammen in dem Brennpunkt des prozessualen Zweckes; sie sind alle nicht nur gegenüber der Partei, sondern auch gegenüber dem Richter wirksam; sie bestimmen seine Rechtspflegethätigkeit, und nur soweit sie es thun, kommt ihnen überhaupt prozessuale Bedeutsamkeit zu. Die oben S 39 betonte Dreiseitigkeit des prozessualen Rechtsverhältnisses gestattet nicht einzelne Seiten desselben völlig auszulösen. Diese Erkenntniss ist nicht gleichbedeutend mit dem Satze, dass ein Thatbestand nicht zugleich publicistische und privatrechtliche Seiten haben könne. Im Gegentheil: auf dieser Möglichkeit beruht die ganze Sonderstellung des Prozessu a l Privatrechts ; denn erst sie macht uns fähig, die specifisch privatrechtlichen Wirkungen des prozessualen Thatbestandes zu scheiden 4

\ r gl. v. S a v i g n y I 60; W ä c h t e r , Pand. I 95; W i n d s c h e i d I § 30. S jetzt bes. B ü l o w , CA L X I V 1 ff.; m e i n e Abh. das. S 220 ff.; v. B a r a. 0.; U l i m a n n S 9; H e l l m a n n S 5 f. 5 Das verkennt z. B. B r a c k e n h o e f t a. 0. 6 Vgl. z. B. StPO § 419.

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von seinen prozessualen und öffentlichen. Wie uns das Recht ermöglicht, eine Sache je nachdem als Mobilie oder als Immobilie7, einen Menschen in seiner Eigenschaft als Staatsangehöriger und als selbstisches Ich zu betrachten und zu behandeln, so gestattet es uns die Zwiespältigkeit der Auffassung einer Thatsache als Grund privatrechtlichen und publicistischen Verhältnisses. Ihr genügen wir, wenn wir das Urtheil anschauen als relativ neuen Verpflichtungsgrund und als Rechtsschutzakt, — wenn wir im prozessgerichtlichen Vergleich finden einerseits das materielle Rechtsgeschäft und andererseits das prozessuale, welches prozessbeendigend wirkt und einen Vollstreckungstitel (Vollstreckungsanspruch) schafft, — wenn wir in der Klagerhebung sehen eine Mahnung für den Beklagten und die prozessbegründende Handlung8. III. Prozess und Staatsrecht. Mit dem Vorstehenden ist der Boden geebnet für die Abgrenzung der Prozessrechts-Disciplin gegen die übrigen Rechtsmaterien. Dabei handelt es sich vorzüglich um die Abgrenzung gegenüber dem Privatrecht. Gegenüber dem S t a a t s r e c h t ist die Frage im wesentlichen eine Frage der Systematik, ohne praktische Bedeutung. Denn versteht man unter Civilprozess die Form der Civilrechtspflegethätigkeit, die Ausübung der staatlichen Civilgerichtsbarkeit, so gehört in einem weiteren Sinne das Prozessrecht zum Staatsrecht — nämlich dann, wenn man darunter die Rechtsgrundsätze über Wesen, Organisation und Ausübung der Staatsgewalt, Verhältniss derselben zu den Einzelnen begreift. Scheidet man, wie wir scheiden müssen und wollen, so kann ein systematisch umstreitbares Grenzgebiet nur in der Organisation des Rechtspflegefaktors und der gesammten justizadministrativen Funktion gefunden werden, welche auf die Ermöglichung der geordneten Rechtspflege abzielt. Für unsere Aufgabe ist die Gerichtsverfassung und Justizverwaltung nur insoweit in Frage, als ihr gegenüber das Prozessrecht abzugrenzen ist. Darüber aber habe ich mich bereits an anderer Stelle (s. die Vorrede und unten S 186) verbreitet. IV. Prozess und P r i v a t r e c h t im a l l g e m e i n e n . Die G r e n z b e s t i m m u n g zwischen Prozess und P r i v a t recht lässt sich nicht — auch nicht mit annähernder Sicherheit — entnehmen der F o r m der Rechtsquelle: dem Umstand, ob das Gesetz, in welchem eine Norm sich findet, im allgemeinen Prozessgesetz 7 8

Z. B. mit Beziehung auf die Zwangsvollstreckung. Vgl. oben S 8. 53.

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oder Civilgesetzbuch ist und sich als solches bezeichnet9. Allerdings hat die RCPO die Tendenz, nicht ins Frivatrecht einzugreifen ; aber es wäre ein gefährlicher Irrthum, daraus den Schluss zu ziehen, dass sie esnicht gethan habe 10 . Sie musste es thun; denn sie konnte nicht die privatrechtlichen Wirkungen prozessualer Handlungen völlig der Landesgesetzgebung überlassen. Sie handelt denn auch von solchen in grossem Umfang 11. Andererseits ist bekanntlich die CFO nicht erschöpfend (s. das Nähere unten § 12. 13. 16). Das ausser ihr liegende und zu ihrer Ergänzung dienende Prozessrecht muss zum Theil den Gesetzen entnommen werden, welche sich als Civilgesetzbücher bezeichnen. Die Grenzbestimmung ist der Wissenschaft überlassen12. Sie kann nur nach dem I n h a l t der Rechtsnorm erfolgen. Im allgemeinen wird sich sagen lassen, dass prozessrechtlich ist das Gesetz als Bestandteil der Rechtsschutzordnung, privatrechtlich dasjenige, welches das den Prozessgegenstand bildende materielle Rechtsverhältniss normirt. Die Voraussetzungen, der Inhalt, die Form der Geltendmachung, die Entwickelung, Wandelung und Befriedigung des Rechtsschutzanspruchs als solchen sind prozessrechtlich, dagegen die entsprechenden Grundsätze über den materiellen Anspruch, das materielle Recht — seine Voraussetzungen, seine Form, seinen Inhalt, seine Veränderung und seinen Untergang — sind privatrechtlich. Hier durchsetzen und durchkreuzen sich nun, wie schon berührt (S 116 f.) r 9

Vgl. L. B a r , Das internationale Privat- und Strafrecht. Hannover 1862. S. 418 f.; RG CS I I I v. 30. Juni 1882 (Ε V I I 348); Motive zum ECPO § 16. — Zahlreiche Prozessvorschriften finden sich bekanntlich z. B. im code civil. 10 Wie das nicht selten geschieht u. a. von F r e u d en s t e i n , Die Rechtskraft nach der RCPO. Hannover 1881. S 217, welcher daraus, dass die CPO ihrer Aufgabe gemäss nur die formelle, nicht die materielle Rechtskraft zu regeln habe, falsche Schlüsse für die Auslegung der §§ 66. 73. 236-239 zieht. 11 Vgl. ausser den in der vor. Anm genannten Gesetzesstellen CPO § 394. 615 Abs 2. 736 Abs 2. 739 Abs 2. 764 Abs 2. 770. 778. 831-859. v. W i l m o w s k i L e v y , ECPO § 13 S 1022. Vgl. M a n d r y , Der civilrechtliche Inhalt der RGes. 1882. S 29 f. 42 f. 125 f. 228. 277-289. 297—318. 368. 380 f. 413. 419. 430. 442 f. 12 Gelegentliche Aeusserungen der Gesetze, welche eine Auffassung des Gesetzgebers von der prozessualen oder materiell - rechtlichen Natur eines Rechtssatzes dokumentiren, sind dogmatischer Natur und um deswillen nach später zu begründendem Auslegungsgrundsatz nicht verbindlich. Sie können nur binden, sofern eine wirkliche Disposition in ihnen enthalten ist. In diesem Sinne sind die §§ 14 if. des ECPO aufzufassen. Wenn hier eine Subsumtion eines Gesetzes unter den Begriff des „Prozessgesetzes" oder des .,bürgerlichen Rechts" hervortreten sollte, wie es offenbar in § 14—16 der Fall ist, so bindet doch in diesen Gesetzen lediglich der Wille der Aufrechterhaltung oder Aufhebung des Gesetzes, nicht jene doktrinäre Anschauung.

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Privat- und Prozessrecht mannigfach. Denn gehört das materielle subjektive Recht selbst zur Voraussetzung des Rechtsschutzanspruchs, und gehört andrerseits die sog. Klagbarkeit, Erzwingbarkeit, das Leisten-müssen wiederum zum Inhalt des subjektiven Privatrechts, so scheint es, als könne man prozessualen Rechtsschutzanspruch und materiellen Anspruch nicht sondern. Und dennoch muss es geschehen: denn ist der Rechtsschutzanspruch nicht Inhalt der privaten Berechtigung gegenüber dem Verpflichteten, kann derselbe ihn zwar gegenstandslos machen, aber nicht selbst befriedigen, ist er gerichtet auf Staatsakt, Rechtsschutzakt, so muss er unter allen Umständen prozessrechtlich sein. So zumal, wenn ihm ein subjektives zu schützendes privates Recht begrifflich gar nicht zur Grundlage dient (negative Feststellungsklage); aber auch dann, wenn es der Fall ist. Denn ob das Schutzrecht materielles Recht voraussetzt, sagt das die Schutzhandlung normirende Prozessrecht, — ob jenes vorhanden, das Privatrecht. Aehnlich steht es mit den Wirkungen der prozessualen Handlungen. Diese selbst und ihre Wirkungen müssen sich nach Prozessrecht regeln, welches dabei sehr wohl mit allgemeinen civilistischen Normen oder Begriffen zu operiren genöthigt sein kann, ähnlich wie das Strafrecht mit solchen reichlich wirtschaftet. Die materiellrechtlichen Wirkungen dagegen gehören dem Civilrecht an, gleichviel ob sie von der Prozessordnung oder dem Civilgesetzbuch ausgesprochen sind. Materiell-rechtlich sind aber diejenigen, welche den Bestand oder Inhalt des im Streit befangenen Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien betreffen. So ist unzweifelhaft einerseits die Vollstreckungsmaassregel, die Wirkung der Vollstreckungshandlung als gänzlicher oder theil weiser Befriedigung des Vollstreckungsanspruchs Prozessrecht, die Wirkung andererseits, welche dieselbe übt hinsichtlich des materiellen Anspruchs, der Entstehung neuer civiler Rechte (Pfandrecht an Sachen oder Forderungen) Privatrecht. Dabei ist es möglich, dass der Vollstreckungsanspruch erst als befriedigt gilt, wenn durch seine Realisirung (Exekution) der materielle Anspruch erledigt ist; es kann aber auch sein, dass Vollstreckungsmaassregel nur bis zu einem gewissen Grade zugelassen wird, unerachtet ob dadurch die Erfüllung des civilen Anspruchs erreichbar ist 1 3 . So giebt die CPO § 774 den Vollstreckungsanspruch auf Geldstrafe bis 1500 Mark oder Haft bis zu 6 Monaten (§ 794) zwecks Herbeiführung höchst persönlicher (unvertretbarer) Handlung ; sind diese Maassregeln erschöpft, so ist der Vollstreckimgsanspruch erloschen, nicht der civile Anspruch. 13

S. oben S 21 Anm 20.

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V. D i e p r a k t i s c h e B e d e u t u n g der U n t e r s c h e i d u n g . Der Gegensatz von Prozess und Privatrecht äussert sich praktisch vorzüglich bei der Frage nach dem Herrschaftsgebiet und der Herrschaftszeit des Rechts. Diese Frage muss später in der Lehre vom Gesetz aufgeworfen und beantwortet werden. Jedoch mag es gestattet sein, hier anticipirend auf die Folgerungen hinzuweisen, welche sich nach der einen oder anderen Seite aus der verschiedenen Abgrenzung des civilen und des prozessualischen Gebietes ergeben. a. Herrscht das Prozessrecht ausschliesslich über alle inländischen Prozesshandlungen, unerachtet ob der Streitgegenstand ein inländischer oder ausländischer ist, nach ausländischem oder inländischem Rechte beurtheilt werden muss, so ist es wichtig zu wissen, ob eine einzelne Frage im Prozess als prozessualische oder als materiell-rechtliche angesehen werden muss; im ersteren Falle entscheidet die Lex fori, im andern Falle die Lex rei (sc. in iudicium deductae). b. Beherrscht das Prozessrecht alle in seine Herrschaftszeit fallenden prozessualischen Handlungen, unerachtet ob der Streitgegenstand dieser oder einer früheren Zeit angehölt, mit andern Worten ob er nach altem oder neuem materiellen Recht zu beurtheilen ist, so ist es wichtig zu wissen, ob eine einzelne richterlich zu entscheidende Frage dem materiellen oder Prozessrecht angehört; denn in ersterem Falle wird sie bei Wechsel des Gesetzes seit der Entstehung des civilen Rechtsverhältnisses nach altem (seil, materiellem) Recht zu beurtheilen sein, in letzterem Falle nach neuem (seil. Prozessrecht). Nur eine Anwendung dieses Satzes ist die weitere Folgerung: c. Hat das ECPO alles Landesprozessrecht in complexu aufgehoben, soweit es nicht besonders zugelassen ist, so entscheidet die fragliche Eigenschaft des Gesetzes über seinen Fortbestand. Man halte sich gegenwärtig den Gegensatz des Privatrechtsverhältnisses, welches besteht zwischen den Streittheilen als aussergerichtliches, ausserprozessuales, und des prozessualischen Rechtsverhältnisses, welches besteht zwischen diesen Subjekten und dem Gericht als Prozesssubjekten. Kur auf jenes, auf die Summe der in ihm eingeschlossenen Rechte und Pflichten pflegt man die Gesichtspunkte des sog. erworbenen Rechtes anzuwenden, nicht auf dieses. Jenes soll als erworbenes Recht im Prozesse verfolgt, realisirt werden. Der Prozess ist ihm Mittel zum Zweck, nicht Inhalt. Wechsel des Prozessrechts ist nicht Wechsel materiellen Rechtsverhältnisses, sondern nur Wechsel der Form zur Verwirklichung desselben. Bleibt also die Summe der ausserprozessualischen Rechte und Pflichten der Parteien die gleiche, so liegt die Veränderung der Rechtsschutzbehelfe (gleichviel ob sie Erleichterung oder Er-

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schwerung des Rechtsschutzes bedeutet) ganz auf dem prozessualischen Gebiet. VI. A b g r e n z u n g von Prozess und P r i v a t r e c h t im einzelnen. Von diesen Gedanken machen wir folgende Einzelanwendungen14 : 1. Prozessualisch sind die Grundsätze über die Prozess Subj e k t e , die Fähigkeit der Person ein solches überhaupt und im konkreten Fall zu sein. Die i n n e r e und äussere G e r i c h t s o r g a n i s a t i o n , die Fähigkeit und Verdächtigkeit des Richters, seine Zuständigkeit sind reine Prozessbegriffe. Dabei bleibt die Möglichkeit offen, dass das Gerichtsverfassungsgesetz mit Thatbeständen operirt, welche an und für sich materiell-rechtlich behandelt sein wollen. So kann die Frage, ob der Richter gemäss CPO § 41 Nr 1 selbst „Partei" oder „Mitberechtigter, Mitverpflichteter, Regresspflichtiger" ist. ob seine Ehe nicht mehr besteht (§ 41 Nr 2), ob er ein seine Rekusation motivirendes mittelbares Interesse hat, nur aus dem Civilrecht entschieden werden. Es kann daher kommen, dass das inländische Gericht derartige Fragen auf Grund des inländischen Prozessrechts nach ausländischem Civilrecht zu entscheiden hat. 2. Ob der Staat Rechtsschutz gewährt im Sinne der Frage, wem er — die entscheidende Eigenschaft der Person als fraglich gedacht — seine Gerichtsbarkeit zu diesem Zwecke zur Verfügung stellt, ist Frage des Prozessrechts. Sollte der inländische Staat gewissen Kategorien von Personen, z. B. Angehörigen gewisser Staaten den Civilrechtsschutz völlig versagen, so kann sich der Richter nicht im Hinblick auf die Existenz des materiellen Anspruchs von diesem Grundsatze frei machen. Der Parteibegriff, die P a r t e i f ä h i g k e i t ist Prozessbegriff 15. Freilich verliert diese seine specifische prozessualische Bedeutung für uns dadurch wesentlich das praktische Interesse, dass der Begriff materiell-rechtlich substanziirt wird. Für uns ist parteifähig das civile Rechtssubjekt. Daher bestimmt sich die Parteifähigkeit nach den Statuta personalia. Das gleiche gilt von der Fähigkeit mehrerer Rechtssubjekte unter einem einheitlichen Namen, Firma und dergl., prozessualisch zu handeln, zu klagen und verklagt zu werden: der formellen Parteifähigkeit 16. Ob überhaupt eine solche existirt, in 14 Die Grenzstreitigkeiten, welche sich in der Wissenschaft und Praxis entwickelt hahen, bewegen sich zum grossen Theil auf clem Gebiete des sog. Aktionenrechts. Nicht geringe Schuld an ihnen trägt die Einwirkung to uns unzutreffender Anschauungen des klassisch-römischen Systems der Rechtsverfolgung. 15 16 Vgl. unten die Lehre von den Parteien. Ueber sie das., s. vor. Anm.

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welchem Umfange sie angenommen wird, sagt das Prozessrecht. Dagegen empfängt es auch hier seine Substanziirung aus dem Civilrecht. Denn wie es clie materielle Parteifähigkeit als Aeusserung der Rechtssubjektivität behandelt, so leitet es die formelle aus dem ausserprozessualen, civilen Rechtsverhältniss ab, an welches das Gesetz die formelle Parteifähigkeit anknüpft. Die P r o z e s s f ä h i g k e i t 1 7 (persona légitima standi in iudicio) wird ganz in gleicher Weise als prozessualische Handlungsfähigkeit, Fähigkeit selbst oder durch gewillkürte Vertreter im Prozess zu handeln, aus der civilen Verpflichtungsfähigkeit entnommen. Obschon sie also durchaus Prozessbegriff ist, entscheiden nach Maassgabe dieses Begriffes doch über die Frage des Herrschaftsgebietes und der Herrschaftszeit die Statuta personalia. Freilich legt CPO § 53 dem Ausländer die Prozessfähigkeit schon dann bei, wenn er, obschon nach seinem heimischen Recht nicht in erforderlicher Weise verpflichtungsfähig, doch nach der Lex fori handlungsfähig ist 1 8 . Die P o s t u l a t i o n s f ä h i g k e i t , der reine prozessuale Begriff, sich im Verfahren, sei es in der mündlichen oder schriftlichen Form, äussern zu dürfen, ist prozessualischer Formbegriff, welcher mit der civilen Handlungs- oder gar Rechtsfähigkeit nichts zu thun hat. 3. F ä h i g k e i t e i n e r Sache zum R e c h t s w e g (Prozessfähigkeit der Sache) ist prozessrechtlich 19, berührt den Inhalt des die Sache bildenden Rechtsverhältnisses nicht. Ob dasselbe durch den Civilrichter oder durch die Verwaltungsinstanz zur Erledigung gebracht wird, ist nur Frage der Fonn der Rechtsverwirklichung, nicht Frage des Rechtsinhalts. Wie steht es mit der sog. K l a g b a r k e i t , der Fähigkeit der Sache zum Prozess in diesem Sinne? Dass ein Recht an und für sich klagbar ist, ist civile Eigenschaft desselben, gleichbedeutend damit, dass es ein volles civilistisches Recht, ein Recht auf Leisten-müssen, auf voll wirksame Herrschaft über eine Sache usw. ist. Ob ihm diese Eigenschaft· zukommt, oder ob es nur ein sog. naturales Recht, ein Recht zum Behalten, Aufrechnen u. dergl. ist, ist evident Frage des Rechtsinhaltes. Hiervon ist wohl zu unterscheiden die Erzwingbarkeit des Rechts im Sinne cles Rechtsschutzanspruchs, welcher 17

Vgl. unten zur Lehre von den Parteien und M e n g e r S 140; RG I I CS v. 14. April 1882 (E V I 138 f.). 18 Vgl. darüber oben § 8. 19 Vgl. R e n a u d § 9 Anm 4 und die das. Angeführten; B a r , Das internationale Privat- und Strafrecht S 249. R e n a u d s Unterscheidung zwischen dem Klagrecht und der Statthaftigkeit seiner Ausübung ist mir nicht verständlich.

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zum Zwecke der Realisirung desselben gewährt wird. Dieser ist durchaus prozessualisch, normirt durch die Lex fori. Sie entscheidet darüber, ob Klage nur auf Leistung oder auch auf Feststellung, auf positive oder negative Feststellung, auf Vollstreckbarkeitserklärung u. dergl. existirt. Die Entstehung des § 231 der ΟΓΟ war nicht Veränderung sämmtlicher bestehender civiler Rechtsverhältnisse, sondern nur Erweiterung ihres Rechtsschutzes, wie der Fortfall der Feststellungsklage nicht wäre Verkümmerung materiellen Rechtsinhaltes. Ob die Leistungsklage anstellbar ist vor der Fälligkeit der Forderung mit Vorbehalt der Vollstreckung nach Eintritt derselben, ob der Eintritt derselben, oder bei der Vindikation der des beklagtischen Besitzes während schwebenden Streites zur Verurtheilung genügt, ob ein Thatbestand einen Vollstreckungsanspruch (Vollstreckungstitel) oder nur einen Anspruch auf urtheilsmässige Verleihung der Vollstreckbarkeit oder gar nur auf Feststellung bezw. Verurtheilung erzeugt, ist lediglich Prozessfrage. Ebenso ob einem Anspruch die Summarietät zukommt, ob er zur provisorischen Maassregel schutzberechtigt ist. Bezüglich der Summarietät (exekutivische Natur der Klage) ist dieser Standpunkt wohl auch in der bisherigen Doktrin und zwar von Alters her vertreten worden 20 ; aber im übrigen war man durch die Identificirung von materiellem Recht und Rechtsschutzanspruch oder doch durch die ungenügende Erkenntniss des letzteren behindert in das wahre Wesen der Sache einzudringen 21. 20 Vgl. C o l e r u s , De proc. exec. I I 1 Nr 46 f. — cum semper inspiciatur statutum aut consuetudo eins loci ubi petitur executio; so schon die Italiener, auf welchen er fusst: vgl. B a l du s ad 1 1 C ne filius pro pâtre IV 13; P a u l , de Castro ad 1 15 g 1 D de re iud. X L I I 1; A n t . de C a n a r i o , Tract, de execut. instr. Nr 72 (bei B r i e g l e b , Exekutivpr. I I 158 f.); B e n e d i et us de B a r z i s , Tract, de guarentigia p. I q. 8 (das. S 171 f. 174); A l e x . T a r t a g n u s acl 1 15 § 1 cit. (das. S 178). Betreifs des Wechselprozesses vgl. Τ h o l , Wechselrecht. 4. Aufl. Leipzig 1878. S 807 Anm 6. And. Mein. B a r S 500 f. Er will unterscheiden, ob die exekutivische Qualität des Anspruchs Folge der Liquidität oder des Vertrags ist, für die Bestimmung des Herrschaftsgebiets der Lex fori und Lex rei und diese im letzteren, jene im ersteren Falle anwenden. Die Unterscheidung ist grundlos. Denn ob die Summarietät eine unmittelbare gesetzliche Folge eines objektiven Thatbestandes oder einer Willenserklärung ist, kann nichts austragen für deren Wesen. Ueberdies ist die Unterscheidung undurchführbar überall dort, wo wohl die historische Quelle der Summarietät \7ertragselement ist, dagegen sie sich thatsächlich darstellt als die gesetzliche Folge der urkundlichen Erscheinungsform des Rechtsgeschäfts, wie das bei den gemeinrechtlichen instrumenta guarentigiata schliesslich der Fall war. — Es giebt also bei uns Urkunden-, Arrestprozess, Verfahren aus exekutorischen Urkunden (§ 702 Nr 5. 706) nur nach Maassgabe inländischen Rechts. 21 Das lag nahe, so lange die Feststellungsklage nicht existirte.

124

§ 9.

Stellung cles Prozessrechts im Rechtssystem.

4. Die „ E i n r e d e " ist nur die Form für die vertheidigungsweise Geltendmachung verschiedenartiger, prozessualer oder materiell-reehtlicher Thatbestandsmomente. Sie kann abzwecken auf Abwehr des materiellen Anspruchs (der Rechtsbehauptung), der Rechtsschutzforderung, des Prozesses überhaupt. Soweit sie dem Prozessrecht entnommen, also gegen die Klagbefugniss oder den Rechtsschutzanspruch, gesondert vom materiellen Anspruch, gerichtet ist, unterliegt sie der Lex fori als prozessualische Defension 22; soweit sie den civilen Anspruch zurückweist, der Lex rei (in iudicium deductae) : ist sie civilrechtliche Defension. Solche ist u. a. die viel umstrittene Einrede der Klagverjährung. Sie verneint den materiellen Anspruch als erzwingbaren und deshalb schutzberechtigten; sie behauptet Anspruchsverjährung in diesem Sinne 23 . Dagegen ist die Einrede der Rechtshängigkeit rein prozessual. Sie betrifft die Rechtswirksamkeit der Klage, die Klagebefugniss, nicht die Existenzbedingungen des Rechtes selbst. Daher kann sie nur nach inländischem Gesetz beurtheilt werden 24, und das selbst dann, wenn die bereits erhobene Klage (lis pendens) in einem Staate schwebt, welcher den Satz „ne bis in idem" im Sinne der prozesshindernden Einrede der Litispendenz nicht kennt. 5. Die prozessualischen H a n d l u n g e n und die M i t t e l derselben sind unter allen Umständen nach Form, Inhalt, Prozesswirkung lediglich prozessrechtlicher Natur. So die Klage, die Beweishandlungen und -führungen der Parteien, die richterlichen Handlungen, Urtheile u. s. w. 2 5 . Das Prozessgesetz bestimmt, ob eine Klage und wie dieselbe zu substanziiren ist, ob es der Anführung des Entstehungs22

Nicht „prozesshindernde" Einrede (CPO § 247. 465). Sie lehnt die Verhandlung zur Hauptsache, sie lehnt sie als Eventualverhandlung (s. oben S 30 f.) ab. 23 Vgl. v. S a v i g n y V I I I 273; B a r S 283 f.; Ε des ROHG I Nr 50 S 125 f., XIV Nr 82 S 258; RG I CS v. 10. Dez. 1879 (Ε I 126 f.); S e u f f e r t V I Nr 1 (Stuttgart), XXV Nr 2 (Berlin), Nr 114 (Stuttgart), auch V I I I Nr 7 (Celle). Betreffs Englands s. RG V I I 415; W e s t l a k e , A treatise on private international law. 2. Aufl. 1880. § 324. Welches Civilgesetz clie Klagverjährung bestimmt, und inwiefern eine Mehrheit der Gesetze hierbei in Anwendung kommen könne, gehört nicht hierher: vgl. B a r S 285 f.; ders., KrV XV 35; W i n d s c h e i d I § 35 Anm 9; Stobbe, PrR I 233 f.; Grawe i n , Verjährung und gesetzliche Befristung I. Leipzig 1880. S 195 f. 24 Vgl. Ε des ROHG X I X 417; S e u f f e r t X X X I I Nr 180. Mit dieser Frage hat nichts zu thun die unten § 19 erörterte, in welchem Umfange wir auf ausländischen Prozess die Einrede der Rechtshängigkeit im Inland zu gründen befugt sind. 25 Die Wirkungen der Klagenerhebung sind theils prozessuale (das prozessuale Recht- und Pflichtenverhältniss cler Prozesssubjekte bestimmende) theils civile. Letztere sind der Lex rei, erstere dem Prozessgesetz zu entnehmen. Vgl. CPO § 235—238. 240. 243 vgl. mit § 239. Vgl. auch S e u f f e r t X I Nr 110.

§ 9.

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es Prozessrechts im Rechtssystem.

grundes in derselben bedarf, ob er in seine Substanz, die klagbegründenden Thatsachen zerlegt werden muss, ob und wann Klagen gehäuft werden dürfen u. s. w. — Die Lehre vom Beweis ist vielfach, zum mindesten in einzelnen Stücken für das Civilrecht in Anspruch genommen worden. Es handelt sich um die Frage der Beweislast, der Beweismittel, ihrer Zulässigkeit und Wirkung (Ueberzeugungskraft), um das Verhältniss von Beweis und Gegenbeweis. Das P r i n c i p der V e r t h e i l u n g der B e w e i s l a s t ist prozessualisch26. Es erwächst aus der kontradiktorischen Gestalt des Prozesses in Verbindung mit cler privatrechtlichen Natur der Streitsache. Es erwächst dem Umstände, dass beiden Theilen gleichmässig das rechtliche Gehör gewährt wird und es ungerecht erscheint, den Kläger allein mit dem vollen Beweise nicht nur der Entstehung, sondern auch des Bestehens seines geltend gemachten Rechts zu belasten und ferner ihm zuzumuthen, jenes Entstehen auch hinsichtlich der allgemeinen Existenzbedingungen des rechtsbegründenden Thatbestandes darzulegen. Dass dem so ist, hat mit den Voraussetzungen und dem Inhalt des privatrechtlichen Rechtsgeschäfts, Rechtsverhältnisses nichts zu tliun 2 7 , wird aber dadurch ermöglicht, dass das Privatrecht im 26

Vgl. W i n d s c h e i d I § 135 S 404; W T e t z e l l § 15; B a r S 452 und die dort zahlreich Angeführten; R e n a u d § 9 Anm 5; M e n g e r S 154 Anm 6; U l i mann S 11; S e u f f e r t XIV Nr 148 (Lübeck). Die gegenteilige Meinung ist verbreiteter, als M eng er a. 0. zu glauben scheint. Vgl. F ö r s t e r - E c c i u s , Preuss. PrR I 301; D e r n b u r g , Preuss. PrR I 300; v . W ä c h t e r , Pand. I 520. S. auch Motive zu CPO § 240—243. 245-248: „3. Die Beweislast. I. Die Lehre von der Beweislast (Beweispflicht) gehört in das materielle Recht." Die Motive führen ausr dass die Württemb. CPO Art. 410 ein „formales" Princip der Beweisvertheilung aufstelle, welches seinen realen AVerth empfange durch die Beantwortung der Frage, welche Thatsachen in concreto zur Substanziirung des betreffenden Angriffs oder Gegenangriffs gehören". Daraus aber folgt nicht die specifisch civilistische Natur des Beweislastprincips, sowenig wie der Gerichtsstand cles Erfüllungsortes oder der Begriff der Prozessfähigkeit um deswillen c i v i l i s t i s c h sind, weil beide auf das Civilrecht zurückgreifen. Vgl. unten § 16. — Unzutreffend auch H e i l m a n n , Lehrbuch S 32 auf Grund von RG I CS vom 17. April 1882 (E V I 413), welcher aus der Bedingtheit der Wirksamkeit und Verfolgbarkeit des Civilrechts durch dessen Beweismöglichkeit auf clie privatrechtliche Natur der Beweislastfrage schliesst. Die Einwirkung des Prozessrechtssatzes auf das Privatrecht macht ihn nicht zu diesem. Andernfalls müssten auch die Grundsätze über die Beweiskraft, Beweis und Gegenbeweis und vor allem die über den Rechtsschutzanspruch privatrechtlich sein. Ihr Effekt ist dem Beweislastprincip gleichartig. H e i l mann s Deduktion über die „prozessualische Pflicht" scheint mir einen unwesentlichen Punkt in die Frage einzumischen. 27 Wenn man nicht objektive und subjektive Ungewissheit, Thatsache und deren Beweisbarkeit verwirren will.

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§ 9.

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Gegensatz zum Strafanspruch eine Behandlung der Wahrheitsfeststellung duldet, welche mit Vermuthungen in umfassender Weise operirt 28 . Es ist ein prozessrechtlicher Satz, dass sich der Richter auf Grund des Beweises der specifisch rechtserzeugenden Thatsachen vorerst der Existenz des Rechts überzeugt zu halten habe, bis seitens des Beklagten rechtshindernde oder rechtsvernichtende oder rechtsunwirksam machende Thatsachen dargethan sind, und dass alle diese Beweise der feststellungsbedürftigen Thatsachen ihm durch die Parteien zu erbringen sind. Ein Gesetz, welches die Officialthätigkeit des Richters in den civilprozessualen Beweis einführte und ihm die Eruirung der materiellen Wahrheit im Sinne des Strafprozesses zur Pflicht machte, wäre unvereinbar mit einer Beweislast-Vertheilung29. Andrerseits kann die mit dieser aufgeworfene Frage, welcher Thatbestand das specifische Recht erzeugt, was seine allgemeine Existenzbedingung ist, was das Recht vernichtet oder paralysirt, nur dem Civilrecht entnommen werden. Daher hat gleich früheren Prozessordnungen die deutsche CPO auf die Regulirung der Beweislast selbst im Principe verzichtet. Sie zeigt nur, dass die Vorstellung eines solchen Princips allgemeiner Ausgangspunkt ihrer Konstruktion ist 3 0 . Seine Gestalt aber und einzelne Anwendung für das konkrete Rechtsverhältniss überlässt sie dem partikularen Rechte: dem „bürgerlichen Rechte" 31 . Hieraus ergiebt sich, dass der allgemeine Vertheilungsgrundsatz der partikularrechtlichen zur Zeit des Prozesses geltenden Lex fori — soweit solche nicht in Widerspruch mit dem Reichsrecht steht — zu entnehmen ist, wogegen die Substanziirung desselben auf die Anwendung der Lex rei zurückführt 32. 28 Das Nähere ist der Lehre vom Beweise vorzubehalten. Hier nur noch Folgendes: D e r n b u r g s (a. 0.) Ansicht, dass die Regeln über die Beweislast auf der Erfahrung und Wahrscheinlichkeitsrechnung ruhen, ist richtig, aber keine Begründung der Vertheilung der Beweislast überhaupt. Man überblicke die Geschichte dieser Materie und die Gegensätze des Strafprozesses, um zu erkennen, wie mannigfache Momente hier bestimmend wirken. Unter ihnen spielt eine nicht geringe Rolle das Beweisihittelsystem. Ich erinnere an den germanischen Prozess. 29 Wenn es auch selbstverständlich die Begriffe der rechtserzeugenden, der rechtsvernichtenden Thatbestände u. dergl. nicht aufhebt und nicht entbehren kann und man nach wie vor zur Verurtheilung gelangt, falls nur erstere festgestellt und letztere nicht feststellbar sind. Aber wo bliebe der Satz, dass der K l ä g e r unterliegt, wenn er nicht die rechtserzeugende Thatsache zu beweisen vermag? dass er nur die specifisch rechtserzeugenden Thatsachen, nicht auch die conditiones sine qua non zu erweisen hat ? u. s. w. 30 Vgl. unten § 16 Anm 29. 31 Vgl. oben Anm 26 und unten S 200 f. 32 Wenn vor sächsischem Gericht prozessirt wird über eine einem ausländi-

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es Prozessrechts im Rechtssystem.

Damit ist zugleich ausgesprochen, dass die sog. gesetzlichen P r ä s u m t i o n e n , wiclerlegliche Schlussfolgerungen auf die Existenz des festzustellenden Thatbestandes aus unvollständigen Prämissen auf Grund des Gesetzes (praesumtiones iuris), in gleicher Weise zu behandeln sind. Denn sie sind die Begrenzung des Beweisthemas auf bestimmte Stücke der von dem Beweisführer aufzustellenden Behauptungen (Klaggrund, Einrede u. s. w.) und demgemäss Bestimmung der bis zum Erweise der Unschlüssigkeit (Unvereinbarkeit mit den Thatsachen) effektiv als ausreichend anzusehenden rechtserzeugenden bezw. rechtsvernichtenden u. s. w. Thatsachen33. Es hat denn auch ECPO § 16 Nr 1 ausdrücklich ausgesprochen, dass die diesbezüglichen Vorschriften des bürgerlichen Rechts durch die CPO nicht berührt würden 34 . Der Begriff des B e w e i s m i t t e l s sowie seine einzelne Erscheinungsform (Art) gehören durchaus dem Prozessrecht an. Verstehen wir unter ihm ein Mittel, die richterliche Ueberzeugung einer Thatsache zu erwirken, so kommt es als solches zur Geltung im Prozess. Dieser muss die Vorschrift darüber geben, inwiefern es geeignet erscheint, Gewissheit zu schaffen. Also ist die Zulässigkeit des Beweismittels und das Maass der Ueberzeugungskraft, welches ihm innewohnt, lediglich der Lex fori zu entnehmen35. Dass das Reichsrecht diese sehen Rechtsgebiet angehörige Sache, dessen Prozessrecht der Officialmaxime huldigt oder doch die Beweislast anders vertheilt als das BGB § 171. 175, so kann der sächsische Richter nur sein inländisches Recht anwenden. Wenn CPO § 555 vom Kläger den Beweis „sämmtlicher zur Begründung des Anspruchs erforderlicher Thatsachen" verlangt und darunter zu verstehen ist, dass die allgemeinen Bedingungen der Rechtswirksamkeit dieser Thatsachen (z. B. Handlungsfähigkeit des Kontrahenten) nicht darunter zu begreifen sind, so wird CPO § 555 auch auf die Ansprüche eines Rechtsgebietes Anwendung zu finden haben, welches die Beweislast des Klägers abweichend, sei es erweiternd oder verengernd, regelt. 33 Es hat also der Richter, wenn sein Gesetz dem Kläger den Beweis der „rechtserzeugenden" Thatsachen aufbürdet, diese aus der Lex rei zu erforschen, und findet er in ihr eine Präsumtion, diese anzuwenden. Der begrifflich korrekte Gegensatz zwischen der anzuführenden aber präsumirten und der nicht anzuführenden und daher nicht zu beweisenden Thatsache darf nicht auf verschiedene Gebiete (Civilrecht einerseits und Prozess- bezw Beweisrecht andererseits) verlegt werden. And. Mein, scheint v. B a r S 455, welcher jedoch im Resultat mit dem Text übereinstimmt. Durchaus abweichend M eng er S 155 f. Anm 12, welcher die Rechtsvermuthung der sog. Praesumtio facti für unsere Frage gleichstellt, also beide nach der Lex fori behandelt wissen will. Ueber den Begriff der Vermuthung vgl. bes. B u r c k h a r d , Die civilistischen Präsumtionen. Weimar 1866; v. W ä c h t e r , Pand. I § 101; W i n d s c h e i d I 407. 34 Vgl. unten S 205. 3Γ> Man würde diese Sätze schwerlich beanstanden, wenn man nicht immer

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§ 9.

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es Prozessrechts im Rechtssystem.

Auffassung theilt, ergiebt sich zweifellos aus ECPO § 14 Nr 2. 3 und § 17. Die R e c h t s k r a f t des r i c h t e r l i c h e n U r t h e i l s ist an und für sich Bestimmung des Wesens dieses gerichtsbarkeitlichen Aktes. Es kann also das sie normirende Gesetz nicht Regel über privatrechtliches Verhältniss sein. Von der sog. formellen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit ist das selbstverständlich und nie bestritten; denn nur das Prozessrecht kann darüber Aufschluss geben, ob ein Urtheil anfechtbar und mit welchen Mitteln (Rechtsmitteln) es anfechtbar und ob es vollstreckbar ist. Nicht minder entscheidet das Prozessgesetz über den Umfang, in welchem es inhaltlich definitive Feststellung ist (ius facit inter partes), also geeignet erscheint eine Exceptio rei iudicatae zu begründen. Es wird unten gelegentlich der Lehre vom Herrschaftsgebiete des Gesetzes darzulegen sein, dass beides: die formelle wie die materielle Rechtskraft des ausländischen Urtheils, nicht nach dem Gesetze der Res iudicata, sondern nach dem Gesetze des sie aburtheilenden Gerichts zu bestimmen sei. Wohl aber wird das Civilrecht darüber Norm geben, in welchem Umfange die materielle Rechtskraft subjektiv für und gegen dritte Personen wirkt, welche Konsequenzen sich objektiv aus ihr vermöge der civilistisch zu beantwortenden Identitätsfrage ergeben; denn diese Wirkung des Urtheils ist lediglich Ausfluss des civilistischen Verhältnisses, welches rücksichtlich der rechtskräftig entschiedenen Sache, des Anspruchs zwischen den Parteien und Dritten besteht. Es kehrt also hier die uns auf Schritt und Tritt begegnende Erscheinung wieder, dass die prozessualische Regel in ihrer Anwendung auf den konkreten Fall und in ihren Folgeningen für das civile Rechtsverhältniss ihre nähere Determination aus den civilistischen Grundsätzen empfängt. wieder der Versuchung unterläge, aus der praktischen Bedeutung für das Privatrecht falsche Schlüsse zu ziehen oder formelles Erforderniss des Rechtsgeschäfts und Beweisbeschränkung zu konfundiren. S. unten § 16 Anm 12. Vgl. für den Text: B a r S 452 f.; R e n a u d § 9 Anm 6; M e n g e r S 156 f.; v. C a n s t e i n I 292; irrig S e u f f e r t I Nr 132 (Kassel); s. dag. das. I Nr 138, X I Nr 194 (Darmstadt), Nr 308 (Wiesb.), X I I I Nr 182 (Stuttg.), X X I I I Nr 66 (OAG Berlin). - Betreffs ausländischer öffentlicher Urkunden vgl. CPO § 403; ReichsG vom 1. Mai 1878 § 1. 2, auch BundesG vom 8. Nov. 1867; Bundes-KonsG vom 8. Nov. 1S67 § 14; Ges betr. Konsulargerichtsbarkeit vom 1. Juli 1879 § 12. Vgl. auch Staats vertrüge mit O e s t e r r e i c h - U n g a r n vom 25. Febr. 1880, 13. Juni 1880 und Bekanntmachungen dazu v. 2. Febr., 3. Aug. 1881, in RGBl 1881 S 4. 232. 8. 255 f.; mit B r a s i l i e n vom 10. Jan. 1882 Art. 15. 16, RGBl S 79; G r i e c h e n l a n d vom 26. Nov. 1881 Art. 9, RGBl 1882 S 108; S e r b i e n vom 6. Jan. 1883 Art. 9, RGBl 1883 S 65.

§ 1.

Quellen.

I. Reichsrecht,

.

e s .

6. Nach den erörterten Anschauungen gehört die Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g als staatliche Rechtspflegehandlung in ihren Voraussetzungen, Formen, Mitteln und Wirkungen unbedenklich dem Prozessrecht an 3 6 . Dass sie dem Zwecke der Befriedigung des vollstreckbaren Anspruchs dient, ist für ihre juristische Natur nach obigen Ausführungen unerheblich. Nur in ihren Wirkungen auf das materielle Rechtsverhältniss greift sie ins Civilrecht hinüber 37 .

Drittes Kapitel. Quellen·

Literatur und Praxis. § 10.

Quellen» 1

I. R e i c h s r e c h t ,

a. V o r g e s c h i c h t e .

I. Das deutsche CPR ist gemeines und partikuläres, Reichsrecht und Landesrecht. Das Verhältniss beider und demgemäss auch der Umfang, in welchem Landesrecht noch heute gilt oder zur Geltung kommen kann, wird seine Erledigung finden bei Gelegenheit der Darstellung der Lehre vom Gesetz. Das Reichsprozessrecht ist das Produkt einer mehr als tausendjährigen Geschichte. Denn wenn auch mit dem 1. Oktober 1879 nicht nur in der Form, sondern auch vielfach im Inhalt neu geboren, ist doch auch diese Schöpfung beherrscht von dem ewigen Gesetz 36 B a r S 487. Nicht prozessualisch sind die Bénéficia competentiae und inventarii ; das eine ist zeitlich, das andere dauernd beschränkte Haftung. Der Punkt ist bestritten. 37 Auf den Konkurs ist hier nicht einzugehen. Vgl. über ihn v. S a v i g n y V I I I 282 f. 290; Bar S 488; S e u f f e r t V I Nr 1, X I Nr 4, X I I I Nr 230, XIV Nr 271, XVIII Nr 111, X X I I Nr 113, X X I I I Nr 204, X X X I Nr 3 (ROHG XV 8 f.); RG I 322, V I I I 110. 1 Die Geschichte der Quellen des Reichsrechts als äussere Entstehungsgeschichte ist in den Kommentaren der CPO behandelt; anders die innere Entwicklungsgeschichte, welche freilich im Grunde genommen ein Stück materieller Rechtsgeschichte ist. So wünschenswerth es scheint, sie eingehend klar zu stellen, so wenig kann diese Aufgabe hier erfüllt werden, wenn die Grenzen der specifisch dogmatischen Aufgabe innegehalten werden sollen. Schon die Andeutungen des Textes können von diesem Gesichtspunkt aus Bedenken erregen.

Binding, Handbuch.

I X . 2. I :

W a c h , Civilprozess. I .

9

130

§ 10. Quellen.

I. Reichsreclit.

alles geistigen, wie physischen Lebens, dem Gesetz der Kontinuität, der Fortpflanzung. Die Elemente, aus welchen das Werk gebildet worden, waren gegeben, die Grundgedanken durch Jahrhunderte gedacht und verwerthet. Es kam darauf an, sie in die Form zu giessen, welche dem allgemeinen Bedürfnisse Deutschlands Genüge leistete. Verstanden wird also was vor uns steht nur dann, wenn verstanden wird, wie es entstand. Eine Geschichte des Prozesses liegt aber ausserhalb unserer Aufgabe. Dagegen ist mit ihr vereinbar eine kurze Quellengeschichte, welche die leitenden Gedanken des heutigen Prozedursystems mit der Vergangenheit verknüpft. II. Der g e m e i n r e c h t l i c h e Prozess. Die Rechtspflegeform war in Deutschland vor dem 1. Oktober 1879 buntscheckig und mannigfaltig, ähnlich dem Zustande des geltenden Civilrechts. Es war zu unterscheiden das Gebiet des gemeinen und des exklusiv-partikulären Prozessrechts. Ersteres wurde gebildet durch die Territorien, welche unter Anerkennung der subsidiären Geltung des gemeinen Rechts mehr oder weniger umfassende und mehr oder weniger von ihm grundsätzlich losgelöste Landesgesetze besassen2, letzteres 2 Ein deutsches Gebiet, in welchem ausschliesslich das sog. gemeine Prozessrecht, etwa wie es in W e t z e i l s System dargestellt wird, galt, gab es nicht. Gemeinrechtliche Territorien im Sinne des Textes waren: das Königreich Sachsen und die s ä c h s i s c h - t h ü r i n g i s c h e n F ü r s t e n t h ü m e r , beide M e c k l e n b u r g , S c h l e s w i g - H o l s t e i n , K u r h e s s e n , N a s s a u , die f r e i e n S t ä d t e , H e s s e n - D a r m s t a d t rechtsrheinisch, in gewissen Grenzen auch O l d e n b u r g , B r a u n s c h w e i g . — Ueber die k g l . sächs. Gesetze s . O s t e r l o h , Der ordentl. bürgerl. Prozess nach Kgl. Sächs. Recht 4. Aufl. I 78 f.; zu den dort angeführten Ges traten seit 1860 hinzu zahlreiche neuere Gesetze (u. a. Ges betr. die Abkürzung und Vereinfachung des bürgerl. Prozessverf. vom 30. Dez. 1861 ; Ges, einige Bestimmungen über den Konkurs der Gläubiger betr., vom 8. Juli 1868). — Für die s ä c h s i s c h - t h ü r i n g i s c h e n Staaten vgl. H e i m b a c h , Lehrb. des sächs.thüring. Prozesses. Bd. I — I I I Jena 1852—1861; speciell: R ü c k e r t , Meiningisches PR, Zusammenstellung der sämmtlichen für clen bürgerlichen Prozess gültigen Landesgesetze. Meiningen 1862. — Für die beiden M e c k 1 e η b u r g s. die Zusammenstellung bei T r o t s c h e , Der Mecklenb. CP. 1866. I 16 f. — In S c h l e s w i g H o l s t e i n , K u r h e s s e n , N a s s a u ist in Folge der Annexion publicirt die V vom 24. Juni 1867 über das Verfahren in Civilprozessen für die durch das Ges vom 20. Sept. 1866 und die beiden Ges vom 24. Dez. 1866 der Preuss. Monarchie einverleibten Landestheile mit Ausnahme des Gebietes des vormal. Königr. Hannover, sowie der vormal. freien Stadt Frankfurt, des vormal. Oberamtsbezirks Meisenheim und der Enklave Kaulsdorf. Speciell für S c h l e s w i g - H o l s t e i n : S t e m a n n , Sammlung der Ges, V und Verfugungen, welche den bürgerl. Prozess in Schleswig-Holstein betr. Kiel 1868; auch F r a n c k e , Der gem. deutsche und schleswig-holst. CP. 2 Aufl. Hamburg 1844. — Für K u r h e s s e n vgl. das Ges

a. Vorgeschichte.

131

durch die unter exklusivem Fartikularreeht stehenden Gebiete. Sie lassen sich sondern in das Gebiet des preussischen Rechts3, in das Gebiet des französischen und ihm nachgebildeten Rechts4 und endlich die Territorien, deren Gesetzgebung eine Verschmelzung französischer und gemeinrechtlicher Gedanken darstellte 5. Der alte gemeinrechtliche Prozess war ein Konglomerat heterogener Quellenbestandtheile. Die Menschheit hatte in ihren verschiedenen, die Weltgeschichte bestimmenden Repräsentanten, dem römischen Volke, den Germanen, den mittelalterlichen Kulturvölkern, der Kirche, der deutschen Nation zu diesem Werke beigetragen. Höchst eigenartig hat sich aus der Verschmelzung so verschiedenartiger Rechtselemente ein einheitliches Ganze gestaltet. Die wunderbare, welthistorische Thatsache der Renaissance des römischen Rechts im Mittelalter verlegte die Quelle und Hauptwerkstatt dieses Werdeganges nach Italien. Schon die mittelalterliche italienische Jurisprudenz und Praxis hatte das Prozedursystem herausgearbeitet und nur in untergeordnetem Maasse ist das so in romanischer Luft entwickelte Gebilde in Deutschland nach der Reception weiter geführt worden 6. Der gemeinrechtliche vom 28. Okt. 1863, das \Terfahren in bürgerl. Rechtsstreitigkeiten betr., über Ges vom 16. Sept. 1834 B i c k e l l , Beiträge zum CP. Kassel 1836, und über Ges vom 22. Juli 1851 0. B a h r , Das kurhess. provisor. Ges vom 22. Juli 1851. Kassel 1851. Vgl. auch W a g n e r , Grundz. der GV und des untergerichtlichen Verfahrens. 4. Aufl. Marb. 1859. — N a s s a u : CPO vom 23. April 1822, vgl. dazu F l a c h , Erläuterungen zum Prozessgesetze des Herzogth. Nassau. Wiesbaden 1837; B e r t r a m , Das CPR des Appellationsgerichtsbezirks Wiesbaden. Wiesbaden 1874; ders., Die Zwangsvollstreckung in das unbewegl. Vermögen. Wiesbaden 1879. — Die f r e i e n S t ä d t e : GO für das gemeinschaftl. OAG der vier freien Städte vom 10. Aug. 1831 (dazu B l u h m e , Die GO für das OAG. Hamb. 1843); Bremen GO ν. 9. Sept. 1820; H a m b u r g Handelsgerichtsordn. vom 15. Dez. 1815 mit zahlreichen Nachtragsgesetzen ; F r a n k f u r t a. M. Ges über das Verf. in bürgerl. Rechtssachen vom 21. Okt. 1848; L ü b e c k CPO vom 28. April 1862, s. unten S 143 Anm 22. — H e s s e n - D a r m s t a d t rechtsrheinisch: vgl. Grundzüge des Verf. in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei den Grossherzogl. Hessischen Gerichten in den Provinzen Starkenburg und Oberhessen, 2 Bde. Darmst. 1857. 1858. B u f f , Der Exekutivprozess nach der Praxis des Grossherzogl. Hessischen OAG Marb. 1860. — Ueber B r a u n s c h w e i g s. unten S 137, O l d e n b u r g S 141. 3 Die altländischen Provinzen mit Ausnahme des kleinen gemeinrechtlichen Gebiets und der R h e i n l a n d e (dem Gebiet des französ. Rechts). \ r gl. unt. S 133 f. 4 Die linksrheinischen Gebiete P r e u s s e n s , das Grossherzogth. Hessen, E l s a s s - L o t h r i n g e n , B a y e r n s. unt. S 143. 5 H a n n o v e r (s. unt. S 138), B a d e n (s. unt. S 141 f.), W ü r t t e m b e r g (?. unt. S 143). 6 Hierin liegt die unermessliche Bedeutung, welche die italienische ältere Literatur und Rechtsbildung für die deutsche Prozesswissenschaft hat. Vgl. 9*

132

§ 10.

Quellen.

I. Reichsrect.

Prozess in seiner endlichen Gestalt7, welchen das neue Reichsrecht zu den Todten legte, war ein feinsinniger Mechanismus, in Form und Inhalt durchdrungen von dem Gedanken der die Parteiherrschaft über Beginn, Inhalt, Fortführung des Prozesses bedingenden privatrechtlichen Natur der Streitsache (Dispositions-, Verhandlungsmaxime) und dem Bestreben der Sicherheit und Ordnung der Rechtspflege, welche in dem Principe der Schriftlichkeit (Prozessinhalt gleich Akteninhalt) die immutable Urtheilsgrundlage, in der formalen Beweistheorie den Ausschluss der Richterwillkür, in der strengen Gliederung des Ganzen in stofflich geschiedene, unter dem Eventualprincip stehende präklusivische Abschnitte (Princip der Beweistrennung, rechtskriiftigesÎeweisinterlokut) die Zusammenfassung und Ordnung des Stoffes suchte. Diesem Streben war die Natürlichkeit, Einfachheit, Verständlichkeit, die unerlässliche Promptheit der Rechtspflege zum Opfer gefallen. Die Schrift, welche den unmittelbaren Verkehr des Gerichts mit den Parteien, die unmittelbare Wahrnehmung des Streit- und Beweismaterials ausschloss, raubte dem Richter die Möglichkeit einzudringen in den wirklichen Willen der Parteien und in den wahren Inhalt des Beweisstoffes. Die gesetzliche Beweisregel, welche, genährt durch die Schriftlichkeit, die Beweiswürdigung ganz beherrschte, machte ihn unfähig, der eigenen Ueberzeugung zu folgen. Der strenge und für die Ordnung des Schriftverfahrens unerlässliche mechanische Grundsatz der Reihenfolge und Eventualbehandlung der Angriffs- und Vertheidigungshandlungen überlastete den Prozess unerträglich mit überflüssigem Behauptungsund Beweismaterial, zog die Chikane gross, welche sich unbefangen hinter der nothwencligen Fürsorge gegen Präklusionsfolgen verschanzte, und tödtete oft im Verband mit dem ausgedehnten Rechtsmittelzug das gesunde Recht in der unsterblichen Dauer des Rechtsganges ab· Die Fremdartigkeit und Schwierigkeit der Quellen, die Heimlichkeit § 14. — Die Thatsache der Reception ist in unserem Jahrhundert tiefgehender Bearbeitung unterzogen. Die Hauptwerke sind: v. S a v i g n y , Gesch. des röm. Rechts im Mittelalter. 2 Aufl. 7 Bde. Heidelb. 1834—1851. Bethmann-Hollweg, Gesch. 6. Bd. S t o b b e , Gesch. der deutsch. Rechtsquellen. 2. Abth. Braunschweig 1864. S t ö l z e l , Entwickelung des gelehrten Richterthums. 2 Bde. Stuttgart 1872. M o d d e r m a n n , Die Reception des röm. Rechts, übersetzt von S c h u l z . Jena 1875. O t t , Beiträge zur Receptionsgesch. des römisch-kanon. Proz. in den böhmischen Ländern. Leipzig 1879. S t i n t z i n g , Gesch. der deutschen Rechtswissenschaft. 1. Bd. München 1880. — Verdienstvoll auch die Arbeiten M u t h e r s in Glasers Jahrb. für Gesellschafts- und Staatswissenschaft I X 234 if. und in den unter dem Titel „Zur Gesch. der Rechtswissenschaft in den Universitäten Deutschlands", Jena 1876, gesammelten Abhandlungen. 7 Ueber seine Quellen vgl. W e t z e l l § 2; R e n a u d § 4. 6.

a. Vorgeschichte.

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des Verfahrens trug ihm die nicht zu überwindende Abneigung des Volkes ein. Dass dessen ungeachtet im und am gemeinen Prozess durch die ihm Jahrhunderte lang gewidmete Gedankenarbeit eine Fülle wahrer und praktischer Gedanken entwickelt war, dass die gemeinrechtliche Wissenschaft die Wissenschaft des Prozesses in Deutschland wurde und dass die geringe politische Bedeutung des Civilprozesses und die Zeitläufte eine gründliche Reformgesetzgebung nicht begünstigten, sicherte dem gemeinrechtlichen \rerfahren oder doch seinen Grundsätzen den langen Bestand und die Widerstandskraft gegen Neuerungsbestrebungen selbst dann noch, als auf dem Gebiete des Strafrechts und Strafprozesses die deutschen Staaten sich nahezu durchweg neuer Gesetzgebungsarbeit erfreuten. Die Gesetzgebung hat bis zur Mitte unseres Jahrhunderts nur am gemeinrechtlichen Prozess experimentirt, ihn gelegentlich verfälscht, wohl auch verbessert, aber ihn nicht wahrhaft reformirt. Das gilt nicht nur von der sächsischen, b a y e r i schen, sondern auch von der preussischen Legislation. Freilich war die letztere in gewissem Sinne radikal, aber wo sie eingriff, liess sie sich durch die Idee ins Extrem führen: in der Neubildung des Verhältnisses des Richters und der Parteien, in der Formentwickelung bildet sie nur einen schwachen Durchgangspunkt für die Neuzeit. III. Der preussische Prozess. Die A l l g e m e i n e G e r i c h t s o r d n u n g f ü r die p r e u s s i s c h e n S t a a t e n (AGO) vom 6. Juli 17938 verfolgt gemäss dem die ganze Fridericianische Gesetzgebung, wenn auch in naturrechtlicher Weise innerlichst beherrschenden Gedanken der Gerechtigkeit vor allem die Tendenz, dem gutem Recht zum Siege zu verhelfen und dem Formalismus zu steuern 9. Das führte sie zu inquisitorischen Grundsätzen, 8

Vgl. zur Geschichte der preuss. Prozessgesetzgebung: A h e g g , Versuch einer Geschichte der Preuss. Civilprozess-Gesetzgebung. Breslau 1848; T r e n d e l e n b u r g , Friedrich der Grosse und sein Grosskanzler Sam. v. Cocceji. Berlin 1863; A. S t o l z e l , Karl Gottlieb Suarez. Berlin 1885. S 190 if. 9 In wie hohem Grade S u a r e z von diesem Geist erfüllt war, zeigt folgende Aeusserung über die Prozessordnung ( S t ö l z e l S 201): „Soweit als menschliche Vermuthungen reichen können, darf man sicher annehmen, dass die neue Ordnung so lange bestehen werde, als gesunder Menschenverstand das Ruder fühlt, als Wahrheit und Gerechtigkeit das Ziel sind, nach welchem jedes Bestreben des Richters bei der Ausübung seines Amts gerichtet sein muss." Er koncedirt mögliche Veränderungen: „Aber die grosse Regel: suche die Wahrheit auf dem nächsten und sichersten Wege! — diese Regel, die man mit Recht den Inbegriff' der ganzen Prozessordnung nennen kann, wird doch immer das Gmnd-Prinzipiuni

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§ 10. Quellen.

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welche sich, weil unverträglich mit dem Wesen der Civilsache, auf die Dauer nicht halten konnten. Die AGO sagt in ihrer Einleitung: „In jedem Prozesse muss vor allen Dingen untersucht werden, was für Thatsachen dabei zu Grunde liegen und wie sich dieselben nach der Wahrheit verhalten (§ 5). Der vom Staat geordnete Richter, welcher den Streit durch richtige Anwendung des Gesetzes auf die dabei zu Grunde liegenden Thatsachen entscheiden soll, hat die nächste Pflicht, folglich auch das nächste Recht, sich von der wahren und eigentlichen Bewandtniss dieser Thatsachen zu versichern (§ 6). Der Richter ist also befugt und schuldig, den Grund oder Ungrund der in einem Prozesse vorkommenden Thatsachen selbst und unmittelbar zu untersuchen, und soweit es zur richtigen Anwendung der Gesetze für den vorliegenden Fall erforderlich ist, ins Licht zu setzen (§ 7). Die Pflicht des Richters bei der Instruktion des Prozesses beruht also auf dem wesentlichen Grundsatze, dass er sich bemühen müsse, die Wahrheit der dabei zu Grunde liegenden erheblichen Thatsachen auf dem sichersten und zugleich nächsten Wege zu erforschen und auszumitteln (§ 10).u Daher wird der Richter nicht auf das Parteivorbringen beschränkt (§ 17. 20) und es als allgemeine Bürgerpflicht anerkannt, die Wahrheit zu sagen und die Beweismittel zur Verfügung zu stellen (§ 18). Konsequenz war der Hinfall der Eventualmaxime und der Präklusivität der Prozessabschnitte. Zu diesen Grundsätzen stellte sich aber das Gesetzbuch selbst in gewissen Gegensatz durch seine Schriftlichkeit des Prozesses und seine streng ausgebildeten Beweisregeln. Schon die V vom 1. Juni 1833 über den Mandats-, summarischen und Bagatellprozess nebst Instruktion des Justizministeriums vom 24. Juli 1833, sowie die V über das Verfahren im Civilprozess vom 21. Juli 1846 kehrten von den grundsätzlichen Neuerungen der AGO im wesentlichen zurück zu den gemeinrechtlichen Principien der Verhandlungs-, Eventualmaxime und präklusivischen Reihenfolge der Prozesshandlungen. Wenn nun auch das harte Urtheil der allgemeinen Motive zur CPO in ihrer ersten Fassung : dass nämlich von allen Prozesssystemeny die die geschichtliche Entwickelung des Rechts zur Erscheinung gebracht hat, keines so übereinstimmend verurtheilt worden sei wie die AGO, ein theils ungerechtes, theils thatsächlich unrichtiges war, vieleiner jeden Prozess-Form bleiben müssen, die von aufgeklärten Regenten vorgeschrieben und von vernünftigen Richtern befolgt zu werden verdient." — Und hat nicht hierin der grosse Mann Recht behalten, wie anders auch die Form geworden, in welcher wir heute seine Idee verfolgen?

a. Vorgeschichte.

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mehr der preussischen Praxis auf Grund dieses Gesetzes das Zeugniss gedeihlicher Rechtspflege nicht versagt werden kann, so war doch in Preussen selbst das Reformbediirfniss stets rege, wie abgesehen von den oben angeführten Gesetzen die mehrfachen Ansätze zur Herstellung einer neuen Prozessordnung im Anschluss an rheinisches Recht beweisen10. IV. R e f o r m b e s t r e b u n g e n zösischen Rechts.

u n t e r dem E i n f l u s s

fran-

Aehnliche Bestrebungen bewegten schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts andere Staaten Deutschlands, besonders B a d e n 1 1 und B a y e r n 1 2 . Im f r a n z ö s i s c h e n Recht (Code de procédure civile) hatte man das Vorbild eines Verfahrens, welches bei allen Mängeln, die ihm anhafteten, bei aller Unreife der wissenschaftlichen Verarbeitung, gerade in wesentlichen Punkten das leistete, was man an der auf gemeinrechtlichem System ruhenden Prozedur vermisste: die einfache mündliche Form, die dadurch hergestellte Beweglichkeit und Elasticität des Verfahrens, die bedeutsame Entlastung des Gerichts von prozessleitender und exekutivischer Thätigkeit. Das französische Recht konservirte in diesen seinen Grundsätzen altüberlieferte, bis auf die fränkische Wurzel zurückführende germanische Gedanken. Auf sie also strebte man zurück, als man bei dem französischen Recht die Anleihe zur Reform des deutschen Prozesses machte. Der Code de p r o c é d u r e c i v i l e vom Jahre 1806 13 ist kein vollständiges Prozessgesetz. Das materielle Prozessrecht ist in ihm 10 Man hatte dabei eine gemeinsame Gesetzgebung für den ganzen preuss. Staat im Auge. Die Gesetz-Revisions-Kommission, welche mit dem Jahre 1826 ihre Thätigkeit begann, stellte bereits 1827 in der 4., δ. und 6. Deputation einen Bericht über die Revision der ersten 46 ^Titel der Prozessordnung fertig, welche im 1. Thl. die allgemeine, im 2. Thl. die specielle Revision enthielt und sich in Hauptpunkten dem französischen Recht anschloss. Vgl. „Gesetz-Revision", als Manuskript gedruckt 1827—1848, Pensum IV Civilprozess Bd. 12. Daran schloss sich als 3. Thl. der Entw der Prozessordnung mit Motiven, 1830—1832. In den vierziger Jahren wurden die Arbeiten von neuem aufgenommen, Pensum V Bd. 14. 11 Ueber die älteren Gesetzgebungsarbeiten, speciell über die Prozessordnung vom 31. Dez. 1831, das Ges vom 3. Aug. 1837 und die Folgezeit vgl. v. F r e y d o r f , PO in bürgerl. Rechtsstreitigkeiten für das Grossh. Baden. 1865. S 1—123. 13 Mit dem Jahre 1819 beginnt die Reformgesetzgebung (G vom 22. Juli 1819, 17. Nov. 1837). 13 Zur Geschichte vgl. D a n i e l s , System und Geschichte des französischen und rheinischen CPR Bd. I. Berlin 1849. S 4 —65; W a r n k ö n i g und S t e i n , Französ. Staats- und Rechtsgesch. 2. Aufl. Basel 1875. Bd. I I u. I I I ; S c h a f f n e r , Gesch. der Rechtsverfassung Frankreichs, bes. I I I 485 f., IV 333 f. Frankf. 1850.

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§ 10.

Quellen.

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nahezu ausgefallen. In seinem formellen Theile ist er nichts weniger als eine radikale, mit der Vergangenheit brechende Gesetzgebung. Seine Unterlage bildet die Ordonnance civile du mois d'avril 1667 Ludwigs XIV. Alle dieser eigenthümlichen Grundgedanken sind in der Napoleonischen Gesetzgebung festgehalten, die Gedanken der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens, der Beweisverbindung, welche die Beweisaufnahme nur als einen in die mündliche Verhandlung eingesprengten Inciclentpunkt erscheinen lässt, die Reinhaltung des richterlichen Amtes von prozessleitenden und exekutivischen Handlungen — Zustellungen, Ladungen, Vollstreckungen —, die zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, als dem die Urtheilsgrundlage herstellenden Prozessabschnitte, dienenden Schriftsätze der Parteien u. a. m. Und auch Ludwigs XIV. Gesetzgebung ist nicht völlige Neuerung, sondern Fortentwickelung dem altfranzösischen Verfahren angehöriger Gedanken. Obschon wir seit der Napoleonischen Eroberung in der unmittelbaren Anschauung dieses französischen Prozesssystems und in ausreichender Kenntniss seiner praktischen Bewährung standen14, verging doch nahezu ein halbes Jahrhundert, bis es gelang seine Principien innerhalb der deutschen Gesetzgebung zur Anerkennung zu bringen, und auch das geschah nur allmählich und schrittweise. Die politische Bewegung des Jahres 1848 bedeutet auch hier den Wendepunkt. Die deutschen Grundrechte vom 27. Dezember 1848 sprachen es aus, class das Gerichtsverfahren öffentlich und mündlich, die Rechtspflege von der Verwaltung getrennt und von ihr unabhängig sein solle. Die deutsche Reichsverfassung vom 28. März 1849 bestimmte in § 64: „Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Weehselrecht, Strafrecht und g e r i c h t l i c h e s V e r f a h r e n die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen." Diese Gedanken zu verwirklichen war der restaurirte deutsche Bund nicht geeignet. Die von ihm nach der Seite des Civilprozesses unternommenen Bestrebungen wurden zum neuen Zeugniss seiner Ohnmacht. Immerhin sind sie für das anderen Mächten und glücklicheren Verhältnissen vorbehaltene Werk zu einer höchst wichtigen Grundlage geworden, daher im weiteren Verlaufe der Darstellung eingehend zu würdigen. Vorerst folgen wir dem weiteren Entwickelungsgange der Legis14

Vermöge seiner Einführung im ehemaligen Grossh. Berg (G vom 17. Dez. 1811), im Königr. Westphalen (1809). in den zu Frankreich geschlagenen linksrheinischen Territorien, in welchen er sich behauptete.

a. Vorgeschichte.

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lation innerhalb der einzelnen deutschen Staaten. Mit und seit dem Jahre 1850 erscheinen ziemlich schnell hinter einander partikuläre umfassende Civilprozessordnungen, welche mehr oder weniger energisch den Gedanken der Mündlickheit und Öffentlichkeit des Verfahrens, wohl auch der freien Beweiswürdigung durchzuführen versuchen. V. Die b r a u n s c h w e i g i s c h e C i v i l p r o z e s s o r d n u n g vom 19. März 18501;>. Aengstlich angeschlossen an gemeinrechtliche Traditionen hat sie auf die Entwickelung des deutschen Rechts einen nachweisbaren Einfluss nicht geübt. Das Gesetz ist lückenhaft und lässt das geltende Prozessrecht bestehen, soweit solches nicht geändert wird (§ 1). Verhandlungs- und Eventualmaxime sind an die Spitze des Ganzen gestellt (§ 2. 3). Die Oeffentlichkeit ist in gebührenden Grenzen aufgenommen (§ 58 ff.), die Mündlichkeit jedoch nur in stark verkümmerter Gestalt. Das öffentliche Verfahren in Bagatellsachen (an den Amts- und Stadtgerichten) ist mündlich auf-Grund einer nach dem Princip der Beweisverbindung abgefassten, im Falle ihrer Unzulässigkeit oder offenbaren Grundlosigkeit sofortiger einseitiger Zurückweisung unterliegenden, im anderen Falle in einem spätestens innerhalb 14 Tagen stattfindenden Termine zu verhandelnden Klage (§ 153. 61. 155). Bei regelmässiger Beweiserledigung durch Produktionsbescheid (§ 160) kann doch „in schwierigen Sachen" Beweislast und Beweissatz durch ein Erkenntniss festgestellt werden (§ 162). In kreisgerichtlichen Sachen ist das Verfahren durchaus schriftlich. Im Schriftenwechsel erschöpft sich das wesentliche Vorbringen — Anträge, Behauptungen, Beweis-, Gegenbeweisantretung, Antworten auf Einwendungen gegen dieselben —; „bei der mündlichen Verhandlung ist eine Abänderung der that sächlichen Grundlagen der Vorträge der Parteien unzulässig" (§ 184). Auch die schriftliche Beweis- und Gegenbeweisantretung, deren sofortige Verbindung mit den Behauptungen auch hier gefordert wird (§ 61. 62), sind essentiell. Das Gericht kann zwar auf Beweis erkennen (§ 188. 189. 182. 183), aber die Parteien sind in der Wahl ihrer Beweismittel auf die bis zum Beweiserkenntniss angegebenen beschränkt; neue Beweismittel werden nicht zugelassen (§ 190). 15

Vgl. die grösseren Justizorganisationsgesetze für das Herzogth. Braunschweig nebst Kommentar. Braunschw. 1850. I 113—237, I I 113—186. Vgl. v. B u t t e l , CA X L I I I 86 f.; M i t t e r m a i e r , das. X L 88. 230, X L I 65. 192, X L V 111 f. — Vgl. auch Ζ f. Rechtspflege im Herzogth. Braunschweig, herausg. von Ed. Gotthard, Koch, Pedekind. Braunschw. 1854 ff.

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§ 10.

Quellen.

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Die richterliche Ueberzeugung wird grundsätzlich von Beweisregeln entbunden, soweit solche nicht im Gesetz aufgestellt sind (§ 86). VI. D i e hannoversche C i v i l p r o z e s s o r d n u n g vom 8. November 1850. Ihr kommt eine ungleich grössere Bedeutung für die Geschichte des Rechts zu 1 6 . Sie ist gebaut auf die Gedanken der Öffentlichkeit und Mündlichkeit — Unmittelbarkeit der richterlichen Wahrnehmung — Beweistrennung durch gemeinrechtliches Beweisinterlokut, Verhandlungsmaxime, Eventualmaxime im Beweisstadium, auf das Einspruchssystem und eine möglichste Entlastung des Gerichts von exekutiver Thätigkeit. Das Gesetz, an dessen Ausarbeitung Dr. Leonhardt, damals Referent im hannoverschen Justizministerium, wesentlichen Antheil hatte, war bestimmt, clem § 9 des Gesetzes vom 5. November 1848, verschiedene Aenderungen des Landes Verfassungsgesetzes betr., zur Ausführung zu dienen. Es galt das Civilverfahren nach den Principien der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit zu regeln. Man versprach sich „grössere Raschheit des Prozessganges und grössere Garantie für eine richtige Urtheilsfällung" — Regierungsmotive — von der folgerichtigen Durchführung der Mündlichkeit, deren Wesen man richtig in der Unmittelbarkeit der richterlichen Wahrnehmung des Urtheilsstoffs erkannte. Die Gesetzarbeiten, welche vorzüglich als Vorlage benutzt wurden, waren der Code de procédure civile und das Loi sur la procédure civile des Kanton Genf von 1820 17 . In Beziehung auf das materielle Prozessrecht folgte man vielfach der bis dahin geltenden, auf dem gemeinen Rechte fussenden Prozessordnung vom 4. Dezember 1847. An der Verhandlungs16

Die Literatur über sie ist reichhaltig: vgl. L e o n h a r d t , Die bürgerl. PO und deren Nebenges. 4. Aufl. Hannover 1867; ders., Die Lehre von der Berufung. Hannover 1855; ders., Das Civilprozessverfahren des Ivönigr. Hannover, ein Beitr. zur deutschen Civilprozessgesetzgebung. Hannover 1861; ders., Die Reform des CP. Hannover 1865. S 7 f. 77 f. — S c h l ü t e r , Komm, zur allgem. bürgerl. PO. 2 Bde. Stade 1858—1868; v . B o t h m e r , Fragmente zur bürgerl. PO für das Königr. Hannover. Hannov. 1854; M e y e r s b u r g , Krit. Erörter. über einzelne Abschn. (1er Hann. CPV. Hannov. 1862. Dazu treten zahlreiche Abhandlungen im CA ( M i t t e r m a i er, Opp e r m a n n u. a.) XXXIII, XXXVII, XLI1I, XLIV, XLV, X L V I , im Hannöv. Magazin, herausg. von Düring und Wachsmuth 1860 bis 1869, imd die Ζ f. hannöv. Recht, herausg. von Düring und Francke 1869—1879, sowie die Judikatur: vgl. Archiv für Entscheidungen der Kollegial-Gerichte des Königr. Hannover, herausg. von Clausbruch imd Stegemann 1865. 1866; F r a n c k e , Samml. der Entsch. des OAG u. AG zu Celle u. s. w. Celle 1881. 17 Vgl. Loi sur la procédure du canton de Genève suivi de l'exposé de motifs p. f. P. F. B e l l o t 2. éd. p. M. S c h a u b et M. E. M a l l e t . Paris et Genève 1837; L e o n h a r d t , Zur Reform S 118 f.; v. F r e y d o r f S 134 f.

a. Vorgeschichte.

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maxime wurde festgehalten, ohne dieselbe im französischen Sinne zu -übertreiben ; die Eventualmaxime fiel als Ausgeburt der Schriftlichkeit mit dieser in der mündlichen Verhandlung. Mit andern Mitteln als derartigen formalen Grundsätzen suchte man die Koncentration und Einheit des mündlichen Verfahrens zu erreichen. Charakteristisch sind hauptsächlich folgende Züge: Dem erkennenden Richter soll der Behauptungsstoff unmittelbar vorgetragen werden; die Schrift ist nicht Urtheilsgrundlage, wenn auch Beurkundungs - und Informations -, Vorbereitungs - Mittel. „Die mündlichen Parteivorträge müssen das ganze Streitverhältniss, sowohl seiner thatsächlichen, als rechtlichen Beziehung nach umfassen und dient in thatsächlicher Beziehung die mündliche Verhandlung als Grundlage für die richterliche Entscheidung selbst rücksichtlich derjenigen Punkte, welche eine Abweichung von dem durch die Schrift festgestellten Vorbringen enthalten (§ 101)." Die Schrift findet Verwendung als vorbereitender, nicht essentieller Schriftsatz, als Sitzungsprotokoll, Recess und als Beurkundung in der Form des Thatbestandes. Der vorbereitende Schriftsatz wird als Grundlage, nicht Inhalt der mündlichen Verhandlung gedacht. Die in ihn aufzunehmenden Partei-Anträge sind nicht nur Petita — „Schlussgesuche" — sondern zugleich eine kurze Sachdarstellung (§ 93 Nr 3). Wenn auch in gewissem Umfange eine Garantie für solche hinlängliche Vorbereitung und Beurkundung der mündlichen Verhandlung bereits in der Kostengefahr wie dem eigenen Interesse der Partei und hinlänglicher wechselseitiger Information erblickt werden konnte, so war man doch darauf bedacht, noch ausgiebiger für die möglichste Uebereinstimmung des Verhandlung^- und Schriftinhalts zu sorgen. Nicht nur auf Antrag der einen oder andern Partei, sondern auch von Amtswegen sollten wesentliche thatsächliche Abweichungen des mündlichen Vortrags vom Schriftvorbringen durch Recess oder Protokoll festgestellt werden (§ 102). Nur die freie Stellung, welche die Praxis gegenüber dieser Vorschrift einnahm, rettete den hannoverschen Prozess vor der Entartung zum Protokollverfahren 18. Eine besondere schriftliche Unterlage empfängt die Beweisaufnahme zufolge einer unten noch zu beleuchtenden Sonderung von der mündlichen Verhandlung. Dass sie vor dem Prozessgericht erfolgt, wird zwar als Regel vorgeschrieben, aber die Ausnahme dem freien Ermessen des Gerichts überlassen (§ 224). Tritt sie ein, so bilden die Beweisaufnahmeprotokolle, welche richterlich zum Vortrag gebracht werden (§ 236), die Urtheilsgrundlage. Ueberhaupt hat 18

S 50 f.

Vgl. hierzu v. B a r , Recht und Beweis im Civilprozess.

Leipzig 1867

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§ 10. Quellen.

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die Mündlichkeit cles Verfahrens mit dem Abschnitte der Behauptungen im wesentlichen ihr Ende erreicht, denn nach dem gemeinrechtlichen Principe der Beweistrennung, der Scheidung der Behauptungen und Beweise durch das präklusivische, der Rechtskraft fähige Beweisinterlokut (§ 212 ff.) wird in diesem die für den Richter unabänderliche, für die Parteien — und das wiederum ist eine Neuerung des Gesetzes — nur durch „vorbehaltene" Berufung anfechtbare Grundlage des weiteren Verfahrens geschaffen. Hiedurch erscheint die hann. CPO so recht eigentlich als das Gesetz, welches die Uebergangsform vom alten gemeinrechtlichen schriftlichen zum mündlichen Verfahren darstellte. Man suchte durch die Cäsur die Koncentration cles Urtheilsstoffes, die Möglichkeit der Entscheidung unter dem frischen Eindrucke der soeben gehörten mündlichen Verhandlung, und durch den Thatbestand („die gedrängte Darstellung des dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Thatbestandes in Gemässheit der Vorträge der Parteien", § 256 Nr 4. 219), die feste, nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftbare, dem Grundsatze eines eng begrenzten Berichtigungsverfahrens (§ 360. 219) unterstellte Grundlage für alles Folgende zu gewinnen. So fand die n o t wendige freie Beweglichkeit des mündlichen Verhandelns (§ 214) ihren Abschluss mit dem Erlass des Beweisinterlokuts. Nach ihm bewegte sich der Prozess streng in der Reihenfolge der unter der Eventualmaxime stehenden Beweisantretung vor dem Prozessgericht (§ 223. 242), Beweisaufnahme vor diesem oder beauftragtem bezw. ersuchtem Richter (§ 224 ff.) und Beweisausführung wiederum vor dem Prozessgericht (§ 234). Es leuchtet ein, dass hiermit eine Zwittergestalt zwischen der freien Form des ganz mündlichen und der gebundenen des schriftlichen Verfahrens geschaffen war, welche seitens der Anhänger der ersteren nicht ohne Grund scharfer Kritik unterworfen wurde. Es harmonirt mit dem entwickelten Prozesssystem, dass die Versäumnissgrundsätze über Ungehorsamsurtheil und Einspruch ihre hauptsächlichste Verwendung in dem Abschnitte der Behauptungen finden (§ 367 ff.), wogegen die \rersäumnissfolgen nach dem Beweisinterlokut sich als prozessualische Präklusionsfolgen kennzeichnen (§ 293 ff.). Wird noch hervorgehoben, dass in kollegialgerichtlichen Sachen der Anwaltszwang gilt, der sogen. Prozessbetrieb unter Benutzung von besonderen, dem Huissier nachgeahmten Zustellung^- und Vollstreckungsbeamten in die Hand der Parteien gelegt ist, das Rechtsmittelsystem unter Erweiterung des Novenrechts für die Berufung, Beschränkung der Nichtigkeitsbeschwerde auf sogenannte unheilbare Nichtigkeiten sich an das gemeine Recht anlehnt, welches denn auch im übrigen die Grundlage des materiellen Prozessrechts im grossen Umfange hergab, so ist das Bild

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des Verfahrens in den Zügen vollständig, welche hier zu zeichnen wünschenswerth erscheint. VII. D i e o l d e n b u r g i s c h e P r o z e s s o r d n u n g vom 2.—19. November 1857 19 . Sie mag erwähnt werden als ein dem braunschweigischen Gesetz nahestehender Versuch, mit dem Grundsatz der Schriftlichkeit zu verbinden die mündliche Form. Sie ist kein das gesammte bürgerliche Verfahren umfassendes Gesetz, sondern stellt sich nur die Aufgabe, die verfassungsmässigen Fordeningen der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit — VU Art. 99 — dem bisherigen Prozessrecht in angemessener Weise aufzupfropfen. Das geschieht durch Etablirung des Beurkundungsprincips (Art. 112 Nr 6. 75. 106. 107. 109. 144 § 1. 221) in Verbindung mit mündlichem Vortrag des Parteivorbringens (Art. 220). Das Verfahren ist Protokoll- bezw. Recessverfahren. Es gilt das Princip der Beweistrennung (rechtskräftiges Beweisinterlokut Art. 121). Die Appellation ist die gemeinrechtliche Nachprüfung auf Grund der Akten.. Eine freie Beweistheorie wird vennisst. Wenn angesichts dessen die allgemeinen Motive hervorheben, dass der Schwerpunkt des Verfahrens in der Mündlichkeit liege, so ist das eine Selbsttäuschung. Es wird denn auch zugegeben, dass eine „verkehrte und missbräuchliche Anwendung der auf die schriftliche Fixirung des Trozessstoffes abzielenden Vorschriften dahin führen könne, dass das mündliche Verfahren in den Hintergrund gedrängt und in ein schriftliches mit wenig bedeutender mündlicher Schlussverhandlung verwandelt werden könne14. Nur im amtsgerichtlichen Prozess und besonders einfachen kollegialgerichtlichen Sachen hat das Gesetz der Mündlichkeit und Beweglichkeit des Verfahrens grössere Koncessionen gemacht (Art. 204 ff. 210 ff. 233). VIII. Die badische C i v i l p r o z e s s o r d n u n g i n b ü r g e r l i c h e n R e c h t s s t r e i t i g k e i t e n vom 18. März 1864 20 . Es wird in ihr unterschieden das Verfahren vor den Amts- und 19 Vgl. H. H. B e c k e r , Das Gesetz für clas Grossh. Oldenburg den bürgerl. Proz. betr. (Ausg. mit Einleit, Materialien u. Anm). Oldenb. 1859; M i t t er m a i e r , CA XXXIX 386 f., X L I 72 f. 214 f. — Einzelnes im Archiv f. die Praxis des gesammten im Grossherzogth. Oldenburg geltenden Rechts. Oldenburg bis 1869, und Ζ f. Venv. und Rechtspflege im Grossherzogth. Oldenb., herausg. von Barnstedt u. a. Oldenburg 1874 f. 20 Vgl. vorzüglich den oben Anm 11 ang. v. F r e y d o r f (unvollständig) ; ferner Annalen der Grossh. Badischen Gerichte. Mannheim; auch Ζ f. franz. Civilrecht, herausg. von P u c h e l t . Mannheim 1870 f.

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§ 10. Quellen.

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Kollegialgerichten erster Instanz. Vor jenen ist die Mündlichkeitfakultativ, und auch wo sie eintritt ist das Verfahren im Grunde genommen Protokollverfahren. Es soll „in der Regel" mündlich verhandelt werden. Jedoch steht es zur Wahl der Parteien, ob sie diese oder die Schriftform — „aussergerichtliche schriftliche Aufzeichnungen" — vorziehen (§ 311. 314). Auch ist der Partei, welche wegen zu grosser Entfernung vom Gerichtssitze nur mit unverhältnissmässigen Kosten erscheinen könnte, zu gestatten, ihre Vorträge schriftlich einzureichen, eine Befugniss, die in diesem Falle auf Antrag auch der Gegenpartei eingeräumt werden muss (§ 313). Die mündliche Verhandlung wird ihrem wesentlichen tatsächlichen Inhalte nach protokollirt; der Schluss des Protokolls wirkt präklusivisch (§ 320). Es gilt das Princip der Beweistrennung (§ 321); es wird über Beweissatz und Beweislast erkannt (§ 321. 376 ff.) und die Beweispflicht für die Antretung des Haupt- und Gegenbeweises festgesetzt. Dabei ist bemerkenswert ein doppeltes: einmal ist das Beweisurtheil nicht selbständig appellabel (§ 387); sodann der urteilende Richter an die „dem Beweiserkenntniss zu Grunde liegende Ansicht" und die in ihm ausgeprochene „Beweisauflage" nicht gebunden (§ 388). In der That also ist das Beweisurtheil nicht mehr als eine prozessleitende präklusivische Be weis Verfügung. Von diesem Verfahren vor dem Einzelrichter weicht dasjenige vor dem Kollegialgericht bedeutend ab. In dem dasselbe betreffenden Abschnitt lehnt sich das Gesetz handgreiflich an die hannöversehe Prozessordnung und den hannoverschen Entwurf an 21 , ohne in irgend einem wesentlichen Punkte auf Originalität Anspruch machen zu können. Das Verfahren ist mündlich (§ 993. 996. 1005); die Schriftsätze bereiten die mündliche Verhandlung vor. Nur in besonders verwickelten Rechtsstreitigkeiten kann auf Antrag oder von Amtswegen ein schriftliches Verfahren mit mündlicher Schlussverhandlung Platz greifen. Für die Beurkundung des Vortrags im Termin wird, soweit es sich* um Nova gegenüber den vorbereitenden Schriftsätzen handelt, auf Parteiantrag oder von Amtswegen Sorge getragen (§ 1002. 1003). Das Beweisverfahren unterliegt den Regeln, welche für den einzelrichterlichen Prozess aufgestellt sind. In der legislativen Technik steht das Gesetz weit hinter der hannoverschen Prozessordnung zurück. Es trifft dieser Vorwurf weniger den Ausdruck als die Systematik. Die Schwäche derselben beweist genügend die eine Thatsache, dass den ordentlichen Prozessarten, dem Konkursprozess und 21

Vgl. auch V. F r e y d o r f S 150 f.

a. Vorgeschichte.

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Vollstreckungsverfahren das Verfahren bei den Kollegialgerichten, der Eheprozess, das schiedsrichterliche Verfahren, die Erläuterung und Ergänzung von Urtheilen, die Rechtsmittel folgen. IX. Noch zwei grössere deutsche Staaten gingen mit selbständigen Prozessgesetzen v o r 2 2 , da die Aussicht auf eine einheitliche deutsche Gesetzgebung, etwa auf Grund des unten zu besprechenden sog. hannoverschen Entwurfs, infolge des Kriegs vom Jahre 1866 und der Gründling des Norddeutschen Bundes in vorerst unabsehbare Ferne gerückt erschien. Es waren das W ü r 11 e m berg und B a y e r 11. Im Grossherzogthum Hessen hatte man die Ausarbeitung eines Entwurfs einer Prozessordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bereits erheblich gefördert, als der Beschluss des Bundesraths des Norddeutschen Bundes vom 2. Oktober 1867, welcher den Entwurf einer Civilprozessordnung für den Norddeutschen Bund anordnete, die Sistirung der Arbeit zur Folge hatte 2 3 ; das gleiche Schicksal erfuhr der bereits 1864 erschienene Entwurf einer bürgerlichen Prozessordnung für das Königreich Sachsen 2 4 . In W ü r t t e m b e r g waren bereits durch die Handelsgerichtsordnung vom 13. August 1865 die modernen Gedanken der Prozessreform auf Grund des hannoverschen Entwurfs (s. unten Nr XI) erster Lesung zum Gesetz erhoben. Die Civilprozessordnung vom 3. April 186 8 2 5 stellte sich im wesentlichen auf die Basis dieses 22

Die Prozessgesetzgebung der Staaten, welche sich nicht in der erörterten Reformrichtung bewegte, bleibt ausser Betracht. Hierher gehören u. a. die zahlreichen Gesetze, welche in den sächsisch-thüringischen Staaten in den fünfziger und sechziger Jahren ergangen sind. — Vgl. jedoch das L ü b e c k e r Ges vom 28. April 1862 und die B r e m e r V vom 24. Mai 1864. 23 Im V o r w o r t der Veröffentlichung des „ersten und zweiten Buchs" (des allgemeinen Theils und der Vorschriften über das ordentliche Verfahren erster Instanz) des Entwurfs einer Prozessordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Grossh. Hessen, Darmstadt 1867, erklärt das Justizministerium, dass es die Publikation als Unterlage für die Berathungen der norddeutschen CP-Kommission für zweckmässig erachtet habe. 24 Entwürfe einer bürgerlichen Prozessordnung, einer Konkursordnung und einer Gerichtsordnung in nicht streitigen Rechtssachen für das Königr. Sachsen, nebst Motiven. Dresden 1864. Die CPO ist ein sehr modificirter Ausbau des HE. Sie lehnt ab den Prozessbetrieb durch die Partei, das Gerichtsvollzieherinstitut, den Anwaltszwang. Sie umfasst 1175 §§. Vgl. Ζ er en er, CA X L V I I 244; O s t e r l o h , Die Reform der CPG. Leipzig 1865. 25 Die neue Justizgesetzgebung des Königreichs Württemberg, amtl. Handausg. I I 1. Abth. CPO, 2. Abtli. Kommissionsberichte, 3. Abtli. Motive. Stuttg. 1869. — W ö r n e r , Grundzüge des Württemb. CPR. Stuttg. 1871. Abhandl. und Judikatur im Württemb. Archiv für Recht und Rechts Verwaltung mit Einschluss der Ad-

144

§ 10.

Quellen.

I. Reichsrect.

Entwurfs in derjenigen Fassung, welche ihm schliesslich durch die hannoversche Kommission gegeben worden war, ohne jedoch auf jede Selbständigkeit zu verzichten. Die b a y e r i s c h e C i v i l p r o z e s s o r d n u n g vom 1. Februar 1869 26 dagegen schloss sich an das französische Recht und den schon im Jahre 1861 ausgearbeiteten bayerischen Entwurf an. X. Der h a n n o v e r s c h e , preussische und n o r d d e u t s c h e Entwurf. Wenn nunmehr auf die Geschichte der CFO selbst eingegangen werden soll, so bedarf es in erster Linie einer Betrachtung derjenigen Gesetzgebungsarbeiten, welche mit der Tendenz einer allgemeinen Geltung für Deutschland oder doch Norddeutschland entstanden sind. Es sind das der hannoversche Entwurf und der norddeutsche Entwurf einer Civilprozessordnung. Auf den preussischen Entwurf ist nur nebensächlich einzugehen, da, soweit ihm ein Einfluss auf die Geschichte der Civilprozessordnung zukommt, derselbe wesentlich durch den norddeutschen Entwurf vermittelt ist 2 7 . Der hannoversche E n t w u r f (HE). 1. Am 17. Dezember 1859 brachten beim Bundestag die Regierungen von Bayern, Sachsen, der beiden Mecklenburg, von Nassau, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg den Antrag ein, durch einen Ausschuss erörtern und berichten zu lassen, ob und inwieweit die Herbeiführung einer gemeinsamen Civil- und Kriminalgesetzgebung wünschenswerth und ausführbar sei. Der am 12. August 1861 erstattete Bericht bejahte die Frage nach ihren beiden Richtungen für die uns an dieser Stelle allein interessirende Prozessgesetzgebung. Man betonte ihre Nothwendigkeit als eine Folgethatsache des anzustrebenden einheitlichen Civilrechts und des mangelhaften Zustandes der geltenden Rechtspflegeordnungen. „Gerade auf diesem Gebiete" — so hiess es — „ist die Gesetzgebung weniger thätig oder ministrathjustiz, herausg. von Kübel und Sarwey. Stuttgart 1858 ff.; Württemb. Gerichtsblatt unter Mitwirkung des Königl. Justizministeriums herausg. von Kübel. Stuttg. 1869 ff. 26 Zu ihr vgl. M a r q u a r d B a r t h , Kommentar zur neuen CPO für das Königr. Bayern. 3 Bde. Nördl. 1869. 1870; v. W e r n z , Kommentar zur PO in bürgerl. Rechtsstreitigkeiten für das Königr. Bayern. 2 Abth. München 1871. 1872; G. S c h m i t t , Der bayerische CP, syst. darg. 2 Bde. Bamberg 1870. 1872; auch ders., Drei Vorträge über den Entw des neuen CP. München 1869. — Vgl. zur Beurtheilung des Entw, ausser den Materialien des Gesetzes, P l a n c k , KrV IV 583 f.; S e u f f e r t das. V I 161 f. 27 Vgl. zum Folgenden bes. H e l l w i g , CA L X I 75 f.

a. Vorgeschichte.

145

glücklich gewesen und der deutsche Civilprozess beruht noch überwiegend auf älteren Gesetzen mit dem Grundsatze des schriftlichen Verfahrens und mit einem unnatürlichen Uebergewicht des formellen Rechts über das materielle." Man schlug die Schwierigkeiten, welche sich dem gemeinsamen Gesetzeswerke entgegenstellten, nicht hoch an. „Das Civilprozessrecht ist weniger, als irgend ein anderer Theil des Rechts, ein Produkt des Lebens selbst, sondern vielmehr der Wissenschaft und Gesetzgebung, und hat daher auch weniger lokale, provinzielle oder nationale Wurzeln. In besonderem Grade gilt dies von dem schriftlichen Prozessverfahren, wie es jetzt noch in einem grossen Theile von Deutschland besteht. Eine durchgreifende gemeinschaftliche Gesetzgebung wird daher nicht in Gefahr sein, in liebgewordene Einrichtungen verletzend einzugreifen, sie wird vielmehr freudig begrüsst werden, zumal wenn sie als Regel das mündliche Verfahren aufstellt und dadurch zweckmässig die Oeffentlichkeit der Verhandlung unterstützt." Das erforderliche Maass der Gleichförmigkeit in der Gerichtsverfassung werde sich unschwer erreichen lassen. Es ist bekannt, dass und wie gegen die Einwendungen Preussens, welches die Bundeskompetenz bestritt und die Freiheit der Landesregierungen und Landesvertretungen auf dem Wege der Vereinbarung gewahrt sehen wollte, die Bundesversammlung den Vorschlägen des Ausschusses gemäss am 17. Juli 1862 den Zusammentritt einer Kommission zur Ausarbeitung und Vorlage eines Entwurfs einer allgemeinen Civilprozessordnung für die deutschen Bundesstaaten in Hannover für den 15. September beschloss. Die Ortswahl entschied der vom Ausschuss ausgesprochene Gedanke, dass Hannover mit seiner in mehrjähriger Geltung stehenden, auf die Reformgedanken gebauten und doch die deutsche Rechtsentwickelung im Gegensatz zu der des französischen Rechts respektirenden Prozessordnung einen guten Boden für eine ausreichende Information über die zu entscheidenden Fragen bilden werde. Preussen verhielt sich nach wie vor ablehnend gegen dieses Vorgehen. Es betheiligten sich an den mit dem 15. September 1862 begonnenen und durch zwei Lesungen fortgesetzten, mit dem 24. März 1866 endigenden Berathungen die Abgesandten von Oesterreich, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Grossherzogthum Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Holstein und Lauenburg, Sachsen-Meiningen, Nassau, Kurhessen und Frankfurt a. M. Die beiden letzteren Staaten waren bei der zweiten Lesimg nicht vertreten 28. Den Vorsitz führte 28 Die Repräsentanten der genannten Staaten waren: fur O e s t e r r e i c h : der Sektionschef im Justizministerium Dr. Rizy; B a y e r n : anfänglich Oberstaatsanwalt

Binding, Handbuch. IX. 2. I :

W a c h , Civilprozess. I.

10

146

§ 10. Quellen.

I. Reichsrect.

nach Wahl der Kommission der österreichische Abgeordnete Dr. v. R i z y , das Ehrenpräsidium der hannoversche Justizminister. Man beschloss gegen den Antrag Bayerns die hannoversche Prozessordnung den Berathungen insofern zu Grunde zu legen, als im Anschluss an dieselbe von einigen Mitgliedern, einem Referenten und zwei Korreferenten ein Vorentwurf ausgearbeitet und dieser zur Berathung gestellt werden sollte. Zum Referenten wurde Dr. L e o n h a r d t , zu Korreferenten B o m h a r d und Dr. T a u c h n i t z gewählt. Die Kommission entledigte sich ihrer Aufgabe, indem sie den Entwurf in zwiefacher Lesung durchberieth und redigirte. Mit Genehmigung der Bundesversammlung wurde derselbe durch den Sekretär Dr. S t r u c k mann als „Entwurf einer allgemeinen Civilprozessordnung für die deutschen Bundesstaaten" nebst den Protokollen der Oeffentlichkeit übergeben. Der Entwurf umfasst 689 Paragraphen. Die Protokolle, welche nicht im Buchhandel erschienen sind, sind in 17 Foliobänden niedergelegt 29. Für die Beurtheilung des Entwurfs ist im Auge zu behalten, dass derselbe nur das Verfahren, nicht die Gerichtsverfassung regeln sollte. Diese war der Landesgesetzgebung vorbehalten. Daher ist der Entwurf dort lückenhaft und hypothetisch, wo die Verfassungsgrundsätze in Frage kommen; so bei der Frage nach der Abgrenzung einzelrichterlicher und kollegialrichterlicher Kompetenz. Eine ähnliche Lückenhaftigkeit weist er mit Rücksicht auf ergänzende Landesgesetzgebung im Vollstreckungsverfahren auf, welches wohl der Prozedurform nach, dagegen nicht mit Beziehung auf die VollBomhard, dann Ο AG-Rath v. Pixis; S a c h s e n : Ο AG-Rath Dr. Tauchnitz; H a n n o v e r : Obeijustizrath Dr. Leonhardt, später OG-Rath Petersen; W ü r t t e m b e r g : Obeijustizrath v. Sternenfels, dann Oberjustizrath Freih. v. Holzschuher; B a d e n : HG-Rath v. Stosser und zeitweise der Württemb. Abg.; Grossh. H e s s e n : General staatsprok. Dr. Seitz; M e c k l e n b u r g - S c h w e r i n : Geh. Min.-Rath v. Scheve, später Justizrath v. Arnsberg ; S c h l e s w i g - H o l s t e i n und L a u e n b u r g : AG-Präs. Dr. Preusser, sowie für Holstein allein Ο AG-Rath a. D. Dr. Brinkmann; S ach s enMe i n i n gen: Oberstaatsanwalt Dr. Albrecht, dann AG-Präs. Liebmann; N a s s a u : HG-Dir. Winter ; K u r h e s s e n : bei der ersten Lesung Ο AG-Rath Dr. Büff; F r a n k f u r t a. M.: bei d. e. L. AG-Rath Dr. Nestle. 29 Protokolle der Kommission zur Berathung einer allgem. Civilprozessordnung für die deutschen Bundesstaaten, 17 Bde. Hannover 1862—1866 (374 Sitzungen) nebst mehreren Entwurfs-Beilagen u. s. w. Charakteristisch ist, dass zwar die Namen der Referenten und Korreferenten, dagegen gewöhnlich nicht die Namen der anderen bei der Debatte betheiligten Abgeordneten genannt werden. Die Protokolle geben eingehenden Aufschluss über den Inhalt der Berathungen. — Der Entwurf selbst erschien in erster Lesung, herausg. von den Sekretären der Komm, und mit ihrer Genehmigung. Hannover 1864; in zweiter Lesung herausg. vom Sekr. der Komm. J. Struckmann. Hannover 1866.

147

a. Vorgeschichte.

streckungshandlungeii näher bestimmt ist. Im übrigen ist der Prozess vollständig geregelt und zwar nicht nur das ordentliche, sondern auch das ausserordentliche Verfahren. Nach einem allgemeinen Theil. welcher von dem Gericht, den Parteien und den allgemeinen Vorschriften über das Verfahren im ersten Buche (§ 4—230) handelt, folgt im zweiten Buche das ordentliche Verfahren vor den Kollegialgerichten, dem Einzelrichter, den Handelsgerichten und das ausserordentliche Verfahren (§ 231—566). Das dritte Buch behandelt das Rechtsmittelverfahren einschliesslich der Wiederaufnahme des Verfahrens gegen rechtskräftige Urtheile (§ 567—644) ; das vierte das Vollstreckungsverfahren. Der Entwurf lehnt sich an die HPO weniger redaktionell als sachlich an. Die Mündlichkeit erleidet eine tiefgreifende Ausnahme nur in dem schriftlichen Verfahren mit mündlicher Schlussverhandlung (§ 645 ff.). Es wird zugelassen bei den Kollegialgerichten in Sachen aussergewöhnlichen Umfanges oder besonderer Verwickelung der thatsächlichen Verhältnisse oder des Beweismaterials. Im ordentlichen Verfahren hat man das Princip der theilweisen, auf die Beweisantretung beschränkten Beweisverbindung, die präklusivische Beweismittelproduktionsverfügung beliebt. Der Inhalt der mündlichen Verhandlung wird durch die Behauptungen und Beweisantretungen gebildet, welche, von prozesshinclernden Einreden abgesehen, promiscue ohne der Eventualmaxime zu unterliegen vorgebracht werden können, aber mit dem Schlüsse der mündlichen Verhandlung dann ausgeschlossen sind, wenn sie nicht nachweisbar schuldlos versäumt wurden (§ 245. 246. 284). Diese Präklusion erstreckt sich auch auf die beweisbedürftigen Beweiseinreden (§ 285). Die Beweisverfügung bildet die für unentbehrlich gehaltene Cäsur zwischen dem Stadium der Behauptungen und der Beweisantretung einerseits und der Beweisaufnahme andererseits. Um diese Gedanken durchzuführen, hat man dieses Dekret in gewissen Grenzen den Regeln des Urtheils unterworfen (§ 282). Es wird ihm ein dem regelmässigen Berichtigungsverfahren unterliegender Thatbestand beigegeben (§ 258 Nr 4 Abs 2, § 263). Auch in Beziehung auf die Ergänzung und Erläuterung des die Beweisführung selbst enthaltenden Theils steht dasselbe dem Urtheil gleich (§ 282), und vollends ist es unabänderlich in Beziehung auf die in ihm liegende Präklusion für die Zulässigkeit der Beweismittel (§ 309) : Grundsätze, welche mit seiner rein prozessleitenden Natur und sonstigen Unverbindlichkeit für den dekretirenden Richter (§ 309) schlechterdings nicht harmoniren. Nach abgesetztem Beweisverfahren folgt die „Beweisausführung", welche eine nur deduktive, nicht prozessgestaltende ist (§ 303). Die vorbereitenden Schriftsätze werden in kollegial10*

148

§ 10.

Quellen.

I. Reichsrect.

gerichtlichen Sachen gefordert (§ 238), in einzelrichterlichen zugelassen. Man wollte sich regelmässig mit Klage und Vernehmlassung genügen lassen, doch wurde dem Gericht gestattet, einen weiteren Schriftenwechsel, nötigenfalls bis zur Duplik, anzuordnen (§ 239). Jedenfalls sollte alles neue, Vorbereitung heischende Vorbringen vor der mündlichen Verhandlung rechtzeitig dem Gegner mitgetheilt werden (§ 241). Für die Beurkundung sorgten Protokolle (§ 154. 455) und Recesse. — Die freie Beweistheorie wird principiell anerkannt (§ 306. 349. 367). — Das Versäumniss- und Einspruchssystem des französischen Rechts (bezw. der HPO) ist für die mündliche Verhandlung, als welche die Beweisausführung nicht gilt (§ 305), aufgenommen (§ 274 ff. 196 ff.); ebenso das Gerichtsvollzieherinstitut und damit zusammenhängend der sogenannte Prozessbetrieb durch die Parteien und der Anwaltszwang in kollegialgerichtlichen Sachen. Das Rechtsmittelsystem ist im Sinne der HPO gestaltet, also in der Berufung das Novenrecht anerkannt 30 . 2. Der preussische E n t w u r f (PE). Noch hatte die hannoversche Kommission ihre Arbeiten nicht geschlossen, als Ρ reu s s en im Jahre 1864 mit einem fertigen E n t w u r f einer P r o z e s s o r d n u n g i n b ü r g e r l i c h e n Rechtss t r e i t i g k e i t e n für die preussischen S t a a t e n 3 1 an die Oeffentlichkeit trat. Die Arbeit war im wesentlichen an das rheinisch-französische Recht angeschlossen. Sie machte zuerst den kühnen Schritt, das preussische Beweisproduktionsdekret, wie jede Cäsur innerhalb der mündlichen Verhandlung fallen zu lassen. Mit der Eventualmaxime wurde völlig gebrochen. Wie der Prozessbetrieb der Parteien, so fand die Souveränität des Gerichts, das Rollensystem, das 30

Zur Kritik des hann. Entw vgl. L e o n h a r d t , Zur Reform; O s t e r l o h , Die Reform; N i s s e n , Der Entw einer deutschen CPO im Vergleich mit der sächs. Leipzig 1864; v. B a r , Recht und Beweis (dazu L. M e y e r , Bemerkungen zur Civilprozessgesetzgebung. Berlin 1867, Ρ. H i n s c h i u s in Ζ f. Gesetzgebung und Rechtspflege in Preussen herausg. von F. und P. Hinschius I 1867 S 762 f. und v. B a r das. I I 1868 S 213 f.); v. K r ä w e l , Bedenken über das französische Wesen der in Preussen, Bayern u. in der Kommission in Hannover ausgeführten Entwürfe einer bürgerl. PO. Leipzig 1865; F. M e y e i s b u r g , Gutachten über den Entw erster Lesung der allg. deutschen CPO. Celle 1866; K o c h , · Deutsche Gerichtszeitung V I I I Nr 12. 13. 31 Entwurf einer Prozessordnung in bürgerl. Rechtssachen für den Preuss. Staat. Berlin 1864. 1. Bd. Entw, 2. Bd. Motive. — Die Kommission zur Ausarbeitung des Entw (Allerh. Erl. vom 25. Febr. 1861) war gebildet durch den OTr-Präs. Dr. B o r n e m a n n (Vorsitzender), Geh. Justizrath Pape, Oberstaatsanw. O p p e n h o f f , AG-Rath K ü h n e (vgl. H e l l w i g S 100 f.).

a. Vorgeschichte.

149

Konklusionensystem u. a. Aufnahme. Der Entwurf wurde von der preussischen Praxis ziemlich allgemein abgelehnt und erfuhr auch in der Literatur nicht durchweg freundliche Aufnahme 32. Es hing das vorzüglich mit seiner stark französisirenden Tendenz zusammen. Aber wrie dem auch sei, schon der Umstand, dass die nun alsbald erfolgenden grossen politischen Umwälzungen ein Zusammenarbeiten der deutschen Staaten für die grosse Aufgabe gemeinsamer Prozessordnung zm notwendigen Folge hatten, bedingte, dass dieser preussische Entwurf nur in die Reihe des schätzbaren Materials zurücktrat. 3. Der n o r d d e u t s c h e E n t w u r f (NE). Die Gründung des Norddeutschen Bundes schuf die staatsrechtliche Grundlage, auf welcher sich nunmehr die Gesetzesarbeit aufbaute. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 26. Juli 1867 Art. 4 Nr 13 unterwirft der Beaufsichtigung des Bundes und seiner Gesetzgebung „die gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- und Wechselrecht und das g e r i c h t l i c h e V e r f a h r e n " . Unter „gerichtlichem Verfahren" ist inbegriffen der Civil- und der Strafprozess. Die Gerichtsverfassung ist nicht ausdrücklich, aber stillschweigend in das Kompetenzgebiet der gesetzgebenden Gewalt des Bundes einbezogen33. — Schon am 2. Oktober 1867 beschloss der Bundesrath auf Grund eines preussischen Antrags vom 4. September 1867 die Aufnahme der Arbeit zu dem Entwurf einer Civilprozessordnung für den Norddeutschen Bund und berief die Kommission, welche, am 3. Januar 1868 zusammentretend, in 390 Sitzungen (bis 20. Juli 1870) sich ihrer Aufgabe entledigte34. Die Kommission beschloss, nicht den preussischen, sondern den hannö32 Zur Kritik vgl. L e o n h a r d t , Zur Reform, zweiter Beitr.; R. K o c h a. 0. und in Gruchot IX 1865; v. I v r ä w e l , Bedenken; Abh. von S i l b e r s c h l a g , v. W i l m o w s k i , E c ci us in der preuss. Anwaltszeitung 1865; N i e s se η in KrV V I I I 1 ff.; E n d e m a n n , CA X L I X 1 ff. u.a.m. 33 Vgl. Stenogr. Berichte des Reichtags 1868 S 124 f., 1869 S 440 f. 651 f. 883 f., Aktenst. Nr 52. 142 S 175. 471, Ber. 1871 S 206 f., 1872 S 596. 601, 1875 Aktenst. Nr 4 S 13 (Motive z. GVG). Vgl. auch v. R ö n n e , Staatsr. des Deutschen Reichs 2. Aufl. I I 4 Anm 5; L a b a n d , Reichsstaatsr. I I I 2 S 7. 34 Die Kommissionsmitglieder waren: Dr. L e o n h a r d t , königl. preuss. Staatsminister, Vorsitzender; Dr. G r i m m , preuss. Obertribunals-Vicepräsident, Stellvertreter; Dr. L ö w e n b e r g , preuss. Obertribunalsrath ; Dr. P a p e , jetzt Präsident der Civilgesetzgebungs-Kommission; Dr. T a u c h n i t z , sächs. OAG-Rath; Dr. S e i t z , hess. Geh. Rath; v. Am s b e r g , jetzt Landgerichtspräsident in Güstrow; Dr. E n d e ln an η , Prof. und OAG-Rath in Jena, jetzt in Bonn; Dr. D r e c h s l e r (Lübeck), jetzt Senatspräsident des RG, Protokollführer; Stadtgerichtsrath K o c h , jetzt Geh. Oberfinanzrath; Obergerichtsassessor D r o o p , jetzt Geh. Obeijustizrath.

150

§ 1.

Quellen.

I. Reichsrecht,

.

e s .

verschen Entwurf ihren Arbeiten zu Grunde zu legen. Der Entwurf einer Prozessordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Norddeutschen Bund erschien stückweise. Zuerst (1869) wurden die ersten drei Bücher (1. allgemeine Bestimmungen ; 2. von dem ordentlichen Verfahren in erster Instanz; 3. von dem ausserordentlichen Verfahren) veröffentlicht. Es folgte der vervollständigte Entwurf (Berlin 1870 bei Decker), welcher das vierte Buch, die Lehre von den Rechtsmitteln, enthielt. Daran schloss sich eine Fortsetzung vom gleichen Jahre, welche das fünfte Buch, die Zwangsvollstreckung, und eine Anzahl von Aenderungen der früher publicirten Stücke brachte. Das Verfahren in Ehe- und Entmündigungssachen bildete den Abschluss. In seiner Gesammtheit umfasste der Entwurf der Prozessordnung 1178 Paragraphen und das Einführungsgesetz in 12 Paragraphen; In vielen Stücken dem hannoverschen Entwürfe angeschlossen, war er in anderen dem preussischen Entwürfe gefolgt oder hatte eigene Wege eingeschlagen. Zu letzterem zwang ihn zum Theil schon die veränderte staatsrechtliche Lage. Im mündlichen Verfahren war die Cäsur des HE beibehalten, jedoch war dem oben charakterisirten Beweisproduktionsbescheid die präklusivische Wirkung insofern abgeschwächt, als sog. Hilfsthatsachen — nähere Substanziirung — nach ihm zugelassen werden sollten. Die zur Vereinfachung des Verfahrens unerlässliche Befugniss des Gerichts, durch Zwischen- und Theilurtheil den Stoff zu spalten und auf diesem Wege das Verfahren zu entlasten, beschränkte sich auf das Stadium nach dem Beweisbescheid. Radikal ging man im Rechtsmittelsystem zu Werke, indem man durch eine übermässige summa appellabilis (50 Thaler) den grössten Theil der richterlichen Urtheile der Berufung entzog. Obschon der Entwurf eine treffliche Arbeit genannt zu werden verdient und einen bedeutsamen Fortschritt gegenüber dem HE in vielen Stücken darstellt, befriedigte er nicht vollkommen. Er erfuhr in der Literatur zum Theil eine zurückweisende, herbe Kritik, wenn es ihm auch andererseits nicht an Anerkennung fehlte 35 . 35 Aus (1er grossen Zahl der kritischen Besprechungen (s. S t r u c k m a n n K o c h S X Anm 41) nenne ich: Gutachten in den Verh. des 9. deutschen Juristentags I I 1870 von v. B a r , P l a t h n e r , G r o d d e c k , G a u p p , O s t e r l o h , A n d r é — die Abhandlungen von v. W i l m o w s k i , L e v y , R. K o c h , K o r n , v. B a r , v. K r ä w e l , S a b a r t h in Behrends Ζ f. Gesetzgebung Bd. I I I — V I , in Gruchots Beitr. XIV von v. K r ä w e l , S i l b e r s c h l a g , M e d e m ; ferner F. B r a k e n h a u s e n , Für und wider den Entw einer PO in bürgerl. Rechtsstr. für den Nordd. Bund. Berlin 1869; L. H a g e n , Ueber die Grundprincipien des Entw einer PO für den Nordd. Bund. Bonn 1869; O s t e r l o h , Gutachten. Leipzig 1870; Gad, Zur Ver-

151

§ 11. Fortsetzung,

b. Die C i v i l p r o z e s s o r d n u n g .

I. Der erste E n t w u r f der CPO. Die fortschreitende politische Einigung Deutschlands, die Gründung des Deutschen Reiches und damit der Eintritt der süddeutschen Staaten in den Bund, sowie wichtige gegen den NE erhobene Bedenken machten die Ausarbeitung einer neuen Vorlage für die Civilprozessordnung erforderlich. Schon im Jahre 1870 hatte das preussische Justizministerium im Hinblick auf die bevorstehenden staatsrechtlichen Veränderungen den Entwurf einer deutschen Civilprozessordnung nebst Begründung in Angriff genommen. Das Ergebniss dieser Arbeit war die Publikation des im Jahre 1871 erschienenen, jetzt sog. I. Entwurfs der deutschen Reichscivilprozessordnung 1. Er enthält, in 10 Bücher zerlegt, 783 Paragraphen Gesetzestext (S 1—200). Die Begründung (S 201—518) ist eine „allgemeine", welche die Principien und Grundsätze des Entwurfs darlegt, und eine „besondere", welche die Rechtfertigung der einzelnen Bestimmungen bezweckt. Die Verkürzung des Entwurfs gegenüber dem NE hängt zum Theil zusammen mit der Entlastung, welche von der zu erwartenden Gerichtsverfassung für die Civilprozessordnung in Aussicht genommen werden durfte. Die allgemeinen Motive bestimmen die Aufgabe dahin, dass es nicht gelte, eines der mehreren in Deutschland herrschenden Prozedursysteme (das gemeinrechtliche, oder preussische, oder französische, oder hannoversche) zum gemeinrechtlichen, oder einen der früheren Entwürfe zum Gesetz zu erheben, sondern dass es gelte „einen Aufbau vom Fundament aus". Das Gesetz soll auf dem Princip der Mündlichkeit ruhen, dabei aber zugleich durch vorbereitende Schriftsätze, Sitzungsprotokolle, Anlagen zu denselben und durch den Thatbestand des Urtheils für genügsame Beurkundung des Sachverhalts Sorge tragen. Die mündliche Verhandlung, der eigentliche Prozess, wird als Einheit gedacht; eine Cäsur, Abgrenzung von stofflich verschiedenen präklusivischen Stadien, wird abgeworfen. Damit fällt die gemeinrechtliche Scheidung von erstem und Beweisverfahren, die ständigling über den Entw einer PO für den Nordd. Bund. Berlin 1870; H a r r i e s , Beurtheilung des Entw einer CPO für den Nordd. Bund. Berlin 1870; 0. P I at lin e r , Der richtige Weg zur Herstellung einer deutschen CPO. Berlin 1871. 1 E n t w u r f einer deutschen Civilprozessordnung nebst Begründung, im Kgl. Preuss. Justiz-Ministerium bearbeitet. Berlin 1871. Das Nähere über seine Entstehung bei H e l l w i g , CA L X I 114 if.; die Motive sind verfasst zum Theil vom Justizminister L e o n h ar d t , zum Theil vom Geh. Justizrath D r o o p (besonderer Theil bis zu den Rechtsmitteln), zum Theil vom AG-Rath K u r l bäum I I (von den Rechtsmitteln bis zum Schluss).

152

§ 1.

Quellen.

I. Reichsrecht.

dem HE eigene, in den NE übergegangene Trennung einer mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme. Es fallt die Eventualmaxime und jede Präklusion im Laufe dieses Verfahrens. Die Beweisaufnahme wird im französischen Sinne Incidentpunkt der mündlichen Verhandlung. Es ergiebt sich ein Kontumacialsystem, nach welchem die Versäumniss in irgend einem, selbst im spätesten Termine zur mündlichen Verhandlung der Versäumniss bei deren Beginn gleichsteht. Es wird endlich die bis dahin nicht ins Leben übersetzte doktrinäre Konsequenz des Mündlichkeitsprincips, die völlige Beseitigung der Berufung, für die Urtheile der erstinstanzlichen Kollegialgerichte gezogen2. Der Prozessbetrieb der Parteien erweitert sich, ohne dass er zur Lähmung richterlicher Prozessleitung im französischen Sinne führt. Eine Souveränität des Gerichts wird nicht beliebt. Zu seiner Entlastung dient der selbständige Zustellungs- und Vollstreckungsbeamte. Die formelle Beweistheorie des gemeinen Rechts weicht dem Principe der freien richterlichen Beweiswürdigung, welches jedoch die Aufstellung gewisser, durch das Wesen der Sache gebotener Beweisregeln nicht ausschliesst. II. Der z w e i t e E n t w u r f der CPO. Der Bundesrath ernannte am 8. Mai 1871 eine Kommission zur definitiven Feststellung des Entwurfs. Es präsidirte wiederum der preussische Justizminister L e o n h a r d t . Zu den Mitgliedern zählten u. a. Dr. F a l k als Referent, von Arnsberg als Redaktor der in der besondern Begründung völlig umgearbeiteten und wesentlich verbesserten Motive 3 . Der Entwurf selbst wurde zwar nicht im wesentlichen, wohl aber redaktionell und in Einzelheiten modificirt. Die Zahl der Paragraphen stieg von 783 auf 800. Es trat hinzu das Einführungsgesetz mit 19 Paragraphen. Veröffentlicht ward dieser gewöhnlich als II. bezeichnete Entwurf der deutschen CPO im Jahre 18724. 2

Das Rechtsmittel der Revision findet gegen die erstinstanzlichen Endurtheile der Kollegialgerichte statt (§ 460), die Oberrevision gegen die das Urtheil erster Instanz aufhebenden Endsentenz in der Revisionsinstanz (§ 478). 8 Die übrigen Mitglieder der Kommission waren der OTr-Rath Freih. v. D i e p e η b r o i c k - G r ü t e r , AG-Rath P l a n c k , Justizrath D o r n , Justizrath v. W i l m o w s k i , AG-Rath Dr. S c h m i t t , Geh. Justizrath A b e k e n (an dessen Stelle später trat der LG-Präs. Klemm), OTr-Rath Κ ο h 1 h a a s, Ministerialrath Dr. G e b h a r d t. Schriftführer: StG-Rath H a g e n s I und KrG-Rath P o l e n z . 4 E n t w u r f einer deutschen Civilprozessordnung nebst dem Entwürfe eines Einführungsgesetzes. Berlin 1872 ; B e g r ü n d u n g der Entw einer deutschen Civilprozessordnung und des Einführungsgesetzes. Berlin 1872. — Beide Entwürfe sind in der Literatur vielseitig besprochen worden. Ich hebe hervor: S i l b e r s c h l a g , Die deutsche Civilprozessordnung. Berlin 1871; 0. B ä h r , Das Rechtsmittel zweiter

b. Die Civilprozessordnung.

153

ΙΠ. Der d r i t t e E n t w u r f der CPO (E). Diesen Π. Entwurf unterwarf der Bundesrath durch seinen Justizausschuss den erheblichsten Aenderungen5. Die wichtigsten sind: Die Revision wird als das Rechtsmittel gegen die in erster Instanz erlassenen Endurtheile der Landgerichte und Handelsgerichte aufgegeben und die Berufung gegen sie zugelassen. Infolge dessen ist für die erste Instanz eine Präklusion mit nachträglichem Vorbringen und für die Berufungsinstanz die Verweisung desselben zu einem besonderen Verfahren eingeführt, sowie die Zulässigkeit der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Endurtheile erweitert. Damit hat sich der Entwurf von 800 auf 813 Paragraphen gesteigert (HI. Entwurf der CPO). Eine Nachprüfung der Motive hat im Justizausschusse nicht stattgefunden. IV.

D e r E n t w u r f v o r dem Reichstag.

Den bundesräthlichen Entwurf legte der Reichskanzler mit Anschreiben vom 29. Oktober 1874 dem Reichstage vor 6 . Derselbe trat in die erste Berathung über die CPO am 27. November 1874 ein 7 . Der Entwurf wurde nebst dem Einführungsgesetz und den Entwürfen des GVG und der Strafprozessordnung und deren Einführungsgesetzen einer Reichstagskommission (Reichsjustizkommission) zur Durchberathung überwiesen8 und diese durch Gesetz vom 23. Dezember 1874 ermächtigt, „ihre Verhandlungen nach dem Schlüsse der gegenwärtigen Session des Reichstags bis zum Beginne der nächInstanz im deutschen Civilprozess. Jena 1871; M. L e v y , Die zweite Instanz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Berlin 1871; G. P f i z e r , Thatbestand und Berufung. Jena 1872; P l a n c k , Preuss. Jahrbücher X X X I 174 ff.; B e s c h o r n e r in Ζ f. Rechtspflege und Verwalt. NF XXXVII1872 S 109 ff. (vgl. auch die Gutachten von Z a c h a r i a e , G r o d d e c k , B e c k e r und B a h r in denVerh. des 10. deutsch. Juristentags 1. Bd. über die Kompetenzbestimmung des Reichsgerichts); E b m e i e r , Beweisurtheil oder Beweisverfügung? Berlin 1872; L. S c h w a l e n b e r g (Pseudonym), Offene Briefe über den Entw einer deutschen CPO. Berlin 1872; Die wesentlichen Aenderungen des revidirten Reichsprozess-Entw. Berlin 1872; m e i n e Abh. in KrV XIV 329 ff. 384 ff., XV 88 ff. 339 ff.; 0. P I at h η er, Die neue Konstruktion des Prozesses in dem Entw der deutschen CPO, Berlin 1873, u. a. m. 5 Vgl. H e l l w i g S 122 f. 6 D r u c k s a c h e n des Reichstags (2. Leg.-Per. 2. Session 1874—75) Nr 6; S te no gr. Β er. I I I Anlagen Nr 6. — Auch separat erschienen E n t w u r f einer CPO für das Deutsche Reich mit Motiven und Anlagen. Berlin, Kortkampf 1874. 7 Stenogr. Ber. I 355. 8 Auf Antrag des Abg. Lasker und Gen. Nr 64 der Drucksachen, Stenogr. Ber. I 362 f.

154

§1.

Quellen.

I. Reichsrecht,

.

e CPO.

sten ordentlichen Session fortzusetzen". Das Gesetz vom 1. Februar 1876 verlängerte diese Vollmacht9. Die CPO ist in zweimaliger Lesung in den Sitzungen vom 26. April—9. Juni (5—36, 37) und vom 7.-27. Oktober 1875 (83—93, 94) unter steter Theilnahme von Regierungsvertretern 10 durchberathen worden 11 . Dann nahm der Bundesrath zu den Kommissionsbeschlüssen Stellung und nunmehr vollendete die Kommission die Revision der zweiten Lesung12. Nicht unbedeutende Aenderungen des Entwurfs sind aus der Initiative der Kommission hervorgegangen. Von 813 Paragraphen sind 204, vielfach freilich nur redaktionell, geändert. Die Grundlagen des Entwurfs blieben unberührt. Zahlreiche Paragraphen sind neu hinzugekommen und dadurch das Gesetz auf 872 Paragraphen vermehrt. Mit dem Bericht der Kommission, welchen der Abg. B e c k e r als Referent und der Abg. Forcade de B i a i x als Korreferent erstatteten, wurde die CPO nebst Einführungsgesetz Ende Oktober 1876 dem Plenum vorgelegt 13. Dieses überwies in der Sitzung vom 7. November 1876 die gegen die Kommissionsbeschlüsse 9

Die Mitglieder waren: Dr. M i q u é l , Oberbürgermeister, Vorsitzender; Dr. v. S c h w a r z e , General-Staatsanwalt, Stellvertreter desselben; E y s o l d t , Advokat; Dr. M a y e r , AG-Rath; Dr. S t r u c k m a n n l , OTr-Rath; T h i l o , Kreis-GerichtsDirektor, sämmtlich Schriftführer; Dr. B a h r , OTr-Rath; B e c k e r , OAG-Rath; B e r n a r d s , Land-Ger.-Rath; v. F o r c a d e de B i a i x , OTr-Rath; G a u p p , KreisGer.-Rath; Dr. G n e i s t ; Dr. G r i m m , Rechtsanwalt; H a u c k , Bezirksamtmann; H e r z , Bezirks-Ger.-Rath; v. J a g o w , Oberpräsident; K l o t z , Kreis-Ger.-Rath; K r ä t z e r , AG-Rath; Dr. L a s k e r ; Dr. L i e b e r ; Dr. M a r q u a r d s e n ; v. P u t t k a m e r , AG-Rath; P f a f f e r o t h , Oberamtsrichter; R e i c h e n s p e r g e r , OTrRath; v. S c h ö n i n g , Landrath; Dr. V o l k ; Dr. W o l f f s o n ; Dr. Z i n n . An Stelle des Abg. G r i m m trat für einige Sitzungen Dr. B l u m . Protokollführer: R. S y d o w , Dr. L. S e u f f e r t (später Assessor M e t t e n l e i t e r ) , Dr. Schreber. Die Kommission hat aus sich herausgesetzt eine R e d a k t i o n s k o m m i s s i o n : die Abg. Dr. B a h r , B e c k e r , Dr. v. Schwarze und in zweiter Lesung noch v. F o r c a d e de B i a i x und K l o t z . Auch hat sie für specielle Materien gelegentlich Subkommissionen gebildet (z. B. für das Entmündigungsverfahren). Anträge wurden entgegengenommen von Kommissionsmitgliedern oder sonstigen Mitgliedern des Reichstags. Vgl. Kommissionsber. zum GVG S 4. 10 Als solche funktionirten Direktor im Reichskanzleramt Wirkl. Geh. OberRegier.-Rath v. A r n s b e r g , Geh. Ob.-Reg.-Rath H a n a u e r , Reg.-Rath H a g e n s , Geh. Justizrath K u r l b a u m I I , Major B l u m e , Staatsanwalt; später AG-Rath Dr. H a u s e r , Minist.-Rath Hess, OTr-Rath ν. Κ ο h 1 h a a s, Geh. Justizrath Held. 11 Das ECPO wurde in erster Lesung berathen aml4.u. 16. Febr. 1876 (121., 123. Sitzung), in zweiter am 29. Juni 1876 (158. Sitz.). 12 In den Sitzungen vom 4. bis 10. Mai 1876 (126.—130. Sitzung). 13 Kommissionsbericht, Drucksachen Nr 9 (2. Leg.-Per. 4. Session 1876). Der Entwurf mit den Beschlüssen der Kommission : Drucksachen Nr 6.

§12.

c. Reichsgesetze ausserhalb der CPO.

155

erhobenen Bedenken des Bunclesraths14 wiederum an die RJK. Einige Aenderungen ihrer Vorschläge waren die Folge 15 . Am 18. November nahm der Reichstag die CPO nach den Kommissionsbeschlüssen in zweiter Lesung en bloc fast einstimmig an 1 6 . Das Einführungsgesetz zur CPO ward am 27. November ebenfalls nach den Beschlüssen der Kommission genehmigt. Nachdem infolge des sog. Kompromisses eine Verständigung zwischen der Majorität des Reichstags und dem Bundesrate über die als konnex behandelten übrigen Reichsjustizgesetze hergestellt war, erfolgte die definitive Annahme der CPO nebst EG am 21. Dezember 1876 „mit ganz überwiegender Majorität, fast Einstimmigkeit" 1 7 . Das Gesetz wurde nach Zustimmung des Bundesraths am 30. Januar 1877 durch den Kaiser vollzogen und mit Gesetzeskraft vom 1. Oktober 1879 in der Nr 6 des Reichsgesetzblatts vom 19. Februar 1877 verkündet. Die RJK hat den Inhalt ihrer Berathungen in Protokollen niedergelegt, über deren Werth als Auslegungsmaterial zu vergleichen ist unten § 22. Dieselben sind Résumés der Debatte unter Anführung der einzelnen Redner, aufgenommen von den Protokollführern und von den betreffenden Kommissionsmitgliedern revidirt 18 . Sie sind nicht amtlich veröffentlicht 19. Ihre authentische Form ist die Drucklegung für die Kommission bezw. den Reichstag20. § 12. Fortsetzung, c. Reichsgesetze ausserhalb der Civilprozessordnung. Unter diesen stehen als die wichtigsten obenan das R e i c h s gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 und die R e i c h s k o n k u r s o r d n u n g vom 10. Februar 1877. Ueber ihre 14 Sie waren untergeordnet und betrafen die CPO nur in 9, das ECPO in 2 Punkten. Vgl. Drucksachen Nr 22 (Entw zur CPO § 126 a. 205 a. 206. 349. 419. 450. 545. 601; die Konsequenzen der Beibehaltung selbständiger Handelsgerichte Entw zu ECPO § 2 a. 3. 16 Sitzungen vom 8., 9., 13. November (168., 169., 173. Sitzung), Drucksachen Nr 36. 16 Stenogr. Ber. S 167—175. 375-392. 17 Stenogr. Ber. S 1003. 1004. 18 Wie G a u p p als klassischer Zeuge in seinem Kommentar I S X X X I Anm versichert, hat dieses Verfahren „die Kongruenz der Erklärungen" sc. mit den Protokollen nicht gerade gefördert. 19 Ε. v. H a h n , Die gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen. Auf Veranlassung des Kaiserl. Reichsjustizamts herausg. II. Bd. Materialien zur CPO. 2. Abth. Berlin 1880. 20 Nach ihr citire ich.

156

§ 12. Quellen.

I. Reichsrecht.

Geschichte wird innerhalb des Handbuchs der deutschen Rechtswissenschaft an anderer Stelle referirt werden. Aber einer kurzen Betrachtung bedürfen hier einige andere, das Prozessrecht berührende Gesetze: die Rechtsanwaltsordnung und die Kostengesetze. I. Die R e c h t s a n w a l t s o r d n u n g 18781.

(RAO) vom 1. J u l i

Ihre Anregung und erste Grundlage empfing sie durch die Initiative der RJK. Sie hatte in den Entwurf des GVG als Titel IXa aufgenommen die Grundzüge der Organisation der Rechtsanwaltschaft in 21 Paragraphen und diesbezüglich in dem Einführungsgesetze 4 Paragraphen (§ 18 — 21) eingefügt. In Würdigung des Bedenkens, welches einer solchen fragmentarischen Behandlung der einheitlicher Erledigung bedürftigen Materie entgegenstand, gab der Reichstag in dritter Lesung des GVG die betreffenden Passus preis. Der Reichskanzler liess demzufolge auf Aufforderung des Bundesraths im Reichsjustizamt einen Entwurf einer RAO fertig stellen, welchem zum Theil werthvolle Materialien aus dem Anwaltsstande selbst zur Unterlage dienten. Am 6. Februar 1878 legte der Reichskanzler den Entwurf nebst Motiven dem Reichstage vor. Die Arbeit war gebaut auf die Grundgedanken der Freiheit, der Lokalisirung, der Residenzpflicht und Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft. Der Reichstag überwies sie einer Kommission, welche gebildet war durch 21 Abgeordnete2. Am 13. April 1878 vollendete sie ihre Arbeiten. Der Entwurf ging wesentlich, wenn auch nicht grundsätzlich umgestaltet aus ihrer Hand hervor. Etwa 59 Paragraphen waren theils geändert, theils neu eingefügt. Zu den einschneidendsten Beschlüssen gehörten solche über die Freiheit, Lokalisirung und Residenzpflicht. Nur theilweise fanden diese Vorschläge die Billigung des Reichstags. Nach der 1

M. S i e g e l , Die gesammten Materialien zu der RAO. Leipzig 1883. Vgl. auch E n t w u r f nebst Motiven in den Drucksachen des Reichstags 1878 (3. Legislaturperiode 6. Session), Kommissionsbericht Nr 173 und Verhandlungen des Reichstags Stenogr. Berichte I 9. 12, I I 1237—1267. 1269 — 1299. 1461—1476. 1495. Ausgaben mit Anmerkungen, bezw. Erläuterungen: J. V o l k , Nördlingen 1878; D a e m m i g , Dresden 1879; M. D e l h i s , Leipzig 1879; F. M e y e r , Berlin 1879. 2 Forkel, v. Puttkamer (Fraustadt), Struckmann, v. Vahl, Dr. Volk, Dr. Wolifson, Wölfel, Dr. Zinn, Eysoldt, Pfafferoth, Schröder (Lippstadt), Dr. Mayer, v. Gossler, v. Schöning, v. Heim, Forcade de Biaix, Grütering, Dr. Lingens, Dr. v. Schwarze, Klotz, Thilo; den Vorsitz führte v. Schwarze, stellvertretend Dr. Volk. An die Stelle des Abg. v. Gossler trat v. Bärensprung, des Abg. Schröder trat Horn, des Dr. Lingens der Abg. Bernards.

c. Reichsgesetze ausserhalb der CPO.

157

Annahme des amendirten Entwurfs wurde derselbe als Gesetz publient am 1. Juli 1878. II. Das K o s t e n - und Gebührenwesen ist eine überaus wichtige Seite der Rechtspflege. Durch die Art seiner Regelung kann die Wohlthat derselben erheblich verkümmert werden. Es bedurften der gesetzlichen Bestimmung einmal die Grundsätze über die Gerichtskosten, über die Gebühren der Zeugen und Sachverständigen, der Gerichtsvollzieher und der Rechtsanwälte. Die betreffenden Gesetze sind: a. Das sog. G e r i c h t s k o s t e n g e s e t z (GKG) vom 18. Juni 18783 verbunden mit dem Gesetz betr. die A b ä n d e r u n g von B e s t i m m u n g e n des G K G u. s. w. vom 29. Juni 1881. Die einheitliche Regelung des Gebührenwesens war mit der Justizreform so konnex, dass das ECPO § 2 ausdrücklich verordnete: „das Kostenwesen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wird für den ganzen Umfang des Reichs durch eine Gebührenordnung geregelt" und EGVG § 1 das gleichzeitige Inkrafttreten des GVG und der Gebührenordnung aussprach4. Die Aufgaben und Schwierigkeiten eines solchen Gesetzes liegen nicht nur auf dem wirthschaftlichen Gebiete, sondern auch auf dem technisch-juristischen, prozessualen. Es gilt neben dem angemessenen, den Rechtsweg nicht verkümmernden aber auch nicht die Prozesswuth begünstigenden Finanzzoll des Rechtswegs in den Kosten eine Réprimandé zu finden gegen Chikane und leichtfertige Ausnutzung der „freien Formen der Verhandlung". Das Gesetz ist fundirt auf das Pauschalsystem, auf die Gebühr nicht für den einzelnen Akt, sondern für den einzelnen Prozessabschnitt, und auf das System der progressiven, nach oben hin unbegrenzten Werthklassen: die Bemessung und Steigerung der Gebühr nach dem Werth des Streitgegenstandes. Ob das Gesetz dabei überall das richtige getroffen, hat das Reich selbst verneinend beantwortet durch Erlass der oben erwähnten Novelle. 3 E n t w u r f eines Gerichtskostengesetzes nebst einer Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher und einer Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige nebst Motiven und Anlagen. Berlin 1878. K o m m i s s i o n s b e r i c h t des Reichstags in den Drucksachen (3. Leg.-Per. 2. Session) Nr 228. V e r h a n d l u n g e n s. Stenogr. Ber. Bd. 1 S 509-511, Bd. 2 S 1344—1348. 1476—1480, Ausgabe mit Erläuterungen von einem Mitglied der Justizkommission des Reichstags. Nördl. 1878; P f a f f e r o t h , 3. Aufl. Berlin 1881; S t i e g e l e , Stuttg. 1879; G. R i c h t e r , Sebnitz 1879; B e c k e r und G r o c h , 4. Aufl. Berlin 1883; v. S t e n g e l , Das Gebührenwesen im Deutschen Reich und Königr. Bayern, 2. Aufl. Nördl. 1880. 4 Vgl. auch Prot der RJK S 363.

158

§ 12. Quellen.

I. Reichsrecht,

c. RGes auss. d. CPO.

Durch das G vom 29. Juni 1881 sind 19 Paragraphen der Gebührenordnung theils geändert, theils neu eingefügt (§ 80a. 80b), von denen nur einige nicht auf den Civilprozess Bezug haben5. Die Tendenz ist Abminderung der Gebührenhöhe6. b. Die G e b ü h r e n o r d n u n g f ü r Zeugen und Sachvers t ä n d i g e (GOf.ZS) vom 30. Juni 1878 stellt sich als Ausführungsgesetz zu den §§ 366. 378 der CPO (bezw. §§ 70. 81 der StPO) dar und schliesst sich eng an das preussische Gesetz vom 1. Juli 1875 an 7 . c. Die G e b ü h r e n o r d n u n g f ü r G e r i c h t s v o l l z i e h e r (GO f. GV) vom 24. Juni 1878 nebst dem ang. Gesetz betr. die Aenderung von Bestimmungen des GKG und der GO f. GV vom 29. Juni 1881 war nur eine nothwendige Folge der Konstruktion dieser Vollstreckungsbehörde und des Postulats möglichst gleichmässiger Belastung der Parteien. Der erstere Gesichtspunkt, die grosse Verantwortlichkeit und relative Selbständigkeit der Behörde gegenüber dem Gericht erheischte die Ermöglichung ihrer freien ausgiebigen wirtschaftlichen Stellung durch Anweisung auf die Gerichtsvollziehergebühren 8. Allerdings ist dieses Motiv nicht durch das Gesetz gesichert; denn § 24 Nr 2 stellt es der Landesgesetzgebung anheim, ob sie dasselbe zur Geltung kommen lassen oder durch feste Gehaltssätze aufgeben will 9 . d. Die G e b ü h r e n o r d n u n g für R e c h t s a n w ä l t e (GOf.RA) vom 7. Juli 1879 10 wurde entworfen alsbald nach der Publikation der RAO und vor der Vorlage an den Bundesrath einer Prüfung und Umarbeitung unter Beirath von Vertretern des Anwaltsstandes unterzogen. Im Februar 1879 dem Reichstag vorgelegt und einer Komfi

Art. 1 Nr 14. 15. 16. Vgl. z. B. Art. 1 Nr 1, § 22 Nr 2, § 23 Nr 3, § 35 u. s. w. 7 Vgl. Mot (Berlin 1878) S 218. 8 Diesen Gedanken führen die Motive S 170 aus. 9 Die Motive rechtfertigen das als willkommenes Auskunftsmittel zur Vermeidung all zu hoher Einnahmen der Gerichtsvollzieher einerseits und zur Sicherung ihrer Position durch Zuschüsse andererseits (S 183). Nicht entspräche ihnen eine staatliche Besoldung derselben, welche durch ihre Geringfügigkeit die Selbständigkeit, Unbestechlichkeit und Tüchtigkeit nicht ausreichend garantirte. 10 Entw einer Gebührenordnung für Rechtsanwälte nebst Mot und Anlagen, Berlin 1879 — auch Drucksachen des Reichstags 1879 Nr 6; Kommissionsbericht Nr 137. 224; Verhandlungen des Reichstags, Stenogr. Ber. I 17 if., I I 894 ff. 918 f. 1573. 1679. Ausgaben mit Erläuterungen: Fr. M e y e r , Berlin 1879; V o l k , Nördl. 1879; W o l t e r s und P e t e r s , Limburg 1879; B ö g e r und L a n g e , Kiel 1880; R. W a l t e r , Berlin 1885. Vgl. auch P f a f f e r o t h , Handbuch für das Anwaltsgebührenwesen. Berlin 1879; Fr. H a c k e , Gebühren der Rechtsanwälte. Berlin 1879; Syst. L e i t f a d e n zum prakt. Gebrauch der RGO. Berlin 1880. 6

§13.

Quellen.

II. Landesrecht.

159

mission überwiesen, gelangte sie nach wiederholter Berathung und Berichterstattung der Kommission zur Annahme. Die Grundgedanken waren durch die RAO und das GKG bereits gegeben; auf ihnen fusst das Gesetz. Das System der Pauschquanta und der progressiven Werthklassen erscheint verbunden mit dem Grundsatz eventueller Vertragsfreiheit 11. III. Mit den unter Nr I I aufgeführten Gesetzen ist die Zahl der civilprozessualen reichsgesetzlichen Bestimmungen nicht annähernd erschöpft. Vermöge des ECPO § 13 Abs 1 sind die prozessrechtlichen Vorschriften der Reichsgesetze neben der CPO aufrecht erhalten, sofern nicht ihre Aufhebung besonders ausgesprochen wird. Von ihrer Aufzählung nach der einen und anderen Seite ist abzusehen12. Es wird auf sie gelegentlich der betreffenden Materien in der systematischen Darstellung einzugehen sein. Als wichtige in den Civilprozess hineinragende Gesetze mögen hier genannt werden: das Patentgesetz vom 25. Mai 1877 § 27 — 32. 37. 39, Gesetz betr. die Beglaubigung öffentlicher Urkunden vom 1. Mai 1878, Gesetz betr. die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners ausserhalb des Konkursverfahrens vom 21. Juni 1879, das Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883 § 53. 58. 65. 72. 73, das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 § 62. 63. Das Gebiet der Civilprozessordnung, d. h. das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten, berührt nicht die Konsulargesetze : Gesetz betr. die Bundeskonsulate vom 8. November 1867, über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879. § 13. Fortsetzung.

II.

Landesrecht.

I. Neben dem Reichsrecht gilt Landesprozessrecht in bedeutendem Umfange. Es kann, wie schon oben S 129 bemerkt, das grundsätz11

Zur Charakteristik s. einstweilen m e i n e Vorträge S 68 f. Zusammenstellungen s. u. a. bei S t r u c k m a n n - Κ o c h , ECPO § 13 Nr 2; v. W i l m o w s k i - L e v y , ECPO § 13 Anm 2 S 1023; S e u f f e r t S 1000 f. 1 Ausser den officiellen Gesetzsammlungen sind zu nennen als Sammlungen und Bearbeitungen von Landesgesetzen, welche zur Ausführung und Ergänzung des Reichsrechts dienen: I. Allgemeine: v. W i l m o w s k i und Levy, Ausführungsund Uebergangsgesetze zur Reichscivilprozessordnung. Berlin 1880 ; v. W i 1 m ο w s k i, Ausführungs- und Uebergangsgesetze zur Reichskonkursordnung. Berlin 1880; auch J a h r b . der d e u t s c h e n G V , herausg. auf Veranlassung des RJ-Amtes von Pfafferoth. Berlin 1880. S 7 f. (z. GVG). II. Für einzelne Territorien unter wesentlicher Berücksichtigung der Prozess- nicht Verfassungsgesetze noch KO: 1. Baden: B i n g n e r , Das badische EG zu den RJG mit Erläuterungen. Heidelb. 1879; J u s t i z g e s e t z e für das Grossh. Baden. Mannh. 4. Abth.: K a m m , CPO 12

160

§ 1.

Quellen.

I.

esrect.

liehe Verhältniss beider nicht an dieser Stelle erörtert werden. Dagegen ist eine knappe Uebersieht zu geben über die partikularrechtund KO für das Deutsche Reich nebst Ergänzungen. 6. Abth.: K a m m und He Insh e i m e r , Ges und V über Gerichtsverfahren, Rechtsanwaltschaft, Gerichtskosten, Gebühren. 1880. — 2. Bayern: R e b e r , Ausg. der Justizgesetze: V I I I ff.: V I I I Ausfuhrungsgesetz zur RCPO und KO für das Königr. Bayern 1879, IX BayEG zur KO und bayer. Subhastationsordnung 1879, X I I Vollzugs Vorschriften zu den Justizgesetzen von 1877—1879, 2 Theile 1880; ausserdem mehrere Handausg. der Ausführungsgesetze vom 13. und 23. Febr. 1879. — 3. Braunschweig: M a n s fei d, Die Braunschweigischen AG zu den RJG mit Regierungsmotiven und Erläuterungen. Braunschw. 1879. — 4. Elsass-Lothringen : AG« für Els.-Lothr. betr. GV, CPO, KO, StPO und V zur Ausf. der RJG (Lois d'exécution etc.). Strassb. 1879; AGe und V 1 1 zu den RJG (Les lois et ordonnances d'exécution etc.). Strassb. 1880; auch S a m m l u n g von Ges11, V», Erlassen, Verfügungen betr. die Justizverwaltung in Els.Lothr., bearb. und herausg. im Parket des königl. Generalprokurators zu Kolmar. Strassburg Bd. 4 u. 5. — 5. Hamburg: H i r s c h , Hamb. AG e , Verträge und V zu den RJG. Hamburg 1879. — 6. Hessen-Darmstadt: AGe zu den RJG, amtl. Handausg. Darmst. 1879; AVn zu den RJG, amtl. Handausg. Darmst. 1879; Mat e r i a l i e n zu den die Ausf. der RJG betr. Hess. Ges. Darmst. 1878. 1879. Bd. 1—4. — 7. Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz: v. Arnsberg, Va zur Ausf. der RJG für das Grossh. Mecklenb.-Schw. und Mecklenb.-Str., für den praktischen Gebrauch erläutert. Schwerin 1870; D ü b e r g , Mecklenb. AV» zu den RJG (Text mit Anm). Wismar 1879. — 8. Preussen: P r e u s s i s c h e mit den RJG in Kraft tretende Ges, amtl. Ausg. Berl. 1879; AGe zu den RJG mit einem Anh. enthaltend RG zur Ergänzung der JG e und dem Etat der Justizverwaltung, 2. Ausg. Berl. 1880; S y d o w , Die preuss. AG und V zu den RJG (Text mit Anm). Berl. 1879; W. H a r t m a n n , Die preuss. EG zu den RJG mit erläut. Anm. Berl. 1879; S t r u e km an η - K o ch, Die preuss. AG zu den RJG mit kurzen Erläuterungen. Berl. 1879. Ergänzungsheft 1881; R u d o r f f , Die AG, V, Verfüg, zu den vier grossen RJG. Kassel 1880; P. K a y s e r , Die gesammten RJG und die sämmtlichen in Preussen erlassenen A- und Erg.-Ges, V, Erlasse und Verfügungen nebst den Entsch des RG und KammerG. 3. Aufl. Berlin 1882; Die preuss. M i n i s t e r i a l v e r f ü g u n g e n und Geschäftsanweisungen zur Ausf. der RJG. Berl. 1880. Suppl. Berl. 1880 f.; Die ges. M a t e r i a l i e n des preuss. AG zum GVG. Berl. 1878.— Zur SubhastationsO v. 13. Juli 1883: K r e c h - F i s c h e r , Die preuss. Ges betr. die Zwangsvollstreckung v. 13. Juli 1883. Berl. 1883 (Text mit Anm); dies., das. mit Einl., Kommentar. Berl. 1884; J ä c k e l , Die Zwangsvollstreckung in Immobil. 2. Aufl. Berl. 1885 (Komm.); R u d o r f f , Die Zwangsvollstr. in das unb. Vermögen. Berl. 1883. (Komm.).; W. D o r e n d o r f , Ges betr. Zwangsvollstr. in das unb. Verm. Breslau 1883 (Komm.); V o l k m a r , Ges betr. die Zwangsvollstr. in d. unb. Verm. Berl. 1883 (Komm.); S t e g e m a n n , Die Materialien zum Ges v. 13. Juli 1883, Anh. der Materialien zum Ges v. 18. Juli 1883. Berlin 1883. — 9. Sachsen: K ö n i g l . sächs. A G zu den JG für das Deutsche Reich. Dresden 1879; Ges* und V» zur Ausf. der RJG für das Königr. Sachsen, 3 Abth. Leipzig 1880; S c h u r i g , Die königl. sächs. Subhastationsordnung v. 15. Aug. 1884, AV v. 16. Aug. 1884, Ges betr. Kosten der Zwangsvollstr. v. 18. Aug. 1884. Leipzig 1884.— 10. Sachsen-Weimar: Staatsverträge, G© und V» zur Ausf. der RJG im

§ 13.

Quellen.

II. Landesrecht.

161

liehe seit den RJG erwachsene2 Quellenniasse. Eine chronologische Zusammenstellung ist aus verschiedenen Gründen nicht Bedürfniss. Sie existirt in ausreichendem Maasse in der „Uebersicht der für das Deutsche Reich und die deutschen Bundesstaaten erlassenen Ausführungs- und Ergänzungs-Gesetze bez. Verordnungen zu den Reichsjustizgesetzen'1, welche der in Heymanns Verlag, Berlin, erscheinende Terminkalender f. RA Jahrgang 1882 brachte 3. Ueberdies ist sie für die Zwecke eines systematischen Werkes nicht förderlich. II. Das völlig neue Prozedursystem und die totale Umwälzung der Gerichtsverfassung, welche CPO und GVG brachten, nöthigten die Landesgesetzgebung auch dort, wo das Reichsrecht das bestehende Landesrecht nicht brach, zu reformiren. Die Folge ist eine intensive Thätigkeit derselben und eine Fülle partikularer Gesetze gewesen. Soviel sie lediglich die GV oder KO berühren, bleiben sie für uns hier ausser Betracht. Es lassen sich die Partikulargesetze sondern, je nachdem sie der Ausführung aller RJG oder doch einiger oder eines von ihnen dienen ( „ A u s f ü h r u n g s - " oder „ E i n f ü h r u n g s - G e s e t z e " ) 4 , oder Grossh. Sachsen im Auftr. des grossh. sächs. Staatsminister, herausg. Weim. 1880.— 11. Württemberg: Kohlhammersche Ausg. der RJG« und der württemb. AG«. Stuttg. 1879. 1880 (Handausg. mit Erl. auf Grund der amtl. Mat. herausg. von Stiegele, Hegler); Württemb. AG« zu den RJG nebst den einschläg. Ges11 und V». Würzburg 1880. 2 Eine Aufzählung der in Kraft gebliebenen prozessualen landesgesetzlichen Bestimmungen ist um der Massenhaftigkeit des Stoifs und der weiten Verzweigung des Gegenstandes willen unthunlich. Vgl. unten § 16. 3 Vgl. auch R. S y d o w , CPO mit GVG, EG, Nebengesetzen und Ergänzungen (Text u. Anm), Abschn. IV u. IX. 4 Aus dem Jahre 1879: A n h a l t ACPO v. 10. Mai; B a d e n Ges die Einf. der RJG betr. v. 3. März; B a y e r n Ges die Ausf. der RCPO und der RKO betr. v. 23. Febr., V den Vollzug des Art. 6 Abs 3 des Ges v. 23. Febr. betr. v. 14. Juli, Bekanntmach, den Vollzug der §§ 167. 678. 679 der CPO betr. v. 16. Aug., V den Vollzug des Art. 171 des Ges v. 23. Febr. betr. v. 20. Sept.; B r a u n s c h w e i g AG zur CPO, StPO und KO v. 1. April; B r e m e n Ges betr. Ausf. der deutschen PG und der KO ν. 25. Juni; E l s a s s - L o t h r i n g e n V zur Ausf. der RJG v. 13. Juli, AG zur CPO, KO, StPO v. 8. Juli; H a m b u r g ACPO v. 14. Juli; H e s s e n AG zur CPO und KO ν. 4. Juni; L i p p e AG zur CPO v. 26. Juni, Ges die Einf. mehrerer im Königr. Preussen zur Ausf. der RJG erlassenen Ges in dem dem preuss. Amtsger. zu Lippstadt angeschlossenen Amte Lipperode und Stift Cappel betr. v. 4. Sept. und dazu Allg. Vfg v. 19. Sept.; L i p p e - S c h a u m b u r g AG zum GVG und den gleichzeitig mit demselben in Kraft getretenen RGes v. 30. Juni und dazu V v. 20. Sept., Ges v. 22. April 1880, V v. 11. Juni 1880; L ü b e c k V die Ausf. der CPO betr. v. 3. Febr.; M e c k l e n b u r g - S c h w e r i n und - S t r e l i t z V zur Ausf. Binding, Handbuch

IX. 2. I :

W a c h , Ciyilprozess. I .

11

162

§1.

Quellen.

I.

esrect.

Uebergangs best i m m u n gen enthalten5 (wenn diese nicht schon in der ersten Gruppe enthalten sind), oder sich mit e i n z e l n e n M a t e r i e n befassen. Diese Gruppe scheidet sich vorzüglich in folgende Kategorien: 1. Die Ausführungsgesetze zu den Kostengesetzen, dem deutschen GKG und den Gebührenordnungen 6. Hierher zähle ich der CPO v. 21. Mai; O l d e n b u r g (Herzogth.) Ges betr. die Einf. des GVG und der gleichzeitig mit demselben in Kraft tretenden RGes v. 10. April, V betr. die Einf. des GVG und der gleichzeitig usw. v. 10. April: B i r k e n f e l d Ges betr. die Einf. des GVG usw. v. 10. Mai, V betr. die Einf. des GVG usw. v. 10. Mai; Fürstenth. L ü b e c k Ges betr. die Einf. des GVG und der gleichzeitig usw. v. 2. April, V betr. die Einf. des GVG usw. v. 2. April; P r e u s s e n AG zur CPO v. 24. März; S a c h s e n Ges einige mit der CPO zusammenhängende Bestimmungen enth. vom 4. März, V zur Ausf. der §§ 4 ff. des Ges v. 4. März vom 16. Sept.; T h ü r i n g i s c h e S t a a t e n und zwar A l t e n b u r g AG zur CPO v. 25. März; K o b u r g - G o t h a AG zur CPO v. 7. April; M e i n i n g e n AG zur CPO v. 6. Juni; R e u s s ä. L. Ges zur Ausf. der CPO und des ECPO v. 6. Mai; Reus s j. L. AG zur CPO v. 22. Febr., Nachtragsges. zum ACPO v. 19. Sept.; S c h w a r z b u r g R u d o l s t a d t Ges betr. die Ausf. der CPO und KO ν. 1. Mai; S c h w a r z b u r g S o n d e r s h a u s e n AG zur CPO ν. 17. Mai; W e i m a r Ges betr. Ausf. der CPO und KO v. 10. März; W a l d e c k Ges v. 1. Sept. betr. die Einf. der preuss. AG zur CPO v. 24. Mai; W ü r t t e m b e r g AG zur CPO v. 18. August. 5 In den Ausführungsgesetzen (s. die vor. Anm) geben die Uebergangsbestimmungen u. a. B a d e n EG v. 3. März §144—160; B a y e r n AG v. 23.Febr. Art. 225 if.; B r e m e n AG v. 25. Juni § 24 if.; E l s a s s - L o t h r i n g e n AG v. 8. Juli § 34 ff.; H e s s e n AG v. 4. Juni Art. 201 ff.; L ü b e c k AV v. 3. Febr. Art. 6 ff.; die b e i d e n M e c k l e n b u r g V v. 21. Mai § 32 ff.; W ü r t t e m b e r g AG v. 18. Aug. Art. 34 ff. — Selbständige Uebergangsgesetze haben im Jahre 1879 erlassen: A n h a l t 10. Mai; B r a u n s c h w e i g 1. April; H a m b u r g 14. Juli und Rev. Uebergangsbest. v. 17. Sept.; L i p p e V v. 26. Juni; P r e u s s e n 31. März; Sachsen 12. März, V v. 2. Mai; die T h ü r i n g i s c h e n S t a a t e n und zwar A l t e n b u r g 27. März; K o b u r g - G o t h a 7. April; M e i n i n g e n 19. Juni; R e u s s ä . L. 10. Mai; Reuss j. L. 22. Febr.; S c h w a r z b u r g - R u d o l s t a d t 26. April; S c h w a r z b u r g - S o n d e r s h a u s e n 19. Mai; W e i m a r 11. Mai; W a l d e c k Ges v. 1. Sept. betr. die Einf. der preuss. Ges betr. die Uebergangsbest. v. 31. März. 6 Im Jahre 1879: A n h a l t AGKG usw. v. 10. Juli; B a d e n EG zum GKG v. 22. März; B a y e r n AV zum GKG v. 20. Sept., Bekanntm. den Vollzug des GKG usw. betr. v. 28. Sept., V die Gebühren der Gerichtsvollzieher betr. v. 6. Sept.; B r a u n s c h w e i g AGKG und GebührenO v. 11. Juli; B r e m e n AGKG v. 21.Sept.; H a m b u r g AGKG und zu den GebO für Gerichtsvollz., für Zeugen und Sachverständige v. 14. Juli; H e s s e n Ges die Ausf. des GKG und die GebO betr. v. 30. Aug., V die GK und Geb betr. v. 30. Aug., V den Ansatz, die Erhebung und Beitreibung der GK betr. v. 11. Sept., Bekanntm. die Erheb, der GK betr. v. 22. Sept., V v. 31. Mai 1880, Bekanntm. v. 1. Juni 1880, V die GK und Geb betr. v. 18. Jan. 1882; L i p p e AGKG usw. v. 26. Juni, AG zur GO f. RA v. 12. Febr. 1880; die b e i d e n M e c k l e n b u r g AV z. GKG usw. v. 3. Juni, AV z. GO f. RA v. 22. Sept.

§ 13.

Quellen.

163

II. Landesrecht.

auch, obschon dieser Gesichtspunkt den Inhalt der fraglichen Gesetze keineswegs erschöpft , die das Kassenwesen betreffenden Gesetze und .; P e t e r s e n S 367 u. A. m. 17 *

260

§ 20. Gegenstand und Zweck der Auslegung.

nicht der blossen Worte, noch auch nur des mittels des Wortes erkennbaren Sinnes sei, der gesetzgeberische Wïlle somit nothwendig sich mit demjenigen Sinne deeke, welchen die Gesetzesverfasser mit den gebrauchten Worten verbunden hatten." Erst infolge der Reichsgesetzgebung sei die Unmöglichkeit eines mehrfachen Sinnes des HGB für die verschiedenen Bundesstaaten gegeben und der einheitliche Sinn nach wie vor der der Gesetzesverfasser 12. Der Grundirrthum dieser Deduktion ist die Schlussfolgerung aus der Natur des Gesetzgebungsaktes als einer in den Worten nur mehr oder weniger vollkommen ausgedrückten Willenserklärung auf die in Ermangelung anderweiten nachweisbaren Wollens nothwendige Aneignung eines originären Autorwillens. Es wird verkannt, dass auch die mit keinerlei Vorstellung vom Inhalt der Worte verbundene Publikation Willenserklärung und zwar des im Gesetz objektivirten Willens ist, und dass dieser nach den obigen Ausführungen keineswegs nur der mittels der Worte erkennbare Sinn, sondern der durch historische und rationelle Auslegung nach Sprach- und Denkgesetzen aus dem Gesetz, als einem durch menschliche Handlungen entstandenen vernunftmässigen Bestandtheil der konkreten Rechtsordnung zu entwickelnde Sinn ist. Dieser aber ist keineswegs nothwendig der des Gesetzesverfassers 13. Wer aber in dem Publikationsakt einen Aneignungsakt bestimmten, anderweit geäusserten Willens findet, bezieht diesen in das Gesetz ein, macht ihn zu dessen Bestandtheil, gleich der mit ihm publicirten Erklärung. V. Zu nahezu gleichem Resultat gelangt eine andere Theorie für das k o n s t i t u t i o n e l l e Gesetz durch Argumentationen aus den seine Entstehung bestimmenden Normen. Es wird behauptet, dass, da begrifflich der Beschluss des einzelnen sogen, gesetzgebenden Faktors 12

G o l d s c h m i d t , Handb. I 312; Ζ f. HR X 45 ff. G o l d s c h m i d t hat das selbst bewiesen; indem er einerseits anerkennt, dass die einzelnen publicirenden Regierungen eine von dem Wollen des Gesetzesverfassers verschiedene Vorstellung mit den Gesetzesbestimmungen verbinden konnten, und doch eine einheitliche Bedeutung für die unveränderten publicirten Bestimmungen des Entwurfs in den verschiedenen Staaten des alten Bundes in Anspruch nimmt, erkennt er als Gesetzesinhalt den objektivirten Willen an, welcher uns jeder Untersuchung darüber überhebt, wie die einzelnen Regierungen das Gesetz auffassten und was sie demgemäss mit ihm auszusprechen glaubten und aussprechen wollten. Auch erscheint es unvereinbar, wenn G o l d s c h m i d t das Wollen des Gesetzesverfassers als das vom Gesetzgeber angeeignete und daher für den Interpreten maassgebende erklärt und doch den Materialien des IIGB nur die Bedeutung einer Privatarbeit beimisst. 13

§ 20. Gegenstand und Zweck der Auslegung.

Willenserklärung, nicht nur Wortäusserung sein müsse, da verfassungsmässig das konstitutionelle Gesetz zur Voraussetzung habe die materielle Uebereinstimmung der sogen, gesetzgebenden Faktoren d. h. die Uebereinstimmung im Willen, der Inhalt des Gesetzes derjenige Sinn sei, über welchen man sich g e e i n i g t habe; diese Einigung wiederum sei zwar nicht Gegenstand eines ausdrücklichen Beschlusses, sondern erfolge stillschweigend. Und zwar geschehe das, weil angesichts einer direkten Erklärung über den Sinn einer Bestimmung seitens eines Gesetzgebungsfaktors cler andere sich jener durch widerspruchslose Annahme des Gesetzes anschliesse ; eine abweichende Auffassung könne beachtlich nur sein, wenn sie geäussert werde, und jeder Faktor sei verpflichtet, entweder die Vorlage anzunehmen im Sinne der ihr von der anderen Seite gewordenen Erklärung, oder eine Textesänderung vorzuschlagen, widrigenfalls er jene zur seinigen mache. Eine solche direkte aus der Erklärungspflicht folgende Aneignung aber liege vor, wenn sie amtlich durch die kompetente Person in Erklärungsabsicht zur richtigen Zeit am richtigen Orte dem andern Gesetzgebungsfaktor gegeben sei. Kompetent zur Erklärung seien Regierungskommissare hinsichtlich der Regierungsvorlagen, die ständischen Deputationen hinsichtlich ihrer Amendements und eigenen Gesetzesentwürfe, einzelne Antragsteller hinsichtlich ihrer Anträge kraft besonderer Autorisation. Wenn die genannten Voraussetzungen einer „direkten Erklärung" und ihre stillschweigende Annahme vorliegen, so soll damit voller Beweis des gesetzgeberischen Willens erbracht und jene Erklärung schlechthin für den Ausleger maassgebend sein. Die Prämissen dieser Theorie sind unhaltbar. Das Parlament beschliesst nur über den Text, nicht über den Sinn des Gesetzes; die Uebereinstimmung der sogen, gesetzgebenden Faktoren ist nicht Vertrag über den bestimmten Sinn, sondern vereinbarte Feststellung des Textes. Die gegentheilige Annahme ist mit den Thatsachen unvereinbar und verliert sich in willkürliche Fiktionen. Verschiedene Auffassungen des Textes oder völlige Gedankenlosigkeit über dessen Sinn i n n e r h a l b der M a j o r i t ä t cles einen Gesetzgebungsfaktors und die offene Aussprache solcher Meinungsverschiedenheiten berühren die Giltigkeit des Beschlusses und seine Einheitlichkeit nicht' 4 . Ebenso könnte der Mangel der Uebereinstimmung über den Sinn des Textes zwischen den v e r s c h i e d e n e n G e s e t z g e b u n g s f a k t o r e n durch kontestirte Meinungsverschiedenheiten erhellen, ohne dass bei Einigung über den Text die konstitutionellen Voraussetzungen der Gesetzespublikation 14

Die materielle Konsenslehre muss zur Nichtigkeit des Gesetzes gelangen.

262

§ 20. Gegenstand und Zweck der Auslegung.

beeinträchtigt würden 15 . Wenn feststeht, dass Gesetzeswille der im Gesetz objektivirte Wille ist, so wäre Einigung über den Sinn ein Luxus, den sich die parlamentarische Schwerfälligkeit nicht erlauben darf und den zu befriedigen ihr die Mittel fehlen. Wenn aber bei konstitutionellen Gesetzen nicht der objektivirte Wille, sondern cler materielle Konsensgehalt das Gesetz sein sollte, so müsste allemal Einigung über den Sinn erfolgen und wäre eine authentische Interpretation seitens des Autors der Vorlage bez. des Antragstellers ganz unerlässlich. Die für die gegnerische Theorie zur Konstruktion stillschweigender Uebereinstimmung erforderliche Pflicht, sich den vom anderen gesetzgebenden Faktor ausgesprochenen Sinn anzueignen oder zu widersprechen, liesse sich nur begründen, wenn zum m i n d e s t e n für den die gesetzgeberische Initiative ergreifenden Faktor die Pflicht bestünde, seine Vorlagen und Anträge mit erschöpfender Sinneserklärung zu versehen. Eine Vorlage, bei welcher die Regierung ausdrücklich erklärt, dass sie keine Motive beifüge oder wohl gar die beigefügten Motive nicht vertrete, wäre eine unvollständige, ihre Annahme ein unverständlicher Beschluss, ihre Publikation ein unverbindlicher Akt. VI. Wir machen die Nutzanwendung auf die R e i c h s j u s t i z gesetze. Es kommen in Betracht ihre Motive, die Erklärungen der Vertreter des Bundesraths innerhalb des Reichstags und der Reichsjustizkommission (RJK), die Aeusserungen (Anträge, Debattirungen) einzelner Parlamentsmitglieder hier oder dort, die Berichte der Referenten der RJK im Reichstag, die Beschlüsse desselben, die Beschlüsse der RJK und der Redaktionskommission, die Beschlüsse des Bundesraths. 1. Die M o t i v e . Der Justizminister Dr. Leonhardt, der Bevollmächtigte zum Bundesrath für das Königreich Preussen, erklärte namens der verbündeten Regierungen im Reichstage bei der Vorlage der Reichsjustizgesetze, dass die verbündeten Regierungen die Vertretung der Motive nicht übernähmen, weil ihre Prüfung weder im Justizausschusse des Bundesraths, geschweige denn im Bundesrathe stattgefunden habe, noch der Natur der Sache nach habe stattfinden können 16 . Die 16

Auch hier müsste die Konsenstheorie Nichtigkeit annehmen. Stenogr. Berichte des Reichstags, 2. Legislatur - Periode 2. Session 1874 u. 1875, S 275. 276. Aehnlich v. A r n s b e r g in der RJK (Prot S 138. 139) auf die Frage des Abg. E y s o l d t : wieweit die Regierung sich für den Inhalt der Motive der CPO verantwortlich halte und inwieweit sie der Ausdruck der Intentionen der Regierung seien: „Die gegenwärtigen Motive seien, wie bereits an anderer Stelle officiel! erklärt worden, von dem Bundesrath nicht beschlossen. Sie 16

§ 20.

Gegenstand und Zweck der Auslegung.

Aeusserung bezog sich auf die vorgelegten Gesetzesentwürfe über die Gerichtsverfassung, clas Civil- und Strafverfahren, auf die vorzulegenden über clas Konkursverfahren, die Rechtsverhältnisse der bei dem obersten Gerichtshofe fungirenden Rechtsanwälte und das Gebührenwesen. Ihre Motive sind also keine Erklärungen des Bundesraths über den Sinn des Gesetzes. Sie sind geblieben, was sie waren, Vorbereitung des Gesetzes17. 2. Aeusserungen von R e g i e r u n g s v e r t r e t e r n im Reichstag oder in der RJK. Sie dürfen als gleichwerthig behandelt werden, denn war auch die Kommission nicht der Reichstag, so konnte doch auch in ihr eine Erklärung namens und im Auftrage des Bundesraths abgegeben werden. Dass der Bundesrath nicht zu den Beschlüssen erster Lesung der RJK durch den Mund seines Vertreters bei der zweiten Lesung Stellung nahm, lag lediglich in verzögerter Berathung. Der Inhalt der fraglichen Aeusserungen war sehr verschieden. Hier interessiren nur diejenigen, welche interpretativ waren. Solche sind, zumal in der RJK, zahlreich erfolgt. Häufig erklärte der Direktor im Reichskanzleramt oder ein Regierungskommissar, dass etwas „Absicht, Sinn, Intention des Entwurfs sei" oder „nicht sei", „dass die Regieningen einer bestimmten Auffassung huldigten", „dass etwas selbstverständlich sei" 1 8 . Solchen Erklärungen kann an sich die Bedeutung einer bindenden Interpretation nicht zukommen. Die Mitglieder der Kommission wurden durch sie nicht der Prüfung überhoben, ob der angebliche Sinn wirklich dem Entwürfe entsprach. Das war offenbar die Meinung sowohl der Regierungsvertreter, wie der Abgeordneten. Jene stellten sich korrekt auf den Standpunkt, dass den Vorlagen objektiv ein besetzen sich aus verschiedenartigen Bestandteilen zusammen. Theils seien in ihnen officielle Bemerkungen, hergenommen aus der Motivirung der Anträge im Bundesrath, theils auch Stellen aus den Protokollen des Bundesraths enthalten, zum Theil aber tragen sie den Charakter einer mehr wissenschaftlichen Ausarbeitung. Immer aber seien sie im Sinne und im Geiste der vom Bundesrath gefassten Beschlüsse abgefasst, nur dürfen sie nicht als die Motive des Bundesrathes angesehen werden. Es verhalte sich mit ihnen ebenso wie mit den Motiven des Strafgesetzbuchs." 17 Aber nicht nur „Privatarbeit" von (nur von!) sog. wissenschaftlichem Werth gleich irgend welcher Auslegungsarbeit. Vgl. darüber unt. S 283. 18 Prot der RJK S 8 zu § 14 des Entwurfs, S 9 zu § 21, S 10 zu § 25, S 11 zu § 31, S 14, S 25 zu § 64, S 34 zu § 94, S 40 zu § 103, S 51 zu § 125, S 53 zu § 126, S 64 zu § 148. 172, S 75 zu § 195. 197, S 89 zu § 242, S 90 zu § 243, S 96 zu § 263, S 99 zu § 267. 268, S 102 zu § 271, S 103 zu § 276, S 105 zu § 280, S 108 zu § 283, S 115 zu S 294, S 116 zu § 305, S 125 zu § 314. 315. 322 u. oft.

264

§ 20. Gegenstand und Zweck der Auslegung.

stimmter Sinn innewohne; daher bediente sich Herr v. Arnsberg mit Vorliebe objektiver Ausdrücke, daher konstatirte er auch wohl, dass etwas Interpretationsfrage sei und sich nicht ohne weiteres aus einer Gesetzesstelle entnehmen lasse19. Die Kommission ihrerseits beruhigte sich keineswegs bei den Regierungserklärungen, wenn sie mit der Vorlage an sich einverstanden war; sie sagt aus, was nach jener „selbstverständlich ist" 2 0 . Man debattirte darüber, ob etwas Inhalt des Entwurfs im Sinne solcher Erklärungen sei, und man hatte allen Grund dazu, denn es ist nachweisbar, dass sich die Regierungsvertreter bei aller Trefflichkeit ihrer Ausführungen wiederholt über den wahren Sinn cles Entwurfs geirrt haben21. Aber wie dem auch sei, unter keinen Umständen lag in den Auslegungen der Regierungsvertreter eine authentische Interpretation; das selbst dann nicht, wenn ihnen die Kommission beipflichtete und die betreffende Bestimmung durch den Bundesrath sanktionirt wurde. 3. M e i n u n g s ä u s s e r u n g e n cler e i n z e l n e n M i t g l i e d e r in der RJK sind an dieser Stelle nicht in Frage 22 . Die Antragsteller geben wohl an, was sie mit ihren Anträgen wollen ; damit wird nicht ausgeschlossen, dass diesen an sich und eingefügt in das Gesetz eine andere Bedeutung zukam. Es besitzen solche Autorinterpretationen keinen andern Werth als den, welchen die Motive des Entwurfs haben. Die Beschlüsse der R J K sind theils unveränderte Annahme des Entwurfs, theils veränderte Annahme, theils Ablehnung oder Einfügung neuer Bestimmungen. Die Gründe, welche die RJK bei dem einen oder anderen Beschlüsse bestimmten, waren nicht Gegenstand der Abstimmung und nachweisbar sehr verschiedene23, ebenso cler Sinn, welchen sie mit den Gesetzesworten verband. Aber auch wenn thatsächlich die Majorität sich im Einverständnisse befand, bedeutete das nicht eine authentische Sinnesfeststellung. So sagt das Ablehnen einer Bestimmung, selbst wenn es in der Absicht lag, dieselbe auszuschliessen, an und für sich noch nicht, dass das Abgelehnte nicht Gesetz geworden, sondern nur, 19

Vgl. Prot S 114 zu § 290 Nr 3 im Yerh. zu § 287 des Entw, S 115 zu § 291. 20 Vgl. z. B. Prot S 26 zu § 66 a des Ε (bemerkenswert auch durch die unzutreffende Schlussfolgerung des Regierungsvertreters aus den Regeln über die Streitverkündung auf den Interventionsakt), S 76. 98 (§ 266 des E). 21 Vgl. z. B. S 24 f. 26 zu § 66 a des E , S 34 zu § 94, S 53 zu § 126 (vgl. mit S 137), S 105 zu § 286. 281, S 116 zu § 305, S 117. 122. 123 u. oft. 22 Nichtsdestoweniger wird auf sie nicht selten entscheidendes ^Gewicht gelegt. 23 Vgl. z. B. Ablehnung des § 120 a S 50.

§21.

Methode der Auslegung im allgemeinen.

dass die gestrichenen Worte nicht ausdrückliche Gesetzesbestimmung geworden sind. Die Reprobationsabsicht ist eine Protestatio facto contraria, wenn anderweit aus dem Gesetz der Inhalt des Reprobirten erhellt 24 . Andererseits macht die ausgesprochene Vorstellung der Selbstverständlichkeit innerhalb der Kommission noch nicht etwas zum Gesetzesinhalt, was man um dieser Vorstellung willen nicht in den Entwurf aufnahm 25. Ist das Vorstehende richtig, so konnte die RJK ihren Beschlüssen auch dadurch, dass sie dieselben mit der ausgesprochenen Absicht fasste, durch sie „ a u t h e n t i s c h " zu interpretiren, keinen qualitativ anderen Werth beilegen als den des für die Beschlussfassung des Reichstags und demnach für die Entstehung des Gesetzes nach unten darzulegenden Gesichtspunkten26 zu beurtheilenden Gesetzgebungsmaterials. § 21. Die Methode der A u s l e g u n g im a l l g e m e i n e n . I. Die Regeln der Auslegung des Reichsrechts sind auf wissenschaftlichem Wege zu suchen. Positive reichsrechtliche Interpretationsgrundsätze bestehen nicht; die landesrechtlichen können nur für die Interpretation des Landes- nicht des Reichsrechts maassgebend sein1. 24 Der Schlussabsatz des § 283 des Ε (§ 293 der CPO) wurde gestrichen wahrscheinlich in Reprobationsabsicht, Prot S 108; dass diese nicht erreicht ward, darüber vgl. m e i n e Vorträge S 108 ff. 25 Als selbstverständlich sah man bei cler ersten Lesung des Ε an, dass nach § 280. 281 desselben noch andere als die urtheilenden Richter an der Entscheidung über Thatbestands - oder Urteilsberichtigung teilnehmen könnten (Prot S 105). Bei der zweiten Lesung (S 546) erklärte sich der Abg. B e c k e r mit der dieses konstatirenden Meinung v. Arnsbergs nicht zufrieden gestellt, sondern die Frage für „kontrovers" und einer Lösung im entgegengesetzten Sinne bedürftig, v. A m s berg beharrte in dem angesichts des § 270 des Ε (§ 280 des Ges) handgreiflichen Irrthum, seine Meinung sei Inhalt nicht nur des § 280, sondern auch § 281. Eine ganz ähnliche Kontroverse entspann sich zu Ε § 126, bez. G § 348 a durch Antrag B ä h r in erster Lesung (S 53. 136 f.). „Regierungsseitig" war zu Ε § 126 erklärt, dass der Ε einer Uebertragung der Präsidialbefugnisse an ein Mitglied nicht entgegenstehe. B ä h r erklärte diese Ansicht später (S 137) für irrig und brachte einen auf Vervollständigung im fraglichen Sinne gerichteten Antrag ein (§ 348 a Abs 1). Dieser wurde bekämpft von v. A r n s b e r g , weil er in eine Instruktion, nicht ins Gesetz gehöre (S 53 vgl. mit 137), von H e r z , weil der Antrag den Motiven zuwider den Vorsitzenden zum Strohmann herabzudrücken drohe. Es wurde der Antrag abgelehnt. Ob in Reprobationsabsicht, ob aus legislativer Sparsamkeit, ist unklar. 26 Siehe S 281 ff. 1 Ohne Unterschied der sog. gemeinrechtlichen und partikularrechtlichen. Vgl. für das gemeine Recht W i n d s c h e i d I § 2 0 - 2 3 ; Sachsen BGB § 21 ff.; Pr.

266

§ 21.

Methode der Auslegung im allgemeinen.

Ihre Ausdehnung auf dieses wäre landesgesetzliche Bestimmung des Inhalts des Reichsrechts und damit Subordination der gesetzgebenden Gewalt des Reiches unter die Gliedstaatsgewalt. Daraus folgt, dass auch die Regeln der gemeinrechtlichen Theorie für die Auslegung der CPO Bedeutung nur haben, soweit sie als rein wissenschaftliche auf allgemeine Anwendbarkeit Anspruch besitzen. Dabei ist die Eigenartigkeit der römischen Quellen wohl zu beachten, welche für das grammatisch-systematisch-historische Element eine Fülle von Gesichtspunkten ergiebt, die für den heutigen Auslegungsstoff unanwendbar sind. II. Der Auslegung cles Gesetzes als einer die Anwendung desselben vermittelnden Geistesoperation hat vorauszugehen clas F e s t s t e l l e n des O b j e k t e s der Auslegung, die Beantwortung der Frage, ob und welche Urkunde geltendes Gesetz ist, mit andern Worten die Frage der rechtswirksamen Entstehung und des Bestandes des Gesetzestextes. Hierher gehört die Prüfung der Verfassungsmässigkeit des Gesetzes.' In welchem Umfange sie dem Richter freisteht, ist eine Frage des Staatsrechts, nicht des Prozessrechts. Es gehört ferner hierher die Feststellung der Geltung des Gesetzes in zeitlicher und räumlicher Beziehung. Die für sie maassgebenden Grundsätze sind nicht Auslegungsregeln und daher an anderer Stelle zu entwickeln. Es gehört endlich hierher die Feststellung des Textes der zu interpretirenden Gesetzesurkunde: die Texteskritik. Auch sie ist nicht Interpretation, sondern eine ihr vorangehende Thätigkeit. Bei der heutigen Art der Gesetzesproduktion und speciell der der Reichsjustizgesetze ist zu ihr kaum Gelegenheit gegeben, wennschon Fälle vorkommen können, in denen Schreib- und Druckfehler auf sie führen 2. A L R : v. S a v i g n y I 328; F ö r s t e r - E c c i u s I § 12. Es kann also wohl das Reichsrecht, wie wiederholt nachgewiesen, die Substanziirung bestimmter Sätze und Begriffe dem Landesrecht willentlich überlassen, aber niemals die Regelung des reichsgesetzlichen Willensinhalts. 2 Mit ihr hat nichts zu thun das sog. Redaktionsversehen. Für ein Redigiren des Gesetzes und sonach ein irrthümliches Redigiren als einer dem Gesetzgebungsakte folgenden Thätigkeit ist heute nur noch in Ausnahmefällen Raum, denn es ist der Gesetzestext der Gegenstand der verfassungsmässigen Einigung der gesetzgebenden Faktoren. Eine Redaktion nach seiner Feststellung durch dieselben findet der Regel nach nicht statt, wennschon eine Legitimation des Reichskanzlers zur Redaktion und Publikation des Gesetzes, wie sie wiederholt, so beim Strafgesetzbuch nach der Novelle vom 26. Febr. 1876 Art. 5, der Gewerbeordnung nach der Novelle vom 1. Juli 1883 Art. 16 vorgekommen ist, wohl Veranlassung zu Redaktionsversehen geben kann. Dieses ist berichtigungsfähig. Sollte jedoch im Gesetz, weil der Gesetzgeber sich dessen vollen Inhalt nicht gegenwärtig hielt, etwas aus-

§ 21. Methode der Auslegung im allgemeinen.

III. Ist der Zweck der Gesetzesauslegung Klarstellung des G e s e t z e s w i l l e n s , so werden alle Bestandteile der Gesetzesurkunde, welche n i c h t n o r m a t i v sind, wennschon sie selbst wieder der Auslegung bedürfen sollten, doch n u r als M i t t e l , n i c h t als Gegenstand der e i g e n t l i c h e n G e s e t z e s i n t e r p r e t a t i o n angesehen werden. Dahin rechnen wir die den eigentlichen Gesetzesstücken vorgesetzten Rubriken, soweit sie der Uebersicht zu dienen bezwecken und nicht zugleich den Inhalt der einzelnen Gesetzesbestimmung vervollständigen. So ist die Rubrik des zweiten Abschnittes der CPO „Parteien" offenbar zu eng (denn in ihm wird zugleich von Nebenpersonen, Gehilfen, Vertretern der Parteien, von Prozessfähigkeit, Sicherheitsleistung und Armenrecht gehandelt), ohne dass daraus irgend ein Argument für die Begriffsbestimmung der Partei entnommen werden dürfte. Dagegen sind Rubriken, wie die des zweiten Buches „Verfahren in erster Instanz", erster Abschnitt „Verfahren vor den Landgerichten" (§ 230 ff.), zweiter Abschnitt „Verfahren vor den Amtsgerichten" (§ 456 ff.), Ausdruck des Willens, dass sich die folgenden Vorschriften auf diese oder jene Art des Verfahrens beziehen sollen3. Wichtiger ist die Erkenntniss, dass überall da, wo das Gesetz d o g m a t i s i r e n d verfährt, bestimmte lehrhafte Anschauungen ausdrückt, nicht diese, sondern nur der etwa ihnen zu Grunde liegende Gesetzeswille bindet4. Wenn CPO § 83 Abs 1 von der „Kündigung des Vollmachtsvertrags" redet, so kommt dieser gesprochen sein, was vernünftigerweise nach der das Gesetz beherrschenden Logik und seinen sonstigen Vorschriften nicht gesagt werden konnte, so liegt nicht ein Redaktionsversehen, noch ein falscher, berichtigungsfähiger Text, sondern eine sachliche Irrung im richtigen Texte vor, welche zur Nichtanwendung des dem objektivirten Willen des Gesetzes nicht entsprechenden Wortlautes berechtigt. Hier also handelt es sich um Interpretation, nicht um Texteskritik. Darauf ist später gelegentlich berichtigender Auslegung zurückzukommen. Ein Beispiel eines offenbar unrichtigen Gesetzeswortlautes in CPO, d. h. eines solchen, welcher auf offenbarer Irrung beruht, ist in § 759 das Citat des § 752 (vgl. § 747 Abs 2 und v. W i l m o w s k i - L e v y , S e u f f e r t u. A. zu § 759). Die richtige Auslegung führt zu der Unanwendbarkeit des § 759 auf 752. Andere Beispiele: Citat des § 36 statt 37 in § 756; § 573 Abs 2: „Landgerichts" statt „Civilkammer des LG". Irrige Annahme anderer Redaktionsversehen bei B r e t t n e r , Ζ f. CP I I I 339 ff.; dagegen B o l g i a n o , das. V 196 ff. Vgl. über die sehr unklare moderne, besonders am StGB erwachsene Theorie der Redaktionsversehen jetzt treffend B i n d i n g , Handb. I 460 ff. 3 Näheres unten § 22 III. 4 Die Theorie verfährt dem gemäss, indem sie gegen die dogmatische falsche Auffassung das Wesen der Sache, den Willensinhalt zu gewinnen sucht. Vgl. ζ. B. L a b and I I 9 mit Beziehung auf die in der preuss. VU Art. 62, RV Art. 5 Abs 1 sich widerspiegelnde Theorie der Theilung der Gewalten.

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§ 21. Methode der Auslegung im allgemeinen.

falschen begrifflichen Konstruktion keine Gesetzeskraft zu 5 . Ebenso wenn das Gesetz von dem „Beweis durch Augenschein" (§ 336 ff.) oder „Beweis durch Sachverständige" (§ 367 ff.) redet, während Augenscheinsobjekt das Beweismittel und Sachverständiger kein Beweismittel ist 6 . Von demselben Gesichtspunkt ist zu prüfen die dogmatisirende Fiktion des Gesetzes, wie solche in der Annahme „stillschweigender Vereinbarung" im Falle des § 39, der „Einwilligung des Beklagten" nach § 241 hervortritt. Die Disposition des Gesetzes ist nicht eine begriffliche Vergewaltigung, welche uns nöthigte, ein Nichtseiendes als Seiendes anzusehen, sondern die praktische Unterstellung des Thatbestandes unter den Konsensgesichtspunkt7 8 . IV. Jedes Gesetz b e d a r f der A u s l e g u n g i n unserem Sinne. Der oft gehörte Satz, dass das deutliche Gesetz nicht auslegungsbedürftig sei, weil die Klarheit des Wortlauts die Interpretation verüberflüssige, ist ein innerer Widerspruch. Denn jene Deutlichkeit ist, subjektiv als Verständniss gedacht, selbst Resultat der Auslegung. Der Satz sagt also: geben die Worte des Gesetzes an und für sich einen bestimmten Sinn, so ist in ihm zu bleiben und nicht durch anderweite Mittel nach einem solchen zu suchen. Aber auch so gefasst ist der Satz falsch. Denn „die Worte" geben an und für sich k e i n e n bestimmten Sinn. Um den ihnen zukommenden Sinn zu entdecken, wird stets eine komplicirte Schlussfolgerung nöthig, welche nur zu leicht derjenige unbewusst handhabt, welcher gewöhnt ist, mit den Begriffen und Voraussetzungen des Gesetzes zu operiren. Aber man lege einem Laien irgend eine Stelle der CPO vor, um sofort zu erkennen, wie sehr die angebliche Selbstverständlichkeit eine Täuschung ist. „Quamvis est manifestum edictum praetoris, attamen non est negligenda interpretatio eius." 5

Vgl. darüber unten bei der Lehre von der Vollmacht. Wenn CPO § 690 von Recht am Gegenstande spricht, so kann dadurch die etwa zu Grunde liegende theoretische falsche Vorstellung vom Wesen des dinglichen oder persönlichen Rechts nicht bedeutsam sein ; dagegen bindet die aus dem Zweck ersichtliche Absicht. 7 Vgl. darüber unten § 43 und S 304 f. 8 Völlig unverbindlich ist nach dem Obigen die in den Gesetzgebungsmaterialien enthaltene dogmatische Anschauung. Sie hat in der That, soweit sie nicht das Verständniss des Gesetzesinhalts indirekt vermittelt, indem sie den Blick in das Vorstellungsleben der Urheber gestattet (s. darüber unten S 283 f.), nur die Bedeutung wissenschaftlicher Privatmeinung, welche nur nach dem Maassstab ihres inneren Werths zu messen ist. Und doch, wie oft wird auch das verkannt und gehorsam eine Konstruktion um deswillen übernommen, weil sie in den „Motiven" steht. Ich erinnere nur an den „Konkursanspruch", die „Anfechtungsklage". 6

§ 21.

Methode der Auslegung im allgemeinen.

V. Es ist hergebracht, eine Reihe von Operationen aufzuführen, welche bei der Auslegung in Anwendung zu bringen seien und zwar derart, dass, wenn die eine erfolglos bleiben sollte, die andere einzutreten habe. Auszugehen sei von den Sprachgesetzen (grammatische Auslegung), eventuell sei auf den übrigen feststehenden Inhalt des Gesetzes oder anderweite Gesetze zu sehen. Sei auch das resultatlos, so habe sich der Ausleger unter Beachtung aller erreichbaren Momente „möglichst vollständig in die Seele des Gesetzgebers hinein zu denken". Schliesslich, wenn das alles versage, müsse blosse Wahrscheinlichkeit genügen9. Es leuchtet ein, dass diese letzte Eventualität nicht Aufgabe einer selbständigen Interpretationsmethode, sondern nur die Quantität des im äussersten Falle genügenden Beweises bedeutet. Im übrigen ist die Frage berechtigt, weshalb (wenn überhaupt Interpretation Aufdecken des Willens des Gesetzgebers wäre) der Interpret sich nicht sogleich in die Seele desselben nach Kräften versetzt? Weshalb soll die Interpretation aus dem Rechts- und Gesetzeszusammenhange, die logische und systematische, erst eventuell folgen der sog. grammatischen10? Und kann überhaupt diese ohne jene erfolgreich gehandhabt werden? Ist es zulässig, einen Theil des Gesetzes, einen einzelnen Paragraphen an und für sich, losgelöst vom Ganzen zu betrachten, während er doch als organischer Bestandtheil gedacht und gewollt ist 1 1 ? Ist es auch nur möglich, den Sinn, welchen die Worte in der Verbindung haben, in cler sie im gegebenen Falle auftreten, zu erkennen, ohne genaue Betrachtung jenes Zusammenhangs, speciell der Begriffe, welche clas Recht mit dem fraglichen Worte verknüpft? In der That kann eine richtige Interpretationsmethode nicht in derartigem isolirten und eventuellen Anwenden jener verschiedenen Mittel der Erkenntniss, sondern nur in ihrer kombinirten Verwerthung bestehen. Die Wahrheit, welche gesucht wird, ist nur eine. Ergiebt der Zusammenhang des Rechts, dass dem Gesetz ein anderer Sinn zukommt, als der, welcher ihm an und für sich nach den Sprachgesetzen beizulegen gewesen wäre, so entscheidet jener allein. Die Denkgesetze, clas vernunftmässige Wesen des Gesetzes, der Zweck desselben ( r a t i o n e l l e s E l e m e n t ) , die Systematik und Logik der Rechtsordnung im Gesammtauf bau, in welchen die ein9

W i n d s c h e i d I § 21. Vgl. auch v. S a v i g n y , Syst. I 215; P u c h t a , Institut. § 17. 11 L 24 D de leg. I 3: Incivile est nisi to ta lege perspecta una aliqua particula eius proposita iiulicare vel respondere. 10

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§ 22.

Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

zelnen Vorschriften eingegliedert sind und durch welchen ihr Inhalt wesentlich mitbestimmt wird (systematisches E l e m e n t ) , die Sprache und speciell die Rechtssprache, der thatsächliche Sprachgebrauch des Gesetzes, welchem die auszulegende Bestimmung angehört (das s p r a c h l i c h e : lexikalische, syntaktische, stilistische Element), die thatsächlich die Zeit der Gesetzesentstehung und diese selbst beherrschenden Rechtsanschauungen und Begriffe (historisches E l e ment) — sind die Mittel der Erkenntniss des Gesetzeswillens. § 22. D i e A u s l e g u n g s t h ä t i g k e i t im einzelnen. I. Das l o g i s c h e Schliessen aus den Gesetzen (juristische Konsequenz) bedient sich aller Schlussformen, welche nach unseren Denkgesetzen entwickelt sind. 1. Unter ihnen spielt eine nicht ungefährliche Rolle das sog. A r g u m e n t u m a c o n t r a r i o 1 , der Schluss aus der Beschränkung der Disposition auf einen Thatbestand auf die Unanwendbarkeit desselben auf einen anderen Thatbestand. Es ist der Schluss nach dem Satze des ausgeschlossenen Dritten, der Schluss aus dem disjunktiven Urtheil und zwar der sog. kontradiktorischen Disjunktion2, welche nur zwei einander ausschliessende Glieder statuirt, von denen das eine jedenfalls unrichtig ist (modus ponendo tollens sive tollendo ponens). Die Anwendbarkeit dieses Schlusses setzt also voraus, class sich ein Obersatz aus dem Gesetze ableiten lässt, welcher den wechselseitigen Ausschluss des einen und anderen ausspricht und aus welchem demgemäss durch den verneinenden bezw. bejahenden Untersatz des einen oder andern die Schlussfolgerung auf die eine Alternative gewonnen wird. Wir kommen zu solchem Obersatz nur vom Untersatz. Nur ihn stellt das Gesetz auf. Ihm muss die ausschliessliche Wahrheit zukommen, so dass seine Disposition auf gleichartige, wie auf ungleichartige Thatbestände unanwendbar ist. Sie auf letztere zu beziehen hindert uns schon der Satz von der Gleichheit des Grundes (Analogie); dagegen kann bei Gleichartigkeit der Thatbestände die Anwendbarkeit der Disposition nur ausgeschlossen sein, wenn ersichtlich ist, dass cler Gesetzgeber die specifischen Unterscheidungsmerk1 Vgl. darüber W ä c h t e r , Württ. PrR I I 137; v. S a v i g n y I 237; W i n d s c h e i d I § 2 9 ; T h ö l , Einl.S 151 ff.; bes. D e u t s c h m a n n in Gruchots Beiträgen X X V I 52 ff. 2 Vgl. S i g w a r t , Logik I 233 ff. 252 f. und D e u t s c h m a n n S 57 f., dem jedoch insofern nicht beizupflichten ist, als er diese Operation von der Auslegung ausschliesst und „der wissenschaftlichen Fortbildung des Rechts" zuweist.

§ 22.

Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

male im fraglichen Punkte als wesentliche, für die Disposition bestimmende behandelt hat Beispiele illustriren: CPO § 264 sagt, dass Thatsachen, welche bei Gericht offenkundig sind, keines Beweises bedürfen. Die Schlussfolgerung, dass alle anderen Thatsachen des Beweises bedürfen, wäre irrig; die zugestandenen bezw. nicht bestrittenen Thatsachen sind ebensowenig beweisbedürftig, wie die offenkundigen (§ 261). In der That also würde § 264 korrekter lauten: „Bestrittene Thatsachen u. s. w. bedürfen nicht des Beweises, wenn sie offenkundig sind." — CPO § 796 Abs 2 erklärt, dass der Arrest nicht nur für fällige, sondern auch für betagte Ansprüche zulässig sei. Damit wäre die Unzulässigkeit für bedingte gegeben, wenn das Gesetz sagte „nur fällige oder betagte Ansprüche". Das aber ist nicht seine Meinung 3 . — CPO § 784 beschränkt die Verpflichtung zur wiederholten Leistung des Offenbarungseides des § 711 „auch einem anderen Gläubiger gegenüber" auf den Fall glaubhaft gemachten Vermögenserwerbs; ob für den Offenbarungseid des § 769 das Argumentum a contrario Platz greift, lässt sich nicht aus dem Wortlaut des § 784, sondern nur daraus entnehmen, ob an und für sich der „andere Gläubiger" den Offenbarungseid fordern könnte und der Ausschluss des § 784 Gründe hat, welche im Falle des § 769 nicht zutreffen. Die Frage ist zu bejahen4. — Die §§ 447 Abs 2. 514 Abs 2 ergeben ein Argumentum a contrario für § 304. 540, die Rechtswirksamkeit des vor der Einspruchs- und Beschwerdefrist eingelegten Einspruchs bezw. der Beschwerde nicht schon um deswillen, weil das Gesetz eine gegentheilige Vorschrift nur für die Berufung und Revision getroffen 5, sondern nur dann, wenn nachweisbar entweder der Nothfrist an und für sich regelmässig nur die präklusivische Bedeutung zukommt und besondere Gründe die Modifikation dieser ihrer Eigenschaft in § 477 Abs 2. 514 Abs 2 begründet haben 6 , oder falls doch — bei indifferenter Natur cler „Nothfrist" im fraglichen Punkt — eine Ungleichartigkeit des Einspruchs und der sofortigen Beschwerde einerseits und der Berufung und Revision andererseits ersichtlich wäre 7. Wenn solche nicht er3

Vgl. die Kommentare zu § 796 Abs 2. So die vorherrschende Meinung, vgl. S e u f f e r t , S t r u c k m a n n - K o c h , v. W i l m o w s k i - L e v y , G a u p p zu § 784. 5 Der Grund würde, weil auf der Präsumtion der gesetzgeberischen Vollkommenheit ruhend, zu viel beweisen; daher beweist er nichts. 6 Vgl. m e i n e Abh. in Gruchots Beitr. XXV 257 ff., D e u t s c h m a n n S 64 f. und dagegen RG I I I CS vom 25. Jan. 1881 (E I I I 408 if.), I CS vom 17. Jan. 1883 (Ε IX 420 ff.). 7 Dass dem so sei, hat das RG m. E. auch im letztgenannten Urtheil — in 4

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§ 22.

Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

sichtlich ist, kommt man nach dem Gesetz von der Gleichheit des Grundes und dem Princip rationeller Auslegung zur Analogie. Es fordert also das Argumentum a contrario stets den Nachweis des unterscheidenden Merkmals, welches die Verschiedenartigkeit der Behandlung bei sonstiger Gleichartigkeit der Fälle berechtigt erscheinen lässt. 2. Die Logik führt bei A n t i n o m i e zweier Gesetze zu ihrer Nichtanwendung, soweit sie sich widersprechen. Dieses Resultat darf so lange nicht angenommen werden, so lange der Widerspruch nicht als unlöslich erwiesen ist. Er ist es erst dann, wenn nicht nach dem inneren Verhältniss der fraglichen Gesetze das eine dem andern derart subordinirt ist, dass seine Bestimmung durch den höheren Satz gebrochen und demgemäss berichtigend ausgelegt werden muss. Ein bekanntes Beispiel bietet CPO 802 Abs 2 (in Verbindung mit § 671 Abs 1. 808. 809 Abs 2) verglichen mit § 189 Abs 2 (in Verbindung mit § 202 Abs 2 ) 8 ; der § 809 Abs 2 präkludirt die Vollziehung des Arrestbefehls, welcher nach § 671 Abs 1 in Verbindung mit § 808 spätestens mit der Vollziehung zuzustellen ist, in gesetzlicher, nach § 202 Abs 2 nicht richterlicher Verlängerung unterliegender Frist; §189 Abs 2 fordert bei öffentlicher Zustellung einen Aushang an der Gerichtstafel während zweier Wochen, gerechnet vom Tage der Anheftung; nach ihrem Ablauf gilt die Zustellung als geschehen. Hiernach scheint es unmöglich, im Falle notwendiger öffentlicher Zuwelchem es die Petitio principii vom Wesen der „Frist", welche von S c h m i d t , Ζ f. CP IV 391 aufgenommen worden ist, fallen gelassen hat — nicht dargethan. Die Präsumtion vollendeter Gesetzestechnik scheitert an § 477 Abs 1 Satz 1, § 514 Abs 1 Satz 1, welche Satz 2 überflüssig erscheinen lassen, so wie an dem allgemeinen Nachweis, dass diese Präsumtion eine grundlose ist: s. unten § 22 Anm 19. 33, § 23 und meine Abh. S 261. — Sachliche, die verschiedene Behandlung des Einspruchs und der sofortigen Beschwerde einerseits und der Berufung und Revision andererseits motivirende, also die analoge Behandlung ausschliessende Gründe sind nicht erweislich; der Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsmittelverhandlung war durch CPO § 198 gewahrt und ist für die sofortige Beschwerde ebenso wesentlich wie für Berufung und Revision ; § 283 Abs 2 aber trifft unsere Frage nicht, denn gerade um die Zustellungswirkung des Urtheils handelt es sich, und über sie hat das Gesetz „ein Anderes" bestimmt, dessen analoge Anwendung in Frage ist. Dass die bekämpfte Ansicht nicht die Ordnung im Prozesse fördert, indem sie gegen noch nicht ausgefertigte richterliche Urtheile und Beschlüsse Einspruch und Rechtsmittel (sofortige Beschwerde) zulasst, die Verhandlung über sie ohne jeden Lauf der Nothfrist, die Wiederholung des Rechtsbehelfs eröffnet, spricht nicht gerade zu ihren Gunsten. 8 Vgl. S e u f f e r t in Ζ f. CP I I I 350 f.; Voss, Magaz. f. deutsches Recht I I 131 ff.; F r a n c k e das. S 148 f.; W e n g l e r , Archiv 1882 S 465; K l e m m in Annalen des OLG Dresden IV 50 ff.

§ 22. Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

Stellung des Arrestbefehls zu dessen Vollzug zu gelangen, wenn nicht angenommen wird, dass entweder auf diesen Fall § 671 Abs 1 keine Anwendung findet, oder § 809 Abs 2 eine erweiternde Auslegung erfahren muss9. Das letztere erscheint angemessen; § 671 Abs 1 wahrt durch allgemeine Regel ein Parteirecht des Gegners, welches ihm in keinem Falle geschmälert werden darf; § 809 Abs 2 ruht auf der Erwägung, dass das den Arrest motivirende Dringlichkeitsbedürfniss nicht vorliegt, wenn der Implorant 14 Tage lang den Arrestbefehl unbenutzt lässt. Dabei nimmt das Gesetz auf tatsächliche Hemmnisse des Vollzugs keine Rücksicht; wohl aber muss es sie nehmen auf die von ihm selbst geschaffenen Hemmnisse, denn das Gesetz kann nicht wollen, dass die von ihm gewährte Vollzugsmöglichkeit eine Unmöglichkeit sei. Daraus folgt, dass die Frist nicht beginnen kann, so lange das Gesetz dem Imploranten selbst die Möglichkeit des Vollzugs nicht giebt, mit andern Worten, dass sie beginnen muss bei öffentlicher Zustellung mit dem Ablaufe der zwei Wochen des § 189 Abs 2. Was vom Arrest gilt, gilt von der einstweiligen Verfügung (§ 814. 815). II. Aus dem v e r n u n f t m ä s s i g e n Wesen des Gesetzes und seiner i n n e r n E i n h e i t folgen mehrere wichtige, nicht selten zum Theil unter den Gesichtspunkt von Präsumtionen gestellte Auslegungsregeln. 1. Die Analogie. Das Princip der Gerechtigkeit schliesst in sich, dass bei Gleichartigkeit des Falles gleiches Recht gelten soll (Vernunftgrund cler Analogie). Dieser Gedanke ist es , welcher in dem Satze der sog. Analogie lebt. Der Gesetzeswille hat unmittelbaren Ausdruck gefunden in specieller, nicht in genereller Fassung: jenes allgemeine Princip führt nothwendig zur verallgemeinerten Anwendung des nicht zu eng, sondern zu speciell ausgesprochenen Willens, also zu der logischen Operation, welche induktiv, vom Einzelnen zum Allgemeinen aufsteigend, von diesem den Schluss auf das Einzelne nach dem Gesetze von der Gleichheit des Grundes gewinnt 10 . Ob die Analogie Auslegung des Gesetzes genannt zu werden verdient, Ausfüllen einer Lücke desselben, Hervorziehen des eigentlichen Gedankens des Gesetzgebers hinter dem ausgesprochenen 9 Es verzweifeln an der Lösung Voss, F r a n c k e ; jenen schliessen 1883 S 65, T r ä n k n e r , Ζ f. CP V I P e t e r s e n , Ζ f. CP V I I I 426 ff. 10 Vgl. auch B i n d i n g , Handb.

K l e m m , S e u f f e r t ; es versuchen sie anders sich an B e s c h o r n e r , Jurist. Wochensch. 194 ff., K u h n und G r u c h o t X X V I I 687, S 215.

Binding, Handbuch. IX. 2. I: W a c h , Civilprozess. I .

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§ 22.

Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

Gedankeninhalt, konkludent gesetztes und in diesem Sinne ungesetztes, d. h. ungeschriebenes und doch im Gesetz enthaltenes Recht, ob der Gesetzgeber wirklich, wenn er sich den gleichartigen Fall vergegenwärtigt hätte, auch auf ihn das Gesetz erweitert haben würde, ist eine müssige Frage, sobald man erkennt, dass diese Operation — weil der Gesetzeswille nicht der thatsächliche Gedanke des Gesetzgebers ist — nicht rechtschaffende, -fortbildende, rechtsberichtigende Thätigkeit, sondern Rechtserkenntniss sein muss. Die Prämissen des Schlusses sind das allgemeine Rechtsprincip der Gerechtigkeit und die specielle Gesetzesvorschrift, welche nach jenem zur verallgemeinerten Anwendung gelangen muss. Nur dort, wo der Gesetzeswille sich im gewählten Ausdruck erschöpfen sollte, wo also bewusst die Analogie ausgeschlossen wird, hat sich der Interpret ihres Gebrauchs zu enthalten11. Einer besonderen gesetzgeberischen Zulassung bedarf sie nicht, denn sie wurzelt in dem das gesammte Recht beherrschenden obersten Grundsatz, also ist sie maassgebend auch für das Reichsrecht, obschon dieses sie nicht allgemein sanktionirt hat. Die CPO ordnet sie mehrfach ausdrücklich an, denn sie schreibt vor, dass Bestimmungen „entsprechende Anwendung" in anderen Fällen finden sollen: so in den §§ 256 Abs 2. 311. 312 Abs 1 u. 2. 439 Abs 1. 481. 485. 504 Abs 1. 518. 520. 529. 548. 563 Abs 3. 604 Abs 2. 611 Abs 1. 612 Abs 1. 621 Abs 3. 625 Abs 1. 626 Abs 4. 687. 690 Abs 3. 703. 710 Abs 4. 713. 754 Abs 1. 808. 815. 872. Sie verallgemeinert damit den speciell aufgestellten Satz derart, dass sie der specifischen Verschiedenheit des Thatbestandes wie der Gleichartigkeit des Entscheidungsgrundes Rechnung trägt. Und nicht anders ist es dort, wo das Gesetz sich der einfachen, scheinbar mechanischen Uebertragung einer Bestimmung auf einen andern Thatbestand bedient in der Redewendung: „Anwendung finden", „zur Anwendung kommen" (§ 482 Abs 2. 508 Abs 2. 516 Abs 1. 584. 746 Abs 2), „maassgebend sein" (§ 96 Abs 2), „sich richten nach" (§ 812), „erfolgen nach" (§ 745), „bewirkt werden nach der Vorschrift" (§ 747 Abs 2), „nach den Vorschriften" (§ 772), „Bestimmungen dieses Gesetzes" (§ 757 Abs 3). Denn auch hier wird solche Anwendung sich zu bemessen haben unter genauer sie abgrenzender Erwägung der etwaigen specifischen Verschiedenheiten und Voraussetzungen12. So hat sich der Gesetzgeber in sehr angemessener 11

Daher der lebhafte Streit über die Grenze ihrer Zulässigkeit im Strafrecht nach StGB § 2. Vgl. jetzt B i n d i n g , Handb. I § 46. 47. 12 Vgl. auch RG PlenE vom 29. Sept. 1882 (Ε V I I 383 ff.), I CS v. 28. Okt. 1882 (Ε I X 416) in Beziehung auf § 508 vgl. mit 3—9.

§ 22. Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

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Weise der schwierigen, ja unlöslichen Aufgabe überhoben, einen allgemeinsten, allgemeineren und allgemeinen Theil zu sondern. Wie überhaupt die schiefe Systematik des Gesetzes durch nachträgliches Herüberziehen der speciellen Bestimmungen (§ 230 ff.) auf die Arten des ausserordentlichen Verfahrens ausgeglichen wird und zur entsprechenden Anwendung derselben führt, werde ich im Verlauf der Darstellung zu entwickeln haben13. Mit solchen Vorschriften ist nicht ausgesprochen, dass, wo sie sich nicht finden, die Analogie nicht zulässig sei. Wie sie überhaupt von Theorie und Praxis bei Anwendung des Reichsrechts für berechtigt gehalten worden ist, so ist sie auch für den Inhalt der Reichsjustizgesetze bereitwillig anerkannt 14. 2. Das Wesen des Gesetzes als vernunftmässigen Wollens führt den Ausleger zu dem Postulat, dass dem nach sonstigen Interpretationsregeln möglichen vernünftigeren Sinne des Gesetzes cler Vorzug zu geben ist vor dem gleichfalls möglichen weniger vernünftigen 15. Vernünftiger aber ist derjenige, welcher dem Zwecke des Gesetzes, d. h. dem nachweisbaren des zu interpretirenden Stückes und dem des Ganzen, welchem es angehört, besser entspricht 16, nicht zu dessen Nachtheil gereicht, für dessen Vortheil das Gesetz bestimmt ist und umgekehrt 17. Mit Unrecht werden auch diese Sätze als Rechtsvermuthungen behandelt, welche etwa dem historischen Beweis eines vom 13

S. unten Nr III. Darüber besteht kein Dissens. Beispiele analoger Anwendungsmöglichkeit: unzweifelhaft analoge Anwendung der „aufrecht erhaltenden" Urtheilsform des § 308 auf § 503 Abs 2. 563 Abs 2; § 507 ist analog anzuwenden (oder extensiv zu interpretiren?) auf die erstinstanzlichen nach Maassgabe des § 821 erlassenen Urtheile der OLG (vgl. RG I I CS vom 6. Dez. 1881, Ε V 430); bestritten analoge Anwendung des § 435 Abs 2 auf den Kridar (ja S c h u l t z e , Konkursr. S 96 f., nein S e u f f e r t , Komm. § 435 Anm 4; von eigentlicher Analogie kann nicht die Rede sein, sondern nur von richtiger Subsumtion); analoge Anwendung des § 769 auf Herausgabe von Personen (Prot der RJK S 718 und die meisten Kommentare; vgl. dazu E n d e m a n n I I I 203; v. W i l m o w s k i - L e v y 3. Aufl. S 911). 15 Vgl. W i n d s c h e i d § 21 Anm 5; B u r c h a r d i a. O. S 82 ff. 16 Vgl. 1 68 D de reg. iur. L I 17. 17 L 25 D de leg. I 3; 1 13 § 2 D de excus. X X V I I 1; 1 19 C. de fide instrum. IV 21. Einen Anwendungsfall bietet CPO § 820. Irrthiimlich wird aus ihm abgeleitet, dass nur der Implorant, nicht auch „der Gegner" laden dürfe. Aus cler sog. Pflicht zu laden folgt nicht das ausschliessliche Recht. And. Mein. P u c h e l t I I 694; E n d e m a n n I I I 388; S t r u c k m a n n - K o c h S 886; G a u p p I I I 503; v. W i l m o w s k i - L e v y 3. Aufl. S 963 u. A. m. Ihre Gründe treffen nur die Unanwendbarkeit der §§ 803. 804, nicht das Recht zum Prozessbetrieb. Vgl. auch § 806; Implorât ist auch hier zur Klagenerhebung befugt. 18* 14

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§ 22.

Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

Gesetzgeber gedachten unvernünftigeren Sinnes zu weichen hätten. Einem solchen ist nicht Raum zu geben18. — Wenn man ferner die Sätze aufstellt, dass sich im Zweifel der Gesetzgeber nicht fehlerhaft a u s g e d r ü c k t habe 19 , dass die Vermuthung für die konservative Haltung des Gesetzes spräche 20, dass die mildere Meinung den Vorzug vor der strengeren besitze, so kann deren Geltung für das Reichsprozessrecht nicht zugegeben werden. Es muss vielmehr, um den vernünftigen Sinn gegen den inkorrekten Wortlaut zur Geltung zu bringen, sehr häufig festgestellt werden, dass das Gesetz fehlerhaft gefasst ist (ausdehnende, einschränkende Auslegung)21. Die CPO sagt, dass und in welchem Umfange sie das Landesprozessrecht aufgehoben wissen wolle. Eine Tendenz seiner Erhaltung wohnt dem Gesetz nicht inne. Im Gegentheil erklärt es in EG § 14, dass alle prozessrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze für alle den ordentlichen Gerichten unterworfenen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten in complexu aufgehoben sind, soweit nicht ausdrücklich Ausnahmen gemacht werden. Die CPO fand sich einer Fülle von Prozessordnungen gegenüber, an deren Stelle sie eine neue einheitliche, vielfach ganz 18

Damit soll nicht die subjektive Ansicht des Interpreten über die der Gesetzesurheber gestellt werden. Es handelt sich um den Nachweis des objektiven Gesetzesinhalts. 19 S. oben Anm 8. Der „Ausdruck" ist eine Thatsache; die Erkenntniss der Fehlerhaftigkeit des Ausdrucks und die Zulässigkeit der Konstatirung dieser Thatsache ist die nothwendige Voraussetzung rationeller Auslegung. Diese Interpretationspräsumtion ist also Wortanbetung; der Buchstabe tödtet, der Geist macht lebendig. 20 Vgl. W i n d s c h e i d § 22 Anm 7. — Das RG eignet sich diese Präsumtion an u, a. in den Entscheidungen I I CS v. 4. Juli 1882 (Ε V I I 352): „Hinzu tritt aber der neue Grund, dass bei Auslegung neuer Gesetze im Zweifel anzunehmen ist, man habe sich den bestehenden Rechtsbildungen anschliessen, nicht aber, man habe sich von denselben entfernen und etwas Abweichendes bestimmen wollen." Daher wird auch wohl als unterstützendes Auslegungsmoment der Einklang mit früherem Recht betont, z. B. RG I I CS v. 28. April 1882 (Ε V I I 312), I I I CS v. 22. Mai 1882 (E V I I 359 ff.). Vgl. übrigens unten Nr IV. 21 Zur Anwendung der einen und anderen wird in diesem Werk häufig Gelegenheit gegeben sein. Einige Beispiele mögen hier Platz finden. E x t e n s i v e I n t e r p r e t a t i o n : CPO § 76 Abs 1 auszudehnen auf eine Bevollmächtigung zu Protokoll des Prozessgerichts (vgl. auch S e u f f e r t S 105, s. unten die Vollmachtslehre); § 744 gestattet nicht nur „alternative" Anwendung von Haft und Geldstrafe, sondern „successive", RG I I I CS v. 22. Mai 1882 (Ε V I I 359 ff); die häufig wiederkehrende Wendung des Gesetzes „unberührt bleiben" ist auszudehnen im Sinne von „und zulässig sind" (s. oben S 201). R e s t r i k t i v e I n t e r p r e t a t i o n : § 64 „alle Prozesshandlungen" s. unten S 290; „Schluss der mündlichen Verhandlung" sc. erster Instanz (vgl. RG V CS vom 11. Juni 1881 (Ε V 352 ff); § 866 s. oben § 7 S 74ff.

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Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

originelle und von Reformgedanken durchdrungene Rechtsordnung setzen wollte. Unter keinen Umständen kann also die Tendenz präsumtiver Erhaltung irgend eines bestehenden Landesrechts oder etwa des bisherigen materiellen gemeinen Rechts zur Interpretation des Reichsrechts verwerthet werden: ein Satz, der nichts zu thun hat mit dem andern, dass die die Zeit und demnach auch die Gesetzgebungszeit beherrschenden Rechtsanschauungen und Begriffe ein wichtiges Interpretationsmittel bilden. Der Satz des Vorzugs der milderen Meinung, den die römischen Quellen mehrfach anführen 22 , ist für die CPO ohne Sinn 23 . Er hat seine vernünftige Berechtigung im Strafrecht und Strafprozess. Im Civilverfahren, in welchem Parteien über Mein und Dein streiten, wäre die Präsumtion für den einen Benachtheiligung für den andern und daher Verletzung der Gerechtigkeit und des aus ihr abgeleiteten Princips der Parteiengleichheit. Eine solche Präsumtion zu Gunsten des Beklagten ist auch nicht zu finden in der naturgemässen Belastung des Angreifers mit dem Beweise seines Klaggrundes (actore non probante reus absolvitur). Ihr entspricht gerecht die Beweispflicht des Beklagten hinsichtlich seiner Einreden. Es wird sich später zeigen, dass die CPO, wenn sie die Parteiengleichheit verschiebt, bald mehr den Angreifer, bald mehr den Angegriffenen begünstigt24. III. Das systematische E l e m e n t ist für die Auslegung der CPO von hervorragender Bedeutung. Das Gesetz bildet ein von allgemeinen Grundgedanken getragenes, nach bestimmten Ordnungsgedanken gegliedertes Ganze, welches seinerseits wieder eingefügt ist in die gesammte Rechtsordnung. Innerhalb jenes Ganzen und dieser gesammten Rechtsordnung der einzelnen Bestimmung den ihr nach dem erkennbaren Gesetzeswillen zukommenden Platz anzuweisen und aus demselben Schlüsse für den Gesetzesinhalt zu ziehen, ist die Aufgabe der systematischen Interpretation. Subordination und Koordination der Normen, Ober- und Unterbegriffe sind die logischen Kategorien, mit welchen zu operiren ist. Die Systematik des Gesetzes selbst ist unvollkommen. Die CPO sondert zehn Bücher, welche jedoch nicht einander koordinirte Gruppen 22

Vgl. 1 42 D de poenis X L V I I I 19; 1 155 § 2 D de reg. iur. L. 17; vgl. auch 1 56. 168 pr. 192 § 1 h. t.; 1 18 D de leg. 1 3. 23 Eine Ausnahme ist nur mit Beziehung auf wirkliche Strafvorschriften (Delikte) zu konstatiren. 24 Letzteres z. B. in § 295. 296, ersteres in der Begrenzung der Widerklagemöglichkeit.

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Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

von Vorschriften enthalten. Das erste Buch giebt die „allgemeinen Bestimmungen", welche für alle Stadien und Arten des Verfahrens anwendbar sein sollen. Es folgen als zweites bis viertes Buch die Grundsätze des „ordentlichen Verfahrens" bis zum Urtheil. Zwar bezeichnet sie das Gesetz in seinen Buchrubriken ganz allgemein, aber aus dem fünften Buch „ U r k u n d e n - und Wechselprozess", speciell aus § 559. 563 Abs 1, ergiebt sich, unerachtet der allgemeinen Redeweise der §§ 230 ff., clie Nothwendigkeit der Unterscheidung zwischen ordentlichem Verfahren und nichtordentlichem Verfahren 25. Die specifischen Regeln für jenes können nur die des zweiten bis vierten Buches sein, da andernfalls solche überhaupt im Gesetze unerfindlich wären. Andererseits will das Gesetz offenbar, dass die für den ordentlichen Prozess gegebenen Vorschriften auch für die übrigen Verfahrensarten „entsprechende Anwendung" (s. oben S 274) finden sollen, soweit Ausnahmen nicht bestimmt werden. Dieser Gesetzeswille erhellt aus der Unvollständigkeit der Regelung des ausserordentlichen Verfahrens, aus einzelnen, solche Anwendbarkeit ausschliessenden besonderen Vorschriften, bezw. aus der Bezugnahme auf die Begriffe des ordentlichen Verfahrens. Die „Klage" des § 556 kann nur die des § 230 sein, deren Besonderheiten im Urkunden- und Wechselprozess der § 556 festsetzt 26. Die „prozesshindernden Einreden" des § 557, die Begriffe „Widerklage", „Beweismittel", „Urkunden", „Eid", „Eideszuschiebung", „Beweisbeschluss" (§ 558), „Urtheil" (§ 562 Abs 2. 563 Abs 2) usw. sind die in den früheren Gesetzesparagraphen bestimmten Begriffe. Das Gesetz unterscheidet in § 555 ff. nicht zwischen dem land- und amtsgerichtlichen Verfahren, setzt also voraus, dass die für das eine und andere aufgestellten Unterschiede für den Urkundenund Wechselprozess gelten. Daraus, dass § 558 Abs 1 Widerklagen für unstatthaft erklärt, in Abs 2 nur gewisse Beweismittel zulässt, in Abs 3 für den Urkundenbeweis, in Abs 4 für die Eidesanordnung nur bestimmte Formen gestattet (§ 564), in der Berufungsinstanz die §§ 502. 503 ausgeschlossen wissen will, folgt, dass hier Ausnahmen statuirt werden und im übrigen die sonstigen Gesetzesparagraphen § 230 ff. auf den Urkunden- und Wechselprozess entsprechende Anwendung finden sollen 27 . Der § 563 Abs 2 und 3 enthält lediglich Sondervor25

S. oben § 5. Motive zu § 556: Die Klage im Urkundenprozess wird erhoben und vorbereitet wie jede andere Klage (§ 230 ff. 457. 460. 461. 120). 27 Wie weit hat diese zu gehen? Die Frage ist nicht ganz einfach, da sie zum Theil eine Deduktion aus allgemeinen Principien nothwendig macht. Dass § 234 anwendbar, folgt schon per arg. a contrario aus § 567 Abs 2 (vgl. Motive 26

§ 22.

Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

Schriften für das ordentliche Verfahren, welche um des Zusammenhangs willen hier ihre Stelle gefunden haben und von denen die zweite (Abs 3) eine selbstverständliche ist, d. h. ohnedies aus dem Gesetz hätte abgeleitet werden müssen. Gleicherweise ist das Verhältniss des sechsten Buchs erster Abschnitt zu Buch 2—4 zu bestimmen. Zwar sagt das Gesetz an keiner Stelle, dass sich das Verfahren i n Ehesachen nach den Grundsätzen des landgerichtlichen Prozesses erster Instanz richte, soweit nicht Abweichungen ausdrücklich vorgeschrieben sind 28 , aber es schliesst theils in kontradiktorischer, theils in konträrer 29 Form ausdrücklich eine Anzahl solcher Grundsätze aus und zeigt damit deutlich, dass es die übrigen angewendet, d. h. entsprechend angewendet wissen will. Dasselbe gilt für das Verfahren in E n t m ü n d i g u n g s a c h e n (6. Buch 2. Abschnitt) 30 , für das M a h n v e r f a h r e n (7. Buch). — Das 8. Buch, die Ζ wangs v o l l S t r e c k u n g , ist von genereller Bedeutung. Losgelöst von dem Verfahren bis zum Urtheil, untersteht es den „allgemeinen Bestimmungen", soweit es nicht selbst Abweichungen setzt (vgl. ζ. B. § 693. 694), und denjenigen über das ordentliche Verfahren, insofern zu einem Rechtsstreit Veranlassung gegeben wird, nämlich dann, wenn „Klage" zu erheben ist (§ 660 3 1 . 667. 686 Abs 1. 687. 690 Abs 1 und 2. 696 Abs 3. 703. 704 Abs 3. 705 Abs 5. 710. 740. 745 Abs 2. 753. 754. 757 Abs 3. 764—767. 778 Abs 2), oder eine Entscheidung durch Urtheil gefordert wird (§ 781), bezw. das Rechtsmittel cler (sofortigen) Beschwerde in Frage kommt (§ 701). Dass auch hier die Anwendung cler ordentlichen Prozessregeln keine mechanische sein darf, sondern sich den specifischen Unterschieden der Sachund Rechtslage anzupassen hat, bedarf kaum der Bemerkung. Das Nähere darüber ist in der Lehre von der Zwangsvollstreckung zu entwickeln. A r r e s t und e i n s t w e i l i g e V e r f ü g u n g e n ,

des 8. Buches

zu 556: „zu einer gesetzlichen Abkürzung der Einlassungsfrist, HE § 475, N E § 674, ist wegen der Vorschrift § 204 auch für Anwaltsprozesse kein (?) Bedürfnisse ; dagegen ist § 260 wegen § 555 und deshalb unanwendbar, weil die Höhe des Schadens nur auf Grund urkundlicher Liquidität, nicht durch liberum arbitrium des Richters festgestellt werden kann ; das Princip der Liquidität bedingt denn auch die Unanwendbarkeit der §§ 276. 250. 313—319. 386 ff. 393. 397. 28 Vgl. Motive zu § 568—592. 29 Kontradiktorisch: § 577. 583; konträr: § 569 ff. 574. 575 Abs 2. 578. 582. 585 ff. 30 CPO § 605 ff., bes. 608. 611. 620. 624. 626. 31 S oben § 19 S 223 ff.

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§ 22. Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

5. Abschnitt, verhalten sich zum 2.—4. Buch ähnlich wie der Urkunden· und Wechselprozess. Auch hier fordert das Gesetz die Vervollständigung seiner nicht erschöpfenden Vorschriften aus den Regeln des ordentlichen Verfahrens: so für § 800 Abs 2. 801 Abs 2 die Feststellung des Begriffs der Glaubhaftmachung aus § 266, für § 802. 805 Abs 1. 806 Abs 2. 807 Abs 2 die Ergänzung der Regeln über das Endurtheil aus § 272. 273. 284 ff., für die sofortige Beschwerde § 813 Abs 4 die Rechtsmittel überhaupt aus den Rechtsmittel-Normen. Dass die Vollziehung des Arrests den Regeln der Zwangsvollstreckung folgt, soweit das Gesetz nicht selbständige Bestimmungen trifft, sagt § 808 ausdrücklich. Aehnliches gilt für die einstweilige Verfügung (§ 814 ff.). Selbst das Aufgebotsverfahren (9. Buch) und der schiedsrichterliche Prozess fussen in wesentlichen Stücken auf den gewöhnlichen Grundsätzen des ordentlichen Prozesses (§ 829: „sofortige Beschwerde", § 834. 835: „Anfechtungsklage", § 867 f.) Das Ergebniss ist, dass das 2 . - 4 . Buch thatsächlich in gewissem Sinne den allgemeinen Theil des 1. Buches fortsetzen, indem sie die normale Gestalt des Verfahrens schlechthin enthalten, welches überall anwendbar ist, wo nicht vom Gesetz Ausnahmen und Modifikationen gewollt sind. Der e i n z e l n e Gesetzesparagraph empfängt seine Bedeutung im Zusammenhang mit dem Ganzen. Das bedarf keines Beweises, sondern nur der Beschränkung. Fehlerhafte Ordnung, Rubricirung, Stellung der Paragraphen kommt mehrfach im Gesetz vor. Es wurde eben gezeigt, wie die Rubricirung des Gesetzes, die formelle Koordination der Bücher mit einer innerlichen Subordination verbunden ist. Als fehlerhaft ist u. a. zu bezeichnen die Rubrik des 1. Buches 2. Abschnitts „Parteien": sie ist zu eng; fehlerhaft ist die des 4. Titels dieses Abschnitts „Prozessbevollmächtigte und Beistände" : es müsste heissen „Stellvertreter und Beistände"; die vollmachtlose Vertretung (§ 85) ist übersehen. So darf auch aus der Stellung des einzelnen Paragraphen nur mit Vorsicht auf seinen Inhalt geschlossen werden. Einen Beleg bietet § 94. Er gehört in die Rechtsmittelrubrik und zwar in die allgemeinen Bestimmungen, welche, wie in der StPO, den Vorschriften über die einzelnen Rechtsmittel hätten vorangestellt werden sollen. Der § 693 Abs 1 würde als Ausnahme der allgemeinen Vorschriften über die Unterbrechung des Verfahrens besser seinen Platz im Titel über diese gefunden haben. Denn in ihm liegt die nur für den Fall des Todes ausgesprochene, aber per analogiam zu verallgemeinernde Regel, class der in der Person des Schuldners oder seines Anwalts nach begonnener Zwangsvollstreckung eintretende Unter-

§ 22. Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

brechungsgrund jene nicht unterbricht. Einen andern Beleg bietet § 33. Das Gesetz bezieht sich seiner Stellung nach nur auf den Gerichtsstand. Man hat daraus den Schluss gezogen32, dass es nicht die Voraussetzung der Widerklage schlechthin, sondern nur die Zuständigkeit für dieselbe regle, so dass bei ohnedies für die Widerklage vorhandener Kompetenz dieselbe durch die in § 33 Abs 1 geforderte Konnexität nicht bedingt wäre. Diese Ansicht ist irrig. Das Motiv der Widerklage ist der der Gerechtigkeit entsprechende Gedanke, dass dort, wo der Kläger Recht fordert, er auch Recht geben soll, und dass er es thun soll in demselben Prozess. Dieser Gedanke wird, anders als im gemeinrechtlichen Verfahren, verwirklicht durch den „simultaneus processus" und daher die Widerklage ausgeschlossen, wo solcher nicht ausführbar oder rathsam erscheint. Aus diesem Grunde ist die Konnexität erste und wesentlichste Voraussetzung der Widerklage; sie wirkt zugleich kompetenzbegründend33. IV. Die gesammte vorstehend erörterte Auslegungsthätigkeit entbehrt nicht des h i s t o r i s c h e n Charakters. Sie muss vielmehr von demselben durchweg durchdrungen sein. Denn es handelt sich darum, das Gesetz als ein Erzeugniss der Geschichte, nicht losgelöst von dieser, zu erfassen. Die Sprache seiner Entstehungszeit redet das Gesetz, die Begriffe dieser Zeit handhabt es, in das Rechtssystem dieser Zeit ist es eingegliedert. Seine Neubildungen werden nur im Zusammenhang mit dem Vorangegangenen voll verständlich. Daher nimmt der historische Stoff, die dem Gesetz vorangegangene Gesetzgebung die Stelle eines wichtigen Hilfsmittels des Interpreten ein. Damit gelangen wir zu der oben (§ 20 Nr VI) unerörtert gelassenen Frage der Bedeutung der sogen. M a t e r i a l i e n des Gesetzes für die Auslegungsthätigkeit. Mit der Verneinung der formell vinkulirenclen Kraft wird ihnen solche Bedeutung nicht überhaupt bestritten. 32 L o e n i n g , Ζ f. CP IV 57 ff., welcher m. Κ S 58 die Motive nicht richtig deutet. Vgl. auch unten § 40. 38 Die Betrachtung des Gesetzes als Einheit und Stück des ganzen Rechtssystems erweist sich auch dort fruchtbar, wo die eben entwickelten allgemeinen systematischen Zusammenhänge nicht verwerthbar sind. Das Gesetz spricht oft ungenau, unvollständig und setzt dabei voraus, dass man die Vervollständigung des Gesagten anderweiten Aussprüchen entnehmen werde. Die §§ 472. 507 behandeln als berufungs- bez. revisionsfähig die Endurtheile; damit soll nicht gesagt sein, dass nur sie diese Eigenschaft hätten; die Ergänzung liegt in den Bestimmungen der §§ 248 Abs 2. 276 Abs 2. 502 Abs 3. 562 Abs 3. Als Mittel der Glaubhaftmachung lässt § 266 ganz allgemein den eigenen Eid der Partei zu ; aus den §§ 44 Abs 2. 371 Abs 3. 508 Abs 3 entnehmen wir die Ausnahmen von der Regel.

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§ 22. Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

1. In erster Linie sind abzulehnen alle die Anschauungen, welche unter Negation der formell bindenden Natur doch wieder auf eine „ s t i l l s c h w e i g e n d e A n e i g n u n g " des Inhalts der Materialien durch die gesetzgebenden Faktoren hinauskommen, solche wenigstens im Zweifel vertreten wollen 34 . Die oben § 20 Nr IV—VI angeführten Gründe weisen derartig widerspruchsvolle Ansicht zurück. 2. Nicht minder ist es unrichtig, den Motiven oder sonstigen hierher gehörigen Aeusserungen die p r ä s u m t i v e Wahrheit beizulegen. Hier, wo es gilt, die Wahrheit zu erforschen, hat eine „Vermuthung" keine Stätte 85 . 84

Wir finden derartiges bei S e u f f e r t 2. Aufl. S X X : „Gleichwohl" (obschon die Materialien nicht formell binden) „ist, wo nicht besondere Gründe entgegenstehen, anzunehmen, dass der den Gesetzgebungsfaktoren bekannte (?) Sinn, in welchem Worte und Redewendungen von den bei den Vorarbeiten betheiligten Personen verstanden worden sind, von ihnen gebilligt ist"; E n d e m a n n I 31: „Wo die Justizkommission und der Reichstag selber der Regierungsvorlage ohne Bemängelung beigestimmt haben, kann, wenn auch nicht absolut, doch im ganzen (?) angenommen werden, dass dies auf der Basis der Motive geschah. — Im Zweifel ist zu unterstellen, dass sich der Reichstag die in den Motiven niedergelegte Auffassung angeeignet hat"; F r a n c k e , Ζ f. CP V I I I 64 (welcher von Aeusserungen des Gesetzgebers ausserhalb des Gesetzes spricht) u. A. m. Vgl. auch RG I CS v. 26. Sept. 1883 (Ε X 368), wo mit „vollkommener Sicherheit" aus den Motiven und dem Umstand gefolgert wird, dass dieselben bei den gesetzgeberischen Berathungen von keiner Seite - beanstandet sind. Mit viel grösserer Sicherheit war aus dem Sprachgebrauch und den Begriffen des Gesetzes zu schliessen. RG I I CS v. 2. Dez. 1881 (Ε V 430): „In der CPO findet sich aber eine derartige Bestimmung nicht und die Motive (S 278) geben die Gründe der Weglassung an. Damit ist jeder Zweifel darüber beseitigt, dass die Anwendung des § 411 CPO auf unwahrscheinliche Thatsachen den Absichten des Gesetzgebers zuwiderläuft." Aber § 411 und der Begriff des „Erwiesen-seins tf des Gesetzes, nicht die Motive, beseitigen den Zweifel; dieser bedurfte der Erörterung und konnte mit der Betonung des Gegensatzes der Wahrheit und der „Wahrscheinlichkeit" allein nicht abgemacht werden. RG I I I CS v. 6. Juni 1882 (Ε V I I 317) sucht die „Absicht des Gesetzgebers" in den Verhandlungen der RJK. Vgl. aber auch RG I I CS v. 2. April 1883 (Ε IX 76): „Der Rechtssatz, welchen die Motive aufstellen, hat dadurch, dass bei der Berathung des Gesetzes Einwendungen dagegen erhoben wurden, noch nicht Gesetzeskraft erlangt. Vielmehr kommt es lediglich darauf an, ob sich jener Satz aus allgemeinen Bestimmungen der Konkursordnung ableiten lässt; und das ist zu verneinen." Und trefflich: RG I CS v. 9. Juni 1883 (Ε I X 404 f.): „In den Worten der Begründung der CPO ist nur die Ansicht des Verfassers dieser Begründung über den Sinn des Gesetzes enthalten. Diese Ansicht verdient von den Gerichtshöfen als eine werthvolle Anregung Beachtung. Dieselbe ist aber stets auf ihren inneren Werth zu prüfen und nur dann zu adoptiren, wenn sich aus dem Gesetze klarlegen lässt, dass sie den Gesetzeswillen richtig erfasst hat." 36 Von solcher Vermuthung reden v. S a r w e y , Kommentar z. KO S X L I ; S t r u c k m a n n - K o c h S XXIV u. A. m.

§ 22. Auslegungsthätigkeit im einzelnen.

3. Andererseits geht es zu weit, Motive, Konimissionsprotokolle u. dergl. auf das Niveau der P r i v a t a r b e i t im Sinne der wissenschaftl i c h e n Aeusserung herabdrücken zu wollen 36 . In dieser Beziehung — als reine Privatarbeit und wissenschaftliche Leistung — kommen dieselben hier ganz und gar nicht in Betracht 37 . Sie sind „Geschichte" ! Sie sind ein Stück der Geschichte des Gesetzes oder richtiger gesagt ein urkundliches Zeugniss über dieselbe. In ihnen schliessen sich die thatsächlich kausalen Vorstellungen der intellektuellen Urheber des Gesetzestextes (nicht des Gesetzgebers !) auf. Die verschiedensten Irrthümer können sie beherrscht haben, es kann ihnen der wahre Inhalt der Gesetzesstelle verborgen geblieben sein, aber immerhin liegt in ihrer Redeweise, in ihren Absichten und Vorstellungen von dem, was mit dem von ihnen gebrauchten Wort Gesetz werden sollte, ein sehr bedeutsames Mittel für dessen Erkenntniss: wohl verstanden nicht auf Grund des Gedankenganges, welcher das Verhältniss von Ursache und Wirkung schlechthin auf das der Materialien und des Gesetzes überträgt und daher dieses nur als den formellen Abschluss eines Entwickelungsganges betrachtet, dessen Inhalt in den Materialien zu finden sei, sondern unter voller Festhaltung der Selbständigkeit und Einheit des auf sich selbst ruhenden und verweisenden Gesetzes. Daher werden die Materialien gemissbraucht, wenn sie die Durchforschung und Auslegung des Gesetzes aus sich selbst ersetzen sollen, wenn sie 36 Das ist das andere Extrem, welches in den Verfechtern der Unverbindlichkeit der Materialien seine Vertreter hat (vgl. u. a. jetzt B i n d i n g , Handb. I 472, auch S c h u l t z e , Ζ f. CP I I 60 ff., Ζ f. HR XXIV 27), aber auch eine beliebte Wendung zur Negation der Formalverbindlichkeit. 37 Das wurde sogar innerhalb der Gesetzgebungsarbeit verkannt, und dieser Irrthum hat dort bessere Berechtignng als heutzutage, nachdem ihre Geschichte abgeschlossen vor uns liegt. In der Sitzung des Reichstags vom 24. Nov. 1884 sagte in Erwiderung auf die Ablehnung der regierungsseitigen Vertretung der Motive der CPO der Abg. L a s k e r : Es hätten sich diese durch die Worte des Ministers aus einem Gesetzgebungsmaterial, für welches er sie gehalten, in eine Anzahl sehr schätzbarer Broschüren verwandelt. „Wenn die Regierungen sie nicht vertreten, so habe ich kein Interesse, kaum noch das Recht, auf sie zurückzukommen, da ich selbst von den Erläuterungen nicht weiss, in welcher Weise sie als Manifestationen der Regierung aufzufassen seien; und es bleiben dann noch übrig drei von ziemlich mit der Sache betrauten Personen ausgearbeitete Broschüren, mit denen wir aber gesetzgeberisch nicht rechnen können" u. s. w. Und der Abg. L a s k er hat mit ihnen gerechnet und nicht nur er, sondern die ganze RJK, und in potenzirtem Maasse thut es die hilfsbedürftige Praxis und Theorie. Es mag noch bemerkt werden, dass auch die Erfolglosigkeit des Wunsches des Abg. G η e i s t (Sten. Ber. S 301. 303) auf Einigung der Regierungen über die Motive hierauf keinen Einfluss geübt hat.

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§ 23.

Sprachgebrauch des Gesetzes.

zur Vervollständigung des Ergebnisses der rationellen Auslegung oder gar gegen dasselbe verwerthet werden. Aber sie leisten wesentlichen Dienst in Verbindung mit ihr, wenn es gilt, rationelle Auslegung zu bekräftigen. 4. Man hat die verschiedenen Bestandtheile der Materialien (Motive, Kommissionsprotokolle, authentische Auslegungen der Kommission u. dergl.) einer Art Klassifikation unterstellen wollen 38 . Mit Unrecht. Es kommt keinem unter ihnen ein Rangvorzug an sich zu und es sind als „Materialien" nicht nur die unmittelbaren gesetzgeberischen Arbeiten für die Reichsjustizgesetze, sondern auch deren weiter zurückliegende Vorarbeiten zu behandeln. Denn es ist bekannt, dass die Vorarbeiten des HE, NE, PE in grossem Umfang benutzt und ausgebeutet wurden. Eine Sonderung in den Bestandtheilen der historischen Materialien hat nicht formell, sondern sachlich insofern zu erfolgen, als bei ihrer Benutzung auf das sorgfältigste kritisch zu verfahren und der kausale Zusammenhang zwischen dem in ihnen Bezeugten und dem Gesetz nachzuweisen ist. Alle Bestandtheile, welche sich als Meinungsäusserungen in Parlament oder Kommission über schon vorliegenden und nicht mehr geänderten Entwurf darstellen, sind an und für sich völlig werthlos, oder m. a. W. sind Reflexionen über Geschehenes, sind nicht Zeugnisse über Geschehendes39. Sie können nur „wissenschaftlichen" Werth haben. Noch mehr gilt das selbstverständlich von entwickelten dogmatischen Anschauungen, theoretischen Konstruktionen, Schlussfolgerungen aus dem fertigen Wortlaut in Motiven, Debatten u. dergl. Von Benutzbarkeit im hier erörterten Sinn ist also nur zu reden, sofern nachweisbar in jenen Urkunden objektivirt ist der Werdegang des Gesetzesworts. § 23. Fortsetzung.

Der S p r a c h g e b r a u c h des Gesetzes.

I. Die s p r a c h l i c h e A u s l e g u n g giebt an und für sich den möglichen Sinn der Gesetzesworte: ob dieser ein einzigmöglicher sein kann, ist eine Frage von untergeordneter Bedeutung, denn jedenfalls wäre es unrichtig, diesen einzigmöglichen oder auch nur den möglichen Sinn der W o r t e überhaupt für möglichen Sinn des Gesetzes 38

Das versucht u. a. S e u f f e r t 2. Aufl. S X X I ff. Vollends macht sich das geltend gegenüber den Aeusserungen von Kommissionsmitgliedern u. dgl. in ihren Bearbeitungen des Gesetzes. Es ist bemerkenswerth, dass selbst in einem Plenarbeschluss der Civilsenate des Reichsgerichts (vom 29. Sept. 1882, Ε VII 386) Gewicht gelegt wird auf die Thatsache, dass ein „Antragsteller" in seinem Kommentar eine bestimmte Ansicht vertritt. 89

§ 23.

Sprachgebrauch des Gesetzes.

anzusehen. Die Unrichtigkeit folgt aus der zulässigen und notwendigen Anwendung noch anderer Interpretationsmittel als der sprachlichen Auslegung. Es giebt eine Auslegung des Wortes gegen das Wort 1 . Die sprachlichen Gesetze zum Zwecke der Auslegung zu entwickeln, ist nicht die Aufgabe. Sie wie der Sprachgebrauch können nur dargelegt werden, sofern die CPO zu besonderen Bemerkungen Veranlassung giebt. Es gilt dabei vorzüglich, die Redeweise dieses Gesetzes zu analysiren. II. Eine feste, durchgängig beobachtete T e r m i n o l o g i e , d. h. einen Wortschatz, in welchem dem Wort seine technisch-juristische Bedeutung, ein juristisch fester Begriff zukommt, besitzt, unserer erst sich entwickelnden legislativen Technik entsprechend, die CPO nicht 2 , so bedauerlich auch diese Thatsache ist. Doch entbehrt das Gesetz selbstverständlich nicht der Terminologie. Vereinzelt d e f i n i r t es: so in § 592 die „Ehescheidungsklage", die „Ungiltigkeitsklage", die „Nichtigkeitsklage". Häufig bedient es sich der disponirenden Form, um unter Festsetzung der Voraussetzungen oder des Wesens des Rechtsinstituts zugleich dessen Terminus zu betimmen. So in § 12, wo „allgemeiner Gerichtsstand" nicht formell definirt, aber doch seinem Wesen nach nonnirt wird; ebenso in § 61. 62. 63, wo stillschweigend die Ausdrücke Haupt- und Nebenintervention auf die vorangehende Regelung des relevanten Thatbestands bezogen werden 3 . Am häufigsten setzt das Gesetz den Terminus als bekannt voraus. Das regelmässig, wenn es sich um Begriffe des materiellen, civilen oder öffentlichen Rechts handelt4. 1

Vgl. Τ h o l , Einl. S 145. In mehrfacher Beziehung daher verfehlt die Bestimmung des sächs. BGB § 21. 2 Das Gegentheil wird nicht selten behauptet: ζ. B. v. W i l m o w s k i - L e v y 3. Aufl. S 17: „die technischen Ausdrücke, welcher sich das Gesetz bedient, sind stets in demselben Sinn gebraucht"; S c h u l z e n s t e i n in Gruchots Beitr. X X V I I 267 ; und tagtäglich werden aus dieser falschen Ansicht falsche Schlüsse gezogen. 3 Vgl. auch § 74. 76—81 zum Begriff des Prozessbevollmächtigten (§ 34. 41 Nr 4. 160. 162. 164. 223); zum Begriff der Anfechtungsklage § 605—611. 612. 834. 835. 4 Sie begegnen uns auf Schritt und Tritt: Früchte, Nutzungen, Zinsen, Schäden, Kosten, Nebenforderungen (§ 4), Anspruch (§ 5), Besitz, Forderung, Sicherstellung, Pfandrecht (§ 6), Grunddienstbarkeit (§ 7), Pacht-, Miethverhältniss (§ 8), Wohnsitz (§ 13), Exterritorialität, Wahlkonsul (§ 16), Ehefrau, Trennung von Tisch und Bett, eheliche und diesen gleich gestellte Kinder (§ 17), Gemeinden, Korporationen, Stiftungen, Anstalten, Vermögensmassen, welche als solche klagen, verklagt werden können (§ 19), Fiskus (§ 20) u. s. w.

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§ 23. Sprachgebrauch des Gesetzes.

Sie alle empfangen ihre Bestimmung aus dem geltenden ausserprozessualen Rechte. Aber auch in der prozessualen Terminologie operirt das Gesetz mit „bekannten" Begriffen. Man verfolge es von seinem Anfange an : Zuständigkeit, Gericht (§ 1), Streitgegenstand (§ 2), Widerklage (§ 5. 33), Rechtskraft (§ 11. 293. 644. 645. 781 Abs 2), Gerichtsstand (2. Titel), Instanzenzug, Instanz (§ 36. 38 u. ö.), Beschluss (§ 37 u. ö.), Hauptsache (§ 39), Partei (§ 41 Nr 1. 4. 42 f. 48, I. Buch 2. Abschn. 1. Tit. § 50 u. ö.), Fähigkeit vor Gericht zu stehen, Prozessfähigkeit (§ 50. 51. 53. 54. 75. 86. 247 Nr 6) 5 . Diese reichsrechtlichen Prozessbegriffe müssen einen einheitlichen, für ganz Deutschland gleichen, wenn auch noch so vagen Sinn besitzen. Er ist vom Gesetz, soweit nicht aus ihm ein anderer erhellt, als wissenschaftlicher Gemeinbesitz entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauche aufgenommen, wie das auch mit anderen, nicht specifisch juristischen Begriffen geschehen ist 6 . III. Terminologische Untersuchungen sind unerfreulich und ermüdend. Dennoch glaube ich ihnen an dieser Stelle eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden zu sollen, da es von höchster Wichtigkeit für das Verständniss des Gesetzes ist, sich mit der Sprechweise desselben bekannt zu machen und zu zusammenhängender Beleuchtung derselben sich anderweit eine Gelegenheit nicht bietet. Die CPO benutzt nicht selten dasselbe Wort in verschiedenem Sinn und für dieselbe Sache verschiedene Worte synonym. 1. Die CPO spricht von Gericht, Prozessgericht, Gericht der Hauptsache, des Hauptprozesses (§ 799. 807. 816. 820. 821. 34), Vollstreckungsgericht, Vertheilungsgericht, Arrestgericht, erkennendem Gericht, Instanzgericht, Aufgebotsgericht (§ 834), Berufungsgericht, Revisionsgericht, Beschwerdegericht. Häufig und ohne jeden Grund begeht das Gesetz die Nachlässigkeit, an Stelle des gebotenen speciellen Terminus den schwankenden allgemeinen (Gericht) zu setzen und dadurch Unklarheit zu erzeugen. Das Wort „ G e r i c h t " nämlich wird höchst mannigfaltig verwendet. Es bedeutet: a. ohne jede nähere Determinirung die Justizverwaltungs-Institution, so wenn das GVG § 22. 58. 110. 126 von Amtsgericht, Landgericht usw. redet 7 (§ 271 Abs 2); b. die gerichtsbarkeitliche geschlossene Institution, welche ihr 6

Ueber den Terminus „bürgerliche Rechtsstreitigkeit" s. oben § 8 III. L 7 § 2 D de suppell. leg. X X X I I I 10: non ex opinionihus singulorum sed ex communi usu nomina exaudiri debere. 7 Vgl unten § 24 S 312. 6

§ 23.

Sprachgebrauch des Gesetzes.

Organ in den gerichtlichen Personen (u. a. auch im Richter einschl. des beauftragten und ersuchten Richters, vgl. § 262 Abs 2 mit § 261) hat 8 ; c. den Richter, das Gerichtskollegium im Gegensatz zu den übrigen gerichtlichen Personen (z. B. CPO § 49) 9 ; d. das Kollegium im Gegensatz zum beauftragten und ersuchten Richter und zum Vorsitzenden 10; e. das Vollstreckungsgericht (§ 730. 743), speciell das Vertheilungsgericht (§ 760. 761. 763. 764 vergl. mit § 765. 768) und das Vollstreckungsgericht des § 780 (769. 781. 782); f. das zum Erlass von Haftbefehlen berufene Gericht (§ 789 vergl. mit § 774. 775. 782 und § 711. 769. 780; § 355 Abs 2 vergl. mit § 354 Abs 2); g. das Beschwerdegericht (§ 536 Abs 2); h. das Arrestgericht (§ 801). 2. Der Ausdruck „Prozess g e r i c h t " bezeichnet das Gericht, bei welchem der Rechtsstreit anhängig ist, und zwar a. ganz allgemein (u. a. in § 55. 74. 109. 334); b. als Prozessgericht erster Instanz (§ 232. 233. 235 Abs 4, aber auch § 53 ; ausdrücklich erscheint der Terminus in dieser Redeverbindung in § 700. 773—775. 778. 686, wogegen wiederum in den §§ 688. 689 das Prozessgericht schlechthin gemeint ist); c. im Gegensatz zum beauftragten und ersuchten Richter (z. B. § 147. 258 Abs 2. 313. 320. 326. 327. 331. 354. 358. 363. 370. 539 Abs 1), zum Beschwerdegericht (§ 539 Abs 2. 540 Abs 4), zum Vollstreckungsgericht (s. unten § 32). 3. „ G e r i c h t der H a u p t s a c h e " ist sowohl das Gericht, bei welchem die Hauptsache anhängig gemacht werden kann, welches für diese zuständig ist, als dasjenige, bei welchem sie schwebt. Das folgt aus der Vergleichung der §§ 799. 806 mit 807. 8 2 1 n . 8 Vgl. unten § 26; z. B. CPO II. Buch 1. Abschn. 2. Abth. Rub. § 456. In diesem Sinne spricht CPO § 74 Abs 1 von dem Verfahren vor den Landgerichten und Gerichten höherer Instanz (vgl. auch § 185); Abs 2 setzt die Ausnahme. Die Unterscheidung, welche Κ a t z , Schriftsätze und Anwaltszwang. Erlangen 1883. S 55 zwischen „vor Gericht" und „bei Gericht" durchführen und aus welcher er wichtige Konsequenzen für die Beschränkung des Anwaltszwanges ziehen will, ist nicht haltbar. Vgl. unten zur Lehre von der Rechtsanwaltschaft. 9 Vgl. auch unten § 26. 27. Das Kollegium als Civilkammer des Landgerichts ist fälschlich mit „Landgericht" bezeichnet in CPO § 573. 10 Vgl. unten § 26. 11 In welchen der Arrest zugelassen und ein Gericht der Hauptsache angenommen wird, obschon die Anhängigkeit derselben noch nicht eingetreten ist. Diese Auslegung ist um so sicherer auch für § 816 Abs 1 u. § 820 Abs 1 anwendbar,

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4. Der Terminus „ P a r t e i " erscheint doppelsinnig im Gesetz, indem einmal unter ihm im engeren Sinne das Subjekt des streitigen Rechtsverhältnisses (der materielle Interessent, das Prozesssubjekt), sodann in einem weiteren Sinne auch der Vertreter der Partei und deren Nebenintervenient, kurz und gut jeder verstanden wird, welcher Parteirechte auszuüben befugt ist. Ersteres ist der Fall u. a. in den §§ 41 Nr 1. 4. 50. 55. 61. 63. 67. 69. 87. 414. 543 Nr 4, letzteres in den §§ 42 Abs 3. 43. 74. 107. 124. 128. 129. 298. 299. 300 if. 488. 542 Nr 4. 543 Nr 4. Die verschiedenen Parteirollen bezeichnet das Gesetz entweder mit K l ä g e r und B e k l a g t e r (§ 30. 39. 73. 102. 103. 231. 232. 235 Abs 2 Nr 3. 241. 243. 559 if. u. ö.) oder mit G l ä u b i g e r und S c h u l d n e r (§ 72. 628. 632. 638 ff. 650. 651. 652. 664—666. 668 Abs 1. 671. 672. 673. 676. 677. 798. 803. 809), dagegen ist das Wort „ G e g n e r " (§ 66. 235 Nr 1. 236 Abs 2. 237. 471. 590. 636 Abs 2. 801. 802. 804. 820) durchaus relativ, je nachdem als Widerpart der Kläger oder Beklagte gedacht ist. Bei diesem speciellen Begriffe kehrt jener Unterschied einer engern und weitern Bedeutung wieder, welchen wir bei dem Begriffe „Partei" festzustellen hatten. 5. Die r i c h t e r l i c h e n D e k r e t e nennt die CPO ein „Anordnen", „Entscheiden", „Verfügen", „Beschliessen", „Urtheilen", ohne dass damit feste Begriffe verbunden würden 12 . 6. Unter den Parteihandlungen wird die ein prozessualisches Verlangen der Partei ausdrückende Willenserklärung (Petitum) unterschiedslos mit den Worten „ A n t r a g " , „Gesuch" belegt und zur Verdunkelung der Sache wenigstens das erste Wort gelegentlich in technischem Sinn genommen13. 7. Das Wort „ V e r h a n d e l n " wird einerseits ganz allgemein im Sinne eines jeden prozessualischen, der Erledigung eines Punktes dienenden Handelns der Prozesssubjekte unter einander, andrerseits in engem, specifisch die mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gericht oder die Verhandlung zur Hauptsache bezeichnendem Sinne geais § 815 die Arrestvorschriften (also auch § 806) entsprechend auf die einstweiligen Verfügungen ausdehnt. Es bedarf daher zur Befestigung dieses Ergebnisses weder einer Argumentation aus einer andernfalls zu befürchtenden Lücke des Gesetzes, noch aus der Entstehungsgeschichte desselben (RG I I I CS vom 20. Mai 1881, Ε IV 405 ff. und dazu V i e r h a u s in Ζ f. CP V 122). 12 Vgl. m e i n e Vorträge S 76 ff. 13 Ueber diese Termini das Eingehendste bei F i t t i n g , Ζ f. CP V I I 229 ff.; s. auch Β i r k m ey er, Rechtsfalle aus der Praxis des Reichs-Civilprozesses. Wismar 1883. S 126 f.; bes. RG V CS vom 17. Okt. 1883 (Ε X 386 ff.).

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braucht: eine Unsicherheit, welche lebhafte Streitigkeiten im Gefolge gehabt hat 1 4 . IV. Das Schwankende der Terminologie erscheint in derartigen Beispielen verhältnissmässig ungefährlich, weil leicht kenntlich. Mitunter aber bereitet es der praktischen Handhabung und wissenschaftlichen Konstruktion erhebliche Schwierigkeiten. Dafür mögen einige Beispiele Platz finden. 1. Von „ A n g r i f f s - und V e r t h e i d i g u n g s m i t t e l n " redet das Gesetz15 in den §§ 33. 64. 65. 91. 95 Abs 3. 137. 251. 252 (583). 262. 275. 315. 319. 426. 491 Abs 1. 502. 503. Von diesen Gesetzesstellen nennen nur Vertheidigungsmittel die §§ 33. 252. 502. 503. Dagegen sprechen von „selbständigen Angriifs- und Vertheidigungsmitteln" die §§ 137. 262. 275. 426. Dass Angriffsmittel Mittel in der Hand des angreifenden, rechtsverfolgenden Theils sein soll, Vertheidigungsmittel Mittel in der Hand des ablehnenden, rechtsvertheidigenden Theils, versteht sich von selbst; aber der letztere, der Angegriffene, wird Angreifer, sobald er seinerseits klageweise, widerklageweise vorgeht. Die CPO erkennt das in der Konstruktion klar an, lässt aber nicht deutlich ersehen, ob sie dem entsprechend die Widerklage als „Angriffsmittel" bezeichnet wissen will; denn § 251, welcher nach den Angriffsund \7ertheidigungsmitteln exemplificirend die Widerklage zwischen Einreden und Repliken aufzählt, macht weder durch die Reihenfolge, noch durch irgend ein sonstiges Moment ersichtlich, ob die Widerklage den Angriffs- oder Vertheidigungsmitteln zugezählt werden soll; auch ist es müssig, in langathmigen Deduktionen die wirkliche gesetzgeberische Vorstellung zu suchen, denn es würde bei dem sonstigen nachzuweisenden Sprachgebrauch zu keinerlei Rechtsfolgerungen führen. Ueberall nämlich, wo sonst das Gesetz von Angriffs- und Vertheidigungsmitteln redet, hat es offenbar die Widerklage nicht im Sinn 16 . Angriffs- und Vertheidigungsmittel sind materielle und prozessuale Rechtsbehelfe: j e n e als in Form der Klage, Widerklage, Einrede veru

O b e r m e y e r in Seufferts Bl. f. RA X L V I 372 ff.; B i r k m e y e r a. 0. S 105 ff. und das in der vor. Anm angeführte Urtheil des RG. — Man vgl. CPO § 119 f. 127 ff. 298 mit § 318. 319. (250) einerseits und § 146. 151, 43 andererseits. S. unten § 27. 15 Zu ihm vgl. ausser den Kommentaren bes. zu den betr. §§ 136. 137. 251 (z. B. S t r u c k m a n n - K o c h § 136 S 143; S e u f f e r t § 137 Anm 1) m e i n e Vorträge S 32 f. ; S c h ο 11 m e y e r , Der Zwischenstreit S31ff.; L o e n i n g , Widerklage S 162 Anm 211; auch v. B ü l o w in Gruchot X X I I 813 ff.; H o f f m a n n das. X X V I I 192 ff. u. A. m. 16 Vgl. dazu L o e n i n g a. O. S 24 f. Binding, Handbuch. IX. 2. I : W a c h , Civilprozess. I .

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folgte Ansprüche, als Behaupten, Bestreiten rechtserheblicher Thatsachen (Klaggrund, Einrede, Replik, Duplik); diese als die prozessualischen und speciell die prozesshindernden Einreden, als Beweismittel, Beweiseinreden, Rechtsmittel, prozessuale Anträge, welche den Gebrauch von Rechtsbehelfen eröffnen sollen, Editionsanträge u. dergl. Die CPO redet nun von Angriffs- und Vertheidigungsmitteln nirgends in dem allgemeinen Sinne, dass sie alle diese Rechtsbehelfe darunter begriffe. Einen derartigen allgemeinen Sprachgebrauch behauptet man für die §§ 64. 65. 91. 95. 315. 491 1 7 . Aber die ganz allgemein sprechenden §§ 64. 65 beziehen sich, wie später darzulegen sein wird, nicht auf die Klagansprüche (Klage, Widerklage); die §§ 91. 95 Abs 3, wie kaum des Beweises bedarf, ebensowenig; der § 91 setzt den Gegensatz von Siegen in der Hauptsache und Misslingen eines derselben dienenden Angriffs- oder Vertheidigungsmittels ; die Klage und Widerklage sind stets Hauptsache : ein Streitgenosse, welcher eine selbständige Klage oder Widerklage (z. B. nach § 253) für sich geltend macht, ist in diesem Stück nicht Streitgenosse, also nicht nach § 95 Abs 3, sondern nach § 87 ff. zu behandeln. Auch ist es unrichtig .in den §§ 91 und 95 Abs 3 mit Angriffs- und Vertheidigungsmitteln denselben Sinn zu verbinden; denn in § 91 wird von ihnen das Rechtsmittel ausgeschlossen (vergl. § 92), in § 95 Abs 3 wird es eingeschlossen. — In § 315 sind von den Rechtsbehelfen gesondert 1. die Ansprüche (Klage, Widerklage), 2. die prozesshindernden Einreden, 3. die Beweismittel und Beweiseinreden, die Erklärungen auf solche und die Anträge (vergl. auch § 319). — In § 491 sind ausgeschlossen „neue Ansprüche" (§ 491 Abs 2) und prozesshindernde Einreden (§ 490). Es ergeben sich folgende verschiedene Begriffe der erörterten Ausdrücke : a. Im weitesten Sinne erscheinen sie in den §§ 64.65. 95 Abs 3, wo sie alle Rechtsbehelfe mit Ausnahme der Klage und Widerklage umfassen. b. Den gleichen Begriff mit fernerem Ausschluss der Rechtsmittel (§ 92) hat § 91 im Auge. c. Noch mehr verengert ihn § 491, in welchem neue Ansprüche, auch sofern sie Gegenstand der Kompensationseinrede sind, und prozesshindernde Einreden ausgeschieden werden. d. Nur materielle Rechtsbehelfe begreifen die §§ 137. 251 (vergl. mit § 256 Abs 2). 262. 275. 315. 319. 426 18 . Unter sich freilich 17 18

Vgl. H o f f m a n η a. O. S 192. Betreifs der prozesshindernden Einreden vgl. CPO § 247. 250.

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Sprachgebrauch des Gesetzes.

haben diese Gesetzesstellen wieder verschiedenen Brauch, und unzweifelhaft zählen die §§ 137. 251 hierher den klageweisen bezw. widerklageweisen Anspruch (actio) und die Kompensationseinrede ; dagegen denkt § 315 nur an materielle Rechtsbehelfe mit Ausnahme der Ansprüche, Gegenansprüche (Kompensationseinreden) der substanziirenden Behauptungen und des Bestreitens der Ansprüche, (§ 315 Nr 2. 3). Denselben Sinn legt wohl § 319 Abs 2 den Angriffs- und Vertheidigungsmitteln bei, obschon hier das „Sachverhältniss" nicht besonders erwähnt wird. Der § 262 bezieht sich nur auf Einreden, Repliken usw., m. a. W. nur auf materielle Rechtsbehelfe, welche unerachtet der Wahrheit der gegnerischen rechtserheblichen Behauptungen doch die Ableitung des aus ihr an sich folgenden Endergebnisses auszuschliessen bezwecken. Er umfasst aber zugleich die Kompensationseinrede. Derselbe Begriff wird in den §§ 275. 426 gefunden werden müssen, wennschon nicht zu verkennen ist, dass das Gesetz viel zu allgemein spricht, da die Entscheidungsreife des § 275 und die bedingte des § 426 Abs 2 nur im Sinne der Verneinung des Vertheidigungsmittels, nicht seiner Bejahung — der letzteren wenigstens dann nicht gedacht werden kann, wenn nicht anderweite ihm entgegengesetzte Angriffsmittel des Klägers (Repliken usw.) sie möglicherweise entkräften können. Denn andernfalls wäre End- nicht Zwischenurtheil geboten. e. Nur Vertheidigungsmittel nennen die §§ 252. 502. 503. 583. Sie begreifen darunter alle materiellen Defensionen, ausschliesslich der Widerklage (§ 491 Abs 2), einschliesslich eines nachträglichen Bestreitens früher zugestandener (§ 263) oder doch nicht bestrittener Thatsachen. Die Widerklage und Kompensationseinrede könnten von der Disposition des § 252 nur getroffen werden, wenn ihr selbständiges nachträgliches Vorbringen verzögerlich wirkt ; die Widerklage verzögert nie, die Kompensationseinrede nur, wenn sie mit der Klage konnex ist (§ 136. 137. 273. 274). f. Wenn endlich das Gesetz die S e l b s t ä n d i g k e i t von Angriffs- und Vertheidigungsmitteln zu einem wesentlichen Merkmale in den §§ 137. 262. 275. 426 erhebt, so setzt es damit durchaus nicht einen Begriff mit festem Inhalt — wie schon aus Vorstehendem erhellt —, sondern einen relativen Begriff, dessen bestimmendes Merkmal darin liegt, dass die fraglichen Rechtsbehelfe für den konkreten relevanten Zweck gegenüber einem andern Stücke des Prozessinhalts Selbständigkeit besitzen. Jener Zweck ist in § 137 der Verhandlungszweck, in § 262 cler Beweiszweck, in den §§ 275 und 426 der Entscheidungszweck. Ist der eine oder der andere dieser Zwecke bezüglich der Angriffs- und Vertheidigungsmittel isolirt erreichbar, dann 19*

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Sprachgebrauch des Gesetzes.

sind sie „selbständige". Welches jenes andere Stück des Prozessinhalts ist, beantwortet sich wiederum nach den obigen Erörterungen verschieden für die verschiedenen Gesetzesstellen. In § 137 ist der eine Klaggrund isolirungsfähiger Gegenstand der Verhandlung gegenüber dem andern, die Einrede gegenüber dem Klaggrund und der andern Einrede, die Replik gegenüber diesen Rechtsbehelfen bezw. einer andern Replik usw.19, in § 262 dagegen ist das isolirte Behaupten und Beweisen gegenüber der zugestandenen Thatsache in Frage, in den §§ 275 und 426 die isolirte Vorentscheidung gegenüber der rechtskräftigen Endentscheidung20. 19

Ebenso hätte das Gesetz in § 136 von „selbständigen" Anprüchen sprechen

können.

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Eine besondere Aufmerksamkeit ist den relativen Begriffen des Gesetzes zuzuwenden. Schon im Vorstehenden sind dafür Belege gegeben. Gerade bei ihnen ist die Tendenz, den einheitlichen Sprachgebrauch in das Gesetz hineinzutragen, dem Interpreten sehr nahe gelegt. Solche relative Termini sind u. a. alle die mit „Haupt" bez. „Neben" zusammengesetzten Worte: Hauptanspruch (§ 292), Hauptforderung (§ 4. 279), Hauptintervention (§ 62. 236 Abs 2), Hauptpartei (§ 64. 65. 96. 236 Abs 2. 237. 414. 607), Hauptprozess (§ 34. 62. 66. 78), Hauptverfahren (§ 68 Abs 3), Hauptsache. Letzterer Ausdruck hat seinen Gegensatz in cler Nebensache und nach cler Verschiedenheit der Sachlage in sehr verschiedenem Sinn. Hauptsache ist „Sache" und zwar Sache (res) als Gegenstand prozessualischen Verfahrens; als Hauptsache die wichtigere Sache in Beziehung zu einer anderen, minder wichtigen. Während gewöhnlich das Gesetz mit „Sache" schlechtweg das Objekt von Rechtsansprüchen bezeichnet (z. B. in § 6. 24. 25. 61. 236. 238. 710 Abs 1. 712 Abs 1. 713. 715—718. 721. 726. 727. 745 ff), benutzt es clas Wort in übertragenem Sinne auch für das den Gegenstand des Verfahrens bildende Rechtsverhältniss (Anspruch, Streitsache in thatsächlicher und rechtlicher Beziehung), oder für dieses Verfahren selbst als Rechtsstreit: j e n e s in § 41 (vgl. unten § 27). 236 Abs 3 und in den Zusammensetzungen „Sachlegitimation" (§ 238), „Sachverhältniss" (§ 130 Abs 1. 132. 318 Nr 3); d i e s e s in § 500. 501. 528 und in clen die substanzielle Seite des Rechtsstreits berührenden Redeverbindungen „nach Lage cler Sache" (§ 273), „Sach- und Streitstancl" (§ 284 Nr 3), auch „Sachverhältniss" (§ 504 Abs 2). Aehnlich bezeichnet „Hauptsache" gewöhnlich clie eigentliche materielle Streitsache (res in iudicium declucenda s. deducta), z. B. in der Verbindung „Verhandlung oder mündliche Verhandlung zur Hauptsache" (§ 39. 73 Abs 1. 243 Abs 1. 247. 248. 310. 465. 467. 490 Abs 2. 557. 648 Nr 3). Hier bildet den Gegensatz clie Verhandlung über eine prozessuale Frage (prozesshindernde Verteidigung) oder über einen Zwischenstreit. In § 240 Nr 2 bedeutet „Hauptsache" den Gegensatz zur Nebenforclerung (vgl. § 4. 279); in § 91 den eigentlichen Streitgegenstand im Gegensatz zu einzelnen Angriffs- und Vertheidigungsmitteln und zum Kostenpunkt (vgl. auch § 94), in den §§ 217 Abs 1 und 4. 221 Abs 1. 226 Abs 2 den Prozess über den eigentlichen Streitgegenstand schlechthin (einschliesslich aller prozessualen Vor- und Nebenfragen) im Gegensatz zum Aufhahmeverfahren ; in § 553 hat „Hauptsache" die gleiche Bedeutung im Gegensatz zum Wiederaufnahmeverfahren ; in den §§ 806. 807 Abs 2.

§ 23. Sprachgebrauch des Gesetzes.

2. Das Wort „Anspruch" hat nach der allgemeinen Meinung in der CPO einen einheitlichen Sinn, über welchen freilich wenig Einmüthigkeit herrscht 21. In/der That existirt derselbe nicht. Es lassen sich vorzüglich folgende Begriffe scheiden: 1. Anspruch = civiles, befriedigungsbedürftiges Recht (Prozessgegenstand in diesem Sinn), s. oben § 2 S 114 f.; 2. Anspruch = Beanspruchtes, Petitum; 3. Anspruch = Rechtsschutzanspruch22. a. Vorwiegend bedeutet Anspruch das materielle Recht in seiner Richtung gegen eine bestimmte Person, das Begehren, Fordern-dürfen gegenüber derselben, das befriedigungsbedürftige Recht. Die CPO wechselt hier ab zwischen „Anspruch" 23 und „Recht", „Forderung". Diesen materiellen Anspruch denkt sie als den civilrechtlichen 816. 820. 821 bedeutet sie den Prozess bez. Streitgegenstand des Prozesses, dessen erfolgreicher Durchführung der Arrest bez. die einstweilige Verfügung dienen soll. 21 Vgl. die Kommentare bes. zu § 136. 230, u. a. S e u f f e r t § 136; S t r u c k m a n n - K o c h § 136; v. W i l m o w s k y - L e v y § 136 Anm 1, § 823 Anm 2; L o e n i n g , Ζ f. CP IV 182 f. 22 Das Wort „Anspruch" in der CPO: § 5. 21 Abs 1. 24. 28 Abs 2. 33. 40 Abs 2. 57. 61. 69. 72. 73 Abs 3. 77. 79 Abs 1. 89. 92 Abs 3. 102 Nr 5. 103. 104 Nr 3. 136—138. 146 Nr 1. 230 Abs 2 Nr 2. 232. 236 Abs 1. 254. 273. 276 bis 278. 292. 293. 313. 315. 318 Abs 2. 319 Abs 2. 467. 491 Abs 2. 499. 500 Nr 3. 503 Abs 2. 508 Abs 1. 509 Nr 2. 555. 560 Abs 1. 562. 563. 565. 628. 630 Nr 3. 632. 634-637. 640. 649 Nr 4. 658. 672. 686. 697. 702 Nr 5. 704 Abs 2. 3. 705 Abs 4. 5. 710 Abs 1. 4. 718 Abs 3. 739 Nr 2. 3. 742. 745—748. 751-753. 772. 773 Abs 3. 778 Abs 1. 2. 796 Abs 2. 800. 801. 823. 839 Abs 2. 849 Abs 1. 871 Abs 1; ECPO § 4; GVG § 9. 23 Nr 1. 70. 101. 23 So spricht sie unter der Rubrik I I I zu § 729 ff. von „Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte" und handelt in derselben von der „Pfändung der Geldforderungen" (§ 730) und der Zwangsvollstreckung in „ A n s p r ü c h e , welche die Herausgabe oder Leistung körperlicher (beweglicher oder unbeweglicher) Sachen zum Gegenstand haben" (§ 745 ff. 751 ff.). In § 796 werden parallelisirt „Geldforderungen" und „Ansprüche, welche in Geldforderungen übergehen können", und in Abs 2 wird mit Beziehung auf beide gesagt, dass die Zulässigkeit des Arrestes nicht ausgeschlossen werde dadurch, dass der „Anspruch" ein betagter sei. So setzt § 57 „Ansprüche" den „Verpflichtungen" gegenüber, sprechen die §§ 21. 24. 40. 508 Abs 1, GVG § 23 Nr 1. 70 von vermögensrechtlichen „Ansprüchen", die CPO in den §§ 102 Nr 5. 839 Abs 2. 849 Abs 1 von „Ansprüchen, welche in das Grund- und Hypothekenbuch eingetragen sind", § 28 Abs 1 von „Ansprüchen aus Vermächtnissen oder sonstigen Verfügungen auf den Todesfall", § 28 Abs 2 von „Ansprüchen an den Erblasser oder die Erben", GVG § 101 von solchen aus Handelsgeschäften, Wechseln (CPO § 565) usw., CPO §710 Abs 1 von Ansprüchen auf vorzugsweise Befriedigung, § 69 auf Gewährleistung oder Schadloshaltung, § 658 auf Eintragung. Wenn in § 823 „Recht" und „Anspruch" neben einander gestellt sind, so soll damit das Recht mit eingeschlossen sein, dem jene persönliche Richtung mangelt.

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Gegenstand des Streites; daher spricht sie von Klage „wegen desselben" oder „aus" ihm (z. B. in den §§ 21. 24. 102 Nr 5. 636. 637, GVG § 101), von „ G e l t e n d m a c h u n g in der Klage", „Geltendmachung des Anspruchs" (§ 73 Abs 3. 77. 79. 146 Nr 1. 236. 254. 273. 277. 278. 503. 562 Abs 1. 563. 672. 871) 24 . Es wird geradezu promiscue mit „Streitgegenstand" und „Anspruch" in den §§ 77 und 79 einerseits und 146 Abs 1 und 277 andererseits operirt. Dort wird mit Verzichtleistung auf den Streitgegenstand, hier mit Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch das gleiche bezeichnet. § 57 nennt den Anspruch neben der Verpflichtung als Gegenstand des Rechtsstreites. b. Als Streitgegenstand giebt der Klaganspruch Veranlassung zur Unterscheidung seines Grundes und Gegenstandes (§ 230 Nr 2). An jenen denkt ECPO § 4, wenn es von „Art des Anspruchs" im Gegensatz zum „Gegenstand" redet; von ihm sprechen ausdrücklich und zwar indem sie zum Theil mit ihm synonym „Klagegrund" gebrauchen, die §§ 56. 57. 137. 230. 232 Abs 1. 240. 276. 312. 500 Nr 3. 555 (zur Begründung des Anspruchs erforderliche Thatsachen). 574 Abs 1. 576. 588. 592. 630 Abs 3. Diesen Grund bezeichnet das Gesetz mit der Wendung: Anspruch oder Klage „aus" irgendwelchen Thatbeständen, Rechtsgeschäften, Handlungen (z. B. in § 28. 30. 31. 32, GVG § 101) 2δ . Der Gegenstand cles Anspruchs ist das Beanspruchte, in Anspruch Genommene. Er ist sorgfältig vom Gegenstand des Streites, Streitgegenstand, zu scheiden, denn dieser ist der Anspruch, das klage weise verfolgte Recht selbst in derjenigen Begrenzung, welche ihm durch den Antrag, Klagantrag gegeben wird. Ihn hat das Gesetz im Auge, wenn es von „Werth des Streitgegenstands" (§ 2. 3. 92 Abs 3. 509 Nr 2) redet, wenn es in § 6 ff. den Besitz, den Forderungsbetrag, die Sicherstellung, das Pfandrecht, die Grunddienstbarkeit, das Pacht- und Miethverhältniss, das Recht auf wiederkehrende Nutzungen, in den §§ 250. 313 die Richtigkeit einer 24 Doch mischt sich bereits hier ein anderer Begriff und zwar der des Rechtsschutzanspruchs ein. Vgl. über ihn unten lit. d. 25 Aehnlich CPO § 121. 214 Nr 1. 389 Nr 5. 449 Nr 4. 551 Nr 1. 553. 596. 613. Wenn ein „Anspruch" „begründet" oder „unbegründet" genannt wird, so ist dabei entweder an den im Text genannten Klaggrund oder an die aus dem Gesammtthatbestand folgende Existenz des Anspruchs gedacht; letzteres in § 503 Abs 3, ersteres in § 631 Abs 1; der § 560 unterscheidet zwischen dem „an sich" und dem in Folge von Einreden unbegründeten Anspruch und meint mit der Begründung an sich die durch den Klaggrund gegebene. Ueber diesen bei der Lehre von der Klage.

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Rechnung, Vermögensauseinandersetzung odei; ähnliche Verhältnisse, in § 568 die Trennung, Ungültigkeit, Nichtigkeit einer Ehe als Streitgegenstand bezeichnet, wenn es das in der Klage geltend gemachte Eigenthum oder dessen Freiheit (§ 25) erwähnt, wenn es den Streitgegenstand in Rechtsgemeinschaft denkt (§ 56), von Verzichtleistung auf den Streitgegenstand (§ 77. 79) redet. Hier ist überall das „streitige Rechtsverhältniss" (§ 59. 253. 254), welches den Prozessgegenstand bildet, gemeint. Anders der „Gegenstand des Anspruchs". Er ist der Zweck desselben, die Einwirkung auf die Aussenwelt, welche durch seine Prozessverfolgung erreicht werden soll. Er erscheint in der Wendung „ A n s p r u c h auf", z. B. auf Zahlung bestimmter Geldsumme oder Leistung einer bestimmten Quantität anderer vertretbarer Sachen oder Werthpapiere (§ 555. 628 Abs 1. 702 Nr 5), oder auf Eintrag ins Grund- oder Hypothekenbuch (§ 658), auf „Herausgabe oder Leistung körperlicher Sachen" (§ 745—747. 751 753. 772). Von diesem im Klagantrag zürn Ausdruck gelangenden Gegenstande des Anspruchs reden die §§ 24. 61 ; denn das Beanspruchen einer Sache giebt an sich dem Grund und damit cler Natur des zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses bezw. Rechts keinerlei Ausdruck. Aber auch wo „Gegenstand cles Anspruchs" das Recht, speciell die Forderung (§ 61. 72. 237. 739 Nr 2) die Natur des strittigen Rechtsverhältnisses zum Theil andeutet, wie dies besonders der Fall ist (bei den sog. Feststellungsklagen) in § 231. 253. 254 oder auch in § 69 (Anspruch auf Gewährleistung, Schadloshaltung), in § 240 Nr 3. 778 Abs 1 (Anspruch auf Leistung des Interesse), muss das Beanspruchte vom Anspruch selbst geschieden werden, der erst in dem „Grunde" seinen motivirenden Thatbestand und seine Individualisirung empfängt 26. 26 In CPO § 471 Abs 1 deckt der Begriff des „Gegenstandes" zugleich den „Grund" ; denn es würde angesichts einer lediglich abstrakten Bezeichnung der geforderten Leistung (z. B. 100 Mark) jede Individualisirung und damit jede Unterlage für den Sühneversuch und die Ladung fehlen. Anders die gewöhnliche Auslegung. Sie basirt auf der Annahme des gleichförmigen Sprachgebrauchs ; sie wäre angesichts cler bisherigen Nachweisungen um so unberechtigter, als die Geschichte des § 471 deutlich zeigt, dass bei seiner Abfassung der sonstige Sinn des „Gegenstandes des Anspruchs" nicht mit diesem Ausdruck verbunden ward. Der Paragraph verdankt seine Entstehung der RJK (Prot S 200 ff.). In den Gesetzesvorschlägen der Abg. v. P u t t k a m e r und S t r u c k m a n n war von „kurzer Angabe des Gegenstandes seines Anspruchs" die Rede, in den Anträgen P f a f f e r o t h s und M a y e r s (S 202) von kurzer Angabe des Gegenstandes des „Rechtsstreits". Die ganze Debatte beweist, dass man Gegenstand des A n s p r u c h s und R e c h t s s t r e i t s gleichbedeutend nahm. Denn was soll die „ k u r z e Angabe des Petitum"

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c. Schon hieraus folgt, dass „Anspruch" in der CPO nicht in nur einerlei Sinne gebraucht wird. Neben dem materiellen Begriffe geht einher ein prozessualer, nach welchem A n s p r u c h das Beans p r u c h t e oder das B e a n s p r u c h e n , den K l a g a n t r a g , bed e u t e t . Das ist denn auch der Sinn in den § § 5 und 137. Es wird noch eingehender darzulegen sein, dass die Individualität des Anspruchs durch die seines Grundes bestimmt wird und Mehrheit der den Anspruch begründenden Thatsachen gleich Mehrheit der Ansprüche ist. Wenn nun § 137 von ein und demselben Anspruch redet, der auf mehreren Klaggründen ruhe, so kann damit nur die sog. objektive Klagenhäufung in der Form der Eventualverbindung getroffen werden, bei welcher ein- und dasselbe Petitum auf verschiedene Gründe (Rechtsverhältnisse) gestützt wird. Andererseits ist die Zusammenrechnung in § 5 nur da am Platze, wo mehrere Petita kumulativ neben einander stehen; bei diesen aber ist es unerheblich, ob sie aus verschiedenen oder demselben Rechtsverhältniss erwachsen. Wird beispielsweise die Herausgabe (restituere) einer Sache gefordert in erster Linie auf Grund des Eigenthums, eventuell auf Grund des Depositum oder Precarium, so sind in der That mehrere materielle Ansprüche gehäuft, welche jedoch sämmtlich denselben praktischen Zweck der Restitution der Sache bezielen. Der Werth des Streitgegenstandes im Sinne von § 2. 3 ist der Sachwerth und eine Trennung der Ansprüche im Sinne des § 136 in verschiedene Prozesse um der Einheitlichkeit des Zweckes oder Gegenstandes des Anspruchs willen unthunlich 27 . Auch in § 232 kann mit Anspruch nur das Petitum (das Beanspruchte) gemeint sein, denn das Gesetz geht von der Möglichkeit aus, dass mehrere Ansprüche auf demselben Grunde ruhen, und nimmt hier die Verbindung der Ansprüche als selbstverständlich an, was sie in der That ist. Damit aber gerade wird der Ausdruck Anspruch mit Petitum gleichgestellt. d. Die CPO braucht endlich Anspruch gleich R e c h t s s c h u t z anspruch. Wo sie generell einen „Anspruch" als den Gegenstand des Streites und zwar mit der speciellen Tendenz auf die bedeuten? — Die Gleichförmigkeit des Sprachgebrauchs vermissen wir auch in CPO § 630 Nr 3, wo unlogisch „Betrag oder Gegenstand und Grund des Anspruchs" neben einander gestellt werden, während doch der Betrag um so weniger einen Gegensatz zum Gegenstande bilden kann, als dieser nach § 628 immer eine bestimmte Quantität an Fungibilien oder Werthpapieren sein muss (vgl. auch CPO § 555 Abs 1. 702 Nr 5). In § 276. 500 Nr 3 ist „Betrag" gleich „Betrag des Gegenstandes" genommen. 27 Vgl. unten § 31.

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Rechtsschutzhandlung nennt, kann sie nur den Rechtsschutzanspruch meinen. Das ist der Fall, wenn sie in § 230. 254. 293 Abs 1. 467 von dem „erhobenen" oder „zu erhebenden Ansprüche", in § 277. 503 Abs 2. 563 Abs 2 von der Abweisung, in § 89. 278. 499 von der Unbestrittenheit, Anerkennung, Zuerkennung des Anspruchs spricht. Man vergegenwärtige sich, dass die Klage eine negative Feststellungsklage, ihr Gegenstand daher nicht ein materieller Anspruch des Klägers ist (s. oben § 2): was sollte dann in Stellen wie in § 230. 467. 499 „Anspruch" anderes als Rechtsschutzanspruch bedeuten? Man vergegenwärtige sich ferner, dass der Beklagte gegenüber der positiven Feststellungsklage zwar die Existenz des klägerischen Rechtes anerkennt, dagegen das rechtliche Feststellungsinteresse, also den Rechtsschuteanspruch bestreitet: wie sollte § 278 anwendbar sein? — Man erwäge endlich die Anwendung des § 277 auf den Fall der negativen Feststellungsklage. V. Die H i l f s z e i t w ö r t e r Sein und Haben. An sich wird sich nicht bestreiten lassen, dass nach dem gemeinen Sprachgebrauch beide Hilfszeitwörter den befehlenden, normirenden Sinn haben können. Die CPO bedient sich ihrer in diesem Sinne mit Vorliebe: es „hat" zu geschehen, es „ist" etwas zu thun sind die am häufigsten gebrauchten Wendungen. Doch ist insofern die Bedeutung derselben eine verschiedene, als die Folgen des Handelns wider den so ausgesprochenen Willen sich verschieden bestimmen. Ueber sie giebt diese Redewendung keinen Aufschluss; insbesondere wäre es irrthümlich anzunehmen, dass jene Folgen allemal in der Unbeachtlichkeit oder Nichtigkeit cler fehlerhaften Handlung zu suchen seien. Es genügt zum Belege auf die §§ 122. 123. 124. 244. 245. 484. 519 Abs 1 zu verweisen 28. VI. Anders wo das Gesetz seinen Willen in clie Form des Müssen s kleidet 20 . Nach der allgemeinen Meinung redet es im Gegensatz dazu vom „ S o l l e n " , wenn nur eine, wie man zu sagen pflegt, „instruktioneile" Vorschrift beabsichtigt ist. Diese Ansicht ist irrig; weder ist der Sprachgebrauch einheitlich, noch hat er den „instruktionellen" Sinn. Hierauf ist näher einzugehen. Das „Sollen" wird gebraucht entweder referirend zur Wiedergabe einer Behauptung, z. B. in § 237, oder in der Hypothesis zur Be28

Vgl. auch unten S 301 Nr 3. Z. B. § 60. 64. 67. 74. 76 Abs 2. 85 Abs 2. 174. 175. 214. 230 Abs 2. 269. 291 Abs 3. 292 Abs 2. 294. 305 Abs 1. 449. 479. 515. 517. 540 Abs 4. 550. 682 Abs 2. 683 Abs 2. 686. 790. 827. 844 Abs 2. 29

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Zeichnung der Zweckbestimmung, z. B. in § 327 ff. („soll die Beweisaufnahme durch ein anderes Gericht erfolgen"). 157. 162. 700. 730 Abs 1, oder in Bezugnahme auf das gesetzlich vorgeschriebene bezw. vereinbarte Sollen: § 188. 194. 199. 684 Abs 2. 765, oder auch als Form dieser Vorschrift selbst: § 121. 230. 281. 305. 389. 480. 484 Abs 2. 516. 519 Abs 2. 551. 596. 800. Die angeblich instruktioneile Bedeutung ist in den Motiven wiederholt betont 30 und Kommentatoren und Gerichte werden nicht müde, sie zu wiederholen. Aber über das Wesen dieses Sollens waltet keine Klarheit. Denkt man Instruktionen als den Gegensatz des Imperativs (so Motive, allgem. Begründung § 4 a. E.), also nicht als ein Sollen, sondern ein Wünschen, so denkt man Falsches, denn das Gesetz wünscht überhaupt nicht, es ist überall Wille, wenn nicht das Gegentheil deutlich aus ihm nachweisbar sein sollte. Oder denkt man hier an „Instruktion" im Gegensatz gegen Prozessgesetz, so wäre das nicht minder verkehrt, denn alle die bezüglichen Vorschriften sind Prozessgesetz und keine interne Geschäftsanweisung ; am wenigsten kann solche sein ein „Sollen", welches sich an die Parteien richtet (z. B. § 121 ff.). Glaubt man aber, dass ein wesentlicher Unterschied etwa darin gelegen sein könne, dass in dem einen Falle ein Zwang, in dem andern kein Zwang hinter dem Gesetze stehe, also doch im Effekt der Wille zum Wunsch werde, so liegt doch hierin nicht das Unterscheidungsmerkmal zwischen Müssen und Sollen der CPO, denn wie noch zu zeigen sein wird, mangelt es dem Gebote des Sollens nicht an dem Rechtszwang. Wenn endlich die Motive dazu verführen, das im „Sollen" Eingeschlossene als „unwesentlich"31 anzusehen, so leiden sie an starker Unklarheit: denn sie verwechseln die Unwesentlichkeit 30

So in der allg. Begründung § 4 a. E.: „Es empfiehlt sich nach dem Vorgänge des Ε einer CPO für den Norddeutschen Bund die verschiedene Natur dieser Schriftsätze" (sc. derjenigen, welche neben ihrer allgemeinen Bedeutung für eine besondere mündliche Verhandlung noch eine besondere wesentliche Bedeutung für die durch ihre bewirkte Zustellung erfolgende Einleitung oder Erneuerung einer Instanz haben, wie ζ. B. Klagschriften, Berufungs-, Einspruchsschriften) „durch den Wortausdruck in den betreffenden gesetzlichen Vorschriften in der Art hervorheben zu lassen, dass hinsichtlich der wesentlichen Bestandtheile das imperative »Muss«, hinsichtlich der unwesentlichen Bestandtheile aber das instruktioneile »Soll« gebraucht wird." Motive zu § 3—9, zu § 121. 31 Wieder anders wäre es, wenn man es als „dispositives" Recht auffassen würde; dispositiv im Sinne des nur in eventum normirenden, die Normirung principaliter dem Parteiwillen überlassenden Gesetzes sind die einschlagenden Vorschriften ebensowenig, wie sie unter den Gesichtspunkt des berechtigenden, gestattenden Gesetzes fallen.

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der H a n d l u n g , welche das „Soll" inhaltlich bestimmt, mit diesem ihrem für die Handlung w e s e n t l i c h e n I n h a l t . Ein Produkt dieser Unklarheit der Gesetzesverfasser ist die Unklarheit des Sprachgebrauchs. 1. Der Gegensatz von „Müssen" und „Sollen" tritt schroff hervor in den §§ 230. 305. 480 vergl. mit 479; 516 vergl. mit 515; 551 vergl. mit 550. Hier werden unterschieden bezüglich der Klag-, Einspruchs - , Berufungs - , Revisions -, Wiederaufnahmeklage - Schrift die für sie essentiellen Bestandtheile („muss") und diejenigen, welche sie als vorbereitende Schriftsätze enthalten „sollen". Dieser ihr letztgenannter Inhalt kann selbstverständlich nur als essentiell für diese Schrift in ihrer Eigenschaft als v o r b e r e i t e n d e r Schriftsatz in Frage kommen. Das gleiche gilt von den in § 121 aufgestellten Erfordernissen der dort genannten vorbereitenden Schriftsätze überhaupt. Von ihnen ist die in § 389. 800 mit „soll" eingeführte Vorschrift für den Editions- und Arrestantrag zu sondern. Es ist durchaus willkürlich, in sie die Meinung hineinzutragen, dass die dort aufgestellten Erfordernisse der „Anträge" „unwesentliche seien". Erfolgt nach § 386 die Beweisantretung im Falle erforderlicher gegnerischer Urkundenedition durch den Antrag, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben, und schreibt § 389 den Antragsinhalt in Nr 1—5 vor, so folgt, dass eine Nichtbeachtung dieser Erfordernisse den Antrag zu einem unbeachtlichen macht. Man fragt, auch billig, welcher dieser Bestandtheile fortbleiben dürfe? Doch wohl ein jeder, wenn sie alle nur instruktioneil und deshalb unwesentlich sind. Und dennoch sagt das Gesetz (§ 389) Imperativisch anl Schluss: „Der Grund i s t glaubhaft zu machen." So erklären denn auch die Motive: „Die Vorschrift ist nicht blos instruktioneil, sondern imperativer Natur." Wenn sie hinzusetzen: „und hat nur deshalb die mildere Fassung erhalten müssen, weil der Antrag mittelst Schriftsatzes nicht gestellt, sondern nur vorbereitet werden soll, mithin berücksichtigt werden muss, wenn in der mündlichen Verhandlung den Erfordernissen des § 389 entsprochen wird", so übersehen sie, dass überhaupt § 389 von einem vorbereitenden Schriftsatz nicht redet, sondern von der in der mündlichen Verhandlung erfolgenden Beweisantretung, für welche nur eine Verlesung des Petitum nach § 269 Abs 2 zur Frage steht. — In § 800 wird für das Arrestgesuch gefordert („soll") die Bezeichnung des Anspruchs und die Angabe des Geldbetrags oder des Geldwerths, sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes ; „cler Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen" (§ 800 Abs 2). Es kann sich, da das Arrestgesuch dem Gegner nicht zuzustellen ist, nur fragen, ob

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das Gericht nicht auch bei UnVollständigkeit des Gesuchs die mündliche Verhandlung anberaumen und in ihr die Vervollständigung veranlassen darf; hätte das Gericht jene Befugniss, so wäre ihm doch auch die andere sicherlich nicht abzustreiten, ohne mündliche Verhandlung das Gesuch schlankweg zurückzuweisen. In der That also sind diese Erfordernisse des Gesuchs wesentliche und die Frage nur offen, ob sie der Schriftform bedürfen oder durch mündlichen Vortrag nachgeholt werden können. Wenn ja, so folgt aus dem internen Verhandeln zwischen Gericht und Arrestsucher eine dispositive Natur der Vorschrift hinsichtlich der Form und würde auch angenommen werden müssen, wenn in § 800 das „Muss" statt des „Soll" stünde: denn auch bei der Klage — wie noch unten darzulegen sein wird — kann der Mangel von durch „Muss" in § 230 vorgeschriebenen Erfordernissen durch die Konnivenz des Beklagten, wie in § 800 des Gerichts, geheilt werden 32. Es sprechen denn auch die Motive zu § 800. 801 sehr bestimmt aus: „Für den Inhalt des Gesuchs ist die Bezeichnung des Anspruchs, mit welchem der Arrest nachgesucht wird, und des Arrestgrundes unentbehrlich, nicht minder hat die Angabe des Geldbetrags oder Geldwerths Bedeutung für die Bestimmung der Höhe der Kaution, durch deren Bestellung die Vollziehung des Arrests oder die Aufhebung desselben herbeigeführt werden kann (§ 803)." 2. Die Auffassung des „Soll" als instruktioneller, Unwesentliches ordnender Vorschrift wurzelt in den angeführten Bestimmungen über die vorbereitenden Schriftsätze 33. Aber auch in ihnen ist das „Soll" imperativisch und das dadurch Vorgeschriebene durchaus nicht unwesentlich, wenn auch nicht in dem Sinne wesentlich, wie es für die §§ 389. 800 behauptet werden musste. Die vorbereitenden Schriftsätze sind als solche nicht essentiell für die Existenz und den Inhalt des vorzubereitenden Stadiums (mündliche Verhandlung), aber sie selbst müssen, wenn hier nicht Begriffe fehlen sollen, wesentliche, den Gattungs- und Artbegriff bestimmende Merkmale haben. Diese sind nun freilich keineswegs in den §§ 121 ff., bezw. 230 Abs 3 und 4. 480. 516. 551 schlechtweg gegeben; in § 121 nicht, weil er eine ein32 Hiermit erledigt sich die Aeusserung v. Arnsbergs in der RJK (S 427) in Erwiderung der Bemerkung S t r u c k m a n n s , dass „Soll" hier nicht nur instruktionelle Bedeutung habe: „Der Ausdruck »Muss« sei hier zu scharf (?) erschienen; man habe angenommen, dass der Richter ein Gesuch, welches nicht allen Anforderungen entspreche, nicht zurückweisen solle(?), sondern die Verbesserung desselben anordnen (?) könne." Vgl. RG I I I CS vom 23. Sept. 1881 (Ε V 364 ff.) und S e u f f e r t X X X V I I Nr 173. 33 CPO § 121 ff., vgl. aber auch § 230 Abs 3. 480 Abs 2. 516. 551.

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fache Aufzählung aller Bestandtheile sein soll, welche bei den verschiedenen Arten der vorbereitenden Schriftsätze und bei den verschiedensten Sachlagen vorkommen; in den §§ 480 Abs 2. 516 Abs 2. 551 Abs 1 nicht, weil die Schrift immer noch vorbereitender Schriftsatz bleibt, wenn ihr auch einer der dort aufgezählten Bestandtheile fehlt. „Vorbereitung" ist ein relativer Begriff, der in seiner Verwirklichung quantitativer Steigerung fähig ist. Die Vorbereitung kann gründlicher, erschöpfender und oberflächlicher sein. Sie kann aber auch fehlen. Sie fehlt im Sinne der CPO, wenn entweder der Schriftsatz als Parteihandlung fehlt, oder ihm der vorbereitende Inhalt fehlt. Auf das erstere beziehen sich die Nrn 1 u. 6 des § 121, auf das letztere die übrigen. Es ist kein vorbereitender Schriftsatz da, wenn alle diese Bestandtheile fehlen. Daraus folgt, dass das „Soll" der fraglichen Gesetzesstelle nicht nur Unwesentliches normirt, sondern für den Begriff der vorbereitenden Schriftsätze wesentliche Bestandtheile, welche sich aber zum Theil, je nach der Art derselben, mosaikartig zusammensetzen und verschieden kombiniren lassen. Dass auch hier dem „Soll" der Ernst des gesetzgeberischen AVillens nicht fehlt, geht hervor aus den Zwangsmitteln, welche für Herbeiführung dieser Informativakte in die Hand des Gerichts gelegt sind (CPO § 90, GKG § 48) 34 . 3. In zwei Fällen ist das „Soll" ein Wollen, welchem der Rechtszwang fehlt: § 230 Abs 3. 516 Abs 3; weder ist die Werthangabe für Klag- und Revisionsschrift oder auch nur für ihre Eigenschaft als vorbereitende Schriftsätze wesentlich, noch steht ein Mittel zur Verfügung, um ihre Aufnahme in diese Schriftstücke zu erwirken. Hier ist das Gesetz gegenüber dem renitenten Willen ohne Wirkung. Aber es wird auch das Imperativische „ist" oder „hat" gelegentlich gebraucht, wo ein billiges, eine Abweichung motivirendes Ermessen keineswegs ausgeschlossen sein soll, wie das z. B. der Fall ist in CPO § 281. 286 Abs 2. 506 Abs 1. 529. VII. Eine bedeutsame Form der Gesetzestechnik ist die Verwerthung der F i k t i o n 3 5 . Das Gesetz bedient sich vorzüglich folgender Wendung: „es ist anzunehmen"36, oder „es wird so angesehen 34

Vgl. dazu m e i n e Vortr. S 13. 25. Vgl. über sie vorzüglich D e m e l i u s , Die Rechtsfiktion in ihrer geschichtlichen und dogmatischen Bedeutung. Weimar 1858; B ü l o w , CA L X I I 1 ff; L e o n h a r d , In wieweit giebt es nach den Vorschriften der deutschen CPO Fiktionen? Berlin 1880; vgl. auch m e i n e Abh. in Grünhut V I I 130 ff. 36 CPO § 39. 153. 217 Abs 3. 241. 296 Abs 1. 392. 504 Abs 2. 763 Abs 1. 35

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als ob", „es ist anzusehen als" 3 7 , „es ist zu erklären für" 3 8 , „es ist zu erachten" 39 , „es gilt als" 4 0 , „es ist zu behandeln als" 41 . Diesen Wendungen kommt keineswegs überall der gleiche Sinn zu. Selten definiren sie und werden dann synonym mit „bedeutet", z. B. in § 821 : „als Gericht der Hauptsache ist anzusehen" ; hier hätte das Gesetz lauten können: „unter Gericht der Hauptsache ist zu verstehen" (§ 592); oder in § 19 Abs 1: „als Sitz gilt"; in § 590: „als Gegner sind anzusehen", wodurch die Parteirollen für den Eheprozess definirt werden 42 . Aehnlich verwendet CPO eine derartige Redewendung zur Bezeichnung der Disposition in den §§ 53. 730 Abs 3. 754 Abs 2. 736 Abs 2. 66. 96. 414. 690 Abs 2. 710 Abs 3. 607 Abs 3. 59. 249 Abs 2. 467 Abs 2. 210. 418 Abs 2. 283 Abs 1. 543 Nr 7 vergl. mit 428 ; 553 Abs 2. In allen diesen Fällen bezeichnet das Gesetz ohne jede Fiktion die wirklich eintretende Rechtswirkung. Daneben erscheinen die genannten Redeverbindungen zur Bezeichnung der Präsumtion und der Fiktion. Jene ist Vermuthung, Annahme eines in seiner Wahrheit unerwiesenen Thatbestandes, also im Falle der Unwahrheit Fiktion desselben. Diese Annahme kann widerleglich und unwiderleglich (praesumtio iuris et de iure) sein. Immer ist sie Thatbestandsvermuthung. Sie ist wahre Beweisvermuthung, wenn sie den Gegenbeweis zulässt, sie ist materiell Rechtssatz in der Form der Beweisvermuthung, wenn sie ihn ausschliesst. Dabei bleibt die Möglichkeit offen, dass ihr die Wahrheit entspricht. Die F i k t i o n dagegen in dem hier in Rede stehenden Sinne ist bewusst unrichtige Subsumtion eines richtig erkannten Thatbestandes unter einen ihn nicht deckenden Begriff bezw. Gleichstellung zweier nicht gleicher Thatbestände in ihren Rechtswirkungen in der Form der Annahme ihrer Gleichheit. Der eine soll behandelt werden wie der andere, soll so angesehen werden, 37 CPO § 59. 129 Abs 2. 161. 189 Abs 2. 210. 221 Abs 2. 243 Abs 3. 248 Abs 2. 276. 297. 298. 319 Abs 2. 392. 404 Abs 3. 409. 417 Abs 2. 430. 434 Abs 2. 450. 483. 502 Abs 3. 513. 553 Abs 2. 562 Abs 3. 590. 636 Abs 1. 638 Abs 1. 690. 710 Abs 3. 730 Abs 3. 736 Abs 2. 754 Abs 2. 767. 821. 38 CPO § 105. 39 CPO § 504 Abs 2. 543 Nr 7. 40 CPO § 15. 16. 19. 53. 66. 86 Abs 2. 93. 189 Abs 1. 249 Abs 2. 283 Abs 1. 316 Abs 2. 406 Abs 3. 414. 418 Abs 2. 421. 429 Abs 2. 467 Abs 2. 607 Abs 3. 674 Abs 2. 716 Abs 2. 720. 729. 41 CPO § 467 Abs 2. 42 Es definirt den Begriff des relevanten Erscheinens CPO § 298, wie § 297 den Begriff des Verhandlungstermins, § 319 Abs 1 der relevanten Versäumniss.

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als wäre er ihm gleich, d. i. Uebertragung der Wirkungen eines Thatbestandes auf einen anderen verschiedenen Thatbestand43. Hier handelt es sich um reine Gedankenoperationen, welche, obschon der Wirklichkeit nicht entsprechend, doch für deren Regulirung die Norm enthalten sollen. Während der normale Gang der Rechtsproduktion cler ist, dass die Rechtswirkungen den Thatbeständen auf den Leib zugeschnitten und hieraus die Rechtsbegriffe entwickelt werden, beschreitet bei der Fiktion cler Gesetzgeber den umgekehrten Weg. Er überträgt den Begriff zum Zwecke der Anwendung seines Inhalts auf einen Rechtsthatbestand, dem Interpreten die Antwort auf die Frage überlassend, wie weit die Uebertragung wirklich reicht. Die Dispositive ist also nicht die Fiktion ; es wird nicht die Wahrheit zur Wahrheit gemacht. Die Fiktion ist nur Form und Mittel der Dispositive: cler Uebertragung der Rechtswirkung. Eine P r ä s u m t i o n findet sich u. a. in § 153 Abs 2. Es wird hier der Auftrag nicht fingirt, sondern in widerleglicher Weise als thatsächlich vorliegend vermuthet. Eine Praesumtio iuris et de iure steckt in § 513: die Möglichkeit, dass die dort genannten Verfehlungen für das Urtheil kausale Gesetzesverletzungen seien, wird in unwiderleglicher Weise vermuthet. Die F i k t i o n ist Fiktion des Wohnsitzes in den §§ 15 und 16, Fiktion der Stellvertreterhandlung als Parteihandlung in § 86 Abs 2, cles Gerichtsschreiberauftrags als Parteiauftrag in § 674 Abs 2, der erfolgten Zustellung in den §§ 161 Abs 1 und 189 Abs 1 und 2, der geschehenen Aufnahme des Verfahrens in § 221 Abs 2, des Schweigens als Zugeständnisses der thatsächlichen gegnerischen Behauptung in § 129 Abs 2 (speciell in § 404 Abs 3. 316 Abs 2. 421), der Erklärungsabgabe in § 779. Es wird fingirt die Versäumniss als Thatsachenzugeständniss in den §§ 296 Abs 2. 504 Abs 2. 217 Abs 4, als Einverständniss mit der Ausführung des Vertheilungsplans in § 736; clie vorbehaltlose Einlassung als stillschweigende Vereinbarung des Gerichtsstandes in § 39, als Einwilligung in die Klagänderung in § 241. Es wird fingirt der Beweis in den Fällen § 392. 404 Abs 3. 406 Abs 3. 409. 429 Abs 2. 504 Abs 2, die Eidesweigerung in § 417 Abs 2. 430 (434 Abs 2), die Klagezurücknahme in § 105, clie Zurücknahme des Widerspruchs in § 767, der Nichteintritt der 43 Der Gedanke einer Interpretatio extensiva, analogen Anwendung, welchen L e o n h a r d als das Wesen der modernen Fiktion betont, kann richtig sein, wenn eine einheitliche Ratio nachweisbar ist und die Fiktion motivirt, liegt aber an und für sich in dieser nicht, gerade das Gegentneil liegt in ihr. Vgl. unten Anm 45.

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§ 23.

Sprachgebrauch des Gesetzes.

Rechtshängigkeit in § 243 Abs 3, die selbständige Berufungseinlegung in § 483 Abs 2, die Zahlung an die Partei im Falle der Geldpfändung bezw. Empfangnahme des Auktionserlöses durch den Gerichtsvollzieher in den §§ 716 Abs 2. 720. Es werden fingirt die amtsgerichtlichen Kosten als Theil der landgerichtlichen in den §§ 467 Abs 2. 638 Abs 1, das Zwischenurtheil als Endurtheil in den §§ 248 Abs 2. 276. 502 Abs 3. 562 Abs 3. Durchgängig bedeutet die Fiktion nicht ein Ignoriren, Umdichten des wahren Thatbestandes ; der Schweigende wird nicht zum Redenden, zum Gestehenden, Vereinbarenden, Einwilligenden, der Vertreter nicht zum Vertretenen, der Säumige nicht zum Handelnden, das Zwischenurtheil nicht zum Endurtheil usw. Daher sagt auch nicht das Gesetz, dass Schweigen Gestehen sei, sondern dass es behandelt werden solle, als wenn gestanden wäre. Daraus folgt, dass die Uebertragung der Rechtswirkungen des einen Thatbestandes auf den andern nicht eine mechanische sein darf, sondern eine „entsprechende" sein muss, d. h. eine solche, welche der nicht fortzuschaffenden Thatbestandsdifferenz und ihrer, unerachtet der Fiktion, logisch noth wendigen Beachtlichkeit entspricht. Aber es folgt auch weiter, dass nicht aus der Differenz der Thatbestände eine Unanwendbarkeit des den übertragenen Rechtswirkungen zu Grunde liegenden Princips (Ratio, Grundgedankens) abgeleitet werden darf. Der Gesetzgeber bezeichnet durch die Fiktion, dass er diesen Grundgedanken als den massgebenden für die Konstruktion behandelt wissen will, schliesst daher jede Konsequenz aus einem abweichenden, etwa empirisch, aus dem wahren Sachverhalt ableitbaren Principe aus. So wird offenbar in § 39 nicht ignorirt, dass eine stillschweigende Vereinbarung über den Gerichtsstand nicht zu Stande kommt, sondern disponirt, dass die Thatsache der vorbehaltlosen Einlassung und der dadurch eingetretenen Präklusion (Rechtsverwirkung) der Einrede der Unzuständigkeit den Gerichtsstand schaffen soll 44 . Aber das Gesetz sagt: es solle die vorbehaltlose Einlassung behandelt werden wie stillschweigende Vereinbarung über den Gerichtsstand. Daraus folgt, dass der weitere Ausbau dieser Lehre nicht vom Präklusionsgedanken, sondern nur vom Vereinbarungs- oder Selbstunterwerfungs-Gedanken aus zu erfolgen hat 4 5 . — In § 86 Abs 2 (§ 716 Abs 2. 720) wird das Princip 44

Vgl. darüber unten § 43. Aehnlich wenn das Civilrecht, welches auf dem Traditionsprincip für Besitzund Eigenthumsübertragung steht, den Bedürfnissen des Verkehrs gerecht werden will dadurch, dass es als Tradition mancherlei gelten lässt, was nicht reale Uebergabe, sondern thatsächlich nur noch Willenserklärung (etwa verbunden mit Zeigen 45

§ 23.

Sprachgebrauch des Gesetzes.

der direkten Stellvertretung ausgesprochen, nicht die Identität der Handlungen des Vertreters und Vertretenen. Die Personenverschiedenheit muss sich hier nach den materiell-rechtlichen Grundsätzen über die unmittelbare Stellvertretung praktisch erweisen. Aber es darf aus ihr keine Konsequenz gezogen werden, welche mit dem in der Form der Handlungsidentität fiktionsweise ausgesprochenen Rechtsprincipe in Widerspruch trete. — In § 105 wird die Zurücknahme der Klage angenommen und vorgeschrieben, dass diese Annahme in der Form einer Entscheidung auszusprechen sei, wenn [der Kläger nicht rechtzeitig die erforderliche Sicherheitsleistung bestellt. Damit werden die Wirkungen der Zurücknahme 'auf diesen Thatbestand übertragen, nicht er selbst zur Zurücknahme, einem auf Zurücknahme gerichteten Willensakte [gemacht. Die Klage wird selbst wider Willen des Klägers zurückgewiesen, nicht zurückgenommen. Es wird daher zu fragen sein, ob die Rücknahmewirkungen in dem vorliegenden Falle in vollem Umfange durchführbar sind. des Objekts, symbolischem Traditionsakt u. dergl.)' ist. Da ist nicht das nackte Konsensprincip widerspruchsvoll neben das Realprincip der Tradition getreten, so dass nunmehr zwei unvereinbare Grundgedanken um die Herrschaft ringen, vielmehr ist jede Schlussfolgerung (zumal Analogie) aus dem reinen Konsensprincip ausgeschlossen.

Binding, Handbuch. IX. 2. I : W a c h , Civilprozes«. I.

20

Zweites Buch. Die Prozesssubjekte, ihre Vertreter und Gehilfen.

20*

Erstes Kapitel. Das Gericht. § 24. Die C i v i l g e r i c h t s b a r k e i t

u n d i h r e Ausübung.

I. Die Prozesssubjekte sind der Staat und die Parteien. Der Staat erscheint im Prozess als Rechtspflegefaktor und wird repräsentirt durch das Gericht (die verschiedenen gerichtlichen Behörden). Von diesem ist nunmehr zu handeln. Eine Darstellung der Gesammtorganisation der Civilrechtspflege ist nicht die Aufgabe 1. Wir werden in dieselbe einzubeziehen haben nur diejenigen Grundsätze, welche clas Wesen und die Stellung des Gerichts als Prozesssubjekts bestimmen. Immerhin oscillirt diese Grenze, und es mag daher nachsichtig aufgenommen werden, wenn sie dem Einen hier zu eng, dem Andern dort zu weit gesteckt erscheint. II. Die Civilgerichtsbarkeit ist die Staatsgewalt in ihrer Richtung auf die Erhaltung der Civilrechtsordnung. Wir scheiden in ihr die Gerichtsherrlichkeit, Justizverwaltung, d. i. die auf die Ermöglichung der Rechtspflege gerichtete Funktion, von der Gerichtsbarkeit im engeren Sinne. Unter jener verstehen wir die organisirende und oberaufsehende Thätigkeit, ohne welche die Rechtspflege nicht statt hat: die Besetzung der Gerichte, Ordnung der Gerichtszeit, des Formularwesens, Sportelwesens, Handhabung der Geschäftsrevisionen, der Disciplin u. dergl. mehr; unter dieser die eigentliche Rechtspflege1

Vgl. ' L a b a n d , Reichsstaatsrecht I I I 2 S 1 ff.; Z o r n , Staatsrecht des Deutschen Reichs II. 1883. S 365 if.; ν. R ö n n e , Preuss. Staatsrecht I 458 ff., I I I 334 ff. ; Haus er, Die deutsche GV. Nördlingen 1879; ferner die Kommentare zum GVG von K e l l e r , Lahr 1877; T h i l o , Berlin 1879; H a u c k , Nördlingen 1879; die die CPO und das GVG behandelnden Kommentare von v. B ü l o w , E n d e m a n n , S t r u c k m a n n - K o c h , v. W i l m o w s k i - L e v y . Vgl. auch T u r n a u , Die JustizVerfassung in Preussen. Berlin 1880. 1882; R i n t e l e n , Syst. Darstellung I.

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§ 24. Ausübung der Civilgerichtsbarkeit.

funktion. Nur von ihr, nicht von der Justizverwaltung, ist hier die Rede2. Nach der staatsrechtlichen Gestalt Deutschlands kommt Civilgerichtsbarkeit sowohl der Reichsstaatsgewalt, wie der Landesstaatsgewalt zu. In welchem Verhältnisse die Reichs- und die Landesgerichtsbarkeit zu einander stehen3, ist eine specifisch staatsrechtliche Frage, über welche nur folgende kurze Bemerkung gestattet sein mag*. Der Gliedstaat im Bunde hat eigene, nicht nur vom Reich abgeleitete, ihm etwa zur „Selbstverwaltung" und partiellen „autonomen" Regelung überlassene Gerichtsbarkeit. Seine Gerichte erkennen nicht im Namen des Reichs, sondern des Landesherrn. Er ist ihr Gerichtsherr. Aber die Eingliederung in das Reich hat wie die Landesstaatsgewalt überhaupt, so die Landesjurisdiktion in bedeutsamster Weise beeinflusst. Sie ist gebunden an die Reichs-Gerichtsorganisations- und Prozessgesetze, soweit solche ergangen sind 4 ; sie ist beschränkt durch die Reichsgerichtsbarkeit, soweit das Reich sich solche beigelegt hat 5 . Mit Recht hat man in der Errichtung eines höchsten Gerichtshofs des Reichs eine staatsrechtliche Subordination der Landesgerichtsbarkeit unter die des Reiches gefunden 6. Nur ist ihr eigenthümlich, dass das Reich durch die im EGVG § 8 Abs 1 anerkannte territoriale Zulässigkeit eines das Reichsgericht in gewissen Grenzen ausschliessenden obersten Landesgerichts der Reichsgerichtsbarkeit eine begrenztsubsidiäre Position geschaffen hat 7 . Solchen Einschränkungen stehen 2 Der im Text angenommene Begriffsunterschied ist der heutzutage allein brauchbare und die Gerichtsorganisation beherrschende: EGVG § 2—4. 7, GA'G § 12 ff., ECPO § 3. Der Ausdruck Gerichtsherrlichkeit ist den Reichsjustizgesetzen unbekannt und wird gewöhnlich im Anschluss an die altdeutsche GV in den hier angenommenen Begriff der Gerichtsbarkeit hineinverlegt, so dass diese im engeren Sinne nur noch die Urtheilsthätigkeit umfasst. Liegt aber in dem Wort die Beziehung auf den Gerichtsherrn, also auf dessen Aktion, so bleibt ihm als Inhalt heute nur die sog. Justizverwaltung. Von dieser reden die Reichsgesetze im Gegensatz zur Gerichtsbarkeit: EGVG § 4, GVG § 22. 43. 57. 60 und oft. 3 Darüber besonders zu vgl. L a b a n d a. O. S 46 ff. 4 Also nicht soweit es sich nicht um die ordentlichen bürgerlichen Gerichte handelt. 5 Also auch dann, wenn das Reich besondere Gerichte (z. B. Konsulargerichte) errichtet. 6 Sie ist die Folge der Subordination der Landesstaatsgewalt unter die Reichsstaatsgewalt, s. L a b a n d S 49. 7 Begrenzt durch EGVG § 8 Abs 2, § 2, ECPO § 3 und Ges vom 11. April 1877. Die weise und patriotische Selbstbeschränkung der Einzelstaaten hat dem § 8 Abs 1 die praktische Bedeutung eines bayerischen Reservats gegeben, s. L a b a n d a. O. S 50.

§ 24.

Ausübung der Civilgerichtsbarkeit.

bedeutsame Erweiterungen der Landesgerichtsbarkeit gegenüber. Die Reichsjustizgesetze haben eine Einheitlichkeit des deutschen Rechtspflegegebiets nicht nur durch die Einheitlichkeit der Gerichtsverfassungsund Prozessgesetze, sondern auch dadurch hergestellt, dass sie die Ausübung der Gerichtsgewalt des einzelnen ordentlichen Territorialgerichts für voll wirksam erklären im gesammten Bundesgebiet. Schon gelegentlich der Lehre vom Herrschaftsgebiet der Prozessgesetze wurde dieser Punkt berührt 8. Er hängt mit den Grundsätzen über die Zuständigkeit, Rechtshilfe, Zwangsvollstreckung und mit dem Zustellungs- und Ladungswesen so innig zusammen, dass auf ihn wiederholt zurückzukommen sein wird. III. Der Souverän übt die C i v i l g e r i c h t s b a r k e i t nicht selbst, noch durch seinen Weisungen unterworfene Organe, sondern d u r c h u n a b h ä n g i g e , nur an das Gesetz gewiesene G e r i c h t e 9 : „die richterliche Gewalt 10 wird durch unabhängige, nur dem Gesetze unterworfene Gerichte ausgeübt" (GVG § 1). Das Princip ist gemeinrechtlich für die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. Auf ihm ruht die gesetzliche Organisation der Rechtspflege, die organisatorische Trennung von Justiz und Verwaltung 11 , der Ausschluss von Ausnahmegerichten und landesherrlichen Kommissionen12. In den sog. 8

Vgl. S 250 f. S. Z a c h a r i ä , Deutsches Staats- und Bundesrecht I I § 170; S c h u l z e , Deutsches Staatsrecht § 199; v. R ö n n e a. Ο. I § 103. 10 Vgl. über den Inhalt derselben unten Nr IV. Der Wortlaut und die Rubricirung des Titels „Richteramt", sowie sein sonstiger Inhalt trifft nur die Funktion des Richters ; aber wir müssen unter „richterlicher Gewalt" die gesammte Gerichtsgewalt als Rechtspflegefunktion verstehen, so dass auch die von der richterlichen untrennbare Funktion des Gerichtsschreibers und Gerichtsvollziehers darunter begriffen werden. Das entspricht (1er Auslegung, welche der preuss. VU vom 31. Jan. 1850 Art. 86, aus welcher der Wortlaut des GVG § 1 stammt, gegeben worden ist; vgl. preuss. Ges vom 26. April 1851 Art. 13; v. R ö n n e I 460 ff.; S c h u l z e , Preuss. Staatsrecht I I 302; E n d e m a n n 148; v. W i l m o w s k i - L e v y S 1047. Es entspricht das vor allem dem Zweck und Sinn des Gesetzes; denn es wäre eine Rechtspflege nur nach Maassgabe des Gesetzes gerade so unmöglich, wenn man den Gerichtsschreiber und Gerichtsvollzieher in ihrem amtlichen prozessualen Wirken den Weisungen der Verwaltung unterstellte, als wenn man ihnen den Richter selbst unterwürfe. Der Umstand, dass die Gerichtsschreiber und Gerichtsvollzieher nicht den Garantien der richterlichen Unabhängigkeit unterstellt sind (s. unt. § 25 Anm 6), ändert an ihrer Aufgabe als Rechtspflegefunktion und an dem Princip nichts. Sind sie auch nicht „unabhängig" in ihrer staatsrechtlichen Stellung, so bleiben sie doch grundsätzlich „unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen" in Erfüllung ihrer Amtspflichten. Vgl. auch unten S 320 ff. 11 12 EGVG § 4. GVG § 16. 9

312

.§ 24.

Ausübung der Civilgerichtsbarkeit.

Garantien der richterliehen Unabhängigkeit, welche das Richteramt staatsrechtlich vor der Maassregelung schützen, empfängt das Princip seine praktische Festigung13. Die Gerichtsbarkeit, die Rechtspflege bedarf der Unabhängigkeit von der Verwaltung und von ministeriellen Weisungen. Die Gerichtsherrlichkeit ist eine Verwaltungsfunktion und verliert diesen Charakter auch dort nicht, wo sie den unabhängigen Rechtspflegeorganen überwiesen ist. Es ergiebt sich hieraus die Nothwendigkeit der Unterscheidung zwischen der R e c h t s p f l e g e o r g a n i s a t i ο η im eigentlichen und engeren Sinne und der J u s t i z v e r w a l t u n g s o r g a n i s a t i o n 1 4 . Der letzteren gehört an das Gericht (Amts-, Land-, Oberlandes-, Reichsgericht) gedacht als die unter einer einheitlichen Spitze und Leitung (einem Oberamtsrichter, Präsidenten u. dergl.) stehende Gesammtbehörde, welche sich aus einer beliebigen Anzahl von Mitgliedern zusammensetzt, die je nachdem zu Civil- oder Strafgerichten (Kammern, Senaten) zusammentreten15. Eine wesentlich administrative Stellung hat der Präsident des Reichsgerichts, Oberlandesgerichts, Landesgerichts als solcher , eine gerichtsbarkeitliche als Mitglied und Vorsitzender eines Senats, einer Kammer. Eine lediglich gerichtsherrliche Institution ist clas sog. „Präsidium" (GVG § 6?. 121. 133), das Plenum des Reichsgerichts 16, Oberlandesgerichts, Landgerichts bezw. das Kollegium des Präsidenten und der Kammerdirektoren bezw. Senatspräsidenten (GVG § 61. 121. 133). Die „Gerichtsschreiberei" (GVG § 184) ist Justizverwaltungs- und gerichtsbarkeitlicher Begriff. Der „Gerichtsschreiber" (CPO § 149. 151) ist lediglich Rechtspflegeorgan. Aehnlich steht es mit dem Institut der Gerichtsvollzieher. — Die gesammte Justizverwaltungsorganisation scheidet von unserer Betrachtung aus. 18 GVG § 6 (Lebenslänglichkeit des Amtes), § 7 (festes Gehalt), § 8 (sog. Unabsetzbarkeit, Unversetzbarkeit, Pensionirung wider Willen, d. h. nur in gesetzlicher Form, aus gesetzlichen Gründen nach Richterspruch), § 9 (Rechtsweg). 14 Vgl. dazu L a b a n d I I I 2 S 83 ff. 15 Vgl. GVG § 22 Abs 2, § 58 u. 59, § 119 u. 120, § 126. 132. Die „Civilkammern, Civilsenate" sind die civilen Kollegialgerichte, s. § 26 Anm 2. Dass für den Dienst in der Kammer etc. mehr Mitglieder, als die verfassungsmässige Zahl bestimmt werden, dass ein Richter mehreren Kollegien angehören und abwechselnd in ihnen Dienst thun kann, hat lediglich administrative Bedeutung. Nicht ganz korrekt Κ l e i n f e l l e r , Die Funktionen des Vorsitzenden. München 1885. S 4 ff. Er übersieht, dass der „prozessuale Begriff" der Civilkammer, Handelskammer, des Civilsenats, und nur er gesetzlich festgestellt ist durch GVG § 59. 70 f. 77. 100 ff. 109. 120. 124. 132. 135. 140. 16 Abgesehen von den Fällen des GVG § 128. 129. 131.

§ 24.

Ausübung der Civilgerichtsbarkeit.

IV. G e r i c h t s g e w a l t , „richterliche Amtsgewalt" nenne ich die Gerichtsbarkeit als die Summe der Rechtspflegefunktionen, welche dem Gerichte zustehen. Dabei nehme ich den Begriff „Gericht" in einem weiten und nicht ganz gewöhnlichen Sinne. Ich begreife darunter die gesammten gerichtlichen Personen, welche in ihrer Zusammenfassung dazu berufen sind, in irgend einer Sache die staatliche Gerichtsbarkeit auszuüben. In diesem weiten Sinn ist der Begriff um deswillen ungewöhnlich, weil man es liebt, die Funktionen der einzelnen gerichtsbarkeitlichen Organe, des Richters, Gerichtsschreibers und des Vollstreckungsorgans, gesondert zu betrachten und Richter und Gericht in Anlehnung an die Terminologie des Gesetzes zu identificiren 17. Aber auch das Gesetz braucht den Ausdruck „richterliche Gewalt" gleich Gerichtsgewalt in der obigen Allgemeinheit 1 8 und den Ausdruck „Gericht" gleich Gesammtheit der sie übenden Rechtspflegeorgane 19. Die Gerichtsgewalt ist inhaltlich reine Rechtspflegegewalt und die ihr dienende prozesspolizeiliche Gewalt (Disciplinargewalt) und Urkundsbefugniss. Die erstere wiederum scheidet sich in Dekretur und Exekutive. Von ihrem Inhalt ist im Folgenden zu sprechen. 1. Die D e k r e t u r , das Recht zu beschliessen, anzuordnen, zu urtheilen, zu befehlen: U r t h e i l s g e w a i t und p r o z e s s l e i t e n d e G e w a l t , mit andern Worten das Recht zur konkreten Normirung des materiellen und prozessualen Thatbestandes. Alles derartige ist Anwendung des materiellen oder des prozessualen Rechts in autoritativer, bindender Weise. Dass hier weder rein intellektuelle Funktion („Erkennen") 20 , noch freie Satzung (Gesetzgebung), sondern normative Anwendung des Gesetzes vorliegt, habe ich bereits im Eingange 17

Dafür sind die Beispiele im Gesetze Legion. So verstehe ich nach der obigen Anm 10 den § 1 des GVG. 19 Der Gerichtsschreiber wird durchweg als Glied des „Gerichts" behandelt. EGVG § 2 begreift unter Ausübung der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit auch die Thätigkeit des Gerichtsvollziehers, denn das GVG handelt von ihm; ebenso muss in ECPO § 3 Abs 1, GVG § 13. 15. 16 der Begriff des Gerichts allgemein gefasst werden. Wer anders denkt, muss die Vollstreckungsgewalt zum grossen Theil aus der Gerichtsbarkeit ausscheiden uud sie für ein Stück der Justizverwaltung erklären. Wer aber wollte behaupten, dass dieselbe durch ihre veränderte Organisation (s. § 25 S 318) ihr begriffliches Wesen geändert habe. 20 W e t z e l l § 43, bes. S 515, § 48 S 601 ff. bezeichnet sehr zutreffend den in der richterlichen Gewalt liegenden Gegensatz mit „Wille und That", „entscheidender und ausführender" Thätigkeit, nennt aber weniger glücklich die erstere „Kognition" im Gegensatz zum „Zwang". Denn „Kognition" ist das Erkennen, nicht das Wollen, Anordnen. 18

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§ 24.

Ausübung der Civilgerichtsbarkeit.

dieses Werkes mit Beziehung auf das Urtheil dargelegt (§ 1). In dem urtheilsmässigen richterlichen Ausspruch über den Prozessgegenstand liegt die Offenbarung des abstrakten Gesetzesbefehls in der konkreten Form durch den Richtermund. In noch höherem Grade tritt diese normative Aufgabe hervor angesichts der richterlichen Prozessleitung. Sie schliesst in sich die Anordnung des Prozesses in positiver und negativer Beziehung gemäss dem Gesetze. Da dieses unmöglich in detaillirten Bestimmungen der Fülle des Lebens gerecht werden kann, so rechnet es mit dem richterlichen Ermessen und Willen als ausführenden Faktoren, leiht ihm die bindende Kraft (Befehlsgewalt) und stellt darauf ab clen individuellen Werdegang des Rechts. Und das gilt heutzutage, nach der Emancipation des Prozesses von der Fessel eines streng gegliederten Schriftenverfahrens in einem ganz besonderen Maasse. Der wahre Inhalt und clie Verschiedenheiten der Urtheilsgewalt und der prozessierenden Gewalt sind nicht an dieser Stelle, sondern bei der Lehre von den prozessualischen Handlungen darzulegen. 2. Die E x e k u t i v e , die prozessualische Zwangs- oder V o l l s t r e c k u n g s g e w a l t : die rechtliche Macht des Gerichts, den Befehlen cles Gesetzes bezw. seinen eigenen Nachdruck zu verleihen, dieselben zwangsweise durchzusetzen. An und für sich gehört begrifflich der Exekutive jede cler Verwirklichung des »massgebenden Willens dienende Rechtsfolge an: also auch die ipso iure eintretende oder lediglich in der Vorstellung bestehende, wenn auch richterlich auszusprechende Rechtsfolge. Aber hier, wo es sich im Gegensatz zur Befehlsgewalt um den ihr dienenden Zwangsakt, also um eine von jener zu sondernde Ait der Machtentfaltung handelt, wird unter Exekutive das Recht zum zustandsverändernden Eingriff in die Aussenwelt verstanden. Ihr gehören die direkten und indirekten Zwangsmittel an, welche einen Erfolg durch Beeinflussung, Beugung eines Willens oder durch unmittelbare Herstellung bezielen: Drohungen von Geldstrafen, Kostennachtheilen, Haft einerseits, Wegnahme und Uebergabe von Sachen, Deposseclirung und Besitzeseinsetzung, Vornahme der Handlung auf Kosten des Verpflichteten, Brechung des Widerstandes gegen eine zu duldende Handlung, zwangsweise Sistirung cler Person, Strafvollstreckung u. dergl. andererseits. 3. Die D i s c i p l i n a r g e w a l t . Sie ist nicht ein Drittes neben der Befehls- und Zwangsgewalt, sondern clie Verwendung der einen und anderen im Dienste eines besonderen Zweckes. Dieser ist nicht selbst und unmittelbar Rechtspflegezweck, sondern prozesspolizeilicher Zweck. Die Disciplinargewalt, die specielle Sitzungspolizei des Gerichts

§ 24.

Ausübung der Civilgerichtsbarkeit.

soll nicht den Prozess selbst leiten, ordnen, entscheiden, sondern das geordnete Verfahren vor äusserer Unordnung schützen. Sie hat nicht die Aufgabe, die prozessualisch unzweckmässigen Handlungen auszuschliessen, sondern inhaltlich mit dem Prozess in keiner Beziehung stehende störende Einflüsse fernzuhalten. Die Ordnung in diesem äusserlichen Sinn, den Anstand, die Würde des Gerichts soll sie wahren 21 . Zu diesem Zwecke „ordnet" das Gericht 22 „an" und giebt seiner Anordnung Nachdruck durch Wort und That 2 3 : zwangsweise Entfernung aus dem Sitzungszimmer, Haft bis zu 24 Stunden wegen U n g e h o r s a m s 2 4 ; Ordnungsstrafe, und zwar Geldstrafe bis zu 100 Mark oder Haft bis zu drei Tagen wegen U n g e b ü h r 2 5 . Unterworfen sind 21

Anders W e t z e l l S 602 f.; R e n a u d § 163; beide vermischen Disciplinarund Prozessleitungs- und Vollstreckungs-Gewalt. Sie rechnen hierher die Uebung des Zeugnisszwangs, die Ernennung des Armenanwalts, Vergleichsverhandlung, Sequestration des Streitobjekts u. dergl. — Vgl. die Kommentare zu GVG § 177 ff. ; K l e i n f e l l e r a. O. S 75—84. — Wenn er von „administrativem" Charakter der Disciplinarhefugnisse redet, sie also von der Gerichtsbarkeit ausscheidet, so will ich darüber nicht rechten. Mir scheint sie zu der „modica coercitio" zu gehören, „sine qua iurisdictio nulla est". 22 Der Einzelrichter, der Vorsitzende des Kollegiums (GVG § 177), der beauftragte, ersuchte Richter (§ 182); s. GVG § 177: „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung liegt dem Vorsitzenden ob." Vgl. über die Stellung des Vorsitzenden ùnten § 26 S 327. Schon der Umstand, dass der Anordnung, dem „Befehl" nicht der Vorsitzende, sondern das „Kollegium" die verfügbaren Zwangsmaassregeln folgen lässt, zeigt zur Genüge, dass der Vorsitzende in der Sitzung das „Kollegium" in seinen Anordnungen vertritt. 23 Der „Ordnungsruf" ist nicht in das Gesetz aufgenommen. Vgl. darüber die Ε des GVG § 143, Motive S 199, Prot der RJK S 29 ff.; die Kommentare zu GVG § 177; Κ l e i n f e i 1er S 78 f. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Disciplinargewalt nicht den „Ruf zur Ordnung", ja selbst „den Verweis", die „Rüge" einschliesst. Hier, wo nicht kriminelle, sondern disciplinare Gesichtspunkte entscheiden, muss mit dem Recht zur Abführung, Haft usw. das Recht zur wörtlichen Rüge mitgegeben sein. Eine andere Frage ist, wem gegenüber sie zulässig ist. S. unt. Anm 26. 24 GVG § 178. Das Gesetz behandelt diese Zwangsmittel als Folge des Ungehorsams gegen Ordnungsbefehle des Gerichts (Vorsitzenden), also nicht gegen prozessuale Anordnungen. 25 GVG § 179. 180. Die „Ungebühr" ist nicht der Ungehorsam; es ist gleichgiltig, ob ihr ein Ordnungsbefehl vorausging oder nicht. Sie kennzeichnet sich als eine Ausschreitung, ein Unfug, welcher seinem Inhalt nach, ohne den vorgängigen Ordnungsbefehl, bereits als ordnungswidrig imd ungebührlich erscheint : ruhestörender Lärm, Beleidigungen gegenüber dem Gericht, der Parteien unter einander u. dergl. Das Gericht hat die Wahl zwischen Geldstrafe und Haft, kann sie also nicht kumulativ erkennen, dagegen kann neben der Ungebührstrafe die Entfernung des § 178 erkannt werden; auch schliesst diese, wie § 178 deutlich

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§ 24.

Ausübung der Civilgerichtsbarkeit.

der Disciplinargewalt cles Gerichts alle Personen26 innerhalb der Sitzung, wenn sie auch nicht alle den Disciplinarmaassregeln gleichmässig unterstellt sind. Ueber die Beurkundung 27, Vollstreckung 28 und Anfechtung 29 der Disciplinarbeschlüsse giebt das Gesetz besondere Vorschriften. 4. Die U r k u n d s b e f u g n i s s des Gerichts, die publica fides seiner urkundlichen Feststellungs- und Beglaubigungshandlungen ist ein unentbehrlicher Bestandtheil der Gerichtsgewalt. Ohne sie wäre die Rechtspflege undurchführbar, weil die Existenzfrage für wesentliche Prozessbestandtheile jederzeit gestellt werden könnte. Dass an ihr alle zeigt, die Haft des § 178 nicht aus. Bilden Ungehorsam und Ungebühr zwei selbständige Thatbestände, so kann successive deren Folge verhängt werden, z. B. zuerst Geldstrafe wegen Ungebühr, dann Entfernung und Haft wegen Ungehorsams. Vgl. auch S t r u c k m a n n - K o c h S 1093 Anm 3. 26 Vgl. GVG § 178. 179. 180. Die Strafen der §§ 178. 179 sind unzulässig gegen Mitglieder des Gerichts, den Staatsanwalt, den bei der Verhandlung betheiligten Rechtsanwalt (also nicht gegen den anwesenden nicht beim Prozess betheiligten Rechtsanwalt); gegen den betheiligten Rechtsanwalt ist Geldstrafe bis 100 Mark wegen Ungebühr möglich. Wenn nun auch mit Recht angenommen wird, dass jede in dem Sitzungszimmer anwesende Person der Disciplin des Gerichts im Sinne von GVG § 177 unterstellt ist — also auch Beisitzer, Rechtsanwalt und Staatsanwalt —, so kann doch der oben Anm 23 aus der Zulässigkeit der Zwangsmaassregeln abgeleitete Schluss auf die Zulässigkeit von Rügen, Verweisen diesen Personen gegenüber nicht gezogen werden. Denn dem Staatsanwalt gegenüber hat das Gericht kein Zwangsmittel, also auch nicht Ordnungsruf und Rüge. Dem Rechtsanwalt gegenüber hat das Gericht nur die Ungebührstrafe von bis 100 Mark, also auch nur im Ungebührfalle möglicherweise die wörtliche Rüge. Aber auch hier muss die Schlussfolgerung wegen der positiven Beschränkung auf Geldstrafe und der Zweifelhaftigkeit des Verhältnisses derselben zum Verweis ausgeschlossen sein. Eine Zurechtweisung soll damit nicht versagt sein. 27 GVG § 184. Nur die Ordnungsstrafe wegen Ungebühr der §§ 179. 180 und die Haft des § 178 verhängende Beschlüsse sind mit Angabe ihrer Veranlassung zu protokolliren, also nicht anderweite Disciplinarbeschlüsse. 28 GVG § 179. 181. 183 Abs 3. Das „unmittelbar" des § 181 will die Vermittelung des Staatsanwalts ausschliessen. 29 GVG § 183 (eingeschaltet von der RJK, Prot S 684—690. 744—746). Danach sind durch Beschwerde anfechtbar die Strafbeschlüsse („Ordnungsstrafen") der §§ 179. 180. 182. Sie ist an eine einwöchentliche von der Publikation der Entscheidung laufende Frist gebunden und geht an das Oberlandesgericht. Die Beschlüsse des letzteren und des Reichsgerichts sind unanfechtbar, wie es durchweg alle Ungehorsamsstrafe nach § 178 verhängenden Beschlüsse sind. — Die Beschwerde hemmt die Vollstreckung, wenn solche nach § 179 angeordnet ist, nicht, dagegen hat sie in den Fällen § 180. 182 immer aufschiebende Wirkung. Daraus folgt wohl, dass vor Ablauf der Beschwerdefrist in diesen Fällen die Vollstreckung überhaupt nicht beginnen darf.

§ 2.

ere Organisation der Gerichte.

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gerichtlichen Personen participiren, sie eine Seite jedes gerichtlichen Amtes bildet, wird theils alsbald, theils bei der Lehre von den prozessualischen Handlungen zu zeigen sein. § 25. D i e i n n e r e O r g a n i s a t i o n der G e r i c h t e . I.

Die g e r i c h t l i c h e n

Aemter.

I. Die Organisation der Gerichte begreift die Grundsätze über die Bildung des einzelnen Gerichts als Rechtspflegeorgans, die gerichtlichen Personen, ihre Rechtsstellung (Amt) und ihr Verhältniss zu einander — i n n e r e O r g a n i s a t i o n — und über die Mehrheit der Gerichte im Staate, die gegenständlichen, räumlichen und funktionellen Grenzen ihrer Gerichtsgewalt und ihr Verhältniss zu einander — äussere O r g a n i s a t i o n . Die letztere weist einen bestimmten Prozess oder Prozessabschnitt an ein bestimmtes Gericht, die innere an bestimmte Repräsentanten des Gerichts, gerichtsbarkeitliche Personen· II. Die g e r i c h t l i c h e n Aemter. Unter gerichtlichem Amt wird im Folgenden verstanden der berufsmässig abgegrenzte Kreis von gerichtsbarkeitlichen (d. h. als Rechtspflegefunktionen erscheinenden) Geschäften 1. Dabei soll vorerst vom Amtsträger, Beamten, der gerichtlichen Person abgesehen werden. Nach altein gemeinen Recht lag die Gerichtsgewalt ungetheilt in der Hand des Richters, welcher im Gerichtsschreiber nur insofern ein das Gericht vervollständigendes Nebenorgan zur Seite hatte, als dieser die selbständige Aufgabe der gerichtlichen Beurkundung hatte. Der Richter handelte, der Gerichtsschreiber bezeugte, bezeugte die Handlungen des Richters und der Parteien. Das Amt des Richters und das Amt des Gerichtsschreibers waren die einzigen gerichtlichen Aemter. Die Beamten, deren sich der Richter zur Zustellung, Ladung, Vollstreckung bediente, mit anderen Worten diejenigen, welche die Prozesshandlung durch Mittheilung an die anderen betheiligten Personen im Prozess perficirten (Zustellung) oder die Zwangsgewalf ausübten, waren seine Boten und Diener, nicht selbständige Rechtspflegeorgane 2. Eine abweichende, aus altgermanischer Einrichtung entwickelte Struktur des Gerichts besass und besitzt das französische Recht3. 1

Vgl. über diesen Begriff des Amtes L a b a n d , Reichsstaatsrecht I 298 f. W e t z e l l § 36. 3 Vgl. Motive zum GVG § 155. 156 (Eß 125. 126); Motive zur CPO § 152 bis 190 (E § 146—183) und § 674-677 (E § 623—626). 2

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§ 2.

ere Organisation der Gerichte.

Es stellt neben den Richter und Gerichtsschreiber den relativ selbständigen Vollzugsbeamten, huissier, eine Verwaltungsbehörde ihrer staatsrechtlichen Stellung nach, welche — von anderem abgesehen — mit den Zustellungen, Ladungen, Vollstreckungen betraut ist. In dieser seiner Thätigkeit übt der Gerichtsvollzieher ein Staatsamt, auch wenn er es ausübt im Auftrag und Interesse der Partei. Ihr Recht auf die Handlung ist nicht ein Recht zur Vornahme der Handlung4. Es ist also nicht die Vollzugsgewalt der Partei, welche der Gerichtsvollzieher kraft ihrer Vollmacht handhabt, sondern seine eigene Amtsgewalt und Amtspflicht, zu welcher ihn die Staatsanstellung bevollmächtigt. Die Motive, welche deutsche Staaten5 veranlassten, dieses in den französisch-rechtlichen Gebieten Deutschlands fortlebende Institut in die Gerichtsverfassung aufzunehmen, sind hier nicht zu erörtern. Es genügt zu konstatiren, dass es zur Entlastung des Gerichts und zur Entfesselung freieren Prozessbetriebs durch die Parteien Bestandtheil des jetzigen deutschen Gerichtsverfassungsrechts — wenn auch nicht im vollen Umfang seines Vorbildes — geworden ist. Die bis dahin, nicht um der Person des handhabenden Richters, sondern um ihres Inhalts willen, zweifellos der Gerichtsgewalt zugehörige Vollstreckungsfunktion ist nunmehr vorwiegend Sache einer relativ selbständigen, d. h. unter eigener Verantwortung, kraft eigenen Amtes handelnden, nicht unter den Garantien der richterlichen Unabhängigkeit stehenden Behörde 6. Durch ihre Einsetzung ist nicht ein 4

Vgl. auch W e i s m a n n , Hauptintervention S 45 Anm 8. H a n n o v e r : CPO § 118 ff. 531 ff. und dazu Bekanntmachung zum GVG vom 8. April 1859; Reglement für die Gerichtsvögte vom 24. Mai 1859. B a y e r n : CPO Art. 101—104. 837 ff. und dazu Gerichtsvollzieher-Ordnung vom 15. Mai 1870. — Vgl. auch Prot zum HE S 216 ff. 4989 ff; Motive zur württemb. CPO S 3 und V d. deutsch. JT V I I I 1. Bd. S 100 ff. 381 ff. c Man nennt den Gerichtsvollzieher das „Hilfsorgan" des Gerichts, ein ihm beigeordnetes Amt oder wohl auch ein Organ des Richters (so H e l l m a n n , Lehrb. S 165) oder einen dem Rechtsanwalt vergleichbaren Bevollmächtigten der Partei ( F i t t i n g , CP § 20 II), ohne damit die Sache zu klären, ja nicht ohne Gefahr ihrer Verdunkelung; vgl. auch m e i n e Vorträge S 239. — Ueber das Verhältniss des Gerichtsvollziehers zur Partei vgl. einstweilen S e u f f e r t § 674 Anm 1; S t r u c k m a n n - K o c h § 674 Anm 11; v. W i l m o w s k i - L e v y § 674 Anm 4; G a u p p I I I 185 und dagegen F ö r s t e r - E c c i u s , Preuss. PrR § 141 Anm 33, § 159 Anm 3; V o s s in Gruchot X X I I I 240 ff.; H e i l man η a. Ο.; auch W e ism an η a. Ο. und die Urtheile des OLG Rostock vom 10. Jan. 1881 in Mecklenb. Ζ I I 113 ff. und AG und LG Leipzig vom 12. Okt. 1882, 19. Jan. 1883 in Wenglers A 1883 S 472 ff.; OLG Dresden vom 20. März 1884, Annalen V I 336 f. und dagegen Hanseat. OLG vom 1. April 1881 und OLG Kiel vom 9. Juni 1881 in Seuffert 5

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wesentlicher Bestandtheil der Gerichtsbarkeit verloren gegangen, sondern die ausschliessliche und erschöpfende Koncentration derselben in der Hand des Richters beseitigt. Der Inhalt des Gerichtsvollzieheramtes und sein Verhältniss zum Richter und Gerichtsschreiber wird sogleich unten Nr I I I näher darzulegen sein. Noch ein viertes Staatsorgan tritt im Anschluss an moderne Rechtsentwickelung ein in den Civilprozess in Gestalt der S t a a t s a n w a l t s c h a f t in E h e s a c h e n 7 . Aber sie ist ebensowenig gerichtsbarkeitliches Organ, wie die R e c h t s a n w a l t s c h a f t . Beide erscheinen im Prozess in der Parteienrolle, die Rechtsanwaltschaft als Vertreter des Rechtsschutzinteresses der Partei, die Staatsanwaltschaft in Wahrung des staatlichen objektiven Rechtsschutzinteresses mit Rücksicht auf die den Staat mittelbar interessirende Streitsache. Damit die Ausübung der Gerichtsbarkeit möglich sei, dienen dem Gericht staatliche Hilfsorgane, zumal für Zustellungen und Vollstreckungen: die P o s t 8 , die M i l i t ä r b e h ö r d e 9 , die P o l i z e i 1 0 , die S t a a t s a n w a l t s c h a f t 1 1 , das R e i c h s k a n z l e r a m t 1 2 usw. Das an sie ergehende Ersuchen zur Vornahme der betreffenden Handlung überträgt ihnen nicht Gerichtsbarkeit, sondern verwerthet kraft gesetzlicher Anordnung die im Geschäftskreis der betreffenden Behörde liegende Handlung für den besonderen, an und für sich ausserhalb desselben liegenden Rechtspflegezweck. Das Ersuchen giebt also Auftrag und Vollmacht zugleich mit der Folge einer vertretungsweisen Vornahme von Jurisdiktionshandlungen. III. Hat sich vorstehend ergeben, dass die gerichtlichen Aemter nach heutigem Rechte sind das R i c h t e r a m t , das Amt des Ger i c h t s s c h r e i b e r s und des G e r i c h t s v o l l z i e h e r s , so ist nunmehr auf ihren Inhalt und ihr Verhältniss zu einander näher einzugehen. X X X V I I Nr 358 und 281, sowie die theilweise sich widersprechenden Urtheile des RG I I I CS vom 5. Juni 1883 (Ε I X 361 ff.) und IV CS vom 17. Nov. 1883 (Ε X 233 ff.) und besonders zur Praxis des RG v. W i l m o w s k i , Jur. Wochenschrift 1884 S 243 f.; J a s t r o w , CA L X V I I I 358, welcher zugleich principiell die Frage erörtert. 7 CPO § 569 ff. Ueber ihre Aufgabe in Entmündigungssachen s. ob. S 58. 8 CPO § 176. 177. 9 CPO § 184. 343. 345. 699. 793. 678 Abs 3. Anders beim Ersuchen an das Militärgericht CPO § 345 Abs 4. 355 Abs 4. 374 Abs 3 zwecks „Festsetzung und Vollstreckung der Strafe" ; hier wird Ausübung der Jurisdiktion desselben erbeten. 10 11 12 CPO § 678 Abs 3. 777. GVG § 164. CPO § 183.

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§ 2.

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1. Das R i e h t er am t hat die Fülle der Gerichtsgewalt, soweit nicht besondere Funktionen den anderen Organen vorbehalten sind. 2. Das G e r i c h t s s c h r e i b e r a m t . Der Gerichtsschreiber ist Urkundsperson und als solche ein verfassungsmässiges Glied des Gerichts 13 , nicht nur die subalterne Hilfskraft, Schreibkraft, welche dem Richter die Mühe der Niederschrift abnimmt. Doch umfasst sein Geschäftskreis mancherlei, was unter diesen Gesichtspunkt nicht gebracht werden kann. Unter seinen Funktionen steht oben an: a. Die B e u r k u n d u n g g e r i c h t l i c h e r jAkte. Er bezeugt den Inhalt des Protokolls mit seiner Unterschrift (CPO § 149); ohne sie ist dasselbe werthlos. Also nicht darauf kommt es an, ob der Gerichtsschreiber es geschrieben, sondern ob er es kraft eigener Wissenschaft unterzeichnet hat. Gleicherweise bezeugt er den Tag der Urteilsverkündung auf dem Urtheil (§ 286 Abs 3), die Uebereinstimmung von Ausfertigungen und Auszügen des Urtheils mit dem Original (CPO § 288) 1 4 , die Rechtskraft des Urtheils (CPO § 646), die Vollstreckbarkeit desselben (CPO § 662. 663) oder überhaupt des Vollstreckungstitels (§ 705) 1δ . In dieser seiner Eigenschaft als Urkundsperson steht er neben dem Richter, nicht unter demselben, denn er thut etwas, was diesem zu thun unmöglich ist. b. Die A n f e r t i g u n g von P r o z e s s a k t e n im I n t e r e s s e der P a r t e i e n , B e u r k u n d u n g , P r o t o k o l l i r u n g v o n P a r t e i h a n d l u n g e n ausserhalb der G e r i c h t s s i t z u n g . In den zahlreichen gesetzlichen Anwendungsfällen 16 erscheint sie einerseits als eine Art Rechtsbeistandschaft 17, andererseits nicht nur als Urkundsakt, 13 Κ l e i n f e i l er a. O. S 4 scheidet mit Unrecht den Gerichtsschreiber vom Gericht „im prozessualen Sinne" aus (s. oben § 24 Anm 10. 19). Er gehört zum Iudicium rite constitutum, zur ordentlich besetzten Gerichtsbank. Ob auch zur „vorschriftsmässigen Besetzung des erkennenden Gerichts" im Sinn der CPO § 513 Nr 1, § 542 Nr 1? Nein, die Meisten ( S e u f f e r t , G a u p p , S t r u c k m a n n K o c h , v. "W i l m o w s k i - L e v y , P e t e r s e n , v. B ü l o w , R e i n c k e , F i t t i n g ) , and. Mein. K l e i n e r , H e i l m a n n , aber mit Unrecht. S. über den Sprachgebrauch ob. § 23 Anm 9. Stärkeres Argument ist die Parallele von Nr 2. 3 der §§ 513. 542, wo ebenfalls nur der Richter, nicht der Gerichtsschreiber gemeint ist. 14 Es ist also unwesentlich, ob der Gerichtsschreiber selbst schreibt, wenn er nur unterschreibt; H e l l m a n n , Lehrb. S 162 verwechselt „Schreiber" und „Gerichtsschreiber". 15 Vgl. auch CPO § 156 Abs 2. 16 S. CPO § 457. 462. 463. 44. 98. 109. 225. 346. 351. 354. 371. 448. 532. 536. 596. 617. 621. 625. 800. 824. Vgl. auch KO § 64. 95-97. 127. 128. 161—165. 17 Vgl. dazu m e i n e Vorträge S 66 if.

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sondern geradezu als Vollrepräsentation des Gerichts. Denn indem diese Handlungen vor dem Gerichtsschreiber und zu seinem Protokoll vorgenommen werden, gelten sie als vor dem Gericht vorgenommen. c. Z u s t e l l u n g s - und L a d u n g s g e s c h ä f t e , auch w o h l V o l l s t r e c k u n g e n i m A u f t r a g der P a r t e i oder von A m t s w e g e n 1 8 . Dabei bedient sich der Gerichtsschreiber der Post oder des Gerichtsvollziehers. Im Handeln für die Partei kommt wiederum jener patronisirende Gesichtspunkt zur Geltung, im Handeln von Amtswegen mit Beziehung auf gerichtliche Anordnungen, Urtheile dagegen die Stellung eines Hilfsorgans für die Durchführung richterlicher Befehlsgewalt. d. V ö l l i g s u b a l t e r n ist die äussere Vermittelung des gerichtlichen Verkehrs mit den Parteien — Entgegennahme von Schriftstücken19 — und mit anderen Gerichten und Behörden — Beförderung von Ersuchungsschreiben des Gerichts u. dergl. 20 —, sowie das Führen von Registraturen, Ordnen, Sekretiren der Akten u. a. m. Alle diese Dinge haben mit der prozessualen Stellung des Gerichtsschreibers wenig oder nichts zu thun. 3. Das G e r i c h t s v o l l z i e h e r a m t . Seine Aufgabe ist Zustellung21 und Vollstreckung 22. Wenn nicht selten als drittes die Ladung genannt wird, so beruht das auf einem Irrthum. Die Ladung als bindende Aufforderung im Gericht zu erscheinen (in ius vocatio), ist niemals Sache des Gerichtsvollziehers, sondern stets entweder des Richters bezw. Gerichtsschreibers oder der Partei. Der Gerichtsvollzieher stellt Ladungen zu, aber ladet nicht selbst 23 . — Die Z u s t e l l u n g , welche ausführlicher bei der Lehre von den prozessualischen Handlungen besprochen werden wird, ist relevante Mittheilung eines Schriftstücks und damit Perficirung der in ihm enthaltenen Handlung, Aeusserung, Willenserklärung. Sie setzt voraus die Befugniss, Legitimation zur Mittheilung und fordert einen Beurkundungsakt über ihr Geschehen. Jene erwächst dem Partei- oder Richter- (bezw. Gerichtsschreiber-) Auftrag, dieser wird ermöglicht durch die publica fides der Zustellungsperson. Hieraus, wie aus dem weiteren Umstand, dass Zustellungen durch die Post, dass sie von Anwalt zu Anwalt ge18

CPO § 152. 154. 156 Abs 2. 179. 187. 458. 463. 342. 367. 462. 674. 703, GVG § 162. 19 20 CPO § 124. 125. 133 Abs 2 u. a. CPO § 506. 529. 21 22 CPO § 152. 153 u. oft., GVG § 155. CPO § 674 f., GVG § 155. 23 Die „Ladungsurkunde" des Gerichtsvollziehers, welche der Entwurf der CPO § 441. 444 enthielt, ist nicht in clas Gesetz aufgenommen. Binding, Handbuch. IX. 2. I : W a c h , Civilprozess. I .

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schehen können, folgt, dass in ihnen die amtliche gerichtsbarkeitliche Stellung des Gerichtsvollziehers vorzüglich in der einen Beziehung der allgemeinen behördlichen U r k u n d s f u n k t i o n (publica fides) im Dienste der Rechtspflege zur Geltung kommt. In ausgedehntem Maasse24 übt der Gerichtsvollzieher selbständig, theils im Auftrage der Partei 25 , theils im Auftrage des Gerichts 26, die E x e k u t i v e . Der Vollstreckungstitel, d. h. der mit der Vollstreckbarkeit, dem Vollstreckungsanspruch als Rechtsschutzanspruch ausgerüstete materielle Anspruch 27 empfängt durch ihn den Rechtsschutz in Fonn der Vollstreckungshandlung. Sie selbst ist Ausübung der Amtsgewalt des Vollstreckungsbeamten28, welcher von den ihm frei24 Man kann sagen: in dem Maasse, in welchem nicht die Vollstreckung dem Gericht überwiesen ist. S. unten Anm 29. 30. 25

Das ist vermöge des sog. Prozessbetriebs der Parteien das Regelmässige: CPO § 674. 720. 727 ff. Die Partei beauftragt entweder unmittelbar (CPO § 674 Abs 1) oder mittelbar durch den Gerichtsschreiber (§ 674 Abs 2). 26

Das Gericht beauftragt nicht schon dann, wenn es die Vollstreckungsmaassregel selbst anordnet (s. unt. Anm 29), vielmehr betreibt deren Verwirklichung die Partei durch Beauftragung des Gerichtsvollziehers, soweit es dessen bedarf (vgl. z. B. CPO § 777, 790 und dagegen § 779). Nur dann, wenn der Staat selbst bei der Vollstreckung (z. B. fiskalischer Geldstrafe, Haft zur Erzwingung öffentlicher Pflicht) interessirt ist, rechtfertigt sich der Officialauftrag, wie das der Fall ist in den Fällen der CPO § 345. 355. 374. 774. 775. 27 CPO § 644. 660. 702. 868. Vgl. oben S 21. Der Vollstreckungsanspruch kann ein resolutiv bedingter oder unbedingter (vorläufige, definitive Vollstreckbarkeit) sein; er ist, wie schon oben S 21 Anm 20 betont wurde, in Entstehung und Dauer unabhängig vom materiellen Anspruch. Das erhellt unter anderem aus der Fortexistenz des letzteren als unbefriedigten und an und für sich noch nicht vollstreckbaren Interessenanspruchs (CPO § 778) im Falle der erfolglosen Anwendung der Vollstreckungsmittel. Es ist also daran festzuhalten, dass der Vollstreckungsanspruch der Anspruch auf die Vollstreckungshandlung (mit ihren Wirkungen), nicht auf ihre Wirkungen ist. Abweichend W e i s m a n n a. O. Wenn er das Recht auf die Zwangsvollstreckung aus dem Recht auf die Wirkungen ableitet, so ist ihm insofern beizustimmen, als man den Vollstreckungsanspruch hat um des Privatrechts willen. 28 Vgl. die Citate oben in Anm 6. Aus der Qualität der Amtshandlung folgt nichts gegen oder für ein etwaiges Stellvertretungsverhältniss zwischen der Partei und dem Gerichtsvollzieher. Der Vertreter kann Handlungen für den Vertretenen vornehmen, zu denen dieser an und für sich nicht befähigt oder berechtigt wäre; man denke an den gesetzlichen Vertreter des Handlungsunfähigen, an freiwillige gerichtliche Versteigerungen, Wechselproteste des Gerichtsvollziehers, Notars im Auftrage und Namen der Partei. Die Vollmacht ist nicht das Einräumen einer Macht zur Handlung an sich, sondern zur v e r t r e t u n g s w e i s e n Handlung, zur Handlung N a m e n s und f ü r den Vertretenen. Solche Vollmacht giebt die

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eren.

gegebenen Formen der Vollstreckung kraft eigenen Willens (wemi auch im Auftrag des Vollstreckungssuchers) die angemessene, wählt und anwendet. Das ist autoritative Gesetzesanwendung zum Zwecke des Rechtsschutzes: wahre Rechtspflege. Aber der Gerichtsvollzieher ist weder das einzige Vollstreckungsorgan, noch soweit er solches ist, souverän innerhalb der Gerichtsverfassung. Neben und über ihm steht der Richter. Er steht neben ihm, da zahlreiche Vollstreckungsanordnungen — d. h. Anordnungen bestimmter Vollstreckungshandlungen — vom Gericht ausgehen29; er steht unter ihm, da dem Gericht die Dekretur auch in der Vollstreckungsinstanz verbleibt und er den gerichtlichen Befehlen zu gehorsamen hat 3 0 , wie er speciell als Glied des Vollstreckungsgerichts der Remedur des Vollstreckungsrichters unterworfen ist 3 1 . § 26. Fortsetzung.

II. D i e g e r i c h t l i c h e n Behörden.

I. Wir denken das Amt als ein persönliches, übertragen einer Person, dem Beamten. Vom Amt und Beamten unterscheiden wir die Behörde, die Institution, das publicistische „ideelle Subjekt derjenigen Rechte und Pflichten, welche mit cler Fühlung der zu einem Amte geeinigten Geschäfte verknüpft sind" Die Unterscheidung ist nicht blos ein Spiel der Sprache, sondern die treffende Bezeichnung verschiedener Dinge. Sie ist grundlegend für die GerichtsorganiPartei dem Gerichtsvollzieher durch die mit der Uebergabe des Vollstreckungstitels verbundene Willenserklärung, dass er für sie vollstrecken solle. Er gilt als ermächtigt, legitimirt durch den Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung (CTO § 676). Ob die Verantwortlichkeit des Gerichtsvollziehers gegenüber der Partei sich nach den gewöhnlichen civilistischen Mandatsgrundsätzen beurtheilt, ist eine andere Frage. — W e i s m a n n s Unterscheidung (a. 0.) der Stellvertretung in Hinsicht auf den Erfolg des Vollstreckungsakts, nicht auf den Zwangsakt selbst, kai η ich mir nicht aneignen. 29

Vgl. CPO § 684. 729. 755. 758 ff. 772 ff. 780 ff. Das Gesetz unterscheidet das Vollstreckungsgericht (d. i. das Gericht der Zwangsbereitschaft) und das Prozessgericht. Auch diesem fallen gewisse Vollstreckungshandlungen zu, vgl. unten § 393 f. 30 Die gesammte Causae cognitio liegt, von wenigem abgesehen (vgl. CPO § 691. 672. 664) in den Händen des Richters. Er erlässt nicht nur den vollstreckbaren Befehl (Verurtheilung), sondern kognoscirt auch über die Einwendungen gegen denselben, über die Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung, ihre Art, Form usw. Vgl. m e i n e Vortr. S 235 ff. 241 ff. 31 1

Vgl. CPO § 685. 698. 710 Abs 3. 724. 726. 728 u. oft. L a b a n d a. O. S 284 ff.

2*

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ere Organisation der Gerichte.

sation2. Der Punkt, an welchem sie sich vorzüglich praktisch zeigt, ist der Gegensatz der monokratischen und kollegialischen Verfassung der gerichtlichen Behörden. Jeder Beamte hat ein Amt, aber nicht jeder Beamte bildet eine Behörde. Dieselbe kann kollegialisch verfasst sein, d. h. es kann Grundsatz sein, dass mehrere Beamte als Kollegium die Behörde bilden, zur ungetheilten gemeinschaftlichen Ausübung der Amtsgewalt Namens der Behörde zusammenwirken müssen. Das ist der eine Gedanke, dessen Bedeutung für das Prozessrecht im Folgenden darzulegen ist. Wir haben im Vorstehenden (Nr II. III) das Amt als Abstraktum behandelt: das richterliche Amt, das Gerichtsvollzieheramt als den Richtern, Gerichtsvollziehern überwiesenen Geschäftskreis. Es kann nun sein, dass dieser nicht in seiner Totalität einer Person übertragen, sondern zwischen mehreren Personen getheilt wird. Das ist der andere Gedanke, dessen Erledigung in diesem Paragraphen erübrigt. 1. Die r i c h t e r l i c h e B e h ö r d e , das Gericht. Es ist ein monokratisches oder ein kollegialisches. Der Amtsrichter ist Einzelrichter 3 , jeder andere Civilrichter Mitglied eines Kollegiums4; mit anderen WTorten das „Gericht", gedacht als das richterliche Organ, ist, vom Amtsgericht abgesehen, kollegialisch verfasst. Die Civil- und Handelskammern der Landgerichte sind mit drei, die Civilsenate der Oberlandesgerichte mit fünf, des obersten Landesgerichts und des Reichsgerichts mit sieben Richtern besetzt5. Die vereinigten Civilsenate des obersten Landesgerichts und des Reichsgerichts entscheiden in schwankender, nur relativ bestimmter Zahl 6 . Der Kammer bezw. dem Senat oder den vereinigten Senaten sitzt ein „Mitglied" vor (Direktor, Präsident)7. Es ist wichtig, das juristische Wesen der richterlichen Be2

Das hat zum Nachtheil für seine gesammte Deduktion K l e i n f e i 1er a. 0. S 21 ff. 303 nicht genügend gewürdigt. Er kennt keine gerichtliche Behörde im Gegensatz zum Richter ; dieser ist ihm, weil Träger des Richteramtes, auch schlechthin der Träger der Gerichtsbarkeit, das Gericht. Ein publicistisches ideelles Subjekt „Gericht" verneint er. Das Kollegium ist ihm nur eine mit einem Terminus bezeichnete Vielheit von Personen, von Singuli. Das ist weder die Auffassung des Gesetzes, welches die „Kammern", Senate" als Gerichte, das „Gericht" als Subjekt ansieht, noch ist es vereinbar mit der Disposition des Gesetzes. Ueber die Folgerungen s. unten Anm 9 ff. 3 GArG § 22 Abs 1: „den Amtsgerichten stehen Einzelrichter vor", — Abs 2: „jeder Amtsrichter erledigt die ihm obliegenden Geschäfte als Einzelrichter". 4 Eine Ausnahme setzt GVG § 109 Abs 3. 5 GVG § 77. 124. 140, EGVG § 10; Ausnahmefall CPO § 291 Abs 4. 6 GVG § 139, EGVG § 10. 7 GVG § 77 : „drei Mitgliedern mit Einschluss des Vorsitzenden" ; § 124.140.

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hörde, insbesondere des Richterkollegiums, und das damit zusammenhängende Verhältniss des Vorsitzenden zu den übrigen Mitgliedern zu bestimmen. a. Die richterliche Behörde ist publicistisches Rechtssubjekt, welches seine behördliche Gewalt vom Staate ableitet, Staatsgewalt ausübt. Ihre Repräsentanten, Organe sind die Richter. Sie wird gedacht als das wollende, handelnde Subjekt, welches durch die Organe thätig wird. Sie ist also, wenn kollegialisch verfasst, nicht eine Mehrheit von gemeinschaftlich handelnden Einzelnen, sondern die durch diese handelnde Einheit. Diese Vorstellung ist die des Gesetzes8 und in mehrfacher Beziehung praktisch. Das Gericht ist da, auch wenn es ihm momentan an der ordnungsmässigen Besetzung fehlt; es bleibt auch, wenn die Gerichtspersonen wechseln. Die Verschiedenheit des handelnden Organs hebt nicht die Einheit des als handelnd gedachten Gerichts auf. Daher ist die Ablehnung eines Richters (s. § 27 Nr I I 1 f.) nicht die Ablehnung des „Gerichts" 9, der Fortfall des Richters nicht ein Fortfall des Gerichts, noch ein Grund für eine Erneuerung des Verfahrens u. dergl. Nur eine prozessuale Konsequenz des sog. Mündlichkeitsprincips ist der Satz, dass der Wechsel im Richterpersonal eine Erneuerung der die Kenntniss der Urtheilsgrundlage vermittelnden Verhandlung nach sich zieht (CPO § 280), wenn es sich um die Urtheilsfällung handelt. Die Beschlüsse, Urtheile des „Gerichts" können von anderen Personen gefasst, „gefällt", von anderen Personen „verkündet" und damit zur prozessualischen Existenz gegenüber den Parteien gebracht werden 10 . 8 Das „Gericht" prüft, ordnet an, vertagt, beschliesst, erlässt Urtheile, Entscheidungen, ist befugt, verpflichtet, verhindert u. s. w. ist die gewöhnliche Redeweise. 9 Die Schlussfolgerungen, welche K l e i n f e i l e r S 22 ff. aus den Grundsätzen über die Ablehnbarkeit oder den Ausschluss des Richters von der Ausübung des Richteramts zieht, sind nicht stringent, da sie auf der immer wiederkehrenden irrthümlichen Annahme einer Unvereinbarkeit des persönlichen Richteramts und der publicistischen Subjektivität der Gerichtsbehörde ruhen. Vgl. auch unten § 27. 10 CPO § 280. 281 : Der Gegensatz von „gefällt" und „verkündet" ist nicht unklar. Jenes ist das „Entscheiden" (GVG § 194. 198; CPO § 513 Nr 2. 3, § 542 Nr 2. 3 und bes. § 286 Abs 1) als interner Akt des Gerichts: der Willensentschluss, welcher objektivirt wird im Kollegium durch die Abstimmung; dieses ist die Willenserklärung gegenüber den Parteien: „Verkünden der Entscheidung" (§ 146 Abs 2 Nr 6), des fertigen Willensaktes. Der Umstand, dass hiermit erst das Urtheil prozessualisch nach aussen hin entsteht und dass demnach für diesen Akt die CPO § 281 nicht entsprechend dem § 280 die Mitwirkung derselben Richter, welche das Urtheil „gefällt" haben, fordert, ist Κ 1 e i η f e 11 e r sehr hinderlich ; denn damit fällt seine ganze Auffassung von den wollenden Singuli im Gegen-

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§ 2.

ere Organisation der Gerichte.

Alle Urtheile ergehen „unpersönlich" : als Urtheile des Gerichts. Dass sie in ihrer Ausfertigung zu unterzeichnen sind, bedeutet nur die Konstatirung des verfassungsmässigen Erfordernisses, dass sie vou der nöthigen Anzahl von Gerichtsmitgliedern gefällt sind, sowie des prozessualen Erfordernisses, dass dabei dem § 280 genügt ist 1 1 . b. Das Kollegium ist eine Einheit; daher kann es nur einen einheitlichen Willen haben: mit andern Worten, es ist unmöglich, dass aus seiner Mitte gleichzeitig widersprechende Willen der Einzelnen rechtsbedeutsam hervortreten 12. Es beschliesst verfassungsmässig durch absolute Majorität 13 . Die Grundsätze über die Abstimmung gehören in die Lehre von den prozessualen Handlungen. c. Die kollegialisch verfasste Gerichtsbehörde, das Kollegialgerichtr hat ihre Organe im K o l l e g i u m und im V o r s i t z e n d e n 1 4 . Wenu man Beamten und Behörde, Richter und Gericht, Kollegium und Kollegialgericht identificiren dürfte 15 , wäre die Stellung des Vorsatz zu dem durch die Organe wollenden Subjekt „Gericht". Daher sucht er §280 auch auf die Verkündung zu beziehen. Aber vergebens. Das Gesetz steht ihm entgegen; was die von ihm S 296 angef. CPO § 283. 145 Abs 2 Nr 5. 150, GVG § 170. 174 für ihn beweisen sollen, ist nicht einzusehen. Die Motive des Gesetzes (§ 280) bestätigen die rationelle Auslegung, welche richtig die Forderung des § 280 nur auf den Materialakt der Entscheidung, nicht auf den Formalakt cler Publikation bezieht; die Praxis hat sich unentwegt gegen die gegentheilige, höchst formalistische Behandlungsweise erklärt; die communis opinio in der Literatur stimmt damit überein. Es versteht sich von selbst, dass nur verkündet werden kann, was beschlossen, entschieden ist. — Die Deduktion aus CPO § 286 Abs 1 (S 299) geht fehl, weil die Unterschrift des Urtheils nicht ein Zeugniss der Uebereinstimmung mit dem „Verkündeten" ist. Das Urtheil kann vor der Verkündung abgefasst (§ 286 Abs 2) und unterschrieben sein; es kann aber nicht ein Zeugniss über noch nicht Geschehenes abgegeben werden. Und verkündet wird gewöhnlich nur der Tenor, unterschrieben aber das ganze Urtheil (§ 284). — Was vom Urtheil gilt, gilt vom Beschluss. Er wird je nachdem den Parteien gegenüber existent mit der Publikation oder der Zustellung (vgl. CPO § 294 Abs 2. 3). Nach K l e i n f e i l e r müsste auch hier publicirt, bezw. zugestellt (!) werden von den Richtern, bezw. im Auftrag der Richter, welche beschlossen haben. 11 Eine Konsequenz des § 280 zieht § 291. 12 Daher selbstverständlich, dass alle, auch die bei der Abstimmung in der Minorität gebliebenen Richter das Urtheil unterzeichnen müssen (CPO § 286), dass das Stimmenverhältniss nicht angegeben wird, da solche Angabe als Garantie eines verfassungsmässigen Entstehens nicht erforderlich erscheint. Das alles spricht gegen K l e i n f e l l e r , wird aber S 25 ff. von ihm für seine Ansicht benutzt. 13 GVG § 198. 14 Die neueste und gründlichste Bearbeitung dieses Gegenstandes ist die mehrfach angeführte Schrift von K l e i n f e i l e r . 16 Die Terminologie des Gesetzes könnte dazu verführen, denn es bezeichnet gewöhnlich das Kollegium als „Gericht" im Gegensatz zum „Vorsitzenden".

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sitzenden richtig bezeichnet durch den Satz: er repräsentirt das Kollegium, ist dessen Organ. Da aber die Prämisse nicht zutrifft, ist er neben das Kollegium, nicht neben das Kollegialgericht (etwa als selbständiges Gericht — Einzelrichter) zu stellen 16 . Doch bedarf das Verhältniss näherer Feststellung. a. Der Vorsitzende erscheint als M i t g l i e d des K o l l e g i u m s und Repräsentant, Mund, Organ desselben, wenn er in ihm auftritt und für dasselbe spricht und handelt 17 . So wenn er einen Beschluss oder ein Urtheil des Kollegiums verkündet (§ 127 Abs 4), so überhaupt in der Leitung der mündlichen Verhandlung 18, der Handhabung der Sitzungspolizei19 und in den internen Verhandlungen, Berathungen des Kollegiums selbst20. Er steht hier wie jeder Leiter einer beschliessenden Versammlung, etwa eines Parlaments, der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft und dergl.; er steht nicht ausserhalb und neben oder über dem Kollegium, sondern in demselben als „primus inter pares". Dass er seine Stellung nicht aus der Wahl der Mitglieder, sondern aus clem Gesetz bezw. seiner Anstellung ableitet, giebt seiner Aktion nur den Charakter specifisch gesetzlicher, nicht gewillkürter Vertretung, wie auch gegen deren Annahme die Thatsache nicht spricht, dass seine Sachleitung (formale Prozessleitung) der Kontrole und Korrektur des Kollegiums theilweise entzogen, theilweise unterworfen ist 2 1 . Nur insoweit der Vorsitzende Funktionen ausübt, welche er auch ausserhalb der Sitzung selbständig üben dürfte, könnte er als selbständiger Repräsentant cles Gerichts aufgefasst werden 22 . ß. Anders wenn der V o r s i t z e n d e a l l e i n handelt. Hier vertritt er das Kollegialgericht ; er thut es zum Theil in cler Art, dass seine Handlungen der Korrektur des Kollegiums unterstehen, zum grossen Theil völlig selbständig, nur etwaiger Remedur durch clas höhere Gericht unterworfen 23. 16

Letzteres ist die Meinung K l e i n f e i l e r s. Nur diese Repräsentation habe ich in m e i n e n Vorträgen S 80 im Auge gehabt Sie wird fast allgemein angenommen. Vgl. dag. K l e i n f e l l e r S 37 ff. 18 Vgl. CPO § 127. 130; K l e i n f e l l e r S 195 ff. 19 20 S. oben § 24 Nr I I I 3. GVG § 196. 21 Ersteres ist der Fall bezüglich der Zweckmässigkeit, letzteres bezüglich der Gesetzmässigkeit der Anordnung (CPO § 130). Auf die Prozessfunktionen des Vorsitzenden einzugehen, ist hier keine Veranlassung. Sie sind darzustellen, wenn die betreffenden gerichtlichen Handlungen (Prozessleitung) besprochen werden. Vgl. vorerst K l e i n f e l l e r S 195 ff. 201 ff. 212 ff. 303 ff. Siehe auch U d e , Ζ f. CP V 305 ff. 22 Ζ. B. wenn er Termine anberaumt, den zu beauftragenden Richter ernennt. 23 Selbständige Funktionen des Vorsitzenden : Bestellung des Prozessvertreters 17

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§ 2.

ere Organisation der Gerichte.

2. Die G e r i c h t s s c h r e i b e r e i wird in ihrem ganzen Umfange durch den Gerichtsschreiber repräsentirt. Er wird regelmässig in der Einzahl thätig. Jedoch ist dem Reichskanzler bezw. der Landesjustizverwaltung die Organisation überlassen24 und dadurch die Möglichkeit eingeräumt, die Funktionen des Gerichtsschreiberamtes derart zu vertheilen, dass sie in verschiedenen Händen liegen. So können besondere Personen zum Protokolliren, andere für die sonstigen Geschäfte des Gerichtsschreibers verwendet werden. 3. Dieselben Gedanken beherrschen die Struktur der G e r i c h t s v o l l z i e h e r b e h ö r d e . Auch hier ist die Justizverwaltung frei, soweit nicht das Reichsrecht Schranken gezogen hat 2 5 . Reichsrechtlich monokratisch organisirt und angeschlossen an die Organisation der Gerichte ist das Institut höchst mannigfaltig durch die Landesgesetzgebung ausgebildet. Die maassgebenden Grundsätze gehören der Lehre der Gerichtsverfassung an; nur das eine ist hervorzuheben, dass auch hier die Theilung der Funktionen und Ueberweisung derselben an verschiedene Beamte zulässig ist 2 6 . II. Nicht unter den Gesichtspunkt einer Amtsübertragung, eines Mandatum iurisdictionis oder einer Delegation27, sondern unter CPO § 55. 609. 620. 626, RAO § 36; Erlaubniss zur Zustellung an Sonn- und Feiertagen ECPO § 171 Abs 2; Termins- und Fristbestimmung § 193 Abs 2. 204. 217. 233. 234. 314. 326; Ernennung des beauftragten Richters § 314. 326; Erlass von Ersuchungsschreiben § 327. 328; Remedur gegen die eigene mit Beschwerde angegriifene Entscheidung § 534; Suspension der Vollziehung derselben § 535 Abs 2; Anordnung der Vollstreckungsklausel bezw. Versagung derselben § 666. 703, einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung § 669. 703; Entscheidung über Gesuche auf Arrest oder einstweilige Verfügung in dringenden Fällen §822 u.a.m. Vgl. K l e i n f e l l e r S 86 if. 305 ff. Ueber die Anfechtbarkeit der Beschlüsse des Vorsitzenden durch Beschwerde: CPO § 530. 535. Eine Beschwerde an das Kollegium, oder die Befugniss desselben, ohne solche den Vorsitzenden in diesen seinen Anordnungen zu korrigiren, giebt es nicht. And. Mein. K l e i n f e l l e r S 305 f. — Ausdrücklich ist die Remedur durch das Kollegium offen gehalten GVG § 202 Abs 3. 24 25 GVG § 154. GVG § 155. 26 Motive zu GVG § 155. 156 S 186: „Es ist nicht nothwendig, dass dieselben Beamten zu allen Verrichtungen, welche die Prozessordnungen den Gerichtsvollziehern zuweisen, in gleicher Weise ermächtigt werden. Jedermann, der seiner Qualifikation nach geeignet erscheint, Vollstreckungen und Zustellungen oder nur Zustellungen oder nur Vollstreckungen vorzunehmen und vom Staate mit dem Vollzuge der betreffenden Prozesshandlungen betraut wird, ist Gerichtsvollzieher im Sinne des Entwurfs und der Prozessordnungen. Es kann Gerichtsvollzieher geben, welche alle Funktionen der Gerichtsvollzieher in sich vereinigen oder nur zur Ausübung der einen oder der anderen Funktion berufen sind." 27 Anders die in der gemeinrechtlichen Theorie vorherrschende Ansicht: s.

II. Die gerichtlichen

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den der inneren Organisation und Geschäftsvertheilung fällt es, wenn dem Kollegium anheim gegeben ist, gewisse pflichtmässige Handlungen nicht selbst, sondern durch einen sog. „ b e a u f t r a g t e n " R i c h t e r vornehmen zu lassen. Der Auftrag hat die Voraussetzung, dass das Amt des Richterkommissar die zur Vornahme derartiger Handlung an und für sich erforderliche Gerichtsbarkeit einschliesst. Durch den Auftrag wird ihm lediglich die Legitimation, seine Amtsgewalt in der speciellen Richtung mit Beziehung auf den konkreten Prozess auszuüben, mit andern Worten für das Kollegium und an Stelle desselben zu handeln. Es wird also an Stelle des eigentlich zum Handeln berufenen und verpflichteten Organs ein anderes gesetzt. Aehnlich wie der Vorsitzende kraft unmittelbaren gesetzlichen Auftrags für das Kollegium thätig wird, wird es der beauftragte Richter kraft Willensentschlusses des Kollegiums selbst. Er ist mittelbares Organ des Gerichts, unmittelbares des Kollegiums28. 1. D e r A u f t r a g . Der Beschluss, dass zu b e a u f t r a g e n sei, geht vom Kollegium aus 2 9 ; die Ausführung desselben durch die Ernennung des Kommissars fällt dem Vorsitzenden zu 3 0 . Bei seiner Wahl ist er an die Mitglieder des Prozessgerichts gebunden31. Der A u f t r a g ist nicht nach den Grundsätzen des Civilrechts zu beurtheilen; die Annahme schafft nicht Vertrag. Der Vorsitzende beauftragt kraft der Amtsgewalt mit bindender Wirkung für den Beauftragten. Der Auftrag ist revokabel, denn der Beschluss, dessen Ausführung er ist, ist revokabel. Der A u f t r a g i s t z u l ä s s i g zum Zweck der Vornahme eines W e t z e l l S 406 ff.; R e n a u d S 69; K a e m p f e , Die Begriffe der Jurisdictio. Wien 1876. S 248ff; richtig E n d e m a n n , CP I 155. 159 ff. — Für die CPO vgl. H e l l m a n n , Lehrb. S 151. 28 Er steht nicht anders, als der Decernent des schriftlichen Prozesses, welcher denselben für das Kollegium leitet, bis die Entscheidung eingreift. 29 CPO § 250. 268. 313. 320. 326. 337 Abs 2. 340. 367. 370. 441. 579 Abs 2. 30 CPO § 314.326 ; Κ 1 e i η f e 11 e r S 95 folgert wohl hieraus und aus der Rechtsstellung des Kommissars, dass der beauftragte Richter „Vertreter des Vorsitzenden", nicht des erkennenden Gerichts sei. Aber die Ernennung ist nur Ausführung des Gerichtsbeschlusses und die übertragene Aufgabe ist keineswegs die des Vorsitzenden, sondern die des Gerichts. Vgl. H e l l m a n n a. 0. und unten S 330 f. Ist der zuerst beauftragte Richter am Vollzug des Auftrags behindert, so ernennt der Vorsitzende ein anderes Mitglied CPO § 314. 326 Abs 2, welche Bestimmung analog auf alle Fälle der Beauftragung zu beziehen ist. 31 Speciell ausgesprochen in § 320. 326 u. a. bezüglich der Beweisaufnahme. Aber die Generalisirung folgt aus der Natur des Auftrags (s. Text). Die Macht des Vorsitzenden geht nicht über die Mitglieder des Prozessgerichts hinaus.

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§ 2.

ere Organisation der Gerichte.

Sühneversuchs (CPO § 268), zur Beweisaufnahme (§ 326), zur Leitung des vorbereitenden Verfahrens (§ 313), zur Vernehmung der Partei in Ehesachen (§ 579 Abs 2). 2. Die R e c h t s s t e l l u n g des b e a u f t r a g t e n R i c h t e r s bemisst sich nach den Grenzen des zulässigen Auftrags ; sie sind gesetzlich normirt und können durch Willkür des beauftragenden Gerichts weder verengert noch erweitert werden 32. Um des Zusammenhangs und der beweisenden Kraft für die obige Charakterisirung des Verhältnisses zwischen Kollegium und beauftragtem Richter willen sollen sogleich hier die Funktionen des letzteren erledigt werden. Der beauftragte Richter repräsentirt das Prozessgericht, aber er repräsentirt es nicht im vollen Umfang seiner Funktionen, sondern nur im Umfang des Auftrags. — Er repräsentirt das Prozessgericht, nicht nur, wie behauptet worden ist, den Vorsitzenden des Prozessgerichts. Es ist das Verhältniss des beauftragten Richters und der Parteien das Prozessrechtsverhältniss in eigenthümlicher Fortentwickelung. Daher werden in dem Verfahren des Kommissars und vor dem Kommissar Rechtswirkungen für das Verfahren des Prozessgerichts (Kollegiums) herbeigeführt. Das wird vorzüglich deutlich in dem sog. v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n in Rechnungssachen, Auseinandersetzungen und ähnlichen Prozessen: CPO § 313—319. Die protokollarischen Feststellungen des Kommissars und seines Gerichtsschreibers 33 sind Feststellungen im Prozess gleich denen des Prozessgerichts. Sie sind nicht urkundliches Beweismittel für dieses, sondern prozessualische Handlungen desselben. Damit verträgt sich wohl, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor den Kollegialmitgliedern diesen erst durch Vortrag ihres Inhalts zur Kenntniss gebracht werden (§ 318 Abs 1); denn das Vertretungsverhältniss bedeutet nicht die thatsächliche Identität der Personen des Vertreters und Vertretenen, sondern deren Verschiedenheit, und die Kenntniss des Vertreters ist nicht thatsächliche Kenntniss des Vertretenen. Da nun die Substanz der in Rede stehenden Prozesshandlungen eine solche ist, welche regelmässig nur vor dem Kollegium erwachsen kann (Behauptungsinhalt der mündlichen Verhandlung: § 315), so folgt daraus, dass dieses unmittelbar, und das Prozessgericht mittelbar durch den beauftragten Richter vertreten wird. — Auch ist das Verfahren vor ihm durch32

Wahlfreiheit: CPO § 370. „Das Prozessgericht kann . . . ermächtigen." „Derselbe hat in diesem Falle die in dem vorstehenden Paragraphen dem Prozessgericht beigelegten Befugnisse auszuüben." 38 CPO § 151. 313 ff. 354.

II. Die gerichtlichen

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dmngen von der zwingenden Kraft des Rechtsgangs: es treten Rechtswirkungen, Präklusionen, Geständnissfolgen ein, welche nur in den Verhandlungen vor dem Prozessgericht möglich sind (CPO § 316. 319) 34 . Ausdrücklich bestimmt das Gesetz, dass in den Grenzen der Aufgabe der beauftragte Richter die Funktionen des Amtsrichters, also des das Gericht voll repräsentirenden Einzelrichters ausübe3δ. Welche dem Gericht zustehenden Anordnungen demnach vom beauftragten Richter ausgehen können, ist eine Quaestio altioris indaginis, auf die zurückzukommen sein wird. Nur das eine mag noch hervorgehoben werden, dass das Gesetz ausdrücklich und generell dem beauftragten Richter prozessleitende Befugniss und Disciplinargewalt beilegt, welche dem Vorsitzenden und dem Gericht, nicht nur dem ersteren zusteht 36 . Bestätigt wird die entwickelte Auffassung durch die Grundsätze über die Beweisaufnahme durch den beauftragten Richter 37 . Sie ist „Beweisaufnahme" in dem betreffenden Prozess, für den sie geschieht, nicht nur eine amtliche Wahrnehmung durch Gerichtsperson, welche in diesem Prozess benutzt werden soll. Denn das Gesetz sagt: „Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozessgericht. Sie ist nur in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen einem Mitgliede des Prozessgerichts oder einem anderen Gerichte zu übertragen" (§ 320), und: „Soll die Beweisaufnahme durch ein Mitglied des Prozessgerichts erfolgen" usw. (§ 326) 38 . Es giebt also ausser der kommissarischen Beweisaufnahme keine zweite inhaltlich gleiche Beweisaufnahme des beauftragenden Prozessgerichts in diesem Prozess, sondern nur eine pflichtmässige Kenntnissnahme seiner Mitglieder von 34

Ueber das gerichtliche Geständniss vor dem beauftragten Richter CPO § 261. So verstehe ich von anderem abgesehen den § 315 Abs 2: „Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften, welche zur Anwendung kommen würden, wenn der Rechtsstreit vor einem Amtsgerichte anhängig wäre." Vgl. auch Motive zu § 315 Abs 2. 318 Abs 3. 319 (E 305 Abs 2. 308 Abs 1. 309): . .. „dass der Kommissar das Verfahren von Amtswegen bis zur Spruchreife fortzusetzen hat, wobei ihm die Befugnisse des die Verhandlung leitenden Einzelrichters zustehen (vgl. § 464 und hannöv. Prot I X 3114. 3115; nordd. Prot I I I 1194)." 36 CPO § 207 (unrichtig K l e i n f e l l e r S 95), GVG § 182. Die letztere Bestimmung giebt dem beauftragten Richter die v o l l e Disciplinargewalt, welche abgeschwächt wird lediglich durch die suspensive Wirkung der Beschwerde: § 183. S. oben § 24 Anm 29. 37 CPO § 320. 326. 330. 331. 38 Vgl. auch CPO § 258. 337 Abs 2. 340. 370. 441. Auch die Eidesleistung § 441 ist Beweisaufnahme. 35

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§ 2.

ere Organisation der Gerichte.

der stattgefundenen Beweisaufnahme 39. Diese selbst ist Prozessstoff und wird daher nicht erst zu solchem durch Kenntnissnahme der Mitglieder des Kollegiums. Die Zeugen und Sachverständigen stehen vor dem beauftragten Richter wie vor dem Prozessgericht, er übt dessen Zwangsgewalt40. Wohl verträglich mit dieser Repräsentantenstellung ist die Möglichkeit einer Korrektur gewisser Handlungen, Entscheidungen des Kommissars durch das Kollegium. So wenig die Anwaltsstellung dadurch begrifflich beeinträchtigt wird, dass der Vertretene die Erklärungen des Anwalts in der mündlichen Verhandlung sofort durch Widerspruch unwirksam machen kann 4 1 , und so wenig gemeinrechtlich mit der Delegation der Jurisdiktion das Rechtsmittel vom Delegatar an den Deleganten unvereinbar war 4 2 , so wenig widerstreitet es der Vertretung eines Kollegiums durch den beauftragten Richter, wenn CPO § 363 Abs 2 und § 367 ihm lediglich die vorläufige Entscheidung vorbehaltlich der Remedur des Gerichtes überweisen und CPO § 539 generell bestimmt, dass die Aenderung einer Entscheidung (welche inhaltlich mit Beschwerde anfechtbar ist) 4 3 des beauftragten Richters beim Prozessgericht nachzusuchen sei, ehe der Beschwerdeweg beschritten wird 4 4 . 89

Es greift die erörterte Frage von der Rechtsstellung des Richterkommissars tief ein in die Lehre von der Gestaltung der Urtheilsgrundlage im Prozess. Vorerst verweise ich über die an CPO § 258. 318. 488. 529 angeschlossene, das sog. Princip der Mündlichkeit innerlichst berührende Kontroverse auf m e i n e Vortr. S 6 if. 184 ff.; K o f f k a in Gruchot XXV 271 ff.; die treffliche Abh. von R o c h o l l , Ueber den Urtheilsthatbestand, zuerst erschienen in der Jurist. Wochenschrift 1883 Nr 196 und umgearbeitet in den Rechtsfällen aus der Praxis des Reichsgerichts, 3. Heft. Breslau 1883. S 497 ff; auch B ä h r , Urtheile des Reichsgerichts S 229; v. W i l m o w s k i - L e v y 2. Aufl. § 488 Anm 2 (diese Schriftsteller haben in diesem Punkte bis jetzt zweimal ihre Ansicht gewechselt; s. jetzt gegen mich ihre 3. Aufl. § 258 Anm 3) und dagegen die Kommentare; E r y t h r o p e l in Ζ f. CP I I I 136 ff; B ü n g e r das. IV 352 ff; V i e r h a u s das. V 99 ff; M o e l l e r das. S 291; ν. K r ä w e l in Gruchot X X V I 819; H e l l m a n n , Lehrb. S 201 lit. c. 40

CPO § 365. 367. Vgl. auch CPO § 330. 363 Abs 2. 370. — In wie weit der beauftragte Richter in die Lage kommen kann, in dem Beweisaufnahmeverfahren Streitigkeiten zu „entscheiden", welchen Inhalt also CPO § 331 Abs 1 hat, ist hier noch nicht zu untersuchen (vgl. E n d e m a n n I I 192 f.; G a u p p I I 236ff.; v. W i l m o w s k i - L e v y § 331 Anm 1; S t r u c k m a n n - K o c h § 331 Anm 1; H e l l m a n n a. 0. und S e u f f e r t § 331 Anm 1; Motive zu § 539). 41 42 CPO § 81. Vgl. K a e m p f e S 251. 252. 32. 203 ff. 43 Ueber diesen parenthetischen Satz ist Streit: vgl. P u c h e l t I I 388; Seuff e r t S 665 und dagegen G a u p p I I 600; P e t e r s e n S 776. 44 Vgl. auch CPO § 540 Abs 4. Die Motive zu § 539 sagen: „Der beauf-

333 § 27. Fortsetzung.

III. Die g e r i c h t l i c h e n Personen.

I. Der Staat bez. das ihn repräsentirende Gericht (die Behörde) wird als handelnd gedacht; thatsächlich handeln seine Organe. Das prozessuale Rechtsverhältniss, die in ihm eingeschlossenen Rechte und Pflichten entstehen zwischen dem Staat, bez. dem Gericht und den Parteien, nicht zwischen ihnen und dem Richter, Gerichtsschreiber, Gerichtsvollzieher. Aber indem der Staat die betreffenden Rechte und Pflichten in den Geschäftskreis dieser Personen, in ihr Amt aufnimmt, berechtigt und verpflichtet er sie selbst als seine bezw. des Gerichtes Organe. Daraus folgt, dass die Individualität derselben prozessualisch bedeutsam ist. Inwiefern sie es ist, wird im Folgenden erörtert. II. Der R i c h t e r . Er ist die mit dem Richteramt betraute Person. Die Voraussetzungen für den Erwerb des Amtes, dieser selbst (die Ernennung) und der Verlust des Amtes gehören der Gerichtsverfassungslehre bezw. dem Staatsrecht an und dürfen hier übergangen werden 1. Dagegen sind specifisch prozessrechtlich die individuellen Erfordernisse, welche für die Ausübung des Amtes mit Beziehung auf das konkrete prozessuale Verhältniss aufgestellt werden müssen. Sie sind eine Folgerang aus cler Eigenart der Richteraufgabe, des Berufs zur Rechtspflege im Sinne der Wahrung des objektiven Prozesszwecks. In ihm liegt das Postulat der Unparteilichkeit, m. a. W. die Forderung, dass der Richter nicht dem subjektiven Zwecke der einen oder anderen Partei diene. Damit es nicht geschehe, auch nicht unbewusst und instinktiv geschehe, werden persönliche Garantien gesucht. Die staatsrechtlichen Garantien des Richtereides, der Disciplin u. dergl. bleiben hier ausser Betracht. Es handelt sich um prozessuale Momente, welche die Person ausschliessen2, weil von ihr die erforderliche Unparteilichkeit nicht mit vollster Sicherheit zu erwarten steht. Mit Recht hat die Reichsjustizgesetzgebung die betreffenden Vorschriften, in Uebereinstimmung mit der bisherigen legislativen Behandlung des Gegenstandes3, in die CPO (§ 4 1 - 48), nicht in das GVG aufgenommen. tragte und ersuchte Richter hat nur übertragene Rechte des Gerichts auszuüben"... „diesem principiellen Gesichtspunkt entsprechend bestimmt der § 539" . . . 1 Es bleiben also ausserhalb der Darstellung die Grundsätze des GVG § 2—11. 111—117. 127 ff. — Ueber das gemeine Recht vgl. bes. W e t z e l l S 418 ff. 2 Nicht der Behörde. Diese ist als solche stets frei von allen subjektiven Eigenschaften, welche die Unparteilichkeit gefährden könnten. 3 Vgl. Code de proc. civ. Art. 44—47. 378—396; hannöv. CPO § 26—27;

334

§ 2.

ere Organisation der Gerichte.

1. Es ist zu unterscheiden der Ausschluss des R i c h t e r s 4 v o n der A u s ü b u n g des R i c h t e r a m t e s 5 k r a f t Gesetzes und k r a f t A b l e h n u n g (Rekusation). Der Gegensatz bezieht sich nicht auf die Form, in welcher der eine oder andere Ausschlussgrund geltend gemacht wird, nicht darauf, wer die Initiative ergreift, um den rechtlichen Ausschluss zu einem thatsächlichen zu machen. Denn Ausschluss kraft Gesetzes kann formell von Amts wegen oder durch Parteiablehnung verfolgt und der dem Partei willen anheim gestellte Ablehnungsgrund durch den Richter selbst zur Entscheidung gestellt werden (s. unten Nr 5). Der Gegensatz ist der, dessen verschiedene Seiten in den Antithesen: „ipso iure" und „ope exceptionis", „Nichtigkeit" und „Anfechtbarkeit" hervorgekehrt werden. Er liegt in der an und für sich kraft Gesetzes beachtlichen Wirksamkeit bezw. Unwirksamkeit des Thatbestandes einerseits und in der erst vermöge der Willensaktion einer Person (ihrer Aneignung der Rechtsfolge) beachtlichen Wirksamkeit bezw. Unwirksamkeit andererseits. Der Richterausschluss kraft Gesetzes bedeutet, dass das vorhandene Richteramt in dieser Sache schlechthin nicht ausgeübt werden darf; er ist die unbedingte Norm: Du Richter sollst nicht in dieser Sache Recht sprechen. Der Ausschluss kraft Ablehnung bedeutet, dass der Richter sich der Amtsausübung auf Grund des geäusserten Ablehnungswillens zu enthalten habe; er ist die bedingte Norm: Du hast nicht zu richten, wenn die Ablehnung erfolgt. braunschw. CPO § 4 6 - 5 6 ; oldenb. CPO Art. 3 3 - 4 3 ; badische CPO § 66—91; württemb. CPO Art. 6 7 - 7 8 ; bayer. CPO Art. 40—53; hess. Entw § 32—44; PE § 6 4 - 8 0 ; NE § 22-35. 4 D. h. j e d e s Richters, auch des beauftragten, ersuchten Richters, des Handelsrichters. Ueber die Ablehnbarkeit „jedes Richters" kann kein Zweifel sein und besteht meines Wissens kein Dissens. Vgl. auch CPO § 41 Nr 6. 6 Dieses selbst muss gegeben sein. Von „Ausschluss kraft Gesetzes oder Ablehnung" ist also nicht zu reden, wenn das Richteramt fehlt, der Richter nicht ernannt ist oder die Ernennung nichtig ist (absolute Inhabilitât) oder wenn das Gericht nicht in der vorschriftsmässigen Weise (Zahl, Vorsitz usw.) besetzt ist. Man streitet darüber, ob derartige Defekte in der Form des Ablehnungsverfahrens gerügt werden können, oder ob lediglich die formlose Rüge, bez. das Rechtsmittel (Berufung CPO § 501 ; Revision § 513 Nr 1) und die Nichtigkeitsklage (CPO § 542 Nr 1) offen stehen: vgl. S e u f f e r t 3. Aufl. S 48 f. für letzteres; S t r u c k m a n n K o c h S 38 „Vierter Titel" Anm 1, v. W i l m o w s k i - L e v y 4. Aufl. S 71 für ersteres. Die analoge Anwendung scheint mir unbedenklich und in Anbetracht des Bedürfnisses unerlässlich. Dieses ist offensichtlich ; wie soll die Partei im Laufe der Instanz zur Beseitigung des absolut inhabilen Richters gelangen? Freilich kann nur mit Beziehung auf ihn, nicht mit Beziehung auf die sonstige nicht vorschriftsmässige Besetzung an Ablehnung gedacht werden.

III. Die gerichtlichen Personen.

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Dabei ist ein zweifaches zu bemerken: einmal, dass selbstverständlich die Ablehnung nur wirkt, wenn der zu ihr berechtigende Thatbestand vorliegt, und sodann, dass, wie bereits bemerkt, der Richter zur Selbstablehnung berechtigt ist. Letztere ist logisch gerechtfertigt dadurch, dass die Amtsübung nicht nur Recht, sondern auch Pflicht ist, dass diese Pflicht als staatsrechtliche gegenüber dem Staat, als prozessrechtliche gegenüber den Parteien mit der Richterstellung gegeben ist, sich also die Selbstablehnung als die Geltendmachung einer Befreiung von der Richterpflicht, als eine Exkusation ähnlich der Exkusation gegenüber der Verpflichtung zur Uebernahme eines Munus publicum darstellt. Die Parteiablehnung richtet sich demnach gegen das Recht zu richten, die Selbstablehnung gegen die Pflicht zu richten. Die Parteiablehnung ist nicht an die Voraussetzung gebunden, dass das sie begründende Verhältniss zwischen dem Richter und Gegner, oder eine Parteilichkeit zu Gunsten des letzteren zu befürchten ist; jede Partei, auch die voraussichtlich begünstigte, darf ablehnen (CPO § 42 Abs 3) 6 . 2. Die r e c h t l i c h e E r h e b l i c h k e i t des unter Nr 1 besprochenen Gegensatzes äussert sich vor allem in Folgendem: Der kraft Gesetzes ausgeschlossene Richter (iudex inhabilis, unfähige Richter) handelt ungiltig 7 , der ablehnbare (iudex suspectus, 6

Ueber das Ablehnungsrecht des Nebenintervenienten s. die Interventionslehre. And. Mein. S t r u c k m a n n - K o c h § 41 Anm 1; v. W i l m o w s k i - L e v y Vierter Titel „zu 1"; G a u p p I I 133; P e t e r s e n S 70 Anm 3 u. A. m. Dagegen H e l l m a n n S 182. Jene Schriftsteller bringen in Gegensatz die „Ungiltigkeit", „Nichtigkeit des Verfahrens an sich" und die Anfechtung des „Urtheils" durch Rechtsmittel. Das ist unrichtig. — Wenn es überhaupt Ungiltigkeit von Prozesshandlungen giebt, so ist sie hier. Der Ausschluss des Richters ist ein Mangel des Verfahrens und zwar einer jeden richterlichen Handlung. Dieser Mangel ist nach CPO § 513 Nr 2. 3, 542 Nr 2. 3 stets wesentlich (vgl. auch § 501 und Motive dazu) und betrifft das Verfahren (§ 527 Abs 2) in seiner Totalität. — Man vgl. auch die hannöv. Prot S 625 f.; badische CPO § 81; württemb. CPO Art. 77; bayer. CPO Art. 41 Abs 3; PE § 78. 64 u. Mot dazu. Der HE hat die Nichtigkeitsbestimmung der ersten Lesung § 34 nicht aufgenommen; daher scheint's fehlt sie dem NE und der CPO. Dass sie im Gesetz, wenn auch nicht expressis verbis, enthalten ist, folgt aus § 501. 527 Abs 2 in Verbindung mit § 513 Nr 2. 3 u. 542 Nr 2. 3. Es kann denn auch nicht zweifelhaft sein, dass, wenn der gesetzliche Ausschliessungsgrund im Laufe der Instanz erkannt wird, nun nicht etwa die stattgefundene mündliche Verhandlung, die vorgenommene Beweisaufnahme Prozessbestandtheil ist und bleibt, und auf Grund derselben, wie bei einfachem Wechsel des Richterpersonals, weiter verhandelt werden darf, sondern 3 ff. V o l l s t r e c k u n g s a n s p r u c h , Begriff V e r w a l t u n g s w e g , - s a c h e 77ff.; 21. 322. s. Administrativsache, Rechtsweg. V o l l s t r e c k u n g s g e r i c h t 323.393f. V e r w a n d t s c h a f t , als Ausschluss- 350. grund für den Richter 337, für den GeV o l l s t r e c k u n g s g e w a l t , richterrichtsschreiber 346, für den Gerichts- liche 314. vollzieher 346. Vollstreckungsinstanz. Klagen V e r w e i s u n g , Antrag auf V. an die Dritter in der V., Gerichtsstand 491. Kammer für Handelssachen 366, an die Vollstreckungsklage aus dem Civilkammer 366f.; Präklusion der An- Schiedsspruch 75 f., auf Grund des träge 366 f. ; Befugniss der Kammer f. H. ausländischen Urtheils 223 ff. zur Verweisung v. Amtswegen 367, zeitV o l l s t r e c k u n g s k l a u s e l gegen den liche Schranke dieser Befugniss 367; Gesellschafter für das Urtheil gegen die der Verweisungs- Grund nicht Unzustän- Gesellschaft 529 f.

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register.

V o l l s t r e c k u n g s u r t h e i l , für den Der Streitwerth als Kompetenzkriterium. Schiedsspruch 75 f.; aus ausländischem Streitgegenstand ist Klaggegenstand im Urtheil 223 if., nicht aus Prozessver- Umfange des entscheidungsbedürftigen gleich, exekutorischer Urkunde des Aus- erhobenen Klagantrags 369 ff.; den W. lands 248, Ausnahmen durch die Landes- bestimmt nicht das Klagbegehren allein gesetzgebung? 248; für ein ausländi- 369 ff., nicht der Umfang der möglichen sches prozessuales Rechtsgeschäft, wel- richterlichen Kognition und Entscheidung chem materielle Rechtskraft zukommt und Rechtskraft 370 ff; der Streitgegen248. — V. (des § 868 der CPO) aus aus- stand ist nicht cler thatsächlich bestrittene Gegenstand 373 ; Vertheidigung oder Anländischem Schiedsspruch 248 ff. V o l l s t r e c k u n g v e r f a h r e n i. röm. erkennung, Dispositionsakte cler Partei R. 32 f., im germanischen und mittelalter- einflusslos 375; der Werth in seiner lich deutschen Ρ 33, im gemeinrecht- subjektiven wirtschaftlichen Bedeutung lichen Ρ 33, in der CPO 33 f. An- 375 ff. ; es entscheidet das Streitinteresse d. Klägers 376 f. ; im Zeitpunkt der Klagwaltszwang 612. V o r b e r e i t e n d e s V e r f a h r e n 46. erhebung 378 f. ; clie Klagenhäufung 379ff. ; der W. ist das unmittelbare Streitinter330. V o r e n t s c h e i d u n g , präjudizielle auf esse 381 f. — W. einer Klage auf Sachdem Verwaltungswege 113; über das leistung 382 f. Normen der CPO für die Werthschätzung 383 ff: Haupt- und Neamtliche Verschulden 113. V o r k a u f s r e c h t . Klage aus V., Ge- benförderung 383ff., Besitzinteresse 385 f., Sicherstellung einer Forderung, Pfandrichtsstand 439. 441; Streitwerth 390. V o r l ä u f i g e Z u l a s s u n g des Pro- recht 386 f., Grunddienstbarkeit 387, das nach Bestand oder Dauer streitige zessunfähigen zur Prozessführung 546. V o r m u n d . Gerichtsstand aus seiner Mieth- oder Pachtverhältniss 388, Recht Vermögensverwaltung 459. — Assistenz, auf wiederkehrende Nutzungen oder Nebenintervention des V. ausländischer Leistungen 389 f. — K a s u i s t i k : präparatorische Klagen 390, Klage auf Haprozessfähiger Person? 549 f. V o r m u n d s c h a f t 55; Prozessunfähig- ben und Behalten, auf Nutzung und Gekeit der Personen unter V. 534 f., ehe- brauch der Sache 390, Dienstmiethe u. männliche V. beschränkt nicht die Pro- Werkverdingung 391, Antrag auf Arrest oder einstweilige Verfügung 391. — Die zessfähigkeit der Ehefrau 551 ff. V o r s i t z e n d e r , seine Stellung und Schätzung, Verfahren 391. W i d e r r u f von Geständnissen und ErFunktionen 327 ff. V o r t r a g 606ff. Unfähigkeit zum V. klärungen des Anwalts durch die Partei 607, Untersagung des V. 607. V. Tauber, 609; der Vollmacht 574. W i d e r k l a g e . Angriffs-, Vertheidiin fremder Sprache 607. V o r v e r f a h r e n 26 ff; imröm.R.26 ff. gungsmittel 289 f. Gerichtsstand der W. im germanischen Prozess 27 f., im kano- 474 ff., der Kompetenzgrund ist die nischen und mittelalterlich italienischen Rechtshängigkeit der Vorklage 476 ff, Ρ 28 f., im gemeinen Prozess 29 f., in Umfang cles Gerichtsstandes 479 ; im Mahnverfahren, in Entmündigungssachen der CPO 30. 485, in Ehesachen 485; Voraussetzungen W a h l des Klägers unter mehreren zu- der W.: Sachzusammenhang 479 ff. 281, ständigen Gerichten 512 ; durch Klager- der Zusammenhang von Anspruch und hebung 512 ; perpetuatio iurisdictionis Gegenanspruch 481 f., von W. und Vertheidigungsmittel 482 f.; Gleichheit der 513. Prozessart der Vor- und W. 484 f.; W. W a h l k o n s u l n , Gerichtsstand 408. gegen W. 485 f., W. gegen die actio W a r t e g e l d , Rechtsweg 112. W e c h s e l k l age, Gerichtsstand 446. iudicati 485, gegen den Fiskus 567, vor 456 f.; Streitwerth, wenn mehrere Ver- dem Amtsgericht 510, vor der Kammer für Handelssachen 359; Berechnung des pflichtete verklagt sind 381. W e c h s e l p r o z e s s , die entsprechende Streitwerths 378. 380; Prozessfähigkeit Anwendung der Vorschriften des ordent- für sie 536 f.; Vollmacht 574. W i e d e r e i n s e t z u n g i n den v o r i g e n lichen Verfahrens 278. Stand. Keine W. aus dem Versehen W e g , öffentlicher. Rechtsweg 108. W e r k v e r d i n g u n g , Streitwerth 391. des Anwalts 565. W i e d e r k a u f s r e c h t . Klage aus W., W e r t h des S t r e i t g e g e n s t a n d e s , objektive Zuständigkeit der Amtsgerichte Streitwerth 390. W i e d e r k e h r e n d e Nutzungen, Leiohne Rücksicht auf ihn 352 ff, der Civilkammern cler Landgerichte 357 ff — stungen, Streitwerth 389.

register. Wildschaden. Klage wegen W., dinglicher Gerichtsstand 445; Zuständigkeit des Amtsgerichts 355. Wissenschaft des C i v i l p r o z e s s e s 169 ff., die italienische 170 ff., die ältere deutsche, die gemeinrechtliche 174 ff, zur CPO 177 ff. W o h n s i t z , Gerichtsstand des Wohnsitzes 399 ff; Begriff des W. 400 ff. W. wird begründet durch Wahl (domicilium voluntarium) 403 f., durch Gesetz (d. necessarium) 404 ff; fingirter W. 407; W. wird aufgehoben durch Abzug 410, durch Tod ib., durch Fortfall des Kompetenzgrundes für den nothwendigen Gerichtsstand 410. — Letzter W. 412; erwählter W. 203. 401. W o r t . Entziehung des Worts 607. W ü r t t e m b e r g i s c h e Prozessordnung v. J. 1868 143. Z a h l b a r a l l e r Orten 503. Zahlungsort. Gerichtsstand für Wechselklagen 456. Zahlungssperre zwecks Amortisation v. Inhaberpapieren 204. Zeugen, Gebührenordnung 158; die partikularrechtlichen Ausführungsgesetze dazu 162. Gesellschafter nicht Z. im Prozesse der offenen Handelsgesellschaft 530; Militärpersonen als Z. 517. Zeugenbeweis, Aufhebung landesrechtlicher Beschränkungen desselben 193 f. Zeugengebühren, publicistische Natur des Anspruchs 95 f. Zeugnissverweigerung wegen Verwandtschaft des Zeugen mit dem Nebenintervenienten 643. Z i n s e n s. Nebenforderung. Zollstreitigkeiten (Reichszoll), Rechtsweg 82. Z u g auf den G e w e r e n 655 ff. Z u l a s s u n g . Richterliche Z. des vollmachtlosen Stellvertreters zur Prozessführung 594 ff. ; s. Stellvertretung. Z u r ü c k b e h a l t u n g s r e c h t s. Miethe, Retentionsrecht. Z u s a m m e n h a n g 479 ff; s. Sachzusammenhang, Widerklage. Zustellungsbevollmächtigter

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573; Gerichtsstand für Klagen derselben wegen Gebühren usw. 490. Z u s t e l l u n g , Begriff 563. Z. im alten gemeinen R. 317; als Funktion des Gerichtsschreibers nach der CPO 321, des Gerichtsvollziehers 321. 328. 514. — durch Hilfsorgane (Post usw.) 319. Die Z. „in Person" 234; Militärpersonen, Rechtshilfe 517. 319. Anwaltszwang 612. 608. Partikulargesetze 164. Z u s t ä n d i g k e i t , Wesen 513 f. 506. Umfang 513 f.; s. Kompetenz. — Z. des ausländischen Gerichts, Voraussetzung der Klage auf Vollstreckungsurtheil 231 f. Z u z i e h u n g des Nebenintervenienten zum Verfahren 643; Folgen unterlassener Z. 643 f. Zwangsbereitschaft. Gerichtsstand der Z. für das Arrestgesuch 491, für die einstweiligen Verfügungen ib., für Klagen Dritter in der Vollstreckungsinstanz ib. — Der Gerichtsstand des Vermögens ist kein Gerichtsstand der Z. 419. Z w a n g s e n t e i g n u n g s. Enteignung. Z w a n g s g e w a l t , prozessuale des Gerichts 314. Z w a n g s v e r g l e i c h , Wesen 51. 61. Zwangsvollstreckung. Voraussetzungen, Form, Mittel und Wirkung bestimmt das Prozessgesetz 129 ; ihre Unterordnung unter die allgemeinen Bestimmungen der CPO und die Grundsätze des ordentlichen Verfahrens 279; Uebergangsbestimmung der CPO 218; Z. in Immobilien landesgesetzlicher Regelung überlassen 200; Partikulargesetze 164 f. — Gerichtsvollzieher, Gerichtsschreiber 320. 321; Anwaltszwang 612 ; gegen Personen des Soldatenstandes 517 ; aus dem Schiedsspruch 75; gegen den Fiskus, Gemeinden, Kommunalverbände usw. 203 ; gegen den Gesellschafter aus dem Urtheil gegen die Gesellschaft 529 f. ; aus dem ausländischen Urtheil 224; aus ausländischen exekutorischen Urkunden 248. Z w i s c h e n a p p e l l a t i o n , im kanon., italien, u. gemeinrechtl. Ρ 32. 42. Z w i s c h e n s t r e i t , Nebenintervention 636. 659. Z w i s c h e n u r t h e i l , im kanonischen u. mittelalterl. italien. Ρ 31; Erlass bei vollmachtloser Vertretung 597; im Nebeninterventionsverfahren 636.

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Quellenregister \ a. § § à § § § § § § § § § § §

E i n f ü h r u n g s g e s e t z zum Gerichtsverfassungsgesetz. 1: S 311. 2: S 53. 54. 79. 101. 310. 313. 3: S 352. 4: S 310. 311. 5: S 196. 351. 412. 6: S 202. 7: S 352. 8: S 310. 350. 10: S 350 f. 11 Abs 1: S 107. Abs 2: S 113. 202. 13: S 112. 216 if. 14: 8 217. 15: S 217. 16: S 217.

b.

Gerichtsverfassungsgesetz.

1: S 311. 313. 6: 8 312. 7: S 312. 8: S 112. 312. 9: S 82. 312. 12: S 79 f. 313. 13: S 45. 79 f. 82. 313. 14: S 45. 193. 217. 351. 361. 15: S 313. 16: S 311. 313. 17: S 100. 104. 197. Abs 1 : S 100 if. Abs 2: S 101. 103 if. 196. Nr 4: S 100 if. 23: S 352 if. Nr 2: S 352 if. 362 f. 61: S 312. 63: S 312. 70: S 82. 112. 357 f. 362. 365. 100: S 350. 358 if. 101 : S 358 if. 365. 102: S 365. 103: S 358 if. 365 if. 104: S 358 ff. 365 if. 105: S 358 ff. 365 ff. 106: S 365 ff. 107: S 368. 109 Abs 3: S 324. 121: S 312.

§ § § § § § § § § § § § § § § § I § § § § § § § § § § § § § §

128: S 112. 129: S 112. 133: S 312. 137: S 351. 154: S 328. 345. 155: S 328. 156: S 346. 157 : S 514 ff. 158: S 514 ff. 159: S 514 ff. 160: S 514 ff. 161: S 514. 162: S 514. 163: S 514. 164: S 514 ff. 165: S 514 ff. 166: S 514 ff. 167: S 514 f. 170: S 343. 173: S 343. 177: S 315 f. 517 f. 178: S 315 f. 517 f. 179: S 315 f. 180: S 315 f. 181: S 316. 182: S 316. 331. 183: S 316. 331. 184: S 312. 316. 188: S 343. 607. 189: S 607. 202: S 328.

c. E i n f ü h r u n g s g e s e t z z u r prozessordnung.

Civil-

§ 3: S 11. 53. 60. 79. 193. 352. Abs 1: S 313. § 4 : S 92. 112. 294. § 5: S 92. 112. 196. 412. 561. 591. § 9: S 497. § 10: S 59. § 11: S 59. 00. 196. § 13 Abs 1: S 159. 461. 579. Abs 4: S 62. § 14: S 11. 67. 191 ff. 196. 200. 276. Nr 1 : S 193. Nr 2: S 128. 193. 194. Nr 3: S 128. 194. Nr 4: S 195. Nr 5: S 195.

1 Das Quellenregister beschränkt sich auf die Anführung derjenigen Paragraphen des EGVG, GVG, ECPO imd der CPO, welche in irgend einer Beziehung an den citirten Stellen des Buchs besprochen oder gedeutet werden.

Quellenregister. § 15: S 201 ff. Nr 1: S 101. Nr 2: S 203 f. Nr 3: S 204. Nr 4: S 203 f. Nr 5: S 203. 401. § 16: S 201 ff. 205. Nr 1: S 127. § 17: S 128. 193. 195. Abs 1: S 104. 18: S 211. 213. 216 ff. 218. 19: S 216. 20: S 218. 21: S 218. 22: S 212. 23: S 208. Abs 2: S 61. cl.

Civilprozessordnung.

2—9: S 368 ff. 2: S 294. 296. 3: S 296. 391. 5: S 296. 370 ff. 379. 383. 6: S 370 ff. 385 ff. 391. 7 : S 370 ff. 387. 8: S 370 ff. 374. 388. 391. 9: 8 370 ff. 389. 10: 8 362 ff. 497. 11: S 391. 497. 349. 12: 398 ff. 405. 13: 406. 14: 408. 15: 16: S 408 ff. 17: S 407 ff. 18: S 411 f. 19 : S 404 ff. 462. 520. 20: S 406. 567. 21: S 415 ff. 22: S 424 ff. 23: S 461 f. 24: S 369. 418 ff. 25: S 364. 434 ff. 438 ff. 511. 26: S 434 ff. 445. 490. 27: 8 434 ff. 444 f. 28: S 429 ff. 29: S 446 ff. 30: S 457 f. 31 : S 458 ff. 32: S 462 ff. 33: S 281. 289. 475 ff. 34: S 490. 35: S 512. 36: S 492 ff. Abs 1 : S 497. Nr 1 : S 492. Nr 2: S 492 ff. Nr 3: S 495. Nr 4: S 495 ff. Nr 5: S 496 f. 513. Nr 6: S 496.

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37: S 498. 38: S 368. 499 ff. 512. 39: S 268. 303 f. 499 ff. 512. 40: S 368. 499 ff. Abs 2: S 362. 512. 41: S 334 ff. Nr 5: S 346. Nr 6: S 346. 42: S 335 ff. 43: S 341 ff. 346. 44: S 340 ff. 45 : S 340 ff. 347. 46: S 344. 47 : S 345. 48: S 339. 345. 49: S 346. 347. 50: S 591. 51 Abs 1: S 533 ff. 551 ff. Abs 2: S 551 ff. 52: S 334 ff. 592. 53: S 122. 547 ff. 54: S 546. 587. 593. 574. 594. 55: 8 49. 588. 58: S 648 ff. 59: S 528. 648 ff. 61: S 490. 512. 63: S . 615 ff. 631 ff. 64: S 276. 289. 290. 577. 639 ff. 65: 8 2: