Handbuch der Krankenhausseelsorge [5 ed.]
 9783666616266, 9783525616260

Citation preview

Traugott Roser (Hg.)

Handbuch der Krankenhausseelsorge

Traugott Roser (Hg.)

Handbuch der Krankenhausseelsorge Mit 8 Abbildungen und 5 Tabellen

5., überarbeitete und erweiterte Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage © 2019, 2013, 1996 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © hxdbzxy – Shutterstock Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-61626-6

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Teil I

  Einführung

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Traugott Roser Von der Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge – historische Streiflichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Michael Klessmann Anfangendürfen – Seelsorge und Pastoraltheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Hadwig Ana Maria Müller Gesundheit und Heilung – anthropologische Leitkonzepte und der christliche Heilungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Simon Peng-Keller »Wo ist nun dein Gott?« Krankenhausseelsorge als Ort religiöser Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Michael Brems Mit Sterbenden sprechen – die Rolle des Seelsorgers und die Potenz religiöser Rede auf der multidisziplinären Palliativstation . . . . . . . . . . . . . 78 Armin Nassehi, Irmhild Saake und Katharina Mayr Die Rolle der Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus . . . . . 92 Dorothee Haart Seelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus – das Ganze ins Spiel bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Michael Fischer Seelsorge im Krankenhaus – ein Statement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Francesco De Meo

6

Teil II

Inhalt

  Exemplarische Arbeitsfelder der Seelsorge im Krankenhaus – Stationen und medizinische Kontexte

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Claudia Zierer Seelsorge auf der Intensivstation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Thomas Kammerer Seelsorge in der Kardiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Angela Rinn Seelsorge in der Frauenklinik – körper- und ressourcenorientierte Seelsorge im System Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Gundula Goldbach Seelsorge in der Onkologie – das Leben neu sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Corinna Schmohl Seelsorge in der Geriatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Johannes Albrecht Seelsorge auf der Palliativstation – Grenzen erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Karoline Labitzke Indikationen-Set für Gesundheitsberufe zum Beizug von Seelsorge . . . . 216 Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Mösli

Teil III

  Exemplarische Arbeitsfelder der Seelsorge im Krankenhaus – Situationen und Gegenüber

Seelsorge mit suizidalen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Christian Braune Seelsorge mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien . . . . . . . . . . . . . 244 Heike Kassebaum und Christa Schindler Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation . . . . 256 Nicole Frommann Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Norbert Kuhn-Flammensfeld

7

Inhalt

Die Seelsorge mit An- und Zugehörigen – von der katalytischen Kraft der Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Volkmar Schmuck Spirituelle Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Eckhard Frick SJ Seelsorge mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Astrid Giebel Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Margit Gratz und Joachim Reber Seelsorge und Klinische Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Thorsten Moos Seelsorge und Gottesdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Heidi Kääb

Teil IV

  Seelsorge im Krankenhaus als kirchliches Handeln

Seelsorge in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen . . . . . 357 Friederike Rüter Seelsorge im religionspluralen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Andreas Stähli Rituale in der Krankenhausseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Andrea Bieler Die Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus . . . 391 Michael Klessmann Ökumenische Zusammenarbeit im Spital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Karin Kaspers-Elekes und Lisa Palm Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Abdullah Takim

8

Inhalt

Ehrenamtliche Krankenhausseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 Harald Richter Supervision im Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 Kerstin Lammer Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Annedore Methfessel

Trostspuren – Dokumentation und Verschwiegenheit in der professionellen Seelsorge im Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Thomas Beelitz Netzwerkarbeit – Seelsorge zwischen Krankenhaus und Gemeinde . . . . . 499 Martina Schlüter Krankenhausseelsorge als Aufgabe der Kirchenleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 512 Thomas Hagen Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort – systemische und ekklesiologische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 Sebastian Borck Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft 540 Ralph Kunz

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

553 560 565 598

Vorwort

Seit 1996 gibt es das Handbuch der Krankenhausseelsorge, herausgegeben von Michael Klessmann bei Vandenhoeck & Ruprecht. Bis zur vierten Auflage (2013) zählten die Beiträge für viele Seelsorgerinnen und Seelsorger zur unverzichtbaren Lektüre für die eigene Praxis. Dank der grundlegenden theoretischen Überlegungen zu Seelsorge in der Institution Krankenhaus, der exemplarischen Darstellungen aus konkreten Arbeitsfeldern und der Reflexion von Krankenhausseelsorge als kirchlichem Handeln hat sich das Handbuch in Zeiten rasanten Wandels des Gesundheitswesens und der kirchlichen Bedingungen bewährt. Michael Klessmanns Leitbild der Krankenhausseelsorge im »Zwischen«-Raum wirkte sowohl für diejenigen, die sich erstmals mit seelsorglicher Praxis in klinischen Einrichtungen befassten, als auch für die Seelsorgeerfahrenen klärend und orientierend. Im poimenischen Diskurs in Ausbildung und Forschung war das Handbuch unverzichtbare Bezugsgröße. Nun ist erfreulicherweise eine fünfte Auflage notwendig geworden. Nach über 20 Jahren war es an der Zeit für eine grundlegende Neubearbeitung, die an das ursprüngliche Konzept anschließt und zugleich auf die Veränderungen in Kirche und Gesellschaft, Gesundheitswesen und Gesundheitswissenschaften, Praktischer Theologie und Seelsorgetheorie eingeht. Wie bisher geht es um eine Standortbestimmung: Zielsetzungen, Konzepte und Arbeitsweisen der Seelsorge in der medizinisch-ökonomisch geprägten Institution, die – in einer immer wieder neu zu klärenden Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und über Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg – letztlich den Patientinnen und Patienten, den An- und Zugehörigen und den einzelnen Mitarbeitenden dienen. Beibehalten ist auch der Ansatz, erfahrene Seelsorgerinnen und Seelsorger, Supervisorinnen und Supervisoren, in Aus-, Fort- und Weiterbildung Tätige ebenso um Beiträge zu bitten wie Forschende und Lehrende aus den theologischen Fächern und Bezugswissenschaften. Stärker als bisher wurde die Leitungs- und Trägerperspektive miteinbezogen und wurden Autorinnen und Autoren aus dem gesamten deutschen Sprachraum für die Mitarbeit gewonnen.

10

Vorwort

Vertreten sind Seelsorgende römisch-katholischer, evangelisch-landeskirchlicher und freikirchlicher Zugehörigkeit sowie ein muslimischer Seelsorgetheoretiker. Allen Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle herzlich gedankt für ihre Expertise und ihre Bereitschaft, ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihre Haltung dem Kreis der Leserinnen und Leser zur Verfügung zu stellen. Ein ganz besonderer Dank gilt Michael Klessmann, der mir nicht nur als Autor, sondern im gesamten Entstehungsprozess mit Rat und Tat zur Verfügung stand. Dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, insbesondere Jana Harle und Ulrike Gießmann-Bindewald, sei herzlich gedankt für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der zurückliegenden zweieinhalb Jahre, die großzügige Anfertigung der Register und vor allem die Initiative zu einer Neuauflage des Handbuchs. Meinen Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Praktische Theologie der WWU Münster, Claudia Rüdiger, Katrin Burja, Friederike Melloh und Lynn Schroeter, danke ich nicht nur für die sorgfältigen Korrekturarbeiten, sondern auch für die Gestaltung von Strukturen und einer kollegialen Atmosphäre, ohne die ein solches Unterfangen nicht denkbar wäre. Zuletzt und zugleich allen voran sei denen gedankt, die sich mit Herz und Seele, Geist und voller Kraft in der und für die Seelsorge bei kranken Menschen einsetzen, egal ob unmittelbar am Krankenbett oder mittelbar in Bildungsarbeit, Forschung und Leitungsverantwortung. Sie sorgen dafür, dass die Krankenhausseelsorge Zukunft hat. Ihnen sei dieses Buch in die Hände gelegt. Münster, im Mai 2019

Traugott Roser

Teil I

Einführung

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

Traugott Roser

»Die Zuwendung zu Menschen im Krankenhaus in Form der Krankenhausseelsorge ist eine spezifische Gestalt der Wahrnehmung des Auftrags der Kirche, das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat zu bezeugen. Dem Recht des Einzelnen auf Religion folgend geht es um kirchliche Präsenz am andern Ort, in einer für das Leben der Bürgerinnen und Bürger wichtigen Institution mit eigener Struktur.«1 »Neben der allgemeinen Krankenpastoral ist die Krankenhausseelsorge ein spezialisierter kirchlicher Dienst mit bischöflichem Haupt- oder Teilauftrag, der seinen Wirkungsort in den Kliniken hat.«2 »Seelsorge im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen richtet sich an Menschen, die wegen der Schwere ihrer Krankheit oder ihrer Pflegebedürftigkeit in einer öffentlichen Institution betreut werden müssen. Herausgerissen aus ihren gewohnten Lebenssituationen werden bisherige Lebensgrundlagen und Lebensinhalte in Frage gestellt. Seelsorge richtet sich auch an die Mitbetroffenen, an jene, die in der Einrichtung arbeiten sowie an die Institution und ihre innere Struktur.«3 »Seelsorge ist ein qualifiziertes, vorurteilsfreies, achtsames Begegnungsangebot. Unabhängig von der Religionszugehörigkeit oder Glaubensauffassung begegnen Seelsorgende in ihrer Arbeit allen Menschen mit Sorgfalt und Respekt. Ihr Anliegen ist es, Patientinnen und Patienten, Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer persönlichen Geschichte zu verstehen, für ihre Anliegen offen zu sein, sie partnerschaftlich zu begleiten und ihnen menschliche 1 Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD, 2004, S. 20. 2 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2018, S. 28. 3 Evangelische Kirche A. und H.B. in Österreich, 2010, S. 2.

I

14

Traugott Roser

Zuwendung und Nähe zu vermitteln. Sie nehmen dabei auch die religiösen Wünsche von Gläubigen anderer Religionen ernst und bemühen sich auf Wunsch um den Beizug ihrer religiösen Bezugspersonen.«4

I

»Die Seelsorge teilt mit allen Berufs- und Fachgruppen im Gesundheits­wesen die gemeinsame Verantwortung für kranke, schwerkranke, pflege­bedürftige und sterbende Menschen. Sie konzentriert sich wesentlich auf die psycho­ soziale und religiös spirituelle Begleitung der Patientinnen/Patienten sowie auf die Unterstützung der Ärzteschaft und der Pflegenden bei ethischen Konfliktsituationen. Zudem ist die Seelsorge an den Angehörigen und wichtigen Bezugspersonen zu beachten. Sie leistet dadurch einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung im Gesundheitswesen des Kantons Zürich.«5

1  Profilierte Krankenhausseelsorge in Theorie und Praxis Leitlinien und Impulspapiere zur Krankenhaus- oder Spitalseelsorge der christlichen Kirchen im deutschen Sprachraum der letzten Jahre lassen das Bedürfnis erkennen das eigene Selbstverständnis, die Angebotsvielfalt und Handlungsformen sowie die unterschiedlichen Adressaten und Zielgruppen profiliert darzustellen. Differenzierte Beschreibungen der Anforderungen an die Qualifikation von Seelsorgerinnen und Seelsorgern belegen deren Kompetenz und einen zunehmenden Grad an Spezialisierung. Man kann dieses Bemühen um Profilierung als Ausdruck gestiegener Anfragen an die mittlerweile hochspezialisierte Seelsorge in Einrichtungen des Gesundheitswesens deuten, vielleicht sogar als eine wachsende und grundsätzliche Infragestellung. In kirchlichen Diskursen wird dieser Eindruck verstärkt durch die vielerorts beobachtbare Priorisierung von Territorial- oder Parochialseelsorge gegenüber der Krankenhausseelsorge. In Krankenhäusern wird dieser Eindruck verstärkt durch die Diskussion, seelsorgliche Aufgaben durch andere und nicht-theologisch qualifizierte Berufsgruppen übernehmen zu lassen. Gesamtgesellschaftlich und durch Entwicklungen in den Beneluxstaaten oder Großbritannien vorbereitet lässt sich die 4 Interkonfessionelle Konferenz, 2011, S. 6. Zur Interkonfessionellen Konferenz zählen die Römisch-katholische Landeskirche des Kantons Bern, die Reformierten Kirchen Bern-Jura-­ Solothurn, die Christkatholische Landeskirche des Kantons Bern und die Interessengemeinschaft Jüdischer Gemeinden. 5 Konzept für die Katholische Seelsorge in Spitälern, Kliniken und Pflegezentren im Kanton Zürich, 2005, S. 9.

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

15

Entwicklung neuer Seelsorgeangebote durch andere Religionsgemeinschaften oder durch Akteure ohne jegliche religiöse Bindung als Infragestellung des gewohnten Status quo beschreiben. Man kann in dem Bemühen um Profilierung aber auch eine zeitgemäße, selbstbewusste Verständigung über den nicht zu ersetzenden Beitrag von Seelsorger*innen im Gesundheitswesen sehen. In seinem Fazit am Ende des ersten ökumenischen Kongresses der Krankenhausseelsorgenden in Deutschland spricht Peter Neher, selbst ehemaliger Krankenhausseelsorger, von der Notwendigkeit, »über die Attraktivität des Berufsfelds ›Seelsorge im Krankenhaus‹ zu sprechen«6, um allen Einsparungen und aller Konkurrenz zum Trotz auch künftig Frauen und Männer dafür zu gewinnen, sich für seelsorgliche Aufgaben ausbilden zu lassen. Dies entspricht der Intention des vorliegenden Handbuchs der Krankenhausseelsorge. Die mittlerweile fünfte Auflage ist für Leserinnen und Leser verfasst, die sich in ihrem beruflichen Alltag motiviert, engagiert und informiert den Herausforderungen von Krankenhausseelsorge stellen, sich auf einen solchen Beruf vorbereiten oder sich aus Interesse über Praxis und Theorie heutiger Krankenhausseelsorge im deutschen Sprachraum informieren möchten. Dazu bedarf es einiger grundlegender Überlegungen zu Geschichte und Theologie, Konzept und Profil von Seelsorge im Gesundheitswesen unter den Bedingungen einer modernen, in vielen Bereichen ökonomisierten Gesellschaft. Die Beiträge im ersten Teil des Handbuchs stammen deshalb von Expert*innen7, die Ergebnisse ihrer Forschung und Lehre oder einer langjährigen Praxis zur Verfügung gestellt haben. Als Handbuch für Praktikerinnen und Praktiker an einem hochkomplexen Praxisort sind die Beiträge vor allem ab dem zweiten Teil von aktuell tätigen Seelsorgerinnen und Seelsorgern verfasst, die ihre Erfahrungen aus dem Besuchsalltag auf Station beschreiben oder ihre Praxiserfahrung in konkreten Situationen schildern. Fast alle haben durch Publikationen ihr Expertenwissen bereits in den Fachdiskurs eingebracht. Theoretiker*innen aus der Praktischen Theologie und ihren Nachbardisziplinen, aber auch aus nichttheologischen Wissenschaftsdisziplinen haben sich zudem darauf eingelassen, aktuelle Entwicklungen der Krankenhausseelsorge in ihrem Bezug zum Kontext Gesundheits­ wesen einzuordnen, denn die Praxis der einen Berufsgruppe berührt sich mit der Praxis anderer Berufsgruppen, vor allem aber mit der Lebenspraxis und Erfah-

6 Neher, 2018, S. 290. 7 Die Autorinnen und Autoren des Handbuchs haben sich um gendersensible Sprache bemüht. Um den individuellen Sprachstil zu wahren, sind Varianten vorhanden.

I

16

I

Traugott Roser

rungswelt der Patient*innen und ihrer Zugehörigen8. Dieser Teil stellt zunächst konkrete Arbeitsfelder vor, die exemplarisch für die vielen unterschiedlichen Stationen, Kliniken und Spezialkliniken stehen, in denen Seelsorgerinnen und Seelsorger Dienst tun. Seelsorgende haben es in diesen Einrichtungen quer zu medizinischen Fachbereichen mit unterschiedlichen Situationen, Aufgaben und Gesprächspartnern zu tun, die anschließend vorgestellt werden, auch hier von erfahrenen Praktikerinnen und Praktikern. Schließlich ist die Praxis der Krankenhausseelsorge kirchlich verantwortete Praxis oder Praxis einer Religionsgemeinschaft, auch und gerade indem sie an einem anderen als kirchlichen Ort erfolgt. Den damit verbundenen Fragen nach Leitung, ökumenischer und interreligiöser Kooperation, kirchlicher und gesellschaftlicher Vernetzung gehen die Beiträge im vierten Teil nach. Hier sind es vor allem Verantwortliche für Seelsorge vor Ort, in Kirchenleitungen, Aus- und Fortbildungseinrichtungen und im Gesundheitswesen, die Herausforderungen schildern und Arbeitskonzepte zur Diskussion stellen. Zur Praxis der Krankenhausseelsorge, die im Kern in der aus dem Glauben motivierten Zuwendung zum »einzelnen Menschen, der Rat, Beistand und Trost in Lebens- und Glaubensfragen in Anspruch nimmt«9, besteht, gehören – mehr oder weniger sichtbar – ganz unterschiedliche Praxisbereiche und Praktiken. Sie ermöglichen verlässliche Rahmenbedingungen und Regelungen, die in der unmittelbaren Beziehung mit einem kranken Menschen Vertrauen und Schutz ermöglichen, Qualität und ethisches Verhalten gewährleisten.

2 Krankenhausseelsorge im Zwischen-Raum, als Vierte Säule oder als Hybrid Michael Klessmann entwarf in den vorherigen Auflagen des Handbuchs ein Leitbild, das für das Verständnis und die Steuerung von Seelsorge in der Institution des Krankenhauses prägend war. »Seelsorge ist prinzipiell in einem ›Zwischen‹-Raum angesiedelt«10, formulierte Klessmann und traf damit nicht nur das Empfinden der Kolleginnen und Kollegen, sondern stellte ein Deutungsmuster zur Verfügung, um Spannungen und Ambiguitäten verstehend zu beschreiben.      8 Als Zugehörige werden Familienangehörige von Patient*innen ebenso bezeichnet wie Menschen, die aus der subjektiven Einschätzung der Patient*innen zu ihrem nächsten Umfeld gehören.      9 § 2 Abs. 1 Seelsorgegeheimnisgesetz (SeelGG) der EKD (2009). 10 Klessmann, 2013a, S. 16. Unter dem Begriff »Leitbild« versteht Klessmann mit Bezug auf Herbert Lindner »steuernde Bilder eines Systems« (S. 17, Fn. 14).

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

17

Das Leitbild war in der Lage, Seelsorge in verschiedenen Feldern zu verorten, zwischen Kirche und Krankenhaus, zwischen gesicherter Rechtsstellung und struktureller Bedeutungslosigkeit, zwischen Patient*innen und Mitarbeiterschaft, Verkündigung und Beziehung, Alltagsgespräch und Psychotherapie, Professionalität und Betroffenheit, Macht und Ohnmacht, Krankheit und Gesundheit und letztlich zwischen Leben und Tod. Mit jeder Polarität waren unterschiedliche Aspekte von Praxiserfahrung und Theoriediskursen verbunden, die auf die Notwendigkeit von Konzeptentwicklung und Ausbildung spezifischer Kompetenzen hinwiesen. Die Raum-Metapher des dazwischen erwies sich als tragfähig, um die Besonderheiten kirchlicher Seelsorge sowohl in und gegenüber dem Krankenhaus als auch in und gegenüber der Kirche herauszustellen und damit Krankenhausseelsorge in ihrer grenzgängerischen Funktion zur Geltung zu bringen. Viele Beiträge der fünften Auflage des Handbuchs der Krankenhausseelsorge, insbesondere aus der Praxis in konkreten medizinischen Kontexten, zeigen, dass dieses Leitbild noch immer als hilfreich verstanden wird, weil es die »Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus«11 zum Ausdruck bringt. Das Leitbild vom Zwischen-Raum blieb jedoch nicht unangefochten; mittlerweile haben sich weitere Konzepte etabliert, die teils anschließen, teils deutlich andere Akzente setzen. 2005 hat Christoph Schneider-Harpprecht in kritischer Auseinandersetzung mit Klessmanns Leitbild vorgeschlagen, Seelsorge und Psychosoziale Dienste gemeinsam als »vierte Säule im Krankenhaus«12 zu verstehen und durch bessere Integration eine ganzheitliche, patientenorientierte Versorgung sowie den psychosozialen und seelsorgerlichen Diensten höheren Einfluss zu ermöglichen. Schneider-Harpprecht fürchtet, dass das Leitbild Zwischen-Raum die strukturelle Marginalität der Seelsorge festschreibe; demgegenüber könne ein Zusammenschluss der drei Professionen aus Seelsorge, Sozialarbeit und Psychologie als eine eigene Größe neben medizinischer Versorgung, Pflege und Verwaltung eine »alltagsbezogene, lebensweltorientierte, bedarfsnahe psychosoziale und seelsorgerliche Betreuung der Patienten/Patientinnen und ihrer Angehörigen, das Bewältigungscoaching des Krankenhauspersonals, die Pflege einer empa­ thieförderlichen Alltagskultur, die Vernetzung mit Alltagsinstanzen außerhalb der Klinik in Fragen der patientenbezogenen Koordination«13

11 So der Titel eines Beitrags von Michael Klessmann im vorliegenden Handbuch. 12 Schneider-Harpprecht/Allwinn, 2005, S. 223. 13 Schneider-Harpprecht/Allwinn, 2005, S. 227.

I

18

I

Traugott Roser

fördern. An diesem Leitbild wurde vielfach Kritik geübt, da es die Krankenhausseelsorge innerhalb der Klinik zwar aufzuwerten, gleichzeitig aber das Fremde und Widerständige zugunsten einer vollen Integration aufzugeben scheint. Doris Nauer etwa deutet das Modell einer vierten Säule als »­Voll-Inte­gration«14, demgegenüber die »systemische Distanz im kirchlichen Schutzraum« bewahrt werden müsse, »um den für Seelsorge unabdingbaren prophetisch-­kritischen Aufgabenteil bewältigen zu können«15. Nauer verabschiedet sich von einem allgemein gültigen Leitbild und empfiehlt die »zunächst rein formale […] Bezeichnung Multidimensionale Seelsorge«16, die eine spirituell-mystagogische Dimension ebenso umfasse wie eine pastoralpsychologisch-heilsame und eine diakonisch-prophetisch-kritische Dimension. M.a.W. reichen eher statische Beschreibungen von Seelsorge, die zwar Verortungen benennen und Geltungsansprüche thematisieren, nicht aus, um das zu beschreiben, was Seelsorgerinnen und Seelsorger tun, wie sie sich verhalten, wo, wer und wie sie sind in Einrichtungen des Gesundheitswesens, wie etwas und was geschieht, wenn Seelsorge geschieht. Denn die Leitbilder lassen nicht von sich aus auf das Wesentliche von Seelsorge schließen, dass Seelsorge (religiöse) Kommunikation, christliche Seelsorge Kommunikation des Evangeliums ist. Während dies im Blick auf die unmittelbare Situation eines Seelsorgegesprächs zwar intuitiv einleuchten mag, aber theoretisch nicht wirklich erhellend ist, verweist der Kommunikationsbegriff in theoretischer Hinsicht maßgeblich auf die Systemtheorie im Gefolge Niklas Luhmanns, die von zahlreichen Seelsorgetheorien rezipiert wurde, jüngst vor allem durch Günther Emlein. Auf Emleins Untersuchung soll in dieser Einleitung etwas ausführlicher eingegangen werden, um sie anschließend in Bezug zu den Beiträgen der Praktikerinnen und Praktiker in diesem Handbuch zu setzen. Emleins Studie befasst sich in einem in hohem Maße theoretischen Design gerade mit den Prozessen, Interaktionen und der Kommunikation von Seelsorge, ohne die offene Frage nach Integration und Fremdheit zu vernachlässigen. Sie soll im Folgenden verbunden werden mit der Beschreibung seelsorglichen Handelns und Verhaltens als Transformation von Orten in Räume. Emleins 2015 von der Universität Paderborn angenommene Dissertationsschrift »Das Sinnsystem Seelsorge« trägt den Untertitel »Eine Studie zur Frage: Wer tut was, wenn man sagt, dass man sich um die Seele sorgt«17 und folgt der 14 15 16 17

Nauer, 2015, S. 157. Nauer, 2015, S. 159. Nauer, 2015, S. 175. Hervorhebung im Original. Emlein, 2017. Vgl. dazu ausführlich Hauschildt, 2017a, S. 152–172.

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

19

Leitfrage »Zu welchem Problem der Gesellschaft kann man Seelsorge als Lösung beobachten?«18 Die seelsorgespezifische Kommunikation ist »systemische […] Sinnkommunikation«19, wobei Emlein Sinn systemisch interpretiert: »Interpretiert man Sinn als Differenz zwischen Aktualität und Potenzialität, so residiert er nicht auf einer der beiden Seiten. Er residiert als Differenz«20. Um die Differenz geht es: »Stellt ein System Sinn her und keine Materialität und Sinn als Differenz zum Horizont anderer Möglichkeiten, so bedarf es einer besonderen auf Differenz ausgerichteten und Differenzen herstellenden Operation. Dies ist die Operation der Beobachtung. Sinnsysteme sind beobachtende Systeme.«21 Emlein setzt sich intensiv mit Seele aus systemtheoretischer Perspektive auseinander: »Seele ist die ›religiöse Person‹ […] Seele ist Person, noch einmal anders gesehen.«22 Doch Seele entzieht sich der Differenz, ist nicht verstehbar, formlos und zeitlos. »Letzten Endes kann Seelsorge nur durch Gott selbst geschehen.«23 Da Seele existenziell als Lebendigkeit bedroht werden kann, zeigt sie sich als Psyche, Bewusstsein und Leben als vergänglich, als Zeitlosigkeit und Identität zeigt sie sich als ewig. Seelsorge ist damit sowohl religiöse als auch therapeutische Kommunikation und arbeitet, wenn sie Seele mit Bewusstsein und mit Existentialität verwechselt, psychotherapie- und beratungsähnlich oder sozialarbeitsaffin. Deshalb hat Schneider-Harpprechts Konzept der Vierten Säule sein Recht. Aber Seelsorge ist, so Emlein unter Verweis auf den Luhmannschüler Peter Fuchs, vor allem »eine hybride Praxis […], in der sich Psychotherapie, Sozialarbeit, Beratung und genuine Seelsorge schon lange nicht mehr trennen lassen.«24 Im Unterschied zu Psychotherapie, Sozialarbeit und Beratung behandelt Seelsorge aber auch die »andere, unerreichbare Seite der Form der Seele. Sie behandelt Seele als Chiffre«25, als unverfügbar und bezieht sich auf das Religionssystem mit der Leitunterscheidung markiert/unmarkierbar. Ohne dies explizit zu machen, gelingt es Emlein, die in vielen Seelsorgetheorien begegnenden Beschreibungen des Anderen und Fremden der Seelsorge, des Unbestimmten 18 19 20 21 22 23 24 25

Emlein, 2017, S. 26. Hauschildt, 2017a, S. 158. Emlein, 2017, S. 101. Emlein, 2017, S. 103 f. Emlein, 2017, S. 295 f. Emlein, 2017, S. 296. Hervorhebung im Original. Emlein, 2017, S. 297. Emlein, 2017, S. 298.

I

20

I

Traugott Roser

oder gänzlich Unbestimmbaren, letztlich das von Erhard Weiher als »Geheimnis des Lebens«26 Bezeichnete systemtheoretisch zu beschreiben. Seelsorge als hybride Praxis lässt sich m. E. auch für die Krankenhausseelsorge in Anspruch nehmen. Denn diese arbeitet in der Organisation Krankenhaus, in der Abläufe und Regelungsmechanismen streng funktional und rational geordnet sind, aber zumeist getrennt voneinander ablaufen. Seelsorge überschreitet im Verhalten und Handeln permanent Systemgrenzen und arbeitet sowohl nach Religionscode als auch nach Therapiecode, ist »weder das eine noch das andere allein […] Der Hybrid oszilliert zwischen den Operationslogiken zweier Kontexturen«27. Im Krankenhaus kommt Seelsorge immer dann zum Einsatz, wenn Sinnstrukturen fraglich werden oder, systemtheoretisch formuliert: »Der Hybrid löst das Problem, dass es in der funktional differenzierten Gesellschaft bei bestimmten Ereignissen zu Verschränkung (statt nur zum Nebeneinander) von mehreren Kontexturen kommt.«28 Als Hybrid arbeitet Seelsorge mit Spiegelungen, mit einem Umschalten von der Logik des Psychischen zu der des Religiösen (und zurück). Vorgefundene Sinnstrukturen werden »auf die andere Seite gespiegelt«29 und dadurch verwandelt oder transformiert. So lässt sich Sinn zwar »immer nur entweder nach psychischer oder […] religiöser Logik formulieren […], aber beides [hat] jeweils zum anderen beigetragen«30.

3 Krankenhausseelsorge als Transformation von Orten in Räume Das Verständnis von Seelsorge als Hybrid ermöglicht es, statische Beschreibung aufzulösen, sowohl das Fremde als auch das Integrative von Seelsorge im Gesundheitswesen gelten zu lassen und gerade darin das Oszillierende zu erkennen, das die Differenz erhält. Denn Seelsorge hat es mit vagen Problemen zu tun, Befindlichkeiten und Irritationen, die aus funktionaler Differenzie26 Weiher, 2009. Weiher führt den Begriff des Geheimnisses folgendermaßen ein: »Geheimnis ist in diesem Buch positiv gemeint: Es ist überrational; es ist trotz seiner Undurchschaubarkeit wegen seiner unvergleichlichen Qualität gerade nicht weniger. Es ist vielmehr das Andere der Vernunft, das den Menschen und die Welt mehr sein lässt als das Verrechenbare und Nutzbare. Es ist gerade die ganz andere Dimension, aus der alles Begreifliche (und natürlich auch Unbegreifliche) stammt und dem es seine innere Fülle und seine Anziehungskraft verdankt.« (S. 40 f.) 27 Emlein, 2017, S. 85. Hervorhebung im Original. 28 Emlein, 2017, S. 87. Hervorhebung im Original. 29 Emlein, 2017, S. 87. 30 Hauschildt, 2017a, S. 162.

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

21

rung resultieren und sich keinem System eindeutig zuordnen lassen, sondern dazwischen sind, an den »Sinnrändern«31 der Gesellschaft. Zugleich verweist das Hybride auf die kommunikativen Operationen von Seelsorge, die professionseigenen Handlungs- und Verhaltensweisen, »die ›schiere Operativität‹ des Umschaltens«32. Seelsorge erweist sich gerade in dem, was geschieht und wie es geschieht, sowohl therapeutisch, beratend, sozialarbeiterisch als auch religiös agierend. Emlein bezeichnet das in systemtheoretischer Diktion als »Neucodieren«33: »Seelsorge beobachtet, wie Pastorandinnen und Pastoranden sich in ihrer Welt beobachten und beschreiben. […] Sie versucht, die ›vagen Dinge‹ zu anders [sic!] zu codieren durch Ausprobieren. […] Neucodieren meint die Umdeutung der Sicht auf die ›vagen Dinge‹ durch das Angebot einer anderen Sichtweise. Sinnvollerweise wird ein Set an Alternativen angeboten. […] Welche Alternative gewählt wird, ist nicht voraussehbar. […] Psychotherapie und Seelsorge leben – systemtheoretisch beobachtet – von Ambivalenz, Diffusität und Irrationalität und nicht von schulverpflichtenden Schnittmustern (Diagnosen und Methoden der Gesprächsführung), die klar definierbare Probleme voraussetzen.«34 Emlein nennt dies Formveränderungsmanagement oder Sinnverschiebungsmanagement. Nimmt man auf die raumsoziologische Begrifflichkeit, etwa nach Michel Foucault, Michel de Certeau, Klaus Raschzok oder Martina Löw Bezug35, lässt sich das, was Seelsorge in Krankenhaus und Pflegeeinrichtungen ist, macht und bewirkt als Transformation von Orten in Räume beschreiben. Damit kommt, ergänzend zur systemtheoretischen Beschreibung, das prozessuale und das sich zeitlich und örtlich vollziehende Geschehen in den Blick, das sich in den Seelsorgebeziehungen in ihrer Vielfalt beobachten lässt: wo und was Seelsorge im Krankenhaus ist (im Sinne des viel beschriebenen Da-Seins), worauf sie sich bezieht, wie sie agiert und wie sie wirkt. »Seelsorgliches Handeln ist geschichtlich gewordenes, diachrones Handeln. Es hinterlässt Spuren im Raum durch professionsspezifische Praktiken und 31 Emlein, 2017, S. 301. Emlein verweist auf Schleiermachers Diktion vom »unruhigen Gemütszustand« (ebd.). 32 Emlein, 2017, S. 86. 33 Emlein, 2017, S. 315. 34 Emlein, 2017, S. 316. 35 Vgl. die Überlegungen in Roser, 2017a.

I

22

Traugott Roser

Codierungen an einem funktional bestimmten Ort. Erst als solcher bewirkt er Veränderungsprozesse bei den Beteiligten.«36

I

Transformationsprozesse ermöglichen, dass an einem Ort unterschiedliche Räume – Atmosphären, Wahrnehmungen, Deutungen, Begrifflichkeiten, Sprachen etc. – synthetisiert werden können ohne in diesem Prozess vereindeutigt werden zu müssen, sondern offen bleiben können. Soziolog*innen sprechen dabei von struktureller Kopplung zwischen unterschiedlichen Logiken.37 Seelsorge erlaubt durch den ihr eigenen Kommunikationsstil sowohl Patient*innen als auch Mitarbeitenden (auf der Mikrobene der interpersonalen Kommunikation) wie in Teams und Gruppen (Mesoebene) distanzierte Beobachtung. Sie schafft damit »Anlässe […], in denen [die] Unbestimmtheit der Person eines Gegenübers sichtbar werden kann«38. Dies erfolgt im Gespräch (einschließlich des aktiven Schweigens) ebenso wie in rituellen oder liturgischen Handlungen. Seelsorger*innen geben sich in diesen Situationen als Spezialist*innen für das Unspezifische zu erkennen, oder, wie Michael Brems in seinem Beitrag schreibt: »An den Abgründen des Lebens sind die Bereitschaft zum Nichtwissen und zum Schweigen, das Wagnis eines Dennoch-Glaubens und das Aushalten von Widersprüchen hilfreiche religiöse Haltungen.«39 Die Transformation erfolgt aber nicht nur auf den personalen und interpersonalen Ebenen der seelsorglichen Begegnung am Ort. Zuwenig wurde lange Zeit beachtet, dass seelsorgliche Präsenz und Kommunikation auch die Organisationsebene betrifft und es zu »Resonanzen und Transformationsprozessen aller beteiligten Systeme«40 kommt. Martina Löw zufolge sind Veränderungsprozesse in der Lage, soziale Ungleichheit entweder zu reproduzieren oder aufzuheben: »(An)Ordnungen haben Inklusions- und Exklusionseffekte«41. Indem Seelsorge im Krankenhaus das Personsein von Menschen, letztlich die Kraft zum Menschsein stärkt42, engagiert sie sich bei Fragen von Inklusion und 36 37 38 39 40 41 42

Roser, 2017b, S. 445 f. Vgl. den Beitrag von Nassehi, Saake und Mayr in diesem Band. Beitrag von Nassehi, Saake und Mayr, S. 90. Beitrag von Michael Brems, S. 77. Roser, 2017a, S. 496. Löw, 2015, S. 217. Thomas Beelitz verweist in seinem Beitrag auf Karl Barths Überlegungen zu Gesundheit und Krankheit und die von ihm formulierte »Grundfrage nach der Kraft zum Menschsein« (Beitrag von Thomans Beelitz, S. 496). Corinna Schmohl formuliert aufgrund ihrer Erfahrungen in der Onkologie: »Wenn eine Begleitung gelingt, kann sie Betroffene in der Wahrnehmung unterstützen, den ›Raum des Menschlichen und Lebendigen in seiner wahren Tiefe vielleicht jetzt erst überhaupt zu betreten‹.« (Beitrag von Corinna Schmohl, S. 187)

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

23

Würde43 sowie einem auch theologisch validen Verständnis von Krankheit und Gesundheit44. Nicht zuletzt unter Inklusionsaspekten ist Seelsorge unmittelbar betroffen oder aktiv und beratend beteiligt an Veränderungsprozessen in einer zunehmend religionspluralen Gesellschaft45, die ihren Niederschlag findet in der Entwicklung von Seelsorge durch andere als christliche Religionsgemeinschaften46. Ein Aspekt dieser Transformation auf der Ebene des Gesundheitswesens ist die Entwicklung von Spiritual Care und die Rolle, die Seelsorge – sowohl in ihren konfessionellen wie überkonfessionellen und plurireligiösen Ausprägungen – an der Entwicklung hat. »Spiritual Care kann als ein Prozess sich konstituierenden Raums an Orten des Gesundheitswesens verstanden werden, in dem und an dem Seelsorge involviert ist.«47 Dieser Transformationsprozess kann einerseits zu veränderten Handlungsroutinen führen, die in die systemimmanenten funktionalen Regelabläufe und Qualitätsprüfungen integriert werden und letztlich kritisch-anwaltliche seelsorgliche Interventionen unnötig machen oder seelsorgliches Handeln als standard operating procedure integrieren. Beispiele dafür finden sich im vorliegenden Handbuch in den Beiträgen zur Organisations- und Unternehmenskultur48, zur Entwicklung von Klinischer Ethik49, zur Etablierung von Anamnese-Instrumenten50, zur Regelung zum Beizug von Seelsorge51 und Erweiterung von Dokumentationsformen52 und zur Ausbildung und Supervision von Mitarbeitenden der Gesundheitsberufe53. Beispiele finden sich aber auch in den konkreten Kontexten und medizinischen Arbeitsfeldern, etwa in der Integration spiritueller Begleitung in der Neonatologie und Kinder- und Jugendmedizin54, in Palliative Care und Sterbe­begleitung55 oder bei Patient*innen mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit56. Gerade die aus 43 Vgl. die Beiträge von Johannes Albrecht zur Seelsorge in der Geriatrie sowie von Gundula Goldbach im Blick auf Verletzlichkeit und Scham in der Frauenklinik. 44 Vgl. den Beitrag von Simon Peng-Keller. 45 Vgl. den Beitrag von Andreas Stähli. 46 Vgl. dazu den Beitrag zu islamischer Krankenhausseelsorge von Abdullah Takim. Leider ist dieser Beitrag der einzige Beitrag aus einer anderen als der christlichen Religionsgemeinschaft. Im Blick auf jüdische Seelsorge sei zumindest verwiesen auf die Arbeiten von Petery, 2017 sowie Probst, 2019. 47 Roser, 2017a, S. 507. 48 Vgl. Beiträge von Michael Fischer, Francesco De Meo, Margit Gratz und Johannes Reber. 49 Vgl. den Beitrag von Thorsten Moos. 50 Vgl. den Beitrag von Eckhard Frick SJ. 51 Vgl. den Beitrag von Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Moesli. 52 Vgl. den Beitrag von Thomas Beelitz. 53 Vgl. die Beiträge von Friederike Rüter, Astrid Giebel und Kerstin Lammer. 54 Vgl. die Beiträge von Claudia Zierer, Heike Kassebaum und Christa Schindler. 55 Vgl. die Beiträge von Karoline Labitzke und Norbert Kuhn-Flammensfeld. 56 Vgl. den Beitrag von Nicole Frommann.

I

24

I

Traugott Roser

der unmittelbaren Praxis stammenden Beiträge lassen erkennen, wie sehr sich die Seelsorgenden auf den Kontext einlassen, wie intensiv sie sich in Krankheitsbilder, Diagnostik und Behandlungsansätze und -methoden einarbeiten und dadurch Kontextkompetenz erwerben.57 Nicht nur Psychotherapie oder Sozialarbeit sind neben dem Religionssystem prägende Kontexturen (Emlein) der Krankenhausseelsorge, sondern die ganze Bandbreite der Gesundheitsberufe und ihrer Bezugsdisziplinen. Erst die Vertrautheit mit dem Gesundheitssystem und seinen diversen Subsystemen ist die Bedingung der Möglichkeit von Transformationsprozessen. Andererseits birgt ein Verständnis seelsorglicher Präsenz und seelsorglichen Handelns und Verhaltens als einem auf Transformation angelegten Prozess die Chance, den Fokus auf die kritische Infragestellung des Ortes und seiner Regeln zu richten. Die Fremdheit, die mit der prophetischen Rolle der Seelsorge verbunden ist, gehört zum Wesen von Seelsorge als religiöser Kommunikation. »Seelsorge fordert durch ihre unterschiedlichen Formen von Präsenz auch soziale Ordnung heraus, stellt Hierarchien und Geltungsansprüche in Frage und übernimmt nicht selten eine Anwaltsfunktion für die Stimmlosen und Schwachen.«58 Beispiele und grundlegende Darstellungen dieser Fremdheit und ihrer Begründungen finden sich in diesem Band v. a. in den Beiträgen von Sebastian Borck (Seelsorge als Heterotopie in der Heterotopie), Andrea Bieler (»Im Zwischenraum von realitäts- und Möglichkeitssinn werden [Seelsorgende] zu Anwält*innen des Pathischen«59) und Michael Klessmann (Widerständigkeit von Krankenhausseelsorge als »Gratwanderung zwischen individueller Zuwendung und sozialkritischer Aufmerksamkeit«60). Volkmar Schmuck beschreibt den Seelsorger als Katalysator, der als Fremder durch Empathie und kompetente Gesprächsführung lebendige Prozesse in Gang setzt, ohne dabei die Richtung vorzugeben. Besonders deutlich wird der Bedarf an Transformation, wenn für Krankenhausseelsorge die aus der Sozial- und Wirtschaftsethik kommende vorrangige Option Gottes für die Armen in Anspruch genommen wird und damit auf wirtschafts- und unternehmensethischen Veränderungsbedarf hingewiesen wird.61 In nicht weniger sozialethischer Intention spricht Thomas Hagen aus kirchenleitender Perspektive von einer »eindeutigen Option für die Kranken«62. Das mit der Fremdheit verbundene Potenzial kommt in konkreten Kontexten 57 58 59 60 61 62

Ein Beispiel dafür ist der Beitrag von Angela Rinn zur Seelsorge in der Kardiologie. Roser, 2017b, S. 447. Andrea Bieler, S. 384. Michael Klessmann, S. 401. Vgl. dazu insbesondere den Beitrag von Dorothee Haart. Thomas Hagen, S. 522.

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

25

und Situationen zur Geltung wie in der Intensivmedizin63 oder bei der kreativen Gestaltung ritueller und gottesdienstlicher Handlungen64. Gerade hier werden Orte zu Räumen transformiert, denn Seelsorgende verfügen neben Techniken der Gesprächsführung vor allem über symbolische Zeichen (Kleidung, Artefakte, Texte, Rituale), die sie an vorfindlichen Orten gezielt einsetzen, um Atmosphäre zu erzeugen und mit anderen präsenten Menschen einen anderen Raum zu konstituieren. Dass sich, wie Ralph Kunz zeigt, mitten im Krankenhaus »Gemeinde auf Zeit« konstituiert, zeigt, dass die Begegnung am Ort auch eine Zeitdimension hat und einen eigenen, anderen Raum generiert. »[W]enn die Krankenhausseelsorge als wandernde Profession keinen Ort hat, schafft sie doch einen Zeitraum für Begegnungen, indem sie Handlungsroutinen unterbricht. In beiden Dimensionen setzt die Seelsorge ein Signal für ein anderes Paradigma.«65 Die Transformationsprozesse erfolgen jedoch nicht nur beim Gegenüber und in den Orten und Strukturen des Gesundheitswesens, sondern in eindrücklicher Weise bei den Seelsorgenden selbst und nicht zuletzt den für Seelsorge Verantwortlichen in Kirche und Theologie. Die Sinnränder und existenziellen Situationen, an und in denen Seelsorgende Menschen begegnen, verändern sie selbst. »Im Krankenhaus geht die Kirche noch einmal in eine Grundschule des Glaubens, in eine Grundschule der Theologie«66. Was Trost ist, buchstabiert sich von hier aus gänzlich neu. Thomas Beelitz spricht von »Trostspuren«, die sich in dokumentierten Äußerungen von Patienten und Patientinnen finden lassen und in denen sich auch für Seelsorgeprofis »Gesichtszüge Gottes erkennen«67 lassen. Kirchliche Krankenhausseelsorge ist nicht einfach Repräsentanz von Kirche am andern Ort, weil sie nicht etwas Bestimmtes (etwa ein bestimmtes Bekenntnis) einbringt, sondern für das Unverfügbare und Unbestimmte steht, ohne das kirchliche und christliche Profil zu nivellieren. Neben den konkreten existenziellen Situationen in der Begegnung mit Kranken, ihren Zugehörigen und Mitarbeitenden fordern auch die sich verändernden Strukturen und Bedingungen im Gesundheitswesen kirchliche Seelsorge zu Veränderungen heraus, etwa zu Netzwerkarbeit zwischen Krankenhaus und Kirchengemeinde

63 64 65 66 67

Vgl. den Beitrag von Thomas Kammerer. Vgl. den Beitrag von Heidi Kääb. Ralph Kunz, S. 551. Michael Brems, S. 68. Thomas Beelitz, S. 498.

I

26

Traugott Roser

und caring communities68, nicht zuletzt zu ökumenischer Zusammenarbeit69. Damit ist Krankenhausseelsorge auch eine Anfrage an ein grundlegendes Verständnis von Pastoral, wie Hadwig Ana Müller beschreibt. Konkret schlägt sie vor, die Teamarbeit von Krankenhausseelsorgenden programmatisch als Relecture zu gestalten, in der das Erzählen von Seelsorgeerfahrungen und -begegnungen im Kreis der Kolleginnen und Kollegen hermeneutisch mit Texten aus den Evangelien verbunden wird. Die Kommunikation des Evangeliums wird zur Aufgabe der Kommunikation im Team; die religiöse Kommunikation wird operationalisierbar gemacht und macht auch aus dem Ort eines Seelsorgezentrums einen spirituellen Raum.

I

4­ Aktuelle und kommende Herausforderungen des Gesundheitswesens Transformationsprozesse sind als Ereignisse und Geschehnisse vor Ort in zeitlicher Abfolge zu beschreiben. Sie vollziehen sich in Gegenwart und Zukunft. Aktuell ist Krankenhausseelsorge zugleich Zeugin und Betroffene massiver Verschiebungen im Gesundheitswesen, die schon jetzt das Selbstverständnis tangieren, dies aber in Zukunft noch viel stärker tun werden. Die Herausforderungen werden sich sowohl auf die direkte Begegnung mit Patientinnen und Patienten und ihren Zugehörigen auswirken. Die im Folgenden nur kurz angedeuteten Herausforderungen vollziehen sich aber auch auf der interprofessionellen Ebene der Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden im Krankenhaus oder auf einer Station. Schließlich, und das wird sowohl in der Seelsorgetheorie wie auch von Vertreter*innen der Praxis häufig noch zu wenig beachtet, sollte sich Krankenhausseelsorge gezielt mit ihrem Expert*innenwissen aus unterschiedlichen Systemlogiken in öffentliche Diskurse einbringen, wenn es darum geht, für die Rechte und Würde von Patient*innen und Mitarbeitenden einzutreten. Der öffentliche Diskurs umfasst sowohl den gesellschaftlich-gesundheitspolitischen wie auch den kirchlichen und interreligiösen Diskurs, die zur Gestaltung der Rahmenbedingungen beitragen, die erst die Voraussetzung der Möglichkeit seelsorglicher Begegnung sind. Die folgenden Überlegungen fragen deshalb auch nach dem Selbstverständnis von Krankenhausseelsorge als einer politischen und strategisch handelnden Akteurin.

68 Vgl. den Beitrag von Martina Schlüter. 69 Vgl. den Beitrag von Karin Kaspers-Elekes und Lisa Palm.

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

27

4.1  Klärung des Gesundheitsbegriffs Das Gesundheitswesen operiert notgedrungen mit der Unterscheidung von Gesundheit und Krankheit. Während Krankheit im Zeitalter der Fallpauschalen als Diagnose-basierte Kostengröße ökonomisiert wird, verbindet sich mit dem Gesundheitsbegriff seit der WHO-Gesundheitsdefinition von 194870 ein Verständnis von Gesundheit als Wohlbefinden. Der Weltrat der Kirchen hat 1990 diesen Ansatz in eigener Weise übernommen: »Gesundheit ist eine dynamische Seinsart des Individuums und der Gesellschaft, ein Zustand körperlichen, seelischen, geistigen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wohlbefindens, der Harmonie mit den anderen, mit der materiellen Welt und mit Gott.«71 Mit dem Wunsch nach Wohlbefinden verbindet sich in der Regel auf der Ebene der einzelnen Patientin keine utopische oder ganzheitlich-absolute Vorstellung von Gesundung, sondern die Hoffnung auf ein als sinnvoll und lebenswert erlebtes Leben auf allen Ebenen. Der Beitrag, den Seelsorge zum Gesundheitsdiskurs leisten kann, ist es, die theologische Validität des Gesundheitsverständnisses einzubringen. Für das Verständnis von Krankheit haben Isolde Karle und Günter Thomas gezeigt, wie weiterführend theologische Einsichten und Deutungsbemühungen sein können.72 Ähnliches bedarf es in der Deutung von Gesundheit. Seelsorgende und Seelsorgetheoretiker*innen zumindest in unseren Breiten haben verzögert zur Kenntnis genommen, dass Spiritualität – und damit ist nicht Esoterik gemeint – in der Bangkok Charter der WHO 2006 zu einem wichtigen Bestandteil von Gesundheitsförderung wurde. Es ist an der Zeit, sich vor Ort und im gesellschaftlichen Diskurs konstruktiv daran zu beteiligen, was mit Gesundheit als Wohlbefinden gemeint ist. Der biblische Begriff Schalom kann dazu einen originär theologischen Beitrag leisten, weil er sowohl die Gottesbeziehung und das sich Gott verdankende Geschenk von Schalom beschreibt als auch materielle und soziale, psychische und physische Aspekte umfasst.73 Seelsorge kann in Medizin- und Pflege-Konferenzen, Ethik-Beratungen, bei Visiten und im Patientengespräch die Frage stellen: Was bedeutet Gesundheit für dich, bzw. 70 »Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity« Deutsche Übersetzung: »Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.« aus: WHO, 1946. Vgl. auch den Beitrag von Simon Peng-Keller in diesem Band. 71 Healing and Wholeness. The Churches’ Role in Health. The report of a study by the Christian Medical Commission, Geneva, WCC, 1990, S. 5, zitiert nach Stempin, 2014, S. 53. 72 Vgl. Thomas/Karle, 2009. 73 Vgl. dazu Roser, 2017a, S. 379 ff.

I

28

Traugott Roser

für die Patientin – oder eben: Was würde hier Wohlbefinden unter den Bedingungen von Krankheit heißen? 4.2 Ökonomisierung

I

Derzeit macht vor allem Kostendruck den Menschen in Krankenhäusern zu schaffen. Seelsorge ist mit den Folgen der Ökonomisierung mittelbar und unmittelbar konfrontiert. Seelsorgegespräche mit frustrierten oder ausgebrannten Mitarbeitenden nehmen ebenso zu wie Kontakte zu Gewerkschaften. Seelsorgende begleiten Fusionsprozesse bei der Zusammenlegung von Kliniken, bei der Übernahme durch andere Träger und kämpfen in Leitbildprozessen um die Beibehaltung gewachsener Traditionen. Vor allem Krankenhausseelsorger*innen, die sich im Sinne von Spiritual Care als Teil gemeinsamer Sorge, sprich: des Versorgungsangebots und Betreuungskonzepts verstehen, sind damit konfrontiert, dass ihre Dienste im Rahmen der Unternehmens-Profilierung als besondere Dienstleistungen und Qualitätsmerkmal vermarktet werden. Eine als Hybrid verstandene Seelsorge geht darin selbstverständlich nicht auf, aber sie kann sich ebenso wenig völlig frei davon machen.74 Aus Verwaltungsperspektive haben klinikintern veröffentlichte Seelsorgekonzepte, einschließlich der Flyer und Hinweisschilder immer eine ökonomische Mitteilungsebene und einen PR-Effekt. Das Thema der Finanzierung bzw. (teilweisen) Refinanzierung von Seelsorgestellen ist schon geraume Zeit auf der Agenda von Kirchen- und Klinikleitungen. Vielerorts kann nur so Seelsorge überhaupt noch angeboten werden. Die Bereitstellung von Geldern für Seelsorge – von wo auch immer – ist dauerndem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Aber auch bei konfessionellen Trägern ist die Bereitschaft, Seelsorge aus Gründen des eigenen Selbstverständnisses und der eigenen Tradition zu finanzieren, nur solange da, wie eine Mehrheit der Geschäftsleitung dies für sinnvoll hält. In Zukunft wird zu fragen sein, ob dieses Thema ausschließlich als Finanzierbarkeit durch Kirche und/oder Träger verhandelt werden muss, denn auf beiden Seiten werden die Mittel knapp. Es ist an der Zeit, eine politische Diskussion zu führen: Macht es Sinn und gibt es Möglichkeiten, spirituelle Begleitung und Seelsorge zum Leistungskatalog des Gesundheitswesens zu machen? Welche Folgen hätte dies? Sind bestimmte Leistungen anders als andere Leistungen abrechenbar (z. B. Krankenbesuch anders als Übernahme von Lehre in Krankenpflegekursen)? Auch wenn diese Fragen 74 Vgl. dazu die Beiträge aus unternehmerischer, aus organisationstheoretischer und aus wirtschaftstheoretischer Perspektive von Francesco De Meo, Michael Fischer und Dorothee Haart sowie von Margit Gratz und Johannes Reber.

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

29

auf verhaltenes Echo stoßen, so müssen sich Krankenhausseelsorgende, Seelsorgeverantwortliche und Theoretiker*innen doch mit ihnen auseinandersetzen. 4.3 Flexibilisierung stationärer, teilstationärer und ambulanter Versorgung Aus Perspektive von Patient*innen ist eine der zentralen Veränderungen dank eines ökonomisierten Gesundheitswesens die Flexibilisierung der Versorgung: stationäre Aufenthalte im Krankenhaus werden auf ein Minimum reduziert. Für Seelsorge gibt es deshalb oft nur noch kleine Zeitfenster für Krankenbesuche. Mehrfachbesuche gibt es nur auf Stationen oder in Fachkliniken mit längeren Aufenthaltszeiten. Transformationsprozesse in der Begegnung mit Patientinnen, Patienten und Zugehörigen vollziehen sich deshalb oft innerhalb von Kurz­gesprächen; dies verändert seelsorgliche Kommunikation und Beziehung. Vor allem aber führen veränderte Versorgungsformen zu Lücken in der Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Seelsorge. Teilstationäre Versorgung oder Tageskliniken werden von vielen chronischen und schwerkranken Patient*innen aufgesucht, oft mehrfach und über lange Zeiträume. Nur selten sind an diesen Orten mit ihren getakteten Abläufen Seelsorgerinnen und Seelsorger zu finden. Aus Patientenperspektive eine verpasste Gelegenheit, denn an diesen Orten haben Menschen die Möglichkeit sich intensiv und zugleich begrenzt mit Gesundheit, Leid, Sinnfragen und ambivalenten Emotionen auseinanderzusetzen. Hier wäre mehr möglich und nötig, wenn es nicht bei der Seelsorge unter Schwestern und Brüdern – Mitbetroffenen – bleiben soll. Ambulante Versorgung ist für viele Menschen die bevorzugte Betreuungsform. Mobile Pflegedienste, Hausärzt*innen und spezialisierte multiprofessionelle Teams betreuen gemeinsam und z. T. ergänzt durch Ehrenamtliche die Kranken und ihre Familien zuhause. Seelsorge, die hier involviert ist, erfolgt nach den Regeln der Krankenhausseelsorge, kommt aber in der Regel aus den Reihen der Gemeindeseelsorgerinnen und -seelsorger (Pfarrer*innen, Diakon*innen, Pastoralreferent*innen, ehrenamtliche Besuchsdienste) oder mittels Beauftragungen auf Kirchenkreis- und Dekanatsebene. Alle Themen, die in den Teilen 3 und 4 des Handbuchs bearbeitet werden, stellen sich in der Krankenseelsorge im ambulanten, bzw. parochialen Kontext ebenso, aber mit eingeschränktem Zeitbudget und weniger spezialisierten Qualifikationen. Auch in der ambulanten Versorgung kehrt Krankenhausseelsorge nicht einfach zur Krankenseelsorge zurück, denn auch der private Haushalt wird zu einem Krankenhaus und Seelsorge transformiert auch diesen Ort in einen anderen Raum. Dazu gehört eine neue Sensibilisierung für rituelles Handeln, etwa eine Wie-

I

30

Traugott Roser

derentdeckung des Haus- und Krankenabendmahls oder der Krankensalbung. Zu beachten ist aber auch, dass bei verstärkter Kooperation mit ambulant tätigen Gesundheitsberufen Anfragen zur Begleitung Kranker und ihren Familien kommen, die nicht oder nicht mehr Mitglieder der Gemeinde sind, zu der die Seelsorgeperson gehört. Das Handbuch der Krankenhausseelsorge kann hier vor allem durch die Beiträge zur Netzwerkarbeit75, zu Ritualen76 und Seelsorge im religionspluralen Kontext77 anregend sein.

5  Herausforderungen an Seelsorge als kirchlichem Handeln

I

Krankenhausseelsorge ist im deutschen Sprachraum in der Regel noch immer ein kirchliches Angebot. Allerdings: »Es ist nicht mehr von der Hand zu weisen: Kirche befindet sich in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess, der meist als Krise empfunden wird.«78 Vieles, so schreibt Christian Grethlein an der angegebenen Stelle, deutet auf »tiefe Umbrüche […] vielleicht sogar eine Metamorphose« der Institution Kirche hin. Zu diesen Umbrüchen gehört ein vielerorts beobachtbarer Verlust an Geltung und Relevanz. In Krankenhäusern lässt sich dieser ebenfalls beobachten: Wenn in manchen Kliniken die Besuchslisten mit evangelischen oder katholischen Patient*innen wegen neuer Datenschutzvorgaben nicht mehr an Seelsorgepersonen ausgehändigt werden und damit auch nicht mehr die Kirchenmitgliedschaft, sondern nur der explizite Wunsch von Patient*innen im Aufnahmegespräch (»Ich will Seelsorge« – ja/nein) über ein aufsuchendes Besuchsangebot entscheidet, ist dies ein klares Indiz für einen Geltungsverlust der Institution Kirche. Gleichzeitig belegen viele der Berichte aus Praxiskontexten, wie im Krankenhaus spontane, situativ bedingte, wiederkehrende und fluktuierende Gemeindeformationen entstehen. Kirche wird in diesen Situationen, z. B. bei Gedenkfeiern, als not-wendig, tröstend und heilsam empfunden, als Heterotopie und Heterochronie. Die Hybrid-Funktion von Seelsorge besteht dann weniger in Person und Agieren des Seelsorgers oder der Seelsorgerin, sondern in der Gemeinde der Glaubenden, die sowohl in ihrer professionellen oder Betroffenen-Rolle als auch in ihrer Rolle als spirituelle Akteure teilnehmen.79 Gerade hier erwei75 76 77 78 79

Vgl. den Beitrag von Martina Schlüter. Vgl. den Beitrag von Andrea Bieler. Vgl. den Beitrag von Andreas Stähli. Grethlein, 2018, S. XII. Vgl. zu Aspekten dieser Beschreibung die Beiträge von Sebastian Borck und Armin Nassehi, Irmhild Saake und Katharina Mayr.

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

31

sen sich die biblischen und christlichen Traditionen, wie auch die Traditionen im Islam oder im Judentum in ihrer kritischen Dimension, die vermeintlich Gegebenes (»das ist hier so!« »so machen wir das hier!«) prinzipiell hinterfragen, Mehrdeutigkeit und Uneindeutiges zulassen. Ralph Kunz beschreibt dies eindrücklich für einen Gottesdienst im Altenheim: »[A]lte Menschen bleiben auch in der Versorgungssituation mündige Christenmenschen und als solche Subjekte. Es sind Heilige, die Heiliges in Empfang nehmen. Sie bleiben es auch dann, wenn sie schwer demenzkrank sind oder im Sterben liegen. Und genau das ist seelsorglich relevant. Für die Menschen, die sich in einer Altersheimkapelle oder einem Andachtsraum zum Gottesdienst versammeln, ist es wichtig, dass sie nicht auf sich allein gestellt sind. Sie sind Teil einer grösseren [sic!] Gemeinschaft, die ihnen Würde und Identität verleiht. Die Versammlung der Würdeträger hält die Erinnerung an die einzigartige Herkunft eines jeden Individuums wach. Es ist eine Gemeinschaft, die grösser [sic!] ist als das Heim, und die Versammelten empfehlen sich einer Leitung an, der auch die Hausleitung zu gehorchen hat.«80

5.2  Verhältnisbestimmung zu anderen Seelsorgefeldern Viele Fragen, die in der Krankenhausseelsorge intensiv diskutiert werden, werden ebenso intensiv oder wurden bereits in anderen Bereichen wie der Notfall-, der Telefon-, der Militär-, Schul- und Gefängnisseelsorge bearbeitet. Zu nennen wären Aspekte von Ehrenamtsausbildung, der Einsatz nichtkirchlicher Ehrenamtlicher, Pluralisierung von Professionen, ökumenische Zusammenarbeit, der Umgang mit Vertraulichkeit und Dokumentation, Beschreibung von Qualität in der Seelsorge, einschließlich der Messbarkeit von Ergebnissen und Wirkungen. Gerade im Gegenüber zu Kirche und Kirchenleitungen, aber auch im politischen und rechtlichen Raum ist es notwendig, dass Krankenhausseelsorge Themen und Strukturen mit anderen Seelsorgebereichen vergleicht und gemeinsame Strategien entwickelt, insbesondere im Blick auf Ausbildungsstandards und die Gewinnung von Frauen und Männern, die in der Seelsorge arbeiten möchten. Dazu gehört auch eine Diskussion über eine Pluralisierung der Seelsorgeberufe zwischen Pfarrberuf, Priestern, Pastoral- und Gemeindereferent*innen, Diakon*innen, Prädikant*innen, Quereinsteiger*innen mit neuen akademischen Abschlüssen (z. B. Master in Spiritual Care), Ehrenamtlichen etc. 80 Kunz, 2015, S. 29.

I

32

Traugott Roser

In der Streitschrift »Time to move forward« des nordamerikanischen HealthCare Chaplaincy Network81 setzen sich Eric Hall, George Handzo und Kevin Massey für eine zunehmende Professionalisierung von Seelsorge ein, weil sie sich in einem hochprofessionalisierten Umfeld bewegt und um ihre Geltung kämpfen muss. »Wie nie zuvor haben wir die Möglichkeit«, schreiben die Autoren: »das Berufsfeld zu transformieren, nämlich unter Beweis zu stellen, dass professionell Seelsorgende im Gesundheitswesen über die Kenntnisse und die Kompetenzen verfügen, um die Spiritual Care anzubieten, die zu verbesserter Wirksamkeit und Nutzen beiträgt.«

I

Was unter Wirksamkeit und Nutzen zu verstehen ist, sollte allerdings weder der Definitionsmacht der Naturwissenschaften oder einer evidenzbasierten Medizin noch dem betriebswirtschaftlichen Denken überlassen bleiben. Krankenhausseelsorge kann durch Forschung und Theoriebildung eigene Kriterien beschreiben, die Standards von Professionalität sichern und das Besondere der Krankenhausseelsorge so beschreiben, dass auch die Rede von der Absichtslosigkeit eines Seelsorgeangebots enthalten ist, ohne zur absoluten Norm zu werden. Ralph Kunz schließt mit seinem Text die Reihe der Beiträge in diesem Handbuch ab und bringt die transformierende Kraft von Krankenhausseelsorge mit dem Begriff der Mission in Zusammenhang: »Es ist nicht zuletzt das Verdienst der Seelsorge im Krankenhaus, wenn die Mission der Kirche als glaubwürdiges Zeugnis wahrgenommen wird.«82

6  Seelsorge ist Theologie vor Ort Es gehört zum Erbe der Seelsorgebewegung seit Sewart Hiltner und im deutschen Sprachraum maßgeblich seit Richard Riess, Dietrich Stollberg und Ulrike Wagner-Rau, dass Theologie am und beim Gegenüber, dem leibhaftigen Menschen, dem living human document, gelernt werden kann. Die Mitteilung des Evangeliums als Rede von Gott erklingt nicht erst aus dem Mund der Seelsorgeperson. Das Gegenüber erzählt von Gott in eigenen Worten, schildert individuelle Spiritualität und bringt sie ins Gespräch mit dem oder der Religionsexpert*in. Als Kommunikation bedarf es einer Verständigungsbemühung, die kritisch, fordernd, respektvoll und achtsam ist und dabei die konfessionelle 81 Vgl. HealthCare Chaplaincy Network (HCCN), 2016a. 82 Ralph Kunz, S. 552.

Einleitung – Seelsorge im Krankenhaus

33

Bindung des Seelsorgers oder der Seelsorgerin transparent macht. Seelsorge verfügt über hermeneutische Kompetenz und Deutungsarbeit, aber ihr Ziel ist es, das Gegenüber in seinem Selbstverständnis zu stärken, Sinnfragen zu klären und den eigenen Glauben als Lebenshilfe zu entdecken. Es ist eine Frage der Identität von Seelsorge, dass sie mit einer Theologie von unten rechnet, dass sie mit der Rede von Gott auch an gottlosen Orten rechnet, dass sie Hoffnung wahrnimmt, wo es keine Hoffnung zu geben scheint und dass sie jeden Menschen für spirituell hält, auch wenn nicht klar ist, was Spiritualität eigentlich bedeutet. Mit der Seelsorgeperson wird über Leben, Leiden, Gefühle und Erinnerungen gesprochen. Weil sie als kirchliche Seelsorge, mindestens im Auftrag einer klar benennbaren Religionsgemeinschaft handelt, findet dieses Gespräch im Raum einer doppelt »verbürgten Rede«83 von Gott statt: In der Rede von Gott beruft sich Seelsorge einerseits auf uralte biblische Texte und andererseits auf die kritische Methodik wissenschaftlicher Theologie. Theologizität ist das Unterscheidungsmerkmal von Krankenhausseelsorgenden gegenüber anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Erst Theologizität ermöglicht hybride Praxis und Transformationsprozesse. Die Transformationskraft einer Theologie von unten gilt dabei schließlich auch dem Ort wissenschaftlicher Theologie. Die Einblicke, die Theologinnen und Theologen in diesem Handbuch in ihre Seelsorgepraxis geben, sind nicht nur Anregungen, sondern Aufforderungen zur Relecture von Erfahrungen im Zusammenhang biblischer Texte und religiöser Traditionen und damit unverzichtbare Herausforderungen an Theologie.

83 Roser, 2018, S. 143.

I

Von der Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge – historische Streiflichter Michael Klessmann

1

I

Kranke zu besuchen und für sie zu sorgen, gehörte – in Aufnahme jüdischer Traditionen1 – selbstverständlich zu den Aufgaben der christlichen Gemeinde seit ihren Anfängen. Die Gemeinde beruft sich dabei einerseits auf die ausdrückliche Weisung Jesu (Mt 25,31 ff.) und auf seinen Heilungsauftrag (Mt 10,1); andererseits folgt sie dem Vorbild Jesu (z. B. Mk 1,40–45) und der Apostel (z. B. Apg 3), die Krankheit als Zeichen der Sünde im Namen Gottes heilen, die damalige übliche soziale und religiöse Ausgrenzung der Kranken überwinden und damit ein Vorzeichen für den nahenden Anbruch der Gottesherrschaft setzen. Anthropologische Vorstellungen zu Krankheit und Gesundheit aus alttestamentlichen Traditionen2 sowie Kenntnisse griechisch-hippokratischer Überlieferungen (Lehre vom Gleichgewicht der Elemente und Säfte) fließen in das christliche Verständnis von Krankheit und Heilung ein.3 Die christliche Zuwendung zu kranken Menschen hat eine Neubewertung des Phänomens der Krankheit zur Voraussetzung: In der griechischen, von Hippokrates bestimmten Tradition gilt die Sorge der Betreuenden dem Freund und Vertrauten, nicht jedem kranken Menschen; und den Unheilbaren, den hoffnungslosen Fall gibt man auf.4 Der christlichen Fürsorge dagegen geht es um den kranken Menschen überhaupt als Geschöpf Gottes und als Nächster; als Abbild des Menschwerdens und Leidens Christi kommt ihm besondere Achtung und Aufmerksamkeit zu. Auf Grund dieser Neubewertung gehört es zu den regelmäßigen Aufgaben des Bischofs und der Ältesten, die Kranken und Armen (beide Gruppen werden oft in einem Atemzug genannt und nicht exakt 1 2 3 4

Vgl. Friedman, 2005. Vgl. Thomas/Karle, 2009. Darin besonders Teil I, S. 47 ff., Beobachtungen im Alten Testament. Vgl. Thomas/Karle, 2009, S. 139 ff., Beobachtungen im Neuen Testament. Vgl. Entralgo, 1956, S. 100 ff. Entralgo spricht davon, dass sich die ars medica der griechischen Tradition zur ars caritativa im Christentum wandelte.

Von der Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge

35

unterschieden) zu besuchen, über ihnen zu beten, sie im Namen des Herrn mit Öl zu salben und ihnen die Sündenvergebung zuzusprechen (Jak 5,14 f.). Krankheit bedeutet körperliches Gebrechen und zugleich seelisch-geistliche Schwächung. Deswegen sind Gebet, Salbung mit geweihtem Öl, Beichte und Zuspruch der Sündenvergebung, wahrscheinlich verbunden mit dem Abendmahl, die konstitutiven Elemente der Krankenseelsorge. Neben den Bischöfen und Ältesten sollen alle Christen die Kranken besuchen; ihnen wird, z. B. in den Clemensbriefen, geraten, solche Besuche ohne Gewinnsucht und Geschwätzigkeit, sondern in Sanftmut und Demut vorzunehmen.5 Während der großen Seuchen, die im 2. und 3. Jahrhundert im römischen Reich wüten, zeigt sich deutlich, in welchem Maß Krankenpflege und -seelsorge als Ausdruck der Nachfolge Jesu verstanden werden. So schreibt Dionysius von Alexandrien: »Furchtlos besuchten sie [s.c. die Christen, M.K.] die Kranken, bedienten sie liebreich, pflegten sie um Christi willen und schieden freudigst zugleich mit ihnen aus dem Leben […] Diese Art des Todes aber scheint zugleich als Frucht großer Frömmigkeit und starkem Glauben dem Märtyrertod in keiner Weise nachzustehen. […]«6 Trotz der apologetischen Absicht solcher Schilderungen wird deutlich: Krankheit gilt als Prüfung für den Glauben und die Geduld des Kranken; und die pflegende Person darf für ihren aufopfernden Dienst himmlischen Lohn erhoffen. Manche Bischöfe sind zugleich Ärzte; sie übernehmen damit die im Anschluss an Mk 2,17 entstandene Tradition des Christus Medicus.7 Die griechische Heilkunde findet Eingang ins Christentum; Analogien von Seelsorge und Medizin werden hergestellt: So wie Krankheit als Ausdruck von Sünde gilt, wird Sünde wiederum als Krankheit bezeichnet. Gebet und Buße sind geistliche Arzneien, das seelsorgliche Vorgehen wird mit dem ärztlichen verglichen. Mit der Entstehung einer Staatskirche im 4. Jahrhundert kommt es zur Errichtung von Hospitälern durch die Kirche oder private Stifter. Die ersten Xenodochien nehmen alle Hilfsbedürftigen auf, Fremde, Arme, Witwen, Waisen und Kranke. Nur langsam kommt es zu einer Differenzierung der Zielgruppen. Dem Ortsbischof steht die Aufsicht über das Krankenhaus zu; Pflegepersonen

5 Hardeland, 1898, S. 22. 6 Eusebius, h.e. 7, 22, 7–10. Zitiert und übersetzt bei Harnack, 1892, S. 62 f. 7 Zum Motiv des Christus Medicus vgl. Honecker, 1986, S. 27–43.

I

36

I

Michael Klessmann

sind z. T. die sog. Parabolanen, die dem niederen Klerus angehören, z. T. Privat­ personen, die ein opferwilliges Leben führen wollen. Das Mönchtum widmet sich in besonderer Weise der Kranken- und Armenpflege; einem Kloster ist häufig ein Xenodochium zugeordnet. Unter dem Einfluss des Mönchtums wird Seelsorge zunehmend mit Kirchenzucht verknüpft. Die Benediktinerregel (um 540) macht die Fürsorge für die kranken Mitglieder der Klostergemeinschaft zur besonderen Pflicht (Reg. Ben. 36), weil der Dienst an den Kranken als Dienst an Christus gilt. In der karolingischen Reform wird die Benediktinerregel erneuert und verschärft: Kenntnisse der griechischen Heilkunde werden in den Klöstern zurückgedrängt, abergläubisch-magische Praktiken breiten sich aus, der geistlichen Zucht kommt immer stärkeres Gewicht zu. In einem Kommentar zur Benediktinerregel aus dem 9. Jahrhundert heißt es, der Abt habe dafür Sorge zu tragen, »dass die Kranken ihre Sünden beichten, die Sakramente empfangen, regelmäßig die Messe hören, dass sie besucht, getröstet und ermahnt werden.«8 Die Reihenfolge dieser Vorschrift und die Strenge ihrer Durchführung erklärt sich aus der zugrunde liegenden Sicht von Krankheit: Krankheit als Folge und Ausdruck der Sünde gilt als heilsames Zuchtmittel, das man eher suchen als bekämpfen soll. Krankenpflege und -seelsorge haben vornehmlich einen religiös-moralischen Charakter. Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten zunächst zur Beichte zu veranlassen und dann erst die körperliche Behandlung aufzunehmen. Irdische Arznei kann besser wirken, wenn der Mensch geistlich rein ist.9 Dieser Grundgedanke manifestiert sich sogar in der Architektur des Spitals.10 Im 12. und 13. Jahrhundert bildet sich ein neuer Spital-Typus: In den aufblühenden Städten gibt es mehr Arme und Kranke, für die das Gemeinwesen Verantwortung übernehmen muss. Durch den Kreuzzugsgedanken und die Armutsbewegung wächst eine neue Hochschätzung von Armen und Kranken als domini nostri pauperes (die Armen unseres Herrn). Eine Fülle von Spitalorden entsteht, in denen sich kämpferischer Kreuzfahrergeist mit aufopfernder Nächstenliebe und monastischer Lebensführung verbinden. Auch außerhalb von Spitälern gilt Krankenseelsorge als besondere christliche Pflicht; das zeigen z. B. die Legenden von Elisabeth von Thüringen oder      8 Zitiert bei Hardeland, 1889, S. 190.      9 Diepgen, 1958, S.  18. 10 Vgl. Schipperges, 1990, S. 179: »Die Betten in den Sälen waren ausgerichtet auf einen Altarraum, so dass alle Kranken von ihrem Bett aus am Gottesdienst teilnehmen konnten«. Auf dem Cover des Buches von Thilo (1985) »Die therapeutische Funktion des Gottesdienstes« ist der auf die Beschreibung von Schipperges zutreffende Kranken- und zugleich Gottesdienstsaal aus dem Kloster Beaune/Burgund abgebildet.

Von der Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge

37

Hedwig von Schlesien. Denen, die Kranke pflegen, erwächst himmlischer Verdienst; ihre Tätigkeit ist eine Kontemplation des Leidens Christi, durch das sie zur Vollendung gelangen können. Ein sakramentales Verständnis der Seelsorge, das an den Vollzug der Beichte und die Schlüsselgewalt des Priesters gebunden ist, bleibt bis ins 16. Jahrhundert relativ stabil bestehen. Größere Hospitäler im ausgehenden Mittelalter verfügen über eine eigene Kirche mit einem Priester, der, von der Lokalparochie freigestellt, nur für das Spital da ist.11

2 Tröstung und Beistand sind die veränderten Kennzeichen der Seelsorge an Kranken bei Martin Luther. Die Beichte soll ihre Strenge verlieren; sie soll ein fröhliches Geschehen werden, zu dem man nicht mehr den Priester, sondern nur einen anderen Christen braucht. Lasst uns »einer dem andern beichten, raten, helfen und bitten, was nur immer anliegt heimlich, es sei Sünde oder Pein und gar nicht zweiffeln an solch lichter, heller Zusage Gottes […]«12 Auch Ratschläge, die Bibel zu lesen, zu beten, Geduld zu haben, Einsamkeit zu meiden und anregende Unterhaltung (Musik!) zu suchen, um der Sünde der Traurigkeit zu wehren, gibt Luther. Aber schon bei ihm selbst ist dieser Ansatz nicht konsequent durchgehalten. Angesichts der desolaten Lage vieler Gemeinden nimmt die Tendenz wieder zu, Beichte mit Glaubensverhör und Kirchenzuchtmaßnahmen zu verknüpfen. Vor allem für die reformierten Kirchen in der Schweiz ist die Vermischung von Krankenseelsorge und Kirchenzucht charakteristisch. Insgesamt behält Seelsorge an Kranken, Gefangenen und Armen in den Kirchen der Reformation großes Gewicht; viele Kirchenordnungen nennen diese Aufgabe explizit und geben konkrete Verhaltenshinweise. In den großen Städten werden Pfarrer nur für den Krankenbesuch angestellt. Im Pietismus erscheint Krankheit als günstige Gelegenheit, dass sich jemand dem Wort Gottes öffnet und zur Bekehrung bereit wird. Dem Seelsorger erwächst daraus die große Verantwortung, keinen Kranken unbekehrt und ohne Gewissensrührung sterben zu lassen. Das Ziel des seelsorglichen Krankenbesuchs ist es,

11 Vgl. Seiler, 1994, S. 119. 12 Von der Beicht, WA 8, 184, 21–24.

I

38

Michael Klessmann

»dass der Kranke die von Gott geschickten Schmerzen mit Gedult ertrage, […] an Gott sich völlig ergebe, die Welt freudig verlasse, […] dem Bild Christi im Leiden immer ähnlicher werde […] und also getreu sey biss in den Tod […]«13.

I

Gleichzeitig gibt es im Pietismus auch gegenläufige Tendenzen: Zum ersten Mal wird Krankenseelsorge zum freien Gespräch, in dem die Nöte des einzelnen Menschen Raum haben. Zinzendorf etwa versteht Seelsorge als Ausdruck freilassender, teilnehmender Liebe. Diese neuen Aspekte von Individualität und Freiheit als leitende Prinzipien für die Seelsorge erhalten durch die Aufklärung bis hin zu Schleiermacher zunehmend Gewicht. Krankenseelsorge im Gefolge des Rationalismus setzt andere Akzente: Der Pastor grenzt sich in seinem Selbstverständnis vom Priester ab, definiert sich als Freund und guter Mensch: »[…] wir kommen gleich anderen guten Freunden, um durch Zuspruch, durch freundschaftliche Unterredung und durch christlichen Trost den Kranken aufzuheitern, ihn auf einige Augenblicke seine Schmerzen vergessen zu lassen und […] das namenlose Elend lebenswidriger Lasterhaftigkeit, den überschwenglichen Lohn der Tugend anschaulich und so für die Anwesenden den ganzen Auftritt lehrreich zu machen.«14 Krankheit wird als innerweltliches Geschehen verstanden, ein Zusammenhang mit Sünde wird nicht unterstellt. Moralische Besserung, Tröstung, auch leiblich-medizinische Hilfe, sind Aufgaben des Seelsorgers, dem Menschenkenntnis und psychologisches Wissen empfohlen wird; die Begleitung Sterbender wird eher gemieden. Die Krankenseelsorge der Inneren Mission ist deutlich von pietistischen Elementen geprägt. Für Johann Hinrich Wichern, Wilhelm Löhe, Theodor Fliedner, Johann Christoph Blumhardt und Friedrich von Bodelschwingh ist Seelsorge eine unverzichtbare Dimension jeder Diakonie. Die Erneuerung der weiblichen Diakonie als Integration von Pflege und Seelsorge bekommt von hier entscheidende Impulse. Seit dem 19. Jahrhundert entwickelt sich eine im strengen Sinn naturwissenschaftlich orientierte Medizin, die Krankheit kausal als Störung im Zell- und Organhaushalt interpretiert (z. B. Rudolf Virchows Konzept der Zellularpatholo13 Marperger, 1717, S. 212 f. 14 Boysen/Boysen, 1797, S. 189 f.

Von der Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge

39

gie) und religiöse Deutungen in Medizin und Pflege abweist. In diesem Kontext erscheint eine sich vorwiegend kerygmatisch (Thurneysen: Seelsorge als Verkündigung des Wortes Gottes an den Einzelnen) oder sakramental verstehende Seelsorge zunehmend beziehungs- und funktionslos. Gleichzeitig bekommt die Krankenhausseelsorge durch die Weimarer Reichsverfassung von 1919 eine gesetzlich garantierte Stellung im Krankenhaus – eine Sicherheit, die sie vom zufälligen Wohlwollen der Verwaltung oder der Chefärzte unabhängig macht.

3 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnen sich tiefgreifende Veränderungen in der Krankenseelsorge ab. Die verbreitete Säkularisierung der deutschen Gesellschaft sowie die enormen medizinischen Fortschritte, verbunden mit einer zunehmenden Differenzierung und Spezialisierung von Medizin und Pflege in den Krankenhäusern verlangen entsprechende Anpassungen von der Krankenseelsorge. Den Seelsorgenden wird bewusst, dass es nicht ausreicht, einzelne kranke Menschen im Krankenhaus zu besuchen, dass man vielmehr die Mitarbeitenden und das System Krankenhaus als Ganzes, dessen Kommunikationskultur und ethische Ausrichtung, mit in den Blick nehmen muss. Angestoßen durch die empirische Ausrichtung der amerikanischen Seelsorgebewegung (Clinical Pastoral Training) entwickelt sich ein verändertes Verständnis von Seelsorge: Sie wird, so exemplarisch Dietrich Stollberg, begriffen als »Mitteilung des Evangeliums im Medium der Beziehung«. »Der Seelsorger bezeugt die Liebe Gottes mit seiner ganzen Existenz, auch nichtverbal. Seine menschliche und unvollkommene Liebe bezeugt die göttliche und vollkommene Liebe.«15 Es entsteht eine Krankenhausseelsorge, die es sich zur Aufgabe macht, Gesprächspartner nicht nur für die Patient*innen zu sein, sondern auch für die Mitarbeitenden und darüber hinaus an der kommunikativen und ethischen Orientierung der Institution als Ganzer mitzuarbeiten. Die beiden großen Kirchen errichten in den 1970er-Jahren deutlich mehr Stellen für die Krankenhausseelsorge in dem Bewusstsein, dass die traditionelle kirchlich-parochiale Arbeit viele säkular denkende Menschen nicht mehr anspricht. Krankenhausseelsorge wird zu einem Dienst der Kirche an der Zivilgesellschaft: Die Institution als Ganze soll mit einem christlichen Wirklichkeitsverständnis konfrontiert werden;16 auch kirchendistanzierte und anders-­ 15 Stollberg, 1978, S. 44. 16 Vgl. meinen Beitrag zur Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im vorliegenden Band.

I

40

I

Michael Klessmann

religiöse Menschen schätzen in der Krise einer Krankheit die Gelegenheit, mit einer außenstehenden Person über ihr Leben in dieser krisenhaften Situation nachzudenken. Die Geh-Struktur der Krankenhausseelsorge erweist sich als hilfreich. Ökumenische Zusammenarbeit wird weitgehend selbstverständlich. Seit den 1990er-Jahren hat es noch einmal weitergehende Spezialisierungen und Pluralisierungen der Krankenhauslandschaft in Deutschland gegeben; die verbreitete Ökonomisierung des Krankenhauses verkürzt die Liegezeiten der Patienten, erhöht den Arbeitsdruck für alle Mitarbeitenden, wirft verstärkt ethische Probleme auf – Veränderungen, von denen Krankenhausseelsorge natürlich mit betroffen ist. Systemische Konzepte, die zunehmend Eingang in die Seelsorgeausbildung gefunden haben, sind geeignet, die Dynamik des Systems Krankenhaus als Ganzes angemessen in den Blick zu nehmen. Im Jahr 2014 gab es in Deutschland insgesamt 1980 Krankenhäuser mit ca. 860.000 Vollzeitkräften, die ca. 19 Millionen Menschen stationär versorgt haben.17 Dem stehen in den großen Kirchen etwa 2000 Vollzeit-Kräfte und viele Ehrenamtliche in der Seelsorge gegenüber. Allein diese zahlenmäßige Relation nötigt zur Bescheidenheit im Blick auf realistische Möglichkeiten der Seelsorge in den Krankenhäusern. Auf Seiten der evangelischen Krankenhausseelsorge wurde 1961 eine Konferenz der Krankenhausseelsorge in der EKD gegründet, in der Repräsentanten der Krankenhausseelsorge aller Landeskirchen vertreten sind. In der Verantwortung dieser Konferenz sind im Jahr 2004 Leitlinien18 veröffentlicht worden, die als konzeptionelle Grundlage für gegenwärtige Krankenhausseelsorge verstanden werden können. Auch auf katholischer Seite gibt es eine Konferenz Katholische Krankenhausseelsorge im Rahmen des katholischen Krankenhausverbands KKVB, in der die Diözesanbeauftragten für Krankenhausseelsorge vertreten sind. Beide Konferenzen formulieren Zielsetzungen und Qualitätsstandards für Krankenhausseelsorge. Ein erster ökumenischer Kongress zur Standortbestimmung der Seelsorge im Krankenhaus angesichts der tiefgreifenden Strukturveränderungen der Krankenhauslandschaft in Deutschland fand im März 2017 in München statt.19 Gegenwärtig steht die Krankenhausseelsorge vor einer Reihe von Herausforderungen, die abschließend kurz benannt werden sollen: ȤȤ Kirchlich verantwortete Krankenhausseelsorge muss ihr Selbstverständnis und ihre Aufgaben neu bestimmen in Auseinandersetzung mit einer sich überkonfessionell verstehenden und nicht an theologisch qualifiziertes Per17 Nach Simon, 2017, S. 211 ff. 18 Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD, 2004. 19 Vgl. Hagen/Groß/Jacobs/Seidl, 2017.

Von der Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge

ȤȤ

ȤȤ

ȤȤ

ȤȤ

ȤȤ

ȤȤ ȤȤ

ȤȤ

41

sonal gebundenen spiritual care, wie sie beispielsweise in der Palliativmedizin praktiziert wird.20 Die Liegezeiten von Patient*innen reduzieren sich weiterhin; gleichzeitig wächst die Zahl derer, die ambulant behandelt werden. Seelsorge beschränkt sich dann häufig auf eine Begegnung; längerfristige Begleitungen (auf der Onkologie oder der Palliativstation) werden die Ausnahme. Die Fähigkeit der Seelsorgenden zur momentanen Präsenz ist damit besonders gefordert. In manchen Landeskirchen bzw. Diözesen ist die Tendenz zu beobachten, Krankenhausseelsorge zugunsten ortsgemeindlicher Arbeit zu kürzen bzw. sie von der Parochie aus zu betreiben. Diese Tendenzen erscheinen für die Zukunft der Kirchen wenig verheißungsvoll und sollten abgewiesen werden. Ethische Fragen bekommen immer größeres Gewicht im modernen Krankenhaus; entsprechend müssen sich Krankenhausseelsorgende auch im Blick auf ethische Themen qualifizieren. Begegnungen mit anders-religiösen und agnostisch eingestellten Menschen nehmen weiter zu und fordern von den Seelsorgenden besondere Sprachfähigkeit in für sie fremden Lebenszusammenhängen. Systemisch orientierte Weiterbildung, die gezielt den institutionellen Kontext der Krankenhausseelsorge in den Blick nimmt, wird unverzichtbar für die fachliche Qualifizierung der Krankenhausseelsorge. Möglichkeiten der Refinanzierung der Krankenhausseelsorge durch die jeweiligen Träger müssen noch intensiver als bisher geprüft werden. Die zunehmende Beschäftigung von nicht akademisch-theologisch vorgebildeten Personen aus anderen Berufen und von Ehrenamtlichen in der Krankenhausseelsorge wird angesichts des absehbaren Mangels an theologischem Personal immer wichtiger. Empirische Forschung zu dem, was Krankenhausseelsorge tut und welche Wirkungen sie erzielt (Stichwort: Zusammenhang von Religion/Religiosität und Gesundheit), werden zunehmend gefordert.

Krankenhausseelsorge repräsentiert ein anderes Modell von Kirche als die Ortsgemeinde: Kirche im Krankenhaus erscheint eher prozesshaft und an kleinen Zahlen orientiert (Gemeinde geschieht, »wo zwei oder drei versammelt sind …«) und nicht mehr selbstverständlich von volkskirchlichen Überzeugungen und stabilen, dauerhaften Strukturen fundiert; insofern kommt ihr für die Zukunft der Kirche exemplarische Bedeutung zu. 20 Vgl. den Beitrag von Karoline Labitzke »Seelsorge auf der Palliativstation – Grenzen erleben« in diesem Band.

I

Anfangendürfen – Seelsorge und Pastoraltheologie1

Hadwig Ana Maria Müller

I

Zu diesem Beitrag im Handbuch für Krankenhausseelsorge wurde ich eingeladen, um Pastoraltheologische Impulse aus Frankreich zu berücksichtigen. Die beiden Begriffe – Seelsorge und Pastoraltheologie – sind also einzugrenzen: Es geht um Krankenhausseelsorge und um die pastorale d’engendrement, die ich hier als Pastoral des Anfangendürfens übersetze. Ihre theologische Reflexion begleitet eine Praxis, die sich in den 1980er-Jahren in Frankreich in der Krankenhausseelsorge entwickelte. Aus der Beschreibung dieser Praxis ergeben sich konkrete Anregungen für die Seelsorge im Krankenhaus.

1 Eingrenzungen Der Begriff Seelsorge »begegnet sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche in einer zweifachen Bedeutung: Zum einen wird damit die Gesamtheit kirchlichen Tuns (cura animarum generalis) bezeichnet, zum anderen dasjenige pastorale Handeln, das sich speziell an Einzelne oder überschaubare Gruppen richtet (cura animarum specialis).«2 Hier geht es um die Seelsorge im zweiten Sinn. Zu dieser speziellen, an Einzelne und überschaubare Gruppen gerichteten Seelsorge gibt Norbert Mette drei Hinweise, die sich für unseren Zusammenhang als hilfreich erweisen.

1 Pastoraltheologie wird hier und im Folgenden nicht im Sinne der theologischen Theorie des Handelns der Pfarrerinnen und Pfarrer verstanden, sondern im weiten Sinn der katholischen Praktischen Theologie. 2 Mette, 2005, S. 89. Auf den Seiten 227–228 gibt Mette unter dem Stichwort »Seelsorgelehre« einen Überblick über die evangelische und katholische Fachliteratur.

Anfangendürfen – Seelsorge und Pastoraltheologie

43

Der erste Hinweis gilt dem Grund für den Gebrauch dieses alten Begriffs Seelsorge auch heute: Er bringt treffend zum Ausdruck, »dass dieses kirchliche Tun im Unterschied zu vergleichbaren profanen Tätigkeiten wie Beratung und Therapie in besonderer Weise auch die geistliche bzw. spirituelle Dimension menschlicher Existenz berücksichtige und entsprechend ganzheitlich vorgehe.«3 Der zweite Hinweis betrifft das Subjekt der Seelsorge: Sie ist »kein Handlungsfeld […], für das nur professionell dafür Ausgebildete zuständig sind. […] [G]emäß dem Theologumenon vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen ist ernst zu nehmen, dass alle Christen und Christinnen aktiv am seelsorgerlichen Wirken der Kirche partizipieren, so wie alle, auch die hauptamtlich Tätigen, ihrerseits der Seelsorge bedürfen.«4 Der dritte Hinweis betrifft den Vollzug der Seelsorge: »Seelsorge vollzieht sich wesentlich im Gespräch, sei es im Dialog zwischen Seelsorger bzw. Seelsorgerin und Klient bzw. Klientin oder sei es in der Kleingruppe zwischen allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen.«5 Ein kirchliches Handeln, das mit der Präsenz Gottes in der Existenz eines Menschen rechnet, das von allen Christen ausgeübt werden kann und das sich hauptsächlich im Gespräch – auch innerhalb eines Seelsorgeteams – vollzieht, diese Charakterisierung der speziellen Seelsorge gilt noch einmal in besonderer Weise für die Seelsorge im Krankenhaus. Um diese nun näher zu beschreiben, beziehe ich mich auf Unterlagen der katholischen Kirche und Theologie in Frankreich. 1982 verabschiedete die Vollversammlung der französischen Bischöfe »Pastorale Vorgaben für Einrichtungen des Gesundheitswesens«, ein Papier von wenigen Seiten, das bis heute maßgeblich ist.6 Gleich zu Beginn findet sich die Erklärung dafür, dass in Frankreich von einer Pastoral der Gesundheit gesprochen wird (Pastorale de la santé).

3 4 5 6

Mette, 2005, S. 90. Mette, 2005, S. 91. Mette, 2005, S. 90–91. »Des Propositions pastorales pour le monde de la santé« der Assemblée plénière de l’épiscopat, 1982.

I

44

Hadwig Ana Maria Müller

»Pflegen, heilen, zum Leben bringen: das ist die den Einrichtungen des Gesundheitswesens eigene Dynamik; sie geht aus einer Hoffnung, einer Liebe zum Menschen hervor. Eben hier verwurzelt sich eine Pastoral der Gesundheit.«

I

Die von den französischen Bischöfen ausgesprochenen Empfehlungen für diejenigen, die in der Pastoral der Gesundheit aktiv sind, verdienen auch im deutschen Kontext Interesse. 1. Kranke Menschen und solche mit einem Handicap sollen in ihrem Recht auf Teilhabe anerkannt werden. Sie sollen am Leben christlicher Gemeinden ohne Einschränkungen teilnehmen und die Werte des Evangeliums beitragen können, die sie leben. 2. Kranken Menschen in psychiatrischen Einrichtungen soll mit einer bestimmten Haltung begegnet werden, nämlich im Bewusstsein ihrer Würde als Töchter und Söhne Gottes und ihrer Fähigkeit, den Glauben zu leben; auch das den Ärzt*innen und Pflegenden entgegengebrachte Interesse soll vom Bewusstsein getragen sein, dass ihr anspruchsvoller Dienst als solcher ein Dienst im Sinne des Evangeliums ist. 3. Eine Ausbildung soll gewährleistet werden, die Haupt- und Ehrenamtlichen in den Gesundheitseinrichtungen erlaubt, die spirituellen, psychologischen und sozialen Dimensionen, die zu jeder echten menschlichen Beziehung gehören, zur Entfaltung zu bringen. 4. Austausch und Kommunikation sollen angeregt werden. Die Evangelisierung kann nicht anders vor sich gehen als durch Gläubige, die einzeln oder als Team Zeugnis geben. 5. Für die Seelsorge in Pflegeeinrichtungen sollen Teams gebildet werden. Die Bischöfe ermutigen ausdrücklich dazu, die Krankenhausseelsorge durch die Bildung von Seelsorgeteams zu erneuern und durch die Ernennung von Verantwortlichen, die nicht Priester, wohl aber adäquat ausgebildet sein müssen.7 Diese Empfehlungen erweisen sich in Frankreich bis heute als fruchtbar. Für Jean-André Noual, damals Mitglied der nationalen Geschäftsstelle für die Seelsorge in Krankenhäusern liegt der Grund der guten Rezeption der Empfehlungen darin, dass sie bei den Akteuren der Seelsorge einem tiefen Bedürfnis nach Treue zu den Evangelien entsprechen und ihnen zugleich neue Ideen zutrauen bzw. sie von ihnen erwarten.8 Mit der klaren Empfehlung von Teams als Akteu7 Vgl. Assemblée plénière de l’épiscopat, 1982, S. 2–4. 8 Vgl. Theobald, 2008, S. 218; Noual, 2012, S. 170–173.

Anfangendürfen – Seelsorge und Pastoraltheologie

45

ren der Seelsorge schaffen sie die Voraussetzung dafür, neue Ideen gemeinsam zu erproben. Auf diese Weise konnte besonders eine Idee umgesetzt werden: überraschende Wendungen bei einem Krankenbesuch festzuhalten, im Team zu besprechen und dabei eine pastorale Relecture zu finden, um den Sinn dessen zu entschlüsseln, was sich in dieser Begegnung mit einem kranken Menschen ereignet hatte. Diese sich mehr und mehr etablierende Praxis führte bei den begleitenden Theologen zu pastoraltheologischen Überlegungen unter dem Stichwort der pastorale d’engendrement. Dieser im Deutschen bisher als zeugende Pastoral übersetzte französische Begriff bezieht sich also sowohl auf eine pastorale Praxis als auch auf deren theologisches Durchdenken, das in zwei Publikationen von Philippe Bacq und Christoph Theobald vorgestellt wurde.9 Die Tatsache, dass die pastorale d’engendrement Pastoral und Pastoraltheologie zugleich ist, erschwert ihre Zuordnung zu einem der vielfältigen Ansätze deutschsprachiger Pastoraltheolog*innen.10 Sie gehört zu jenem Typ von Pastoraltheologie, der die Praxis der Kirche reflektiert, und genauso zu jenem anderen Typ von Pastoraltheologie, für den die Praxis der Menschen überhaupt Gegenstand und kritische Instanz ist.11 Auch pastoral-praktischen Konzepten kann die pastorale d’engendrement nicht zugeordnet werden. Diese lassen sich mit Philippe Bacq in vier Richtungen unterscheiden.12 1. Die Pastoral der Weitergabe bestimmte jahrhundertelang das Leben der Pfarreien. Ihr erstes Ziel war es, den Glauben wie ein Erbe von den Eltern an die Kinder weiterzugeben. Sie lieferte einen Rahmen für das Leben der Gläubigen von der Geburt bis zum Tod und gab ihrem Leben eine Ordnung, maßgeblich bestimmt durch den Empfang der Sakramente und die Person des Ortspfarrers. 2. Die Weitergabe des Glaubens kann aber nicht bedeuten, dass Menschen belehrt werden, ohne selbst existenziell beteiligt zu sein. Die Pastoral der ansprechbaren Präsenz lässt Menschen ihre Sehnsüchte und Fragen selbst aussprechen. 3. Die Achtung vor der Freiheit jedes, jeder Einzelnen ist maßgeblich. Das besagt die Pastoral des Vorschlagens, die damit ernst macht, dass der Glaube eine Sache der Entscheidung ist.      9 Bacq/Theobald, 2004; Bacq/Theobald, 2008. Vgl. Feiter/Müller, 2012. 10 Wie unterschiedlich diese sind, dokumentieren die Beiträge zur Wissenschaftstheorie in: Pastoraltheologische Informationen 35 (2015) Heft 2, und die Beiträge zu dem Symposion »Pluralität im eigenen Haus. Selbstverständnisse praktischer Theologie« in: Pastoraltheologische Informationen 20 (2000) Heft 2. 11 Vgl. Feiter, 2012b. Für das Verständnis von Pastoral und Pastoraltheologie, das ich hier zugrunde lege, verweise ich auf diese Einführung und die dort angegebene Literatur (S. 60–63). 12 Für den folgenden Abschnitt vgl. Bacq, 2012.

I

46

Hadwig Ana Maria Müller

4. Schließlich weist die Pastoral der Initiation darauf hin, dass Menschen einander gegenseitig mit einem ganzheitlich gelebten Christentum vertraut machen und so in den Glauben initiieren. Im Verhältnis zu diesen pastoralen Strategien liegt die Pastorale d’engendrement auf einer anderen Ebene. »Die zeugende Pastoral [schöpft] ihre Inspiration aus einer bestimmten Art, sich auf die Erzählungen des Ursprungsdokuments des Glaubens, die Bibel, zu beziehen.«13 »Die zeugende Pastoral ist […] nicht eine Pastoral unter anderen und noch weniger eine Technik oder eine besondere Methode, sondern ein Weg zurück zum Ursprungsprinzip der Pastoralität – nämlich zu dem, was Geburt und Reifung des Glaubens möglich macht – ein Weg zurück, der möglich und sinnvoll geworden ist dank der institutionellen und kulturellen Erosion der Kirche, die Raum gibt, Neuem zum Leben zu verhelfen.«14

I

Was dieses Ursprungsprinzip der Pastoralität besagt, liest Christoph Theobald am Zweiten Vatikanischen Konzil ab, das Johannes XXIII. als ein Konzil mit pastoralem Charakter ankündigte: »Es gibt keine Verkündigung des Evangeliums Gottes ohne Einbeziehung des Adressaten, genauer gesagt, das, um was es in der Verkündigung geht, ist im Adressaten schon am Werk, sodass er bzw. sie es in Freiheit annehmen kann.«15 Dieses Prinzip dessen, was christliche Pastoral ausmacht, ist in ihrem Ursprungsdokument selbst zu erkennen: »Das ist das absolut spezifische Interesse des Jesus von Nazareth an der Geburt des Glaubens […].«16 »Indem nun die Kirche die Erzählungen des Evangeliums bzw. die ganze Bibel als ihren eigenen Text ansieht, erkennt sie, dass sie eingeladen ist, 13 14 15 16

Bacq, 2012, S. 42. Theobald, 2012a, S. 103. Theobald, 2012a, S. 102. Theobald, 2012a, S. 109.

Anfangendürfen – Seelsorge und Pastoraltheologie

47

zunächst und vor allem das pastorale Dienstamt Jesu selber auszuüben, so wie er in Galiläa. Das tut sie, wenn sie sich für jede und jeden interessiert, die unerwartet auftauchen, wenn sie die einzelnen in ihrer Einzigartigkeit und genau an diesem Punkt ihres Lebenswegs respektiert, ohne ein Projekt für sie zu haben, und wenn es ihr gelingt, in glaubwürdiger Weise für sie das ›Selig!‹ der Seligpreisungen zu Gehör zu bringen.«17 Ich grenze die Pastoraltheologie also auf die pastorale d’engendrement ein. Bisher haben wir im Deutschen von der zeugenden Pastoral gesprochen. Ich ziehe jetzt vor, von der Pastoral des Anfangendürfens zu sprechen. Warum? Der Begriff des Zeugens ist eine Metapher, und es gehört zur Metapher, dass sie »nicht stimmt«18, sie soll gerade irritieren. Es ist hilfreich, durch eine Metapher ins Stolpern zu kommen. Das Stolpern über die Metapher des Zeugens bringt dem Hörer, der Leserin, die untrennbare Verbindung von Glauben und Leben bzw. Leben und Glauben in neuer Weise nahe.19 Nicht hilfreich ist es jedoch, durch die Metapher möglicherweise in einer Vorstellung bestärkt zu werden, die dem Ursprungsprinzip der Pastoralität zuwiderläuft: dass Pastoral nämlich etwas wäre, was von einem Pastoraltätigen ausgeht. Dem Ursprungsprinzip der Pastoralität entsprechend rechnet der Pastoraltätige vielmehr mit dem Zusammenwirken mehrerer Subjekte.20 Freilich ist da eine Pastoralarbeiterin, aber ihre Aufgabe ist es nicht zuletzt, aufmerksam dafür zu sein, dass und auch in welcher Weise das gute Leben, dem sie zu dienen sich müht, in der anderen Person schon am Werk ist. Dieser Plural der Subjekte einer Pastoral kommt besser zum Ausdruck, wenn ich von der Pastoral des Anfangendürfens spreche. In seiner Relecture der Hintergründe der pastorale d’engendrement hebt Reinhard Feiter die Aufmerksamkeit hervor, die hier »eben diesem immer wieder von Neuem erstaunlichen Anfang eines Anfangens selbst« gilt. Und er präzisiert unter Verweis auf Hannah Arendt: »Nicht dem, was sich entwickelt und andauert oder auch vergeht, 17 Theobald, 2012a, S. 105. 18 Vgl. Feiter, 2012a, S. 140. 19 Feiter, 2012a, S. 143: »Das Zum-Glauben-Kommen des Menschen kann im Bild der Zeugung des Lebens ausgesagt werden, weil und insofern das Leben im Licht des Evangeliums zu keinem Zeitpunkt und in keiner Lage ein irgendwie bloß natürliches Leben ist. Im Gegenteil, nach biblischem Schöpfungsglauben ist das Leben eine von Gott in unbedingter Freiheit hervorgebrachte von ihm verschiedene Wirklichkeit […].« Vgl. Theobald, 2012b, S. 115. 20 Donegani, 2012, hier S. 70: »Die zeugende Pastoral ist […] eine Haltung der Empfänglichkeit für das eben in jedem Menschen. […] In dieser Beziehung gibt es weder einen Meister noch einen Vater noch einen Lehrer. Es gibt nicht einmal mehr die evangelisierende Person und die evangelisierte. Es gibt das Evangelium zwischen beiden, die Gute Nachricht in ihrem Zwiegespräch und in dem, was sie darin voneinander erkennen.«

I

48

Hadwig Ana Maria Müller

seinen Anfang aber nur hat, wendet sich die zeugende Pastoral zu, sondern dem, was fähig ist anzufangen«21. Der Zusatz des Anfangen-dürfens deutet an, dass diese ursprüngliche Fähigkeit und Freiheit des Anfangens nicht eine Sache des eigenen Wollens und Machens ist, sondern ein Geschenk.

2 Entwicklung einer Praxis, die als Pastoral des Anfangendürfens reflektiert wird

I

Von ihrer Geschichte her sind gerade die Seelsorge in den Einrichtungen des Gesundheitswesens und die Pastoral des Anfangendürfens eng miteinander verbunden. Ausgangspunkt ist eine von Seelsorger*innen nicht selten berichtete Erfahrung bei der Begleitung kranker Menschen: Etwas ereignete sich in ihrer Begegnung mit einem, einer Kranken, was sie verwundert und ratlos zurückließ, eine unerwartete Wendung im Gespräch, ein überraschendes Wort, eine Geste, auf die sie nicht gefasst waren. Diese Erfahrung verschafft sich in einem Fragen Ausdruck, auf das es keine Antwort gibt: »Was ist in dem Menschen mir gegenüber so unvermutet vor sich gegangen, dass er oder sie zu dieser unwahrscheinlichen Aussage oder Geste fähig ist?«22. Dem Nichtwissen, das sich hier äußert, Raum zu geben, ist unbequem und kann belastend sein, vor allem wenn die einzelne Seelsorgerin oder der einzelne Seelsorger damit allein bleibt. Ihr Fragen führt nicht weiter, zudem betrifft es meistens auch sie selbst, ihre Rolle, ihre Identität. Da liegt es nahe, die erfahrene Ratlosigkeit nicht weiter zu beachten. Sie ist jedoch der Schlüssel für eine Praxis in der französischen Krankenhausseelsorge, die in der sie begleitenden theologischen Reflexion seit den 1990er-Jahren pastorale d’engendrement, Pastoral des Anfangendürfens genannt wird. Ausgangspunkt einer Pastoral des Anfangendürfens ist diese fundamentale Ratlosigkeit. Das Unvermutete, Unwahrscheinliche des Erlebten drängt auf Erklärung. Wer ist der Urheber? Wer ist es, der dieses Anfangen schenkt? Der Seelsorger, der durch die Begegnung mit dem bzw. der Kranken staunend vor einem Anfang steht, von dem er nicht weiß, woher er kommt und wohin er führt? Der kranke Mensch, der – vielleicht durch die Präsenz einer Seelsorgerin an seiner Seite – zu einem unerwarteten Wort, einer überraschenden Geste fähig ist und damit einen geheimnisvollen Anfang setzt? Oder darf in der nicht vorhersehbaren, nicht geplanten oder gar herbeizuführenden Wende einer 21 Feiter, 2012a, S. 114. 22 Noual, 2012, S. 170.

Anfangendürfen – Seelsorge und Pastoraltheologie

49

Begegnung ein Leben selbst anfangen, überraschend auch in dem Sinn, dass es das Wissen darüber, was Leben ist, infrage stellt? Ist es der Schöpfer alles Lebendigen, der aufs Neue sein Staunen über die Schöpfung ausruft? Hier liegt der springende Punkt23 einer Pastoral des Anfangendürfens von Leben: Was sich in einer Begegnung ereignet, behält gegenüber allen Versuchen des Erklärens und Verstehens seine Fremdheit, seinen Überraschungscharakter, es bleibt ein Geheimnis. »Der Same keimt und wächst, er weiß nicht wie …« (Mk 4,27) Diesem Nichtwissen gilt es auf der Spur zu bleiben, mit Mitteln des Wissens, mit der Anstrengung des Denkens. Um für die überraschende Seite eines Ereignisses aufmerksam zu sein, genügt es, sich klar zu machen, dass ein Ereignis als solches erst im Nachhinein festgestellt wird: als etwas also, was sich zwar an dem Handelnden, aber zugleich ohne ihn als handelndes Subjekt ereignet hat.24 Außerdem ist jede Begegnung so einzigartig wie die daran Beteiligten, und ihr Verlauf ist schon allein dadurch unvorhersehbar. Schließlich kann, wer sich darauf einlässt, die erlebten Überraschungen erinnernd durchzuarbeiten, entdecken, dass »sich alles so abspielt, als würde ein anderer durch die Person unseres Gegenübers sprechen oder in Erscheinung treten, ohne dass deren Gesicht oder Sprechweise eine Spur davon zu erkennen gibt. Während ich dieser Person zuhöre und meinem Blick nichts Besonderes auffällt, erreichen mich die Worte eines anderen. Man muss sich zweifellos diese Anstrengung der Aufmerksamkeit auferlegen, um dahin zu gelangen, dass wir im Glauben Gott als in einer solchen Begegnung gegenwärtig erkennen.«25 Wer in dieser Weise beim Staunen bleibt und die Bestürzung über das, was sich in der Begegnung mit einer Kranken ereignete, aushält, kann dahin gelangen, in der Fremdheit des Erlebten einen Hinweis auf die Gegenwart Gottes zu lesen. Dafür ist große Demut nötig. »Der Same keimt und wächst, er weiß nicht wie … Diese Worte sagen aber vor allem: Keine Berechnung, kein Kunstgriff können den ersetzen, der wachsen lässt. Wir sind also gewarnt: Wer sich in einer Mission engagiert, wählt 23 Die Redewendung vom springenden Punkt ist hier besonders passend, bezieht sie sich doch ursprünglich auf die Beobachtung des sich bewegenden Punktes im Vogelei, Hinweis auf das Leben, das hier anfangen darf: vgl. Kröger, 2016, S. 423. 24 Vgl. Feiter, im Druck. Es geht um die Ereignisse, die sich der sauberen Aufteilung in objektive Vorkommnisse und subjektive Akte nicht fügen. 25 Noual, 2012, S. 183.

I

50

Hadwig Ana Maria Müller

die Entmachtung, wählt den Verzicht auf Effizienz sowie auf die Werkzeuge des Erfolgs. Dieses Niveau der Demut eines einfachen Knechtes erreicht niemand, ohne sich persönlich in Frage stellen zu lassen und ohne die Unterstützung durch andere.«26

I

Mehrere Bedingungen erleichtern die demütige Anerkennung, dass es ein anderer ist, der im Austausch zwischen Seelsorgerin und Kranken ein überraschendes Anfangen schenkt. Eine Bedingung ist die Relecture. Texte aus den Evangelien werden hinzugenommen, um auf ihrem Hintergrund die eigenen Erfahrungen noch einmal zu lesen – was immer auch bedeutet, dass diese biblischen Erzählungen auf dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen neu verstanden werden. Eine solche Relecture geschieht in der Gruppe, im Team. Dieses ist die zweite Bedingung, um zu akzeptieren was geschieht: Der Austausch mit Kolleg*innen ist hilfreich, besonders wenn die erlebte Ratlosigkeit das Zentrum bisheriger Sicherheiten betrifft. In der Krankenhausseelsorge in Teams zu arbeiten, wird von den französischen Bischöfen in ihren Empfehlungen von 1982 geradezu zur Bedingung gemacht. Damit nun die Relecture im Team stattfinden kann, ist schriftliches Erzählen nötig, eine Praxis, die von den Seelsorgeteams erfunden wurde, ermutigt durch die Bischöfe, die von ihnen neue Ideen erwarteten. »Und zwar kam bei einigen Mitgliedern der Seelsorgeteams, die im Lauf ihrer Begegnungen mit Kranken unerwartete Wendungen erlebten, die Praxis auf, von ihren Erfahrungen schriftlich zu erzählen. Zunächst waren es nur einzelne zögernde Initiativen. Es gab auch Vorbehalte dagegen, von der mündlichen zur schriftlichen Erzählung überzugehen. Umso nahliegender ist es, nach den Motivationen derer zu fragen, die solche ›Erzählungen‹ verfassten und verfassen. Sicher treibt sie vor allem das Anliegen, die Verwunderung darüber nicht für sich zu behalten, wie traditionelle Denkmuster durch den unerklärlichen Verlauf bestimmter Begegnungen durchbrochen wurden. Wahrscheinlich leitet sie auch der tief empfundene Anspruch, nicht beim Staunen über solche Erfahrungen stehen zu bleiben. Sie wollen Worte finden, um sie Kolleginnen und Kollegen in der Mission27 zugänglich zu machen und mit ihnen einen Prozess des unterscheidenden Erkennens in Angriff zu nehmen […] Der Übergang zu einer schriftlichen Erzählung, die Bericht 26 Noual, 2012, S. 182–183. 27 Mission meint hier wie auch sonst in vielen Dokumenten der französischen Kirche die kirchliche Beauftragung zu einem Dienst und wird dabei im grundlegend theologischen Sinn christlicher Sendung verstanden, der Ruf und Antwort vorausgehen. Aus diesem Grund lasse ich

Anfangendürfen – Seelsorge und Pastoraltheologie

51

und Zeugnis in einem ist, und ihre Mitteilung an einzelne Kollegen oder an das ganze Team bedeuteten zugleich schon eine erste Vertiefung. Diese wurde nach und nach ergänzt und bereichert durch einen zweiten Schritt, in dem die Teams der Krankenseelsorge ihre Arbeit im Evangelium zu verwurzeln suchten: Es handelt sich dabei um die pastorale Relecture der mit den Kranken erlebten Begegnungen im Licht einer Erzählung des Evangeliums, die den Sinn dieser Begegnungen erhellen hilft. Bis auf den heutigen Tag sehen wir diese Relecture als integralen Bestandteil der den Teams anvertrauten Mission.«28 Mit diesen drei Grundelementen – Team, erzählende Kommunikation und Relecture – ist die Krankenhausseelsorge in Frankreich ein Beispiel für die Pastoral des Anfangendürfens. Diese zielt darauf hin, das Wirken Gottes in einer Begegnung zu bezeugen und orientiert sich daran, wie Jesus von Nazareth in der Begegnung mit Kranken, die Heilung bei ihm suchten, die heilende Gegenwart Gottes in ihrem Glauben bezeugte. »Wenn wir versuchen, den geheimnisvollen Sinn dieser Gegenwart, die uns anvertraut ist, etwas besser zu verstehen […], werden wir vielleicht zu der Erkenntnis geführt, dass der Herr, der uns sendet, im Zwischen-zweien der Begegnung wirklich gegenwärtig ist.«29 Diesem Zitat aus dem 2002 vom französischen Nationalrat für Krankenhausseelsorge erarbeiteten Dokument, das die Empfehlungen der Bischöfe von 1982 bestätigt und den von ihnen angeregten Entwicklungen Rechnung trägt, fügt Jean-André Noual hinzu: »Hier geht es nicht um einen überzogenen Anspruch, sondern um ein gemeinschaftliches Projekt; in wenigen Worten wird hier eine Überlegung verdichtet, der bereits die langjährige Praxis der pastoralen Relecture zugrunde liegt. Diese Überlegung, die den Momenten des Staunens in vielen Begegnungen mit Kranken Rechnung tragen will, ist noch lange nicht abgeschlossen. Gestützt auf die Lektüre der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils wird sie bis heute fortgeführt. Sie will die Kranhausseeldas Wort Mission stehen. Sie steht ganz und gar im Dienst der Würde und Freiheit des anderen, im Gegensatz zur Missionierung als einem Handeln, bei dem der, die andere überredet, vereinnahmt, erobert werden soll. 28 Noual, 2012, S. 172 f. 29 Vgl. Assemblée plénière de l’épiscopat, 1982.

I

52

Hadwig Ana Maria Müller

sorgerinnen und -seelsorger dazu anregen, ihre Mission so zu leben, dass sie dort, wo Menschen mit dem Leiden und der Nähe ihres Todes konfrontiert sind, Gott den Platz einräumen, der ihm zusteht.«30

3  Drei Anregungen für eine Seelsorge im Krankenhaus

I

Aus der Pastoral des Anfangendürfens, wie sie in Frankreich in der Krankenhausseelsorge entwickelt wurde, ergeben sich drei Anregungen für die Krankenhausseelsorge in Deutschland: 1. Es ist notwendig, im Team zu arbeiten. Im Team kommen hauptamtlich und ehrenamtlich tätige Christinnen und Christen als ebenbürtige Partner zusammen. Eine besondere Ausbildung für das Gespräch bzw. die Begegnung mit kranken Menschen, die auch das schriftliche und mündliche Erzählen von einer Begegnung und deren Relecture betrifft, ist die gemeinsame Voraussetzung aller. Auf dieser Basis kann die Leitung des Teams auch in den Händen einer ehrenamtlich tätigen Seelsorgerin liegen. Das Team hat ein gemeinsames Logbuch, in dem der einzelne Krankenhausseelsorger der einen oder anderen Begegnung erzählt, die ihn verwundert und ratlos hinterlassen hat.31 2. Es ist notwendig, eine Kultur des – schriftlichen und mündlichen – Erzählens einzuüben. Gegenüber einer in der Kirche eher vertrauten Konzeptsprache hat das Erzählen Vorteile. Es führt in eine begrenzte Zeit ein, in der sich eine Spannung aufbaut. Es öffnet einen Erzählraum, in den Menschen eintreten können. Es weckt die Vorstellungskraft. Es berührt irgendwann immer die Frage Wer bin ich? Die Identität der Kranken und die Identität des Seelsorgers stehen infrage. Das Erzählen dient dem Austausch, der wiederum für das Verstehen notwendig ist. Wer sich ans Schreiben begibt und anderen eine Erzählung vorlegt, erlaubt ihnen, einen Blick auf das erzählte Ereignis und auch darauf zu werfen, wie er es bewertet und gewichtet hat. Die Seelsorgerin bleibt nicht in der eigenen Subjektivität gefangen und entgeht der Gefahr der Idealisierung bzw. Dramatisierung.32 3. Es ist notwendig, eine regelmäßige Relecture einzuüben. Die Relecture in der Krankenhausseelsorge ist letzten Endes von einer einzigen Frage bestimmt: Was tut Gott für diesen Menschen, den ich im Krankenzimmer antreffe, für 30 Noual, 2012, S. 184. 31 Vgl. Theobald, 2001a. 32 Vgl. Theobald, 2000.

Anfangendürfen – Seelsorge und Pastoraltheologie

53

mich, die ihn aufsucht, für uns, die Teams in der Seelsorge? Um diese Frage auszuhalten und nicht vorschnell durch Formeln zu beantworten, brauchen wir eine Erzählung (vgl. 2) und deren zweites Lesen im Licht des Evangeliums, die Relecture. Die Evangelien enthalten Erzählungen von Begegnungen, in denen es um Identitäten und deren Veränderungen geht: Sowohl Jesus von Nazareth als auch die Menschen, die seinen Weg kreuzen, erfahren bei ihrer Begegnung neue Antworten auf die Frage danach, wer sie sind. Diese zwei Arten von Erzählungen werden bei der Relecture in Beziehung zueinander gesetzt. Dabei gilt für beide Erzählungen, dass sie im Respekt ihrer jeweiligen Eigenart zu lesen sind, mit Genauigkeit und strenger Enthaltung davon, eigene Erwartungen in den Text zu projizieren – was leichter möglich ist, wenn die Relecture im Team geschieht. Durch diese Relecture kann es zur Erfahrung der Gegenwart Gottes kommen, die in unseren Begegnungen am Werk ist.33

33 Vgl. Theobald, 2001b.

I

Gesundheit und Heilung – anthropologische Leitkonzepte und der christliche Heilungsauftrag Simon Peng-Keller

I

Die anthropologischen Leitbegriffe, welche die Krankenhausseelsorge formieren, sind gegenwärtig im Fluss. Die Verabschiedung eines strikten Leib-Seele-Dualismus sowie der Anspruch einer ganzheitlichen Versorgung, zu der auch eine interprofessionelle Spiritual Care gehört, fordern die Seelsorge heraus, ihre Leitkonzepte zu überdenken. Der Beitrag resümiert die diesbezüglichen Diskussionen und skizziert Möglichkeiten, diese zur Profilierung des seelsorglichen Selbstverständnisses zu nutzen. »Our calling to health and healing is as strong as ever«, so versicherte der Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen Olav Fykse Tveit mit Blick auf die Global Ecumenical Health Strategy 2018.1 Seit der ersten Tübinger Konsultation zu diesem Thema (1964) und der Gründung der Christian Medical Commission (1968) steht das gesundheitspolitische Engagement des ÖRK im Zeichen eines theologischen Suchprozesses in einer postkolonialistischen Ära. Bereits 1964 hieß es: »Die Kirche kann ihre Verantwortung im Bereich des Heilens nicht anderen Akteuren überlassen.«2 Doch worin besteht der christlich-kirchliche Heilungsauftrag (healing ministry; healing mission of the Church) im Rahmen eines glokalisierten Gesundheitswesens? Insofern christliche Krankenhausseelsorge am Auftrag Jesu partizipiert, Kranke zu besuchen und zu heilen, ist die Frage nach ihrer Aufgabe Teil dieser umfassenderen Diskussion. Inwiefern konkretisiert sich der christliche Heilungsauftrag im seelsorglichen Tun? Ist die Krankenhausseelsorge als Gesundheitsberuf zu verstehen? Inwiefern ist sie als Spiritual Care zu beschreiben? Ist spirituelles Wohlbefinden ein Aspekt von Gesundheit? Damit sind die Fragen genannt, um die der vorliegende Beitrag kreist. Fokussiert werden sollen dabei die in diesen Fragen aufscheinenden anthropologi1 World Council of Churches, 2017. 2 Vgl. World Council of Churches, 2010, S. 14. (»The church cannot surrender its responsibility in the field of healing to other agencies.«)

Gesundheit und Heilung

55

schen Leitbegriffe, die das krankenhausseelsorgliche Selbstverständnis formieren. Sie stehen als dichte (wertimprägnierte) Begriffe und travelling concepts im spannungsreichen Schnittfeld unterschiedlicher wissenschaftlicher und lebensweltlicher Sprachwelten und können als solche mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen versehen werden. Gerade in ihrer schillernden Vieldeutigkeit spiegeln sich die heterogenen Kräfte, von denen die Krankenhausseelsorge gegenwärtig beansprucht wird und auf die sie unterschiedlich antworten kann. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf zwei Begriffspaare: (1.) Krankheit und Gesundheit, (2.) Heilung und spirituelles Wohlbefinden. Um Leitkonzepte handelt es sich dabei insofern, als sie in die professionellen Selbstbezeichnungen eingehen, denen ich mich im letzten Abschnitt zuwenden werde: (3.) Seelsorge, Gesundheitsberufe, Spiritual Care. Letzteres wird im Folgenden schlicht als die interprofessionell wahrzunehmende Aufgabe bezeichnet, die spirituelle Dimension in die interprofessionelle Unterstützung von leidenden Menschen einzubeziehen.

1  Krankheit und Gesundheit Anders als das Alltagsverständnis es nahelegt, stehen Krankheit und Gesundheit nicht in einem schlechthin exklusiven Verhältnis zueinander. Weil der menschliche Organismus ständig pathogene Prozesse abwehrt und Krankheiten Menschen in unterschiedlichen Intensitätsgraden betreffen und deutungsabhängig sind, handelt es sich eher um zwei Pole, zwischen denen wir uns bewegen. Wir können an chronischen Erkrankungen leiden oder gegen eine schleichende Grippe kämpfen, ohne dass wir uns als krank beschreiben würden. Ob jemand als krank oder gesund bezeichnet werden soll, ist in vielen Fällen eine Frage der Perspektive. Das ist nicht nur arbeitsrechtlich relevant, sondern auch für eine interprofessionelle Spiritual Care bedeutsam – nicht zuletzt deshalb, weil sich Selbst- und Fremdbeschreibungen auf das Selbsterleben der Betroffenen auswirken. Ist es beispielsweise angemessen, visionäres Erleben, das von einem Sterbenden als tröstlich erlebt wird, in pathologischen Kategorien zu beschreiben?3 Ausgehend von der Einsicht, dass es kein menschliches Leben ohne Beeinträchtigung und Belastung gibt, lässt sich Gesundheit beschreiben als Gleichgewicht zwischen belastenden und kompensierenden Faktoren oder als die Kraft, mit Krankheit und Gebrechen zu leben.4 Ein solches Verständnis entspricht 3 Vgl. Peng-Keller, 2017a. 4 Moltmann, 1989.

I

56

I

Simon Peng-Keller

dem Blickwechsel von der Pathogenese zur Salutogenese, von der Krankheitsbekämpfung zur Gesundheitsförderung, der 1986 in der Ottawa Charta auch auf gesundheitspolitischer Ebene vollzogen wurde. Dabei ist offen, inwiefern für das Verständnis von Gesundheit auch spirituelle Aspekte zu berücksichtigen sind. Dass sich Überzeugungen und Praktiken, die man als religiös oder spirituell beschreiben kann, in vielfältiger Weise auf den Umgang mit Krankheitssituationen auswirken, ist empirisch hinreichend belegt. Doch ist daraus zu folgern, dass Gesundheit auch ein spirituelles Wohlbefinden umfasst? Innerhalb der WHO gab es in den letzten Jahrzehnten mehrfach den Versuch, die Gesundheitsdefinition in diese Richtung zu präzisieren. Die Befürworter wiesen darauf hin, dass ein solches Verständnis in der 1946 verabschiedeten Definition bereits angelegt ist: »Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen [mental] und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.«5 Die 2006 verabschiedete »Bangkok Charta für Gesundheitsförderung in einer globalisierten Welt«6 entspricht der Forderung nach einer weiteren Präzisierung, wenn sie Gesundheit als etwas beschreibt, das sowohl geistiges (mental) als auch spirituelles7 (spiritual) Wohlbefinden umfasse. Dagegen wurde eingewandt, dass die Differenz zwischen mental (geistig) und spirituell (geistlich) ungeklärt ist. Aus dem Befund, dass religiös-spirituelle Überzeugungen und Praktiken gesundheitsrelevant sind, lasse sich nicht ableiten, dass Gesundheit auch eine spirituelle Dimension umfasst.8 Demgegenüber kam der ÖRK 1989 auf der Basis eines langjährigen Konsultationsprozess zum Schluss, das spirituelle Wohlbefinden als Aspekt von Gesundheit zu betrachten und letzteres von mentalem Wohlbefinden zu unterscheiden.9 Gesundheit wird als Gut verstanden, das nicht allein den einzelnen Menschen, sondern auch die Gesellschaft insgesamt betreffe und auch die Beziehung zu Gott umfasse. Abgesehen von konzeptuellen Problemen stellt sich, wie eine Arbeitsgruppe des ÖRK 2010 selbstkritisch bemerkte, die Frage, ob durch eine solche Ausweitung des Gesundheitsverständnis nicht der gesundheitspolitisch zentrale Gesichtspunkt eines Rechts auf Gesundheit abgeschwächt wird.10 Der Vorschlag zu einer Erweiterung der WHO-Gesundheitsdefinition, der 2016 von      5 WHO, 1946. Zu den Hintergründen vgl. Peng-Keller, 2019.      6 WHO, 2005.      7 Die offizielle deutsche Übersetzung verunklart diese Differenzierung, indem sie »spiritual« mit »geistig« übersetzt, vgl. WHO, 2005.      8 Nagase, 2012.      9 World Council of Churches, 2010, S. 16. 10 Vgl. World Council of Churches, 2010, S. 17 f.

Gesundheit und Heilung

57

Vertretern autochthoner Völker und Anthropologen veröffentlicht wurde, zielt in eine ähnliche Richtung wie die Bestimmung des ÖRK und ist deshalb mit ähnlichen Problemen verbunden. Allerdings wird in diesem Vorschlag gerade auch auf das Recht verwiesen, »die eigene Spiritualität zu leben«, und die Verpflichtung auf ein westliches Gesundheitsideal als eine Form »spiritueller Unterdrückung« kritisiert.11 Auf die Kulturgebundenheit von Gesundheitsmodellen verweisen auch zwei jüngere islamische Studien zum Konzept der »spirituellen Gesundheit«.12 Mit Blick auf die Aufgaben der Krankenhausseelsorge dürfte es bei aller Berücksichtigung spiritueller Aspekte sinnvoll sein, Gesundheit und Heil deutlich voneinander zu unterscheiden und kritisch darauf hinzuweisen, dass auch Gesundheitsideale zu Idolen werden können, die Menschen einem Perfektionierungszwang unterwerfen. Demgegenüber ist zu betonen, dass Gesundheit zwar ein zentrales Gut menschlichen Lebens darstellt, das andere Güter ermöglicht, doch in seiner Vielgestaltigkeit und Unverfügbarkeit gleichwohl einer Relativierung bedarf. »Der tragende Sinn des Lebens muß über Leben und Tod hinausgehen, weil nur dann Leben und Tod sinnvoll werden können.«13 Im Horizont christlichen Glaubens sind Krankheit und Gesundheit in den vielschichtigen und fluktuierenden Bedeutungen wahrzunehmen, die sie für die Betroffenen im Auf und Ab ihres Krankheitsverlaufs oder Gesundungsprozesses haben: als Quelle intensiven Leidens und Gegenstand mitunter weitreichender Lebenshoffnung.

2  Heilung und spirituelles Wohlbefinden Das Verständnis von Gesundheit lässt sich weiter vertiefen, indem man es prozessual zu beschreiben und terminologisch einzukreisen versucht. Die in diesem Abschnitt zu beleuchtenden Begriffe Heilung und spirituelles Wohlbefinden bieten dazu unterschiedliche Ansatzpunkte.

11 Vgl. Charlier et al., 2017. 12 Heydari/Khorashadizadeh/Nabavi/Mazlom/Ebrahimi, 2016; Jaberi/Momennasa/Yektatalab/ Ebadi/Cheraghi, 2017. 13 Moltmann, 1989, S. 90. Auch in der Ottawa-Charta wird betont, dass Gesundheit »als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen [ist] und nicht als vorrangiges Lebensziel« aus: Weltgesundheitsorganisation, 1986.

I

58

Simon Peng-Keller

2.1 Heilung

I

Heilung ist der Prozess, der von der Krankheit zur Gesundheit führt. In seelsorglichen Gesprächen kommt dieser Prozess in doppelter Weise zur Sprache: als Gegenstand intensiven Hoffens und Wünschens, doch mitunter auch im Modus eines dankbaren Rückblicks auf bereits erfahrene Heilung. Beides kann sich mit religiös-spirituellen Deutungen und Praktiken verbinden. Dabei kann Heilung sich auf sehr unterschiedliche Phänomene beziehen. Um unterschiedliche Formen und Dimensionen von Heilungsprozessen voneinander abzuheben, wird in der englischsprachigen Literatur in der Regel zwischen cure und healing unterschieden.14 Während sich Ersteres auf die organische, kurative Dimension konzentriert, kommt mit Letzterem der Mensch in seiner Ganzheit in den Blick. Das deutsche Heilen umfasst beide Aspekte. Zudem kann es sich sowohl auf das therapeutische Geschehen als auch auf dessen Wirkung beziehen, also auf die körperliche Gesundung oder eine darüber hinausgehende Heilung. Ähnlich bedeutungsschwer ist das altgriechische iaomai. Im neutestamentlichen Gebrauch (z. B. in Lk 17,15) bezeichnet es neben der ärztlichen Behandlung auch die umfassende Unterstützung von Kranken.15 Kurative und palliative Behandlung sind hier ebenso wenig voneinander zu trennen wie somatische Therapeutik und spiritueller Trost. So wichtig solche Unterscheidungen für ein differenziertes Verständnis von Heilung sind, so bedeutsam ist es umgekehrt, auch auf die Verflechtungen unterschiedlicher Heilungsdimensionen hinzuweisen. Mit Blick auf das ärztliche Tun schreibt Giovanni Maio: »Zwar lassen sich bestimmte ärztliche Tätigkeiten überprüfen, vergleichen, manchmal gar messen, aber es wird vergessen, dass das Behandeln von Menschen und die Heilung dieser Menschen sich immer innerhalb einer Begegnung vollzieht und nicht nur als Produkt einer Anwendung von Techniken betrachtet werden kann. Je mehr die Medizin den Kategorien der Betriebswirtschaft folgt, desto mehr wird sie ihr Augenmerk vor allem auf die Anwendung der nachprüfbaren Techniken richten und vergessen, dass es zur Heilung mehr bedarf.«16 Menschen zu heilen und nicht nur Krankheiten zu behandeln, darin besteht nach Maio die ärztliche Aufgabe. Das geht über jene Ansätze hinaus, die spi14 Vgl. Balducci/Modditt, 2012. 15 Weissenrieder/Etzelmüller, 2010. 16 Maio, 2011.

Gesundheit und Heilung

59

rituelle Faktoren in ihre kurative Therapeutik einbeziehen. Der Akzent liegt bei Maio nicht auf kurativer Wirksamkeit, sondern auf einer bestimmten ärztlichen Haltung: der respektvollen und interessierten Zuwendung zu kranken Menschen, die es in ihrer Krankheitssituation zu verstehen gilt. Dass Heilung auch eine spirituelle Dimension haben kann, zeigt sich sprachlich besonders deutlich in der verbreiteten Rede von »spiritueller Heilung«, die sowohl ein therapeutisches Tun als auch ein als spirituell zu qualifizierender Heilungsprozess bezeichnen kann. Praktiken »spiritueller Heilung«, zu denen auch Heilungsgottesdienste17 und das Händeauflegen gezählt werden können, bedürfen im Horizont dessen, was einleitend als christlicher Heilungsauftrag benannt wurde, einer besonderen Betrachtung. Angesichts der unübersichtlichen Vielfalt an Angeboten spiritueller Heilung stellen sich zunächst Fragen zur Qualitätssicherung und Einhaltung ethischer und rechtlicher Rahmenbedingungen18 sowie zu deren weltanschaulichen Implikationen. Mit Blick auf den Markt »vielfältiger psychospiritueller Angebote mit zum Teil fragwürdigen Versprechen und Rahmenbedingungen«19 lehnte eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), an der auch Theologinnen und Theologen mitarbeiteten, spirituelle Interventionen in psychotherapeutischen Settings ab. Die von der DGPPN gezogenen Grenzen stimmen mit pastoralpsychologischen Standards weitgehend überein. Sie stehen zugleich in Spannung zu Modellen »energetischer Seelsorge«20 und zu dem vom ÖRK geforderten Einbezug von spirituellen Heilpraktiken in die medizinische Versorgung bzw. eines neuen Dialogs zwischen moderner und traditioneller Medizin.21 Verbindet man ethnografische Beobachtungen wie jene, dass in afrikanischen Ländern spirituelle Heilpraktiken gesamtgesellschaftlich legitimiert sind,22 mit dem Wissen über die Auswirkungen von Migration23 und Globalisierung, so dürften die Forderungen des ÖRK auch auf die hiesige Gesundheitsversorgung zu beziehen sein. Wechselt man die Perspektive vom therapeutischen Tun zum Heilen als Gesundungsprozess, so kommen unterschiedliche Dimensionen menschlichen 17 Vgl. Mette, 2010; Church of England House of Bishops Report, 2000. 18 Vgl. Cohen, 2002/2003. 19 Utsch/Anderssen-Reuster/Frick/Gross/Murken/Schouler-Ocak/Stotz-Ingenlath, 2017, S. 144. 20 Josuttis, 2002. 21 Vgl. World Council of Churches, 2010, S. 27. 22 Bruchhausen, 2006, S. 482. 23 Vgl. z. B. UNHCR, 2015.

I

60

I

Simon Peng-Keller

Lebens in den Blick. Die Rede von spiritueller Heilung ist auch in diesem Zusammenhang doppeldeutig. Sie kann eine Heilung in spiritueller Hinsicht bezeichnen, doch ebenso eine durch spirituelle Faktoren bewirkte physische, psychische oder soziale Heilung. Für die seelsorgliche Wahrnehmung von Heilungsprozessen dürfte es bedeutsam sein, sowohl auf die Verflechtungen als auch auf die relative Autonomie der unterschiedlichen Dimensionen menschlichen Lebens zu achten. Ein Knochenbruch kann heilen, ohne mit psychischer, sozialer oder spiritueller Heilung einherzugehen. Umgekehrt muss es sich nicht in körperlicher oder psychischer Heilung manifestieren, wenn jemand neu ins Vertrauen findet, dass sein oder ihr Leben in Gott geborgen ist. In kritischer Auseinandersetzung mit einem biomedizinisch verengten Verständnis von Heilung einerseits und überzogenen Heilungsversprechen andererseits machte Dietrich Ritschl auf die Grenzen des heilenden Wirkens Jesu und des christlichen Heilungsauftrags aufmerksam. Von den vielen Kranken, die in den fünf Säulenhallen beim Teich Betesda lagen, heilte Jesus nur einen einzigen (Joh 5,2–9). »Diese Heilung hatte zeichenhaften Charakter und war nicht der Beginn eines neuen Gesundheitssystems.«24 Das bereits mehrfach zitierte Dokument des ÖRK setzt die Akzente leicht anders: Jede Heilung ist ein Zeichen für das Wirklichwerden dessen, was in der biblischen Sprache Schalom heißt.25 2.2  Spirituelles Wohlbefinden Im Begriff des spirituellen Wohlbefindens laufen die in den vorangehenden Abschnitten entwickelten Diskussionsstränge zusammen. Zum einen stellen sich erneut die Fragen rund um das Gesundheitsverständnis: Ist spiritual wellbeing als Aspekt von Gesundheit und Heilung zu betrachten? Oder ist es eher als Dimension der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zu verstehen? Zum andern stellt sich die anthropologische Grundfrage nach dem Verhältnis zwischen der mentalen und der spirituellen Dimension: Wie lässt sich spirituelles und mentales (oder psychisches) Wohlbefinden voneinander abgrenzen? Wenn Ersteres mit Begriffen umschrieben wird, die auch für Letzteres benutzt werden können (innerer Frieden, Sinnerleben etc.), dann verfließen die konzeptuellen Grenzen.26 Aus theologischer Perspektive weist Traugott Roser »auf die Zugehörigkeit des Begriffs well-being […] zum Wortfeld des hebräischen Schalom« hin, der 24 Ritschl, 2004, S. 228. 25 World Council of Churches, 2010, S. 9. 26 Moreira-Almeida/Koenig, 2006; Balducci/Modditt, 2012.

Gesundheit und Heilung

61

menschliches Dasein in allen Dimensionen umfasst.27 Die Qualifikation des Wohlbefindens als spirituell kann in diesem Horizont als dankbares Bewusstsein dafür verstanden werden, »dass Schalom nicht menschlich machbar ist, sondern sich Gott verdankt und darin letztlich unverfügbar ist«28. Ein empirischer Klärungsversuch besteht darin, spiritual well-being als Konstrukt mit zwei Komponenten zu konzipieren. Die erste ist nach diesem Vorschlag als existenzielle Komponente zu fassen, die sich auf die Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens bezieht, während die zweite Komponente das religiöse Moment betrifft: das Getröstet-Sein durch die Verbindung mit einer höheren Macht.29 In diesem Differenzierungsversuch spiegelt sich indirekt die auch in WHO-Dokumenten vertretene Überzeugung, dass sich zwischen religiösen und nicht-religiösen Formen von Spiritualität unterscheiden lässt. Die existenzielle Komponente erscheint dann als das verbindende Moment, das allerdings vom Bezug auf eine höhere Macht oder etwas Heiliges nur schwer abgekoppelt werden kann. Denn in solchen »starken Wertungen«30 dürfte das Spezifikum der spirituellen Dimension gegenüber der mentalen liegen. Die Differenz zwischen der mentalen und der spirituellen Dimension kann durch eine sozialwissenschaftliche und historische Rekonstruktion von Sakralisierungsprozessen weiter geschärft werden. Was Menschen als heilig betrachten, unterliegt zwar dem historischen Wandel und ist von kollektiven und persönlichen Erfahrungen geprägt. Die diese Erfahrungen ermöglichenden und durch sie genährten Sakralisierungsprozesse dürften jedoch zu den anthropologischen Konstanten gehören, die sich auch in säkularer Gestalt finden.31 Sucht man nach einem passenden deutschen Wort für spiritual well-being, legt sich der traditionsreiche Begriff des Trostes nahe. Besonders wenn man damit (wie schon Ignatius von Loyola in seinem Exerzitienbuch) einen Seinsmodus beschreibt, kommt man dem englischen spiritual well-being sehr nahe. Im biblischen Sprachgebrauch ist Trost mit der Erfahrung verknüpft, durch göttliche und menschliche Zuwendung inmitten einer Notsituation mit Vertrauen und Zuversicht beschenkt zu werden. Der Kontrastcharakter der Trosterfahrung kommt in den paulinischen Briefen besonders deutlich zum Ausdruck. Es sind Situationen physischer und psychischer Bedrängnis, in denen unverhofft Zuversicht aufbricht (1 Thess 1,6; 2 Kor 4,8). Im vorliegenden Zusammenhang 27 Roser, 2017a, S. 379 f. 28 Roser, 2017a, S. 380. 29 Vgl. Edmonson/Park/Blank/Fenster/Mills, 2008, hier S. 162: »a sense of comfort derived from connectedness to a higher power that is sacred and eternal«. 30 Taylor, 1996, S. 16 f. 31 Vgl. Taves/Bender, 2012; Joas, 2017.

I

62

Simon Peng-Keller

sind die paulinischen Selbstzeugnisse in zweifacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen zeigt sich in ihnen durch den ausdrücklichen Gottesbezug deutlich, was spirituelles und mentales Wohlbefinden unterscheidet; zum andern ist der beschriebene Trost mit menschlicher Zuwendung und Solidarität verknüpft (2 Kor 1,4). Sucht man nach Verbindungspunkten zwischen seelsorglicher und gesundheitsberuflicher Spiritual Care, so kann man sie u. a. in einer Form der Zuwendung finden, die sich als eine diskrete Form des Tröstens beschreiben lässt.32

3  Seelsorge als Gesundheitsberuf und Spiritual Care?

I

Wenn Adolf von Harnacks Feststellung, dass das Christentum seinen Erfolg der Heilungspraxis verdankt und deshalb als »Religion der Heilung«33 zu verstehen ist, nicht allein für seine Frühgeschichte, sondern auch für seine gegenwärtige Entwicklung zutrifft, stellt sich theologisch und seelsorglich die Aufgabe, den christlichen Heilungsauftrag mit Blick auf spezifische Situationen zu konkretisieren. Dazu gehört eine Korrektur der bereits in der Antike einsetzenden Tendenz, den Auftrag auf die Sorge um das seelische Heil zu begrenzen. Insofern die strikte Trennung von Leib und Seele, Medizin und Seelsorge durch eine nicht-dualistische Anthropologie und die interprofessionelle Zusammenarbeit abgelöst wird, verschiebt sich die Rolle der Seelsorge. Der Terminus Spiritual Care, der bis weit ins 20. Jahrhundert hinein weitgehend dasselbe bedeutete wie Pastoral Care, markiert in seinem aktuellen Gebrauch diese Verschiebung. Dass sie unweigerlich auch die seelsorgliche Selbstbeschreibung betrifft, zeigt die Anekdote eines befreundeten Krankenhausseelsorgers, der von einer jungen Pflegefachkraft mit Blick auf seine Berufsgruppe gefragt wurde: »Macht ihr auch Spiritual Care?« Die terminologische Frage nach der Selbstbezeichnung, die von der konzeptuellen Frage nach dem Selbstverständnis zu unterscheiden ist, lässt sich nicht sprachübergreifend klären, da die sprachspezifischen Termini für Krankenhausseelsorge (healthcare chaplaincy, aumônerie etc.) unterschiedliche Bedeutungsfelder anklingen lassen (so wie auch spiritual im alltagssprachlichen Gebrauch in angelsächsischen Ländern einen anderen Klang hat als spirituell in der deutschen Alltagssprache). Die Diskussion, ob sich die Krankenhausseelsorge selbst als Gesundheitsberuf beschreiben soll, berührt sowohl konzeptionelle als auch 32 Vgl. Fuchs, 2005; Weidmann, 2003. 33 Harnack, 1892, S. 96.

Gesundheit und Heilung

63

terminologische Fragen. Wenn beispielsweise John Swinton und Ewan Kelly vorschlagen, die Krankenhausseelsorge als einen »einzigartigen und wichtigen Gesundheits- und Sozialberuf«34 zu betrachten, liegt der Akzent auf »einzigartig«. Denn Swinton und Kelly orientieren sich nicht an einem medizinisch geformten Gesundheitskonzept, das sie als reduktionistisch kritisieren, sondern an einem theologisch angereicherten Verständnis, das um die Aspekte des spirituellen Wohlbefindens und des Umgangs mit Krankheitserfahrungen angereichert ist. Professionelle Identitäten bedürfen klarer Selbstbeschreibungen, die im Gesundheitsbereich mit anthropologischen Konzepten verknüpft sind. Die vertraute Selbstbezeichnung als Seelsorge verdankt sich zum einen der abendländischen Ausdifferenzierung von Religion und Medizin, zum anderen jener anthropologischen Differenz, die auch in biomedizinisch und neurowissenschaftlich geprägten Kontexten eine hohe Plausibilität besetzt: die Unterscheidung zwischen Körper und Seele. Daran arbeiten sich alle Ansätze ab, die sich als holistisch verstehen und eine seelsorgliche Leibsorge oder eine ärztliche, psychologische oder philosophische Seelsorge propagieren. Der Begriff der Seelsorge ist mit einem »platonischen Sog«35 behaftet, der auch die Rede von Spiritual Care bestimmen kann: Ist das Spirituelle kontrastiv zum Materiellen zu verstehen? Oder ist spirituell pneumatologisch als Ganzheitsbestimmung zu verstehen? In diesem zweiten Sinne verweist spirituell auf eine unverfügbare Gabe: auf die Kraft, die diese Sorgepraxis inspiriert und durch sie wirksam werden kann. Die innerhalb der christlichen Theologie intensiv genutzte Doppelsinnigkeit, dass spirituell sowohl anthropologisch als Dimension menschlichen Lebens als auch pneumatologisch als transzendente Kraft verstanden werden kann,36 setzt sich in aktuellen Diskursen über Spiritual Care und spiritueller Heilung unter veränderten Vorzeichen fort. ›Spirituell‹ steht hier ebenso für Formen menschlicher Selbsttranszendenz wie für eine Präsenz37, die Menschen inspiriert und übersteigt. Beide Bedeutungen können auch in nicht-religiösen Deutungs­ zusammenhängen auftreten, womit die gängige Gegenüberstellung von religiösen und säkularen Lebensentwürfen unterlaufen wird.38 Im Zusammenhang der eben genannten Veränderungen im Gesundheitswesen, die mit dem Begriff Spiritual Care verknüpft sind, werden hinsichtlich der Krankenhausseelsorge drei Optionen vertreten: erstens eine terminologi34 Swinton/Kelly, 2016. 35 Moeller, 1994, S. 13. 36 Vgl. Peng-Keller, 2005, S. 35–40. 37 Zum Verständnis der »spirituellen« Dimension als lebensbestimmende Präsenz vgl. J. Fischer, 2017. 38 Vgl. Taves/Bender, 2012; Meyer, 2012.

I

64

I

Simon Peng-Keller

sche und konzeptuelle Profilierung der Krankenhausseelsorge in kontrastiver Abgrenzung zu Spiritual Care, die mit einem bestimmten, medizinisch geprägten Konzept identifiziert wird;39 zweitens die Transformation kirchlich geprägter Seelsorge in eine sich transreligiös verstehende Spiritual Care;40 drittens die Neupositionierung der Krankenhausseelsorge als spezialisierte Spiritual Care in Unterscheidung zu gesundheitsberuflichen Formen von Spiritual Care. Da es mit Blick auf die faktische Vielfalt von Spiritual Care-Modellen und deren christliche Hintergründe wenig sinnvoll ist, christliche Seelsorge in kontrastiver Abgrenzung zu der Spiritual Care zu profilieren (vs. Option 1), und das Modell einer transreligiösen oder säkularen Seelsorge vor der Schwierigkeit steht, dass es innerhalb des spirituell-religiösen Feldes keinen neutralen Standpunkt gibt und niemand unterschiedliche Traditionen und Gemeinschaften gleichzeitig repräsentieren kann (vs. Option 2), spricht vieles für die dritte Option. Der christliche Heilungsauftrag kann sich sowohl in gesundheitsberuflicher als auch in spezialisierter Spiritual Care verwirklichen. Innerhalb der hochkomplexen Institution eines Krankenhauses bildet eine Seelsorge, die sich ihrer Verortung und Herkunft bewusst ist und diese auch transparent macht, die Anwältin für Spiritual Care. Zu ihren Aufgaben gehört es nicht zuletzt, gesundheitsberufliche Formen von Spiritual Care zu unterstützen und zu koordinieren. Durch Anregung und Mitgestaltung von interprofessionellen und institutionellen Lernprozessen vermag sie aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen zu beeinflussen. Im Horizont des christlichen Heilungsauftrags steht sie dafür ein, dass die spirituelle Dimension auch in einer säkular und biomedizinisch geprägten Gesundheitsversorgung wahrgenommen und einbezogen wird.

39 Vgl. Nauer, 2015. 40 Vgl. Massey, 2015.

»Wo ist nun dein Gott?« Krankenhausseelsorge als Ort religiöser Erfahrungen Michael Brems

»Wo ist nun dein Gott?«, wird der Verfasser des 42. Psalms gefragt. Immer wieder. Ich meine die Erfahrung zu kennen, die er klagend besingt: die sich betrübende, so unruhige Seele und ihr Sehnen nach Licht, Heil und Wahrheit, nach Gott. Ja, wo ist Gott? Wo ist mein Gott? Wo war Gott? Auch ich habe mir ein paar Mal wie ein Hirsch nach Wasser die Kehle heiser geschrien. Und im Stillen mitgeweint mit den Verzweifelnden. Manchmal war es die Frage eines Patienten selbst nach dem Warum. Vielleicht noch öfter war es meine eigene Frage, Fleisch gewordene Theodizee-Frage, die nicht theoretisch wie als Klausuraufgabe daherkam, sondern die sich mir an den Betten und auf den Krankenhausfluren auf Herz und Hirn legte: Warum!? Und: Ist da überhaupt ein Gott? Oder ist der Himmel leer? Die junge Frau war wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter mit »unklaren Bauchbeschwerden« ins Krankenhaus gekommen. Die Untersuchungen zeigen, dass ihr Körper voller Metastasen steckt. Die Schwangerschaft hat den Krebs einige Monate zurückgehalten; jetzt hat er mit ganzer Macht zugeschlagen. Der Primärtumor kann nicht gefunden werden; die Prognose ist vernichtend. Als der Krankenhausseelsorger in das Zimmer kommt, liegt die Patientin mir leerem Blick im Krankenbett. Ihr Mann sagt mit geröteten Augen, das Baby sei bei der Oma. Sonst wird nur wenig gesprochen. Alle stehen fassungslos vor dem dunklen Abgrund, der sich mitten in diesem Krankenzimmer aufgetan hat. Wenige Wochen später stirbt die Frau. Heiligabend. Am späten Vormittag steigt die Frau ins Auto, um für das abendliche Festmahl noch ein paar Kleinigkeiten aus dem Supermarkt zu kaufen. Ihr dreieinhalbjähriger Sohn bettelt so lange, bis sie ihm erlaubt mitzu­kommen. Rasch setzt sie ihn auf die Rückbank, schnallt ihn an und fährt los. Der Kindersitz bleibt an der Garderobe liegen … In einer Kurve kommt der Wagen ins Schleudern. Sie war gar nicht schnell gefahren. Wahrscheinlich hatte sich an dieser geschützten

I

66

Michael Brems

Stelle eine dünne, unsichtbare Eisschicht gebildet. Das Fahrzeug schießt über den Graben hinweg, über­schlägt sich und prallt zuletzt gegen einen dicken Baum. Sie trägt wie durch ein Wunder nur Schürfwunden und ein blaues Auge davon. Ihr Sohn aber wird durch die Wucht des ersten Aufpralls durch die Heckscheibe aus dem Auto geschleudert und dann von dem sich überschlagenden Wagen zerdrückt. Er ist sofort tot. Am Heiligabend. »Denn uns ist ein Kind gestorben, ein Sohn ist uns genommen …«

I

Sie wollten zusammen alt werden, die Eheleute, die seit fast vierzig Jahren verheiratet sind. Als beide die Rente erreicht haben, gönnen sie sich eine längere Reise nach Südspanien. Der Bus, der sie in der zweiten Woche zu einer Sehenswürdigkeit bringen soll, stürzt in eine Schlucht. Die Frau stirbt bei dem Unfall, der Mann erleidet eine hohe Querschnittlähmung und kann sich unterhalb seiner Schultern nicht mehr bewegen. Am Tag der Trauerfeier für seine Frau – er kann daran noch nicht teilnehmen – fährt der Seelsorger ihn im Bett in den Raum der Stille des Krankenhauses, um dort eine Kerze anzuzünden und ein Gebet zu sprechen. Der Mann sagt die ganze Zeit kein Wort.

»Wo ist nun dein Gott?« Was glaube ich selbst noch, kann ich noch glauben? Was hält und trägt mich? Was bleibt übrig? Was verlischt? Was bildet sich neu? Rose Ausländer schreibt: »[…] das Lied verlernt Ein paar Worte blieben Fremdwörter Flügel Liebe Ruh Ich schreibe sie an die Tempelwand«1 Krankenhäuser sind nicht nur Orte der Heilung und Linderung, sondern auch Orte des Leidens, der Verzweiflung, der Angst und des Sterbens. Hier befindet sich die Kirche in Gestalt der Seelsorge an einem Ort, an den sie gehört. Laut 1 Ausländer, 2012, S. 85 f.

»Wo ist nun dein Gott?«

67

Matthäus (25,36) besucht und begegnet sie in den Kranken Gott selbst. In einer Institution, die nach eigenen Regeln funktioniert und in der der/die Pastor*in erst einmal fremd ist, kommuniziert die Kirche das Evangelium. Was das heißen und was die Kirche an diesem Ort lernen kann, davon handelt dieser Text. Noch eine Vorbemerkung: Dieser Text ist aus meiner langjährigen Praxis als Krankenhausseelsorger gewachsen und aus der Reflexion dieser Erfahrungen: auf Spaziergängen, beim Tagebuchschreiben, in zahllosen Gesprächen mit Kolleg*innen, bei Aufenthalten in einem Kloster oder auf einer Studienreise nach Auschwitz. Er ist weniger Frucht der Auseinandersetzung mit Fachliteratur. Ich habe abgründige Begegnungen im Krankenhaus erlebt, die mein inneres Haus des Glaubens und Vertrauens erschüttert haben; und diese Art der Reflexion ist mein Weg gewesen, mit der entstanden Gottes-Leere umzugehen, sie auszuhalten und zu warten, was neu wachsen würde – tiefer, wahrer, ehrlicher.

1  Geschleifte Glaubensburgen Krankenhausseelsorge begleitet Menschen, zumeist Patient*innen, aber auch Angehörige, Mitbetroffene und die, die im Krankenhaus arbeiten. Vor allem die Kranken ringen in ihrem Gethsemane mit sich und dem Leben, und manchmal befinden sie sich auf dem Weg zu ihrem Golgatha. In der Krankenhausseelsorge zu arbeiten, heißt, immer wieder konfrontiert zu sein mit abgründigen Lebens- und Leidensgeschichten. Krankenhausseelsorger*innen lernen dabei eine zuweilen nur stammelnde, suchende, aber womöglich angemessene Sprache. Sie lernen die Kostbarkeit religiöser Bilder und liturgischer Worte. Und sie lernen zu schweigen. Nicht jeder Mensch erlebt, von Gott getragen zu werden, wie es in der Geschichte von den »Spuren im Sand«2 heißt. Für so manchen sind die einsamen Fußspuren die eigenen – verlassenen –, und kein Trost, kein Erbarmen und keine Gnade lindern den Schmerz. Nicht jede Geschichte geht »mit Gottes Hilfe« am Ende, »ganz am Ende«, gut aus. Nicht jede durchkreuzte Lebensgeschichte macht zuletzt doch Sinn. Manches Zerbrochene bleibt zerbrochen, ohne dass etwas Neues daraus erwächst. Und es kommt vor, dass die Scherben noch mal neue Wunden schneiden. Obwohl Gott in tiefster Nacht erschienen ist (EG 56), kann unsre Nacht entsetzlich traurig und finster sein. Und auch wenn Mandelzweige immer wieder 2 Fishback Powers, 2014.

I

68

I

Michael Brems

blühen und treiben (EG 606), gibt es Menschen, die von einem metastasierenden Lungenkrebs zerfressen werden. Im Krankenhaus geht die Kirche noch einmal in eine Grundschule des Glaubens, in eine Grundschule der Theologie. Statt komplexer Schachtelsätze oder Infinitesimalrechnung lernen Krankenhausseelsorger*innen das Abc und das kleine Einmaleins. Man lernt »Gott« zu buchstabieren – und stockt manchmal schon beim »G«. Man addiert die Wunder einer Woche und landet bei Null. Man trägt Hoffnung, Halt und Trost wie eine Kerze durch den Wind. Manchmal glimmt der Docht nur noch oder verlischt gar. Manchmal wird ein dunkler Raum heller: dadurch, dass man da ist und da bleibt, dass man zuhört. Dadurch, dass man immer wieder die Untröstlichkeit von Lebensbrüchen und -abbrüchen aushält, statt billigen Trost zu spenden. Dadurch, dass man Worte sagt und ein Gebet oder einen Segen spricht und das geheimnisvolle, gebrochene Leben dem geheimnisvollen Gott anvertraut. Die eigene Glaubensburg aus Überzeugungen, Gewissheiten und Vertrauen, gebaut in sicheren Zeiten, wird auf den Stationen und in den Krankenzimmern geschleift: Dient denen, die Gott lieben, wirklich alles zum Besten (Röm 8,28)? Ist Gott den Leidenden besonders nahe? Einer Vollmundigkeit, die das allzu schnell behauptet, bleiben die Worte im Mund kleben. Eine Standfestigkeit, die meint, Gott gefunden zu haben, gerät auf wankenden Boden und lernt, Gott zu vermissen und zu suchen. Eine Sicherheit, die auf alle Fragen eine Antwort hat und die sich kaum berühren lässt vom Leiden eines anderen, lernt zu stottern und zu schweigen. Denen, die den Trost des Glaubens meinen, allzu schnell zücken zu können, verdorrt diese Unform des Trostes vor der Größe, Tiefe und Dunkelheit der Themen. Was will man denn der sterbenden jungen Mutter, den Eltern des toten Kindes oder dem querschnittgelähmten Witwer sagen: »Fürchte dich nicht, glaube nur; der Weg, den Gott mit dir geht, ist ein guter«? Am 13. Januar 1522 schreibt Martin Luther von der Wartburg an Melanchthon, den die wortgewaltigen Schwärmer mit ihrem vollmundigen Reden beunruhigen: »Daher prüfe, und höre auch nicht einmal den verherrlichten Jesus, du habest ihn denn zuvor gekreuzigt gesehen.«3 »Gott« ist kein Garant für ein leidfreies Leben, lehrt die Krankenhausseelsorge. Gott beschützt nicht vor Unfällen oder Krebs. Kinder sterben an Infektionskrankheiten. Junge Menschen werden psychotisch. Der eine betet und bekommt einen erleichternden Befund. Die andere betet nicht weniger – und ihr Körper zerfällt über Monate, bis sie nur noch ein Häufchen Elend ist. Gebet 3 WA BR 2, S. 425: »Tenta ergo et ne Ihesum quidem audias gloriosum, nisi prius videris crucifixum.« Übersetzung nach Aland, 1983, S. 113.

»Wo ist nun dein Gott?«

69

und Glaube bewahren nicht vor den Wechselfällen des Lebens, vor Leiden, vor Abgründen. Wir sind ein Teil des Lebens, zu dem Leiden, Schmerz und der Tod gehören. Primo Levi, der Gefangener in Auschwitz war, erzählt von Kuhn, einem frommen Juden, der nach einer der vielen Selektionen nachts betet und Gott dankt, dass er nicht ausgesondert worden ist. Sein Glaube wird Kuhn vermutlich Halt gegeben haben. Primo Levi aber kritisiert diese Frömmigkeit heftig: »Kuhn ist wahnsinnig. Sieht er denn nicht im Bett nebenan Beppo, den zwanzigjährigen Griechen, der übermorgen ins Gas geht und es weiß und ausgestreckt daliegt und in die Glühbirne starrt und kein Wort sagt und keinen Gedanken mehr hat? Weiß Kuhn denn nicht, daß das nächste Mal sein Mal sein wird? Begreift Kuhn denn nicht, daß heute ein Greuel geschah, das kein Sühnegebet, keine Vergebung, kein Büßen der Schuldigen, nichts Menschenmögliches also, jemals wird wiedergutmachen können? Wäre ich Gott, ich spuckte Kuhns Gebet zu Boden.«4 Die Krankenhausseelsorge kennt Zeiten, in denen der Glaube und das Vertrauen, dass das Leben trägt, zwischen den Fingern zerrieseln oder in denen man seinen Glauben an Gott verliert wie ein alt und Stein gewordenes Brot, Zeiten, in denen Gott karfreitagstot ist. Immer wieder im Angesicht von Schmerzen, Leiden, Verzweiflung und Tod fragt sich die Krankenhausseelsorge selbst: Wo ist nun mein Gott? Woran noch glauben? Was bleibt, wenn die Glaubensburg geschleift ist?

2  Die Untröstlichkeit aushalten Vielleicht ist das erste, was die Krankenhausseelsorge lernt: das Leiden von Menschen zu sehen und ernst zu nehmen und nicht mit falschem Trost und Gottesrechtfertigungen zu überspielen. Das Leben und die Würde eines und einer jeden sind ihr kostbar. Und wenn es (zumindest in diesem Augenblick) keinen Trost gibt, dann ist vermutlich der einzig mögliche Trost – ich bin mir des Widerspruchs in diesem Satz bewusst –, die Untröstlichkeit mit auszuhalten: nicht zu gehen, nicht wegzusehen, da zu bleiben, zu schweigen. Es gibt Kranke, die einen Sinn für ihr Leiden entdecken: Sie selbst, für sich! Sie wachsen und reifen und entdecken die Schönheit und den Wert des Lebens

4 Levi, 2015, S. 125.

I

70

I

Michael Brems

auf neue und tiefe Weise.5 Und es gibt Kranke, die sich weigern, für ihren Schmerz auch noch Sinn finden zu sollen. Einen objektiven Sinn gibt es nicht. Durch Leiden können Menschen reifen. Es gibt schwer Kranke, Verletzte, Sterbende, die eins geworden sind mit dem, was ihnen geschieht, und die eine Ruhe und Würde ausstrahlen, die etwas Heiliges hat. Die, wenn sie fromm sind, »dein Wille geschehe« beten mit einer Gelassenheit, die nicht von dieser Welt scheint. Aber es gibt auch das andere: ein Verstummen oder Verzweiflung und Tränen der Empörung über die Ungerechtigkeit des Lebens. Leiden, Schmerzen, Versehrtheit können läutern; immer wieder zerbrechen Menschen daran. Und niemand hat das Recht, von außen zu behaupten, Leiden erlöse oder reinige: weder das Leiden der krebskranken Mutter, noch das Leiden sterbender Kinder und ihrer Eltern, noch das Leiden des querschnittgelähmten Mannes, nicht einmal Christi Leiden.

3  Was bleibt? Im Krankenhaus lernt die Kirche, Leiden ernst zu nehmen und die Trostlosigkeit so mancher Lebensgeschichte nicht mit billigem Trost wegzuwischen. Sie lernt einmal mehr die Tiefe und Abgründigkeit des Lebens und wie unverzichtbar Mitgefühl und ein liebender Blick sind. Sie lernt, dass sie Gott nicht rechtfertigen kann. Sie spürt gleichzeitig ihre Sehnsucht nach Gott: Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser … Wovon nun kann sie noch glaubhaft sprechen – auch vor sich selbst? Was bleibt, wenn die alten Überzeugungen brüchig werden und nicht mehr tragen? Mit ein paar Gedanken will ich mich auf den Weg zu Antwortversuchen machen: mit dem Lob des Nicht-Wissens, mit dem Wagnis von Schritten ins Leere, mit der Kraft des Dennoch und dem Aushalten von Widersprüchen. 3.1  Lob des Nicht-Wissens Zunächst einmal ist es ein befreiender Schritt, nicht wissen zu müssen, sondern Fragen zu stellen nach Gott, nach dem Sinn, nach der Wahrheit und dem, was trägt. »Ich weiß es nicht« ist ein ehrlicher religiöser Satz. Er befreit von potemkinschen Glaubens- und Trost-Sätzen, die keine Substanz haben. Er macht demütig und suchend. Er entlastet. Er führt in einen leeren Raum. Man schreitet voran in der Hoffnung, dass etwas in diesem Raum entstehen kann. Doch 5 Ein Beispiel: Singer, 2011.

»Wo ist nun dein Gott?«

71

zunächst ist da nur Leere. Alles verstehen muss man nicht – und wird es auch niemals. Von Augustin wird erzählt, er sei am Meer einem Kind begegnet, das mit einem Gefäß Wasser an Land in ein Loch gießt. »Was machst du da«, fragt Augustin. »Ich schöpfe das Meer aus in dieses Loch«, antwortet das Kind. Augustin lächelt und sagt mild: »Nun, das wirst du niemals schaffen.« Darauf erwidert das Kind: »Aber du versuchst das gleiche doch mit Gott.«6 Augustin lernt daraus und wird später sagen: »Wenn du es verstehst, dann ist es nicht Gott.«7 Anders gesagt: Unser Gehirn ist etwas besser verschaltet als das von Schimpansen. Warum sollten wir alles verstehen und das Geheimnis der Welt erklären können? Wie sollte ich wissen, was Gott will und was Gott nicht will? Der Grund und Abgrund unseres Lebens wohnt nicht auf dem Olymp. »Einen Gott, den ›es gibt‹, gibt es nicht«, sagt Dietrich Bonhoeffer.8 »Will« Gott überhaupt etwas? »Hört« Gott? »Sieht« Gott? »Handelt« und »hilft« Gott? »Wenn aber die Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten und mit diesen Händen malen könnten und Bildwerke schaffen wie Menschen, so würden die Pferde die Götter abbilden und malen in der Gestalt von Pferden, die Rinder in der von Rindern, und sie würden solche Sta­tuen meißeln, ihrer eigenen Körpergestalt entsprechend«, schreibt Xenophanes von Kolophon um 500 v. Chr.9 Zu personal, zu konkret und zu lieb klingt oft die Rede von Gott: als habe jemand bei einem Glas Rotwein mit dem Höchsten selbst über das Leben gesprochen und wisse nun alles aus erster Quelle. Dass Gott den Leidenden besonders nah sei, ist ein gewagter Satz voller Sehnsucht – und voller Angst, er könne sich nicht bewahrheiten. Wie viel lässt sich von Gott sagen, ohne aus dem Rahmen eines an­gemessenen Nichtwissens in eine falsche Vollmundigkeit zu fallen, die mehr »weiß«, als Menschen wissen können? Groß ist das göttliche Geheimnis. Und ich verstehe es als frommen Glauben, dieses Geheimnis stehenzulassen. Krankenhausseelsorge macht bescheiden. Sie kann Gott nicht erklären. Sie lässt sich stattdessen berühren vom Leiden der Menschen, denen sie begegnet,

6 Nach: »Glaubensinfo Trinität«, in: Andere Zeiten – Magazin zum Kirchenjahr 2/2014, S. 17. 7 Edition des Migne, Bd. 38, Spalte 663: Predigt 117,5 (zu Joh 1,1–3): »… si enim comprehendis, non est deus.« 8 Habilitationsschrift von 1929. Bonhoeffer, 1956, S. 94. 9 Zitiert nach Kroeger, 2004, S. 75.

I

72

Michael Brems

verzichtet auf große Entwürfe und spricht in Hauptsätzen oder schweigt. Flügel, Liebe, Ruh.10 3.2  Schritte ins Leere

I

Was bleibt und was kann entstehen, wenn man die Finsternisse nicht ausblendet oder religiös vergoldet? Was geschieht, wenn man in einem Krankenzimmer an einen tiefen, dunklen Abgrund kommt und die andere Seite schmerzlich vermisst, wenn man Gott mehr ersehnt als die Wächter den Morgen (Ps 130,6)? In ihrer Geschichte hat die Kirche eine breite Brücke über diesen Abgrund gebaut. Aus Steinen der Deutung, aus Erklärungen. Auf dieser Brücke können prächtige Gottesdienste mit verzierten Kyries und bunte Prozessionen stattfinden. Den Abgrund spürt man dann gar nicht mehr. Und man landet am Ende auf derselben Seite, von der man losgezogen ist. An einer anderen Stelle jedoch führt eine andere Brücke über diesen Abgrund. Diese Brücke allerdings gibt es erst einmal gar nicht. Nur ein erstes Brett beginnt am Rand zur Tiefe. Diese Brücke bildet sich erst – mit jedem Schritt, den ich gehe! Sie entsteht, während ich mich vorwage und Schritte in die Luft setze. Sie ist nicht fertig. Stück für Stück entsteht sie über der Leere.11 Der Glaube der Krankenhausseelsorge ist ein Wagnis. Diesen Glauben »hat« man nicht. Diesen Glauben »weiß« man nicht. So wie man die Liebe nicht hat oder weiß. Glauben heißt Suchen, heißt Hoffen, heißt Vertrauen, heißt, sich in Widerspruch zu begeben gegen das Dunkel, heißt Lieben. An Gott zu glauben bedeutet nicht, wundersame Dinge für wahr zu halten oder sich an die Erhörung eines Gebetes zu klammern. An Gott zu glauben, ist vielmehr eine Art zu sein, eine Art, auf das Leben und auf Menschen, auch auf sich selbst, zu blicken: barmherzig, hoffend, mitfühlend, liebend. Die fides qua ist wesentlicher als die fides quae. Glauben ist eine bestimmte Art zu leben, zu sein. Glauben heißt, berührbar zu sein. Ist Wagnis abzustürzen. Ist Versuchung, sich auf der breiten Brücke einzurichten. Ist ein Gefühl und eine Gewissheit, dass letztlich das Wesentliche unsichtbar ist, dass Gott in einem Licht wohnt, zu dem niemand kommen kann (1 Tim 6,16), oder dass er im Dunkel des Allerheiligsten wohnt, wo der Ort seiner Gegenwart leer ist (1 Kön 8,12)! Heißt, Gott in den Widersprüchen des Lebens zu suchen. Glaube tastet im Dunkeln über die Brücke – zitternd und in der Hoffnung, dass sie sich bildet, indem ich sie gehe.

10 Ausländer, 2012, S. 85 f. 11 Vgl. Domin, 2010, S. 47: »Ich setzte den Fuß in die Luft, / und sie trug.«

»Wo ist nun dein Gott?«

73

3.3 Dennoch Glauben heißt: Glauben wagen. Und Glauben heißt, zu widersprechen und dem gebrochenen und verletzten Leben nicht das letzte Wort zu lassen. Der Glaube der Krankenhausseelsorge erlebt Finsternisse und Abgründe; und fast trotzig behauptet er Gott dagegen. Er hält sich, mit Luther gesprochen »zu Gott widder Gott«12. Indem er den nächsten Schritt über die Brücke setzt, nimmt er die Gestalt eines Dennoch-Glaubens an, eines Dennoch-Vertrauens. Robert McAfee Brown, der protestantischer Professor für Theologie in Berkeley, USA, war, »[…] war zusammen mit einer Gruppe, darunter jüdische Überlebende von Auschwitz, auch Elie Wiesel, zum Krematorium von Birkenau gegangen. Als er an diesem Ort des Grauens stand, dachte er: ›Golgatha offenbarte die Gottverlassenheit eines Juden. Birkenau vervielfacht diese Angst um mindestens dreieinhalb Millionen Mal. Für mein weiteres Leben wird dieses Krematorium das machtvollste Faktum gegen Gott repräsentieren …‹ (202) Aber schließlich hörte er, wie von ›einem immer größer werdenden Chor der anderen, die meisten von ihnen Juden‹ (202), das Sh’ma Jisrael gebetet wurde. […] ›An dem Ort, an dem der Name Gottes unter Qualen verleugnet werden könnte, wurde der Name Gottes unter Schmerzen bejaht – gerade von denen, die allen Grund hätten, ihn zu verleugnen. Ich erzitterte in der Spannung zwischen meinem Drang zur Verleugnung und ihrer Entscheidung zur Bejahung. Weil ich in Birkenau stand, ist es unmöglich für mich, an Gott so zu glauben, wie ich es zuvor tat. Weil ich mit ihnen in Birkenau stand, ist es nun möglich geworden, an Gott auf eine Weise zu glauben, wie ich es nie zuvor getan habe.‹ (202/203)«13 Was für eine Erfahrung!

12 In einer Predigt zu Mt 15,21 ff. stellt Luther die Beharrlichkeit der kanaanäischen Frau, die sich von Jesus nicht fortschicken lässt, als Vorbild für den Glaubenden hin: »Also muessen wyr auch thun und lernen alleyn am wort fest hangen, ob gleich Gott mit allen creaturn sich anders stellet denn das wort von yhm sagt. Aber, o wie wehe thut das der natur und vernunfft, das sie sich soll so nackt ausziehen und lassen alles, was sie fuelet, und alleyne am blossen wort hangen, da sie auch das widder spiel fuelet. Gott helff uns ynn noeten und sterben zu solchen mut und glauben.« (WA 17/II, S. 202) 13 Petersen, 1998, S. 89. Sie zitiert: Robert McAfee Brown und Elie Wiesel: Zeuge für die Menschheit (1990).

I

74

I

Michael Brems

Was Auschwitz im Extrem lehren kann, lehrt auch das Krankenhaus: Kommunikation des Evangeliums heißt, die Untröstlichkeit auszuhalten. Stehenzubleiben. Nicht wegzusehen. Zu schweigen. Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen auszuhalten. – Heißt auch, Glauben zu wagen. Dennoch zu hoffen, mitzufühlen, zu lieben. Dem Dunkel zu widersprechen, ihm nicht das letzte Wort zu lassen. Gott zu vermissen, Gott zu suchen und Gott zu behaupten – und damit die Wahrheit von Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und der Ehrfurcht vor dem Leben. Glauben ist dann weniger ein Für-wahr-Halten von etwas, sondern eine Art zu leben, eine Art, zusammen mit Gott die Welt und das Leben zu lieben und zu wärmen. In Amsterdam gibt es im ehemaligen jüdischen Viertel, im Wertheim-Park, ein Auschwitz-Mahnmal. In den Boden ist eine mehrere Quadratmeter große Spiegelfläche eingelassen, und auf einem Schild steht auf Holländisch: »Nie wieder Auschwitz« (»Nooit meer Auschwitz«). Bei der Enthüllung 1993 ging ein Erschrecken durch die Menge: Die Spiegelfläche war völlig zerbrochen! Doch der Künstler beruhigte die Menschen; die Sprünge seien Absicht. Seine Aussage sei: Nach Auschwitz, nach der Shoah, könne sich nichts und niemand mehr – und nicht einmal mehr der Himmel(!) – ungebrochen widerspiegeln. Und so steht man am Rand der Spiegelfläche, sieht sein Gesicht, sieht die Bäume, die Wolken und das Blau des Himmels über sich: zersprungen. Es ist alles versehrt. Dennoch ist es da. Versehrt wie der Glaube der Krankenhausseelsorge. Die Tränen, die geweint werden, sind wahr. Und genauso wahr ist der Dennoch-Glaube, dass Gott sie einmal abwischen wird. Flügel, Liebe, Ruh.14 Auf eine Wand im Warschauer Getto schrieb ein namenloser Jude: »Ich glaub’, ich glaub’, ich glaube ehrlich, unerschütterlich und fromm, daß der Messias komm: An den Messias glaub’ ich, und wenn er auf sich warten läßt, glaub’ ich darum nicht weniger fest, selbst wenn er länger zögert noch, an den Messias glaub’ ich doch, ich glaub’, ich glaub’, ich glaube.«15

14 Vgl. Ausländer, 2012, S. 85 f. 15 Lapide, 1983, S. 50.

»Wo ist nun dein Gott?«

75

3.4  Widersprüche und Nicht-Dualität Wie kann man so glauben? Ich vermute: Ein solcher Glaube wächst als zarte, trotzige Pflanze im Schatten dunkler Widrigkeiten. Ohne diese zu verleugnen und ohne sie schön zu reden. Er zehrt von einer Kraft jenseits von Licht und Dunkelheit. Er tritt heraus aus einer Dualität von Gut oder Schlecht, von Richtig oder Falsch, von Glauben oder Nicht-Glauben, von Leiden oder Glück, von Gott oder Nicht-Gott – hinein in einen dritten Raum. Hier wohnt die Hoffnung, dass sich eine Brücke über den Abgrund bilden kann. Sein wichtigstes Wort ist »und«. Dieser Glaube »weiß«: ȤȤ Gott regiert nicht die Welt. Und kein Sperling fällt ohne ihn auf die Erde, und auch unsere Haare auf dem Haupt sind alle gezählt (Mt 10, 29f). ȤȤ Leben ist verletzlich und gefährdet. Und Leben ist stark und schön. ȤȤ Gott ist mächtig. Und er hängt ohnmächtig am Kreuz und stirbt. Auch in der sterbenden Frau und dem vom Auto zerdrückten Kind. ȤȤ Beten verändert nicht die äußeren Umstände – nur den Betenden selbst. Und »dein Wille geschehe«. ȤȤ Gott ist verborgen. Und Gott ist sichtbar, im Antlitz dessen, der mich ansieht. ȤȤ Es gibt Menschen, die von einem metastasierenden Lungenkrebs zerfressen werden. Und Mandelzweige blühen und treiben immer wieder. ȤȤ Es gibt keinen Himmel und keine Hölle. Und das alte Gebet aus der katholischen Beerdigungsliturgie ist wahr: »Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem. Die Chöre der Engel mögen dich empfangen und durch Christus, der für dich gestorben, soll ewiges Leben dich erfreuen.« (GL 515) Nicht das eine oder das andere ist wahr. Mit nur einem Auge sieht man lediglich ein flaches Bild der Wirklichkeit. Um dreidimensional gucken zu können, brauche ich beide Augen, brauche ich das Und. Das wussten schon die Alten, als sie formulierten, Jesus Christus sei wahrer Mensch und wahrer Gott. Im Abendmahl esse ich Brot, trinke Wein und nehme Christus selbst auf. Das trinitarische Dogma bringt sogar eine Art drittes Auge ins Spiel und führt das logische Denken ad absurdum, das nur eine Sichtweise für richtig halten kann und alles andere ablehnen muss. Dass Gott drei und eins zugleich ist, kann man nicht denkend verstehen. Verstehen kann

I

76

I

Michael Brems

man aber auch das Leben nicht wirklich, das genauso wenig eindimensional und widerspruchsfrei ist – wie ich selbst. Oder Gott. Vielleicht kommt deshalb das Heilige in Bildern in die Welt. In Bildern, die Widersprüche aushalten und vereinen. Die alten Worte öffnen eine Wirklichkeit, in der die Frage nach dem Warum bleibt und gleichzeitig ein Vertrauen aufblühen kann, dass die sterbende Frau oder das tote Kind an einen guten Ort kommen werden. Glaube glaubt in Bildern. Aber es sind nicht »nur« Bilder. Sie sind wahr. Aber sie sind anders wahr als 1 + 1 = 2. Wenn ein Liebender sagt, es werde hell, wenn der, den er liebt, den Raum betritt, dann wird jemand mit einem Belichtungsmesser dem lachend widersprechen können. Der aber hätte das Wesentliche nicht erfasst. Beim Glauben geht es um eine andere Art von Wahrheit: um die Wahrheit der Liebe. Und es geht um die Kostbarkeit des Lebens. Es geht um eine Wahrheit, die größer und tiefer ist als die Widersprüche des Lebens, als seine Schmerzen und sein Leiden. Dieser Glaube verneigt sich voll Respekt vor dem Geheimnis der Welt und tut einen nächsten Schritt. Er leidet an der Unerklärbarkeit Gottes und glaubt – und liebt – dennoch. 3.5   Wahrheit als heiliges Spiel Glaube glaubt in Bildern, in Bildern, die ihre eigene Wahrheit haben. Von einem Psychoanalytiker habe ich einmal folgende Geschichte gehört: Ein kleiner, vielleicht dreijähriger Junge spielt für sich im Wohnzimmer »Lokomotive«. Er hat einige Stühle und Hocker hintereinandergestellt, setzt sich auf den vordersten und versinkt tutend und zischend in seinem Spiel. Als der Vater nach Hause kommt, geht er zu seinem Sohn und gibt ihm zur Begrüßung einen Kuss. Da sagt der: »Papi, du darfst die Lokomotive nicht küssen, sonst merken doch die Wagen, dass sie nicht echt ist.« Vielleicht lehrt die Krankenhausseelsorge – auf ihrem Weg zwischen der Untröstlichkeit, dem Nicht-Wissen, einer Dennoch-Hoffnung und dem Aushalten von Widersprüchen – den Glauben als heiliges Spiel. Als ein Mysterium. Wie ein Narr, der sich auf die Seite der Torheit des Kreuzes (1 Kor 1,18) gestellt hat. Sie leugnet den Schmerz nicht, sie sieht ihn an und würdigt ihn. Und harrt dennoch auf Gott und den Ostermorgen. Sie findet sich nicht ab mit der Finsternis und vermisst und behauptet Gott, auch wenn er noch so fern scheint. Sie argumentiert nicht.16 Sie hält Widersprüche aus. Sie spricht trotzig ein Und und 16 Anmerkung des Herausgebers nach einem Gespräch mit dem Autor: Der Platz an einem Krankenbett ist i. d. R. kein Ort für Argumente, manchmal auch kein Ort der Reflexion. Dies geschieht vorher und hinterher, als Vorbereitung und Nachbereitung. Am Abgrund selbst besteht die seelsorgliche Aufgabe im Aushalten und Da-Bleiben. Wie fruchtbar aber könnte der

»Wo ist nun dein Gott?«

77

ein Dennoch und weiß sich verbunden mit allem, was lebt. Sie spielt Lokomotive und, dass Gott ist. Sie kann es nicht beweisen. Aber sie spielt diese Wahrheit mit großem Ernst und mit tiefer Sehnsucht und als Widerspruch. Mit Rose Ausländer schreibt sie an die Tempelwand und in die Gebetbücher große Worte der Hoffnung und des Glaubens: »Flügel Liebe Ruh«17. Und mit Paulus weiß sie: … aber die Liebe ist die größte unter ihnen (1 Kor 13,13). »[…] Lebendig ist, wer das Licht erwartet in den Tagen des schwarzen Sturms, wer die stilleren Lieder ohne Geschrei und Schüsse wählt, sich zum Herbst hinwendet und nicht aufhört zu lieben.« (Luigi Nono)18

Theodizee Gott Dennoch ??? Zusammenfassung: Die Erfahrungen der Krankenhausseelsorge stellen Grundüberzeugungen des Glaubens infrage und verbieten falschen Trost. Untröstlichkeit will ausgehalten und Leiden von Menschen ernst genommen werden. An den Abgründen des Lebens sind die Bereitschaft zum Nichtwissen und zum Schweigen, das Wagnis eines Dennoch-Glaubens und das Aushalten von Widersprüchen hilfreiche religiöse Haltungen. Am Ende geht es darum, nicht aufzuhören zu lieben.

Dialog zwischen Vertreter*innen Systematischer Theologie und Krankenhausseelsorge werden, wenn beide aufeinander hörten und voneinander lernten, auf dass Theologie und Leben sich gegenseitig erklärten und stärkten. 17 Ausländer, 2012, S. 85 f. 18 Nono, 1962, S. 4–7.

I

Mit Sterbenden sprechen – die Rolle des Seelsorgers und die Potenz religiöser Rede auf der multidisziplinären Palliativstation Armin Nassehi, Irmhild Saake und Katharina Mayr

I

Traditionell hat der Seelsorger seinen unbestrittenen Platz am Sterbebett. Genau genommen war der Seelsorger die zentrale professionelle Figur im Angesicht des Sterbens, welche Heil in der Transzendenz des Todes in Aussicht stellen oder zumindest für Tröstung sorgen konnte. Mit der zunehmenden Medikalisierung und organisationalen Einbettung des Sterbens hat sich die Rolle des Seelsorgers oder der Seelsorgerin in Bezug auf die Begleitung Sterbender grundsätzlich gewandelt. Nun findet sich der Seelsorger inmitten einer ganzen Reihe unterschiedlicher Professionen wieder, die ebenfalls an der Herstellung eines guten Sterbens mitarbeiten. Auf der multidisziplinären Palliativstation als spezialisierte, krankenhausinterne Form der Betreuung unheilbar Kranker und Sterbender, arbeiten Ärzte, Pflegende, Sozialarbeiter, Psychologen, andere Therapeuten und eben auch Seelsorger und Seelsorgerinnen als Team zusammen. Der Hospizidee verpflichtet soll hier das Sterben so bearbeitet werden, dass es dem Sterbenden – so eine charakteristische Beschreibung – als ganzer Person gerecht wird. Gemeint ist damit, dass neben medizinischen Fragen auch psychische, soziale und spirituelle Bedürfnisse Berücksichtigung finden sollen. Allerdings soll die Verantwortung für die Spiritualität des Patienten keineswegs allein bei der Seelsorgerin oder dem Seelsorger liegen, vielmehr sollen im Sinne von Spiritual Care ebenso Ärzte, Pflegende und andere Professionen in ihre Arbeit seelsorgliche Aspekte integrieren. Eine solche Problembeschreibung reagiert typisch auf die Multiprofessionalität des Organisationssettings und findet eine Lösung darin, die wahrgenommene Arbeitsteilung zu problematisieren. Starke Ideale gelungener Teamarbeit und bewussten Sterbens lassen sich als Ausdruck dieser Problembeschreibung verstehen. Idealerweise sollen sich die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Professionen zu einem einheitlichen Bild zusammensetzen lassen, in dem der Patient als Sterbender sichtbar werden kann. Doch was soll der Patient mit dieser Sichtbarkeit anfangen? Würde er dann gern sterben wollen?

Mit Sterbenden sprechen

79

Unsere eigenen empirischen Studien bieten eine andere Lesart dieser Situation an. Anstatt die Multiprofessionalität voreilig zu diskreditieren, sollen Perspektivendifferenzen als funktionale Problemlösungen verstanden werden. An der Figur des Klinikseelsorgers lässt sich beispielhaft zeigen, wie sehr Sterben unter der Bedingung der modernen Gesellschaft von hocharbeitsteiligen Hilfen geprägt ist, die den Sterbenden jeweils unterschiedlich adressieren. Wenn man diesen Befund ernst nimmt, kann man sehen, dass Sterbende offenbar auch davon profitieren können, nicht immer als Sterbende angesprochen zu werden. Die folgenden theoretischen und empirischen Ausführungen sollen verdeutlichen, wie die moderne religiöse Rede und das organisationale Setting der Klinikseelsorge ihre Funktionalität exakt in dieser Kombination finden. Klinikseelsorger reden mit Sterbenden über ein Jenseits, das zunächst vor allem ganz schlicht ein Jenseits der Sterberolle ist. Auf diese Weise erfüllt sich ganz umstandslos für Sterbende die Möglichkeit, ihr Sterben temporär unsichtbar zu machen – vielleicht auch zu verleugnen, während gleichzeitig für Seelsorger die Adressierung eines Ganzen der Person des Sterbenden gelingt. Was damit gemeint ist, möchten wir zunächst im Hinblick auf die Frage danach klären, wie religiöse Kommunikation unter der Bedingung der modernen Gesellschaft zu einer Kommunikationslogik unter anderen wird, zu einer Perspektive, die ihre Besonderheit darin findet, in der Immanenz einer immer von Sinninkonsistenz geprägten Welt ein transzendentes Ganzes zu entdecken. Im Anschluss daran werden wir genauer untersuchen, wie sich diese Form religiöser Rede im Kontext der Klinikseelsorge plausibilisiert.

1  Der Blick aufs Ganze und gesellschaftliche Differenzierung Die religionssoziologische Klassik verfügte über keine ausdifferenzierte Religionssoziologie, vielmehr diente die Thematisierung von Religion einer viel grundlegenderen Frage, nämlich der Bestimmung des Sozialen schlechthin. So sehr sich die verschiedenen Anfangspunkte der soziologischen Klassik auch voneinander unterscheiden, einig scheinen sie sich darin zu sein, das Religiöse als eine, wenn nicht die entscheidende Quelle des Kollektivs, als gemeinschaftsstiftende Kraft, als Transzendierung des je Individuellen anzusehen. Sowohl bei Émile Durkheim als auch bei Max Weber besteht die vornehmste Funktion der Religion darin, Handlungsmaximen zugunsten gemeinschaftlicher Solidarität zu stiften. Auch Talcott Parsons weist der Religion integrierende Funktionen zu, die vor allem durch die Kombination von Gemeinschaftsbildung und Vermittlung moralischer Werte erfüllt werden sollten. Das klassische soziologische

I

80

I

Armin Nassehi, Irmhild Saake und Katharina Mayr

Religionsverständnis – welcher Provenienz auch immer – weist Religion eine Orientierung am Ganzen zu, eine Sinnvermittlungsfunktion über die Partikularität des Hier und Jetzt hinaus. Religion fällt hier gewissermaßen mit der Grundfunktion des Gesellschaftlichen zusammen: Soziale Reproduktion nicht dem Zufall jeweiliger Gegenwarten zu überlassen, sondern Erwartbarkeiten, Kontinuitäten, Kontrolle, Macht, Orientierung, Zwang, schlicht: Ordnung zu generieren. Nun begann die frühe Soziologie ja eher als skeptische Disziplin, die die Folgeprobleme gesellschaftlicher Modernisierung allererst auf Begriffe bringen musste und sich dabei vornehmlich auf Verlustdiagnosen kapriziert hat. Wir meinen, dass ein Großteil der soziologischen Theorien und Diagnosen der Moderne sich allzu sehr an jener ersten Soziologengeneration orientiert hat. Bis heute scheint die Soziologie geradezu obsessiv auf die Integrationsfähigkeit, die Gesamtkoordination und die zentrale Repräsentationsfähigkeit des Gesellschaftsganzen fixiert zu sein. Nicht sehen kann man dann, dass es vielleicht zu einer der größten evolutionären Errungenschaften des Modernisierungsprozesses gehört, auf Integration und auf die Bindung des Gesellschaftlichen ans Gesellige möglichst strikt verzichten zu können, und dass die Aufgabe soziologischer Reflexion darin bestehen könnte, nach Bedingungen dafür und nicht nur nach funktionalen Äquivalenten für die vormalige Funktion dessen zu suchen, was die erste Generation auf den soziologischen Lehrstühlen Religion nannte. Anders arbeitet eine systemtheoretisch operierende Soziologie des Religiösen im Rahmen einer Theorie funktionaler gesellschaftlicher Differenzierung. Diese gesellschaftstheoretische Perspektive beobachtet den Modernisierungsprozess als einen Prozess, in dem sich unterschiedliche gesellschaftliche Funktionen operativ voneinander unabhängig machen, also sich voneinander wegdifferenzieren. Funktionale Differenzierung beschreibt keineswegs einen Prozess der Dekomposition einer bestehenden Einheit, sondern die historische Genese unterschiedlicher Anschlusslogiken, die ihre Annahmewahrscheinlichkeit dadurch erhöhen, dass sie symbolisch generalisierte Kommunikations­ medien ausbilden und damit systemische Schließung in Gang setzen.1 Wahrheitsfragen entkoppeln sich von politischer oder religiöser Domestizierung und fügen sich nun dem Medium wissenschaftlicher Wahrheit, deren besondere Qualität darin besteht, wissenschaftlich widerlegt werden zu können. Sobald also wissenschaftliche Wahrheit sich von anderen Anschlusskriterien emanzipiert oder sobald sich die Logik des Politischen mehr und mehr von Logiken etwa des Religiösen oder des Recht­lichen zu unterscheiden beginnt, differenzie1 Vgl. Luhmann, 1997.

Mit Sterbenden sprechen

81

ren sich Systemzusammenhänge aus, die selbstsubstitutive und exklusive Ordnungen bilden. Die funktional differenzierte Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der es keinen Ort mehr für eine – wenn man so will – Metasprache für diese unterschiedlichen Ordnungen gibt. Nur so ist das Diktum einer Gesellschaft ohne Zentrum und ohne Spitze zu verstehen. Nun sind diese Systeme, die in der modernen Gesellschaft gewissermaßen spezialisiert sind für unterschiedliche Sinnzusammenhänge, keine Akteure oder irgendwie zentralisierte Einheiten, die mit einer Stimme sprechen. Erst Organisationen ermöglichen es den Funktionssystemen, abstrakte Funktionslogiken in konkrete Verwendungszusammenhänge zu überführen. In Organisationen findet darüber hinaus die strukturelle Kopplung zwischen unterschiedlichen Logiken statt, wie etwa in einem Krankenhaus, in dem viel mehr geschieht als Medizinisches, nämlich Recht­liches, Ökonomisches, Religiöses und bisweilen Wissenschaftliches. Gerade die Tatsache, dass z. B. medizinische Probleme und Lösungen sich nicht eins zu eins in ökonomische Kategorien überführen lassen, der medizinische Erfolg sich aber auch nicht unabhängig von ökonomischen Erfolgsbedingungen einstellt (und Gleiches gilt auch umgekehrt), sorgt für die Konflikte, die für Organisationen typisch sind. Lösungen in einem Bereich können Probleme in einem anderen generieren. Sowohl für die Gesellschaft als auch für Organisationen gilt also, dass es keinen Standpunkt (mehr) gibt, von dem aus sich das Ganze als Ganzes beobachten lässt. Worin besteht nun aber das Besondere der religiösen Kommunikation? Wenn man unter Religion nicht einfach Rekurse aufs Heilige versteht, wie die klassische Religionswissenschaft (vgl. Otto2; Eliade3), und nicht von vornherein eine Quelle gesamtgesellschaftlicher Handlungskoordination, wie die frühe Soziologie, bleibt als besondere Form religiöser Kommunikation nur, mit Bestimmtheit auf Unbestimmtheit zu verweisen.4 Dazu simuliert Religion eine transzendente Position, von der allein her sich das Ganze als Ganzes sehen lässt.5 Zudem verschiebt sich der Beobachtungsfokus von der Ganzheit der Welt in Richtung einer Ganzheit der individuellen Person und ihrer biografischen Selbstbeobachtung. Denn einerseits erlaubt funktionale Differenzierung keine Konditionierung der Gesamtgesellschaft durch eines der Funktionssysteme, andererseits erfordert funktionale Differenzierung geradezu eine Unterbestimmung des Individuums im Vergleich zu früheren, integrativeren Sozialformen. 2 3 4 5

Vgl. Otto, 1963. Vgl. Eliade, 1984. Vgl. Nassehi, 2009. Vgl. Luhmann, 2000.

I

82

I

Armin Nassehi, Irmhild Saake und Katharina Mayr

Moderne religiöse Kommunikation kann damit so viel Unbestimmtheit aushalten, dass sie sogar auf religiöse Inhalte im engeren Sinne verzichten kann. Sie stellt um von der Sichtbarkeit des religiösen Handelns (Kirchgang, Teilnahme an Riten, Thematisierung speziell religiöser Themen, Präsenthalten religiöser Themenanspielungen, Identifizierung konfessioneller Muster usw.) auf religiöses Erleben. Die entscheidende kommunikative Technik setzt am Individuum an und orientiert sich an einer Authentizität des Erlebens, die – im Vergleich zu religiösem Handeln – unsichtbar bleibt und der Kritik entzogen ist. Erst unter diesen Bedingungen kann sich die ganze Potenz einer religiösen Praxis zeigen, die nun in allem Beobachtbaren Eindeutigkeiten und Unbedingtheiten erkennen kann. Ihr Medium ist der Glaube. Aber wie lässt sich empirisch ein Medium beobachten, das sich der Sichtbarkeit systematisch entzieht? Womöglich sogar für die Sprecher selbst. Und welche Rolle spielt die multiprofessionelle Organisationsform des Krankenhauses bzw. des Hospizes bei dieser Form der Entfaltung religiöser Kommunikation?

2  Die multidisziplinäre Palliativstation Bevor es nun darum gehen soll, wie Seelsorger und Seelsorgerinnen mit Sterbenden sprechen und welche Rolle sie in der multidisziplinären Betreuung der Patienten spielen, muss man sich vor Augen halten, dass die traditionelle Form der Sterbebegleitung weniger im Sprechen mit einem Sterbenden bestand, der selbst als Sprecher agieren soll, als in der rituellen Einhegung einer Übergangssituation6, in einer noch stark auf Interaktion unter Anwesenden basierenden Gesellschaft. In der modernen Seelsorge hingegen ersetzt das Gespräch weitgehend das Ritual.7 Zwar verschwinden rituelle Handlungen nicht aus der seelsorgerlichen Praxis,8 vieles spricht aber dafür, dass sich die Funktion des Rituals fundamental verändert. Zum zentralen Medium der Seelsorge wird das Gespräch, was sich auch daran zeigt, dass mangelnde Gesprächsbereitschaft als Problem thematisiert wird: »Also schwierig, also des Schwierigste sind, glaub’ ich, die Situationen, wo man nicht hinkommt an die Leute, also wo so ’ne Verschlossenheit ist oder auch Sprachbarrieren, kulturelle Vorstellungen, die nicht kompatibel sind mit hier. Also des sind so Situationen, die dann schwierig sind. […] Aber, wie gesagt, ich denke, so 6 Vgl. Gennep, 1986 (1909). 7 Vgl. Nassehi/Saake, 2004. 8 Vgl. Roser/Hagen/Foster/Borasio, 2010.

Mit Sterbenden sprechen

83

des Schwierigste ist so die Verschlossenheit und Unzugänglichkeit, also des ist so, was-, was vielleicht nach außen hin gar nicht so sensationell aussieht unbedingt, ja?« (E-LB-4, 255–258)9

Die Bereitschaft der Patienten, sich auf ein Gespräch einzulassen wird so zur Voraussetzung für eine Praxis, für die das Sprechen mit den Patienten zum zentralen Fokus der seelsorglichen Begleitung geworden ist. Freilich stehen den Seelsorgern und Seelsorgerinnen auch rituelle und symbolhafte Formen der Kommunikation zur Verfügung, die dann beispielsweise in der Begleitung von nicht mehr ansprechbaren Patienten aktiviert werden. Ist der Patient aber bei Bewusstsein, wird versucht, den Kontakt zum Patienten auf der Ebene des Gesprächs herzustellen. Allein darin liegt aber noch nicht das Spezifische seelsorglicher Kommunikation. Im Unterschied zu anderen Berufsgruppen hat die Kommunikation von Seelsorgern sehr charakteristische Zeithorizonte. Unter Zeithorizonten soll hier zweierlei verstanden werden: einerseits ist die Organisation des Sterbens in Palliativstationen und Hospizen sehr stark dominiert von medizinischen Kommunikationsstilen. Medizinisches Handeln ist jedoch auf eine Zukunft eines behandelbaren Körpers ausgerichtet, und insofern verwundert es nicht, dass sich in Studien zu ärztlicher Kommunikation sehr häufig zeigt, dass Ärzte bei sterbenden Patienten nicht mehr so recht wissen, was sie noch sagen sollen.10 In der folgenden Episode aus einer multidisziplinären Fallbesprechung wird deutlich, wie schwierig sich die ärztliche Ansprache an eine Sterbende gestalten kann, die eben keine Zukunft mehr hat: »Sie kam mit der Situation nicht gut klar, war sehr ängstlich. Ich hab drei Anläufe für die Aufnahme gebraucht. Sie war sehr belastet, weil sie sich der Situation auch sehr bewusst war. Als ihr mitgeteilt wurde, dass eine Chemotherapie nicht mehr sinnvoll sei, war sie sehr verschlossen gegenüber den Ärzten.« Der befreundete Chirurg habe ihr auch ihre Situation einmal sehr klar dargelegt, ab da sei sie sehr ängstlich gewesen und habe gefragt, wann sie sterbe oder auch, ob man denn nicht alles rausoperieren könne. »Aber es war klar, sie weiß es, was soll man dann antworten?« (T-LB-6, 34–131)

Andererseits fehlt es anderen Berufsgruppen wie z. B. den Pflegekräften, die auch alltagsnah kommunizieren, oft an Zeit, weil sie ihren Arbeitsalltag als eine Gleichzeitigkeit von bedürftigen Körpern erleben.      9 Die Zitate entstammen empirischen Studien der Autoren. 10 Göckenjan/Dreßke, 2002.

I

84

Armin Nassehi, Irmhild Saake und Katharina Mayr

»Des ist manchmal tatsächlich sehr schwierig, weil wenn ich viel Arbeit hab, hab ich nicht so viel Zeit für Gespräche. Aber mir ist es jetzt letztens passiert, eigentlich hätte ich keine Zeit gehabt und sie hat explizit mich angefordert. Da muss ich mir die Zeit nehmen. Eigentlich hätte ich das gern, wobei von der Zeit her, weil es um halb neun Uhr abends war, da ist keiner mehr da, da muss ich’s eh erledigen, fand ich, so des hätte sie auch mit jemand anderem besprechen können und ich hätte die Zeit gewonnen. Aber nein, sie hat mich gebeten, ob ich noch Zeit hab für sie. Des kommt jetzt nicht so oft vor, weil vieles wenn man merkt so während der Körperpflege oder wenn man auch einmal Zeit hat und sich hinsetzt, da ist einfach viel Spiritualität da, da wär’s besser, da geht ein Seelsorger hin, da kann ich gut abgeben auch.« (E-LB-3, 45–53)

I

Wenn man im Vergleich dazu Interviews mit Klinikseelsorgern und -seelsorgerinnen liest, fällt der Kontrast zu den anderen Berufsgruppen besonders stark auf. »Alle Berufsgruppen oder Bereiche formulieren Therapieziele für die Besprechung. Die Seelsorge formuliert zunächst mal eigentlich kein Therapieziel. Sondern die Seelsorge sagt ›Wir gehen mal hin … Und sind mal da …‹ und des Therapieziel heißt eigentlich: Begegnung und Sich-Einlassen. Aber nicht: Verringerung der Schmerzen oder Ähnliches. Und des ist so die unterschiedliche Herangehensweise, glaub ich, die wichtig ist. Dass ich eigentlich ohne Ziel oder mit keinem anderen Ziel hingehe, als mit diesem Patienten in Kontakt zu kommen und zu schauen, was für den jetzt in diesem Moment wichtig ist.« (E-LB-4, 61–68)

Interessant ist, dass dieser Seelsorger die eigene Herangehensweise in Abgrenzung zu anderen Professionen auf der Palliativstation beschreibt. Allein das ist schon ein Hinweis darauf, wie voraussetzungsreich eine solche Perspektive im therapeutischen Setting einer Palliativstation ist. Zwar werden der seelsorglichen Tätigkeit von den anderen Professionen therapeutische Effekte zugerechnet, und auch die Seelsorger sprechen von heilsamen Bildern oder Begegnungen. Das Heilende der Klinikseelsorge lässt sich aber offenbar nur dadurch herstellen, dass das Gespräch zunächst von der Last therapeutischer Zumutungen entlastet ist. »Wir gehen mal hin … Und sind mal da …« Was so alltagsnah und unorganisiert klingt, setzt doch einen arbeitsrechtlich geregelten und mit anderen Berufsgruppen abgestimmten organisationalen Rahmen voraus. Nun kommt freilich die Arbeit der meisten Berufsgruppen, die in der Betreuung und Versorgung beschäftigt sind, nicht ohne das Gespräch mit dem Patienten aus. Sozialarbeiter müssen sich ein Bild über die Versorgungslage des Patienten machen, um die weitere Unterbringung und Versorgung planen zu können,

Mit Sterbenden sprechen

85

und auch die ärztliche Anamnese erfordert das Sprechen mit dem Patienten. Auch die Beurteilung der Wirksamkeit einer Therapie, die etwa Schmerzen lindern soll, basiert auf Auskünften des Patienten. Ohne das Gespräch können viele Professionen ihre Arbeit nicht erledigen. Der Unterschied zum Seelsorgegespräch in der Klinik wird erst sichtbar, wenn man sich genauer anschaut, wie dieses seelsorgerliche Sprechen funktioniert.

3  Das seelsorgliche Gespräch mit Sterbenden Seelsorger und Seelsorgerinnen beschreiben sich mit Blick auf die anderen Professionen als geradezu befreit von organisatorischen Zwängen und den damit einhergehenden zeitlichen Restriktionen: »Okay, also wir haben-, wir sind insgesamt als Seelsorger in den Kliniken eigentlich die Einzigen, deren Zeit nicht getaktet ist, die einzigen Menschen, die wirklich Zeit haben ohne Ende, kann man sagen. Also ob ich jetzt auf ’ner Station, egal wo, ob auf der Palliativstation oder woanders, eineinhalb Stunden mit einer einzigen Person sprech’ und die mir ihr ganzes Leben erzählt, ihr Herz ausschüttet-. Und nicht nur die aktuellen Baustellen, sondern dann kommen sehr, sehr oft eben auch alle anderen Gepäckstücke >lachtlachen beideLacht< Obwohl die richtige Baustelle wo ganz anders liegt. Meinetwegen n’ Tumor in ’ner ganz anderen Gegend des Körpers. Und ob sie über die Sonne sprechen wollen, über die Tomaten zuhause und den Garten, >lacht< der jetzt nicht gepflegt werden kann, oder über Gott, oder über ihr Leben. Ja, das-, in erster Linie gibt das die Patientin oder der Patient vor.« (E-TH-7, 60–69)

Interessant an diesen Passagen ist nicht so sehr, dass es – wie die Seelsorger und Seelsorgerinnen betonen – um die Person des Patienten und seine Interessen und Wünsche geht. Interessant ist vielmehr, dass sie hinter diesen Interessen und Wünschen einen anderen Patienten sehen, einen Sterbenden, existenzielle Themen. Es fällt den Seelsorgern auf, dass es eigentlich eine richtige Baustelle gäbe – vielleicht einen Tumor –, und dass deshalb gerade die Tomaten und der Garten gar nicht so relevant sein sollten. Die charakteristische, patientengesteuerte Gesprächsform verhindert aber, dass die Seelsorger dies auch ansprechen. Und nun haben wir den Befund, dass offenbar Klinikseelsorger wissen, dass sie mit Sterbenden sprechen, die sie aber so nicht ansprechen, wenn diese das nicht von sich aus tun, und dass offenbar Patienten gern so reden, als seien sie keine Sterbenden. Wenn man an dieser Stelle noch einmal auf die Unterschiedlichkeit der Perspektiven auf einer multiprofessionellen Station zurückblickt, dann fällt auf, wie sich das Reden über die »Tomaten« von den Gesprächen des Patienten mit den anderen Berufsgruppen unterscheidet. Ärzte wissen offenbar regelmäßig gar nicht so recht, was sie mit einem Sterbenden noch besprechen sollen, und sie offenbaren damit nur, wie sehr eine medizinische Logik darauf angewiesen ist, die von ihnen behandelten Patienten mit einer Zukunftsperspektive auszustatten. In ihren Blick rücken kranke Körper, die gesund werden sollen.11 Für sie ist letztlich oft schon alles gesagt, weil ihre Patienten Sterbende sind. Einer 11 Vgl. Saake, 2003. Vgl. auch Saake, 2006.

I

88

I

Armin Nassehi, Irmhild Saake und Katharina Mayr

holistischen Hospizidee entsprechend wäre das auch ausreichend, wenn gleichzeitig diese Rolle des Sterbenden vom Sterbenden selbst irgendwie gefüllt werden könnte und die Patienten die Sterberolle aktiv annehmen würden. Der Arzt oder die Ärztin würde dann den Sterbenden mit ärztlichen Mitteln davor schützen, weiterbehandelt zu werden, damit dieser sich mit dem Sterben selbst auseinandersetzen könnte. Unser Material verdeutlicht nun aber, dass Sterbende auf Palliativstationen und in Hospizen sich vielleicht gar nicht so sehr als Sterbende sehen wollen. Folgt man den Beobachtungen der Seelsorger, dann aktualisieren Patienten in solchen Gesprächen eine Perspektive, aus der heraus sich keine Beschränkung ihrer Zukunft übers Sterben ergibt. Es sieht ein bisschen so aus, als wollten sie so tun, als ob nichts wäre. Die entsprechende Fachliteratur unterstützt dieses Ergebnis insofern, als sich auch hier zeigt, dass auf Palliativstationen und in Hospizen regelmäßig etwas zu beobachten ist, was man als Verweigerung der Rolle des Sterbenden beschreiben könnte.12 Genauer könnte man nun auf der Grundlage unserer These der Differenzierung von Perspektiven sagen, dass sich mit unterschiedlichen Perspektiven auch unterschiedliche Adressierungen ergeben, die von den sterbenden Patienten durchaus auch genutzt werden. Das hospizliche Ideal der Übernahme einer Sterberolle als Resultat einer holistischen, im Team organisierten Sterbebegleitung entspräche damit nicht dem, was sich in der Praxis als Funktionalität von Perspektivendifferenzen zeigt.

4 Das seelsorgliche Gespräch als zeitgenössische religiöse Kommunikation Seelsorger und Seelsorgerinnen stellen sich im Krankenhauskontext als Spezialisten für das Unspezifische dar. Würde man im Seelsorger vielleicht zunächst einen Experten für das Sprechen über existenzielle Fragen wie Tod und Sterben vermuten, so machen diese selbst ihre Professionalität daran fest, mit dem Patienten über Beliebiges reden zu können, das seine Beliebigkeit aber wiederum aus der Perspektive des Seelsorgers dadurch verliert, dass es vom Patienten thematisiert wird. Klinikseelsorger sind damit Experten, die sich weniger über ein spezifisches Expertenwissen auszeichnen als über einen Stil der Kommunikation. Zentrales Element der Gespräche ist es, passiv auf das Erzählte zu

12 Vgl. Parker-Oliver, 1999; Göckenjan/Dreßke, 2002; Göckenjan, 2008; McNamara, 2004.

Mit Sterbenden sprechen

89

reagieren, also in der Kommunikation ganz auf Erleben zu setzen.13 Seelsorgekommunikation reagiert auf diese Weise nicht nur auf das Erleben von Unbestimmtheit als Grundthema des Religiösen, sondern vor allem auf das Erleben der Unbestimmtheit eines Gesprächspartners. Das Medium, in dem dieses Erleben sichtbar wird, ist weniger ritualisierte Kommunikation als das Gespräch: eine gepflegte Form der Kommunikation auf der Grundlage einer inszenierten oder unterstellten Authentizität der Beteiligten.14 Dadurch werden gerade auch partikulare Perspektiven, etwa alltägliche Erfahrungen, kommunikativ bedeutsam. Rituelle Praktiken haben durchaus noch ihren Platz in einem Stil religiöser Kommunikation, der ganz auf religiöse Erfahrung, auf religiöses Erleben setzt, aber nicht mehr, um die Motive des Gegenübers zu binden, sondern um wiederum an Erfahrungen anknüpfen zu können. »Dann gibt’s ja auch in dem Ritual die Berührung, äh, am Kopf, und des Kreuzzeichen, oder überhaupt so-, so ’ne Nähe durch-, durch diese geistliche Ebene, die einfach nochmal was-, nochmal ’ne andere-, äh, einen anderen Teil der Realität mit einbezieht, den wir ja sonst so in unserer Sprache oder in unserem Bewusstsein nicht unbedingt immer miteinbeziehen. Und des schafft auch oft eine plötzliche Nähe, die ja mit echt,- also, mit dem zusammenhängt, was es dem Gegenüber bedeutet, das ist klar.« (E-TH-7, 619–625)

Bestand die Funktion von Ritualen traditionell darin, von Reflexion zu entlasten, fungieren Rituale hier als Reflexionsanlässe, über welche die individuelle Person in den Blick gerät. Vonseiten des Seelsorgers werden die Inhalte der Kommunikation möglichst offengehalten, um den Patienten zum Sprechen zu bringen. »Und die Haltung ist Interesse. Die Haltung ist: ›Ich interessiere mich für dich!‹ Aber des ist ganz egal, ob der jetzt verschlossen ist oder nicht, also des ist so: ›Ich interessiere mich für dich und für des, was du mir jetzt sagen willst!‹ […] Wir machen ein Angebot und manchmal muss man vielleicht auch dreimal hingehen und aber vielleicht ist es dann beim dritten Mal, dass man in Kontakt kommt, wenn der andere des Gefühl hat, der interessiert sich wirklich für mich! Aber es ist-, und manchmal ist so, dass-, auch ganz überraschend, dass man des Gefühl hat, jemand, der als verschlossen geschildert wurde, hat nur drauf gewartet, dass er endlich was sagen kann. Also des ist ja-, da gibt’s keine Regel, muss man sagen. Sondern

13 Nassehi/Saake, 2004. 14 Vgl. Nassehi/Saake, 2004, S. 73.

I

90

Armin Nassehi, Irmhild Saake und Katharina Mayr

exakt, ich glaube, die Haltung des Interesses ist es. Dass ich sage: ›Ich will dich jetzt besuchen!‹« (E-LB-4, 283–294)

I

Klinikseelsorger finden ihre Bestimmtheit in der Unbestimmtheit der Person des Patienten, und eben darin nimmt ihre Kommunikation eine religiöse Form an. Sie können mit jemandem reden, der über Tomaten redet, und sehen darin doch eine Form, sich mit existenziellen Themen auseinanderzusetzen. Zeitgenössische Formen des Religiösen – und die Klinikseelsorge ist dafür ein gutes Beispiel, weil sie sich in diesem organisierten Kontext eine so überzeugende Sichtbarkeit erarbeitet hat – profitieren offenbar davon, dass sie Anlässe schaffen, in denen diese Unbestimmtheit der Person eines Gegenübers sichtbar werden kann. In ihrer expliziten Unaufdringlichkeit im Hinblick auf die klassischen religiösen Themen, die – wie beschrieben – immer nur implizit angeschnitten werden, stellt sich diese religiöse Expertise auf die Minimalforderung ein, dass ein Gespräch guttun soll. Berücksichtigt man, wie brüchig diese Situation ist, in der über etwas geredet werden soll, ohne dass die Gesprächspartner wissen, worüber überhaupt, dann wird aus der inhaltlichen Minimalforderung die Herausforderung, sich selbst in dieser Situation zu erleben. Die Klinikseelsorger stellen sich hierauf professionell ein: »Des tut jetzt dem gut, der da ist, und ist nicht aufgesetzt, sondern hat so ’ne Selbstverständlichkeit! Also das würde ich so als-, ist so die Qualität eigentlich-, find ich, von Seelsorge, dass es so-, wenn es so Selbstverständlichkeit gewinnt und man nicht irgendwie einen Zauber oder Brimborium machen muss, sondern wenn es so ganz normal und doch was Besonderes ist, also des ist so genau.« (E-LB-4, 317–321)

Während sich zunächst für die Patienten sagen lässt, dass sie offenbar eine Situation suchen, in der sie nicht als Sterbende angesprochen werden, lässt sich darüber hinaus auch vermuten, dass auch Patienten diese Situation als religiös erleben können. Sie werden von jemandem besucht, der sich als Klinikseelsorger ankündigt und den sie als souveränen Gesprächspartner erleben – vermutlich sogar im Kontrast zu Angehörigen, die sich kaum von dem Gedanken an den bevorstehenden Tod eines Familienmitglieds oder Freundes befreien können. Nichts davon muss thematisiert werden. Es reicht, eine Gelegenheit zu schaffen, in der all das erlebt werden kann. Ein Glaube, der sich im Erleben des Einzelnen wiederfindet, nicht mehr im Handeln des Kirchgängers oder desjenigen, der über religiöse Themen redet, ermöglicht diese Unsichtbarkeit des Religiösen und schafft dadurch eine Vielzahl an neuen Anschlussmöglichkeiten für organisierte religiöse Kommunikation.

Mit Sterbenden sprechen

91

5 Fazit Die religionssoziologische Klassik hat in der Religion eine integrierende, einheitsstiftende Funktion vermutet, die das Ganze als Ganzes verstehbar macht. Integration als oberstes Bezugsproblem des Sozialen zu handeln, ist selbst schon ein Hinweis auf die Differenziertheit der Gesellschaft. Mithilfe einer Theorie funktionaler Differenzierung lässt sich sehen, dass in der modernen Gesellschaft das Religiöse immer noch eine Erzählung über das Ganze ist, nur ist sie eine Erzählung unter anderen. Unter solchen Bedingungen operiert religiöse Kommunikation ohne Möglichkeit einer Zentralperspektive, allerdings bieten sich so andere Freiräume. Am Beispiel des seelsorglichen Gesprächs als zeitgenössischer Form religiöser Kommunikation lässt sich zeigen, wie das Potenzial solch religiöser Rede nicht darin liegt, mit letzten Wahrheiten aufwarten zu können. Ganz im Gegenteil: Ein seelsorgliches Gespräch kann ein hohes Maß an Unbestimmtheit aushalten, weil es ganz auf Erleben setzt und geradezu von der Unbestimmtheit des Gegenübers zehrt. Auf diese Weise kann mit Bestimmtheit auf Unbestimmtheit verwiesen werden, wodurch selbst die Verweigerungshaltung eines Patienten noch als authentischer Ausdruck einer sterbenden Person gelesen werden kann. Diese strategische Position vermag keine andere Kommunikationsform.15 Vor diesem Hintergrund lässt sich die häufig ambivalente Haltung von Palliativpatienten in Bezug auf ihr eigenes Sterben weniger als professionelles Versagen eines Teams interpretieren, dem es nicht gelingt, den Sterbenden zur Akzeptanz anzuleiten. Es ist vielmehr das erfolgreiche Resultat eines organisierten, multiprofessionellen Settings, das neben der Festlegung auf eine generalisierte Sterberolle auch Räume schafft, die dem Sterbenden ein Sprechen jenseits einer solchen Verhaltenserwartung ermöglichen. Wenigstens in diesem Sinne überwindet die Krankenhausseelsorge das Sterben.

15 Vgl. Nassehi, 2009.

I

Die Rolle der Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus Dorothee Haart

I

Die Krankenhausseelsorge sieht sich mit einschneidenden Veränderungen im Krankenhauswesen konfrontiert, die in ihrer Komplexität kaum mehr zu durchschauen sind. Die politischen Reformen der letzten Jahre standen unter dem Vorzeichen des staatlichen Rückzugs aus der Verantwortung für die Gesundheitsversorgung hin zu einem marktgesteuerten System. Mit der Ökonomisierung erfolgte ein Umbruch, der weitreichende Konsequenzen für alle im Krankenhaus Tätigen und auch für die Patient*innen hat. Die Krankenhausseelsorge ist gefordert, ihren Blick für die Leidtragenden solcher Prozesse zu schärfen, ihr Handeln auf die veränderten Bedingungen abzustimmen und auch ihre eigene Rolle im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus stets neu zu reflektieren und zu definieren.

1 Gesundheitsreformen haben die Krankenhauslandschaft grundlegend verändert Maßgeblich mit Umsetzung des Fallpauschalengesetzes 2002 haben Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und des Wettbewerbs Einzug in die Krankenhäuser gehalten. Seit die öffentliche Hand nicht mehr für die Kostenüberschüsse der Krankenhäuser am Jahresende aufkommt (Selbstkostendeckungsprinzip), hängt das Überleben der Kliniken allein von ihrer wirtschaftlichen Betriebsführung ab. Die Vergütungsordnung wurde seit 2009 auf ein bundeseinheitliches diagnose-orientiertes Fallpauschalensystem umgestellt, bezogen auf alle stationären und teilstationären Krankenhausleistungen. Ähnlich kostenaufwändige Behandlungsfälle werden anhand von Kriterien der medizinischen Zusammengehörigkeit (identische oder ähnliche Diagnose bzw. Therapie) in eine gemeinsame kostenhomogene Fallgruppe (DRG = Diagnosis Related Groups) zusammengefasst und mit pauschalen Preisen versehen. Eine Blinddarmoperation beispielsweise samt Versorgungspaket aus Mahlzeiten und Unterbringung

Die Rolle der Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus

93

wird somit in jedem Krankenhaus mit dem gleichen Betrag vergütet, unabhängig von der Anzahl der erfolgten Untersuchungen oder der Liegezeit.1 Im ganzen Bundesgebiet sind Krankenhausleistungen nun vergleichbar geworden. Die neue Transparenz verspricht mehr Effizienz und Einsparpotenziale, wenn sich die Vergütung nun stärker auf die wirklich erbrachten Leistungen bezieht. Überflüssige Untersuchungen sollen jetzt verhindert, Behandlungsfehler, die im bisherigen System der Tagespflegesätze sogar Profit brachten, konsequenter vermieden werden. Patient*innen sollen bei der Wahl ihres Krankenhauses profitieren, wenn die Qualitätsdaten leichter vergleichbar sind. In ihrem Selbstverständnis haben sich Krankenhäuser gewandelt zu einem kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen. »Früher baute man Kliniken als Anstalten, in den siebziger Jahren als Gesundheitsfabriken. Heute erinnern sie an Shopping-Malls oder Hotels.«2 1.1  Privatisierung und Spezialisierung Zeitnah zur Möglichkeit, durch das DRG-System Profite zu erlangen, setzte eine Privatisierungswelle ein. Vor allem staatliche Krankenhäuser, denen die Investitionsmittel für die erforderlichen Umstrukturierungen fehlen, werden von privaten Klinikbetreibern übernommen, die sich ihr Kapital zunehmend über den Börsengang sichern. Waren 1991 noch 46,0 % der Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher, 39,1 % in freigemeinnütziger und nur 14,8 % in privater Trägerschaft, so sind 2016 nur noch 29,2 % der Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher, 34,5 % in freigemeinnütziger und bereits 36,2 % in privater Hand.3 Wirtschaftlich überleben können große Krankenhäuser bzw. fusionierte und gut ausgestattete Klinikketten, die flexibler sind und einzelne teure Sonderbehandlungen besser kompensieren. Kleine Kliniken versuchen sich durch medizinische Spezialisierungen zu retten und geben den Anspruch auf Allgemeinversorgung auf. Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass die Länder ihrem Auftrag, die flächendeckende, wohnortnahe Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, in manchen Regionen nicht mehr nachkommen können.

1 Vorerkrankungen (z. B. Diabetes) und vorherige Komplikationen werden gesondert erfasst und extra vergütet, falls diese Besonderheiten als DRG abrechenbar sind. Eine im Krankenhaus verursachte Komplikation, etwa eine Lungenentzündung mit ihren Folgekosten, wird dagegen nicht bezahlt. 2 Spiewak, 2000, S. 32. 3 Statistisches Bundesamt, 2017a, S. 8.

I

94

Dorothee Haart

1.2  Verkürzung der Krankenhausverweildauer

I

Nach Daten des Statistischen Bundesamtes hat sich die durchschnittliche Liegezeit von 1991 (14,6 Tage) über 2000 (10,1 Tage) hin zu 2016 (7,3 Tage) erheblich verringert.4 Die verkürzte Verweildauer kommt relativ gesunden Menschen in der Regel zugute. Schwierig wird es für jene, die nach dem Prinzip Quicker-sicker in nicht auskuriertem Zustand zu früh entlassen werden. Der staatlich geförderte Ausbau integrierter Versorgungsnetze soll bisherige Grenzziehungen zwischen ambulanter und stationärer Behandlung überwinden helfen und heutige Missstände beheben. Parallel zur reduzierten Liegedauer stieg die Zahl der Patientenaufnahmen deutlich an. Das Krankenhaus befindet sich in der Beschleunigungsmühle, wenn es heißt: »Immer mehr Menschen werden in immer kürzerer Zeit von immer mehr Ärzten und immer weniger Pflegenden in immer weniger Krankenhäusern versorgt werden.«5 Leistungsanstieg, Lohndumping und unsichere Arbeitsbedingungen senken die Attraktivität von Gesundheitsberufen, vor allem der Pflege. Ärzteschaft und Pflegende sind darüber hinaus geschult, jede ihrer Tätigkeiten ökonomisch einzuschätzen und haben die Konsequenzen eigenen unwirtschaftlichen Handelns vor Augen, wenn im Zuge von Bettenabbau und Umstrukturierung ganze Abteilungen geschlossen werden. Präzise kalkulierte Fallzahlen machen nun anschaulich, welche Maßnahme Geld kostet und welche Geld einbringt. 1.3  Ökonomisierung und Werteverschiebung Unter erheblichem Spardruck müssen Kliniken anhand ihrer Daten Rationalisierungsmöglichkeiten6 aufspüren, möglichst ohne die Qualität der Krankenversorgung zu beeinträchtigen. Wo dies jedoch nicht gelingt, ist eine verdeckte Rationierung7 von Krankenhausleistungen denkbar. Der Gesundheitswissenschaftler Michael Simon nennt folgende mögliche Strategien verdeckter Rationierung durch das DRG-System: Verschiebung von Krankenhausleistungen in einen nachfolgenden Budgetzeitraum durch Wartelisten; Verlegung besonders behandlungsaufwändiger Patient*innen in andere Krankenhäuser; Verlegung von noch nicht rehabilitationsfähigen Patient*innen in Rehabilitationseinrich4 Statistisches Bundesamt, 2017a, S. 8. In den 1970er-Jahren betrug die durchschnittliche Liegezeit im Krankenhaus noch 30 Tage! 5 Weidner, 2003. 6 Rationalisierung: Eine gleichwertige Leistung wird zu einem geringeren Preis oder mehr Leistung zum gleichen Preis erzielt. 7 Rationierung: Einsparung gesundheitlich notwendiger Mittel im Gesundheitsbereich.

Die Rolle der Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus

95

tungen; zu frühe Entlassungen aus dem Krankenhaus; Reduzierung diagnostischer und therapeutischer Qualitätsstandards.8 Vor allem Krankheitsfälle, die sich kaum eindeutig eingruppieren lassen und deren Behandlungsverlauf wenig kalkulierbar ist – betroffen sind vor allem polymorbide, alte und sterbende Menschen –, gehören nicht zu den lukrativen Leistungen eines Krankenhauses, während der kleine Routineeingriff bei den sogenannten operierten Gesunden den größten Gewinn einbringt. Inzwischen mehren sich ethische Einwände gegen die Dominanz ökonomischer Rationalität. 2016 fordert der Deutsche Ethikrat ausdrücklich, sich auf das Patientenwohl als ethischen Maßstab für das Krankenhaus zu konzentrieren. Es seien »durch eine vorrangige Fokussierung auf Ausgabenverringerung seitens der Krankenkassen und Ertragssteigerung auf Seiten der Anbieter Effekte entstanden, die im Hinblick auf das Patientenwohl als maßgeblicher normativer Maßstab Anlass zur Sorge geben.«9 Die Steuerung der Gesundheitsleistungen mithilfe des DRG-Systems lenke das Interesse auf besonders gewinnbringende Behandlungsverfahren bis hin zu Anreizen für ethisch problematisches ärztliches Handeln.10 Permanente Interventionen und Nachjustierungen seitens des Gesetzgebers versuchten dies zwar zu korrigieren, doch im hochkomplexen DRG-System täten sich immer wieder neue Fehlentwicklungen auf. »Seit 2009 kam es im Durchschnitt jedes Halbjahr zu Änderungen unter anderem des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des Krankenhausentgeltgesetzes und des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes.«11 Patientengruppen, die durch Anreize des DRG-Systems häufiger benachteiligt werden, sind laut Deutschem Ethikrat vor allem Menschen mit besonderen Bedarfen: Kinder und Jugendliche, hochaltrige Menschen mit geriatrischen Erkrankungen, Menschen mit Demenz, mit Behinderung, Multimorbide oder Patient*innen mit Migrationshintergrund.12

     8      9 10 11 12

Simon, 2000. Deutscher Ethikrat, 2016, S. 7. Deutscher Ethikrat, 2016, S. 124. Deutscher Ethikrat, 2016, S. 34. Deutscher Ethikrat, 2016, S. 94–114.

I

96

Dorothee Haart

1.4  Identität der Berufsgruppen und Patientenrolle

I

Vertreter der Gesundheitsberufe warnen, dass die Ökonomisierung13 im Gesundheitswesen die eigene berufliche Identität verändert. Beklagt wird eine »Merkantilisierung des Arztberufes«14. »Künftig sei weniger medizinisches Können als ›Codierkunst‹ gefragt.«15 Die Pflege verliert zunehmend ihr Profil als Beziehungsberuf und wird zum Dienstleistungsberuf. Für Ärzteschaft, Pflege und Gesundheitsberufe ist im Rahmen der Ökonomisierung der Aufwand an Administration gestiegen: hohes aktuelles Wissen über neueste Konditionen und präzise Dokumentation sind notwendig, um finanzielle Verluste zu vermeiden. Dies tritt als zeitraubende Anforderung neben die patientengerechte Versorgung. Als ein Kernproblem macht der Deutsche Ethikrat daher auf den Mangel an Kommunikation zwischen Behandlern und Patient*innen aufmerksam.16 Verschlechterte Arbeitsbedingungen infolge Zeitmangels und chronischer Überlastung vergrößern die Unzufriedenheit des Personals und sind mitverantwortlich für den gegenwärtigen Fachkräftemangel im Krankenhaus. Patient*innen begegnen dem Umstand, dass Kostenfaktoren neuerdings ärztliche Therapieentscheidungen beeinflussen, zunehmend mit Misstrauen. Zugleich begünstigt die Proklamierung von Gesundheit als Ware eine Kaufmentalität mit Anspruch auf Heilung, der rechtlich eingeklagt werden kann. Ein Teufelskreis der Ökonomisierung und Verrechtlichung der Arzt-Patienten-Beziehung bahnt sich an. So erhalten Patient*innen im Dienstleistungsunternehmen Krankenhaus den Status als Kund*innen mit dem positiven Effekt wachsender Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von paternalistischer oder bürokratischer Gängelung. Dabei suggeriert der Kundenbegriff das Idealbild zweier gleichberechtigter Geschäftspartner. Kranke dürfen mit ihrer Kaufkraft aus einem Angebot verschiedener Gesundheitsdienstleistungen frei wählen, nachdem sie sich kundig gemacht haben und können durch ihre Wahlfreiheit die Qualität der Produkte mit beeinflussen. Allerdings verfügen nicht alle kranken Menschen über die Kundensouveränität einer*s aufgeklärten mündigen Patienten*in. Viele befinden sich allein durch ihr Kranksein in einer Position der Schwäche, Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit. Verlierer der neuen Kundenmetapher sind besonders die Menschen mit geringer Kauf- und Verhandlungskraft. 13 Übertragung ökonomischer Gesetze und Instrumente auf außerökonomische Sachverhalte und Probleme. 14 Hoppe, 2004. 15 Hoffritz, 2002, S. 16. 16 Deutscher Ethikrat, 2016, S. 134.

Die Rolle der Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus

97

1.5  Flexibilität im Wettbewerb und Corporate Identity Im Wettbewerb auf dem Gesundheitsmarkt müssen Kliniken in der Lage sein, jederzeit rasch auf politische, finanzielle und medizinische Neuerungen zu reagieren. Innerhalb der Organisation setzen sie auf Flexibilisierung der Arbeitsabläufe. Bisherige Abteilungsgrenzen werden fließender und die Geschlossenheit eines eingespielten Stationsteams wird bewusst aufgebrochen, um Personal, gerade auch bei Engpässen, flexibel zwischen den Abteilungen bewegen zu können. Patient*innen vermissen bei der Vielfalt der Akteure eine konstante Bezugsperson. Die hohe Fluktuation von Mitarbeiter*innen bringt zudem ein Element von Unverbindlichkeit in das Betriebsleben. Richard Sennett fragt hinsichtlich einer flexibilisierten Arbeitswelt: »Wie können Loyalitäten und Verpflichtungen in Institutionen aufrecht erhalten werden, die ständig zerbrechen oder immer wieder umstrukturiert werden? Wie bestimmen wir, was in uns von bleibendem Wert ist, wenn wir in einer ungeduldigen Gesellschaft leben, die sich nur auf den unmittelbaren Moment konzentriert?«17 Viele Kliniken haben inzwischen dieses Problem erkannt und investieren in die Entwicklung einer Corporate Identity, einer gemeinsamen identitätsstiftenden Unternehmenskultur. Zertifizierungsprogramme greifen mittlerweile auch die ›weichen Faktoren‹ der Krankenhausarbeit auf. Themen wie »Ethik und Werte« werden nicht mehr nur in den konfessionellen Kliniken (proCum Cert), auf den Klinikalltag heruntergebrochen.18 Den individuellen kulturellen und auch religiösen Werten im Klinikalltag Raum zu geben, kann am Ende den entscheidenden Unterschied ausmachen im Wettbewerb um Patient*innen und um Klinikpersonal.

17 Sennett, 2000, S. 12. 18 Als Beispiel sei genannt der Verbund »Qualitätskliniken.de« einiger großer privater Träger (Asklepios, Rhön, Sana) und einiger Universitätskliniken, in dessen Leitfaden »4 QD« seit 2014 mit »Ethik & Werte« unter anderem das Maß an Kultursensibilität erfasst wird, die Berücksichtigung religiöser Werte und auch das Angebot der Seelsorge.

I

98

Dorothee Haart

2  Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus 2.1  Die Krankenhausseelsorge gewinnt an Bedeutung Moderne Managementkonzepte fordern von allen Mitarbeiter*innen, dass sie sich – über die eigenen Abteilungsgrenzen hinaus – aktiv an der Umgestaltung der Organisation Krankenhaus beteiligen. Dadurch rücken auch andere Berufe neu in den Blick.

I

»Im Zeitalter der Budgets und der DRGs haben nun mit den Ökonomen auch Ärzte und Schwestern und andere Krankenhausberufe in abgestufter Weise Teil an der Durchsetzung von Zielentscheidungen durch Planung, Koordination und Kontrolle. Welchen Beitrag will die Krankenhausseelsorge einbringen?«19 Sowohl bei der Umsetzung von Klinik-Leitbildern wird Seelsorge angefragt als auch bei Maßnahmen zur Förderung der Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit. Nicht nur die konfessionellen Kliniken haben inzwischen entdeckt, welchen Beitrag Seelsorger*innen für Image und Betriebsklima in unsicheren Zeiten des Wandels leisten können. Das neu erweckte Interesse der Klinik an der Krankenhausseelsorge birgt Chancen und Gefahren. Noch nie zuvor hatte die Seelsorge in diesem Maße Gelegenheit, Strukturen, Kommunikation und Abläufe im Krankenhaus mitzugestalten. Mancherorts eröffnen sich ihr trotz des Vorrangs ökonomischer Werte (oder gerade wegen der Sorge um einen Werte- und Identitätsverlust!) Möglichkeiten, ihre seelsorglichen Anliegen strukturell in die Institution einzubringen. Die Krankenhausseelsorge erhält neue Chancen, ihre frühere Rollenunsicherheit hinter sich zu lassen und besser im System Krankenhaus integriert zu werden. Andererseits droht ihr die Gefahr, zu sehr im Unternehmen Krankenhaus aufzugehen und eine Freiheit zu verlieren, die es ihr bisher möglich machte, ihren externen, theologisch orientierten Blick in die Organisation einzubringen. Neben dem Management wächst auch beim medizinischen Personal das Interesse, enger mit der Seelsorge zusammenzuarbeiten. Durch die Palliativmedizin ist hier ein Bewusstsein gewachsen, die spirituellen und religiösen Ressourcen und Bedürfnisse der Patient*innen im Behandlungsgeschehen mit zu berücksichtigen. Die Mitarbeit der Seelsorge in Gremien medizinethischer Beratung ist ausdrücklich gewünscht. Zudem ist vor allem in großen Kliniken der Seel19 Helbig, 2001, S. 433.

Die Rolle der Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus

99

sorgebedarf angestiegen, weil nahewohnende Angehörige fehlen und das Personal sich überfordert sieht, auf die emotionalen Bedürfnisse von Patient*innen einzugehen. Seelsorge wird aufgrund erhöhter Krankheitsschwere und verdichteter Arbeitsabläufe erheblich häufiger zur Krisenintervention herangezogen. Inzwischen steckt die Krankenhausseelsorge im »Multioptionsdilemma«20 und muss aufpassen, nicht zwischen der Vielfalt neuer Gestaltungsmöglichkeiten und den verschiedensten Erwartungen anderer aufgerieben zu werden. Die Bereitschaft öffentlicher und privater Klinikträger nimmt zu, sich an der Finanzierung von Seelsorgestellen zu beteiligen. Dies wirft für die Zukunft eine Menge Fragen auf: Wer wird künftig die Inhalte der seelsorglichen Arbeit bestimmen, wer wird ihre Qualität überprüfen? Werden sich Seelsorger*innen im Sinne einer Option für die Armen noch besonders den Schwachen und Benachteiligten im Krankenhaus zuwenden können? Oder werden sie künftig nach den Maßgaben des medizinisch-ökonomischen Systems, gerechtfertigt durch entsprechende Leistungsnachweise, ihre Arbeit gestalten müssen? Die ständigen, durch die Ökonomisierung aufgezwungenen Umwandlungsprozesse in den Krankenhäusern wirken sich auch auf die Krankenhausseelsorge aus. Laufend wird sie mit neuartigen Fragen konfrontiert bezüglich ihres Ortes, ihres Auftrags, ihrer Rolle. Bereits heute arbeiten Seelsorger*innen unter verschiedensten Anstellungsverhältnissen, werden bezahlt von Kirchen oder Kliniken, mit unterschiedlichen Vereinbarungen zur Fach- oder Dienstaufsicht. Ungewiss ist, wer künftig die Seelsorge maßgeblich finanzieren wird. Ebenso wenig ist heute absehbar, wie in Zukunft dem bevorstehenden Mangel an Seelsorgepersonal begegnet werden kann, wenn kirchliche Bewerber fehlen. Ungewiss ist daher auch, wie sich die Qualitätsvoraussetzungen für die Ausbildung und Zulassung zum Seelsorgeberuf entwickeln werden. Die Krankenhausseelsorge wird bei all diesen Veränderungen sich stets ihrer beruflichen Identität vergewissern müssen. Dabei bewegt sie sich im Krankenhaus, will sie ihrem biblisch-theologischen Auftrag treu bleiben, immer in einer Abwägung zwischen Abgrenzung und Annäherung zum medizinisch-ökonomisch ausgerichteten System. 2.2  Notwendige Abgrenzungen Als erklärtes Ziel eines Krankenhauses gilt, dass »Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen«21. Die Krankenhausseelsorge kann durch ihr Tun vieles dazu beitragen. Mit dem medizi20 Heller/Schuchter, 2017. 21 § 2, 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG).

I

100

I

Dorothee Haart

nischen Behandlungsteam kooperiert sie, ohne allerdings ganz in der Logik der Behandler aufzugehen. Aus theologischer Sicht ist ihr hier eine kritische Per­ spektive aufgetragen: Unter der biblischen Deutung des Bilderverbotes Gottes kann auch der Mensch betrachtet werden. So tut sich Seelsorge in ihrem Feld schwer, Patient*innen diagnostisch zu erfassen und in eine Art »seelsorge-therapeutisches« Setting zu überführen, sofern sie (auch mit E. Lévinas) die unüberbrückbare Distanz der anderen, fremden Person zuerst anerkennt und respektiert. Der Impuls der Seelsorge richtet sich in erster Linie darauf, solidarisch zu sein. Ihre Beziehungen zu den kranken Menschen beruhen daher nicht auf einem sogenannten »Defizitmodell des Helfens« einem »Oben-Unten-Gefälle, in dem Starke, Gesunde, Lebende […] sich helfend dem Schwachen, Kranken, Sterbenden […] zuwenden.«22 Seelsorge wird nur durch eine solche Abstinenz vom Impetus des Heilens erkennbar und ansprechbar sein für Dimensionen, die unter der Kategorie des Helfens allein keine Lösung finden. Konsequenterweise wird die Krankenhausseelsorge ihre Tätigkeit nicht in gleicher Weise wie Therapeut*innen evaluieren und dokumentieren können. Aus Managementsicht ließe sich eine fallorientierte Seelsorge zwar besser abrechnen und ein bestimmtes monatliches Fallkontingent leichter abfordern. Als mögliche Leistungsparameter kämen hier etwa infrage: »die Anzahl der Notizen in der Krankenakte, der Prozentsatz seelsorglicher Therapiepläne, Anzahl Erst- und Folgebesuche (mit Seelsorglicher Diagnostik und Interventionsplänen).«23 Wenn jedoch Qualitätssicherung am Ende bedeutet, Qualität in Quantitäten zu übersetzen, d. h. die Arbeit der Seelsorge in möglichst handliche und standardisierbare Expertenleistungen zu zerlegen, dann findet ihre eigentliche Leistung keinen Niederschlag im Bewusstsein der Krankenhausorganisation. Bereits P. Pulheim beklagte, dass Seelsorger*innen häufig als Spezialist*innen für Sterbebegleitung fungieren, als sei die Kunst des Sterbens eine erlernbare Leistung, für die die Seelsorge schon die fertigen Rezepte habe.24 Das Erleben von Kontingenz und das würdigende Anteilnehmen an unheilbarem Leid und unlösbaren Lebenskrisen kann nicht in Erfolgsparametern ausgedrückt werden. Seelsorge wird hier anders als lediglich in Zahlen kommunizieren müssen, um die Bedeutung ihres Tuns anschaulich und sichtbar zu machen. Gerade mit ihrer kritischen Distanz zu einer ausschließlich erfolgsorientierten Sichtweise im Krankenhaus leistet sie als theologische Profession einen maßgeblichen Beitrag. 22 Luther, 1986, S. 13. 23 Mehler, 2002, S. 422. 24 Pulheim, 1981.

Die Rolle der Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus

101

Die Seelsorge spricht unverkennbar eine andere Sprache im Unternehmen Krankenhaus und entzieht sich weitgehend dem Fachjargon der Klinik. Sie begegnet heute nicht nur der objektivierenden Sprache der Medizinwelt (die Niere von Zimmer 3, ein präfinaler Patient) mit Irritation. Inzwischen haben mit der Ökonomisierung Begriffe Einzug gehalten, die suggerieren, menschliche Situation technisch-objektiv steuern zu können, wie: Entlassungsmanagement, Ablaufoptimierung, Fehlbelegung, Konsumentensouveränität. Doch auch Begriffe der eigenen theologischen Sprachwelt wurden inzwischen in den Klinikkontext aufgenommen und erhalten jetzt aus medizinisch-ökonomischer Sicht eine neue Bedeutung. Spiritualität droht eine solche Chiffre zu werden, wenn ein kirchlicher Träger formuliert: »Es gibt nicht nur die Spiritualität der Religion, sondern auch der Mitarbeit, des Essens und Trinkens, des Gesprächs und des Schweigens, der Beziehungen nach innen und außen, des Alltags und des Schlafs, der Ästhetik und der Architektur.«25 Spiritualität wird hier gleichgesetzt mit einer positiv besetzten Unternehmenskultur und einem Unternehmensdesign, das ausdrückt: »Hier weht ein guter Geist.«26 Lebensbrüche und Leidenserfahrung finden in dieser Spiritualität keinen Raum. Im medizinisch-therapeutischen Kontext findet der Begriff Spiritual Care Bedeutungsnuancen, mit denen die Seelsorge sich ebenfalls von ihrem Selbstverständnis her, bei aller Kooperation, auseinandersetzen muss. Ihre eigene Sprache bezieht die Seelsorge aus ihrer biblisch-christlichen Tradition des Erinnerns und Erzählens. Zum Kern bisheriger Seelsorgearbeit gehörte bisher vor allem die Bereitschaft, Menschen zuzuhören und ihre Lebensgeschichte mit allen Höhen und Tiefen zu Wort kommen zu lassen. R. Schernus misst dieser Aufgabe in heutiger Zeit besondere Dringlichkeit bei: »Mir scheint, dass es schon lange nicht so wichtig war wie heute, Menschen […] zuzuhören, auf ihre Geschichten zu hören, das wahrzunehmen, was zwischen Worten, zwischen den Gesten steht, was sich nicht ermitteln, messen, fördern, verbessern, ändern, drehen oder wenden lässt […]«.27

25 Jäger, 2000, S. 137. 26 Jäger, 2000, S. 137. 27 Schernus, 1997, S. 10.

I

102

Dorothee Haart

Erinnern und Erzählen stehen gegen jegliche Versachlichung der modernen Unternehmenslogik. »Denn die Menschen: das sind ihre Geschichten. Geschichten aber muss man erzählen […] und je mehr versachlicht wird, desto mehr – kompensatorisch – muss erzählt werden: sonst sterben die Menschen an narrativer Atropie. […] Je moderner die moderne Welt wird, desto unvermeidlicher werden die Geisteswissenschaften, nämlich als erzählende Wissenschaften.«28

I

Zwar bildet das Erzählen in der Kommunikation einer Klinik ebenfalls ein zentrales Medium der Informations- und Wissensvermittlung, etwa bei Übergaben, interdisziplinären Besprechungen und Patient*innenvorstellung. Allerdings ist dies mitunter so streng formatiert, dass wichtige Dimensionen des Menschseins nicht vorkommen. Der Erzählbeitrag der Seelsorge kann hier wichtig sein, freilich unter Wahrung des Seelsorgegeheimnisses.

3  Plädoyer für eine Gratwanderung Es wird deutlich, dass Krankenhausseelsorge nie ganz in den Leitkategorien des medizinischen oder des ökonomischen Denksystems im Krankenhaus aufgehen kann und darf. Um ihrem beruflichen Selbstverständnis treu zu bleiben, muss sie weiterhin ihre unabhängige und häufig fremde Sicht im Krankenhaus einbringen können. Und trotzdem sollen Seelsorger*innen darum bemüht sein, nicht ganz aus dem System der Klinik zu fallen, während sie sich gleichzeitig gegen Vereinnahmungen wehren. Sie begeben sich damit auf eine Gratwanderung: die Entscheidung zwischen Dienstbarkeit und Widerständigkeit muss täglich neu gesucht werden. Doch wie und nach welchen Kriterien beurteilt die Seelsorge, wann sie Sand oder wann sie Öl im Betrieb Krankenhaus sein muss? Die Krankenhausseelsorge wird sich künftig noch mehr ihrer eigenen beruflichen Identität vergewissern müssen. Vor Ort ergeben sich in den ökumenischen Seelsorgeteams Chancen der Selbstvergewisserung und der Pflege einer eigenen Kultur innerhalb der Kultur der Klinik. Teamentwicklung bedarf hier noch weit größerer Beachtung und Unterstützung durch die Leitungsebene. Darüber hinaus sind die Arbeitsgemeinschaften und Konvente der Krankenhausseelsorge, gemeinsam mit den pastoralpsychologischen Aus- und Fortbildungsinstituten, künftig stärker herausgefordert, die Auseinandersetzungen um das 28 Marquard, 1986, S. 105, 114.

Die Rolle der Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus

103

eigene Berufsethos zu führen und theologische Kriterien zu entwickeln für eine »gute Praxis« der Krankenhausseelsorge. Dazu gehören eine biblisch fundierte Option für die Armen29, ein christlich reflektiertes Gesundheitsverständnis, das der Verdrängung des Todes und des Leids widersteht und die ethischen Prinzipien der Gerechtigkeit und der Solidarität. Seelsorge geht schließlich zu sehr in der Kultur der Klinik auf, wenn sie nicht mehr das Unverfügbare bezeugt; wenn sie den Erfolg mehr schätzt als die Verlierer; wenn sie mehr Wissen hat als Staunen; wenn sie mehr plant und darstellt, als bereit ist, sich berühren zu lassen. Unter den Sparplänen der Kirchen bzw. deren nachlassender Bereitschaft, sich in nichtparochialen Feldern zu engagieren, sind Refinanzierungsmodelle für die kirchlichen Personalabteilungen ein verlockendes Angebot. Doch wird eine Klinik auf Dauer bereit sein, kostenintensive Dienste anzubieten, die sich einer klaren institutionellen Zuordnung und einem straffen klinikeigenen Controlling entziehen? Es bedarf künftig guter Argumente, sowohl gegenüber der Klinikleitung als auch den Klinikmitarbeiter*innen, eine solche andere Arbeitsweise plausibel zu machen.30 Seelsorger*innen brauchen institutionelle Freiräume, um ihre im fachlichen Diskurs geschärfte und weiterentwickelte berufliche Identität im Arbeitsalltag der Klinik wirklich entfalten zu können. Diese Freiräume müssen bei der Anstellung von Seelsorger*innen, beispielsweise in Form von Kooperationsverträgen zwischen Kirche und Krankenhaus, ausgehandelt und gesichert werden. Dienst- und Fachaufsicht (und damit verbunden die »Qualitätssicherung«) sollte bei diesen Verträgen an die eigenen berufsständischen Strukturen angebunden werden, auch bei refinanzierten Stellen. In solchen Verhandlungen müsste plausibel gemacht werden können, dass die eigentliche Chance von Seelsorge, eine andere, systemfremde Sichtweise in die routinierten Abläufe einer Klinik zugunsten eines beziehungsfähigeren Miteinanders einzubringen, nur in dieser Unabhängigkeit möglich ist – und dem Krankenhaus einen Nutzen, nicht in der Weise von Nützlichkeit sondern in Form einer Not-Wendig-keit bringt.

29 Die Armen im heutigen Krankenhaus sind die jeweilig bedürftigsten Patienten, die im DRG-System »durch das Netz fallen«: alte, einsame, sterbende, chronisch kranke, sprachlose bzw. fremdsprachige oder wirtschaftlich arme Menschen. Auch Mitarbeiter, die von Arbeitslosigkeit und Outsourcing bedroht sind, gehören dazu. 30 Vgl. die Hinweise auf die transformatorische Wirkung von Krankenhausseelsorge als Heterotopie und Heterochronie bei Roser, 2017a, S. 488–509.

I

Seelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus – das Ganze ins Spiel bringen Michael Fischer

I

Das »Ganze« ist in einer pluralen Gesellschaft ein schwieriger Begriff. Was für den einen das Ganze bedeutet, ist für einen anderen vielleicht nur eine Hälfte, für den einen ist es das Umfassende, für den anderen das Beschränkte und der Ergänzung Bedürftige. Für einen weiteren mag das Ganze bedeutungslos sein. Dennoch wird hier vom Ganzen geredet. Dies geschieht nicht auf der Grundlage eines neutralen Standpunktes, sondern aus einer christlichen Perspektive. Freilich weiß jener, der aus christlicher Perspektive vom Ganzen redet, dass auch sein Zugang zur Welterschließung nur einer neben anderen ist – aber aus seiner Sicht eben ein relevanter. Seelsorge im Krankenhaus begleitet Menschen, die an die Grenze ihres Gestaltungsvermögens stoßen, weil ihnen das eigene Dasein aus der Hand genommen oder neu in die Hand gegeben wird. In diesen Situationen stellen sich die Fragen nach dem Sinn, dem Woher und dem Wohin des Ganzen.1 Hier bringen Seelsorgende das Ganze ins Spiel. Sie tun das in vielfältiger Weise: in der Begleitung von Patient*innen, durch ihre Sorge für Mitarbeitende, in der Auseinandersetzung mit ethischen Fragen, in Gebeten, Ritualen und der Feier von Patrozinien, in der Betreuung Ehrenamtlicher oder der Begleitung von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Und schließlich durch ihre persönliche Glaubwürdigkeit. Im besten Fall hält die Seelsorge das Ganze auch im Spiel. Dazu braucht es nicht nur den Blick auf die Patient*innen und deren Angehörige, sondern wiederum auf ein Ganzes, das gesamte Krankenhaus. Dieser Blick auf das Ganze beinhaltet alle, nicht nur die Kranken, sondern auch die Gesunden und Starken. Also jene Menschen, die für die Kranken die Sorge übernommen haben: in pflegerischer, ärztlicher oder sozialer Hinsicht, auch aus einer Sorge für das wirtschaftliche Wohlergehen des gesamten Krankenhauses. Konfessionelle Krankenhäuser haben gemäß ihrem Auftrag also den Menschen als Ganzen in all seinen relevanten Dimensionen im Blick. Daher ist 1 Vgl. Hemmerle, 1977, S. 142.

Seelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus

105

die Seelsorge integraler Bestandteil ihres Versorgungsangebots. Diese zentrale Bedeutung der Seelsorge ist unabhängig von gesundheitsökomischen Erwägungen, in denen auf die Bedeutung der Seelsorge im Genesungsprozess hingewiesen wird und dadurch das Seelsorgeangebot möglicherweise zu einer finanziell lohnenswerten Größe werden kann. Die Seelsorge ist in konfessionellen Krankenhäusern weder strukturell überflüssig noch funktional verzichtbar.2 Im Gegenteil. Allerdings muss sich die Seelsorge ihre Funktion und ihre Rolle oft mühsam erarbeiten. Aus dem Blickwinkel eines konfessionellen Krankenhauses sind dazu zentrale Integrationsleistungen seitens der Krankenhausseelsorge notwendig. Denn die Seelsorge erfüllt ihren Auftrag in einer Anbindung an unterschiedliche Referenzkontexte, die speziell ein kirchliches Krankenhaus und damit deren Krankenhausseelsorge wesentlich konstituieren: die Kirche als Institution und ein Krankenhaus als Organisation, die Kirche als Glaubens­ gemeinschaft und ein Krankenhaus als Dienstleistungsunternehmen, die Kirche in ihrer Spannung zwischen dem Haupt- und Ehrenamt, die Doppelverortung der Krankenhausseelsorge in einem kategorialen und territorialen Selbstverständnis und schließlich die Seelsorge mit ihrem kirchlichen Sendungsauftrag im Kontext eines weltanschaulich pluralen Religions- und Spiritualitätsverständnisses im Alltag eines Krankenhauses. Wer in unterschiedlichen Referenzkontexten das Ganze im Spiel halten möchte, muss zu Integrationsleistungen fähig sein. Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Solche Integrationsleistungen werden hier aus dem Blickwinkel eines konfessionellen Trägers betrachtet. Es ist daher ein organisationsbezogener Blickwinkel, der erstens um die Bedeutung der Seelsorge für das Ganze weiß, der zweitens das gesamte Krankenhaus in den Blick nimmt und sich drittens Gedanken darüber macht, wie die Seelsorge das Ganze ins Spiel bringt und dort hält – unabhängig von ökonomischen Interessen, sondern weil sie zum wesensmäßigen Auftrag eines konfessionellen Krankenhauses gehört.

1  Ein Blick auf das Ganze Gern reden wir in der Seelsorge von einer Sicht auf den ganzen Menschen, von einer Sorge um den Menschen in all seinen relevanten Dimensionen. An dieser Stelle ist es notwendig, das Ganze der Krankenhausseelsorge etwas näher in den Blick zu nehmen – freilich aus einer christlichen Perspektive.

2 Vgl. Haart, 2007, S. 214.

I

106

I

Michael Fischer

Die Lebenssituation der Kranken öffnet den Blick über den Bereich des bloß Funktionalen hinaus und lenkt ihn auf das Ganze. Der Mensch steht vor der Fraglichkeit seiner selbst, das Dasein kommt an seine Grenzen. In einem Krankenhaus kann die unverkleisterte Grenzsituation offengelegt werden, die Auslieferung an den unbeschönigten Tod, die ungetröstete Sinnlosigkeit. Diese existenziellen Grenzsituationen können auch nicht durch die ungeheuerliche Anstrengung des Menschen, die Welt planend in den Griff zu bekommen, und die dabei erreichten Erfolge negiert werden. Auch wenn diese Grenze immer weiter hinausgeschoben werden kann, »[…] wird die weiter hinausgeschobene Grenze weder kleiner noch weniger gefährlich – aber der Stress der Anstrengung, die Grenze zu verlagern, läßt die Grenze selbst vergessen.«3 Der Mensch scheint es geschafft zu haben, sich selbst in die Mitte der Welt zu schwingen und die Welt in den Griff zu bekommen. Aber trotz der gewähnten Allmacht bleibt die Ohnmacht.4 Im Ensemble seiner gemachten Erfahrungen kommt das Ganze des Menschseins ins Spiel. Dem kranken Menschen treten sein Leben und seine Erfahrung als ein Ganzes vor seine Augen und er steht vor der Frage: Was nun? Wenn das Ganze ins Spiel kommt, bleibt es nicht selten unbestimmbar. Vor diesem Ganzen ist oft die einzige Antwort das Schweigen, das Nicht-Wissen. Obgleich das Ganze geheimnisvoll, unerklärlich, widersprüchlich, unbestimmt und unbegreiflich bleibt, bestimmt es doch wesentlich das Menschsein. Das gilt nicht nur für die Kranken in einem Krankenhaus, sondern auch für die Mitarbeitenden, welche die Kranken versorgen: In der Tat kann in einem geschäftigen Krankenhaus der Bezug zum Ganzen schnell aus den Augen verloren werden. Dies gilt insbesondere für die Gesunden und Starken, die in einem Krankenhaus arbeiten und funktionieren. Noch einmal Klaus Hemmerle: »In die Mitte der Welt, ins beständige Gestaltenmüssen und Schaltenmüssen hineingestoßen, wird der Mensch zugleich verschluckt von dem, worauf er sich andauernd beziehen muss. Er löst sich auf in die vielen Rollen und Funktionen, die ihm aus seiner Position in der Mitte zugemutet werden.«5

3 Hemmerle, 1977, S. 144. 4 Vgl. Hemmerle, 1977, S. 144. 5 Hemmerle, 1977, S. 145.

Seelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus

107

2  Integrationsleistungen der Krankenhausseelsorge Um das Ganze eines Krankenhauses im Blick zu halten, bewegt sich die Seelsorge im Krankenhaus in unterschiedlichen Sinn- und Reflexionskontexten. Im Folgenden werden fünf sich daraus ergebende Integrationsleistungen beleuchtet, die für die Arbeit der Krankenhausseelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus unerlässlich sind. Einführende Thesen zu jeder Integrationsleistung sind den Ausführungen vorangestellt, jeweils in kursiver Schrift. 2.1 Zwischen einem Krankenhaus als Organisation und der Kirche als Institution Auf die Steigerung der Komplexität ihres Umfelds kann die Krankenhausseelsorge nicht mit einer Selbstreduktion reagieren. Vielmehr ist situations-, orts- und personenbezogen, entsprechend den konkreten Herausforderungen und Möglichkeiten, eine sinnvolle Auswahl der Aufgabenfelder zu treffen. Damit dies zufriedenstellend gelingen kann, sind – ohne in ideologische Grundsatzpositionen zu verfallen – verbindliche Formen der Zusammenarbeit zu erarbeiten. Die Entwicklung von der Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge muss nicht mehr eigens begründet werden. Sie hat sich seit geraumer Zeit weitgehend im Selbstverständnis der Seelsorger etabliert. Allerdings führt die Geschwindigkeit, in der neue Arbeitsfelder der Krankenhausseelsorge zugetragen werden, zu verständlichen Nachfragen: Habe ich die Zeit dafür? Reichen meine Qualifikationen? Entsprechen diese Aufgaben meinen Eignungen und Neigungen? Werde ich zunehmend zu einem Rädchen im Organisationsgetriebe? All diese Fragen sind berechtigt und müssen geklärt werden. Die Antwort kann allerdings nicht darin bestehen, dass Seelsorge im Krankenhaus auf die Steigerung der externen Komplexität mit einer internen Selbstreduktion reagiert und damit gleichsam das Spielfeld verlässt. Klüger wäre die Frage, welches Spiel die Mitwirkung der Seelsorge dringlich benötigt – ortsbezogen, situations­ abhängig und personengebunden. Dafür ist ein gutes Zusammenspiel zwischen Seelsorgenden, den Krankenhäusern und den Diözesen/Landeskirchen nötig. Von der Kirche als Institution für ihren Dienst beauftragt, arbeiten die Seelsorgenden in Krankenhäusern, die wie Unternehmen geführt werden.6 Diese Grundspannung kann in vielerlei Hinsicht fruchtbar sein, in gleicher Weise allerdings auch unproduktiv. Damit das Miteinander gelingt, sollten folgende Punkte gut geklärt sein: die fachlich-­ 6 Vgl. Fischer, 2012, S. 81–104.

I

108

I

Michael Fischer

inhaltliche Zuordnung der Seelsorge, ihre organisatorische Zuständigkeit und die disziplinäre Verantwortung. Konkret bedeutet dies beispielsweise: Wer wählt die Seelsorgenden aus, die in einer Einrichtung zum Einsatz kommen? Wer übt die Dienst- und Fachaufsicht aus? Wer trägt Verantwortung für die Erstellung und Umsetzung von Seelsorgekonzepten? Jede der drei Fragen allein trägt enormes Konfliktpotenzial in sich. Um kein heißes Eisen auszusparen, soll hier die Dienst- und Fachaufsicht angesprochen werden. An folgenden Fragen wird die Bedeutung ersichtlich: Wer organisiert und führt regelmäßige Reflexions- und Zielvereinbarungsgespräche mit den Seelsorgenden? Gibt es einen kontinuierlichen, fachkompetenten Austausch mit der Leitung des Hauses? Wie werden Aufgabenfelder abgestimmt? Daher ist mit Recht zu fragen, wie in der Zusammenarbeit eines Krankenhauses/Trägers mit den Diözesen/Landeskirchen die fachliche und dienstliche Begleitung wahrgenommen werden kann. Verfügt ein Krankenhaus/Träger über entsprechende Kompetenzen, wäre es für alle Beteiligten hilfreich, wenn beispielsweise gemeinsame Reflexions- und Zielvereinbarungsgespräche mit den Seelsorgenden geführt würden oder deren Auswahlprozess in einem gemeinsamen Verfahren geregelt wäre.7 2.2 Kirche als Glaubensgemeinschaft und Krankenhaus als Dienstleistungsunternehmen Um der eigenen Zukunft willen sollte die Krankenhausseelsorge sich dem Qualitätsdiskurs nicht verschließen. Weder behindert ein kluges, seelsorgliches Qualitätsmanagement die Seelsorge noch bürokratisiert es diese. Vielmehr dient es einer Selbstvergewisserung, der Vernetzung innerhalb einer Einrichtung, der Kommunikation zwischen den Berufsgruppen und einer professionellen Selbstreflexion. Gegenwärtig wird das Gesundheitswesen auf der Grundlage des neuzeitlichen Qualitätsparadigmas neu vermessen.8 Daran beteiligt sind viele: die politisch Verantwortlichen, die Vertreter*innen der Krankenkassen und der Interessenverbände sowie die Krankenhäuser als Leistungserbringer selbst. Die Durchmessung geschieht rasch, Neuerungen werden in immer kürzeren Zeitintervallen zur Entscheidung und Umsetzung gebracht; nicht immer kundig, aber auch mit viel Sachverstand. Die Erwartungen an diese Qualitätsoffensive sind groß. Denn nicht nur die Ergebnisse der Behandlung werden erhoben und

7 Vgl. Fischer, 2009. 8 Vgl. Fischer, 2017.

Seelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus

109

veröffentlicht, in Zukunft sollen diese auf die Krankenhausplanung und die Steuerung der Patientenströme einen bedeutenden Einfluss nehmen. Diesem Qualitätsdiskurs sind Krankenhäuser als Dienstleistungsunternehmen ausgesetzt. Nicht zu Unrecht, im Auswuchs einer praxisfernen Bürokratisierung allerdings zu deren Leidwesen. Für die Kirche als Glaubensgemeinschaft und ihr pastorales Handeln sind derartige Qualitätsmaßstäbe nicht nur relativ neu, sondern müssen auf einen kritischen Prüfstand gestellt werden.9 In einer ernsthaften Auseinandersetzung über die Qualität der Krankenhausseelsorge ist es hilfreich, sich von allzu grobmaschigen Qualitätsvorstellungen zu verabschieden, die entweder an die Krankenhausseelsorge herangetragen oder dort selbst als Zerrbilder erzeugt werden. Es geht nicht um Kontrolle, nicht um komplexitätsreduzierende Qualitätskennzahlen, mit denen die Wirkung von Seelsorge nachgewiesen werden soll, und auch nicht um eine Bürokratisierung des seelsorgerlichen Dienstes. Diesen Vorstellungen von Seelsorgequalität muss man deutlich entgegentreten. Allerdings sollte die Seelsorge nicht in einer Art Selbstimmunisierung den Qualitätsdiskurs verdammen, sondern ihn zum Nutzen für die Patient*innen gestalten.10 Eine kluge Sorge um eine Seelsorgequalität auf der Grundlage umfassender Qualitätskonzepte nimmt beispielsweise Kooperationen, die Integration in die Organisation, die konzeptionelle Planung und deren Umsetzung in den Blick. Im Kern geht es um eine konzeptionell durchdachte Selbstreflexion und Weiterentwicklung der Seelsorge. Die Seelsorge als wichtiger Versorgungsbaustein im Behandlungsverlauf eines Krankenhauses kann sich dieser Diskussion nicht entziehen. Unabhängig davon sollte sie dies um ihrer Selbst willen auch nicht tun. 2.3  Kirchliche Seelsorge zwischen Haupt- und Ehrenamt Wenn Hauptamtliche und Ehrenamtliche gemeinsam in einem pastoralen Handlungsfeld tätig sind, ist immer ein experimentelles Lernfeld eröffnet. Es treffen Menschen mit unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten, Rollen und Funktionen aufeinander, die gemeinsam und aneinander wachsen können. In diesem Lernfeld gibt es Regeln in der Zusammenarbeit. Die wichtigste Regel lautet: Erst die Vergewisserung der eigenen professionellen bzw. ehrenamtlichen Rolle ermöglicht eine für beide Seiten fruchtbare Kooperation. Ein sinnvolles Zusammenspiel von      9 Vgl. Fischer, 2011. 10 Vgl. dazu beispielsweise: Fischer, 2005; Mehler, 2002; Klessmann, 2002; Nelius/Städtler-Mach, 2002; Lammer/Borck/Habenicht/Roser, 2015, bes. S. 81–112.

I

110

I

Michael Fischer

Haupt- und Ehrenamt kann nur gelingen, wenn die jeweiligen Rollen zufriedenstellend geklärt sind – auf einer persönlichen, berufsbezogenen, gruppen­dynamischen und theologischen Ebene. In der Kirche wurde nicht nur das Ehrenamt theologisch neu belebt, sondern auch der Professionalisierung pastoraler Handlungsfelder durch die Aufwertung der sogenannten Laien ein Anstoß gegeben. Insgesamt wurde das hierarchische Kirchenverständnis in Richtung einer Communio erweitert. So wurden in den vergangenen Jahrzehnten sowohl pastorale Handlungsfelder professionalisiert als auch das Ehrenamt ausgebaut. Arbeiten beide zusammen, gibt es Klärungsbedarf: Wie sehen die spezifischen Berufsrollen aus? Sind die einen Profis und die anderen Amateure? Wenn beide nur um den Preis einer Rollenkonfusion das Gleiche in gleicher Weise tun können, worin liegt dann das je Spezifische und das den Ehren- und den Hauptamtlichen Gemeinsame? Machen kompetente Ehrenamtliche die Professionalisierung pastoraler Handlungsfelder und am Ende damit auch die Hauptamtlichen überflüssig?11 Ein Blick in die Versorgungssituation von Patient*innen bzw. Bewohner*innen in Krankenhäusern, Alten- und Behinderteneinrichtungen zeigt einen großen Bedarf an Seelsorge; einen größeren Bedarf als die hauptamtlichen Seelsorgenden abdecken können. In diesen Einrichtungen wünschen sich viele Patient*innen und Bewohner*innen jemanden, der ihre Not hört. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Handeln bedeutet nicht, hauptamtliche Seelsorgestellen zu kürzen, weil diese in Zukunft durch Ehrenamtliche ersetzt werden sollen. Das ist aus mehreren Gründen gar nicht möglich: Ehrenamtliche können ohne das Hauptamt gar nicht arbeiten; Hauptamtliche erfüllen eine berufliche, professionelle Rolle, während Ehrenamtliche selbst gewählte Aufgaben erledigen; Hauptamtliche tragen die Gesamtverantwortung, für die sie entlohnt werden, während Ehrenamtliche ihr Engagement entsprechend ihren Neigungen und Eignungen ausüben; Hauptamtliche sind gegenüber den Ansprüchen der arbeitgebenden Institution in vollem Umfang verpflichtet, während Ehrenamtliche aus eigener Initiative ihren Dienst tun. Handeln bedeutet vielmehr, eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen hauptamtlichen Krankenhausseelsorger*innen und ehrenamtlich Engagierten zu gestalten. In Anbetracht der gegenwärtigen seelsorglichen Situation wäre es klug, die Bedeutung der Charismen in der Kirche in neuer Weise schätzen zu lernen und die unterschiedlichen Begabungen in ein kooperativ gestaltetes Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamtlichen münden zu lassen. Eine Polarisie11 Vgl. Fischer, 2014; Gärtner, 2012.

Seelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus

111

rung zwischen beiden aus Angst vor Statusverlust oder einer Rollenunklarheit ist zwar nachvollziehbar, darf sich aber nicht wie ein lähmender Schleier über einen wichtigen Aufbruch legen. 2.4 Zwischen kategorialer Verortung und/oder territorialer Anbindung Kategoriale Spezialisierung ist notwendig, um die spezifische Seelsorgeanforderung eines kategorialen Feldes zu meistern. Werden Krankenhausseelsorger*innen an territoriale Pastoralstrukturen angebunden, brauchen sie dennoch die entsprechenden Weiterbildungen und die Einbindung in einen professionellen Reflexionskontext. Allerdings kommt dieses Modell in großen Krankenhäusern an seine Grenzen, denn dort braucht es auch Seelsorgende, die (zeitlich) uneingeschränkt sich auf die Funktionslogik eines Krankenhauses einlassen, dort mitleben und arbeiten. Durch die Vergrößerung der pastoralen Räume und aufgrund schwindender finanzieller Mittel in den Diözesen und Landeskirchen stehen für die Krankenhausseelsorge Fragen im Raum: Wie viel Geld wird für die Aufrechterhaltung der kategorialen Krankenhausseelsorge in Zukunft zur Verfügung gestellt? Wird zugunsten territorialer Aufgabenfelder die kategoriale Krankenhausseelsorge ausgedünnt? Soll die Krankenhausseelsorge (wieder) an die territorial geprägten Pfarreien angebunden werden? Zu diesen Fragen kursieren recht unterschiedliche Überlegungen. Vermutlich sollten nicht vorschnell abschließende und allgemeingültige Antworten gegeben werden, denn sinnvolle und plausible Lösungen sind oft in ihrem Kontext begründet. Die Diözesen und Landeskirchen12 haben nicht nur unterschiedliche Voraussetzungen und Möglichkeiten, sondern auch die Krankenhäuser sind aufgrund ihrer Größe, ihres Leistungsspektrums, ihrer Einbindung in Trägereinheiten oder Pfarreistrukturen nicht direkt vergleichbar. Die Voraussetzungen also, unter denen professionelle Seelsorge im Krankenhaus geleistet werden kann, unterscheiden sich. Pastorale Mitarbeiter*innen, die in einer Gemeinde angesiedelt sind, können von dort aus zwar ihren Dienst in einem Krankenhaus tun. Allerdings kann dies nicht gleichsam nebenbei geschehen, ohne eine entsprechende Zusatzqualifikation und ohne eine Anbindung an einen professionellen Reflexionskontext. Das bedeutet: Teilnahme an Fachgruppen, Austausch mit anderen Krankenhausseelsorger*innen und die Möglichkeit zur Supervision. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist eine solche Konstruktion möglich. Allerdings kommt eine 12 Vgl. Roser/Rüter/Stache/Wemhöner, 2017.

I

112

I

Michael Fischer

Anbindung der Krankenhausseelsorge an eine Pfarrei, trotz einer entsprechenden Einbindung an einen professionellen Reflexionskontext, in großen Krankenhäusern an ihre Grenzen. Es besteht die Gefahr, dass die Systemlogik eines Krankenhauseses nicht ausreichend abgebildet wird. Ein Krankenhaus gleicht einem eigenen Lebens- und Arbeitsbiotop. Dort braucht es auch Seelsorgende, die sich nicht nur (zeitlich) uneingeschränkt darauf einlassen möchten, sondern dies auch tun können. Obgleich die Spezialisierung und die damit verbundene Professionalisierung der Krankenhausseelsorge nicht rückgängig gemacht werden kann, liegt eben darin auch Hinterfragbares. Denn was im Gesundheitswesen zwischenzeitlich als ein Problem erkannt ist, nämlich die starre Aufteilung der Patientenversorgung in einen ambulanten und einen stationären Sektor, führt auch im Blick auf die seelsorgerliche Begleitung kranker Menschen zu Engführungen. Angehörige und Patient*innen, die kirchlich gebunden sind, in welcher Intensität auch immer, werden oftmals nach ihrer Entlassung durch die Aufteilung in kategoriale und territoriale Seelsorgebereiche aus den Augen verloren. Wäre hier nicht eine bessere Verzahnung beider Bereiche notwendig, um die Patient*innen nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus nicht aus dem Blick zu verlieren? Und wäre auf der anderen Seite eine engere Zusammenarbeit für die Gestaltung einer Gesamtpastoral nicht hilfreich? 2.5 Zwischen konfessioneller Ausrichtung, Spiritual Care und anderen Religionen Sollen in Zukunft keine voneinander unabhängigen und möglicherweise parallel arbeitenden Seelsorgesysteme (Spiritual Care, konfessionelle Seelsorge, Seelsorgesysteme anderer Religionen, Haupt- und Ehrenamt) in einem Krankenhaus existieren, müssen frühzeitig entsprechende Weichen für eine Integration gestellt werden. Ob es dabei eine Einheit in der Vielfalt geben kann, ist noch ungeklärt. In einer zunehmend pluraler werdenden Gesellschaft hat sich nicht nur das Verständnis von Spiritualität ausgeweitet, sondern dort ist auch die Anzahl jener Institutionen und Professionen gewachsen, die sich einer spirituellen Begleitung der Patient*innen annehmen.13 Insgesamt führt diese Entwicklung zu einer Ausdifferenzierung der religiösen und spirituellen Begleitung von Patient*innen. Bereits heute existieren in den Krankenhäusern eine bunte Mischung aus religiösen und religionsunabhängigen Spiritualitätsvorstellungen und eine Paralle­ 13 Vgl. Peng-Keller, 2012; Karle, 2010; Frick, 2009; Nauer, 2015, S. 22–45; Roser, 2017a; Karle, 2018.

113

Seelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus

lität religions- und kulturgebundener Seelsorgeangebote mit jeweils eigenen Zuständigkeiten. In vier Feldern kann die aktuelle Situation abgebildet werden.

Territoriale Anbindung der Krankenhausseelsorge

Kategoriale Verortung der Krankenhausseelsorge

Kirche

Einheit in der Vielfalt?

Seelsorgesysteme anderer Religionen und Kulturen

Spiritual Care als kirchenungebundene Begleitung

Gesellschaft

Abb. 1: Seelsorge in Vielfalt

Was bedeutet diese Ausdifferenzierung für das Selbstverständnis und die Organisationsform der Krankenhausseelsorge? Entstehen in Zukunft vier unterschiedliche Seelsorgesysteme mit jeweils eigenen Zuständigkeiten? Gibt es noch ein integratives Ganzes oder gar eine Einheit in der Vielfalt? Bei diesen Überlegungen können zwei gegensätzliche Positionen gezeichnet werden: In einer ersten Variante existieren die vier genannten Seelsorgezuständigkeiten ohne erkennbare Absprachen und ohne eine konzeptionelle Integration in ein Ganzes unabhängig und nebeneinander. Die beteiligten Akteure arbeiten entsprechend ihres eigenen Selbstverständnisses und das freie Spiel der Kräfte steuert Angebot und Nachfrage: Wer kommt bei den Patient*innen gut an? Was dient bei der Betreuung und der Behandlung in einem umfassenden Sinn den Patient*innen? Wer ist bereit, wie viel für welches Seelsorgesystem mit welchem Aufgabenzuschnitt zu bezahlen? Eine zweite Variante, die einen Gegenentwurf zur ersten darstellt, möchte nicht das freie Spiel der Kräfte, sondern Seelsorge in einer integrierten Einheit und Zusammenarbeit. Nimmt eine konfessionelle Einrichtung ihre Gesamtverantwortung wahr, muss sie ein klares Konzept für die religiöse und spirituelle Begleitung ihrer Patient*innen haben. Zu dieser Gesamtverantwortung gehört auch die Kontrolle darüber, ob die einzelnen Akteur*innen sich an die Gesamtvorgaben halten. Für eine konfessionelle Einrichtung gilt: die Begleitung der Patient*innen muss ohne Druck und Zwang erfolgen, Notsituationen dürfen nicht zur Mis-

I

114

Michael Fischer

sionierung missbraucht werden und jedwede Religionsausübung steht auf den Grundnormen unserer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung. Dies ist für alle Beteiligten, jedweder Profession und Religion, bindend. Ebenso gilt, den gesellschaftlichen Entwicklungen und den Bedürfnissen der Patient*innen und ihrer Angehörigen gerecht zu werden. Insofern gibt es kein willkürliches Spiel der freien Kräfte, sondern ein reflektiertes, verantwortetes und integriertes Gesamtangebot. Vermutlich kann dies nur gelingen, wenn die beteiligten Akteur*innen in guter Abstimmung und einem Austausch miteinander sind. In einem konfessionellen Krankenhaus sorgt für diese Integration die konfessionelle Seelsorge.

I

3 Integrale Krankenhausseelsorge im Kontext unterschiedlicher Sinnsysteme Wer das Ganze in seinen unterschiedlichen Facetten im Kontext verschiedener Sinn- und Referenzkontexte ins Spiel bringen und dort halten möchte, braucht ein klares Konzept einer integralen Krankenhausseelsorge. Wer integrieren möchte, muss seine Umwelten kennenlernen und verstehen wollen, muss sich im Aufbau von Netzwerken als anschlussfähig erweisen, sollte anstehende Entwicklungen im Hinblick auf das Ganze aktiv gestalten, anstatt nur reserviert oder ablehnend zu beobachten, kurzum: Wer integrieren möchte, muss seine Umwelt als Ressource begreifen. Solch ein integrales Verständnis von Krankenhausseelsorge bewahrt sie vor Abschottung und einer verhängnisvollen Selbstreduktion. Für die Krankenhausseelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus bedeutet dies: neue Aufgabenfelder wahrnehmen und sie kompetent mitgestalten; eine mutige Integration in den Organisationskontext eines Krankenhauses, um die dort vorzufindende Pluralität wirkmächtig mitgestalten zu können; eine damit verbundene Verantwortung wahrnehmen und selbstverständlich im Dialog dafür auch Rechenschaft abgeben; die längst überfällige Anfrage an die Qualität seelsorgerlichen Handelns endlich als Chance begreifen und klug die vorhandenen Modelle und Instrumente in den eigenen Kontext adaptieren; die manchmal dogmatisch geführten Grabenkämpfe zwischen Haupt- und Ehrenamt zugunsten einer bestmöglichen Versorgung der Patient*innen endgültig ablegen und im Hinblick auf die Nöte der Patient*innen angemessene Formen der Zusammenarbeit entwickeln, in denen nicht das Eigene auf Kosten des anderen abgewertet wird; in Zukunft vermehrt eine kategorienübergreifende Seelsorge kranker Menschen in den Blick nehmen, ohne Professionsstandards zu verletzen.

Seelsorge in einem konfessionellen Krankenhaus

115

Inmitten dieser anspruchsvollen Integrationsleistungen haben die konfessionellen Krankenhausträger eine besondere Verantwortung. Sie tragen Sorge für ein integrales Gesamtkonzept, in der unterschiedliche Seelsorgeverständnisse und -konzepte nicht beziehungslos nebeneinander existieren, sondern in dem alle Beteiligten in einem reflektieren, verantworteten und integrierten Gesamtkonzept zum Wohle der Patienten zusammenarbeiten. Solch eine integrative Mitte sollte in einem konfessionellen Krankenhaus die konfessionelle Seelsorge sein. Sie hat gute Voraussetzungen dazu. Diesen Weg fördern konfessionelle Träger und sie dürfen ihn auch einfordern.

I

Seelsorge im Krankenhaus – ein Statement1

Francesco De Meo

I

Ich habe meinen Kollegen in unseren 112 Kliniken zum Thema Krankenhausseelsorge drei kurze Fragen gestellt: 1. Was tun wir beim Thema Seelsorge in den Kliniken und mit welchem Stellenwert? 2. Wie schätzen wir die Relevanz der Seelsorge in unseren Kliniken ein? 3. Wie stehen wir zu der Frage: »Wer bezahlt die Seelsorge«? Die Antworten waren so heterogen wie die Regionen und Kliniken, die Aussagen meiner Kollegen also jeweils vom Standortumfeld mitgeprägt. Die Antworten reichten von weniger relevant bis zur Einschätzung höchster Relevanz. Sucht man die Klammer, lässt sich ein Grundverständnis zum Thema Seelsorge in Krankenhäusern heute wohl so skizzieren: Die Aufgaben der Seelsorge in Krankenhäusern sind vielfältig. Die tatsächliche Religionsausübung ist nur ein Teilbereich. Die Seelsorge begleitet Menschen auf deren Wunsch und bei Bedarf vor Ort im Krankenhaus; sie hilft bei der Bewältigung einer Krankheit, ermutigt zur Annahme einer schwierigen persönlichen Situation und sie unterstützt den Heilungs- und Gesundungsprozess. Und Seelsorge bringt sich ein bei der palliativen Begleitung von Patienten und deren Angehörigen, wenn Krankheiten nicht mehr heilbar sind. Die Krankenhausseelsorge wird wahrgenommen von Pfarrern, aber auch von anderen für die Seelsorge qualifizierten Mitarbeitern, und – je nach lokalem Umfeld – von ehrenamtlichen Helfern.

1 Der Beitrag basiert auf einem Vortragsmanuskript des Autors und wurde erstmals im Tagungsband des 1. Ökumenischen Kongresses der Seelsorgenden im Krankenhaus und Gesundheitswesen veröffentlicht. Vgl. De Meo, F. (2017): Seelsorge im Krankenhaus. Ein Statement. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheits­ wesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven. Freiburg i.Br., S. 284–289. Wir danken den Herausgebern für die Genehmigung zum erneuten Abdruck.

Seelsorge im Krankenhaus – ein Statement

117

1 Seelsorge heute – unabhängig von Konfession und Weltanschauung Die Krankenhausseelsorge kann von Patienten, ihren Angehörigen und den Mitarbeitern im Krankenhaus, unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit, in Anspruch genommen werden. Sie bringt sich in die ökumenische und interreligiöse Zusammenarbeit im Krankenhaus ein. Wesentliche Aufgaben sind die Gespräche mit Patienten, unabhängig von Konfession und Weltanschauung. Abendmahl, Krankensalbung und Heilige Kommunion werden nach konkreter Absprache angeboten. Je nach Bedarf finden vor Ort zum Teil Gottesdienste statt. Die Bedeutung der Seelsorge im Sinne einer religiösen Begleitung nimmt im Krankenhaus ab. Gefragt ist ein multikultureller und interkonfessioneller Ansatz, der auf die Begleitung der Patienten und Angehörigen bei emotionalen Notsituationen eingeht, vor allem bei der Palliativversorgung. Die Schnittmengen zum Überleitungsmanagement und zum Psychologischen Dienst werden zunehmend größer. Seelsorge bedient die im Krankenhaus sehr relevanten Teilaspekte der Familienberatung und psychologischen Betreuung bislang kaum, diese übernimmt in der Regel der Sozialdienst oder – je nach Standort – ein psychosozialer Dienst. Seelsorge bringt sich standort- und themenbezogen aber weiterhin ein bei Fragen der ethischen Beratung. Die Relevanz der Seelsorge in den Kliniken wird – wie das skizzierte Aufgabenspektrum zeigt – unterschiedlich nach Regionen und Standorten gesehen. Insgesamt zeigen sich drei Trends: Zum einen nimmt die Relevanz der religiösen Begleitung und die Ausübung religiös-kirchlicher Dienste ab, ausgenommen im Rahmen der palliativen Begleitung. Zum anderen nimmt das Bedürfnis nach Gesprächsbegleitung, emotionaler Betreuung in Notsituationen und familiärer Beratung spürbar zu. Zum dritten wird Seelsorge oder die skizzierten Stellvertreter der Seelsorge heute zunehmend Teil der Serviceleistungen um das emotionale Wohl der Patienten; sie wird also als Bestandteil einer guten und fürsorglichen Betreuung wertgeschätzt. Entsprechend vielfältig sind die in den Kliniken als Seelsorge angebotenen Serviceleistungen.

2 Finanzierung der Seelsorge ist regional unterschiedlich Die Bezahlung der Krankenhausseelsorge folgt lokalen, oft lange tradierten Gepflogenheiten. Soweit es um die Betreuung von Gemeindemitgliedern geht, erfolgt diese im Rahmen des kirchlich religiösen Kontextes, dementsprechend

I

118

Francesco De Meo

finanziert aus den Kirchensteuern und den Mitteln der jeweiligen Kirchengemeinden bzw. religiösen Gemeinschaften. Soweit Seelsorge als intrinsischer Teil der Patientenbetreuung verstanden wird, etwa im Rahmen der Palliativversorgung oder im Kontext schwerster und von langen Krankenhausaufenthalten geprägter chronischer Krankheiten, erfolgt schon heute eine (anteilige) Bezahlung aus Mitteln der Krankenhäuser. Generell wird die Seelsorge in den Krankenhäusern in der Regel, mit lokal unterschiedlichen Ausprägungen, unterstützt durch die Bereitstellung von Sachmitteln und Räumlichkeiten, einschließlich etwa der Räume der Stille.

I

3  Kennzeichen der Krankenhausseelsorge der Zukunft Wie wird nun die Krankenhausseelsorge in Zukunft aussehen? Dies unter dem Aspekt, dass einerseits die etablierten Kirchen sich aus Kostengründen seelsorgerlich reduzieren und andererseits die Krankenhausbudgets keinen finanziellen Raum für eine seelsorgerliche Betreuung vorsehen? Die Antwort ist so vielfältig wie die Menschen, um deren Betreuung es geht. Ich selbst sehe – wohl aber nach meiner erstmaligen Beschäftigung mit dem Thema – in etwa folgende Trends: ȤȤ Seelsorge bleibt Bestandteil einer emotional orientierten Betreuung nach Bedarf. Sie sollte daher stets als ein Teil der Patientenbetreuung ausgestaltet sein und so angeboten werden. Sie wird auch künftig von Mensch zu Mensch erbracht, also nicht durch digitalen Service. Denkbar sind – je nach konkretem Bedarf – aber digitale Face-to-Face-Kontakte/Sitzungen. ȤȤ Seelsorge wird als emotionale Dienstleistung und Fürsorge für die Bedürfnisse von Patienten und Angehörigen empfunden, das setzt ein flexibles Angebot voraus – so flexibel und vielfältig wie die Glaubenswelten und Religionen der Patienten, mithin multikulturell. ȤȤ Seelsorge zielt künftig abnehmend noch auf die kirchlich-religiöse Begleitung (z. B. zur Begleitung bei persönlichen Verletzungen, bei Verlusten oder Todesfällen, bei chronischen oder tödlichen Krankheiten – dort, wo Hoffnung auf einer religiösen Fundierung vermittelt wird). Hier muss sie stets auch primär kirchlich wahrgenommen werden, wobei allen Religionen und Kirchen gleichberechtigt Zugang gewährt werden muss. Seelsorge wird künftig zunehmend Bestandteil einer emotional-motivierenden Beratung. Hierfür können die Krankenhäuser auch auf entsprechende (lokale) Anbieter außerhalb der Kirchen zugreifen. ȤȤ Die Mittel zur Finanzierung der Krankenhausseelsorge folgen künftig stärker dem Kern der seelsorglichen Leistung. Soweit und solange sich in der

Seelsorge im Krankenhaus – ein Statement

119

Seelsorge eine religiös orientierte Begleitung von Mitgliedern einer Glaubensgemeinschaft findet, wird diese in erster Linie von den entsprechenden Glaubens- und Religionsgemeinschaften sowie Kirchen auch finanziell getragen werden, ausgenommen die Ausstattung mit Sachmitteln und Räumen. Je stärker sich die Seelsorge in Richtung der emotional orientierten Betreuung von Patienten und Angehörigen bewegt, desto mehr muss sie finanziert werden aus Krankenhausbudgets. ȤȤ Die etablierten Kirchen, Religions- und Glaubensgemeinschaften werden sich also künftig noch stärker mit der Frage beschäftigen müssen, wo sie sich im Spektrum zwischen religiös und emotional orientierter Betreuung von Patienten und Angehörigen positionieren wollen. Die Antwort kann nach regional-lokaler Tradition und Präsenz durchaus unterschiedlich ausfallen. Sie muss künftig nur deutlich machen, in welchem Umfang neben der religiös orientierten Begleitung auch weitere Aufgaben einer Seelsorge im emotional orientierten Bereich wahrgenommen werden sollen und können. Auf dieser Grundlage werden sich in der Praxis auch Modelle einer Mischfinanzierung etablieren, oder – je nach regionaler bzw. lokaler Situation – die Krankenhäuser zum Ausbau eigener Servicebereiche entschließen und entsprechende Leistungen von Dritten einkaufen.

4 Fazit Es liegt eine spannende Herausforderung für die Krankenhausseelsorge darin, den veränderten Bedürfnissen unserer Patienten und der Kliniken besser Rechnung zu tragen. Dies wird nur dann gelingen, wenn den heutigen Aufgaben der Krankenhausseelsorge von allen Beteiligten Offenheit, Neugier und Flexibilität entgegengebracht wird. Wir haben in der Vergangenheit einige kirchliche Kliniken in den HELIOS Verbund übernommen und deren Fähigkeit und Bereitschaft zu Veränderungen wahrgenommen. Ich bleibe daher zuversichtlich, dass auch die Krankenhausseelsorge sich der Herausforderung stellen und diese erfolgreich bestehen wird.

I

Teil II

Exemplarische Arbeitsfelder der Seelsorge im Krankenhaus – Stationen und medizinische Kontexte

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation

Claudia Zierer

Manchmal ist das Leben eines Kindes mit der Geburt gefährdet, sei es durch eine Frühgeburt, durch Komplikationen rund um die Geburt oder weil man bereits durch pränatale Diagnostik eine schwere Erkrankung des Kindes festgestellt hat. Das Baby ist intensivpflichtig. Traumatische Erlebnisse für die Eltern des Neugeborenen, die durch ein multiprofessionelles Team aufgefangen werden müssen.1 Ein Teil davon ist das Angebot von Seelsorge. Seelsorge auf der Neugeborenen-Intensivstation bewegt sich in folgenden Feldern:2 ȤȤ Begleitung von Eltern und ihren Kindern ȤȤ Unterstützung mithilfe von Ritualen (Spendung der Taufe, perimortale Begleitung, Segnung des Kindes vor oder nach dem Versterben, Konzipierung und Durchführung von Gedenkfeiern für die verstorbenen Kinder) ȤȤ Diskussion ethischer Fragen rund um den Lebensbeginn und das Kindeswohl ȤȤ Begleitung von Mitarbeitenden Als ich das erste Mal die Neugeborenen Intensivstation betrat, fühlte ich mich wie in einer fremden Welt. Eine Krankenschwester brachte mich an den Inkubator eines in der 26. Schwangerschaftswoche (SSW) neugeborenen Mädchens. Sie schlug den Lichtschutz des Inkubators zurück, damit ich das Kind betrachten konnte. 680 Gramm wog Julia3. Klein, zerbrechlich. Sie sah aus wie ein Vögelchen, das aus dem Nest gefallen war, weit entfernt von der Gestalt eines reifgeborenen Kindes. Überall Kabel und Zugänge. Schrecken und Beklemmung stiegen in mir auf, obwohl ich weder die Mutter noch eine Angehörige dieses Mädchens war. 1 Vgl. zur ersten Orientierung: Gabe, 2011. 2 Siehe auch das Themenheft »Kinderkrankenhausseelsorge. Konzepte, Entwicklungen und Perspektiven« (2006) der Zeitschrift Wege zum Menschen, 58 (6). 3 Die Namen der hier genannten Kinder sind geändert.

II

124

II

Claudia Zierer

Inzwischen, nach jahrelanger Arbeit auf dieser Station, ist mir der Anblick von frühgeborenen Babys vertraut. Die Sprache der Monitore kann ich deuten. Die Mitarbeitenden der Neonatologie sind meine Kollegen und Kolleginnen geworden. Dennoch darf ich meinen ersten Eindruck nicht vergessen, denn er spiegelt den noch größeren Schrecken der Eltern beim ersten Anblick ihres Kindes wider. Die Sorge um das Überleben des Kindes, die Angst vor bleibenden Schäden ist immens groß. Es ist ein Albtraum – nur, dass man daraus nicht erwacht. Bevor die Eltern überhaupt die Möglichkeit hatten, sich in ihre Rolle einzufinden, ihr Kind kennenzulernen, befinden sie sich auf der Neugeborenen-Intensivstation einer Universitätsklinik. Nicht sie erzählen dem Ärzteteam von ihrem Kind, sie lernen ihr Kind durch die Ärzt*innen und das Pflegepersonal kennen. Alle Professionen haben in dieser Situation die Aufgabe die Rolle der Eltern zu stärken. Sie zu ermutigen, damit sie in Bindung zu ihrem Kind gehen können. Als Seelsorgerin bringe ich ein offenes Ohr und Zeit für die Geschichte dieser Familien mit. Ich interessiere mich für den Verlauf der Schwangerschaft, für das Leben der Mütter und Väter, für das Leben vor der Elternschaft, für die Gefühle, die sie bewegen und ich muss zur richtigen Zeit schweigen können. Die Ohnmacht mit ihnen zu ertragen. Gott ist in diesen Kontexten so oft eine Frage und keine Antwort. Dies gilt es auszuhalten.

Abb. 2: Mortalitätsrate von Frühgeborenen

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation

125

1  Bittere Wahrheit in medizinischen Begriffen Die Präeklampsie ist eine nur in der Schwangerschaft auftretende Erkrankung, die durch erhöhten Blutdruck (Hypertonie), vermehrte Eiweißausscheidung im Urin (Proteinurie) und Wassereinlagerungen (Ödeme) gekennzeichnet ist. Mögliche kindliche Komplikationen der Präeklampsie umfassen Wachstumsstörungen, eine vorzeitige Plazentalösung und im schlimmsten Fall den Tod des Ungeborenen. Die Präeklampsie kann unvermittelt in eine Eklampsie mit mütterlichen Krampfanfällen übergehen. Bei einer Eklampsie ist die kindliche und mütterliche Prognose nochmals erheblich verschlechtert. Hinter diesen medizinischen Fakten verbirgt sich für die werdende Mutter eine bittere Tatsache: Mein Körper ist nicht kompatibel mit dem Baby in mir. Das Kind in mir gefährdet mein Leben. Fast alle Frauen, die ihr Kind zu früh entbunden haben, verbinden diese Tatsache mit Gefühlen von Ungenügen und Schuld: »Warum konnte ich mein Kind nicht in mir halten?«

Fallbericht, 1. Teil: »Was machen wir hier?« Der folgende Bericht einer längeren Begleitung folgt den Lebenstagen von ­ ohamed. M Geburtstag: Der Funk geht. Der Stationsarzt der Neonatologie berichtet von einem Baby der 24. SSW, welches gerade nach Notsectio zur Welt gekommen ist. Er bittet mich, auf die Intensivstation zu kommen, um mir weitere Informationen geben zu können, damit ich im Anschluss die Eltern des Jungen besuchen kann. Die Mutter leidet an einer schweren Präeklampsie. Mutter wie Kind schweben in Lebensgefahr. Die Kortisongabe zur Lungenreifung hat das Kind nicht mehr bekommen können. Der kleine Junge wurde aufgrund der extremen Unreife der Lunge intubiert, mit Kathetern versorgt und nach einem kurzen Besuch bei den Eltern auf die Station verlegt. Die Mutter liegt auf der Intensivstation der Anästhesie, weil ihr Blutdruck außer Kontrolle geraten ist. Erst am Ende seines Berichtes erzählt der Arzt, dass das Kind nur 300 Gramm wiegt. Einen Moment lang sagen wir beide nichts. Dieses minimale Geburtsgewicht, verbunden mit der Unreife des Babys, kenne ich nur aus palliativen Situationen im Kreißsaal. Ohne dass die Frage meinerseits gestellt wird, erzählt der Arzt, warum er das Kind intubiert hat. Die Eltern hatten sich im kurzen Aufnahmegespräch vor dem Kaiserschnitt die maximal mögliche Versorgung ihres Kindes gewünscht, um das

II

126

II

Claudia Zierer

Leben ihres Kindes zu sichern. Zudem waren die Geburtshelferinnen von einem höheren Gewicht des Kindes in dieser Schwangerschaftswoche ausgegangen. Das Frühgeborene ist auf niedrigem Niveau stabil.4 Der Wunsch des Ärzteteams an mich ist die Kontaktaufnahme zu den Eltern, um diese zu unterstützen. Gemeinsam mit der betreuenden Krankenschwester schaue ich mir den Jungen an. Er ist winzig und zerbrechlich. Das Kind ist noch einmal 200 Gramm leichter als andere Kinder in dieser frühen Frühgeburtlichkeit.5 Wir filmen das Baby mit dem stationseigenen iPad, um der Mutter auf ihrer Intensivstation zeigen zu können: Dein Sohn lebt. Der Kleine bewegt sich dabei, als ob er winken würde. Die Krankenschwester fragt ihn: »Willst du denn ins Leben?« Wir beide schauen uns an. Wir haben miteinander schon öfter Eltern und ihre sterbenden Neugeborenen begleitet. Unausgesprochen gehen wir davon aus, dass es wieder so sein wird. Schwester Veronika hat bisher nie so ein kleines Kind versorgt. Sie ist behutsam und sanft, versucht das Kind so wenig wie möglich zu stören. Ihr Kommentar während ihres Tuns: »Wir werden eine Fallbesprechung, vielleicht sogar eine Ethikberatung brauchen. Was machen wir hier?« Fast dieselben Sätze wird später der Chefarzt zu mir sagen.6

2  Ethikberatung in der Neonatologie Eine Ethische Fallbesprechung ist in unserer Klinik ein multiprofessionelles Instrument für schwere Krisensituationen. Sie wird bei Bedarf durch ein einzelnes Mitglied des Behandlungsteams angefordert und von zwei Mitgliedern des Ethik-Komitees, die nicht zu dem Behandlungsteam gehören, einberufen. Dabei treffen sich möglichst alle Beteiligten des multiprofessionellen Teams, um sich mithilfe der Moderation auszutauschen und einen gemeinsamen Behandlungsweg für den Patienten zu finden.7 In pädiatrischen Kontexten müssen vor allem die Eltern in besonderer Weise über die verschiedenen Therapieziele informiert und in ihrer persönlichen Entscheidungsfindung begleitet werden. Die Umsetzung der Ergebnisse bzw. die Kommunikation mit den Eltern des Kindes erfordert die Beteiligung der verschiedenen Professionen mit den je eigenen Blickwinkeln und setzt ein hohes Maß an kommunikativen Fähig4 5 6 7

Vgl. Vonderlin, 1999. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, 2014. Vgl. auch die Beobachtungen von Sturm, 2015. Vgl. Wiesemann/Dörries/Wolfslast/Simon, 2003.

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation

127

keiten voraus, nicht zuletzt auch die Fähigkeit, im rechten Moment die Stille und Ohnmacht der Situation auszuhalten. Fallbericht, 2. Teil: Erste Annäherung Ich mache mich, mit dem kleinen Video gewappnet, auf den Weg auf die andere Intensivstation, versuche dabei ruhig und konzentriert zu atmen und mich auf die Situation, die mich erwartet, einzustellen. Ich weiß nur den Namen der Eltern und kenne das Alter der Mutter. Sie ist 24 Jahre alt. Der Name des Paares klingt deutsch. Ich betrete das Intensivzimmer. Herr M. sitzt am Bett seiner Frau. Sie ist wach und ansprechbar. Nachdem ich mich als Seelsorgerin vorgestellt habe, gratuliere ich den beiden zur Geburt ihres Kindes und zeige ihnen den Film von ihrem Sohn. Sie haben schon einen Namen für ihn gefunden: Er heißt Mohamed. Frau M. ist Muslima. Mit zwölf Jahren kam sie mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland. Ihr Mann ist Deutscher. Zu diesem Zeitpunkt sind das nur wenige Informationen, die sich im Laufe der Begleitung mit Leben füllen werden. Die beiden schauen den Film noch einmal an. Die Mutter lächelt unter Tränen. Sie hat sein Winken gesehen. Wir sind uns einig, dass Mohamed ein starker Name ist, den der Kleine jetzt braucht, um seinen Weg gehen zu können. Ich lasse noch ein Foto des Babys zurück und verabschiede mich. Zurück auf dem Flur der Neonatologie treffe ich den Chefarzt, der mir kurz seine Eindrücke erzählt und dabei die Lebendigkeit des Kindes beschreibt, auch wenn er dem Kind keine hohen Überlebenschancen einräumt. Die nächsten sieben Tage werden entscheidend sein. Auch er stellt die Frage »Was tun wir hier eigentlich?« Es klingt, als ob er laut mit sich selbst spricht. Zweiter Lebenstag: Herr M. verbringt viel Zeit bei seiner Frau auf der Intensivstation. Er möchte nicht über seine Situation sprechen, weder mit der Psychologin noch mit mir. Schwester Veronika ist wieder im Dienst und versorgt Mohamed. Sie wickelt ihn. Die Pampers ist noch viel kleiner als eine Puppenwindel. In dem Moment als sie die Windel öffnet, setzt der Kleine Stuhlgang ab. Ich habe selten etwas so Lebendiges gesehen. In diesem Moment verspüre ich viel Ehrfurcht vor dem Leben. An diesem Tag besucht Schwester Veronika Frau M., damit die Mutter weiß, wer ihr Kind versorgt. Frau M.s Zustand stabilisiert sich. Sie muss zur Kontrolle noch zwei Tage auf der Intensivstation bleiben. Vierter Lebenstag: Frau M. kann im Rollstuhl sitzend auf die Neugeborenen-­ Intensivstation fahren, um das erste Mal ihren Sohn zu sehen. Sie hat keine Erinnerung an die kurze Begegnung nach der Geburt. In der Realität ist er so viel kleiner, als der Film es ihr suggeriert hat. Sie ist sehr erschrocken. Während ihr die Tränen

II

128

Claudia Zierer

kommen, beschreibt ihr Mann die kleinen Fortschritte Mohameds, die er in den letzten Tagen beobachten konnte. Wir sprechen das erste Mal über die Haltung, welche das Wort Inschallah ausdrückt. »Ohne Gottes Willen vermag der Mensch nichts«. Der Satz hat nichts Fatalistisches für Frau M. Es wirkt wie eine demütige, innere Haltung: Inschallah! Sie fühlt sich getragen von den Gebeten ihrer Familie. Mohamed lebt – wider jede Erwartung.

3 Kultursensible Begleitung auf der Frühgeborenen-Station

II

Seelsorge ist ein offenes Angebot für alle Patient*innen und ihre Zugehörigen, unabhängig von Glauben, Konfession oder Religion. Den Glauben der Betroffenen und Beteiligten betrachten wir als eine Ressource. Auf der Neonatologie bedarf Seelsorge – wie die Arbeit aller Berufsgruppen – der Kultursensibilität. Dazu gehören Interesse am anderen, Offenheit für andere als die eigenen Lebens-, Glaubens- und Denkweisen. Allerdings ergeben sich gerade bei Patient*innen und Familien mit Migrationshintergrund Probleme: In vielen Fällen führen Sprachbarrieren zu mangelnder Begleitung. In vielen Krankenhäusern ist die Kostenübernahme von Dolmetscher*innen nicht geklärt. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Dolmetscher oder eine Dolmetscherin nicht nur fachlich mit dem medizinischen Kontext zurechtkommen muss, sondern auch emotional stabil genug sein sollte, um z. B. die Beratung über eine Therapiezieländerung übersetzen zu können.8 Fallbericht, 3. Teil: Um das Leben kämpfen Achter Lebenstag: Frau M. hat sich körperlich sichtlich erholt. Sie erzählt mir ausführlich von ihrer Situation vor der Geburt. Aufgrund der Präeklampsie hat ihr eine Ärztin in einer anderen Klinik zum Abbruch der Schwangerschaft geraten, damit sich ihr Gesundheitszustand wieder bessert. Mit dieser Aussage konfrontiert hatte Frau M. nur eine Frage: »In welcher Klinik hat mein Kind eine Überlebenschance?« Noch immer ist sie über dieses Gespräch wütend. Ich habe das Bild einer Löwenmutter in mir, die für ihr Kind kämpft. Ich biete ihr das Bild an: Es gefällt Frau M. Sie erzählt, wie vertraut ihr das Kämpfen in ihrem Leben ist und wie viel mehr sie diese Kraft in sich spürt, seitdem sie schwanger und jetzt Mutter ist.

8 Vgl. Führer/Duroux/Borasio, 2006.

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation

129

Frau M. hat tiefes Gottvertrauen. Mit jedem weiteren Lebenstag von Mohamed wächst die Sicherheit für die Eltern, dass ihr Sohn leben kann. Neunter Lebenstag: In der regelmäßigen psychosozialen/spirituellen Besprechung tauschen wir uns über die aktuelle Situation des Kindes und der Eltern aus. Die Pflege des Jungen gewährleisten die erfahrensten Schwestern der Station, denn es ist nicht einfach, Mohamed zu versorgen. Die Meinungen über die beste Behandlung des Kindes gehen weit auseinander. Die Oberärztin wird einen Fallbesprechungstermin ansetzen. Es gibt einiges auch in der Beziehung zu den Eltern zu klären.9 Welche Rolle spielt der Vater, der als sehr zurückhaltend erlebt wird? Wie kann man über mögliche Therapieziele mit den Eltern sprechen? Befinden wir uns in einem kurativen oder palliativen Prozess?

4  Stützende Strukturen Sowohl die betroffenen Eltern als auch das behandelnde Team, einschließlich der Seelsorge, bedürfen in krisenhaft zugespitzten Situationen verlässlicher Strukturen. Dabei erweist sich eine enge Vernetzung mit Stiftungen und Hilfsangeboten für Eltern mit kranken Kindern als hilfreich. Die Unterbringung eines Elternteils während der gesamten Zeit des Klinikaufenthalts des Kindes ist notwendig, da neonatologische und pädiatrische Spezialkliniken einen weiten Einzugsbezirk haben. Für das Team haben sich Beratungsformen und Fallbesprechungen als eingeübte Mittel bewährt. Die Fallbesprechung ist dabei ein Instrument zur Qualitätssicherung und emotionalen Klärung der Befindlichkeit der Mitarbeitenden des Teams. Die psychosoziale/spirituelle Besprechung ist ein Gremium der verschiedenen Berufsgruppen, die sich regelmäßig über die nicht-medizinischen Belange der betreuten Familien austauschen. Fallbericht, 4. Teil: Suche nach Perspektiven Zehnter Lebenstag: Herr M. geht wieder arbeiten. Die Eltern werden während der Behandlung ihres Kindes im Ronald-McDonald-Haus, einem Appartementhaus für Eltern schwerkranker Kinder der McDonald’s Kinderhilfe, auf dem Gelände des Klinikums wohnen. Zwölfter Lebenstag: Erstes Kuscheln der Mutter mit ihrem Kind. Frau M. liegt im Liegestuhl und hat ihren Sohn mitsamt Beatmung und Infusion auf der Brust 9 Vgl. dazu Morgenthaler, 2003.

II

130

II

Claudia Zierer

liegen. Ein kostbarer intimer Augenblick. Vom Türrahmen aus beobachte ich die beiden. Beim nächsten Gespräch werde ich Frau M. bitten: »Erzählen Sie mir vom ersten Kuscheln mit Ihrem Kind.« 16. Lebenstag: Fallbesprechung. Angeleitet durch einen Supervisor werden technische, medizinische, ethische und emotionale Aspekte der Behandlung von Mohamed besprochen. Das starke Gottvertrauen, das Frau M. leitet, und ihre Rolle als Löwin, die für ihr Kind kämpft, spreche ich an. Die Oberärztin berichtet, wie einfach sich die Zugänge legen ließen, wovon sie überrascht war. Deutlich kommen aber auch die vielen möglichen Komplikationen wie die schlechte Lunge, Duktus, Hirnblutungen; ROP zur Sprache, denen ein Kind in dieser unreifen Frühgeburtlichkeit ausgesetzt ist. Am Ende der Fallbesprechung steht die Feststellung, dass wir uns in einer kurativen Behandlung befinden, die aber jederzeit im Fall von schweren Komplikationen neu überdacht werden muss und in eine palliative Therapie kippen kann.

5  Fragen der Prognostik Bei der multiprofessionellen Fallbesprechung bringen alle beteiligten Berufsgruppen ihre Informationen ein. Aus medizinischer Sicht werden mögliche Komplikationen im Verlauf der Behandlung eines Frühgeborenen angesprochen. Dabei handelt es sich beispielsweise um:10 ȤȤ Bronchopulmonale Dysplasie (BPD): Durch die Unreife der Lunge ist ein extremes Frühgeborenes ohne Atemunterstützung bzw. künstliche Beatmung nicht in der Lage, seine Organe ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Die Unreife der Lunge, gepaart mit mechanischer Beatmung und hohen Sauerstoffkonzentrationen in der Atemluft, führen zu Entzündungs- und Umbauprozessen, die durch eine langandauernde Sauerstoffabhängigkeit gekennzeichnet sind. ȤȤ Nekrotisierenden Enterocolitis (NEC): Die Nekrotisierende Enterokolitis ist eine entzündliche Darmerkrankung, die in den meisten Fällen das terminale Ileum oder das Colon ascendens befällt. Die NEC betrifft vor allem Frühgeborene und stellt einen gastrointestinalen Notfall dar. ȤȤ Frühgeborenen-Retinopathie (ROP) ist definiert als eine Netzhautschädigung bei Frühgeborenen. Ursache ist eine gestörte Blutgefäßentwicklung der Retina aufgrund der Unreife des Frühgeborenen. Je nach Ausprägung der Gefäßneubildungen besteht unbehandelt die Gefahr eines Visusverlustes bis hin zur partiellen oder kompletten Ablösung der Retina mit Funk10 Dank an Susanne Herber-Jonat für die Zusammenstellung der medizinischen Informationen.

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation

131

tionsverlust. Durch Lasertherapie oder medikamentöse Unterbrechung der Gefäßproliferation kann der Prozess aufgehalten werden. ȤȤ Intrazerebrale Blutung (ICH): eine häufige Komplikation extremer Frühgeburtlichkeit. In Abhängigkeit von der Lokalisation der Blutung im Gehirn kann die Blutung in drei Stadien mit und ohne Beteiligung des Hirngewebes eingeteilt werden. Die Folge ist eine Destruktion der germinalen Matrix und Untergang von Hirngewebe. Bei Einblutungen in das Ventrikelsystem besteht die Gefahr eines posthämorrhagischen Hydrocephalus. ȤȤ Persistierender Ductus arteriosus Botalli (PDA): Persistenz der Verbindung zwischen Aorta und Pulmonalarterie führt ohne Therapie bzw. Verschluss zu einer chronischen Überflutung der Lunge einerseits mit der Gefahr eines pulmonalen Hochdrucks und Minderdurchblutung der übrigen Organe, andererseits mit irreversiblen Organschäden. Fallbericht, 5. Teil: Normalität am Inkubator 20. Lebenstag: Der Duktus am Herzen muss nach wiederholten medikamentösen Therapieversuchen nun doch operativ verschlossen werden. Während der schwierigen Operation gehen Frau M. und ich durch den Park der Klinik. Die Angst von Frau M. ist greifbar. Sie möchte mit mir beten. Stunden später: Der Eingriff ist gelungen. 28. Lebenstag: Keine besonderen Vorkommnisse. Frau M. erzählt mir von ihrer ersten Heimat in Afghanistan und spielt dabei Mohamed leise afghanische Musik von ihrem Handy vor. 50. Lebenstag: Frau M. ist in unbeschwerter Stimmung und redet mit mir über Mode. Sie beschreibt mir ein Kleid, das sie sich nähen will. Im Erzählen hält sie plötzlich inne und fragt sich, ob dieses Thema jetzt sein darf oder ob das zu oberflächlich ist?! Es darf sein. Wir reden noch über Schuhe. 61. Lebenstag: Mohamed wiegt ein Kilo!

6  Gespräche jenseits der Krise Die Qualität einer seelsorglichen Begegnung lässt sich nicht über die Themen bewerten. Ist es nicht verräterisch, dass wir die Gespräche oberflächlich oder tief nennen? So wird eine Wertung schon indirekt vorgenommen. Die Kunst des seelsorgerlichen Gesprächs besteht darin, sich auf verschiedene Gesprächsebenen einzulassen und im Gespräch zu erkennen, wann welche Ebene von Gespräch angesagt ist. Smalltalk bringt Normalität mit an den Inkubator.

II

132

Claudia Zierer

Fallbericht, 6. Teil: Abschied nehmen

II

70. Lebenstag: Ich gehe mit dem iPad unter dem Arm über den Stationsflur, weil ich eine Patientin auf der Intensivstation besuchen will. Frau M. kommt mir entgegen. Sie bemerkt das iPad, schaut mich sehr erschrocken an und fragt, ob ich eine Patientin, wie sie damals, besuche? »Hoffentlich ist niemand in Lebensgefahr …!« Sie kämpft mit den Tränen. Alles ist wieder gegenwärtig. Wir verabreden uns für den späteren Nachmittag, um in Ruhe über die Bilder zu sprechen, die in ihr aufgetaucht sind. 80. Lebenstag: Das Paar gönnt sich eineinhalb Tage daheim in seiner eigenen Wohnung, schläft eine Nacht im eigenen Bett und nimmt an einem Familienfest teil. Die Entfernung zur Klinik beträgt siebzig Kilometer. Der Boden trägt. Das Vertrauen zum Personal hilft, sich diese Auszeit zu gönnen. 84. Lebenstag: Frau M. steht vor dem Zimmer ihres Sohnes. Der Augenarzt ist da. Sie ist nervös. Die Untersuchung dauert ihre Zeit. Aufgrund der langen Beatmung ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Mohameds Augen nicht in Ordnung sind. Wir warten. Was ist, wenn er eine starke Sehstörung hat? Die Zeit für Frau M. vergeht im Schneckentempo. Wir reden nicht viel. Mohameds Augen müssen gelasert werden. 121. Lebenstag: Wann kommt endlich die Entlassung? Es wird für Frau M. immer schwerer, ihr Kind abends auf der Station zurückzulassen. Mohamed hat inzwischen kleine Fettpolster an den Oberschenkeln bekommen. Er hat sich zu einem kleinen, knubbligen Baby entwickelt – Inschallah! 134. Lebenstag: Abschied von der Station. Weinen und Lachen liegen nah beieinander, nicht nur bei den Eltern. Die Bilder der ersten Tage sind kaum noch mit der jetzigen Gestalt von Mohamed in Verbindung zu bringen. 135. Lebenstag: Erster Tag zu Hause! Frau M. schreibt mir: »Ich erwache in meinem Bett und Mohamed lacht mich an. Neben unfassbarer Freude, mit ihm ins Leben daheim zu starten, schwingt noch immer Angst und Unfassbarkeit über das Erlebte mit.« Mohamed hat sich gegen jede Statistik und Erwartungen des Teams ins Leben entwickelt. Allein die möglichen Komplikationen, die in der unreifen Frühgeburtlichkeit hätten eintreffen können, beschreiben, wie unwahrscheinlich diese Entwicklung war.

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation

133

7 Palliative Begleitung von sterbenden Kindern und ihren Eltern Nicht alle Kinder haben Mohameds Glück; für manche Eltern hört der Albtraum nicht auf.11 Mit der Therapiezieländerung von kurativ nach palliativ wird den Eltern die Hoffnung auf Heilung ihres Kindes genommen. »Es gibt keine Heilung für ihr Kind«, ein Satz, der für einen Arzt oder eine Ärztin nicht leicht auszusprechen ist. Wann können Eltern Ja zu der Therapiezieländerung sagen? Hilfreich ist die Frage nach dem Leid des Kindes: Wie nehmen sie ihr Kind wahr? Was hat sich im Blick auf ihr Kind in den letzten Tagen verändert? Können die Eltern wahrnehmen, dass der Verzicht auf eine Intensivierung oder Fortsetzung der Intensivtherapie ein Ende für das Leid des Kindes bedeutet? Eltern versuchen in jeder Situation, Leid von ihrem Kind fernzuhalten, Schmerzen zu vermeiden und ihr Kind zu beschützen. Mütter und Väter reagieren auf diese Nachricht in sehr verschiedener Weise, vom Einfrieren aller Gefühle bis hin zum Zusammenbruch mit lautem Schreien, damit müssen Behandelnde umgehen können. Nichts ist in diesem Moment falsch oder richtig – oder kann in irgendeinem Maße bewertet werden. Diese schreckliche Nachricht bedarf eines Ventiles. Mal darf der/die Seelsorger*in trösten und manchmal bekommt genau sie durch ihre Rolle den Ärger und die Wut ab: »Wo ist Gott?«12 »Warum muss mein Kind sterben?« Nicht selten kommt die Frage nach Tun-Ergehen-Zusammenhängen auf: »Was habe ich getan, dass ich so gestraft werde?« Oder die Eltern lehnen eine seelsorgerliche Begleitung ab. Eine seelsorgliche Begleitung in diesem Kontext entsteht leichter, wenn die Eltern die Seelsorger*in schon kennen, wenn schon vorab eine Beziehung entstanden ist. Nicht immer wünschen die Angehörigen ein Ritual oder ein Gebet, aber viele wünschen Beistand, das Dabeibleiben, ein Ohr oder eine Stimme. 7.1 Taufe Im Gespräch über die Therapiezieländerung fragen die Behandelnden, ob die Eltern eine Taufe13 oder eine Begleitung, durch einen Geistlichen ihrer Religionsgemeinschaft wünschen. Viele Eltern wünschen eine Taufe, wollen in diesem 11 Vgl. Schulze, 2010. 12 Vgl. dazu auch Sommerauer, 2006. 13 Vgl. Roser, 2017a, S. 209–233, 249 f.

II

134

II

Claudia Zierer

Moment alles für ihr Kind tun. Auch wenn sie selbst sich nicht als praktizierende Christen bezeichnen, soll angesichts des Todes nichts unterlassen bleiben. Mit den Eltern muss geklärt werden, wer an der Taufe teilnehmen darf, ob die Unterstützung von Großeltern hilfreich wäre oder ob Geschwisterkinder dazu kommen dürfen. Damit keine Überforderung für die Eltern eintritt, wieder etwas entscheiden zu müssen, kann der Rat helfen, auf den ersten Impuls der inneren Stimme zu hören. Die Leitlinie der Eltern ist dafür nicht, was brauchen die anderen, sondern was brauchen wir an Unterstützung und Hilfe in dieser Situation. Die Bezugskrankenschwester hilft in den Vorbereitungen für die Taufe. Der Rahmen soll schön und würdevoll sein. Gern wollen Mitarbeitende zur Gestaltung beitragen. Es hilft ein wenig, die Ohnmacht auszuhalten, die alle spüren. Das Personal beteiligt sich im Schreiben der Fürbitten. Wer möchte, kann auf einem Papierherz seine Fürbitte, seinen Wunsch für die Familie aufschreiben. Die Eltern bekommen diese Möglichkeit auch. Wenn die Eltern zustimmen, nehmen die behandelnde Ärztin und Krankenschwester an der Taufe teil. In manchen Sterbebegleitungen wird zur Taufe das erste Mal das Kind in die Arme von Mutter oder Vater gelegt. Ein inniger Moment voller Schmerz und Liebe. Begrüßung und Abschied fallen in eins. Getauft wird das Kind in den Armen seiner Eltern. Entzünden der Taufkerze, verlesen der Herzenswünsche, Vaterunser, Gebet für einen guten Übergang des Kindes und um Kraft für die Eltern, Segen. Das Team singt für die Familie und manchmal stimmen sie mit ein. Das Ritual der Taufe schenkt allen Beteiligten Halt. 7.2  Das Sterben begleiten Die Ärztin erklärt den Eltern die nächsten Schritte:14 Der Tubus wird gezogen, alle Geräte abgeschaltet. Das Kind wird von allen Kabeln befreit. Wenn die Eltern genügend Sicherheit verspüren und allein mit ihrem Kind sein wollen, zieht das Personal sich zurück. Wir sprechen uns ab, wer immer mal wieder nach der Familie schaut. Die Atmosphäre auf der Station ist eine Besondere. Auch wenn der normale Betrieb weitergehen muss, herrscht große Achtsamkeit. Die direkt Agierenden wissen, dass ihnen ihre Kolleg*innen den Rücken stärken – mental und durch Zuarbeiten im Hintergrund. Weiterhin ist wichtig, noch ein Ohr für die anderen Eltern zu haben. Die Tatsache, dass ein Kind aus dem Behandlungszimmer in das Zimmer der Eltern gebracht wird, spricht Bände. Die Ambivalenz der anderen Eltern ist immens 14 Vgl. Wermuth, 2010.

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation

135

groß. Sie fühlen mit, sind erschüttert über das Sterben dieses Kindes und sind gleichzeitig erleichtert, dass nicht das eigene Kind stirbt. Auch diese Eltern benötigen in dieser Situation Gesprächsangebote und Unterstützung. Zurück ins Zimmer der betroffenen Familie: Die Bedürfnisse der Eltern nach dem Versterben des Kindes sind sehr verschiedenen. Das Team hat die Aufgabe, einen Rahmen zu setzen, der für die Eltern passend ist, und muss klären, was die Eltern brauchen. Die Eltern können noch viel Zeit mit ihrem Kind verbringen. Es gemeinsam mit der Krankenschwester waschen und cremen, ihm etwas Schönes anziehen. Viele Familien wollen ihr Kind lange bei sich haben. Sie können mit dem/der Seelsorger*in vereinbaren, ob ein Abschiedssegen gespendet werden soll. Gespräche mit dem Paar über das Erlebte beginnen. Bereits in dieser Phase können viele organisatorische Fragen rund um die Bestattung zur Sprache kommen. Eine Broschüre, die Themen wie Bestattung, Geschwistertrauer, Verweise auf Rückbildung für Frauen, deren Kinder verstorben sind, und Selbsthilfegruppen verwaister Eltern beinhaltet, ist in dieser Situation sehr hilfreich und wird den Familien überreicht. Die betreuende Pflegende packt ein Erinnerungskästchen für die Eltern. In dem Kästchen liegen zum Beispiel der Schnuller des Kindes, ein USB-Stick mit Bildern, ein Abdruck von den Füßen und Händen des Kindes, ein Mützchen. Diese Fürsorge, die Menschen in diesen traumatischen Stunden erleben beziehungsweise spenden, kann das Geschehen für die Eltern und das Team erträglicher machen. Viel schwerer ist der Prozess zu begleiten, wenn das Team keinen Zugang zu den Eltern findet. Wenn die Reaktion auf das Sterben des Kindes den Impuls bei den Eltern freisetzt, nur den Ort des Schreckens verlassen zu wollen und die Begleitung abzulehnen. In seltenen Fällen wollen die Eltern in der Phase des Sterbens nicht bei ihrem Kind sein. In diesem Fall wird das Kind von einer Krankenschwester, einer Ärztin oder der Seelsorgerin gehalten. Jedes Kind wird im Sterben begleitet. 7.3 Nachsorge Ein bis zwei Wochen später treffen sich die Behandler*innen der verschiedenen Professionen, um den Verlauf unter medizinischen, pflegerischen und emotionalen Aspekten zu reflektieren. In diesen Gesprächen entsteht ein Mosaik aus den verschiedensten Eindrücken. Es dient sowohl der Qualitätssicherung als auch der Möglichkeit, offenen Fragen nachzugehen und von den eigenen Befindlichkeiten zu erzählen. Allen Eltern verstorbener Kinder und gegebenenfalls auch weiteren Angehörigen wird, sobald sie aus der Klinik entlassen werden, ein Gesprächstermin

II

136

II

Claudia Zierer

nach drei bis sechs Monaten angeboten. Dieses Gesprächsangebot wird vonseiten des ärztlichen Teams spätestens nach sechs Monaten nach dem Tod des Babys erneuert. Viele Eltern nehmen diesen Termin wahr und haben damit die Möglichkeit, den Verlauf ihres Kindes zu reflektieren und eventuell offene Fragen beantwortet zu bekommen. Eine weitere Form der Nachsorge für die Eltern ist die jährliche, ökumenische Gedenkfeier für die verstorbenen Kinder der Frauen- und Kinderklinik. Dazu werden die Familien der Kinder in die Klinikkirche eingeladen. Zentral in dieser Feier ist die Namensnennung der verstorbenen Kinder. Dabei wird für jedes Kind eine Kerze entzündet. Dieses Lichtermeer verbindet die Familien, aber auch das Personal, das an dieser Feier teilnimmt. Die vielfältigen Lebensgeschichten der Kinder und ihrer Familien werden gegenwärtig. Leid und Trauer um ihren Verlust erfüllen die Kirche. Die musikalische Gestaltung, das gemeinsame Singen, Beten und die Stille prägen die lebendige Atmosphäre der Feier. Vor und nach der Gedenkfeier ist Raum für die Angehörigen zu erzählen, wie es ihnen und ihren Familien weiterhin ergangen ist. Erinnerungen werden ausgetauscht, weil Eltern Personal treffen können, die in der Krankheitsgeschichte ihres Kindes für sie zu Bezugspersonen wurden. Für das Personal bietet die Gedenkfeier die Möglichkeit, noch einmal mit den Familien in Kontakt zu treten, was der eigenen Verarbeitung des Erlebten dienen kann.

8  Begleitung von Mitarbeitenden Im Stützpunkt der Station gibt es eine Schublade mit Süßigkeiten, aber nicht in allen Fällen genügt der Zucker, um die Belastungen des Arbeitsalltages zu bewältigen. Es sind oft sogenannte Tür-und-Angel-Gespräche, in denen Seelsorge für Personal geschieht. Ein Arzt, der erzählt, was es für ihn bedeutet hat, den Tubus bei Leon zu ziehen und damit sein Sterben einzuleiten. Eine Krankenschwester, die genervt von ihren pubertierenden Kindern erzählt und die Station als Ort zum Durchschnaufen erlebt. Wieder eine andere, die versucht, den Schichtdienst mit der Pflege ihrer Eltern zu vereinbaren. Lauter Geschichten mitten aus dem Leben, die kurz erzählt werden wollen. Die ausgesprochen werden wollen, weil sie bedrücken oder aber auch die Freude mitgeteilt werden will. Geschichten, die auch von Mitarbeitenden auf anderen Intensivstationen erzählt werden könnten. Ein Phänomen ist mir in Begleitungen von Krankenschwestern und Ärztinnen aufgefallen, das mit der Arbeit auf einer Neugeborenen-Intensivstation zusammenhängen kann: unerfüllter Kinderwunsch. Innerhalb von elf Monaten

Seelsorge auf einer Neugeborenen-Intensivstation

137

begegnete mir dieses Thema in sechs Fällen. Meine Frage, die sich aus diesen Begleitungen stellt: Was geschieht mit einer Frau, die sich ständig in lebensbedrohlichen Situationen von neugeborenen Kindern bewegt? Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Belastungen in der Arbeit und dem unerfüllten Kinderwunsch? Ich kann keine Studie anführen, die sich mit diesem Thema beschäftigt, aber mir stellt sich generell die Frage, was bedeutet es, sich viele Jahre in existenziellen Krisen zwischen Leben und Tod zu bewegen? Welche Arbeitsbedingungen braucht es, um an Leib und Seele gesund zu bleiben?

II

Seelsorge auf der Intensivstation

Thomas Kammerer

II

»Selig, wer sich des Geringen annimmt; zur Zeit des Unheils wird der HERR ihn retten. Der HERR wird ihn behüten und am Leben erhalten. Man preist ihn glücklich im Land. […] Der HERR wird ihn auf dem Krankenbett stärken; sein ganzes Lager hast du in seiner Krankheit gewendet. Ich sagte: HERR, sei mir gnädig! Heile mich, denn ich habe gegen dich gesündigt! Meine Feinde reden über mich böse: Wann stirbt er endlich und wann vergeht sein Name? Besucht mich jemand, so kommen seine Worte aus falschem Herzen. Er häuft für sich Unheil an, dann geht er hinaus und redet. Gemeinsam tuscheln über mich alle, die mich hassen, und gegen mich sinnen sie Böses. Verderben hat sich über ihn ergossen; wer einmal daliegt, der steht nicht mehr auf. Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot aß, hat die Ferse gegen mich erhoben. Du aber, HERR, sei mir gnädig; richte mich auf.« Ps 41,2–11 (Einheitsübersetzung 2016) Intensivstationen1 stellen das Zentrum des modernen Krankenhauses dar. Man könnte sie als menschheitsgeschichtlich sehr neue, künstliche, temporäre, dem Tod abgerungene Lebensorte bezeichnen. Sie geben den Patient*innen eine Chance auf Leben, die es ohne diese Orte nicht gäbe. Allerdings sind sie wesentlich auch Orte der Unsicherheit, der Ambivalenz, der ethischen Herausforderung und oft fremder Erfahrungen. Intensivstationen zeigen eindrucksvoll das maximale Können und Wissen der Medizin und ihrer Technik(en), führen aber auch an die Grenzen des Machbaren, des Verständnisses von Bewusstsein, Lebensprozess und menschlicher Gemeinschaft. Und sie stellen uns immer wieder vor die existenziellen Fragen von Menschsein, Lebenssinn, Diesseits und Jenseits. Angst und Hoffnung, Dramatik menschlicher Beziehungen und das Staunen gleichwie Erschrecken vor sich ereignenden Lebensprozessen und -ent1 Kurz nach Abfassung dieses Beitrags ist erschienen: Frör, P./Frör, W. (2018): Praxisort Intensivstation. Seelsorge und moderne Bewusstseinsforschung im Dialog. Stuttgart.

Seelsorge auf der Intensivstation

139

wicklungen bringen auch für Seelsorger*innen große Herausforderungen. Der einleitende Psalm 41 stellt eindrucksvoll die Dramatik der Intensivstation in den Kontext jüdisch-christlicher Spiritualität und beschreibt wie kein anderer biblischer Text, die Erfahrungen der Menschen dort2 und die grundsätzlichste Aufgabe, die Seelsorger*innen in diesem Lebensraum aufgetragen ist.

1 Fallbeispiel Ich werde gegen Mitternacht auf die neurochirurgische Intensivstation gerufen. Ein älterer Patient um die 75 Jahre wird dort nach einem Gehirninfarkt und nachfolgenden Komplikationen seit einer Woche palliativ, das heißt Leiden lindernd, behandelt. Eigentlich hatte man erwartet, dass er innerhalb von ein bis zwei Tagen sterben würde. Nun sind es schon sieben. Die Ehefrau des Patienten ist jeden Tag bis spät abends anwesend, seit zwei Tagen übernachtet sie auch auf einem Stuhl neben dem Bett ihres Mannes. Seelsorglichen Beistand hatte sie bereits die letzten Tage über gern in Anspruch genommen. Sie ist – bei aller verständlichen Ambivalenz – seit einigen Tagen grundsätzlich mit dem Sterben ihres Mannes einverstanden. Heute Abend aber bekommt sie Angst, spürt eine wachsende Unsicherheit und die Pflegenden hatten ihr angeboten, den Bereitschaftsdienst der Seelsorge zu verständigen. Als ich nach einer kurzen orientierenden Übergabe durch die Ärztin und die Pflegekraft das Zimmer mit zwei Betten betrete, herrscht nächtliche Stille, nur das gleichmäßige Surren der Geräte ist zu hören. Der Patient liegt im Bett am Fenster, durch einen Raumteiler vom anderen Bett abgeschirmt. Seine Frau steht am Bett, hält seine Hand und ist ganz auf ihn konzentriert. Ihr Mann liegt ruhig da, das Beatmungsgerät tut seinen Dienst, die Monitore zeigen Kurven und Zahlen, die ich nach einigen Jahren großteils deuten kann: Der Blutdruck ist sehr niedrig, an der Grenze der Lebensfähigkeit, Eigenatmung des Patienten ist so gut wie nicht vorhanden, die Perfusoren laufen mit beruhigenden Medikamenten, Kreislaufunterstützung wird aufgrund der palliativen Situation nicht mehr gegeben. Der Mann liegt inmitten all der Technik da, mit einem Leintuch bedeckt, die Arme und Schultern frei. Ich sehe das leichte Heben und Senken des Brustkorbs durch die Beatmung. Sonst ist keine Regung wahrnehmbar. Ich wende mich zunächst an die Ehefrau, die jetzt auf mich aufmerksam wird. Dann gehe ich auf die gegenüberliegende Seite des Bettes, wende mich dem Patienten zu und spreche ihn an. »Grüß Gott, Herr S. Wieder eine neue, fremde Stimme 2 Vgl. Gernlach, 2000; Rafael, 2006.

II

140

II

Thomas Kammerer

hier an diesem Ort. Daher stelle ich mich Ihnen vor. Mein Name ist T.K.; ich bin Seelsorger hier im Krankenhaus. Ich stehe auf Ihrer rechten Seite. Damit Sie wissen, dass ich wirklich da bin, berühre ich jetzt Ihre rechte Hand ganz vorsichtig und behutsam. Ja, so. Jetzt spüren Sie, dass ich wirklich da bin und von wo ich mit Ihnen spreche.« Ich lege meine Hand leicht auf die seine in Höhe des Handgelenks. Dabei beobachte ich, ob sich eine Regung zeigt: Nichts. Nach einiger Zeit spreche ich langsam im Rhythmus seines Ausatmens weiter: »Ich bin hier mit Ihrer Frau, Sie zu sehen, zu besuchen. Ich sehe Ihren Atem, ein Zeichen der Lebendigkeit. Sie leben. Ja. Ich folge Ihrem Atem, ganz nahe da zu sein bei Ihnen, um Ihnen zu folgen in dem, was jetzt wichtig ist, was jetzt geschieht. Ja …« Ich versuche den Rhythmus seines Atems zu erfassen und prüfe, ob ich meinen Atem darauf einstellen kann. Es geht ganz gut. Der Atem – er kommt ja fast ausschließlich von der Maschine – ist ruhig und regelmäßig. Längere Zeit atme ich mit und beobachte möglichst genau, ob mir kleine Zeichen des Patienten anzeigen, dass sich durch die Begegnung etwas verändert, etwas geschehen will …. Nichts. Seine Frau, die aufmerksam dabei ist, erzählt, dass seine rechte Körperhälfte in Folge der Blutung gelähmt sei. Ich versuche, meine Aufmerksamkeit zwischen dem Patienten und ihr zu teilen. In der Ruhe der Nacht gelingt das ganz ordentlich. Die Frau erzählt von der gemeinsamen Biografie: 45 Jahre verheiratet, keine Kinder, Auf und Ab im Leben, Krisen, die überstanden wurden … Sie erzählt auch von ihrer Traurigkeit und Angst, ihn loszulassen, aber auch davon, dass sie ihn gehen lassen kann. Ich frage, wie oft sie hier ist und erhalte als Antwort: »In den letzten Tagen immer. Ich kann ihn doch nicht allein lassen«. Seitens des Patienten ist in dieser Zeit keine Regung zu spüren, keine Veränderung der Anzeigen auf den Monitoren, ruhig und still liegt er da. »An der Schwelle zwischen Leben und Tod«, geht mir durch den Kopf: »Was braucht er, um sie zu überschreiten? Was hält ihn? Was muss noch ›erledigt‹ werden?« Ich spreche die Gedanken auf ihn hin gerichtet aus. Es bleibt weiter alles so, wie es war. Ich frage seine Frau, ob noch Jemand oder Etwas fehlen könnte, für ihn, zum Abschied … Sie verneint. Dann sprechen wir darüber, dass manche Menschen zum Sterben vielleicht auch das Alleinsein brauchen, um den letzten Schritt des ›Abschieds‹ zu gehen, Ich frage, ob wir nicht eine Viertelstunde nach Draußen gehen sollen, um ihm diesen Ausgang – wenn er möchte – zu ermöglichen. Sie willigt nach kurzem Zögern ein, wir verabschieden uns vom Patienten, sagen ihm, dass wir wiederkommen und gehen in den Gang vor der Station. Ein Besucherzimmer gibt es nicht. Dort reden wir über die Sorgen der Frau, ihre Unsicherheit, den mutmaßlichen Willen ihres Mannes bezüglich der Entscheidung, ihn sterben zu lassen. So vergeht eine halbe Stunde, ehe wir zurück ins Zimmer kommen.

Seelsorge auf der Intensivstation

141

Er ist noch da wie vorher, ruhig beatmet, an der Grenze zwischen Leben und Tod. Ich gehe trotz des Hinweises auf die Lähmung wieder auf seine rechte Seite, nehme mit Worten und meiner Hand wieder Kontakt auf und wir drei verharren einige Minuten in Stille und Aufmerksamkeit. Unvermittelt kommt mir das Wort frei in den Sinn. Der Intuition folgend spreche ich laut aus: »Frei«. In diesem Moment geht eine deutliche Regung durch den Körper des Patienten und was mich am meisten erstaunt, auch durch seine gelähmte Seite. Seine Schultern und sein Kopf bewegen sich. Ich spreche das Wort nochmal aus, sein Feedback ermutigt mich: »Ja, Sie sind frei«. Die Bewegungen dauern an. »Ja, trauen Sie sich. Sie sind frei.« Ich schaue zu seiner Frau. Sie stimmt zu und spricht aus, dass er gehen darf. Nach gefühlten fünf Minuten, in denen er ganz ruhig wird, stirbt der Patient. Von Ärzten und Pflegenden werden wir dabei nicht gestört. Sie vertrauen nach Jahren guter Zusammenarbeit darauf, dass Seelsorge weiß, was sie macht. Nachdem der Patient gestorben ist, geben seine Frau und ich ihm den Segen. Beim Abschied spricht die Ehefrau ihr Empfinden von Stimmigkeit und innerer Ruhe aus. Ähnliches empfinde ich auch. Die exemplarische Begleitung ereignet sich im Kontext jahrelanger Erfahrung des Seelsorgers. Sie zeigt die grundlegenden Themen seelsorglicher Begleitung auf der Intensivstation, nicht nur am Lebensende. Der Prozess wird dabei nicht durch die Intuition und das Tun des Seelsorgers erzeugt oder gemacht, sondern es scheint Zeit dafür zu sein. Dies zeigt sich bereits dadurch, dass das Personal die Seelsorge hinzubittet, da es die Veränderung wahrnimmt. Der Seelsorger übernimmt durch seine Präsenz, sein Interesse, seine Kommunikation und sein Dabeibleiben die Aufgabe des Bewusstmachens und Aussprechens sowie des Segnens dessen, was geschehen will. Er ermöglicht einen ruhigen, stimmigen und begleiteten Raum, der auch nicht durch eine routinemäßige medizinische Intervention gestört wird.

2  Kommunikation und Entscheidungen Die Intensivstation ist eine ständige Herausforderung zur Bewusstwerdung und Entscheidung. Dabei geht es aus Sicht der Theolog*innen und der Seelsorger*innen nicht nur darum, Leben zu erhalten und alles Mögliche dafür zu tun. Auch wenn dies der Grund ist, warum Intensivmedizin entstanden ist, so geht es von Anfang an nicht nur um die richtige Entscheidung, sondern auch um die rechte, die für diesen konkreten Menschen stimmige. Dieser großen Herausforderung müssen sich nicht nur Ärzt*innen, Pflegende, Familien,

II

142

II

Thomas Kammerer

Zugehörige und Betreuer*innen stellen, sondern auch der oder die Patient*in selbst. Dies ist eine Erkenntnis, die in der Medizin und auch in der Seelsorge erst in den letzten Jahren an Einsicht und Klarheit gewinnt. Wurde früher – und manchmal noch heute – der beatmete und sedierte oder komatöse Mensch als nicht ansprechbar oder bewusst-los aus den Prozessen der Kommunikation und der Therapieentscheidungen ausgeschlossen, so wissen wir heute dank medizinischer Forschung und Neurowissenschaften3, dass wir viel mehr an Wahrnehmung und Bewusstsein vermuten müssen– auch wenn wir es im Einzelfall nicht immer eindeutig eruieren können. Oft ist es der Patient oder die Patientin selbst, die das letzte Wort hat und manchmal stehen sogar erfahrene Mediziner*innen staunend oder erschrocken vor einem unerwarteten Verlauf einer Behandlung4. Entscheidungen sind also immer auch das Thema der Patient*innen. Dabei sind kognitive Prozesse weniger bedeutend als Lebensprozesse der Individuation5 und der – theologisch gesprochen – Erfüllung und Vollendung dessen, was Gott dem Menschen als individuelle Lebensmöglichkeiten mitgegeben hat. Es geht also nicht nur um den gedachten und geäußerten kognitiv-eindeutigen Willen eines Menschen, sondern um sein Bewusstsein und sein »Ja« zu einem existenziell stimmigen Lebensweg. Daher ist seelsorgliche Begleitung nicht nur für An- und Zugehörige sowie das Personal der Stationen wichtig, sondern auch für den oder die Patient*in selbst. Dauerstress und Lebensbedrohung bestimmen die Erlebenswelt der meisten Patient*innen sowie ihrer Angehörigen auf einer Intensivstation, verbunden mit der Erfahrung, von jeglicher Kommunikation ausgeschlossen und isoliert zu sein. Man kann sagen, dass sie vermutlich sehr wohl kommunizieren, sie jedoch Zeichen und (meist körpernahe) Kommunikationskanäle verwenden, die wir aus unserer Alltagskommunikation und -semantik nicht kennen und nicht deuten können. Wie bei der Begegnung mit einem Menschen fremder Kultur und Sprache müssen wir die körpernahen Signale und Regungen als Äußerungen des Bewusstseins wahrnehmen und verstehen lernen. Dabei stehen das Wahrnehmen und Würdigen der Kommunikation seitens der Patient*innen im Vordergrund (Beziehungsebene der Kommunikation), nicht die Bedeutung oder der sachliche Inhalt derselben. Dies bedarf einer großen Bereitschaft zur Veränderung unseres eigenen Alltagsbewusstseins, da wir gewohnt sind, sachliche Konsens-­ Bedeutungen sowie Eindeutigkeit der Kommunikation zu bevorzugen. Offene 3 Monti, M. M. et al., 2010; vgl. auch den Beitrag von Nicole Frommann im vorliegenden Band. 4 Siehe Peng-Keller, 2017a. Vgl. auch die Beiträge in Jox/Kühlmeyer/Marckmann/Racine, 2012. 5 Vgl. zu C. G. Jungs Konzept der Individuation die Hinweise in Klessmann, 2004.

Seelsorge auf der Intensivstation

143

Beziehungs-Kommunikation hilft jedoch, aus der Isolation, der Zurückgezogenheit, der emotionalen und auch kognitiven Lähmung herauszukommen, Angst zu überwinden und mutig dem eigenen Lebensprozess folgen zu können. Offene Beziehungs-Kommunikation stellt die soziale Gemeinschaftserfahrung wieder her und ermöglicht es, sich auch der spirituellen Kommunikation mit dem Ewigen, mit Gott, zu öffnen und anzuvertrauen. So können Lebensprozesse, die durch die bedrohliche Situation ins Stocken geraten sind, durch behutsame Zuwendung, Ermutigung zu mehr kommunikativen Zeichen und auch Segensgesten unterstützt werden. Entscheidungen auf der Intensivstation bewegen sich immer in der Ambivalenz zwischen der Rückkehr zum (irdischen, physischen) Leben und dem Sterben. Seelsorge kommt hier mit einer Haltung, die beides für möglich und vielleicht für den konkreten Patienten für gut hält. Sie schlägt sich nicht auf eine Seite, sondern ist offen und interessiert, den oder die Patient*in so zu begleiten, wie es für sie/ihn gut ist. Sie ist Anwalt für den konkreten Menschen aus der Sicht seiner Möglichkeiten, nicht seiner (körperlichen oder geistigen) Defizite. Sie steht für eine Ethik der Würde, Freiheit und Gerechtigkeit im Umgang mit dem Menschen und dem Leben aus der Perspektive des christlichen Menschenbildes6. Sie unterstützt das Feld der Intensivstation, ethische Abwägungen, Kompromisse und Handlungsweisen zu finden, die dem konkreten Fall soweit als möglich gerecht werden.

3  Rollen der Seelsorge Während die anderen Protagonisten auf einer Intensivstation (Angehörige, Personal) i. d. R. primär das Überleben in den Fokus ihres Bemühens stellen, bleibt Seelsorge von Anfang an neutral und behält weitere Möglichkeiten im Auge, um dem persönlich-stimmigen Weg des oder der Betroffenen folgen zu können. Somit nimmt sie auch eine störende, widerständige Rolle ein, da sie nicht dem Ziel des Lebensraumes Intensivstation und auch nicht dem meist hoffenden und bangendem Ziel der An- und Zugehörigen verpflichtet ist, Leben um jeden Preis zu erhalten oder das Sterben aufzuhalten bzw. zu verhindern. Ihr kommt die manchmal unbequeme und immer Mut erfordernde Aufgabe zu, als Erste und möglicherweise Einzige mitten in den lebenserhaltenden Routinen, als Anwältin eines größeren Lebensverständnisses, Grenzen anzusprechen und zu fragen: »Wie wird diese Patient*in im besten Fall diese Station verlassen?«. 6 Zur ethischen Dimension der Klinikseelsorge siehe Roser, 2017a, bes. S. 471 ff.

II

144

II

Thomas Kammerer

Seelsorge kann dem Begrenztsein des Lebens nicht ausweichen, sondern hat die Aufgabe, die Grenzen als Bedingung des Menschseins, das Scheitern, die Tragik von Lebenswegen zu symbolisieren und in die (christliche) Verheißung zu transzendieren. Dies gilt nicht nur für die Intensivstation, dort aber wird diese Aufgabe besonders eindrucksvoll erfahrbar. Gleichzeitig nimmt Seelsorge die um das Leben der Patient*innen ringenden Menschen ernst und bestärkt sie in ihren Aufgaben, sei es als Ärzt*innen, Pfleger*innen oder Familie und soziale Bezugspersonen. Sie steht für eine Hoffnung, die alles Menschenmögliche tut, aber gleichzeitig darauf vertraut, dass weder der Tod noch ein Leben mit Behinderung oder in veränderten Bewusstseinszuständen per se schlecht oder lebensunwert sind. Sie sucht mit den Patient*innen, dem Personal und den An- und Zugehörigen nach eben den konkret jetzt stimmigen Wegen und Lösungen, die auch das Lassen nicht ausschließen. Dabei steht sie gleichzeitig für den Zwischenraum der bleibenden Unsicherheit der oder des einzelnen Beteiligten, da Entscheidungen im Umfeld von Leben und Tod selten kognitiv eindeutig sein können. Sie wendet sich dem ängstlichen, ohnmächtigen, suchenden Individuum zu, schenkt Aufmerksamkeit und Zeit, Verständnis und Segen, wobei dies nicht immer mit ausdrücklichen Worten der Religion geschehen muss oder kann. Seelsorge hat auch für das Personal der Intensivstation eine – vom konkreten Patienten unabhängige – Rolle: Durch regelmäßigen kollegialen Kontakt unterstützt sie dabei, die ethischen und auch spirituellen Fragen der Beschäftigten zu thematisieren, Bewusstsein für die Lebenswelten hinter den technischen, pharmazeutischen und medizinischen Behandlungen zu schaffen, Verständnis für unverständliche Verläufe, Reaktionen und Dynamiken bei Patient*innen, Zugehörigen oder Familiensystemen zu erschließen. Auch berufliche Belastungen, die mit den eigenen Welt- und Selbstverständnissen kollidieren (z. B. Machbarkeit, Kontrolle, Scheitern, Fehler), mit dem System Krankenhaus, aber auch mit der Kollegenschaft oder Vorgesetzten und deren Verhalten zusammenhängen, finden bei der Seelsorge Gehör und Unterstützung. Sie fördert einen guten Umgang mit Angehörigen und deren oft als schwierig empfunden Bedürfnissen. Sie entlastet das Personal durch ihr Dasein für Fragen und Sorgen der Familien. Auch der Umgang mit Verstorbenen, der würdige und heilsame Umgang mit Abschied kann unter Mitwirkung der Seelsorge zu einem guten Bestandteil der Kultur der Intensivstation werden, die immer ein Stück weit in Versuchung ist, diesen Teil des Lebens zu vergessen oder auszugliedern.

Seelsorge auf der Intensivstation

145

4  Herausforderungen an die Qualifikation der Seelsorge Vor den eben beschriebenen Rollen der Seelsorge ist traditionell bereits die (rituelle) Gestaltung und Begleitung von Abschieden und die Spendung von Sakramenten sowie die Gestaltung von konfessionell tradierten Segenshandlungen eine gewohnte Aufgabe der Seelsorge auf der Intensivstation. Auch die Kommunikation mit Angehörigen in Grenzsituationen dürfte bereits zum gewohnten Repertoire eines Seelsorgers und einer Seelsorgerin im Krankenhaus gehören. Die folgend beschriebenen speziellen Kompetenzen stellen aus Sicht des Autors ein optimales Portfolio zur Arbeit auf der Intensivstation dar. In der Realität der Begrenzung personeller Ressourcen werden sich manche dieser Kompetenzen erst über die Jahre entwickeln können, manche sich leider nicht oder nur teilweise erreichen lassen und andere sich in der gemeinsamen Kompetenz eines Teams verwirklichen. Vor allen diesen Einzelkompetenzen steht jedoch der Mut, sich einem unsicheren, ambivalenten Lebensraum auszusetzen. Die Intensivstation fordert von dem und der Seelsorger*in ein gutes Maß an Vertrauen, dass Gottes Zusage »Fürchtet euch nicht« sowohl für die Seelsorger*in selbst als auch für alle Menschen in diesem Raum gilt und verkündet werden muss, weniger durch Worte als durch unser Da-Sein. 4.1  Geschulte Kommunikation Neu und ungewohnt ist, sich als Seelsorger*in den oft fremden Kommunikationsformen der Patient*innen selbst zu stellen, deren »Sprache« und adäquate Ausdrucksformen zu erlernen. Dazu braucht es auch eine grundlegende Theorie und Methodik der Kontaktaufnahme und Begleitung, welche sich hervorragend in den Modellen und Herangehensweisen der »Prozessarbeit« des Physikers und Tiefenpsychologen Arnold Mindell finden lassen.7 Arnold Mindell hat die Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs weiterentwickelt und neben der Arbeit mit Träumen auch die Körpersymptome und weitere Kommunikationskanäle als Ausdruckswege seelischer Prozesse und Signale entdeckt. So wurde ein Weg auch zu Menschen in veränderten Bewusstseinszuständen und Koma erschlossen.8 Seelsorger*innen auf Intensivstationen, in Pflegeheimen, Reha-Einrichtungen und auch im Umfeld von Demenz oder Sterbebegleitung profitieren von den Haltungen, Methoden und Modellen, die die Prozessarbeit zur Verfügung stellt. 7 Vgl. Mindell, 2000; Mindell, 1990; Mindell, 2013. 8 Siehe v. a. Mindell, 2013.

II

146

Thomas Kammerer

4.2  Kontemplation und Achtsamkeit Ebenso hat sich erwiesen, dass eine kontemplativ geübte Haltung dem und der Seelsorger*in hilft, auf einer tiefen seelischen oder sogar essentiellen Ebene des Bewusstseins mit Patient*innen in Verbindung zu kommen. Sie hilft, das eigene Wollen, die eigenen hindernden Grenzerfahrungen wenigstens einen Moment zu transzendieren und achtsam zu werden für das Eigene und das Gegenüber mit seinen kleinen, unscheinbaren, aber bedeutsamen Signalen. 4.3  Begleitung medizinethischer Entscheidungen

II

Medizinethische Kompetenz wird heute von vielen medizinischen Praktiker*innen bei der Seelsorge vorausgesetzt. Sie muss jedoch auch von Theolog*innen meist erst erlernt oder erweitert werden, um in den Komplexitäten der Intensivmedizin und ihrer therapeutischen Möglichkeiten den konkreten Fall abzuwägen, in der Kommunikation mit allen Beteiligen (Ärzt*innen, Pflegende, Angehörige) zu formulieren, gemeinsam Kompromiss oder Konsens zu finden und darauf zu vertrauen, dass jede Entscheidung, die daraus erwächst, begrenzt, aber als solche dennoch notwendig und sinnvoll ist. Eine Moderatorenkompetenz in ethischen Fallbesprechungen ist sicherlich für Seelsorger*innen auf der Intensivstation sinnvoll. 4.4  Systemische Seelsorge Weiterhin empfiehlt sich eine gute Kenntnis von Beziehungs- und Familiensystemen. Denn die Intensivstation wirkt wie eine Laborsituation, wo Prozesse und Dynamiken besonders bedeutsam und krisenhaft werden können. Die Kompetenz, diese Dynamiken zu erkennen und gegebenenfalls positiv zu begleiten, aber auch auszuhalten, ist nicht nur bei längeren Begleitungen hilfreich und fördert beim Seelsorger wie auch beim Personal Verständnis für ungewohnte Reaktionen und Verhaltensweisen. Dies eröffnet mitunter unerwartete und bemerkenswerte Perspektiven in der Begleitung. 4.5  Psychotraumatologische Kompetenz Psychotraumatologische Kompetenz ist im Rahmen akuter Krisenintervention sinnvoll. Sie hilft, die Situation der Beteiligten einzuschätzen, zu stabilisieren und vorhandene Ressourcen wieder neu ins Bewusstsein zu bringen. Sie dient dazu, den Bedürfnissen nach Sicherheit, Orientierung, Information sowie der

Seelsorge auf der Intensivstation

147

Förderung von Handlungsfähigkeit adäquat nachzukommen und präventiv einer späteren Chronifizierung der Belastungen vorzubeugen. Sie hilft auch, die eigenen Belastungen der Helfenden wie auch der Seelsorger*innen selbst in diesen Extremsituationen und -räumen einzuschätzen und mit ihnen heilsam umzugehen.

5 Zuständigkeit und Präsenz als Schlüssel für gute interdisziplinäre Zusammenarbeit Konkrete strukturelle Zuständigkeit und regelmäßige Präsenz der Seelsorge auf der Intensivstation wie auch die Erreichbarkeit rund um die Uhr in Notfällen sind die Schlüssel für interdisziplinäre Akzeptanz und Qualität des ringenden Miteinanders zum Wohl der Patient*innen und ihrer Zugehörigen. Wenn Seelsorge sich zum Team der Intensivstation gehörig fühlt ohne darin aufzugehen, wird mitfühlende, unterstützende, aber auch kritisch hinterfragende Kommunikation mit allen Beteiligten einfacher und effektiver. Durch eine wertschätzende Zusammenarbeit kann auch das Verständnis für medizinische Therapien, Abläufe auf der Station, Routinen des Krankenhausalltags und Probleme der Ökonomie wie der Institution wachsen. Dadurch wächst auch die Kompetenz der Seelsorger*innen, Routinen zu hinterfragen, ethische Themen anzusprechen und die Bereitschaft der Station, diese »Störungen« zu schätzen. Dabei kann bereits auf ein zunehmendes Verständnis bei Pflege und Ärzteschaft im Umgang mit Kommunikation, auch in veränderten Bewusstseinszuständen und Koma, zurückgegriffen werden. Nicht nur durch die Palliativmedizin werden heute Behandlungs- und Entscheidungsprozesse bereits gelassener, rechtzeitiger, ethisch und rechtlich kompetenter sowie interaktiv-kommunikativer mit allen Beteiligten wahrgenommen. Die Seelsorge wird dabei als Unterstützerin geschätzt, wenn sie sich fachlich kompetent beteiligt und nicht auf traditionelle Handlungsfelder oder gar Mitgliedersorge zurückzieht.

6  Leitsätze für die Seelsorge auf Intensivstation ȤȤ Die Intensivstation ist ein Lebensraum zwischen Leben und Tod. Sie ist Chance für den umfassenden Lebensprozess des Patienten oder der Patientin. ȤȤ Die Intensivstation ist ein Raum der Unsicherheit und Ambivalenz. Dies gilt es zu akzeptieren. Sie ist aber auch ein Raum der spirituellen Sehnsucht, Erfahrung und Verheißung. Dies symbolisiert und ermutigt die Seelsorge.

II

148

Thomas Kammerer

ȤȤ Seelsorge begleitet die Lebensprozesse im Interesse am stimmigen Weg der Patient*innen. Dabei gilt die Grundhaltung: Jeder Mensch ist ansprechbar! ȤȤ Zielgruppen der Seelsorge sind immer zugleich Patient*innen, An- und Zugehörige und das Personal der Station. ȤȤ Neugieriges, interessiertes und liebevolles Suchen nach Begegnung und Kommunikation auch in unscheinbaren und kleinen Signalen zeichnet die Seelsorge auf der Intensivstation aus. Sie orientiert sich nicht an den Defiziten, sondern an den Möglichkeiten, die den Menschen dort aktuell eigen sind. ȤȤ Vor allem braucht es Vertrauen, dass Gottes Zusage »Fürchtet Euch nicht« auch und gerade in diesem Raum gilt und mutig verkündet werden muss.

7  Ergänzende Literatur

II

Ammann, P. (2012): Reaching out to People in Comatose States: Contact and Communication. Norderstedt. Diamond, J./Jones L. S. (2005): A Path Made by Walking: Process Work in Practice. Chicago. Hannich, H.-J. (2016): Intensivmedizin. In K. Köhle/W. Herzog/P. Joraschky/J. Kruse/W. Lange­ witz/W. Söllner (Hg.): Uexküll, Psychosomatische Medizin: Theoretische Modelle und klinische Praxis (8. Aufl.; S. 1134–1140). München. Jalics, F. (2009): Kontemplative Exerzitien (11. Aufl.). Würzburg. Jox, R./Kühlmeyer K./Borasio G.-D. (2011): Leben im Koma – Interdisziplinäre Perspektiven auf das Problem des Wachkomas. Stuttgart. Kammerer, T. (Hg.) (2006): Traumland Intensivstation, Veränderte Bewusstseinszustände und Koma – Interdisziplinäre Expeditionen. Norderstedt. Köhle, K./Herzog, W./Joraschky, P./Kruse, J./Langewitz, W./Söllner, W. (Hg.): Uexküll, Psycho­ somatische Medizin: Theoretische Modelle und klinische Praxis (8. Aufl.). München. Kolk, B. A. van der/McFarlane, A./Weisaeth, L. (Hg.) (2000): Traumatic Stress. Grundlagen und Behandlungsansätze. Paderborn.

Seelsorge in der Kardiologie

Angela Rinn

Das gepanzerte Herz bezeichnet genau die seelische Haltung vieler Koronarkranker vor ihrem Herzinfarkt. Prof. Dr. med. Max J. Halhuber, Kardiologe und Herzinfarktpatient Medizinisch wurde ich gut betreut, auch in der Anschlussheilbehandlung und in der Kur in dem darauffolgenden Jahr. Aber gegen die Panzerung meines Herzens wurde von medizinischer Seite nichts getan, danach wurde nicht gefragt, die wurde nicht zur Kenntnis genommen. Ein Herzinfarktpatient

Die meisten Menschen in Industrienationen sterben an Herz-Kreislauferkrankungen. Herz ist das zentrale Symbol für die Persönlichkeit eines Menschen. Auf diesem Hintergrund erstaunt die äußerst geringe Zahl poimenischer Veröffentlichungen zum Thema. Dem korrespondiert, dass die Psychokardiologie eine sehr junge Disziplin ist, die seit der Jahrtausendwende interdisziplinär die Zusammenhänge von Herzerkrankungen erforscht.1 Inzwischen kommen nicht nur Risiko-, sondern auch Resilienzfaktoren in den Blick.2 In der Begleitung der Patient*innen der Kardiologie werden sozialökonomische, geriatrische, ethische und Gender-Fragestellungen relevant. Die Seelsorge in der Kardiologie ist herausgefordert, mit der besonderen Bedeutung des Herzens für die Patient*innen, ihre Angehörigen, aber auch das therapeutische Team umzugehen und ihren Ort im, mit dem und für das therapeutische Team zu finden.

1 Zum aktuellen Stand vgl. Ladwig et al., 2013 und Albus et al., 2018. 2 Ein Fokus der groß angelegten, prospektiven und repräsentativen Mainzer Gutenberg-­ Gesundheitsstudie liegt auf Resilienzfaktoren.

II

150

Angela Rinn

1 Fallbeispiel Gesprächsprotokoll einer Seelsorgerin (S), die eine 70jährige Patientin (P) besucht, die vor einigen Tagen Bypässe bekommen hat. Frau P ist noch schwach, sie spricht mit leiser Stimme.

II

P: Wenn ich Glück habe, dann kann ich jetzt noch 10 Jahre leben, vielleicht sogar etwas mehr – aber das darf man gar nicht so genau überlegen … Noch einmal würde ich mich nicht operieren lassen. Dann hätte ich ja auch keine Zähne mehr!!! Das sind nämlich meine eigenen Zähne (stolz) und ich bin siebzig!!! S (ehrlich bewundernd): Sie haben schöne Zähne! P: Aber sie sind gelb. S: Das finde ich nicht schlimm. (So gelb sind die Zähne gar nicht.) – Ich glaube, ich habe mal gelesen, dass Zähne ein Symbol für das Leben sind. Wenn man also z. B. träumt, dass einem die Zähne gezogen werden, dann fühlt man das eigene Leben bedroht. – Sie haben Ihre eigenen Zähne, und – Sie haben sich durchgebissen. P (nach einer kurzen Pause, nachdenklich): Da haben sie recht! Und da sagt man oft sowas unbedacht vor sich hin, dabei hat es einen solch tiefen Sinn! (freudig/ stolzer Ton in der Stimme): Ich hab’ mich durchgebissen! Das Gespräch bekommt eine deutliche Wendung (oder kommt es mir nur so vor?). Frau P spricht kräftiger und erzählt sogar Witze und Szenen aus ihrem Leben, über die sie herzlich lacht.

Die Seelsorgerin ist sensibel für die metaphorische Dimension im Gespräch. Sie ist offen für die Symbolwelt der Patientin und lässt sich überraschen.3 Ihr fällt auf, dass die Patientin ihre Zähne mit der Geschichte ihrer Herzerkrankung verbindet. Sie bietet der Patientin eine metaphorische Interpretation an, die zugleich auf die Ressourcen der Patientin4 hinweist: »Sie haben sich durchgebissen«. Die Patientin kann dies aufgreifen, die Metapher erschließt ihr eine neue 3 Meyer-Blanck (2016, S. 31) konstatiert »die Erfahrung, dass der Glaube den Menschen – und auch den Seelsorger – überraschen kann […] Der Mensch ist nicht festgelegt. Es gibt die überraschende Erfahrung des Wunders und der plötzlich realisierten Freiheit. Das Wunder unterliegt nicht der professionellen Verfügungsmacht des Seelsorgers, aber es gehört zu seiner Professionalität, dem Wunder und damit dem Menschen eine Chance zu geben.« Meyer-­ Blanck rechnet mit einer »Kategorie der Umcodierung und Neubewertung der eigenen Lebenssituation im Kontext der Seelsorge« (Meyer-Blanck, 2016, S. 40). 4 Ralph Kunz z. B. fokussiert auf die Ressourcen von alten Patient*innen, die ja häufig unter Herzkrankheiten leiden. Vgl. Kunz, 2009.

Seelsorge in der Kardiologie

151

Sicht auf ihre eigene Situation. Sie wirkt gestärkt und gelöst, ihre zu Beginn des Gesprächs schwache und leise Stimme ist am Ende des Gesprächs kräftig, sie findet auch zu ihrem Humor zurück. Humor aktiviert verschiedene Netzwerke im Gehirn,5 wirkt also belebend, und stellt eine wichtige Copingstrategie dar.

2  Themen, Krankheitsbilder, Problemkonstellationen Der Sogkraft des Symbols Herz kann sich kein Mensch entziehen. Das liegt auch daran, dass Menschen ihr Herz spüren können. Das autonome Nervensystem ist eng mit dem Herzen verbunden.6 Diese Sensibilität für das Herz gilt trotz der Beobachtung, dass gerade Menschen mit einer Koronaren Herzkrankheit (KHK) häufig Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle wahrzunehmen (die Panzerung des Herzens). Die Verleugnung von Schmerzen und Angst führt regelmäßig zu Todesfällen, weil Patient*innen zu spät die Chest-Pain-Unit aufsuchen und an den Folgen eines Infarkts sterben. Menschen, die an ihrem Herzen erkranken, sehen sich mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert und befinden sich in einer schweren Krise.7 Ein Herzinfarkt selbst löst bei sehr vielen Patient*innen Todesangst aus. Mit den Patient*innen sind auch deren Systeme mitbetroffen. Bei herzkranken Kindern sind das Eltern, Geschwister und Klassenkamerad*innen, bei Erwachsenen können das eigene Kinder und Ehepartner sein.8 Zum System zähle ich auch die Menschen, die mit den Patient*innen beruflich zu tun haben: Kolleg*innen, Seelsorger*innen, Ärzt*innen und das Pflegepersonal. Die Begleitung von Herzpatient*innen ist daher komplex. So wie das Herz symbolisch und auch medizinisch im Zentrum des Menschen steht, bündeln sich unter dem Stichwort Kardiologie verschiedene Themen und Herausforderungen:

5 »Studien belegen, dass eine Vielzahl von zerebralen Strukturen, die alle auch an anderen komplexen kognitiven Fähigkeiten beteiligt sind, bei der Wahrnehmung eines Witzes aktiviert werden.« (Wild, 2010, S. 31) 6 Ein Psychokardiologe berichtet mir, dass er bei einem Rollenspiel mit Kolleginnen und Kollegen während einer Fortbildung selbst Brustschmerzen verspürt habe. 7 Vgl. Roser, 2017a, S. 63: »Die als traumatisch empfundene Erfahrung sprengt die bisherige Alltagswelt und die gewohnte Sicht der Dinge. Sie ist ein einschneidendes und folgenreiches Ereignis in der Lebensgeschichte. Die selbstverständliche Lebensgewissheit wird radikal in Frage gestellt und geltende Sicherheiten verlieren an Vertrauenswürdigkeit.« 8 Sabine Winkelmann verweist darauf, dass die Patient*innen im Krankenhaus aus ihren Sozialsystemen »ausgelinkt« werden. Vgl. Winkelmann, 2016, S. 21.

II

152

Angela Rinn

2.1 Lebensalter

II

Durch verbesserte technische Möglichkeiten können inzwischen auch Menschen im neunten Lebensjahrzehnt erfolgreich operiert werden und Lebensqualität gewinnen. Herzkrankheiten betreffen daher alle Lebensalter – vom Baby, das mit einem angeborenen Herzfehler auf die Welt gekommen ist, dem jungen Mann, der als EMAH9 weiß, dass er eine eventuell verkürzte Lebenserwartung hat,10 über eine junge Frau, die durch eine Virusinfektion erkrankt ist, der Patientin Mitte Vierzig, die unter Depressionen leidet, dem sechzigjährigen Diabetiker, der nach einem Herzinfarkt in die Notaufnahme kommt, bis zum hochbetagten ICD-Patienten mit Demenz, dessen Angehörige nun darüber entscheiden müssen, ob der implantierte Defibrillator abgeschaltet werden soll.11 Die Kardiologie muss daher von der Kinderklinik bis zur Palliativstation interdisziplinär kooperieren. 2.2 Multimodalität In der Kardiologie werden Menschen mit verschiedenen Herzkrankheiten und anderen mit der Herzkrankheit verknüpften Krankheiten betreut, die jeweils spezifische Herausforderungen darstellen. Herzpatient*innen liegen auf der Intensivstation, benötigen psychokardiologische und diätetische Beratung, leiden unter einer Depression, stellen sich Fragen der Rehabilitation oder müssen über palliative Maßnahmen aufgeklärt werden. Signifikante Risikofaktoren für eine Koronare Herzkrankheit sind Depressionen und Angsterkrankungen, die regelmäßig auch zu Komplikationen im Behandlungsverlauf führen. 2.3 Gender Das Bewusstsein dafür, dass zwischen Männern und Frauen als Herzpatient*innen deutlich zu differenzieren ist, ist erst seit der Jahrtausendwende präsent. Zuvor war lediglich bekannt, dass Frauen nach der Menopause ihren schützenden Östrogenspiegel verlieren. Doch tatsächlich erleben Frauen einen Herzinfarkt anders als Männer und haben auch ein anderes Schmerzempfinden, sodass er bei ihnen oft nicht oder verspätet diagnostiziert wird, ihre      9 Abkürzung für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern. 10 Zu dieser Problematik vgl. Kovacs/Utens, 2015. 11 Vgl. dazu: Heart Rhythm Society, 2014; Caro/Rosenthal/Pozuelo/Funk, 2016.

Seelsorge in der Kardiologie

153

­ sychosozialen Risikofaktoren werden unterschätzt.12 Frauen haben häufip ger als Männer einen symptomarmen Infarkt.13 Durch plötzlichen massiven Stress kann eine akute Herzschwäche ausgelöst werden: Das Broken-Heartoder Takotsubo-Syndrom, wovon ebenfalls mehr Frauen als Männer betroffen sind.14 Frauen vertragen auch Medikamente anders als Männer. Beispielsweise verstärkt ein Herzmedikament – Digoxin – die Lebensqualität von Männern nach dem Infarkt, während es für Frauen lebensgefährlich ist. Umgekehrt profitieren Frauen mehr als Männer von psychotherapeutischen Interventionen.15 Männer profitieren von psychosozialen Interventionen in der Sekundärprävention mehr als Frauen.16 Frauen nehmen seltener an Rehabilitationsmaßnahmen teil.17 Die kardiovaskuläre Mortalitätsrate bei Frauen ist höher als bei Männern.18 Kritisch ist daher zu sehen, wenn Kohorten in Studien zu Herzkrankheiten nur aus jungen Männern bestehen und die spezifische Situation von Frauen nicht beachtet wird. Die Begleitung von Herzpatient*innen muss gendersensibel sein. 2.4  Lebensstil und Risikofaktoren Die technischen und medikamentösen Möglichkeiten der Medizin haben sich in den letzten 25 Jahren enorm weiterentwickelt. Chest-pain-Units sind flächendeckend in der Bundesrepublik vorhanden19 und garantieren eine schnelle Erstversorgung, Ballondillatationen und Stents der dritten Generation20 ermöglichen die Behandlung einer arteriosklerotischen Verengung ohne offene Herzoperation. Durch eine gute Diagnostik werden viele Infarkte verhindert. Dennoch ist kein signifikanter Rückgang der Patient*innenzahlen zu erwarten. Ursache ist ein Anstieg der Betroffenen dank falscher Ernährung und eines krankheitsfördernden Lebensstils. Kinder und Jugendliche in Deutschland bewegen sich zu wenig und essen zu viel.

12 Vgl. Ladwig et al., 2013, S. 8 und Albus et al., 2018, 2.1. 13 So die Kardiologin und Expertin für Gender-Medizin Vera Regitz-Zagrosek in einem Interview. https://youtu.be/fzudMaTOP90 (Zugriff am 14.10.2018). 14 »Bemerkenswert ist auch, dass die Takotsubo-Kardiomyopathie in ca. 90 % bei Frauen nach der Menopause auftritt«, Albus et al., 2018, 2.1. 15 Vgl. Ladwig et al., 2013, S. 10. 16 Vgl. Ladwig et al., 2013, S. 16. 17 Miche et al., 2003, S. 108. 18 Ladwig et al., 2013, S. 8. 19 Vgl. Münzel/Perings/Post, 2016. 20 Vetter, 2014.

II

154

II

Angela Rinn

Nachweislich haben Menschen, die rotes Fleisch essen, ein höheres Arteriosklerose-Risiko.21 Fleischarme Nahrung oder Fleischverzicht bzw. eine Mittelmeerkost sind als Teil einer Lebensstiländerung zu empfehlen, um Herzkrankheiten vorzubeugen oder die Prognose zu verbessern. Seitdem Bill Clinton in einem Interview mit CNN22 erklärt hat, dass er nach seiner vier­ fachen Bypass-Operation dank der Ornish-Diät (wozu Verzicht auf Fleisch und tierische Eiweißprodukte zählen) sein Gewicht erheblich reduzieren und seinen Gesundheitszustand gleichzeitig entscheidend verbessern konnte, ohne an Lebensqualität zu verlieren, ist die in Deutschland schon in den 1980er-­Jahren durch Max J. Halhuber23 propagierte Lebensstiländerung nach Dean Ornish erneut in das allgemeine Bewusstsein gerückt. Wenn Patient*innen mit einer Koronaren Herzerkrankung im Anschluss an eine erfolgreiche Behandlung im Krankenhaus ihren Lebensstil entsprechend ändern, ist sogar ein Rückgang des arteriosklerotischen Prozesses zu beobachten. Der Vorteil dieser kostenminimalen Intervention liegt auf der Hand. Eine große Schwierigkeit ist es jedoch, die Patient*innen zu einer Änderung ihres Lebensstils zu motivieren. Adhärenz ist eine Herausforderung sowohl für die Patient*innen als auch für ihr Umfeld und das therapeutische Team.24 Weitere Risikofakten sind Depressionen, Angst, Feindseligkeit, Einsamkeit und ein fehlender sozialer Rückhalt sowie plötzliche erschütternde Ereignisse wie der Tod naher Angehöriger. Diese Risikofaktoren verschlechtern auch die Prognose. Eine Herzkrankheit ist auch eine soziale Frage.25 Schwierig sind berufliche Sandwich-Positionen, in denen Menschen sowohl von Vorgesetzten als auch Untergebenen unter Druck geraten; Arbeitslosigkeit; eine berufliche Position, in der die Menschen keinen Sinn sehen oder nicht das Gefühl haben, ihr Arbeitspensum bewältigen zu können. Prekäre Verhältnisse wirken sich stets negativ aus und sind ein wesentlicher Risikofaktor, sie verschlechtern die Heilungschancen bei allen Krankheiten, das gilt auch für Herzkrankheiten. Menschen in sozialökonomisch schwierigen Verhältnissen sind verstärkt gefährdet, da sie statistisch nachweisbar mehr rauchen, sich schlechter ernähren und häufig in

21 Koeth/Wang et al.,2013. 22 »Drs. Esselstyn and Ornish interview about Bill Clinton going Vegan«. https://youtu.be/ p4hbV4RgzI8 (Zugriff am 23.8.2018). 23 Z. B. Halhuber, 1991. 24 Vgl. Albus, 2011. Vgl. auch Michal/Subic-Wrana/Beutel, 2014. 25 Bei niedrigem sozialem Status steigt die KHK-Prävalenz 10 Jahre früher, nämlich bereits mit 45 Jahren an. Vgl. Albus et al., 2018, 2.1.

Seelsorge in der Kardiologie

155

psychisch belastenden Situationen leben und arbeiten müssen.26 Eine feindselige Haltung gegenüber der Umwelt als anerkannter Risikofaktor für eine Koronare Herzkrankheit wird ebenfalls durch prekäre Verhältnisse verstärkt. 2.5 Resilienz Die Gutenberg-Gesundheitsstudie verfolgt inzwischen als Langzeitstudie das Ziel, Resilienzfaktoren zu erkennen.27 Medizin ist immer auch eine Geldfrage. »Die Betroffenen befinden sich in einer Institution, die nach sehr eigenen, hochkomplexen Kriterien ausgerichtet ist. Neben der naturwissenschaftlich-medizinischen Denkweise prägen wirtschaftliche Effizienzkriterien Abläufe und Entscheidungen, mit denen ein Patient sich konfrontiert sieht.«28 Die Funktion von Seelsorge ist als Resilienzfaktor daher auch kostenminimierend. Das gilt verstärkt für die kostenintensive Herzmedizin. »Die Bedeutung von Religion, Religiosität und Spiritualität für holistische Ansätze der Medizin ist ein Thema zahlreicher Projekte. Das Interesse solcher Untersuchungen ist, nicht zuletzt bedingt durch ökonomische Faktoren und Effizienzkriterien im Gesundheitswesen, objektivierbare Daten zu erhalten, die die Wirksamkeit therapeutischer Interventionen belegen.«29 Wenn Patient*innen ihre Religiosität als Ressource einschätzen, dann werden Spiritualität und Religiosität (jedenfalls, wenn sie nicht rigide gelebt werden) auch die Behandlungsergebnisse positiv beeinflussen und damit kostenminierend wirken – einmal ganz abgesehen davon, dass Religion, die als unterstützend und sinnstiftend erfahren wird, die Lebensqualität erhöht. Trotz aller Reduktion von Risikofaktoren muss jedoch festgehalten werden: Krankheit ist immer ein multifaktorielles Geschehen und kann auch durch bestes Risikomanagement nicht vermieden werden. Dies zu ertragen und auszuhalten kann auch ein Ergebnis einer religiösen Haltung sein, die Leben in seiner Fragmentarität erkennt und bejaht. 26 Das Positionspapier 2013 empfiehlt daher, in der Anamnese nach Hinweisen auf eine Herkunft aus unteren Sozialschichten zu fragen. Vgl. Ladwig et al., 2013, S. 22. 27 In der Studie kommen keine Fragen nach Spiritualität vor. 28 Winkelmann, 2016, S. 20. 29 Roser, 2007, S. 51.

II

156

Angela Rinn

3 Seelsorge in der Kardiologie – Theologie, Handlungsformen, Besonderheiten 3.1  Kardiologie und kardiologische Rehabilitation

II

Die Verweildauer von Herzpatient*innen im Krankenhaus ist inzwischen meist kurz. Bei optimaler ambulanter Erstversorgung kann eine Entlassung von Herzinfarktpatient*innen aus der Klinik schon nach drei Tagen erfolgen. Mehr Zeit verbringen die Patient*innen in den kardiologischen Rehabilitationskliniken. Zur Situation in der Rehabilitation sind inzwischen ausführliche Studien aus poimenischer Sicht erschienen.30 Im Akutkrankenhaus sind durch die große Zahl der Betroffenen die Möglichkeiten der Psychokardiologie eingeschränkt.31 Derzeit sind nur in einzelnen hochspezialisierten Einrichtungen Psychokardiologiestationen implementiert, die in das Gesamtkonzept integriert sind.32 Umso wünschenswerter ist, dass das Angebot eines seelsorglichen Gesprächs an alle Patient*innen – auch an die nicht konfessionell gebundenen – gerichtet und mit ihnen kommuniziert wird. Die Betroffenen – und häufig auch ihr Umfeld – befinden sich in einer schweren Krise, in der ein Gespräch unterstützend und hilfreich sein kann. Gerade die Todesangst, die viele Patient*innen empfinden, legt das Gespräch mit Seelsorger*innen nahe. Zudem kann ein Seelsorgegespräch den Patient*innen helfen, eigene Resilienzfaktoren zu entdecken und zu aktivieren. Anke Lublewski-Zienau stellt jedoch fest, dass die Beteiligung von Seelsorge selten »strukturelles Merkmal in Leitlinien und Therapiekonzepten«33 ist – und das, obwohl in einer Studie mit kardiologischen Rehabilitanden die Hälfte der befragten Patient*innen ein Seelsorgeangebot wünschte und sogar ein Fünftel unaufgefordert besucht werden wollte. Patient*innen erwarten von der Seelsorge laut dieser Studie, dass sie getröstet werden, ihnen zugehört wird, sowie Gesprächsmöglichkeiten über Sterben, Angst und Hoffnung geboten werden. Obwohl vonseiten der Patient*innen Seelsorge also einen selbstverständlichen Platz hat, muss sich Seelsorge ihren Platz im therapeutischen Team erst erobern. Lublewski-Zienau hat die Rehabilitationskliniken im Blick, ihre Beobachtungen gelten jedoch ebenso für die Seelsorge im Akutkrankenhaus. Seelsorger*innen müssen sich aktiv dafür einsetzen, dass sie in das Gespräch mit dem therapeu30 Lublewski-Zienau/Kittel/Karoff, 2003; Lublewski-Zienau/Kittel/Karoff, 2005; Kittel/­LublewskiZienau/Karoff, 2003; Lublewski-Zienau et al., 2003. 31 Dies beklagt auch das Positionspapier 2013, vgl. Ladwig et al., 2013, S. 22. 32 Vgl. das Positionspapier 2018, Albus et al., 2018, 4.3. 33 Lublewski-Zienau et al., 2003, S. 110.

Seelsorge in der Kardiologie

157

tischen Team eingebunden werden, wovon nicht nur die Seelsorger*innen, sondern auch das therapeutische Team profitieren.34 Über die Zeit der Verweildauer in Kardiologie und Rehabilitationseinrichtung hinaus wird im Blick auf Resilienz die Bedeutung von Gemeindeseelsorge relevant.35 Da mit den Patient*innen auch ihr System betroffen ist, braucht es verstärkte Unterstützung im Alltag nach dem Krankenhausaufenthalt. »Soziale Netzwerkstrukturen scheinen […] einen Einfluss auf die Manifestation des Bluthochdrucks zu haben: Je geringer diese vorhanden sind, desto höher liegt das Risiko, an einer arteriellen Hypertonie zu erkranken.«36 Die Seelsorge ist herausgefordert, in Zusammenarbeit mit dem therapeutischen Team zu überlegen, wie sie einen hilfreichen Beitrag leisten kann, etwa durch Netzwerk-Angebote, die die Zeit im Krankenhaus und die Anschlussbehandlung verknüpfen.37 Hier bietet Gemeindeseelsorge eine besondere Chance. Die Seelsorge in der Kardiologie sollte im Idealfall eine Verbindung und Kommunikation mit der Gemeindeseelsorge initiieren. Dies gilt besonders im Blick auf Adhärenz. Viele Menschen scheitern daran, ihren Lebensstil zu ändern. Dies ist oft mit Schuldgefühlen verbunden. So sinnvoll es auch ist, an die Eigenverantwortung von Menschen zu appellieren, ist doch eine externe oder interne Schuldzuschreibung zu problematisieren, wenn Menschen an den diätetischen oder medikamentösen Vorgaben scheitern.38 Die Veränderung des Lebensstils benötigt Begleitung und Unterstützung. Seelsorge muss sich ganzheitlich mit der Situation der Patient*innen auseinandersetzen, wenn sie ihnen gerecht werden will.39 Zugleich gilt es auch, die Frustration der therapeutischen Seite zu sehen, wenn Menschen trotz besseren Wissens ihren

34 Vgl. Klessmann (2008, S. 351), der betont, dass sich Seelsorge im Krankenhaus sowohl an die Menschen richtet, die durch Krankheit oder Unfall in eine Krise geraten sind, als auch an deren Angehörige und Freunde und an das Personal der Institution. 35 Dazu paradigmatisch: Drechsel, 2015. 36 Ladwig et al., 2013, S. 13. 37 Vgl. dazu Drechsel (2015) und Morgenthaler (2017, S. 326–328): »Freiwillige, Selbsthilfegruppen und Netzwerkarbeit«. 38 Isolde Karle fordert, dass moralisierende Sinngebungen von Krankheit vermieden werden sollen. Vgl. Karle, 2009. 39 Weiß, 2011, S. 40: »Seelsorge muss konsequent kontextuell denken und arbeiten, weil das soziale, ökonomische und politische Umfeld die Situation einer Person nachdrücklich bestimmt. Weil Menschen den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen ausgeliefert sind und ihr Leben darin bewältigen müssen, muss Seelsorge immer auch an ihren konkreten Situationen Anteil nehmen.«

II

158

Angela Rinn

krankmachenden Lebensstil beibehalten. »Nur 20–60 % aller Patienten nehmen die ärztlich verordneten Medikamente zuverlässig ein.«40 3.2  Gespräch und Gottesdienst

II

Seelsorge geschieht im Gespräch und im Gottesdienst. Da die Patient*innen Seelsorge gern in Anspruch nehmen, aber selten nach Seelsorge fragen, empfiehlt sich für die Seelsorge in der Kardiologie dringend eine Geh-Struktur. Die Zuwendung im Seelsorgegespräch und die religiöse Symbolhandlung ermöglichen die Erfahrung von Zugewandtheit und eröffnen damit neue Perspektiven. Seelsorge ist dabei keine Konkurrenz zum psychotherapeutischen oder psychokardiologischen Angebot (zumal letzteres bislang in der Regel nur in Universitätskliniken zur Verfügung steht), sondern eine sinnvolle Ergänzung durch die von ihr angebotene und ihr konstitutive religiöse Dimension. Durch religiöse Handlungen wie Gebet, Abendmahl und Segnung, biblische Erzählungen und Bilder bietet die Seelsorge sich als Hilfe zur Angstbewältigung und Sinnfindung an. Da Herzpatienten auf einen Schutzraum angewiesen sind, in dem sie sich artikulieren können und eher Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle wahrzunehmen und darüber zu sprechen, ist die nonverbale Kommunikation durch religiöse Handlungen besonders ansprechend. Lublewski-Zienau beobachtet entsprechend, dass der rituell-religiöse Bereich der Seelsorge im Rückblick von den Patient*innen verstärkt wertgeschätzt wurde.41 Den religiösen Symbolhandlungen im Gottesdienst – Abendmahl und Krankensegnung – kommen daher besondere Bedeutung zu. 3.3  Symbolische Kommunikation Herz ist ein Symbol, das wie kein anderes unsere Sprache geprägt hat und prägt.42 Diese Prägung hängt auch mit der zentralen Bedeutung des Symbols in der Bibel zusammen. Der biblische Befund unterstreicht die ursprüngliche, umfassende Bedeutung des Symbols als anthropologischen Zentralbegriff. Die Weisheit des biblischen Verständnisses erkennt das Herz als Zentrum der gesamten Persönlichkeit eines Menschen, das von Menschen mit ihrer Identität gleichgesetzt wird. Herz kennzeichnet das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zu Gott. Das Motiv der Herzensenge betrifft Menschen, 40 Ladwig et al., 2013, S. 20. 41 Vgl. Lublewski-Zienau, 2005, S. 292–295. 42 Zur Bedeutung des Symbols Herz für die Seelsorge an HerzPatient*innen und zur Seelsorge an Herzpatient*innen insgesamt vgl. Rinn-Maurer, 1995.

Seelsorge in der Kardiologie

159

deren Selbst- und Gottesverhältnis gestört ist. Die Bitte um Weitung des verengten Herzens ist deshalb das Gebet eines Menschen, der darum weiß, dass ein weites, fleischernes Herz von Gott geschenkt werden kann (vgl. Hes 36,26). Im Seelsorgegespräch erweist sich die Symbolkraft von Herz. Zu Recht kann das Herz auch deshalb als das zentrale Symbol für den Menschen bezeichnet werden. Die Patient*innen verknüpfen vielfältige Vorstellungen mit dem Wort. Zwischen den semantischen Extremen des Herzens als Pumpe, die den menschlichen Blutkreislauf antreibt, und des Herzens als Bild für die menschliche Persönlichkeit, zeigt sich eine Skala von Bedeutungsnuancen, die alle im Symbol Herz zusammentreffen. Die Fülle der Konnotationen zeigt sich in der verästelten Sprachgeschichte des Symbols Herz und der metaphorischen Verwendung des Wortes. Eine Verwendung des Symbols Herz, die das Herz lediglich als Sitz der Liebe und der Gefühle zu sehen vermag, ist daher reduktionistisch. Sprachgeschichtliche Beobachtungen zeigen Parallelen zwischen der symbolischen Verwendung von Herz und konkreten kardiologischen Befunden. Der Prophet Jeremia erleidet Herzschmerzen, die an einen Angina-Pectoris-Anfall erinnern. Die seelische Befindlichkeit des Propheten, der durch die Gottesbotschaft in Konflikte mit seiner Umwelt gebracht wird, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem Herzen. In Ludwig Tiecks Novelle »Der Runenberg« (1802) versteinert das Herz von Christian in einem Kristallisationsprozess. Christian wurde von der schönen Frau aus dem Berg fasziniert – einer Personifikation der kalten Schönheit von Metall und Reichtum. Eine Sensibilität für symbolische und metaphorische Kommunikation erscheint daher in der Seelsorge mit Herzpatient*innen besonders wichtig zu sein. Die Symbolik des Herzens wie auch symbolische und metaphorische Kommunikation können für die Seelsorge an HerzPatient*innen fruchtbar gemacht werden. Symbole und metaphorische Verknüpfungen erschließen neue Lebenswirklichkeiten und -möglichkeiten. 3.4  Raum und Herz Der räumliche Kontext spielt nach neueren neurobiologischen Forschungen eine enorme Rolle für das, was langfristig assoziiert bzw. erinnert wird.43 Für das Gedächtnis und andere Leistungen wie Kreativität ist die besondere Rolle des Kontextes bekannt, der wesentlich zur Verarbeitung des Gehörten beiträgt.44 43 Hinweis von Prof. Dr. Andreas Draguhn, Heidelberg. 44 Hinweis von Prof. Dr. Andreas Draguhn, Heidelberg.

II

160

II

Angela Rinn

Zur leiblichen Erfahrung gehört der Raum, in dem sich der Mensch befindet. Menschen können nur in einem Raum – nämlich ihrem Leib – existieren und erinnern in ihrem Leib auch die Erfahrung, wie es ist, in einem Raum zu sein. Der Heidelberger Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Sektion Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie Thomas Fuchs ist der Ansicht, dass das Leibgedächtnis »der eigentliche Träger unserer Lebensgeschichte, unserer persönlichen Identität«45 ist. Symbole eröffnen Räume. Umgekehrt ist das Herz selbst ein räumliches Symbol. Es hat Wände und Kammern. Ein Mensch kann darin wohnen und der Schlüssel zum Herzen kann verloren gehen oder gefunden werden. Gerade diese räumliche Dimension hat Folgen für die Seelsorge.46 Seelsorge schafft im Krankenhaus einen geschützten Raum. Viele Seelsorger*innen erleben, dass während des Seelsorgegesprächs um die Gesprächspartner ein Raum entsteht, in dem vertraut gesprochen werden kann, obwohl dieses Gespräch in einem Mehrbettzimmer stattfindet. Die Bilder, mit denen und in denen metaphorische Seelsorge arbeitet, schaffen Räume, in denen sich die Patient*innen frei bewegen können. Metaphorische Seelsorge nimmt das Besondere des einzelnen Menschen, nämlich seine eigenen Bilder und seine persönliche Interpretation wahr und ernst. Hierzu ein Beispiel aus dem Bericht einer Seelsorgerin: Eine Seelsorgerin besucht eine Patientin, die im Krankenhaus liegt, weil sie Probleme mit der Wirbelsäule hat. Frau P leidet an einer KHK und ist Diabetikerin. P: Ach, diese Schmerzen, mein Korsett, es ist so schwer, und wenn ich es anhabe, da habe ich gar keinen Hintern drin. An mir ist sowieso nichts mehr dran, und in diesem Korsett sieht es ganz schlimm aus. Und es drückt so auf die Knochen … (Frau P fordert mich auf, die Schwere des Korsetts zu prüfen. Ich sage ihr ehrlich, dass ich es ziemlich leicht finde. Sie findet es schwer.) … S: Sie brauchen wohl nicht nur ein Korsett für Ihre Wirbelsäule, sondern auch für Ihre Seele. P (ganz begeistert plötzlich, richtet sich auf): Ja, so ein Korsett, das man ganz eng und fest schnüren müsste! S: Eng und fest …? P: Ja, so, dass nichts herauskommt. – Einer müsste es so eng schnüren. 45 Fuchs, 2008, S. 36. 46 Ulrike Johanns etwa fokussiert auf die Herzwand und fordert Seelsorger*innen dazu auf, vor der Herzwand der Patient*innen zu verharren. Sie fordert: »Wir müssen die Herzwand vor Augen haben und dürfen niemals gegen sie arbeiten.« Johanns, 2013, S. 108.

Seelsorge in der Kardiologie

161

S: Und wer soll das sein? P (nachdenklich): Ich weiß nicht – vielleicht – ein lieber Mensch?

Die Seelsorgerin bietet eine metaphorische Interpretation des Symbols Korsett an. Vielleicht braucht die Patientin ein Korsett für ihre Seele? Dies kann die Patientin aufgreifen. Wichtig ist, dass die Seelsorgerin sich von dieser Interpretation überraschen lässt und sie ernst nimmt. Die Patientin kann dann das Bild so nutzen, dass ein personaler Bezug entsteht: Ein lieber Mensch könnte ihr Korsett so eng und fest schnüren, wie es gut für sie ist.

4 Forschung Der Überfülle medizinischer Literatur zum Thema kontrastiert nach wie vor die geringe Beachtung in der poimenischen Debatte. Dabei gilt aber: »Deskriptiv arbeitende Praktische Theologie kann über eigene Beobachtungen und Vertextlichung von Erfahrungen hinaus auf Daten, die andere erhoben haben, nicht verzichten. Die Kenntnisnahme vorliegender Studien und Untersuchungen gehört zu den beruflichen Kompetenzen, weil dadurch die eigenen Eindrücke mit den empirischen Erkenntnissen anderer verglichen und damit relativiert werden.«47 Nach der Bedarfsanzeige in der ersten ausführlichen Untersuchung zum Thema48 sind dank dieses Hinweises49 von Anke Lublewski-Zienau, Jörg Kittel und ­Marthin Karoff grundlegende empirische Forschungen zur seelsorglichen Betreuung von Herzpatienten angestrengt worden. Die Untersuchungen zeigen die Relevanz von Seelsorgegesprächen und gottesdienstlichen Angeboten, wobei besonders rituelle Handlungen wie Abendmahl und Krankensalbung von den Patient*innen geschätzt wurden. Seelsorge konnte den Patient*innen helfen, ihre Situation zu deuten und zu verstehen. Die Ergebnisse von Lublewski-Zienau, Kittel und Karoff werden durch eine weitere Untersuchung gestützt. Sabine Winkelmann hat mithilfe eines qualitativen Verfahrens erforscht, wie alte Menschen ihre lebensbedrohliche Krankheit deuten und sich religiös verorten. Unter dem ausgewählten Sample war 47 Roser, 2017a, S. 79. 48 Rinn-Maurer, 1995. 49 So Roser, 2007, S. 53.

II

162

II

Angela Rinn

ein Drittel herzkrank. Ihr Augenmerk richtet sich darauf wahrzunehmen, wie die Patient*innen Gebet, Gottesdienst und Abendmahl begreifen. Winkelmann fragt in ihren Interviews nach Bildern oder Metaphern, mit denen sie ihre Situation beschreiben und bietet im Gespräch biblische Bilder und Metaphern an, auf die die Patient*innen eingehen können.50 Winkelmann analysiert die Interviews vor dem Hintergrund wissenschaftlich-theologischer Bezüge. Zentral ist ihr Hinweis auf das Gebet in seiner Bedeutung als religiöse Kommunikation51 und wichtiger unterstützender Faktor im Umgang mit der lebensbedrohlichen Krankheitserfahrung. Sie erkennt hilfreiches religiöses Coping in der Fähigkeit der Patient*innen, in ihrer Situation an der Beziehung zu Gott betend festzuhalten.52 Winkelmann stellt fest, dass die Bedeutung des Abendmahls in der poimenischen Debatte unterschätzt wird, obgleich Patient*innen gerade dieses mit seiner Sprache und Symbolik als hilfreiches Ritual wahrnehmen. Bezeichnenderweise stellt Winkelmann fest: »Für die Patientinnen und Patienten entwickeln religiöse Praxisformen wie das Gebet oder die Teilnahme an Gottesdienst bzw. Abendmahl ein tröstliches Potential, das sie zur Bewältigung ihrer Situation nutzen. Sie gewinnen Kraft und Motivation, indem sie ihr Herz vor Gott ausschütten.«53

5  Handlungsleitende Maximen Seelsorge in der Kardiologie ist Seelsorge an der Schnittstelle. Sie ist besonderer Weise »multilateral und multidimensional.«54 Seelsorge in der Kardiologie agiert sowohl an der Schnittstelle verschiedener medizinischer Disziplinen als auch menschlicher, theologischer und damit seelsorglicher Herausforderungen. Seelsorger*innen sollten über die verschiedenen medizinischen Aspekte der Kardiologie ebenso informiert sein wie über symboltheoretische, geriatrische, palliative und ethische Perspektiven. Sie sollten sich mit Fragen der Adhärenz auseinandergesetzt haben und zugleich akzeptieren können, dass Leben fragmentarisch und endlich ist. Sie sollten um die Schwierigkeiten von jungen herzkranken Menschen am Übergang in das Erwachsenenalter ebenso wissen wie um die Not der Angehörigen, die eine Herzpatientin in den Tod begleiten. 50 51 52 53 54

Vgl. Winkelmann, 2016, S. 18. Vgl. Winkelmann, 2016, S. 46–68. Vgl. Winkelmann, 2016, S. 206. Winkelmann, 2016, S. 205. Hervorhebung A.R. Kunz, 2016, S. 11.

Seelsorge in der Kardiologie

163

So können sie für das therapeutische Team und die Patient*innen und ihre Angehörigen und Freund*innen Gesprächspartner*innen auf Augenhöhe sein. Herzpatient*innen brauchen Seelsorger*innen, die sensibel für metaphorische Sprache und bereit sind, die Bilder der Patient*innen wahr- und aufzunehmen. Gebet und Fürbitte im persönlichen Seelsorgegespräch und rituelle Handlungen in Gottesdienst, Abendmahl und Krankensalbung können für die Patient*innen hilfreich und sinnstiftend sein und zu ihrem Wohlbefinden und damit zur Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen, zumal Abendmahl und Krankensalbung selbst symbolische Tiefendimensionen haben. Allerdings ist darauf zu achten, dass der Angebotscharakter erhalten bleibt und die Patient*innen sich nicht gedrängt fühlen, Abendmahl oder Salbung anzunehmen. Seelsorger*innen in der Kardiologie respektieren die Grenzen der Patient*innen,55 und wissen darum, dass kein Druck, sondern metaphorische Weite zur Salutogenese beiträgt. So kann Seelsorge dazu beitragen, dass sich die Panzerung des Herzens öffnen und weiten kann und Menschen ihr Herz öffnen können.

55 Ulrike Johanns (2013, S. 108) fordert: »Wir müssen die Herzwand vor Augen haben und dürfen niemals gegen sie arbeiten.«

II

Seelsorge in der Frauenklinik – körper- und ressourcenorientierte Seelsorge im System Klinik Gundula Goldbach

II

In der Frauenklinik weist mich während meiner kursorischen Besuche auf Station eine der Gesundheits- und Krankenpflegerinnen auf Frau P. hin. Frau P. ist 52 J. alt, ist gerade auf der Station angekommen und soll morgen an der Brust operiert werden. Als ich in das Zweibettzimmer eintrete, wirkt Frau P. unruhig und fahrig. Sie geht auf und ab vor ihrem Bett. Ein Handy in der Hand, in der anderen Hand einen Kalender. Ich stelle mich als Klinikseelsorgerin vor und nehme Kontakt auf, biete ihr an, da zu sein. Frau P. setzt sich auf den unteren Teil des Bettes, ich nehme auf dem Stuhl Platz. Sofort sprudelt es aus ihr heraus, dass sie an der Brust operiert wird, aber noch so viel ansteht. Zu Hause hat sie ihre beiden Eltern zu versorgen. Gerade hat sie noch einmal telefonisch nachgefragt, ob alles klargeht. Die Augen von Frau P. flackern unruhig, ihr Oberkörper wirkt im Schulterbereich angespannt. Ihre Stimme ist mal laut, mal leise. Sätze purzeln aus ihr heraus. Während sie so dasitzt, baumeln ihre Beine auf und ab über dem Boden. »Wissen Sie, da soll ich operiert werden und habe ganz andere Sorgen im Kopf. Ob das alles gut läuft daheim? Und mit meinem Sohn wollte ich auch noch sprechen. Nach dem Screening und dem Besuch bei meiner Frauenärztin ging alles so schnell. Ich konnte gar nichts mehr richtig planen. Und jetzt bin ich schon hier. Und morgen ist schon der Eingriff. Irgendwie habe ich damit gar nicht gerechnet. Es ist nur ein winziger Knoten. Aber ich habe Angst.« Tränen stehen in ihren Augen. Jetzt legt sie ihr Handy weg und schaut mich an …

1  Die Frauenklinik – chirurgisch geprägte Stationen Frauen kommen auf unterschiedlichen Wegen in die Frauenklinik. Meistens bieten Häuser der Maximalversorgung ein Zentrum für Frauenheilkunde an. Diese unterliegen heutigen Standards, der Zertifizierung und sind ausgewiesen als Brust- und Unterleibskrebszentrum. Im besonders günstigen Fall ist sogar ein Schwerpunkt für Urogynäkologie angeschlossen. Durch die Vernetzung

Seelsorge in der Frauenklinik

165

mit den anderen Kliniken im Haus – z. B. der Bauchchirurgie, der Urologie und der Gefäßchirurgie – können onkologisch erkrankte Frauen bestmöglich behandelt werden. Natürlich sind in den Frauenkliniken alle Erkrankungen des weiblichen Körpers im Blickfeld. Behandelt werden auch in den Zentren nicht nur schwere Fälle, sondern auch vorübergehende oder chronische Erkrankungen, zum Beispiel Entzündungen im Brust- und Genitalbereich, Entfernung von Myomen und Eileiterschwangerschaften, Endometriose, um nur einige zu nennen. Außerdem steht die Frauenklinik unbedingt auch für die große Seite des Lebens und der Freude. Frauenklinik, das assoziiert immer auch die Begleitung der Frau in der Schwangerschaft und natürlich die Geburt eines Kindes. Der Wandel und der bedeutende Übergang in der Person der Frau zur Mutter geht heute vorrangig in Kliniken vor sich. Die Identifikation in der Mutterrolle mit der neuen Aufgabe des Stillens und der Pflege des Säuglings wird primär in Kliniken erlebt und eingeübt. In Häusern mit angeschlossenem Schwerpunkt von Neugeborenen-Heilkunde können zudem auch besonders gefährdete und komplizierte Schwangerschaftssituationen mitversorgt werden. Jedoch das weitaus größte Klientel der Frauen nimmt den Weg zur Frauenklinik auf sich, weil eine Krebserkrankung vorliegt: die Brust, die Mamma!, ist erkrankt, der Genitalbereich oder die Blase. Während der Bereich der Mamma begrenzt ist, kann im Bereich des Unterleibs die Gebärmutter mit Krebs befallen sein, der Gebärmutterhals, die Eileiter und Eierstöcke oder die Vagina. Ein breites Spektrum mit unterschiedlichen Graden des Krebsstadiums faltet sich in der Erkrankung auf. Je mehr Möglichkeiten die Wissenschaft und Frauenheilkunde anbieten, umso größer werden die komplexen Behandlungssysteme. An dieser Stelle ist nicht nur Feld- und Kernkompetenz gefragt, sondern ein Einblick in weibliche Körper-Symptomatik und komplexe onkologische Behandlungsphasen und -zyklen. Sie werden im Laufe der Zeit als Fachkompetenz dazugewonnen. Die Seelsorgerin entlastet es nahezu, dass sie in diesem Kontext keine Solistin ist, sondern bewusst Mitarbeitende in einem multiprofessionellen Team. Mitarbeitende der Medizin und Pflege, der Physiotherapie, des Sozialdienstes und des Konsiliar- und Krisendienstes, gehören genauso mit zu Begleitpersonen auf den Stationen wie Ehrenamtliche der Frauenselbsthilfegruppe nach Krebs, der Grünen Damen und des Bücherdienstes. Für das System Krankenhaus1 entsteht durch den Aufbau der Behandlung in Organisation, Behandlung, Therapie und evtl. Nachbehandlung ein fein abge1 Schneider-Harpprecht (2003) hat zu Recht auf den sozialen und politischen Auftrag der Seelsorge hingewiesen. – Seelsorge nimmt keine Management Funktion der Klinik wahr. Sie hat einen christlich-therapeutischen Auftrag.

II

166

II

Gundula Goldbach

stimmter Ablauf. In vielen Häusern erleben die Frauen das »System« Frauenklinik mit einer durchlässigen Behandlungszone: Frauen ganz unterschiedlich schwerer Diagnosen, z. T. mit weiterführender Chemo- und/oder Strahlentherapie, begegnen einander auf der Station, auf dem Flur oder im gemeinsamen Frühstücksraum. Manche Frauen erleben das – je nach Charakterstruktur und Situation – als Chance oder als Belastung. Ein Teil der Frauen bleibt während der Behandlung strikt im Zimmer und schottet sich ab. Wieder andere Frauentypen suchen das Gespräch, das Gegenüber, eine ebenso betroffene Mitpatientin. Sie wollen voneinander hören, lernen oder im besten Falle einander stützen und stärken. Es ist hilfreich, sich immer wieder in unterschiedliche Typen und Charaktere hineinzuversetzen und die unterschiedlichen Themen und Gefühlskomplexe in der onkologischen Behandlung mit zu bedenken2. Für Frauen bedeutet dieser Schritt, wie das Fallbeispiel von Frau P. zeigt, einen deutlichen Einschnitt in ihren Alltag, in ihr Leben. Durch die Diagnose »Krebs« ist einiges in ihrem Leben durcheinandergeraten, und das von heute auf morgen. Krebs bedeutet heute nicht mehr unbedingt ein Todesurteil. Dank der modernen Behandlungsmöglichkeiten hat sich dies gewandelt. Das hat sich weitgehend auch im Bewusstsein der Menschen verankert. Jedoch bedeutet die Diagnose Krebs einen Einschnitt im Leben. Die Ankunft in der Klinik kommt einer Passage3 gleich. Dieser Übergang ist für alle Behandlungen und für die Begegnung stets mit zu bedenken. Aus welchem Lebens- oder Familiensystem kommt diese Frau in das System Klinik und in das Haus der Maximalversorgung? Der Einschnitt im Leben, der zugleich durch den bevorstehenden Schnitt durch die Chirurgie am Körper unterstrichen wird, geschieht vor dem Hintergrund einer sozialen und körperlichen Verfasstheit. Wie geht es Frau P. gerade in ihrem Umfeld und mit ihrer gegenwärtigen psychischen wie körperlichen Belastung? Sie spricht von ihren Eltern zu Hause, die sie mitversorgen muss. Möglicherweise steht sie in oder vor einer Pflegesituation. Und sie ist innerlich und körperlich damit beschäftigt. Sie selbst betont: »Da soll ich operiert werden und habe ganz andere Sorgen im Kopf.« Dieses sich Sorgen-um … spricht Frau P. aus. Es steht exemplarisch für Frauen, die neben der beruflichen Tätigkeit in der einen Lebensphase Kinder versorgen, in der anderen die Enkel und in der nächsten die alt gewordenen Eltern. Frauen sorgen für und sie sorgen sich um andere und sind dabei größtenteils berufstätig. Die Sorge betrifft wiederum Leib und Seele, Leib und Geist der Familienmitglie2 Vgl. Ostermann/Lowens, 2015. 3 Mit Klessmann, 2003, S. 421.

Seelsorge in der Frauenklinik

167

der oder Freunde. Wie soll Frau P. ankommen im System Klinik? Was hilft ihr jetzt umzuschalten von Alltag auf Klinik, von der Sorge um die anderen auf Selbstfürsorge? Wie kann sie die Angst vor der Operation und andere Gefühle aussprechen und möglichst loslassen, bevor sie in den Operationssaal gefahren wird? Das sind Fragen, die sich die Seelsorge im Zwischenraum4 stellt. Im System Klinik geschieht dieser wichtige und notwendige Dienst oft genau an diesen Schnittstellen des Lebens, zwischen Tür und Angel: zwischen Ankunft aus der Lebenswelt und Vorbereitung vor der Operation, oft mit weiterführender Chemo- oder Strahlentherapie. Klinikseelsorge hat für diese Aufgabe auf einer chirurgisch ausgelegten Station in der Frauenklinik heute drei bis fünf Tage Zeit einer Frau als Brustkrebs-Patientin zu begegnen. Im Falle von Unterleibskrebs liegt die Zeit der Verweildauer zwischen sechs und zwölf Tagen. Das ist kein großes Zeitfenster für eine Begegnung und für die Seelsorge. Die Zeiten der Nachbehandlung liegen in den Chemotherapie-Zyklen oft an einem Vor- oder Nachmittag im ambulanten Bereich und umfassen auch keine größeren Zeitfenster. Darum stehen die Professionalität und die Durchsetzung von Grundfesten der Klinikseelsorge in der Klinik immer mit auf dem Prüfstand. Klinikseelsorge benötigt im System Klinik ein gut organisiertes Handeln, explizite Absprachen mit Klinikleitung und Stationen vor Ort, ein transparentes Vorgehen, Öffentlichkeitsarbeit und einen Raum zur Seelsorge. Wie dieser kompetent gefunden, geöffnet und gefüllt wird, davon wird nun die Rede sein.

2 Die Zuwendung in der Frauenklinik als ganzheitliches Geschehen Eine große Chance im Bereich der Seelsorge in der Frauenklinik liegt in einem ganzheitlichen Ansatz. Seelsorge an Frauen soll nicht nur auf das Gespräch5 konzentriert sein. Sie kann den Körper mit einbeziehen, weil mit den Frauen das Erleben grundlegender Lebensvorgänge in die Klinik einzieht, Empfängnis – Schwangerschaft – Geburt – Sexualität – Wechseljahre – Menopause – Krankheit und Krise – Sterben, Abschied und Tod. Das sind Lebensthemen, die den Körper der Frau betreffen und das Leben umfassen. Sie gehen körperbetont vonstatten und geschehen nicht nur im Kopf oder in der Seele. In 4 Klessmann, 2003. 5 Alle Formen des Seelsorgegesprächs finden sich hier. Ebenso die Bandbreite theologischer Existenz- und Glaubensfragen.

II

168

II

Gundula Goldbach

Gesprächen tauchen diese explizit oder implizit auf. Besonders der Körper, der »aus dem Ruder gelaufen« ist, der nicht mehr »richtig funktioniert« und zugleich versehrt wird. Das ist ein Thema. Er erfährt durch die Behandlung, z. B. der Brust, nicht nur Hilfe, sondern auch körperliche Einschnitte. Der Schritt zum Schnitt zieht die Versehrtheit nach sich. Die Themen Verletzlichkeit und Scham sind latente Themen in der Frauenklinik. Daneben stehen die großen Themen körperliche Integrität und Vertrauen in das eigene Körpererleben. Die Frauen leben in dieser Krankheitszeit ihr Leben als ein Paradox: »Mein Leben bedroht mein Leben.«6 Wenn die Frau zur Patientin wird, widerfährt ihr das Schicksal vieler Patientinnen. Sie ist Subjekt und zugleich Objekt. Sie wird im System Klinik von »Frau P.« zur »Patientin P.« mit Nummer. Sie unterliegt mit dem Eintritt in die Klinik einem Ablauf und einer Organisation, auf die sie sich einlassen und ausrichten muss. Oft ist dieser Schritt mit viel Angst verbunden, weil der Verlust von eigener Autonomie und Handlungsfreiheit gespürt wird. Aufgrund der stark chirurgisch geprägten Situation geht es im Bereich des Körpers erkrankter Frauen um das Entfernen von entarteten Zellen, Krebsmaterial und bösartigen Tumoren. Sie sollen bekämpft werden, weggeschnitten oder – bei ungünstigster Prognose – muss die Mamma amputiert werden. Schon allein diese Sprachbilder und Szenarien lösen Unsicherheit aus, aber auch Angst vor Selbstverlust und Verlust von Weiblichkeit und Körperlichkeit. Die Angst vor Verlust von Lebensfreude und Sexualität ist ebenso damit verbunden. Es ist kein Wunder, dass mit der Behandlung am Körper oft eine versachlichende Sprache einsetzt, um die Komplexität des chirurgischen Behandlungsprozesses in den Griff zu bekommen. Viele Frauen geraten an dieser Stelle in einen Zwiespalt mit ihrem Körper, andere in eine Krise. Sie verlieren Vertrauen zu ihm7, vernachlässigen ihr Körpergefühl, manche spalten es einfach ab, um die Situation besser händeln zu können. Für die Pflege sind das oft die unkomplizierteren Patientinnen, für die Seelsorge die schwierigeren.

6 Koemeda-Lutz, 2002, S. 119. 7 Grundmann, 2015. Er vertritt die These, dass Seelsorge leibhermeneutisch orientiert sein sollte. Im Zentrum sollte die persönliche Begegnung zwischen Patient*in und Seelsorger*in stehen. Die aktuelle (Körper)Situation sollte als »living document« in das Gespräch einbezogen werden.

Seelsorge in der Frauenklinik

169

3  Das Besondere der Seelsorge in der Frauenklinik Seelsorge begegnet Frauen unterschiedlicher Charaktertypen, die in dieser Krisensituation unterschiedlich auf die Krise und mit dem Körper reagieren.8 Sie begegnet in der Passage zwischen Alltag und Eingriff, zwischen Operation und weiterer Behandlung mit Chemo- oder Strahlentherapie, der Patientin mit einem ganzen Gefühlsknäuel unterschiedlicher Emotionen. Diese schwingen im Raum der Begegnung mit. Sie spielen eine Rolle und sind im Raum präsent, ob sie ausgesprochen sind oder nicht. Körperorientierte Seelsorge, wie sie von Irmhild Liebau9 im Anschluss an Alexander Lowen10(1910–2008) und Wilhelm Reich (1897–1957) vertreten wird, nimmt die Patientin in dieser Einheit als Körper, Seele und Geist wahr. »Körperorientierter Seelsorge geht es um das Zusammen- und Wechselspiel von Leib-Seele und Geist, die sich gegenseitig durchdringen und gerne aneinander Anteil gewinnen wollen mit dem Ziel, in einen Zustand des Ausgleichs, der Balance und von schöpferischer Lebendigkeit zu gelangen. Körperorientierte Seelsorge greift zu diesem Ziel auf vier bioenergetische Grundprinzipien zurück«11: Atmung, Erdung, Bewegung und Ausdruck. Die Seelsorgerin wendet sich in der Haltung der Annahme zu. Eine körperorientierte Seelsorgerin achtet auf die Gesamterscheinung der Person, insbesondere ihr Körperbild und darauf, dass die Gefühle der Patientin sein dürfen. Sie kommen leiblich orientiert und verbal zum Ausdruck. Die Seelsorgerin geht explizit auf die Wahrnehmung der Person ein und legt große Sorgfalt auf ihre Lebensäußerungen.12 Wie steht, wie geht, wie sitzt oder liegt diese Person vor mir? Welchen Eindruck macht ihre Körperhaltung, welchen die Körpersprache auf mich? Wie wirken ihre Sinne: wie blickt sie, wie spricht und hört sie. Ist ihre Stimme laut oder leise? Wie ist ihre Körperhaltung? Ist sie innerlich in Anspannung, ist sie entspannt oder in einem schlaffen Zustand? Wie sieht ihre Haut aus und wie geht      8 Vgl. Ostermann/Lowens, 2015. In jedem Menschen finden sich Züge aller Charaktertypen wieder, die in Krisen mehr oder weniger stark in Erscheinung treten. Ebenso Koemeda-Lutz, 2015, S. 117 ff.      9 Körperorientierte Seelsorge vertritt Liebau, 1997. In die Richtung Seelsorge als Leibsorge weist auch der Ansatz von Elisabeth Naurath (2000) »Seelsorge als Leibsorge«. 10 Lowen, 2013, S. 14–45. 11 Goldbach, 2016. Die 4 Grundprinzipien stammen aus dem Bereich der Bioenergetischen Analyse, wie sie von Alexander Lowen entwickelt wurden. 12 Vgl. Liebau, 1997.

II

170

Gundula Goldbach

ihr Atem? Wie wirkt die Person in ihrem Gesamtausdruck auf mich? Diese persönliche Wahrnehmung braucht Schulung und Fachkompetenz, damit das in der Person Verankerte und situativ Eingedrückte zum Ausdruck kommen kann. Bei diesem Seelsorgeweg spielt auch der Geruchssinn eine Rolle. Nicht wenige Patientinnen stoßen besonders in der sensiblen Phase der Chemotherapie auf ihn.13 Und insgesamt ist der Tastsinn wichtig. Berührung und Selbstberührung spielen eine entscheidende und tragende Rolle. Kann diese doch unmittelbar zur Unterstützung, zur Selbstfürsorge und zur Vermittlung von Gehaltensein und Zuwendung führen, Nähe Gottes vermitteln oder erfahrbar machen.

4  Handlungsformen körperorientierter Seelsorge

II

Vier Grundprinzipien beachtet körperorientierte Seelsorge und verankert diese fest in der Seelsorgepraxis. In der Begegnung mit der Patientin geht es um die Atmung, den Ausdruck, die Bewegung und die Erdung.14 Diese Zugehensweise bietet für die Seelsorge insgesamt große Chancen. Ausgehend von dem christlich-jüdischen Menschenbild – der Mensch als Geschöpf Gottes – eröffnet dieser Zugang ein ganzheitliches Eingehen auf den Menschen in Krankheit, Krise, Leid und Not. Es geht um die Annahme des Menschen und um heilsames Herausbegleiten und Lösen aus seiner inneren Enge, seinem Gefangen- oder Festgefahrensein. Ihm gilt auf allen Ebenen die Zusage Christi: »Ich lebe und ihr sollt auch leben« (Joh 14,19). Das gilt für seine irdische, körperlich verfasste Existenz, wie für seine zukünftige, himmlische. Christliche Seelsorge widmet sich dem Menschen in seiner Einheit als Seele, Geist und Leib. Wir sind Glieder des Leibes Jesu. Welt und Schöpfung sind aufeinander bezogen und werden als Ganzes erlöst. »Wir alle warten und sehnen uns nach der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes« (Röm 8,21). Dass Gott seinen Geschöpfen, denen er Leben eingehaucht hat15, neuen Atem und neues Leben schenkt, ist eine tragende Vision in der Seelsorgearbeit. Diese trägt die Seelsorgerin in ihrer eigenen Spiritualität, im Seelsorgehandeln und ebenso in der Begleitung der Patientinnen beim Sterben und Aushauchen des Geistes. Auch in der Frauenklinik versterben Frauen auf Station. Dann wird zusammen mit dem Pflegepersonal und den Ärzten auf eine gute Raumatmosphäre geachtet, auf geistliche Begleitung und eine hospizähnliche Situation. Ein Abschiedskoffer steht zur Aussegnung auf 13 Besonders ulcerierende Wunden eines aufbrechenden Mamakarzinoms können für Betroffenen und Angehörige können ein großes Hemmnis und ein Problem bei Besuchen bedeuten. 14 Liebau, 2003. Liebau, 2014. 15 Vgl. Genesis 2,7.

Seelsorge in der Frauenklinik

171

Station bereit. Das Pflegepersonal ist für diese Phase – unter anderem von der Seelsorge – vorbereitet und sensibilisiert. Hier eröffnet sich für die Seelsorge ein Feld der Schulung von Mitarbeitenden.16 Noch stärker als sonst rücken hier auch die Angehörigen in den Mittelpunkt des Geschehens und die Gespräche im Pflegeteam. Ebenso rückt die konkrete Einbeziehung Angehöriger nun stärker in den Vordergrund. Im Gespräch mit der Patientin eröffnet die Atmung – der Einatem und Ausatem –, in welchem Gott in uns atmet, einen Zugang zur spirituellen Seelsorge. Es ist der Atem, den Gott uns schenkt. Es benötigt Einübung, das Einverständnis und eine Vorbereitung auf das Hören des Atems, auf das gemeinsame Atmen und das Innewerden des Atems. Ein Bewusstwerden ist wohl nötig, weil der sprechende Mensch selbst seine Sinne auf den Atem richten und sich auf sein Inneres konzentrieren und auf seine Seele hören muss. Bei dieser Übung gehen die Menschen nach innen. Ich frage die Patientin, was sie jetzt spürt. Dazu kann eine Hand auf das Herz und die andere auf den Bauch, die Körpermitte gelegt werden. Das Seufzen17und Tönen ist eine körperbetonte Herangehensweise, die es möglich macht, große Last, innere Anspannung und Emotionen umzuwandeln. Es genügt nach einer Eröffnung des Gesprächs, dies anzusprechen und selbst auszudrücken: »Booh, ist das viel, was Sie hier erleben und zu tragen haben. Seufzen wir zusammen. Seufzen Sie mit mir. Aaaah!« Die meisten Patientinnen gehen hinein in dieses Seufzen, in den Selbstausdruck. Sie schließen sich dieser Form des Heraustönens der belastenden Situation an. Ich lade sie ein, dabei auf ihren Körper zu achten, die angespannten Schultern »mitzunehmen« und diese mit zu entspannen; es hilft, auch die Mimik und Gestik im Gesicht zu beachten und diese mit zu entspannen. Nach vielen Worten kann diese körperbetonte Übung die Patientin entlasten. Sie kann Schweres loslassen und Entspannung fördern. Last wird abgelegt, wird gehört, sie wird mitgetragen von denen, die mitseufzen oder mittönen. Ich habe es immer wieder erlebt, dass Mitpatientinnen im Zimmer spontan mitgeseufzt haben. Seufzen weckt Empathie, fasst das Belastende in einen Ausdruck, und dieser distanziert zugleich das Schwere von mir: es wird außerhalb von mir fassbar, bekommt Raum. Es entsteht ein Raum der Klage. 16 Dies kann seitens der Seelsorger*in von Mitarbeit im Bildungszentrum, das Anbieten von Seminaren bis hin zu kleinen theoretischen Inputs und Impulsen bei Pflegeübergaben und Stationsbesprechungen reichen. 17 Vgl. Henderson, 2005, S. 36 f. In einer Reihe von Basisübungen beschreibt Henderson das Seufzen als eine Übung und hat dieses in einem eigenen Ansatz als »Zapchen Somatics« vorgelegt.

II

172

II

Gundula Goldbach

Das Tönen18 ist etwas schwieriger, doch auch eine geeignete Form zum Selbstausdruck. Es kann das Seufzen weiterführen, Inneres zum Klingen bringen und eine aufhellende Grundstimmung motivieren. Es gibt einige Patientinnen, die gern summen und singen, für sie ist dieser Zugang ganz besonders geeignet. Die Situation der Angst, das Gefühl von Schmerz, Trauer, Verletzung und Kränkung finden Klang und Ausdruck. Emotionen wie Wut, Aggression und Ärger brauchen andere Formen. Sie schreien nach Bewegung und stärkerem Selbstausdruck. Dazu ist es möglich, dass Patientinnen auch im Bett Formen der Erdung und Bewegung im Liegen finden, die es ihnen erlauben, diese Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die Erdung19 ist eine wichtige Voraussetzung dafür, sich selbst zu spüren. Mithilfe der Erdung kann der Mensch seinen Stand im Leben finden, behalten oder behaupten. Bei Frau P. baumeln die Beine über dem Boden. Sie schlendern hin und her, sind unruhig. Sie hängt im wahrsten Sinne des Wortes »in der Luft«. Sie ist nicht geerdet und wirkt so, als ob ihr der Boden unter den Füßen weggezogen ist. Sie kann sich in der Begegnung mit der Seelsorgerin neu aufstellen, sich hinstellen und hin spüren: Wie stehe ich jetzt hier? Welches Gefühl liegt jetzt obenauf? Was hilft mir, den nächsten Schritt zu tun? Sich selbst auf dem Boden zu spüren oder auf dem Boden der Tatsachen anzukommen, ist entscheidend. Es kann helfen, das Gefühlswirrwar zu entflechten und zu einer Selbstklärung zu finden. In der Begegnung kann das ein Thema werden: die Angst vor der Narkose, dem Eingriff, und dem, »was danach mit dem Körper geschieht«, was in der Chemotherapie auf sie zukommt. Die Unsicherheit der Prognose und der Zukunft: welche Folgen und welche Leiden in der Therapie entstehen und wie die Frau damit umgehen kann. Manchmal geht Wut damit einher – oft angedockt an Behandlungswege oder Behandlungsfehler. Kein Wunder, dass solch angespannte Umstände zu angespannten und gereizten Menschen führen. Frau P. im Fallbeispiel sitzt mit angespannten Schultern da. Noch stärker emotional gefordert, psychisch belastet und körperlich angegriffen wirken Frauen, die akut eingeliefert werden. Die Frage ist: Wer oder was hält mich, wenn ich morgen operiert werde? Da ist es gut, sich des Grundes zu vergewissern, der mich im Leben und Sterben hält und trägt. Es geht bei körperorientierter Seelsorge um dieses Ausloten im ganzheitlichen Sinn. Die Erdung ist nicht nur Patientinnen vorbehalten, die aufstehen können und vorstationär sind. Das Grounding20 kann auch von einer im Bett liegenden Patientin geübt und, je nach Befindlichkeit und Zustand, ausgeführt werden. Frau P. kann in der weiteren Seelsorgebegleitung erfahren: Wie nehme ich 18 Vgl. Henderson, 2014. 19 Erdung/Grounding, dazu vgl. Lowen, 2014, S. 19 f. 20 Clauer, 2009, S. 81.

Seelsorge in der Frauenklinik

173

mich jetzt wahr? Wie liege ich hier? Welches Körperteil nehme ich wahr, was liegt im Bett auf? Wo geht heute meine Aufmerksamkeit im Körper besonders hin? Und was verlangt jetzt nach meiner Aufmerksamkeit? Was braucht meine besondere Fürsorge? Was kann ich dafür tun? Worum kann ich im Gebet bitten? Würde mir Gehaltensein guttun? Das Auflegen einer Hand auf eine Körperstelle oder ein Segen? »Was willst du, das ich dir tun soll« (Mk 10,51), fragt Jesus den Kranken und erkundigt sich genau, wie Gottes Heil zum Menschen kommen und konkret heilsam wirken kann. Bewegung und Ausdruck21 können weitergeführt werden, wenn die Patientin sich dazu in der Lage fühlt und selbst daran arbeiten möchte. Nicht jede Patientin möchte an ihrer Aggression arbeiten oder ihre Wut herauslassen. Doch dafür finden sich auch in der Klinik geeignete Mittel und Wege. Ein Handtuch, in das Wut und Ärger hineingewrungen werden können, findet sich überall. Fäuste, die geballt und in eine Geste der Abwehr geformt werden, können Grenzen aufzeigen und Grenzziehungen einüben. Eine Brustkrebspatientin kann auch im Bett mit den Beinen in die Luft schlagen oder kicken.22 Auch die Form der Imagination und Fantasiereise unterstützt den Heilungsprozess und kann in der Seelsorge an onkologischen Patientinnen hinzugezogen werden. Es ist ein probater Weg, der mittlerweile in vielen Klinikzentren und Rehakliniken von Therapeut*innen angewendet oder als Begleitprogramm angeboten wird. Damit Seele, Geist und Leib zu ihrem Ausdruck kommen und wieder in eine Einheit zurückfinden, bedarf es in Zeiten von Krankheit und Krise besonderer Formen des Ausdrucks, der Übung und Imagination. Luise Reddemann23 und Michaela Huber24 haben die Erfahrungen von Traumata dargelegt und Wege im Umgang und in der Behandlung aufgezeigt. Übungen zur Imagination und zur Unterstützung ihrer Kraftquellen können dazukommen. Der Mensch kann, wenn er dazu bereit ist, auf seine Seele, auf sein Inneres hören. Dazu ist 21 Goldbach, 2016, S. 552–554. Diegelmann/Isermann (2011) nehmen Ergebnisse neurobiologischer Hirnforschung auf, die Gerald Hüther vorgelegt hat. 22 Vgl. Abbildungen zu Übungen von Isabelle Michel, Übungen in der Bioenergetik, bei Koemeda-Lutz, 2002, S. 279. 23 Reddemann, 2006. 24 Huber, 2003. Nicht jede Erkrankung ist ein Trauma, nicht jede Krankheit führt in eine Krise. Doch Teile und Anteile davon finden sich immer wieder, in klinischen Situationen wie in akuten Alltagssituationen. Die Belastbarkeit von Menschen in Zeiten der Not und Krise hat abgenommen. Die Haut ist scheinbar dünner geworden. Ich nehme den Ansatz der Körperorientierten Seelsorge auf und verbinde diese mit einer ressourcenorientierten Seelsorge. Das bedeutet, der Kraft der Imagination zu trauen und diese explizit in die Arbeit mit einzubeziehen. In der Seelsorge können in einer Begleitung der Patientin z. B. Fantasiereisen eine zentrale Rolle spielen.

II

174

Gundula Goldbach

es möglich, dass die Person ihren Körper mit einbezieht. Unterstützend kann sie eine Hand beim Atmen zusätzlich auf das Herz und die Körpermitte, den Bauch, legen. »Spüren Sie in Ihr Inneres. Was gibt Ihnen jetzt Kraft, den nächsten Schritt zu gehen?«, frage ich. Die Patientin nimmt einige Atemzüge, hört in sich hinein und äußert spontan, was dann in ihr gedanklich aufsteigt. Oft nennen Patientinnen an erster Stelle Familienmitglieder, den Ehepartner, Kinder, Enkel oder Freund*innen. Danach folgen Hobbys, die die Bewegung und Kreativität fördern: Wandern, Walking, Spazierengehen, Malen, Handarbeiten. Und Aktivitäten, die mit anderen zusammen Freude machen: Singen, Sport machen, mit anderen zusammen, in einem Verein.25 Frauen erwähnen an dritter Stelle oft den Glauben an Gott oder Symbole des Glaubens, die ihnen Kraft geben und Rituale, die sie in ihrer Spiritualität tragen.

II

5  Selbstfürsorge und Selbstannahme Besonders bei Frauen mit Unterleibskrebs, die wiederkehrend in der Klinik sind und eine Rückkehr der Krankheit verkraften und aushalten müssen, ist das Thema Halt und Gehaltensein ein zentrales Thema: Was oder wer gibt mir jetzt Halt und Geborgenheit, wenn ich wieder Chemotherapie habe? Was hilft mir, wenn zum vermehrten Mal die Vagina beschnitten werden muss? Wie kann ich durch die Zeit der Therapie hindurchkommen und mich selbst stabilisieren? Das sind existenzielle und zugleich theologische Kernfragen. Die Seelsorge kann an dieser Stelle die Annahme des Menschen und das Gehaltensein im Glauben vermitteln. Ein großes Thema ist die Selbstannahme und Selbstliebe. Patientinnen nehmen gern Selbstübungen zur Stabilisierung an. Im Fall von Frau P. frage ich die Patientin, ob sie bereit ist eine Übung mit mir zu machen, die ihr jetzt Gehaltensein vermitteln kann. Ich setze mich aufrecht hin mache sie ihr vor: »Sich in die Arme nehmen und wiegen«. Dabei umschlingt die Patientin selbst mit ihren beiden Armen ihre Schultern. Die Hände reichen bis zu den Schulterblättern. Dann beginnt sie, sich leicht nach rechts und links zu drehen und dann im eigenen Rhythmus nach rechts und links zu wiegen.26 25 Frauen beschreiben oft die heilende Kraft der Bewegung in der Schöpfung. Sie wird belebend und erfrischend erlebt. Sie kann inneren Frieden und Ruhe vermitteln. Nicht wenige nennen auch (Haus-)Tiere als Begleitgenossen in ihrem Leben, die in ihnen Gefühle der Verbundenheit, Freundschaft und Anerkennung stärken – und dadurch auch ihr eigenes Ich. 26 Weitere Übungen zur Förderung der Gefühlswahrnehmung und des Gefühlsausdrucks beschreibt Görlitz, 2014, S. 182–223.

Seelsorge in der Frauenklinik

175

Wenn sich größere Zeitfenster für Begleitungen auftun, kann die Seelsorge auch Formen der Imagination einbeziehen. Die Zukunft, die noch aussteht, eine heilvolle Zeit, kann herbeigesehnt werden. Die Patientin kann schon jetzt Anteil daran bekommen, wenn sie davon erzählt: was sie alles tun wird, wenn sie wieder zu Hause ist. Was sie sich wünscht oder erhofft zu tun. Wie sie wieder in Bewegung kommen will nach der Krankheitsphase in der Klinik. Bei diesem Blick auf den Alltag ist es auch möglich moderne Medien mit einzubeziehen. Gerade wenn kein Kontakt zu wichtigen Bezugspersonen gegeben ist, können kleinere Videos oder Aufnahmen aus dem Lebensalltag geliebter Menschen ein Trost und eine Stärkung sein. Sie sind ein Ausdruck der Anteilnahme der Angehörigen und des Freundeskreises. Die darin ausgedrückte Beziehung, das darin versteckte Thema, kann aufgegriffen, gemeinsam angeschaut und gewürdigt werden im Gespräch. Tröstende und stabilisierende Elemente können verstärkt und versteckte Fragen und Gefühle angesprochen werden. Besonders in Zeiten von Krankheit und Krise ist es wichtig, die niederen Emotionen durch die gehobenen Emotionen wie Freude, Glück, Frieden, Seligkeit, Liebe auszugleichen. Gern arbeite ich mit dem Bild einer Waage, in das die schweren Emotionen gelegt werden, die eine Waagschale nach unten ziehen. Doch die gehobenen Emotionen können die Waagschale auf der anderen Seite in ein Gleichgewicht bringen. Sie können die innere Seele wieder in eine Mitte pendeln lassen. Diese Vorstellung ist ein inneres Bild, das im Gebet begleitet, auch der Seelsorgerin hilft, ihren Dienst am Menschen zu tun. Gott wirkt durch Menschen das Gute, das Heilsame und Vollkommene. Im Menschen selbst begegnet uns Christus. Die Vision Jesu, Kranken, Gefangenen, Hungrigen und Durstigen zur Seite zu stehen und ihm dabei selbst zu begegnen, birgt einen ungeheuren Anspruch. Gleichzeitig ist dieser Anspruch und Auftrag zur Seelsorge getragen von der Zusage Jesu: »Ich bin bei euch alle Tage.« (Mt 28,20)27 Vor diesem Hintergrund lotet Seelsorge die Möglichkeiten zur Begleitung aus und nutzt den Zwischenraum. Es lohnt sich, die Raumfragen im Haus der Maximalversorgung mit Klinik- und Kirchenleitung auszuhandeln und selbst immer wieder für geeignete Settings Sorge zu tragen. Gynäkologische Chirurgie braucht Therapie für Körper, Seele und Leib. Dafür steht Seelsorge mit einem ganzheitlichen Konzept im Bereich der Frauenklinik ein.

27 Dieser Begleitung wird sich die Seelsorger*in immer wieder selbst vergewissern und vor Augen stellen. Die Klinik stellt Möglichkeiten zur Seelsorge bereit, gleichzeitig setzt sie starke Grenzen. Handlungsabläufe des Klinikalltags ragen immer wieder in die Seelsorgepraxis hinein. Die Seelsorger*in achtet bei der Begleitung im System Klinik auch auf die ihr zur Verfügung stehenden Kräfte und schützt ihre eigenen Grenzen.

II

Seelsorge in der Onkologie – das Leben neu sehen

Corinna Schmohl

Rein Diagnostisch Betrachtet

II

ein unspezifischer raum fordernder prozess sagt der onkologe rein diagnostisch betrachtet im freien fall der patient absturz ins bodenlose alle haltegriffe stürzen ihrerseits mit in die Tiefe eine unspezifische angst greift um sich ein raum fordernder prozess rein diagnostisch betrachtet1 Es geht ums Überleben. Unabhängig von der medizinischen Prognose wird Krebs subjektiv als höchste Bedrohung bei gleichzeitig schlechtesten Schutzmöglichkeiten wahrgenommen.2 Die Diagnose einer Krebserkrankung bedeutet immer eine Krise für Patient*innen und Nahestehende, die auch schlagartig die spirituelle Suche nach Sinn ins Bewusstsein bringen kann.3

1 Pockrandt, 2008, S. 51. 2 Vgl. Künzler/Znoj/Bargetzi, 2010. 3 Vgl. Schmohl, 2015b.

Seelsorge in der Onkologie

177

1 Fallbeispiel Frau E.4 ist ca. 50 Jahre alt, hat sich bis zur Steuerberaterin weitergebildet und hat einen großen Freundeskreis. Seit einer (nichtonkologischen) Erkrankung vor einigen Jahren geht sie regelmäßig zur Blutuntersuchung zu ihrer Hausärztin. Von dieser erhält sie nach dem letzten Termin einen Anruf: »Ihre Blutwerte sind alarmierend schlecht« und wird zum Radiologen geschickt. Von ihm hört die Patientin: »In Ihrer Gebärmutter ist etwas, was da nicht hingehört, und Sie haben Metastasen in der Lunge.« Wenige Tage später erfolgt die entsprechende gynäkologische Operation, kurz darauf wird eine Nachoperation notwendig, außerdem wird stationär mit einer Chemotherapie begonnen. Im weiteren Verlauf wird die Patientin wegen Atemnot (Dyspnoe), Appetitlosigkeit und quälender Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue) auf der Palliativeinheit aufgenommen – sie leidet inzwischen zusätzlich u. a. an Beinödemen und einer Wundheilungsstörung der Operationsnarbe. Sie wird etwas mehr als drei Wochen lang weiter behandelt und kann anschließend nach Hause entlassen werden. Sie erhält dort ambulante Unterstützung und kommt nun regelmäßig zur ambulanten Chemotherapie ins Krankenhaus. Das Gespräch findet beim von der Seelsorgerin organisierten und begleiteten monatlichen Patientencafé der Palliativeinheit statt, zu dem die Patientin zu Besuch kommt und einen Kuchen mitbringt. Sie erinnert sich an einen Besuch der Seelsorgerin in den Tagen nach der Operation (P: Patientin, S: Seelsorgerin): P1: »Ich weiß, dass Sie da waren. Aber da war ich völlig außer mir und neben mir. Ich habe kaum noch etwas um mich herum mitbekommen. Die Diagnose war ein Schock – und dann ging alles so schnell. Ich habe völlig den Boden unter den Füßen verloren, ich war wie im freien Fall. […] Und dann die Scham. Und diese Hilflosigkeit. Bei der OP liegt man ja im gyn. Stuhl. Das Gefühl ist furchtbar. Bei der zweiten OP hatte ich dann schon jede Scham verloren. Es ging mir so schlecht. Irgendwann ist dann auch alles egal. Auch was die Ärzte sagen. Ich habe nur noch gesagt: »Ja, ja.« Trotz der OP ist es mit der Atmung immer schlechter geworden und die Metastasen in der Lunge sind gewachsen, in der kurzen Zeit. Dann hat man gleich mit der Chemotherapie angefangen. Die war so stark, da bin ich fast gestorben, gleich beim ersten Mal. Ich war so schwach, ich konnte gar nichts tun. Es ist so schrecklich, wenn man um alles bitten muss. […] Sich nicht allein waschen können, gar nichts. Das ist so demütigend. […] 4 Die Patientin hat der Veröffentlichung in diesem Beitrag zugestimmt.

II

178

II

Corinna Schmohl

Gesagt, was los ist, hat man mir letztlich zwischen Tür und Angel – weil ich gefragt habe. Vorher gab es nur Andeutungen, kein richtiges Gespräch. Aber das meiste habe ich mir schon selbst richtig zusammengereimt. Da habe ich schon selbst überlegt, mir einen Hospizplatz zu organisieren. […] So war es für mich. Wenn Sie die Ärzte fragen, die würden Ihnen vermutlich die Geschichte ganz anders erzählen. Wahrscheinlich würden sie sagen, dass sie sich doch Zeit genommen haben. Aber für mich war das einfach zu wenig. […] Zum Glück ist dann ein Bett auf der Palliativstation freigeworden. Die erste Anfrage für den Wechsel auf die Palliativstation habe ich abgelehnt. Erst das Gespräch mit einer lieben Krankenschwester der Frauenstation und mit der Stationsärztin der Palliativstation konnten mich überzeugen. Ich habe gedacht, ich überlebe die Nacht nicht. Ich wollte auch wirklich sterben. Meine Familie hat auch gedacht, dass ich sterbe, die waren bis abends da. Die Schwester E. und die Schwester C. haben sie dann heimgeschickt. Zu mir haben sie gesagt: »Sie wachen morgen früh wieder auf.« Ich habe gedacht, ich sterbe in dieser Nacht. Dann habe ich am nächsten Tag die Augen aufgemacht und wusste erst nicht – [Pause]« S1: »Bin ich noch hier oder schon in einer anderen Welt?« P2: »Ja, genau. Ich habe wirklich gedacht, dass ich diese Nacht nicht überlebe. Ich war so schwach. Aber hier habe ich richtig gute Unterstützung bekommen, auch viele Gespräche, auch mit den Ärztinnen, und die zweite Chemo auch viel besser vertragen. […] Und ich hatte auch richtig Schiss vor der Entlassung nach Hause. […] Aber jetzt geht es gut, ich bekomme Hilfe zu Hause. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich hier lebend rauskomme, backe ich einen Kuchen und bringe ihn her. Hier habe ich eine Onkologin gefunden, der ich vertraue. Eigentlich wollte ich, dass sie mich weiter behandelt. Aber das geht nicht, wegen der Abrechnung […]. Das regt mich auf. Aber inzwischen fühle ich mich auch in der ambulanten Chemotherapie der Frauenklinik gut betreut. Ich bekomme die Chemo in abgeschwächter Form, d. h. wöchentlich und nicht alle drei Wochen. Im Moment geht es mir gut. Ich kenne meine Krankheitssituation. Ich weiß, wo es hingeht. Man kann nicht erwarten, dass alle gut damit zurechtkommen, Freunde, Familie. Das kann man nicht erwarten. Es gibt trotzdem viele, die zu mir halten.« S2: »Sie haben jetzt einen anderen Blick aufs Leben?« P3: »Ja, genau. Karriere …! Jetzt sehe ich das Leben neu und genieße jeden Tag. Ich freue mich, wenn ich für andere etwas backen kann und es den anderen schmeckt. Es ist toll, draußen zu sitzen in der Natur und mit Freunden zusammen zu sein. Das ist jetzt viel wichtiger. Ich bin schon immer aufgefallen – groß und dick – und die Leute haben in der Stadt geschaut. Jetzt habe ich halt auch noch Glatze.« […]

Seelsorge in der Onkologie

179

Einige Wochen später fühlt sich die Patientin so gut, dass sie den Plan fasst, nach Abschluss der Chemotherapie wieder arbeiten zu gehen: »Zwar nicht mehr Vollzeit, aber es fehlt mir einfach auch der Umtrieb mit den Mandanten und mit manchen Kollegen.«

2  Behandlungsformen auf der Onkologie Onkologie ist das Teilgebiet der Inneren Medizin, das sich mit der Entstehung und Behandlung von Tumoren und tumorbedingten Erkrankungen beschäftigt.5 Im Jahr 2013 erkrankten in Deutschland circa 253.000 Männer und circa 230.000 Frauen an Krebs.6 Für 2020 wird (in absoluten Zahlen und unter Vorrausetzung gleichbleibender Erkrankungsraten) ein Anstieg der Neuerkrankungen um 7 % bei Frauen und 12 % bei Männern prognostiziert,7 wobei die Steigerung insgesamt hauptsächlich auf die steigende Lebenserwartung und die Zunahme des Anteils älterer Menschen in der Gesamtbevölkerung zurückgeführt wird.8 Gleichzeitig ist die Sterblichkeit an Krebserkrankungen seit Anfang der 1990er-Jahre deutlich gesunken.9 Bei gleichbleibender Inzidenz leben Patient*innen heute länger (Fegg et al., 2015),10 sterben aber in sozioökonomisch schwächeren Regionen früher.11 Die Behandlung erfolgt in der Regel zunächst durch Stahl und Strahl. Vor allem bei akuten Leukämien und bestimmten Lymphomen kann eine Chemotherapie kurativ eingesetzt werden, d. h., dass die Behandlung mit dem Ziel der Heilung durchgeführt wird.      5 Vgl. World Health Organization, o. J.      6 Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016a: Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut, 2016, S. 21–23.      7 Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut, 2016a, S. 22.24.      8 Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut, 2016a, S. 22. Die mittlere Lebenserwartung bei Männern ist (bei Geburt) seit 1986/88 bis 2012/14 um + 6,4 Jahre gegenüber den Frauen (+ 5 Jahre) gestiegen. Außerdem führten die Auswirkungen der Kriegsereignisse im 20. Jahrhundert bei den männlichen Geburtsjahrgängen bis circa 1925 zu einem zusätzlichen zahlenmäßigen Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in den höheren Altersgruppen. Der stärkere Anstieg der Neuerkrankungen bei Männern wird mit diesen Veränderungen in der Altersstruktur der männlichen Bevölkerung begründet, vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut, 2016a, S. 24.25.      9 Vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut, 2016a; Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut, 2016b. 10 Vgl. Fegg/Lehner/Simon/Gomes/Higginson/Bausewein, 2015. 11 Vgl. Lampert/Richter/Schneider/Pallek/Dragano, 2016.

II

180

II

Corinna Schmohl

Eine weitere Anwendungsform antineoplastischer Arzneimittel ist die adjuvante Therapie. Hier werden die Medikamente unterstützend zu einer operativen oder Strahlentherapie eingesetzt, z. B. um vor einer Operation (neoadjuvante Therapie) die Tumormasse zu verkleinern oder nach einer Operation bzw. Bestrahlung zu verhindern, dass aus kleinen, bis dahin nicht nachweisbaren Tumorabsiedlungen der Tumor erneut nachwächst. Adjuvante Therapien spielen eine wichtige Rolle bei den häufigsten Tumoren: Brust-, Darm- und Lungenkrebs. Antineoplastische Arzneimittel werden außerdem bei vielen Krebserkrankungen, vor allem in fortgeschrittenen Stadien, palliativ eingesetzt. Ziel der Behandlung ist es dann, die Lebenszeit zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern.12 Brust- und Prostatakrebs sind die häufigsten Krebserkrankungen, die über längere Zeit ambulant behandelt werden.13 Durch die endokrine Therapie (zytostatische Hormone) wird entweder die Wirkung von körpereigenen Estro­genen bei Brustkrebs oder von Androgenen bei Prostatakrebs gehemmt und so das Wachstum von Tumorzellen unterdrückt.14 Immuntherapie (als Sammelbegriff für unterschiedliche Konzepte in der Behandlung des Immunsystems) wird derzeit mit besonderem Interesse verfolgt, da die Dauer des Ansprechens auf die Behandlung deutlich länger ist als bei einer Chemotherapie;15 Immuntherapie kann in Chemotherapie-refrak­tären Situationen wirken,16 wobei das Ansprechen von Tumoren unterschiedlich ist,17 eine Prognose ggf. nur schwierig zu stellen sein kann und auch Nachteile für die Patient*innen möglich sind:18 Die Komplexität der Onkologie hat deutlich zugenommen. Trotz des enorm gestiegenen Wissens bleibt die Toxizität der eingesetzten Arzneimittel bestehen. Die Behandlungen führen zu neuen, anderen, subtileren Nebenwirkungen mit der Folge, dass Patient*innen zwar geheilt, aber nicht gesund sind. Teilweise können Patient*innen in den Zustand einer Langzeitkontrolle gebracht werden; in der medizinischen Forschung wird beobachtet, ob diese mit einer Heilung gleichgesetzt werden kann. In anderen Fällen führt die Erkrankung auch bei jungen Patient*innen trotz intensiver Therapien innerhalb weniger Monate zum Tod. Die Übergänge sind 12 13 14 15 16 17 18

IGES Arzneimittel-Atlas, 2019b. IGES Arzneimittel-Atlas, 2019b. IGES Arzneimittel-Atlas, 2019a. IGES Arzneimittel-Atlas, 2019c; Frickenhofen, 2018. Frickenhofen, 2018, Folie 31. Frickenhofen, 2018, Folie 16. Frickenhofen, 2018, Folie 34.

Seelsorge in der Onkologie

181

fließend und der zeitliche Abstand zur Erstdiagnose ist nicht ausschlaggebend für die Frage, ob es sich um eine palliative Situation handelt. Wie viele an Krebs erkrankte Menschen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung fünf Jahre nach der Diagnose ihrer Krebserkrankung noch leben, beschreiben die relativen 5-Jahres-Überlebensraten. Diese reichen von über 90 % für das maligne Melanom der Haut, den Hodenkrebs und den Prostatakrebs, bis hin zu Überlebensraten von unter 20 % bei Lungen-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie beim Mesotheliom.19 In der klinischen Onkologie werden Therapieentscheidungen in der Regel weiterhin auf der Basis der Informationen aus den feingeweblichen Untersuchungen mikroskopischer Gewebsschnitte (Histologie) und der Bildgebung getroffen. Die Möglichkeit, Veränderungen im Blut zu erkennen, ist tumorabhängig. Manche Erkrankungen sind sehr gut diagnostizierbar, z. B. die Akute Myeloische Leukämie (AML). Vor allem junge Patient*innen konnten hier von therapeutischen Fortschritten profitieren, während die Prognose der über 70bis 75-jährigen älteren Erkrankten unverändert schlecht blieb:20 Medizinisch kann man kann man oft besser eine Prognose stellen, als den Patient*innen helfen. Das Alter der Erkrankten spielt eine große Rolle dafür, ob eine Remission erreicht werden kann oder diese unter der Therapie versterben,21 z. B. ist eine allogene Stammzelltransplantation derzeit bis zum ca. 70. Lebensjahr möglich. Außerdem sind der Typus der Krebserkrankung, das Erkrankungsstadium, in dem die Krankheit diagnostiziert wird und weitere Faktoren für die Über­ lebenschancen der Betroffenen wesentlich.22 Man weiß, dass die immunologische Konzeption des Gewebes sehr unterschiedlich ist und Tumore sehr heterogen sind. Infolgedessen wird daran gearbeitet, die molekulare und immunologische Situation besser zu verstehen: Es besteht ein anhaltender Paradigmenwechsel zur molekularen Pathologie.23 Es gibt aber noch lange keine personalisierte Therapie,24 die den Patient*innen unnötige Behandlungen ersparen würde; die Rate der Übertherapie beim Dickdarmkrebs (Colon-Carcinom) liegt derzeit bei 90 %.25

19 20 21 22 23 24 25

Vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten, 2017. Vgl. Röllig/Beelen/Braess/Greil/Niederwieser/Passweg/Reinhardt/Schlenk, 2018. Vgl. Jäger, 2017. Vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut, 2016b, S. 3. Vgl. Schirmacher, 2017. Vgl. Müller-Tidow, 2017. Vgl. auch: Schleidgen/Thiersch/Wuerstlein/Marckmann, 2017. Vgl. Jäger, 2017.

II

182

Corinna Schmohl

Einige Betroffene benötigen zur Überbrückung von Krisen bereits zu einem frühen Zeitpunkt palliative Interventionen in einem Zeitraum von mehreren Jahren, Wochen oder Tagen, die meisten nur in weit fortgeschrittenen Krankheitsstadien.26

3  Ambivalenzen aushalten

II

In dem Moment, in dem eine Krebsdiagnose ausgesprochen wird, stürzen die Betroffenen (unfreiwillig) »aus der normalen Wirklichkeit«27. Die subjektive Wahrnehmung von Wirklichkeit der Patient*innen und ihrer An- und Zugehörigen ändert sich radikal. Für sie ist die Normalität infrage gestellt, nicht zuletzt durch eine – nicht immer zugelassene – Angst vor einer Unheilbarkeit der Erkrankung. Vor allem direkt nach der Diagnose gibt es deutliche Einbrüche im psychischen und spirituellen Erleben.28 Die Kommunikation zwischen den Erkrankten und den Nichtbetroffenen wird oft sehr erschwert, weil letztere in der normalen Wirklichkeit weiterleben.29 Aus der Perspektive der Betroffenen gehören auch die behandelnden Ärzt*innen bzw. das Behandlungsteam zur Welt der Gesunden.30 Es ist auch insofern wesentlich, dies in der Begleitung zu berücksichtigen, als Betroffene zunehmend selbst zu ihrer Erkrankung recherchieren, was im Medizinsystem, der ärzt­lichen Wahrnehmung, nicht selten als »gefühlter Anspruch auf Heilung« wahrgenommen und als besondere Herausforderung erlebt wird.31 Eine Krebserkrankung ist immer eine interdisziplinäre Fragestellung. Gerade in der medizinischen Behandlung und Begleitung onkologischer Patient*innen wird inzwischen auch bei einer kurativen Zielsetzung empfohlen, palliativmedizinische Aspekte in die interdisziplinären Beratungen mit einzubeziehen, ggf. auch bei Gesprächen mit den Patient*innen. Das Ziel ist in diesem Kontext die Verringerung der Symptomlast, die z. T. mit kurativen Maßnahmen einhergeht. Dennoch fehlen derzeit weithin ärztliche Palliativgespräche bei Behandlungsbeginn. Fragen der Aufklärung sind, auch wenn es bei weitem nicht immer

26 Vgl. Radbruch/Payne, 2011, übersetzt von Buche/Schmidlin/Jünger, 2011. 27 Gerdes, 1986. 28 Vgl. Roser, 2015a, S. 31. 29 Künzler et al., 2010. 30 Vgl. Schmohl, 2015a, S. 134–139. 141. 31 Anders: Dobos/Kümmel, 2011.

Seelsorge in der Onkologie

183

darum geht, bereits bei der Diagnosestellung über ein bevorstehendes nahes Sterben sprechen zu müssen, im Stationsalltag weiterhin oft ein großes Problem. Der von Patient*innen nicht selten bereits im ärztlichen Erstgespräch bei der Diagnosestellung als Spontanreaktion geäußerte Wunsch nach Tötung auf Verlangen bzw. Suizidgedanken hängen zusammen mit Sinnverlust, Depression und Hoffnungslosigkeit.32 Es kommt vor, dass selbst junge Patient*innen mit guten Heilungschancen und Gesprächen, die durch fachlich und kommunikativ hervorragend qualifizierte, erfahrene und empathische Ärzt*innen geführt werden, die Behandlung (zunächst oder auch dauerhaft) verweigern. Der Wunsch nach einem schnellen Ende wird in Phasen formuliert, in denen sich Patient*innen »dem Würgegriff der Krankheit ausgeliefert«33 fühlen. Häufig stellt sich im Seelsorgegespräch deshalb zunächst die Aufgabe, diese Belastungen zu bearbeiten, Ambivalenzen zu klären, gefühlte von tatsächlicher Aussichtslosigkeit unterscheiden zu helfen. Sehr belastet sind auch die Angehörigen, die sich oft in der Doppelrolle als Unterstützungspersonen und als gleichzeitig von der Krankheit mit betroffenen Menschen erleben. Ein Teil des Krankheitsprozesses ist immer schicksalhaft, sowohl in der Entstehung der Erkrankung als auch im weiteren Verlauf, der von den Patient*innen nur bedingt mit gestaltet werden kann.34 Es geht um Lebensfragen, von denen nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen sind. Seelsorge bedeutet hier zunächst: Patient*innen, Zugehörige, Mitglieder im Behandlungsteam, nicht allein zu lassen. Die Frage nach dem Warum, Schuld und Schuldgefühle, das Gottesbild der Patient*innen und Angehörigen, die Frage: »Was kommt nach dem Tod« sind zentrale theologische Gesprächsthemen.

4  Herausforderungen für alle Beteiligten Im Krankheitsverlauf können immer wieder Phasen erneuter Krankheitsaktivität, Progredienz (Fortschreiten der Erkrankung) oder akute Komplikationen auftreten,35 die von den Betroffenen entsprechend ihrer jeweiligen »individuellen Wirklichkeit«36 unterschiedlich erlebt werden. Es kann zu schwierigen Entscheidungskonflikten kommen (Lebensqualität vs. Überlebensdauer), die die Patient*innen oft intensiv beschäftigen. Entsprechend sind der Begleitungsbe32 33 34 35 36

Vgl. Schmohl, 2015a, S. 142. Roser, 2015a, S. 34. Vgl. Tirier, 2003. Vgl. Fegg, 2004. Fegg, 2004, S. 15.

II

184

Corinna Schmohl

darf und die in der jeweiligen Krankheitsphase relevanten Themen sehr unterschiedlich. Harald Stiller hat beobachtet: »Wer sich auf Begleitung und Seelsorge von KrebspatientInnen einläßt, wird zunächst diese Unsicherheit zwischen ›Tauen und Gefrieren‹ in einer Häufigkeit erleben, wie sie bei kaum einem anderen Krankheitsbild zu finden ist. Mit der Diagnosestellung beginnend, ist es eine immerwährende Ambivalenz von Hoffen und Bangen, von Freude und Enttäuschung, von Besserung und Rückfall, von schmerzvoll und schmerzfrei, von Sicherheit und Unsicherheit, von ›Leben auf Sparflamme und Leben in vollen Zügen‹, von objektiver Wahrheit der Diagnose und Deutung durch die Medizin und aller im kleineren und größeren Umfeld betroffenen therapeutischen Dienste bis hin zu den Angehörigen.«37

II

Die Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patient*innen bleibt ein wunder Punkt: »Das fängt schon damit an, dass manche Mediziner Hemmungen haben, Begriffe wie Krebs, Metastase, Unheilbarkeit überhaupt in den Mund zu nehmen. Sie sprechen auch nicht gern über die Auswirkungen der Krankheit auf Familie und Beruf oder gar das Sexualleben.«38 Umso wichtiger ist es, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger bereit und in der Lage sind, diese Themen sowohl selbst aktiv anzusprechen als auch (nonverbale) Signale aufzugreifen. Patient*innen sind dankbar für einen Gesprächsbeginn, den sie nicht selbst wagen, insbesondere in allen Fragen, die mit der Veränderung des Körperbildes durch Operationen und Chemotherapien entstehen und häufig als sehr belastend und schambesetzt erlebt werden, gerade von jungen Patient*innen: Wo darf der 18-jährige sagen, dass er sich um sein erstes Mal betrogen fühlt? Mit wem kann die junge Frau, die ihren Lebenspartner noch sucht, mit der Familienplanung noch gar nicht begonnen hatte, besprechen, was es in ihr auslöst, wenn der Humangenetiker ihr vorsorglich eine Totaloperation empfiehlt? Wie erleben betagte Menschen ihre Situation, die von altersbedingtem Verfall ihrer Kräfte betroffen sind, z. B. neben einer Demenz zusätzlich von einer Krebserkrankung? Was bedeutet es, in fortgeschrittenem Krankheitsstadium für onkologische Patient*innen, gleichzeitig den dementen Partner zu pflegen? 37 Stiller, 2013, S. 118. 38 Aerzteblatt.de, 2011, S. 1. Vgl. Wasner/Stahn/Roser, 2008, S. 147; Roser, 2016a.

Seelsorge in der Onkologie

185

Steht angesichts der Symptomlast die Sehnsucht nach Erlösung (von Schmerzen) im Vordergrund?39 Geht es darum, durch den Tod dem Leid zu entkommen oder geht es (auch) um annäherungsorientierte Akzeptanz des Todes, der als Beginn eines neuen Lebens oder einer Vereinigung mit Gott gesehen wird?40 Häufig bricht mit der Krebsdiagnose eine spirituelle Suche auf, die sich bei manchen mehr auf die Frage nach Hoffnung oder Transzendenz richtet, während für andere die Sinnfrage ins Zentrum rückt. Nicht unbedingt geht es dabei um eine bewusste Suche nach Gott. Manchmal ist es eher eine Suche nach der individuellen Verbindung »mit dem Geheimnis des Lebens«41. In ihren Auswirkungen nicht zur unterschätzen ist die teilweise enorme Schwäche (Fatigue) der Erkrankten, die dennoch oft mit letzter Kraft versuchen, lange aufgeschobene Lebens- und Glaubensfragen (erstmals) zu klären. Auch für den Bereich onkologischer Erkrankungen ist erhellend, was Gerald Hüther im Zusammenhang demenzieller Erkrankungen benennt: »Uns […] fällt die Entscheidung, wofür wir leben wollen, enorm schwer. Sie passt nicht in unsere bunte Lebenswelt […]. Wer jedoch weiß, wohin er will, lässt sich nicht mehr so leicht vom Weg abbringen. […] Deshalb ist die Frage nach der Sinngebung des eigenen Daseins in unserem Kulturkreis zu einem Tabu geworden. […] Aber indem wir dieser Frage ausweichen, geraten wir in Gefahr, in unserem Leben die Orientierung zu verlieren.«42 Ein großer Teil der Patient*innen fühlt sich von der Krankheit so stark bedroht, dass die Angst auch das krankheitsfreie Leben dominiert, unabhängig von der verstrichenen Zeit seit der Diagnosestellung. Auch bei denen, die geheilt werden oder langjährige Remissionen erleben, bleibt häufig ein Gefühl von »Desillusionierung der normalen Wirklichkeit«43 zurück und ein tiefes Bedürfnis nach Sinngebung.44 Ein dramatisch verändertes Bewusstsein der Endlichkeit des Lebens ist eine der auffallendsten Veränderungen.45 Wenn die bisherige Wirklichkeitskonstruktion zerbricht, kann der psychische Schock zu einer radikalen Neubestimmung der Prioritäten und Handlungsmöglichkeiten führen. Das Thema Tod ist in vielfachen Andeutungen der Patient*innen immer präsent. 39 Vgl. Schmidt-Rost, 1986. 40 Vgl. Roser, 2012. 41 Weiher, 2014. 42 Hüther, 2017, S. 109–110. 43 Gerdes, 1986, S. 29. 44 Stolberg, 2011. 45 Vgl. Künzler et al., 2010.

II

186

II

Corinna Schmohl

Seelsorge beginnt mit der Wahrnehmung der Ambivalenz.46 Die Ausdrucksfähigkeit vieler Menschen ist, zumal auf der Gefühlsebene und insbesondere auf dem Gebiet der Religion, in spirituellen Fragen sehr begrenzt. Vielfach schweigen Patient*innen, weil sie spüren oder befürchten, dass sie das, was sie beschäftigt, was sie empfinden, nicht adäquat ausdrücken können.47 Nicht selten verstummen Patient*innen scheinbar plötzlich aus innerer Verzweiflung heraus. Wahrnehmungsfähigkeit und Ermutigung sind daher wichtige Kompetenzen der Seelsorger*innen, damit existenzielle Ängste, Verlusterfahrungen, Gefühle der Sinnlosigkeit, des spirituellen Schmerzes und ungelöste religiöse Fragen zur Sprache gebracht werden können.48 Es kann für unsere Tätigkeit hilfreich sein, Kompetenzen psychotherapeutischer Gesprächsführung zu erwerben. In den ersten Gesprächen wird es immer um Wahrnehmung der krankheitsbedingten Veränderungen gehen: Wie kam es zur Diagnose? Was hat die Erkrankung genommen oder evtl. auch neu ermöglicht? Häufig lässt sich eine Instabilität in der psychischen Verfassung beobachten, die Teil des Krankheitsverlaufs ist. Selbsterkenntnis und Selbstkompetenz werden in der existenziellen Beantwortung der Frage nach dem Wozu gestärkt, die mit dem Fortschreiten der Erkrankung an Bedeutung gewinnt: Wer bin ich? Mag ich mich? Wer möchte ich am Ende geworden sein?49 Seelsorge bedeutet, um das Geheimnis des Lebens zu wissen. Seelsorge ist Da-Sein und Aushalten der Situation ohne Machbarkeitsfantasien und ohne Verdrängung von Krankheit und Leid. Für die theologische Seelsorge ist es wesentlich, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger selbst ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass die Umstellung auf tiefgreifende Veränderungen des Daseins und die damit häufig verbundene Auseinandersetzung mit Sterben und Tod ein Prozess ist, der in allen Dimensionen der Existenz Zeit erfordert und sich darüber klar zu sein, dass Rituale einen wesentlichen Anteil daran haben können, geistliches Wachstum zu befördern. Aus Sicht der Autorin ist der Schmerz über die Endlichkeit des Lebens das übersehene, teilweise bewusste, teilweise unbewusste innerste Motiv des Leidens. Wenn diese Dimension nicht beachtet wird, kann es immer wieder vorkommen, dass auch mit bester Schmerztherapie keine Schmerzlinderung erreicht werden kann. 46 Vgl. dazu den Bericht einer behandelnden Ärztin, einer Patientin (Pfarrerin) und ihres Mannes (Theologieprofessor): Lazar/Oechslen/Jörgensen, 2017. 47 Vgl. Schmohl, 2015c. 48 Vgl. Schmohl, 2017. 49 Vgl. Oechsle, 2011.

Seelsorge in der Onkologie

187

Wenn eine Begleitung gelingt, kann sie Betroffene in der Wahrnehmung unterstützen, den »Raum des Menschlichen und Lebendigen in seiner wahren Tiefe vielleicht jetzt erst überhaupt zu betreten«50. Dazu bedarf es hervorragend qualifizierter Persönlichkeiten.

5 Leitsätze Häufig bricht mit der Krebsdiagnose eine spirituelle Suche auf, die sich bei manchen mehr auf die Frage nach Hoffnung oder Transzendenz richtet, während für andere die Sinnfrage ins Zentrum rückt. Damit das Leiden unter existenziellen Ängsten, Gefühlen der Sinnlosigkeit, des spirituellen Schmerzes und ungelösten religiösen Fragen zur Sprache gebracht werden kann, sind Haltung, Ausstrahlung und Wahrnehmungsfähigkeit der Seelsorger*innen wesentlich.

50 Gerdes, 1986, S. 34.

II

Seelsorge in der Geriatrie

Johannes Albrecht

II

»Du bist ein Gott, der mich sieht!« Menschen, die nicht nur alt, sondern auch gebrechlich geworden sind, geraten oft schnell aus dem Blick der Gesellschaft. Sie können sich nicht mehr selbst in Szene setzen und dafür sorgen, dass sie vorkommen. Wenn sie in den Blick genommen werden, ist es häufig in der Fokussierung auf Störungen und Einschränkungen, die es zu beheben gilt oder auf die zumindest zu reagieren ist. Seelsorge und Spiritual Care können in der Geriatrie helfen, dass Menschen mit ihren wesentlichen Lebens­dimensionen gesehen werden, sich gesehen fühlen und gesehen bleiben.

1  Frau Em. Jeden Mittwoch sitzt sie bei mir im Gottesdienst im Pflegeheim in der 1. Reihe – im Rollstuhl, leuchtende Augen. Sie nimmt mit großer Aufmerksamkeit teil, hält Blickkontakt, bedankt sich beim persönlichen Zuspruch zum Abschied immer sehr bedächtig. Ich freue mich jedes Mal, sie zu sehen. Solche konzentrierte Aufmerksamkeit im Gottesdienst ist mir in 18 Jahren Dorfpfarramt selten zuteil geworden. Nach und nach erst lerne ich die Bewohner*innen im Heim näher kennen. Nach Monaten spreche ich Frau Em. im Wohnbereich an: »Frau Em., ich freue mich immer, Sie im Gottesdienst zu sehen.« »Ja«, sagt sie und wirkt ein wenig nachdenklich. »Das wird nicht einfach – ich muss jetzt meine Eltern zu mir nehmen …« Frau Em. ist damals 88 Jahre alt. Ich habe über viele Monate im Gottesdienst ihre weit fortgeschrittene demenzielle Erkrankung nicht bemerkt.

Seelsorge in der Geriatrie

189

2  Geriatrie als medizinisches Fachgebiet1 »Geriatrie, auch bekannt als Altersmedizin, ist die Lehre von den Krankheiten des alternden Menschen. In den meisten europäischen Ländern ist die Geriatrie ein eigenständiges Fach oder ein Schwerpunkt in der Inneren Medizin. In Deutschland steckt sie noch in den Anfängen: Bisher ist sie als Schwerpunkt in der Inneren Medizin in drei Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt) anerkannt.« Der Bundesverband Geriatrie hat im November 2018 nach mehrjähriger Arbeit sein Bundesweites Geriatriekonzept vorgelegt.2 Die Diskussion um den Facharzt ist im Gange. Die Bedeutung dieses Fachgebietes wird klar, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung weiterhin stetig steigt und dass auch aufgrund der anhaltend niedrigen Geburtenrate der Anteil alter und hochaltriger Menschen an der Gesamtbevölkerung wächst. So verwundert es nicht, dass die Geriatrie nach der Kardiologie mittlerweile über die zweitgrößte Anzahl von spezialisierten internistischen Betten in deutschen Krankenhäusern verfügt. Geriatrische Patienten sind in der Regel über 70 Jahre alt. Viele geriatrische Patienten sind mehrfacherkrankt, haben neben einer Akuterkrankung gleichzeitig auch ein oder mehrere chronische Leiden. Neben Erkrankungen, die eine gute Heilungschance oder Chance auf Verbesserung haben, bringen Patienten gleichzeitig Krankheiten mit, die nicht (mehr) geheilt werden können. Hier geht es dann um Linderung belastender Symptome, sowie Verbesserung oder wenigstens Wahrung und Sicherung von Lebensqualität. Kurative und palliative Behandlungsansätze sind dabei oft eng miteinander verschränkt. Die Behandlung wird dadurch erschwert, dass betagte Patientinnen und Patienten auf unterschiedliche Auslöser häufig mit ähnlichen Mustern reagieren. »Diese werden als geriatrische Krankheitszeichen (Syndrome) bezeichnet, zum Beispiel Sturz und Immobilität, Inkontinenz, Mangelernährung, Verlust von Muskelmasse, Gebrechlichkeit, Austrocknung […] chronischer Schmerz und anderes mehr.« Spezifische Krankheitserscheinungen können dabei oft nicht gezielt behandelt werden.

1

Zitate und Inhalt des Abschnittes entstammen der Selbstauskunft der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie e. V. (DGG) (o. J.). 2 https://www.bv-geriatrie.de/politik-recht/bundesweites-geriatriekonzept.html

II

190

Johannes Albrecht

»Eine Behandlung muss sowohl die Auslöser, aber auch die Reaktionen der verschiedenen Organsysteme im Kontext der Mehrfacherkrankungen berücksichtigen. Dazu ist es notwendig abzuwägen, welche Krankheiten tatsächlich mit Medikamenten behandelt werden sollten, um so wenige Nebenwirkungen wie möglich zu erzeugen.« Zu den medikamentösen Behandlungen kommen »nicht-medikamentöse Therapieformen wie Krankengymnastik, Ergotherapie, Sprach- und Schlucktherapie sowie soziale Maßnahmen« hinzu. Geriatrische Behandlung ist damit per se multiprofessionell.3

II

3 Geriatrie als System geriatrischer Einrichtungen und Angebote Zum Bereich der Geriatrie zählen: ȤȤ Krankenhausbereich (akut und rehabilitativ): geriatrisches Fachkrankenhaus, geriatrische Fachabteilung, geriatrische Konsiliardienste, geriatrische Rehabilitationsklinik4 ȤȤ geriatrische Tagesklinik ȤȤ teilstationäre und mobile Rehabilitation ȤȤ stationäre Altenpflege/Altenhilfe (vollstationär als Pflegeheim, teilstationär als Tagespflege, temporär als Kurzzeitpflege) ȤȤ betreute Wohnformen (häufig als sogenanntes Servicewohnen im Verbund mit stationären Pflegeeinrichtungen) ȤȤ niedergelassene Ärzte (teilweise in Schwerpunktpraxen) ȤȤ niedergelassene Therapeuten (Physiotherapie, Ergotherapie, Logotherapie u. a.) ȤȤ ambulante Pflege zur Betreuung in der Häuslichkeit ȤȤ geriatrische Beratungsangebote Durch diese Struktur ist Geriatrie herausgefordert, sich immer einen sektorenübergreifenden Blick zu bewahren und mit einem möglichst hohen Vernetzungsgrad zu agieren. 3 Die DGG ist jedoch bislang keine multiprofessionelle Fachgesellschaft. Sie steht derzeit nur Ärzt*innen offen. 4 Darüber hinaus befinden sich viele geriatrische Patienten in anderen Fachabteilungen der Krankenhäuser, je nach Krankheitsbild und dem in der Behandlung federführenden Fachbereich.

Seelsorge in der Geriatrie

191

4  Verortung der Seelsorge in der Geriatrie

4.1  Konzeptionelle Verortung der Seelsorge in der Geriatrie Nach Selbstauskunft der Fachgesellschaft (DGG–Website) und in der geriatrischen Fachliteratur besteht weitestgehende Einigkeit, dass geriatrische Behandlung einen ganzheitlichen Ansatz folgt und ein multiprofessionelles Setting erfordert. Ein durchgängiger Konsens jedoch darüber, was Ganzheitlichkeit sei oder ausmacht, ist nicht erkennbar. Der Fokus liegt meist auf der Berücksichtigung des Zusammenspiels physischer, psychischer und sozialer Lebensdimensionen. Existenzielle und spirituelle Aspekte finden in den Geriatriekonzepten eher selten Erwähnung.5 Seelsorge wird in der geriatrischen Fachliteratur zuweilen unter dem Aspekt der Multiprofessionalität genannt (in der Aufzählung der Berufsgruppen), die weitere Darstellung folgt jedoch dann dem klassischen Muster. Seelsorge kommt von außen und wird bei Bedarf hinzugezogen.6 Sie ist eher ein zusätzliches Nice-to-have und meist weder strukturell noch inhaltlich wirklich in den Behandlungsansatz integriert.7 Eine bemerkenswerte Ausnahme gibt es im Bundesland Brandenburg. Das Geriatriekonzept des Landes (2012)8 und entsprechend der Landeskrankenhausplan (Fortschreibung des Dritten Krankenhausplanes des Landes Brandenburg vom 18. Juni 2013, in der Änderung vom 16. Februar 2016)9 erwähnen Seelsor5 Ein Scan der geriatrisch relevanten S3-Leitlinien nach den Begriffen Spiritual Care/Spirituelle Begleitung/Seelsorge: Fehlanzeige! Bei Suche in den Abstactbänden der DGG-Kongresse seit 2011 erscheinen Seelsorge und Spiritualität vereinzelt als Randthema (z. B. in der Schmerzbehandlung oder im Zusammenhang von Untersuchungen zu Lebensqualität, Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit). Dr. Matthias Pfisterer (Chefarzt der Klinik für Geriatrische Medizin, Agaplesion Elisabethenstift gGmbH, Darmstadt, Vorsitzender des Landesverbandes Geriatrie Hessen-Thüringen im Bundesverband Geriatrie e. V.) bestätigt in einem Schriftwechsel hierzu: »Mir ist leider nicht bekannt, dass Seelsorge und/oder Spiritual Care in geriatrische Konzepte, Behandlungsansätze, S3-Leitlinien etc. offiziell eingebunden sind … Ich denke kein (lebens-)erfahrener Geriater wird die Notwendigkeit von seelsorgerischen Angeboten für geriatrische Patienten auch nur in Frage stellen.« 6 Vgl. Krupp/Lohse, 2016. 7 Die abrechnungsrelevante Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nach OPS 8–550 bildet ein multi- bzw. interprofessionelles geriatrisches Behandlungskonzept ab. Spirituelle/existenzielle Aspekte von Krankheit und Krankheitsbewältigung sind hier nicht im Blick. 8 Arbeitsgemeinschaft der Chefärzte des Landesverbandes Geriatrie Brandenburg in Kooperation mit der Geriatrischen Akademie Brandenburg e. V., 2012. 9 Brandenburgisches Vorschriftensystem (BRAVORS), 2016.

II

192

Johannes Albrecht

ger*innen ausdrücklich als mögliche und wichtige Mitglieder des multiprofessionellen geriatrisch-therapeutischen Teams. Für den Bereich der stationären Altenhilfe nimmt das Hospiz- und Palliativ-Gesetz (HPG) Seelsorge dahingehend in den Blick, dass bei der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase Seelsorgemöglichkeiten durch Einbeziehung auch anderer regionaler Betreuungs- und Versorgungsangebote zum Beratungsgegenstand werden.10 Zudem können Theolog*innen sich zu Berater*innen für die gesundheitliche Vorsorgeplanung nach SGB V, § 132 g ausbilden lassen, da der entsprechende Hochschulabschluss als Theologe oder Theologin eine Möglichkeit der genannten Zugangsvoraussetzungen zur Qualifizierung ist.11

II

4.2 Faktische Verortung der Seelsorge in den geriatrischen Einrichtungen und im ambulanten Bereich Seelsorge in der Geriatrie bedeutet Zuwendung zu Menschen in geriatrischen Einrichtungen wie Krankenhaus, Tagesklinik, Kurzzeitpflege, Stationäre Altenhilfe, Einrichtungen des Servicewohnens, Tagespflege und auch im ambulanten Bereich, sowie Mitwirkung in Beratungsangeboten. Zur faktischen Einbindung der Seelsorge gibt es mangels valider Versorgungsforschung derzeit kein einheitliches Bild. Es gibt dafür auch keine definierten Standards. Im Regelfall dürfte die Einbindung der Seelsorge im Krankenhauskontext dem klassischen Muster der Krankenhausseelsorge folgen. Kirchen und kirchliche Institutionen beauftragen aufgrund des Rechtes nach Grundgesetz Seelsorgende.12 Konfessionelle Krankenhausträger finanzieren häufig eine eigene Krankenhausseelsorge, weil dies dem Leitbild und Selbstverständnis entspricht. Doch auch hier scheint – wie bei der von kirchlichen Institutionen beauftragten Seelsorge – ein wirkliches teamintegriertes Arbeiten im Sinne einer Einbindung in ganzheitliche geriatrisches Behandlungskonzepte bisher eher die Ausnahme.13 10 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015, Teil I, Nr. 48, S. 2115. 11 Vereinbarung nach § 132 g Abs. 3 SGB V über Inhalte und Anforderungen der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase vom 13.12.2017 zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege. 12 Dies bedeutet schätzungsweise 500 bis 1000 Betten je Seelsorgestelle. Seelsorge geschieht auf Anforderung der Patient*innen, der Zugehörigen oder durch Hinweise aus den anderen Professionen. 13 Siehe auch Neubart, 2018.

Seelsorge in der Geriatrie

193

Die Seelsorge in den Pflegeeinrichtungen liegt meist in der Verantwortung der Orts- oder Parochialgemeinden,14 der ambulante Bereich der Geriatrie (Betreuung in der Häuslichkeit) sowieso. Viel Zeit bleibt in der parochialen Arbeit nicht für eine gezielte und flächendeckende (Alten-)Seelsorge. Die Gemeindeglieder, die zu aktiveren Lebzeiten keine lebendige Gemeindebeziehung gelebt haben und damit nicht zur Kerngemeinde gehören, werden von der Seelsorge eher nicht gesehen, es sei denn, sie oder Zugehörige fordern Seelsorge aktiv an oder werden zu runden Geburtstagen besucht.15 Besonders der wachsende Anteil der Menschen, die keiner Konfession (mehr) angehören, ist da schnell außen vor und kaum im Blick der Seelsorge. Diese Menschen haben häufig keinen Anwalt, der Seelsorge oder Begleitung in spirituellen/existenziellen Fragestellungen für sie organisiert.

5 Besonderheiten der Situation und Seelsorge-Themen von geriatrischen Patient*innen/Bewohner*innen Eine besondere Chance für seelsorgliche Begegnung und spirituelle/existenzielle Begleitung liegt in der Verweildauer geriatrischer Patient*innen/Bewohner*innen. Die Behandlung in der Akutgeriatrie dauert länger als bei jüngeren Menschen, da die Regenerationsfähigkeit des Körpers sich verlangsamt hat. Im rehabilitativen Bereich gehen wir zudem von Behandlungszeiten von mindestens zwei, meist aber drei Wochen aus. Damit hat die Seelsorge die Chance in Beziehung zu gehen, einen Faden zu verfolgen, Prozesse zu begleiten oder mitzugestalten. Das Gleiche gilt adäquat für den meist auf Dauer angelegten Aufenthalt in Einrichtungen der stationären Altenhilfe. Dieses lädt ein, längerfristige Beziehungen aufzubauen. Für geriatrische Patient*innen in der Häuslichkeit gilt dieses ohnehin. 5.1 Endzeitlichkeit Menschen, denen sich die Geriatrie zuwendet, stehen dem Ende der eigenen Lebensgeschichte und der Lebensmöglichkeiten nahe. Das heißt, dass z. B. die Möglichkeiten, etwas im eigenen Leben zu korrigieren, sehr rar geworden sind – anders als es für jemanden in der Mitte des Lebens (theoretisch) möglich wäre. 14 Institutionalisierte Altenheimseelsorge ist Ausnahme und wird von den Evangelischen Landeskirchen im Zuge von Stelleneinsparungen eher gekürzt. Ein nicht geringer Teil der Seelsorge in der stationären Altenhilfe wird durch Ehrenamtliche geleistet. 15 Vgl. Wemhöner./Stache/Roser, 2017, S. 129.

II

194

Johannes Albrecht

Brüche, Abbrüche, Risse haben hier ein anderes Gewicht, sind möglicherweise end-gültig. Sich Neuem zuzuwenden, ist kaum mehr möglich. Neues begegnet jetzt eher gezwungenermaßen oder als Verhängnis. Lebenskunst16 kann dann unter Umständen allein schon darin bestehen, Lebensgeschichte anzunehmen, so wie sie ist. Biografiearbeit spielt in der Geriatrieseelsorge eine wichtige Rolle. Es ist von großer Bedeutung, der Lebensleistung noch einmal nachzuspüren. Dazu gehören sowohl das Gelungene als auch die Tiefen des Lebens. Die Erfolge wollen anerkannt sein, die Lasten und Belastungen brauchen ihre Würdigung. Beide Seiten haben Gewicht für die Erfahrung von Lebenssinn.17 Für die Seelsorge ist es wichtig, bei allem Wunsch nach Begleitung zu spüren, dass die Begleiteten den Seelsorgenden in der Regel auf dem Lebensweg mindestens einen Schritt voraus sind. Auch darin wurzelt eine respektvolle Haltung.

II

5.2 Vereinsamung Hochaltrige/hochbetagte Menschen haben bereits viele Bezugspersonen verloren – aus der eigenen Generation, häufig auch schon aus der folgenden, sowohl aus ihren Familien als auch aus ihrem Bekanntenkreis. Vielfach sind zudem wichtige Bezugspersonen selbst mobilitätseingeschränkt. Wenn jemand z. B. 95 Jahre alt ist, sind die Kinder oft ja auch Anfang oder auch schon Mitte 70. Der Umgang mit modernen Kommunikationsmedien (E-Mail, WhatsApp etc.) ist eher die Ausnahme. Kommunikation ist dazu häufig durch die gesundheitlichen Einschränkungen behindert. In einem Gesundheitssystem, das störungsfixiert arbeitet und auf Effizienz getrimmt ist, mangelt es in der Regel den Mitarbeitenden der meisten Professionen schlicht an Zeit, den ganzen Menschen zu sehen und dabei auch seiner Einsamkeit zu begegnen. Seelsorge (und auch seelsorglicher Besuchsdienst) kann hier grundsätzlich lindernd wirken. 5.3 Verlusterfahrungen Verlusterfahrungen haben ein großes Gewicht. Sie häufen sich, wenn das Leben im Alter sich neigt und haben vielerlei Gestalt. Zum Verlust naher Menschen kommt der Verlust des vertrauten Umfeldes, Verlust von Körperfunktionen, von Gliedmaßen, von Ausdrucksmöglichkeiten, Verlust der sozialen Rolle und nicht zuletzt der Verlust von Würde und Wertgefühl. Es ist auf der Höhe oder in 16 Vgl. Engemann, 2006; Bubmann, 2015. 17 Eine auch für die Seelsorge interessante psychologische Kurzintervention für schwerstkranke Menschen mittels strukturiertem Interview findet sich in: Chochinov, 2017.

Seelsorge in der Geriatrie

195

der Mitte des Lebens kaum vorstellbar, was es bedeutet, wenn z. B. ein Mensch, der großen Wert auf Körperpflege und auf Selbständigkeit gelegt hat, nun mit der eigenen Inkontinenz umgehen muss und dazu mit der Abhängigkeit von anderen in den dadurch verursachten Pflegesituationen. Seelsorgende sollten unbedingt Kenntnis und Erfahrung mit würdewahrenden und -stärkenden Ansätzen haben.18 Seelsorge in der Geriatrie ist in vielen Fällen und vielerlei Hinsicht wesentlich auch Trauerbegleitung. 5.4 Kommunikationseinschränkungen Hörschwäche bis Taubheit, Sehschwäche bis Blindheit, Aphasien als Folge von Schlaganfällen, Kommunikationsstörungen aufgrund von altersbedingten kognitiven Defiziten bis hin zu demenziellen Erkrankungen sind sehr häufig. Menschen mit erschwerter Kommunikation haben allein aufgrund des größeren Zeitaufwandes, aber auch durch die eingeschränkten Möglichkeiten sich auszudrücken eine höhere Gefahr, nicht ausreichend wahrgenommen zu werden. Seelsorgende brauchen Grundkenntnisse verschiedener Erkrankungen und grundlegende Informationen zu bestimmten Krankheitsbildern, wenn die Art der Erkrankung über Art und Weg der Kommunikation und der Zuwendung entscheidet. Deswegen ist auch aus Sicht der Seelsorge eine Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Professionen unumgänglich. Seelsorgende sollten mindestens auch über Grundkenntnisse besonderer Kommunikationstechniken verfügen.19

6  Seelsorge im Rahmen von Spiritual Care Wenn sich einerseits geriatrische Behandlung und Betreuung meist per se multi­ professionell organisieren und andererseits auch aus Sicht der Seelsorge in der Geriatrie die Zusammenarbeit mit den anderen Professionen in vielen Fällen notwendig und unverzichtbar ist, liegt es doch nahe, Seelsorge in der Geriatrie in das vorhandene multi- bzw. interprofessionelle Setting einzubinden. Da die Behandlung von geriatrischen Patient*innen in vielen Fällen zudem einen palliativen Anteil hat und damit auch einem palliativmedizinischen Ansatz folgt, muss zumindest in diesen Fällen nach dem Selbstverständnis der Palliativ­

18 Deutsche Gesellschaft für Patientenwürde e. V. (o. J.). 19 Z. B. Validation. Vgl. Feil, 2005.

II

196

II

Johannes Albrecht

medizin die spirituelle Lebensdimension notwendig Berücksichtigung finden.20 Spirituelle Aspekte sind somit in Behandlungskonzepte und Behandlungen zu integrieren.21 Wenn geriatrische Palliativpatient*innen per se Anspruch auf Berücksichtigung der spirituellen Lebensdimension haben, so stellt sich doch die Frage, warum den anderen – nicht ausdrücklich palliativen – geriatrischen Patient*innen dieser besondere ganzheitliche Blick verweigert werden sollte, diese Haltung, welche bereit ist, den ganzen Menschen mit allen wesentlichen Lebensdimensionen zu sehen, so wie es Cicely Saunders im Total-Pain-Konzept beschreibt. In Deutschland haben eine Vielzahl von bedeutenden gesellschaftlichen Kräften mit der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (2010) u. a. darin Übereinkunft erzielt, dass Schwerstkranke und sterbende Menschen einen grundsätzlichen Anspruch auch auf Spirituelle Begleitung/Spiritual Care haben. Das gilt nicht nur für ausgewiesene Palliativpatient*innen.22 Um dieses adäquat umzusetzen, gibt es jedoch zu wenig Seelsorge in geriatrischen Bereichen. Gewiss, die Begleitung in spirituellen und existenziellen Belangen sollte Querschnittsaufgabe aller Professionen sein. Da die nichtseelsorgenden Berufsgruppen jedoch mit anderen Kernaufgaben betraut sind, trägt qualifizierte Seelsorge in der Geriatrie wesentlich dazu bei, dass ein Mensch wieder ganz in den Blick genommen wird, auch als spirituelles Wesen, als Mensch mit Würde, mit einer ganz persönlichen Lebensgeschichte. Jener ganzheitliche Blick wäre grundsätzlich wichtig für jeden Menschen im System Krankenhaus, aber in besonderer Weise für alt gewordene. Seelsorge trägt dazu bei, dass Erkrankte und Bewohner*innen geriatrischer Einrichtungen sich gesehen fühlen. Seelsorge als team- und behandlungsinte­ grierte Spiritual Care hilft nicht nur bei der Behandlung geriatrischer Patient*innen, sondern hat auch Rückwirkungen auf das System. Sie schärft den Blick der anderen Professionen für spirituelle Fragestellungen, Beschwerden, Bedürfnisse, 20 Häufig bekommt ein Patient in der geriatrischen Praxis aber erst einen palliativen Status, gilt als »palliativ«, wenn er sterbend ist. Palliative Prozeduren sollten grundsätzlich früher in den Blick genommen werden. Hilfreich wäre es, auch in der geriatrischen Behandlung konsequent nach einem Early-Integration-Konzept zu arbeiten. Ein schlichtes aber sehr wirksames Tool wäre hierbei die Surprise-Frage: Wäre ich überrascht, wenn dieser Patient in den nächsten 12 Monaten sterben würde? Und immer dann, wenn der Fragesteller für sich mit »Nein« antwortet, ist er gehalten, palliativen Prozeduren in die Behandlungsplanung einzubeziehen. 21 Solches findet nicht zufällig eher Niederschlag in: Fuchs/Gabriel/Raischl/Steil/Wohlleben, 2012. 22 Vgl. Leitsatz 2 der Charta: Koordinierungsstelle für Hospiz- u. Palliativversorgung in Deutschland, 2019.

Seelsorge in der Geriatrie

197

Ressourcen und kommt so den Patient*innen und Bewohner*innen nachhaltiger zu Gute. Seelsorge in der Geriatrie wendet sich auch Mitarbeitenden und dem System zu, um Nöten zu begegnen, Ressourcen zu stärken. So schafft eine integrierte Seelsorge gleichzeitig Entlastungsangebote für Mitarbeitende, wenn deren eigene spirituelle Lebensdimension berührt ist. Gemeinsame Ritualgestaltung, Aussegnungs- und Abschiedsfeiern stützen Patient*innen, Bewohner*innen, Zugehörige, aber eben auch Mitarbeitende.

7  Spiritual Care als Haltung der Seelsorgenden Spiritual Care beschreibt nicht nur eine strukturelle Einbindung der Berücksichtigung der spirituellen/existenziellen Lebensdimension in ein ganzheitliches Behandlungskonzept. Spiritual Care zeigt sich auch in einer bestimmten Haltung von Seelsorgenden. Dazu gehört eine grundsätzliche Offenheit gegenüber allem, was Menschen als ihre Spiritualität entdecken und offenbaren. Ist Seelsorge wirklich bereit, der Spiritualität, die ein Mensch u. U. in seinem Blumengarten erfährt, den gleichen Wert beizumessen wie der Spiritualität eines tief religiösen Menschen? Wie geht Seelsorge mit der Spiritualität eines Menschen um, der sich als Atheist bekennt? Seelsorge in Spiritual Care versteht sich nicht nur konfessions- oder religionsübergreifend, sondern ist auch hör- und übersetzungsfähig in eine säkulare Wirklichkeit hinein.23 Kultursensible und interreligiöse Seelsorge ist eine besondere Aufgabe in unserer Zeit. Spiritual Care in der – nicht nur in den östlichen Bundesländern – voranschreitende Säkularisierung scheint mir daneben die weitaus größere Herausforderung zu sein. Kranken(haus)seelsorge ist nicht »Kirche am anderen Ort«. Kirche ist immer am ureigensten Ort, wenn sie beim Menschen ist, wenn sie sich Menschen mit Respekt und grundsätzlicher Offenheit zuwendet.

23 In der Landeshauptstadt Potsdam sind weniger als 20 % der Bevölkerung noch Mitglied in einer der großen Kirchen. Bei den geriatrischen Patient*innen unseres Hauses schätzen wir die Kirchenmitgliedschaft auf ca. 50 %.

II

198

Johannes Albrecht

8  Zuwendung in Gottesdienst, Andacht, Ritualgestaltung

II

Für konfessionell geprägte Patient*innen und Bewohner*innen haben Gottesdienste und vertraute Rituale einen hohen Stellenwert, die eigene Spiritualität zu leben.24 Vielen Menschen bietet ein Krankenhausaufenthalt aufgrund der auch zu Hause eingeschränkten Mobilität oft erstmals nach langer Zeit wieder die Möglichkeit, einen Gottesdienst zu besuchen. Anderen Menschen ist es eine willkommene Unterbrechung des etwas langweiligeren Wochenendes, manche kommen aus Neugier, manche finden erst jetzt die Zeit, weil der Krankenhausaufenthalt entschleunigt. Die Gottesdienste in Krankenhäusern mit geriatrischem Schwerpunkt sind gut besucht. Für Menschen mit kognitiven Einschränkungen und demenziell Erkrankte bieten sie häufig eine Möglichkeit für eine kurze Zeit ganz bei sich zu sein. Altvertraute Klänge, früher erfahrene Riten und Formen bauen eine emotionale Brücke. Gemeinsames Gebet oder das Gebet für einen Menschen in seiner Anwesenheit stärkt. Solche Erfahrung rührt dabei an tiefe emotionale Schichten frühester Kindheit, bringt oft Unterbewusstes zum Klingen. Mutter, Vater oder Großeltern zum Abendgebet am Kinderbett – und die damit verbundenen Emotionen – werden wieder lebendig. Segnungs- und Salbungsriten schaffen eine unmittelbare Erfahrung der Zuwendung größerer Wirklichkeit – im Zuspruch und in auch körperlicher Nähe der (zärtlichen) Geste der Handauflegung oder Berührung. Die Feier des Abendmahls verbindet, lässt Gemeinschaft erfahren, vergewissert den eigenen Glauben, eröffnet Räume (z. B. der Vergebung). Aussegnungs- und adäquat gestaltete Abschiedsfeiern (in Würdigung der je eigenen Spiritualität Verstorbener und Zugehöriger) helfen Zugehörigen und Mitarbeitenden, den Abschied zu begreifen, erste Schritte auf dem Abschiedsoder Trauerweg zu gehen.

9  Theologie der Seelsorge in der Geriatrie »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.« (Ex 20,12) Seelsorge in der Geriatrie verschafft dem vierten Gebot25 Raum. Das einzige Gebot, das eine Verheißung hat. 24 Vgl. dazu Kotulek, 2018, S. 69–85. 25 Zählung nach Luther.

Seelsorge in der Geriatrie

199

Seelsorge in der Geriatrie lässt Patient*innen und Bewohner*innen in liebender menschlicher Zuwendung den Gott, der selbst die Liebe ist (1 Joh 4,16b), erfahren. Sein Versprechen wird erlebbar: »Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet.« (Jes 46,4). Seelsorge in der Geriatrie begegnet gleichzeitig Christus im leidenden und bedürftigen Gegenüber (nach Mt 25). »Du bist ein Gott, der mich sieht.« (Gen 16,13), spricht Hagar, die vor ihrem Leid davongelaufen ist. Sie erfährt Gott durch einen Engel als den, der sie in ihrer Lebenssituation sieht, ihr Zuspruch und Verheißung zuteilwerden lässt. So kann sie zurückkehren, kann sie ihr Leid tragen. Seelsorge in der Geriatrie stärkt Menschen in leidvoller Lebenssituation und leistet einen Beitrag dazu, dass aus Leidtragenden im besten Wortsinn Leid–Tragende werden.

II 10 Seelsorge im Evangelischen Zentrum für Altersmedizin Potsdam – gelebte Vision Seelsorge ist organischer Bestandteil der Arbeit des Evangelischen Zentrums für Altersmedizin26 in Potsdam. Hierzu gehören ein geriatrisches Krankenhaus – akut und rehabilitativ – (100 Betten), eine Tagesklinik (20 Betten), die stationäre Pflegeeinrichtung Potsdamer Bürgerstift (68 Plätze Pflege, 12 Plätze Tagespflege, 23 Plätze im Servicewohnen, 17 Betten Kurzzeitpflege), sowie geriatrische Beratungsangebote. Ein ambulanter Pflegedienst wird nicht vorgehalten. Die von der Einrichtung komplett finanzierte Seelsorge umfasst 80 % einer Vollzeitstelle. Im ganzheitlichen Behandlungskonzept steht die Seelsorge speziell für die spirituelle/existenzielle Dimension ein. Die Aufmerksamkeit hierfür ist jedoch selbstverständlich Aufgabe aller beteiligten Professionen. Durch das Patienteninformationsblatt im Krankenhaus werden die Pa­­ti­ ent*innen unter den allgemeinen Hinweisen über das Angebot der Seelsorge und die Erreichbarkeit informiert. Patient*innen und ihren Zugehörigen ist es möglich, Seelsorge selbständig oder vermittelt über jede Mitarbeiter*in anzufordern. Der Seelsorger nimmt – wenn irgend möglich – an den Teamsitzungen der Stationen teil. Seelsorge ist wie jede andere Profession in die elektronische Patientenakte eingebunden. Von der Möglichkeit, den Seelsorger über einen 26 Träger ist bis Ende 2018 die Evangelische Frauenhilfe in Brandenburg e. V. – ein Verein von 31 Mitgliedern, von denen ein großer Teil selbst hochaltrig ist.

200

II

Johannes Albrecht

gesetzten Marker auf für ihn wichtig scheinende Berichtseinträge der anderen Berufsgruppen aufmerksam zu machen, wird häufig Gebrauch gemacht. Gezielt wird der Seelsorger auch über die Nachrichtenfunktion gerufen, erhält hier oft schon kurze Hintergrundinformationen oder auch die Idee eines Auftrages aus der Sicht des Hinzuziehenden. Der Seelsorger dokumentiert seine Arbeit im elektronischen Dokumentationssystem unter Wahrung der seelsorglichen Schweigepflicht.27 Bei Patienten in der palliativen Komplexbehandlung nach OPS 8-982 dokumentiert der Seelsorger in der Beiakte die (abrechnungsrelevanten) Zeiten für Patienten-, Angehörigen- und/oder Familiengespräche. Der Seelsorger gehört schließlich zum Behandlungsteam. Seelsorge und Spiritual Care haben einen festen Platz im Einarbeitungsmanagement. Neue Mitarbeiter*innen (und auch Praktikant*innen) haben in der Einarbeitungsphase einmalig die Pflicht, an der monatlichen Mitarbeiterandacht teilzunehmen. So kommen sie mit der Seelsorge in Kontakt. Im anschließenden Gespräch erfahren sie etwas zur Einbindung, Rolle, Funktion der Seelsorge im Haus und zum Palliativkonzept. Sie erhalten Informationen zum Umgang mit Sterbenden und Verstorbenen, erfahren Grundbegriffe von Spiritual Care und von der Haltung der spirituellen Weite und Akzeptanz. Die Hierarchie im System ist notwendige Verantwortungshierarchie, im Stationsalltag ist sie flach. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Professionen geschieht auf Augenhöhe. Die Beziehung zwischen Seelsorge und den anderen Professionen im psychosozialen Bereich ist ausgesprochen wohlwollend und konkurrenzfrei. Das Haus bildet seine spirituelle Weite im eigenen System ab. Nicht erst durch den Fachkräftemangel sind auch Mitarbeitende ohne konfessionelle Bindung oder Mitarbeitende anderer Religionen und Religionsgemeinschaften willkommen.28 Wichtig ist, dass sie bereit sind, das Leitbild des Hauses als diakonischer Einrichtung mit zu tragen. Und noch eine Besonderheit ist bemerkenswert. Zur Sicherung der Zukunft des Evangelischen Zentrums für Altersmedizin wurde in einem Prozess von 2018 nach 2019 die Trägerstruktur geändert. Die bis dahin allein von der Evange­ lischen Frauenhilfe in Brandenburg e. V. getragene Einrichtung lebt unter dem Dach des katholischen Alexianerverbundes (als Mehrheitsgesellschafter) und bleibt doch evangelische diakonische Einrichtung. Solches ist bisher in dieser 27 Vgl. Coors/Haart/Demetriades, 2014. 28 Nur für die Mitarbeit in der oberen Leitungsebene wird eine Kirchenmitgliedschaft (ACK) vorausgesetzt.

Seelsorge in der Geriatrie

201

Dimension vielleicht einmalig in Deutschland: Gelebte Ökumene und Praxis spiritueller Weite bis in die Trägerstrukturen hinein!

11  Ausblick – Vision – Anstoß Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) öffnet sich den anderen in der Geriatrie mitwirkenden Professionen und wird von einer Fachgesellschaft für Ärzt*innen zu einer multiprofessionelle Fachgesellschaft und fördert damit interprofessionelles Arbeiten. Der gelebte ganzheitliche Ansatz versteht Spiritual Care als selbstverständlichen Bestandteil – nicht nur für palliative geriatrische Patienten. Spiritualität bekommt einen eigenen Stellenwert in geriatrischen Assessments und Spirituelle Begleitung in festgeschriebenen Prozeduren wie der Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung (OPS 8-550). Dies dient sowohl einer ganzheitlichen Behandlung von physischen, psychosozialen und spirituellen Beschwerden als auch der komplexen ganzheitlichen Aktivierung von Ressourcen. Spirituelle/existenzielle Begleitung wird in allen Bereichen der Geriatrie (Krankenhaus, stationäre Pflege, ambulante Versorgung) abgesichert und angeboten.

12 Nachklang Frau Em. ist 2016 verstorben. Ich vermisse sie immer noch in meinen Gottesdiensten und im Wohnbereich. Die Begegnung mit ihr ist ein bleibender Schatz meiner seelsorglichen Erfahrung.

II

Seelsorge auf der Palliativstation – Grenzen erleben

Karoline Labitzke

II

Sowohl Patient*innen und ihre An- und Zugehörigen als auch die Mitglieder des multiprofessionellen Teams kommen auf der Palliativstation an ihre Grenzen. Hilflosigkeit und Angst sowie Sehnsucht und Hoffnung bestimmen die Menschen hier besonders. Seelsorge an diesem Ort heißt also vor allem: Grenzen erleben, Ambivalenzen aushalten, Raum und Ausdruck für Unfassbares geben und Abschied gestalten.

1  Grenzen erfahren – Begegnungen auf der Palliativstation Die Palliativstation ist ein Bereich der spezialisierten Palliativversorgung1. Hier werden Patient*innen mit einer fortgeschrittenen, unheilbaren Krankheit2 unter Einbeziehung der An- und Zugehörigen betreut, deren medizinische, psychische und soziale Situation eine intensive Begleitung durch ein spezialisiertes, multiprofessionelles Team in einem Krankenhaus erfordert. Das Ziel ist die Erhaltung größtmöglicher Lebensqualität, Würde und Selbstbestimmung durch fachgerechte Symptomlinderung, psychosoziale und spirituelle Unterstützung.3 Nach Möglichkeit werden die Menschen mit einem ganzheitlichen Versorgungskonzept nach Hause oder in eine betreuende Einrichtung, meistens ein Hospiz entlassen. Den Sterbenden wird ein würdevol1 Zu den unterschiedlichen Versorgungsstrukturen s. S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, Mai 2015. 2 Häufig Tumorerkrankungen, aber auch neurologische Krankheiten, sowie Herz- und Lungenkrankheiten. 3 Aulbert/Nauck/Radbruch, 2012, S. 2: »Palliative Care ist ein Ansatz, mit dem die Lebensqualität der Patienten und ihrer Familien verbessert werden soll, wenn sie mit einer lebensbedrohlichen Krankheit und den damit verbundenen Problemen konfrontiert sind. Dies soll durch Vorsorge und Linderung von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen und fehlerlose Erfassung und Behandlung von Schmerzen und anderen physischen, psychosozialen und spirituellen Problemen erfolgen.« WHO 2002.

Seelsorge auf der Palliativstation

203

les Sterben auf der Station ermöglicht. Die Palliativstation ist von der räumlichen Ausstattung und Grundatmosphäre her wohnlicher und ruhiger als Normalstationen in einem Krankenhaus, es gibt in der Regel Einzelzimmer, in denen auch Angehörige mit übernachten können. Zusätzliche Räume sind eine Küche und ein Wohnzimmer für Patient*innen und An- und Zugehörige, sowie ein Raum der Stille. 1.1  Zwischen Leben und Tod – die Patientinnen und Patienten Die Menschen, die ich hier besuche, werden bald sterben. Der Tod ist präsent, die Menschen befinden sich in einer Grenzsituation. Begegnungen sind auf Wesentliches fokussiert, das ganze Leben steht noch einmal auf dem Spiel. Meine Seelsorgebesuche sind aber auch begrenzt durch viele andere Begleiter*innen, Zugehörige, Teammitglieder und durch die Ruhebedürftigkeit der Patient*innen. Mein zweiter Besuch bei Frau A.4 Ihr früherer Ehemann sei da gewesen, habe Fragen gestellt, so sagt sie, die er vorher nie gestellt hätte. Sie sei aufgeregt gewesen, aber jetzt zufrieden mit dem Besuch. Ihre Kinder seien rührend um sie besorgt. Und hier nur liebevolle Betreuer! Soviel Liebe, wie nie zuvor in ihrem Leben. Warum das nicht früher möglich gewesen sei? Da ist Dankbarkeit, aber auch tiefe Traurigkeit und viele Fragen, nach dem, was bleibt und kommt. Sie sei sich nicht sicher, ob sie ihre Eltern treffen werde, möchte es aber glauben.

Einen großen Raum nimmt an dieser Grenze zwischen Leben und Tod das vergangene Leben ein, die eigene Biografie und damit auch Lebensdeutung und Lebensbilanz. Im Rückblick werden Höhe- und Tiefpunkte, Schicksalsschläge und Irrwege betrachtet und manchmal in einen Sinnzusammenhang gestellt. Aber auch Fragen, die die Zukunft betreffen, werden jetzt gestellt: Gibt es etwas danach? Sehe ich meine Mutter wieder? Wer übernimmt die Firma? Wer kümmert sich um meine Kinder? Wer bekommt was? Wer wird sich an mich erinnern? Ich besuche Frau C., eine sehr gläubige katholische Frau. Sie erzählt von dem, was sie durchgemacht hat. Unbeschreibliche Schmerzen. Nie habe sie gedacht, dass so etwas möglich sei. Dass Sterben so schwer sei. Und jetzt der Durst. Unstillbar. Sie kann sich auf nichts anderes konzentrieren. Crash-Eis ist alles, was sie will. Sie kann es nicht mehr selbst zum Mund führen. Ob ich so gut sein könne? Mehr. 4 Alle Namen wurden geändert und die Fallgeschichten verfremdet.

II

204

Karoline Labitzke

Ein wenig Linderung. Große Angst, dass die Schmerzen wiederkommen. Ich frage (mich) laut, woher wohl die Kraft kommen könnte, die sie jetzt brauche. Sie meint, ihr Vertrauen auf Gott sei gerade nicht mehr spürbar. Weit weg. Ob ich für sie beten könne? Das tue ich und segne sie.

II

Oft geht es auch um den Augenblick jetzt, die Gegenwart, die Zeit auf der Grenze, die noch bleibt. Kann sie vielleicht doch noch verlängert oder auch verkürzt werden? Will jemand am Leben festhalten? Oder hält ihn das Leben noch? Die körperlichen Symptome sind manchmal so bestimmend, dass sie alle Kraft aufbrauchen. Dazu kommt Angst vor Kontrollverlust und Abhängigkeit, Schamgefühl, das Bedürfnis nach Ruhe. Oder ist Raum und Zeit für andere Themen: Wo will ich sterben? Was kann und will ich noch erledigen? Wie und von wem will ich mich verabschieden? Was ist jetzt wirklich wichtig für diesen Menschen? 1.2  Zwischen Begleitung und Trauer – die Zugehörigen5 Häufig sind die Zugehörigen belasteter als die Patient*innen selbst. Auch sie erlebe ich auf einer Grenze, zwischen dem eigenen Anspruch, für den anderen da zu sein und der eigenen Trauer und Verzweiflung angesichts des drohenden Verlustes der vertrauten Person. Frau E. kommt aus dem Zimmer ihres Mannes. Als ich sie anspreche, bricht sie in Tränen aus. Ich lade sie ins Wohnzimmer ein. Sie kann es nicht fassen. Es sei ihm doch noch so gut gegangen. Und er habe so viele Pläne gehabt. Sie habe es nicht ertragen können, als der Arzt mit ihm gesprochen habe. Sie könne mit ihm nicht darüber sprechen. Auch wenn er schon lange krank und schon oft im Krankenhaus gewesen sei, bisher sei er immer wieder nach Hause gekommen. Was sie tun solle? Er würde sicher nach Hause wollen. Aber das schaffe sie nicht. Sie sei ja selbst so krank. Das Herz. Jetzt müsse sie wieder zu ihm.

Auch die Zugehörigen blicken zurück auf das gemeinsame Leben, fragen nach dem Sinn und nach dem, was auf sie zukommt. Häufig sind sie in der Einschätzung der Situation noch nicht so weit wie die Betroffenen selbst, und doch erleben sie gerade einen umfassenden Umbruch ihrer bisherigen Lebenssituation. Oft schwanken sie zwischen den Erwartungen, die an sie als Begleitende herangetragen werden und ihrem eigenen Bedürfnis bzw. zusätzlichen Belas5 Zum Begriff siehe Müller/Pfister, 2014a, S. 101–102.

Seelsorge auf der Palliativstation

205

tungsfaktoren wie Berufstätigkeit, Kinder, pflegebedürftige Angehörige, eigene Krankheit, Erinnerungen an frühere Todesfälle, das Gefühl verlassen, allein gelassen zu werden. Konflikte treten in dieser Situation meist noch deutlicher zu Tage. Häufig ist die Kommunikation untereinander schwierig. Da ist der Wunsch, die eigene Schwäche und Traurigkeit dem anderen nicht zu zumuten, sich ihm gegenüber stark zu zeigen, ihn zu schützen, aber auch die Angst, über die bevorstehende Trennung und den Tod zu sprechen. Ich werde auf die Station gerufen, Herr G. ist gestorben. Ich hatte ihn am Anfang seines Aufenthalts besucht, er sagte mir, er und seine Frau seien Buddhisten geworden und er habe eine buddhistische Begleiterin, die regelmäßig komme. Ich kenne die Ehefrau, Frau G. vom Sehen, ich treffe sie auf dem Flur, sie sagt: »Das ist alles nicht wirklich, wie ein Traum.« Sie möchte, dass ich eine Abschiedsfeier gestalte. Die katholische Mutter ist im Zimmer und die Geschwister, die aus der Kirche ausgetreten sind, auch. Nach einiger Zeit gehen wir hinein, ich bespreche Ablauf und Inhalt der Feier und gestalte sie mit einem Psalm, Abschiednehmen der einzelnen Angehörigen, Worten und Wünschen, Segen und Vaterunser für die Mutter.

Die Familiensysteme sind häufig komplex und haben ihre eigene Dynamik. Manchmal haben wir es mit sehr vielen Zugehörigen zu tun, mit für uns fremden Familienstrukturen, Gewohnheiten und Bräuchen, auch anderer Kulturen. Sowohl die Sinti-Familie mit über 20 Mitgliedern, die zum Teil auch auf der Station übernachteten, als auch die türkische Großfamilie, die jeden Tag eine warme Mahlzeit kochte und sich auf dem Balkon zum Essen traf, genauso wie die Freundinnen einer Patientin, die mit Sekt, Tanz und Gesang eine Geburtstagsparty im Wohnzimmer der Station feierten, sind willkommen. Auch Hochzeit und Taufe haben wir schon mitgefeiert. Dass dies möglich und leistbar, wenn auch nicht immer einfach für die Pflege und den Ablauf der Station ist, erlebe ich als eine der Stärken der Palliativstation. 1.3  Zwischen Anspruch und Belastung – das Team Den Teammitgliedern begegne ich bei den Frühbesprechungen, den Fortbildungen, der Supervision, gemeinsamen Veranstaltungen. Dazu kommen Besprechungen, Absprachen und Austausch über einzelne Patient*innen, aber auch persönliche Gespräche im Stationszimmer, auf dem Gang, in der Küche, auf dem Balkon. Die Grenze erlebe ich hier zwischen dem hohen Anspruch an die Beglei-

II

206

II

Karoline Labitzke

tung6 und den unterschiedlichen Belastungen in diesem leidbesetzten Arbeitsfeld z. B. auch durch die Komplexität der Strukturen, einen starken Wechsel im Team7 und die vorgegebenen Rahmenbedingungen z. B. was die Dokumentation betrifft. Die Motivation für die Arbeit ist hoch, sie wird oft als anstrengend, aber auch als sinnvoll und erfüllend erlebt. Bei unserer multiprofessionellen Stationsbesprechung kommt jeder Patient, jede Patientin vor. Die Ärzt*innen sprechen die belastenden körperlichen Symptome an. Sie nehmen sich Zeit, ihre Ideen z. B. was die Behandlung bestimmter Schmerzen betrifft, zunächst untereinander, gegebenenfalls auch mit der Apothekerin abzusprechen, dann in der Visite unter Einbeziehung der Pflege den Patient*innen zu erklären und Fragen zu beantworten. Die Pflegenden berichten vom Pflegebedarf, bzw. besonderen Problemen. Ein Beispiel ihrer Kreativität ist die Mundpflege: mit gefrorenen Cola- oder Sektwürfeln wird das Durstgefühl gelindert und individuelle Geschmackserlebnisse ermöglicht. Das Herrichten einer Toten habe ich als Handlung der Achtung und Zuwendung erlebt. Der Physiotherapeut kann zur Mobilisierung oder zur Entlastung durch Lymphdrainage beitragen. Die Sozialarbeiterin kümmert sich um Vollmacht und Patientenverfügung, organisiert die bestmögliche Weiterversorgung und kann Auskunft im Umgang mit Behörden und juristischen Fragen geben. Die Psychologin versteht etwas von Familiendynamiken, Angstbewältigung und Abgrenzung zu psychischen Krankheitsbildern und hat die Zugehörigen im Blick. Die Atemtherapeutin trägt mit ihrem nonverbalen Zugang zum frei fließenden Atem und damit zur Entspannung bei. Als Seelsorgerin bringe ich meine Wahrnehmung der spirituellen Aspekte ein. Abschließend werden die Ziele der Betreuung bzw. die Weiterversorgung besprochen, immer unter der Fragestellung: Was und wen braucht diese Patientin, dieser Patient jetzt, in der Zeit bei uns? Was können wir mit unseren Möglichkeiten tun, um sie angemessen zu begleiten und wie kann es weitergehen? Frau H., eine junge Frau ist sterbend und lehnt alle Gesprächsangebote ab, lässt niemanden an sich heran, schickt auch Freunde und Familienmitglieder immer wieder weg. Sie ist traurig und hat Angst. Sie will keinen Seelsorger und keine Psychologin. Ihre Eltern müssen betreut werden. Was die Patientin betrifft, herrscht Ratlosigkeit: Kann man denn gar nichts für sie tun? 6 In der Umfrage »Wie viel Tod verträgt das Team?« veröffentlicht in der Zeitschrift für Palliativmedizin 5/2010, wurden bundesweit 158 Palliativstationen u. a. nach Belastungsfaktoren in ihrer Arbeit befragt. Der nicht erfüllte Anspruch der Palliativmedizin wurde an erster Stelle genannt. 7 Auf den meisten Palliativstationen findet inzwischen ein Generationswechsel statt. Mit dem Abschied der 1. Generation geht eine veränderte Haltung zu mehr Spezialisierung und Differenzierung einher. 

Seelsorge auf der Palliativstation

207

Belastet erlebe ich die Teammitglieder, wenn sie ihrem eigenen Anspruch nicht genügen können. Sei es, dass Leiden nicht so wie erwartet gelindert werden kann oder angebotene Hilfe nicht angenommen wird. Sei es, dass Menschen sich verweigern, sich zurückziehen oder sich untereinander nicht einigen können. Mit all den Angeboten, Kompetenzen und Möglichkeiten erlebe ich das Team dann ohnmächtig und es fällt schwerer, das Sterben auszuhalten. In der Frühbesprechung heißt es, Herr K. wolle noch einmal die Therapieoptionen für seine Frau mit den Ärzten besprechen. Es könne nicht sein, dass nichts mehr gemacht werde. Und sie esse viel zu wenig, könne man sie nicht regelmäßig füttern?

Teammitglieder werden manchmal durch fordernd auftretende Angehörige stark beansprucht und es sind viele und mühsame Gespräche nötig. Hier erlebe ich oft das Ringen und die Anstrengung aller Berufsgruppen. Gemeinsam können solche Situationen manchmal im Familiengespräch mit den Patient*innen und ihren Zugehörigen ausgesprochen und geklärt werden. Schwieriger wird es, wenn auch unterschiedliche Meinungen im Team herrschen. Welche Maßnahmen werden noch durchgeführt? Sind sie medizinisch indiziert? Können sie vom palliativen Ansatz her verantwortet werden? Wieweit kommt man den Wünschen der Patient*innen oder der Zugehörigen entgegen? Werden wir von ihnen manipuliert? Und werden bei uns alle gleich behandelt? Hier erlebe ich, wie Einzelne und manchmal das ganze Team in Dynamiken hineingezogen werden. Das kann teilweise in Fallbesprechungen unter Supervision hilfreich besprochen und aufgelöst werden. Wenn Zugehörige zusätzlich viel Zeit und Kraft fordern, wenn persönliche Dinge dazu kommen, wenn mehrere in einer Schicht sterben oder mehrere, insbesondere sehr pflegebedürftige Patient*innen aufgenommen wurden, ist das Team, besonders die Pflege, belastet. Wenn Kolleg*innen aus unterschiedlichen Gründen ausfallen, die Mitarbeitenden unter Zeitdruck stehen, wenn die Balance zwischen Engagement und Erfüllung nicht mehr stimmt oder Einzelne sich nicht ernstgenommen fühlen, erlebe ich Unzufriedenheit. Dann kommt es auch zu Überredseligkeit, Reizbarkeit, Spannung zwischen den Berufsgruppen und Rückzug, Symptome die auch in der Umfrage häufig genannt werden.8 Trotz alledem erlebe ich das Team aber auch voller Energie und Einsatz, Kreativität und Flexibilität, Idealismus und Humor. Es ist schön, Teil eines solchen Teams zu sein. 8 Zu den in der Umfrage genannten Belastungs- und Schutzfaktoren siehe auch Müller/Pfister, 2014a.

II

208

Karoline Labitzke

2 Grenzen überschreiten und aushalten – Herausforderungen für die Seelsorge 2.1  Sterben als existenzielles und individuelles Geschehen Erleben der Endlichkeit

II

In der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit ist der Mensch vor das Ganze seiner Existenz gestellt: es geht um sein Leben und alles steht auf dem Spiel. Diese Bedrohung ist eine Grenzerfahrung und löst Existenzangst und Schmerz aus. Der Patient, die Patientin als Mensch, Person und Subjekt steht im Mittelpunkt der Palliativbetreuung, d. h. wenn jemand stirbt, stirbt er seinen eigenen Tod, unvergleichlich und individuell. Auch auf der Palliativstation ist der Tod nicht immer vorhersehbar, wird manchmal von allen herbeigesehnt und tritt nicht ein. Oder es geht überraschend schnell, dann herrscht Betroffenheit und Erklärungen werden gesucht. Und dann stirbt einer und manchmal folgen zwei andere in kürzester Zeit. Tod und Sterben werden nicht zur Routine, der Tod bleibt fremd. Manchmal kommt er wie eine Erlösung, manchmal scheint er grausam und sinnlos zu sein, ein Zusammenbruch von Lebensträumen und Lebensplänen. Herausforderung der eigenen Person und Professionalität

Alle, die mit dem Tod konfrontiert werden, werden an dieser Grenze berührt und als Person herausgefordert. Wer die Frage nach dem, was der Tod für sein eigenes Leben bedeutet, für sich selbst vermeidet, wird Schwierigkeiten haben, sterbende Menschen auch in ihre Grenzen zu begleiten. Sich existenziellen Fragen nach Lebenssinn, eigenen Wertvorstellungen und eigenen Hoffnungen zu stellen, den Umgang mit Verlusterfahrungen, mit Abschied und Scheitern im eigenem Leben zu reflektieren, ist für alle Begleitenden hilfreich. Für die Beziehungen9 zu den Menschen auf Station ist die Fähigkeit, sich abzugrenzen, sowie die Reflexion von Selbst- und Fremdwahrnehmung notwendig. Sich der Übertragungen bewusst werden, die eigenen Grenzen, bzw. Stärken und Schwächen kennen, hilft den Aufgaben der Begleitung gewachsen zu sein. Um die eigenen, ganz persönlichen Belastungs- und Schutzfaktoren zu wissen und damit ver-

9 Die Beziehung zum Patienten wurde in der Umfrage (Müller/Pfister, 2014a) als zweithäufigster Belastungsfaktor genannt.

Seelsorge auf der Palliativstation

209

antwortungsvoll umzugehen, trägt zur Selbstsorge bei und damit dazu, in diesem existenziellen Arbeitsfeld gesund und zufrieden tätig bleiben zu können.10 Die Haltung der Seelsorge – Mut zur Endlichkeit11

Die meisten Lebensgeschichten haben Brüche, wenn sie zu Ende gehen. Das kann ich als Seelsorgerin in der Gewissheit aufnehmen, dass jedes Leben von Gott voraussetzungslos gewürdigt und geheiligt ist. Ich muss die oft leidvolle, endliche Realität weder verleugnen noch verklären und weiß sie doch getragen von einer Hoffnung, die über diese erfahrbare Wirklichkeit hinausgeht. Das muss ich nicht immer und überall aussprechen und erklären, prägt aber meine Haltung und meinen Umgang. Seelsorge sehe ich in diesem Zusammenhang nicht nur in der Fremdheit der Profession begründet, sondern auch in der Fremdheit des Todes und Gottes selbst, also dem Unfassbaren, Unbegreifbaren schlechthin, für das es Raum braucht. In der seelsorglichen Begleitung ist Platz für Widersprüche, die nicht lösbar sind, für Klage und Trostlosigkeit, für Unvollendetes, Ungelebtes, Unerfülltes, für Gottverlassenheit. So kann der Abschied als Loslassen und Ende dieses Lebens bejaht, gestaltet und gefeiert werden, das Leben als ein vergangenes mit all seinen Licht- und Schattenseiten an dieser Grenze erinnert und bezeugt werden. Und gleichzeitig kann die bleibende Verbundenheit, die Hoffnung, die Sehnsucht nach Vollendung und Ewigkeit festgehalten und wachgehalten werden. Begleitung im Übergang, im Überschreiten dieser Grenze, kann eine Brücke schlagen, auf eine andere Welt jenseits der Grenze verweisen, die Beziehung zu Gott, zum Göttlichen oder Unendlichen zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus lerne ich von Patient*innen die Kostbarkeit des Lebens immer wieder neu wahrzunehmen und zu schätzen sowie mich in der eigenen Verletzlichkeit und Kränkung zu erleben, die Hilflosigkeit als eigene Erfahrung, aber auch als Kraft wahrzunehmen und das Leben zu leben, ohne es immer verstehen und begreifen zu können.

10 Das gilt auch für die Seelsorger*innen in diesem Bereich. Ein spezifisches Fachwissen in Palliative Care, das Feldkompetenz, Multiprofessionalität und Vernetzungskompetenz mit einer Vertiefung der theologischen, pastoralen und rituellen Kompetenz verbindet, kann im Rahmen einer zertifizierten Weiterbildung erworben werden. Siehe Hagen/Roser/Reigber/Fittkau-Tönnesmann, 2010. 11 Vgl. Steffensky, 2007.

II

210

Karoline Labitzke

2.2  Sterben als ganzheitliches Geschehen Total pain

II

Auf Cicely Saunders geht der Begriff total pain zurück12: Das Leid, der Schmerz, die Bedürfnisse des Menschen sind multidimensional und grenzüberschreitend: physisch, psychisch, sozial und spirituell. Der Mensch auf der Palliativstation leidet nicht nur auf der körperlichen Ebene z. B. durch Schmerzen und andere Symptome wie Atemnot, Übelkeit, Erbrechen, sondern auch auf der psychischen Ebene z. B. durch Angst, Verlust der Selbstbestimmung, Depression, sowie auf der sozialen Ebene z. B. durch Isolierung von Alltag und Berufsleben mit den dazugehörigen Beziehungen und auf der spirituellen Ebene z. B. durch existenzielle Fragen nach dem Warum? Woher? und Wohin? angesichts des Todes. Dem ganzheitlichen Ansatz der Palliativmedizin entsprechend, werden alle Bereiche des Menschseins in ihrer Betroffenheit ernst genommen und in das Behandlungskonzept aufgenommen. Damit werden auch die Grenzen der Disziplinen und Professionen überschritten. In allen Bereichen, die sich zwar unterscheiden, aber auch gegenseitig durchdringen und verbinden, gibt es neben Bedürfnissen und Nöten auch vielfältige Ressourcen und Möglichkeiten in der Betreuung, die individuelle Lebensqualität zu erhöhen. Das geschieht durch das multiprofessionelle Team der Palliativstation, zu dem Ärzteschaft und Pflege, Sozialarbeit, und je nach Team Psycho(onko)logie, Physio-, Atem-, Kunst-, Musiktherapie, Seelsorge und Ehrenamtliche gehören. Teamarbeit als Chance und Herausforderung

Die Würde des einzelnen Menschen steht im Mittelpunkt der Begleitung und erfordert eine Grundhaltung der Achtung und Fürsorge in der Zusammenarbeit des begleitenden Teams. Die Arbeit im Team kann bereichernd, anregend und reizvoll sein, die Einzelnen entlasten und das Gefühl der Zugehörigkeit schaffen, sie enthält aber auch Interessengegensätze, Konkurrenzen, Konflikte und Spannungen.13 Zusätzlich hat jede Berufsgruppe ihre eigene Sprache und Kultur, was die Verständigung untereinander immer wieder herausfordert. Zur ganzheitlichen Wahrnehmung des Patienten gehört es, den Blickwinkel der anderen Disziplinen einnehmen zu können, Bedürfnisse in allen Dimensionen wahrzunehmen und zu erkennen und im Team zu kommunizieren. Das erfordert die kontinuierliche gemeinsame Reflexion und Überprüfung aktueller Behand12 Vgl. dazu Clark, 1999. 13 Das Team wird in der Umfrage als wichtigster Schutzfaktor genannt, taucht aber auch unter den Belastungsfaktoren auf.

Seelsorge auf der Palliativstation

211

lungsmaßnahmen. Die eigene Wahrnehmung kann dabei auch relativiert werden. Dazu braucht es gegenseitige Wertschätzung, Anerkennung der Besonderheit, Kompetenz und Eigenverantwortlichkeit der jeweiligen Fachperspektive sowie eine gute Kommunikationsstruktur und Teamkultur. Die Rahmenbedingungen erschweren dabei zunehmend diese komplexe Teamarbeit: Überstunden der Pflege sollen abgebaut werden, die Belegungszahlen müssen stimmen, Verwaltungs- und Dokumentationstätigkeit nehmen zu. Die Zeit wird knapper, die Begleitungszeiten in der Regel kürzer. Die besondere Rolle der Seelsorge

Die Herausforderung für die Seelsorge im Palliativteam liegt zunächst, wie für jede andere Berufsgruppe auch, in der Unterscheidung und Abgrenzung bzw. dem eigenen Selbstverständnis: Was ist meine Aufgabe als Seelsorgerin? Wofür bin ich hier zuständig? Worin unterscheidet sich mein Besuch von dem der anderen? Seelsorge wird hier gezwungen, das Eigene genauer zu fassen, für sich selbst und die anderen klar, greifbar und transparent zu sein. Das erfordert ein Bewusstsein von der eigenen Aufgabe, Rolle und pastoralen Identität innerhalb dieses komplexen Systems und unterscheidet sich von gewohnten Rollen. Darüber hinaus nimmt die Seelsorge im Team aber auch eine Sonderstellung ein, die zunächst durch den anderen Anstellungsträger, die Kirche begründet ist, d. h. die Seelsorgenden sind oft als einzige im Team unabhängig und letztlich nicht weisungsgebunden.14 Das gibt meiner Erfahrung nach Handlungsfreiheit und ermöglicht den Blick von außen, der oft hilfreich erlebt wird. Inhaltlich wird dadurch aber auch der Auftrag der Seelsorge mitbestimmt, der nicht identisch ist mit dem Erreichen des Behandlungsziels. Dazu kommt das Seelsorgegeheimnis bzw. die Forderung der Vertraulichkeit, die zur Aufgabe der Seelsorge gehört und auch in diesem Kontext gewahrt bleiben muss.15 Bei gleichzeitiger Zugehörigkeit zum Behandlungsteam16 stellt das manchmal vor schwierige Entscheidungen: Was kann ich von dem, was mir anvertraut wurde, dem Team mitteilen und was nicht? Was ist wichtig für das Team? Kann ich mich von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit von meinem Gesprächspartner entbinden lassen? Ein weiteres Merkmal der Seelsorge im Team ist die Rollenvielfalt. Ich bin in der Betreuung Seelsorgerin und damit Teammitglied auf Augenhöhe, zugleich bin ich Seelsorgerin für einzelne Teammitglieder, Gestalterin von Ritualen und 14 Das gilt in der Regel auch für refinanzierte Stellen, bei denen die Dienst- und Fachaufsicht bei der Kirche liegt. 15 Vgl. dazu Coors/Haart/Demetriades, 2014. 16 Laut Stellungnahme der DGP vom 9.5.2012 gehören Krankenhausseelsorgende zum palliativ-medizinischen Behandlungsteam.

II

212

Karoline Labitzke

Gedenkfeiern auch für das Team. Ich bin Fachfrau für Spiritualität und Religion, Theologie und Kirche sowie ethische Fragestellungen. Mit dem etwas anderen Blick von außen bin ich hier als Seelsorgerin immer auch in einer supervisorischen Rolle. 2.3  Sterben als spirituelles Geschehen Spiritualität und spirituelle Begleitung

II

Spiritualität als eine Dimension des Menschseins unabhängig von Religion und Weltanschauung und eine der vier Säulen des palliativen Ansatzes überschreitet sowohl die Grenze der Konfessionen und Religionen als auch die Grenze der Medizin bzw. ihrer wissenschaftlichen Erklärungssysteme. Die individuelle Spiritualität ergibt sich aus der persönlichen Sinnsuche bzw. Sinn- und Trans­ zendenzerfahrung im Umgang mit existenziellen Fragen und Bedrohungen, ihre inhaltliche Bestimmung ereignet sich in der Begegnung auf der Palliativstation: Was ist hier und jetzt existenziell bedeutsam? Welche spirituellen Themen, Fragen und Resonanzen (z. B. Sinn, Werte, Beziehung, Schuld, Kraft, Selbsttrans­ zendenz) tauchen auf? Alle Teammitglieder bringen sich in dieser konkreten spirituellen Begleitung ein. Im Umfeld des Sterbens werden Prozesse durchlebt, die uns in Art und Weise, Zeitpunkt und -dauer entzogen sind, manchmal in eine andere Dimension führen und mit dem Geheimnis des Lebens und dieses einen Menschen zu tun haben. Spiritualität umfasst also den Bereich der existenziellen Fragestellungen, der Werte und Wertehaltungen und der religiösen Aspekte und Grundhaltungen.17 Spiritual Care und Seelsorge18

Spiritualität garantiert den ganzheitlichen Ansatz und verbindet als Haltung die Mitarbeitenden. Spiritual Care als Sorge um die spirituellen Themen vor allem in der Palliativversorgung hat sich in den letzten Jahren etabliert.19 Das erfordert auch die Integration dieser Themen in Lehre und Weiterbildung, zumal Spiritual Care Aufgabe des gesamten Behandlungsteams und damit aller Berufs17 So definiert die EAPC Spiritualität: »Spiritualität ist die dynamische Dimension menschlichen Lebens, die sich darauf bezieht, wie Personen (individuell und in Gemeinschaft) Sinn, Bedeutung und Transzendenz erfahren, ausdrücken und/oder suchen, und wie sie in Verbindung stehen mit dem Moment, dem eigenen Selbst, mit Anderen/m, mit der Natur, mit dem Signifikanten und/oder dem Heiligen.« Nolan/Saltmarsh/Leget, 2011. 18 Vgl. zum Folgenden: Labitzke/Kuhn-Flammesfeld, 2017. 19 Veröffentlichungen dazu: Frick/Roser, 2011; Heller/Heller, 2014; Holder-Franz, 2012; Kunz, 2012; Nauer, 2015; Peng-Keller, 2017b; Roser, 2017a; Schaupp/Kröll, 2014.; Noth/Kohli Reichenbach, 2014.

Seelsorge auf der Palliativstation

213

gruppen ist. Für die spirituelle Begleitung auf einer Palliativstation sind in der Regel professionelle kirchliche Seelsorger*innen zuständig. Der Grundauftrag der christlichen Kirchen, Sterbende zu begleiten, verbindet sich so mit der Zusammenarbeit in einem kompetenten, multiprofessionellen Team. Kirche, die evangelische wie auch die katholische, ist also mit ihrer pastoralpsychologischen, spirituellen und hermeneutischen Kompetenz in diesem Bereich zur Zusammenarbeit über professionelle und konfessionelle Grenzen hinaus eingeladen.20 Inhalt und Aufgabe der Seelsorge

Das Angebot der Seelsorge auf der Palliativstation gilt allen Menschen, unabhängig von Glauben, Religion und Weltanschauung und ist ergebnisoffen. In der Dokumentation können unterschiedliche Formen der Begleitung benannt werden.21 Je nach Inhalt der Gespräche werden z. B. Situations-, Biografie- und Glaubensgespräche sowie Krisenintervention und Beratung unterschieden. Grundsätzlich versuche ich als Seelsorgerin, die Menschen in ihren Fragen und Aussagen ernst zu nehmen und sie auf ihrem individuellen Weg zu begleiten. Ich bin bereit, mich dabei mit meinen Möglichkeiten und Angeboten einzubringen und wenn möglich neue Räume und Zugänge zu eröffnen. Dabei verstehe ich mich als Ansprechpartnerin für spirituelle und existenzielle Themen und Fragen, die ich aufnehme, aber auch von mir aus anspreche. Oft sind es Nebensätze, Andeutungen, nonverbale Signale, Bilder, Metaphern oder Traumsequenzen, die auf spirituelle Inhalte hinweisen. Manches lässt sich konkret regeln oder besprechen, im Sinne einer Beratung oder einer Vermittlung, z. B. Hilfe zur Kommunikation untereinander, zum Abschied nehmen und gestalten. Manches bleibt offen und ungelöst, unterbrochen oder abgebrochen. Wichtig ist mir geworden, meine Haltung zu überprüfen und auch einer Ablehnung meines Gesprächsangebots gegenüber offen zu sein. Seelsorger*innen auf Palliativstationen werden häufig für ein Ritual gerufen. Das können kirchlich geprägte Rituale wie Gebet, Segnung, Krankensalbung, Kommunion- und Abendmahlsfeier, Beichte und Aussegnung sein, aber auch Rituale mit individuell unterschiedlichen Elementen. Oft wünschen sich die Zugehörigen eine Abschiedsfeier, auch wenn sie keine oder wenig kirchliche, christliche oder religiöse Bezüge haben. Das Ritual gibt Zeit und Raum, um Worte und Ausdruck für das unfassbare Geschehen zu finden, aber auch Halt und Orientierung in der Gemeinschaft. Wichtige Elemente sind für mich: 20 Ich setze voraus, dass Seelsorge im Palliativteam grundsätzlich ökumenisch arbeitet. 21 Vgl. Bogen zur spirituellen Begleitung der HOPE Hospiz- und Palliativ-Erfassung Standarddokumentation: Hospiz- und Palliativ-Erfassung HOPE, 2009.

II

214

II

Karoline Labitzke

Rückblick, Erinnerung, Dank, also Würdigung dieses zu Ende gehenden oder gegangenen Lebens in seiner Einzigartigkeit. Ausdruck der bleibenden Verbindung der Zurückbleibenden mit dem/der Verstorbenen, Liebe und Fürsorge. Das Aufnehmen der Gefühle, die im Raum sind, z. B. auch Erleichterung, Schuldgefühle, Erschöpfung und Ärger. Segen für den Übergang, den Weg des Toten aus dieser Welt hinaus in eine andere, uns entzogene. Im christlichen Kontext ist Gott der Adressat, vor ihn wird alles gebracht, ihm wird der Sterbende oder Verstorbene übergeben und anvertraut. Zum Abschluss bete ich für die Zurückbleibenden, also die Über-Lebenden um Kraft und Stärkung, ich segne sie, der Blick geht voraus ins Leben, auf das, was jetzt auf sie zukommt. Die Symbole und ihre Bedeutung (z. B. Handauflegung, Kreuz, Salböl, Wasser, Licht, Engel) variieren je nach Situation. Die Gedenkfeier für An- und Zugehörige, zu der in bestimmten Abständen eingeladen wird, wird in enger Zusammenarbeit mit den Seelsorgenden gestaltet und ist auch ein Begleitungsangebot in der Zeit der Trauer. Wir lesen die Namen vor und zünden Kerzen an. Symbole, Texte, Gebete, Musik und Lieder sind weitere Elemente dieser Feier, anschließend gibt es ein Zusammensein. Auch wenn es schwerfällt, ist es vielen Angehörigen doch ein Bedürfnis, nach einem Abstand noch einmal mit den Teammitgliedern zu sprechen – und diese erfahren hier viel Dank und Wertschätzung. Auch die Solidarität und Gemeinschaft mit den anderen Trauernden wird als Stärkung erfahren. Zur Kultur des Abschiednehmens auf der Palliativstation gehört auch das Totengedenken des Teams, das bei uns von den Seelsorgenden gestaltet wird. Hier wird wöchentlich der Verstorbenen auf Station gedacht, mit kurzen Texten, Namen, Stille, sowie dem Austausch darüber, was uns Begleitenden in der Begegnung mit diesen Menschen berührt hat. Eine weitere Aufgabe der Seelsorge auf der Palliativstation ist gegebenenfalls die Vermittlung eines Begleiters, einer Begleiterin z. B. einer anderen Konfession, einer anderen Religionsgemeinschaft, aber auch eines vertrauten Seelsorgers, einer Gemeindepfarrerin etc. Wir stellen auf Wunsch die Kontakte zu Imamen, orthodoxen Pfarrern, buddhistischen Mönchen etc. her. Insgesamt wird mir in diesem Zusammenhang immer deutlicher, dass Religionszugehörigkeit mehr bedeutet als Glaubensrichtung, immer auch zu tun hat mit kultureller Prägung, Sprachraum, Heimat und Geborgenheit.22 Im Zuge der religiösen Pluralisierung der Gesellschaft verändern sich zunehmend auch Bedarf und Angebot von Seelsorge im Krankenhaus 22 Ich denke hier an eine Patientin und ihre Mutter, für die der rumänisch-orthodoxe Pfarrer vor allem ein Mensch aus der Heimat war, mit dem sie in der Muttersprache reden konnten.

Seelsorge auf der Palliativstation

215

bzw. geschieht Qualifizierung, Bereitstellung und Organisation von Seelsorge auch durch andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.23 Die Mitarbeit in der Lehre und Weiterbildung aller Professionen im Bereich Spiritualität und Spiritual Care (aber auch Kommunikation, Trauer, Rituale etc.) kann insbesondere im Kontext von Akademien und Universitäten zur Aufgabe der Seelsorgenden einer Palliativstation gehören, ebenso wie Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit. Immer bewusster ist mir die Aufgabe als Ansprechpartnerin für Spiritualität im Team geworden, die eine Multiplikatorenrolle beinhaltet. Ich nehme spirituelle Aspekte wahr und halte die seelsorgliche Haltung im Team präsent: Grenzen und Leiden, aber auch Hoffnung und Sehnsucht halten, dem nicht Fassbaren, dem Fremden Raum geben und dafür ansprechbar sein. Seelsorge hält an diesem besonderen Ort der Grenzerfahrung die Ambivalenz und die Unbestimmtheit des Lebens aus und wach und damit die Spannung zwischen Angst und Hoffnung, Freude und Leid, Immanenz und Transzendenz. Der christliche Glaube lässt dem Leiden und dem Tod einen Platz im Leben, dafür steht das Kreuz. Abgebrochenes, unvollkommenes Leben, Leid und Traurigkeit bleiben, auch wenn das Team sein Bestes gibt. Genauso, wie auch Freude und Lachen, Zuneigung und Liebe auf der Palliativstation gegenwärtig sind. Dabei gehört die Hoffnung, die sich für mich in dem Bild der Offenbarung des Johannes ausdrückt, »und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein« (Offb 21,4) zu dem, was mir als Seelsorgerin Halt gibt und meine Haltung prägt.

23 Vgl. dazu Rat der Religionen Frankfurt, 2012.

II

Indikationen-Set für Gesundheitsberufe zum Beizug von Seelsorge Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Mösli

1  Ausgangsfrage: Wie kommt ein Seelsorgekontakt zustande?

II

2008 kamen bei einer Konferenz im Schweizerischen Bigorio Vertreter*innen aus Medizin, Pflege, therapeutischen Berufen und Seelsorge überein, »dass Spiritualität wesentlich mit zu einer ganzheitlichen Versorgung des Patienten gehört und dass also jeder Pflegende in seiner Praxis auch diese Dimension zu berücksichtigen hat«1. Zur Förderung des Wohlbefindens von Patienten wie von Angehörigen sei es wichtig, dass deren spirituelle Ressourcen und Bedürfnisse erfasst und evaluiert würden. Die Forderungen der Konferenz stehen in Übereinstimmung mit zahlreichen Leitlinien, Konsenspapieren und Grundsatzerklärungen in der Schweiz2, im deutschen Sprachraum3 und im internationalen Raum.4 Dieser Ansatz wird, verbunden mit dem Begriff Spiritual Care, in Palliative Care und in anderen Feldern des Gesundheitswesens verfolgt. Das Spitalversorgungsgesetz (Art. 53 SpVG) im Kanton Bern gewährleistet in den Listenspitälern für die Patientinnen und Patienten sowie für deren Angehörige Spitalseelsorge als Teil der Qualität des Gesundheitswesens. »Der Artikel 53 des Spitalversorgungsgesetzes hält fest, dass Seelsorge für alle Menschen, unabhängig ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung unter Wahrung ihrer persönlichen Freiheit und Selbstverantwor1

Schweizerische Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung (palliative ch), 2008, S. 1. 2 Vgl. zum Beispiel Bundesamt für Gesundheit (BAG)/Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), 2011. 3 Vgl. etwa Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V./Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V./Bundesärztekammer, 2012. Oder: Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF), 2015. 4 Vgl. die im Handbuch häufiger zitierten Texte aus der Weltgesundheitsorganisation WHO (1946; 1986; 2005; o. J.).

Indikationen-Set für Gesundheitsberufe zum Beizug von Seelsorge

217

tung zugänglich ist. Seelsorge ist in einer professionell verantworteten Art und Weise anzubieten.«5 Im internationalen Fachdiskurs liegen mittlerweile Konzepte zur Vermittlung zwischen allgemeiner spiritueller Begleitung durch Gesundheitsberufe und Seelsorge vor6; im deutschsprachigen Raum handelt es sich aber noch um eine ungewohnte Zugangsweise, insbesondere wenn sie auf Experten-Konsens basierend entwickelt werden soll. Laut Eckhard Frick handelt es sich von der Erhebung von spirituellen und existenziellen Bedürfnissen und Problemen kranker Menschen durch Gesundheitsberufe bis zu einer seelsorglichen Intervention um einen gestuften Prozess.7 Dieser hat allerdings damit zu kämpfen, dass selbst bei positiver Einstellung zu spiritueller Begleitung in den therapeutischen Berufsgruppen die Kenntnisse über Kompetenzen und Handlungsformen von Seelsorge ungenügend ausgebildet sind.8 Mit diesem Problem hat nicht nur Seelsorge zu tun. Für das Feld psychologischer Unterstützung wurde den Leistungserbringern der allgemeinen Palliative Care 2014 ein Arbeitsinstrument zur Verfügung gestellt, das den Einbezug von Fachpersonen aus dem Bereich der Psychiatrie/Psychotherapie erleichtern sollte. »Konkret sollen die Empfehlungen helfen: 1. zu erkennen, wann der Beizug von Fachpersonen aus dem Bereich der Psychiatrie/Psychotherapie sinnvoll sein kann. Der Beizug kann aufgrund eines Bedarfs des Betreuungsteams angezeigt sein oder aufgrund eines expliziten oder impliziten Bedürfnisses der Patienten/innen bzw. ihrer Bezugspersonen. 2. den Beizug dieser Fachpersonen organisatorisch umzusetzen: entweder zur Unterstützung des Betreuungsteams oder der Patienten/innen bzw. ihrer Bezugspersonen.«9 Mit dem Ziel, vergleichbare Empfehlungen für den Beizug von Fachpersonen aus der Seelsorge zu entwickeln, initiierten die in der Spitalseelsorge tätigen Renata Aebi und Pascal Mösli eine interkantonale Arbeitsgruppe10 von insg.      5      6      7      8

Wild, 2016, S.  4. Vgl. Fitchett/Nolan, 2015; Paal/Frick/Roser/Jobin, 2017. Vgl. den Beitrag von Eckhard Frick in diesem Band. Vgl. Balboni/Sullivan/Amobi/Phelps/Gorman/Zollfrank/Peteet/Prigerson/Vanderweele/Balboni, 2013.      9 Bundesamt für Gesundheit (BAG)/Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), 2014. 10 Zu dieser gehörten Anne-Katherine Fankhauser, Saara Folini, Ueli Gurtner, Reinhold Meier, Hansueli Minder, Marlies Schmidt-Aebi und Thomas Wild. Traugott Roser wurde für die wissenschaftliche Begleitung hinzugezogen.

II

218

II

Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Mösli

neun Seelsorgenden in unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitswesens: Spitalseelsorge (= Krankenhausseelsorge), Palliative Care, Psychiatrieseelsorge, Seelsorge in einer Altersinstitution, in einem stationären Hospiz und Seelsorge im Rahmen von Spitex (= ambulante, häusliche Versorgung). Zwei der Teilnehmenden sind auch in der Kirchengemeinde tätig. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Traugott Roser arbeitete die Gruppe zwischen Januar 2017 und Januar 2019 an den Indikationen. Leitend war die Frage, wann – über das selbstverständliche Konzept der aufsuchenden Seelsorge hinaus – ein Seelsorgekontakt indiziert ist. Im Gesundheitswesen kommt der medizinischen Indikation maßgebliche Bedeutung zu: sie ist ein wesentliches Element ärztlicher Tätigkeit, Voraussetzung für Dia­ gnostik, Behandlung und Festlegung oder Änderung eines Behandlungsziels.11 Die Indikation ist neben der Einwilligung des oder der informierten Patient*in die Voraussetzung jeglicher Maßnahme.12 Für den Bereich der Seelsorge ist der Begriff Indikation zumindest im deutschen Sprachraum bislang noch nicht eingeführt. Gleichwohl beschreibt er, dass es eines benennbaren Grundes und des Einverständnisses auf Seiten des Gegenübers für ein Angebot seelsorglicher Begleitung bedarf, häufig als Kontrakt beschrieben.

2  Bildung von Indikationen durch Expert*innen-Konsens Die Erstellung einer Liste von Seelsorge-Indikationen erfolgte in einem mehrstufigen Diskussionsprozess unter Expert*innen unterschiedlicher Berufsgruppen und orientierte sich an der Delphi-Methode, einem konsensbasierten Verfahren zur Entwicklung von best-practice Leitlinien für komplexe Situationen.13 Danach wird eine Gruppe von Expert*innen (panelists) in einem weitgehend anonymisierten Prozess in mehreren Diskussions- und Befragungsrunden zu einem Thema befragt. Das Vorgehen ist iterativ konzipiert, sodass sich im ­Expert*innen-Diskurs schrittweise ein Konsens herausbildet, der in einem zusätzlichen Verfahren einer erweiterten Gruppe anonymisiert zur Beurteilung 11 Laut Pschyrembel 1998 bezeichnet eine Indikation »ein[en] Grund zur Anwendung eines bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens in einem Krankheitsfall, der seine Anwendung hinreichend rechtfertigt, wobei grundsätzlich Aufklärungspflicht gegenüber dem Kranken besteht«. 12 Vgl. Dörries, 2015, S. 13 f. 13 Vgl. Niederberger/Renn, 2018. Vgl. dazu aus dem Bereich der Palliative Care: Jünger/Payne/ Brine/Radbruch/Brearley, 2017. Das Verfahren ist auch in anderen Bereichen – auch außerhalb der Gesundheitswissenschaften – etabliert. Vgl. Okoli/Pawlowski, 2004.

Indikationen-Set für Gesundheitsberufe zum Beizug von Seelsorge

219

vorgelegt wird, um nach nochmaliger Überarbeitung schließlich verabschiedet zu werden. Für den deutschsprachigen Bereich der Seelsorge im Gesundheitswesen liegen noch keine entsprechenden Studien vor. In englischsprachigen Publikationen wurde nach Delphi-Verfahren zu Seelsorgefeldern wie Militärseelsorge14 und zu spirituellem Screening bei hospitalisierten Kindern und Jugendlichen15 gearbeitet. Die interkantonale Schweizer Arbeitsgruppe konnte allerdings die Anonymität des engeren Kreises der beteiligten Experten und Expertinnen nicht gewährleisten und arbeitete nach anonymisiertem Verfahren erst mit einem erweiterten Kreis von panelists. Trotz der fehlenden Anonymisierung folgte der Arbeitsprozess den Vorgaben der Delphi-Methode, um bestmögliche wissenschaftliche Qualität zu gewährleisten. Der Diskussionsprozess erfolgte in drei Phasen: Tab. 1: Phasen des Arbeitsprozesses

16

Pilotphase Phase 1: Brainstorming Sitzung 1

–– Expert*innen agieren als Individuen –– Klärung des Gegenstands »Indikation« und des Gegenstandsbereichs Seelsorge und Spiritual Care –– Klärung des theoretischen Rahmens: Spiritualität –– Klärung der Arbeitsweise –– Sammlung einer Liste relevanter Themen –– Vereinbarung auf eine vorläufige Themenliste zur Weiterarbeit



Arbeit an Aufgabe 1

Phase 2: Narrowing down Sitzungen 2 und 3

–– Identifikation und Reduktion der Indikationen –– Erstellung von Flussdiagrammen zur Darstellung des Prozesses von Indikation zu Intervention –– Erstellung eines Indikationen-Sets (Rohfassung) in Kurz- und Langfassung –– Überprüfung und Evaluation des Indikationen-Sets innerhalb des engeren Panels (Seelsorgeexpert*innen) und als Pretest mit zwei externen Expertinnen (Arzt/Pflege) –– Einigung auf ein Indikationen-Set (Entwurf) in Kurz- und Langfassung –– Überprüfung und Evaluation des Indikationen-Sets durch erweitertes Panel (Gesundheitsberufe)



Fragebogen-Auswertung und Pilotphase

14 Vgl. Roberts/Kovacich, 2018. 15 Vgl. Grossoehme, 2008. 16 Vgl. Vorgaben von Biondo/Nekolaichuk/Stiles/Fainsinger/Hagen, 2008.

II

220 Phase 3: Ranking

II

Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Mösli

–– Diskussion der Auswertungsergebnisse des erweiterten Panels –– Rückmeldung aus Pilotphase zwischen Phasen 2 und 3 –– Einigung auf die Indikationen –– Einigung auf die Reihenfolge der Indikationen –– Überarbeitung des Wordings anhand der Fragebogenerhebung –– Klärung der Form eines Tools –– Einigung auf Publikationsmodus

Nachdem sich die Gruppe für ein Spiritualitätsverständnis im Anschluss an bestehende internationale Definitionen17 und ein im Schweizer Kanton Waadt entstandenes differenziertes Modell18 entschieden hatte, wurden Zeitpunkt und Verständnis einer Indikationsstellung geklärt. Mitarbeitende aller Gesundheitsberufe nehmen vom Erstkontakt mit einem/r Patienten/in an Bedürfnisse und Verhaltensweisen wahr, die eine oder mehrere Ebenen von Spiritualität berühren. Die Arbeitsgruppe einigte sich darauf, dass die im Arbeitsalltag zu verwendenden Indikationen möglichst nahe am Sprachgebrauch des Gesundheitspersonals orientiert sein müssen, aber keine Banalisierung theologisch bedeutsamer Begriffe bewirken dürfen. Zudem wurde entschieden, dass ein Indikationen-Set in zwei Fassungen veröffentlicht werden sollte: als eine ausführliche Langfassung, die Indikationen, spirituelle Themen und Wirkungen von Interventionen umfasst und die als Grundlage zur Vertiefung, wie beispielsweise in der Fortbildung, verwendet werden kann sowie als Kurzfassung zur unmittelbaren Verwendung in der Praxis (in der Pflegekittel- oder Manteltasche), die sich auf Phänomene beschränken sollte, die auf spirituelle Themen hinweisen können. Im nächsten Arbeitsschritt fand in Kleingruppen ein Brainstorming statt, bei dem aufgrund der eigenen Erfahrung spirituelle Themen gesammelt und in einer Liste mit 27 Items sortiert wurden. Alle Items zeigen sich, so die Auffassung der Arbeitsgruppe, bei Patient*innen in Wechselwirkung zur körperlichen, sozialen und psychischen Dimension; manche Themen führen zu belastenden Symptomen wie Angst, Schlafstörung, Übelkeit, Fatigue, Unruhe etc. Manche spirituelle Not äußert sich durch Verhaltensweisen (z. B. starkes Mitteilungsbedürfnis, Unnahbarkeit, Rückzug, Aggressivität, Demoralisiertheit etc.). Manche Themen resultieren aus Problemen der Krankheitsverarbeitung, sozialen Kon17 Puchalski/Vitillo/Hull/Reller, 2014. 18 Vgl. Monod/Rochat/Büla, 2006. Das STIW-Modell verwendet die Dimensionen Sinn (Ein Bedürfnis, das aufkommt, wenn eine Krise das Gleichgewicht des Lebens bedroht), Transzendenz (Grundlage außerhalb der Person, in der diese verankert ist), Identität (Bedürfnis, dass die Einzigartigkeit der Person in ihrem Umfeld weiterhin bestehen kann) und Werte (Was im Leben des Patienten Gewicht hat und bestimmt, was für ihn gut und wahr ist).

Indikationen-Set für Gesundheitsberufe zum Beizug von Seelsorge

221

flikten, Entscheidungsdruck, Einsamkeit etc. Problematisch für die Seite der nichtseelsorglichen Betreuenden ist, dass aus den jeweiligen Belastungsphänomenen und -symptomen nicht eindeutig zu ersehen ist, ob und inwiefern ein Zusammenhang mit spirituellen Fragen besteht. Sämtliche Themen wurden auf insgesamt sieben Indikationsbereiche (1. Biografie, 2. Trauer/Verzweiflung, 3. Verbindung zu religiöser Gemeinschaft, 4. zentrale Beziehung, 5. Lebens-Sinn, 6. Warum-Fragen/Schicksal, 7. Ethik) kondensiert, die am Ende entlang der Spiritualitätsdimensionen gruppiert werden sollten. Zu jeder der sieben Indikationen wurde eine idealtypische Abfolge von der Wahrnehmung des Zustands über die Übergabe an Seelsorge und eine mögliche seelsorgliche Handlungsweise bis zum erwarteten Zustand19 des Patienten danach beschrieben. Aus idealtypischen Abläufen wurden Indikationen für eine Langfassung so formuliert, dass sie die Wahrnehmungsebene der Fachleute der Gesundheitsberufe wiedergeben, die betroffenen spirituellen Themen benennen und das Ziel einer seelsorglichen Intervention angeben. Am Beispiel der Indikation Biografie ergibt sich folgender Ablauf in der Langfassung: Gesundheitsfachleute beobachten und berichten erhöhten Zuwendungsbedarf, ein Patient wirkt blockiert, belastet durch Schuld- und Schamgefühle und kreist um Unfertiges. Die damit möglicherweise zusammenhängenden spirituellen Themen sind Fragen nach Schuld und Vergebung, biografische Brüche und Lebensbilanz. Die seelsorgliche Intervention kann Entlastung von Schuldgefühlen bewirken, Gottesvorstellungen thematisieren, die Einmaligkeit eines Lebensweges hervorheben, Identität stärken, Biografiearbeit umfassen und Veränderungsprozesse begleiten. Die Handlungsfolge nach Indikationsstellung lautet also: Hat ein Patient erhöhten Zuwendungsbedarf, wirkt blockiert, belastet durch Schuld- und Schamgefühle und kreist um Unfertiges, dann eröffnet Seelsorge Raum für biografische Reflexion und Lebensbilanz und unterstützt bei der Suche nach innerem Frieden. Entsprechend wurde zu allen sieben Indikationsbereichen verfahren. Ein Entwurf für ein Indikationen-Set wurde Expert*innen aus Gesundheitsberufen (n=32, aus den Bereichen Pflege, Medizin, Aktivierung, z. T. in leitender Funktion oder in der Pflegewissenschaft tätig) vorgelegt mit der Bitte, die Formulierungen auf sprachliche und inhaltliche Verständlichkeit, auf Praktikabilität im klinischen Alltag und auf Klärung interprofessioneller Zusammenarbeit hin zu prüfen. Formulierungsvorschläge und die Hinweise für eine geeignete 19 Erwartungen sind hier im Sinne seelsorglicher Konzepte als prozessoffen zu verstehen: nicht als Verbesserung im therapeutischen Sinn, sondern als Beschreibung nach seelsorglicher Praxis und pastoralpsychologischer Erfahrung.

II

222

II

Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Mösli

Reihenfolge, Formatierung/Aufmachung und Implementierung der Indikationen wurden erbeten. Insgesamt wurde 21 mal eine positive bis sehr positive Gesamt-Rückmeldung gegeben; einzelne Kommentare führten dies aus: »Die Langversion gibt für viele Aspekte der Seelsorge ein klares Wording, welches der Pflege sowie dem ärztlichen Team eine Sprache bietet. Dies kann beim Patienten dienlich sein wie aber auch bei der Einführung von neuen Mitarbeitenden und Studierenden«; »Langfassung ist wichtig als Tool für eine Schulung«; »Die Beschreibung des Seelsorgeangebots in der 1. Kolonne ist erhellend«. Zur Form wurden folgende Hinweise gegeben: Papierform (evtl. laminiert); Kurzform in Karton/ Fotopapier-Qualität; Elektronisch; Ausdruckbares PDF; Flyer im Postkartenformat; hinterlegbar im »Cockpit« (Stationsstützpunkt); grafische Form für die Kurzfassung. In der Schlusssitzung wurden die Indikationen noch einmal entsprechend der Rückmeldungen überarbeitet und in eine Reihenfolge gegeben, die einerseits dem Ausgangsverständnis von Spiritualität (STIW-Modell20 im Kanton Waadt) entspricht, andererseits für Mitarbeitende der Gesundheitsberufe niedrigschwellig und nahe am üblichen Sprachgebrauch in Übergaberunden oder Teambesprechungen ist. Das Indikationen-Set wurde einstimmig in den beiden Versionen Kurz- und Langfassung beschlossen. Die Erstveröffentlichung wurde bei einer Deutschen Pflegezeitschrift zur Publikation eingereicht, wobei alle Mitglieder der Arbeitsgruppe als Autorinnen und Autoren aufgelistet wurden.

20 Das Modell wurde ursprünglich mit dem Akronym STIV veröffentlicht (französisch für sense, transcendence, identité, valeurs). Zur Übertragung ins Deutsche wird V durch W ersetzt.

Indikationen-Set für Gesundheitsberufe zum Beizug von Seelsorge

223

3 Indikationen-Set – Kurzfassung21 Tab. 2: Indikationen für den Beizug von Seelsorge

Indikationen für den Beizug von Seelsorge EBENE SINN 1. Sinn- und Schicksalsfragen
 Pat.22 wirkt grübelnd, hadernd, zeigt widersprüchliche Emotionen, äußert Ohnmacht und stellt Fragen nach dem Warum. 2. Trauer und Verzweiflung
 Pat. wirkt traurig, enttäuscht und verzweifelt und ist nach eigenen Angaben oder Auskunft von An- und Zugehörigen belastet durch Verluste. EBENE TRANSZENDENZ 3. Ungewissheit
und Glaube Pat. äußert Ängste, Hoffnungslosigkeit oder Wut und Verbitterung oder signalisiert religiöse Bedürfnisse oder stellt religiöse Fragen. 4. Rückzug und Einsamkeit Pat. äußert emotionale Kraftlosigkeit, zieht sich von anderen zurück oder wirkt einsam. EBENE IDENTITÄT 5. Scham- und Schuldgefühle
 Pat. wirkt belastet durch biografische Einschnitte oder traumatische Erfahrungen und kreist um Ungeklärtes und Unerreichtes. 6. Identitätskonflikt und Kontrollverlust
 Pat. verhält sich passiv, wirkt unzufrieden oder bitter und gilt als »schwierig« oder nicht kooperativ. EBENE WERTE 7. Ethische Konflikte Es gibt ein Unbehagen bezüglich angemessener Betreuung, Versorgung und Behandlung bei irgendeiner/m der Beteiligten und Betroffenen, es besteht hoher Diskussionsbedarf.

Das Indikationen-Set für den Beizug von Seelsorge kann in unterschiedlichen Settings von Medizin und Pflege stationär und ambulant eingesetzt werden. In der Kurzfassung eignet es sich für die Pflege-Praxis als Instrument für eine differenzierte Wahrnehmung des Wohlbefindens von Patient*innen und Bewohner*innen in Pflegeeinrichtungen und führt zu einer Identifizierung spiritueller 21 Zu zitieren nach der Erstveröffentlichung: Aebi, R./Mösli, P./Roser, T./Fankhauser, A.-K./Folini, S./Gurtner, U./Meier, R./Minder, H./Schmidt-Aebi, M./Wild, T. (2019): Indikationen-Set für Spiritual Care und Seelsorge. Ein Instrument für Pflege und Medizin zum Beizug der Seelsorge. Pflegezeitschrift, 72 (6), 53–56. 22 Pat. meint Patientinnen und Patienten, in Pflegeeinrichtungen meint es Bewohnerinnen und Bewohner.

II

224

Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Mösli

Bedürfnisse. Das Instrument ermöglicht Zugang zu seelsorglichen Angeboten unabhängig von Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft und eignet sich zur Dokumentation in Patientenakten. Die Indikationenliste wahrt die Autonomie von Patient*innen, indem Seelsorgekontakte in Verbindung mit Hinweisen auf Ziel und Handlungsform seelsorglicher Interventionen angeboten werden kann. Die Langfassung der Indikationsliste eignet sich interprofessionell insbesondere für In-House-Schulungen und Fortbildungen, aber auch monoprofessionell für Klärungsprozesse bezüglich des konkreten Angebots von Seelsorge, bzw. für die Erstellung eines Seelsorgekonzepts.

II

–– Gefühlen Raum geben und Anerkennen, im Selbsterleben begleiten –– Identität stärken/Lebensleistung würdigen

Generativität: Was gebe ich weiter? Für andere da sein

–– Entlastung von Schuldgefühlen –– Gottesvorstellungen thematisieren, (neu) finden

Krankheit als Strafe Trauer-Wut-Verzweiflung, Verlassenheit

–– Im Selbsterleben begleiten –– Deutungs- und Interpretationsraum bieten –– Deutungsrahmen anbieten: Fragen und Zweifel als Teil von Glauben sehen –– Einmaligkeit eines Weges/Einmaligkeit der Person würdigen –– Leiden anerkennen

Zielbestimmung der seelsorglichen Intervention

Schicksal, eigenen Prozess verstehen wollen

EBENE SINN

Indikation/ Spirituelles Thema

23 www.indikationenset.ch 24 Pat. meint Patientinnen und Patienten, in Pflegeeinrichtungen Bewohnerinnen und Bewohner.

2. Trauer und Verzweiflung Pat. wirkt traurig, enttäuscht und verzweifelt und ist nach eigenen Angaben oder Auskunft von An- und Zugehörigen belastet durch Verluste.

Seelsorge stellt Zeit zur Verfügung für aktives Zuhören, achtsame Präsenz, Gespräch und Beratung bei emotionalen, philosophischen und religiösen Fragen.

1. Sinn- und Schicksalsfragen Pat.24 wirkt grübelnd, hadernd, zeigt widersprüchliche Emotionen, äußert Ohnmacht und stellt Fragen nach dem Warum.

Indikationen-Set

Tab. 3: Indikationen-Set für Spiritual-Care und Seelsorge

© Renata Aebi, Pascal Mösli, Anne-Katherine Fankhauser, Saara Folini, Ulrich Gurtner, Reinhold Meier, Hansueli Minder, Marlies Schmidt-Aebi, Thomas Wild, Traugott Roser (ErstVÖ: Indikationen-Set für Spiritual Care und Seelsorge. Ein Instrument für Pflege und Medizin zum Beizug der Seelsorge. Pflegezeitschrift, 72 (6), 53–56.)

Indikationen für den Beizug von Seelsorge Langfassung eines Indikationen-Sets23 für Spiritual Care und Seelsorge

Indikationen-Set für Gesundheitsberufe zum Beizug von Seelsorge

225

II

Seelsorge macht entweder selbst ein religiöses Angebot (Gespräch, Ritual) oder kontaktiert nach Rücksprache Vertretende einer Religionsgemeinschaft.

3. Ungewissheit und Glaube Pat. äußert Ängste, Hoffnungslosigkeit oder Wut und Verbitterung oder signalisiert religiöse Bedürfnisse oder stellt religiöse Fragen.

Seelsorge bietet an, durch ein Abschiedsritual (Segensfeier, Abendmahl) dem Abschiedsschmerz Raum zu geben und den Abschied zu gestalten.

Speziell für SPITEX: Pat., der aus der häuslichen in eine stationäre Versorgung (Pflegeheim, Hospiz) umziehen muss, kann sich nur schwer vom Zuhause lösen.

Seelsorge schafft Raum zur Klärung und evtl. Entlastung durch Präsenz und das Angebot von Gespräch und Trauerritualen. –– Bedeutung für den Lebensvollzug erfragen

Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens

–– Deutungsrahmen anbieten, als Teil von Glauben anerkennen –– Verbindung zu religiösen (traditionellen) Ressourcen (wiederfinden, neu finden, stärken …) –– Jenseitsvorstellungen thematisieren, finden –– die gesundmachenden Aspekte von Gottesvorstellung und –beziehung wahrnehmen –– Befreiende, lebensstärkende Aspekte von Religiosität thematisieren, (neu) finden –– Verbindung zu persönlichen Ressourcen wiederfinden, neu finden, stärken –– Wünsche und Hoffnungen erfragen/formulieren

Glaubenskonflikte/ Glaubenskrise

Jenseitsvorstellungen Krankmachende Religiosität

Zukunftsangst Ängste vor dem »Hinübergehen«

EBENE TRANSZENDENZ

–– Verluste anerkennen, in ihrer Bedeutung wahrnehmen –– Verlorenem Raum geben –– Blick auf Bleibendes als Teil der Identität

Zielbestimmung der seelsorglichen Intervention

Verlusterfahrungen

Indikation/ Spirituelles Thema

II

Indikationen-Set

226 Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Mösli

Seelsorge bietet Raum für biografische Reflexion/ Lebensbilanz, unterstützt bei der Suche nach innerem Frieden und hilft, Spannungen auszuhalten.

5. Scham- und Schuldgefühle Pat. wirkt belastet durch biografische Einschnitte oder traumatische Erfahrungen und kreist um Ungeklärtes und Unerreichtes.

Seelsorge macht ein Beziehungsangebot und unterstützt Pat. darin, wieder in Verbindung zu kommen zu sich selbst, zu anderen, zur Natur und/oder zur Transzendenz (Gott, höheres Wesen …). Sie stellt auf Wunsch Kontakt zu Religionsgemeinschaften her.

Verbindung zu religiöser Gemeinschaft

4. Rückzug und Isolation/Rückzug und Einsamkeit Pat. äußert emotionale Kraftlosigkeit, zieht sich von anderen zurück oder wirkt einsam.

–– Nach Chorälen, Gebeten, vertrauten Ritualen fragen

Verbindung zu religiösen (traditionellen) Ressourcen (wiederfinden, neu finden, stärken …)

–– Entlastung von Schuldgefühlen –– Gottesvorstellungen thematisieren –– Einmaligkeit eines Lebensweges hervorheben –– Das »Zeitliche segnen« –– Identität stärken –– Biografiearbeit –– Veränderungsprozesse begleiten –– Raum bieten, Lebensleistung anerkennen –– Entlastung von Schuldgefühlen –– Gottesvorstellungen thematisieren, (neu) finden

Fragen nach Schuld und Vergebung Biografische Brüche

Lebensbilanz Fragen nach Schuld und Vergebung

EBENE IDENTITÄT

–– Verbindung zu persönlichen Ressourcen wiederfinden, neu finden, stärken

–– Bindungen suchen, (wieder-)herstellen, stärken, feiern –– Tragende (vorhandene oder verloren gegangene) Bindungen bewusst werden lassen –– In Kontakt mit eigenen Ressourcen bringen

Zielbestimmung der seelsorglichen Intervention

Frieden erleben/in Schönheit der Natur eintauchen

Verbindung zu Orten, Lebewesen, Gegenständen

Indikation/ Spirituelles Thema

Indikationen-Set

Indikationen-Set für Gesundheitsberufe zum Beizug von Seelsorge

227

II

–– Identität stärken –– Handlungsspielräume suchen –– Gefühlen Raum geben und anerkennen –– Identitätsstiftende Elemente würdigen/stärken/ anerkennen

Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit Neues Selbstbild/Integrität in Versehrtheit

Seelsorge steht Pat. und den Mitarbeitenden klärend, ergebnisoffen beratend und begleitend zur Seite.

7. Ethische Konflikte Es gibt ein Unbehagen bezüglich angemessener Betreuung, Versorgung und Behandlung bei irgendeiner/m der Beteiligten und Betroffenen, es besteht hoher Diskussionsbedarf.

–– In persönlicher Entscheidungsfindung begleiten –– Persönliche Werte eruieren und benennen

–– In eigener Entscheidungsfindung unterstützen –– Erfahrungsbereiche von Sinn im Leben bewusst machen: Kreativität (z. B. Beruf, Erreichtes, Sport …), Erfahrung (Liebe, Schönheit, Kunst …) und Haltung (Glaube, Werte …), Vermächtnis (was bleibt)

Ethische Konflikte (Behandlungsabbruch, Therapiewahl, Patientenverfügung, ACP …) Assistierter Suizid

EBENE WERTE

–– Als Teil eines einmaligen Weges/Teil der Identität sehen –– Raum für Deutungen und Deutungsrahmen anbieten –– In der Sinnsuche begleiten/Sinnverschiebungen

Ungelöste Fragen/ Lebens-Sinn

Seelsorge bietet Anwaltschaft für die Autonomie des Pat. und für seine unverlierbare Würde an sowie Begleitung in Sinnfragen.

–– Handlungsspielräume/Handlungsfähigkeit in Abhängigkeit –– »Würde« der Abhängigkeit anerkennen –– Wie erhalte ich mir ein Gefühl von Kontrolle bei Abhängigkeitserfahrung?

Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, (bewusst angenommene) Abhängigkeit, (Mit-)Verantwortung

6. Identitätskonflikt und Kontrollverlust Pat. verhält sich passiv, wirkt unzufrieden oder bitter und gilt als »schwierig« oder nicht kooperativ.

Zielbestimmung der seelsorglichen Intervention

Indikation/ Spirituelles Thema

II

Indikationen-Set

228 Traugott Roser, Renata Aebi und Pascal Mösli

Teil III

Exemplarische Arbeitsfelder der Seelsorge im Krankenhaus – Situationen und Gegenüber

Seelsorge mit suizidalen Menschen

Christian Braune

»Herr: es ist Zeit …« R. M. Rilke1

Wenn zu leben bedeutet, in Beziehung zu sein mit sich, mit anderen und mit einem verbindenden Sinn, dann ist der Suizid das tragische Scheitern dieser Grundbeziehungen. In der Begleitung geht es darum, aus der Verhältnislosigkeit wieder zurück in lebendige Kommunikation zu finden und Ja zum Leben mit seinen hellen und dunklen Seiten zu sagen.

1 Fallbeispiel Als ich in das Schlafzimmer trat, lag die 87-jährige Bewohnerin einer Hamburger Seniorenresidenz tot mit einer über den Kopf gezogenen Plastiktüte auf dem Boden ihres Appartements. Leise trat der Ehemann hinter mich. Wir schwiegen. Schließlich sagte er: »Sie hat es geschafft, so wie sie es wollte …« Dann fing er an zu weinen: »Ich vermisse sie so sehr, so sehr. Aber zuletzt ging es nicht mehr … Sie war ganz klar in ihrem Wunsch. In den letzten Jahren, als die Krankheit ihr immer mehr Leben nahm, hat sie begonnen, sich mit ihrem Tod zu beschäftigen. Irgendwann war klar, dass sie es tun würde. Ihr Wunsch wurde immer stärker.« In den Gesprächen in den Tagen nach dem Tod entstand das Bild einer klugen, lebensbejahenden Frau, die am Ende ihres Lebens müde geworden war unter der Last nicht zu behebender Schmerzen und fortschreitenden Verfalls. »Sie hat sich selbst irgendwann nicht mehr wiedererkannt«, sagte der Ehemann: »Und sie war ein Mensch, der Entscheidungen traf, immer schon.« Trotzdem machte er sich Vorwürfe, ob er seiner Frau wirklich alle Unterstützung hatte geben können, die sie brauchte, und ob der Schritt nicht hätte vermieden werden können. Nur langsam konnte er 1 Herbsttag (Rilke, 1957, S. 135).

III

232

Christian Braune

sagen, dass er nicht nur sehr traurig war, sondern sich von seiner Frau auch verlassen fühlte. Die Melange aus Schmerz, Schuldgefühl und wütendem Vorwurf hielt noch lange an, bis er langsam trauern und innerlich Abschied nehmen konnte. Bei der Beerdigung drei Wochen später haben wir das Gedicht gelesen, das sie sich in ihrem Abschiedsbrief gewünscht hatte: »Herr: es ist Zeit, der Sommer war sehr groß …«

2 Basis-Daten

III

Alle 53 Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch von eigener Hand. Ca. 10.000 Menschen nehmen sich in jedem Jahr das Leben. Die Dunkelziffer ist hoch. Laut Expertenmeinung der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) liegen die tatsächlichen Suizidzahlen beim Drei- bis Fünffachen. Damit sterben in Deutschland deutlich mehr Menschen durch einen Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen, Gewaltdelikte und HIV zusammen. Unter den gewählten Methoden dominiert die Selbsttötung durch Erhängen, Strangulieren und Ersticken. Der mit Abstand am häufigsten gewählte Ort ist die eigene Wohnung. Die Suizidalität steigt mit zunehmendem Alter. Über 65 Jahre alte Frauen und Männer haben die höchsten Suizidraten aller Altersgruppen. Männer töten sich deutlich häufiger als Frauen (70 % zu 30 %). Mehr als 200 Kinder nehmen sich Jahr für Jahr in Deutschland das Leben. Die DGS schätzt die Anzahl von Suizidversuchen auf 100.000 pro Jahr. Von jeder Selbsttötung bzw. jedem Selbsttötungsversuch sind durchschnittlich ca. sechs Menschen, Angehörige, Freunde, Kolleg*innen und Nachbarn, unmittelbar betroffen. Sie sind manchmal Zeugen des Geschehens. Dazu kommen Mitarbeiter*innen der Rettungsdienste und der helfenden Berufe wie Ärzte, Pflegende, Polizisten, Feuerwehrleute, Seelsorger und Therapeuten. Sie alle benötigen fachliche Unterstützung bei der Verarbeitung eines Suizidgeschehens.2 Auch der Sterbewunsch alter und schwerkranker Menschen rückt in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit. Seit mit dem Jahr 2009 in den Niederlanden das liberalste Sterbehilfegesetz der Welt in Kraft getreten ist, erhöhen sich die Zahlen kontinuierlich. Allein von 2012 auf 2013 stieg die Zahl der Sterbe­ hilfefälle dort um 15 % auf knapp 5.000 pro Jahr. Mehr als 70 % aller Anträge werden von Krebspatienten gestellt.3

2 Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Hilfe in Lebenskrisen e. V. (DGS), o. J. 3 Vgl. Aerzteblatt.de, 2017.

Seelsorge mit suizidalen Menschen

233

3  Was nicht stimmt – fünf Mythen über den Suizid Falsch: Hunde, die bellen, beißen nicht. Wer von Suizid redet, begeht ihn nicht. Richtig: Acht von zehn Suizidenten kündigen ihren Suizidversuch auf eine allerdings oft erst im Nachhinein zu verstehende Weise an. Falsch: Bloß keine schlafenden Hunde wecken. Man bringt einen labilen Menschen womöglich auf die Idee. Richtig: Die vermutete Suizidneigung nicht anzusprechen, bedeutet, die Isolation und damit auch das Suizidrisiko zu vergrößern. Falsch: Wer einen Suizidversuch unternimmt, will sich nicht unbedingt das Leben nehmen, sondern ruft nur um Hilfe und will auf sich aufmerksam machen. Richtig: Die meisten Lebensmüden schwanken zwischen dem Wunsch zu leben und dem zu sterben. Immer aber wird der Tod einkalkuliert. Die Unterscheidung zwischen »ernsthaftem« und »unernsthaftem« Versuch ist deshalb dem Suizidgeschehen nicht angemessen. Falsch: Besserung nach einer suizidalen Krise bedeutet das Aufhören des Risikos. Richtig: Die meisten Wiederholungssuizide geschehen in den drei Monaten nach der beginnenden Besserung. Falsch: Menschen, die einen Suizidversuch begehen, sind psychisch krank. Richtig: Bei vielen Menschen in einer suizidalen Krise finden sich depressive Erschöpfungszustände, schwerer Drogen- und Alkoholmissbrauch und Erkrankungen mit psychiatrischer Behandlungsindikation, aber nicht alle sind notwendig psychisch krank.

4  Lebensmüdigkeit und Suizidalität als Prozess Die Gründe für den Tod von eigener Hand sind vielfältig. Jede Entscheidung, sich das Leben zu nehmen oder um Sterbehilfe zu bitten, hat eine jahrelange Vorgeschichte. Niemand tut es spontan. Am Anfang der Entwicklung, die schließlich in den Suizid führt, stehen physische, psychische und soziale Belastungen, die sich in wechselseitiger Verstärkung im Laufe der Zeit krisenhaft so zuspitzen können, dass ein Mensch nicht mehr leben will und sich das Leben nimmt bzw. nehmen lassen will. Was einen Menschen an die Grenze des für ihn Erträg­ lichen bringt, ist sehr unterschiedlich. In der Regel sind es Ereignisse, die die

III

234

III

Christian Braune

körperliche und seelische Integrität schwer belasten: Der Tod naher Angehöriger, vor allem von Kindern, die Diagnose einer nicht mehr heilbaren Erkrankung mit chronischen massiven Schmerzzuständen, der Verlust des Arbeitsplatzes ohne Aussicht auf ein neues Beschäftigungsverhältnis, der Bankrott einer wirtschaftlichen Unternehmung mit einem nicht mehr zu tilgenden Schuldenberg. Zu den Suizid-Risikogruppen gehören vor allem Substanzmittelabhängige, an einer Depression und an einer Schizophrenie Erkrankte, alte und vereinsamte Menschen, alle, die schon einmal einen Suizidversuch unternommen haben und alle, die ihn ankündigen. Dabei sind die körperliche und seelische Belastbarkeit (die sog. Resilienz) im Umgang mit Konflikten, beschämenden Niederlagen und ängstigenden Existenzbedrohungen unterschiedlich groß. Was der eine erträgt, kann für die andere Grund für abgrundtiefe Verzweiflung sein. Fast immer spielen drei Gefühle eine wesentliche Rolle: Das Schuldgefühl (»Ich habe alles falsch gemacht. Ich habe kein Recht mehr, zu leben!«), das Gefühl der Scham (»Wer soll mich noch mögen, ich habe mich unmöglich gemacht!«) und das Gefühl der Verzweiflung. Menschen, die sich mit einer Selbsttötung als letztem Ausweg aus einer Lebenskrise beschäftigen, leiden häufig unter einem geringen Gefühl für ihren eigenen Wert und trauen sich nicht zu, die Geschicke ihres Lebens selbst zu gestalten. Sie haben ein geringes Gefühl für ihre Selbstwirksamkeit4. Sie ertragen nur schlecht ambivalente Gefühle und sind in der Regel eher konfliktscheu, mögen nicht streiten und möchten es den Menschen, die ihnen etwas bedeuten, recht machen. Anderen sehen sie Fehler nach, sich selbst gegenüber aber haben sie hohe Ansprüche bis hin zum Perfektionismus und verzeihen sich selbst kein Scheitern. Sie sind auf dauernde emotionale Unterstützung durch andere angewiesen und erleben das Ausbleiben von Lob bzw. Anerkennung oder behutsame Kritik als narzisstische Kränkung, die in ihnen eine tiefe Wut weckt, die sie sich aber nur schwer eingestehen können und die sie gegen sich selbst wenden: »Dann gehe ich eben und du wirst sehen, was du davon hast!« Sie schwanken zwischen grandioser Selbstüberschätzung und verzweifelter Deprimiertheit. Ihr seelischer Schwerpunkt ist kaum ausgebildet und es gelingt ihnen nur schwer, in belastenden Situationen ihre innere Balance zu bewahren. Mit der Selbsttötung schützen sie sich vor weiteren Kränkungen. In ihrer Fantasie ist der Suizid ein Weg in eine letzte Geborgenheit und in einen unverlierbaren Frieden. Er gibt ihnen das beruhigende Gefühl, am Ende doch Herr über das eigene Leben zu sein. Jean Amery5 beschreibt in »Hand an sich legen. 4 Rutter, 1985. 5 Amery, 1993.

Seelsorge mit suizidalen Menschen

235

Diskurs über den Freitod«, eindrücklich die Selbsttötung als letzten Akt personaler Freiheit und wiedergewonnener Handlungsmöglichkeit. Wenn ich nichts mehr kann, kann ich doch noch im Tod mein Schicksal selbst bestimmen … So ist der Suizid paradoxerweise auch eine Suche nach dem Leben und einer letzten Autonomie. Dass in dieser Interpretation des eigenen Handelns der Gedanke an Angehörige und Nahestehende ausgeblendet wird, weist auf die Einengung im Denken und Fühlen hin, die typisch für die suizidale Dynamik ist und in der aggressive Aspekte der Selbsttötung abgespalten werden. Walter Pöldinger6 hat den Weg in den Suizid in vier Etappen unter dem Stichwort der zunehmenden Einengung in emotionaler, kognitiver und handlungsorientierter Hinsicht beschrieben. Am Beginn der suizidalen Entwicklung wird die Selbsttötung als Mittel zur Lösung von Lebensproblemen erwogen. »Wenn nichts mehr geht, kann ich ja gehen …« Viele Menschen kennen diesen sie beruhigenden Gedanken als Mittel der Stress- und Krisenbewältigung. Ein Gespräch tut häufig gut und wird dankbar angenommen. Mit dem nächsten Schritt verstärkt sich der Problemdruck und reduzieren sich die Problem­ lösungsmöglichkeiten. Das Wirklichkeitserleben wird ambivalenter im Sinn eines Entweder – Oder. »Entweder mein Mann kehrt zu mir und den Kindern zurück oder ich bringe mich um, denn dann hat das Leben keinen Sinn mehr …« Die Fülle der Handlungsmöglichkeiten engt sich immer mehr auf eine Ja/NeinSicht ein. Auffallend sind in dieser Phase die großen emotionalen Schwankungen. An einem Tag ist der Betroffene deprimiert und völlig hoffnungslos, am nächsten ist er wieder »obenauf«. Obwohl viele Suizidgefährdete in dieser Situation nicht von sich aus um Hilfe bitten, sind sie auf ihre Situation ansprechbar und oft dankbar für Unterstützung, die den Druck mindert und neue Entscheidungsräume öffnet. Erhält der oder die Suizidgefährdete in dieser Phase keine Hilfe, trifft der Lebensmüde seine Entscheidung. In der von E. Ringel7 so genannten »Präsuizidalen Pause« wirkt er nach außen wieder erstaunlich ruhig, manchmal sogar gelöst, was den Angehörigen und Nahestehenden suggeriert, die Krise sei überwunden. Das Gegenteil ist der Fall: Mit der Entscheidung für die Selbsttötung löst sich die belastende emotionale Ambivalenz. Für klärende Gespräche und Unterstützung ist der Betroffene nicht mehr erreichbar. Seelisch hat er sich abgekoppelt und folgt seiner inneren Logik, in der der Suizid notwendig und unausweichlich ist.

6 Pöldinger, 1968. 7 Ringel, 1999.

III

236

Christian Braune

Autoaggression

Aggression

S

III

H

Flucht

Appell

Abb. 3: Grundintentionen der Suizidhandlung (SH)

K. J. Linden8 stellt vier Grundintentionen der Suizidhandlung (SH) als zwei Gegensatzpaare dar und zeigt, dass bei jeder Selbsttötung alle Motive vorkommen, eines aber in der Regel prominent ist: die aggressive Intention, die auf die Auslöschung des kränkenden anderen aus ist. Sie steht in Spannung zu der Motivation der Selbstauslöschung als Bestrafung für den Tötungswunsch. Die Intention von Flucht als Rückzug auf einen als geborgen vorgestellten Primärzustand steht in Spannung zu der Motivation des Appells als eines Hilferufes. So wie ein Suizid nicht nur einen Grund hat, so hat er auch nicht nur eine Botschaft. Es ist darum verständlich, dass Patient*innen nach einem Suizidversuch häufig das Behandler-Team spalten. Ein Teil der Mitarbeiter*innen spürt die aggressiv-vorwurfsvollen Aspekte des Selbsttötungsversuches, ein anderer identifiziert sich mit der verzweifelt-autoaggressiven Seite. In der Supervision kann es gelingen, verstehbar zu machen, dass beide Ausdruck der komplexen suizidalen Dynamik sind und zusammengehören. 8 Linden, 1969.

Seelsorge mit suizidalen Menschen

237

5  Seelsorgliches Ziel Versteht man den Suizid als Ausdruck tragischen Scheiterns in der Kommunikation mit sich selbst, mit nahen anderen bzw. der Mit-Welt und mit einem Lebenssinn, ist Ziel seelsorglicher Begleitung die Wiederherstellung dieser drei Beziehungsaspekte menschlichen Daseins. Das meint »trotzdem Ja zum Leben zu sagen« (V. Frankl)9 und es mit seinen Belastungen, Kränkungen und den Scham- und Schuldgefühlen als das eigene zu mögen. Die innere Grundhaltung des Begleitenden heißt: »Du darfst die Selbst­ tötung als Akt deiner Autonomie denken. Du darfst sie tun. Du musst sie aber nicht (noch einmal) tun« statt: »Das ist eine große Sünde«, »du bist verantwortungslos« und »ich will dich retten.« Also: Erleichterer bzw. Erleichterin sein statt Besserwisser*in, Gesprächspartner*in statt Inquisitor*in. Offenes und direktes Ansprechen suizidaler Gedanken führt zu einem entlastenden Teilen der inneren Einsamkeit und der Selbstvorwürfe und hat einen kathartischen Effekt. Das Angebot einer verlässlichen, vertrauensvollen, in Art und Umfang klar definierten Gesprächssituation vermittelt das Angebot, sich öffnen und mitteilen zu dürfen. Es ist darauf zu achten, weder mit dem Suizidenten identifikatorisch zu verschmelzen (»Ich kenne ihre Gefühle so gut!«), noch ihn latent zu verurteilen (»Was Sie getan haben, werden Sie bestimmt nicht noch einmal tun!«). Es geht vielmehr darum, im Sinn einer Erkundung Zusammenhänge zu verstehen, z. B. die Ambivalenz zwischen dem Wunsch, leben und es gut machen zu wollen, und dem regressiven Wunsch nach Ruhe und Konfliktfreiheit. Gut ist es, Erfahrungen anzuregen, die den Suizidenten erleben lassen, dass er sein Leben nicht nur erleiden muss, sondern selbst gestalten kann und dafür das Wagnis einzugehen, sich anderen Menschen, Werten und sich selbst zuzuwenden. Gleichzeitig bleibt es wichtig, das Kontrollbedürfnis des oder der Betroffenen und seine/ihre Scham, als »Selbstmörder*in« stigmatisiert zu werden, zu akzeptieren. Fehler sind das Bagatellisieren: »Das wird schon wieder, ich kenne da noch viel schwierigere Fälle als Sie …«, das Dramatisieren: »Es muss Ihnen ja entsetzlich gehen nach all dem, was Sie in den letzten Stunden durchgemacht haben …« und das Moralisieren: »Wie wollen Sie das eigentlich Ihrem Mann und Ihren Kindern erklären, was Sie gemacht haben?« Eigene Erfahrungen weiterzugeben (»Vor Jahren habe ich auch einmal eine Kurzschlusshandlung gemacht!«) vermittelt dem Betroffenen, dass nicht er wichtig ist, sondern die begleitende Person mit ihrer Lebenserfahrung. 9 Frankl, 1978.

III

238

Christian Braune

Offene Fragen (»Mögen Sie mir erzählen, wie es Ihnen im Augenblick geht?«) lassen die Möglichkeit zu, auch Nein zu sagen. Geschlossene Fragen, die mit »Warum« beginnen, provozieren eine Rechtfertigung und sind kontraproduktiv. Und wenn man nichts zu sagen weiß, ist es vielleicht das, was man sagen soll: »Im Augenblick finde ich keine Worte …«. So haben schon gute Gespräche begonnen.

6  Die Angehörigen

III

Angehörige sind Co-Patient*innen. Auch sie werden von den Ambivalenzen des Selbsttötungsgeschehens erfasst und schwanken zwischen Schuldgefühlen (»Wir hätten etwas merken müssen!«) bzw. Scham (»Was bin ich nur für eine Mutter …!«) und tiefer Wut (»Warum tut sie uns das an?«) hin und her. Sie brauchen kein Mitleid, keine Vorwürfe und kein vorschnelles »Verstehen«, sondern das Da-Sein verlässlicher Begleiter*innen, die Gesprächsmöglichkeiten anbieten. »Die spirituellen Erfahrungen, die die Hinterbliebenen mit ihren Verstorbenen erleben, sind der Grund ihrer Hoffnung, dass die Toten nicht verloren sind. Und diese Gewissheit wiederum verstärkt oder bewirkt bei den Trauernden den Glauben an eine höhere Macht. Für säkulare Menschen schenkt nicht in erster Linie der Glaube an Gott im Trauerfall die Gewissheit, dass ihre Verstorbenen gut aufgehoben sind, sondern vielmehr bewirken ihre spirituellen Erlebnisse mit den Verstorbenen die Gewissheit über die Existenz Gottes.«10 Bei einem vollendeten Suizid sollte die Möglichkeit, vom Toten Abschied zu nehmen, mit den Angehörigen besprochen werden. Vor einem Besuch nach einem Selbsttötungsversuch muss abgeklärt werden, ob ein Konflikt mit den Angehörigen Auslöser für den Suizidversuch war, und ob der oder die Patient*in dem Besuch zustimmt. Es ist sinnvoll, den Besuch mindestens beim ersten Mal zu begleiten und für ein anschließendes Gespräch bereit zu sein. Bei öffentlichen Suiziden sind auch Zuschauer Mitbetroffene. Sie anzusprechen, Informationen zu geben und entlastende Gespräche anzubieten, hilft ihnen, das Miterlebte zu verarbeiten.

10 Schmolke, 2019.

Seelsorge mit suizidalen Menschen

239

7  Der Sterbewunsch der Lebensmüden und Erschöpften Lebensmüde sind häufig bis über die Grenze ihrer Leidensfähigkeit hinaus erschöpft. »Ich bin eine Kämpfernatur«, sagte mir ein 79-jähriger Patient mit einem inoperablen Lungentumor, mit dem er schon mehrere Jahre lebte. »Ich habe viel durchgemacht, glauben Sie mir, ich gebe nicht so leicht auf. Aber das jetzt, dass ich keine Luft mehr bekomme und die Angst in mir hochkriecht, dass ich bei lebendigem Leib ersticke und keine Aussicht habe, dass es wieder besser wird, das will ich nicht mehr. Das ist kein Leben für mich, das ist bloßes Dahinvegetieren.« Er wandte sich an die Schweizer Selbsthilfeorganisation Exit und starb ein halbes Jahr nach dem Gespräch in einem Hotelzimmer in Winterthur im Beisein seiner Familie. Als bei einer 83-jährigen ehemaligen Richterin am Oberlandesgericht der Beginn einer demenziellen Erkrankung diagnostiziert wurde, sagte sie: »Ich fühle mich, als würde ich entkernt. Meine Person löst sich auf. Ich bin gar nicht mehr ich selbst. Ich will aber kein sabberndes, lallendes Etwas sein, das nicht mehr lebt, sondern nur noch da ist.« Sie formulierte dann drastisch: »Jedem Tier gibt man den Gnadenschuss, wenn es nicht mehr geht. Warum muss ich sehenden Auges meine Würde verlieren?« Ein ehemaliger Redakteur der »Tagesschau« sagte mir bei einem Besuch anlässlich seines 100. Geburtstages: »Alle gratulieren mir zu meinem langen Leben. Die haben keine Ahnung! Es gibt niemanden mehr, mit dem ich über meine Jugenderlebnisse reden kann, kein einziger Freund von damals ist mehr da, ich bin ganz allein, ein übriggebliebenes Fossil einer längst vergangenen Zeit …« Und dann etwas leiser: »Sie wissen, dass ich nicht religiös bin, aber manchmal denke ich, Gott hat mich vergessen … aber man kann ja wohl nicht nachhelfen« und sah mich dabei fragend an.

Der Wunsch nach Sterbehilfe hat viele Dimensionen. Ebenso wie es den Suizid nicht gibt, so gibt es auch nicht den Sterbewunsch. T. Roser11 hat die Ambivalenz zwischen Lebensmüdigkeit und Lebenssattheit an der Grenze am Beispiel einer hochbetagten Bewohnerin eines Altenwohnstiftes beschrieben. Er zeigt, dass Seelsorger*innen nicht nur im Gespräch, sondern auch rituell, z. B. im Abendmahl und mit einer Segenshandlung, die Möglichkeit haben, die wesentlich zum Leben gehörenden Spannungsverhältnisse coram deo mitzutragen. Manchmal geht es um eine Bilanz: »Es ist genug. Ich habe alles erlebt und hatte ein gutes Leben. Was soll noch kommen? Ich will gehen, bevor es schlimm und unerträglich wird. Und das Einschlafen stelle ich mir wunderbar vor.« Oft ist es die Flucht vor unerträglichen Schmerzen, die ein Mensch trotz der Versicherung der Palliativmedizin, niemand müsse überwältigende Schmerzen erlei11 Roser, 2012.

III

240

III

Christian Braune

den, nicht mehr erträgt und um Unterstützung für sein Lebensende bittet. Hin und wieder ist es das Gefühl, überflüssig und nicht mehr wertvoll zu sein, das einen Menschen sagen lässt: »Mein Dasein ist sinnlos und ich möchte es beenden.« Nur im aufmerksamen Einzelkontakt in einer Haltung grundsätzlicher Akzeptanz und im genauen Hinhören auf die Zwischentöne und die latenten Botschaften, die nicht verbal ausgedrückt werden, gelingt es, den Sinn des Wunsches nach Sterbehilfe zu verstehen. Dann wird in manchen Fällen hinter dem Wunsch: »Ich möchte sterben« der eigentliche Wunsch: »Ich möchte leben, aber anders als bisher« zum Vorschein kommen. Vielleicht gelingt es hin und wieder, das Gefühl des Nicht-Gebraucht-Werdens und des Überflüssig-Seins anzusprechen, und auszuloten, was für sie bzw. ihn unter den gegebenen Bedingungen (noch) ein gutes Leben ist. Bestimmt wird es aber eine Gruppe von Menschen geben, deren Wunsch nach Sterbehilfe nachvollziehbar ist. Die Diskussionen um die Themen Tod auf Verlangen und ärztlich assistierter Suizid werden auch nach den gesetzlichen Regelungen 2015 nicht beendet sein, wie die aktuelle Diskussion um das sog. »Sterbefasten«12 zeigt.

8  Darf man sich das Leben nehmen? »Kaum ein anderes Lehrstück der traditionellen christlichen Ethik hat so viel Leid verursacht wie ihr striktes Verbot der Selbsttötung. Der Suizid, von Augustinus als ›verabscheuungswürdiges Verbrechen und verwerflicher Frevel‹ verurteilt, gilt der katholischen Kirche bis heute als Todsünde. Zur Begründung werden seit Thomas von Aquin im Wesentlichen drei Gründe angeführt: Die Selbsttötung widerspreche der natürlichen Neigung des Menschen, sein Leben zu erhalten, sie missachte das Verfügungsrecht Gottes, der allein Herr über Leben und Tod sei, und der Suizident entziehe sich seiner Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen.«13 Am Ende entscheiden sich Menschen für den Tod von eigener Hand, ohne sich von moralischen (»Freitod ist Sünde gegen die menschliche Natur.«), religiösen (»Gott hat das Leben gegeben und nur Gott darf es zurücknehmen«) oder sozialen (»Denk daran, was du deinen Kindern antust!«) Bedenken abhalten zu lassen. Sie folgen ihrer eigenen Logik. Man kann fragen, wie frei und selbst12 Vgl. die kontroversen Beiträge von Alfred Simon und Bernd Alt-Epping in der Zeitschrift für Palliativmedizin 2018: Simon, 2018; Alt-Epping, 2018. 13 M. Pawlik in einer Rezension von E. J. Bauer et al. »Wenn das Leben unerträglich wird« in der F.A.Z.: Pawlik, 2012.

Seelsorge mit suizidalen Menschen

241

bestimmt ein Mensch ist, wenn er eine Selbsttötung erwägt oder den Wunsch nach Sterbehilfe hat. Niemand hat aber das Recht, darüber im Namen welcher Wahrheit auch immer zu urteilen. Jede und jeder stirbt einen eigenen Tod, so wie sie und er sein/ihr eigenes Leben lebt. Das gilt auch für das Sterben von eigener Hand. Die christlichen Kirchen haben sich mit der Akzeptanz des Suizids schwergetan und die Selbsttötung bis in die jüngste Zeit verurteilt. Seelsorgerinnen und Seelsorger begegnen darum immer wieder deutlichen Vorbehalten (»Sie müssen das ja anders sehen, Herr Pastor«!). Es verbietet sich, vorwurfsvoll mit biblischen Brocken auf Menschen zu werfen, die diese Entscheidung treffen. Kein Mensch tötet sich selbst, weil er sich »gegen Gott auflehnt« oder weil er sich in hybrider Absicht zum Herren seines Lebens aufschwingt und sich eine Entscheidung anmaßt, die nur Gott treffen darf. Die Bibel erzählt ohne moralische Wertung von Menschen, die sich das Leben genommen haben: König Saul und sein Waffenträger (1 Sam 31,4), Simson (Ri 16,28) und Abimelech (Ri 9,4) und schließlich Judas Iskariot (Mt 27,3). In allen Fällen erscheint die Selbsttötung nachvollziehbar als Konsequenz tragischen Scheiterns, zu der es keine Alternative gibt. Er wird nicht verurteilt. Mit dem Suizid schützt sich der Suizident vor weiterer Kränkung und Beschämung oder übernimmt auf diese Weise die Verantwortung für sein zerstörerisches Handeln. Niemand aber stirbt aus dem universalen Sinnzusammenhang, den wir »Gott« nennen, heraus. Wir sterben in »Gott«, der Grundgüte des Lebens, hinein. (Röm 8,38–39).

9 Hilfen in der Begleitung lebensmüder und suizidaler Menschen Widerstände auf Seiten der Seelsorgenden sind verständlich. Häufig sind sie Reflexionen einer nachvollziehbaren Angst, selbst in das suizidale Geschehen hineingezogen zu werden. Die wichtigste und für die professionelle Beziehungsgestaltung entscheidende Aufgabe ist es darum, immer wieder auf die angemessene Balance zwischen Zuwendung und Distanz zu achten. Das Moralisieren (»Haben Sie gar nicht an Ihre Kinder gedacht?«), das Rationalisieren (»Suizide sind häufiger als man denkt«), das Bagatellisieren (»Machen Sie sich keine Sorgen, es ist ja noch mal gut gegangen!«) und das Dramatisieren (»Um Gottes willen, Sie müssen ja fürchterlich allein gewesen sein!«) versperren den Zugang zur Innenwelt des/der Suizidenten*in. Ein aufmerksames Interesse ohne neugieriges Ausspähen der Innenwelt des Patienten und eine respektvolle, Unterstützung anbietende Haltung, ohne als Helfer*in übergriffig zu

III

242

Christian Braune

werden, ermöglichen den Kontakt. Die Fragen »Wie geht es Ihnen heute? Womit kann ich Sie unterstützen? Haben Sie einen Wunsch an mich?« öffnen Türen. Man muss darauf gefasst sein, dass der/die Patient*in kein Interesse an einem Gespräch hat. Das kann sich ändern. Die Stimmungsschwankungen der meisten Patienten*innen sind ausgeprägt. Es ist darum sinnvoll, sich wieder vorzustellen. Klaus-Peter Jörns fragt, was Menschen in kritischen Situationen am Leben hält und nennt zwei Grundsätze: »a) Alles, was uns Menschen hilft, unsere Identität zu finden und zu bejahen, das hält im Leben und wirkt gegen eine Ausbreitung der Suizidalität. b) Alles, was dazu dient, uns Menschen durch Lebensbeziehungen miteinander zu verbinden und diese Beziehungen zu fördern, das schafft Sinn im Leben und verhindert Suizidalität«14

III

Er nennt Lebens-Mittel, die Sinn- und Lebensräume öffnen und die die Verbindung mit dem Leben stärken: Offen miteinander sprechen lernen und Widerstände auch als hilfreich erkennen. Literatur, also Märchen, Poesie und Prosa, biblische Geschichten und Traditionen anderer Religionen als Quelle des vertrauensvollen Umgangs mit den Herausforderungen des Lebens schätzen. Gebet und Meditation als Wege zu innerem Frieden einüben. Das Abendmahl als ­Sakrament unverbrüchlicher Gottes- und Menschenbeziehung, das Schuld nicht verschweigt und Vergebung erfahrbar macht, feiern.

10  Hinweise für die Ausbildung von Seelsorger*innen Neben einer gründlichen pastoralpsychologischen Ausbildung ist die theologische Arbeit an Gottes- und Menschenbildern eine kontinuierlich zu leistende Aufgabe. Immer mehr Menschen können mit der Vorstellung, Heil und Heilung geschähe exklusiv nur im Kontext christlicher Religion, nichts mehr anfangen. Sie empfinden das Christentum als eine unter vielen Möglichkeiten, das Leben zu verstehen. Vor allem Menschen in Krisen reagieren empfindlich auf theologische Motive wie Erwählung und Verwerfung, Vergebung und der Opfertod Jesu und der Vorstellung vom Tod als der Sünde Sold. Von ihnen können Seelsorger*innen lernen, auf die diesen Vorstellungen innewohnenden Gewaltaspekte aufmerksam zu werden und nach lebensdienlichen religiösen Grundbildern zu suchen. 14 Jörns, 1986, S. 88 f.

Seelsorge mit suizidalen Menschen

243

Zur weiteren Lektüre empfohlen Bauer, E. J./Fartacek, R./Nindl, A. (2011): Wenn das Leben unerträglich wird. Suizid als philosophische und pastorale Herausforderung. Stuttgart. Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Hilfe in Lebenskrisen e. V. (DGS) (o. J.): Suizidprophylaxe. Mitteilungsblatt der DGS. www.suizidprophylaxe-online.de (Zugriff am 1.3.2019). Otzelberger, M. (2002): Das Trauma der Hinterbliebenen. München. Willemsen, R. (2006): Der Selbstmord. Briefe, Manifeste, literarische Texte. Berlin.

III

Seelsorge mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien

Heike Kassebaum und Christa Schindler

Ist ein Kind krank, dann leidet das gesamte Familiensystem. Seelsorge im Kinderkrankenhaus und auf Kinderstationen bedeutet,

III

»dem Kind zu begegnen und bei ihm auszuhalten, ohne die Spannung, in der es lebt, auflösen zu können. Darin liegt die Möglichkeit neu entstehenden Vertrauens. […] Seelsorge geschieht durch die Begleitung des Kindes und seines Umfeldes. Sie ist an den Bedürfnissen des Kindes ausgerichtet.«1 Die Familie und das erkrankte Kind, der/die Jugendliche erleben durch die Erkrankung, die nur im Krankenhaus behandelt werden kann, eine massive Krise. An die Stelle des normalen bekannten Alltagslebens tritt eine komplett neue Lebenssituation mit zwei Lebensmittelpunkten: der Familie zu Hause und dem Kind, dem/der Jugendliche mit einem Elternteil in der Klinik. Fast immer ist eine Bezugsperson bei dem Kind/Jugendlichen: Eltern, Großeltern, andere Familienmitglieder oder Freunde. Sie ist nicht nur für das Kind, sondern auch für die Pflegenden und die Ärzt*innen Ansprechpartner*in. Deshalb gelingt Seelsorge in der Kinderklinik nur zu dritt – d. h. Eltern, Seelsorger*in und Kind/Jugendliche*r sind das Grundmuster für die Begleitung – nur mit der Einbeziehung des Familiensystems kann Seelsorge wirksam sein. Darüber hinaus muss Kinderkrankenhausseelsorge in besonderer Weise im multiprofessionellen Behandlungsteam vernetzt sein; Interdisziplinarität im Bereich der Pädiatrie ist von Kinderkrankenhausseelsorger*innen intensiv wahrzunehmen. Durch die Vernetzung, die im Rahmen der Schweigepflicht des/der Seelsorgenden geschieht, z. B. mit Krankengymnastik, Sozialdienst, Ernährungsberatung, psychosozialen Teams oder/und Teilnahme an ärztlichen 1 Seelsorge in Kinderkliniken und auf Kinderstationen | Konzeption | Verabschiedet und beschlossen von der Fachkonferenz für Kinderklinikseelsorgerinnen und Kinderklinikseelsorgern am 6.2.2007: Fachkonferenz Kinderkrankenhausseelsorge im Bereich der EKD, 2007.

Seelsorge mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien

245

Besprechungen, verdeutlicht und verdichtet sich das Bild der Gesamtsituation des Kindes/Jugendlichen und seiner Eltern.2

1  Die konkrete Praxis – ein Fallbeispiel Ich lerne Lauras Mutter ca. acht Tage nach der Geburt ihres zweiten Kindes auf der Intensivstation am Bett des Kindes kennen. Sie steht vor dem verkabelten Baby, das sich nicht rührt. Nach der Begrüßung der Mutter und kurzer Vorstellung meinerseits erzählt sie mir ihre Geschichte … Laura ist durch einen Gebärmutterriss unter der Geburt, der als solcher nicht erkannt wurde, nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt worden und nach Wiederbelebung mit einer Gehirnfunktion von 3 % seit ca. acht Wochen in der Kinderklinik. Als zweite Tochter ist sie Wunschkind der Familie. Sie hat eine 8-jährige Schwester. Laura liegt fast ohne Bewegung im Bett, kann die Augen nicht selbst schließen, kann nicht schlucken, aber selbstständig atmen. Wahrscheinlich ist sie blind und fast taub. Die Körpertemperatur hält sie, alle Organe arbeiten. Ernährung mit Muttermilch gelingt nur über eine Sonde. Zuerst hieß es, sie werde sicher sterben, dann erwarteten die Eltern, dass nach der Extubation der Tod innerhalb der nächsten Tage eintreten könnte – jetzt wird überlegt, wann und wie sie entlassen werden kann. Laura reagiert manchmal, sie dreht die Augen in meine Richtung, wenn ich komme und sie anspreche und streichle. Die Mutter ist vormittags und nachmittags da, der Vater arbeitet inzwischen wieder und kommt abends. Die Eltern haben viel Rückhalt in der Familie der Mutter: täglich kommt die Oma nachmittags bis abends, die Schwester der Mutter kommt oft für ca. drei Stunden am Abend. Laura wurde kurz nach der Einlieferung in der Kinderklinik getauft. In der Schocksituation der Eltern und der Familie war die Taufe eine gute Möglichkeit, auf einen weiteren Horizont zu verweisen. Eine Instanz, die versichert, dass das Leben weitergeht, weil Gott mitgeht und niemand aus dieser Familie mit dieser Situation allein ist.3 So tröstet das Sakrament besonders angesichts der ersten Information, dass Laura ganz bald sterben wird; Gott geht jetzt den Weg der Familie mit. In weiteren Gesprächen mit der Mutter sprach sie immer wieder von ihrem Gottvertrauen. »… ah ja, was da alle haben mit der Erschaffung der Welt. Gott – natürlich muss es Gott geben! Einer, der nicht nur die Welt sinnbildlich wollte und sie kreiert hat. Auch die Menschen – alles mit einer großen, starken Schöpfer2 Vgl. Schneidereit-Mauth, 2013; vgl. Kaiser, 2016, S. 54.152. 3 Vgl. Roser, 2017a, S. 217–224.

III

246

Heike Kassebaum und Christa Schindler

kraft-Hand. So passt das doch auch zu den Wissenschaftstheorien.« So ist für das Paar klar, dass auch Laura niemals allein sein wird. Nach intensiver Diskussion mit Seelsorge, Sozialdienst, fast allen versorgenden Schwestern/Pflegern und vielen Ärzt*innen hat sich die Familie gegen die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung entschieden, obwohl Laura dort in einer familienähnlichen Einheit mit nur sechs Kindern gelebt hätte. Sie soll nach Hause entlassen werden, mit Pflegedienst, der 24 Stunden die Pflege des Kindes im häuslichen Umfeld übernimmt. Die Familie lebt in einer 3-Zimmer-Wohnung, d. h. die Eltern werden im Wohnzimmer schlafen, es wird sehr eng werden. Die Mutter hatte vormittags als Friseurin gearbeitet – diesen Job wird sie auf Grund der Pflege des Kindes aufgeben müssen.

III

In den Gesprächen geht es um die Ressourcen der Familie und des Paares. Ressourcenorientierte Seelsorge richtet ihre Aufmerksamkeit auf Momente der Freude, der Kraft, der Inspiration und der Sinnhaftigkeit, die neben Schmerz und Leid zu finden sind.

2  Kontext und Themen der Seelsorge Das Fallbeispiel verdeutlicht die Vielschichtigkeit von Wirklichkeiten, in denen Kinder/Jugendliche und ihre Eltern und Zugehörige im Krankenhaus leben. Wenn Seelsorge in der Kinderklinik das System der Familie im Blick hat, dann ist deutlich, dass es sicher in jedem Krankenhaus je nach Spezialisierung und Schwerpunkten in den Abteilungen auch für die Seelsorge bestimmte Themen und Schwerpunkte gibt. Ein wichtiger Themenbereich ist die Ethik: Die Frage nach Behandlungsbegrenzung oder maximaler Therapie steht im Raum nach Frühgeburten (Kinder, die ab der 22. Woche geboren werden und anstrengende Monate vor sich haben). Oft wird maximale Therapie von den Eltern gewünscht, weil sie selbstverständlich für ein neugeborenes Baby das Beste möchten. Dann einzusehen, dass das Kind es kaum schaffen kann, überhaupt am Leben zu bleiben, ist sehr schwer. Wie gehen wir damit um? Wie weit gehen die Beteiligten – als Eltern, als Ärzt*innen? Gibt es eine Würde zu sterben? Wer entscheidet für diese Kinder?4

4 Vgl. Wiesemann/Dörries/Wolfslast/Simon, 2003.

Seelsorge mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien

247

Weitere Problemfelder: ȤȤ Enttäuschte Hoffnung auf vollständige Gesundung und ein ganz normales Leben nach Unfällen, Erkrankungen mit Beteiligung des Gehirns. ȤȤ Angst vor der Zukunft, Belastung der Partnerschaft/der Familie: Zukunftsperspektiven unter Einschränkungen und mit unbekannten Herausforderungen, d. h. Leben mit einem behinderten oder entwicklungsverzögerten Kind, mit der Zurücksetzung, die die Geschwisterkinder ertragen müssen, den privaten und finanziellen Konsequenzen, Aufgabe der Berufstätigkeit, Suche nach einem Pflegedienst, Zusammenleben mit einem Pflegedienst in der Familie, u. v. a. m. ȤȤ Gebrochenes Vertrauen in Behandlungsabläufe, unsicheres Vertrauen in gute Versorgung des Kindes in Abwesenheit, d. h., eine medizinische Versorgungssituation selbst kann traumatischen Stress bewirken. »Festhalten des Kindes, erhebliche Schmerzerfahrungen, gekoppelt mit Ohnmachtserfahrungen und Hilflosigkeit, insbesondere bei kleineren Kindern, sogenannte Bagatelleingriffe wie das Versorgen einer Platzwunde. Das Kind sollte nach Möglichkeit nicht unter Druck gesetzt werden.«5 Kinderkliniken haben eine Wächterfunktion. ȤȤ Das Erleben eines ganz veränderten Alltagslebens (Isolation, Ohnmacht, Unterbrechung der Schullaufbahn, Trennung von dem/der Freund*in bei Jugendlichen …). In der Kinderklinik begegnen Seelsorger*innen Kindern und Jugendlichen aller Altersgruppen, entsprechend dem Alter gestalten sich die Begegnungen und Gespräche.6 ȤȤ Veränderungen in der Eltern-Kind-Beziehung (ständige Präsenz der Eltern/ eines Elternteils versus Peergroup-Orientierung). Herausforderungen für die seelsorgliche Begleitung – In Krisen beistehen ȤȤ Konfrontation der Eltern mit schwerwiegenden Diagnosen; eine Mutter sagte dazu: »Es ist nichts mehr wie früher, es wird nie wieder gut!« ȤȤ Eltern ohne vorgeburtliche Prognose: Frage nach Schuld, Suche nach dem Verantwortlichen für die Situation – z. B. Lebensstil, unbekannte Vererbung innerhalb einer Familie, Rechtfertigungsfragen »Wusstet Ihr das eigentlich vorher?« 5 Vgl. Krüger, 2014, S. 163 ff. 6 Vgl. Klessmann, 2008.

III

248

Heike Kassebaum und Christa Schindler

ȤȤ Unanständige Gefühle wie Wut auf das Kind, Kränkung des elterlichen Stolzes, Traurigkeit über die eigene Situation, Schuldgefühle, Erleichterung gebraucht zu werden. Die Eltern brauchen Hilfe, um diese tabuisierten Gefühle wahrzunehmen und sich selbst wieder zu spüren – eine Herausforderung, um die Situation überhaupt bewältigen zu können.7 ȤȤ »Wie soll man ein Kind annehmen, das alle ablehnen?« (Kaiser, 2016, S. 266)

III

Bewältigung unterstützen – Horizonte entdecken ȤȤ Die Konfrontation mit der Wahrheit aushalten. Eltern möchten ihre Kinder schützen (das betrifft sowohl die Kinder als Patient*innen wie auch deren Geschwister).8 ȤȤ Bewältigung von Stress ist abhängig von drei Komponenten: •• Verstehbarkeit/hilft die Dinge realistisch einzuschätzen, •• Handhabbarkeit/braucht das Wissen um die eigenen Ressourcen, •• emotionale Bedeutsamkeit/Erfahrung von Sinnhaftigkeit Diese dritte Komponente ist die wichtigste in der Begegnung mit der Familie. »Wer etwas emotional als sinnvoll empfindet, wird eher motiviert sein, das Leben trotz eingebrochener Erfahrung von Sinnlosigkeit bestmöglich zu gestalten.«9 Familiensysteme stärken10 ȤȤ Vertrauen und Entscheidungsfindung in der Familie stärken. ȤȤ Nach Lösungsorientierung suchen, d. h. Verlassen der Opferrolle, um handlungsfähig zu werden, fragen: Was ist möglich? statt: Was ging schief?11 ȤȤ Verantwortungsabwehr erkennen helfen, Übernahme von Verantwortung in der Begleitung des Kindes im Krankenhaus unterstützen. ȤȤ Gegen Isolation und Allein-Gelassen-Werden der pflegenden Angehörigen nach Lösungswegen suchen. ȤȤ Geschlechtsspezifisch verschiedene Verarbeitung der Situation zwischen Mann (macht z. B. Internetrecherche) und Frau (sucht subjektive Krankheitstheorie) verursacht Rollenzuteilung, die keine Nähe bewirkt. Ermutigung, die Paarbeziehung durch Zweisamkeit wiederzufinden.12

     7      8      9 10 11 12

Vgl. Schneidereit-Mauth, 2013, S.  178 f. Vgl. Niethammer, 2010. Schneidereith-Mauth, 2015, S.  58. Vgl. Morgenthaler, 1999, S. 212 ff. Vgl. Baierl, 2014, S. 152. Vgl. Schneidereit-Mauth, 2013, S. 175 ff.

Seelsorge mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien

249

ȤȤ Wertschätzendes Kommunikationsverhalten innerhalb der Familie fördern, gemeinsame Lösungen innerhalb des gesamten Familienalltags finden. ȤȤ Durch Ordnen des Chaos herausfinden, welches Familienparadigma eine Familie zur Bewältigung von Krise und Chaos hat. Jede Familie hat eines!13 ȤȤ Rituale, Sakramente anbieten: Taufe, Segnung, Gebet … ȤȤ Das Verschenken einer Kinderbibel, einer CD mit Kinderliedern eröffnet einen neuen Rahmen und weitet den Horizont des Erlebten. Gott bleibt zeichenhaft da, auch wenn alle weg sind, als eine Macht, die Gutes für mich und mein Kind will. Diese Erkenntnis hilft auch Menschen, die zuvor äußerten, nichts mit Gott am Hut zu haben. ȤȤ Interesse wird gezeigt durch Teilnahme: »Es ist keine Zeitverschwendung, wenn ich mit dem Kind und Eltern einen Film anschaue, der gerade im Zimmer läuft, oder mit Handpuppenspiel oder Gitarrenklimpern und einfach nur da bin.«14 ȤȤ Schnell kann Konkurrenz zwischen Pflegenden und Eltern entstehen. Hilfreich ist es, im Kontakt mit der Mutter die Bindung und die Kompetenz der Mutter anzusprechen. Wertschätzung der jeweiligen Kompetenzen hilft: die Mutter kennt ihr Kind am besten und längsten, das Personal weiß am besten mit medizinischen Werten und Diagnosen umzugehen. ȤȤ Bewertungen der Qualität der Liebe der Vater-/Mutterbeziehung zum Kind vermeiden. Manche Mutter hat eine intuitive Verbindung zum Kind. Das ist »eine existentielle Verbundenheit, über die das Kind lernt, wie das entsprechende Elternteil mit den Herausforderungen und den Segnungen des Lebens umgeht, und über die das Kind diese Kompetenzen und Muster in sein eigenes Sein integriert. Das Wichtigste ist, dass wir verstehen, dass diese intuitive Verbindung nichts mit Liebe zu tun hat. Diese Art der Verbindung gehört zu einer Art der emotionalen Kategorie.«15 Trauerprozesse begleiten ȤȤ Der Verlust von Kontinuität und Stabilität muss in einem Anpassungsprozess bewältigt werden. Die Herausforderungen des Neuen müssen begriffen und angeeignet werden. Die Aufgaben des Trauerns können durch die seelsorgliche Begleitung unterstützt werden.16 13 14 15 16

Vgl. Schneidereit-Mauth, 2013, 177 f. Schindler/Buyer, 2014, S. 59. Juul, 2015. Vgl. Worden, 2004.

III

250

Heike Kassebaum und Christa Schindler

ȤȤ Mit der Diagnosemitteilung letal erkrankter Kinder beginnt der Trauerprozess bereits. Die Diagnose ist eine Verlusterfahrung, auf die weitere Erfahrungen von Abschied und Verlust folgen. Es findet eine antizipatorische Trauer der Familie statt: Trauer um ein noch nicht stattgefundenes Ereignis.17 ȤȤ In Gesprächen mit den Eltern kann der/die Seelsorger*in den liebenden Gott ins Gespräch bringen, der im Leiden dabei ist und tröstet, z. B. in der Geschichte der Arche Noah und des Regenbogens, und den Weg mitgeht.

3 Theologie und Handlungsformen der Kinderkrankenhausseelsorge

III

Seelsorge im Kinderkrankenhaus begreift »ihr Hören und Reden, ihr Dasein und Begleiten im Horizont des christlichen Glaubens«18. Seelsorge ist zuallererst religiöse Kommunikation. Sie kommuniziert aus religiöser Perspektive. Religion widmet sich Kontingenzerfahrungen, Sinn­ katastrophen (sog. critical life events wie Tod, überraschende Unfälle), die von anderen Systemen ausgeschlossen werden, weil es für sie keine Lösungsmöglichkeiten gibt. Das Charakteristische am critical life event ist, dass das eigentliche Problem, die Krankheit, nicht gelöst werden kann. Die Religion eröffnet eine neue Dimension von Selbst- und Fremdwahrnehmung dadurch, dass sie ein Verständnis der Welt als von Gott geschaffen mitbringt. Daher wird Religiosität als Ressource wichtig, die das critical life event bewältigen hilft. Im Kinderkrankenhaus funktioniert die Begegnung mit Kindern/Jugendlichen nur, wenn die entspannte, freundliche, dem Kind/Jugendlichen zugewandte Atmosphäre stimmt. Dieses ist die Grundvoraussetzung für seelsorgliches Handeln, weil wir unabhängig im Haus unsere Struktur gestalten und Zeit haben. Wir dürfen, können und sollen da sein und mitgehen, singen und spielen, und, wenn es gut war, verlässlich wiederkommen. Nur wenige Menschen im Betrieb eines effizient arbeitenden Klinikums haben diese Freiheit. Christliche Seelsorge hat ihren Ursprung in der biblischen Überlieferung; das Leitbild des barmherzigen Samariters mit seiner verantwortungsvollen Zuwendung zum Nächsten findet in der Seelsorge ihren Platz. Seelsorge heißt, »entgegen der Sinnlosigkeit von Krankheit, dem entschiedenen JA Gottes zu jedem Menschen zu vertrauen.«19. Im Kinderkrankenhaus kommt v. a. den bib17 Vgl. Schneidereit-Mauth, 2015, S. 59. 18 Klessmann, 2017a, S. 215 19 Schneidereit-Mauth, 2015, S. 91.

Seelsorge mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien

251

lischen Erzählungen von Jesu Umgang mit Kindern wesentliche Bedeutung zu, besonders im Blick auf die Würdigung von Kindern gegenüber Erwachsenen. Seelsorge findet im Zwischenraum der Klinik statt, außerhalb der Hierarchien mit einer Art Absichtslosigkeit im Zugang. Das ermöglicht eine Weitung und Öffnung der Themen. Das heißt, Eltern und Kinder/Jugendliche werden nicht auf ihre Erkrankung reduziert. Eltern stellen sich oft die Theodizee-Frage, fragen nach Gottes Gerechtigkeit: »Warum wir?«, »Wir haben uns so gefreut und haben jetzt ein krankes Kind!«, »So viele kümmern sich nicht um ihre Kinder und haben trotzdem gesunde Kinder – aber wir haben doch nichts falsch gemacht!« Gottes Liebe wird hinterfragt. »Darf ich mit Gott hadern und wütend sein und kann ich das überhaupt mit der Pfarrerin besprechen?«, das hat einen Hauch von Verrat für manche Eltern. Gottesbilder aus der Kindheit werden bemüht. Magische Kräfte werden von dem lieben Gott der Kindheit ersehnt: »Wenn einer das Ruder ›rumreißen‹ kann, dann Gott!« Eltern wollen oft ihre Fragen, Kritik und Unbehagen in und mit der Kirche klären. In der Begleitung werden diese Fragen offen geäußert, die Frage nach dem Sinn und dem Verstehen von Krankheit treibt die Erwachsenen um. »Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geworden ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm […]« (Joh 9,2) Wenn Kinder nach Gott fragen, dann geht es ihnen häufig um ihre Beziehung zu Gott und nicht um ein abstraktes Prinzip.20 Ich gehe gern mit einem Interview auf die Kinder zu; dafür ziehen sich die Eltern meist zurück und ich kann mit den Kindern ernste Gespräche führen. Dabei habe ich festgestellt: Kinder und Jugendliche theologisieren mit einer ihnen eigenen Selbstverständlichkeit, sie haben ihr eigenes Gottesbild und fühlen sich von Gott geliebt und beschützt. »Ich glaube nicht, dass Gott das wollte, dass ich so krank bin. Es ist einfach Zufall. Ich werde das jetzt einfach durchziehen.« (Noah, 11 J., Leukämie) Gott wird nicht mit der schwierigen oder sogar lebensverkürzenden Krankheit in Verbindung gebracht als versagte Liebe. »Ich denke manchmal an die Geschichte von Mose. Daran sieht man, dass Gott die Leute begleitet. Da hat er mit einem Stock das Meer geteilt und ist mit allen dadurch gegangen.« (Nick, 10 J., kurz vor der Stammzelltransplantation) Gott bleibt auf der Seite der Kinder – als positive Kraft. Kinder bleiben da sicher. Leid widerfährt den Menschen als schicksalhaftes Geschehen, das zum normalen Verlauf der Welt gehört. »Gott kann nichts für das Leid«21. Manche Kinder 20 Bennesch, 2011. 21 Gebler/Riegel, 2011, S. 151.

III

252

III

Heike Kassebaum und Christa Schindler

erzählen auch, dass es ihnen gut tut, wenn sie beten oder sie von den Gebeten anderer wissen: »Ausquatschen in Gedanken tut gut.« (Vanessa, 15 J.) »Ja, das merke ich im ganzen Körper.« (Dilara, 6 J.) »Ich bete nicht, aber meine Oma und meine Mutter beten für mich.« (Leon, 9 J.) Kinder und Jugendliche stellen sich auch die Frage nach dem (eigenen) Sterben. Manchmal direkt und überraschend offen oder wie der fünfjährige Luca (an Leukämie erkrankt): »Papa, wie alt werden Menschen eigentlich?« Die Sorge von Kindern und Jugendlichen um ihre Eltern, Geschwister und andere Bezugspersonen muss gehört werden und bedarf der behutsamen Begleitung: »Ich habe Angst um meine Mutter, dass sie nie wieder fröhlich wird, wenn ich gestorben bin.« (Tina, 14 J., Leukämie) Von Erwachsenen angesprochen haben Kinder verschiedene Kategorien, wenn sie Gott mit ihrem Leid zusammen sehen – sie sehen das Leid als Erfahrungsraum der solidarischen Liebe Gottes, dass Gott leidenden Menschen Mut und Hoffnung zuspricht. Im Beistand Gottes erwächst in den Augen der Kinder Trost, er erklärt jedoch nicht die Existenz des Leids in der Welt.22

4  Herausforderungen für Seelsorger*innen ȤȤ Kinderklinikseelsorger*innen können »mit Krisen und potenziell traumatisierenden Situationen für Kinder und Jugendliche, Familien und Mitarbeitende umgehen ȤȤ Sterbenden Kindern und Jugendlichen und ihren Familien begegnen, sie begleiten und bei ihnen bleiben […]«23 ȤȤ Auf die konsequente Umsetzung von Pflegestandards nach dem Sterben von Kindern und Jugendlichen achten. Jede*r hat seine/ihre schon vorher festgelegte Aufgabe (einen Fußabdruck machen und in eine Karte kleben, vielleicht ein Foto für die Eltern machen, …), damit die Eltern in Ruhe trauern können.24 ȤȤ Mit Familien Aussegnungsrituale feiern können. ȤȤ Bei der Familie bleiben, die bei ihrem toten Kind im Abschiedsraum verweilt. Person und Kompetenz ȤȤ Die/der Kinderkrankenhausseelsorger*in muss eine reflektierte Konzeption der eigenen Seelsorge mitbringen und immer weiter entwickeln. 22 Vgl. Gebler/Riegel, 2011. 23 Fachkonferenz Kinderklinikseelsorge im Bereich der EKD, 2014, S. 65 ff. 24 Vgl. Smeding/Heitkönig-Wilp, 2010.

Seelsorge mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien

253

ȤȤ Das Ziel der Seelsorge sollte Begleitung der Familien sein, mit Blick auf die Geschichte und den Weg der Familie. Die Ressourcen der Familien werden behutsam von der Seelsorgerin unterstützt. Das Familiensystem ist ein fragiles und sensibles Gebilde, das in einer schweren Krise intimste Informationen weitergibt. Deshalb ist größter Respekt und Offenheit für diese Begegnungen, immer unter dem Mantel der Schweigepflicht, geboten. (vgl. Fallbeispiel Laura zu Beginn). Daher nimmt sie/er sich zurück und eröffnet einen Raum des Zuhörens im Sinne einer »geistlichen Gastfreundschaft«25. ȤȤ Zur Professionalität gehört auch das Wahrnehmen eigener Grenzen in Begleitung und Beratung. Die Eltern können therapeutische Hilfe in Beratungsstellen finden. ȤȤ Die Seelsorger*in hält aus, die Eltern im Sterbeprozess ihres Kindes zu unterstützen und zu begleiten. Immer wieder erleben wir die Situation, dass ein Kind spürt, dass die Eltern sich noch nicht verabschieden können. Es versucht dann, um der Eltern willen am Leben zu bleiben. Seelsorge kann den Eltern helfen, ihr Kind freizugeben. So kann Ruhe im Sterbeprozess einkehren. Qualifikationen und Kompetenzen ȤȤ KSA ist eine notwendige Basisqualifikation. ȤȤ Supervision und/oder Praxisreflexion in einer Balintgruppe (o. ä.) sollte berufsbegleitend sein. ȤȤ Zusätzlich sind sinnvoll •• Traumazentrierte Seelsorge, Systemische Seelsorge, •• Religionssensibilität, •• Freude an Interkulturalität, •• Neugierde, Kontaktfreudigkeit, Spontaneität und Spielfreude sind in der Kinderklinikseelsorge sehr nützliche Eigenschaften.26 25 Vgl. Nouwen, 2012, S. 84: Die Seelsorger*in braucht hohe Sensibilität, um ihrer Position zwischen »Triangulation«, Übernahme einer »Koalition« oder auch »Delegation« gewahr zu sein. Vgl. auch Morgenthaler, 1999, S. 142 ff. 26 Aus unserer eigenen Arbeit stammt folgendes Beispiel: Anna, 3 Jahre, hat eine Leukämie und ist seit etwa zwei Monaten in Behandlung. Ich habe Mutter und Tochter während der Chemotherapie schon dreimal besucht. Anna liegt ganz still in ihrem Bett, die Hände unter der Bettdecke. Die Augen offen. Neben dem Bett ist ein Schloss aufgebaut. ȤȤ Mutter: Anna geht es nicht gut, ihr Mund ist sehr kaputt, gestern hat sie Fieber bekommen. Dabei sollten wir heute eigentlich schon nach Hause … ȤȤ Bleiben Sie kurz hier, während ich die Suppe warm mache? Richtige selbstgemachte Suppe! ȤȤ Seelsorgerin: Ja, ich bleibe gerne bei Anna. Mutter geht aus dem Zimmer.

III

254

III

Heike Kassebaum und Christa Schindler

•• Seelsorge mit den Allerkleinsten geht ohne Worte. Initialberührungen, Rituale, das Kind auf den Arm nehmen (nach Absprache mit der Mutter oder dem Vater), Melodien summen, Lieder singen, leise mit Kindern im Inkubator sprechen – das beruhigt und schafft Vertrauen. •• Sensibilität, Kreativität und Spontaneität sind wichtige Voraussetzungen für Seelsorge an und mit Kindern und den Familien. Leben des Alltags teilen, schweigen, gemeinsam warten. Mit den Kindern fröhlich sein, wenn die Eltern es nicht können, aber zulassen – Stellvertreter*in sein. •• In der Seelsorge mit behinderten Kindern wird besonders deutlich, wie wichtig es ist, sich auf die Gefühlswelt der Kinder einlassen zu können.27 •• Differenziert Wahrnehmungen von Mitarbeitenden aufnehmen und unbefangen in den Kontakt gehen. ȤȤ Viele Eltern und Kinder haben einen langen Leidensweg hinter sich und sind traumatisiert. Um ihre Signale hilfreich zu deuten, braucht die Seelsorger*in spezielle Kenntnisse für die Begleitung.28

5  Empfehlungen für die weitere Lektüre Amt der VELKD (Hg.) (2017): Gute Hoffnung – Jähes Ende. Eine Hilfe für Eltern, die ihr Baby verloren haben, und alle, die sie unterstützen. Erarbeitet vom Konvent der Seelsorgerinnen und Seelsorger in Kinderkliniken und auf Kinderstationen im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) (12. Aufl.). Hannover. ȤȤ S: (schaut sich um …) Die Prinzessin möchte gerne zu Dir kommen! Prinzessin: Hallo Anna, da bin ich! ȤȤ Anna (grinst und nimmt die Prinzessin in ihre Hand) ȤȤ Prinzessin: Oh, bin ich schön! Ich habe mich extra schön gemacht! ȤȤ Anna: (schaut sich die P. genauer an und lächelt ihr Gegenüber, die P., an) ȤȤ Prinzessin: Ich möchte Kutsche fahren! ȤȤ Anna: (schaut zu den aufgebauten Spielsachen) ȤȤ S: (fühlt sich bestärkt, das Spiel weiterzuführen, setzt die Kutsche aufs Bett) ȤȤ Pferd: Bitte einsteigen, ich reite gleich los! ȤȤ Anna: (setzt die Prinzessin in die Kutsche) ȤȤ S: (die Kutschfahrt geht los: schnaubend trabt das Pferd rund um Anna … Runde um Runde … ȤȤ Anna: (schaut nach und erwartet, dass die Prinzessin in der Kutsche an der anderen Seite wieder auftaucht, sie lächelt dabei die ganze Zeit) ȤȤ Prinzessin: Hui, das macht Spaß! ȤȤ Anna: (lacht) Mutter kommt zurück. ȤȤ M: (steht im Türrahmen, schaut uns zu und lächelt) … 27 Vgl. Schindler/Buyer, 2014. 28 Vgl. Haupt-Scherer, 2015; vgl. auch Weinberg, 2015.

Seelsorge mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien

255

Bargenda, H./Lammer, K./Terjung, J. (2013): Kostbare Zeit – Was Eltern erleben, wenn ihr Kind stirbt. Elterninterviews, Praxisberichte und eine wissenschaftliche Reflexion von Kerstin Lammer. Freiburg i. Br. Führer, M./Duroux, A./Borasio, G. D. (Hg.) (2006): »Können Sie denn gar nichts mehr für mein Kind tun?« Therapiezieländerung und Palliativmedizin in der Pädiatrie. Stuttgart. Juul, J. (2015): Die intuitive Verbindung. Wenn ein Elternteil besondere Bedeutung für das Kind hat. Berlin. Kassebaum, H. (2015): »Jetzt habe ich große Angst und viele Fragen …«. Seelsorgliche Begleitung von Kindern mit schwerwiegenden Entwicklungsverzögerungen. Wege zum Menschen, 67 (6), 561–570. Röseberg, D./Müller, M. (Hg.) (2014): Handbuch der Kindertrauer. Begleitung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Göttingen. Weinberg, D. (2015): Verletzte Kinderseele. Was Eltern traumatisierter Kinder wissen müssen und wie sie richtig reagieren. Stuttgart. Well, J. E. (2013): Ressourcen stärken. Seelsorge für Eltern letal erkrankter Kinder. Leipzig. Zimmermann, M./Klein, C./Büttner, G. (Hg.) (2013): Kind – Krankheit – Religion. Medizinische, psychologische, theologische und religionspädagogische Perspektiven. Neukirchen-Vluyn.

6 Leitsätze ȤȤ Seelsorger*in sein in dem Vertrauen »Du bist ein Gott, der mich sieht!« (Gen 16,13) ȤȤ Ich habe Lust, Menschen zu begegnen. ȤȤ Ich schrecke vor Leid, Krisen, Krankheit und Sterben nicht zurück. ȤȤ »Gott ist wohl verborgen, er kann sogar sehr tief verborgen sein, aber Gott ist niemals kompliziert.«29 ȤȤ Immer wieder dem Wunder des Lebens die Hand hinhalten! ȤȤ Ich weiß es nicht besser!

29 Heinz Zahrnt zitiert nach: Weizsäcker, 2013.

III

Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation Nicole Frommann

III

Nicht alle Patient*innen, die im Krankenhaus behandelt werden, sind kognitiv vollumfänglich orientiert und der Verständigung mittels Sprache mächtig. Seelsorger*innen stehen vor der Herausforderung, mit Menschen in Kontakt zu treten, die keine Auskunft über sich selbst geben können (Wer bin ich? Woran bin ich erkrankt? Was empfinde ich?), die das Gegenüber nicht als Seelsorger*in erkennen und das Ziel des Besuchs nicht durchschauen. Und die sich nicht daran erinnern, ob und was überhaupt geschehen ist.

1 Fallbeispiel Frau G., 55 Jahre alt, lebt seit einigen Jahren in einer Pflegeeinrichtung, in der Menschen im Zustand reaktionsloser Wachheit (Wachkoma) und im minimalen Bewusstseinszustand betreut und gepflegt werden. Ursache ihres jetzigen Zustands ist eine Hirnschädigung nach Aneurysma-Blutung. Sie ist halbseitig gelähmt, Mimik und Gestik sind eingeschränkt, ebenso ihre Orientierung in Zeit und Raum. Sie ist seit einiger Zeit in einem fragilen Zustand stabil, sodass sie manchmal mit leiser Stimme ein Wort spricht, Augenkontakt aufnimmt und Menschen, die ihr nahestehen, wiedererkennt. Diese Fähigkeit zur Kommunikation ist tagesformabhängig, d. h., an manchen Tagen gelingt die Kontaktaufnahme zu Frau G., an anderen nicht. In den letzten Monaten sind ihre Fähigkeiten rückläufig. Nachdem bei ihr eine onkologische, schon fortgeschrittene Erkrankung diagnostiziert wurde, wird sie im Akut-Krankenhaus auf einer Normal-Station behandelt. Jetzt liegt sie im Mehrbettzimmer, in einer Umgebung, in der Menschen auf Sprache und die Fähigkeit zur Selbstvertretung eigener Interessen angewiesen sind: In dieser Umgebung ist sie eine in allen Belangen hilflose Frau. Sie ist mir über die Jahre, die ich sie in der Pflegeeinrichtung seelsorglich begleite, ans Herz gewachsen. Auf dem Weg zu ihr ins Krankenhaus, quer durch die Stadt, beschäftigen mich viele Fragen: Wie geht es ihr? Wird sie wach sein

Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation

257

und lohnt sich der weite Weg? Oder muss ich mich ein anderes Mal auf den Weg machen, weil eine Kommunikation im Hier und Jetzt nicht möglich ist? Wird mein Besuch gelingen, wird es diesen einen Moment der Begegnung geben, der Frau G. Trost und Halt verleihen kann? Im Krankenzimmer begrüße ich Frau G., die im Bett liegt und wach ist. Und es geschieht: In einem Moment von Klarheit schaut sie mich langanhaltend an. Meine Hand, die ich behutsam in ihre Hand lege, wird warm und fest gehalten. Das kenne ich von ihr. Wenn sie meine Hand einmal ergriffen hat, kann ich mich kaum von ihr lösen. Manche sagen, das sei nur ein Reflex. Doch sie macht es nicht mit jedem und nicht immer. Es ist eine intensive Begegnung. Da öffnet sich die Tür, zwei Gesundheits- und Krankenpflegerinnen machen ihre Pflegerunde: Jetzt ist Frau G. dran. Ich bitte: »Geht es nicht später?« Doch sie haben keinen Spielraum in ihrem Arbeitsalltag. Ich wende mich Frau G. zu: »Ich gehe vor die Tür. Ich komme gleich wieder.« Aber sie lässt meine Hand nicht los. Nochmals versuche ich die Situation mit ihr zu klären, doch es gelingt nicht. So ziehe ich vorsichtig meine Hand aus ihrer Hand, gegen ihren Widerstand, im Rücken die drängenden Pflegerinnen. Es macht mich traurig, mich Frau G. entziehen zu müssen. Viel zu früh und in unangemessener Weise wird unser Kontakt unterbrochen. Ich berühre sie an der Schulter, sage leise: »Bis gleich.« Als ich 20 Minuten später wieder zu Frau G. komme, liegt sie auf der Seite. Sie schaut durch mich durch, meine Hand nimmt sie nicht mehr – ob aus Erschöpfung nach anstrengender Pflegesituation oder aus anderen Gründen? Ich bedauere, dass es mir nicht mehr gelingt, an die zuvor so intensive Begegnung anzuknüpfen, wie es bei kognitiv orientierten Menschen möglich gewesen wäre. So tröste ich mich damit: Für wenige Minuten haben wir eine tiefe, wechselseitige Verbindung gespürt. Jetzt bleibt mir nur, eine Weile neben ihr zu sitzen, einige gute Worte zu sagen, ihr Gottes Segen zuzusprechen, mich dann zu verabschieden und auf ein nächstes Mal zu hoffen.

2 Kontext/Situation Unterschiedliche Erkrankungen haben zur Folge, dass Menschen in ihrer Kommunikationsfähigkeit und ihren kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt werden, bis hin zum fast völligen Verlust. Zu diesen Erkrankungen gehören beispielsweise angeborene oder erworbene Hirnschädigungen und weit fortgeschrittene Demenzen unterschiedlicher Ätiologie1, aber auch vorübergehende Zustände 1

Demenz vom Typ Alzheimer, Levy-Körper-Demenz, frontotemporale Demenz, vaskuläre Demenz. Vgl. die Lernmaterialien der Fachhochschule der Diakonie zum Umgang mit Demenz: Löhr/Noelle/Baumeister/Meißnest, 2010–2013.

III

258

Nicole Frommann

wie Koma und Delir. Der Zustand reaktionsloser Wachheit (Wachkoma) wie auch der Zustand minimalen Bewusstseins sind extreme Formen des eingeschränkten Bewusstseins. 2.1 Menschen im Zustand des Wachkomas/reaktionsloser Wachheit und minimalen Bewusstseins

III

Schädelhirntraumata werden durch Ereignisse hervorgerufen, die Menschen völlig unvorbereitet treffen und ihr Leben in Sekundenschnelle verändern. Das Gehirn als zentrales Steuerungsorgan des Menschen ist betroffen und damit alle anderen körperlichen Funktionen. Die Situation ist lebensbedrohlich, weil der Ausfall des Gehirns – im Gegensatz zum Ausfall anderer lebenswichtiger Organe – nicht maschinell kompensiert werden kann. Auslösende Ereignisse sind neben Unfällen auch äußere Gewalteinwirkung, Hirnblutungen, Schlaganfälle und Herzinfarkte mit anschließendem Herzstillstand. Die Folgen sind abhängig von den geschädigten Hirnregionen (Lokalisation) und vom Schweregrad der Hirnschädigung (von der leichten Gehirnerschütterung bis zum Hirntod).2 Die von einer Hirnschädigung betroffenen Menschen werden reanimiert, operiert, sie kämpfen auf Intensivstationen um ihr Leben, z. T. über Tage, Wochen, Monate. Wenn sie überleben, ist ihr bisheriges Leben »verloren«, es geht ein »Riss durchs Leben«3. Abhängig vom Schweregrad der Schädigung können sie nicht in ihre bisherige Lebenssituation zurückkehren, sondern sind dauerhaft auf Pflege und Versorgung in Facheinrichtungen angewiesen. Ein Wachkoma4 wird diagnostiziert, wenn Menschen nach einer Hirnschädigung einen vollständigen Verlust ihres Selbst- und Fremdbewusstseins und ihrer Fähigkeit, auf ihre Umwelt mit willentlichen oder sinnvollen Verhaltensänderungen zu reagieren, dauerhaft erlitten haben. Ein Sprachverständnis ist nicht nachweisbar. Schlaf-/Wachrhythmus, Hirnstammreflexe und autonome Reflexe bleiben erhalten.5

2 Auch Hirntumore oder neurodegenerative Erkrankungen können Hirnschädigungen verursachen. 3 ARCHE NOVA, 2018. 4 Andere Begriffe sind: Apallisches Syndrom, vegetativer Zustand. Der Zustand des Locked-­InSyndroms ist davon zu unterscheiden. 5 Vgl. The Multi-Society Task Force on PVS, 1994a, S. 1499: »The vegetative state is a clinical condition of complete unawareness of the self and the environment, accompanied by sleep-wake cycles, with either complete or partial preservation of hypothalamic and brain-stem autonomic functions. In addition, patients in a vegetative state show no evidence of sustained, re-

Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation

259

»Bei den betroffenen Patienten fehlen jegliche Hinweise auf eine bewusste Wahrnehmungsfähigkeit der eigenen Person und der Umwelt, eine Interaktion mit dem Untersucher ist nicht möglich […]. Es handelt sich um eine Bewusstseinsstörung, bei der die Wahrnehmungsfähigkeit, nicht jedoch die Wachheit beeinträchtigt ist […].«6 So eindeutig diese Beschreibungen eines klinischen Zustands scheinbar sind, so uneindeutig ist der Zustand des Wachkomas. Manchmal erzählen Angehörige, dass ihr Familienmitglied auf sie reagiert habe. Wenn sie dies einem Außenstehenden zeigen wollen, dann ist die Reaktion aber nicht, zumindest nicht »auf die Schnelle«, reproduzierbar. Verbringt man dagegen mehrere Stunden aufmerksam mit einem Menschen im Wachkoma und ist man mit diesem Menschen vertraut, dann kann Folgendes entdeckt werden: Die Blickrichtung ändert sich im Lauf des Tages, der Gesichtsausdruck wechselt, die Körperspannung wandelt sich, der Mensch schläft ein und wacht auf, spannt sich an oder entspannt sich. Und deutlich ist: Menschen verhalten sich in ihrem Zuhause, wenn sie sich geborgen fühlen, anders als beispielsweise in der irritierenden Welt des Akutkrankenhauses. Es gibt Bestrebungen, einen anderen Begriff für den Zustand Wachkoma einzuführen, nämlich den »Zustand reaktionsloser Wachheit«7. Die Verwendung des Begriffs »Wachkoma« ist irreführend, weil die Definition des »Komas« fälschlicherweise impliziert, dass sich der Mensch im Zustand tiefer Bewusstlosigkeit befindet. Diese Konnotation verstellt den Blick auf die Entdeckungen, die man in der Begegnung mit diesen schwerstbehinderten Menschen machen kann. Die Übergänge sind fließend, tagesform- oder situationsabhängig und zusätzlich davon abhängig, wer in den Kontakt tritt. Kommunikation ist immer ein Beziehungsgeschehen: Auch nichtbehinderte Menschen sind unterschiedlich begabt zur Kommunikation unter erschwerten Bedingungen. Wichtig ist zu beachten, dass nicht alle Menschen dauerhaft im Vollbild des Wachkomas bleiben, sondern sich in einem Zustand minimalen Bewusstseins stabilisieren können. Menschen können dann wieder einfache Aufforderungen befolgen, durch Gesten oder Mimik mit Ja oder Nein antworten, sich manchmal verbal äußern. Ihr Verhalten steht dann in einem Bezug zu ihrer Umwelt.8 producible, purposeful, or voluntary behavioral responses to visual, auditory, tactile, or noxious stimuli; show no evidence of language comprehension or expression«. Vgl. auch The Multi-Society Task Force on PVS, 1994b. 6 Nacimiento, 2005, S. 30 f. 7 Wild et al., 2010. 8 Nacimiento, 2005, S. 34, mit Verweis auf Giacino et al., 2002.

III

260

Nicole Frommann

Wer mit Betroffenen über viele Jahre umgeht, wird erleben und erspüren, dass Menschen im Wachkoma präsenter werden können: Sie nehmen wieder mehr an der Welt teil, sind aufmerksamer, reagieren anders als zuvor mit Augen und Mimik, Körperspannung und -haltung. Ihre Augen können einen Gegenstand oder andere Menschen fixieren. Leider ist auch das Gegenteil der Fall: Wieder gewonnene Fähigkeiten gehen verloren. Leben im Wachkoma ist immer im Prozess. 2.2  Im Akutkrankenhaus

III

Wenn ein solcher Mensch ins Krankenhaus eingeliefert werden muss, ist sein ursprüngliches Trauma nicht vergessen, selbst wenn die Betroffenen davon nicht erzählen können. Es ist tief in das sogenannte Körpergedächtnis des Menschen eingebrannt. Im Akutkrankenhaus sind diese Menschen, wenn sie wach sind, oft beunruhigt, ängstlich und angespannt. Über all das, was mit ihnen passiert, können sie nicht reden, weil sie ihr Gedächtnis, ihre Erinnerungen, ihre Sprache, ihr Bewusstsein verloren haben. Sie durchschauen die Situation nicht, verstehen nicht, was mit ihnen geschieht, sind ein Fremdkörper in einer funktional orientierten Welt. Angehörige von hirngeschädigten Menschen sind »sekundär Betroffene«9, die Familien können als »head-injured-family«10 charakterisiert werden. Soziale Rollen verändern sich komplett, wenn ein selbstverantwortlicher Erwachsener dauerhaft ein Mensch wird, der in allen Belangen des Lebens auf Hilfe angewiesen ist. Vergleichbares gilt für Kinder und Jugendliche. Vielfältige Anpassungsleistungen sind erforderlich und gelingen kaum. Wenn dann noch dieser hirngeschädigte Mensch akut im Krankenhaus behandelt werden muss, steht seinen Angehörigen sofort das dramatische Ereignis vor Augen. Zu der normalen psychischen Dauerbelastung summiert sich die aktuelle Verantwortung für einen komplett hilflosen Familienangehörigen. Die Gefahr der Re-Traumatisierung ist gegeben. Im Akutkrankenhaus stehen alle Mitarbeiter*innen – Ärzt*innen, Mitarbeiter*innen aus Pflege, Sozialarbeit und begleitenden Diensten – vor der Herausforderung, die hirngeschädigten Patient*innen gut zu behandeln und zu versorgen. Da die Sprache als zentrales Medium der Information nicht verfügbar ist, müssen im Team u. a. folgende Fragen geklärt sein: Wie gehe ich mit Menschen um, die meine Sprache nicht verstehen, die sich selbst nicht ausdrücken können,      9 Hämmerling/Ludwig/Wendel, 2008, mit Verweis auf Dinkel/Balck, 2003. 10 Brooks, 1991.

Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation

261

die über sich selbst keine Auskunft geben können? Wie gebe ich Orientierung und Unterstützung? Wie kläre ich über den aktuellen Zustand auf? Wie drückt dieser Mensch seinen Willen aus und wie kann er seine Autonomie vertreten? 2.3  Bedeutung für die Krankenhausseelsorge und ihre Theologie 2.3.1 Was ist das Besondere des konkreten Arbeitsfelds für Verständnis und Handlungsformen von Seelsorge?

Menschen im Zustand reaktionsloser Wachheit oder minimalen Bewusstseins können nicht um seelsorgliche Begleitung bitten. So wird bei einem seelsorglichen Besuch immer die Frage im Raum stehen, ob er erwünscht und angemessen ist, ob er für den Betroffenen hilfreich ist und wie die Seelsorge nachhaltig wirken kann. Bezugspersonen des Alltags (Angehörige, Mitarbeiter*innen der Klinik) können zwar stellvertretend für die Betroffenen um Begleitung bitten. Dann stehen Seelsorger*innen vor der Aufgabe, sich nicht allein den Sprachfähigen zuzuwenden, sondern die Menschen im Wachkoma als Personen wahrzunehmen, als Subjekt ihres eigenen Lebens und Handelns. Damit werden Seelsorger*innen exemplarisch wirksam: Der schwerbehinderte Mensch wird bewusst in den Mittelpunkt seelsorglicher Aufmerksamkeit gerückt im Sinne des »Nichts ohne mich über mich!« Bei Menschen im Vollbild der reaktionslosen Wachheit gibt es zunächst scheinbar keine Anknüpfungspunkte. Sie reagieren nicht offensichtlich auf äußere Reize, sind in sich gekehrt, nehmen ihre Umwelt nicht nachprüfbar wahr. Seelsorge braucht Zeit, sich diesen Menschen zuzuwenden und sich auf sie einzulassen. In den drängenden Anforderungen eines Akutkrankenhauses müssen sich die Seelsorger*innen bewusst entscheiden, diese Menschen zu begleiten. Die Betroffenen sind sonst die ersten, die keine Seelsorge erfahren, denn sie können sich nicht beklagen. Seelsorge wird hier immer Seelsorge im Hier und Jetzt sein, für den Augenblick. Die seelsorgliche Gelegenheit muss ergriffen werden, wenn der Mensch wach ist. Dafür benötigen Seelsorger*innen große Handlungssicherheit, die sie günstigerweise bereits im Umgang mit nichtbehinderten Menschen erworben haben: ȤȤ Was sind Auftrag und Ziel christlicher Seelsorge im Krankenhaus? ȤȤ Welche Worte spreche ich (denn ich bin ja sprachfähig, allein mein Gegenüber hat die Sprache verloren)? Wie spreche ich die Wörter aus (denn Sprachmelodie oder einzelne Wörter sprechen vielleicht eine Gehirnregion an, ohne dass sie bewusst verstanden werden)?

III

262

Nicole Frommann

ȤȤ Welche Themen spreche ich an? Kann und will ich stellvertretend für den Menschen mögliche Wünsche und Bedürfnisse, Sorgen und Ängste, Hoffnungen verbalisieren? ȤȤ Darf ich Patient*innen berühren, um in Beziehung zu kommen? Wie und wo berühre ich sie? ȤȤ Welche spirituellen und religiösen Handlungen vollziehe ich? Wie werde ich geistlich tätig? Segne ich mein Gegenüber oder bete mit ihm? Und wie hole ich mir dafür das Einverständnis? ȤȤ Ermögliche ich, beispielsweise bei längerem Klinikaufenthalt, die Teilnahme am Gottesdienst?

III

Eine Überlegung ist dabei handlungsleitend: Menschen im Wachkoma sind in allen Belangen des Lebens auf Unterstützung angewiesen, d. h., auch in geistlichen Dingen. So, wie sie nicht allein essen und trinken oder sich zielgerichtet bewegen können, so können sie auch nicht selbstständig zu Gott beten, spirituelle Bedürfnisse formulieren, über theologische Themen nachdenken. Sie brauchen Assistenz, sowohl für die Bewältigung des Alltags als auch für die Bearbeitung ihrer Lebens- und Sinnfragen. 2.3.2  Welche theologischen Fragen werden berührt?

In der Seelsorge mit Menschen im Zustand des Wachkomas werden anthropologische – und damit theologische Fragen – zutiefst berührt. Die zentrale Frage ist die nach dem Menschenbild, das der Seelsorge zugrunde liegt. a) Wenn wir den Menschen als Ebenbild Gottes nicht allein in Stärke und Unabhängigkeit, sondern gerade auch in Schwachheit und Verletzlichkeit betrachten, dann hat das Konsequenzen für die Beantwortung folgender Fragen: Welchen Stellenwert hat für mich selbst die eigene Autonomie? Was empfinde ich gegenüber Menschen, die in sämtlichen Bereichen ihres Lebens auf andere angewiesen sind und ohne sie nicht überleben können? b) Ein weiteres wichtiges Thema ist, welche Bedeutung dem Bewusstsein, auch im Verhältnis zum Personenbegriff, in der theologischen Anthropologie zuzumessen ist. Im Gespräch mit anderen Fachdisziplinen (z. B. Medizin, Jura, Philosophie) ist eine Begriffsklärung herbeizuführen: Welche Definition des Bewusstseinsbegriffs wird verwendet, welche Bedeutung hat das für das jeweilige anthropologische Verständnis, welche handlungsleitenden Konsequenzen werden daraus gezogen und inwieweit sind diese konsistent?11 11 Vgl. Frommann, 2013a, S. 46–88.

Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation

263

c) Jeder Mensch hat eine Geschichte und eine Zukunft, er steht in menschlichen Beziehungen und hat soziale Rollen. Mit Ingolf Dalferth können wir die Menschen als »Wesen im Werden, bei denen nur in Umrissen abzusehen ist, was zu werden sie bestimmt sind«12, beschreiben: »Solange wir in via sind, wird dieser Prozeß nicht abgeschlossen sein.«13. Der Mensch ist mehr und anderes, als im Hier und Jetzt jeweils wahrzunehmen ist – und er hat seine Bestimmung, die ihm von außerhalb seiner selbst, von Gott, zugeeignet wird. d) Auch schöpfungstheologische Fragestellungen werden berührt: Bejahe ich diesen Menschen in seinem So-Sein, in seiner Existenz als schwerstbehinderter Mensch? Es ist ein Mensch, der in einen Zustand hineingeworfen wurde, von dem die meisten Menschen sagen: »So möchte ich nicht leben.« Die betroffenen Menschen sind leiderfahren. Seelsorge bewegt sich in einem Spannungsfeld: Menschliches Leben ist zum einen gott-gegeben und damit Teil von Gottes guter Schöpfung, zum anderen ist der Mensch Teil der leidenden Kreatur, die auf Erlösung hofft (Röm 8,18 ff.). e) Das Theodizee-Problem, also die Frage, warum Gott Leiden zulässt, wird aus verschiedenen Perspektiven thematisiert: »Warum ist gerade mir bzw. meinem Angehörigen dies widerfahren?« Schuldfragen werden angesprochen, besonders bei Hirnschädigungen, die in Folge äußerer Gewalteinwirkung entstanden sind. Teilweise geschieht das konkret auch in juristischen Auseinandersetzungen, z. B.: »Wer trägt die Schuld am Unfall und können Unfallfolgen angemessen entschädigt werden?« Darüber hinaus stehen Schuld­ gefühle der Angehörigen im Raum (»Hätte ich nicht etwas tun können, um dieses Ereignis zu verhindern?« – Und: »Darf ich gerne leben, wenn mein Angehöriger ein so schweres Schicksal hat?«). f) Ethische Fragen sind zu klären: Ist das medizinisch Machbare immer auch das Sinnvolle? Konkret muss bei Überlegungen der Therapiezieländerung und Therapie-Beendigung erhoben werden: Wie ist der aktuelle Patientenwille? Wie kann der mutmaßliche Wille des Menschen, der im Zustand des Wachkomas ist, erschlossen werden? Liegt eine Patientenverfügung vor und trifft sie die aktuelle Situation? Wer handelt stellvertretend für den betroffenen Patienten? Gegebenenfalls sind Aussagen von Angehörigen, die unter großer psychischer Belastung leiden, und der mutmaßliche Wille der Betroffenen zu unterscheiden. g) Leben im Wachkoma ist eine Lebensform, die dem Tod entkommen ist und in ihrer Fragilität dauerhaft vom Tod bedroht ist. Es geht deshalb auch um 12 Dalferth, 1994, S. 54. 13 Dalferth, 1994, S. 53.

III

264

Nicole Frommann

den Umgang mit der Sterblichkeit des Menschen und mit den Fragen nach dem Woher und Wohin. Damit stehen die Seelsorger*innen auch vor der Frage der eigenen Endlichkeit und dem Sinn des Lebens angesichts des Todes. 2.4  Herausforderungen für Seelsorger*innen Seelsorger*innen, die unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation arbeiten, begeben sich gewissermaßen in ein unbekanntes Land. Zum pastoralen Amt und christlichen Auftrag gehört, schwerstbehinderte Menschen zu besuchen und ihnen seelsorglich beizustehen. Diese Aufgabe gilt es anzunehmen. 2.4.1 Qualifikation

III

Neben einer guten akademisch-theologischen Qualifikation, einer umfassenden Seelsorge-Ausbildung und einer hohen ethischen Reflexionsfähigkeit brauchen Seelsorger*innen reichhaltige Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen, geistigen Behinderungen, psychischen Beeinträchtigungen, komatösen Zuständen. Diese kann man nur in der direkten Begegnung erhalten. Deshalb sind für die seelsorgliche Arbeit Hospitationen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, mit demenziellen Veränderungen oder mit erworbenen Hirnschädigungen hilfreich. Darüber hinaus sollten sich Seelsorger*innen mit Krankheits- und Behinderungsbildern auseinandersetzen und etablierte Ansätze zum Umgang mit ihnen kennen, um im multiprofessionellen Team adäquat mitarbeiten zu können. Im Umgang mit sprach- und bewusstseinseingeschränkten Menschen geht es darüber hinaus darum, die Stille auszuhalten, schweigend und aufmerksam bei den Menschen zu sein, Atmosphären zu erspüren. Die Forschungen zur »prozessorientierten Kommunikation«14 und die Kursprojekte zur Seelsorge auf Intensivstationen, die Peter Frör für den Bereich der evangelischen Seelsorge umgesetzt hat,15 bieten einen hilfreichen Zugang auch zu Menschen im Wachkoma. Mit Frör ist darauf hinzuweisen, dass es wichtig ist, dass die Seelsorger*innen im Kontakt mit sprachlosen Menschen wahrnehmen, was mit ihnen selbst geschieht. Diese Wahrnehmung der eigenen Resonanz sollten sie zur »Quelle der Orientierung für die seelsorgliche Begegnung«16 nutzbar machen. In einer aufmerksamen, gesammelten Haltung solle man nach innen auf das hören, was man spürt.17 »[K]leinste Zei14 Monin, 2006. 15 Vgl. Frör, 2009. 16 Frör, 2006, S. 14. 17 Frör, 1996, S. 55.

Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation

265

chen und Verhaltensfragmente [können] als Einstieg für einen Dialogaufbau« nutzbar gemacht werden.18 Seelsorger*innen sollten lernen, »unabhängig von [der] Kommunikations- und Aufnahmefähigkeit«19 des Gegenübers seelsorglich zu wirken. 2.4.2  Kompetenz und Erfahrung

In der Seelsorge mit Menschen mit schweren Leiderfahrungen braucht es den Wunsch und Willen, Menschen positiv in der Seelsorge beeinflussen zu wollen, ihnen Trost und Zuspruch, Ermutigung und Halt zu geben. Natürlich sollte man sensibel bleiben, weil manche hochbelastenden Situationen nur noch schweigend auszuhalten sind. Das Gebet in seinen Dimensionen (Klage, Bitte, Dank) und der Segen gehören zur Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation unabdingbar dazu. Seelsorger*innen sollten über geistliche und liturgische Qualifikationen verfügen. Im Umgang mit schwerstbehinderten und bewusstseinseingeschränkten Menschen geht es zusätzlich um Sprach- und Beziehungskompetenz. Dazu gibt es einige Grundregeln für die Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation. Diese sollten beachtet und eingeübt werden. Ausgangspunkt ist die Nächstenliebe zu den schwerstbehinderten Menschen und ein einfühlsamer Umgang: a) Man sollte sich den wahrnehmungs- und bewusstseinsbeeinträchtigten Menschen in einer Weise zuwenden, die ihren Fähigkeiten entspricht. Seelsorger*innen sollten sich in ihr Wahrnehmungsfeld bringen und nicht im Stehen auf diejenigen, die im Bett liegen, herabsehen. Gegebenenfalls ist eine vorsichtige Berührung hilfreich. Es geht um Begegnung auf Augenhöhe, von Angesicht zu Angesicht. b) Für die Begegnung braucht es ausreichend Zeit, gesammelte Aufmerksamkeit und innere Ruhe. Wenn ich als Seelsorger*in selbst in Hektik bin, wird sich diese Unruhe auf die Menschen übertragen und mein seelsorgliches Anliegen konterkarieren. c) Der eigene Tonfall sollte freundlich sein. Sprachliche Äußerungen sollten kurz sein und sich auf Wesentliches beschränken. Zwischen einzelnen Sätzen sollten Pausen gemacht werden. d) Die Inhalte sollten konkret sein und einen Bezug zu dem, was in der Gegenwart geschieht, haben. Das erleichtert die Interpretation der empfangenen Kommunikationssignale. 18 Monin, 2006, S. 271. 19 Frör, 1996, S. 60.

III

266

III

Nicole Frommann

e) Eine sensible Aufmerksamkeit, um minimale Kommunikationszeichen wahrzunehmen und darauf zu reagieren, ist wichtig für die Begegnung unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation. Schwerstbehinderte Menschen verhalten sich zu sich selbst und ihrer Umwelt, wenn auch in unspezifischer Art und Weise. Ein klarer Zusammenhang zwischen äußeren Reizen und einer Reaktion ist für Außenstehende selten nachvollziehbar. f) Körpersignale wie Veränderungen in der Atmung (Frequenz, Atemtiefe), Mimik (Gesichtsausdruck, Erröten, Blässe), Körperspannung und -haltung, Laute (Husten, Seufzen, Stöhnen, Summen, tiefes Ausatmen) sind zu beachten. Als Hilfsregel kann gelten: Jede Verhaltensänderung, und sei sie noch so klein, kann als Zeichen der Kommunikation verstanden werden. g) Auf diese kleinen Zeichen kann man mit kurzen Worten in freundlichem Tonfall reagieren oder auch mit einer vorsichtigen Berührung, wenn es eine Vertrautheit zwischen den Kommunikationspartnern gibt.20 h) Unterschiedliche Kommunikationskanäle sollten verwendet werden (visuell, auditiv, taktil, olfaktorisch). i) Die seelsorgliche Begegnung mit betroffenen Menschen muss analysiert und reflektiert werden (Was nehme ich wahr? Wie deute ich es? Gibt es alternative Deutungen?). Die eigenen Wahrnehmungen sind im Gespräch mit anderen, die im Kontakt zu diesen Menschen stehen, zu prüfen. Letztlich darf man mit seinem Nicht-Wissen umgehen und zusätzlich den Mut haben, zu den eigenen Erfahrungen zu stehen. 2.5 Forschung Außerhalb der Theologie gibt es spannende Ansätze zur Erforschung der Kommunikation mit Menschen im Wachkoma. Der Kenntnisstand zum Thema Wachkoma wird durch neuere Forschungen immer wieder verändert. Die Forschergruppe um Steven Laureys und Adrian Owen berichtete im Februar 2010, es sei gelungen, mit Patient*innen im sogenannten vegetativen Zustand in Kontakt zu treten21. Eine Forschergruppe an der Universität Bielefeld um Johanna Kißler und Inga Steppacher untersucht das Sprachverständnis von Menschen im Wachkoma. Patient*innen werden Nonsens-Sätze vorgelesen. Reagieren ihre 20 Aus der Begleitung von Menschen in komatösen Zuständen wird gelehrt, dass kleine Veränderungen im Patientenkontakt verbalisiert werden sollten, um damit zu erkennen zu geben, dass man sie wahrgenommen hat. Dagegen hat meiner Erfahrung nach das Verbalisieren von kleinen Veränderungen bei Menschen in Zuständen des Wachkomas aufgrund der Schwere der Hirnschädigung keine vergleichbare (direkte und zeitnahe) Wirkung. 21 Vgl. Monti et al., 2010; Owen, 2017.

Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation

267

Hirnströme auffällig (sozusagen wie ein »mentales ›Hä‹?«22), wertet die Forschergruppe dies als positiv im Sinne einer Reaktion. Eine weitere Forschergruppe um die Neuropsychologin Claudia Wendel betreibt an der Universität Magdeburg Versorgungsforschung und hat intensiv die Belastungen von Angehörigen von Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen erforscht.23 In diesem Zusammenhang sei auf die Dissertation »Das Verletzte stärken« hingewiesen, die auf langjähriger seelsorglicher Arbeit für Menschen im Zustand des Wachkomas und mit erworbenen Hirnschädigungen beruht, diese multiperspektivisch reflektiert und einen Überblick über den Stand der Forschung gibt.24

3 Leitsätze Seelsorge unter den Bedingungen eingeschränkter Kommunikation will gelernt sein. Sie setzt die Bereitschaft voraus, sich auf die Lebenswelt schwerstbehinderter Menschen sensibel einzulassen, um ihnen Trost und Zuspruch zu geben. Diese Art der Seelsorge ist für die Seelsorger*innen bereichernd; durch sie wird die seelsorgliche Begleitung von sprachfähigen und orientierten Menschen verändert und erweitert.

22 Süddeutsche Zeitung am 5.8.2013: http://www.sueddeutsche.de/wissen/wachkoma-patienten-das-mentale-hae-1.1738793 (Zugriff am 1.3.2019). 23 Hämmerling/Ludwig/Wendel, 2008. 24 Frommann, 2013a; vgl. auch Frommann, 2013b. Hingewiesen sei auch auf die Ergebnisse eines Forschungsprojekts des schweizerischen Nationalfonds, die Simon Peng-Keller, Zürich berichtet: Peng-Keller, 2017a.

III

Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden

Norbert Kuhn-Flammensfeld

III

Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden gehört zu den zentralen Aufgaben der Klinikseelsorge. Die Herausforderung besteht darin, sich auf eine absichtslose mitmenschliche seelsorgliche Begegnung einzulassen. Aus der Erfahrung einer solchen solidarischen Begegnung können sich Räume eröffnen, in denen ein gemeinsames vor Gott sein im Leben und im Sterben spürbar wird. In diesem Sinne lässt sich Seelsorge begleitend auf Abschieds- und Trauerprozesse ein. Voraussetzung ist ein bewusster Umgang des Seelsorgers/der Seelsorgerin mit eigenen Erfahrungen von Verlust und Endlichkeit.

1 Fallbeispiel Herr K., 53 J., lag aufgrund eines Blasentumors auf der Palliativstation. Als die Ärzte versuchten, ihn über die Situation des nahenden Todes aufzuklären, schien er die Nachricht nicht wahrhaben zu wollen und sprach von der Zeit, wenn er wieder zuhause mit seinen Kindern spielen würde und seiner Arbeit nachgehen werde. Diese hoffnungsvollen, die Realität ignorierenden Aussagen waren für das Behandlungsteam schier nicht auszuhalten. Schließlich wurde der Seelsorger beauftragt, ein Gespräch mit dem Patienten und seiner Ehefrau über die Situation zu führen und zu klären, inwieweit dem Patienten seine Situation bewusst war. Im Gespräch erzählte Herr K., dass sein Onkologe ihm geraten habe, in Bezug auf die Lebenszeit nicht mehr nach Zeiträumen wie Monaten, Jahren oder Wochen zu fragen, sondern sich auf den nächsten markanten Punkt im Jahreslauf (Geburtstag, Weihnachten etc.) zu konzentrieren. Insofern arbeite er jetzt auf Weihnachten hin und das solle doch noch zu schaffen sein, dass er mit den Kindern in die Mette gehe. Es war Anfang Oktober und Frau K. sah bei dieser Aussage hilflos und mit feuchten Augen zum Seelsorger. Dieser bat Herrn K. von Weihnachten zu erzählen. Herr K. berichtete von einem Weihnachtsfest, in dem er mit seinen Kindern zur Kindermette auf eine Insel fahren wollte. Als sie am Dampfersteg ankamen, war

Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden

269

das Schiff aber schon abgefahren. Schließlich gelang es ihm durch freundliche Hartnäckigkeit, einen Fischer zu überreden, ihn und die Kinder zur Insel überzusetzen, dass sie am Gottesdienst teilnehmen konnten. Dieses Weihnachtsfest war unvergessen. Nach der Erzählung hielten sich die Eheleute lang schweigend an der Hand und weinten. Im Zimmer war etwas spürbar vom unkonventionellen Engagement eines Menschen, der fest daran glaubt, dass es immer noch eine Möglichkeit gibt. Von der Sehnsucht nach Leben und von der Trauer, angesichts des unabwendbaren Todes. Eine Woche später starb Herr K.

2  Seelsorge bei Sterbenden ist Seelsorge bei Lebenden Die scheinbar selbstverständliche Aussage, dass auch die Zeit des Sterbens Lebenszeit darstellt, bildet eine wichtige Grundlage der seelsorglichen Begegnung und Begleitung, die sich dem einzelnen Menschen als Person und Subjekt zuwendet. »Bei allem Gewicht und aller Notwendigkeit, die die Frage nach dem Sterben hat, sie ist nicht der primäre Grund und Anlass seelsorglichen Handelns im Krankenhaus, sondern leitend ist die Frage nach dem personalen Leben und Leben können von Menschen unter den Bedingungen des Erlebens und Erleidens von Endlichkeit, Begrenztheit und Versehrtheit.«1 Wie lässt sich aber die besondere Situation der Begegnung mit Menschen, deren Lebenszeit auf Monate oder Tage begrenzt ist, fassen? Der Dichter Max Frisch spricht von den »Sterblichen« und den »Gezeichneten«. Im Gegensatz zu den »Sterblichen« die in einem allgemeinen Sinn um ihre Sterblichkeit wissen, haben die »Gezeichneten« die Grenzen des Lebens aufgrund einer Erkrankung oder fortgeschrittenen Alters unmittelbar vor Augen. Aus Denkwissen ist Erfahrungswissen geworden. »Dieser Perspektivenwechsel übersteigt zunächst den Verstehenshorizont, lässt Halt gebende Sinn- und Gedankenstrukturen auseinanderbrechen und wird fast immer als unbarmherziger Einschnitt in den eigenen Lebensrhythmus erlebt.«2 1 Drechsel, 2012a, S. 779–821. 2 Müller/Brathuhn/Schnegg, 2013, S. 48.

III

270

III

Norbert Kuhn-Flammensfeld

Die Auseinandersetzung mit dem nahenden Lebensende ereignet sich häufig im Spannungsfeld zwischen Hoffen auf Lebenszeit und dem Gefühl der Einwilligung in das Lebensende. Widerstand und Ergebung sind keine Gegensätze, sondern gehören zum individuellen Weg eines Menschen. Insofern bedeutet Seelsorge häufig die Begleitung gegensätzlicher Gefühls- und Stimmungslagen. Dabei geht es gerade darum, die Ambivalenz3 zwischen Erlösung und Abschied auszuhalten und nicht nach einer Seite aufzulösen. Hier liegt auch die Problematik von Phasenmodellen im Kontext der Sterbe- und Trauerbegleitung, die eine Eindeutigkeit suggerieren, die es so in der Regel nicht gibt.4 Für Herrn K. war die Sehnsucht nach Leben, der Wunsch noch einmal Weihnachten zu erleben eine wichtige Ressource. Vom Vergangenen zu erzählen, sich gemeinsam mit seiner Frau darüber zu freuen und auch hoffen zu dürfen, war für den bevorstehenden Abschied ebenso wichtig wie die gemeinsamen Tränen. Insofern waren die Perspektive und die Bedürfnisse des Patienten und seiner Ehefrau in dieser Situation andere als die der Begleiter, die gern eine Einwilligung des Patienten oder zumindest ein ausgesprochenes rationales Verstehen der Situation herbeiführen wollten. Seelsorgliche Begleitung bedeutet die Ambivalenzen auszuhalten und zu begleiten, die der Abschied vom Leben für alle Beteiligten mit sich bringt.

3  Sterbebegleitung als Begleitung im Trauerprozess Sterbebegleitung bedeutet das Begleiten vielfältiger Verlusterfahrungen und Abschiedsprozesse. Bereits die Diagnose einer lebenslimitierenden Erkrankung geht mit dem Verlust der bisherigen Normalität eines sich als gesund empfindenden Menschen einher. Manche Patient*innen haben vom Aufklärungsgespräch mit dem Arzt oder der Ärztin nach eigenen Angaben gar nichts verstanden, andere vermuten eine Fehldiagnose oder vermeiden, das Thema ihrer schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung aktiv anzusprechen. Andererseits werden Patient*innen, die versuchen ihre Situation etwa Zugehörigen gegenüber anzusprechen, häufig beschwichtigt und zum Schweigen gebracht.

3 Roser, 2012. 4 Die Sterbe- und Trauerforschung hat sich von der Vorstellung der Sterbe- und Trauerprozess-­ verlaufe in aufeinander aufbauenden Phasen verabschiedet. An neueren Ansätzen ist insbesondere das von den Niederländern M. Ströbe und H. Shut entwickelte duale Prozessmodell zu nennen. Vgl. dazu: Müller/Willmann, 2016.

Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden

271

Auch für das Umfeld bedeutet die Erkrankung eines nahestehenden Menschen einen Bruch in der Unsterblichkeitsillusion und der damit verbundenen Überzeugung, dass wir zwar alle sterben müssen, aber irgendwann später. Das gewohnte bisherige Miteinander ist bedroht, die gemeinsame Zukunft steht infrage. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung und den damit einhergehenden Symptomen nehmen die Verlusterfahrungen zu. Das bisherige Leben erscheint unwiederbringlich verloren. Insofern befinden sich sowohl die Erkrankten als auch die Zugehörigen in einem individuellen Abschieds- und Trauerprozess. Die Herausforderung besteht häufig darin, dass Erkrankte und Umfeld versuchen, sich die unerträgliche Realität des Abschieds gegenseitig zu ersparen. In der Praxis führt das manchmal zur grotesken Situation, dass beispielsweise eine Patientin, die im Gespräch mit dem Seelsorger offen über ihren Tod gesprochen hat, den Seelsorger darum bittet, ihrem Ehemann nichts von der Schwere der Erkrankung zu sagen, da dieser sonst zusammenbreche. Was die Frau nicht wusste, war, dass der Ehemann am Tag vorher dem Seelsorger im Vertrauen mitgeteilt hatte, dass seine Frau bald sterben werde, aber immer noch an Genesung glaube und er alles tun wolle, um ihr diese Hoffnung zu bewahren. Die Aufgabe der seelsorglichen Begleitung besteht darin, Kommunikation zu ermöglichen und der unsagbaren Wirklichkeit Sprache und Gestalt zu geben. Mit einem solchen Auftrag wurde der Seelsorger im eingangs dargestellten Beispiel zum Gespräch mit Herrn K. und seiner Frau geschickt.

4  Raum geben und begleiten 4.1  Über Unsagbares sprechen Etwas Neues zu erfahren und zu realisieren braucht Zeit. Dies gilt insbesondere für problematische und belastende Mitteilungen. Seelsorgliche Gespräche sind häufig Versuche, dem Unfassbaren Worte und Sprache zu geben. Hier ist die kommunikative Kompetenz der Seelsorgenden gefragt, die in der Lage sind, die kleinen oft symbolischen Andeutungen, mit denen Menschen ihre Situation und oft auch ihren bevorstehenden Tod ansprechen nicht zu überhören, sondern ihnen Raum zu geben. Solche Äußerungen begegnen häufig in bildlicher oder metaphorischer Sprache, die aus dem alltäglichen Leben stammt. Eine schwerkranke Bäuerin sagte einmal, dass es ihr am meisten um ihre Tiere leidtue. Eine alleinstehende Frau bot ihrer Nichte das gesammelte und

III

272

III

Norbert Kuhn-Flammensfeld

gehütete Geschirr in ihrem Keller an. Beide sprachen in metaphorischer Form von ihrem Sterben und Abschied nehmen.5 In der Begleitung geht es darum, behutsam Resonanz auf das Ausgesprochene zu geben und dabei zu erspüren, wie konkret die Frage des Abschieds und Sterbens ausgesprochen werden kann und ausgesprochen werden will. Begleiten bedeutet Kontakt und Beziehung schaffen. Es beinhaltet ein unterstützendes Mitgehen – ähnlich wie ein Musiker, der als Begleitung die Solistin unterstützt und richtig zur Geltung bringt. Der/ die Begleitete gibt die Richtung vor. Jemanden begleiten heißt, ich interessiere mich für dich und deine Lebenssituation. Begleiten ist nicht gleichzusetzen mit Helfen, im Sinne von dem anderen etwas abnehmen. Es geht nicht darum, die Probleme für den anderen zu lösen und seine ganze Last für ihn zu tragen, sondern ihn so zu unterstützen, dass er seinen ureigenen Weg gehen kann. Seelsorgliche Gespräche im Krankenhaus können Anstöße geben. Die Chance liegt dabei oft in der Spontaneität der Begegnung und der Zeit zum Nachdenken, die im Krankenhaus mitunter reichlich vorhanden ist. Manche Menschen gehen ihren Weg in beeindruckender Klarheit.6 Eine Patientin bittet um ein Gespräch mit dem Seelsorger. Sie möchte ihre Beerdigung planen, »obwohl es mich ja dann wenn ich tot bin gar nicht mehr betrifft«. In jedem Fall ist diese Frage der Beerdigung ein guter Anlass im Gespräch über das Planbare hinaus zu kommen: Sie erzählt von ihren religiösen Vorstellungen, die mitunter über das Christliche hinausgehen, über das Gefühl 52 Jahre intensiv gelebt zu haben und das Gefühl von Engeln begleitet auf dem Weg ins Licht zu sein. Viele Verwandte und Freunde kommen, um sich zu verabschieden – es sind beinahe zu viele. Im Gespräch mit der Patientin oder auch den An- und Zugehörigen geht es darum, wann und wie das Sterben sein wird, ob es dann ganz leicht sein wird, wenn alles geregelt ist? Muss die Sterbende etwas aus der Hand geben oder wird das Leben genommen und die Sterbende darf oder kann nicht festhalten? Am Ende der Begegnung blieb ein stilles Dasein, die Hand halten, ein ruhiges Einschlafen im Kreise guter Freundinnen. Die Seelsorge kann gerade für religiöse/spirituelle und existenzielle Fragen, die das Sterben betreffen, ein wichtiger Ansprechpartner sein. Hoffnung und Zuversicht können dabei ebenso angesprochen werden wie die Not und

5 Zur Thematik der symbolischen Kommunikation vgl. Weiher, 2014, S. 81 ff. 6 Vgl. Kapitel 10 »Sterbephase« in der S3-Leitlinie Onkologie, Palliativmedizin: Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)/Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG)/Deutschen Krebshilfe (DKH), 2015, S. 67–75.

Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden

273

die Angst.7 In der Frage nach dem Gottvertrauen im Angesicht des nahenden Todes bekommt die Gottesbeziehung rückblickend eine neue andere Qualität. Wie bei einem Patienten, der die Frage stellt, wie finde ich im Sterben das Vertrauen, mich Gott ganz zu überlassen? Die Erfahrungen der Bibel können ebenso wie religiöse Rituale dabei helfen, dem Unsagbaren Sprache und Ausdruck zu geben. 4.2  Abschied und Verlusterfahrung Raum geben Religiöse Rituale und Gebete können einen Raum eröffnen, in dem Unaussprechliches Gestalt und Worte findet. Entscheidend ist, dass der oder die Seelsorger*in nicht nur als Ritualmeister auftritt, der die letzte Ölung vollzieht oder den Sterbesegen spendet, sondern der rituelle Vollzug in ein konkretes Gesprächs- und vertrauensvolles Beziehungsangebot eingebettet ist, in dem der oder die Sterbende sich ernst genommen fühlt. Es geht um die Authentizität des religiös und rituell Ausgesprochenen in der konkreten Situation.8 So bieten die Feier von Krankensalbung, Krankenkommunion/Krankenabendmahl, Gebete und Segenshandlungen die Möglichkeit, Gedanken, Ängste, Hoffnungen vor Gott zu tragen, die in einem normalen Gespräch nicht auszusprechen sind. Gleichzeitig wird die Hoffnung auf Gottes Hilfe elementar ausgedrückt und spürbar. Häufig entsteht rituelles Handeln aus der Situation der Begegnung etwa in Form eines Gebets oder Segens am Ende des Gesprächs. Eine besondere Stellung nehmen Rituale ein, die sich in besonderer Weise auf das Lebensende beziehen, wie etwa die Krankensalbung, das Viaticum, der Sterbesegen oder auch die Aussegnung nach dem Tod. Im Wunsch nach ritueller und sakramentaler Begleitung beim Sterben drücken sich ebenso die Akzeptanz der Ernsthaftigkeit der Situation des bedrohten Lebens wie der Wunsch nach Halt und Unterstützung durch Gottes Gegenwart aus. Die feste Struktur der kirchlichen Rituale kann Halt und Struktur in einer haltlosen Situation geben. 7 Vgl. die Studien von Büssing/Frick, 2015, S. 3–12. 8 »Denn gerade der Sterbende hat ein tiefes Gespür dafür, ob religiöse Sprache funktional verwendet wird, z. B. als Flucht vor der Unerträglichkeit der Situation oder als ein unpersönliches Klischee. Auf der Basis der Stimmigkeit von Beziehung und Situation nehmen aber nicht nur diejenigen Menschen solche Angebote in Anspruch, die sich selbst als im Glauben und in einer religiösen Tradition verwurzelt ansehen, sondern durchaus auch solche, die nicht aus solchen Traditionen heraus gelebt haben, die aber in ihren spirituellen Fragen nach Anknüpfungspunkten und klaren Formen suchen.« Drechsel, 2012a, S. 818.

III

274

III

Norbert Kuhn-Flammensfeld

Allerdings sind die rituellen Abläufe vielen Menschen nicht oder nur wenig vertraut, sodass man sich nicht allein auf den rituellen Vollzug verlassen kann. Vielmehr geht es häufig darum, die Menschen in ihrer Situation gewissermaßen abzuholen und gemeinsam herauszufinden, welche (religiöse) Form jetzt die richtige ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn es vor der Begegnung am Sterbebett keinen Kontakt zur Seelsorge gegeben hat. Das Interesse an den Anwesenden, verbunden mit einem Angebot, da zu sein, oder der Einladung zum Erzählen, kann hier Türen öffnen. Auch wenn der Auftrag etwa nach der Krankensalbung eindeutig erscheint, gilt es diesen noch einmal in der konkreten Situation zu klären. Nach dem Versterben geht es nicht selten zunächst darum, mit den Hinterbliebenen herauszufinden, wo sie ihren eigenen Platz am Sterbebett finden, ob sie lieber allein oder alle zusammen, schweigend, im Gebet, ruhig sitzend oder herumgehend, schreiend, weinend, kurz oder stundenlang da sein wollen. Aufgabe der Seelsorge ist es in dieser Situation, den Angehörigen einen Raum zu eröffnen und zu hüten, in dem sie sein können.9 Gebete oder ein Ritual sind erst in diesem Schutz-Raum sinnvoll möglich. Aufgabe der Seelsorge kann es sein zu erlauben, dass das, was ist, auch sein darf – auch in seiner Gegensätzlichkeit und Widersprüchlichkeit. Das Angebot der Seelsorge besteht dann nicht selten im Mitaushalten der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Dann ist es nicht mehr notwendig, dass der Verlust nicht einseitig beschönigt oder bewertet wird. Es kann etwas sehr Erleichterndes haben, wenn sich Trauernde vom Ideal des richtigen Trauerns verabschieden können und alles was ist ausgesprochen werden kann und in dem auch die damit verbundenen Gefühle Ausdruck finden können. Meist unausgesprochener spiritueller Hintergrund dieser Erlaubnis ist der Glaube des/r Trauernden oder der Seelsorgeperson an einen Gott, dem nichts Menschliches fremd ist und bei dem auch alle Widersprüchlichkeit ihren Platz hat. Zu diesem Gott gehört allerdings zugleich seine Unbegreiflichkeit, seine Transzendenz, seine Unverfügbarkeit. Aufgabe der Seelsorge kann hier auch sein, Trauer zu erlauben und bei aller Erlösung und Befreiung von allem Leiden und dem, was durch den Tod alles erspart geblieben ist, dem Schmerz des endgültigen Verlustes Raum zu geben. Eine Verlusterfahrung kann auch für vermeintlich fest im Glauben verwurzelte Menschen zu einer spirituellen Krise mit der Aufgabe der Neuentdeckung und Neugestaltung einer Gottesbeziehung werden. Trauer-Begegnung im Kontext der Klinikseelsorge unterscheidet sich von klassischer Trauer-Begleitung. Zum einen ereignen sich die seelsorglichen Kon9 Erhard Weiher spricht in der Sterbesituation vom Seelsorger als »Wächter am Übergang«. Weiher, 2007, S. 147. Zu verweisen ist auch auf Wagner-Rau, 2015.

Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden

275

takte sehr nahe an der Verlustsituation und gestalten diese häufig mit, zum anderen handelt es sich meist um einmalige, intensive, nicht wiederholbare Begegnungen, die sich manchmal sehr spontan und zufällig etwa bei einem Besuch im Krankenzimmer oder einem Gespräch auf dem Gang ergeben. Trotzdem können diese Begegnungen zu Wegzeichen10 oder Hindernissen auf dem Trauerweg werden. Seelsorge kann in punktuellen Begegnungen die Trauernden unterstützen. Seelsorge kann einen Raum eröffnen, in dem die Wirklichkeit des Verlustes für wahr genommen, erfahren und mitausgehalten wird. Oft geschieht dies im Kontext eines Rituals beziehungsweise eines Gebetes oder einer Segenshandlung. Auch die Erfahrung, dass das Begreifen dessen, was geschehen ist, längere Zeit dauern kann und die Bedeutung des Geschehenen erst nach und nach bewusst werden wird, gehört zu dieser Wirklichkeit.

5 Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden als Aufgabe im multiprofessionellen Kontext Seelsorge im Krankenhaus geschieht nie singulär, sondern ist eingebunden in ein multiprofessionelles Versorgungssystem. Pflegende und Ärzt*innen haben insbesondere im palliativen Kontext das Bedürfnis, Abschied zu nehmen und für die Angehörigen da zu sein. Wenn sich ein Gespräch nicht nur auf medizinische Fachinformationen beschränkt, kann es gut tun, wenn diejenigen, die in den letzten Stunden nahe beim Sterbenden waren, berichten, was war. Manchmal bedarf es allerdings auch im Nachhinein einer kritischen Reflexion des Gesagten, wenn allzu schneller, billiger Trost gespendet wird.11 Es ist ein behutsames Abwägen die Balance zu finden zwischen Bedürfnis und Angebot. Ein Geländer, eine Hand wahrnehmbar anzubieten ohne einzuengen. Um den Tod eines Menschen als Realität zu begreifen, kann es nötig sein, Wissenslücken zu schließen. Insbesondere dann, wenn Angehörige beim Sterben nicht dabei sein konnten oder erst verspätet vom Tod erfahren. Zur Seelsorge gehört es, dieses Bedürfnis zu erkennen und ernst zu nehmen. Der/die Seelsorgende kann hier eine Lotsenfunktion übernehmen und Kontakte zu Pflegenden und Ärzt*innen herstellen. In dem Wissen, dass die medizinischen Fakten nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit des Sterbens abbilden, kann es für den Trauerweg wichtig sein mit denen, die zuletzt beim Verstorbenen waren noch einmal in Kontakt zu treten. 10 Ruthmarijke Smeding bezeichnet hilfreiche Begegnungen im unmittelbaren Umfeld des Versterbens als »Trittsteine« für den Trauerweg. Vgl. Smeding/Heitkönig-Wilp, 2010. 11 Vgl. den Beitrag von Aurnhammer, 2013.

III

276

III

Norbert Kuhn-Flammensfeld

Seelsorge bringt gleichzeitig einen eigenen Auftrag und eine eigene Perspektive ein. Die Herausforderung liegt auch darin, eine zeitgemäße Sprache zu finden, die gegenüber der medizinischen Deutung des Todes als Exitus, »es ist alles aus«, für einen Transitus einsteht, der nach christlicher Lehrtradition zum Ziel und zur Vollendung des Lebens führt. Hier kann es darum gehen, im Behandlungsteam ansprechbar zu sein für die Fragen nach Sterben und Zeugnis der eigenen Hoffnung zu geben. Im Angesicht von Tod und Sterben wird auch noch ein weiteres Proprium der Seelsorge im Krankenhaus in besonderer Weise deutlich, auf das gerade im Kontext von Spiritual Care immer wieder hinzuweisen ist. Die Arbeitsweise der Seelsorge besteht gerade nicht im Herstellen spiritueller Situationen, sondern Seelsorge begibt sich im besten Fall in die Situation und stellt sich dazu. Religiöse Rituale sind keine spirituellen Interventionen oder Copingstrategien, sondern Ausdruck des gemeinsamen, solidarischen Menschseins in der Hoffnung und aus der Erfahrung eines zugewandten Gottes. Nach Wolfgang Drechsel ergibt sich daraus eine heilsame Relativierung: »Für die Seelsorgerin im Blick auf ihre immer auch mitschwingende Machtposition (sie kommt von außen, ist gesprächsfähig, und vor allem – sie ist gesund und kann wieder gehen); für die Sterbende im Blick auf die Solidarität der vor Gott Stehenden. So schwingt z. B. in jedem Psalmgebet die Gemeinschaft all derer mit, die diesen Psalm in einer ca. dreitausendjährigen Tradition in möglicherweise ganz ähnlichen Lebenssituationen gebetet haben.«12 Auf diese Weise entfaltet Seelsorge bei Sterbenden durchaus kritisches Potenzial gegenüber der Medikalisierung des Sterbens und damit einhergehende Machbarkeits- und Gestaltungsfantasien. »Sie warnt vor Versprechen, Sterben ohne Leiden möglich zu machen, wenn ausreichend Palliativmedizin oder Gestaltungsspielraum (z. B. durch Suizidbeihilfe) bestehe.«13

6 Wie viel Tod verträgt ein Seelsorger – bewusst mit den eigenen Grenzen umgehen Die Arbeit in der Klinikseelsorge insgesamt, aber besonders im Kontext von Sterben und Trauer erfordert einen bewussten Umgang mit dem eigenen Erleben und den eigenen Grenzen. Der Tod eines Menschen stellt ein einmaliges, existenzielles und auch in gewisser Weise die Normalität übersteigendes, überforderndes Geschehen dar. Aufgabe der Seelsorge ist es, Trauernde und Ster12 Drechsel, 2012a, S. 818. 13 Roser, 2016b, S. 140.

Seelsorge bei Sterbenden und Trauernden

277

bende mit professioneller Fachlichkeit zu begleiten, ohne dass daraus eine Routine entsteht, die dem oder der Einzelnen in seinem oder ihrem individuellen Person-Sein, in der Einmaligkeit dieses Sterbens und Lebens nicht mehr gerecht wird. Von der Person des Seelsorgers/der Seelsorgerin wird gefordert, sich auf den anderen und seine Situation einzulassen, das bedeutet sich ihm auszusetzen und bereit zu ein, sich mit den Fragen des anderen auch selbst infrage stellen zu lassen. So werden die Fragen nach Sinn und Gerechtigkeit, nach Gott, nach Freiheit und Verantwortung auch zu Fragen des Seelsorgers/der Seelsorgerin. Die Professionalität liegt damit nicht in der Neutralität und Abstinenz der Seelsorgeperson, sondern in der Bereitschaft sich mit den Betroffenen solidarisch im Gegenüber zu Gott zu begreifen, der sich zugleich als »ich bin da« und der »Unbegreifliche ganz Andere« erweist. Dies erfordert vom Seelsorger/von der Seelsorgerin, sich auf eine intensive Beziehung einzulassen, die zugleich ihren bevorstehenden endgültigen Abbruch durch den Tod mitintendiert. »Dies beinhaltet in der immer neuen Beziehungsaufnahme unter den Bedingungen ihres möglichen Abgebrochenwerdens nicht nur eine hohe emotionale Belastung, sondern es zeigt auf exemplarische Weise, dass die Begleiterin, die sich als Person auf die jeweilige Begegnung einlässt, auf existenzielle Weise selbst immer wieder neu mit dem Tod konfrontiert ist. Nicht allein mit dem realen Tod des Anderen (vor dem man sich mit verschiedensten Abwehrmechanismen schützen kann), sondern mit dem Tod als selbst erlebtem Sturz in die Beziehungslosigkeit, was immer auch eine Begegnung mit dem eigenen Tod impliziert.«14 Die Herausforderung besteht darin, sich immer wieder unvoreingenommen auf derartige Begegnungen mit fremden Menschen einzulassen. Voraussetzung dafür ist es, die eigenen Vorstellungen von Sterben und Endlichkeit immer wieder neu in den Blick zu nehmen, zu hinterfragen und nach dem eigenen tragfähigen und motivierenden Grund für diese Tätigkeit zu suchen. Dazu kann es auch mitunter notwendig sein, die eigenen Helden- und Wirksamkeitsfantasien kritisch zu hinterfragen und die eigenen Grenzen im Umgang mit Ohnmacht und Endlichkeit ernst zu nehmen. Insofern erfordert die Seelsorge an Sterbenden und Trauernden ein großes Maß an Selbstsorge15. 14 Drechsel, 2012b, S. 183. 15 In einer Studie wurden die eigenen Ansprüche als größter Belastungsfaktor für Palliativteams identifiziert. Ein bewusster Umgang mit eigenen Idealen erscheint daher auch bei Seelsorgenden in der Trauer- und Sterbebegleitung ein wesentlicher Aspekt. Vgl. Müller/Pfister, 2014a.

III

278

Norbert Kuhn-Flammensfeld

7 Ausblick

III

Die Begegnung mit sterbenden und trauernden Menschen gehört zu den Kernaufgaben der Seelsorge nicht nur im Krankenhaus. Erfahrung und Kompetenz in diesem Bereich sind unerlässlich. Dies stellt Anforderungen an die Ausbildung, die neben persönlichkeitsbildenden Elementen, die die eigenen Erfahrungen und Vorstellungen in Bezug auf Krankheit und Sterben reflektierend in den Blick nimmt, auch die Erkenntnisse der Trauerforschung und der Palliativversorgung berücksichtigt. Erst auf dieser Basis wird es möglich, mit anderen Professionen im Gespräch zu sein und den spezifisch seelsorglichen Beitrag in der Begleitung Sterbender und Trauernder zu formulieren. Dabei gilt es für die unverfügbare Lebenswirklichkeit im Angesicht von Tod und Sterben, Endlichkeit und Ewigkeit angemessene Worte und Ausdrucksformen zu entdecken. Im Dialog mit Medizin und Gesellschaft und auch nichtchristlichen Religionen und Weltanschauungen geht es nicht zuletzt darum, der Sprache der modernen Wissenschaft, des Materiellen und Machbaren die Sprache der Poesie, der Religion und auch der Mystik hinzuzufügen. Erst dann wird es möglich, sich der Wirklichkeit des Sterbens in der Vielfalt seiner Dimension anzunähern. Durch das Engagement der Seelsorge bei sterbenden und trauernden Menschen in Worten und Schweigen, Bildern, Zeichen und Ritualen wird deutlich, dass Sterben mehr ist als ein naturwissenschaftlich organisch medizinisches Geschehen.

Die Seelsorge mit An- und Zugehörigen – von der katalytischen Kraft der Seelsorge Volkmar Schmuck

Seelsorge mit An- und Zugehörigen ist immer Seelsorge am und im System der Betroffenen. Es braucht also immer eine doppelte Perspektive auf den/die Einzelne und auf die ihm An- und Zugehörigen. Ziel ist dabei immer, dieses Netz der Zugehörigkeit zu stärken bzw. zu helfen, entstandene Löcher zu flicken, damit es seine Lebenskraft (wieder) entfalten kann. Seelsorge hat dabei die Funktion eines Katalysators. Sie stellt Person und Kompetenz zur Verfügung, um Prozesse in Gang zu bringen, die zu mehr Eigenmächtigkeit und Zugehörigkeit bei den Beteiligten führen können.

1  Zwei typische Situationen Um das Bett eines muslimischen Patienten sind zehn Personen versammelt, die alle zu seiner Familie, seinem Freundeskreis und der örtlichen Moscheegemeinde gehören. Es geht laut und lebhaft zu: Alle reden miteinander und dem Patienten, kleine Köstlichkeiten werden ausgepackt, gemeinsam wird gegessen. Alle möchten dem Patienten das Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln, ein Stück Normalität in seine isolierte Situation der Fremdbestimmung und des Abgeschnittenseins vom Alltag bringen. Das ist ihnen mehr oder weniger ein Bedürfnis, aber auch eine religiöse Pflicht. – Oft sehr zum Leidwesen der Mitpatienten und des Personals, die diese Besucherströme als grenzwertige Störung empfinden. In einem Dreibettzimmer besuche ich eine 84-jährige Frau, die aus einem Pflegeheim ins Krankenhaus gekommen ist. Eine Schwester hatte mich auf dem Flur auf sie aufmerksam gemacht, mit dem Hinweis: »Besuchen Sie doch mal Frau X, sie bekommt nie Besuch«.

In dieser Spannweite stellt sich gegenwärtig in den Krankenhäusern, die ein genaues Abbild unserer Gesellschaft sind, die Frage nach der Seelsorge mit Anund Zugehörigen: Multikulturelle Herausforderungen auf der einen, demografi-

III

280

III

Volkmar Schmuck

sche Entwicklungen in einer mobilen Gesellschaft auf der anderen Seite. Die einen bekommen zu viel Besuch für ein hochorganisiertes Krankenhaus mit komplexen, effizienten Abläufen, die anderen zu wenig oder gar keinen, weil die familiären und sozialen Netze immer löchriger werden. Besucherströme, die in Ausnahmefällen schon auch mal 100 Personen umfassen können, bringen die Institution Krankenhaus mit ihren kurzgetakteten organisatorischen Abläufen an den Rand ihrer Möglichkeiten. Das Ausbleiben von Besuch aber ebenso, weil sich die Suche nach Ansprechpartnern gerade auch in ethischen Fragestellungen im Umfeld von alleinlebenden Patient*innen immer schwieriger gestaltet. Dem steht die mittlerweile allgemein anerkannte Erkenntnis gegenüber, dass die Arbeit mit An- und Zugehörigen für den Heilungsprozess der Patient*innen unerlässlich ist – eine Herausforderung, der sich das Gesundheitswesen im allgemeinen und die Krankenhausseelsorge im speziellen gegenübergestellt sieht. Schon hier wird deutlich, dass einzelne Personen oder Berufsgruppen allein keine befriedigenden Ergebnisse erzielen können, sondern nur in Teamarbeit nach Lösungen gesucht werden kann.

2 Paradigmenwechsel in Medizin und Seelsorge – vom Einzelnen zum System, Inklusion statt Exklusion In der Medizin wird das alte Paradigma der Absonderung oder gar Isolierung der Kranken zum Zwecke der Heilung mehr und mehr durch das systemische der Inklusion ersetzt, wenn auch mit großen Unterschieden in den einzelnen Disziplinen. Während z. B. in der Psychiatrie, der Pädiatrie und der Palliativmedizin die Arbeit mit An- und Zugehörigen mittlerweile Standard ist, geht die Entwicklung in den allgemeinmedizinischen Einrichtungen eher langsam voran. Eine Flexibilisierung der Besuchszeiten hat in den vergangenen Jahren überall stattgefunden, wobei es von der einfachen Konzession bis hin zur aktiven Einbeziehung von Angehörigen ein weiter Weg ist, der vor allem ein Umdenken erfordert. Angehörige sind in der Regel keine zu tolerierende Störung in den Behandlungsabläufen, sondern eine unersetzliche Ressource im Heilungsprozess. Die Maxime ambulant vor stationär hält mehr und mehr Einzug im Gesundheitswesen, nicht nur wegen ökonomischer Zwänge, sondern auch aus der Einsicht heraus, dass Kranke in ihrem persönlichen Umfeld am besten aufgehoben sind, soweit dies therapeutische Notwendigkeiten und häusliche Möglichkeiten zulassen. Das Entlassmanagement spielt eine immer größere Rolle in der Planung von Krankenhausaufenthalten, was die aktive und frühzeitige Einbeziehung von Angehörigen notwendig macht. Vielfältige supportive Hilfe

Die Seelsorge mit An- und Zugehörigen

281

durch haupt- und ehrenamtliche Dienste, durch Angehörigen- und Selbsthilfegruppen wird angeboten. Am deutlichsten ist die Bewegung hin zur systemischen Perspektive in der Behindertenarbeit ablesbar, die ohne Inklusionsangebote kaum noch eine Existenzberechtigung hat. In der Krankenhausseelsorge sind An- und Zugehörige in wohl allen Flyern ausdrücklich adressiert, wobei dies meist noch keine Rückschlüsse auf die konzeptionelle Ausführung erkennen lässt. Traditionell steht die exklusive Zweierbeziehung zwischen Patient*in und Seelsorger*in in der Seelsorge im Mittelpunkt. Den Erkenntnissen der Humanwissenschaften folgend sind in guter pastoralpsychologischer Tradition die systemischen Perspektiven mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Die Aufmerksamkeit der Seelsorgenden richtet sich nicht mehr exklusiv auf den Kranken, sondern man nimmt auch noch die Angehörigen in den Blick, was das Klientel zunächst lediglich vervielfacht, solange es strukturell bei der Seelsorge am Einzelnen bleibt. Der Schritt vom additiven zum integrierten Modell, in dem das soziale System im Vordergrund steht, in das der/die Einzelne mehr oder weniger hilfreich eingebunden ist, braucht eine andere Perspektive: »Für wen und für welche Beziehungen soll ich Unterstützung leisten, damit die familiären Ressourcen dem Kranken und allen Mitbetroffenen hilfreicher werden können?«1

3  Die doppelte Perspektive auf An- und Zugehörige An- und Zugehörige sind zuerst einmal diejenigen, die Normalität ans Krankenbett bringen. Sie repräsentieren diese Normalität trotz aller Erfahrungen und Gefühle des Ausgesetzt-Seins, was von enormer Bedeutung für die seelische Gesundheit trotz Krankheit ist. Diese wirkt der Gefahr entgegen, auf die Krankheit reduziert zu sein, die von der Institution Krankenhaus, aber auch vom eigenen Erleben ausgehen kann. Insofern stützen und stärken Besuche von An- und Zugehörigen die soziale Identität des Kranken. Sie fördern das vertraute Gefühl zu Hause zu sein, auch am fremden Ort. An- und Zugehörige sind mehr oder weniger hilfreiche Ressourcen für den Kranken, aber sie sind auch Mit-Betroffene. Es braucht die doppelte Perspektive, zwei zu unterscheidende, aber nicht zu trennende Perspektiven, wobei in beiden eine Ambivalenz steckt: An- und Zugehörige sind als Besucher Ressource und Einengende zugleich. Sie sind aber auch in ihrer eigenen Betroffenheit wahrzunehmen und als Teil eines Familiensystems. Insofern ist Krankenhausseelsorge 1 Hézser, 2013, S. 221.

III

282

III

Volkmar Schmuck

immer auch Angehörigenseelsorge – ob dies konzeptionell berücksichtigt wird oder nicht. Sie hat aber auch selbst Anteil an der Ambivalenz, indem sie immer in der Gefahr steht, sich instrumentalisieren zu lassen. An- und Zugehörige am Krankenbett sind nicht nur eine soziale und emotionale Rückenstärkung. Mit ihrem Besuch repräsentieren sie auch den Code der jeweiligen sozialen Gruppe, fordern explizit oder implizit die Einhaltung der dort geltenden Normen und Verhaltensweisen, die nicht nur zusammenschließen, sondern auch einschließen, im Extremfall sogar ausschließen und krankmachen können. Inklusion kann heilsam einschließen, aber auch einsperren, denn »das Aufgehobensein in der Gemeinschaft geschieht meist um den Preis weitreichender Zugeständnisse«2. Vor allem die Familie als die primäre soziale Gruppe gewinnt in Krisensituationen an Bedeutung, denn sie war und ist der vornehmste Ort, wo Krisen sowohl generiert als auch gelöst wurden, wenn auch auf sehr spezielle, nicht immer persönlichkeitsfördernde Weise, aber offensichtlich hat es bisher zum Überleben gereicht. Diese frühen Beziehungserfahrungen lagern sich als innere Repräsentanzen für Krisenmanagement im Unterbewusstsein ab. Sie werden im Ernstfall als erste wieder aktiviert, selbst dann noch, wenn von der Ursprungsfamilie niemand mehr am Leben ist. Oft setzen sich solche frühen Prägungen auch in der Partnerschaft fort. An- und Zugehörige sind abhängig vom Grad ihrer Verbundenheit mit den Patient*innen mitbetroffen, wobei dieser Grad durchaus quer zu den familiären Bindungen liegen kann. Nahe Angehörige können sich wenig verbunden fühlen, genauso wie Menschen, die fernab von allen familiären Zusammenhängen sich als Freund*innen, Nachbar*innen, Arbeitskolleg*innen den Betroffenen sehr nahe fühlen können. Mit-Betroffensein kann also sehr verschiedene Gesichter haben und ist oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Die Skala reicht von solidarischen, lebendigen Formen des Mitleidens und der Trauer über schwerwiegende Formen der Verlustangst und der Schuldgefühle bis hin zur sekundären Traumatisierung, die auch pathologische Züge annehmen kann. Angehörige bringen Normalität ans Krankenbett, befinden sich u. U. aber selbst im Ausnahmezustand, wodurch sich manchmal die Rollen vertauschen können. Dann sieht sich der Kranke verpflichtet, die Beunruhigung einzudämmen, selbst Normalität und Zuversicht vorzutäuschen. Angehörige sind oft genauso krank wie die Patienten, nur anders. Nicht selten entwickeln lang miteinander vertraute Menschen eine Komplementarität in ihrem Verhalten, dem ein festgeschriebenes Script und eine entsprechende Rollenverteilung zugrunde liegt. Diese wird gerade auch im Krisenfall nicht auf2 Pfaff-Czarnecka, 2012, S. 10.

Die Seelsorge mit An- und Zugehörigen

283

gegeben und stellt insofern trotz allem Normalität her, unabhängig davon wie bizarr manchmal diese »Spiele der Erwachsenen«3 sein können. Der Gewinn solcher Spiele ist immer Zuwendung (auch negative), Aufmerksamkeit oder Bedeutung, selbst wenn dies einen hohen Preis hat. Besonders dramatisch können symbiotische Beziehungen sein, wenn eine*r ohne den/die andere*n nicht leben kann. Es ist manchmal schwer auszuhalten, lebensfeindliche Beziehungsmuster nicht verändern zu können, aber es gibt keine wirksame Unterstützung des Kranken an diesen mehr oder weniger alten Mustern vorbei. Sie sind wie ein Myzel, von dem auch Seelsorge oft nur wenige Fäden zu sehen bekommt, deren Zerstörung aber gravierende Auswirkungen hätte. Zwei Beispiele: Ein Mann, Anfang 90, lebt auch fünf Jahre nach dem Tod seiner Frau noch allein in seinem Haus. Er hat beschlossen, dort wohnen zu bleiben, um seiner Frau nahe zu sein. Zusammen mit einem Strauß immer frischer Blumen steht ihr Bild groß vor ihm auf dem Wohnzimmertisch. Er hat zwei Söhne (Gott sei Dank in einem Nachbarort wohnend), die, anfangs skeptisch, seinen Wunsch respektiert haben und um ihn herum sein alltägliches Leben organisiert haben. Sie haben eine Haushaltshilfe und einen Pflegedienst engagiert, sowie einen festen Besuchsplan aufgestellt, sodass er abwechselnd von ihnen wöchentlich besucht wird. Seine Enkelkinder, die über ganz Deutschland verstreut wohnen, haben den Auftrag, ihren Opa regelmäßig anzurufen, und auch der Seelsorger kommt ihn in größeren Abständen oder bei Bedarf besuchen. Die Nachbarn schauen ab und zu nach ihm und achten darauf, ob auch jeden Morgen die Jalousien aufgezogen sind. Einen Notruf hat er abgelehnt, weil er »sonst ja gar nicht von der Welt kommen kann«. Ab und zu kommt er ins Krankenhaus, weil sein Diabetes neu eingestellt werden muss. Auch dort funktioniert der Besuchsplan. Die Söhne kommen ihn im vertrauten Rhythmus besuchen, ebenso die Haushaltshilfe und der Seelsorger. Er fühlt sich wohl, schläft nachts tief und fest und lässt die notwendigen Behandlungen bereitwillig über sich ergehen. Langsam wird er lebensmüde und möchte nun bald seiner Frau folgen. Ein Mann pflegt seit sieben Jahren seine an Alzheimer erkrankte Frau. Als die Krankheit immer schlimmer wird, verlässt er nur noch für die notwendigsten Verrichtungen sein Haus. Später, als sie auch die Toilette nicht mehr benutzt, lässt er keine Besucher mehr zu ihr herein. Er sagt: »Was man liebt, kann man auch pflegen.« Er hat sich seiner selbst gestellten Aufgabe voll und ganz hingegeben, isoliert sich mehr und mehr und wird selbst krank darüber. Erst als er selbst ins Krankenhaus 3 Berne, 2002.

III

284

Volkmar Schmuck

muss, kam seine Frau ins Heim. Es ist für beide eine Erlösung, aber er konnte es sich selbst lange nicht eingestehen, weil ihn starke Schuldgefühle quälten.

4 Zugehörigkeit als zentrale Bedingung für soziale und religiöse Identität

III

Zugehörigkeit ist ein hoher sozialer und spiritueller Wert, der in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Wer Familie hat, einen Freundeskreis, Nachbarn, die ein Auge auf ihn/sie werfen, eine Kirchengemeinde, einen Verein, einen Bekanntenkreis, in dem man Kontakt hält, ist reich gesegnet. Die Intensität der Beziehungen und Kontakte kann dabei durchaus sehr unterschiedlich sein, am wichtigsten ist das Gefühl, eingebettet (!) zu sein in ein soziales Geflecht, gerade in Krisenzeiten. Und Krankenhausaufenthalte sind in aller Regel Krisenzeiten, weil Erfahrungen und Gefühle des Ausgeliefertseins und der Fremde sehr stark werden können. Zugehörigkeit stärkt Identität und Autonomie, besonders am fremden Ort. Dass diese wichtige Ressource immer mehr Menschen unseres postmodernen Kulturkreises verlorengeht, ist ebenso nachvollziehbar wie tragisch und lässt sich durch noch so große supportive Anstrengungen nicht adäquat ausgleichen. Umso wichtiger ist es, die noch vorhandenen Fäden eines persönlichen Myzels ausfindig zu machen, zu stärken und wieder anzuknüpfen. 4.1 Mitpatient*innen Neben der Familie und dem Freundeskreis können auch Mitpatient*innen in einem Mehrbettzimmer Zugehörigkeit stiften. Sie haben dann den Charakter einer Peergroup, weil sie trotz unterschiedlicher Erkrankungen und auch unterschiedlicher Schwere der Erkrankungen Schicksalsgenossen auf Zeit sind. Die gegenseitige seelisch-moralische Unterstützung dieser Schicksalsgemeinschaft kann von großer Bedeutung sein. Nicht selten hält diese Verbundenheit auch noch über den Krankenhausaufenthalt hinaus, wenn auch oft nur für eine bestimmte Zeit. Patient*innen beziehen oft Trost allein schon aus der Tatsache, dass es anderen Mitpatient*innen schlechter geht. Das mag von außen gesehen zweifelhaft erscheinen, weckt aber im Gegenzug auch fürsorgliche Reflexe, die wiederum den anderen guttun (können). Mitpatient*innen können auch in einer Weise konstruktiv konfrontieren, anspornen oder ermutigen, wie es von keiner anderen Seite sonst möglich ist. Aufgabe der Seelsorge ist es, aufmerksam zu sein für solche supportiven Beziehungen in einem Krankenzimmer, sie als mitmenschliche Seelsorge aneinander zu würdigen und zu stärken.

Die Seelsorge mit An- und Zugehörigen

285

4.2  Religiöse Zugehörigkeiten Was hier von sozialen Gruppen im Allgemeinen gesagt ist, gilt natürlich auch für religiöse Zugehörigkeiten. Zugehörigkeit und Glaube (belonging and believing) sind »die elementaren Formen religiösen Lebens«4, wie sie Émile Durkheim aus soziologischer Sicht bereits 1912 beschrieben hat. Und auch hier sind die frühen religiösen Prägungen enorm wichtig, selbst wenn sie lange verschüttet oder dem/der Seelsorgenden eher fremd sind. Wenn es aktuelle Formen der Religionsausübung gibt, hat der Kontakt zur Religionsgemeinschaft große Bedeutung. Allein schon eine Karte von der zuständigen Kirchengemeinde kann eine wichtige Stärkung sein oder Gespräche über den Glauben auslösen. Der Frage, ob believing auch ohne belonging gelingen kann, also ob Glaube als individuelle spirituelle Kraft auch ohne Gemeinschaft auskommen und seine Kraft entfalten kann, kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Sie wird aber heftig und kontrovers unter der Überschrift Spiritual Care und/oder Seelsorge diskutiert5. Dabei ist zuerst zu bedenken, wem das Recht eingeräumt werden kann, diese Frage zu beantworten. Sind es nicht die Betroffenen selbst, unabhängig von allen theologischen Diskursen? »Spiritualität ist genau – und ausschließlich – das, was der Patient dafür hält«, sagt Traugott Roser.6 Daraus ergibt sich die weiterführende Frage, ob Seelsorge sich für alle Formen von Spiritualität zuständig fühlen muss/kann. Noch einmal eine andere, durchaus verstörende Perspektive auf An- und Zugehörigkeit bietet die synoptische Erzählung, die mit »Jesu wahre Verwandte« überschrieben ist. »Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter« (Mk. 3,35). Jesus relativiert auf schroffe Weise leibliche Gemeinschaft (Generativität) und stiftet eine geistliche Familiarität in der Nachfolge Christi, die gerade in Zeiten der Angst und Krise trägt. In der lukanischen Version folgt die Erzählung von der »Stillung des Seesturms« (Lk 8, 22–25). Wenn es um existenzielle Herausforderungen geht, kann sich die Frage nach den wahren Verwandten noch einmal neu stellen. Zugehörigkeit ist eine spirituelle Erfahrung, die die Lebenskraft eines Menschen stärkt und insofern entscheidend für Heilung ist.7 Dies reicht weit über die alltägliche soziale Dimension hinaus, indem sie Bürge für Sinn und Ordnung sein kann. Zu einer Gemeinschaft der Glaubenden zu gehören, zu einem 4 5 6 7

Durkheim, 1977. Vgl. u. a. Nauer, 2015. Roser, 2011, S. 47. Darauf weisen zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Spiritualität in der sozialen Arbeit und in Palliative Care hin.

III

286

Volkmar Schmuck

himmlischen Vater/einer himmlischen Mutter, in der Nachfolge Christi zu stehen, das können Glaubensgewissheiten sein, die Geborgenheit in einer Wirklichkeit ermöglicht, die sogar dann noch trägt, wenn die Realität etwa einer schweren Diagnose von allen normalen Zugehörigkeiten abschneidet. Zugehörigkeit kann nicht nur biologisch oder soziologisch sondern auch geistlich beschrieben werden – bis dahin, dass eine Zugehörigkeit proklamiert wird, die gegen die Widrigkeiten der Welt immunologisiert (vgl. Joh 15,2 – »in der Welt, aber nicht von der Welt«).8 Klassisch formuliert hat dies z. B. Thomas von Kempen:

III

»Dass uns Dinge begegnen, die uns lästig und durchaus zuwider sind, das ist für uns selbst sehr gut. Denn sie treiben den Menschen, der aus seinem Herzen flüchtig gegangen ist, wieder in sein Herz zurück und erinnern ihn daran, daß er hier auf Erden noch in der Verbannung weilt und daß er seine Hoffnung auf nichts Irdisches setzen darf.«9

5  Rollenangebote und Räume Der Seelsorge im Krankenhaus werden unterschiedliche Rollenangebote ge­­ macht, die man nicht unreflektiert übernehmen sollte. Auftraggeber können die Angehörigen, die Patienten, Mitarbeitende des Krankenhauses oder die eigenen Ansprüche sein. Ohne im Einzelnen darauf eingehen zu können, seien einige genannt: Klagemauer, Übersetzer (für medizinische Sachverhalte und Behandlungsabläufe, aber auch bei gestörter Kommunikation zwischen Patienten, Angehörigen und Personal), Konfliktmoderator, Vermittler, Netzflicker (wenn die sozialen Netze löchrig sind, oder nicht vorhanden), Rückenstärker, Tröster, Überbringer schlechter Nachrichten, Berater (z. B. bei ethischen Fragestellungen), Anbieter von Ritualen etc. Bei allen Rollen, die man übernimmt oder ablehnt, ist die Kommunikation der eigenen Entscheidung das wichtigste, um Transparenz herzustellen, auch gegenüber dem multiprofessionellen Team. 8 Peter Sloterdijk (2009, S. 12) spricht von der »immunitären Verfassung des Menschenwesens« und stellt fest: »Nach mehrhundertjährigen Experimenten mit neuen Lebensformen hat sich die Einsicht abgeklärt, dass Menschen, gleichgültig unter welchen ethischen, ökonomischen und politischen Bedingungen sie leben, nicht nur in materielle Verhältnisse, vielmehr auch in symbolischen Immunsystemen und rituellen Hüllen existieren.« 9 Kempen, 1975, S. 32.

Die Seelsorge mit An- und Zugehörigen

287

Viele Begegnungen und Gespräche mit An- und Zugehörigen ereignen sich bei Gelegenheit im Krankenzimmer, vor der Tür, auf dem Gang. Es ist deshalb wichtig, darauf eingestellt zu sein und Kurzgespräche in der Seelsorge als eigenes Format schätzen zu können. Bei allem Respekt vor dem Vorrang der Anund Zugehörigen im Krankenzimmer sollte man sich deshalb nicht zu schnell abschrecken lassen (»Oh, ich möchte nicht stören, ich komme später wieder.«) Oft sind es gerade diese kurzen Begegnungen, die die Dynamik eines Familiensystems spürbar werden lassen und wodurch sich weitere Begegnungen anbahnen können. Neben diesen Seelsorgeanlässen bei Gelegenheit wird die Seelsorge auch gezielt dazu gerufen, etwa bei Notfallsituationen auf der Intensivstation als Krisenmanager für herbeigerufene Angehörige. Auch Angebote für liturgische Feiern mit Angehörigen und Mitarbeitenden gehören zum Spektrum der Krankenhausseelsorge. So können etwa Abschiednehmen, Aussegnungen in entsprechenden Abschiedsräumen oder im Krankenzimmer, ein Gebet mit Angehörigen oder stellvertretend für sie im Raum der Stille, oder das regelmäßige Gedächtnis an frühverstorbene oder totgeborene Kinder auf dem Friedhof prägnante seelsorgliche Angebote sein. Schließlich sei noch auf die Bedeutung von Angehörigengruppen, z. B. bei chronisch kranken oder pflegebedürftigen Menschen hingewiesen. Auch hier kann die Krankenhausseelsorge punktuell bei der Organisation und Gestaltung mithelfen.10

6 Konzeptionelle Überlegungen zur Seelsorge mit An- und Zugehörigen Seelsorge, die sich konzeptionell die Arbeit mit An- und Zugehörigen auf die Fahne geschrieben hat, verlangt eine doppelte Hermeneutik: die personale und die systemische Perspektive. Seelsorge bleibt ihrem Charakter nach Seelsorge mit Einzelnen (Patient*innen und/oder An-/Zugehörigen). Aber indem sie das soziale Netz mit in den Blick nimmt, ergeben sich verschiedene Interventionsmöglichkeiten und -prioritäten. Umgekehrt darf Seelsorge am Patient*innensystem, den/die Einzelne nicht aus dem Blick verlieren. Es geht immer zuerst 10 Gesonderter Betrachtung bedürfte die Bedeutung von Angehörigen und ihre seelsorgliche Begleitung in Psychiatrischen Einrichtungen. Dort sind sie von besonderer Bedeutung für die Therapie, aber schnell auch Teil des pathologischen Systems, was zwangsläufig mit viel Angst und Scham einhergehen kann. Dann sind seelsorgliche Gesprächsräume wichtig, in denen sie der Systemlogik entzogen sind und sich in ihrer persönlichen Not gesehen fühlen.

III

288

III

Volkmar Schmuck

um die Person in ihrem System, nicht umgekehrt. Seelsorge kann Netzwerke stärken, knüpfen, vielleicht auch irritieren, aber sie darf Patient*innen nicht zu Symptomträger*innen degradieren bzw. Angehörige pathologisieren. So können z. B pflegende Angehörige die wesentliche seelische Stütze für Patient*innen sein, gleichzeitig aber auch an ihre eigenen Grenzen stoßen, was wiederum der/die Kranke spürt und sich schuldig fühlt. Seelsorge fragt danach, was die Einzelnen brauchen. Für den/die Kranke/n könnte es in diesem Beispiel darum gehen, danach zu suchen, was für ihn/sie, die Tatsache, anderen zur Last zu fallen, erträglicher machen könnte. Vielleicht geht es dann um die Akzeptanz weiterer, vielleicht auch fremder Unterstützungspersonen, oder um den unumgänglichen Entschluss, die eigenen vier Wände (vorübergehend) zu verlassen, um die eigene Würde und die der Beziehung nicht zu verletzen. Umgekehrt könnte es für die Begegnung mit Angehörigen wichtig sein, nach den Werten und Grenzen zu fragen, die ihrem Engagement innewohnen. – Nicht primär, um diese zu hinterfragen, sondern im Gegenteil, um die eigenen Werte und Grenzen achten zu können. Dabei ist die Aufmerksamkeit auch darauf zu richten, welche Frühwarnsysteme installiert werden können, um kritische Grenzen von Überlastung und Überforderung zu erkennen, denn nicht zufällig ist gerade in der (häuslichen) Pflege die Schwelle zur Gewalttätigkeit niedrig.

7  Seelsorge als Katalysator In einer bekannten arabischen Geschichte vererbt ein sterbender Vater seinen drei Söhnen siebzehn Kamele mit der Auflage: »Teilt sie so, dass der Älteste die Hälfte, der Mittlere ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel erhält.« Als der Streit darüber, wie dies zu bewerkstelligen sei, nicht zu schlichten war, erscheint ein Pilger und stellt sein Kamel als 18. dazu. Jetzt lässt sich das Testament erfüllen, und auch der Pilger erhält sein Kamel zurück. Diese Parabel vom dazugestellten und danach wieder mitgenommenen Kamel – also von der auf Zeit zur Verfügung gestellten Kompetenz und Person des Seelsorgenden – kann als hilfreiches inneres Bild in die Begegnungen mit Patient*innen und An- und Zugehörigen mitgenommen werden. Seelsorge kann ein Katalysator sein – ein auf Zeit zur Verfügung gestelltes Hilfeangebot, das sich nicht verbraucht, aber lebendige Prozesse in Gang setzt. Natürlich verändern solche Interventionen auch den Pilger, weil er nicht nur sein Kamel aufs Spiel setzt, sondern auch sich selbst. Im Leben geht die Rechnung nicht immer auf. Der hilfreiche Pilger ist danach immer ein anderer, auch wenn er nichts verloren hat.

Die Seelsorge mit An- und Zugehörigen

289

Der Seelsorgende ist und bleibt – wie in der Parabel – immer ein Fremder, der zu einem in die Krise gekommenen Menschen hinzutritt. Er lässt sich die Geschichten(n) erzählen und sich davon anrühren. Durch zirkuläres Fragen (»Was sagt Ihre Frau dazu?«) lernt er An- und Zugehörige kennen. Vielleicht lernt er sie auch direkt am Bett kennen oder sucht die Begegnung mit ihnen. Wenn darüber genug Vertrauen entstanden ist, kann sich ein Gespür dafür einstellen, wie das System des Patienten tickt und wo gerade ein Stillstand eingetreten ist. Danach kann der Versuch gewagt werden, durch gezielte Interventionen einen stagnierenden Prozess wieder in Gang zu bringen. Dabei kann es um einen inneren Prozess des Patienten oder der Patientin gehen, der sich selbst oder seinen Glauben verloren hat. Es kann aber auch um einen Stillstand in den Beziehungen gehen. Anliegen ist dabei, die Quellen wieder zu öffnen, die Eigenmächtigkeit, Zugehörigkeit und Glauben stärken können. Letztlich handelt es sich um den Versuch, eine spirituelle Embolie aufzulösen. Die Kamele, die dem Seelsorgenden dafür zur Verfügung stehen, sind Empathie und die Kompetenzen in Gesprächsführung und ritueller Begleitung Wo Seelsorge im konkreten Fall ansetzt und welchen Auftrag sie bekommt oder wahrnimmt, bleibt der Wahrnehmung und Intuition überlassen, sie sollte aber immer mit zwei Brillen arbeiten. Vielleich kann man eine Faustregel nennen: Je traumatischer das Geschehen ist, desto wichtiger ist der systemische Blick, und je länger anhaltend es ist, umso wichtiger ist der Blick auf die einzelnen Akteure.

8 Fazit Eine wesentliche entwicklungspsychologische Aufgabe der Identitätsbildung ist, immer wieder das individuell hinreichende Maß an Zugehörigkeit und Eigensinn zu finden. Diese Aufgabe ist nicht mit dem Ende der Adoleszenz erledigt, wie es Erik H. Erikson in seinem klassischen Stufenmodell nahelegen kann,11 sondern bleibt lebenslang eine Herausforderung. Besonders in Krisenzeiten, zu denen Krankenhausaufenthalte in der Regel zu zählen sind, werden die damit zusammenhängenden Fragen aktuell: Wer gehört zu mir? Zu wem gehöre ich? Auf wen kann ich mich verlassen? Aber auch: Wer bin ich mit meiner Krankheit? Wie kann ich meine Persönlichkeit schützen? Was gibt mir Halt? Wieviel Zugehörigkeit brauche ich und wieviel Un(zu)gehörigkeit? In gleicher Weise

11 Erikson, 1966, S. 55–123.

III

290

Volkmar Schmuck

stellen sich diese Fragen auch für die An- und Zugehörigen, wobei die Antworten zwar oft komplementär, aber nicht unbedingt hilfreich ausfallen müssen. Krankenhausseelsorge nähert sich diesem gewachsenen komplexen System aus Beziehungen, Wertvorstellungen und Glaubenshaltungen mit Respekt und der Überzeugung, dass effektive seelische Unterstützung vorwiegend aus dem System selbst kommen kann und nicht an diesem vorbei. Leitbild dabei ist, (wieder) einen Zustand zu erreichen, »wo jeder in gleicher Weise ganz anders zu sein« vermag, wie es Jacques Derrida als Umschreibung für einen Ort der Demokratie ausgedrückt hat.12

III

12 Derrida, 2002.

Spirituelle Anamnese

Eckhard Frick SJ

Spirituelle Anamnese entsteht in der Medizin Der Begriff »Spirituelle Anamnese«, abgekürzt SPIR1, steht für die deutschsprachige Adaptation des US-amerikanischen Interviewleitfadens FICA2. Der Blick in eine gängige Suchmaschine zeigt, dass der Begriff sich allmählich im deutschen Sprachraum verbreitet (1990–2000: 0 Treffer, 2001–2010: 28, 2011 bis zum Verfassen dieses Beitrags: 74). Der Doppelausdruck ›Spirituelle Anamnese‹ ist freilich nicht spannungsfrei. Das Wort ›Anamnese‹ ist zwar auch in Theologie und Seelsorge geläufig, und zwar im Kontext der Abendmahls-Erinnerung und der ›anamnetischen Solidarität‹ (W. Benjamin, J. B. Metz u. a.). In erster Linie jedoch wird eine Anamnese in der medizinisch-klinischen Routine ›gemacht‹, um zusammen mit Untersuchung und apparativen Befunden Diagnose und Behandlung zu ermöglichen. Ganz anders das Adjektiv ›spirituell‹, das die Medizin in den 1970er-Jahren aus der religiösen Sprache entlehnte: Bei der ›Spirituellen Anamnese‹ handelt es sich trotz dieser Anleihe um eine medizinisch-therapeutische Begriffsschöpfung, die in einer gewissen Spannung zur religiösen Systemlogik steht.3 Andererseits kann gerade die theologische Reflexion über die spirituelle Anamnese dabei helfen, die Situation kranker und gesunder Menschen im Krankenhaus, wo sich privater und öffentlicher Bereich begegnen, besser zu verstehen.4 Im Folgenden soll von der genannten inter-systemischen Kritik ebenso die Rede sein wie von der intra-systemischen, also von der Auseinandersetzung um die spirituelle Anamnese innerhalb der Medizin und anderer Gesundheitsberufe, von den förderlichen und hinderlichen Faktoren, die einen Einfluss auf die Implementierung der spirituellen Anamnese haben. 1 Frick/Riedner/Fegg/Hauf/Borasio, 2006. 2 Puchalski, 1999. 3 Vgl. Karle, 2018. 4 Vgl. Balboni, 2013.

III

292

Eckhard Frick SJ

1 »Die Artischocke« – ein Prozessmodell der spirituellen Anamnese Die Erhebung der Wünsche, Bedürfnisse, Ressourcen, Probleme kranker Menschen durch die Gesundheitsberufe (spiritual assessment)5 ist ein gestufter Prozess, der sich gut durch das Genießen einer Artischocke veranschaulichen lässt. Im Gemüseladen wirkt die Artischocke verschlossen, ja: unansehnlich. Wer es nur auf die Artischockenherzen abgesehen hat, wird diese wahrscheinlich separat als Konserve kaufen. So muss die Käuferin nur eine Büchse öffnen, muss sich nicht mit dem Garen im Kochtopf und dem Entfernen von Blättern, Stiel und Heu abmühen.

III

Abb. 4: Artischocken-Modell der spirituellen Anamnese

Allerdings: Das Putzen dieses Gemüses findet nicht in der Küche, sondern am Esstisch statt. Jedes abgezogene Blatt wird auch mit dem Mund abgelutscht, denn es enthält einen Vorgeschmack auf das Herz der Artischocke. Je weiter Gastgeber*in und Gäste mit dem Entblättern fortschreiten, umso fleischiger und delikater werden die Blätter. Angewandt auf die spirituelle Anamnese: Pflege- und medizinische Kräfte sollten nicht den falschen Ehrgeiz haben, schnurstracks und schnell das Herz der 5 Vgl. Taylor, 2016.

Spirituelle Anamnese

293

Patienten-Spiritualität zu erfassen. Die spirituelle Anamnese durch die Gesundheitsberufe umfasst die erste Stufe des Assessment, das Screening, also eine systematisch vorgenommene Einschätzung der spirituellen und religiösen Orientierung aller Patient*innen. Die zweite Stufe des Assessment und weitere (comprehensive models, Seelsorgegespräch, standardisierte Fragebögen) gehen über die spirituelle Anamnese hinaus und werden an anderen Stellen dieses Handbuchs besprochen. Abbildung 4 zeigt anhand des Artischockenmodells die verschiedenen Schichten der spirituellen Anamnese. Das Behandlungsteam nimmt die »Artischocke« der Spiritualität wahr, wertet sie nicht als unwichtig oder unansehnlich, auch wenn die äußere Präsentation fremd oder sogar irritierend wirken mag, z. B. das Kopftuch der Muslima, der Eindruck, dass der Patient einer Sekte angehört, erschwerte verbale Kommunikation aus kulturell-sprachlichen oder medizinischen Gründen. Das proaktive Angebot einer spirituellen Anamnese durch ein Mitglied des Behandlungsteams bringt die Bereitschaft zum Ausdruck, tiefer zu gehen als das Abfragen der Religionszugehörigkeit oder des Wunsches nach dem Besuch von Seelsorgenden der eigenen Religion. Dieses Angebot größerer Tiefe findet seine Grenze nicht an der mangelnden Bereitschaft der Gesundheitsberufe, sondern an der diesbezüglichen Äußerung des Patienten, der nicht tiefer gehen möchte bzw. jetzt, in dieser Situation dazu nicht bereit ist. Die spirituelle Anamnese geht im Artischockenmodell von außen nach innen. Allerdings können bereits äußerlich wahrgenommene Merkmale von tiefer Bedeutung sein. Auch die Selbsteinschätzung als mehr oder minder religiös oder mehr oder weniger spirituell kann zwar möglicherweise distanziert formuliert werden, hat aber oft viel mit dem Inneren der Artischocke zu tun. Schließlich ist die räumliche, emotionale und Beziehungs-Situation der spirituellen Anamnese von großer Bedeutung. Die Pflege und andere Mitglieder des Behandlungsteams treten durch den unmittelbaren Kontakt am Krankenbett in die Intimsphäre des kranken Menschen ein. Umso wichtiger ist es, Schamgrenzen zu schützen und es, wo immer möglich, dem Patienten überlassen, Nähe und Distanz zu regulieren. Dies gilt auch für das im europäischen Kontext stark privatisierte Feld von Religion und Spiritualität. Gleichwohl: Wenn die Gesundheitsberufe dieses Feld tabuisieren und das Sprechen darüber verweigern, wird die Intimsphäre der Patienten nicht geschützt, sondern vernachlässigt. Ein spiritueller Dialog kommt dann zustande, wenn auf Augenhöhe zwischen Personen kommuniziert wird, nicht zwischen Funktions- und Rollenträgern. Im Gegensatz zur Artischocken-Esserin, die das delikate Gemüse so lange entblättert, bis sie zum Herz gelangt, respektieren beide Personen des spirituellen Dialogs die jeweilige Tiefe des anderen Menschen: Vielleicht bleiben sie im gegenseitigen Einvernehmen vorerst an der Oberfläche, vielleicht ist durch

III

294

Eckhard Frick SJ

die spirituelle Anamnese auch ein intensiver Prozess in Gang gekommen, der möglicherweise außerhalb des aktuellen Behandlungssettings fortgesetzt wird.

2  SPIR – Beschreibung der Methode

III

Abbildung 5 zeigt die originale Fassung des Interviewleitfadens SPIR, der jederzeit bei www.spiritualcare.de zum Download bereitsteht. Die Abkürzung SPIR stellt ein Akronym für die vier Bereiche dar, die im Anamnese-Interview berücksichtigt werden sollten. SPIR hat das Hauptziel, den Patienten oder die Patientin auf die mögliche Bedeutung der eigenen Religiosität oder Spiritualität (R/S) hinzuweisen – sowohl auf die hilfreichen als auf die problematischen Seiten von R/S. Dieser Hinweis ist eine Initiative des Arztes oder eines anderen Teammitgliedes (proaktive Funktion der spirituellen Anamnese: ›Grüne Ampel‹). Insbesondere die Einstiegsfrage »S« soll türöffnend wirken. Passt sich der/die Interviewer*in dem Sprachgebrauch der interviewten Person an (was die Wörter Religion/religiös, Spiritualität/spirituell, Glaube, Kraft, existenziell usw. angeht), so wird die S-Frage meistens bejaht. Wenn nicht, ist ggf. auch die Beendigung des Gesprächs zu respektieren (Ampel »auf Grün«, aber Patient*in will nicht ›weiterfahren‹). Der Interventionseffekt ist auch dann eingetreten: Der Patient hat wahrgenommen – oft mit Erstaunen –, dass er »über so etwas befragt« worden ist, dass spirituelle Themen im therapeutischen Gespräch nicht tabuisiert werden, sondern grundsätzlich sprachfähig sind, allerdings möglicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt. Diesem Hauptziel (Interventionseffekt ›grüne Ampel‹) untergeordnet ist das Ziel, einen groben Eindruck von der spirituellen Orientierung des Patienten zu bekommen (›Screening‹). Dafür ist es hilfreich, auch in den folgenden drei Fragen die Wortwahl und die inhaltlichen Schwerpunkte des Patienten oder der Patientin zu übernehmen (z. B. kirchliche oder agnostisch-humanistische Ausrichtung, individualisierte Meditationspraxis oder konventionell-­ ritualisierte Religionsausübung usw.). Der oder die Interviewer*in ist für den Rahmen verantwortlich: ungestörte Gesprächsmöglichkeit, zeitliche Begrenzung auf 5–10 Minuten. SPIR kann bei beiden Gesprächspartner*innen emotionale Reaktionen auslösen, insbesondere Scham, weil ein intimes und oft nicht sprachfähiges oder sogar tabuisiertes Thema berührt wird, sowie Angst, z. B. wegen der Verknüpfung von Sinnfrage, Coping und Spiritualität mit Sterben und Palliative Care. Die folgende Tabelle 4 stellt einige Charakteristika von SPIR zusammen.

Spirituelle Anamnese

295

III

Abb. 5: Interviewleitfaden SPIR

296

Eckhard Frick SJ

Tab. 4: Was SPIR ist – und was nicht SPIR ist:

SPIR ist nicht:

Leitfaden für Interviewer

Fragebogen, der dem Patienten ausgehändigt wird

Hilfe, damit relevante Bereiche thematisiert (nicht vermieden) werden

Checkliste zum Ankreuzen

Gedächtnisstütze (Memo) für freies Gespräch

Text, der genauso vorgelesen muss, wie er dasteht

Stimulus für Dokumentation des Interviewers in freier Form

Zum Abheften in der Akte bestimmt

3  Aus-, Fort- und Weiterbildung

III

Am besten geeignet als praxisnahes Training in spiritueller Anamnese hat sich ein 180-Minuten-Format erwiesen6, zu dem im Einzelnen gehören: Sensibilisierung für spirituelle Bedürfnisse, Nöte, Ressourcen kranker Menschen, Interviewtechnik, Implementierungsfragen. Herzstück der Seminare und wesentlicher emotional-motivationaler Lernstimulus ist die Erste-Person-Perspektive (Selbsterfahrungsaspekt): Im Workshop hören alle Teilnehmenden – häufig erstmals im Leben! – dass ihre Spiritualität durch ein anderes Gruppenmitglied angesprochen wird, was regelmäßig zu einem ›Aha-Effekt‹ führt und zur Notwendigkeit, sich selbst zu äußern oder aber abzugrenzen (s. o.: etwas vom Inneren der Artischocke zu zeigen und/oder diese nach außen abzugrenzen). Manche Teilnehmende missverstehen die Kursaufgabe so, dass sie einen ihrer Patient*innen spielen: Die Aufklärung des Missverständnisses kann eine gute Gelegenheit sein, sie zur Selbsterfahrung im Schutz der eigenen Grenzen und in der Selbstmitteilung einzuladen. Beide Varianten der Selbsterfahrung werden von der Kursleitung ausdrücklich positiv konnotiert. Dieses vielfach in der Fort- und Weiterbildung von Ärzt*innen und anderen Gesundheitsberufen, auf Kongressen, im Rahmen von Inhouseschulungen sowie auf Fachtagungen erprobte Modell eignet sich in modifizierter Form auch für das Medizinstudium und andere Ausbildungscurricula. Auch Medizinstudierende sind es gewohnt, Probleme anderer, kranker Menschen zu beschreiben und zu lösen. Die spirituelle Anamnese ist eine für sie meist ungewohnte Thematik; der Perspektivwechsel vom objektivierenden Beschreiben (3.-Person-Perpektive) zur Selbsterfahrung (1.-Person-Perspektive) und zum kollegia6 Vgl. Elhardt/Paal/Riedner/Roser/Frick, 2013.

Spirituelle Anamnese

297

len Dialog (2.-Person-Perspektive) führt sie unmittelbar (und letztlich deutlich patientenzentrierter) in die Thematik von Spiritual Care ein. Ein wichtiger und noch nicht befriedigend gelöster Problempunkt ist die oft fehlende Nachhaltigkeit der Anamnese-Workshops, genauer gesagt: die fehlende Implementierung in Klinik und Praxis.7 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann Folgendes empfohlen werden: Die bewährten 180-Minuten-Workshops werden als ›Einführung in die Spirituelle Anamnese (I)‹ deklariert. Schon bei der Ausschreibung dazu wird auf Fortführungsseminare (II) hingewiesen, in denen an Hand kurzer Videobeispiele der Teilnehmenden die jeweiligen Erfahrungen zwischen den Seminaren I und II berichtet und supervidiert werden. Auf diese Weise werden nicht nur praktische Schwierigkeiten in der Umsetzung, sondern auch hilfreiche Erfahrungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Implementierung deutlich.

4 Diskussion An der engagiert geführten Debatte über die spirituelle Anamnese entzündet sich ein Teil der deutschsprachigen Kontroverse um Spiritual Care. Die Theologinnen Karle8, Nauer9 und Noth10 weisen auf die Gefahr der medizinischen Instrumentalisierung des Spirituellen hin und halten das Genus Anamnese (ebenso wie Indikation und Behandlung) für einen Ausdruck medizinischer Systemlogik. Dies ist sicher eine zutreffende Beschreibung, die jedoch bei den Autorinnen zu mehr oder minder großen Zweifeln an der Legitimität der spirituellen Anamnese führt. Am deutlichsten wird dies bei Noth, die dazu rät, einem Arzt die Antwort auf eine spirituelle Anamnesefrage zu verweigern; denn das seien »Dinge, die man nicht abfragt, sondern erfährt, und zwar, wenn man das Vertrauen einer Person gewonnen hat«11. Noths Rat beruht offenbar auf Erfahrungen mit unsensiblen, übergriffigen, taktlosen oder schlecht ausgebildeten Ärzt*innen, sodass das Bedürfnis, als spirituelles Wesen wahrgenommen zu werden, gegenüber dem Abgrenzungs- und Schutzaspekt der spirituellen »Artischocke« zurücktreten muss. Sicher ist die R/S-Orientierung beider Gesprächspartner*innen sowie deren Passung zu berücksichtigen. So kann eine hochreligiöse Patientin brüskiert sein angesichts unbeholfener und zu tief gehender Fragen eines agnos     7 Vgl. Mayr/Elhardt/Riedner/Roser/Frick/Paal, 2016.      8 Karle, 2018.      9 Nauer, 2016. 10 Noth, 2014. 11 Noth, 2014, S. 106.

III

298

III

Eckhard Frick SJ

tischen Arztes. Umgekehrt kann ein säkular-spiritueller Patient von sensiblen Fragen seiner Ärztin profitieren.12 Aus (christlich-)theologischer Sicht bestreitet Balboni (2013) nicht das Ob der spirituellen Anamnese. Vielmehr arbeitet er unbewusste theologische Vorannahmen der Anamnese heraus, gerade im säkular-pluralen Kontext. So müssten sowohl das anthropologische, dem medizinischen Immanenzmodell angepasste Anamnese-Modell als auch das kontra-kulturelle, transzendenzbezogene die jeweiligen Einseitigkeiten sehen und an einer Synthese interessiert sein. Eine französische Studie13 argumentiert auf der Basis von Patienteninterviews für eine Ethik der Anerkennung. In medikozentrischen Anamneseansätzen sehen die Autoren die Gefahr, Spiritual Care wie eine neue medizinische Disziplin zu etablieren und die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche kranker Menschen zu verfehlen. Insbesondere aus der theologischen Kritik ergeben sich wichtige Gesichtspunkte für die Qualitätssicherung der spirituellen Anamnese. Eine nordamerikanisch-europäische Expert*innen-Taskforce14 erarbeitete die in Tabelle 5. zusammengefassten Qualitätskriterien: Tab. 5: Qualitätskriterien für das Erheben einer spirituellen Anamnese (modifiziert nach Paal/ Frick/Roser/Jobin, 2017) Bereiche

Teilbereiche

Grundregeln

[Fähigkeiten] Präsenz, vertieftes Zuhören, Aufgreifen der Wortwahl des Patienten [Wissen] eigene Spiritualität, institutionelle Rahmenbedingungen, mögliche Grundthemen und -fragen [Haltung] offen, nicht wertend

Engagement

[vorher] Ziel, Rahmen der Anamnese klarmachen [während] mitfühlende Neutralität, Interesse für Patienten, menschliche Verbundenheit [danach] Plan/Dokumentation im Sinne des Patienten

Follow-up

[impact] Interventionseffekt der Anamnese! [Verantwortung] eigene oder weitergegebene für die spirituellen Belange des Patienten

12 Vgl. Sperry, 2016. 13 Pujol/Jobin/Beloucif, 2016. 14 Paal/Frick/Roser/Jobin, 2017.

Spirituelle Anamnese

299

Mittlerweile existieren auch randomisiert-kontrollierte Studien zur spirituellen Anamnese. Eine Genfer Forschergruppe15 fand erhöhte Zufriedenheit und Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung bei einer chronisch-schizophrenen Stichprobe, die in den Genuss der spirituellen Anamnese gekommen war. Hingegen konnte ein belgisches Team16 keinen Zusammenhang zwischen der spirituellen Anamnese und dem spirituellen Wohlbefinden und der Lebensqualität von Palliativpatienten nachweisen. In mehreren Studien17 hat die Arbeitsgruppe um Best förderliche und hinderliche Faktoren für Spiritual Care allgemein und die Kompetenz zum Erheben der spirituellen Anamnese im Besonderen zusammengetragen. Wie bei Anandarajah, Roseman, Lee u. Dhandhania18 und in anderen ähnlich orientierten Studien geht es um den Abbau von Kommunikationsbarrieren und die Verbesserung der spezifischen diesbezüglichen Kompetenz der Gesundheitsberufe. Deren wesentlicher Faktor ist das proaktive Öffnen des Themenbereichs im therapeutischen Dialog. Die meisten der innerhalb des NERSH-Projekts19 befragten Ärzt*innen finden es richtig, R/S-Themen aufzugreifen, wenn der Patient oder die Patientin diese einbringt. Hingegen stimmt nur knapp die Hälfte der Befragten zu, die Patient*innen proaktiv nach ihrer Spiritualität zu befragen (›to inquire‹, ›grüne Ampel‹ im Sinne dieses Beitrags). Nachvollziehbar an dieser Zurückhaltung und richtig an der Warnung vor Grenzverletzung in der Verletzlichkeit von Krankheit oder sogar Sterben ist das Achten auf Schamgrenzen aller Beteiligten, die nicht überrannt werden dürfen, die geschützt werden müssen. Allerdings gibt es zwischen den Extremen eines unsensiblen Durchstoßens zum Herz der Artischocke und dem Nicht-Wahr­ habenwollen ihrer Tiefe eine große Bandbreite an Beziehungsgestaltungen. Kranke Menschen haben ihre Schamgrenzen ebenso wie gesunde. Da kranke Menschen im Allgemeinen verletzlicher sind als gesunde, hat ihr Schutz Priorität. Der Weg beim Aushandeln von mehr oder minder großer Tiefe im spirituellen Dialog kann nicht in der Vermeidung von Scham oder Schamangst bestehen, sondern im respektvollen Umgang mit den Grenzen des anderen Menschen. Hier ist die Kategorie des Geheimnisses hilfreich, die ja nicht nur eine theologische ist – die andächtige Beziehungsaufnahme zu Gott vorbereitet –, sondern auch eine anthropologische: Sie hilft uns, symbolhaft zu

15 Huguelet/Mohr/Betrisey/Borras/Gillieron/Adham-Mancini et al., 2011. 16 Vermandere/Warmenhoven/Van Severen/De Lepeleire/Aertgeerts, 2016. 17 Best/Butow/Olver, 2015. Vgl. Best/Butow/Olver, 2016a; vgl. auch Best/Butow/Olver, 2016b. 18 Anandarajah/Roseman/Lee/Dhandhania, 2016. 19 Hvidt/Kappel Kørup/Curlin/Baumann/Frick/Søndergaard et al., 2016.

III

300

Eckhard Frick SJ

hören und zu verstehen, was die andere Person uns mitteilt und auch, was sie uns jetzt nicht mitteilt.20

5 Fazit

III

Die spirituelle Anamnese ist inter- und intrasystemisch umstritten. Ein Teil der theologischen Kritik hält sie für den entweder dilettantischen oder aber manipulativen Versuch von Medizin und Gesundheitsberufen, das Spirituelle zu usurpieren. Innerhalb der Medizin halten sie viele für einen Fremdkörper, der eigentlich zur Seelsorge gehört. Es fehlen bislang Übertragungen des Modells Palliative Care auf andere Gebiete der Heilkunde, z. B. durch klare Verankerungen in Prüfungs- und Lernzielkatalogen. Viele dieser Bedenken sind berufspolitisch mitbegründet und dienen der Abwehr der medizinischen Systemlogik und (Über-)Macht. Demgegenüber muss die Theologie als Anwältin der Unverfügbarkeit des menschlichen Trans­ zendenzbezuges auftreten, ohne daraus einen spirituellen Alleinvertretungsanspruch abzuleiten. Das Konzept der spirituellen Anamnese ist im medizinischen Denken entstanden. Man mag dies für einen Nachteil halten und bedauern, dass es sich nur schwer in die religiöse Systemlogik einfügen lässt, ja: geradezu bedrohlich für das religiöse Sprachspiel wirken kann. Andererseits stellt die spirituelle Anamnese mitten in der High-Tech-Medizin eine Spur der Transzendenz dar, an die eine selbstbewusste Krankenhausseelsorge anknüpfen kann: Das Pneuma (der Spiritus) weht eben, wo es will (Joh 3,8).

20 Vgl. Weiher, 2012.

Seelsorge mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

Astrid Giebel

wussten sie schon dass die nähe eines menschen gesund machen krank machen tot und lebendig machen kann wussten sie schon dass die nähe eines menschen gut machen böse machen traurig und froh machen kann wussten sie schon dass das wegbleiben eines menschen sterben lassen kann dass das kommen eines menschen wieder leben lässt wussten sie schon dass die stimme eines menschen wieder aufhorchen lässt der für alles taub war wussten sie schon dass das wort oder das tun eines menschen wieder sehend machen kann einen der für alles blind war der nichts mehr sah der keinen sinn mehr sah in dieser welt und in seinem leben

III

302

Astrid Giebel

wussten sie schon dass das zeithaben für einen menschen mehr ist als geld mehr als medikamente unter umständen mehr als eine geniale operation wussten sie schon dass das anhören eines menschen wunder wirkt dass das wohlwollen zinsen trägt dass ein vorschuss an vertrauen hundertfach zurückkommt

III

wussten sie schon dass tun mehr ist als reden wussten sie das alles schon wussten sie auch schon dass der weg vom wissen über das reden zum tun interplanetarisch weit ist. Wilhelm Willms (1865–1939)1

1 Einleitung Seelsorge mit Mitarbeitenden beruht auf der Bereitschaft mit sich, mit anderen und mit Gott in Kontakt zu treten. Als Nachfolgepraxis im Wirkungskreis des Evangeliums2 ist Seelsorge ein Trialog. Denn jede Begleitungsbeziehung ist offen auf einen dritten hin.3 »Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.« (2. Kor 1,3 f.) 1 Willms, 1986. Willms war Theologe, Lyriker, Sachbuchautor. 2 Ziemer, 2015, S. 220. 3 Vgl. Schaupp, 2006, S. 17.

Seelsorge mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

303

Neben Personenkompetenz, Theoriekompetenz, kommunikativer und hermeneutischer Kompetenz ist für eine seelsorgliche Begegnung mit Mitarbeitenden insbesondere die geistliche Kompetenz bedeutsam. Geistliche Kompetenz ist die Fähigkeit, so von Gott zu reden, dass Gott greifbar wird.4 Mitarbeitende im Gesundheitswesen spüren es, ob über den Glauben gesprochen wird, ober ob Glaubenserfahrung in einer seelsorglichen Begegnung zum Tragen kommen.5

2 Fragen, die Mitarbeitende im Gesundheitswesen beschäftigen »Was passiert, wenn ich Fehler mache? Selbst wenn Gott mir verzeiht, kann ich mir verzeihen?«, fragt ein Arzt. Und er ergänzt im Gespräch mit der Seelsorgerin: »Es gibt ja nicht nur ärztliche Kunstfehler, sondern auch Fehler im Seelsorgegespräch, oder?« »Wie können andere Menschen uns respektieren, wenn wir uns selbst nicht respektieren?«, fragt eine Kranken- und Gesundheitsschwester. »Und was ist aus unserem Kernauftrag – Patienten zur Seite zu stehen, sie zu begleiten, zu versorgen, zu betreuen und ihnen Zuspruch zu geben – geworden? Was aus unserem Auftrag, zuzuhören, zu beraten und einfach auch mal dazusitzen und eine Hand einen Moment lang zu halten? Wo sind sie, diese existenziellen Momente im Pflege­ alltag?«6 »Menschen erwarten Gesundheit von mir als Kardiologin. Das bringt eine hohe Verantwortung mit sich, die mir schwer auf den Schultern lastet und die ich nicht allein tragen kann.« Vom Krankenhausseelsorger wünscht sich die Ärztin: »Selbst, wenn es ganz schlecht aussieht, ist die Hoffnung seitens der Patienten dennoch da. Wir brauchen deshalb einen zweiten Stuhl der Hoffnung, der da ist, wenn aus medizinischer Sicht keine Hoffnung mehr besteht.« Ein Altenpfleger teilt mit: »Ein Kollege und ich waren die Einzigen, die das kaltlässt, wenn jemand verstirbt. Ich nenne das eine gesunde Distanz, aber mich hat das erstaunt. Ich habe gedacht, viele gehen damit gelassener und aufgeklärter um. Aber es hat sich gezeigt, dass viele das ziemlich beschäftigt, auch im Privaten, und dann denken sie darüber zu Hause nach. Es ist nicht so, dass ich nicht darüber nachdenke. Wenn ich denke, das würde mich ständig beschäftigen, dass ich

4 Ziemer, 2015, S. 224. 5 Zur Diskussion um die Erfahrungsdimension des Glaubens unter Einbezug von Schleiermacher, Barth und Bonhoeffer vgl. Bedford-Strohm, 2017a, S. 66 ff. 6 Bachert/Klindworth/Winkler/Winkler, 2013, S. 66.

III

304

Astrid Giebel

ständig an die Verstorbenen denken müsste – ich glaube, das würde mich fertig machen. Das kostet ja unwahrscheinlich viel Energie.«7

3 Welche Rolle kann Seelsorge an Mitarbeitenden in der Personalentwicklung spielen?

III

Mitarbeitende im Gesundheitswesen unterliegen überdurchschnittlich hohen Belastungen. Ärztlich Tätige sind eine Berufsgruppe mit hohen Leistungsansprüchen an sich selbst und sind nachgewiesenermaßen besonders gefährdet in Bezug auf Burnout. Im Deutschen Ärzteblatt wurden in den vergangenen Jahren zum Teil alarmierende Zahlen veröffentlicht. Über ein Drittel der niedergelassenen Ärzte in Österreich hält sich für burnoutgefährdet; diese Größenordnung bestätigte sich bei anschließenden Vergleichsstudien auch in Deutschland. Gewonnen wurden zudem die besorgniserregende Erkenntnis, dass das Suizidrisiko bei männlichen Ärzten etwa doppelt so hoch ist wie in der Gesamtbevölkerung. Bei Ärztinnen ist es sogar viermal so hoch, was nach Einschätzung der Beforschenden an der Doppelbelastung von Familie und Beruf liegt.8 Burnout ist eine arbeitsbedingte, chronische seelische Erschöpfung, verbunden mit einer Entpersönlichung im Umgang mit sich selbst und anderen Menschen und mit einem starken Absinken von beruflicher Effektivität, beruflicher Zufriedenheit und Lebensfreude.9 Im Pflegeberuf tragen Fachkräftemangel bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen zu hohen physischen und psychischen Belastungen der Pflegenden bei. »Die auf den ersten Blick einleuchtende Vorstellung, dass Pflegende als die größte Gruppe der Gesundheitsberufe zwangsläufig mit einer gesundheitsfördernden Haltung sich selbst gegenüber tritt, ist mit der Wirklichkeit dieser Berufsgruppe nicht in Deckung zu bringen. Wohl stellt die Überzeugung, nicht nur für kranke Menschen da zu sein, eine Grundüberzeugung im Berufsverständnis dar. Doch kommen Pflegende hier schnell an die Grenzen der Umsetzung ihrer eigenen Überzeugungen für sich selbst.«10 Oft ist die Personalsituation so knapp, dass Vorgesetzte bei der Bitte um Einspringen, Aushelfen, Dienste verschieben etc. mit dem Appell an das berufliche      7 Schwer, 2010, S. 244. Vgl. auch Kersting, 2013.      8 Vgl. Grabe, 2016, S.  122.      9 Vgl. Berg, 2011 sowie Lammer, 2012a, bes. S. 157 ff. 10 Städtler-Mach, 2015, S. 432.

Seelsorge mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

305

Selbstverständnis arbeiten. Der Hinweis auf die unzureichende strukturelle Ausstattung des Pflegepersonals wird mit dem Verweis auf die persönliche Not des Kollegen oder der Vorgesetzten verbunden (»Ich habe doch niemand anderen«).11 Pflegende stehen im Dauerkonflikt, umfassend pflegen zu wollen und gleichzeitig ein hohes Arbeitspensum mit maximaler wirtschaftlicher Effizienz bewältigen zu müssen. Studien wiesen in den vergangenen Jahren darauf hin, dass fast die Hälfte der befragten Pflegekräfte öfters daran denkt, den Beruf aufzugeben; bei jeder fünften ist dieser Wunsch stark ausgeprägt. Der Pflegeberuf steht in Gefahr zu einer beruflichen Sackgasse mit burnout-Garantie zu werden. Neben körperlichen gehören zu den psychischen Belastungen insbesondere der tägliche Umgang mit Patientinnen- und Bewohnerleid. Durch Überforderungen droht riskante Pflege.12 Im Krankenhaus stehen an der Spitze der Stressoren, die im Zusammenhang mit Burnout genannt werden: eine hohe Arbeitsbelastung, Zeitdruck, Verantwortungsüberlastung und Konflikte am Arbeitsplatz. Hinzu kommen emotional belastende Situationen mit Patientinnen und Patienten und eine sehr hohe Betreuungsfrequenz. Zudem werden Mitarbeitende im Gesundheitswesen mit administrativen Tätigkeiten überhäuft, die von vielen als sinnlos betrachtet werden und ebenfalls das Burnout-Syndrom begünstigen.13

4 Welche Bedeutung hat Seelsorge an Mitarbeitenden für die Unternehmensführung und Organisationsentwicklung in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft? Stichproben in Inhaltsverzeichnissen und einschlägigen Artikeln einer Reihe von in den letzten Jahren erschienen Veröffentlichungen zur diakonischen Unternehmensführung und zur zukunftsorientierten Organisationsentwicklung in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft bringen die erstaunliche Entdeckung über die Rolle mit sich, die der Seelsorge in diesem Zusammenhang beigemessen wird – nämlich entweder gar keine oder aber keine explizite!14 In den Vordergrund geschoben hat sich Spiritualität als Kern diakonischen Handelns: »Jede unternehmerische Tätigkeit trägt in sich einen Kern, von dem aus alle 11 12 13 14

Städtler-Mach, 2015, S. 438. Vgl. Diakonie Deutschland/Stockmeier/Giebel/Lubatsch, 2012; 2013. Grabe, 2016, 122. So z. B. Horneber/Helbich/Raschzok, 2010; Schoenauer, 2012; Eurich/Maaser, 2013; Helbich/ Oberender/Zenker, 2015.

III

306

III

Astrid Giebel

andern Bereiche durchdrungen und bestimmt werden. In Unternehmenskonzepten und Leitbildern werden unter anderem der innere Impuls, die Orientierung und die Zielrichtung allen Handelns beschrieben und verbindlich wie verpflichtend für alle Mitarbeitenden festgelegt. Aber Spiritualität nach christlichem Verständnis ereignet sich nicht in ihrer Proklamation und in Deklarationen, sondern im realen Lebensvollzug von Reden, Handeln und Hingabe. Die Wurzeln dieser Spiritualität liegen in der biblischen Botschaft der Liebe Gottes zu den Menschen, vom Hilfehandeln und der Achtsamkeit Jesu Christi zu den Menschen und in der Bitte um den Heiligen Geist, der zu diesem Reden und Handeln inspiriert, erleuchtet und befähigt. Diese Spiritualität wird gelebt und weitergegeben durch Menschen, die in diesem Geist und in der steten Vergewisserung und Einübung durch Liturgie, Gebet und Seelsorge ihren Dienst wahrnehmen. Qualifizierung der professionellen Dienstleistungen und die von der Spiritualität geprägte Begegnung mit konkreten Menschen und des Handelnden mit dem Empfänger sind eng miteinander verwoben. Das Leben im Heiligen Geist (›Spiritualität‹) wirkt in die Realitäten des Lebens und der Gesellschaft hinein.«15 Geistliche Zentren – hier Vorreiter das 2007 in der Diakonie Neuendettelsau gegründete »Ökumenische Geistliche Zentrum« – bieten auf vielfältige Weise den Mitarbeitenden die Einübung in ihre eigene Spiritualität und in die Spiritualität ihres diakonischen Dienstes an. In der Unternehmensentwicklung darf »Christlichkeit […] dabei nicht mehr als additive Mehrleistung definiert oder in verschiedenen Variationen an Einzelpersonen delegiert sein, sondern ist als organisationsrelevant, ablaufrelevant, arbeitsprozessbezogen und orientierend in den Entscheidungen und Handlungen der Gesamtorganisation durchzubuchstabieren.«16 Gelebte Spiritualität von Mitarbeitenden stellt in diesen Überlegungen einen Schlüsselfaktor und ein Kapital dar, das es zu pflegen und zu fördern gilt. Eine lebendige Spiritualität bedarf der sorgenden Verantwortung und der bewussten strukturellen Verankerung in der Organisation. Notwendig sind dementsprechend eine angemessene spirituelle Bildung und Begleitung der Mitarbeitenden, für welche die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen bereitzustellen sind. Mitarbeitende werden demgemäß wahrgenommen als Menschen, 15 Horneber/Helbich/Raschzok, 2010, S. 47. 16 Wettreck, 2008, S. 473 f.

Seelsorge mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

307

die ihrerseits einen Anspruch haben auf spirituelle Bildung und seelsorgliche Begleitung. Einrichtungen in konfessioneller Trägerschaft werden damit zu pastoralen Handlungsfeldern mit den Bereichen Mitarbeitendenseelsorge, Spirituelle Bildung und Spirituelle Unternehmenskultur.17

5 Sorge um die Mitarbeitenden in der Krankenhausund Altenheimseelsorge Eine Seelsorgerin lädt mich zu einer Veranstaltung ein und schreibt mir: »Unser Altenheimseelsorgekonvent feiert bald ein Jubiläum. Das heißt für unser Arbeitsgebiet: ein mühsamer Kampf um Anerkennung, Finanzen, Weiterbestehen.« Geht es der Krankenhausseelsorge besser? Eine Mitarbeiterin erzählte mir jüngst, dass das Krankenhaus, in dem sie arbeitet, von einem anderen konfessionellen Träger übernommen worden sei. Im Rahmen dieser Überleitung sei das interprofessionell arbeitende Ethik-Komitee in ihrer Klinik »aus Zeitgründen« aufgelöst worden. Sporadisch höre ich vom Ergehen sehr engagiert arbeitender Krankenhausund Altenheimseelsorgenden in einer Komplexeinrichtung. Da ist von gravierenden Krankheiten die Rede, die im Laufe der Jahre jede und jeden Einzelnen von ihnen ereilt. Darunter – vielleicht bezeichnend – Hörsturz und Herzinfarkt. Krankenhaus- und Altenheimseelsorge scheinen als Berufsgruppe einen nicht gerade leichten Stand zu haben. Dabei gibt es um sie als unverzichtbare Größe im Evangelischen Krankenhaus durchaus Begehrlichkeiten: »Krankenhäuser haben sich – politisch so gewollt – zu Gesundheitsunternehmen gewandelt, die miteinander im Wettbewerb stehen. Krankenhausseelsorge ist heute als Leistungs- und Qualitätsmerkmal eines Krankenhauses ein wettbewerbsrelevanter Faktor. Krankenhausseelsorge müsste konsequenter Weise von den Krankenhäusern selbst aus den Vergütungen für ihre erbrachten Krankenhausleistungen finanziert werden. Diese Vergütungen sind jedoch nicht auskömmlich und berücksichtigen die Kosten für Krankenhausseelsorge faktisch nicht. […] Kirche muss ein vitales Interesse daran haben, dass gerade in evangelischen Krankenhäusern Angebot und Qualität der Krankenhausseelsorge überzeugen und top sind. Unter den Bedingungen des Wettbewerbs ist eine Refinanzierung der Kranken-

17 Vgl. hierzu Reber, 2013a und 2013b.

III

308

Astrid Giebel

hausseelsorge vor allem von nicht-evangelischen Trägern zu fordern – sonst schwächt Kirche ihre eigenen evangelischen Krankenhäuser.«18

6 Spiritual Care – eine gemeinsame Aufgabe der Seelsorge mit Mitarbeitenden im Gesundheitswesen? Gut untersucht und beschrieben ist inzwischen, dass Seelsorge im Kontext einer bestimmten Religion und religionsneutrale Spiritual Care nicht das Gleiche sind.

III

»Seit 1990 gehört nach der Definition der Welt-Gesundheitsorganisation zu Palliative Care‚ nicht nur das Sich-Kümmern um physisches und psychisches Leiden, sondern auch um Spiritualität. Für Seelsorge ist dieser Vorgang zweideutig. Einerseits: Endlich gibt es hier eine Zustimmung für eine anthropologische These, die der Theologie schon immer vertraut war. Zu qualitätsvoller Hilfe für Menschsein gehört mehr als nur eine Chemie/Biologie-Perspektive der psychosozialen Professionen. Es ist hier die Sinnperspektive und Kohärenzthematik, hier Spiritualität‚ genannt, in den Blick zu nehmen (und damit etwas, worauf sich Religion und Seelsorge beziehen). Endlich wird ein Kernpunkt christlicher Anthropologie wieder allgemein anerkannt – so muss es der Theologie erscheinen. Aber andererseits: Mit dem gewollten Handeln unter Nutzung der Ressource Spiritualität kommt etwas auf und drängt in ein Gebiet, das die christliche Seelsorge vorher noch allein bespielt hat. Wie auf die neue Konkurrenz reagieren?«19 Gestellt wird hier im wissenschaftlichen Diskurs die in der Praxis inzwischen vielerorts virulente Frage: Was ist der unvertretbare Beitrag von Krankenhausseelsorge bei der gemeinsamen Sorge um kranke Menschen, wenn auch andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen spirituelle Begleitung als Teil ihrer originären Aufgaben betrachten? Kann (Klinik)Seelsorge Spiritualität mitübernehmen? Oder ist sie künftig ein essentieller Teil des Teams von Spiritual Care?20 Welche neuen Herausforderungen stellen sich zudem neu – als wachsendes Aufgabengebiet für Seelsorgerinnen und Seelsorger? – hinsichtlich der Aus- und Fortbildung für die spirituelle Begleitung der Gesundheitsberufe? 18 Giebel, A. unter Mitwirkung von Wettreck/Groß, 2009, S. 35 (Hervorhebung im Original). 19 Hauschildt, 2015. Eberhard Hauschildt setzt sich hier mit der – in der Praktischen Theologie weitgehend übersehenen, aber für die Seelsorge-Theologie aus seiner Sicht bedeutsamen – Publikation von Erhard Weiher auseinander: Weiher, 2014. Vgl. auch: Weiher, 2001. 20 Vgl. Schaupp/Platzer/Kröll, 2014.

Seelsorge mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

309

Mittlerweise gibt es einen intensiven Diskurs darüber, wie Seelsorgeverständnisse zu einem gemeinsamen Konzept Spiritual Care multiprofessionell von unterschiedlichen Berufsgruppen ausgeübt, passen.21 Weiterführende Verständigungsprozesse wurden hierzu auch auf kirchenleitender Ebene für das Jahr 2018 ins Auge gefasst und durchgeführt.

7  Informationsdefizit über Seelsorge unter Mitarbeitenden In den vergangenen Jahrzehnten haben Berufe im Gesundheitswesen eine zunehmende Akademisierung erfahren. So streben Pflegekräfte nach einem Bachelor-Abschluss nicht selten einen Masterstudiengang an mit anschließender Promotion. Damit geht einher, dass Mitarbeitende in Gesundheitsberufen nicht nur Fachliteratur ihrer eigenen Provenienz, sondern auch benachbarter Berufsgruppen zur Kenntnis nehmen. Zudem stößt Spiritualität als vierte Gesundheitsdimension22 zunehmend auf Interesse – so z. B. im Rahmen von Seminar-Arbeiten, die Spiritual Care in pflegerischen Themenfeldern reflektieren.23 Mit (wenn auch zögerlich) wachsendem Selbstbewusstsein und berufsständischer Interessensvertretung setzen sich Mitarbeitende mit »Helfen als Beruf«24 (Stichwort u. a.: Helfersyndrom und Professionalisierung), mit Hierarchien von Berufsgruppen und mit berufsgruppenbezogenen Genderaspekten25 auseinander. In Bezug zur Seelsorge, die in unterschiedlichen Anstellungs- und Aufsichtsverhältnissen (Dienst- und Fachaufsicht) und teilweise unklaren Weisungsbefugnissen (z. B. als externe Mitarbeitende) arbeiten, sich z. T. lediglich als Krankenseelsorgende, z. T. als Krankenhausseelsorgende verstehen, wird aufmerksam wahrgenommen, ob sich Seelsorgende als Teil des therapeutischen Teams verstehen oder als alleinige Themenhüter für spirituelle/seelsorgliche Themen und als verlängerter Arm der Geschäftsführung. Angesichts umfangreicher Arbeitszuschnitte im Seelsorgeberuf (Anzahl der zu betreuenden Stationen oder gar mehrerer Häuser, Mitarbeit in der Aus-, Fortund Weiterbildung, in Ethik-Komitees, in der Begleitung Sterbender, bei Aussegnung, Gottesdiensten und Andachten …) kann es – je einrichtungsbezogen – vorkommen, dass Mitarbeitende anderer Professionen nur selten in Berührung mit Seelsorge kommen, ihr ahnungslos oder verständnislos gegenüberstehen 21 Roser, 2017c, S. 231. 22 Steinmann, 2012. 23 Vgl. hierzu Knoll, 2015. 24 So z. B. Schmidtbauer, 1983. 25 Coakley, 2007.

III

310

III

Astrid Giebel

und aus dem Blick verlieren können, dass Seelsorge in eine umfassende Begleitung und Betreuung kranker und sterbender Menschen selbstverständlich einzubeziehen ist. Arbeitet ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin in Komm- und/ oder in Geh-Struktur? Gibt es feste Gesprächszeiten, in denen Seelsorgende in ihren Räumen erreichbar sind? Suchen Seelsorgende in verlässlich festgelegten zeitlichen Intervallen die jeweiligen Stationen auf und nehmen an Dienstbesprechungen oder Übergaben teil? Weiß ein Mitarbeitender überhaupt, dass ein Seelsorgender auch für ihn in seelischer Not möglicher Ansprechpartner ist? Oder eine Mitarbeitende, dass in existenziellen Fragen eine Seelsorgende ihr kompetent Beistand leisten kann (und was würde dies quantitativ bedeuten, wenn es sich herumsprechen würde)? Patientinnen und Patienten, Bewohnerinnen und Bewohner suchen in ihren je spezifischen vulnerablen Lebenssituation danach, was sie in ihrer jeweiligen Lage hält und trägt, was Kraftquelle und heilsames Wort werden kann. Genauso beschäftigt dies angesichts existenzieller Fragestellungen auch Mitarbeitende im Gesundheitswesen. Patienten- und Patientinnen-Gottesdienste, die im Verständnis des Priestertums aller Gläubigen mancherorts und leider selten genug von behandelnden Ärztinnen und Ärzten, Therapeuten und Pflegenden durchgeführt werden, erfreuen sich großer Beliebtheit. Krankenhausseelsorge hat ebenso besondere Chancen, Menschen Zuspruch und Trost zu geben und »Kirche am anderen Ort«26 zu sein. Hingegen können eingefahrene Routine und eingerostete liturgische Formate dem entgegenstehen und Patientinnen und Patienten wie auch Mitarbeitenden den Zutritt zu diesen Räumen und Quellen erschweren.

8 Eine Kultur des Gelingens entwickeln – seelischer Beistand und Seelsorge gehen Hand in Hand Wer nach etlichen Jahren wieder einen Erste-Hilfe-Kurs durchläuft, wird feststellen, dass sich inzwischen einiges geändert hat, – z. B. in den Frequenzen der Herz-Lungen-Wiederbelebung (nach dem Rhythmus des Lieds Stayin’ alive). Kursteilnehmenden eines solchen Kurses wird vermittelt, dass es ohne Erste Hilfe keine zweite Hilfe gibt, sprich ohne lebensrettende Ersthilfe keine weiterführende, lebenserhaltende medizinische Versorgung. Sind Mitarbeitende im Gesundheitswesen ungeübt darin, Patientinnen und Patienten Erste Hilfe zu geben, wenn beispielsweise Tränen nach einer positiven Diagnose fließen, findet

26 Vgl. dazu den Beitrag von Sebastian Borck im vorliegenden Band.

Seelsorge mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

311

seelischer Beistand angesichts existenzieller Fragen27 nicht statt. Und zugleich ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Seelsorge gar nicht im Blick ist, nicht einbezogen wird und außen vor bleibt. Verstehen sich Krankenhausseelsorgende und andere Mitarbeitende im Gesundheitswesen hingegen gleichermaßen und mit eigenem Zugang, mit je unterschiedlichen Befähigungen und zeitlichen Ressourcen dazu beauftragt, Patientinnen und Patienten in existenziellen Fragen zu begleiten und seelischen Nöten beizustehen, zieht dies große Synergieeffekte nach sich für ein gelingendes Miteinander der Professionen, die Hand in Hand arbeiten, und nicht zuletzt für eine adäquate, die spirituelle Dimension von Gesundheit und Krankheit einbeziehende Begleitung der Patientinnen und Patienten.

9 Seelsorge mit Mitarbeitenden – Multiperspektivität der Professionen Seelsorge wird darin konkret, dem Leben zu dienen; was wirklich dem Leben dient, erweist sich in der Praxis.28 Angesichts einer – auch in einer wachsenden Diakonie begründeten – weltanschaulich und religiös diverser werdenden Mitarbeiterschaft gehört zur Multiprofessionalität auch der Einbezug interkultureller Perspektiven.29 Seelsorge an Mitarbeitenden bezieht sich auf unterschiedliche Berufsfelder, von der Reinigungskraft, die zeitlich nicht selten den längsten Kontakt mit Patientinnen und Patienten hat, bis hin zur Geschäftsführung. Seelsorge setzt sich bei Missständen prophetisch für einzelne Mitarbeitende ein, aber verschafft auch den Anliegen ganzer Berufsgruppen Gehör. Sie unterstützt Mitarbeitende im Gesundheitswesen darin, eine gesundheitsfördernde Haltung sich selbst gegenüber zu finden. Seelsorge bringt sich kollegial ein in die Mitwirkung in Ethik-Komitees. Die Entwicklung einer diakonischen Kultur, gemeinsam gestaltete kirchlich-rituelle Angebote leben von unterschiedlichen Gaben, die Mitarbeitende – ob Seelsorgende oder Nichtseelsorgende – einbringen, Lebenserfahrungen, beruflichen Hintergründen und hierarchieübergreifenden Erlebnissen (wie z. B. das gemeinsame Singen in einem anlassbezogenem 27 »Als ›existenziell‹ sind diejenigen Erlebnisdimensionen zu bezeichnen, die unmittelbar die Identität, das Selbstverständnis, die Einbettung des Menschen in seine Lebenskoordinaten von Zeit und Raum, sein leiblich-seelisches Selbstverständnis, seinen Lebenssinn und sein Leben im menschlich-sozialen Bezugssystem betreffen.« (Wettreck/Drews-Galle/Rothe, 2012, S. 216). Vgl. auch Peters, 2013. 28 Renate Zitt formuliert dies in Bezug auf die Theologie, vgl. Zitt, 2008, S. 193. 29 Vgl. Hauschildt, 2009, S. 80.

III

312

Astrid Giebel

Projektchor). Wechselseitiges Lernen voneinander geschieht in der Aus-, Fortund Weiterbildung, so z. B. gemeinsam im Trainerinnen- und Trainerteam mit Geistlichen Begleiterinnen und Kommunikationstrainern in interprofessionell durchgeführten Diakonie-Care-Kursen zu Existenzieller Kommunikation, Spiritualität und Selbstsorge.30 Seelsorge mit Mitarbeitenden stimmt sich ab in der Begleitung und Unterstützung der Ehrenamtlichen. Seelsorge mit Mitarbeitenden weiß um die Grenzen, die durch die individuelle Persönlichkeitsstruktur gegeben sind, durch Wertvorstellung und Handlungsmuster konstituiert sind, aber auch die Grenzen der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen. In der berufsübergreifenden Zusammenarbeit verliert Seelsorge mit Mitarbeitenden dennoch nicht die Vision von einem erfüllten Leben aller Beteiligten. Jesus Christus: »Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge.« (Joh 10,10).

III

30 Vgl. dazu das 2010–2012 seitens der Diakonie Deutschland mit Kooperationspartnern entwickelte Curriculum DiakonieCare, in: Giebel/Lubatsch/Meussling-Sentpali, 2013.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur Margit Gratz und Joachim Reber

Der leitende Arbeitsbegriff dieses Beitrags ist Spiritual Care. Unter diesen Begriff sollen alle Anstrengungen subsummiert werden, Krankheit (und Gesundheit) als mehrdimensionales Ganzes zu verstehen und – in einem umfassenden Sinne – zu behandeln. In einem ersten Schritt wird kurz gestreift, weshalb Seelsorge trotz Zuständigkeit aller Berufsgruppen für Spiritual Care ein eigenes unersetzliches Profil hat. In einem zweiten Schritt wird dargestellt, welche Veränderung es bedeutet, wenn Spiritual Care über dieses Experten-Angebot hinaus zu einer Querschnittsaufgabe in einem Krankenhaus werden soll, an der alle Professionen auf ihre Weise einen Anteil haben. Auf die Organisation hin wird gefragt, welche strukturellen und personellen Anstrengungen dafür notwendig sind und welche Entscheidungen es dazu braucht. Der dritte Schritt beleuchtet die Frage, wie so etwas wie eine Spiritual-­CareKultur in einem Krankenhaus wachsen kann und was charakteristische Kennzeichen einer solchen Kultur sind. Mit dem Fokus auf den Kultur-­Aspekt kommt etwas in den Blick, was über die Implementierung von Angeboten, Aufgaben und Strukturen hinausgeht. Im letzten Schritt wird gefragt, inwiefern eine Spiritual-Care-Kultur ein Beitrag sein kann zu einer christlich-spirituellen Unternehmenskultur in einem Krankenhaus. Es werden Überlegungen vorgetragen, worin sich eine christlich-­ spirituelle Unternehmenskultur zeigen kann. Zudem wird die Frage erörtert, ob die konfessionelle Seelsorge einen besonderen Beitrag leisten kann, Spiritual Care zu einem Baustein einer christlich-spirituellen Unternehmenskultur zu machen. Diese Schritte basieren auf mehreren Grundannahmen. Die Bedeutung von Spiritualität vor allem bei Krankheit und Sterben wie auch in anderen Situationen, die das gewohnte Leben aus der Spur bringen, ist in Praxis und Forschung inzwischen gesicherte Erkenntnis. Spirituelle Begleitung als Bedarf der Betroffenen in ihren jeweiligen Lebens- und Krankheitssituationen und als multi­

III

314

Margit Gratz und Joachim Reber

professionelle Aufgabe1 ist ein nachgewiesener Bedarf. Ebenso ist unstrittig, dass nicht nur spirituelle Begleitung durch Mitarbeitende aller Professionen, sondern auch Seelsorge als Angebot konfessioneller Träger eine wichtige Form der Unterstützung sind. Ein gutes Beispiel im Unternehmen verankerter konfessioneller, aber in der Begegnung mit dem kranken Menschen konfessionsoffener Seelsorge ist die Klinikseelsorge, denn es gilt,

III

»theologische, liturgisch-rituell-symbolische sowie mystagogische Kompetenz zu nutzen. Letztere bedeutet die Kompetenz, spirituelle Erfahrungen zusammen mit dem Patienten zu suchen, in seinem individuellen Verstehenskontext deuten zu helfen und einen für ihn adäquaten Ausdruck zu finden. Dies ist umso mehr bei Patienten sinnvoll und hilfreich, die keinen Deutungs- und Symbolkontext aus einer Religion oder spirituellen Kultur mitbringen, aber auf der Suche sind nach ihrem eigenen spirituellen Zugang«2. Wenn auch nicht-seelsorgliche Mitarbeiter in spiritueller Begleitung im klinischen Alltag einen hohen Stellenwert haben, stellt sich die Frage, wie diese regelgeleitet (ergänzend zur meist fest etablierten Seelsorge) in die Praxis kommt und mit Seelsorge interprofessionell kooperiert. Der Stellenwert, den spirituelle Begleitung durch nicht-seelsorgliche Berufe hat, ist erst dann anerkannt bzw. spirituelle Begleitung durch nicht-seelsorgliche Berufe hat erst dann eine Chance auf Realisierung, wenn die Klinikleitung Maßnahmen ergreift und Rahmenbedingungen schafft oder verändert, kurz: Organisationsentwicklung anstößt, um spirituelle Begleitung im Klinikalltag zu verankern.

1  Spezifika der Seelsorge Qualifizierte Seelsorge kann nicht ersetzt werden. Speziell leistet Seelsorge, was anderen Professionen entweder aus fachlichen, rollenspezifischen oder aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist. Beispiele: Seelsorge ȤȤ leistet einen Beitrag zur Beratung, wenn Patient*innen vor einer Entscheidung stehen3,

1 Borasio, 2013, S. 96 f. 2 Kammerer, 2017, S. 189. 3 Hagen/Roser/Reigber/Fittkau-Tönnesmann, 2010, S. 19; Roser, 2017a, S. 397.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

315

ȤȤ unterstützt bei der Klärung von z. B. Sinnzusammenhängen4 und hilft, die eigene Situation in einen Kontext zu stellen, der sie verstehbarer und handhabbarer macht, ȤȤ eröffnet Möglichkeiten, in der aktuellen instabilen Situation einen biografisch stimmigen und mit den eigenen Wert- und Glaubensvorstellungen übereinstimmenden Sinn zu finden und die eigene Situation zu deuten5, ȤȤ kann die Bilder und Kommunikations­formen des kranken Menschen aufgreifen und sich mit dem Patienten auf den Weg zu dessen Kraftquellen machen6, ȤȤ besitzt die Fähigkeit, die Wahrnehmung in überindividueller Weise, z. B. mit Worten aus den Psalmen, zu benennen7, ȤȤ ist in der Lage, die konkrete Situation und die Bedürfnisse der Beteiligten zu berücksichtigen durch liturgische Formen, die über ihre traditionelle Gestalt hinaus eine situative Gestaltung erfahren aufgrund häufiger anzutreffender Entfremdung von christlichen Tradi­tionen8, ȤȤ leistet spirituelle Anamnese, seelsorgliche Gespräche und Rituale als zen­ trale Ausdrucksformen liturgischen Handelns9, ȤȤ verfügt über die Fähigkeit, das Leben in einem Ritual so zu verdichten, dass Lebensbereiche des Patienten mitberücksichtigt und in das zeichenhafte Geschehen mit eingebunden sind10. Zusätzlich leistet Seelsorge ȤȤ einen wesentlichen Beitrag zur Implementierung von Spiritual Care, ȤȤ Unterstützung von Mitarbeitenden verschiedenster Professionen in ihrem beruflichen Alltag bis hin zu Supervision, im Besonderen bei ihrem Auftrag spiritueller Begleitung, ȤȤ in Bildung und Lehre, ȤȤ sowie Wissenschaft und Forschung. Die Rolle der Seelsorgenden ist daher nicht nur für die Seelsorgetätigkeit selbst, sondern für das Unternehmen im Allgemeinen und für die Organisationsentwicklung im Besonderen zu beschreiben.

     4      5      6      7      8      9 10

Hagen/Roser/Reigber/Fittkau-Tönnesmann, 2010, S.  19. Roser, 2017, S.  410. Hagen/Raischl, 2011, S.  291. Klessmann, 2008, S.  390. Klessmann, 2008, S.  93. Klessmann, 2008, S.  88. Hagen/Raischl, 2011, S. 291.

III

316

Margit Gratz und Joachim Reber

2 Spiritual Care als Querschnittsaufgabe aller Professionen im Krankenhaus 2.1  Organisation und Patient*in als Partner Krankenhäuser sind komplexe Systeme. Einen ersten Aspekt dieser Komplexität kennzeichnet der Umstand, dass sich mit Patient*in und Krankenhaus gleiche Partner gegenüberstehen sollten. Die Realität ist vielmehr eine Asymmetrie, die aber mittels Informationen als überwindbar beschrieben wird: »In den Expertendiskursen wird die asymmetrische Beziehung überwiegend auf Wissens- bzw. Informationsdefizite der Patienten zurückgeführt. […]«11 Dieser Blick auf die Asymmetrie greift zu kurz, denn

III

»[w]ährend für den Kranken die existenzielle Bedrohung eine außeralltägliche Krise bedeutet, stehen für die beruflich sozialisierten Ärzte selbst im Umgang mit schwerster Krankheit und Sterben bewährte Routinen bereit«12. Patient*innen sind nicht nur auf der Sach-Ebene gefordert (z. B. mit Diagnosen, Therapieoptionen etc.), sondern auch auf der emotionalen. Hier eine Aufgabe wahrzunehmen und im Sinne einer Sorgekultur zu handeln, ist entscheidend für Patient*innen in Krankenhäusern. Zudem begegnen in Krankenhäusern Menschen unterschiedlicher religiöser Prägungen einander. »Krankenhäuser [sind] zu Orten ganz unmittelbarer interreligiöser Begegnungen geworden.«13 Mit der Pluralisierung von Spiritualität(en) geht eine Pluralisierung von Werten und Werthierarchien einher14. Dies macht Patientenzentrierung durchaus herausfordernd für die Organisation: »Indem man sich jedoch dieser Mühe selten unterzog und die persönlichen Präferenzen der Patienten vernachlässigte, wurde damit statt der Wertehierarchie des Patienten die je eigene – wertgestützte – paternalistische Einschätzung des Patientenwohls zum eigentlichen Maßstab von Entscheidungen gemacht.«15

11 Kühn, 2014, S. 26. 12 Kühn, 2014, S. 26 f. 13 Merkt, 2014, S. 25. 14 Vgl. Wanderer, 2017. 15 Peintinger, 2003, S. 21.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

317

Zudem ist diese individuelle Wertehierarchie nicht immer über lange Zeiträume konstant, weshalb davon auszugehen ist, »dass diese individuelle Wertehierarchie insbesondere im Zuge von Krankheitsprozessen häufig Veränderungen unterliegt, die in dramatischen Fällen sogar bis zu einem gänzlichen Umbau des Gefüges führen können«16. Damit sind Patient*innen in vielerlei Hinsicht im Prozess – sie sind im Prozess der medizinisch-pflegerischen Versorgung mit allen Behandlungsoptionen und Entscheidungssituationen ebenso wie in Anpassungsprozessen ihrer Wertehierarchie. Angesichts dieser besonderen Prozesse ist es sinnvoll, in der Organisation Raum und Gelegenheit für diese Prozesse vorzusehen. Von diesen Prozessen sind alle Professionen betroffen! 2.2 Spiritualität – nicht Expertenwissen, sondern geistige Grundlage eines jeden Mitarbeitenden Daher ist es ein neuer und großer Schritt, wenn sich in einem Krankenhaus die Überzeugung durchsetzt, dass Spiritual Care mehr ist als das spezifische Angebot von Seelsorgenden oder spiritueller Spezialisten. Es muss eine Bereitschaft geben, Spiritual Care auch als Querschnittsaufgabe zu verstehen, an der alle Professionen – Ärztinnen, Pfleger, Hauswirtschaftskräfte u.v.m. – auf ihre je eigene Weise einen Anteil haben. Was muss geschehen, damit dieser Schritt möglich wird? Zunächst und zuerst braucht es eine Verständigung über den Begriff Spiritualität. Etwas holzschnittartig lassen sich zwei Modelle ausmachen, was unter Spiritualität verstanden und wo diese in der diakonisch-­caritativen Arbeit – einem Krankenhaus etwa oder im Pflegeheim – gesucht wird. Das separatistische Modell geht davon aus, dass es in dieser Arbeit verschiedene Felder und Aufgaben gibt, die mit der beruflichen Kompetenz bearbeitet werden. Irgendwo daneben kann man unter Umständen auch noch etwas Spirituelles machen, eine Kerze entzünden, eine Klangschale anschlagen oder einen Gottesdienst feiern (lassen). Dazu muss man aber ein spiritueller Mensch sein, oder zumindest einen solchen herbeiholen, der dann irgendwelche spirituellen Angebote macht. Diese Angebote gehören hier in das klar abgrenzbare Portfolio des spirituellen Spezialisten, auf den Mitarbeiter und Führungskräfte nach Bedarf zugreifen können. Je mehr sich ein Mitarbeiter freilich für »religiös unmusi-

16 Peintinger, 2003, S. 20.

III

318

III

Margit Gratz und Joachim Reber

kalisch«17 hält, desto weniger interessant und relevant wird ihm ein solches Angebot erscheinen. Ein integratives Spiritualitätsverständnis hingegen geht davon aus, dass die Spiritualität nicht ein Lebens- und Arbeitsbereich neben anderen ist, sondern gerade die Art und Weise, sein Leben zu führen (Lebens-Spiritualität) und seine berufliche Aufgabe zu gestalten (Berufs-Spiritualität). Und jeder prägt eben dadurch die Spiritualität des Krankenhauses mit. Auf Grundlage dieses Spiritualitätsverständnisses ist es möglich, eine Vielzahl von Personen und Professionen in die Aufgabe Spiritual Care einzubeziehen. Nicht dadurch, dass alle nun neben ihrer beruflichen Aufgabe noch etwas Spirituelles machen sollen, sondern dadurch, dass sie ermutigt werden, zu ihrer und in ihrer Professionalität auch ihre Spiritualität bewusst in die Arbeit einzubringen. Man wird die Mitarbeitenden – alle, was immer ihre Rolle ist – dazu ermächtigen, sich selbst als spirituelle Spezialisten zu begreifen. Weil sie Lebenserfahrungen, Werte, Ängste, Hoffnungen haben. Weil sie selbst die spirituelle Dimension, die Suche nach Sinn und Ganzheit aus dem eigenen Leben kennen. Und oftmals fühlen sich gerade Menschen, die sich als religiös unmusikalisch bezeichnen würden, angesprochen als Menschen, die eine – ihre – Spiritualität haben und selbst – auf ihre ganz persönliche Weise – spirituell sind. 2.3  Spiritual Care und Professionalität »In den heilenden und helfenden Berufen ist die hohe Professionalität eine notwendige Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit. Professionelles Handeln entsprechend den jeweiligen beruflichen Standards gewährleistet ein hohes Maß an Qualität. Zudem verrichtet jeder Mensch seine Tätigkeiten mit einer inneren Haltung, die sein professionelles Handeln prägt. Dieser Geist, der einen Menschen in seinem Handeln bestimmt und eine Organisation als ganze auszeichnet, ist keine vernachlässigbare Beigabe, eher eine Grundlage. Professionalität und Spiritualität sind daher nicht zu trennen, sondern wirken ineinander. Das Zusammenspiel dieser beiden Dimensionen macht berufliches Handeln aus«18! Wenn die institutionelle Entscheidung getroffen ist, bewusst und aktiv nicht nur die Professionalität, sondern auch die Spiritualität der Mitarbeitenden in die 17 So bezeichnete sich – in einer Anspielung auf Max Weber – Jürgen Habermas in seiner Dankesrede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001. Vgl. Habermas, 2001. 18 Fischer, 2013, S. 32.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

319

Arbeit einzubeziehen, stellen sich verschiedene Aufgaben. Im Sinne des Kompetenzaufbaus wird man daran arbeiten, die je eigenen Grundüberzeugungen und Grundhaltungen bewusst oder bewusster wahrzunehmen. Es braucht einen klaren Blick auf die Grundannahmen, auf die als evident geltenden – d. h. nicht mehr als diskussionswürdig erachteten – Prämissen. Es braucht ein einiger­ maßen deutliches Verständnis der je eigenen Weise der Weltwahrnehmung und die Fähigkeit, die eigene Existenzdeutung mit anderen Existenzdeutungssystemen in Verbindung zu bringen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erfassen u.v.m. Und dann geht es darum, die vielfältigen, je eigenen Spiritualitäten in einen fruchtbaren und respektvollen Dialog zu bringen.

3 Spiritual Care als Dimension der Unternehmenskultur im Krankenhaus 3.1  Spiritual Care als Angebot, Struktur und Kultur Es ist viel erreicht, wenn es gelingt, ein verlässliches, von geschulten Expert*innen verschiedener Professionen getragenes Spiritual-Care-Angebot in einem Krankenhaus vorzuhalten. Noch stabiler wird es, wenn dazu auch Strukturen geschaffen worden sind, die dieses Angebot in die Organisation einbinden und die verschiedenen Verantwortlichkeiten dafür benennen. Und ein weiterer Schritt ist geschafft, wenn dabei eine Übereinkunft erzielt worden ist, dass es sich (auch) um eine Querschnittsaufgabe handelt, die in allen Berufsfeldern auf je eigene Weise konkret wird. Damit Spiritual Care aber zum selbstverständlich gelebten Element der Unternehmenskultur eines Krankenhauses wird, bedarf es größerer Anstrengungen. Ohne an dieser Stelle vertieft auf den Bereich Unternehmenskultur einzugehen, seien folgende Hinweise gegeben:19 Das Wort Kultur kommt vom Lateinischen colere: anbauen, wachsen lassen, pflegen. Es ist ein Begriff, der ursprünglich im Ackerbau zu Hause ist. Ein leitendes Bild dabei ist das des gepflegten Gartens. In ihm kann etwas wachsen, kann sich gewissermaßen das, was an innerer Anlage und Kraft da ist, entfalten. Die Kräfte und die Richtung des Wachstums aber sind nicht wild und ungeordnet, sondern von einem formenden Ideal bestimmt. Auf die Unternehmenskultur übertragen bedeutet dies: Sie ist etwas Organisches. Strukturen oder Prozesse lassen sich vorgeben, lassen sich mehr oder 19 Vgl. Reber, 2013b, S. 26–39.

III

320

III

Margit Gratz und Joachim Reber

minder exakt am Reißbrett durchplanen und relativ rasch – von außen – in ein Unternehmen einführen. Kultur muss wachsen und in irgendeiner Weise aus einem inneren Antrieb heraus entstehen. Sie gedeiht nur, wenn sie das, was an Kräften, Anlagen, Potenzialen da ist, aufnimmt, wenn sie sich gewissermaßen darin verwurzelt; sonst bleibt das Neue, das werden soll, ein Fremdkörper. Die professionellen und spirituellen Selbstverständnisse der Mitarbeitenden und Führungskräfte, die bestehenden Kulturen und Subkulturen der Stationen, Dienste, Bereiche, die im Laufe der Jahre gewachsene Kultur des Gesamtunternehmens mit ihren sichtbaren und unsichtbaren Dimensionen und vieles mehr: All das bildet, wenn man so will, den Boden, in dem sich die Spiritual-Care-Idee und -Praxis verwurzeln muss, damit daraus eine Spiritual-Care-Kultur im Krankenhaus werden kann. Wachstum braucht Zeit. Es ist eine weithin bekannte und doch nicht selten vernachlässigte Wahrheit, dass sich Wachstumszeiten nicht wirklich verkürzen lassen. Unternehmenskulturen haben als organische Systeme ihre Eigenzeiten, die sie brauchen, bis etwas gedeihen kann. Manch guter Ansatz, eine bestimmte Kultur in einem Unternehmen zu schaffen, ist daran gescheitert, dass man die Entwicklung zu schnell wollte. Gepflegte Kulturen gedeihen nicht von selbst, sondern bedürfen der sorgenden Verantwortung. Einen Garten gibt es nicht ohne Gärtner, d. h. ohne Menschen, die Sorge tragen für das, was wächst. Der Gärtner muss nicht alle Gartenarbeiten selbst durchführen, aber die Sorge für das Gesamte, für die Gestalt und den Zustand des Gartens liegt bei ihm. Für eine Spiritual-Care-Kultur wird das bedeuten: Es braucht Menschen, die die Sorge für diese Form der Unternehmenskultur in ihre Verantwortung nehmen. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen. Die Sorge um die gelebte Unternehmenskultur gehört als solche in das Aufgaben- und Verantwortungsportfolio von Führungskräften. Kulturfragen sind – auch und nicht zuletzt – Führungsfragen. Dies gilt auch für eine Spiritual-Care-Kultur. Ob eine solche Kultur in einem Krankenhaus wächst und gedeiht, ist auch und nicht zuletzt eine Frage, die mit dem Selbst- und Leitungsverständnis der Führungskräfte zu tun hat. Sie können entsprechende Strukturen schaffen, Ressourcen steuern, Prozesse einrichten oder Ziele vorgeben. Nicht vorgeben lassen sich Wertschätzung, Begeisterung oder gar Liebe für eine bestimmte Sache. Mitarbeitende auf allen Ebenen für die Spiritual-Care-­ Sache zu gewinnen, sie davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, dafür einzustehen, ist eine Aufgabe anderen Zuschnitts. Auch dafür können und müssen Menschen Verantwortung übernehmen. Diese Verantwortung ist nicht unbedingt an bestimmte Stellen oder Funktionen gebunden. Sie liegt bei den Menschen, die selbst für die Sache brennen, die in sich die Begeisterung dafür, die

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

321

Liebe dazu spüren. Sie haben die Aufgabe, damit andere anzustecken, sie immer wieder neu dafür zu erwärmen. Das führt schließlich zur dritten und breitesten Ebene einer Spiritual-­CareKultur. Welche Kultur letztlich in einem Unternehmen lebendig ist, entscheidet sich an der Kultur, die die Mitarbeitenden selbst – jede und jeder Einzelne – letztlich in diesem Unternehmen leben und leben können. 3.2  Erfahrungen aus der Implementierung von Palliative Care Für das Verständnis, wie eine Spiritual-Care-Kultur in einem Krankenhaus wachsen kann, ist ein Blick auf die Erfahrungen mit Palliative Care hilfreich. Palliativstationen sind inzwischen in vielen Krankenhäusern etabliert. Dass sich mit diesem interdisziplinären Angebot auch eine umfassende Implementierung von Hospizkultur und Palliativkompetenz verbindet, war und ist ein langer Entwicklungsprozess. Schematisiert lassen sich dabei oft vier Phasen beobachten: Ablehnung, Palliphobie, Pallilalie und Palliaktivität.20 ȤȤ Ablehnung geschieht, wenn nicht kommuniziert und verstanden wird, warum es Palliative Care braucht und was diese mit sich bringt, was nicht ohnehin schon da ist. Bezogen auf Spiritual Care hieße das, dass die Mitarbeiter keine Vorstellung davon haben, was Sinn und Nutzen von Spiritual Care sind. ȤȤ Mit Palliphobie ist gemeint, dass zwar ein Grundverständnis für den Bedarf an Palliative Care gegeben ist, aber nebulös bleibt, was das bedeutet bzw. welche Konsequenzen damit für die Beteiligten verbunden sind. Übertragen auf Spiritual Care bedeutet das, dass das Konzept und die Sinnhaftigkeit zwar klar sind, nicht aber, was das für die Mitarbeitenden bedeutet, was von ihnen erwartet wird und welche Konsequenzen dies für ihre Arbeit hat. ȤȤ Pallilalie ist dann vorherrschend, wenn eine Palliativstation anerkannter Teil der Klinik ist, aber keine weiteren Konzepte entwickelt, Maßnahmen ergriffen und Ressourcen erschlossen werden, um Hospizkultur und Palliativkompetenz im gesamten Haus zu verankern. In diesem Fall wäre Spiritual Care in einem Teil der Klinik etabliert, aber Maßnahmen der Verankerung in der Kultur des Hauses gibt es nicht. ȤȤ Palliaktivität ist vorhanden, wenn z. B. ein Palliativ-Konsiliardienst in den Abteilungen etabliert und Palliative Care fester Bestandteil von Bildungsmaßnahmen ist. Hier wäre Spiritual Care gelebte Realität, die in der Patienten­ begegnung, in den Teamübergaben, im Leitbild, in Bildungsmaßnahmen 20 Vgl. Heimerl/Heller/Pleschberger, 2007, S. 53.

III

322

Margit Gratz und Joachim Reber

und anderen Aktivitäten und Rahmenbedingungen der täglichen Arbeit sichtbar ist und zur Kultur des Hauses gehört. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass ein konkretes Angebot nicht per se die Kultur einer Einrichtung verändert. Nicht nur das Herz des einzelnen Menschen zu erreichen, sondern im Herzen der Institution Krankenhaus eine Kultur der spirituellen Begleitung zu verankern, bedarf organisationaler Ansätze. Damit ist das Ziel formuliert, dass spirituelle Begleitung »nicht einfach dem Zufall und dem guten Willen Einzelner [zu] überlassen«21 ist, sondern einer Implementierung mittels Organisationsentwicklung bedarf. 3.3  Wie wächst eine Spiritual Care Kultur?

III

Die persönliche Motivation und Lernbereitschaft der Mitarbeiter*innen im Feld von Spiritual Care haben eine besondere Bedeutung, weil eigene Überzeugungen und Haltungen angesprochen werden und einer gewissen Bereitschaft zu Reflexion und Auseinandersetzung bedürfen, um mit spirituellen Bedürfnissen am Krankenbett wohltuend und reflektiert umzugehen. Daher ist eine ausschließlich extrinsische Motivation, z. B. eine Vorgabe des Trägers, spirituelle Begleitung durch alle Berufe in das Begleitungs- und Versorgungskonzept aufzunehmen und ggf. an einer Bildungsmaßnahme teilzunehmen, nicht ausreichend22. Die Klinikleitung schafft die formalen Rahmenbedingungen. Ein Faktor von mehreren ist die Personalentwicklung. Aber »[d]er Pflegebereich ist heute personell meist soweit ausgedünnt, dass den Bedürfnissen von sterbenden Patienten im Bezug auf Pflege, Kommunikation und Spiritualität gar nicht mehr nachgekommen werden kann. Kurz gesagt: es fehlt an Zeit, Ausbildung und Personal. Ähnliches gilt auch für den ärztlichen Bereich, da in Zeiten von Arbeitsverdichtung und (vermeintlichen) Prozessoptimierungen für Gespräche nur wenig und für menschliche Zuwendung keine Zeit mehr vorgesehen ist«23. Formale Rahmenbedingungen müssen daher überprüft und ggf. verändert werden. Sie wirken in die persönliche Motivation hinein und bilden die Basis für die Entfaltung von Wissen, Fähigkeiten und Haltungen. 21 Steinforth, 2013, S. 18. 22 Vgl. Gratz/Roser, 2019, S. 36 f. 23 Vagts/Mutz, 2013, S. 103.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

323

Wenn zum anderen formelle und persönliche Aspekte gleichermaßen eine Relevanz haben, ist bei der Frage der Implementierung von Spiritual Care nicht ausschließlich die formale Hierarchie-Struktur in den Blick zu nehmen, die eine durchdachte und nachvollziehbare, von allen zu akzeptierende Arbeitsbedingung darstellt. Es ist gleichermaßen auch die Organisationskultur zu bedenken, die sich in informalen Gewohnheiten, Präferenzen und Denkmustern der Mitarbeiter*innen und Teams äußert. Es gilt besonders zu berücksichtigen, was nicht verordnet werden kann, denn es »lassen sich nicht alle Erwartungen in Organisationen zu Mitgliedschaftsbedingungen erheben. Gerade wenn es um Einstellungen, Haltungen und Denkstile geht, ist die Formulierung als Mitgliedschaftsbedingung schwierig, wenn nicht unmöglich«24. Was also ist in den Blick zu nehmen, wenn es um die Frage nach Implementierung von Spiritual Care in Einrichtungen des Gesundheitswesens geht? »Um die Kultur einer Organisation genauer begreifen zu können, ist es notwendig, drei Aspekte systematisch auseinanderzuhalten. Bei der formalen Seite handelt es sich um das offizielle Regelwerk, an das sich die Mitglieder gebunden fühlen müssen. […] Die informale – organisationskulturelle – Seite einer Organisation besteht aus eingeschliffenen Praktiken, aus gepflegten Kniffen zur Arbeitserleichterung und aus regelmäßigen Abweichungen von den formalen Regeln. Bei der Schauseite handelt es sich um die Fassade der Organisation. […] Organisationen präsentieren nach außen eine möglichst attraktive ›Fassade‹, um auf diese Weise die Gunst der Kunden zu erlangen, eine positive Grundhaltung der Massenmedien ihnen gegenüber zu erzeugen oder Legitimation durch politische Kräfte zu erhalten«25. Die Schauseite ist auch bei Einrichtungen des Gesundheitswesens legitim und wichtig. Auch Krankenhäuser müssen auf dem Markt bestehen, ihre Finanzierung sichern und ein positives Image bewahren. Deshalb: vieles muss, nicht alles kann vom Unternehmen entschieden werden. Formale und informale Ebene betreffen drei Typen organisationskultureller Erwartungen: Programme, Kommunikationswege und Personal.26 Mit Program24 Kühl, 2018, S. 13. 25 Kühl, 2018, S. 20. 26 Vgl. Kühl, 2018, S. 14–20.

III

324

Margit Gratz und Joachim Reber

men ist gemeint, dass es einer verbindlichen Festlegung bedarf, wie, um nur Beispiele zu skizzieren, Arbeitsprozesse und Abläufe gestaltet sind oder welche Ziele und Wege der Umsetzung vereinbart werden. Kommunikations- und Entscheidungswege müssen geklärt und gelebt werden, damit Informationswege sichergestellt sind. Natürlich gibt es auch nicht formal festgelegte Kommunikationswege, die »kurzen Dienstwege«, die situativ entwickelt werden und einen wesentlichen Beitrag leisten, um den laufenden Betrieb aufrecht zu erhalten. Schließlich ist mit dem Typus Personal gemeint, dass es einer gezielten Personalentwicklung bedarf, wozu z. B. Anforderungsprofile und andere Kriterien der Bewerberauswahl gehören. Auch hier ist nicht alles bis ins Detail regelbar:

III

»Für die Anpassung des Personals an die Ansprüche der Organisation ist die informale Sozialisation im Arbeitsprozess durch die Kollegen wichtiger als die Erziehung durch die formal definierten Personalentwicklungsmaßnahmen«27. Alle drei Typen mit ihren formal organisierbaren Komponenten beinhalten auch Aspekte, die sich der Steuerbarkeit entziehen. Das ist gut und richtig für eine erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensziele. Mehr noch: informelle Prozesse können nicht nur Schwäche, sondern auch Stärke sein, weil sie z. B. die Funktionsfähigkeit der Organisation unterstützen können.28 Wann immer etwas in die Organisation kommt, diese verändern wird und um die oben genannten Phasen 1 bis 3 der Implementierung von Hospizkultur und Palliativkompetenz zu vermeiden, stellt sich die Frage, wie Veränderung erfolgreich gestaltet wird. Denn genau dies geschieht, wenn Spiritual Care ein Teil der Organisationskultur werden soll als ganzheitliche Sorge um den Menschen. »Das Lernen von Personen und das Lernen der Organisation – als System selbst, sind Aspekte organisationaler Veränderungen, die sich ergänzen müssen.«29 Es handelt sich um einen »Prozess, durch den die Organisation neues Wissen, neue Werkzeuge, Verhaltensweisen und Wertmaßstäbe erhält und zwar sowohl für das einzelne Organisationsmitglied, für die Gruppe als auch für das Organisationssystem insgesamt«30. 27 Kühl, 2018, S. 20. 28 Naegler, 2014, S. 90 f. 29 Müller, 2004, S. 60. 30 Müller, 2004, S. 60.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

325

Übertragen auf Spiritual Care heißt dies: es geht um Wissen rund um Spiritualität und Religiosität, v. a. im Kontext von Krankheit, es geht um Werkzeuge bzw. Fähigkeiten wie Gespräche, Rituale und andere Begleitungsmöglichkeiten. Es geht um Verhaltensweisen bzw. Haltungen, die sich in Kommunikationskompetenz und wertschätzendem Verhalten wie auch einer Offenheit gegenüber allen spirituellen und religiösen Vorstellungen äußert. Und es geht schließlich um Leitsätze, die z. B. beinhalten, dass spirituelle Begleitung des kranken Menschen nicht weniger wichtig sein kann als z. B. Therapien und medikamentöse Behandlungen. Um diese Ziele zu erreichen und einen Lernprozess der Organisation anzustoßen, reicht es nicht aus, Lernprozesse nur auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter zu fördern. »Qualifizierung der Personen, ohne an den Strukturen etwas zu ändern, führt […] leicht zu enttäuschten Erwartungen und Ambitionen«31. Entscheidend ist »das Systemdenken, um Widerstände und Unterstützung zu erkennen und zu analysieren. Führungskräfte müssen ihre Rolle als Initiatoren und ›Designer der Unternehmensbedingungen‹ für die Lern- und Entwicklungsprozesse der Organisation annehmen und ausgestalten«32. Beides gehört zusammen. Das System Krankenhaus ist bekanntlich komplex und bedarf selbst einer ganzheitlichen Sicht. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es mit Entwicklungen konfrontiert wird, die das Selbstverständnis und die Identität der Organisation und der Mitarbeiter gleichermaßen berühren, wie dies bei Spiritual Care der Fall ist. In diesem System Krankenhaus den Blickwinkel des Patienten oder der Patientin als leitende Perspektive sicherzustellen, ist herausfordernd. »Wesentlicher Blickwinkel ist immer derjenige, der durch den Leidenden selbst eingenommen wird. […] Bedeutsam sind aber […] auch die strukturellen Gegebenheiten und Voraussetzungen, um spirituelle und religiöse Dimensionen in der Fürsorge um Leidende künftig stärker zu berücksichtigen. Gerade in den Zeiten der Fallpauschalen und des regulierenden Qualitätsmanagements, der ökonomischen Zwänge und Systematiken stellt sich provokativ die Frage, ob eine intensive spirituelle und religiöse Versorgung der Patienten überhaupt bezahlbar ist und sich in einer evidenzbasierten Evaluation auch ›auszuzahlen‹ vermag. Ausgehend vom Verständnis des 31 Grossmann/Lobnig, 2013b, S. 47. 32 Müller, 2004, S. 65.

III

326

Margit Gratz und Joachim Reber

Systemdenkens ist es ebenso wichtig zu betonen, dass in Anbetracht eines kranken Mitglieds stets auch seine Familie, Freunde und Gemeinde in Mitleidenschaft gezogen sind.«33 Patientenorientierung muss in der Organisationsentwicklung gesichert sein; dies ist ein anspruchsvolles Vorhaben, denn es »fällt auf, dass die Patienten selbst eine vergleichsweise geringe Rolle spielen. Noch […] sind sie auch im Instrumentarium der Organisationsentwicklung nicht ausreichend verankert.«34 Verantwortliche im Krankenhaus müssen zudem den Mut und die Ressourcen aufbringen, Organisationsentwicklung speziell im Hinblick auf Spiritual Care zu thematisieren und zu forcieren. Das bedingt Engagierte auf allen Ebenen und in allen Abteilungen, denn ein besonderer Ansatzpunkt der

III

»Organisationsentwicklung im Krankenhaus ist die Integration der stark segmentierten Organisation, horizontal und vertikal. Die Dynamik der Spezialisierung und der professionellen Entwicklung findet ihren Ausdruck in der organisatorischen Gliederung des Krankenhauses in Form von sehr autonomen medizinischen Fachbereichen. Diese Einheiten (Abteilungen, Institute, Kliniken) sind um die medizinischen Fachrichtungen und professionellen Interessen gebaut. Sie sind die Motoren der fachlichen Entwicklung. Das Krankenhaus stellt sich organisatorisch als Netzwerk autonomer Abteilungen dar. Ihre Eigendynamik und Autonomie schaffen nicht nur ein Integrationsproblem für die Gesamtorganisation, sie sind auch für das fachliche Profil und die Reputation der Organisation entscheidend«35. Wenn Spiritual Care ein Querschnittsbereich ist, ein Thema, das quer durch alle Abteilungen relevant ist, dann ist damit eine horizontale Perspektive eingenommen, die mit der vertikalen Struktur der Abteilungen in Einklang gebracht werden muss. Klinikseelsorge ist ein Beispiel für ein Angebot in der horizontalen Perspektive. Während die strukturelle Integration von spiritueller Begleitung durch alle Mitarbeitenden in den Abteilungen, Instituten, Kliniken eines tiefgreifenden Ansatzes bedarf, wird Seelsorge als ein auf Kooperation angewiesenes, aber dennoch »externes oder zusätzliches Angebot« begriffen, das durch Finanzierung von Seelsorgestellen durch christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften sicherzustellen bzw. auszubauen ist. Wenn Spiritual Care zudem 33 Büssing/Surzykiewicz/Zimowski, 2015, S. XI. 34 Grossmann/Lobnig, 2013a, S. 23. 35 Grossmann/Lobnig, 2013, S. 9.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

327

als Angebot in allen Abteilungen gelebte Kultur des Hauses, d. h. erkennbarer Geist des Hauses sein soll, bedarf dies einer Integration in Fortbildungsprogramme, um Wissen, Fertigkeiten und persönliche Haltung der Mitarbeitenden zu fördern. Wie kommt vor diesem Hintergrund Spiritual Care in die Organisation? Wenn Organisationskulturen als informale (nicht offensichtliche, durch z. B. Gewohnheiten eingespielte) Handlungsformen ebenso einzubeziehen sind wie die formalen (sichtbaren, gezielt gestalteten) Strukturen, bietet letztere Ansatzmöglichkeiten. Ausgehend von einem »systemtheoretisch und gruppendynamisch fundierten Verständnis von Organisationsentwicklung«36 müssen Personen und Strukturen im Veränderungsprozess gleichwertig betrachtet werden. Denn »[in] Organisationen kann […] nichts geschehen, was nicht von Menschen an Ideen, fachlicher Kompetenz, Interessen und Leidenschaften hineingetragen werden. Aber Bestand, Verbindlichkeit und Wirkung entfaltet nur das, was auch in Kommunikationsstrukturen übersetzt werden kann; in Entscheidungen, Spielregeln, Prozesse. Die jeweils vorfindlichen Strukturen limitieren auch die Handlungs- und Einflussmöglichkeiten der handelnden Personen.«37. Das bedeutet, dass nicht vorausgesetzt werden darf, dass mit der Arbeit an der formalen Struktur gleichzeitig die Organisationskultur mitwachsen kann. Letztere braucht andere Ansatzpunkte. »Weil sich eine Organisationskultur als Reaktion auf formale Verhältnisse entwickelt, muss in der Analysephase zunächst das Verhältnis von Formalität und Informalität in der Organisation genau untersucht werden. Was sind die vorgeschriebenen Kommunikationswege, die offiziellen Programme und die formalisierten Erwartungen bezüglich des Personals? Wie wirken sie sich auf die alltäglichen Arbeitsprozesse aus? Gibt es formale Regelungslücken, die durch informale Erwartungen gefüllt werden? Wird aus sinnvollen Gründen regelmäßig von der Formalstruktur der Organisation abgewichen?«38. Kenntnisse und Fähigkeiten der Organisationsentwicklung sind entscheidend, wenn Veränderungs- oder Entwicklungsprozesse angestoßen werden sollen 36 Grossmann/Lobnig, 2013, S. 46. 37 Grossmann/Greulich, 2013, S. 99. 38 Kühl, 2018, S. 43.

III

328

Margit Gratz und Joachim Reber

zugunsten der Menschen, für die sie gedacht sind. Soll Spiritual Care gezielt und geplant Teil der formalen Struktur sowie der sichtbaren Kultur in gelebter Praxis in der Organisation sein, müssen beide Seiten bedacht sein. »Wenn Manager, die […] Organigramme umbauen, Prozesse neu gestalten oder Personal umschichten, nicht präzise die informalen Reaktionen auf diese Veränderungen mitreflektieren, können sie davon ausgehen, dass sie später ›kulturelle Überraschungen‹ in ihrer Organisation erleben werden und die Tendenz spüren werden, Programme aufzulegen, mit der die Kultur wieder ›in Ordnung gebracht‹ werden soll«39. Dies ist insbesondere bei einem Thema wie Spiritual Care zu erwarten, das ohne die Einbindung der persönlichen Haltungen und Perspektiven der Mitarbeiter als wichtigste Instrumente spiritueller Begleitung nicht funktionieren wird.

III 4 Spiritual Care und christlich-spirituelle Unternehmenskultur Bei der Bestimmung einer christlich-spirituellen Unternehmenskultur haben sich in der Beratungs- und Gestaltungspraxis drei Stichworte als hilfreich erwiesen: Unterbrechungskultur, Kultur der existentiellen Kommunikation und Gebetskultur.40 4.1 Unterbrechungskultur Wenn hier von Unterbrechung die Rede ist, geht es nicht einfach um Pausen zur Erholung oder zum neuen Kraftschöpfen. Es geht auch nicht um Unterbrechungen, die von außen an einen Menschen und sein Leben herangetragen werden oder in dieses einbrechen. Vielmehr es geht um die Möglichkeit eines Menschen, von sich aus, aus eigenem Antrieb aus Reiz-Reaktions-Zusammenhängen herauszutreten und dazu Stellung zu beziehen. Diese Fähigkeit zur selbstbestimmten und selbstgesteuerten Unterbrechung und Stellungnahme nennt man Freiheit. Unterbrechungen sind Vollzugsformen der Freiheit. Der Mensch zeigt damit an, dass er nicht nur Teil eines Räderwerks ist, das ihn von außen bewegt. Er kann den Lauf der Dinge unterbrechen und dazu – zumin39 Kühl, 2018, S. 63. 40 Vgl. Reber, 2018, S. 83–93.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

329

dest innerlich – Stellung beziehen. Dadurch eignet er sich sein eigenes Leben immer wieder neu an. Diese bewusste Annahme und Aneignung des eigenen Lebens ist für den Menschen als Person wesentlich. Eine Unterbrechungskultur ist eine Kultur, in der dafür Sorge getragen wird, dass derartige Unterbrechungen möglich sind und möglich bleiben. Es ist eine Kultur, die Angebote zur Unterbrechung macht – nicht hier und da, nach Bedarf oder durch Zufall, sondern bewusst gestaltet, verbürgt und nach Regeln geordnet. Es ist eine Kultur, die die Fähigkeit zur selbstbestimmten Unterbrechung fördert: Unterbrechung des gewohnten Ablaufs, der gewohnten Denkmuster, des laufenden Geschäftsbetriebs. Eine Unterbrechungskultur ist eine Kultur, in der Menschen verlässliche Freiheitserfahrungen machen können. Freiheit ist ein Kernwert des Christentums. Deshalb ist eine gepflegte Unterbrechungskultur so etwas wie die Basis einer christlich-spirituellen Unternehmenskultur. Oder negativ formuliert: eine Kultur, die Menschen in Abhängigkeit bringt, sie ununterbrochen beschäftigt, sie lähmt, in Angst versetzt oder auf anderen Wegen in Unfreiheit hält, kann nicht christlich sein. 4.2  Kultur der Reflexion und der existentiellen Kommunikation Eine gepflegte Kultur der (Selbst-)Reflexion und existentiellen Kommunikation zeigt sich zuallererst darin, dass es Zeiten und Räume gibt, in denen Mitarbeitende, Führungskräfte, Teams, Entscheidungsgremien etc. einen Schritt zurücktreten und über den eingeschlagenen Weg, die dabei gemachten Erfahrungen etc. reflektieren können. Zeiten und Räume, wo Mitarbeitende und Führungskräfte über Grundsätzliches nachdenken und sprechen können. Wenn dann noch eine Atmosphäre entsteht, in der sich Mitarbeitende und Führungskräfte ermutigt sehen, das, was ihnen wichtig ist, ihre Sicht vom Leben, ihre Erfahrungen, Werte, ihre Wahrnehmung von sich und vom Leben mitzuteilen, miteinander zu teilen, dann beginnt eine Kultur existenzieller Kommunikation41 zu wachsen. 4.3 Gebetskultur Gebetskultur bedeutet nicht, dass unablässig Gebete gesprochen oder täglich Gottesdienste und Andachten gefeiert würden. Beten ist eine Existenzhaltung: Im Gebet setzt sich ein Mensch in Beziehung zu einer Realität, die nicht mehr 41 Den Begriff »existentielle Kommunikation« neu ins Bewusstsein und in den Diskurs gebracht zu haben, ist ein besonderer Verdienst des Projekts DiakonieCare. Dazu exemplarisch: Giebel/Lubatsch/Meussling-Sentpali, 2013.

III

330

Margit Gratz und Joachim Reber

nur weltlich ist. Er tritt ein in eine Beziehung zu etwas Höherem, Überweltlichem, Göttlichem. Viele Christen sind überzeugt, dass diese Realität ein personaler – das heißt: ein liebesfähiger – Gott ist. Sie sind überzeugt, dass es möglich ist, mit Gott eine Beziehung zu haben, es eine Form der Kommunikation gibt zwischen Mensch und Gott. Eine Gebetskultur lebt und wächst dort, wo diese Kommunikation zwischen Mensch und Gott gepflegt wird. Wo es Möglichkeiten gibt, dass Menschen ihren Blick über die Welt hinaus auf Gott richten. Und Möglichkeiten, den liebevollen Blick Gottes auf sich, auf ihr Leben und Arbeiten wahrzunehmen und zu spüren. Eine Gebetskultur in Unternehmen von Caritas und Diakonie wächst dort, wo es eine Vielzahl und Vielfalt solcher Möglichkeiten gibt, den Blick über das Weltliche hinaus zu erheben und mit Gott in Kontakt zu kommen – im Wort, im Zeichen, in der Stille.

III

4.4  Christliche Unternehmenskultur und Spiritual Care Spiritual Care wäre in obigem Modell zunächst auf eine Kultur der existentiellen Kommunikation bezogen. Die Begleitung zielt darauf ab, Menschen in ihren je eigenen Existenzthemen zu erreichen, sie sprachfähig zu machen, sie auch in Kontakt zu bringen mit ihren je eigenen Deutungsmustern und Bewältigungsstrategien. Es geht für die Begleitenden darum, sich sensibel in die je eigene Spiritualität des Patienten oder der Angehörigen einzufühlen und darüber, wenn gewünscht, in ein respektvolles Gespräch zu kommen. Die spirituelle Beheimatung des Begleitenden, des spiritual caretakers, tritt dabei in den Hintergrund. Eine Spiritual-Care-Kultur wäre dann lebendig, wenn es eine respektvolle und angstarme Atmosphäre gibt, in der existentielle Fragen, Versuche, Konzepte, Brüche einfach sein dürfen. In der man ihnen Ausdruck verleihen kann – aber nicht muss. Dass es diese Fragen gibt und geben darf und dass ihnen Raum gegeben wird, ist aber auch ein Beitrag zu einer Unterbrechungskultur in den Häusern. Spiritual Care tritt heraus bzw. ermöglicht herauszutreten aus den Funktionszusammenhängen des Medizinbetriebs. Die Logik des Gesund-Machens wird in ihrer treibenden Selbstverständlichkeit hinterfragt und eben dadurch unterbrochen. Neue Fragen, neue Betrachtungen können in den Blick treten – das Ganze kann in den Blick kommen42. Und dadurch, dass das Ganze in den Blick kommt, werden die verschiedenen inneren und äußeren Einzelprozesse unterbrochen und Reflexion und Stellungnahme werden vielleicht neu möglich. 42 Vgl. den Beitrag von Michael Fischer in diesem Band.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

331

Konfessionelle Seelsorge wäre in diesem Modell zunächst auf eine Kultur der Unterbrechung und der existentiellen Kommunikation bezogen. Auch sie wird ermutigen und unterstützen, aus Reiz-Reaktions-Zusammenhängen herauszutreten. Auch sie wird begleiten bei den Anstrengungen, das Leben in und mit einer Krankheit ins Wort zu bringen. Zu ihr gehören selbstverständlich eine Sensibilität für unterschiedliche spirituelle Zugänge sowie eine achtsame und respektvolle Haltung allen Weltanschauungen und Religionen gegenüber. Unterscheidend ist, dass konfessionelle Seelsorge auch und bewusst einen Beitrag zu einer Gebetskultur in einem Krankenhaus leisten kann. Der persönliche Glaube der Seelsorgenden kann und darf ausdrücklich zum Gegenstand der seelsorglichen Begleitung werden. Eine Patientin darf einen Seelsorger fragen: Und, was glaubst Du, dass mit mir geschieht, wenn ich sterbe? Sie darf nach den Überzeugungen und Hoffnungen des Seelsorgenden fragen und darf damit rechnen, eine Antwort zu bekommen. Sie darf sich vergewissern, ob der Seelsorgende ihre Hoffnungen oder Ängste oder Glaubensüberzeugungen teilt oder nicht. Sie darf danach fragen, ob es eine Art von existentieller, spiritueller Gemeinschaft gibt zwischen Patientin und Seelsorger. Sie darf ihn auch bitten, mit ihr und für sie zu beten. Und sie darf damit rechnen, dass das dann wirklich ein Gebet wird – eine Kommunikation zwischen Mensch und Gott, von Person zu Person – nicht nur ein (gebetsartiges) Gedicht.

5  Fazit – weiterführende Gedanken Klinikseelsorge ist in Prozessen spiritueller Organisationsentwicklung gefragt, im unmittelbaren Patient*innenkontakt und nicht minder bei deren Initiierung und Mitgestaltung. Durch Spiritual Care als multiprofessionelles Thema in einer plurireligiös werdenden Gesellschaft ist das Selbstverständnis von Seelsorge zu einer Neupositionierung herausgefordert, die sowohl der unmittelbaren Seelsorgebeziehung als auch dem Kontext Krankenhaus entspricht. Implementierung von Spiritual Care geht davon aus, dass Seelsorgende »auf den drei Ebenen Berufswissen, institutionelle Rolle und professionsspezifische Kompetenzen den Mehrwert der eigenen Tätigkeit für die gemeinsamen Ziele der Organisation deutlich machen«43. Seelsorge leistet nach dieser Vorstellung einen unverzichtbaren Beitrag und verfügt über Spezialkompetenzen und Angebote, die sich der Machbarkeit und Ersetzbarkeit durch Mitarbeitende der Gesundheitsberufe grund43 Gärtner, 2016, S. 58.

III

332

Margit Gratz und Joachim Reber

sätzlich entziehen. Mit diesen Spezialkompetenzen ist sie nicht nur auf den kranken Menschen fokussiert. »Angesichts der erheblichen kommunikativen und organisationalen Herausforderungen, vor die sich die interprofessionelle Zusammenarbeit in klinischen Kontexten gestellt sieht, kommen der spezialisierten Spiritual Care auch koordinative, beratende und qualitätssichernde Aufgaben zu, die nicht ohne eine ausdrückliche Bevollmächtigung durch die jeweilige Institution wahrgenommen werden können.«44

III

Bewährte Brennpunkte, an denen sich Seelsorge in die Organisation einbringen kann und soll, bleiben die Themen Sterben und Tod als Realität in Krankenhäusern, qualifizierte ehrenamtliche Hospizbegleitung nach § 39a SGB V Abs. 2 als Angebot in Krankenhäusern, interdisziplinäre ethische Fallbesprechung in Ethikkomitees, Bestrebungen einer frühzeitigen Integration von Palliative Care und die Einrichtung von Palliativ-Konsiliardiensten in Krankenhäusern. Es gibt erprobte Angebote, die in Kliniken horizontal und abteilungsübergreifend erfolgreich umgesetzt werden. Zukunftsthemen sind die Installation von Hospiz- und Palliativbeauftragten oder die Einführung von Palliativer Fallbesprechung. Spiritual Care setzt diese Linie fort und ist eine weitere Form, die zu Struktur- und Kulturwandel durch Organisations- und Personalentwicklung herausfordert. Bestrebungen für eine Implementierung von Spiritual Care in Kliniken und Spitälern werden erhebliche Widerstände auslösen. Gerade deshalb sind sektorenübergreifendes Denken und interdisziplinäres Handeln zentral. Seelsorgende brauchen dazu Verbündete auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Berufsgruppen, die bereit sind, dies in ihr Unternehmenskonzept zu integrieren, ihr Selbstverständnis zu hinterfragen und entsprechende Veränderungen fundiert herbeizuführen. Im Ergebnis trifft auf die gesamte Klinik zu, was für Intensivstationen bereits festgestellt wurde: »Spiritualität und damit Spiritual Care ist nicht in erster Linie eine Handlungskompetenz, sondern eine Haltung gegenüber dem Menschen, seinen existentiellen Herausforderungen und seinen kulturell bedingten Überzeugungen. Sie betrifft alle Menschen, die sich im Feld der Intensivstation bewegen. Und sie verbindet sie. […] Es ist die Kompetenz, Patienten und

44 Peng-Keller, 2017c, S. 54.

Seelsorge und Spiritual Care als Angebot und Beitrag zur Unternehmenskultur

333

Angehörige darin zu unterstützen, mit ihrer spirituellen Dimension in einen heilsamen Kontakt zu kommen.«45 Damit ist eine Anfrage an die Klinik formuliert, die vor dem Hintergrund der vorherrschenden Personalsituation bzw. den Herausforderungen und Begrenzungen im Klinikalltag zu verstehen ist.46 Klinik-Seelsorge ist in der Organisation Krankenhaus vielfältig gefragt: in der interdisziplinären und abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit, in der Sorge um Mitarbeiter, in der Beteiligung an Forschung und Lehre. Arbeitskreise und andere Formen multiprofessioneller Aktivitäten und Kommunikationsformen profitieren von der geregelten Mitwirkung von Seelsorge. Sie spielt ebenso eine Rolle im Qualitätsmanagement und in der Implementierung von Ethikberatung, Hospizkultur und Palliativkompetenz etc. und anderen abteilungsübergreifenden Angeboten. Letztlich leistet Seelsorge durch die besondere strukturelle Einbindung bei gleichzeitiger Unabhängigkeit, durch Kommunikationskompetenzen und hermeneutische Kompetenzen einen erheblichen Beitrag zu einer spirituellen Unternehmenskultur, zu Spiritual Care als Gegenstand der Organisationsentwicklung.

45 Kammerer/Roser/Frick, 2013, S. 145. 46 Vgl. Klauber/Geraedts/Friedrich/Wasem, 2017.

III

Seelsorge und Klinische Ethik

Thorsten Moos

III

Ethik ist in jüngerer Zeit zunehmend zu einer wichtigen Aufgabe der Klinikseelsorge geworden. Seelsorgerinnen und Seelsorger sind herausgefordert, sich Ethik als Teil der seelsorglichen Professionalität anzueignen, entsprechende Kompetenzen zu entwickeln und die eigene Rolle in ethischen Situationen und Prozessen in der Klinik zu reflektieren. Aus ihrer Geschichte heraus hat die Seelsorge kein unverkrampftes Verhältnis zur Ethik. Die Seelsorgebewegung des 20. Jahrhunderts suchte das moralische Urteil im Seelsorgegespräch so weit wie möglich zu vermeiden. Die Seelsorgeperson habe sich nicht als moralische Instanz oder gar Autorität zu verstehen, sondern als Gesprächspartnerin auf einem Weg der Emanzipation, der gegenüber die Moral oft eher aufseiten der unterdrückenden Kräfte zu verrechnen sei. Wenn Seelsorgende sich nun aber in der Klinik zunehmend als Expertinnen und Experten fürs Normative in Anspruch genommen finden (1.; 2.), wird Ethik in neuer Weise zum Gegenstand der Seelsorgelehre (3.). Grundprobleme klinischer Ethik, etwa zum Umgang mit den Grenzen des Lebens, werfen Fragen, die zum Grundbestand theologischer Tradition gehören, in neuer Weise auf (4.). So müssen Seelsorgende das Verhältnis von Seelsorge und Ethik auch theologisch neu reflektieren und professionelle ethische Kompetenzen entwickeln (5.).

1  Ein Fallbeispiel Eine Patientin ist an Krebs in einem weit fortgeschrittenen Stadium erkrankt und nimmt von sich aus nicht mehr genügend Nahrung zu sich. Die Entscheidung steht an, ob eine künstliche Ernährung aufgenommen wird. Eine einfache Magensonde ist in diesem Fall nicht möglich; allenfalls könnte eine intravenöse Ernährung über einen Port verabreicht werden, was als Dauerlösung problematisch ist. Die Patientin äußert sich hierzu nicht vernehmlich; zudem ist es nicht klar, inwieweit sie ihre Situation realisiert. Es kommt zu einem Konflikt zwischen den Angehörigen, die den

Seelsorge und Klinische Ethik

335

Port fordern, und der behandelnden Ärztin, die hier skeptisch ist und sich zudem gedrängt und gegängelt fühlt. In diesem Konflikt zieht die Ärztin die Seelsorgerin hinzu, die ihrerseits die Patientin nicht kennt. Nach einem Gespräch mit den Angehörigen besucht diese die Patientin am Krankenbett. Im Nachhinein reflektiert sie diesen Besuch im Interview: »Wenn ich jetzt nochmal kritisch draufgucke, würde ich sagen, ich war da, was ich sonst in der Seelsorge nicht bin, schon ein bisschen zielorientiert. Stimmt, das wird mir gerade so bewusst. Man muss wissen, diese Patientin hat […] von sich aus nichts erzählt. Ja, insofern musste ich irgendwo ansetzen und habe angesetzt, wie es ihr geht. Da stand das Frühstück noch, und es ging ja nun um die Essensfrage, ich habe also mit den sichtbaren Dingen angefangen zu sprechen, wie es denn mit dem Essen stand heute früh. Und dann hat sie erzählt, dass sie einmal [vom Brötchen] abbeißt, und dann reicht es schon, und dann ist alles satt in ihr. Und ich habe schon da den Faden verfolgt, wie satt sie eigentlich das Leben letztlich hat. An welchem Punkt sie selbst ist, also nicht so plump von dem Satz mit dem Brötchen aus, aber das war ein Pfad. Und wenn ich jetzt ehrlich bin, dann hatte ich auch schon auf dem Weg, als ich zu ihr ging, im Hinterkopf, dass ich selbst einen Eindruck davon haben möchte, wo die Patientin eigentlich hinwill.«1

Die Passage ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: 1. Im Zentrum steht eine Behandlungsentscheidung in der Nähe des Lebensendes. Da die Patientin hierzu nicht Stellung nimmt bzw. zu einer Stellungnahme möglicherweise nicht mehr in der Lage ist, kommen andere ins Spiel: Angehörige, medizinisches Personal, Betreuer. Unter ihnen kommt es zum Konflikt, der mindestens zwei Ebenen berührt: sachlich die angemessene Behandlung, prozedural die Frage, wer über diese Angemessenheit zu entscheiden hat. Es besteht Bedarf an Kommunikation: Eine ethische Situation ist entstanden. 2. Die behandelnde Ärztin könnte sich in diesem Fall der klinischen Ethikstrukturen bedienen und eine ethische Fallbesprechung veranlassen. Sie entschließt sich jedoch zunächst für ein informelles Vorgehen. Ethik in der Klinik hat ihren Ort nicht nur in formellen Strukturen der Ethikberatung. 3. Die Ärztin bittet die Seelsorgerin hinzu. Offenbar traut sie ihr zu, bei der Lösung eines (auch) moralischen Konfliktes zu helfen: Sie erwartet ethische Kompetenz von der Seelsorgerin. 1

Das Interview wurde geführt im Rahmen der Studie »Ethik in der Klinikseelsorge«, deren Ergebnisse veröffentlicht sind in Moos/Ehm/Kliesch/Thiesbonenkamp-Maag, 2016. Das Zitat ist um der Lesbarkeit willen moderat geglättet.

III

336

Thorsten Moos

4. Die Seelsorgerin versteht das als Auftrag, nimmt diesen an und tritt unter anderem in Kontakt mit der Patientin. Dabei versucht sie, den für die Frage nach der Weiterbehandlung relevanten Willen der Patientin zu ermitteln. So richtet sie ihr Seelsorgehandeln nach einer zentralen medizinethischen und medizinrechtlichen Kategorie aus. Im Interview reflektiert sie erstmals, dass das ihr Agieren als Seelsorgerin beeinflusst hat. Seelsorge verändert sich in der Berührung mit Ethik. Das ist nun im Einzelnen zu entfalten.

2 Der Ethikboom im Krankenhaus und die Seelsorge

III

Ethik hat in der Klinik in den letzten Jahrzehnten eine starke Konjunktur erlebt. Die kontinuierlich erweiterten Verfahren der modernen Medizin, die auch in extremen Lebenssituationen noch Handlungsoptionen eröffnen, haben zu verstärktem Entscheidungsbedarf geführt. Vieles von dem, was früher »Schicksal« war, ist nun zum »Machsal« (Odo Marquard) geworden. Zugleich ist zunehmend deutlich geworden, dass Präferenzen und Werthaltungen bei Patienten, Angehörigen und Personal plural verfasst sind. Es versteht sich nicht von selbst, was in dieser Situation für diese Patientin das Beste ist. Zu Konflikten kommt es insbesondere dort, wo ein Patient nicht mehr selbst in seine Behandlung einwilligen kann und auch keine einschlägige schriftlich formulierte Willensäußerung (Patientenverfügung) vorliegt. Die Rechtsfigur des mutmaßlichen Willens verlangt in diesem Fall dem Umfeld hochstufige Deutungsleistungen und Verhandlungen ab: Was würde der Patient in dieser Lage wollen? In den letzten Jahrzehnten wurden, zunächst in den USA, dann auch in Deutschland, sukzessive Strukturen klinischer Ethikberatung etabliert. In Deutschland waren hier vor allem die konfessionellen Krankenhäuser wichtige Impulsgeber.2 Im Zentrum klinischer Ethikberatung steht in der Regel ein Ethikkomitee, in dem Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher klinischer Berufsgruppen und Hierarchiestufen aktuelle ethische Konfliktfälle ex ante oder ex post beraten, allgemeine ethische Richtlinien für Prozesse in der Klinik – etwa für den Umgang mit Sterbenden – festlegen und Fort- und Weiterbildungen zu ethischen Themen organisieren. Beratungen aktueller Konfliktfälle können auch in Konsilen auf Station stattfinden, an denen die Beteiligten 2 Vgl. Deutscher Evangelischer Krankenhausverband/Katholischer Krankenhausverband Deutschlands, 1997.

Seelsorge und Klinische Ethik

337

sowie Mitglieder des Ethikkomitees und/oder Klinische Ethikberater teilnehmen. In allen Fällen haben Ethikgremien lediglich beratende Funktion; die letzte Entscheidung über eine Behandlung liegt bei der behandelnden Ärztin. Diese formellen Strukturen der Ethikberatung haben sich in den letzten Jahren erheblich gefestigt und professionalisiert: Modelle für den strukturierten Ablauf einer Fallbesprechung wurden entwickelt, Weiterbildungen installiert und Qualitätsstandards festgelegt.3 Allerdings bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Krankenhäusern hinsichtlich der Akzeptanz und der tatsächlichen Nutzung Klinischer Ethikberatung. Typische Themen von Fallbesprechungen sind Konfliktfälle an den Grenzen des Lebens, also der Behandlung von Menschen in der letzten Phase ihres Lebens oder von schwerstgeschädigten Neugeborenen. Andere Konflikte entstehen beispielsweise im Laufe der Behandlung von Menschen mit Demenz oder mit psychischen Erkrankungen und Störungen. Seelsorgende sind vielfach in die klinische Ethikberatung eingebunden. Sie nehmen in verschiedenen Rollen an Fallbesprechungen teil: Entweder haben sie die betreffende Patientin selbst begleitet und können dadurch eine weitere professionelle Perspektive auf sie einbringen, oder sie fungieren als Verantwortliche für den Gesamtprozess (Moderatoren) bzw. als Ethikexpertinnen. Die klinische Ethikberatung ist damit eine Ursache dafür, dass Seelsorgende intensiver in die Organisation der Klinik einbezogen werden, als dies bislang in der Regel der Fall war. An die Stelle des distanzierten »›Zwischen‹-Raum[s]«,4 in dem Klinikseelsorge operiert, tritt so zunehmend die Einbindung in das Team, was mit einem Zuwachs an Gestaltungsmöglichkeiten wie auch Zwängen einhergeht.5 Unter Ethik wird in der Klinik also zunächst und vor allem die in den Strukturen der Organisation fest verankerte, multiprofessionelle Beratung schwieriger und potenziell konflikthafter Behandlungsentscheidungen verstanden. Vor diesem Hintergrund ist es aufschlussreich, dass Seelsorgende in der Regel einen umfassenderen Begriff von Ethik haben. Befragt nach ihrer Konfrontation mit »Ethik« in der Klinik, nennen sie eine Vielzahl von Themen und Situationen, die über die institutionalisierte Ethikberatung weit hinausgehen.6 Das obige Fallbeispiel steht für ethische Kommunikation zwischen Tür und Angel (mit der Ärztin) bzw. am Krankenbett (mit der Patientin), jedenfalls jenseits von Komitee und Konsil. Nicht immer ist in den Situationen, die Seelsorgende als ethisch relevant schildern, eine punktuelle Entscheidung angezielt; oft geht es um ethische Kom3 4 5 6

Vgl. Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e. V., 2010. Klessmann, 2013a, S. 16. Vgl. Haart, 2007, S. 254 ff. Vgl. dazu Moos et al., 2016, S. 52 ff., S. 268 f.

III

338

Thorsten Moos

munikation im Vorfeld wie in der Nachbereitung von Behandlungsentscheidungen oder um lange Prozesse, die nicht auf eine einzelne Entscheidung zugespitzt sind. Nicht immer wird explizit abgewogen, oft auch indirekt kommuniziert. Zuweilen besteht zwar ein ethisches Unbehagen an einem Behandlungsverlauf, das jedoch in der Latenz verbleibt und niemals explizit zum »Fall« wird. Nicht immer geht es um Behandlungsentscheidungen; auch Fragen der Lebensführung oder der Organisationskultur werden für Seelsorgende zu Gegenständen von Ethik in der Klinik. Auch Rituale wie Andachten oder Fötenbestattungen auf dem Klinikgelände können schließlich zu Orten ethischer Reflexion werden. Für die Frage eines professionellen Verhältnisses von Seelsorge zur Ethik in der Klinik ist dieser weite Ethikbegriff von großer Bedeutung.

3 Forschungsüberblick

III

Seit Ende der 1980er-Jahre hat das Thema der Ethik in der Seelsorgelehre zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Diese (Wieder-)Entdeckung der Ethik ist verbunden mit einer Zeitdiagnose, die einen Bedarf an ethischer Orientierung in komplexen, pluralisierten und individualisierten modernen Gesellschaften konstatiert. Ethische Fragen und Konflikte lassen sich nicht auf psychische Konstellationen zurückführen, sondern stellen eigenständige Probleme der Lebensführung dar. Im Kontext der Medizin treten solche Fragen in spezifischer Ausprägung und Zuspitzung auf. Ethik ist damit Gegenstand der Seelsorge und Thema der Seelsorgelehre.7 Für den Bereich der Klinikseelsorge wurde dem Verhältnis zur Ethik sogar eine eigene Buchreihe gewidmet, in der inzwischen vier Bände erschienen sind. Diese kartieren das Feld mithilfe ausführlicher Praxisberichte, reflektieren sachliche Schnittstellen zwischen Klinikseelsorge und Ethik und widmen sich insbesondere dem Thema des religiösen Pluralismus in der Klinikseelsorge.8 Sind viele dieser Arbeiten programmatischer oder prinzipientheoretischer Natur, so hat sich in der wissenschaftlichen Ethik in den letzten Jahrzehnten die Einsicht durchgesetzt, dass die empirische Wahrnehmung relevanter Felder ebenfalls von großer Bedeutung für die Ethik ist. So wurden auch für das Verhältnis von Klinikseelsorge und Ethik empirische Untersuchungen durchgeführt. Seelsorgende erscheinen zum einen als Teilnehmerinnen und Teilnehmer 7 Vgl. etwa die Sonderhefte zum Thema in den Zeitschriften Pastoraltheologie 80 (1991) und Wege zum Menschen 58 (2006) sowie Körtner, 2007; Roser, 2017a; Schlaudraff, 2013. 8 Vgl. Haker/Bentele/Moczynski/Wanderer, 2009.

Seelsorge und Klinische Ethik

339

an klinischen Ethikkomitees9 und zum anderen in einer Vielzahl von ethischen Situationen in und jenseits der klinischen Ethikberatung.10 Des Weiteren ist der seelsorgliche Umgang mit ethischen Konflikten exemplarisch für den Bereich der Neonatologie untersucht worden.11 Die folgenden Überlegungen verdanken sich insbesondere diesen empirischen Einsichten.

4  Theologische Überlegungen Im Krankenhaus sind eine Vielzahl von ethischen Fragen und Problemen berührt, die sich theologisch rekonstruieren lassen. Seelsorgende können, wenn sie mit diesen Problemen konfrontiert sind, etwas von der religiösen Rationalität des Christentums in die hochprofessionalisierte klinische Ethik einbringen. Ein Gestus theologischer Überlegenheit, so als wäre die Seelsorgerin in einem unpersönlichen, technisierten, ökonomisierten Krankenhausgetriebe die letzte verbliebene Bastion unabhängiger moralischer Aufrichtigkeit, ist dabei nicht nur kommunikativ zum Scheitern verurteilt, sondern auch sachlich unangemessen. Denn auch Angehörige der ärztlichen und pflegerischen Profession wie auch anderer Berufsgruppen in der Klinik nehmen regelmäßig eine Kluft zwischen eigenen berufsethischen Ansprüchen und der Wirklichkeit der Organisation wahr;12 und ebenso sind Mitarbeitende des Krankenhauses als Einzelpersonen moralisch ansprechbar. Zwar steht das, was heute – am Ort der Individuen, der Professionen oder auch der medizinethischen Grundlagentexte – als »Ethik« adressiert wird, in vielfacher Hinsicht in einer christlichen Wirkungsgeschichte.13 Zugleich aber ist klinische Ethik ein unhintergehbar säkulares Geschäft in dem Sinne, dass die Geltung medizinethischer Prinzipien, standesethischer Grundsätze oder auch fallbezogener Übereinkünfte nicht von christlich-theologischen Prämissen abhängt. Beides ist für eine seelsorgliche Hermeneutik klinischer Ethik gleichermaßen entscheidend: Sie kann zum einen viele der diskutierten Belange und Hintergrundüberzeugungen als Fleisch vom eigenen Fleisch verstehen und zum anderen die säkularen, das heiße hier: auf allgemeine Zustimmungsfähigkeit ausgerichteten Bedingungen klinisch-ethischer Kommunikation anerkennen. Seelsorge in der Klinik, als ein theologisches Unternehmen, kann also aus eigenen Gründen zur Pflege des allgemeinen Ethos, der moralischen      9 Vgl. Anselm/Schleissing, 2008. 10 Vgl. Moos et al., 2016. 11 Sturm, 2015. 12 Vgl. Roser, 2017a, S. 322.413. 13 Vgl. etwa Beauchamp/Childress, 2013; Körtner, 2004.

III

340

III

Thorsten Moos

Sensibilität, der ethischen Kommunikationskultur und der pragmatischen Entscheidungsfindung beitragen.14 Dafür seien drei Beispiele genannt. Das gilt zunächst für das Thema der Personalität. Sowohl der unbedingte Achtungsanspruch einer Person unabhängig von ihrer empirischen Verfasstheit wie auch die letzte Entzogenheit und Ungreifbarkeit der Person lassen sich als Einsichten christlicher Anthropologie verstehen. Sie lassen sich aber auch im Spektrum der philosophischen Personbegriffe auffinden und haben ihre Entsprechungen im ärztlichen und pflegerischen Ethos. Für die klinische Ethik ist die Verhandlung von Personalität gerade für Behandlungsentscheidungen an den Grenzen des Lebens von zentraler Bedeutung, und es zeigt sich, dass Seelsorgende an dieser Stelle hochgradig engagiert sind.15 Ein weiteres Beispiel ist der für die Theologie zentrale Begriff des Gewissens. Dieser ist in je spezifischer Form in die ärztliche und pflegerische Standesethik wie auch in das Medizinrecht eingegangen. Die professionelle Unabhängigkeit der Ärzteschaft wird als Gewissensfreiheit adressiert, und auch prinzipiell weisungsgebundene Pflegende dürfen nicht gegen ihr Gewissen etwa zur Beteiligung an Schwangerschaftsabbrüchen herangezogen werden. In der allgemeinen moralischen Semantik ist der Gewissensbegriff weithin durch den der Verantwortung ersetzt. Dennoch verstehen Seelsorgende auf Nachfrage im Interview bestimmte Situationen in der Klinik als gewissensrelevant: dann nämlich, wenn es um die Reklamation eines Raumes für moralisches Subjektsein geht.16 Dieser Raum kann entweder ein innerer sein, wenn etwa eine Ärztin einen moralischen Zwiespalt empfindet und der Seelsorgerin gegenüber zum Ausdruck bringt; oder er kann ein äußerer sein, wenn etwa eine Pflegekraft sich aufgrund eines Vorgangs in der Klinik genötigt sieht, als moralisches Subjekt aufzutreten, Stellung zu nehmen und auf diese Weise ethische Kommunikation allererst einzufordern. In Gewissensfragen ist das Individuum über allgemeine moralische Überzeugungen hinaus in seiner moralischen Integrität betroffen. Inwieweit das dabei zum Ausdruck gebrachte Individuelle allgemein kommunizierbar ist, und wie eine komplexe, ausdifferenzierte und auf reibungslose Funktion optimierte Organisation starke moralische Bindungen ihrer Mitglieder integrieren kann, ist eine Grundfrage klinischer Ethik.17 Die theologische Tradition weiß um die Ambivalenz des Gewissensphänomens zwischen Luther-in-Worms-­Pathos und Fundamentalismusverdacht; auch hier haben Seelsorgende, die sich in der Kli14 15 16 17

Zur Ethospflege vgl. Barth, 2003. Vgl. Moos et al., 2016, S. 154 ff.; S. 270 ff. Hierzu und zum Folgenden vgl. Moos et al., 2016, S. 129 ff.; S. 273 ff. Vgl. Bormann/Wetzstein, 2014.

Seelsorge und Klinische Ethik

341

nik in Gewissensfragen angesprochen finden, einiges an theologisch geschulter Reflexivität beizutragen. Mit der Frage individueller Verantwortung in der Organisation und dem zunehmenden Entscheidungsbedarf in der Klinik tritt drittens auch das Thema Schuld für die Seelsorge wieder neu hervor. Hier gilt es, Wege der Seelsorge zwischen der Kritik an übertriebenen und destruktiven Selbstzuschreibungen von Schuld einerseits und der Anerkenntnis von Schulderfahrungen andererseits zu finden. Wer glaubwürdig theologisch von Vergebung sprechen will, muss auch von Schuld vor Gott sprechen. Die religiöse Entlastung von Schuld (Gnade) setzt eine religiöse Affirmation von Schuld (Gericht) implizit voraus: eine Herausforderung für seelsorgliche Praxis.18

5  Ethische Kompetenz in der Seelsorge Im Umgang mit Ethik in der Klinik benötigt die Klinikseelsorge ethische Kompetenz; darin besteht weithin Konsens.19 Diese muss in der Seelsorgeaus-, -fortund -weiterbildung sukzessive entwickelt werden.20 In der Regel wird dabei ethische Kompetenz neben anderen seelsorglichen Kompetenzen – wie etwa theologischer, kommunikativer und pastoralpsychologischer Kompetenz – aufgelistet.21 Eine solche Zuordnung impliziert, dass Ethik gleichsam ein zusätzliches Element seelsorglicher Professionalität darstellt, das neben den bisherigen Kernbereich der Seelsorge als einer theologisch und psychologisch geschulten Gesprächskunst tritt. Hierfür spricht, dass Ethik in der Klinik in der Tat einer Reihe feldspezifischer Kenntnisse und Fähigkeiten bedarf. Zu diesen gehört die Geläufigkeit im Umgang mit rechtlichen Vorgaben (ärztliche Indikation, Patientenrechte, mutmaßlicher Wille etc.), ethischen bzw. medizinethischen Instrumenten (etwa den Modellen ethischer Beratung und deren ethischen Grundlagen) und klinischen Prozessen.22 Für die Entwicklung ethischer Kompetenzen in diesem Sinne gibt es Fort- und Weiterbildungsangebote, die speziell auf Klinikseelsorgende oder allgemein auf klinische Berufsgruppen ausgerichtet sind.23 18 Vgl. Moos, 2016; Rentz, 2016. 19 Allerdings gibt es gewichtige generelle Einwände gegen eine starke Kompetenzorientierung in der Seelsorge, die den individuellen gegenüber dem an professioneller Expertise orientierten Aspekt des Seelsorgeberufs zu vernachlässigen droht (vgl. Lange, 1991, S. 77; Rössler, 1994). 20 Hierzu hat Ulrich Körtner ein Stufenmodell ethischer Kompetenz entwickelt (vgl. Körtner, 2007). 21 Vgl. Roser, 2001, S. 87 f.; Wortmann/Jarck/Mummenhoff, 2010, S. 48 ff. 22 Vgl. Dörries/Neitzke/Simon/Vollmann, 2010. 23 Vgl. etwa die Angebote des Zentrums für Gesundheitsethik (ZfG), Hannover.

III

342

III

Thorsten Moos

Zugleich zeigt bereits das einleitende Fallbeispiel, dass ethische Kompetenz in der Klinikseelsorge mehr umfasst. Erstens fällt auf, dass die Seelsorgerin im Gespräch mit der Patientin über die Nahrungsaufnahme für Zwischen- und Untertöne offen ist: Wie satt hat die Patientin das Leben? Sie setzt also eine seelsorgliche Kernkompetenz, die Hermeneutik metaphorischer Rede, im ethischen Kontext ein. Auf dieser Linie lässt sich empirisch zeigen, dass Seelsorgende eine Vielzahl klassisch seelsorglicher Kompetenzen – der Kommunikation, der theologischen Deutung, auch: des liturgischen Handelns – einsetzen, wenn sie mit ethischen Fragen konfrontiert sind. Indem sie solcherart mit seelsorglichem Werkzeug in einen ethischen Raum treten, entstehen ihnen aus den Spannungen und Bruchlinien, die dieser Raum aufweist, neue Anforderungen. Theologische Kategorien wie die der Person oder des Gewissens, haben, wie gezeigt, ethische Implikationen, die es zu reflektieren gilt. Ähnliches gilt für liturgische Handlungen: Wie wird, etwa bei einer Bestattung von Föten, über Schuld gesprochen?24 Seelsorgliche Kommunikation tritt unter die Spannung zwischen moralischer Zurückhaltung einerseits und moralischer Positionierung andererseits oder auch unter die Spannung zwischen der Artikulation von Ambiguität und Ambivalenz einerseits und der aufgrund der Handlungserfordernisse irgendwann geforderten Produktion von Eindeutigkeit andererseits. All das muss professionell reflektiert werden. Es gilt also, nicht nur zusätzliche ethische Kompetenzen zu erwerben, sondern auch die allgemeinen seelsorglichen Kompetenzen als ethische Kompetenzen weiterzuentwickeln.25 Doch das Fallbeispiel zeigt noch ein Zweites: Die Seelsorgerin stellt erst in der Interviewsituation fest, dass sich ihr Seelsorgehandeln geändert hat. Sie tritt ans Krankenbett mit einer nicht mehr nur klientenzentrierten Haltung. Vielmehr ist sie gleichsam in externem Auftrag unterwegs: Sie will den Willen der Patientin hinsichtlich ihres Weiterlebens und ihrer Weiterbehandlung eruieren. Dabei verfolgt sie ein moralisch hochstehendes Ziel: Sie will der Patientin im Konflikt zwischen Ärzten und Angehörigen selbst eine Stimme verschaffen. Dennoch lassen sich ernste Fragen an ihre Rolle als Seelsorgerin stellen: Hätte sie diesen Auftrag annehmen dürfen? Hätte sie ihn so verstehen sollen? Hätte sie ihn der Patientin kommunizieren müssen? Wie kann ein derart doppelt beauftragtes Gespräch gelingen? Damit ist ein drittes Element ethischer Kompetenz in der Klinikseelsorge angesprochen: Nötig ist die Fähigkeit zur reflektierten Entwicklung der eigenen ethischen Rolle als Seelsorgerin. Denn was zuweilen auf den ersten Blick als Spannung zwischen Seelsorge und Ethik erscheint, zeigt 24 Vgl. dazu Roser, 2017a, S. 224–232. 25 Vgl. dazu Moos et al., 2016, S. 304–308.

Seelsorge und Klinische Ethik

343

sich bei näherem Hinsehen als Spannung zwischen verschiedenen Seelsorgerollen – und zugleich als Spannung zwischen unterschiedlichen Zugängen zur Ethik. Die hier erforderliche ethische Metakompetenz betrifft die Zuordnung von Ethik und Seelsorge ebenso wie das eigene moralische Involviertsein in den ethischen Konflikten oder die Stellung in der multiprofessionellen ethischen Kommunikation.26 Die Ausbildung ethischer Kompetenz in diesem Sinne wie auch die zuvor benannte Entwicklung seelsorglicher Kompetenzen als ethischer Kompetenzen ist nicht allein in der Klinikseelsorge, sondern auch in anderen Seelsorgefeldern vonnöten. Sie sollte daher bereits in der grundständigen Seelsorgeausbildung angebahnt werden.27

6 Schlussbemerkung Klinische Ethik als Handlungsfeld der Seelsorge dürfte aufgrund der beschriebenen Tendenzen in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Zugleich ist festzustellen, dass mit der Institutionalisierung (und Finanzierung) klinischer Ethik die Zuständigkeitsansprüche anderer Berufsgruppen stärker hervortreten. Nicht nur Seelsorgende rechnen sich die Ethik zu; auch akademisch ausgebildete Medizinethiker, praktische Philosophinnen und Ärzte reklamieren die klinische Ethik für ihren eigenen Berufsstand. Mit der akademischen Konsolidierung der Medizinethik durch Studiengänge, Publikationsorgane und Fachgesellschaften ist zugleich eine Verengung von Ethik hin zu einer Entscheidungstechnik bei schwierigen Behandlungsentscheidungen verbunden. Hatte der Terminus Ethik zu Beginn seiner Konjunktur in der Klinik als Legitimation für Kommunikation über Probleme in der Organisation Krankenhaus in einem sehr weiten Sinne gedient, so ist seine Legitimationsfunktion inzwischen in der Regel deutlich schmaler geworden. Demgegenüber ist der dargestellte weite Ethik­ begriff, den Seelsorgende aufgrund ihres berufsspezifischen Rollenspektrums in der Klinik einbringen, ein bedeutsames Korrektiv. Damit korrespondiert, dass Seelsorgende in der Klinik selbst als personale Legitimatoren von Kommunikation fungieren: als eine Art personales Ethikkomitee zwischen Tür und Angel. Mit Seelsorgenden darf man sprechen. Nicht nur deswegen ist Klinikseelsorge selbst ein hohes ethisches Gut.

26 Vgl. Moos et al., 2016, S. 308–311. 27 Hierfür wurde das »Heidelberger Modul« der Ausbildung ethischer Kompetenz ausgearbeitet und erprobt (vgl. Moos et al., 2016, S. 313 ff.).

III

Seelsorge und Gottesdienst

Heidi Kääb

III

Worte wie »funktionieren«, »gelingen« oder »Bedürfnissen entsprechen« kommen einem Tabubruch gleich, wenn sie in einem Atemzug mit dem Wort »Gottesdienst« genannt werden. Diese Worte mögen zu sehr nach Menschlichem klingen denn nach Göttlichem. Doch sie passen gut zu dem Feld der Gottesdienste im Krankenhaus und zu der Suche von Seelsorgenden nach einem Konzept für ihre Klinikgottesdienste. Folgende Situation sei beispielhaft genannt: In einer Klinikkapelle nehmen an einem Montagabend dreißig Menschen an einem Salbungsgottesdienst teil. Sie haben sich die Termine beim letzten Mal mitgenommen oder sind durch Zufall als Patient*innen auf das Angebot aufmerksam geworden. – Zugleich kann es passieren, dass am Tag darauf, am Dienstagabend, nur zwei Teilnehmer*innen bei dem drei Mal in der Woche stattfindenden, regelmäßigen Gottesdienst in derselben Kapelle sitzen.

Der Bereich Gottesdienste ist für manche Seelsorgende mit Lust und Frust verbunden. Frusterlebnisse sind: manchmal extrem geringe Zahlen derer, die teilnehmen, die damit verbundene Schwierigkeit, Gemeindegesang oder Abendmahlsfeiern angemessen zu gestalten oder auch Kirchenmusiker für derart kleine Veranstaltungen zu finden. Lust machen hingegen die vielfältigen gelingenden Gottesdienstangebote, bei denen Menschen rückmelden, dass diese auf ihre Bedürfnisse antworten. Oft sind dies nicht mehr die normalen, regelmäßigen Klinikgottesdienste. Diese finden in Form von Wortgottesdiensten und Gottesdiensten mit Abendmahl/Eucharistie statt. Das Kapitel »Seelsorge und Gottesdienst« will ermutigen, Gottesdienstkonzepte vor Ort zu entwickeln, zu erproben, Bewährtes weiter zu entfalten und sich wo nötig von manchem zu verabschieden. Zunächst beschreibe ich die Vielfalt der Gottesdienste im Krankenhaus und verbinde damit grundsätzliche Überlegungen. Anschließend zeige ich an vier

Seelsorge und Gottesdienst

345

Beispielen, worin sich ein Konzept bewährt. Den Abschluss bildet ein Ausblick, bei dem sich Kriterien für das Tun und Lassen im Bereich Gottesdienste ergeben können.

1 Gottesdienste im Krankenhaus in ihrer Vielfalt und Bedeutsamkeit Seelsorgende gestalten regelmäßige Gottesdienste im Krankenhaus, von denen einige über Klinikfernsehen übertragen werden, sei es wochentags oder an Wochenenden. Vielfältige weitere Gottesdienste kommen dazu. Mancherorts sind besondere Angebote entstanden oder weiterentwickelt worden: Salbungsgottesdienste, Gedenkgottesdienste, Familiengottesdienste in der Kinderklinik, Neugeborenensegnung, Gottesdienste für Demenzerkrankte, Gottesdienste für Mitarbeitende im kirchlichen Krankenhaus. All diese Gottesdienste können kasuell genannt werden, denn sie sind auf Menschen in einer bestimmten Situation zugeschnitten.1 Kranke Menschen mit ihren Zugehörigen, Angehörige von Verstorbenen, Teilnehmer*innen aus Selbsthilfegruppen, Familien mit neugeborenen Kindern kommen zu speziellen Gottesdiensten. Sie sind motiviert durch den Anlass und erwarten einen auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Gottesdienst, einen Gottesdienst, »in dem ich vorkomme« – so sagt es eine Gottesdienstbesucherin. Krankenhausgottesdienste sind Kasual­gottesdienste.2 Die Gottesdienste in der Krankenhaussituation lassen sich mit diesem Begriff gut zusammenfassen. Denn sowohl die wöchentlichen, regelmäßigen Gottesdienste als auch die besonderen Gottesdienste im Krankenhaus finden in einer konkreten Situation statt und gehen auf die sich darin befindlichen Menschen ein. So besehen ist der Kasualfall der Normalfall im Krankenhaus: Auch der Sonntagsgottesdienst oder die Andacht an einem Werktagsabend sind für Patient*innen aufgrund ihrer Situation Gottesdienste zu einem besonderen Anlass. Interessant ist, dass im angloamerikanischen Raum der Begriff Kasualien keine Entsprechung hat. Das englische Wort casual bringe ich daher unvorbe1 Ich verwende diesen Begriff, obwohl die Debatten im Blick auf Kasualien in der praktischen Theologie unabgeschlossen sind. Vgl. Albrecht, 2006, S. 115: »[…] der Eigenwert des Kasualgottesdienstes [ist] in den Blick geraten. Er ist ein vollgültiger und vollwertiger Gottesdienst wie jeder andere, ist zugleich aber ausgezeichnet durch die Besonderheiten seines Anlasses, seines Themas, seiner Adressaten und nicht zuletzt durch die Bedeutung, die seine rituellen Dimensionen haben.« 2 Grethlein, 2007, S. 15: »[In Bezug auf] Kasualien […] ist weder hinsichtlich der Begrifflichkeit noch des Gegenstandsbereichs ein Konsens erreicht.«

III

346

III

Heidi Kääb

lastet ins Spiel. Casual hat eine ganze Bandbreite von Bedeutungen. Man findet lässig, ungezwungen, zwanglos, unregelmäßig, formlos, informell. Könnte es nicht sein, dass Menschen neuere Gestalten und Formen von Gottesdiensten schätzen, weil sie sich darin freier fühlen, weniger bevormundet aber mehr gesehen vorkommen? Doch mit casual meine ich nicht einfach beliebig. Zum einen schon von der Form her: Die meisten der Gottesdienste haben eine immer wiederkehrende Form und finden – jedenfalls mit der Zeit – ihren wiederholbaren Ablauf. Zum anderen vom inneren Kern her: Gottesdienste können ermöglichen, aus der individuellen Erfahrung der Krankheit oder des Verlusts wenigstens zeitweise auszusteigen. Sie unterbrechen den Kranken-, den Krankenhaus-, den Traueralltag. Menschen bleiben damit nicht allein, sondern können in einem Kollektiv Schutz, Halt oder Sinn finden oder sich in einer gemeinsamen Klage entlasten. Die Gemeinschaft unter den teilnehmenden Menschen ist transparent für die Gemeinschaft mit Gott. Menschen wünschen sich, mit dem Heiligen in Verbindung zu kommen. Menschen erleben etwas Besonderes. Besonders und abgesondert lassen sich miteinander zum Klingen bringen und führen die Gedanken hin zu kaddosch (hebr.), heilig, abgesondert. Heilig – also ganz und gar nicht beliebig, leichtfertig oder lässig. Die besonderen Gottesdienste bewegen sich womöglich zwischen den beiden komplementären Begriffen: casual und kaddosch. Es sind weniger fest geprägte Formen, aber doch sakrale Handlungen. Es sind leichtere Gestaltungen, aber doch gewichtige Themen. Es sind unregelmäßige Veranstaltungen, aber doch verbindliche Angebote. Da besondere Gottesdienste nicht regelmäßig zur gleichen Zeit stattfinden, sind Informationen und Werbung wichtig, um darauf aufmerksam zu machen. In einigen Fällen erhält eine bestimmte Gruppe von Adressaten Einladungsbriefe. In anderen hilft die Beteiligung von Ehrenamtlichen, z. B. aus Selbsthilfegruppen, dass diese weitere Interessent*innen aus ihren Kreisen mitbringen. Die gottesdienstliche Feier konstituiert eine akut und situativ sich bildende Form von Gemeinde bei Gelegenheit, die nicht durch Kirchenmitgliedschaft, sondern durch Wort und Zeichen/Sakrament bestimmt ist. Im Folgenden greife ich vier besondere Gottesdienstformen beispielhaft heraus:

2  Gottesdienst mit Salbung und Segnung Salbungsgottesdienste lassen sich auf unterschiedliche biblische Begründungen zurückführen. Priester, Könige und Propheten wurden gesalbt, und von

Seelsorge und Gottesdienst

347

daher kann man eine Salbung als Zeichen der Wertschätzung und Würdigung des einzelnen Menschen in seiner speziellen Lebenssituation sehen. Der biblische Auftrag »Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn« (Jak 5,14) kann als Motto gelten. Die Teilnehmenden erleben und spüren sinnlich, was auch durch die Worte des Segens gesagt ist. »Alle Formen der Salbung lassen sich in ihrem Grundvollzug als Segenshandlungen verstehen. Allgemeines Kennzeichen des Segens ist, dass [k]raft der Geste und der Worte eine Beziehung zwischen Gott und Menschen gestiftet wird. Der Akt des Segens zielt darauf, ›Menschen mit Gott in Beziehung zu setzen. Es geht um ein Hineinstellen der Menschen in seinen Machtbereich […]. Wenn Gott segnet, geschieht etwas. Der Segen hat performativen Charakter.‹«3 »Gott ist hier ganz nah«, sagt eine Teilnehmerin. Dass Menschen eine Kraftquelle spüren können, haben wir nicht in der Hand. Zu Beginn jedes Gottesdienstes sprechen wir es deutlich aus. Wir nehmen dabei Formulierungen von Fulbert Steffensky als unsere Grundlage: »Segnen ist die Fähigkeit zu geben, was man nicht hat.«4 Beim Segen vollzieht sich ein »Sturz in das Versprechen der Geste und des Wortes«5. Bei der Einzelsegnung und -salbung kann auch ein Gebet für den Einzelnen gesprochen werden. Es bringt Dank zum Ausdruck für bisher erlebte Stärkung und bittet für die Selbstheilungskräfte. Auf dem Weg, einen Salbungsgottesdienst neu einzurichten, ist es wichtig, die Mitarbeitenden zu schulen und sich inhaltlich und praktisch zu vergewissern, was wir wie und warum tun. Es kann sich bewähren, mit anderen Vereinigungen zusammen zu arbeiten, z. B. mit der Krebsgesellschaft und ihren Selbsthilfegruppen. Wichtig ist auch, im Gottesdienst selbst den Teilnehmenden gut zu erklären, was ablaufen wird, damit die Menschen sich sicher fühlen. Die Salbung kann unterschiedlich gestaltet werden, im Sitzen, im Stehen, durch Nachvornekommen oder in einem etwas abgetrennten Bereich. Hilfestellung nicht nur in praktischen Entscheidungen bietet eine Materialmappe aus der Bayerischen Landeskirche.6 3 Ernsting (2012, S. 230 f.) zitiert dort Dorothea Greiner (2003, S. 326 f.). 4 Zuerst erschienen in: Steffensky, o. J. 5 Ernsting, 2012, S. 231. 6 Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, o. J. Siehe auch: Schindler-Herrmann, o. J.

III

348

III

Heidi Kääb

Ein exemplarischer Ablauf des Salbungsgottesdienstes sei hier genannt: Begrüßung am Eingang, Musik, Eröffnung, Lied, Text zum Nachdenken, Lied, Salbung und Segnung, Lied, Stille, Vaterunser, Segen, Musik. – An manchen Orten wird ein Salbungsgottesdienst in Zusammenhang mit einer Abendmahlsfeier begangen. Die Themen können sich im Kreis der Mitarbeitenden ergeben. Sie können mit kurzen biblischen Impulsen oder lyrischen Texten angedeutet werden. Stichworte für Themen können sein: Segen, Ruhe, Hoffnung schöpfen, Mut, Lebenslust, Wertschätzung, Aufbruch, Heil werden, Geduld, Quellen des Lebens, heilsame Unterbrechungen, Berühren und berührt werden, Ohnmacht. Der Schwerpunkt liegt meist nicht auf langen Reden, sondern mehr auf dem Raum für Stille, Besinnung, Musik und Gebet. Das bedeutet auch, dass die Auswahl der begleitenden Musik(gruppe) von entscheidender Wichtigkeit ist. Ein Taizéchor, Flötenmusik …; die Musik soll die Salbung und Segnung begleiten, aber nicht übertönen. In Regensburg haben wir den Salbungsgottesdienst nach Waldemar Pisarskis Buch »Gott tut gut« genannt.7 »Kann man mit so einem Satz im Krankenhaus inmitten all des Leids einladen?«, so haben wir uns immer wieder im Team gefragt. »Doch«, so meinte eine ehrenamtliche Mitarbeiterin: »Gott tut jetzt in diesem Augenblick gut; das kann man so sagen.« Die Rolle von Ehrenamtlichen im Gottesdienst bedürfte einer eigenen Darstellung. Ehrenamtliche, die den Gottesdienst inhaltlich mit vorbereiten, Lesungen übernehmen, als Prädikant*innen mitarbeiten, Orgel spielen oder andere musikalische Beiträge leisten, den Raum schmücken etc., kommen bisweilen aus der ehrenamtlichen Seelsorge, manchmal auch vom Klinikpersonal und bilden eine stabile Größe in einer ansonsten fluktuierenden Gemeinde. Das Gelingende an Salbungsgottesdiensten fasse ich so zusammen: Der Salbungsgottesdienst ist eine Gottesdienstform, die sich auf wesentliche Elemente konzentriert und in seiner Grundstruktur sehr einfach und klar ist. Er erreicht Menschen, die sich in ihrer Krankheit oder Not entlasten wollen, die auftanken wollen, die sich in die Kraftquelle des Segens hineinstellen zu einer Zeit, wo sie mit ihren eigenen Kräften an Grenzen gestoßen sind. Die Begegnungen sind oft menschlich sehr ehrlich und offen. Hier wird vielleicht deutlicher als in manch anderen Gottesdiensten, dass jede*r kommen kann wie sie oder er ist. Eine Teilnehmerin sagte: »Das ist für mich Christentum, wenn nicht einer vorne steht und mir sagt, was ich tun soll, sondern wenn man das gemeinsam macht.« 7 Pisarski, 2000.

Seelsorge und Gottesdienst

349

3 Gedenkgottesdienste Im Bereich der Gedenkgottesdienste sind die Angebote zum Teil sehr ausdifferenziert: Es gibt Gedenkgottesdienste für verstorbene Kinder mit weltweitem Kerzenanzünden am zweiten Sonntag im Dezember, Gedenkgottesdienste für sogenannte Sternenkinder (Kinder, die zu klein oder zu krank waren, um zu leben, stillgeborene Kinder), Gedenkgottesdienste für verstorbene Mitarbeitende der Klinik, Gedenkgottesdienste auf der Palliativstation, Gottesdienste für Angehörige von Suizidopfern. Die Menschen, die kommen, verbindet ein durchlittenes Schicksal, eine vergleichbare Erfahrung, ein ähnlicher Weg, den sie allein und gemeinsam (weiter-)gehen, so schwer er auch sein mag. Sie fühlen sich miteinander verbunden als Menschen. Der Gottesdienst kann die Perspektive weiten, spirituelle Erfahrungen ermöglichen und die Horizontale auf die Vertikale hin öffnen. Exemplarisch hier der Ablauf einer Gedenkfeier für verstorbene Kinder: ȤȤ Instrumentalmusik zum Ankommen, Lied, Begrüßung, Gebet/Klage, ȤȤ Lied, Lesung mit Gedanken zum Thema, Lied, ȤȤ Gedenkritual mit Musik während der Zeit des Kerzenanzündens, Stille, ȤȤ Fürbitten, Vater unser (wir fassen uns während des Gebetes an den Händen), ȤȤ Lied: Von guten Mächten, Segen. Wir versuchen, den Menschen ohne fertige Antworten zu begegnen und trotz allem Gott in die schwere Situation hinein zu denken und behutsam hinein zu sagen. Mir ist dabei der Jesajavers wichtig geworden, in dem in einem Atemzug der verborgene Gott angeredet und er dann Heiland (hebr. moschica, Retter) genannt wird (»Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland.«, Jes 45,15). Dieser Vers leitet an, inmitten der Grenzsituation nach Heilsamem zu suchen und einen Ausblick über den Tod hinaus zu wagen. Worte, Symbole, Musik und Kerzen wirken zusammen mit dem, was die anwesenden Menschen ausstrahlen und dem, was an Gottesgegenwart im Raum sein kann. Die Atmosphäre in diesen Gottesdiensten ist nicht einfach machbar. Betroffene Eltern sagen: »Es ist immer so schön und feierlich.«8 Da wird ein Gottesdienst gefeiert, wo es nach menschlichem Ermessen nichts zu feiern gibt. Man kann die Grundstruktur der Gedenkgottesdienste vor Ort anpassen. Mancherorts werden die Namen der verstorbenen Kinder feierlich verlesen oder es gibt die Möglichkeit der persönlichen Segnung. Immer hat das Gedenkritual eine zentrale Bedeutung. Zum Beispiel legen die Eltern eine Muschel mit einer 8 Kääb-Eber, 2014.

III

350

III

Heidi Kääb

Perle neben dem Foto ihres verstorbenen Kindes ab. Die Muschel steht für den langwierigen Prozess, in dem ein Sandkorn sich an der Innenwand der Muschel reibt und dadurch langsam die kostbare Perle entsteht. Das Reiben des Sandkorns kann ein Bild für die Trauer sein. Wenn am Ende die Perle entsteht, kann sie als Sinnbild für Verwandlung gedeutet werden. Muschel und Perle neben dem Foto des verstorbenen Kindes abgelegt symbolisieren, wie unermesslich kostbar dieses Kind für seine Familie war und bleibt. Egal wie kurz das Leben eines Kindes war, es hat immer eine erinnerungsfähige Biografie, die im Gottesdienst zur Geltung gebracht werden darf. Beim Gedenkritual entzündet jede Familie eine Kerze für das verstorbene Kind. Das ist ein sehr dichter und aufgeladener Moment und beeindruckt Menschen tief.9 Gerade, wenn es um Kinder geht, ist es wichtig, dass auch das (kurze) Leben der Kinder, erinnerte Freude und Dankbarkeit Platz haben. Da kommt schon mal in der Ansprache eine Pfütze vor, in die die Kinder gesprungen sind oder wie sie sich ärgerten, dass ein Luftballon zerplatzt ist. Trotz der Tränen kann manch einer dann doch einen Moment schmunzeln. Auch nehme ich Gedanken auf, die die betroffenen Familien selbst gefunden haben, um über den Tod ihrer Kinder hinauszudenken. Zum Beispiel: Ein Engel hat Mia abgeholt; sie hat ihn selbst entdeckt. Nina fährt im Himmel Fahrrad. Jonas sitzt auf der Wolke.10 Exemplarische Themen der Gedenkgottesdienste können sein: Nacht, Weg, Stern, Tränen, Schmetterling, Feder, Rose, Seifenblasen, Engel, Muschel und Perle, Tür, Himmel und Luftballone, Zeit, Steine, Wurzel mit neuem Spross. Das Gelingende an Gedenkgottesdiensten fasse ich so zusammen: Gedenkgottesdienste sind ein überparochiales Angebot an Betroffene. Sie eröffnen einen Raum, Trauer und Schmerz zu teilen und geben dem Gedenken eine Form und regelmäßige Wiederkehr. Die Betroffenen werden von der Seelsorge mit Brief und Veröffentlichungen eingeladen. In der Vorbereitung und Durchführung sind Mitarbeitende der Klinik aus unterschiedlichen Berufsgruppen beteiligt. In den multiprofessionellen Teams entsteht so ein Raum für Spiritualität. »Unser Gottesdienst war sehr berührend«, sagt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin. Gedenkgottesdienste führen die seelsorgerlichen Begegnungen fort und ermöglichen, Menschen ein Stück über das Krankenhaus hinaus weiter zu begleiten. Sie erweitern das Blickfeld der Seelsorgenden und anderen Mitarbeitenden, weil diese erleben können, wie Menschen mit ihren Verlusten weiterleben und weitergehen.      9 Vgl. den Bericht über Befragungen von Gottesdienstteilnehmer*innen in: Grethlein, 2007, S. 313. 10 Die Namen der Kinder wurden von der Autorin geändert.

Seelsorge und Gottesdienst

351

4 Gottesdienste für Mitarbeitende im kirchlichen Krankenhaus In einem katholischen Krankenhaus werden die Gottesdienste für Mitarbeitende als ökumenische Wortgottesdienste gefeiert – sei es zum Auftakt des Sommerfests im Festzelt, sei es zum Abschluss der Ausbildung in der Pflegeschule, sei es bei der adventlichen Begegnung oder der Feier für Dienstjubilare. Thematisch dreht es sich meist um einen kurzen Bibeltext in Verbindung mit einem Symbol und einer Ansprache. Das wird am Ende durch ein giveaway abgerundet. (Beispiel: »Der Zug des Lebens«. Die Teilnehmenden bekommen am Ende Nudeln in Lokomotivform.) Die musikalische Gestaltung hat einen hohen Stellenwert (Mitarbeiterchor oder Band). Mitarbeitende sind u. a. als Leser*in beteiligt. Das Gelingende an ökumenischen Gottesdiensten für Mitarbeitende fasse ich so zusammen: Seelsorge wird sichtbar bei einer größeren Veranstaltung. Die Mitarbeitenden erleben existenzielle Gemeinschaft, nicht nur an der Würstelbude hinterher. Menschen finden sich ein, von denen einige vermutlich nicht oft in ihrer Heimatgemeinde in Gottesdienste gehen, sich hier aber anschließen. Beim Familiengottesdienst im Sommerfestzelt sprach mich hinterher eine Frau an, das sei eine schöne Geschichte gewesen. Durch das anschließende Gespräch wurde mir klar, dass sie das Senfkorngleichnis vorher nicht gekannt hatte. Ohne über jemanden urteilen zu wollen, in solchen Begegnungen deutet sich an, dass Menschen, die sich mit/in Gottesdiensten nicht (mehr) auskennen, hier niederschwellig mitmachen können. Ein großer Teil der besonderen Gottesdienste geschieht in ökumenischer Zusammenarbeit. Das bedeutet, dass die Konfessionen mit solchen Angeboten zusammenwirken, statt sich gegenseitig Konkurrenz zu machen. Beide haben etwas davon. Das könnte sein: Die evangelischen und katholischen Seelsorgekolleg*innen lernen sich besser kennen. Im guten Fall wächst Vertrauen. Die katholische Seite wertet Wortgottesdienste auf. Dabei kommen die pastoralen Mitarbeitenden und nicht ausschließlich die Priester zum Einsatz. Die Wortgottesdienste bieten breitere Gestaltungsmöglichkeiten als bei der reinen Eucharistiefeier. Die evangelische Seite kann eine bestehende, katholische Gottesdienststruktur im Krankenhaus mit nutzen, besonders in der Diaspora.

III

352

Heidi Kääb

5 Neugeborenensegnung

III

Regelmäßig alle Vierteljahre werden in einem großen Perinatal-Zentrum Familien zur ökumenisch gestalteten Neugeborenensegnung eingeladen. Unabhängig von der Taufe in ihrer Ortsgemeinde, wird dieses Angebot gern angenommen und manche Familien kommen mit Geschwisterkindern, Omas und Opas.11 Es herrscht eine fröhliche, ungezwungene Atmosphäre. Hier ein exemplarischer Ablauf: Begrüßung, Gebet, Lied, Lesung, kurze Ansprache, Lied, Einzelsegnung, Fürbitten, Vaterunser, Segen. Die Themen werden durch symbolische Darstellungen sichtbar gemacht, z. B. »Du stellst meine Füße auf weiten Raum« oder »Farben des Lebens«. Der dichteste Moment ist dann, wenn jede Familie mit ihren Kindern nach vorne in den Altarraum kommt. Dort stehen die Klinikseelsorgenden, sprechen die ganz Kleinen mit ihrem Namen an, legen den Familienmitgliedern die Hand auf und segnen sie. Segen ist ein »Ritual der Zuwendung«12. Menschen fühlen sich im Segen persönlich gesehen, angesprochen und wertgeschätzt. »Man kann ihn sich gefallen lassen und ihn …mit Bedeutung erfüllen.«13 Die persönliche Segnung ist vielen Familien so wichtig, dass die Kirche regelmäßig gut gefüllt ist. In manchen Kliniken wird die Neugeborenensegnung regelmäßig und in kleineren Zeitabständen auf der Entbindungsstation angeboten.

6  Zusammenfassung und Ausblick Ich betrachte die vorgestellten Gottesdienste als Kasualgottesdienste. Kasualien wurden als »Scharnierstücke zwischen Individuen, Kirche und Gesellschaft« bezeichnet (Albrecht, 2006, S. 5). Ich möchte das Bild nicht so verwenden, als seien Kirche und Gesellschaft getrennte Räume. Trotzdem kann ich dem Bild »Scharnier« etwas abgewinnen: Ein Scharnier kann quietschen, wenn es nicht gut geölt ist. Es kann sich aber auch leicht bewegen. Jedenfalls ist ein Scharnier ein entscheidendes Teil, um Türen zu öffnen. Türen können sich für Menschen öffnen, die dem Sonntagsgottesdienst entfremdet sind. Sie erleben Gottesdienste gerade in einer lebensgeschichtlich besonders aufgeladenen Situation. Sie nehmen an einem punktuellen Angebot teil und entscheiden für sich, was sie daraus schöpfen. Türen können sich für Teilnehmende öffnen. 11 Vgl. zur Bedeutung des Segens u. a. Grethlein, 2014, S. 176 ff. 12 Ulrike Wagner-Rau zit. nach: Leuenberger, 2015, S. 187. 13 Ulrike Wagner-Rau zit. nach: Leuenberger, 2015, S. 189.

Seelsorge und Gottesdienst

353

Ich formulierte eingangs, dass sich Seelsorgende beim Thema Gottesdienst zwischen Lust und Frust bewegen. Um nicht beim Frust hängen zu bleiben, kann es hilfreich sein, zu schauen, wo die gut geölten Scharniere sind und wo sich damit Türen leicht öffnen. Zum Beispiel findet ein Familiengottesdienst in der Kinderklinik vor Ort auf der Station im Spielzimmer statt – und nicht in der weit entfernt liegenden Kapelle. Seelsorgende verlassen manchmal die angestammten (Kirchen-) Räume und damit auch andere Regeln und Vorgaben, z. B. die Perikopenordnung. Das bedeutet mehr Freiheit in Text- und Themenwahl. Es muss aber nicht heißen, dass es nur um Krankheitsthemen geht. Die besonderen und die regelmäßigen Gottesdienste werden immer wieder angepasst. Das kann auch zur Folge haben, dass man sich von manchen Gottesdienstangeboten verabschiedet und dadurch Freiraum für andere gewinnt. In einer Klinik wurde der regelmäßige Dienstagabendgottesdienst abgeschafft (es bleiben Donnerstag und Sonntag) zugunsten von Andachten zu bestimmten Themen oder in bestimmten Kirchenjahreszeiten. Kriterien dafür können sicherlich nicht nur die Teilnehmerzahlen sein, aber sie sprechen ja doch auch ihre eigene Sprache und deuten an, was die Patient*innen und ihre Zugehörigen brauchen und was nicht. Ein weiteres Kriterium sind die Ressourcen der Seelsorgenden, zu deren Aufgaben vieles hinzugekommen ist, das dann im Widerstreit z. B. zu mehrmals in der Woche stattfindenden oder wöchentlich konfessionell getrennt angebotenen, in der Summe aber vielen Gottesdiensten steht. Da, wo das Scharnier gut geölt ist und sich Türen leichter öffnen, da kann auch die Lust der Seelsorgenden wachsen. Schön, wenn die Lust wächst, weil Seelsorgende erleben, dass Menschen sich bei Salbungs-, Gedenk-, Neugeborenensegungs- und sonstigen Sondergottesdiensten in ihren Bedürfnissen gesehen fühlen. Es sind besondere Gottesdienste, und Menschen würdigen das oft. Schön, wenn die Lust wächst, weil Seelsorgende dorthin gehen, wo die Scharniere gut gehen und sich Türen öffnen. Schön, wenn die Lust wächst, weil Seelsorgende selbst innige Momente in ihren Gottesdiensten erleben können. Türen, deren Scharnier gut geht, öffnen sich leichter. Unlösbare Situationen gibt es im Krankenhaus ohnehin genug. Ich empfehle, der Lust und den sich öffnenden Türen nachzugehen. Der sakrale Raum kann sich durch solche Türen hindurch öffnen.14

14 Vgl. Roser, 2017a. Hier wird das Konzept der Heterotopie/Heterochronie aufgenommen und damit die Transformierung von Orten gedeutet.

III

Teil IV

Seelsorge im Krankenhaus als kirchliches Handeln

Seelsorge in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen Friederike Rüter

Was können Seelsorgerinnen und Seelsorger in Bildungsprozesse im Gesundheitswesen einbringen? Wie kann Krankenhausseelsorge ihre spezifische Expertise zur Arbeit in der Organisation Krankenhaus zur Verfügung stellen? Dabei geht es um zwei unterschiedliche Perspektiven: einerseits um eine Einführung in die professionsspezifischen Arbeitsweisen der Krankenhausseelsorge, andererseits um die Vermittlung relevanter Themen, Fertigkeiten und Haltungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit. Ziel des Zusammenwirkens ist das Patientenwohl.

1  Zwei Fallbeispiele Nach der Ultraschalluntersuchung einer Frau mit Risikoschwangerschaft im Rahmen von Pränataldiagnostik und Vorsorge wendet sich die Assistenzärztin nachdenklich an die Krankenhausseelsorgerin: »Wie hätte ich es denn der Patientin schonend beibringen sollen, wenn ein Befund bestünde?« Und ohne eine Antwort abzuwarten fährt sie fort: »Welch ein Wunder, solch ein vollständiges kleines Menschlein!« Nach dem gemeinsam unternommenen Suizidversuch eines Ehepaares ist die Ehefrau verstorben. Der Witwer hat überlebt und wird in einer geschlossenen psychiatrischen Akutstation aufgenommen. Vehement fordert er seine kurzfristige Entlassung, um an der Beerdigung teilnehmen zu können. Nach eingehender Beratung im Stationsteam entscheidet der verantwortliche Arzt, dem Patienten in Begleitung seines Bezugspflegers und der Krankenhauspfarrerin die Anwesenheit bei der Trauerfeier zu ermöglichen.1 Die Fahrt gelingt. Im Nachgang äußert das Stationsteam die Bitte an die Seelsorgerin, im Rahmen der innerbetrieblichen Fortbildung ein Seminar zum Thema Trauernde begleiten anzubieten. 1 Aus Rüter, 2009.

IV

358

Friederike Rüter

2  Kontext und Situation

IV

Ob in Psychiatrie oder Neonatologie, ob für Ärztinnen oder Psychologen, Pflegekräfte oder Mitarbeitende im Sozialdienst: Krankenhausseelsorge wird in kritischen Behandlungssituationen gefragt. Sie kann mit Fortbildungs- und Reflexionsangeboten reagieren. Sie bereitet aber auch darauf vor, in ethischen Fragen kompetent entscheiden und sich verhalten zu können. Denn Krankenhausseelsorge bringt professionelle Expertise in Themen der Anthropologie und Ethik mit.2 Diese braucht es für die Aus- und Weiterbildung in Gesundheitsberufen vor allem hinsichtlich des Verständnisses von Krankheit und Gesundheit, zur Förderung von Resilienz und beim Umgang mit Scham und Schuld, Sterben und Tod. Über grundlegende Kenntnisse hinaus benötigen Mitarbeitende im Gesundheitswesen ebenso Fertigkeiten im beruflichen Alltag, um angemessen mit diesen Themen umzugehen. Und nicht zuletzt geht es um die Entwicklung einer persönlichen Haltung. Pfarrerinnen und Theologen in der Krankenhausseelsorge bringen als »Fachseelsorger«3 und Expertinnen für die spirituellen Fragen und Bedürfnisse der Patienten nicht nur eine grundlegende theologische und pastoralpsychologische Qualifikation mit, sondern sie kennen sich auch in den Arbeitsweisen, Aufgabenstellungen, Herausforderungen und Konflikten der Mitarbeitenden im Gesundheitswesen aus. An vielen Kliniken – und nicht nur an Kliniken mit konfessioneller Trägerschaft – ist es seit Jahren geübte Praxis, dass sich der Seelsorgliche Dienst an der innerbetrieblichen Fortbildung, an Coaching und Supervision, am Lehrplan der Krankenpflegeschule oder des Gesundheitspflegeseminars, an Vortragsreihen und Wochenendseminaren beteiligt. 2.1  Curriculare Entwicklung Wenn im Gesundheitswesen der Perspektivwechsel hin zu einer organisationsbezogenen Implementierung von Spiritual Care vollzogen wird, gilt umso mehr: Im Sinne einer ganzheitlichen, umfassenden und qualifizierten Patientenversorgung gehört es zum Auftrag einer theologisch und pastoralpsychologisch fundierten Seelsorge im Gesundheitswesen, Mitarbeitende in Gesundheitsberufen im Bereich von Spiritual Care zu qualifizieren.4 2 Vgl. dazu den Beitrag von Thorsten Moos in diesem Band. 3 Koenig, 2012, S. 120. 4 Vgl. Gratz/Roser, 2019; Gratz/Roser, 2016.

Seelsorge in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen

359

Darauf abgestimmte Curricula, verbindliche Lehr- und Lernpläne und fachgerechte Kompetenzbeschreibungen entstehen. Für Hospizarbeit und Palliative Care liegen sie vor5, im internationalen Kontext werden sie längst mit größerer Selbstverständlichkeit angewendet und diskutiert.6 Spiritual Care wurde zuerst in den Zusammenhängen von Palliative Care und Hospizarbeit profiliert. In jüngerer Zeit kristallisiert sich Spiritual Care als ein organisationsbezogener, interdisziplinärer und professionsübergreifender Ansatz heraus. Traugott Roser hat Spiritual Care programmatisch als »Beitrag der Seelsorge zum Gesundheitswesen«7 beschrieben. Die spezifischen Aufgaben der Seelsorge im Gesundheitswesen werden international ökumenisch und religionsübergreifend diskutiert, erforscht und gestaltet. Die internationale Vereinigung der Seelsorge im Gesundheitswesen formuliert: Time To Move Forward.8 »Es ist an der Zeit, einen Schritt vorwärts zu machen.«9 Neben der inhaltlichen Arbeit stehen Abstimmung mit Ausbildungsträgern, Implementierung und Finanzierung solcher Aus- und Weiterbildung für die nichttheologischen Gesundheitsberufe aus. Das Gesundheitswesen hat sich in den vergangenen Jahren in großer Schnelligkeit entwickelt und verändert. Die Krankenhausversorgung ist Gegenstand kontroverser politischer Debatten. Veränderte Erwartungshaltungen der Patient*innen, Innovationen – und Grenzen – von Diagnostik und Therapie, Prävention und Notfallmedizin, Ambulantisierung und dramatische Verkürzung der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus, Zentralisierung und Ökonomisierung, Pflegenotstand und Fachkräftemangel in allen Gesundheitsberufen sind Stichworte, welche den Kontext der professionellen Beschäftigten im Gesundheitswesen knapp umreißen. Das Recht auf angemessene Krankenhausversorgung, in Deutschland sozialrechtlich im SGB V, § 39 beschrieben, impliziert eine umfassende, kompetente, ganzheitliche Patientenversorgung. Der Deutsche Ethikrat stellt das Patientenwohl als maßgebliches ethisches Leitprinzip der Krankenhausversorgung in den Mittelpunkt. Drei in herausragender Weise relevante Dimensionen werden genauer untersucht: Selbstbestimmung, Behandlungsqualität und Verteilungsgerechtigkeit. Die Empfehlungen zur Verankerung und Gewährleistung der Patientenwohlorientierung in der Krankenhausversorgung umfassen unter anderem spezifische Verbesserungen in den Bereichen Kommunikation, Dokumentation, Digitalisierung und Barrierefreiheit.10      5      6      7      8      9

Hagen/Roser/Reigber/Fittkau-Tönnesmann, 2010. Vgl. Koenig, 2012; Weiher, 2014. Roser, 2017a. HealthCare Chaplaincy Network (HCCN), 2016a. So die deutsche Übersetzung von Thomas Beelitz: https://www.pastoralpsychologie.de/uploads/media/SCA_Time_to_Move_Forward_deutsch.pdf (Zugriff am 27.2.2019). 10 Deutscher Ethikrat, 2016.

IV

360

Friederike Rüter

Was bedeutet dies für den Beitrag der Seelsorge im Gesundheitswesen? Traugott Roser beschreibt sie als Wahrnehmungskunst, Reflexionskunst und Gestaltungskunst.11 Thomas Beelitz schlägt vor, die spirituelle oder religiöse Kompetenz der Seelsorge im größeren Zusammenhang multikultureller Kompetenzen zu verstehen.12 Dabei geht es weder um Religionszugehörigkeit oder Kirchenmitgliedschaft, noch um Proselytenmacherei oder Bekehrung, sondern um spirituelle Kompetenz als Wahrnehmungs- und Unterscheidungsfähigkeit. Denn Spiritualität kann – auch wenn sie »im internationalen Konsens und von der professionellen Seelsorge heute grundsätzlich als Teil ganzheitlicher Versorgung wahrgenommen«13 wird – den Umgang mit ethischen Konflikten sowohl fördern als auch belasten.

IV

Welche Folgerungen ergeben sich daraus für eine Konzeption der Aus- und Weiterbildung nichttheologischer Gesundheitsberufe? Insgesamt geht es um die je unterschiedliche Vermittlung und Aneignung von Kenntnissen, Fertigkeiten und eigener Haltung.14 Zu den grundlegenden Kenntnissen für nichttheologische Gesundheitsberufe gehören: ȤȤ Begriffe und Unterscheidungen von Spiritualität, Glaube, Religiosität ȤȤ Verständnis von und Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod in den Weltreligionen ȤȤ Organisationale und rechtliche Grundlagen für Spiritual Care und Krankenhausseelsorge ȤȤ Arbeitsweise der Krankenhausseelsorge ȤȤ Verständnis von Spiritual Care als ganzheitliche Patientenorientierung und spirituelle Begleitung (und nicht Vermittlung einer bestimmten Religion oder einer konfessionsgebundenen Glaubenslehre) ȤȤ Bedeutung des Auftrags einer kultursensiblen Begleitung von Patientinnen und Patienten und deren An- und Zugehörigen ȤȤ Funktion und Grenzen einer spirituellen Anamnese15 ȤȤ Kenntnis exemplarischer Situationen, in denen existenzielle Fragen, Sinnfragen, ethische Fragen angesprochen sind (Diagnose, Therapieentscheidungen, Tod und Sterben, etc.) ȤȤ Unterscheidung von verbaler und nonverbaler Kommunikation 11 Roser, 2017a; Dazu im Themenheft Spiritual Care der »Pastoraltheologie«: Hauschildt, 2017b; sowie Peng-Keller, 2017d und Roser, 2017b. 12 Beelitz, 2015a. 13 Beelitz, 2015a, S. 471. 14 Gratz/Roser, 2016, S. 14 f. 15 Vgl. Koenig, 2012, S. 47–62 sowie den Beitrag von Eckhard Frick in diesem Band.

Seelsorge in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen

361

Entsprechend ergeben sich grundlegende Fertigkeiten: ȤȤ Wahrnehmen und Erkennen von spirituellen Themen im Zusammenhang der Krankenhausbehandlung ȤȤ Spirituelle Anamnese anlegen oder vermitteln ȤȤ Raum geben für Fragen nach Sinn, Glauben, Lebensbilanz, ethischer Orientierung ȤȤ Raum geben für Scham und Schuldgefühl, Trauer und Wut, Verzweiflung und Resilienz oder auf solche Räume verweisen (professionelle Krankhausseelsorge) ȤȤ Begegnungen mit Patienten und deren An- und Zugehörigen gestalten ȤȤ Gespräche beginnen, führen und beenden ȤȤ Nonverbale Kommunikation einbeziehen ȤȤ Balancieren von professionellem Wissen und reflexiver Distanz auf der einen und menschlicher Berührbarkeit auf der anderen Seite Hinsichtlich der eigenen professionellen Haltung sind erstrebenswert: ȤȤ Toleranz, Respekt, Sensibilität, Offenheit, Achtsamkeit und Sinn für Vielfalt und Unterschiede ȤȤ Unterscheidung der Reaktion des Gegenübers vom eigenen persönlichen Erleben und ȤȤ Professionelles Zurücknehmen der eigenen emotionalen Reaktionen bei gleichzeitig bestehender emotionaler Berührbarkeit ȤȤ Bereitschaft zur Reflexion der eigenen Haltungen (Grenzen und Stärken, Kraftquellen und Glaubensweisen, aktuelle Gestimmtheit und Situation, Beheimatung und Resilienz, Verletzbarkeit, Schuld und Scham) und der eigenen Vorstellungen von Gesundheit und Lebendigkeit, Tod und Sterben und Leben nach dem Tod ȤȤ Orientierung am Patientenwohl mit ethisch und anthropologisch reflektiertem Hintergrund Ergänzend können aus bereits publizierten Curricula detailliertere Beschreibungen von Kenntnissen, Fertigkeiten und Haltungen übernommen werden. Auch die regionalen Konzepte für die Qualifizierung Ehrenamtlicher in seelsorglichen Besuchsdiensten, Curricula der Trauerbegleitung und der Telefonseelsorge bieten ein reichhaltiges, differenziertes Material und außerdem kontextbezogene Vorschläge zur Strukturierung der Inhalte, Lernformen und Haltungsarbeit.

IV

362

Friederike Rüter

2.2  Situationsbezogener Anpassungsbedarf

IV

Kenntnisse, Fertigkeiten und Haltung sind sodann in dreierlei Hinsicht anzupassen und zu konkretisieren: erstens in Bezug auf den spezifischen Handlungskontext des jeweiligen Feldes im Gesundheitswesen, zweitens sind sie unter professionsbezogenen Aspekten zu spezifizieren und drittens sind unterschiedliche Stufen der Aus-, Fort- und Weiterbildung (Vorbereitung, Begleitung, Reflexion und Vertiefung) zu beachten. Die unterschiedlichen medizinischen Disziplinen und Praxisfelder mit ihren jeweiligen Fragestellungen und Behandlungsaufträgen bilden spezifische Handlungskontexte. Beispielhaft zu nennen sind hier: Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin und die zugehörige Pflege auf der einen Seite, geriatrische und gerontopsychiatrische Medizin und Pflege auf der anderen Seite; Intensivmedizin und -pflege und Rehabilitationsmedizin und -pflege; palliative und hospizliche Kontexte. Außerdem ist zwischen somatischem und psychiatrischem Behandlungsauftrag zu unterscheiden. Eine professionsbezogene Orientierung wird des Weiteren den Fort- und Weiterbildungsbedarf in Sachen Seelsorge und Spiritual Care auf die unterschiedlichen Berufsgruppen, ihre Aufgaben im Gesundheitswesen, ihren professionellen Wissensstand und ihre jeweiligen Rollen im multiprofessionellen Kontext abstimmen. Beispielsweise werden Kenntnisse zu verbaler und nonverbaler Kommunikation einen sehr unterschiedlichen Stellenwert für Pflegekräfte in einer Tagesklinik für demenziell Erkrankte, für Ärzte in einer chirurgischen Notfallambulanz oder für eine Mitarbeiterin im Sozialdienst bei der Planung von Entlassung und Wiedereingliederung haben. Der Sozialdienst ist als eigener Bereich neben Pflege, medizinischen und psychologischen Diensten ausdrücklich zu nennen. Er hat die sozialen Folgen und Voraussetzungen von Krankheit und Gesundheit auf seine eigene Weise im Blick und wird daher spezifische Erwartungen an Kenntnis von und Zusammenarbeit mit Seelsorge formulieren. Nicht übergangen werden sollen schließlich diejenigen Berufsgruppen, die eher patientenfern arbeiten, Verwaltung, Handwerkerdienste, IT-Bereich. Trotz dieser Differenzierungen gibt es zentrale gemeinsame Querschnittsthemen und Fragestellungen: Welches Bild von Krankheit und Gesundheit, von Lebenssinn, von Spiritualität bringen Mitarbeitende im Gesundheitswesen in ihre berufliche Arbeit ein? Wie ändert sich ihre Einstellung zu Leben und Sterben, zu chronischer Krankheit, zu Notfallmedizin und Intensivpflege im Laufe der Berufstätigkeit? Welche Ressourcen und Belastungen ergeben sich im Umgang mit ethischen Konflikten und Dilemmata? Anthropologie und Ethik sind zwei wesentliche Themenkomplexe, die nicht nur professionsbezo-

Seelsorge in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen

363

genes Wissen, sondern darüber hinaus situative Handlungsfähigkeit, persönliche Reflexion und eine eigene Haltung erfordern. Aus-, Fort- und Weiterbildungsformate müssen von unterschiedlicher Reichweite und Tiefe sein. Sie müssen – auch das ist selbstverständlich – der Lerngruppe angepasst sowie vom jeweiligen Träger beauftragt, finanziert und strukturell gesichert werden. Unterschiedliche zeitliche Umfänge ermöglichen eine Erweiterung und Vertiefung oder erfordern eine Straffung und Konzentration, z. B. eine Doppelstunde wöchentlich im ersten Jahrgang einer Schule für Pflegeberufe, ein Fortbildungsangebot am Mittwochnachmittag für Ärztinnen im Praktikum oder ein eigener Studiengang für psychiatrische Fachpflegekräfte. Nicht zuletzt gehören die Angebote von Team- und Fallsupervision, Leitungssupervision und Einzelberatung im Sinne eines beruflichen Coachings sowie die Ausbildungssupervision zu sinnvollen Formaten der Aus-, Fort- und Weiterbildung für Gesundheitsberufe. Pastoralpsychologisch und theologisch fundierte Supervision kann hier inhaltliche Fachkompetenz, Feldkompetenz im Gesundheitswesen und Beratungskompetenz zusammenbringen.16

IV 3  Notwendige Bereitschaft zu lehren und zu lernen In den Leitlinien für die evangelische Krankenhausseelsorge17 heißt es: »Gute Medizin, gute Pflege und gute Seelsorge gehören zusammen.« (S. 10) Es geht auch in der Krankenhausseelsorge ums Ganze des Gesundheitswesens in seiner ethischen und anthropologischen Orientierung: um die Strukturen, in denen Menschen im Gesundheitswesen arbeiten, behandelt werden, Angehörige und Zugehörige besuchen, in manchen Fällen auch ein Zuhause auf Zeit finden oder finden müssen. »Die Krankenhausseelsorge achtet darauf, dass das Selbstbestimmungsrecht der Patienten gewahrt wird. Sie tritt für interdisziplinäre Zusammenarbeit und transparente Entscheidungsprozesse in ethischen Konfliktsituationen ein. Sie arbeitet mit bei der Suche nach dem rechten Maß beim Einsatz der Ressourcen gesundheitlicher Versorgung, und zwar im Einzelfall ebenso wie auf betrieblicher und politischer Ebene. Immer wieder weist die evangelische Krankenhausseelsorge darauf hin, dass tragische Zielkonflikte, in denen man unausweichlich schuldig wird, solidarisch zu tragen sind. In der 16 Vgl. den Beitrag von Kerstin Lammer in diesem Band. 17 Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD, 2004.

364

Friederike Rüter

Psychiatrie, insbesondere im Bereich des Maßregelvollzugs, in dem Patienten sich oft lange und mit ungewissem Ausgang aufhalten müssen, stellt die Achtung der Menschenwürde eine Herausforderung ganz eigener Art auch an die Seelsorge.« (Konferenz für Krankenhausseelsorge, 2004, S. 28) Die spezifische Rolle der Seelsorge erfordert fachliche Anschlussfähigkeit im Gesundheitswesen, Interdisziplinarität und damit beides: die Bereitschaft zu lehren und zu lernen. Krankenhausseelsorge vermittelt Theologie und ethische, diakonische, seelsorgliche Praxis in die Lebens- und Arbeitswelt der Klinik. Sie tut dies direkt in der Gestaltung von Bildungsangeboten. Sie tut dies aber auch indirekt, indem sie mit eigenem Berufsethos und modellhaftem Handeln ihre Präsenz im Gesundheitswesen gestaltet.

IV

»Ich dachte, dass jeder Arzt und jeder Patient im Notfall einen Beistand haben sollte. […] Im Idealfall sollte ein Seelsorger eine ethische und moralische Autoritätsperson sein, auf Augenhöhe mit der gewaltigen Macht der Ärzte. Das religiöse Anliegen des Seelsorgers sollte es sein, sich für Gerechtigkeit und den Schutz der Person einzusetzen, und sowohl für Ärzte wie für Patienten eine Quelle der Hoffnung zu sein.«18 Wesentliche Aufgabe der Seelsorge bleibt es, Beistand in krisenhaften Situationen zu sein. Halt anzubieten, Schwachheit und Leid nicht auszuweichen und Menschen zu stärken.19 Dies kann im seelsorglichen Handeln im engeren Sinn, im liturgisch-rituellen Vollzug, in der Gestaltung von Gottesdiensten im Krankenhauskontext sowie in der ethischen Beratung geschehen. Aus ethischer Perspektive weist Johannes Fischer darauf hin, dass Seelsorge als Teil des kirchlichen Hilfehandelns keinen zweckrationalen Charakter hat. Handlungstheoretisch betrachtet sei die Seelsorge im Sinn der aristotelischen Unterscheidung als Praxis, nicht als Poiesis zu verstehen: »Seelsorge ist nach diesem Verständnis: Sorge in Bezug auf die geistliche Empfänglichkeit und Ausrichtung des Lebensvollzugs eines Menschen […] Das Amt der Seelsorge unterscheidet sich vom Predigtamt, das sich ebenfalls als Sorge in Bezug auf die geistliche Empfänglichkeit und Ausrichtung von 18 Gwendolin Wanderer zitiert hier in deutscher Übersetzung Mary Scriver (2006): Haker/Bentele/Moczynski/Wanderer, 2009, S. 351. 19 Lammer/Borck/Habenicht/Roser, 2015, S. 92: »Für alle kirchlich zur Seelsorge Beauftragten gelten Qualitätsstandards hinsichtlich fachlicher und persönlicher Eignung sowie auftragsund rollengerechter Haltung, die adäquate Aus- und Fortbildung voraussetzen.«

Seelsorge in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen

365

Menschen beschreiben lässt, durch seinen Bezug auf die individuelle seelische Situation von Menschen. In diesem Bezug kann Seelsorge vielerlei Gestalt haben, die Leibliches und Geistiges, Sprachliches und Nichtsprachliches umfasst, von der Berührung der Hand eines Kranken bis hin zur seelsorgerlichen Beratung eines Menschen im Blick auf eine schwierige Entscheidung. […] Seelsorge in ihrem unmittelbaren Vollzug in Gestalt von Zuwendung, Begleitung oder Fürsorge ist nun ersichtlich nicht Poiesis, d. h. eine Tätigkeit, die ein Ziel außerhalb ihrer selbst erstrebt, sondern Praxis, die überhaupt kein Ziel verfolgt, sondern im strikten Sinne zweckfrei ist. […] Eine Therapie ist Poiesis, die auf die Psyche des Klienten zielt, auf seine Befindlichkeit und seinen Zustand. Seelsorge dagegen ist eine spirituelle Praxis. […] Sie wirkt, was sie wirkt, indem sie gerade nicht auf Wirkungen aus ist.«20 Diese Unterscheidung trifft die bleibende Differenz von Seelsorge gegenüber der Systemlogik des Gesundheitswesens. Entgegen aller evidenzbasierten, handlungsorientierten und aus gutem Grund zielgerichteten Untersuchungen, Therapien und Pflegeaktivitäten bleibt die Aufgabe der Seelsorge im Unbestimmten, im Vagen, in der Unterbrechung von Logik, Zeit und Raum des Systems Gesundheitswesen. Fischer fährt fort: »Als Sorge in Bezug auf die spirituelle Empfänglichkeit und Ausrichtung eines Menschen hat es [das seelsorgliche Handeln] sein Spezifisches […] nicht in dem, was der Seelsorger tut und worauf seine momentane Aufmerksamkeit gerichtet ist, sondern in dem, was sich durch sein Tun hindurch vermittelt. […] Hierin ist die große Freiheit der Seelsorge begründet. Sie ist davon entlastet, unter allen Umständen etwas Bestimmtes tun zu sollen, etwa im Sinne der Ausrichtung des Wortes Gottes an den Einzelnen. […] Die Kehrseite dieser Freiheit liegt in der Schwierigkeit, das seelsorgerliche Handeln in seiner inhaltlichen Ausrichtung näher zu bestimmen.«21 Mit einem Rückgriff auf das biblische Verständnis der Seele erinnert Fischer an die Unverfügbarkeit, Fragmentarität und Schwachheit menschlichen Lebens. Hier schließt sich Ulrich Körtner an: »Nicht nur Konflikte bei der Lebensführung, sondern Erfahrungen von Versagen und Schuld, von Leiden und Ohnmacht lassen Menschen nach seel20 Fischer, 2010. Dazu auch Fischer, 2017, S. 374 f. 21 Fischer, 2010. Dazu auch Fischer, 2017, S. 376.

IV

366

Friederike Rüter

sorgerlichem Beistand suchen. So gewiss sie Rat und Lebenshilfe suchen, Hilfe bei der Klärung ethischer Fragen, so gewiss brauchen Menschen auch Trost und Solidarität in Situationen, die sich gar nicht oder jedenfalls nicht sogleich durch menschliches Handeln verändern lassen […] Seelsorge [hat] Menschen nicht nur bei der Suche nach neuen Handlungsmöglichkeiten zu helfen, sondern auch zur Trauer und zur Klage zu ermutigen.«22 Seelsorger*innen werden in Bildungskontexten die berufsspezifischen Besonderheiten nicht hintanstellen, sondern konstruktiv einbringen. Für alle Teilnehmer*innen an Veranstaltungen in Aus-, Fort- und Weiterbildung gilt, egal zu welchem Thema: wo ein*e Seelsorger*in lehrt, lernen die Teilnehmer*innen auch etwas über Seelsorge. Dies gilt es selbstbewusst und transparent in ein didaktisches Konzept mit einzubringen.

IV

4 Herausforderungen für die Seelsorgerin und den Seelsorger Aus-, Fort- und Weiterbildung im Sinne einer ganzheitlichen Spiritual Care setzt beides, Feldkompetenz im Gesundheitswesen und theologische Fachkompetenz, voraus. Ohne Sprach- und Anschlussfähigkeit geht es nicht. Dies fordert Seelsorgerinnen und Seelsorger heraus, Lehrende und Lernende zugleich zu sein: einerseits fachkompetente Dozenten, felderkundungssichere Supervisorinnen, strategieerfahrene Gremienmitglieder im Gesundheitswesen und andererseits persönlich von Leid, Ambivalenz, ethischen Dilemmata berührbare Theologen und Seelsorgerinnen. Können sie in ihrer Präsenz, ihrem Standhalten und Aushalten modellhaft sein?

5 Forschungsbedarf Krankenhausseelsorge sollte sich im Auftrag von Kirche und Gesellschaft an der Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen beteiligen.23 Sie unterliegt damit Qualitätsstandards hinsichtlich fachdidaktischer, pastoralpsychologischer und supervisorischer Kompetenz und benötigt Forschung im eigenen Interesse. 22 Körtner, 2015. 23 Roser, 2015b.

Seelsorge in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen

367

Seelsorge und Spiritual Care sind derzeit sowohl im Gesundheitswesen als auch in den kirchlichen Gremien in der Diskussion. Nachdem sich die Konferenz für evangelische Krankenhausseelsorge in der EKD auf ihrer Jahrestagung 2018 mit dem Thema Krankenhausseelsorge und Spiritual Care befasst hat, wird sie sich auf der folgenden Tagung Anfang 2019 dem Thema Forschung in der Krankenhausseelsorge widmen. Wichtige Themen sind: Wie beschreibt sich Krankenhausseelsorge selbst – und wie wird sie von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen wahrgenommen? In welchen Erwartungshorizonten wird sie gesehen? Zu diesen Fragestellungen ist im deutschsprachigen Kontext Forschung notwendig und interessant. Sie wird der Herausforderung begegnen müssen, ein eigenes Paradigma zu formulieren, unter dem das Professionshandeln der Krankenhausseelsorge in Bildungskontexten beschreibbar und untersuchbar wird. In diesem Sinne bedarf es explizit religionspädagogischer und bildungswissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung zu Krankenhausseelsorge. Unverfügbarkeit des Beziehungsgeschehens in der Seelsorge und Grenzen der seelsorglichen Verschwiegenheit müssen dabei berücksichtigt werden.

6 Leitsätze Die Angehörigen sämtlicher nichttheologischer Gesundheitsberufe können von Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten der Krankenhausseelsorge profitieren. Eine Orientierung der Bildungsangebote an jeweiligen medizinischen Fachrichtungen und professionsspezifischen Aufgaben und Fragestellungen der Adressaten ist dazu unerlässlich. Bildung im Gesundheitswesen eröffnet einen interdisziplinären Diskurs, der das Patientenwohl zum Maßstab hat. Seelsorge als Teil einer interdisziplinär zu realisierenden Spiritual Care ist dabei herausgefordert, als sprachfähige und interkulturell anschlussfähige Profession theologisch und ethisch fundierte Bildungsprozesse zu gestalten.

IV

Seelsorge im religionspluralen Kontext

Andreas Stähli

IV

Foyers großer Kliniken, diese Orte des Kommens, Wartens und Gehens, können Orte einer besonderen Form von meditatio sein, mir vergleichbar nur anderen Räumen des Unterwegsseins. Es sind dies Orte, wohin Menschen mit bestimmten Erwartungen, Zielen, und im Falle des Krankenhauses, zumeist mit Sorgen und Belastungen kommen. Verweilend auf einem freien Platz im Eingangs­ bereich, werde ich Menschen verschiedenster Herkunft und Nationalität wahrnehmen können. Sie alle machen diesen Ort des Wunsches nach Gesundheit und Heilung zu einem Mikrokosmos von Diversität. Als nur Beobachtender weiß ich noch nichts über ihre Wege, über den Grad ihrer Integration und über ihre Deutungen von Geburt, Krankheit und Sterben. Und dies nicht nur bei Patientinnen und Patienten, ihren Familien und ihren Freundinnen und Freunden, sondern auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Migrationsgeschichte. Wir wissen um die gesellschaftliche Realität: Deutschland ist ein Einwanderungsland und war es schon vor den Jahren der Flüchtlingskrise. In 2016 hatten rund 18,6 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Dies entspricht einer Steigerung von 8,5 % gegenüber dem Vorjahr und bedeutet den stärksten Zuwachs seit dem Jahr 2005, als mit der Erhebung begonnen wurde.1 Dabei ist diese Gruppe »sehr heterogen und reicht von erst kürzlich eingereisten Flüchtlingen ohne Sprachkompetenz im Deutschen bis hin zu Kindern aus binationalen Ehen, in denen Deutsch die Familiensprache darstellt. Ent­sprechend der unterschiedlichen Migrationsbiografien, Lebenssituationen und Herkunftslän1

»Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Im Einzelnen umfasst diese Definition zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländerinnen und Ausländer, zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte, (Spät-) Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler sowie die als Deutsche geborenen Kinder dieser Gruppen.« (Statistisches Bundesamt, 2017b)

Seelsorge im religionspluralen Kontext

369

der sind zudem die Lebensstile, Gesundheitsbelastungen sowie Ressourcen zur Bewältigung von Anforderungen an das Leben in Deutschland bei den Eingewanderten und ihren Familien sehr unter­schiedlich.«2 Die Tatsache der Zuwanderung ist in den Krankenhäusern in Regionen mit einem hohen Anteil an Migration angekommen. Was wir in Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens immer mehr vorfinden ist eine religionsplurale Wirklichkeit wie zugleich eine Vielfalt verschiedener, von Religion unabhängiger Welt- und Lebensdeutungen. Was aber heißt das für die Seelsorge in den Krankenhäusern vor Ort? In den Begegnungen mit den Patientinnen und Patienten sind die Seelsorgenden nach Manfred Belok aufgefordert, »sich nicht nur mit Menschen anderer religiöser Herkunft auseinanderzusetzen, sondern auch mit solchen, die ganz andere Sinnstrukturen haben« und denen daher andere als »religiöse Sinndeutungsangebote wichtig sind«. Sie stehen, so fährt er fort, angesichts eines »zugleich religionspluralen bzw. multireligiösen wie weithin säkularisierten Umfeld« vor der Herausforderung, »Professionalität, interreligiöse und interkulturelle Offenheit und die Verortung in der eigenen Kirche miteinander zu verbinden«3.

1  Äußere und innere spirituell-religiöse Pluralitäten Ich will zunächst meine Aufmerksamkeit auf zwei verschiedene Bewegungen im Kontext kulturell-religiöser Vielfalt richten. Die erste benenne ich als eine äußere Bewegung und meine damit alle jene Menschen, die im Zuge von Migration nach Deutschland gekommen sind. Sie bringen ihre je verschiedenen Glaubensformen, Werte und Überzeugungen mit. Es sind dies in der Mehrheit Musliminnen und Muslime, aber auch orthodoxe Christinnen und Christen aus den Ländern wie etwa Griechenland, der Ukraine oder Russland. Jede und jeder Einzelne ist wichtig, und so haben auch weniger starke Gruppen ihre unbedingte Würde, gleich welcher Zugehörigkeit und Nationalität. In jeder der Religionen, seien es die abrahamitischen oder seien es Traditionen wie die des Hinduismus oder Buddhismus wirken verschiedene Strömungen und Bekenntnisse; und sie kennen Menschen eher orthodoxer oder liberaler Gesinnung. Ein Beispiel sei dazu angeführt.

2 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2015, S. 17. 3 Belok, 2012, S. 105.

IV

370

Andreas Stähli

Zu Beginn meines Nachtdienstes in einem Hospiz bemerke ich, dass ich in der Dokumentation keinen Eintrag zur Religionszugehörigkeit des etwa 70jährigen Bewohners Herrn Ö. finde. Der Familienname verrät mir aber seine Herkunft aus der Türkei. Nach der Begrüßung und einem ersten Gespräch zu Herkunft und Beruf frage ich, ob er Muslim sei, was er bejaht. Aus Interesse, aber auch, um es besonders »korrekt« zu machen, erkundige ich mich danach, ob für ihn der Besuch eines Imams wünschenswert sei. Diese Frage löst indes eher Furcht, denn Anerkennung aus. Imame, so seine Einschätzung, seien »so streng«. Die Einhaltung der Gebote ist für Herrn Ö. nicht zentral. »Es ist gut, dass du da bist«, sagt er dann, was mich sehr berührt. Als er Tage später in eine akute Phase von Unruhe und Desorientierung fällt, bedeutet unser Vertrauensverhältnis eine wichtige Brücke. Gemeinsam mit seiner Tochter erreichen wir eine für ihn ertragbare Beruhigung.

IV

Die zweite der von mir angedeuteten Bewegungen hat ihre Perspektive in den inneren Wandlungsprozessen von in Deutschland christlich sozialisierten Menschen. In der Seelsorgesituation heißt das, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, deren einst feste Zugehörigkeit zu einer Konfession keinen Bestand mehr hat, denen eine bloße Übernahme von Glaubensinhalten nicht mehr genügt und für die »persönliche Erlebbarkeit«4 und Bedürfnisorientierung wichtige Merkmale geistigen Lebens darstellen. So erzählt beispielsweise im Rahmen der Fachweiterbildung »Palliative Care« eine Kursteilnehmerin von ihrer protestantischen Prägung und ihrer Distanz dazu im Erwachsenenalter. Die Hinwendung zum Yoga hätte sie dann wiederentdecken lassen, wie wichtig es sei, aus anderen Quellen zu leben. Das habe wiederum ein neues Nachdenken über die eigenen Wurzeln bewirkt. Ich möchte noch ein weiteres Beispiel anführen. Frau L. mag hier stellvertretend für all jene Menschen stehen, die sich keiner bestimmten Religion (mehr) ganz zugehörig fühlen und dennoch auf der Suche nach dem sind, was sie innerlich erfüllt. Sie tauchen ein in den Farbenkreis der Religionen und wählen das, was ihnen nahe ist und sie stützt. Frau L. ist Mitte 50. Immer wieder leidet sie unter Atemnot und großer Übelkeit. Selbständigkeit ist ihr ein hohes Gut. Sie ist kritisch gegenüber sedierenden Medikamenten. Ihr Zimmer ist liebevoll geschmückt, insbesondere ihr Nachtkästchen ist von warmen Farben und unterschiedlichen Symbolen umgeben: eine Klangschale, ein großes Bild der weißen Tara, ein kleines geschnitztes Kreuz, das gut und anschmiegsam in der Hand liegt. In einem Gespräch sagt sie: Alles, was sie 4 Weiher, 2009, S. 25.

Seelsorge im religionspluralen Kontext

371

umgibt, sind ihr innere Helfer. In der vorletzten Nacht schreibt sie in ein Buch mit handgeschöpftem Papier vom Ganges letzte Gedanken an ihre abwesende Tochter. In der letzten Nacht (sie stirbt am frühen Morgen) entscheidet sie sich um Mitternacht für einen Film über eine Gebetsschule für Muslime.5

»Religiös sein bedeutet heute unausweichlich interreligiös sein«6, schreibt der Theologe Christoph Gellner. Dann wären die religionspluralen Veränderungen und Aufbrüche etwas, was Seelsorgerinnen und Seelsorger, genauer betrachtet, selbst angeht. Nicht nur im Sinne einer gelingenden, aber bloß äußerlich bleibenden Praxis, sondern im inneren Prozess des Eigenen. Dabei sind aus einem christlichen Verständnis heraus »Zugehörigkeit und Offenheit«7 keine Gegensätze. Dass dies bis zu einer tiefen existenziellen Verbindung gehen kann, zeigen prominente Persönlichkeiten wie zum Beispiel der Jesuitenpater Hugo Enomiya-Lassalle als Pionier des Zen im christlichen Raum oder der katholische Priester und Religionswissenschaftler Raimon Panikkar. Schleiermacher sagt in seinen Reden, dass »unzählige Gestalten der Religion« möglich seien und betont, nichts sei »unchristlicher als Einförmigkeit zu suchen in der Religion«8. Eine Auseinandersetzung mit religiöser Vielfalt kann dabei in verschiedener Weise stattfinden. Sie kann sich bescheiden im bloß äußeren Wissen, das vergleichend die verschiedenen Traditionen prüft. Sie kann selektiv verschiedene Elemente wählen und diese in die eigene geistliche Praxis integrieren, ohne dabei deren philosophische und theologische Voraussetzungen einer Vereinbarkeit genauer zu reflektieren. Sie kann diese Praxis von christlicher und pluralistischer Verortung aber eben auch auf ihre Voraussetzungen und Konsequenzen hin bedenken.9 Perry Schmidt-Leukel schreibt, dass die Frage, ob die pluralistische Position eine »christliche Möglichkeit darstellt«, von der Lösung zweier zentraler Themen abhänge. Das zweite sei an dieser Stelle kurz angeführt. Es geht um den »Gedanken pluraler Inkarnation«10, also um die Frage, ob »Inkarnation nicht exklusiv auf den Menschen Jesu beschränkt ist«11. Hier wird deutlich, in welch´ tiefe Herausforderungen der religionstheologische Pluralismus führt, gerade dann, wenn er keine nur akademische Position ist, sondern      5      6      7      8      9

Das Beispiel findet sich etwas ausführlicher in meinem Beitrag: Stähli, 2011, S. 259. Gellner, 2008, S.  10. Gellner, 2008, S.  17. Schleiermacher, 2001, S.  193. Siehe dazu: Schmidt-Leukel, 2005, S. 190 ff. Zu unterscheiden sind die Positionen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus. 10 Schmidt-Leukel, 2005, S. 295. 11 Schmidt-Leukel, 2005, S. 191.

IV

372

Andreas Stähli

wenn er die eigene Glaubenspraxis durchdringt. Wie weit diese reichen kann, zeigt in poetischer Form der Sufi Ibn ‘Arabi. Es ist dies der Ausdruck des mystischen Kerns alles Religiösen: »Mein Herz ist bereit, jegliche Form anzunehmen, / eine Weide für Gazellen zu sein, / ein Kloster für Mönche, / geheiligter Grund für Götzenbilder, / die Kaaba für den kreisenden Pilger, / die Tafeln der Tora, / die Schriftrolle des Koran. / Ich bekenne die Religion der Liebe: / Wohin immer ihre Karawane sich entlang des Weges wendet, / wird der Glaube sein, das Vertrauen, das ich halte.«12

2 Das kultursensible Krankenhaus und die interkulturelle Öffnung der Kirchen

IV

Nach meinen Überlegungen zu den äußeren wie zu inneren spirituell-religiösen Pluralitäten komme ich auf das in der Einleitung Gesagte zurück. In den Krankenhäusern findet sich zunehmend eine religionsplurale Wirklichkeit. Religion aber ist Ausdruck und Teil von Kultur, die, über jene hinaus, weitere Dimensionen umfasst, so zum Beispiel Kommunikation, Ethik, Verhältnis zu Gesundheit und Krankheit und Trauer.13 Wir können also von einer bestehenden und weiterhin zunehmenden Vielfalt kultureller Prägungen und Ausdrucksformen sprechen. Gemäß dieser Realität darf es nicht überraschen, dass zunehmend, wenn auch teilweise sehr zögerlich, Krankenhäuser über interkulturelle Öffnung nachdenken bzw. Elemente bereits Umsetzung gefunden haben. Diese Tatsache wird in einer Broschüre mit dem Titel markant: »Das kultursensible Krankenhaus«. Schon diese Überschrift macht deutlich, dass Krankenhäuser einen interkulturellen Auftrag haben, denn »Menschen mit Migrationsgeschichte haben […] Anspruch darauf, genauso gut versorgt zu werden, wie Patientinnen und Patienten ohne ausländische Wurzeln. Der Anspruch, dabei weltanschaulichen, soziokulturellen und religiösen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, spielt auch bei der Krankenhausbehandlung eine wichtige Rolle.«14 12 Ibn ‘Arabi, 1911, S. 19, S. 66–70 (Übersetzung aus dem Englischen A.S.). 13 Dabei können diese Dimensionen von religiösen Fragestellungen durchdrungen sein, so etwa ethische Fragen zu Lebensanfang und Lebensende, zur Deutung von Krankheit als Prüfung oder Strafe. 14 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2015, S. 12.

Seelsorge im religionspluralen Kontext

373

Das Sorge-Tragen gilt gerade auch diesen Menschen, also jenen, die oft genug in unserem System wenig beheimatet sind und somit viel Unsicherheit besteht. Der Auftrag ist einer zu gesellschaftlicher Teilhabe und Integration. Wie hoch der bereits bestehende »Grad der Kultursensibilität im Alltag der Krankenhäuser« ist, dies zu erfahren war Anliegen einer Befragung in Nordrhein-Westfalen im Juni 2012. Die Broschüre beschreibt ausgewählte Ergebnisse15 und Ansätze zur interkulturellen Öffnung16 (Handlungsempfehlungen), einschließlich zahlreicher Praxisbeispiele. Im Fazit heißt es, dass »die demographische Entwicklung der Migrationsbevölkerung wie auch die Globalisierung Kliniken in den nächsten Jahren vermehrt zwingen [wird], sich mit einer qualitativ guten und angemessenen Versorgung von Menschen anderer Herkunft auseinanderzusetzen«17. Der bundesweite Arbeitskreis »Migration und öffentliche Gesundheit« bezeichnet die interkulturelle Öffnung als Leitungsaufgabe, zugleich aber auch als eine Querschnittsaufgabe18. Alle Mitarbeitenden benötigten Kultursensibilität, gefördert durch kontinuierliche Fort- und Weiterbildung. Interkulturelle Öffnung wird somit auch im Bereich der klinischen Seelsorge anzusiedeln sein. Das »Handbuch Interkulturelle Öffnung«19 spricht von eben dieser Querschnittsaufgabe. Zugleich widmet es sich in drei Kapiteln den Positionen der Kirchen sowie der Caritas und der Diakonie. So schreibt David Schneider-Stengel: »Während sich das katholische Werk der Caritas aufgrund seines diakonischen Auftrages schon relativ früh um die Betreuung, Begleitung und Beratung der Migrantinnen und Migranten kümmerte, indem es Menschen 15 »Insgesamt lässt sich im Ergebnis der Befragung feststellen, dass Kultursensibilität erst in Ansätzen von ausdrücklicher strategischer Relevanz ist. Im praktischen Alltag der Krankenhäuser sind durchaus viele kultursensible Maßnahmen und Kompetenzen vorhanden, allerdings sind sie bislang kaum in eine Gesamtstrategie integriert« (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2015, S. 13). 16 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2015. Als zentrale Handlungsfelder der interkulturellen Öffnung werden benannt: Kommunikation (z. B. Hausinterner Dolmetscherdienst, Aus-, Fort- und Weiterbildung mit Hinweis auf die Notwendigkeit betriebsinterner Schulungen und auf Training in interkultureller Kompetenz), unterstützende Serviceangebote (z. B. Islamischer Besuchsdienst, Raum der Stille), Qualitätsmanagement (z. B. Dokumentation), Öffentlichkeitsarbeit (z. B. Internetauftritt in verschiedenen Sprachen) und Vernetzung (z. B. Kontakte zu Migrantenorganisationen) (S. 33 ff.). 17 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2015, S. 84. 18 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2015, S. 92. 19 Mayer/Vanderheiden, 2014.

IV

374

Andreas Stähli

ausländischer und nichtchristlicher Herkunft einstellte, tun sich auch gegenwärtig … die Gemeinden und Pastoral vor Ort eher schwer, mit der von kirchenamtlicher Seite formulierten Forderung nach interkultureller und auch interreligiöser Öffnung umzugehen.«20

IV

Vonseiten der Evangelischen Kirche und ihrer diakonischen Dienste und Einrichtungen gebe es vor allem in der Diakonie eine Vielzahl von Projekten, um die interkulturelle Öffnung voranzubringen, betont Andreas Lipsch. Herausfordernd sei, diese einem »Gesamtkonzept einzuschreiben«. Die Prozesse der Öffnung müssten zudem »mit anderen Change-Prozessen, vor allem hinsichtlich der Entwicklung einer ›diakonischen Kultur‹ oder eines ›evangelischen Profils‹ zusammengeführt werden«21. Die Evangelische Kirche sei »in ihrem Inneren pluraler geworden«. Das schließt an jene Ausführungen an, wie ich sie in der zweiten Bewegung im vorangehenden Kapitel zu charakterisieren versuchte. Menschen, so Andreas Lipsch, würden »kulturell und religiös zunehmend eigensinnig, fühlen sich mehrfach zugehörig, leben in bikulturellen, immer öfter auch bireligiösen Beziehungen und Familien«. Sie bildeten in sich selbst »kulturelle und religiöse Mehrfachidentitäten aus«22.

3 Interkulturelle Kompetenz als Teil seelsorglicher Kompetenz Nach Belok ist es Aufgabe der Seelsorgenden, Kompetenzen auf dem Gebiet der Interkulturalität und Interreligiosität zu entwickeln. Es gehe darum, einen Zugang zu dem ihnen Fremden zu gewinnen und einen gelingenden Umgang zu finden, auch »um Anwalt bzw. Anwältin der Angehörigen sein zu können«23 für ihre Anliegen, die im klinischen Alltag oftmals keinen Raum haben oder als irritierend und fremd erlebt werden. Er spricht von einer erforderlichen »Sensibilität der Seelsorgenden für die jeweiligen Besonderheiten und Ausdrucksformen der einzelnen Religionsgemeinschaften« und die verschiedenen »kulturellen Prägungen« der Menschen.24 In ihrem Beitrag »Kompetenzen, Haltung und ethisches Handeln Seelsorgender« nimmt Kerstin Lammer diese Notwendigkeit zu interkultureller und interreligiöser Kompetenz professionell Seelsorgender 20 21 22 23 24

Schneider-Stengel, 2014, S. 156. Lipsch, 2014, S. 181. Lipsch, 2014, S. 179. Belok, 2012, S. 107 f. Belok, 2012, S. 107 f.

Seelsorge im religionspluralen Kontext

375

auf, betont aber zugleich, dass dieser Kompetenzbereich in den Curricula der Aus-, Fort- und Weiterbildung »noch am wenigsten weit entwickelt« und daher »Weiterarbeit erforderlich« sei.25 Interkulturelle Kompetenz ist Teil seelsorglicher Kompetenz. Was aber ist genauer darunter zu verstehen? 3.1  Was ist transkulturelle Kompetenz?26 Im Mittelpunkt steht die Begegnung, steht Kommunikation und Beziehung. Transkulturelle Kompetenz stützt sich auf verschiedene Qualitäten, welche Anke Kayser als drei konzentrische Kreise begreift, deren Gemeinsames die Interaktion bildet. Es sind dies: Selbstreflexion und Empathie, eine fragende Haltung, Hintergrund- und Erfahrungswissen sowie die Fähigkeit, bestimmte Methoden und Instrumente (z. B. eine transkulturelle Begleitanamnese) im Umgang anzuwenden und auf Ressourcen (z. B. fremdsprachiges Informationsmaterial, Dolmetscherliste) zurückgreifen zu können.27 Wir sehen, dass ein Wissen um die Spezifika von Kulturen nur einen Teil der zu erwerbenden Kompetenz ausmacht. Dabei geht es jedoch nicht um rezeptbuchartige Kenntnisse, die in der Begegnung mit dem Einzelnen nur allzu leicht der Gefahr von Stereotypik unterliegt. Dennoch kann ein spezifisches Hintergrundwissen durchaus hilfreich sein, denn es vermittelt Sicherheit und Orientierung und erleichtert ein gezieltes Fragen. »Fachpersonen können und müssen nicht alles über z. B. religiöse Hintergründe und spezielle Rituale wissen.« Der lebendige Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern zu Gemeinden anderer Glaubensrichtungen und zu Migrantenorganisationen ist hier wichtig und hilfreich.28 Zugleich kann aber »die religiöse Alltagspraxis auch bei Menschen, die dem gleichen Glauben angehören«29, sehr verschieden sein. 3.2  Prinzipien kultursensiblen Zugangs Ein kultursensibler Zugang wird bestimmte Grundsätze beachten. ȤȤ Er ist stets orientiert am einzelnen Menschen und seiner Biografie im familiären und kulturellen System. Es geht also bei der Erfassung der Perspek25 Lammer, 2015c, S. 89 f. 26 In diesem Beitrag verwende ich vereinfachend die Worte »interkulturell« und »transkulturell« synonym. 27 Kayser, 2013, S. 10 ff. Vgl. dazu auch: Domenig, 2007, S. 165 ff. Vgl. Paal, 2012. 28 Vgl. Petery, 2017. 29 Kayser, 2013, S. 12 f.

IV

376

Andreas Stähli

tive der Patientinnen und Patienten darum, »individuell, biografiezentriert, systemorientiert« zu sein.30 ȤȤ Er ist nicht orientiert an kulturellen Stereotypen. Es gibt nicht die Muslima oder den Moslem, nicht die Hindu oder den Hindu,31 nicht die Christin oder den Christen usw. ȤȤ Er denkt prozesshaft, nicht statisch. Kulturen und Religionen sind dynamisch zu begreifen, nicht als erstarrte Gebilde. Dabei können sich zwischen den jeweiligen Theologien der Religionen und den kulturell-religiösen Überzeugungen der Einzelnen Spannungen zeigen (z. B. Krankheit als Strafe Gottes). 3.3 Themenfelder

IV

Das Bemühen um ein kultursensibles Verstehen und Erfassen der Patientinnen- und Patientenperspektive wird sich für die verschiedenen Berufsgruppen in einem Krankenhaus in zahlreichen Feldern bewegen.32 Genannt seien: ȤȤ Kommunikation33 ȤȤ Soziales Netz ȤȤ Migrations- und Integrationsbiografie ȤȤ Krankheitsvorgeschichte und aktueller Umgang mit Stress ȤȤ Ausdruck und Umgang mit Gefühlen ȤȤ Ernährung ȤȤ Pflege und Medizin, dazu gehören Symptombeobachtung und -behandlung, z. B. Schmerz ȤȤ Ethik und Religion ȤȤ Geburt, Sterben, Tod

30 Kayser, 2011. 31 Ein ausführliches Beispiel dazu in der Begleitung eines Bewohners aus Sri Lanka findet sich in: Stähli, 2011, S. 257 f. 32 Vgl. Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)/Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG)/Deutschen Krebshilfe (DKH), 2015. Vgl. im Blick auf spirituelle Kompetenz für Hospizbegleitung im Ehrenamt: Gratz/Roser, 2016. 33 »Es überrascht […] nicht, dass rund 42 % der befragten Krankenhäuser den größten Verbesserungsbedarf in der Versorgung von Patientinnen und Patienten hinsichtlich Sprache und Kommunikation sehen […]«; aus: Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2015, S. 14.

Seelsorge im religionspluralen Kontext

377

3.4  Das Fragen Professionell Seelsorgende sind gefordert, so Lammer, »in einer Offenheit des Fragens, Suchens, Klärens, Verstehen-Wollens auf andere Menschen zuzugehen, deren Bezugssysteme ihnen fremd sind«34. Fragen, das setzt Offenheit, Empathie und bisweilen Mut voraus zu allen Menschen zu gehen, gleich welcher Herkunft, Weltanschauung oder spirituell-religiösen Verortung; als jemand, der hört, der bereit ist für Begegnung, und wo gewünscht, zur Vertiefung im Ritual. Der Fragende hat nicht schon Antwort, hat keine Doktrin, weiß nicht schon im Voraus, wie etwas ist und zu sein hat. In der Haltung des Fragens wird »Kirche erfahrbar als Gemeinschaft der Suchenden«.35 In einer nachfolgenden Übersicht gebe ich für die Begegnungen eine Auswahl möglicher Fragen aus einigen der oben genannten Themenfelder36. Nicht alle sind direkt zu stellen. Manche sind aus der Beobachtung zu beantworten und/oder ergeben sich aus dem Gespräch. Manche Frage setzt gewachsenes Vertrauen voraus. Die meisten der Fragen können von allen Mitarbeitenden eines (interdisziplinären) Teams gestellt werden. 3.4.1 Kommunikation

Welche Muttersprache spricht die/der Erkrankte? Gibt es spezifische Kommunikationsregeln (z. B. kein Händedruck bei Begrüßung)? Wie werde ich in meiner Rolle als (christliche/r) Seelsorgerin oder Seelsorger gesehen, vielleicht auch im Blick darauf, Frau oder Mann zu sein? Sind Angebote von weiteren Hilfen (z. B. Dolmetscherdienste, Migrantenorganisation oder transkultureller Besuchsdienst) einzuholen? Gibt es Besonderheiten in der Körpersprache oder spezifische Verhaltensweisen (z. B. in Bezug auf den Umgang mit dem anderen Geschlecht)? Gibt es Dringlichkeiten nach dem Erstkontakt, die zuerst zu klären sind? 3.4.2  Soziales Netz

Wie ist die sprachliche Verständigung mit den Zugehörigen? Wer ist Hauptansprechpartner in der Familie (hohe Stellung in der Familienhierarchie und gute Deutschkenntnisse sind wichtige Kriterien)? Gibt es räumliche und zeitliche Grenzen der Station hinsichtlich der Besucherinnen und Besucher? 34 Lammer, 2016, S. 89. 35 Klessmann, 2013b, S. 350. 36 Vgl. dazu: Stähli, 2013, S. 30 ff., auch Beilagen. Kayser, 2011. Vgl. auch Domenig/Stauffer/Georg, 2007; Mazanec/Panke, 2016, S. 56 ff.

IV

378

Andreas Stähli

3.4.3  Migrations- und Integrationsbiografie

Welche Herkunft (geografische bzw. ethnische Bezeichnung) hat der erkrankte Mensch? Was ist seine Nationalität (im Rechtssinn die Staatsangehörigkeit)? Welcher Aufenthaltsstatus besteht? Wie prägend ist die Migrationsgeschichte (z. B. Kriegstraumata, Gewalterfahrungen)? Sein Weg und seine Erfahrung der Integration? Welche Werte und Überzeugungen bestehen? Gibt es damit verbundene besondere Umgangsformen (z. B. Tragen eines Amuletts)? 3.4.4  Krankheitsvorgeschichte und aktueller Umgang mit Stress

Welche Krisen in der Krankheit wurden schon vom erkrankten Menschen bzw. von den Zugehörigen durchlebt? Was haben sie im Umgang mit der Erkrankung bisher als stärkend, was als überfordernd erlebt? Gibt es aktuell stressauslösende oder stressreduzierende Faktoren? 3.4.5  Klinische Unterstützung und Symptomlast, Ausdruck von Gefühlen

IV

Welche Erwartungen oder Befürchtungen haben der erkrankte Mensch und seine Familie hinsichtlich des Klinikaufenthaltes? Welches Verständnis besteht generell von medizinischer Hilfe (z. B. ein eher paternalistisches)? Wie wichtig sind selbständige Entscheidungen für den Erkrankten? Gibt es individuelle Formen des Ausdrucks von Belastungen wie zum Beispiel in Schmerz, Angst oder Trauer (z. B. laute Klage, Verstummen)? Was ist die Rolle der Familie bei der Symptombewältigung? Wo kann sie stärken? 3.4.6 Religion

Sind im Kontext religiöser Gebote und Überzeugungen bestimmte Essensvorschriften und hygienische Regeln für den erkrankten Menschen zu beachten? Welche religiösen Überzeugungen hat der erkrankte Mensch (z. B. Jenseitsbilder; konservative oder liberale Einstellung)? Gibt es individuelle Krankheitserklärungen (z. B. Krankheit als Strafe, Sühne oder Bewährung37)? Worin bestehen die religiösen Wünsche des erkrankten Menschen (z. B. Gebet, Symbole)? Ist auf die Einhaltung bestimmter Gebote und den Vollzug bestimmter Rituale zu achten? Gibt es bestimmte Gebetszeiten und zentrale religiöse Festtage? Wie lauten ggf. die Kontaktdaten der Gemeinde bzw. der religiösen Gemeinschaft, in die der erkrankte Mensch eingebunden ist? Gibt es Einzelpersonen, die seelsorglich unterstützen?

37 Vgl. Zielke-Nadkarni, 2007, S. 195 ff.; vgl. Gün, 2017, S. 185 ff.

Seelsorge im religionspluralen Kontext

379

3.4.7  Sterben, Tod

Welche Informationen darf der erkrankte Mensch nicht erhalten (z. B. Information über den nahen Tod)? Wie ist aus kultursensibel-religiöser Sicht (im Kontakt mit dem betroffenen Menschen und den Angehörigen) mit der Sterbesituation und nach seinem Tod umzugehen? Soll die Bestattung im Herkunftsland erfolgen? Wird dazu Hilfe bei der Organisation benötigt? Schon aus der Haltung und aus dem Weg des Fragens wird deutlich, was transkulturelle Kompetenz in der Klinikseelsorge nicht ist. Sie kann und will nicht geistliche Hilfe durch Vertreterinnen und Vertreter anderer Glaubensgemeinschaften ersetzen. Sie ist kein Versuch zur Bekehrung, sondern geschieht im Geiste der Hospitalität und des mitmenschlichen Sorgetragens für die Patientinnen und Patienten und deren Familien. Länder wie zum Beispiel England oder Schottland kennen multi-religiöse Seelsorgeteams in Krankenhäusern.38 Die Zusammenarbeit fördert neben der Entlastung ein wertvolles Lernen voneinander. In Deutschland bestehen diese »Multi-faith chaplaincy teams« leider noch nicht. Auf der Homepage des Network for Pastoral, Spiritual and Religious Care in Health heißt es: »We champion … ȤȤ Equal access for patients and staff to spiritual, pastoral and religious care. ȤȤ Equal opportunity for all faith and belief groups to provide chaplaincy services and to have their chaplains and chaplaincy volunteers accepted by Trusts and hospitals. ȤȤ The strength of faith and belief communities working together to serve the spiritual, pastoral and religious care needs of all. ȤȤ The positive impact of spiritual, pastoral and religious care on patient experience and health outcomes.«39 Mit den beiden Chartas der Weltreligionen zum Recht schwerkranker Kinder sowie chronisch und unheilbar erkrankter alter Menschen auf palliative Versorgung gibt es zwei beeindruckende Beispiele eines kultursensiblen und religionspluralen Appells zur würdevollen Betreuung dieser vulnerablen Gruppe in der Gesellschaft. Gemäß dem Grundgedanken der Chartas haben diese Men-

38 Vgl. Roser, 2017d. 39 Network for Pastoral, Spiritual & Religious Care in Health (NPSRCH), 2019.

IV

380

Andreas Stähli

schen einen Anspruch auf eine achtsame seelsorgliche Begleitung ihres Glaubens und ihrer Kultur.40

4 Abschluss

IV

Krankenhausseelsorge wird in Deutschland primär von den beiden großen christlichen Kirchen angeboten. Um der zunehmenden kulturell-religiösen Vielfalt gerecht zu werden, werden Kompetenzen auf dem Gebiet der Interkulturalität und Interreligiosität benötigt. Kultursensible Gespräche und Begleitungen sind sensible Begleitungen und Gespräche, geschehen also in einer Haltung, wie sie allen Menschen gilt. Seelsorglich begegnen meint mitmenschlich begegnen, mit und vor aller kulturell-religiösen Prägung. Ich möchte schließen mit einer Überlegung zur Dankbarkeit. Sie ist ein hohes Gut, das alle Religionen kennen, ja, das alle Religionen hervorrufen und bei ihren Zugehörigen bewahren möchten. Wenn Seelsorge aus ihrer interkulturellen Öffnung diese in und aus der Begegnung findet, so ist das ein Glückendes aus tiefer Gemeinsamkeit. Und zeigt sich Dankbarkeit nicht auch im sogenannten weltanschaulich-neutralen Kontext als eine stärkende Kraft?

40 Charta der Weltreligionen für Palliative Care für Kinder: Fondazione Maruzza Lefebre D’Ovidio Onlus, 2015. Und Charta der Weltreligionen für Palliative Care für ältere Menschen: Fondazione Maruzza Lefebre D’Ovidio Onlus, 2017.

Rituale in der Krankenhausseelsorge

Andrea Bieler

1 Gespräch und Ritual Für viele Menschen werden Krankheitserfahrungen zum Anstoß, um Fragen zur Sprache zu bringen, die sich mit der Verletzlichkeit und der Endlichkeit des eigenen Lebens beschäftigen. Die Krankenhausseelsorge hat vor dem Hintergrund der klinischen Seelsorgeausbildung über viele Jahrzehnte das Gespräch als dasjenige Medium favorisiert, in dem tiefgreifende Lebensthemen, die in der Konfrontation mit dem Kranksein entstehen, hin- und hergewendet werden können. In diesen Zusammenhang gehört das Verhältnis von Autonomie und Abhängigkeit, also: Wie verstehe ich mein Person-Sein im Hinblick auf erlebte Bedürftigkeit und Abhängigkeit von anderen Menschen? Auch brechen Fragen nach dem Zusammenhang von Gestaltungsfähigkeit und Kontingenzerleben auf: Wie nehme ich mich als Handelnde wahr, wenn ich zugleich einen Kontrollverlust erlebe? Manchmal wird Ursachenforschung betrieben, um die Frage zu beantworten: Warum bin ich krank geworden? Oder es wird weiter gefragt: Was bedeutet diese Krankheit für mein Person-Sein in der Welt, für mich selbst, die Beziehung zu anderen und zu Gott? In Gesprächen am Krankenbett werden diese Themen diskursiv, also nachdenkend und deutend, oder narrativ verhandelt, indem die eigene Lebensgeschichte vor dem Hintergrund des Krankheitserlebens noch einmal neu erzählt wird. »Das helfende Gespräch gleicht einer Expedition, bei der die helfende Person den Klienten dabei unterstützt, sich selbst zu erkunden. Es bedient sich diskursiver sprachlicher Mittel, um den unmittelbaren Selbstausdruck des leidenden Menschen in ein strukturiertes, haltgebendes Selbst- und Wirklichkeitsverständnis zu überführen.«1 1 Lammer, 2013, S. 5.

IV

382

Andrea Bieler

Das Seelsorgegespräch am Krankenbett wurde gegenüber dem Gebrauch von Ritualen bis weit in die achtziger Jahre hinein favorisiert. Ritualen wurde nicht zugetraut, einen erhellenden Beitrag beim Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten von schwierigen Lebensthemen leisten und Selbstreflexivität in der Wahrnehmung von Beziehungsdynamiken fördern zu können.2 Dieser Vorbehalt gegenüber der rituellen Kommunikation wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten vielerorts überwunden. Dies hat mit einem gesteigerten Interesse an der phänomenologischen Dimension der Seelsorge zu tun, in der die Leiblichkeit, das kognitiv-emotionale Verstehen, die sensible Wahrnehmung von Räumen und Atmosphären sowie der sinnlich-ästhetische Umgang mit Symbolen als Medien ganzheitlicher Kommunikation in den Fokus kommen. Christoph Morgenthaler resümiert entsprechend:

IV

»Mit der Rehabilitierung kleiner liturgischer Formen in der Seelsorge scheint die Hoffnung verbunden, Einseitigkeiten der Entwicklung der Seelsorge auszugleichen: ihre theologische Spracharmut, ihre Leibvergessenheit, ihr Winkeldasein im intimen Raum ›unter vier Augen‹, ihr ästhetisch-liturgischer Dilettantismus.«3 Dabei muss es darum gehen, ein situationsgerechtes rituelles Handeln zu entwickeln, in dem die leiblich-seelischen Bedürfnisse kranker Menschen wahrgenommen werden, ihre Religiosität respektiert und der Bezug zu den Angehörigen und den Pflegenden hergestellt wird. Dies kann im Rückgriff auf klassische Rituale geschehen, die in der liturgischen Tradition zum Tragen kommen, wie z. B. die Taufe, das Abendmahl, die Aussegnung, das Gebet und die Krankensalbung. Diese Kontextsensitivität ist aber ebenso im Hinblick auf rituelles Handeln gefragt, das stärker innovative und experimentelle Elemente einbezieht. Zur angesprochenen Sensitivität gehört auch die Wahrnehmung des Zusammenspiels von Gespräch und Ritual im gesamten Seelsorgeprozess. Manchmal können Gebete Gespräche bündeln und eine weitere spirituelle Dimension eröffnen; Rituale wiederum können auch Anlass sein, den Gesprächsfaden noch 2 So berichtet beispielsweise Joachim Scharfenberg in seinem poimenischen Klassiker Seelsorge als Gespräch von dem mehrfachen erfolglosen Versuch einer Frau, mittels der Beichte von ihren quälenden Schuldgefühlen befreit zu werden. Scharfenberg drückt hier seine Skepsis gegenüber einer schädlichen zwanghaften Ritualpraxis aus. Vgl. Scharfenberg, 1991, S. 21–23. 3 Morgenthaler, 2007, S. 175. Die Abschwächung des Vorbehalts gegenüber Ritualen hatte auch mit dem Einfluss der Gestalt- und der systemischen Familientherapie zu tun, die der Arbeit mit Ritualen eine konstruktive Bedeutung im Hinblick auf die affektive Kommunikation im therapeutischen Prozess beimessen. Vgl. Welter-Enderlin, 2002 sowie Enzner-Probst, 2009, S. 200.

Rituale in der Krankenhausseelsorge

383

einmal neu weiterzuspinnen. Zugleich gibt es auch die Erfahrung, dass Beten einfach nur eine Flucht vor einer schwierigen Situation ist und entsprechend die Durcharbeitung von ambivalenten Lebenserfahrungen behindert.

2  Die theologische Deutung rituellen Handelns Rituale sollen im Folgenden als Sequenzen verstanden werden, in denen die Teilnehmenden eine zeitlich und räumlich strukturierte Handlungsabfolge durchlaufen. Dies kann (muss aber nicht zwangsläufig) unter Rückgriff auf ein vorgegebenes Ritualschema, wiedererkennbare Strukturen oder den geprägten Umgang mit Symbolen und Texten geschehen.4 Im religiösen Kontext wird durch Rituale die symbolische Ordnung einer Glaubensgemeinschaft hergestellt und auch für die Individuen ist religiöse Praxis oftmals rituell vermittelt. Rituale werden in den Seelsorgeprozess einbezogen, um einen wie auch immer gearteten Transzendenzbezug in die Fragebewegungen der Seelsorgesuchenden einzuzeichnen. Rituale, heilige Texte, Lieder und Symbole, die der christlichen Überlieferung entstammen, können dabei so dynamisiert werden, dass kranke Menschen sich angesehen, getröstet und bestärkt wissen: und zwar Auge in Auge – im Respekt vor der Singularität jeder einzelnen Lebensgeschichte. Singulorum habere respectum – Achtung/Respekt vor dem Einzelnen zu haben, so hat es Johannes Calvin formuliert, ist dabei ein wesentlicher Aspekt seelsorglicher Klugheit. Der Begegnungsraum, der in der Seelsorge durch Rituale und Gespräche geschaffen wird, ist belebt von dem Versprechen, dass Gott, der unser Trost im Leben und im Sterben ist, sich eben hier finden lassen will. In pneumatologischer Perspektive ist dieser Begegnungsraum durchwirkt vom Pulsieren göttlicher Kreativität, dem Wirken der Geistkraft, in der wir selbst im Sterben als Geschöpfe Gottes und damit als Möglichkeitswesen angesehen sind. Nach evangelischem Verständnis können sich alle Christ*innen in diesem Raum göttlicher Präsenz finden lassen und sich gegenseitig beistehen, in Gemeinschaft beieinander bleiben und ermutigen. Auch die Krankenhausseelsorge nimmt Anteil an diesem Versprechen, das die Gemeinschaft der Sorgenden belebt. Viele Rituale öffnen den intimen seelsorglichen Gesprächszusammenhang, der oftmals unter vier Augen stattfindet, hin auf eine Gemeinschaft, die Anteil nimmt. 4 In der Ritualwissenschaft wird kontrovers diskutiert, was eigentlich unter einem Ritual zu verstehen sei. Ich schlage hier einen offenen Ritualbegriff in Anlehnung an Ronald Grimes vor. Vgl. Grimes, 1990.

IV

384

IV

Andrea Bieler

Die Entdeckung des Möglichkeitssinnes und nicht nur die Affirmation und Ordnung des Bestehenden kann in der Ritualpraxis gefördert werden.5 Abgespaltenen und verdrängten Gefühlen kann in Ritualen eine äußerliche Gestalt gegeben werden; so kann es zur Verflüssigung festgefahrener Mechanismen kommen. Dies kann insbesondere dann geschehen, wenn die Teilnehmenden in Ritualprozessen aktiv in den Gebrauch von Symbolen mit eingebunden werden. Die Vieldeutigkeit von Symbolen kann Momente der Öffnung ermöglichen, in der sowohl die Kraft der Verbundenheit und des Bezogenseins als auch die Kraft der transformierenden Individuation erfahren werden können.6 Seelsorger*innen sollten in Seelsorgeprozessen angesichts von Krankheitserfahrungen sowohl für einen theologischen Realitätssinn einstehen als auch einen bestimmten Möglichkeitssinn vertreten. Im Zwischenraum von Realitäts- und Möglichkeitssinn werden sie zu Anwält*innen des Pathischen. Dies ist möglich, weil viele Rituale an Alltagserfahrungen und ‑praxen anknüpfen (z. B. an das Essen und Trinken sowie an die Reinigung und Pflege des Körpers) und diese zugleich transzendieren, ohne die Dimension der Leiblichkeit zu entkräften. Hier liegt auch die rituelle Kraft der Sakramente wie der Taufe und des Abendmahls, die auch in der Krankenhausseelsorge ihren Ort haben. Die leibliche Seelsorge wird durch die Medien von Brot, Wein, Wasser und Öl auf eine sakramentale Wirklichkeit hin geöffnet, in der sich Gemeinschaft mit Gott, Vergebung sowie spirituelle Wegzehrung im Horizont der Auferstehungsbotschaft vollziehen. Die Freilegungsbemühungen eines Möglichkeitssinns können im rituellen Handeln geschehen, in dem ein Überschuss oder ein Transformationspotenzial freigesetzt wird, das auf die Lebendigkeit des Lebens, die wir Gott nennen, selbst verweist: Eine Lebendigkeit, die sich in Krisen zeigt und erlebte Unbeweglichkeit und Erstarrung zu verflüssigen vermag. Dieser Überschuss ist in christlicher Deutungsperspektive zuallererst auf die Lebendigkeit Gottes bezogen. So in etwa kann das rituelle Handeln in der Krankenhausseelsorge theologisch gedeutet werden. Es hat ein besonderes Potenzial, das sich in folgenden Aspekten weiter ausführen lässt: Rituale entfalten sich im Raum des Pathischen; Rituale können eine symbolische Gestalt für die Oszillation von Körper-­Haben und Leib-Sein bieten; und Rituale haben ihren Ort in der Gestaltung von Übergangssituationen.

5 Diese Perspektive hat in der Seelsorgetheorie insbesondere Henning Luther entwickelt. Vgl. Luther, 1992, S. 228. 6 Vgl. Strecker, 2009.

Rituale in der Krankenhausseelsorge

385

3  Rituale im Raum des Pathischen Eine besondere Aufgabe der Krankenhausseelsorge besteht darin, den Raum des Pathischen offen zu halten.7 Mit dem Pathischen ist die Widerfahrnisqualität in der Erfahrung des Krankseins angesprochen, die sich beispielsweise im Getroffen-Werden von einer Diagnose oder im Überschwemmt-Werden vom Schmerz zeigt. Krank zu werden hat auch meistens mit der Erfahrung des Widrigen zu tun, mit dem, was gegen den eigenen Willen und ohne eigenes Zutun geschieht. Die Rede vom Krankwerden als Widerfahrnis bedarf einer Rede im Es, das vom Mir bzw. Mich durchdrungen ist. Nur so ist Subjektivität in der Sphäre des Pathischen darstellbar. Es werden nicht Agierende, sondern viel eher Getroffene vorgestellt, die antworten. Das Pathische entzieht sich der Beschreibung von Kausalität und Intention, es stört den Aufbau in sich kohärenter Sinnsysteme. In der erzählten Welt des Krankseins ist es als Spur zu finden, das auf die Logosstruktur (was wir wissen) und auf die Ethosdimension (was wir wollen oder sollen) einwirkt. Krankenhausseelsorger*innen sind Anwälte des Pathischen in einer Institution, die ganz von der Logifizierung von Krankheiten im Problemlösungsmodus bestimmt ist und in der es darum geht, Krankheiten zu diagnostizieren, zu behandeln und zu heilen. Der Fokus liegt also auf der Aktion. Beide Logiken, die des Pathischen und die der Logifizierung, sind notwendig und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Rituale können diesen Zwischenraum von Aktivität und Passivität auf besondere Weise beleben und Antwortversuche bereithalten. Der Kontrollverlust im Widerfahrnis ist insbesondere in der Tradition der Klagepsalmen festgehalten. Die Psalmen bieten einen großen Schatz an leiblich-expressiven Bildern, die dem Widerfahrnis des Krankseins auf poetische Weise eine Sprache verleihen. Klagepsalmen des Einzelnen sind Ausdrucksformen, in denen Widerfahrnisse auf eine Weise in Sprache gefasst werden, die einen Raum auch für das Unaussprechliche eröffnen. Sie fassen die Erfahrung des Überschwemmt-Werdens, des Kontrollverlustes und der Angst ebenso in Worte wie die menschliche Fähigkeit, sich inmitten der Krise in ringender Weise an Gott zu wenden und wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Das Beten von Psalmen ist ein Ritual, das in religiöser Weise auf das Krankwerden antwortet. Dabei geht es um eine Antwort, die sich der Widerfahrnisqualität des Krankwerdens gegenüber nicht verschließt. Isolde Karle plädiert dafür, Glauben als 7 Vgl. Bieler, 2017, S. 121–182.

IV

386

Andrea Bieler

»die Kraft zum Verzicht auf Sinndeutung in religiöser Hinsicht [zu verstehen]. Viele Psalmen sprechen deshalb angesichts schwerer Krankheit eine Einladung zur Klage aus. Die Beter der Psalmen erklären die Krankheit nicht, sie klagen vielmehr über ihre schmerzvolle Lage, mit der sie sich nicht zu arrangieren gedenken.«8

IV

Eine andere wichtige Dimension rituellen Handelns im Raum des Pathischen ist das gestaltete Schweigen. Es sollte in einer Haltung gründen, die Steve Nolan als »Hopeful Presence« beschrieben hat.9 Hierbei geht es um eine leibliche Präsenz der Seelsorger*in (being there), die gerade nicht den Aktionsmodus bedient, sondern sich im Mitfühlen (being with) zeigt. Im gemeinsamen Schweigen kann sich eine bestimmte Weise der Verbindlichkeit entwickeln, in der sich die Seelsorger*in verfügbar macht, sodass Menschen, die mit dem Widerfahrnis des Krankseins ringen, sich wahrgenommen wissen können. Diese Formen der Präsenz stellen bereits eine Antwort auf die Erfahrung von Kontrollverlust, das Zusammenschrumpfen der Welt in der Schmerzerfahrung sowie das Zerbrechen von Sinngefügen dar. Seelsorger*innen stellen sich im Schweigen und in den Klagegebeten als pathische Zeug*innen zur Verfügung und stellen so eine Öffentlichkeit her, in der Schmerz zwar nicht geteilt werden kann, Menschen jedoch die Erfahrung machen können, ernst- und wahrgenommen zu werden und nicht allein zu sein.

4  Rituale und Leiblichkeit In Krankheitserfahrungen verdichtet sich die spannungsvolle Dynamik von gegenständlichem Körper-Haben und spürbarem Leib-Sein. Rituale in der Seelsorge haben das Potenzial, dieser Dynamik, die in der Routine des Alltags oft unthematisiert bleibt, einen Ausdruck zu verleihen. Mit dem Begriff des Körper-Habens wird in der neueren Leibphänomenologie jene objekthafte Qualität bezeichnet, die Menschen erleben, wenn sie z. B. dem ärztlichen Rat folgend angeschwollene Lymphknoten beobachten oder betasten und sich so in gewisser Weise zum Objekt der eigenen Erforschung machen. Im Horizont eines biomedizinischen Krankheitsverständnisses verstärken Ärzt*innen durch Diagnosen und Therapien in ihren Patient*innen den Körper-Haben-Modus. Diese Objektivierung des Körpers ist eine Form profes8 Karle, 2009, S. 32 f. 9 Vgl. Nolan, 2011. Auf Nolans Überlegungen verweist auch Traugott Roser in seinem instruktiven Beitrag. Vgl. Roser, 2014, S. 222.

Rituale in der Krankenhausseelsorge

387

sioneller Zuwendung, die zu Schmerzlinderung, dem Kurieren von Krankheiten oder gar zur Rettung von Leben beitragen kann. Es gibt aber auch den Kältepol in der Wahrnehmung des Körper-Habens. Dieser wird oftmals in der Seelsorge zur Sprache gebracht, wenn Patient*innen z. B. das Gefühl haben, nicht gehört und zum Fall degradiert zu werden. In die verschiedenen Facetten der Erfahrung des Körper-Habens mischt sich das gespürte Leib-Sein. Im leibeigenen Spüren ist die Affektivität, also die Gefühlswelt, eingebettet. Diese wird in der erzählten Welt des Krankseins in Bilder und Metaphern eingelassen, in denen etwas beschrieben wird, was nur schwerlich direkt ausgedrückt werden kann. Das gespürte Leib-Sein kann sich als verunsicherndes Empfinden zeigen, indem der Leib als unbekanntes oder gar bedrohliches Terrain erlebt wird. Dies ist oftmals der Fall, wenn Menschen mit einer Krebsdiagnose konfrontiert werden, obwohl sie sich subjektiv als gesund erleben. Oder wenn eine bestimmte Krankheit mit somatischem Kontrollverlust einhergeht, wie z. B. Kurzatmigkeit, Herzrasen oder Inkontinenz. Im Angesicht von metastasierenden Zellen wird der Körper oftmals als Feind beschrieben. In diesem Prozess wird paradoxerweise das, was als fremd erfahren wird, zugleich in intensiver Weise als leibeigenes, als dazugehörig wahrgenommen. Der Medizinanthropologe Hermann Plügge drückt das so aus: »Was sich in uns zu entfremden droht, vermittelt uns vermehrt, ja unter Umständen überhaupt erst die Erfahrung, es sei ja unser Eigenes. Es gehört zum widersprüchlichen Charakter unserer Leiblichkeit, daß ein Sich-­ bemerkbar-machen, ein Sich-entfremden sich nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig geradezu fordern.«10 Hier taucht wiederum die pathische Dimension im Krankheitserleben auf, sie kann den Schatten eines sich selbst Fremdwerdens im Leibkörper produzieren, der die Getroffene heimsucht. Dieser Schatten oszilliert zwischen Entfremdungserfahrung und Intimität. In diesen komplexen Oszillationen von Körper-Haben und Leib-Sein können Rituale dem, was nur schwer direkt verbal ausgedrückt werden kann, eine symbolische Gestalt geben. Hier entsteht eine Bruchstelle, an der Menschen sich als besonders verletzlich und vermutlich auch schutzbedürftig empfinden. Rituell vermittelte Berührungen beim Segnen, in einer Salbungshandlung sowie beim Gebet können hier heilsame Kräfte entfalten, da die Berührung 10 Plügge, 1967, S. 63.

IV

388

Andrea Bieler

oftmals als eine wesentlich intensivere Geste der Zuwendung empfunden wird, als es Worte vermögen auszudrücken: »Taktile Reize be-rühren so tief, weil sie als Orte des Leibgedächtnisses an ursprüngliche Erfahrungen von Angenommensein oder Ablehnung, von Wärme oder Kälte, von Weich- oder Hartsein, von Wohligkeit oder Schmerz erinnern.«11

IV

In der Berührung kann die Spannung zwischen Körper-Haben und Leib-Sein auf heilsame Weise zusammengehalten werden. Berührungen müssen aber sorgsam und verantwortungsvoll eingesetzt werden, damit Menschen diese nicht als Grenzüberschreitung oder Manipulation erleben. Dies bedarf einer rituellen Sensibilisierung im Hinblick auf soziale Marker, in denen sich ein Machtgefälle ausdrückt. So können Berührungstabus im Hinblick auf Gender, interkulturelle Differenzen oder Altersunterschiede bestehen, die unbedingt respektiert werden sollten. Entsprechend kann es beispielsweise beim Segnen angebracht sein, den Kopf oder die Stirn eines Menschen nicht zu berühren.

5  Rituelle Begehung von Übergängen Eine weitere wichtige Funktion von Ritualen in der Krankenhausseelsorge besteht in dem Begehen von Übergängen, die insbesondere rund um die Geburt und das Sterben bzw. den Tod existieren. Victor Turner und Arnold van Gennep haben sich in ihren Klassikern zu Übergangsritualen mit der Bedeutung des rituellen Begehens von lebensgeschichtlichen Schwellen beschäftigt. Van Gennep konstatiert: »Es ist das Leben selbst, das die Übergänge von einer Gruppe zur anderen und von einer sozialen Situation zur anderen notwendig macht. Das Leben eines Menschen besteht somit in einer Folge von Etappen, deren End- und Anfangsphasen einander ähnlich sind: Geburt, soziale Pubertät, Elternschaft […].«12 In diesen Erfahrungshorizont gehört nun zweifelsohne auch die Erfahrung mit dem Eintritt ins Krankenhaus aus der Welt der Gesunden in die Erfahrungswelt 11 Naurath, 2007, S. 155. 12 Gennep, 1986 (1909), S. 25.

Rituale in der Krankenhausseelsorge

389

der Kranken zu wechseln. Turner unterscheidet im Rückgriff auf van Gennep mit Blick auf Übergangsriten drei Phasen.13 Zu Beginn steht die Ablösungsphase, in der Ritualmitte entfaltet sich die liminale Umwandlungsphase, den Abschluss bildet die Eingliederungsphase, die wieder in den Alltag zurückgeleiten soll. In der Ablösungsphase wird die zu erwartende Veränderung antizipiert und verbal bzw. symbolisch zum Ausdruck gebracht; auf diese Weise wird der Ritualraum eröffnet. Die zweite Phase ist die Schwellenphase, die von Verwandlung und Übergang gekennzeichnet ist; hier können Konfusion, Verwirrung und Klage ebenso wie fragile Hoffnungen ausgedrückt werden, in denen die Zukunft noch ungewiss erscheint. Ebenso werden neue Identitäten probeweise bruchstückhaft zum Ausdruck gebracht. Im rituellen Dramatisieren werden die Veränderungen und Unsicherheiten sozusagen auf die Bühne gehoben und verdichtet. Während der liminalen Phase befinden sich die Individuen in einem mehrdeutigen Zustand. Die Zuordnungsmechanismen, mit denen im Alltag hantiert wird, werden aufgehoben. Die Individuen besitzen weder alle Eigenschaften ihres vorherigen Zustandes noch solche des zukünftigen – sie sind betwixt and between. Kranke Menschen erleben diesen Zwischenraum in der Sonderwelt des Krankenhauses. Der Krankenhausaufenthalt impliziert Spuren einer liminoiden Situation. Patient*innen erleben einen Statuswechsel, sie wechseln aus der Welt der Gesunden in die Welt der Kranken; dies wird je nach Diagnose und Verarbeitungsmechanismen auf unterschiedliche Weise erlebt. Während allerdings bei Turner die liminale bzw. die liminoide Phase durch Freiheit, Regellosigkeit und Außerkrafttreten alltäglicher Machtverhältnisse gekennzeichnet ist, wird der Krankenhausaufenthalt oftmals mit dem Entzug von Freiheit, fremdbestimmten Tagesrhythmen und manchmal Entmündigung verbunden. Zugleich erleben viele Patient*innen eine gewisse Porosität bzw. Verletzlichkeit, die mit der Außeralltäglichkeit verbunden ist. Liminalität nimmt dagegen definitiv in den Situationen Gestalt an, in denen es um den Beginn des Lebens, um das Sterben und den Tod geht. Da der Krankenhausaufenthalt selbst all diese Charakteristika einer Schwellensituation haben kann, können Übergangsrituale eine symbolische Ausdruckskraft entfalten. Passgenaue Rituale, die die Narrative der Kranken und der Angehörigen aufgreifen, vertiefen, erweitern und so neu rituell zur Sprache bringen, können der verunsichernden Schwellensituation in hilfreicher Weise eine symbolische Gestalt geben. Victor Turner spricht davon, dass in diesen Schwellenphasen oftmals spontane, zeitlich begrenzte Gemeinschaftsformen entstehen, die 13 Turner, 1995.

IV

390

IV

Andrea Bieler

er Communitas nennt. Insbesondere die existenzielle Communitas kann sich in abgeschwächter Form im Krankenzimmer ereignen, wenn sich das Personal, die Seelsorger*in, die Angehörigen und die Kranken im Ritual gemeinsam aufeinander und auf einen Transzendenzhorizont einlassen. Die dritte Phase ist die Eingliederungs- oder Reintegrationsphase. Diese Phase ist geprägt vom Übergang in einen neuen Zustand. Sie kann in der Rückkehr in das alte Leben bestehen, in der die Krankheitserfahrung allerdings unaufgebbar eingeschrieben ist; sie kann aber auch in der Vorbereitung auf das Sterben und den Tod bestehen. Die Aussegnung einer verstorbenen Person kann als ein klassischer Übergangsritus betrachtet werden. In einer Vorbereitungsphase wird mit den Angehörigen der Ablauf des Ritus besprochen. Dies ist schon Teil der Trennungsphase, weil nun realisiert werden muss, dass die Person, die eventuell zuvor begleitet wurde, jetzt tot ist.14 Im Ablösungsteil des Abdankungsritus müssen klare Worte gefunden werden, die ausdrücken: Der Tote ist tot. Die physische Konfrontation mit dem Leichnam ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der Loslösung. Versammelt sich eine kleine Gemeinschaft um das Bett, auf dem der Verstorbene aufgebahrt wurde, geht es um zweierlei: Der Tote wird auf der Reise, die nun vor ihm liegt, ein Stück des Weges begleitet und die Hinterbliebenen müssen beginnen, den Verlust zu realisieren und Trost suchen. Zu Beginn muss also nach einer einleitenden Formel der Anlass noch einmal klar genannt werden. Versammeln sich Familie und Freund*innen um das Totenbett, so wird im Vollzug der zweiten Phase im Schwellenraum schon deutlich, dass durch die Gemeinschaft ein Riss gegangen ist; der Tod bringt eine Unordnung, die vieles hervorbringen kann: Verzweiflung und Erleichterung, Dankbarkeit oder Wut. In der Überleitung zur zweiten Phase kann ein Lied gesungen werden, das dem Verstorbenen wichtig war. Es folgen z. B. ein Gebet, eine Psalmlesung und eine Phase des Schweigens. Wenn möglich kann die kleine Aussegnungsgemeinde im Gebet gemeinsam benennen, wofür man dankbar ist, was nicht so gut lief, und darum bitten, das Fragmenthafte und Schuldbesetzte annehmen zu können. In die Schwellenphase gehört auch der Valetsegen, der dem Toten gespendet wird und an dem die Anwesenden anteilhaben. Dabei wird der tote Körper noch einmal berührt. In dieser Geste der Zuwendung zeigt sich die Spannung von Abwesenheit und Anwesenheit. Es ist wichtig, dass in einer Aussegnung die dritte Phase eindeutig markiert wird, indem die Liturg*in sich den Anwesenden in der Fürbitte um Beistand und Trost zuwendet und einen Segen spricht, in dem das göttliche Geleit auf dem Weg, der vor den Trauernden liegt, zugesprochen wird. 14 Vgl. Wagner-Rau, 2015, bes. S. 55–74.

Die Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus Michael Klessmann

1 Problemstellung1 Seelsorge als kirchliches Handeln wird im modernen, naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten Krankenhaus als Fremdkörper wahrgenommen. In der schulmedizinischen Logik, die bestimmt ist von objektiv nachweisbaren Ursache-Wirkungs-Relationen, hat ein religiös fundiertes Wirklichkeitsverständnis keinen Platz. Dass es trotzdem verbreitet Seelsorge im Krankenhaus gibt, ist als Erbe der langen christlichen Tradition speziell in den westeuropäischen Gesellschaften zu verstehen; diese Tradition findet ihren rechtlichen Niederschlag im Artikel 141 der Weimarer Verfassung bzw. des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Danach haben die Religionsgesellschaften das Recht, in »öffentlichen Anstalten« Gottesdienst und Seelsorge auszuüben, sofern das Bedürfnis danach besteht. Auf der Basis dieser rechtlichen Garantie haben die großen Kirchen in Deutschland, angestoßen durch die Seelsorgebewegung der 1970er-Jahre, eine professionelle Krankenhausseelsorge aufgebaut,2 die einerseits von vielen Kliniken, Mitarbeitenden und Patienten gewünscht wird und Anerkennung findet, andererseits bei anderen auch auf Skepsis und Ablehnung stößt. Weil sich Seelsorge in aller Regel in der Trägerschaft der Kirchen und nicht des Krankenhauses befindet, hat sie die Chancen und die Schwierigkeiten einer distanzierten Loyalität: Einerseits ist ein gewisses Maß an Loyalität unverzichtbar, um sich in diesem fremden System überhaupt sinnvoll bewegen zu können, andererseits ermöglicht die innere und strukturelle Distanz einen engagiert-­ kritischen Blick auf das, was im Krankenhaus geschieht. Für die Seelsorge stellt sich damit die Frage, in welchem Ausmaß es ihr wichtig ist, ihre religiös 1 Vgl. auch Klessmann, 2017b. 2 Zu den gegenwärtigen Rahmenbedingungen von Krankenhäusern und Krankenhausseelsorge in Deutschland vgl. Mader, 2017.

IV

392

Michael Klessmann

fundierte Fremdheit und Widerständigkeit im Krankenhaus zu bewahren und zu nutzen oder sich im Gegenteil mehr an institutionelle Logik und Betriebsabläufe anzupassen und damit ihre Fremdheit tendenziell aufzugeben. Natürlich handelt es sich nicht um ein reines entweder – oder, bestimmte Tendenzen in die eine oder andere Richtung sind jedoch auszumachen. Diese Fragestellung wird auch als Frage nach der prophetischen Dimension der Seelsorge im Krankenhaus erörtert.

2  Wie verortet sich Seelsorge im Krankenhaus?

IV

Die Beantwortung der genannten Fragestellung hängt davon ab, wie sich Seelsorge im Krankenhaus verortet, welches kirchlich-theologische Selbstverständnis sie mitbringt. In der traditionellen Seelsorge, die sich an einzelne kranke Menschen wendet, liegt der Fokus auf der Austeilung der Sakramente (katholisch) und/oder der Verkündigung des Wortes Gottes an die Einzelnen (evangelisch); hier ist die Fremdheit selbstverständlich gegeben, sie wird aber nicht ausdrücklich reflektiert und bleibt im Blick auf das Krankenhaus und seine Abläufe beziehungslos. Mit der Ausweitung einer Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge seit den 1970er-Jahren richtet die Seelsorge ihre Aufmerksamkeit auch auf die Mitarbeitenden und die Institution als Ganze; sie agiert im »Zwischenraum«3 von Kirche und Krankenhaus. Damit ist eine gewisse Marginalisierung der Seelsorge festgeschrieben, die aber auch die Chancen der kritischen Distanz enthält. Dem suchen andere Autoren zu entgehen, indem sie Seelsorge in die Leitungsstrukturen des Krankenhauses einbinden wollen. Alfred Jäger schreibt: »Seelsorge ist Hege und Pflege der Seele und des Geistes, der Ethik und Kultur, der Spiritualität und Religiosität des diakonischen Unternehmens.«4 Seelsorger*innen fungieren gewissermaßen als Spiritual*innen für die Institution. Sie repräsentieren in diesem Konzept einen eigenständigen Dienstleistungsbereich (Christoph Schneider-Harpprecht spricht von Systembegleitung), der in Leitbild und Unternehmensverfassung verankert ist; ob es ihnen mit dieser Einbindung allerdings gelingt, ein gewisses Maß an Fremdheit und Widerständigkeit in der Institution zu bewahren, ist eine wichtige Frage. Ein solches Konzept ist nur in kirchlichen Krankenhäusern realisierbar; außerdem ist angesichts der geringen Personalpräsenz der Seelsorge im Kran-

3 Vgl. ausführlicher Klessmann, 2013a, S. 16 ff. 4 Jäger, 2000.

Die Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus

393

kenhaus5 zu fragen, in welchem Maß eine weitergehende Integration gelingen kann. Gegenwärtig versteht sich Seelsorge in zunehmendem Maß als spiritual care. Hier stellt sich die Frage, ob Seelsorge mit dem Verlust eines kirchlich-konfessionellen Profils zugunsten einer allgemeinen Spiritualität eine kritisch-prophetische Funktion beibehalten will oder nicht.

3 Was kann eine prophetische Dimension der Seelsorge im Krankenhaus bedeuten? Drei kurze Fallbeispiele: Ein über 80–jähriger Patient zeigt sich nach der Amputation seines rechten Beines jammernd, vorwurfsvoll und aggressiv; er betätigt die Klingel sehr häufig, sodass das Pflegepersonal seinerseits auf ihn ärgerlich wird und sein Zimmer nach Möglichkeit meidet. Der Krankenhausseelsorger, der den Patienten von einem langen Gespräch her kennt und seine Verzweiflung über die Amputation erlebt hat, erfährt von dem negativen Kreislauf zwischen Patient und Personal, und bittet die Stationsleitung, bei einer Übergabe ein kurzes Fallgespräch zu diesem Patienten anzusetzen. Hier können die Pflegenden ihren Ärger auf den Patienten zum Ausdruck bringen, der Krankenhausseelsorger wiederum erzählt von der schwierigen Lebenssituation des alten Mannes, sodass auf Seiten der Pflegenden das Verständnis für ihn wächst. Die Lage auf Station entspannt sich danach deutlich. Eine bettlägerige Patientin auf der Geriatrie erzählt der Krankenhausseelsorgerin, dass sie nach ihrem Klingeln schon öfter lange darauf warten musste, bis ihr Schwester R. die gewünschte Bettpfanne brachte, und dass sie anschließend auch wieder lange ausharren musste, bis sie davon erlöst wurde. Die Seelsorgerin spricht Schwester R. auf das Gehörte an: Schwester R. reagiert verlegen, sie hätten im Moment extrem viel zu tun und besagte Patientin sei auch eine schwierige Patientin, aber sie wolle in Zukunft mehr darauf achten, möglichst schnell auf deren Klingeln zu reagieren. In einem psychiatrischen Landeskrankenhaus gibt es vonseiten des Personals den Wunsch, Ethikberatung in der Klinik zu etablieren. Als die Angelegenheit an den 5 Im Jahr 2014 gab es in Deutschland insgesamt 1980 Krankenhäuser mit ca. 860.000 Vollzeitkräften, die ca. 19 Millionen Menschen stationär versorgt haben (nach Simon, 2017, S. 211 ff.) Dem stehen in den großen Kirchen etwa 2000 Vollzeit-Kräfte und viele Ehrenamtliche in der Seelsorge gegenüber.

IV

394

Michael Klessmann

Vorstand herangetragen wird, übernimmt der die Sache und will nun seinerseits top – down seine Vorstellungen von Ethikberatung implementieren. Die Mitarbeitenden fühlen sich mit ihren Vorstellungen und Wünschen übergangen. Die Krankenhausseelsorgerin, die im Kontakt mit vielen Mitarbeitenden ist und schon in einem Arbeitskreis Ethikberatung mitgearbeitet hat, wird bei dem als ruppig bekannten Vorstand vorstellig, weist auf die Wünsche und Vorarbeiten der Mitarbeitenden hin und bittet dringend, diese zu berücksichtigen und einen gemeinsamen Prozess bottom – up in Gang zu setzen.

IV

Das Stichwort von der prophetischen Haltung bezeichnet eine kritische, widerständige Einstellung im Blick auf einen konkreten Kontext. Der Prophet wird verstanden als der Mahner und Warner, als jemand, der im Auftrag Gottes unter die Oberfläche der Dinge sieht, Ungerechtigkeiten aufdeckt und Partei nimmt für die Armen und Schwachen. Prototypisch ist an die Figur des Nathan zu denken (2 Sam 12), der vor den König tritt und ihn mit seinem eigenen Unrecht konfrontiert. Im Hintergrund steht eine bestimmte Gottesvorstellung: Der Gott, von dem in beiden Testamenten die Rede ist, tritt nicht als letzte Energie oder alles umfassender Sinnhorizont in Erscheinung, sondern als der, der auf Seiten der Armen, Schwachen und Marginalisierten steht und zur compassion mit ihnen aufruft. Sicherlich kann eine widerständige Haltung der Seelsorge heutzutage nicht mehr einen unmittelbaren Auftrag Gottes für sich in Anspruch nehmen (deswegen erscheint mir das Adjektiv prophetisch zunehmend problematisch); aber sie kann aus der eigenen Fremdheit heraus andere Perspektiven in die verschiedenen Diskurse im Krankenhaus einspielen und damit zu neuer Aufmerksamkeit und verändertem Abwägen anregen. Seelsorge ist von ihrer kirchlichen Trägerschaft her nicht in die Hierarchie des Krankenhauses eingebunden, unterliegt nicht ärztlicher oder pflegerischer Weisungsbefugnis. Diese Anstellungsmodalitäten ermöglichen der Seelsorge große Freiheit, die sie im Sinne einer Anwaltschaft und Parteinahme für die jeweils Schwächeren in der Institution nutzen kann. Gleichwohl braucht Seelsorge zunächst eine genaue Wahrnehmung der Situation des modernen Krankenhauses und seiner zugrunde liegenden Philosophie: Die naturwissenschaftlich-technische Orientierung, die Merkmale einer großen, hierarchisch strukturierten, nach ökonomischen und medizinischen Prioritäten arbeitenden Institution, die Sachzwänge, denen Personal und Patienten unterworfen sind, die vorhandenen vielfältigen Strategien zu einer angemessenen Patientenorientierung6 muss Seelsorge kennen. 6 Vgl. Hoefert/Härter, 2010.

Die Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus

395

Auf der Basis einer solchen, quasi empathischen Wahrnehmung und teilweisen Identifikation ist es dann auch möglich, die jeweilige Fremdheit zwischen der Institution Krankenhaus und der Seelsorge produktiv zu nutzen. »Begegnung mit dem Fremden führt zur Begegnung mit sich selbst«, formuliert der Religionswissenschaftler Theo Sundermeier.7 Wie kann das konkret Gestalt gewinnen?

4 Konkretionen einer widerständigen Seelsorge im Krankenhaus Johann Baptist Metz formuliert: »Kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung. Erste Kategorien der Unterbrechung: Liebe, Solidarität, die sich Zeit nimmt […] Erinnerung, die nicht nur das Gelungene, sondern das Zerstörte, nicht nur das Verwirklichte, sondern das Verlorene erinnert […]«8. Seelsorge als eine Form religiöser Kommunikation unterbricht allein durch ihre Präsenz in der naturwissenschaftlich-technisch bestimmten Institution die selbstverständliche medizinisch-pflegerische Logik und deren Sachzwänge. Sie bringt zum Ausdruck, dass ein Mensch mehr ist als ein kranker Organismus; sie sieht ihn als ein von Gott geschaffenes Geheimnis mit einer unverlierbaren Würde. Begegnung und Behandlung des kranken Menschen und der Behandelnden untereinander sollten aus dieser Grundeinsicht unbedingten Respekt und Wertschätzung gewinnen. In der Umsetzung einer solchen Grundeinsicht für die Seelsorge lassen sich mehrere Aspekte unterscheiden: 4.1  Ein anderes Krankheitsverständnis Die Grundlagen moderner Medizin sind letztlich immer noch cartesianisch geprägt im Sinn einer Trennung von Körper und Geist: Krankheit wird als somatische Dysfunktion diagnostiziert, als Abweichung des Organismus von einer empirisch erhobenen normalen Funktionsfähigkeit; sie wird auf diesem Weg objektiviert und entsubjektiviert. Die Klage mancher Patienten über mangelnde menschliche Anteilnahme und Zuwendung im Krankenhaus beruht 7 Sundermeier, 1996, S. 128. 8 Metz, 1984, S. 150 f.

IV

396

Michael Klessmann

also, neben möglichen individuellen Faktoren, auf einem Strukturmerkmal moderner Medizin. Seelsorge vertritt demgegenüber einen relationalen Krankheits- und Gesundheitsbegriff, demzufolge körperliche Störungen immer im Zusammenhang mit den Beziehungen eines Menschen in und zu seinem jeweiligen sozialen und ökologischen Umfeld stehen. Zwar sind die Erfolge des biomedizinischen Krankheitsmodells enorm, trotzdem greifen sie in der konkreten Behandlung einzelner Kranker oft zu kurz, weil es doch um die Behandlung kranker Menschen und nicht nur ihrer kranken Organe gehen muss. Die Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus kann sich darin äußern, dass sie solche theologisch begründeten, aus der Psychosomatik vertrauten Zusammenhänge immer wieder beharrlich ins Spiel bringt, nicht nur in der Zusammenarbeit mit Ärzt*innen und Pflegenden, sondern auch in Gesprächen am Krankenbett. 4.2  Ein erweitertes Menschenbild

IV

Im Hintergrund der Differenz im Krankheitsverständnis stehen unterschiedliche anthropologische Vorstellungen: Auf der einen Seite im cartesianischen Paradigma der menschliche Körper als reparable Maschine bzw. als gestörtes und zu entstörendes Regelkreissystem – eine Vorstellung, die zur Grundlage für die Behandlungserfolge der sog. Schulmedizin wurde;9 auf der anderen Seite in der christlichen Anthropologie der Mensch als Beziehungswesen (zu sich selbst, zu anderen, zur Mitwelt und zur Transzendenz), dessen Leben gelingen kann im »Angesprochenwerden« (Martin Buber). Menschliches Leben ist grundlegend abhängiges Leben, der Mensch kann seine Identität nicht selbst herstellen, er verdankt sich einem Größeren seiner selbst; er muss lernen, sein Leben in der Spannung von Abhängigkeit und Bestimmung zur Freiheit in der Bezogenheit auf andere zu gestalten. Sein Leben ist und bleibt fragmentarisch – was sich u. a. darin zeigt, dass Krankheit, Leiden und Schmerz unvermeidlich Bestandteile des Lebens und nicht deren Gegenteil (!) – sind. Gesundheit kommt dann nicht primär als Leidensfreiheit in den Blick, sondern als »Kraft zum Menschsein« (Karl Barth), als Fähigkeit, auch im Leid in Beziehungen bleiben zu können und sich darin mit möglichem Sinn und Sinnlosigkeit der Krankheitserfahrung auseinanderzusetzen.

9 Vgl. auch Eurich, 2009.

Die Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus

397

4.3  An das Verlorene erinnern Moderne Krankenhäuser arbeiten strikt erfolgsorientiert: Erfolg bedeutet, so legen es Hochglanzbroschüren und Internetauftritte nahe, dass kranke Menschen schnell gesund werden und baldmöglichst entlassen werden können. Dass jedoch viele Menschen nicht wirklich geheilt, sondern chronisch krank entlassen werden, und dass etwa die Hälfte der Menschen, die in unserem Land sterben, im Krankenhaus sterben, wird gern verschwiegen. Es gehört zum christlichen Menschenbild, nicht nur die Erfolge eines Lebens anzuerkennen, sondern sich auch an das zu erinnern, was nicht gelungen ist, und in dem Zusammenhang Gelegenheit zu Abschied und Trauer bereit zu stellen. Das Fragmenthafte des Lebens wahrzunehmen und anzunehmen, macht Menschen menschlich. In diesem Sinn nimmt Seelsorge eine wichtige Aufgabe im Krankenhaus wahr, wenn sie das institutionell übliche Verschweigen durchbricht: An Menschen zu erinnern, die gestorben sind, vor allem, wenn es unzeitig war (dazu gehört natürlich das Sterben von Säuglingen, Kindern und jungen Menschen); in vielen Kliniken gibt es auf Initiative der Seelsorge Abschiedsräume, in denen Menschen in Ruhe und Würde sterben und Angehörige sich verabschieden können; Seelsorge sorgt für Gelegenheiten, in denen Mitarbeitende auf Station bei besonders langwierigen und mühevollen Sterbeprozessen ihre emotionale Belastung zur Sprache bringen und bearbeiten können; Seelsorge bietet besondere Rituale und Trauerfeiern für stillgeborene Kinder an usw. Durch solche Angebote wird eine distanziert-medizinische Perspektive durchbrochen und erweitert: Betroffene bekommen Gelegenheit, die schmerzlichen Seiten des Lebens anzuerkennen und in ihrer Bedeutung für sich zu bedenken. 4.4  Zusammenhang von Religion und Gesundheit Auf der Ebene des Menschenbildes angesiedelt ist ebenfalls das Stichwort vom Zusammenhang von Religion und Gesundheit. Medizin und Psychologie sind im zwanzigsten Jahrhundert lange Zeit hindurch von einer eher kruden Religionskritik im Gefolge von Karl Marx und Sigmund Freud geprägt gewesen. Seit mehr als einem Jahrzehnt ändert sich diese Einstellung: Die zunächst aus den USA bekannt gewordenen, dann auch in Europa durchgeführten empirischen Forschungen zu einem möglichen produktiven Beitrag einer religiösen Einstellung zur Krankheitsbewältigung und zur Gesundung werden in zunehmendem Maß bekannt und ernst genommen. Seelsorge kann darauf verweisen, dass und wie eine religiöse Einstellung Sinnorientierung, Stabilisierung des Selbstwertgefühls und ein Gefühl von Geborgenheit stärken und damit zu einer

IV

398

Michael Klessmann

verbesserten Bewältigung der Krise einer Krankheit beitragen kann.10 Sie kann auf diesem Weg anregen, dualistisch-naturwissenschaftliche Paradigmen der Schulmedizin aufzulockern und zu erweitern. Dass Religiosität in ihren fundamentalistischen und evangelikalen Spielarten auch destruktive Konsequenzen haben kann, sollte allerdings auch nicht verschwiegen werden. 4.5  Parteinahme für marginalisierte Gruppen und Einzelne

IV

Die angedeuteten Differenzen im Krankheitsverständnis und Menschenbild können sich konkretisieren als Parteinahme oder Anwaltschaft für Gruppen und Einzelne im Krankenhaus, die Fürsprache brauchen, weil sie sich selbst nicht (mehr) gut artikulieren können. Das sind zunächst bestimmte Gruppen von Menschen, die im System Krankenhaus am Rand stehen: Problempatienten, die nicht ergeben und gefasst, sondern mit Unruhe, Angst und Aggression auf ihre Krankheit reagieren; Unheilbare und Sterbende, denen das Personal wegen der emotionalen Belastung tendenziell eher aus dem Weg geht; alte Menschen, die sich uninformiert fühlen, weil sie nicht in der Lage sind, komplexe medizinische Informationen zu erfragen und zu verstehen; psychiatrisch belastete und demenziell eingeschränkte Menschen, die nicht kooperativ sein können und die eingespielten medizinisch-pflegerischen Abläufe eher stören. Parteinahme bezieht sich auch auf Angehörige, die im System Krankenhaus und angesichts einer dramatischen Diagnose eines nahestehenden Menschen tief verunsichert und kaum in der Lage sind, ihre Betroffenheit, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren und zu klären. Und schließlich muss sich Parteinahme auch auf ärztliche und pflegerische Mitarbeitende beziehen, die unter dem hohen Druck eines kostenbewussten Managements, verbreitetem Personalmangel gerade im Pflegebereich und der psychischen Belastung durch die ständige Begegnung mit schwerem Leiden überlastet werden und auszubrennen drohen. Mit diesem letzten Punkt ist angedeutet, dass sich Parteinahme auch auf das System als Ganzes, das solchen Stress geradezu hervorbringt, beziehen muss. Krankenhaus als »totale Institution« (Erving Goffman), die unter hohem ökonomischen Druck arbeiten muss, produziert Belastungen, Asymmetrien und Einseitigkeiten, die sowohl einer Patientenorientierung als auch einer ebenso notwendigen Mitarbeitendenorientierung abträglich sind; Seelsorge nimmt in ihrer Außenseiterposition solche Dynamiken möglicherweise eher und schärfer wahr und sollte sie – z. B. im Gespräch mit Krankenhausvorständen, Chef-

10 Vgl. ausführlicher Klessmann, 2007a.

Die Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus

399

ärzten und Pflegedienstleitungen – ansprechen, bewusst machen und auf verträgliche Lösungen dringen. 4.6  Ethische Konflikte11 Angesichts der fast grenzenlosen Möglichkeiten moderner Hochleistungsmedizin, der Pluralisierung von Werthaltungen bei Krankenhauspersonal und Patient*innen sowie dem zunehmenden Gewicht ökonomischer Faktoren im Krankenhausalltag gewinnt Ethik in der Medizin und im Krankenhaus wachsende Bedeutung. Hier öffnet sich für die Seelsorge die Möglichkeit zu einer kritisch-konstruktiven Mitarbeit; hier wird gerade von der Seelsorge und ihrer Außenperspektive ein kompetenter Beitrag zum Diskurs erwartet. Stichworte wie Therapiebegrenzung am Lebensende, Eruieren des Patientenwillens, Umgang mit pränataldiagnostischen Befunden, Umgang mit religiös-weltanschaulichen Differenzen, Konfliktsituationen im Behandlungsteam etc. verweisen auf wiederkehrende Themen, bei denen Seelsorge zur Entscheidungsfindung oder zur Entscheidungsbewältigung herangezogen wird, und zwar sowohl in institutionalisierten Settings wie einem klinischen Ethikkomitee als auch inoffiziell in Gesprächen mit Betroffenen und Personal. Seelsorge hat sicher nicht die einzig richtigen Antworten im Fall von ethischen Konflikten, aber sie kann Kommunikationsräume eröffnen, in denen es möglich ist, professionelle Routinen und anscheinend bisher Selbstverständliches neu zu hinterfragen und zum Gegenstand gemeinsamen Abwägens zu machen. Seelsorge kann eine produktive Unterbrechungskultur (im Sinn des obigen Zitats von J.B. Metz) repräsentieren,12 und damit einen Beitrag leisten, der für konkrete Fallentscheidungen wie für die Kommunikationskultur der Institution insgesamt von Belang ist. Seelsorge stärkt durch biografiebezogene Arbeit und »personalisierende Praktiken«13 am Lebensanfang (Segen, Taufe) und Lebensende (Aussegnung, Bestattung) das Personsein von Menschen, bei denen im Blick auf medizinische Entscheidungen eben dies infrage steht; und sie fungiert häufig als Übersetzerin, die verschiedene Sprachwelten im Krankenhaus (medizinische Sprache, Alltagssprache, religiöse Sprache, nonverbale Sprache) versucht zusammenzubringen. Auch Rituale sind im Umfeld von ethischen Entscheidungen von Bedeutung, sie helfen, eine ethische Entscheidung zum Abschluss zu bringen und Räume

11 Vgl. zum Folgenden ausführlich Moos/Ehm/Kliesch/Thiesbonenkamp-Maag, 2016. 12 Moos/Ehm/Kliesch/Thiesbonenkamp-Maag, 2016, S. 108. 13 Moos/Ehm/Kliesch/Thiesbonenkamp-Maag, 2016, S. 173.

IV

400

Michael Klessmann

zu öffnen, in denen Unterschiede und Ambivalenzen der Beteiligten nicht aufgelöst werden müssen, sondern ausgehalten werden können. 4.7 Öffentlichkeitsarbeit: Sozialpolitische Perspektiven

IV

Unter dem Aspekt der Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus ist auch zu bedenken, dass Seelsorge nicht nur einzelne Menschen begleitet, nicht nur einzelne Krankenhäuser als Institutionen mit einer naturwissenschaftlich-technischen Orientierung kritisch im Blick hat, sondern auch den größeren gesellschaftlichen Rahmen, also das Gesundheitswesen als Ganzes im Kontext einer postmodernen Leistungsgesellschaft als relevante Umwelt mitbedenken sollte. In diesem Sinn muss Krankenhausseelsorge Öffentlichkeitsarbeit betreiben (durch Pressemitteilungen, durch Vorträge in Gemeinden und Synoden etc.), nicht nur, um auf die eigene Bedeutung hinzuweisen, sondern vor allem, um immer wieder kritisch auf gegenwärtige Tendenzen im Gesundheitswesen aufmerksam zu machen. Zwei Punkte seien exemplarisch genannt: Schon länger ist die Tendenz zu beobachten, Krankheit und Lebensrisiken (z. B. im Alter) langsam aber sicher aus der Solidarität aller herauszulösen und der privaten Vorsorge der Einzelnen anheimzustellen (z. B. durch notwendig werdende private Zusatzversicherungen angesichts des sinkenden Rentenniveaus). Das Phänomen der Altersarmut rückt zunehmend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit: Ein Zusammenhang zwischen Armut und Entstehung von Krankheiten bzw. erhöhter Mortalität ist seit langem bekannt und gut erforscht – offenbar wird er vonseiten der Politik billigend in Kauf genommen.14 Solche Tendenzen zur Entsolidarisierung kann Seelsorge immer wieder öffentlich machen; sie wird sie kaum grundsätzlich ändern, aber zumindest dazu beitragen können, dass ein Bewusstsein für solche destruktiven Dynamiken erhalten bleibt. Ähnliches gilt für die allgegenwärtige Ökonomisierung unserer Gesellschaft, die gerade im Gesundheitswesen fatale Konsequenzen freisetzt. Es gibt deutliche Tendenzen hin zu einer Zwei-Klassen-Medizin, in der eine mehr oder weniger verdeckte Rationierung von medizinischen Leistungen praktiziert wird. Das medizinisch Machbare kann angesichts des gerade im Gesundheitswesen besonders hohen Kostendrucks schon längst nicht mehr für alle, die es brauchten, bezahlt werden. Dieser kaum strittige Sachverhalt wird erst dadurch skan14 Die Zeiten, in denen der Arzt Rudolf Virchow schreiben konnte (1848/49): »die Ärzte sind die natürlichen Anwälte der Armen, und die soziale Frage fällt zu einem erheblichen Teil in ihre Jurisdiktion« (zitiert bei Schipperges, 1999, S. 149), sind leider längst vorbei.

Die Fremdheit und Widerständigkeit der Seelsorge im Krankenhaus

401

dalös, dass er weitgehend politisch geleugnet bzw. verschwiegen wird. Krankenhausseelsorge als ein Arbeitszweig der Kirchen, der sich im Gesundheitswesen auskennt, kann stellvertretend auf Fehlentwicklungen hinweisen. Hier handelt es sich wirklich um eine prophetische Aufgabe.

5 Schluss Die Stichworte von der prophetischen Dimension der Seelsorge, von ihrer Fremdheit und Widerständigkeit im Krankenhaus, signalisieren ein anderes, erweitertes Verständnis von Seelsorge: Es geht nicht mehr nur um die Kompetenz, Menschen empathisch zu begleiten und ihnen bei der Deutung ihrer schwierigen Lebenssituation zur Seite zu stehen, sondern, mindestens genauso wichtig, auch den institutionellen Kontext, in dem sie leben und arbeiten, kritisch-kon­ struktiv in den Blick zu nehmen. Damit wird Seelsorge zu einer Gratwanderung zwischen individueller Zuwendung und sozialkritischer Aufmerksamkeit genötigt; zu einem Oszillieren zwischen religiöser Welt- und Lebensdeutung und medizinischer Wirklichkeitserfassung und den Sachzwängen, die daraus für das Behandeln im Krankenhaus erwachsen; zu einem Pendeln zwischen verschiedenen Sprachspielen, die sich oftmals unverständlich gegenüber stehen, aber sich wechselseitig bereichern können, wenn ein entsprechendes Interesse vorhanden ist. Ein solches Oszillieren ist zweifellos anstrengend für die Akteure, es macht Mühe – aber es erscheint mir auch verheißungsvoll.

IV

Ökumenische Zusammenarbeit im Spital

Karin Kaspers-Elekes und Lisa Palm

1 Einleitung

IV

Unsere Zeit ist ökumenisch1, »interkulturell«2 und im Blick auf spirituell-­ religiöse Beheimatung des/der Einzelnen zugleich von zunehmender Individualisierung geprägt. Das Bemühen um eine gemeinsame Verantwortung der seelsorgerlichen Arbeit im säkularen Spitalumfeld ging in den 1990er-Jahren von den Spitalseelsorgenden und den sie zu ihrem Dienst beauftragenden Kirchen aus. Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist es nun das Tätigkeitsfeld, das die Suche nach dem Gemeinsamen und Verbindenden auch als Auftrag an die Seelsorge vorgibt. Findet sich in medizinethischen Debatten durchaus ein Ringen um weltanschaulich geprägte Definitionen und Standpunkte3, so ist es im Spitalalltag in der Regel nicht mehr die konfessionell geprägte Glaubensüberzeugung, die allgemein und auch in existenziell herausfordernden Situationen als tragend empfunden wird, sondern weitaus mehr die Gewissheit, dass überkonfessionelle Grundüberzeugungen miteinander geteilt werden und verbindend sind. Dieses Gemeinsame wird von den meisten Mitarbeitenden und auch Pa­­ti­ ent*innen, die einer christlichen Kirche oder Glaubensgemeinschaft angehören oder sich allgemein als christlich geprägt bezeichnen, als identitätsstiftend angesehen. Die Tatsache des Gemeinsamen wird u. E. höher geschätzt als speziell konfessionelle Überzeugungen und Ansichten, um die zudem zunehmend weniger Menschen wissen. Dies zeigt auch der Umgang mit der für bestimmte institutionalisierte Räume typischen Sprache, die ihnen häufig nicht mehr geläufig ist. Der Gebrauch konfessionell-religiöser Begriffe (durch Patient*innen und

1 Vgl. u. a. Bedford-Strohm/Marx, 2017. 2 Klessmann, 2014, S. 10 u. ö. 3 Vgl. Roser, 2017a, S. 210 f.

Ökumenische Zusammenarbeit im Spital

403

Mitarbeitende) wie z. B. Messe oder Gottesdienst, Krankensalbung oder letzte Ölung weist zunehmend Unschärfen auf4. So kann mit Gratz/Roser gesagt werden, dass die spirituell-religiösen Vorstellungen und Konzepte der Einzelnen heute in der Regel einem »Patchwork«5 gleichen, dessen Bestandteile eine individuelle Bedeutsamkeit haben, die auch in der seelsorgerlichen6 Begegnung bewusstwerden und somit Tragfähigkeit erlangen können. »Religion verschwindet nicht, wie es lange Zeit vermutet wurde und mit dem Theorem der ›Säkularisierung‹ beschrieben wurde, sondern sie verändert sich, wird individueller, privater […]«7 Sie ist zugleich weniger an die gemeinsamen institutionalisierten Existenzformen von Spiritualität und Religion gebunden.

2  Die gegenwärtigen Bedingungen der Spitalseelsorge Die Vorbedingungen der seelsorgerlichen Arbeit und der eigenen Identitätsfindung8 der Seelsorge im Spitalalltag partizipieren an der Nahtstelle zwischen Gesundheitswesen und Kirche als Existenzraum an den sich zunehmend schneller vollziehenden Veränderungen in beiden Sozialsystemen. U. E. ist das ökumenische Tätigkeitsfeld von Spitalseelsorgenden – auch wenn die Reaktionsnotwendigkeit auf diese Entwicklung in der Praktischen Theologie unterschiedlich kritisch bewertet wird9 – zunehmend geprägt durch die Einbindung der Spitalseelsorgenden in interprofessionell arbeitende Stations- und Spitalteams. Dies gilt für die Teilhabe an interprofessionellen Kriseninterventionen im Spitalalltag allgemein10 ebenso wie für die Begleitung von Erkrankten und ihren nächsten Bezugspersonen in der spezialisierten Palliative Care. Dabei besteht die grundlegende ökumenische Voraussetzung für die heutige Erbringung von Seelsorge im Spital darin, jedem von einer mit einer Erkrankung verbundenen Lebens-, Identitäts- und/oder Sinnkrise betroffenen Menschen, der dies nicht zurückweist, unter Absehung einer Zugehörigkeit zu einer (bestimmten) Kon     4 Nicht umsonst bezeichnet Klessmann auch die Seelsorge als einen »Seismographen der Kirche«. Siehe Klessmann, 2014, S. 5.      5 Gratz/Roser, 2016, S.  67 u. ö.      6 Seelsorgerlich wird in diesem Beitrag von seelsorglich insofern unterschieden, dass jede Begegnung mit einem Menschen seelsorglich sein kann, eine seelsorgerliche Begegnung aber setzt die entsprechende Profession voraus.      7 Hilpert, 2011, S. 59.      8 Vgl. dazu Kühnle-Hahn, 2010.      9 Vgl. Karle, 2010. Anders Roser, 2017a, S. 351 ff. Siehe auch Winter-Pfändler/Morgenthaler, 2010. 10 So auch Josuttis, 2009.

IV

404

IV

Karin Kaspers-Elekes und Lisa Palm

fession oder Religion zu begegnen. Die Aufgabe der Spitalseelsorge besteht dann darin, Patient*innen dabei zu unterstützen, existenzielle Fragen formulieren und auf diese ihre eigene Antwort finden zu können. Betroffene können in der seelsorgerlichen Begleitbeziehung auch ihre spirituell-religiösen Ressourcen für die Gestaltung des weiteren Bewältigungsweges als Teil ihrer Coping-Strategie in der Krise auffinden, diese entwickeln und nutzen. Die Qualität der Spitalseelsorge muss sich dabei – wie auch andere Dienstleistungen, will sie kein »Nischendasein« führen11, auf ihre Qualitäten befragen lassen. Neben der Konzept-, der Struktur- und der Ergebnisqualität ist es vor allem die Prozessqualität, die »Wahrnehmungs-, Reflexions- und Gestaltungskunst«12, die auch ökumenische Spitalseelsorge in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen ausmacht: M. Klessmanns Definition von »Seelsorge als Begegnung«, verstanden als über »Begleitung« hinausgehend, kann u. E. für die ökumenische Spitalseelsorge wegleitend sein, da der Begriff drei Aspekte beinhaltet: den der immer nur ansatzweise aufzuhebenden Fremdheit, den der besonderen Intensität und den der auch möglichen konfrontativen Verschiedenheit.13 Ist Spitalseelsorge im kleinsten gemeinsamen Nenner als Dienst am Nächsten biblisch-theologisch immer schon ökumenisch qualifiziert (»Ich war krank, und ihr habt mich besucht.« Mt 25,36), so ist doch zugleich im Einzelfall notwendig, dass auch eine konfessionelle Prägung der Betroffenen Resonanz finden können muss, wo dies für die Betroffenen stimmig und von ihnen gewünscht ist, so z. B. bei der Durchführung von Ritualen (Gebet, Abendmahl/Eucharistie, Meditationen, Segenshandlungen u. a.).

3 Von der konfessionellen über die ökumenische und interreligiöse Phase der Spitalseelsorge bis zur Spiritual Care Ökumenische Spitalseelsorge basiert einerseits historisch auf der zunächst konfessionellen konzeptionellen Entwicklung der Seelsorge im Spital allgemein, die durch die Bedingungen ihres zumeist säkularen Tätigkeitsfeldes auf eigene Weise herausgefordert ist.14 Andererseits partizipiert sie an der Weiterentwicklung des Verständnisses von Ökumene in den Kirchen und der Gesamtgesellschaft. 11 12 13 14

Vgl. Klessmann, 2009. Roser, 2017a, S. 42 ff. u. ö. Vgl. hierzu Klessmann, 2009, S. 127. Vgl. die Darstellung von Nauer, 2001.

Ökumenische Zusammenarbeit im Spital

405

Spitalseelsorgekonzeptionen des 20. Jahrhunderts stellten in der Regel einen besonderen Aspekt der Seelsorgebeziehung in den Mittelpunkt ihrer Handlungsbegründungen. Die Summe der in der Konzeptionenentwicklung entstandenen Leitideen, die einander im Widerstreit ergänzten und befruchteten, bildet die heutige Basis der Erbringung und Verantwortung von Spitalseelsorge, »der Sorge um die mehrdimensionale Seele Mensch sowohl theologisch wie anthropologisch«15. Darin kommt der Seelsorgebewegung der 1970er- und 1980er-Jahre für die ökumenische Ausrichtung von Spitalseelsorge eine besondere Bedeutung zu. Es entstand das Konzept der »Therapeutischen Seelsorge«16, das »in erstaunlicher Einmütigkeit« wegweisend für seelsorgerliches Handeln katholischer wie evangelischer Prägung wurde.17 Im Handlungsfeld Spital war die gesellschaftliche Entwicklung dieser Zeit und die damit verbundene zunehmende äußere und innere Mobilität des Menschen erfahrbar. In der individuellen Begegnung mit Menschen in existenziellen Krisensituationen, »in der Auseinandersetzung mit Krankheit, Schmerzen und Sterben erwies sich konfessionelle Differenzierung und dogmatische Unterscheidung zunehmend als zweitrangig«.18 Zugleich begann sich die Seelsorge als Teil der Institution zu begreifen und als mitverantwortlich für ihre Hauskultur und ihr kommunikatives Klima. Theologisch gelangte man zum Verständnis von Seelsorge als »bedingungsloser Annahme des Menschen« (C. Rogers) in Äquivalenz zur Annahme des Menschen durch Gott und seiner Rechtfertigung und damit zu einem Konzept gelebter Theologie, »in dem theologische und humanwissenschaftliche Ansätze konvergierten« und zu einer »vor jeder konfessionellen Differenzierung wirksamen Denkfigur«19. In der seelsorgerlichen Begegnung muss Gottes Annahme, Liebe, Vergebung zumindest ansatzweise erfahrbar werden. Annehmen aber setzt Wahrnehmen voraus. Damit rückt der Mensch in den Mittelpunkt des seelsorgerlichen Handelns, wobei die konfessionelle Bestimmtheit zunehmend unwesentlicher wird. Zugleich wird die Notwendigkeit konzeptioneller und methodischer Qualifizierung unter Einbeziehung von Psychologie, Psychotherapie und Soziologie für die Spitalseelsorge festgehalten. Die auf ökumenischen Voraussetzungen basierende und von anthropologischen Konstanten ausgehende Klinische Seelsorgeausbildung (KSA/CPT) bildet einen weiteren Entwicklungsschritt ökumenischer Spitalseelsorge und formuliert die Aufgabe des Seelsorgenden als Unterstützung des Patienten dabei, dass seine Bedürfnisse nach Sinnfindung 15 Mader, 2017, S. 144 f. 16 Stollberg, 1969. 17 Klessmann, 2014, S. 5–18. 18 Klessmann, 2014, S. 9. 19 Klessmann, 2014, S. 9.

IV

406

IV

Karin Kaspers-Elekes und Lisa Palm

und seiner Suche nach einer verlässlichen Beziehung zu einem liebenden Gott Erfüllung finden kann. Als Antwort auf die neuen gesellschaftlichen und damit verknüpften individuellen biografischen Herausforderungen greift die Seelsorge den therapeutisch-systemischen Ansatz auf, der die Wahrnehmung des Individuums in seiner kontextuellen Prägung optimiert. »Die interkulturelle, die interreligiöse Situation wird zum eigentlichen Testfall der Seelsorge.«20 Das Konzept der seelsorgerlichen Beratung stellt eine Antwort dar. Letztlich aber führt die Orientierung am Verständnis des Menschen und seiner Wahrnehmung zugleich dazu, dass Seelsorge sich ausdifferenziert: es gibt eine Vielfalt an individuell, kulturell, methodisch und religiös differenzierten Formen von Seelsorge, die letztlich konsequent in die Entstehung einer Spiritual Care münden. Als »spezialisierte Spiritual Care«21 bietet ökumenisch verantwortete Spitalseelsorge in den Institutionen des Gesundheitswesens Begleitung von Menschen mit spirituellen Bedürfnissen auf der Basis der dazu notwendigen verlässlichen Qualifizierung der sie Ausübenden an: Studium der Theologie; pastorale Grundqualifikation; spezialisierte Seelsorgeausbildung (KSA/CPT); Seelsorgeerfahrung; kommunikative Kompetenz; klinische Feldkompetenz; persönliche Eignung; weitere Fachvertiefung.22 Sie stellt zugleich einen Beitrag zur allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung »institutioneller und praktizierter Nächstenliebe«23 dar und fördert die Entwicklung einer Kultur der Sorge um den Menschen im Wissen darum, dass nicht alles mach- und messbar ist. Gegenwärtig stehen die Kirchen allgemein vor der Aufgabe, »ökumenische Neugestaltung zu erkunden, die wirksam auf die Herausforderungen eingehen kann, die im 21. Jahrhundert vor uns liegen«24. Ist das 20. Jahrhundert von der Annäherung der Konfessionen und »konfessioneller Harmonisierung«25 geprägt, so partizipiert die gegenwärtige Entwicklung an den allgemeingesellschaftlichen »Identitätsdiskursen«26, die als Antwort auf vielfältige Identitätsverunsicherung zu beobachten sind. Für die Weiterentwicklung des Selbstverständnisses ökumenischer Spitalseelsorge ist auch die Antwort darauf, wie sie ihre »ökumenische Identität«27 in Zukunft beschreibt, letztendlich entscheidend. 20 Klessmann, 2014, S. 10. 21 Peng-Keller, 2017c, S. 53. 22 Vgl. u. a. Belok, 2014, S. 69 ff. 23 Hagen, 2016. 24 Raiser, 2013, S. 382. 25 Dangel, 2014, S. 12. 26 Dangel, 2014, S. 49. 27 Vgl. dazu Dangel, 2014, S. 6.

Ökumenische Zusammenarbeit im Spital

407

4 Orte systemischer Präsenz und Angebote des ökumenischen Spitalseelsorgeteams Die Spitalseelsorge arbeitet auf der Basis einer doppelten Loyalität: »Beauftragt von den Kirchen – tätig in einer säkularen Institution«28. In diesem Spannungsverhältnis zwischen Loyalität und Systemfremdheit29 ist es unabdingbar, dass die in den Institutionen akkreditierten katholischen und evangelischen30 Spitalseelsorger*innen als ökumenisches Team, gemeinsam mit den aus den Gemeinden vermittelten christkatholischen31 und jüdischen Seelsorgenden in einer Haltung ihren Dienst versehen, die die gemeinsame Sorge für die Menschen im Spital ins Zentrum ihres Handelns stellt. Erst durch diese Haltung – auch gegenüber Vertretern anderer Religionen, insbesondere gegenüber professionell ausgebildeten islamischen Seelsorgenden – gewinnt die Spitalseelsorge ihr eigenes ökumenisches und interreligiöses Profil. Im Organismus Spital arbeiten die Seelsorger*innen bedürfnisorientiert. Der Wunsch nach religiöser und spiritueller Begleitung (Spiritual Care) von Patient*innen und An- und Zugehörigen sowie von Mitarbeiter*innen ist für sie handlungsleitend32. Seelsorgerliche Begleitung orientiert sich nicht vorrangig an Informationen zur religiösen oder konfessionellen Herkunft sondern an einer »Theologie der zwischenmenschlichen Relationen«33. Der Bedarf nach spiritueller Begleitung schließt auch die wachsende Gruppe der konfessionslosen Patient*innen mit ein, die erfahrungsgemäß eher selten areligiös sondern oft spirituell interessiert, wach und offen sind34. Die klientenorientierte Ausrichtung seelsorglicher Begleitung bestimmt die unterschiedlichen Organisationsmodelle der Spitalseelsorge ebenso wie ihre Projekte und Angebote im Spital. 4.1  Modelle ökumenischer Stationsverantwortlichkeit Gegenwärtig finden sich in der Spitallandschaft der Schweiz hauptsächlich zwei Modelle der ökumenischen Stationsverantwortung. 28 Klessmann, 2015, S. 260. 29 Vgl. Klessmann, 2015, S. 260. Klessmann bezeichnet die Verortung der Spitalseelsorge als im doppelten Sinne systemfremd. 30 Die Mehrheit der Schweizer Landeskirchen benutzen die Bezeichnung »evangelisch-reformiert«. 31 Christkatholisch ist gleichbedeutend mit der Bezeichnung »altkatholisch«. 32 Vgl. den Beitrag von Francesco De Meo im vorliegenden Band. 33 Stollberg, 1969, S. 30. 34 Vgl. die interne Befragung der Seelsorge am Universitätsspital Zürich, einzusehen im Spitalpfarramt bei Oberholzer/Palm/Kaelin, 2018.

IV

408

IV

Karin Kaspers-Elekes und Lisa Palm

1. Modell der gemeinsamen, konfessionsverbindenden Stationsverantwortung35: In diesem Modell arbeiten je zwei Seelsorger*innen unterschiedlicher Konfession gemeinsam als ökumenisches Tandem auf einer Station und vertreten sich bei Abwesenheit. Bei den wöchentlichen Rapporten mit dem Pflegeteam sowie bei den interprofessionellen Rapporten auf den spezialisierten Stationen (z. B. im Palliative Care-Kompetenzzentrum) sind in der Regel beide Seelsorger*innen anwesend. Aus diesen ergeben sich Begleitaufträge für Patient*innen, die als in einer Krisensituation befindlich eingeschätzt werden. Daneben besuchen sie Menschen ihrer eigenen Konfession durch aufsuchende Seelsorge. Stationsinterne Schulungen und Beratungen werden gemeinsam durchgeführt (vgl. 4.3). Auf Wunsch vermitteln sie Seelsorger*innen anderer Religionszugehörigkeit. Dieses Modell garantiert auf der Basis einer hohen Kommunikationskompetenz eine möglichst individuelle, spirituell-religiöse Begleitung. Positiv einzuschätzen ist, dass die Spitalseelsorge durch die verlässliche Präsenz gut verankert und die ökumenische Vertretung zuverlässig gesichert ist. Im Hinblick auf immer knapper werdende finanzielle und personelle Ressourcen wird dieses umfassende Versorgungsmodell die Kirchenverantwortlichen in Zukunft vor große Herausforderungen stellen. 2. Modell der ökumenischen Gesamt-Stationsverantwortung: Dieses kompetenzorientierte Modell orientiert sich an den Bedürfnissen der jeweiligen Station und erfordert spezialisierte Weiterbildungen der/des Seelsorgenden. Vor allem in Fachkliniken (Intensiv-/Palliativstation, Frauen-/Kinderklinik) werden diese Fach- und individuelle Persönlichkeitskompetenzen sowie die Fähigkeit zur Vernetzung höher bewertet als die Konfessionsvertretung. Der/ die zuständige Stationsseelsorger*in besucht alle Patient*innen (unabhängig von Religion oder Konfession) und vermittelt auf Wunsch zeitnah klinikintern den/die Kolleg*in oder den Priester der anderen Konfession (z. B. zur Sakramentenspendung) sowie externe Seelsorgende anderer Konfessionen und Religionen. In beiden Modellen erbringen Spitalseelsorger*innen spezialisierte Spiritual Care.36 Sie verfügen über die notwendigen Fachkenntnisse und erfahren so eine hohe Akzeptanz in den interprofessionell zusammengesetzten Teams. Sie bedürfen zugleich einer hohen Sensitivität dafür, wenn »kirchennahe Patien35 Vgl. Spital- und Klinikseelsorge, Katholische Kirche im Kanton Zürich, 2007 sowie Konzept für die Katholische Spitalseelsorge in Spitälern, Kliniken und Pflegezentren im Kanton Zürich von 2005. 36 Vgl. Peng-Keller, 2017c, S. 53.

Ökumenische Zusammenarbeit im Spital

409

ten« insbesondere bei schwerer Erkrankung und vulnerabler Befindlichkeit die eigene konfessionelle Seelsorge verlässlich an ihrer Seite erwarten. Wesentliches Element zuverlässiger seelsorgerlicher Begleitung ist eine kontinuierliche ökumenische Rufbereitschaft, die auch in der Nacht und am Wochenende gesichert ist. 4.2 Gefeierte ökumenische Spiritualität – heilsame Gottesnähe erfahren »Seelsorge lebt vom Umgang mit Ritualen, Symbolen, Gesten und liturgischen Feiern.«37. In der Spitalseelsorge nehmen diese die existenziellen Erfahrungen der Menschen auf und sind meist ökumenisch ausgerichtet. Spitalseelsorgende benötigen dafür eine ausgewiesene Ritualkompetenz, die je situativ – in persönlichen Patient*innenbegleitungen, in der Zusammenarbeit im interprofessionellen Behandlungsteams (Rituale zur Bewältigung belastender Erfahrungen, Trauer-/Abschiedsrituale), sowie in gemeinschaftlichen thematischen und liturgischen Feiern zum Tragen kommen. Rituale als heilige Spiele eröffnen einen Raum für heilsame Gottesnähe (Getragensein, Hoffnung), insbesondere an lebensgeschichtlichen Übergängen38 in Momenten tiefer existenzieller Erschütterung (Verlustbewältigung, Bedrohung des Lebens)39 oder in den Erfahrungen eines geschenkten neuen Lebens (erfolgreiche Operation, Heilung einer Krankheit, Geburt eines Kindes). In der Patient*innenbegleitung erfahren Menschen, die nur wenig Kraft für ein längeres Gespräch haben (Fatigue), die schlichte Anwesenheit, d. h. die achtsame Präsenz der Seelsorge als Symbol einer Hoffnung, die über den Tod hinaus tragen kann. Ein persönliches (Segens-)Ritual, das die existenzielle Befindlichkeit (Not, Verzweiflung, Angst, aber auch die Hoffnung auf Heil(-ung)) vor Gott bringt, kann als Stärkung und Erfahrung innerlichen Ganzwerdens oder »Heilsein«40 erlebt werden. Schwangere Frauen, die durch die Ungewissheit und Angst vor einer drohenden zu frühen Geburt leiden, sowie Eltern von frühgeborenen Kindern, die die Angst um das Leben ihres Kindes als Abgrund erleben, erfahren durch religiös-spirituelle Zeichenhandlungen Momente des Vertrau37 Nauer, 2007, S. 255. 38 Vgl. Nauer, 2007, S. 255. 39 Nauer, 2007, S. 226. Nauer spricht von der Erfahrung eines »Leben[s] in Fülle«, wenn ein Mensch Gottes Spuren in seinem Leben entdeckt (…) und trotz einer (tödlichen) Krankheit zumindest kurz aufatmen, lächeln und vielleicht sogar mit einem Lächeln auf den Lippen sterben kann. 40 Vgl. Weiher, 2014, S. 148.

IV

410

IV

Karin Kaspers-Elekes und Lisa Palm

ens41. Neben dem hochkompetenten Behandlungsteam sind es auch »heilige Kräfte« (Schutzengel, Schöpfer*innenkraft) – oder »Gottes Angesicht, das über jedem Menschen aufstrahlt […]«42 die als beschützend erlebt werden können. In interprofessionellen Behandlungsteams entstand in den letzten Jahren ein Bewusstsein dafür, dass spirituelle Begleitung und damit auch Rituale eine stärkende Kraft in der Bewältigung des Arbeitsalltags haben. Eine im Team verankerte Spitalseelsorge wird aufgrund ihrer Kompetenzen individuelle Rituale anbieten und auf Wunsch leiten, so z. B. die Vorbereitung und Durchführung von Ritualen zur Bewältigung schwieriger Patientensituationen, Abschiedsrituale oder Dank-/Segens- und Begrüßungsfeiern auf den Wochenbettstationen.43 Gefeierte Spiritualität wird unmittelbar erfahrbar in Spitalgottesdiensten und Projekten in Spitalkapellen/Räumen der Stille, die in der Regel ökumenisch offen oder interreligiös sind. Als thematische Feiern eröffnen sie einen Resonanzraum für große Lebensfragen, die während eines Spitalaufenthalts aufbrechen können. So kann eine symbolische Klagemauer in der Passionszeit, die nach Ostern zur Lebensmauer wird, die Belastung der Menschen genauso aufnehmen, wie die Freude über die Genesung, die als geschenktes neues Leben erfahren wird. Auch die Feier des Erntedanks bekommt im Spital eine neue Bedeutung, wenn Menschen ermutigt werden, trotz schwerer Krankheit den Blick auch auf das Gute in ihrem ganzen gelebten Leben zu richten: »Trotz schwerer Krankheit habe ich allen Grund zu danken«. Ökumenische Spitalgottesdienste werden dann zu einer »besonderen Gestalt von Kirche«44, wenn an Frühgeborenen-Dankgottesdiensten kleine Kinder mit ihren Familien die Spitalkirche stürmen, um am Ort ihres Lebensbeginns zu singen, zu beten und zu danken. Für die anwesenden Familien wird in diesen Feiern deutlich: es hat sich gelohnt, gemeinsam mit dem Behandlungsteam für die Kinder zu kämpfen! Zum elterlichen und medizinischen Handeln kommt eine größere, ihrer Macht entzogene, transzendente Dimension hinzu. Oder wenn Angehörige bei den jährlichen Gedenkfeiern für verstorbene P ­ atient*innen sich nicht nur in der Gemeinschaft der Trauernden wiederfinden, sondern durch Gebete und Rituale Trost erfahren.

41 42 43 44

Vgl. Roser zur Perinatologie in: Roser, 2017a, S. 144–191. Weiher, 2014, S. 148. Vgl. Leget, 2015, S. 230. Vgl. Klessmann, 2013b, S. 348.

Ökumenische Zusammenarbeit im Spital

411

4.3 Ökumenische Spitalseelsorge in Beratung, Bildung und Forschung Die ökumenische Spitalseelsorge bringt ihre spezialisierten Kompetenzen in die beratende Tätigkeit und in die Mitarbeiter*innenschulung ein. Die Komplexität der Beratungssituationen sowie die Ausdifferenzierung des Spitalsystems erfordern eine Aufteilung dieser Aufgaben nach Weiterbildungsschwerpunkt und Stationsverantwortlichkeit der jeweiligen Seelsorger*in. Dies gilt für die Bereiche der Einzel- und Teamberatung ebenso wie für ethische Fallbesprechungen, für das Advanced Care Planning (ACP) sowie strukturell übergeordnete Arbeitsbereiche (Ethikforen, Konzeptarbeit, Careteameinsätze, Mitarbeiter*innenvertretung). Funktion und Feldkompetenz der Seelsorgeperson sind für die Wahrnehmung dieser Aufgaben mehr entscheidend als konfessionelle Zugehörigkeit. Ökumenische Seelsorgeteams klären intern die Verteilung der spitalinternen Zuständigkeiten. An klinikinternen Aus- und Weiterbildungsprogrammen sind Spitalseelsorgende beteiligt, sowohl im Bereich der Grundausbildung (Ethik, Palliative Care, Kommunikation, Interprofessionalität) als auch mit eigenen Schwerpunktangeboten, insbesondere im Bereich Spiritual Care. Spitalseelsorgende sind Expert*innen für Spiritualität und Religiosität45 und bringen gute Voraussetzungen für die Förderung der Weiterentwicklung der interprofessionellen Profilschärfung für Spiritual Care und die Mitarbeit in Forschungsprojekten zum Thema ein. 4.4 Unterstützung und Verantwortungen für eine spirituelle Hauskultur Ökumenische Spitalseelsorge soll über die im vorliegenden Kapitel beschriebenen Angebote und Projekte hinaus eine wache Aufmerksamkeit für eine spirituelle (Kranken-)Hauskultur pflegen und dadurch der stetig zunehmenden Ökonomisierung der Spitäler entgegensteuern. Sie wird Projekte für kulturelle und künstlerische Angebote (Kultur im Spital, Hauskonzerte, Ausstellungen u. a.) initiieren, Räume für Momente des Innehaltens und der Stille (Spital­kapelle, Raum der Stille) im hektischen Alltag bereitstellen und spirituelle Angebote (z. B. Meditationskurse, Achtsamkeitsanleitung) als Mittel zur Fokussierung und Selbstsorge auch der Mitarbeitenden unterstützen.

45 Vgl. Roser, 2015c, S. 238.

IV

412

Karin Kaspers-Elekes und Lisa Palm

5  Ausblick – Spitalseelsorge für morgen

IV

Wie auch immer wir den Wandel des Gesundheitssystems und die großen aktuellen Herausforderungen einschätzen: in ökumenischer Verbundenheit wird die Spitalseelsorge auch in Zukunft Mitarbeiter*innen, Patient*innen sowie deren Bezugspersonen als einzigartig Geschaffene ansehen, die ihr Leben als Gabe von Gott erhalten haben und denen von daher Würde zukommt. Die Ausübung von Spitalseelsorge wird darum auch in Zukunft ihre Bedeutung behalten oder gar neue hinzugewinnen, wenn es auf der Mikroebene in der Begegnung mit dem einzelnen Menschen darum geht, ihn in seiner unverdienten-unfraglichen, ihm von Gott zugesprochenen Bedeutsamkeit zu stärken. Auf der Mesoebene der Spitalinstitutionen wird die Spitalseelsorge in ökumenischer Verantwortung Raum schaffen für die Wahrnehmung der spirituellen Bedürfnisse derer, die in dieser Institution miteinander leben und arbeiten. Auf der Makroebene wird Spitalseelsorge die Aufgabe haben, ökumenisch glaubhaft eine an einem Menschenbild orientierte Gesellschaft einzufordern, die den Menschen nicht auf seine Produktivität und seinen ökonomischen Wert reduziert. Das auf das Du – auf Gott und den Nächsten hin – geschaffene Menschsein gehört zu den Grundfesten ökumenischer Seelsorgeüberzeugung. Entscheidend ist u. E. auch, das jüdisch-christliche Menschenbild, das dem Menschen qua seiner Existenz Wert und Würde beimisst, aktiv in den Diskussionen um die Lebbarkeit von Autonomie und die für diese notwendigen Bedingungen zur Sprache zu bringen. Die damit vorausgesetzte relationale Existenz des Menschen ist als ein wesentlicher Faktor in der gesellschaftlichen Diskussion um die Wahrnehmung der Autonomie einzubringen, damit diese nicht verkürzt in einer einsamen Selbstbestimmung als Entscheid über den eigenen Todeszeitpunkt endet, sondern die Beziehungen in den Blick nimmt, die es für die Wahrnehmung von Selbstbestimmung bis zuletzt unbedingt braucht. Die im Spitalalltag gelebte Zusammenarbeit kann als ein Beispiel öffentlicher ökumenischer Zusammenarbeit gelten und als solche auch den Gesamtprozess der Weiterentwicklung der Ökumene beeinflussen. An der Nahtstelle Spital machen auch kirchenkritische bis -ferne Menschen oft erste Erfahrungen mit gelebter Ökumene, die für manche Menschen, die durch konfessionelle Engführungen und Ausgrenzungen Verletzungen erlitten haben, auch heilsam sein kann. Die ökumenische Zusammenarbeit im Spital birgt zudem ganz konkret die Chance eines umfassend tieferen theologisch-philosophischen Verstehens in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit Spiritualität, Religionen, gelebter Religiosität und Weltanschauungen als Bestandteil einer gesamtgesellschaftlichen interkulturellen Verständigung.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge1 Abdullah Takim

Zunächst will ich auf den im islamischen Kontext viel diskutierten Begriff Seelsorge und die dazugehörigen Probleme eingehen, um anschließend die Grundlagen einer islamischen Seelsorge darzustellen. Beginnen möchte ich mit einem Zitat: »… und du schämst dich nicht, dich darum zu kümmern, wie du zu möglichst viel Geld und wie du zu Ehre und Ansehen kommst, doch um die Vernunft und die Wahrheit und darum, daß du eine möglichst gute Seele hast, kümmerst und sorgst du dich nicht?«2 In dieser Weise redet Sokrates in seiner Verteidigungsrede einen Athener an, um deutlich zu machen, worauf es im Leben bei der Erziehung von Menschen ankommt.

1 Der christlich geprägte Begriff der Seelsorge und ihre verschiedenen Bezeichnungen im islamischen Kontext Diese oben genannte Stelle gehört zu den ältesten Belegen für den Begriff der Seelsorge. Denn, wie bekannt, kommt der Begriff der Seelsorge ausdrücklich weder in der Bibel noch später im Koran vor, auch nicht im Hadith, der prophetischen Tradition im Islam.3 Dies bedeutet aber natürlich nicht, dass die Sorge um die Seele in diesen beiden Heiligen Schriften oder in ihrer jeweiligen Tra1 Diese Studie basiert auf einem Vortrag, der in der konstituierenden Sitzung des Arbeitsausschusses zum Thema Seelsorge der Deutschen Islamkonferenz (DIK) am 18. Februar 2016 in Berlin gehalten wurde und hier in überarbeiteter und erweiterter Version vorliegt. 2 Platon, 1992, § 17. 3 Vgl. Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, 2015, S. 47–48; Türk, 2014, S. 44 f.; Weiß, 2012, S. 128; Heimbach, 2009, S. 27; Mette, 2013, S. 61.63.

IV

414

IV

Abdullah Takim

dition fehlt. Die christliche Tradition hat im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Seelenkonzeptionen ausgearbeitet, wobei die Seelsorge zu ihrer Institutionalisierung und Professionalisierung eine lange Zeit gebraucht hat. So wurde erst »1774 […] an der Universität Wien das Studienfach Pastoraltheologie eingeführt, das eine gute Ausbildung für die Seelsorge im Sinne der Aufklärung gewährleisten sollte. In Preußen legte Friedrich Schleiermacher 1811 die Fundamente für die wissenschaftlich-universitäre Seelsorgeausbildung.«4 Festzuhalten ist, dass sowohl der Begriff der Seelsorge als auch die Praxis der Seelsorge im deutschen Kontext christlich geprägt sind5 und die Seelsorgeausbildung durch christlich-amerikanische Konzepte beeinflusst worden ist und sich in Deutschland als Klinische Seelsorgeausbildung (KSA) etabliert hat. »Diese [Ausbildung] wurde […] im interdisziplinären Austausch mit den Human-Wissenschaften entwickelt: mit der Sozialpsychologie (George Herbert Mead u. a.), der Tiefenpsychologie (Sigmund Freud, Carl Gustav Jung) und der klientenzentrierten Psychotherapie (Carl Rogers).«6 Diese christliche Geprägtheit des Seelsorgebegriffs gehört zu den Gründen, warum einige Muslime Bedenken haben, den Begriff der Seelsorge zu übernehmen. Diese Sorge aufgreifend heißt das von Thomas Lemmen und Nigar Yardim herausgegebene Buch entsprechend: Notfallbegleitung für Muslime und mit Muslimen: Ein Kursbuch zur Ausbildung Ehrenamtlicher. Die Herausgeber äußern sich dazu folgendermaßen: »Wir nutzen in diesem Buch bewusst den Begriff der Notfallbegleitung. Der Begriff Notfallseelsorge ist an das christliche Verständnis der Seelsorge gebunden.«7 Selbst wenn die Autoren den Begriff Notfallbegleitung benutzen, ist das Gesamtkonzept der Notfallseelsorge eine moderne christlich geprägte Erscheinung, die es so in dieser institutionalisierten Form in der islamischen Tradition nicht gibt. Ebenso verhält es sich z. B. auch mit der Krankenhaus-, Gefängnis- und der Militärseelsorge, wobei die Militärseelsorge gewissermaßen eine Ausnahme darstellt und unter anderen Begriffen den Osmanen bekannt war und institutionalisiert wurde. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum seit etwa 1881 Militärseelsorge für Muslime in Österreich oder Bosnien-Herzegowina existiert. Es lebten etwa 600.000 Muslime in dieser Monarchie und dienten auch der Armee. »Im Jahre 1914, zwei Jahre nach dem Islamgesetz [in Österreich], gab es sogar den ersten Militärmufti (vergleichbar mit einem römisch-katholischen Militärbischof oder evangelischen 4 Klein, 2013, S. 77. 5 Vgl. Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, 2015, S. 25. 6 Klein, 2013, S. 78 ff. 7 Lemmen/Yardim, 2011, S. 7.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

415

Militärsuperintendenten).«8 Die Osmanen verwendeten zuvor den Begriff Alay Müftüsü für den Militärmufti, den man besser als Regimentsmufti (zuständig für etwa 1300 bis 3000 Soldaten) übersetzen kann, wobei bei den Osmanen auch der Begriff Tabur Imamı existierte, den man als Bataillons-Imam übersetzen kann, der etwa 300–1300 Soldaten seelsorgerisch betreute. Diese Beispiele aus dem Osmanischen Reich und Österreich zeigen, dass eine institutionalisierte Seelsorge dem Islam nicht widerspricht. Selbst wenn der Begriff der Seelsorge im Koran und der prophetischen Tradition nicht vorkommt und im Großen und Ganzen die Seelsorge im Islam nicht institutionalisiert und professionalisiert ist9, können die verschiedenen Formen der Seelsorge, die den islamischen Prinzipien entsprechen, in Deutschland eingerichtet werden, wobei natürlich Diskussionen existieren, welche Bezeichnungen man in dieser Hinsicht benutzen sollte. Ich werde hier kurz auf diese Diskussion mit Beispielen eingehen und anschließend die möglichen Grundlagen der islamischen Seelsorge aus theologischer Sicht darstellen: Folgende Ausdrücke werden zum Beispiel als Umschreibung für den Begriff Seelsorge in dieser Diskussion im deutschen Kontext10 verwendet: ȤȤ geistlich-religiöse Betreuung im Islam ȤȤ Muslimische Krankenbegleitung11 ȤȤ Islamische Krankenhausseelsorge ȤȤ Notfallbegleitung ȤȤ Islamische Seelsorge ȤȤ Seelsorge für Muslime ȤȤ Muslimische Seelsorge12 ȤȤ Spirituell seelsorgerische Begleitung13 für Muslime ȤȤ Spirituelle islamische Begleitung Kranker und Sterbender in den Krankenhäusern.14 Im Arabischen werden dafür folgende Ausdrücke und Umschreibungen benutzt: ȤȤ riʿāya rūḥīya (Geistige Fürsorge/Betreuung/Pflege: spiritual care) ȤȤ riʿāya rūḥīya islāmīya (geistig islamische Betreuung/Fürsorge)      8 Khouja, 2008. Siehe auch Aslan, 2013, S. 129.      9 Vgl. Türk, 2014, S.  44–45. 10 Im Englischen werden dafür die Begriffe Muslim chaplaincy, Islamic chaplaincy, Islamic pastoral care, Muslim pastoral care benutzt. 11 Vgl. Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V., 2013, S. 11. 12 Vgl. Erdem, 2014, S. 363. 13 Vgl. Erdem, 2014, S. 363. 14 Vgl. Erdem, 2014, S. 366.

IV

416

Abdullah Takim

ȤȤ riʿāya talṭīfīya (lindernde/palliative Betreuung/Fürsorge) ȤȤ riʿāya dīnīya wa-rūḥīya li-l-mard·ā al-muslimīn dāḫil mustašfayātihā (religiöse und geistige Fürsorge für kranke Muslime innerhalb der Krankenhäuser) ȤȤ al-hātif ar-rūḥī: ḫidma iršādīya li-l-muslimī almānīya (Telefonseelsorge: ein beratender Dienst für die Muslime in Deutschland) ȤȤ Dann wird dies auch mit folgenden Begriffen umschrieben: Betreuung (riʿāya), Hilfe/Beistand (ʿaun), Psychische Beratung (iršād nafsī), Unterstützung (musāʿada), Pflege/Behandlung (muʿālagˇa), innermuslimische Wegweisung, Beratung (iršād).15

IV

Und im Türkischen kommen folgende Begriffe oder Umschreibungen vor, wobei auch hier kein einheitlicher Begriff für das Konzept vorhanden ist16: ȤȤ manevi danışmanlık (geistige Beratung) ȤȤ manevi bakım (im Sinne von spiritual care: geistige Fürsorge/Betreuung) ȤȤ manevi rehberlik/hizmeti (geistige Wegweisung/Führung) ȤȤ dini rehberlik/danışmanlık17 (religiöse Wegweisung/Beratung/pastoral care) ȤȤ manevi destek ve rehberlik (Geistiger Beistand und Wegweisung) ȤȤ Hastanelerde Dini Danışmanlık ve Manevi Bakım18 (Religiöse Beratung und geistige Betreuung in den Krankenhäusern) ȤȤ Hastanelerde manevi destek (Geistiger Beistand in den Krankenhäusern: Seit 2015 ein programmatisch verwendeter Titel des Türkischen Religionspräsidiums (Diyanet) für den Start der Seelsorge in den Krankenhäusern)19 ȤȤ Uluslararası Manevi Danışmanlık ve Rehberlik Kongresi (International Congress on Religious-Spiritual Counselling & Care)20

2 Islamisch-theologische Legitimation der islamischen oder muslimischen Seelsorge Diese Darstellung zeigt, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, diesen Begriff wiederzugeben. Aus der islamischen Theologie heraus kann die Seelsorge, die ja in der deutschen Sprache eine eigene geschichtliche Entwicklung durchgemacht 15 16 17 18 19 20

Hibaoui, 2015, Folie 7. Vgl. Türk, 2014, S. 39. Vgl. Türk, 2014, S. 44; Heimbach, 2009, S. 27. Sevinç/Akay, 2018. Diyanet TV, 2015. https://mdrk.org/tr und englische Website: https://mdrk.org/en (Zugriff am 2.1.2019).

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

417

hat und damit ein Eigenleben besitzt, durch die einschränkenden Formulierungen, wie z. B. Islamische oder Muslimische Seelsorge, legitimiert werden, weil dieses Phänomen, das heißt die Fürsorge für leidende, kranke oder sterbende Menschen, auch im Islam existiert. Wichtig im Islam sind nicht die Bezeichnungen, sondern der Inhalt oder das zugrunde liegende Konzept. Denn auch im Koran werden viele Begriffe aus dem Judentum oder Christentum, wie z. B. ʿĪsā (Jesus) oder rūḥ al-quds (Heiliger Geist) verwendet, die aber im Koran mit einem anderen semantischen Inhalt gefüllt und mit dem Einheitsglauben (tauḥīd) verbunden werden. Es sollte also ein islamisches Seelsorgekonzept erarbeitet werden, das auf dem einen Gottesglauben (tauḥīd) ohne Vermittler aufbaut und in einer islamischen Anthropologie gegründet ist, um als Richtlinie und Maßstab für alle weiteren Entwicklungen in der muslimischen Seelsorgearbeit zu dienen. Denn zurzeit gibt es aus der Not heraus bundesweit Ausbildungen für muslimische Seelsorger im Schnellverfahren, die keine islamisch-theologische Fundierung besitzen. Diesbezüglich ist die Literatur im deutschsprachigen Raum auch sehr spärlich und es existieren keine gesicherten und systematischen Erkenntnisse wie eine islamische Seelsorge konzeptionell aussehen21 und wie sie in die universitäre Ausbildung integriert werden soll.22 Die Forschung steckt in dieser Hinsicht noch »in den Kinderschuhen« wie es Prof. Ednan Aslan aus Wien in seinem 2015 veröffentlichten Buch Islamische Seelsorge: Eine empirische Studie am Beispiel von Österreich treffend formuliert.23 Dies bestätigt auch Frau Gülbahar Erdem, die seit 2008 die muslimische Seelsorge in Wiesbaden aufgebaut hat. Denn sie sagt am Schluss ihres Artikels Vom Projekt zum Modell. Die muslimische Seelsorge im Aufbau (2014) folgendes: »Die grundsätzliche Frage nach dem Selbstverständnis und dem Auftrag, aus dem die muslimische Seelsorge auch theologisch schöpfen kann, ist ebenfalls noch nicht abschließend beantwortet. Sie bedarf einer fundierten, wissenschaftlichen Aufarbeitung, derer sich in Zukunft voraussichtlich die derzeit entstehenden islamisch-theologischen Fakultäten in Deutschland widmen werden.«24 21 Selbst in der Türkei gibt es keine ausreichenden Werke über die theoretische Grundlegung der islamischen Seelsorge (vgl. Türk, 2014, S. 47). 22 Ednan Aslan: »Was derzeit fehlt, sind universitäre Ausbildungsmöglichkeiten für muslimische SeelsorgerInnen, die ein eigenes, sowohl in der islamischen Tradition begründbares als auch für europäische Verhältnisse konzipiertes Seelsorgekonzept anbieten.« (Aslan/ModlerEl Abdaoui/Charkasi, 2015, S. 21). 23 Vgl. Aslan/Modler-El Abdaoui/Charkasi, 2015, S. 14. 24 Erdem, 2014, S. 381.

IV

418

Abdullah Takim

Deswegen sollte in diesem Bereich auch Grundlagenforschung betrieben werden, indem man z. B. mit Experten aus den USA, England, Österreich, Holland, Belgien, Türkei und den arabischen Ländern zusammenarbeitet. Da diese institutionalisierte Form der Seelsorge für die islamischen Länder neu ist, hat der erste Kongress darüber erst im Jahr 2016 stattgefunden (Istanbul 7.–10. April 2016). Dieser Kongress trägt den Titel First International Congress on Religious-Spiritual Counselling & Care (1. Uluslararası Manevi Danışmanlık ve Rehberlik Kongresi).25 In islamischen Ländern hat man bis jetzt wahrscheinlich diesen Bedarf nicht so sehr gespürt, weil die Kranken und Sterbenden generell von ihren Verwandten betreut und versorgt wurden. Aber veränderte Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse in einigen islamischen Ländern, in Deutschland und anderen europäischen Ländern machen eine Betreuung der muslimischen Patienten/innen (Klienten/innen) durch muslimische Seelsorger/innen notwendig.

IV

3 Grundlagen islamischer Seelsorge und das Menschenbild im Islam Die islamische Seelsorge könnte auf der allumfassenden Barmherzigkeit und Liebe Gottes aufgebaut werden. Denn Gottes Barmherzigkeit und Liebe drücken sich in der gesamten Schöpfung aus und dies bildet den Grundtenor des Korans, denn »Gott hat sich selbst die Barmherzigkeit vorgeschrieben« (Sure 6:54). Gott ist laut dem Koran auch ein gerechter Gott, der wegen seiner Barmherzigkeit niemandem Unrecht tun kann. Denn im Koran heißt es: »Und dein Herr tut den Dienern kein Unrecht.« (Sure 41:46). In einem außerkoranischen Gotteswort (ḥadīṯ qudsī) wird dies bekräftigt: »O meine Diener! Ich habe mir selbst die Ungerechtigkeit verboten und habe sie auch euch verboten. So seid nicht ungerecht gegeneinander.« (Riyād aṣ-Ṣāliḥīn, Nr. 111). Der Schöpfungsauftrag des Menschen als Stellvertreter Gottes richtet sich deswegen auch auf die Aufrechterhaltung der schöpfungsmäßigen Ordnung und Harmonie der Welt, die von Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit durchdrungen ist. Dazu gehört auch der Dienst am Menschen; das doppelte Liebesgebot gilt also auch im Islam. Denn die ganze Schöpfung strahlt die Liebe und Barmherzigkeit Gottes aus. Auch der Prophet Muhammad ist ein Ausdruck der Barmherzigkeit Got-

25 Der zweite gleichnamige Kongress fand zwei Jahre später, nämlich am 22.-24. November 2018, wieder in Istanbul statt. Vgl. http://mdrk.org/en (Zugriff am 2.1.2019).

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

419

tes. Denn der Koran sagt: »Und Wir haben dich nur als eine Barmherzigkeit für die Weltenbewohner gesandt.« (Sure 21:107). Diese Barmherzigkeit, die von Gott kommt, wurde durch den Propheten Muhammad in seinem Leben auch praktisch umgesetzt. In dieser Hinsicht ist er ein vorbildliches Beispiel für die islamischen Seelsorger. In der Sure 3:159 heißt es: »Wegen der Barmherzigkeit Gottes warst du mild zu ihnen. Wärest du grob und hartherzig gewesen, wären sie rings um dich fortgelaufen. So verzeihe ihnen und bitte für sie um Vergebung und ziehe sie zu Rate in den Angelegenheiten. Und wenn du dich entschlossen hast, dann vertraue auf Gott. Gott liebt ja die, die (auf Ihn) vertrauen.« In vielen seiner Aussprüche betont deswegen der Prophet Muhammad auch die Milde und Barmherzigkeit. Er sagt z. B.: »Gott liebt die Milde in jeder Angelegenheit.« Die Barmherzigkeit soll der Mensch auch praktisch umsetzen, denn: »Wer sich der Menschen nicht erbarmt, dessen erbarmt sich Gott nicht.« Ein Muslim ist folglich derjenige, der durch diese ethischen Werte wie Barmherzigkeit und Liebe mit sich selbst, seiner Familie, seiner Umwelt und schließlich mit Gott in Frieden lebt. Einer der Namen Gottes lautet im Koran auch as-salām, was Frieden bedeutet. Goethe bringt dies in seinem West-östlichen Divan folgendermaßen zum Ausdruck: Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident! Nord- und südliches Gelände Ruht im Frieden seiner Hände. Er der einzige Gerechte Will für jedermann das Rechte. Sei, von seinen hundert Namen, Dieser hochgelobet! Amen. In einem Gebet der Muslime heißt es: »O Gott! Du bist der Frieden und der Frieden ist von dir. Erhalte unser Leben, unser Herr, in Frieden und lass uns das Haus des Friedens betreten.« Im Koran werden deshalb die Gläubigen zum Frieden aufgefordert: »O ihr, die ihr glaubt, tretet allesamt in den Frieden und folgt nicht den Fußstapfen des Satans. Er ist euch ein offenkundiger Feind.« (Sure 2:208).

IV

420

Abdullah Takim

Die Passagen im Koran hinsichtlich des Menschenbildes und der Seelenzustände können nur dann richtig verstanden werden, wenn sie in das Gesamtkonzept des Korans, das durch die Barmherzigkeit und Liebe Gottes durchdrungen ist, eingebettet werden. Der Islam ist bekanntlich eine Religion, die die verschiedenen Lebensbereiche – wie die geistige und materielle Welt – nicht trennt. Die Übergänge im Koran sind fließend. Der Islam hat somit eine ganzheitliche Sichtweise der Welt und vom Menschen, weil er ein Gesamtkonzept für den Menschen will. Dazu der bekannte zeitgenössische Korankommentator aus der Türkei Süleyman Ateş: »In dieser Form ist der Koran nicht nur ein Religions- und Jenseitsbuch, sondern eine göttliche Botschaft, die diese und die jenseitige Welt miteinander verbindet. So wie das Leben in dieser Welt eine Komposition der Seele und des Körpers ist, so ist der Koran die Komposition des Diesseits und Jenseits, der Materie und des Geistes. Im Koran ist das ganze Universum, die ganze Natur in Bewegung.«26

IV

In dieser Hinsicht hängt zwar der Körper des Menschen vom Geist (rūḥ) oder der Seele (nafs) ab, aber ganzheitlich betrachtet besteht der Mensch aus Geist und Körper, denn durch das Einhauchen des Geistes (rūḥ) entsteht der Mensch und seine Seele, die seine Persönlichkeit ausmachen. Aus dem Dargelegten geht hervor, dass der Islam die Trennung von Geist und Körper beim Menschen, also einen Dualismus, ablehnt. Der eigentliche Eigentümer von Körper und Geist ist Gott, während der Mensch nur der Besitzer dieser beiden ist. Aus diesem Grunde sollte der Mensch sorgsam mit diesen beiden umgehen. Dieses ganzheitliche Menschenbild liegt auch dem Heil(ungs)- und Seelsorgekonzept des Islams zugrunde. Aber Heil und Heilung müssen aus islamischer Sicht aus einer anderen Perspektive betrachtet werden. Johann Christoph Bürgel bringt dies in seinem Buch Allmacht und Mächtigkeit sehr gut zum Ausdruck, wenn er – das islamische Gesamtkonzept betrachtend – schreibt: »Der Heiligung aber dienen auch die übrigen rituellen Pflichten des Islam: […] die Reinigung, die vor dem Gebet und sonstigen kultischen Handlungen zu erfolgen hat, […] und das Fasten im Monat Ramadan. Ja selbst die Armensteuer kann unter diesem Aspekt gesehen werden als ein Ansatz zur Heiligung des Wirtschaftslebens […]. Die Heiligung des einzelnen wie der Gesamtheit dient der Unterwerfung unter das Heilige, ist deren wichtigs26 Ateş, 1997–2003, Bd. 1, S. 3.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

421

ter Ausdruck. Das Heilige ist Gott, die göttliche Allmacht. Islam bedeutet ja sowohl ›Unterwerfung‹, [was], wenn man es von salām (Heil) ableitet, ›Eintritt in den Stand des Heils‹ [bedeutet. D]as dazugehörige Partizip muslim [meint] also ›sich unterwerfend‹ bzw. ›eintretend/eingetreten in den Stand des Heils‹. Tatsächlich bedingen beide Bedeutungen einander, und wir erhalten den eigentlichen Gehalt des Wortes Islam, wenn wir übersetzen: ›Heilserlangung durch Unterwerfung‹. Heil aber heißt hier nun nicht die Erlösung von Sünden durch das Selbstopfer des Gottessohnes, sondern Einordnung in das von Gott geordnete, von seiner Allmacht durchwaltete All, ja es heißt letztlich Teilhabe an der Allmacht Gottes.«27 Bürgel definiert hier im islamischen Kontext Heil als »Einordnung [des Menschen] in das von Gott geordnete, von seiner Allmacht durchwaltete All«. Das heißt, der Mensch, der in dieser Welt nach Orientierung sucht, kann aus islamischer Sicht sich nur richtig verstehen, wenn er sich in einen größeren Kontext einordnet und die Dinge und Verhältnisse aus dieser Perspektive deutet. Da Gott aus seiner Barmherzigkeit heraus das Universum erschaffen hat, ist das Universum durch die Barmherzigkeit durchdrungen. Das heißt, die Existenz selbst ist Barmherzigkeit. Aus diesem Grunde sollte auch die islamische Seelsorge die Barmherzigkeit Gottes berücksichtigen und den Menschen dadurch aufrichten und ermuntern, indem sie die verschiedenen Seelenzustände der Menschen beachtet. Schließlich hat der Prophet Muhammad gesagt: »Der liebenswürdigste unter den Menschen für Gott ist derjenige, der den Menschen am meisten nützt.« (aṭ-Ṭabarānī: al-Muʿgˇam al-Kabīr, 13646). 3.1  Das Menschenbild im Islam Dem Koran zufolge ist Gott der Schöpfer und der Mensch das Geschöpf. Aus diesem Grunde existiert zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf eine sehr enge Beziehung. Der Koran bezeichnet alle Menschen als Geschöpfe Gottes, die einander gleichgestellt sind. Deswegen sagt auch der bekannte islamische Mystiker Yunus Emre aus dem 13. Jahrhundert: »Liebe das Geschöpf um des Schöpfers willen.«28 Der Mensch wurde in idealer Gestalt erschaffen und mit den besten Weisungen Gottes versehen (Sure 95:4). Als Gott den Menschen erschuf, hat Er ihm von seinem Geist eingehaucht (Sure 15:28–9). Im Koran ist Gott als Schöpfer 27 Bürgel, 1991, S. 23–24. 28 Tatçı, 1991, S. 28.

IV

422

Abdullah Takim

dem Menschen »näher als die Halsschlagader«: »Wir haben doch den Menschen erschaffen und wissen, was seine Seele ihm einflüstert, und Wir sind ihm näher als die Halsschlagader.« (Sure 50:16). Gott ist also der Schöpfer, Ernährer und Erhalter des Menschen und des ganzen Universums. Mann und Frau sind im Angesicht Gottes gleichgestellt und gleichwertig, weil sie von Gott erschaffen worden sind. Beide besitzen die natürliche Disposition Gott zu erkennen (fiṭra: Sure 30:30) und damit ihre inneren Fähigkeiten als freie und vernünftige Lebewesen und Personen zu entwickeln, Verantwortung als gläubige Menschen für ihre Handlungen hier und im Jenseits zu tragen. Der Maßstab zur Bewertung der Menschen besteht nach dem Koran in der Gottesfurcht (taqwā), die aber in Wirklichkeit nur Gott kennt:

IV

»O ihr Menschen, Wir haben euch von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Verbänden und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Der Angesehenste von euch bei Gott, das ist der Gottesfürchtigste von euch. Gott weiß Bescheid und hat Kenntnis von allem.« (Sure 49:13) Glauben und Handeln bilden im Islam eine Einheit. Der wahre Glaube (īmān) an einen barmherzigen Gott erfordert eine Praxis, die diesem Glauben entspricht (ʿamal sāliḥ): »Es ist nicht euer Vermögen, und es sind auch nicht eure Kinder, die euch Zutritt in unsere Nähe verschaffen, mit Ausnahme derer, die glauben und Gutes tun. Diese erhalten einen vielfachen Lohn für das, was sie getan haben, und sie werden in den Obergemächern in Sicherheit sein.« (Sure 34:37) Das intensive Zusammenspiel von Glauben und Praxis führt im Laufe des Lebens dazu, dass der Mensch die koranische Botschaft bestätigt und erkennt, dass die Gottesliebe und Barmherzigkeit alles durchdringt. Der Muslim, der aus der ersten Quelle des Islam, nämlich aus dem Koran, erfährt, dass Gott sehr nahe ist und den Menschen liebt, versucht natürlich, sich Gott durch verschiedene Gottesdienste zu nähern und damit sein Schöpfungsziel zu erfüllen und seine innere Harmonie herzustellen29, was natürlich für die 29 In einem außerkoranischen Gotteswort wird die Annäherung des Menschen an Gott wie folgt beschrieben: »Mein Diener sucht so lange Meine Nähe durch freiwillige Werke, bis Ich ihn liebe; und wenn Ich ihn liebe, dann bin ich das Gehör, mit dem er hört, das Gesicht, mit dem er sieht, die Hand, mit der er greift, und der Fuss, mit dem er geht. Wenn er Mich um etwas bittet, so gebe Ich es ihm usw.« (Zit. nach Ritter, 1978, S. 559).

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

423

seelsorgerische Arbeit im Islam sehr wichtig ist. Diese existentielle Nähe wird in einem außerkoranischen Gotteswort (ḥadīṯ qudsī) so dargestellt: »Himmel und Erde umfassen Mich nicht, aber das Herz Meines Dieners umfasst mich.«30 Die Persönlichkeit des Menschen wird durch diese Erfahrung der Gottesnähe gestärkt. Denn das Bewusstsein, die Nähe zu dem Schöpfer des Universums zu erfühlen und mit ihm verbunden zu sein, verleiht dem Menschen Kraft und Ehre. Laut dem bekannten islamischen Denker Muhammad Iqbāl besteht »die tiefste Erfahrung des Ich als Ich« darin »Gott im Gebet zu erfahren«31. Das heißt, man kann das Gebet als eine existentielle Erfahrung deuten, wo der Mensch die Nähe Gottes erfährt und merkt, dass die »Quelle seiner Existenz« sich in seiner Nähe befindet.32 Aus diesem Grunde muss man nach islamischem Verständnis auch so beten, als ob der Gläubige Gott sähe und seine Nähe spürte (iḥsān).33 3.2 Leben, Krankheit und Tod als Zeichen der Prüfung Gottes und die Heimkehr der Seele zum Schöpfer Die Zugehörigkeit des Menschen zu Gott wird in vielen Versen des Korans zum Ausdruck gebracht. In einem dieser Verse heißt es: »Wir gehören Gott, und zu Ihm kehren wir zurück« (Sure 2:156). Der Muslim wiederholt diesen Vers des Korans, wenn er einer Prüfung ausgesetzt ist, wenn er z. B. krank ist oder hört, dass ein Muslim gestorben ist (vgl. Sure 2:155). Im Koran werden also Leben, Krankheit und Tod als eine Prüfung verstanden, denn darin heißt es: »Er (Gott) hat den Tod und das Leben erschaffen, um euch zu prüfen, wer von euch am besten handelt. Und Er ist der, der mächtig und voller Vergebung ist.« (Sure 67:2; vgl. auch Sure 2:155–157). Das heißt, körperliche oder geistige Krankheiten sowie Krisen dienen dazu, dass man sich an Gott und das Jenseits erinnert und so die Krankheit oder die Krise relativiert und überwindet. Dadurch vervollkommnet sich auch der Mensch, indem er geduldig das Leid, durch das Gott ihn prüft, erträgt. Weiterhin dienen Krankheiten dazu, dass ein Teil der Sünden des Kranken, die er selbst verschuldet hat, vergeben werden. Der Prophet Muhammad sagt dazu:

30 31 32 33

Vgl. Schimmel, 2000, S. 82–83; Schimmel, 1958, S. 208 f. Schimmel, 1958, S. 208 f.; vgl. auch Schimmel, 1952, S. 114. Vgl. Arnaldez, 1987, S. 200. Dies kann man aus der bekannten Prophetenüberlieferung (Iḥsān-Ḥadīṯ) ableiten, wo der Prophet Muhammad gefragt wird, was iḥsān sei. Er antwortet darauf mit den Worten: »Iḥsān bedeutet, dass du Gott dienst als würdest du ihn sehen. Denn auch wenn du ihn nicht sehen kannst, so sieht Er doch dich.« (Al-Buḫārī, 1989, S. 41–42).

IV

424

Abdullah Takim

»Keine Müdigkeit und keine Krankheit, keine Sorge und keine Trauer, kein Schmerz und kein Kummer befällt den Muslim, nicht einmal ein winziger Dorn kann ihn stechen, es sei denn, Gott will ihm damit eine Sühne für seine Verfehlungen auferlegen.«34 Wenn der Mensch krank ist, erinnert er sich daran, dass die Krankheit von Gott kommt und er von Gott abhängig ist. Im Krankheitszustand kann die Gegenwart Gottes also noch intensiver erfahren werden. Deswegen heißt es im Islam auch: Wer den Kranken besucht, besucht auch (indirekt) Gott. Denn in einem Ausspruch des Propheten heißt es:

IV

»Gott, der Hohe und Erhabene, wird am Tage der Auferstehung sagen: O Kind Adams, ich bin krank gewesen, und du hast mich nicht besucht. Er wird sagen: O mein Herr, wie kann ich dich besuchen, wo du doch der Herr der Welten bist? Er wird sagen: Wußtest du nicht, daß mein Diener Soundso krank war, und du hast ihn nicht besucht. Hättest du ihn besucht, hättest du mich bei ihm gefunden; wußtest du es nicht? – O Kind Adams, ich habe dich um etwas zu essen gebeten, und du hast mir nichts zu essen gegeben. Er wird sagen: O mein Herr, wie kann ich dir zu essen geben, wo du doch der Herr der Welten bist? Er wird sagen: Wußtest du nicht, daß mein Diener Soundso dich um etwas zu essen gebeten hat, und du hast ihm nichts zu essen gegeben. Hättest du ihm zu essen gegeben, hättest du es bei mir gefunden; wußtest du es nicht? – O Kind Adams, ich habe dich um etwas zu trinken gebeten, und du hast mir nicht zu trinken gegeben. Er wird sagen: O mein Herr, wie kann ich dir zu trinken geben, wo du doch der Herr der Welten bist? Er wird sagen: Mein Diener Soundso hat dich um etwas zu trinken gebeten, und du hast ihm nicht zu trinken gegeben. Hättest du ihm zu trinken gegeben, hättest du es bei mir gefunden; wußtest du es nicht?«35

34 Al-Buḫārī, 1991, S. 390. 35 Zit. nach Der Koran, 1992, S. 544–545 (Anhang). Vgl. dazu auch das Gleichnis vom Weltgericht in Matthäus 25,31–46.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

425

Für den Muslim oder die Muslimin ist es also eine religiöse Pflicht, einen kranken Menschen zu besuchen. Aus diesem Grunde wird der kranke Muslim/die Muslimin von seiner oder ihrer Verwandtschaft, der Moschee- oder Glaubensgemeinde und von denen, die ihn oder sie kennen, oft besucht. Der Prophet Muhammad bringt dies mit den folgenden Worten zum Ausdruck: »Fünf Pflichten hat der Muslim gegenüber seinem Glaubensbruder: Er ist verpflichtet, den Gruß zu erwidern, den Kranken zu besuchen, am Begräbniszeremoniell teilzunehmen, der Einladung nachzukommen und dem Niesenden Gottes Erbarmen zu wünschen.«36 »Wahrlich ein Muslim, der seinen (kranken) muslimischen Bruder besucht, befindet sich in dieser Zeit auf der Ernte im Paradies.« (at-Tirmid‒ī, Nr. 967) Diese Welt ist laut dem Koran eine Zwischenstation, wo der Mensch sich vervollkommnen sollte, um in die jenseitige Welt zu gelangen. Das heißt, das Leben des Menschen sollte jenseitsorientiert und immer auf Vervollkommnung ausgerichtet sein. Dazu dienen auch Krankheiten. Deswegen wird die Krankheit im Islam auch als eine Gabe und Gnade Gottes gedeutet, wo der Muslim höhere geistige Grade erreichen kann. Unser Prophet Muhammad sagt dazu: »Wem Gott Gutes will, den prüft er mit Krankheit.«37 Durch den Tod gelangt der Mensch schließlich zu seinem Schöpfer, wo er, von weltlichen Problemen befreit, in Frieden leben kann. Aus diesem Grunde sagte der Prophet Muhammad über einen Toten: »[…] Der gläubige Diener (al-ʿabd al-muʾmin) erholt sich von den Strapazen der Welt, während sich von dem sündigen Diener (al-ʿabd al-fāgˇir) die Menschen, die Länder, die Bäume und die Tiere erholen.«38 An diese Gedanken anknüpfend haben die islamischen Denker, besonders die islamischen Mystiker, den Tod als einen Hochzeitstag gedeutet, wo der Liebende (also der Mensch) zum Geliebten (also Gott) gelangt. Der Tod ist also nicht das Ende des Menschen, sondern ein neuer Anfang. Im Tod ist ein neues Leben enthalten. Der Koran sagt dazu: »Gott ist es, der die Körner und die Kerne spaltet. So bringt Er das Lebendige aus dem Toten und das Tote aus dem Lebendigen hervor.« (Sure 6:95). Aus diesem Grunde sollte der Mensch vor dem Tod keine Angst haben und den Tod nicht verdrängen. Mit anderen Worten ausgedrückt, der Tod ist eine Heimkehr zu Gott. Dies wird aus 36 Al-Buḫārī, 1991, S. 172. Siehe auch den Spruch: »Speist den Hungrigen, besucht den Kranken und gebt den Gefangenen frei.« (S. 391). 37 Zit. nach Der Koran, 1992, S. 524 (Anhang). 38 Muslim, Ṣaḥīḥ Muslim, gˇanāʾiz [Begräbnisse], Buch 11, Unterkapitel 21, Nr. 2202/950.

IV

426

IV

Abdullah Takim

dem folgenden Koranvers deutlich: »O du Seele, die du Ruhe gefunden hast, kehre zu deinem Herrn zufrieden und von seinem Wohlgefallen begleitet zurück. Tritt in die Reihen meiner Diener ein, und tritt ein in mein Paradies.« (Sure 89:27–30) Wie aus diesem Zitat ersichtlich ist, wird der Tod als die Trennung der Seele vom Körper verstanden. Das menschliche Leben beginnt im Islam deswegen auch mit der Einhauchung des Geistes, das im Mutterleib stattfindet. Dazu heißt es im Koran: »Dann formte Er (Gott) ihn (Menschen) und blies ihm von seinem Geist ein. Und Er (Gott) machte euch Gehör, Augenlicht und Herz. Ihr seid aber wenig dankbar.« (Sure 32:9) Das, was eigentlich die Person des Menschen ausmacht, ist also laut dem Koran der Geist oder die Seele des Menschen. Das koranische Menschenbild geht nämlich von der Einheit des freien Menschen aus, der für seine Taten und den Schutz seines Körpers und seiner Seele persönlich verantwortlich ist und deswegen im Jenseits dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Körperliche und geistige Gesundheit ist deswegen im Islam ein hohes Gut. Die Einheit und das Gleichgewicht zwischen Geist und Körper sorgen dafür, dass der Muslim oder die Muslimin sich wohl fühlt. Dazu dienen auch die Gottesdienste, die durch den Koran und die Sunna (Gewohnheit des Propheten) geregelt werden. Der Mensch sollte also sorgsam mit seinem Körper und Geist umgehen. Dies kommt auch im folgenden Spruch des Propheten Muhammad zum Ausdruck: »Nutze fünf (Zustände) vor fünf (anderen Zuständen): (Nutze) dein Leben vor deinem Tod, (nutze) deine Gesundheit vor deiner Krankheit, (nutze) deine Freizeit vor deiner Geschäftigkeit, (nutze) deine Jugend vor deinem Greisenalter und (nutze) deinen Wohlstand vor deiner Armut.«39 Da Gott der eigentliche Eigentümer ist, kann der Mensch über Leben und Tod nicht selbst entscheiden. Euthanasie ist deswegen im Islam verboten. Im Koran heißt es dazu: »Sprich: Mein Gebet und meine Kulthandlung, mein Leben und mein Sterben gehören Gott, dem Herrn der Welten.« (Sure 6:162). Dies impliziert auch, dass der Mensch andere Menschen nicht töten kann, es sei denn mit einem berechtigten Grund. Im Koran heißt es dazu: »Wenn einer jemanden tötet, jedoch nicht wegen eines Mordes oder weil er auf der Erde Unheil stiftet, so ist es als hätte er die Menschen alle getötet. Und wenn jemand ihn am Leben erhält, so ist es, als hätte er die Menschen alle am Leben erhalten.« (Sure 5:32) 39 Zit. nach Ilkilic, 2005, S. 2–3.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

427

»Und tötet nicht den Menschen, den Gott für unantastbar erklärt hat, es sei denn bei vorliegender Berechtigung.« (Sure 17:33) Die islamischen Gelehrten beziehen sich auf Verse dieser Art (Sure 5:32; Sure 17:33) und auf Sprüche des Propheten Muhammad, um die Euthanasie und den Selbstmord zu verbieten, weil diese beiden nicht unter den Gründen genannt werden, die laut dem Koran und dem Islam das Töten erlauben. Derjenige, der sich selbst das Leben nimmt, wird die Qualen in der Hölle erfahren, die er während des Selbstmordes erfahren hat. Wer sich zum Beispiel von einer Klippe runterstürzt, um sich das Leben zu nehmen, wird in der Hölle immer wieder von der Klippe stürzen und die Schmerzen erfahren, die er während und nach dem Sturz erfahren hat. In den Aussprüchen des Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm und mit all den Propheten, die Gott gesandt hat, heißt es: »Wer sich selbst erdrosselt, wird sich in der Hölle weiterhin erdrosseln! Und wer sich mit einem Messer ersticht, wird sich in der Hölle weiterhin erstechen!«40 »Keiner von euch wünsche sich den Tod wegen einer Drangsal, die ihn trifft. Wenn er es unbedingt tun will, so soll er sagen: O mein Gott, laß mich leben, solange das Leben für mich besser ist, und berufe mich ab, wenn der Tod für mich besser ist.«41 Der oben genannte Vers (Sure 5:32) wird auch verwendet, um die Muslime anzuspornen, ihre Organe zu spenden, und damit eine andere Person am Leben zu erhalten. Denn der Mensch gehört zu den Lebewesen, die von Gott geehrt wurden. 3.3  Würde und Sonderstellung des Menschen im Islam Im Islam beruft man sich bei der Ableitung der Menschenwürde unter anderem auf den Gedanken der Stellvertreterschaft des Menschen (ḫalīfa) und auf die Sonderstellung des Menschen unter den anderen Geschöpfen: »Und wahrlich, Wir haben den Kindern Adams Würde (karāma) erwiesen und sie über Land und Meer getragen und sie mit guten Dingen versorgt 40 Al-Buḫārī, 1991, S. 181. 41 Al-Buḫārī, 1991, S. 525.

IV

428

Abdullah Takim

und sie ausgezeichnet – eine Auszeichnung vor jenen vielen, die Wir erschaffen haben.« (Sure 17:70)

IV

Wichtig ist in diesem Vers, dass nicht nur den Muslimen, sondern allen Menschen Würde erwiesen worden ist, die unverlierbar ist und den Menschen als Person schützt. Rotraud Wielandt bemerkt zu dieser allen Menschen von Gott verliehenen Würde im Islam: »Es ist dies wohlbemerkt durchaus eine ›Würde ohne Würdigkeit‹, wie sie westliche Rechtsphilosophen heute mit dem Begriff der Menschenwürde zu assoziieren pflegen, das heißt also eine Würde, die der Mensch seinerseits nicht erst durch besondere Leistungen auf dem Gebiet der Pflichterfüllung verdienen muß, die vielmehr zur gottgegebenen Konstitution seines Menschseins gehört und mit dieser gleich ursprünglich ist.«42 Diese Würde und Sonderstellung des Menschen, die auch eine Sonderverantwortung für die Welt mit sich bringt, wird – besonders in der islamisch-mystischen Literatur – mit dem Begriff ašraf al-maḫlūqāt (das Edelste aller Geschöpfe) wiedergegeben. Leben und Tod dienen dazu, dass der Mensch sich mit dieser Sonderverantwortung, die natürlich Freiheit voraussetzt, auf dieser Welt bewährt (Sure 67:2) und damit im islamischen Sinne für das Wohlsein von Leib, Seele und Geist sorgt. Freiheit und Verantwortung in dieser Welt haben im Islam auch einen individuellen Bezug. Das heißt auch, dass die »Erbsünde« im traditionellen christlichen Sinn vom Islam abgelehnt wird: »Und keine lasttragende (Seele) trägt die Last einer anderen.« (Sure 17:15) Im Gottesdienst tritt der Mensch – ohne Vermittler – nur seinem Schöpfer gegenüber (Sure 1). Diese Eigenverantwortung des Menschen für seine Taten als Individuum wird in vielen Koranversen betont. Weiterhin heißt es im Koran: »Wir haben den Menschen auf die schönste und beste Art und Weise erschaffen« (Sure 95:4). Aus diesem Grunde gehört im Islam das Leben zu den fünf Gütern, die geschützt werden müssen. Dazu zählen auch: die Religion, der Verstand, die Nachkommenschaft und der Besitz.43 3.4  Medizin im Islam und Krankheits- und Gesundheitsdeutung Weil das Ziel der Medizin »die Erhaltung der Gesundheit« und »die Heilung der Krankheit ist«, besitzt der Arzt im Islam eine wichtige Stellung, denn er versucht, soweit möglich, das menschliche Leben zu erhalten und den Menschen dadurch zu nützen. Menschen zu nützen und Schaden abzuwenden, gehört zu 42 Wielandt, 1994, S. 103. 43 Vgl. dazu Bassiouni, 2014.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

429

den Prinzipien des islamischen Rechts. Doch der eigentliche Heiler der Krankheiten ist Gott. Gott ist aber auch derjenige, der die Menschen durch Krankheiten und Behinderungen prüft. Er ist also auch die Ursache von Krankheiten und Behinderungen. Die Aufgabe des Arztes ist jedoch, dass er diese Krankheiten heilt, nämlich dadurch, dass er die Heilung, die von Gott kommt, »durch seine medizinische Kompetenz an Patienten [vermittelt].« Deswegen kann die »medizinische Kunst« im Islam als ein »Geschenk Gottes« betrachtet werden.44 Das heißt, Gott, der für jede Krankheit ein Heilmittel herabgesandt hat, hat ebenfalls den natürlichen Gesetzen eine heilwirkende Kraft verliehen und der Arzt bedient sich dieser Gesetzmäßigkeiten. Deswegen sind alle therapeutischen Maßnahmen, die der Besserung und positiven Entwicklung des Menschen dienen und von den Angehörigen, Therapeuten und Ärzten begrüßt werden, aus islamischer Sicht akzeptabel. Dazu sagt der muslimische Arzt Ṣāʿid ibn al-Ḥasan (gest. 1072 n. Chr.): »Die Heilerin der Krankheit [ist] die Natur, die Gott der Erhabene beauftragt hat, die beseelten Körper gesund zu erhalten, ihre Zustände zu verbessern und ihre Beschwerden zu heilen. Der Arzt ist nur ein Diener der Natur.«45 Diese Auffassung stellt eine Auslegung der Aussage des Propheten Abraham dar, der nämlich im Koran die wichtige Aussage trifft: »Wenn ich krank bin, so heilt Gott (Er) mich« (Sure 26:80). Dieser Vers wird von vielen islamischen Gelehrten und Medizinern wiederholt, um zu zeigen, dass Gott der eigentliche Heiler der Krankheiten ist. Denn für jede Krankheit hat Gott ein Heilmittel herabgesandt. Deswegen sagt auch der Prophet Muhammad: »Laßt euch behandeln! Denn Gott hat – außer dem Tod und dem Älterwerden – für alle anderen Krankheiten ein Heilmittel herabgesandt.«46 Wie der Besucher mit einem kranken Menschen umgehen soll und was er ihm sagen soll, kommt im folgenden Ausspruch des Propheten zum Ausdruck: »Wenn ihr einen Kranken besucht, dann ermutigt ihn zum Leben und sagt ihm Worte, die seinen Schmerz lindern und ihn trösten. Denn dies kann zwar nicht die Vorherbestimmung ändern, aber es kann die Moral des Kranken verbessern.«47 44 45 46 47

Alle Zitate aus: Ilkilic, 2005, S. 5. Ilkilic, 2005, S. 7. Zit. nach Ateş, 1997–2003, Bd. 7, S. 472. Zit. nach Ateş, 1997–2003, Bd. 7, S. 480.

IV

430

Abdullah Takim

Das vorherbestimmte Leiden führt zur Läuterung der Seele, wo der Mensch durch das Ertragen der Krankheit das Wohlgefallen Gottes erlangen kann. Denn nach dem Islam ist das Wohlgefallen Gottes das Höchste, was man erreichen kann: »Gott hat den gläubigen Männern und Frauen Gärten versprochen, unter denen Bäche fließen und in denen sie ewig weilen werden, und gute Wohnungen in den Gärten von Eden. Ein Wohlgefallen von Gott ist aber größer. Das ist der großartige Erfolg.« (Sure 9:72)

IV

Der Gläubige schöpft während seiner Krankheit von Gott Kraft, weil er »die Krankheit als Zeichen der Prüfung Gottes« deutet und weiß, dass seine Seele zu Gott zurückkehren wird. Vor dem Tod soll der Muslim oder die Muslimin deswegen auch keine Angst haben, denn der Todeszeitpunkt eines jeden Menschen steht fest. Der Arzt und Theologe Ibn Buṭlān (gest. 1066), für den die Medizin keine exakte Wissenschaft ist, sondern »die Kunst des Möglichen« darstellt48, sagt zum Tod: »Der Arzt kann sich nur bemühen [das Leben des Kranken zu verlängern]. Es ist nicht in der Kraft der Kunst [der Medizin], jeden Kranken zu heilen. Würde jeder Mensch, der den Arzt konsultiert, gesund werden, würde niemand mehr sterben. Aber die Lebensfristen sind [von Gott] festgesetzt. Da gibt es keinen Ausweg. Den Tod kann man nicht überlisten. Es ist nicht in unserer Macht, die [von Gott festgesetzte] Lebensfrist zu verlängern.«49 Tod, Krankheit und Gesundheit können also nicht isoliert von der Religion, Umgebung und Kultur der Menschen betrachtet und gedeutet werden. Dies sollte auch die muslimische Seelsorge bei der Betreuung von Patienten/innen oder Klienten/innen beachten. Der Mensch, der schon von Geburt an den Gottesgedanken in sich trägt (fiṭrat Allāh) und körperlich gereift ist, fängt langsam an, Gott zu erkennen und ihm zu dienen. Diese Gotteserkenntnis und dieser Gottesdienst führen dazu, dass der Mensch beginnt, sich geistig zu entwickeln. Der Mensch, der seine sprachliche Reife erlangt und sich aus Körper, Seele und Geist zusammensetzt, macht eine geistige Entwicklung durch, die in der geistigen Reife ihren Höhepunkt erreicht. Das Gleichgewicht zwischen Vernunft (ʿaql), Herz (qalb), Triebseele (nafs) und Geist (rūḥ) trägt zu dieser geistigen Vollkommenheit durch tazkiyat an-nafs (Läuterung der Triebseele) bei, die zugleich der Ausdruck der religiösen Reife und der höchsten Freiheitsform ist. Dieses Gleichgewicht kann auch gestört werden, wenn der Mensch Fehler begeht, übertreibt, 48 Zit. nach Klein-Franke, 1982, S. 132. 49 Zit. nach Klein-Franke, 1982, S. 115.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

431

verschwenderisch ist oder durch den Einfluss des Satans, seiner Triebseele oder anderer Menschen sündigt, denn der Mensch wurde auch schwach erschaffen. Er ist also ein bipolares Lebewesen. Die Menschen, bei denen dieses Gleichgewicht gestört ist, werden im Koran unter anderem als Menschen beschrieben, in deren Herzen Krankheit (Sure 2:10) vorhanden ist. Der bekannte Koranexeget al-Baid·āwī (gest. ca. 1290) sagt bei der Kommentierung der Sure 2:10 zum koranischen Ausdruck »Krankheit in den Herzen« folgendes: »Krankheit liegt eigentlich in dem vor, was dem Körper akzidentiell widerfährt und ihn aus der ihm eigenen Ausgewogenheit (iʿtidāl) herauszieht und eine Störung in seinen Funktionen hervorruft. Im übertragenen Sinn [bezieht sich der Ausdruck] auf die seelischen Krankheitserscheinungen, welche die Vollkommenheit der [Seele] beeinträchtigen, z. B. Unwissenheit, Aberglaube, Neid, heimlicher Haß und Hang zur Sünde; denn das hindert die Erlangung der Tugenden und führt zum Verlust des wahren, ewigen, zukünftigen und edlen Lebens.«50 Die Wiederherstellung dieses Gleichgewichts geschieht z. B. durch den Gottesdienst, gute Taten, Reue (tauba) und die Vergebung durch Gott, denn »Gott hat Mitleid mit den Menschen und ist barmherzig« (Sure 2:143). Der Vergebungsaspekt im Islam spielt für die Menschen, die keine Hoffnung oder keine Zukunftsperspektive mehr haben, eine sehr wichtige Rolle, da dadurch der Mensch wieder aufgerichtet werden kann. Eine andere Übung, die dieses Gleichgewicht wiederherstellen kann, ist das Gedenken Gottes (d‒ ikr Allāh), durch das der Mensch zur Ruhe kommt: »Diejenigen, die glauben und deren Herzen im Gedenken Gottes Ruhe finden – ja, im Gedenken Gottes finden die Herzen Ruhe.« (Sure 13:28). Gott zu dienen und seine Prüfungen zu ertragen, verhilft dem Menschen zur wahren Freiheit. Der Prophet Muhammad und die anderen Propheten sind in dieser Hinsicht ein Vorbild, denn sie haben verkündet, dass alle Menschen gleich geschaffen und von Natur aus auf Gott ausgerichtet sind und damit die verschiedenen Prüfungen in dieser Welt gemäß diesem Glauben deuten und meistern können, wie z.B Hiob oder auch Josef, der ja unrechtmäßig im Gefängnis war und am Ende errettet wurde. Dieser Gottesglaube ermöglicht den Menschen, sich geistig und körperlich zu entwickeln und dadurch die höchste Freiheitsform zu erreichen. Denn der Gottesglaube und Gottesdienst bedeutet, dass man das höchste Wesen, das existiert, anbetet und sich damit von anderen Abhängig50 Zit. nach Klein-Franke, 1982, S. 122.

IV

432

Abdullah Takim

keiten und Zwängen, die die Persönlichkeitsentwicklung einschränken, befreit, und damit wirklich frei wird. Das heißt, die Welt stellt eine Schule dar, in der man sich durch Prüfungen und Krisen vervollkommnen soll, damit man versetzt wird, nämlich ins Paradies. Mit anderen Worten ausgedrückt, bedeutet dies, dass die Welt eine Leiter darstellt, die dazu dient, höhere geistige Stufen zu erreichen. Wenn man die Welt aber nicht als eine Leiter benutzt, sondern sich darin nur vergnügt, dann hat man laut dem Koran den Sinn des Lebens nicht verstanden. Das heißt, das Leben des Menschen sollte jenseitsorientiert sein, es sollte immer auf Vervollkommnung ausgerichtet sein. 3.5  Der Begriff der Person im Islam

IV

In der geistigen und körperlichen Entwicklung ändert sich zwar der Körper des Menschen ständig, aber der Geist ist immer der gleiche, obwohl sich die geistigen Qualitäten ändern können. Denn wenn sich der Geist des Menschen ändern würde, so würde bei jeder Veränderung eine neue Person entstehen. Die Garantie für die Beständigkeit des Ichs, also der Person, ist der Geist des Menschen. Gott wird im Jenseits die unsterbliche Seele des Menschen in einen unsterblichen Körper kleiden und so den Menschen auferwecken. Die verschiedenen islamischen Disziplinen haben dieses Personenkonzept des Korans übernommen und weiterentwickelt. So stand z. B. für die islamischen Mystiker das Innenleben des Menschen im Mittelpunkt. Denn ihre Devise lautete: »Wer sich selbst kennt, kennt auch seinen Herrn.«51 Die koranischen Einteilungen des Ichs, wie z. B. in an-nafs al-ammāra (das Ich, das Schlechtes befiehlt) oder an-nafs al-lawwāma (das Ich, das sich selbst tadelt = Gewissen), können von den Mystikern dann als verschiedene Bewusstseinsstufen des Ichs gedeutet werden. Der Mensch kann also durch die Läuterung seiner Seele (tazkiyat an-nafs), z. B. durch das Gottesgedenken (d‒ ikr Allāh) oder andere Gottesdienste, höhere geistige Grade erreichen und damit sein wahres Ich erkennen. Dies wird auch bei Yunus Emre deutlich, der im 13. Jahrhundert seine Ich-Erfahrung folgendermaßen zum Ausdruck bringt: »Ich habe ein Ich in meinem Ich innerhalb meines Ichs.«52

51 Vgl. Al-Ghasâli, 1993, S. 35 ff. 52 Tatçı, 1991, S. 201–202; vgl. auch Güzel, 1991, S. 168–170.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

433

3.6. Die Fürsorge für alte, kranke, schwache und beeinträchtigte Menschen Alle Menschen sind nach muslimischer Lehre vor Gott gleichgestellt. Als Sozialwesen hat der Mensch, der eine Verantwortung für sich, seine Mitmenschen und die Umwelt hat, seine Pflichten zu erfüllen und Frieden in seiner Gemeinschaft und Umgebung zu stiften. Im Islam ist der Mensch jedoch nur dann verantwortlich, wenn er seine geistige Reife (ʿāqil) erlangt hat. Wenn der Mensch sein Verstandesvermögen oder sein Unterscheidungsvermögen (tamyīz) verliert oder von Geburt an diese nicht besitzt, entfallen für ihn die religiösen und sozialen Verpflichtungen. Wenn die Eltern alt, schwach und dement werden oder ihr Unterscheidungsvermögen verlieren, soll man sie barmherzig behandeln. Wichtig dabei ist, wie viele Koranexegeten auch darauf hinweisen, dass der Koran dieses Gebot nach der Bestimmung: nur an einen Gott zu glauben, anführt. Damit wird die Wichtigkeit der guten Behandlung der Eltern hervorgehoben: »Und dein Herr hat bestimmt, dass ihr nur ihm dienen sollt, und dass man die Eltern gut behandeln soll, wenn eines von ihnen oder beide ein hohes Alter erreichen, so sag nicht zu ihnen ›Pfui!‹, und fahre sie nicht an, sondern sprich zu ihnen ehrerbietige Worte. Und senke für sie aus Barmherzigkeit den Flügel der Untergebenheit und sag: ›Mein Herr, erbarme dich ihrer, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war‹.« (Sure 17:23–24) Die Fürsorge für Alte, Kranke, Schwache und Behinderte gehört also zu den Pflichten der Muslime. Freundlichkeit, gegenseitige Kommunikation, Akzeptanz und Toleranz sind dabei sehr hilfreich und gehören zu den Grundüberzeugungen des Islam. Im Koran heißt es dazu: »O ihr Menschen, Wir haben euch von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Verbänden und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Der Edelste (Angesehenste) von euch bei Gott, das ist der Gottesfürchtigste von euch. Gott weiß Bescheid und hat Kenntnis von allem.« (Sure 49:13)

IV

434

Abdullah Takim

3.7. Koranverse und Prophetenaussprüche zur Legitimation der Seelsorge im Islam Die Legitimation für Seelsorge kann auch aus den folgenden Versen, in denen die Gottesfurcht, die guten Werke, die Wahrheit und die Geduld betont werden, abgeleitet werden: »Helft einander in guten Dingen (zur Frömmigkeit) und Gottesfurcht, aber nicht zur Sünde und Übertretung!« (Sure 5:2) »Beim Nachmittag! Der Mensch erleidet bestimmt Verlust, außer denjenigen, die glauben und die guten Werke tun, und einander die Wahrheit nahelegen und die Geduld nahelegen.« (Sure 103)

IV

Es existieren auch viele Prophetenüberlieferungen, die die gegenseitige Hilfe, Unterstützung, Ermunterung, Begleitung und Liebe zum Ausdruck bringen und damit auch als Legitimationsgrundlage der Seelsorge dienen können: »Wer einen gläubigen Menschen von einer Notlage (Last, Sorge) dieser Welt befreit und entlastet, dem wird Gott im Jenseits auch von einer Notlage befreien und entlasten. Und wer die Fehler eines Muslims zudeckt, dem wird Gott in dieser Welt und im Jenseits auch seine Fehler zudecken. Gott hilft seinem Diener solange dieser Diener seinem Bruder hilft.« (at-Tirmid‒ī, Nr. 1425; Abū Dāwūd, Nr. 4946). »Die Gläubigen gleichen in ihrer gegenseitigen Barmherzigkeit, Liebe und Freundlichkeit einem Körper: Wenn ein Organ des Körpers leidet (krank ist), sorgt sich der restliche Körper um dieses Organ, indem er mit Schlaflosigkeit und Fieber reagiert!« (Buḫārī, 6011; Muslim, 2586). »Niemand von euch ist wirklich gläubig, solange er nicht für seinen Bruder (oder er sagte: für seinen Nachbarn) liebt (wünscht), was er für sich selbst liebt (wünscht).« (Buḫārī, Kitāb al-Īmān, Nr. 13; Muslim, Kitāb al-Īmān, 17–1, Nr. 45). Jede Wohltat ist ein Almosen: »All das, was gut ist, ist ein Almosen.« (Buḫārī, 6021). Dies wird in einer anderen Überlieferung vom Propheten Muhammad spezifiziert:

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

435

»Dein Lächeln ins Gesicht deines Bruders stellt für dich ein Almosen dar. Gutes zu gebieten und das Schlechte zu verbieten, ist ein Almosen. Einem Menschen den rechten Weg zu zeigen, wenn er sich in einem Land verirrt hat, ist für dich ein Almosen. Für einen Menschen, der schlecht sieht, zu sehen (also einen Blinden zu führen), ist ein Almosen. Die Beseitigung von Steinen (Felsblöcken), Dornen und Knochen von den Wegen (Straßen) ist für dich ein Almosen. Das Ausgießen des Wassers von deinem Eimer in den Eimer deines Bruders ist für dich auch ein Almosen.« (Tirmid‒ī, Birr, 36, Nr. 1956). Das heißt, all diese Tätigkeiten stellen ein Almosen dar. Unterdrückten, unglücklichen Menschen zu helfen (Buḫārī, 6022), ist auch ein Almosen. Aus diesen Überlieferungen kann man schließen, dass die seelsorgerische Betreuung im Islam auch als Almosen oder Spende gedeutet werden kann, indem sowohl der geistige Spender (Seelsorger/in) als auch der/die Empfänger/in der geistigen Spende (Klient/in) davon profitieren und beide dadurch auch geläutert werden können. Die Seelsorge im Islam stellt damit eine Hilfe zur Selbsthilfe dar, die aber auch dem Seelsorger/in selbst hilft, weil diese Tätigkeit auch zum Gottesdienst zählt. Denn im Koran wird gesagt: »Ihr werdet das Gute (Frömmigkeit) nicht erlangen, solange ihr nicht von dem spendet, was ihr liebt; und was immer ihr spendet, seht, Gott weiß es.« (Sure 3:92). Das heißt, alles, was der Mensch liebt, ob dies ein Handwerk ist, eine andere Tätigkeit oder andere geistige Betätigungsfelder sowie sein Hab und Gut, sprich seine materiellen und geistigen Güter (Fähigkeiten), soll er spenden, damit dies nicht nur bei einer Person bleibt oder sich anhäuft, sondern die gesamte Gesellschaft davon profitiert. Der deutsche Dichter Friedrich Rückert bringt diesen Sachverhalt so zum Ausdruck, indem er ein Gedicht des arabischen Dichters Hariri folgendermaßen übersetzt: Wer scharrt, erstarrt; wer häuft, ersäuft.53 Der Koran spornt die Menschen also zum Altruismus an, weil der übertriebene Egoismus sowohl der Person selbst als auch der Gesamtgesellschaft schadet. Zum Altruismus des gläubigen Menschen gehört auch, dass er seinem Bruder oder seiner Schwester gute Ratschläge erteilt (Ihr gebietet das Rechte und verbietet das Verwerfliche und glaubt an Gott, Sure 3:110), um Schaden abzuwehren oder das Gute in ihm zu mehren. Dieser Rat sollte auf die beste Art und Weise erteilt werden, denn der Koran sagt: »… Sprecht freundlich zu den Menschen.« (Sure 2:83) Das gute Wort kann – laut dem Propheten – den Menschen auch vom Höllenfeuer bewahren: »Hütet euch vor dem Höllenfeuer, auch dann, wenn es (durch die Spende) einer hal53 Rückert, 1837, S. 103.

IV

436

Abdullah Takim

ben Dattel wäre, und wer dies nicht findet, dann mindestens durch ein gutes Wort!« (Buḫārī, 6540). Freundlich zu den Menschen zu sprechen, gilt auch für körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen: »Und gebt nicht den Toren euer Vermögen, durch das Gott euch einen Unterhalt verschafft hat. Versorgt sie damit und kleidet sie, und sprecht zu ihnen mit freundlichen Worten.« (Sure 4:5). 3.8  Stellung der Musiktherapie in der islamischen Geistesgeschichte

IV

Das Prinzip des Korans die Menschen »mit freundlichen Worten anzusprechen«, kann unter den Gründen genannt werden, die zur Entwicklung der Musiktherapie in der islamischen Geistesgeschichte geführt haben. In vielen islamischen Dynastien und Herrscherhäusern, wie z. B. bei den Abbasiden (Regierungszeit: 750–1258) und den Osmanen (Regierungszeit: 1299– 1922), wurden Menschen, deren geistige Harmonie gestört war, in Heilanstalten, die man Dār aš-Šifāʾ nannte, durch verschiedene Heilmethoden, wie z. B. durch die Klänge der Rohrflöte (ney), mithilfe von Wassertropfen und -geräuschen, und durch Wohlgerüche, insbesondere von Blumen, behandelt. Dabei spielten die Koranvorträge eine besondere Rolle. In solchen Therapieanstalten wurden in verschiedenen Tonarten (maqām) und mit Instrumenten die Geisteskranken – je nach der Krankheit – behandelt, wobei Musiktherapeuten in diesen Anstalten fest angestellt waren. Annemarie Schimmel sagt dazu: »Man kannte [also] die therapeutische Wirkung der Musik und wandte sie zur Heilung oder zumindest Beruhigung von Geisteskranken an – das Becken in der 1228 erbauten Şifa‘iye von Divriği, Anatolien, in dem der Klang von Wassertropfen zur Behandlung diente, oder der Musiksaal in der Muradiye in Edirne sind die Reste solcher Therapieräume.«54 Einer der heutigen bekannten Vertreter dieser Richtung der Musiktherapie in Westeuropa ist Oruç Güvenç, der dies jedoch bei allen Menschen anwendet.55 3.9.  Kontextgebundenheit von Krankheit und Gesundheit Krankheit und Gesundheit können nicht kontextlos gedeutet werden. Dies wird z. B. durch ein Gespräch deutlich, in dem ein Muslim im Gesundheitsamt einer Dame, namens Frau Geiger, erklärt, was Gesundheit für die Muslime bedeutet. Das Gespräch beginnt mit der Frage: 54 Schimmel, 1995, S. 127. 55 Siehe zu Oruç Güvenç: Langer, 2015.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

437

»Frau Geiger, wissen Sie, was Gesundheit für uns Muslime ist?« Etwas irritiert antwortete ich: »Nein« »Ich werde Ihnen sagen, was unsere Gesundheit ausmacht: Zur Gesundheit gehört, dass wir das Gebet – vorschriftsmäßig – durchführen, dass wir unsere Familie gut versorgen können, dass wir eine Begegnungsmöglichkeit für die Gemeinde haben, und dass wir einen wohnortnahen Platz zum Sterben wissen.« (Aus einem Gespräch mit Herrn C. im Gesundheitsamt, 1996)56. Dieses Gespräch zeigt, dass man Krankheit und Gesundheit nicht isoliert von der Religion, Umgebung und Kultur der Menschen betrachten kann. Der Arzt sollte deswegen, wie der Medizinethiker Hans-Martin Sass es formuliert, nicht nur das Blutbild des Patienten kennen, sondern auch sein Wert- und Weltbild.57 Religiöse, soziale und kulturelle Deutungen helfen, das Krankheitsverständnis einer bestimmten Gruppe oder Religion zu verstehen und die Krankheit innerhalb dieses besonderen Denksystems einzuordnen. Das Gespräch zeigt weiterhin, dass das Wohlbefinden des Muslims nicht nur davon abhängt, dass seine Krankheit geheilt wird, sondern, dass er seine religiösen Vorschriften ausüben, seinen sozialen Verpflichtungen nachkommen und die Aufgaben in seiner Glaubensgemeinde in Übereinstimmung mit dem Koran und der Tradition des Propheten Muhammad erfüllen kann. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit auch als einen Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. Damit wird die Definition der Gesundheit erweitert und nicht nur als Fehlen von Krankheiten und Gebrechen verstanden.58 Der Muslim fühlt sich durch den Koran wohl, der seine ganze Denkweise bestimmt. Deswegen heißt es auch im Koran selbst: »Und Wir senden vom Koran hinab, was den Gläubigen Heilung und Barmherzigkeit bringt« (Sure 17:82). Die Begriffe Gesundheit und Islam haben laut dem Heidelberger Medizinhistoriker Heinrich Schipperges einen semantischen Zusammenhang: »Wir haben zu berücksichtigen, dass der Islam die einzige Hochreligion ist, die das Wort ›Gesundheit‹ bereits in ihrem Titel trägt und damit diesen Zentralbegriff zum Fundament der Weltanschauung und Lebenshaltung gemacht hat. ›s l m‹ = ›salam‹ bedeutet: ein rundum Wohlsein an Leib, Seele 56 Zit. nach Ilkilic, 2002, S. 15. 57 Vgl. Ilkilic, 2003, S. I (siehe darin die Würdigung dieser Schrift von H.-M. Sass: Zum Wohl des Patienten); vgl. auch Mauritz, 2013. 58 Vgl. WHO, 1946.

IV

438

Abdullah Takim

und Geist, das Heile eben. Die Reflexivform von salam ist islam, die Ganzhingabe an das Heile. Wer sich zu diesem Heil bekennt, ist ein ›muslim‹.«59 Wie man leicht erkennt, ist der Begriff der Gesundheit, und damit einhergehend auch der des Wohlseins (das Heile), im Wort Islam selbst enthalten. Nicht nur die Gesundheit, sondern auch Krankheit, Sterben und Tod können für den heutigen Muslim ohne den Glauben an Gott und den Koran nicht richtig verstanden werden, weil sie, wie Bürgel in dem ganz oben erwähnten Zitat sagt, in den Gesamtkontext des Menschseins gestellt werden müssen. Zu diesem Gesamtkontext, der auch das Wohlsein des Menschen fördert, gehören auch die Gottesdienste, die durch den Koran und die Sunna (Gewohnheit des Propheten) geregelt werden.

IV

Die folgenden Worte von Yusuf as-Surramarri (gest. 1374), einem Hadith­ gelehrten (Spezialist für die Aussprüche des Propheten Muhammad), der sich auch lange Zeit mit der Medizin auseinandergesetzt hat, fassen sehr gut das bisher Dargelegte zu Gesundheit und Krankheit zusammen: »Die Gesundheit der Seele gehört zu den wichtigsten Pflichten und die Rücksicht auf die körperliche Gesundheit zu den vordringlichsten Obliegenheiten. Gott sagt: ›Tötet euch nicht selbst, denn Gott hat mit euch Erbarmen!‹ (4,29) Gott sagt auch: ›Stürzt euch nicht mit eigenen Händen ins Verderben!‹ (2,195) Denn auf der körperlichen Gesundheit beruht das rechte Vollbringen in religiösen und weltlichen Dingen und die Ordnung himmlischer und irdischer Geschäfte. Das aber erreicht man nicht ohne die Kenntnis der Medizin, mittels deren man das Schädliche vom Nützlichen […] unterscheidet. Sie gehört zu den edelsten Wissenschaften und ihre Pflege zu den wichtigsten Dingen. Gott der Erhabene hat seine Geschöpfe an drei Stellen seines glorreichen Buches auf die Prinzipien der Körpermedizin hingewiesen. Diese Prinzipien sind drei: Die Erhaltung der Gesundheit, die Vorsicht (himya = Prophylaxe) vor schädlichen Dingen und die Entleerung verderblicher Stoffe. So sagt Er in dem Vers vom Fasten: ›Wer unter euch krank ist oder auf Reisen, (der soll) eine Anzahl anderer Tage (fasten)!‹ (2,184) Da gestattet Er also das Fastenbrechen dem Kranken im Hinblick auf seine Krankheit, die ihn 59 Zit. nach Ilkilic, 2005, S. 1, zitiert aus Schipperges, 2003, S. 25.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

439

entschuldigt, und dem Reisenden im Hinblick auf die (notwendige) Erhaltung seiner Gesundheit und Kraft, damit sie nicht vom Fasten auf der Reise zugrunde gehen, da ja die heftige Bewegung und die durch die Reise bewirkte (stärkere) Auflösung (der Nahrungsstoffe im Körper) und der Mangel an Nahrung, die das Aufgelöste ersetzen könnte, Zusammenkommen, mithin die Kraft schwindet und in Schwäche verkehrt wird. […] Und der Prophet – Gott spende ihm Frieden und Heil! – hat gesagt: ›Gott sendet keine Krankheit herab, ohne ein Heilmittel (dafür) herabzusenden!‹ (Nur:) Der eine weiß es, der andere nicht. Die Gelehrten des Islam haben dann aus Gottes Wort und dem Wort seines Gesandten eine Medizin entwickelt, zu deren Handhabung die geschicktesten Ärzte des Altertums nicht fähig waren, wie es auch das Koranwort: ›Eßt und trinkt und schweift nicht aus!‹ zeigt.«60

4  Islamische Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge Die oben dargestellten Grundlagen der islamischen Seelsorge, die eingebettet sind in das universale Heilverständnis des Islams, können sowohl im Krankenhaus als auch im Gefängnis bei der Betreuung von muslimischen Patienten/ innen oder Insassen/innen angewandt werden. Es gibt also eine Schnittmenge in der Betreuung von muslimischen Patienten/innen und Gefängnisinsassen/ innen, wobei die Grundlagen der islamischen Krankenhausseelsorge auch bei muslimischen Gefängnisinsassen/innen angewandt werden können. Zusätzlich sollten in der Betreuung von muslimischen Gefängnisinsassen/innen bestimmte Punkte beachtet werden, die bei der Ausbildung der muslimischen Seelsorger und Seelsorgerinnen in die Ausbildung integriert werden sollten. Dass neben Patienten/innen in Krankenhäusern auch Gefängnisinsassen im islamischen Mittelalter betreut wurden, erfahren wir von William Montgomery Watt, der in seinem Buch Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter folgendes schreibt: »Im frühen 10. Jahrhundert hören wir auch von Ärzten, die Gefängnisse visitierten, und von der Einrichtung einer mobilen Klinik samt Apotheke zur medizinischen Versorgung der Dörfer im unteren Irak. Dem Vorbild der Hauptstadt Bagdad folgten die Provinzen, und vom 9. Jahrhundert an wur60 Zit. nach Bürgel, 1991, S. 188–189.

IV

440

Abdullah Takim

den auch in den wichtigsten Provinzstädten Krankenhäuser gebaut. Eines der größten war das Mansûrî in Kairo; es entstand 1284 in einem ehemaligen Palast und hatte angeblich Platz für achttausend Patienten. Dieses Krankenhaus war großzügig ausgestattet. Männliche und weibliche Patienten waren getrennt, und es gab auch eigene Stationen für Erkrankungen wie Fieber, Augenentzündung oder Ruhr und für chirurgische Fälle. Neben mehreren Chirurgen und Ärzten, unter ihnen auch Spezialisten, gab es Pflegepersonal beiderlei Geschlechts, einen großen Verwaltungsstab, eine Apotheke, Vorratskammern, einen Andachtsraum, eine Bücherei und einen Vortragssaal. Bei so hervorragenden Krankenhäusern ist es nicht verwunderlich, daß es auch Handbücher über Krankenhausverwaltung gab.«61

IV

Was die Gefängnisse angeht, so kann man sagen, dass der zweite Kalif Umar das erste Gefängnis in der islamischen Geschichte erbaut hat. Er soll ein Haus in Mekka gekauft und zu einem Gefängnis umfunktioniert haben. Daneben gab es auch die Form des Hausarrests im frühen Islam als eine Form der Strafe, die aber dem Gefangenen eine größere Freiheit gewährte. So gab es Gefangene im Hausarrest, wie z. B. Bakkār b. Qutayba (gest. 883), die von ihrem eigenen Fenster aus den Menschen Ḥadīṯ (Aussprüche des Propheten Muhammad) gelehrt haben. Der Unterhalt der Gefangenen wurde durch staatliche Gelder finanziert, damit sie nicht auf der Straße mit Ketten betteln mussten. Diejenigen jedoch, die reich waren und Geld besaßen, mussten manchmal auch für ihren eigenen Gefängnisaufenthalt sorgen und Miete zahlen. Es wurde aber auch darauf streng geachtet, dass keiner unrechtmäßig ins Gefängnis kam.62 Irene Schneider, die diese Informationen gibt, sagt im Weiteren ihres Artikels über das Gefängnis im Islam folgendes über den Gefangenen, indem sie sich auf die mittelalterlichen islamischen Rechtsbücher stützt: »Wenn er krank war, konnte der Gefangene von seinem Diener versorgt und betreut oder er konnte aus dem Gefängnis entlassen werden. Darüber hinaus konnte er Gäste im Gefängnis empfangen, vor allem Mitglieder seiner Familie und manchmal wurde ihm sogar erlaubt, Geschlechtsverkehr im Gefängnis zu haben, wenn ein geeigneter Platz dafür zur Verfügung stand. Ein Gefangener sollte nicht geschlagen, mit Ketten gefesselt, durch die Straßen paradiert oder zur Arbeit gezwungen werden. Dennoch wurde den Häft-

61 Watt, 2002, S. 56. 62 Vgl. Schneider, 1997, S. 547.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

441

lingen verboten an Versammlungen, Festspielen, der Wallfahrt (Hadsch) und Beerdigungen teilzunehmen.«63 Das heißt, gemäß dem Islam sollten die Gefangenen auch im Gefängnis menschenwürdig behandelt werden. Dazu gehört auch die seelsorgerische Betreuung in Gefängnissen, damit sie körperliche und geistige Heilung erlangen. Denn alle Menschen sind Geschöpfe Gottes und besitzen Menschenwürde, doch der Mensch kann laut dem Koran auch Fehler begehen und anderen Menschen Schaden zufügen, für die er hier in dieser Welt oder in der jenseitigen Welt bestraft werden kann. Alles, was der Mensch säet, wird er ernten: »7 Wer nun Gutes im Gewicht eines Stäubchens tut, wird es sehen. 8 Und wer Böses im Gewicht eines Stäubchens tut, wird es sehen.« (Sure 99:7–8). Wenn der Mensch anderen Schaden zufügt, dann fügt er laut dem Koran auch eigentlich sich selbst einen Schaden oder eine Ungerechtigkeit (ẓulm: vgl. Sure 10:44) zu. Der Mystiker Saʿdī aus Schiraz bringt dies folgendermaßen zum Ausdruck: Die Menschenkinder sind ja alle Brüder, aus einem Stoff wie eines Leibes Glieder. Hat Krankheit nur ein einzig Glied erfasst, so bleibt den andern weder Ruh noch Rast. Wenn andrer Schmerz dich nicht im Herzen brennet, verdienst du nicht, daß man noch Mensch dich nennet!64 Der Islam geht aber auch davon aus, dass der Mensch grundsätzlich sich ändern kann, auch wenn er Fehler oder Straftaten begangen hat, die ihn letztendlich selbst treffen. Der Weg zur Resozialisierung ist also für den Menschen immer offen. Dies kann z. B. durch die Reue (tauba) geschehen. Gefängnisseelsorge sollte aber nicht nur aus der Prävention heraus durchgeführt werden wie dies in der Öffentlichkeit von Zeit zu Zeit zur Sprache gebracht wird, sondern sollte den Menschen als Ganzes betrachten und betreuen, damit er körperliche und geistige Heilung erlangt. Die Gesellschaft sollte insgesamt Vorkehrungen treffen und Erziehungsmaßnahmen ergreifen, damit so wenig Menschen wie möglich im Gefängnis landen. Dies hat auch etwas mit den Arbeits- und Wohnverhältnissen, aber auch mit der Verteilungsgerechtigkeit in den Gesellschaften zu tun. Das heißt, der Mensch wird unter anderem determiniert durch den gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext, wobei seine Lebensumgebung auch sehr 63 Schneider, 1997, S. 547. 64 Saʿdī, 1998, S. 49.

IV

442

Abdullah Takim

wichtig ist. So sagt der bekannte iranische Denker und Religionssoziologe Ali Schariati (gest. 1977) in seinem Buch Die vier Gefängnisse des Menschen, dass durch die Veränderung der Umwelt der Mensch sich auch wandeln kann und gibt dazu ein therapeutisches Beispiel aus einem Gefängnis, in der die Gefangenen Teppich knüpfen sollen:

IV

»Ein bedeutender Künstler, der Muster für Teppiche entwarf, erzählte: ›Ich wurde einmal gebeten, in einem Gefängnis die Gefangenen Teppichknüpfen zu lehren. Mit den Verantwortlichen traf ich die Vereinbarung, daß ich für diejenigen Begnadigung beantragen dürfe, welche diese Kunst in ihren Feinheiten erlernt haben werden. Meine Schüler waren zum größten Teil Kriminelle. Schon ihr Aussehen verriet ihre unruhige und aggressive Natur. Wir machten uns an die Arbeit. Sie mußten die Schattierungen der Farben erkennen, Gefühl für ihre Zusammensetzung entwickeln, Fingerspitzen­ gefühl haben, um sie ineinanderzuflechten und zu knüpfen. Sie empfanden die Schönheit und schufen sie. Sie wurden empfindsamer und zartfühlend. Menschen, die vielleicht vor Mord und Bluttaten nicht zurückschreckten, wurden nach einer Zeit künstlerischer Arbeit so empfindsam, daß sie zu Tränen gerührt den mystischen Gedichten lauschten, die ich ihnen vorlas‹.«65 Dieses Beispiel kann bei Menschen sowohl in der Prävention als auch im Gefängnis auch durch andere künstlerische Ausdruckformen umgesetzt werden. Die islamische Seelsorge würde jede Form der Therapie unterstützen und begrüßen, die dem Menschen dient und seine innere Harmonie wiederherstellt. Dazu gehört z. B. auch die Bibliotherapie, die Ali Schariati oben erwähnt und durch die die Seelen der Menschen mithilfe der »Heilkraft der Sprache« verfeinert und Heilungsprozesse ausgelöst werden.

5 Schlussbemerkung Abschließend kann gesagt werden, dass das christlich geprägte Seelsorgesystem nicht einfach übernommen werden sollte, vielmehr sollte der Glaube der Muslime, ihre kulturellen Wertvorstellungen, die jeweiligen Herkunftsländer und der spezielle Kontext der in Deutschland lebenden Muslime berücksichtigt werden, um auf dieser Grundlage ein Konzept unter Heranziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu entwickeln. Dieses Konzept sollte unter wis65 Šarīʿatī, 1981, S. 22.

Das islamische Menschenbild und die möglichen Grundlagen islamischer Seelsorge

443

senschaftlicher Begleitung und mithilfe der Städte in ausgewählten Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten und Gebieten, wo viele Muslime leben, mithilfe der islamischen Religionsgemeinschaften umgesetzt werden. Die Ausbildung der muslimischen Seelsorger/innen sollte bereits in den islamisch-theologischen Einrichtungen anfangen, damit professionelle muslimische Seelsorger/innen in Zukunft ausgebildet werden können. Das heißt, die islamische Theologie in Deutschland sollte auch der Frage nachgehen, wie eine zeitgenössische muslimische Seelsorge in Krankenhäusern und anderen gesellschaftlichen Feldern aussehen kann, und dies mit der Praxis verbinden. In der muslimischen Seelsorge sollte auch thematisiert werden, wie man einen muslimischen Klienten (Patienten) oder seine Verwandten betreuen soll, wenn bei ihm z. B. Krebs, Hirntod oder Aids prognostiziert wird oder wie der Patient laut den islamischen Prinzipien sich verhalten sollte, wenn bei ihm eine unheilbare Krankheit prognostiziert wird. Muslimische Krankenseelsorger/ innen sollten sich folglich nicht nur damit begnügen, lediglich Wissen zu vermitteln, sondern sie sollten auch die lokalen Gegebenheiten und persönlichen Umstände des Klienten (Patienten) beachten und dementsprechend die Klienten individuell seelsorgerisch betreuen, begleiten, beraten und ihnen zuhören. Dies erfordert, dass der/die muslimische Seelsorger/in neben seinem oder ihrem islamisch-theologischen Wissen auch didaktische, psychologische, psychosoziale und interkulturelle Fähigkeiten besitzen soll, die ihm/ihr in seiner/ihrer Ausbildung vermittelt werden sollen. Beenden möchte ich diese Überlegungen mit den Worten des berühmten islamischen Theologen al-Ġazālī (gest. 1111): »Diese irdische Welt ist eine Karawanserei auf dem Wege zu Gott, und alle Menschen finden sich in ihr als Reisegenossen zusammen. Da sie aber alle nach demselben Ziele wandern und gleichsam eine Karawane bilden, so müssen sie Frieden und Eintracht miteinander halten und einander helfen und ein jeder die Rechte des andern achten.«66

66 Al-Ghasâli, 1993, S. 75.

IV

Ehrenamtliche Krankenhausseelsorge

Harald Richter

Das Ehrenamt muss als integraler Bestandteil mit eigenem Recht und eigener Bedeutung innerhalb der Konzeption von Krankenhausseelsorge weiter profiliert und entwickelt werden. Dabei geht es auch um die Aufgabe, das Ehrenamt in seiner eigenständigen Funktion und nicht als bloßen Ersatz-, Ergänzungsoder Hilfsdienst zu verstehen.

IV

1 Fallbeispiel Der Besucher stellt sich im Krankenzimmer als Mitarbeiter der ökumenischen Seelsorge vor. Der Patient reagiert auf die Vorstellung mit der Frage. »Machen Sie das haupt- oder ehrenamtlich?« »Ich arbeite hier als Ehrenamtlicher«, antwortet der Besucher. »Dann«, so der Patient »dürfen Sie bleiben«.

Diese Szene aus der Praxis verdichtet beispielhaft die eigenständige Bedeutung des Ehrenamts in der Klinikseelsorge: ȤȤ Für so manchen Besuchten bedeutet der Besuch eines Ehrenamtlichen eine niedrigere Schwelle und so einen leichteren Zugang zur Seelsorge. ȤȤ Ehrenamtliche bereichern mit ihren vielfältigen Lebenserfahrungen, religiösen und sozialen Hintergründen das personelle Spektrum und inhaltliche Angebot der Krankenhausseelsorge. ȤȤ Ehrenamtliche erweitern das oft auf eine spezialisierte und professionalisierte Sonderseelsorge verengte Verständnis von Klinikseelsorge. Sie erinnern daran, dass Krankenhausseelsorge mehr ist, nämlich Gemeinde an anderem Ort.1 ȤȤ Gute ehrenamtliche Seelsorge genießt vielerorts hohe Wertschätzung und stärkt die Wahrnehmbarkeit und das Profil der Krankenhausseelsorge bei Patient*innen und Angehörigen, bei Trägern und in der Öffentlichkeit. 1 Zum Konzept der Krankenhausgemeinde siehe Richter, 2016.

Ehrenamtliche Krankenhausseelsorge

445

2  Kontext und Situation Belastbare bundesweite Angaben zur Zahl von ehrenamtlich in der Krankenhausseelsorge Mitarbeitenden liegen nicht vor. Eine Umfrage der Arbeitsgemeinschaft für evangelische Krankenhausseelsorge in der Evangelisch–Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) aus dem Jahr 2013 ergab eine Zahl von hochgerechnet ca. 500–600 Ehrenamtlichen für den Bereich der ELKB.2 Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf an gut ausgebildeten Ehrenamtlichen in der Klinikseelsorge noch steigen wird. Die Ursachen sind vielfältig: Die Aufgaben hauptamtlicher Klinikseelsorger*innen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Zugleich drohen angesichts abnehmender finanzieller Ressourcen und Nachwuchszahlen bei gleichzeitig steigenden Ruhestandszahlen deutliche Einschnitte bei den Stellen. So wird sich die Schere zwischen Bedarf und zur Verfügung stehenden finanziellen und hauptamtlichen Ressourcen in den kommenden Jahren weiter vergrößern. Mancherorts zeigt sich zudem, dass die Gewinnung Ehrenamtlicher für die Krankenhausseelsorge nicht einfacher wird. Dabei spielt auch die Konkurrenz anderer helfender und unterstützender Initiativen wie z. B. der Hospizbewegung oder sozial-diakonischer Angebote eine Rolle. Zukunftsweisend wäre, in diesen Anbietern nicht Konkurrenten, sondern Partner einer sinnvollen Vernetzung und Kooperation zu sehen.

3 Bedeutung für die Krankenhausseelsorge und ihre Theologie Die Frage, ob bzw. in welchem Sinne Ehrenamtliche in der Klinikseelsorge auch wirklich Seelsorge leisten, hat in den letzten Jahren wieder an Brisanz gewonnen. 3.1 Zeugnisverweigerungsrecht und Seelsorgegeheimnisgesetz Ein Anlass hierzu waren 2008 neue staatliche Regelungen zum Zeugnisverweigerungsrecht: Während andere Berufsgruppen (z. B. Rechtsanwälte, Ärzte, Journalisten und Steuerberater) seit der Novellierung mit Einschränkungen leben müssen, behielten Geistliche auch danach einen besonderen Schutzstatus im Blick auf das Beicht- und Seelsorgegeheimnis. 2 Richter, 2014.

IV

446

Harald Richter

Zum Schutz der Seelsorge und um den Begriff der Seelsorge dem staatlichen Recht gegenüber zu klären, verabschiedete die EKD daraufhin 2009 das Kirchengesetz zum Schutz des Seelsorgegeheimnisses.3 Darin werden u. a. Bedingungen beschrieben, unter denen auch Ehrenamtliche mit einem besonderen und so geschützten Auftrag zur Seelsorge betraut werden können. Viele Landeskirchen haben diese Regelungen im Blick auf Ehrenamtliche auch in gliedkirchliches Recht umgesetzt. In einer Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz zum gleichen Problemkreis heißt es dagegen: »In der Kirche ehrenamtlich tätige Personen können nach jetzigem Stand nicht damit rechnen, vor Gericht als Geistliche im Sinne des Zeugnisverweigerungsrechts anerkannt zu werden.«4 3.2  Selbstverständnis der Ehrenamtlichen

IV

Aber auch unter den Ehrenamtlichen in der Klinikseelsorge scheint kein einheitliches Selbstverständnis zu bestehen. Selbst in Bereichen, in denen Wert auf eine gute Ausbildung und Begleitung gelegt wird und vonseiten der Hauptamtlichen ein klares Verständnis von ehrenamtlichen Seelsorger*innen besteht, verstehen sich Ehrenamtliche durchaus unterschiedlich. Nehmen die einen den Anspruch, als Seelsorger*innen tätig zu sein, selbstbewusst wahr, so gibt es auch andere, die sich etwa mit Verweis auf ihre begrenzten theologischen Kenntnisse mit solch einer Bezeichnung eher schwertun. 3.3  Ehrenamt und Hauptamt Zudem wird die Frage ehrenamtlicher Seelsorger*innen nicht nur von den Ehrenamtlichen unterschiedlich beantwortet bzw. gelebt. Auch von hauptamtlicher Seite kommt gelegentlich die kritische Anfrage, inwiefern der Seelsorgebegriff auch auf das Ehrenamt angewendet werden kann. Dahinter stehen durchaus gewichtige Argumente, die den Wert einer in der Regel akademischen theologischen und hermeneutischen Qualifikation als unverzichtbarer Voraussetzung seelsorgerlichen Handelns betonen. Zudem lässt mancher Argumentationszusammenhang vermuten, dass es bei diesen kritischen Anfragen an den Seelsorgebegriff im Ehrenamt auch um Standesinteressen geht; etwa um nicht ganz unbegründete Befürchtungen, die 3 Evangelische Kirche in Deutschland, 2009. 4 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2008, S. 9. Zum Teil folgen auch evangelische Landeskirchen einer solchen, eher restriktiven Einschätzung.

Ehrenamtliche Krankenhausseelsorge

447

Option Ehrenamt könne mancher unter Personal- und Kostendruck stehenden Kirchenleitung allzu einfache Lösungswege suggerieren. Beide Einwände sind ernst zu nehmen, auch wenn ehrenamtliches Engagement in der Klinikseelsorge meiner Überzeugung und Erfahrung nach nur im Miteinander von Haupt- und Ehrenamt sinnvoll und möglich ist. Ehrenamtliche Seelsorge kann hauptamtliche Seelsorge am Krankenhaus nicht ersetzen. Sie kann in aller Regel nur Teilaufgaben übernehmen. Hauptamtliche hingegen tragen Verantwortung für das inzwischen immer komplexer werdende Ganze von Krankenhausseelsorge. Gleichwohl fehlt der Seelsorge am Krankenhaus etwas Entscheidendes, wenn sie auf das Engagement Ehrenamtlicher verzichtet. 3.4  Einschätzung in der römisch-katholischen Kirche Auch im Raum der römisch-katholischen Kirche zeigt sich, wenngleich mit regionalen Unterschieden, eine gewisse Zurückhaltung dort, wo es um die Begrifflichkeit ehrenamtlicher Seelsorger*innen geht. Hier spielen neben Fragen der theologischen und hermeneutischen Kompetenz auch solche des Amtsverständnisses eine Rolle. Auch die oben beschriebene, eher skeptische Einschätzung zum Zeugnisverweigerungsrecht von Ehrenamtlichen entspricht dieser Tendenz. 3.5 Europäischer Kontext In einigen europäischen Ländern wie etwa den Niederlanden haben sich überkonfessionelle, religiös wie weltanschaulich plurale Fachverbände von professionellen Krankenhausseelsorger*innen gebildet. Auch hier treten neben klaren Qualitätsstandards berufsständische Interessen profilierter in den Vordergrund, die sich von einer ehrenamtlichen Klinikseelsorge dann eher abzugrenzen bzw. zu unterscheiden suchen. 3.6  Ehrenamt im Kontext der religiösen Begleitung von Muslimen Ehrenamtliches Engagement spielt derzeit auch eine wichtige Rolle im Feld der entstehenden religiösen Begleitung von Muslimen im Krankenhaus. Viele der Pioniere – meist Frauen – sind hier noch ehrenamtlich unterwegs. Dotierte Stellen entstehen erst allmählich und meist auf der Basis regionaler Träger, auch weil es vielerorts auf Seiten des Islams noch an überregionalen, klar organisierten Partnern bzw. Anstellungsträgern fehlt.

IV

448

Harald Richter

Die Bezeichnung religiöse Begleitung von Muslimen im Krankenhaus trägt der Tatsache Rechnung, dass sich im Islam ein eigenes Konzept erst entwickelt. Hier bedarf es für einen anschlussfähigen Seelsorgebegriff – zumindest aus christlicher Sicht – noch weiterer Klärungen. Dies betrifft z. B. das Seelsorgegeheimnis, Trägerstrukturen, Dienst- und Fachaufsicht sowie Standards in der Ausbildung. In dieser Anfangsphase gibt es zahlreiche Kooperationen mit christlichen Ausund Fortbildungsträgern. Dies könnte dazu beitragen, dass auf Seiten des Islam zumindest eine Gruppe von ehren- und später hauptamtlichen Begleiter*innen entsteht, die pastoralpsychologisch ausgebildet und damit für eine Kooperation mit christlicher Seelsorge leichter anschlussfähig ist.5

4  Felder des ehrenamtlichen Engagements 4.1 Krankenbesuche

IV

Den Kernbereich des ehrenamtlichen Engagements im Krankenhaus bildet sicherlich die Besuchsarbeit. Die bereits erwähnte Untersuchung in der ELKB ergab, dass 80 % der Ehrenamtlichen in diesem Feld tätig sind.6 Von gezielter Einzelbegleitung über die seelsorgliche (Mit-)Betreuung von Stationen bis hin zur vollverantwortlichen Zuständigkeit für mehr oder weniger große Bereiche findet sich ein breites Spektrum von Modellen und Zuschnitten, wobei Letzteres (vollverantwortliche Zuständigkeit) nur in Ausnahmefällen und in Verbindung mit klar formulierten Beauftragungen und Aufgabenbeschreibungen sinnvoll und verantwortbar erscheint. Vermuten lässt sich, dass dieses relativ klar definierte Aufgabenfeld von Ehrenamtlichen in der Krankenhausseelsorge auch ein Hinweis auf deren Motivation ist. Wer sich eher praktisch helfend engagieren möchte oder wem die Konfrontation mit den in der Seelsorge zum Alltag gehörenden Ohnmachtserfahrungen nicht liegt, der findet in wie außerhalb der Kirche geeignetere Möglichkeiten des Engagements.

5 Siehe dazu auch das von der Deutschen Islam Konferenz (2017) verabschiedeten Abschlussdokument zur »Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen als Thema der Deutschen Islam Konferenz«; vgl. auch den Beitrag von Abdullah Takim im vorliegenden Band. 6 Vgl. Richter, 2014, S. 593.

Ehrenamtliche Krankenhausseelsorge

449

4.2 Gottesdienst In knapp 20 % der Rückmeldungen zur ELKB-Umfrage7 erstreckte sich das Engagement der Ehrenamtlichen auch auf die Mitwirkung im gottesdienstlichen Bereich. Dabei geht es zum einen darum, auch beeinträchtigten Patient*innen die Teilnahme am Gottesdienst zu ermöglichen. Hier mischen sich oft praktische Unterstützung und seelsorgliche Begleitung auf dem Weg. Zum andern geht es hier auch um die Mitwirkung in der Liturgie und Verkündigung. Wo ehrenamtliche Prädikant*innen und Lektor*innen im Krankenhausgottesdienst eingesetzt werden, ist es sinnvoll, diese liturgisch wie homiletisch auf die besondere Situation im Krankenhaus zuzurüsten. Im katholischen Bereich spielen vielerorts auch Ehrenamtliche eine wichtige Rolle, die Patient*innen die Kommunion ans Bett bringen. 4.3  Weitere Felder ehrenamtlicher Mitarbeit Punktuell lässt sich eine Vielzahl weiterer Formen des ehrenamtlichen Engagements in der Krankenhausseelsorge entdecken. Das reicht, um nur exemplarisch das Spektrum zu verdeutlichen, vom Bereitschaftsdienst am Abend und in der Nacht8 über gelegentlich auch in der Seelsorge aktive Klinikclowns, Singund Spielerunden bis hin zum praktisch-diakonischen Angebot von Unterstützungsdiensten und Botengängen. Gerade Letzteres gewinnt auf dem Hintergrund der immer mehr erstattungsorientierten Organisationslogik der Krankenhäuser zunehmend Bedeutung. Zudem steigt in den Krankenhäusern der Anteil alter, multimorbider Patienten, die ohne ausreichende familiäre Unterstützung vor Ort sind. Hier werden schon sehr einfache Dinge wie Wäsche austauschen, Koffer packen oder Post erledigen zum Problem. In der ELKB-Untersuchung tauchen solche Unterstützungsdienste als Aufgabe Ehrenamtlicher in der Klinikseelsorge kaum auf. Das scheint mit einem bewusst seelsorglich profilierten Konzept zu tun zu haben. Wie sich dies in anderen Landeskirchen oder Diözesen darstellt, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Selbstverständnis der bundesweit aufgestellten »Evangelischen Krankenund Altenhilfe e. V.«9 und der »Arbeitsgemeinschaft Katholische Krankenhaus-­ Hilfe«10, auch unter dem Namen »Grüne Damen und Herren« bekannt, sind solche Dienste hingegen klar im Aufgabenprofil verankert.      7      8      9 10

Vgl. Richter, 2014, S.  593 Z. B. www.sah-eschweiler.de/patienten-besucher/seelsorge/ (Zugriff am 1.3.2019). www.ekh-deutschland.de (Zugriff am 1.3.2019). Caritas-Konferenzen im Erzbistum Paderborn e. V., o. J.

IV

450

Harald Richter

Es gilt hier abzuwägen. Auf der einen Seite steht der wachsende Bedarf auf Seiten von Patient*innen. Auf der andern gilt es kritisch zu prüfen, welche Aufgaben innerhalb des Krankenhauses durch Ehrenamtliche im Allgemeinen und durch Ehrenamtliche in der Klinikseelsorge im Besonderen übernommen werden sollten. Nicht jede sparbedingt aufbrechende Versorgungslücke im Gesundheitswesen (oder auch in der kirchlichen Versorgung durch Hauptamtliche) sollte unreflektiert oder reflexhaft durch ehrenamtliche Dienste ersetzt bzw. abgefedert werden.

5  Voraussetzungen und Qualifizierung 5.1 Voraussetzungen

IV

Es dient dem Schutz aller Beteiligten, dass ehrenamtliche Klinikseelsorger*innen bestimmte Voraussetzungen für ihren Dienst erfüllen müssen. Hier spielen Fragen der Motivation, ausreichende Belastbarkeit sowie Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit in immer wieder neuen Begegnungen ebenso eine Rolle wie die Offenheit zur Selbstreflexion und für ein personbezogenes Lernen. Hinzu kommt die Bereitschaft, sich mit der seelsorglichen Aufgabe zu identifizieren und mit spirituellen und glaubensbezogenen Fragen auseinanderzusetzen. 5.2  Qualifizierung und Qualität Krankenhausseelsorge hat langjährige Erfahrung in der Gewinnung, Ausbildung und Begleitung von Ehrenamtlichen. Die ELKB-Untersuchung ergab, dass 75 % der Gruppen in einer Gründerphase zwischen 1983 und 2003 entstanden,11 inzwischen also auf eine jahrzehntelange Geschichte zurückblicken. Bundesweit lässt sich, parallel zum Bereich der hauptamtlichen Krankenhausseelsorge, eine Entwicklung beobachten, die über Standards bei Rahmenbedingungen, Ausbildung und Begleitung/Supervision die Qualität ehrenamtlicher Klinikseelsorge zu stärken und zu sichern sucht. Gleichwohl ist weiter davon auszugehen, dass in der Ausbildung und Begleitung ehrenamtlicher Klinikseelsorger*innen noch Luft nach oben ist. Die ELKB-Untersuchung förderte zu Tage, dass knapp 15 % der Ehrenamtlichen keine bzw. nur eine minimale Ausbildung haben!12 Solche Lücken gilt es zu 11 Vgl. Richter, 2014, S. 592. 12 Vgl. Richter, 2014, S. 592.

Ehrenamtliche Krankenhausseelsorge

451

schließen, zum Wohl und Schutz von Patient*innen ebenso wie von Ehrenamtlichen. 5.3  Zwischen Standardisierung und Flexibilität Bei Umfang und Ausgestaltung der Ausbildung gibt es trotz Standardisierungstendenzen noch große Unterschiede. Von einer Ausbildung an sechs Abenden innerhalb des ersten Jahres bis hin zur Qualifikation auf dem Niveau eines Sechs-Wochen-KSA Kurses oder eigenständig entwickelten komplexen Curricula13 zeigt sich hier eine bunte und vielfältige Landschaft. Die Tendenz hin zu klaren und einheitlichen Standards für ehrenamtliche Mitarbeiter*innen in der Klinikseelsorge ist zu begrüßen. Aber es braucht auch weiter eine gewisse Flexibilität und Bandbreite, etwa um unterschiedlichen regionalen Bedingungen (Ost – West, Stadt – Land) Rechnung zu tragen. 5.4  Ehrenamt und Taufe bzw. ACK-Klausel Dies gilt auch im Blick auf die kontrovers diskutiert Frage, ob ehrenamtlich in der Klinikseelsorge Mitarbeitende getauft bzw. Mitglied einer der ACK-Kirchen sein müssen. Eine Frage, die auch in anderen Bereichen wie etwa der Telefonseelsorge immer dringlicher wird.14 Befürworter betonen, dass für ein auch geistlich so profiliertes Ehrenamt in der Seelsorge die Voraussetzung der Taufe bzw. ACK-Mitgliedschaft nicht aufgegeben werden dürfe. Andere plädieren hier, etwa auf dem Hintergrund der Situation der Kirchen in den neuen Bundesländern, für mehr Flexibilität und berichten von der missionarischen Chance, die sich hier unter Umständen auch öffnet.15

6  Herausforderungen für hauptamtliche Seelsorger*innen 6.1  Zwischen Freiwilligkeit und Verbindlichkeit Die Gewinnung und Ausbildung, Führung und Begleitung von Ehrenamtlichen stellt eine komplexe Herausforderung für Hauptamtliche dar. Sie sind hier als Kolleg*innen, Seelsorger*innen, Ausbilder*innen, Weisungsbefugte und 13 Vgl. beispielsweise das Curriculum für Ehrenamtliche in der Hospizarbeit: Gratz/Roser, 2016. 14 Vgl. Biel, 2006; Behrendt-Fuchs, 2017. 15 Dabei wäre zu prüfen, ob solche Offenheit die staatliche Anwendung des SeelGG auf Ehrenamtliche gefährden könnte.

IV

452

Harald Richter

Fachleute gefragt. Und dies auf der Ebene der Fachkompetenz wie auf der der Beziehung. Das erfordert Rollenklarheit und fachliche Kompetenz auf unterschiedlichen Feldern. Zu den besonderen Herausforderungen in der (Zusammen-)arbeit mit Ehrenamtlichen gehört es, immer wieder Lösungen im Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und Verbindlichkeit zu finden und die Balance zwischen Gemeinschaftsbedürfnis und Aufgabe zu halten. Fragen der Konkurrenz – unter den Ehrenamtlichen, aber auch zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen – erfordern ebenso Fingerspitzengefühl wie Situationen, in denen ein ehrenamtliches Engagement aus Sicht der verantwortlichen Hauptamtlichen nicht mehr fortgesetzt werden kann. Mancherorts versucht man das Konfliktpotenzial durch formale Regelungen (z. B. eine Altersbegrenzung) zu reduzieren. 6.2  Klare Strukturen und Begrenzung

IV

Gibst du den kleinen Finger, nehmen sie die ganze Hand. Die in diesem Bild verdichtete Erfahrung begegnet häufig auch im Zusammenhang mit ehrenamtlichem Engagement in der Kirche. Im auch psychisch herausfordernden Aufgabenfeld der Klinikseelsorge ist es besonders wichtig, Ehrenamtliche vor Überlastung und Überforderung zu schützen. Dazu gehören neben sachgemäßer Aus- und Weiterbildung sowie zuverlässiger Begleitung auch klare Strukturen. Vereinbarungen zu Rahmenbedingungen, Rechten und Pflichten (z. B. Verschwiegenheit) sowie zum zeitlichen wie inhaltlichen Umfang des Auftrages sollten möglichst schriftlich und so für alle transparent und nachvollziehbar festgehalten sein. Bewährt hat sich, dass Ehrenamtliche – wie bei Hauptamtlichen auch – Urlaub nehmen, die Möglichkeit von Auszeiten (z. B. wegen eines Trauerfalls in der eigenen Familie), ohne deshalb den Anschluss in der Begleitgruppe zu verlieren, oder auch die zeitliche Begrenzung der Selbstverpflichtung (z. B. auf ein Jahr), sodass nicht einmalig die Beendigung, sondern regelmäßig die Entscheidung über eine Fortsetzung oder Beendigung des ehrenamtlichen Engagements thematisiert wird. 6.3  Beauftragung, Berufung und Verabschiedung Wer ehrenamtlich in der Krankenhausseelsorge mitarbeitet, übernimmt ein wichtiges kirchliches Amt. Ehrenamtliche sollten deshalb ordentlich beauftragt, gottesdienstlich eingeführt und für ihren Dienst gesegnet werden. Auch

Ehrenamtliche Krankenhausseelsorge

453

Abschied, Dank und Entpflichtung gehören in einen offiziellen bzw. gottesdienstlichen Rahmen. 6.4  Gemeinde vor Ort und Unterstützung für Hauptamtliche Für hauptamtliche Krankenhausseelsorger*innen können Ehrenamtliche ein wichtiger Rückhalt im Sinne eines Mitarbeiterkreises bzw. einer geistlichen Heimat vor Ort sein. Die Bedeutung dieser Gemeinde vor Ort nimmt mit der wachsenden Säkularisierung, die sich natürlich auch im Gesundheitssystem abbildet, eher noch zu.

7 Forschung Die Ergebnisse der Umfrage in der ELKB 2013 wurden veröffentlicht in der Zeitschrift Wege zum Menschen.16 Wissenschaftlich ausgewertet wurde zudem ein Ausbildungskurs für Ehrenamtliche 2011/2012 im Bistum Münster. Die Ergebnisse finden sich neben anderen Überlegungen zum Ehrenamt im Gesundheitswesen in der grundlegenden Darstellung von Michael Fischer.17

8 Leitsätze Drei Thesen zum Schluss ȤȤ Das Ehrenamt muss als integraler Bestandteil mit eigenem Recht und eigener Bedeutung innerhalb der Konzeption von Krankenhausseelsorge weiter profiliert und entwickelt werden. ȤȤ Ehrenamtliche Seelsorge im Krankenhaus ist sinnvoll und verantwortbar nur im Zusammenhang mit hauptamtlicher Klinikseelsorge mit einem Blick für das Ganze bei klar begrenzter Teilaufgabe. ȤȤ Auf den Hintergrund eines sich bereits abzeichnenden Fachkräftemangels auch in der Klinikseelsorge könnte sich der Bereich zukünftig auch zur Einstiegsmöglichkeit bzw. zu einem wichtigen Reservoir für Quereinsteiger*innen ins Haupt- bzw. Nebenamt entwickeln.

16 Richter, 2014, S. 590–599. 17 Fischer, 2014. Eine Rezension zum Buch von Puch, H.-J. findet Sich unter: www.socialnet.de/ rezensionen/20948.php.

IV

Supervision im Krankenhaus

Kerstin Lammer

IV

Erstmals erscheint in einem Handbuch der Krankenhausseelsorge ein Beitrag zum Thema Supervision im Krankenhaus. Dem liegen die Beobachtungen des Herausgebers zugrunde, a) dass beide Beratungsformate, Seelsorge und Supervision, heute oft zum Standard-Beratungsangebot in deutschen Krankenhäusern gehören und b) dass Krankenhausseelsorger*innen oft auch als Supervisor*innen, qualifiziert sind. Letzteres kann Verwirrung schaffen: In welcher Rolle und Funktion tritt eine Person, die zugleich Seelsorger*in und Supervisor*in ist, im Krankenhaus wem gegenüber? Als wer oder was ist sie für das Krankenhauspersonal ansprechbar, und in welchen Fällen? Der erste Teil dieses Beitrags (1) beschreibt kurz die Unterschiede zwischen Seelsorge und Supervision und erläutert, 1.1 für welche Art von Anlässen, Anliegen und Fragestellungen das eine oder das andere sinnvoll genutzt werden kann und 1.2 wer mit wem das eine oder das andere vollziehen oder nicht vollziehen sollte. Im zweiten Teil des Beitrags (2) wird als Krankenhaus-typisches Format der Supervision die Teamsupervision in multidisziplinären Teams beschrieben, und zwar am Beispiel von Palliative-Care-Teams. Hier wird die These vertreten, dass Supervision dabei oft folgende typische Funktionen zu übernehmen hat: 2.1 Enttäuschungsmanagement und 2.2 Spiritual Coaching.

Supervision im Krankenhaus

455

1  Unterschiede zwischen Seelsorge und Supervision Gegenstand

Die Beratungsformate Seelsorge und Supervision unterscheiden sich vor allem durch ihren Gegenstand: ȤȤ Im Mittelpunkt der Seelsorge steht die Person, die beraten wird, mit ihren persönlichen Lebensfragen. ȤȤ Im Mittelpunkt der Supervision stehen dagegen die Arbeit der Personen, die beraten werden und die auf ihre Arbeit bezogenen Fragen der Supervisand*innen. Zielgruppen

Daraus ergibt sich auch ein Unterschied in den Zielgruppen von Seelsorge und Supervision: ȤȤ Seelsorge wird vorwiegend Patient*innen und deren Zu- und Angehörigen, in zweiter Linie aber auch dem Krankenhaus-Personal angeboten. In der Seelsorge können sie persönliche Lebenslagen, persönliches Befinden, persönliche Probleme und darauf bezogene Fragen und Gefühle benennen, ventilieren und reflektieren. Sie können sie ggf. im Sinne erwünschter Veränderungen oder im Sinne alternativer Betrachtungsweisen und verbesserter Akzeptanz bearbeiten. ȤȤ Supervision wird denjenigen angeboten, die im Krankenhaus arbeiten; in der Supervision können sie arbeitsbezogene Fragen und Belastungen reflektieren, bearbeiten und darauf bezogene Lösungs- und Verbesserungsmöglichkeiten entwickeln. 1.1 Anlässe Seelsorge-Anlässe

Anlässe für Seelsorge1 können generell besondere Lebenslagen sein, vor allem die Wechselfälle des Lebens und alle Arten von Krisen-, Umbruchs- und Übergangssituationen.2

1 Vgl. zum folgenden Abschnitt ausführlicher: Lammer, 2012b; vgl. auch die beiden Texte: Lammer, 2015a; 2015b. 2 Beispiele hierfür sind Verlust und Trauer, Umzug und Neuanfang, Arbeitslosigkeit oder Eintritt in den Ruhestand, Alter, Pubertät, Trennung, Partnerschafts-, Erziehungs- und andere Beziehungsprobleme, erlittenes oder selbst zugefügtes Unrecht, Unfall.

IV

456

Kerstin Lammer

Im Krankenhaus ist der Regelanlass der Seelsorge Krankheit bis hin zu bevorstehendem Sterben. Weitere Anlässe der Seelsorge sind leiblich-seelisch-geistige Verfassungen, die besondere Aufmerksamkeit erfordern.3 Im Krankenhaus werden häufig thematisiert: Sorgen, Ängste und Ohnmachtserfahrungen vor einer bevorstehenden Operation oder nach einer beunruhigenden Diagnose oder etwa Identitäts- und Rollenprobleme, wenn schwere Krankheit dazu führt, dass jemand nicht mehr auf dem bisherigen Niveau sozial funktionieren kann, aber auch Erleichterung, Freude und Dankbarkeit über Heilungsfortschritte, noch erhaltene Fähigkeiten u. v. a. Arbeitsweise

IV

Seelsorger*innen bieten Menschen Gehör, mitmenschliche Anteilnahme und Mitgefühl, Gemeinschaft und seelischen Beistand, Vertraulichkeit (im Sinne der seelsorglichen Verschwiegenheit) und bei Bedarf Klärungshilfe. Sie fragen nach dem Befinden der Betroffenen. Sie geben ihren Gesprächspartner*innen Raum, um auszudrücken, wie sie ihre aktuelle Situation persönlich erleben und deuten und welche Gefühle sie damit verbinden. Bei Bedarf unterstützen Seelsorger*inenn ihre Gesprächspartner*innen bei ihren Suchbewegungen in Orientierungs-, Verstehens- und Sinnfragen, ethischen und anderen Entscheidungsfragen etc. Wenn es gewünscht wird, bieten sie ihnen auch geistliche Ansprache und rituelle Unterstützung durch Bibelworte, Gebet, Abendmahl, Taufe, Salbung, Segnung etc. an. Niedrigschwellige Voraussetzungen

Seelsorgende können alle Menschen anfragen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit, ihrer Weltanschauung, ihrem Alter oder Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung. Im Krankenhaus heißt das auch: unabhängig davon, ob sie Patient*innen, Zu- und Angehörige oder Mitarbeitende sind. Seelsorge wird jedem Menschen niedrigschwellig, bedingungslos und zweckfrei gewährt – dadurch unterscheidet sie sich von allen anderen Beratungsformaten wie Supervision, Coaching, Therapie etc. Um Seelsorge in Anspruch zu nehmen, muss man keine Voraussetzungen erfüllen und keine Ziele erreichen können; man muss weder gläubig noch anständig, noch bekehrungs-, veränderungs- oder besserungswillig oder -fähig sein; man muss nichts können 3 Beispiele sind Angstzustände, Einsamkeit, Scham, Enttäuschung, Schmerz und Leid, Ratlosigkeit, Ohnmachtserfahrungen, Sorgen, Gewissenskonflikte, Entscheidungsdilemmata, Identitätsfragen, Schuldgefühle, Sinnfragen und Sinnsuche, Gefühle von Auswegs- und Orientierungslosigkeit und Suche nach Neuorientierung usf.; aber auch überwältigende Freude, Dankbarkeit und Glück, die mitgeteilt und geteilt werden wollen.

Supervision im Krankenhaus

457

oder verdient haben. Damit verbunden ist ein weiterer Unterschied zu anderen Beratungsformaten: Im Seelsorgegespräch kann, muss aber nicht unbedingt ein Beratungs- oder Klärungsanliegen der beratenen Person formuliert und bearbeitet werden. Hier darf man als Klient*in auch einfach nur den Raum zur Selbst­ thematisierung und zum Selbstausdruck nutzen, das eigene Befinden ventilieren, die eigene Situation beklagen etc. Man kann sich voraussetzungslos und ohne Zielstellung von der Seele reden, weinen oder schreien, was einem auf der Seele liegt. Seelsorgliches Spezifikum

An der Situation, die Anlass zur Seelsorge wird, muss nichts mehr zu machen sein. Wo nichts mehr zu machen ist, wo die Anstrengung anderer Berufe, etwa die ärztliche Kunst, am Ende ist, da fängt die Seelsorge oft erst an. Ein Fall für die Seelsorge liegt gerade dann vor, wenn Leiden nicht mehr abzuwenden oder zu heilen ist, sondern getragen und ertragen werden muss. Wenn man schwer zu verkraftenden Tatsachen wie etwa der Unumkehrbarkeit eines Krankheitsverlaufs, einer bleibenden oder fortschreitenden körperlichen Einschränkung, dem dauerhaften Verlust von Gesundheit und Leistungsfähigkeit oder sogar dem Nahen des Todes nicht mehr entgehen, sondern nur noch fragen kann, wie man damit umgehen und sich dazu einstellen kann. Wenn es darum geht, wie man (angesichts dessen, was nicht mehr zu ändern ist) sich selbst, die Welt und das Leben noch verstehen und akzeptieren und sich dazu verhalten kann. Dies sind Standard-Indikationen für Seelsorge im Krankenhaus. Supervisions-Anlässe

Anlässe und Indikationen für Supervision sind dagegen berufsbezogene Fragen und Probleme.4 Die Supervision bietet Raum, um diese zu reflektieren und dadurch die Arbeit der Supervisand*innen im Hinblick auf ihre Arbeitsleistungen, auf ihre Arbeitszufriedenheit, auf ihre Arbeitsbeziehungen und auf ihr berufliches Selbstverständnis zu verbessern. Somit ist Supervision auch ein Instrument zur Personal- und zur Qualitätsentwicklung. Supervisions-Formate

Supervision wird vorwiegend in den drei Formaten Einzel-, Gruppen oder Teamsupervision angeboten. In Kliniken wird Supervision oft als Supervision von multiprofessionellen Stationsteams durchgeführt, die aus Ärzt*innen, Therapeut*innen, Pflegenden, Seelsorger*innen und ggf. weiteren Mitarbeiter*innen der Station bestehen. 4 Vgl. zum folgenden Abschnitt ausführlicher: Lammer, 2005.

IV

458

Kerstin Lammer

Häufig gehören in besonders belastenden klinischen Arbeitsbereichen wie Psychiatrischen Stationen oder im Palliative-Care-Bereich regelmäßige, etwa im monatlichen Abstand stattfindende 90-minütige Teamsupervisionen zum verpflichtenden Standardprogramm der Qualitätssicherung. Meist besteht hier sowohl die Option zur Teamentwicklungssupervision (d. h. zur Bearbeitung kommunikativer, zwischenmenschlicher oder struktureller Probleme im kollegialen Miteinander und in den organisatorischen Abläufen auf der Station) als auch die Option zur Fallsupervision (d. h. zur Bearbeitung von besonderen Problemen und Fragestellungen hinsichtlich des therapeutischen oder zwischenmenschlichen oder persönlichen oder institutionellen Umgangs mit Patient*innen oder deren An- und Zugehörigen, die von einzelnen oder mehreren Teammitgliedern als »schwierig« empfunden werden). Beispiele

IV

Beispiele für Problemstellungen in der Fallsupervision können sein: Patient*innen unterlaufen die verordnete Medikation, arbeiten in der Therapie nicht mit und verhalten sich vorwürflich, aggressiv oder manipulativ gegenüber dem Personal und/oder Mitpatient*innen. Die Ehepartner von Patient*innen mischen sich in Therapieentscheidungen ein oder konterkarieren die Therapie. Das Team ist ratlos oder untereinander uneins hinsichtlich der weiteren Therapie von Patient*innen, da alles bislang Versuchte nicht anschlägt. Es fällt einzelnen oder mehreren Teammitgliedern schwer, bestimmten Patient*innen gegenüber ein passendes Maß an professioneller Distanz und professioneller Zuwendung zu halten, weil diese bei ihnen entweder besondere Abneigung wecken und ihnen schwer erträglich erscheinen oder ihnen umgekehrt besonders sympathisch sind, ihr Schicksal ihnen besonders nahe geht und sie sich mit ihnen oder ihren Zugehörigen identifizieren. Beispiele für Fragestellungen in der Teamentwicklungssupervision können sein: Es gibt persönliche Konflikte zwischen einzelnen Teammitgliedern. Die verschiedenen Generationen im Team haben von ihren verschiedenartigen Ausbildungen, beruflichen Sozialisationen und Kraftreserven her unterschiedliche Arbeitsauffassungen und Bedürfnisse hinsichtlich des Maßes und der Art des beruflichen Engagements. Neue strukturelle Arbeitsbedingungen schaffen Probleme mit der Identifikation mit dem Beruf oder mit der Loyalität zur arbeitgebenden Organisation; z. B. werden im Klinikbereich Belegzahlen und Dokumentationspflichten bei gleichbleibendem Personalschlüssel erhöht, sodass die bisherige Qualität der Patient*innenversorgung nicht oder allenfalls zulasten des Personals gehalten werden kann.

459

Supervision im Krankenhaus

Arbeitsweise

Die supervisorische Bearbeitung solcher Themenstellungen beschränkt sich (im Unterschied zu Seelsorge) nie auf deren persönliche Aspekte (»Womit hat die einzelne Person, der sich eine Frage stellt, Probleme, und was hat das mit ihr selbst und ihrem persönlichen Hintergrund zu tun«), sondern die Anteile der betroffenen Person an der Problemstellung sind immer nur einer unter mehreren Bearbeitungsaspekten. Zusätzlich werden in die supervisorische Analyse möglichst viele der in der nachstehenden Grafik gezeigten interpersonellen, kommunikativen, auf die berufliche Rolle bezogenen und strukturellen Aspekte einbezogen. Eine Besonderheit der pastoralpsychologischen Supervision ist, dass ein Akzent auf der Erschließung der Sinndimension der jeweiligen Problemstellung liegt. Sinn-/ Bedeutungsdimension berufliche Aufgabe, Klientenbezug

berufsausübende Person

IV

berufliche Rolle(n) berufliche Arbeit

berufl. Beziehungen/ Kommunikation

arbeitgebende Organisation

Abb. 6: Spannungsfeld der supervisorischen Analyse nach Lammer, 20075

5 Vgl. Klessmann/Lammer, 2007, insbesondere S. 12 ff.

460

Kerstin Lammer

1.2 Seelsorge oder Supervision – wer mit wem und wer mit wem nicht?

IV

Oben wurde bereits deutlich, dass im Krankenhaus Supervision nur denen angeboten wird, die dort beruflich (oder evtl. ehrenamtlich) arbeiten, Seelsorge jedoch von allen in Anspruch genommen werden kann, die sich im Krankenhaus befinden: Patient*innen, deren Zugehörige und Personal. Die Zielgruppe, für die beide Beratungsformate infrage kommen, ist also das Personal. Z. B. könnte sich eine Ärztin oder eine Pflegekraft, die den Krankheitsverlauf eines bestimmten Patienten als besonders berührend und belastend erlebt, weil der Patient oder sein Schicksal sie an den eigenen Sohn oder Partner oder Vater erinnert, sich damit sowohl an einen Seelsorger wenden (dann würden vorwiegend die persönlichen Aspekte angesprochen) als auch an eine Supervisorin – dann würden darüber hinaus auch berufsbezogene Fragen thematisiert, z. B. Fragen der Rollenklärung: Wie reagiere ich als Person (z. B. aus einer Identifikation als Sohn, Partner oder Vater) auf den Patienten, und was ist im Unterschied dazu in meiner Rolle als Arzt gegenüber dem Patienten gefordert? Rolle klären – Seelsorger*in oder Supervisor*in

Für das Krankenhauspersonal kommen also beide Beratungsformate, Seelsorge und Supervision infrage. Aber es kommt nicht für beide Formate dieselbe Person (d. h. der-/dieselbe Berater*in) infrage. Im Krankenhaus sollte also nicht dieselbe Person sowohl für die Seelsorge am Personal als auch für die Supervision des Personals zuständig sein – auch dann nicht, wenn die Krankenhausseelsorger*in eine zusätzliche Qualifikation als Supervisor*in hat. Das hat berufsethische und praxeologische Gründe: es käme sonst leicht zu Interessenkonflikten und Rollendiffusionen, und zwar auf allen Seiten (d. h. bei denen, die die Seelsorge oder Supervision anbieten und bei denen, die sie in Auftrag geben oder in Anspruch nehmen). Supervisorisch qualifizierte Seelsorger*innen sollten Supervisionstätigkeiten nicht im eigenen Hause, sondern nur extern ausüben. Ausgenommen hiervon sind Fälle, in denen es sich bei den Supervisand*innen nicht um Krankenhauspersonal handelt, nämlich: die Supervision ehrenamtlicher Seelsorger*innen und die Ausbildungssupervision für Seelsorger*innen in der pastoralpsychologischen Weiterbildung.

Supervision im Krankenhaus

461

2 Teamsupervision in multidisziplinären Teams als krankenhaustypisches Supervisionsformat Teamsupervision ist ein krankenhaustypisches Supervisionsformat. Teams auf Palliativ-Stationen sind besonders hohen Belastungen durch gehäufte terminale Erkrankungen und Sterbefälle ausgesetzt; in vielen Kliniken gehören deshalb regelmäßige Teamsupervisionen auf Palliativ-Stationen zu den Qualitätssicherungsstandards. Daher werden sie hier als Beispiel gewählt. Regelhaft kommen hier m. E. zwei supervisorische Kernaufgaben vor, die ich als Enttäuschungs­ management und als Spiritual Coaching bezeichne. 2.1 Enttäuschungsmanagement in der Supervision multidisziplinärer Stationsteams am Beispiel von Palliative-Care-Teams In Palliative-Care-Teams kommt es oft deshalb zu Konflikten, weil an die Arbeit in Palliative Care im Allgemeinen und an die multidisziplinäre Kooperation im Besonderen hohe Ideale und Erwartungen geknüpft werden, die fast zwangsläufig ent-täuscht werden müssen. Insbesondere wird das, was Multidisziplinarität in einem Palliative-Care-Team bedeutet, oft in missverstanden und idealisiert. Die Kommunikation klappt nicht so gut wie gewünscht, die Einigkeit ist nicht so groß, wie gedacht, der Arzt, die Ärztin trifft andere Behandlungsentscheidungen, als es ihm oder ihr in der Teambesprechung nahegelegt wurde; dem Team fällt es schwer, dies zu akzeptieren. Die Enttäuschung darüber ist auf einer personalen Ebene nicht sinnvoll zu bearbeiten. D. h. es ist nicht nur unprofessionell, es ist auch nicht hilfreich, solche Konflikte persönlich zu nehmen oder Personen dafür verantwortlich zu machen. Denn das Problem liegt nicht bei Personen, sondern an den Verhältnissen im Gesundheitswesen. Täuschungen aufklären, Konflikte entpersonalisieren

Damit solche Konflikte nicht personalisiert werden, sondern die Problemursachen auf die Ebene gelangen, auf der sie sich auch bearbeiten lassen, bedarf es m. E. einer Auflösung von Missverständnissen und Täuschungen. M. a. W.: Es ist hilft nicht, wenn man im Team voneinander enttäuscht ist, sondern es hilft, sich über die Verhältnisse, die den Konflikt verursachen, zu ent-täuschen. Bearbeitbar ist das Problem auf struktureller, berufsständischer und spiritueller Ebene. Supervision kann dabei unterstützen. Die Ent-Täuschungen und deren Bearbeitung im Rahmen eines Enttäuschungsmanagements sind m. E. notwendig, um

IV

462

Kerstin Lammer

ȤȤ Konflikte zwischen den Berufsgruppen zu reduzieren und ȤȤ die einzelnen betroffenen Pflegenden zu entlasten und gesund und zufrieden zu erhalten. Verschiedene empirische Befragungen Pflegender haben gezeigt: Die Diskrepanz zwischen Ideal und Realität der Pflege in der Palliativversorgung ist ein bedeutsamer Belastungsfaktor.6 Wer in Palliative Care arbeitet, ist beruflich überdurchschnittlich hohen psychischen Belastungen ausgesetzt: Fast alle Patient*innen, um die er oder sie sich beruflich sorgt, sterben, ja, sie werden erst deswegen zu Palliative-Care-Patien*innen, weil sie bestmöglich sterben wollen: gut begleitet und umsorgt, unter Wahrung ihrer Bedürfnisse, Wertvorstellungen und Entscheidungen. Resilienz durch Sinnhaftigkeit der Arbeit

IV

»Wieviel Tod verträgt das Team?«, fragten Monika Müller und David Pfister in ihrem Buch zur Hospizarbeit und Palliativmedizin.7 So viel Sterben und Tod, so viel Trauer, so viel Leiden und Schmerz bis hin zu total pain, so viele schwierige ethische Dilemmata und Konflikte um Einleitung oder Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen, Sedierung bis hin zu letalen Dosen, Anliegen bis hin zu Gewährung oder Nicht-Gewährung von Sterbehilfe und assistiertem Suizid. Trotz dieser enormen Belastungen liegt die Quote der Burnout-Erkrankungen unter den in Palliative Care Arbeitenden deutlich niedriger als in anderen Berufsgruppen8, laut einer neueren Studie aus Deutschland sogar bei unter 1 %.9 Als entscheidend für das Wohlbefinden der palliativ Tätigen ist nach einer Studie von Ablett und Jones (2007) deren Resilienz anzusehen, und zwar Resilienz i.S. der Fähigkeit, gegenüber den Belastungen aktiv einen Rahmen von Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit herzustellen.10 M. a. W.: Viele in Palliative Care Tätige nehmen die besonderen Belastungen gern in Kauf, denn dem Preis steht auch ein enormer Gewinn gegenüber: Sinn und Bedeutung der Arbeit. Ich möchte ergänzen: Werthaltigkeit der Arbeit, Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen, die auch das eigene Leben und Sterben betreffen, Intensität des Erlebens und der Beziehungen, Ganzheitlichkeit der multidisziplinären Sorge bzw. Care, die dem Patienten zuteilwird, ganzheitliches Zusammenwirken der verschiedenen Professionen, Kollegialität – vor allem aber Beteiligung an multi     6      7      8      9

Vgl. Hopkinson/Hallet/Luker, 2005; McWilliam/Burdock/Wamsley, 1993. Müller/Pfister, 2014a. Vgl. Vachon, 1995, zit. nach Bracks, 2014, S. 33. Bracks, 2014, S. 33. Bracks rezipiert verschiedene Studien, lt. derer die Burnout-Raten bei Rettungsdienstpersonal 9 %, bei therapeutischem Personal in psychiatrischen Fachkliniken 12,5 % und bei Hauptschullehrkräften 41 % betrügen. 10 Ablett/Jones, 2007; zit. nach Jünger, 2014, S. 28.

Supervision im Krankenhaus

463

disziplinären Konsultationsprozessen, was auch Wertschätzung und Ansehen der eigenen Profession bedeutet. Multidisziplinarität als erwarteter Sinngewinn

Das Letztgenannte ist vor allem für die nicht-ärztlichen Berufsgruppen oft ein wichtiger Bestandteil des Sinngewinns: Überall sonst im deutschen Gesundheitswesen sind alle anderen Professionen der ärztlichen klar untergeordnet. Nirgendwo sonst im Gesundheitswesen sind die nicht-ärztlichen Professionen so wichtig wie in Palliative Care. Martina Kern, die Leiterin des Zentrums für Palliativmedizin am Malteser-­ Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg und ihre Co-Autorin Cornelia Jakob-Krieger, Psychotherapeutin und Supervisorin beschreiben dies so: Palliative und hospizliche Teams haben eine hohe Identifikation mit der Hospiz-Idee und ein starkes Wir-Gefühl. Es besteht »[…] die ideelle Erwartungshaltung, dass die Begleitungsziele [im Blick auf die Patienten] sowie deren Umsetzung innerhalb eines Teams endlich einmal kongruent seien und man ausschließlich an den Patientenbedürfnissen orientiert arbeite. Der einzelne Mitarbeiter stellte sich vor, hier dürfe er endlich seine berufliche Vision leben, brauche die langen, vielfach unerquicklichen Diskussionen über Therapieoptionen zwischen z. B. Ärzten und Pflegenden nicht mehr zu führen. Hier sei ein Ort, an dem Hierarchie keine Rolle spiele und jeder in Ruhe, friedvoll und in großer Einmütigkeit mit den Kollegen arbeiten dürfe.«11 Multidisziplinarität als Enttäuschung

Diese ideelle Erwartungshaltung hat durchaus einen gewissen Anhalt an der Realität, enthält aber zugleich Missverständnisse und unrealistische Idealisierungen, oder, zugespitzt gesagt: Täuschungen, die Ent-Täuschung provozieren – und sie (i.S. einer Realitätsprüfung) geradezu erfordern. Denn: Erstens: Palliative Care braucht multidisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten, Pflegekräften und weiteren Fachkräften wie Sozialarbeitern, Physiotherapeuten, Seelsorgern, Psychologen sowie auch ehrenamtlich Helfenden – darüber besteht Einigkeit von den ersten programmatischen Texten der Mutter der Hospiz-Bewegung, Cicely Saunders, bis hin zu den heutigen aktuellen Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen. Aber: Multi­disziplinarität ist nicht gleichbedeutend mit guter Teamarbeit, schon gar 11 Vgl. Kern/Jakob-Krieger, 2014, S. 172 (Hervorhebung K. L).

IV

464

Kerstin Lammer

nicht mit funktionierender, harmonischer Teamarbeit. Der Begriff Multidisziplinarität beschreibt vielmehr die strukturell schwächste Form möglicher Kooperationen. Zweitens: In Palliative-Care-Teams sind nicht-ärztliche Berufsgruppen gegenüber den ärztlichen zwar tendenziell aufgewertet, aber: Multidisziplinarität bedeutet auch hier keineswegs Äquivalenz, bedeutet nicht Gleichheit nicht Gleichrangigkeit und vor allem nicht: Gleichberechtigung der Disziplinen. Beides möchte ich im Folgenden näher erläutern. Kontext – Multidisziplinarität dient nicht zuerst dem Team

Multidisziplinarität wird aus verschiedenen Gründen bzw. von verschiedenen Interessenlagen her gefordert:12 ȤȤ zum Nutzen für Patienten: dann geht es um Versorgungsqualität; ȤȤ zwecks wirtschaftlichem Nutzen: dann geht es um Kosteneinsparung; ȤȤ zum Nutzen für die Berufsangehörigen: dann geht es um Gesundheitsförderung und um Arbeitszufriedenheit der im Team Beschäftigten.

IV

Die Patientenversorgung ist ganz klar dasjenige, das am Beginn der Hospizbewegung und der Palliative Care stand. Um sterbenden Patient*innen die beste noch erreichbare Lebensqualität zu ermöglichen und sie in einen Mantel ganzheitlicher Zuwendung einzuhüllen, reichen einzelne Professionen nicht aus; es ist mulitidisziplinäre Sorge erforderlich. Multidisziplinarität dient primär den Patient*innen, nicht dem Team. Das wirtschaftliche Interesse an Multidisziplinarität ist in Deutschland im Zuge der Gesundheitsreformen und der fortschreitenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren immer stärker hervorgetreten: komplexe Aufgaben werden in verschiedene Teil-Tätigkeiten aufgespalten, die man kostensparend auf verschiedene, unterschiedlich qualifizierte Mitarbeitende verteilt.13 Gesundheitsförderung und Förderung der Arbeitszufriedenheit entsprechen vielfach den Erwartungen der in Palliative Care Beschäftigten; m. a. W.: Teams erwarten oft, dass Multidisziplinarität dem Team selbst dient. Empirische Studien, in denen Mitarbeitende in Hospizen und auf Palliativstationen befragt wurden, zeigen: für die Beschäftigten ist das Team der bedeutendste resilienzfördernde Schutzfaktor (noch vor Humor; Privatleben, Glaube und

12 Vgl. Voelker, 2011, S. 138–143. 13 Vgl. hierzu Schnurr, 2005.

Supervision im Krankenhaus

465

Ritualen)14, zugleich aber auch ein Belastungsfaktor, wenn sie sich im Team nicht genügend unterstützt fühlen15, wenn es zu »Überredseligkeit« i.S. von Psychologisieren, zu »Gereiztheit« im Team bzw. zu »Spannung zwischen den Berufsgruppen« kommt.16 Während zu viel Nähe zu Patient*innen und deren Zugehörigen oft als belastend empfunden wird (u. a., weil sie mitleidenschaftliche Trauergefühle auslöst), ist es das Team, das Rückhalt und Unterstützung geben soll. Die Unterstützungserwartung an das Team schlägt aber in Belastung um, wenn es im Team Konflikte gibt.17 Ent-Täuschung 1: Multidisziplinarität ist nicht gleich gute Kooperation

Ob die multidisziplinäre Arbeit in Palliative Care die hohen Erwartungen der Mitarbeitenden erfüllen kann, ist – sowohl im stationären Bereich als auch insbesondere im ambulanten Bereich der SAPV – schon aus strukturellen Gründen fraglich. Aus Sicht der Medizinsoziologie ist nämlich multidisziplinäre Zusammenarbeit im Unterschied zur interdisziplinären oder interprofessionellen Zusammenarbeit eine schwächere und weniger verbindliche Form der Kooperation.18 Zwar sind mehrere Berufsgruppen an der Versorgung der Patienten beteiligt, aber ihre Kontakte miteinander sind seltener, disziplinäre Grenzen, Optiken und Methodiken werden oft nicht überschritten. »Multidisziplinarität lässt alles Fachliche oder Disziplinäre, wie es ist. Man rückt nur auf Zeit und ohne die eigenen fachlichen oder disziplinären Orientierungen irgendwie zur Disposition zu stellen, zusammen.«19 Ent-Täuschung 2: Multidisziplinarität ist nicht gleich Gleichberechtigung der Berufsgruppen

Palliative Care verspricht wie keine andere Sparte im Gesundheitswese den nicht-ärztlichen Berufsgruppen eine Aufwertung ihrer Professionen. Denn anders als in anderen Sparten geht es ja in Palliative Care, und das ist neu, defi-

14 Pfister, 2014b, S. 181; vgl. auch Müller/Pfister, 2014b, S. 16. Für den ambulanten SAPV-Bereich in Deutschland sind mir noch keine vergleichbaren Studien bekannt. Vgl. auch: Müller/Pfister/Markett/Jaspers, 2009. 15 Vgl. Yancick, 1984, zit. nach: Pfister, 2014b, S. 182. 16 Vgl. Pfister, 2014b, S. 181 (Schutzfaktoren) sowie Pfister, 2014a, S. 44 (Belastungsfaktoren). 17 Vgl. Alexander/Ritchie, 1990 sowie Papadatou, 2000 beide zit. nach: Pfister, 2014a, S. 45 f. 18 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Kälble, 2014. 19 Mittelstraß, 1998, S. 38.

IV

466

IV

Kerstin Lammer

nitionsgemäß nicht nur um die bio-physische, sondern um eine ganzheitliche, auch soziale und spirituelle Patientenversorgung. Neu daran ist, dass über ärztliche und pflegende Berufe hinaus auch weitere Berufs- und Personengruppen einbezogen werden müssen, damit nicht nur die bio-physische, sondern auch die soziale und spirituelle Patientenversorgung gewährleistet ist: Für die soziale Care braucht es Sozialarbeiter und Zugehörige, für die spirituelle Care Seelsorgende. Neu ist aber auch, dass sich in Palliative Care unter den beiden für das bio-physische Wohlergehen zuständigen Berufsgruppen, also unter Ärzten und Pflegenden, die Gewichte verschieben. Denn wo es nicht mehr um medizinische Heilung (Cure) geht, sondern um ganzheitliche Sorge (Care), gewinnt die Pflege gegenüber der Medizin an Bedeutung. So ist in der Palliative Care eine Aufwertung der nicht-ärztlichen Berufe durchaus angezeigt. Multidisziplinäre Fallkonferenzen sind hier so notwendig und so häufig notwendig wie sonst kaum irgendwo im Gesundheitswesen. Dennoch darf man sich aber nicht darüber täuschen, dass auch im Palliativbereich die Hierarchien unter den Berufsgruppen bestehen bleiben. Ärztinnen und Ärzte nehmen auch hier die Alpha-Position ein, selbst wenn andere Professionen ihre ganz eigenen und notwendigen Fachkompetenzen und Fallverstehenskompetenz einbringen. Ent-Täuschung 3: Multidisziplinäre Fachkompetenz ist nicht gleich multidisziplinäre Entscheidungskompetenz. Beteiligung ist nicht gleich Äquivalenz

Die Entscheidung über Einsatz, Fortsetzung oder Absetzung therapeutischer, ggf. lebensverlängernder Maßnahmen bei Schmerzen, Atemnot, Angst oder Verwirrung oder Nahrungsverweigerung, über Medikamentenverabreichung, Portversorgung, künstliche Ernährung etc. liegt – wenn nicht die Patient*innen bzw. deren Betreuer sie eindeutig treffen können – beim Arzt, bei der Ärztin. Das ist juristisch klar so geregelt: »BGB § 1901b Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens (1) Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Entscheidung. (2) Bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Absatz 1 oder der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens ach § 1901a

Supervision im Krankenhaus

467

Absatz 2 soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist.« So lange die juristischen Verhältnisse so sind, ist es auch völlig richtig, dass die Berufsgruppen in Palliative Care nicht gleichberechtigt sind, sondern in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Denn: Wer die Verantwortung trägt, muss auch die Entscheidungskompetenz haben. Es ist der Arzt, die Ärztin, die juristisch zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn z. B. Zugehörige gegen die Verordnung oder Nichtverordnung einer palliativen Maßnahme vorgehen. Der Arzt oder die Ärztin kann im Konfliktfall mit einem Bein im Gefängnis stehen, nicht der Seelsorger, nicht die Psychotherapeutin, nicht der Sozialarbeiter, nicht der Physiotherapeut, nicht die Gesundheits- und Krankheitspflegerin. Der Arzt, die Ärztin braucht die fachliche Beratung anderer Berufsgruppen, deren Expertise er/sie selbst nicht hat, um gute therapeutische Entscheidungen zu treffen. Aber multidisziplinäre Fallkonferenzen sind keine demokratischen Abstimmungen über Therapieentscheidungen. Sie haben vielmehr eine Beratungsfunktion für den behandelnden Arzt oder die Ärztin. Fazit: Systembedingte Ungleichheit (an-)erkennen helfen

Fallen ärztliche Therapieentscheidungen anders aus, als es andere Teammitglieder für richtig halten und empfehlen, ist das kein Vertrags- oder Vertrauensbruch, sondern es entspricht der Gesetzeslage und der ärztlichen Rolle und Funktion in Deutschland. Für die hierarchische Ungleichheit im multidisziplinären Team sind nicht die einzelnen Ärzt*innen verantwortlich, sondern die berufsständischen und juristischen Verhältnisse. Aus supervisorischer Sicht ist es wichtig, sich das klar zu machen. Missverständnisse und Täuschungen darüber, wie die Entscheidungskompetenzen in einem multidisziplinären Team verteilt sind, sollten aufgegeben oder ent-täuscht werden. Kern und Jakob-Krieger haben m. E. Recht mit ihrer Beobachtung: »Wenn hierarchische Strukturen negiert werden und Teammitglieder Gefahr laufen, inmitten eines großen ideologisierten ›Wir‹ zu verschwimmen, treten leicht Spannungen auf.«20 Ich meine: besser man ent-täuscht sich über die strukturellen und hierarchischen Verhältnisse, als dass man persönlich voneinander enttäuscht ist. Es ist nicht hilfreich, den strukturellen, berufsständischen Konflikt zu personalisieren, denn er lässt sich auf einer personalen Ebene nicht lösen. Stattdessen 20 Vgl. Kern/Jakob-Krieger, 2014, S. 173.

IV

468

Kerstin Lammer

ist die Auseinandersetzung sinnvollerweise auf einer strukturell-berufsständischen und auf einer spirituellen Ebene zu führen. Supervision kann und soll dazu beitragen, dies zu erkennen und anzuerkennen. 2.2 Spiritual Coaching in der Supervision multidisziplinärer Stationsteams

IV

Das Management der Enttäuschung über die bleibend hierarchischen Gegebenheiten im Palliative-Care-Team kann auch zu Enttäuschung und zu einer Lücke auf der spirituellen Ebene der Sinnfindung in der eigenen Arbeit führen. M. E. liegt dann eine außerordentlich wichtige Aufgabe der supervisorischen Begleitung des Teams darin, diese Lücke zu thematisieren und zu bearbeiten. Es geht dann darum, die spirituelle Auseinandersetzung um die sinngebenden Elemente der eigenen Arbeit zu fördern. Dieses supervisorische Element möchte ich als Spiritual Coaching bezeichnen. Wir hatten gesehen: ȤȤ Sinngewinn ist der wesentlichste Resilienzfaktor für diejenigen, die im Feld Palliative Care arbeiten. Sinn und Bedeutsamkeit der eigenen Arbeit dürften für Palliative-Care-Fachkräfte auch eine wesentliche Motivation sein, dieses Arbeitsfeld zu wählen und ihm treu zu bleiben. ȤȤ Es gibt in Palliative-Care-Teams z. T. Tendenzen, Sinn und Bedeutsamkeit aus einem idealisierten Bild der multidisziplinären Teamarbeit zu ziehen Das ist ein Missverständnis, das ent-täuscht werden muss. Das supervisorische Enttäuschungsmanagement wird hier zu einer Desillusionierung vor allem nicht-ärztlicher Berufsgruppen führen. Dies hat den o. g. Vorteil, dass die Beziehungen im Team von Personalisierungen entlastet werden. Stattdessen kommen die Verhältnisse auf einer sachlich-strukturellen Ebene in den Blick und damit auch der richtige Ort für eine Auseinandersetzung darüber (berufsständische Interessenvertretung21). Es hat zugleich den Nachteil, dass eine spirituelle Lücke entsteht: Die erhoffte Art von Sinngewinn durch Aufwertung der eigenen Berufsgruppe, erweiterte Entscheidungsbefugnisse und Gleichrangigkeit im multidisziplinären Care-Team tritt nur sehr eingeschränkt ein.

21 Die berufsständische Debatte ist nicht Gegenstand dieses Beitrags, aber in Deutschland in vollem Gang und hoch relevant. Vgl. hierzu u. a. die Forderung des Sachverständigenrats Gesundheit (SVR) nach der Einrichtung von Pflegekammern und die Aufwertung der Pflege in der Neufassung des (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) vom 1. Dezember 2015, § 132 g (1) und § 132a (1).

Supervision im Krankenhaus

469

Sinnfindung durch Spiritual Coaching

Die spirituell coachende supervisorische Fragestellung lautet dann: Wenn die Arbeit im multidisziplinären Palliative-Care-Team nicht die erhoffte Art von Sinngewinn liefert, welche Art von Sinngewinn bringt sie stattdessen? Die Ergebnisse der Bearbeitung werden je nach beteiligten Personen, je nach Struktur und Kultur der Einrichtung, in der sie arbeiten und abhängig von einer Reihe anderer Faktoren unterschiedlich ausfallen; sie werden sich von Team zu Team, von Berufsgruppe zu Berufsgruppe und auch von Person zu Person innerhalb des Teams unterscheiden. Damit Ergebnisse auch tragen können, müssen Supervisor*innen darauf achten, dass die jeweils individuellen Antworten eines Teams und der verschiedenen Personen im Team genau und stimmig herausgearbeitet werden – und auch Raum und Wertschätzung für Unterschiede unter den einzelnen Teammitgliedern gewährleisten. Beispiele für mögliche Antworten auf die Frage nach dem Sinngewinn in der Arbeit im multidisziplinären Palliative-Care-Team sind: ȤȤ Die multiperspektivische Ganzheitlichkeit des Care-Verständnisses und die Patient*innenzentrierung aller gemeinsamen Anstrengungen bringen die Würde der Patient*innen und ihrer Zugehörigen wesentlich besser zur Geltung als das in allen anderen Bereichen des Gesundheitswesens der Fall ist – und damit auch die Würde der Care um sie und die Würde der Caregiver. ȤȤ Multidisziplinarität im Palliative-Care-Bereich heißt in der Regel auch: Arbeitgeber-finanzierte Supervision gehört zum qualitätssichernden Standard und verbessert Psychohygiene, professionelles Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, Arbeitsbeziehungen und Arbeitszufriedenheit der dort Arbeitenden. Auch das kann zu Sinngewinn führen. ȤȤ Gutes Sterben zu ermöglichen, mag ebenfalls eine Motivation und ein erhoffter Sinngewinn in der Palliative-Care-Arbeit sein; allerdings wird hier schnell eine Differenzierung nötig, wenn man erlebt, dass man richtiges oder gutes Sterben (Orthothanasie) nicht machen kann. Leiden kann man lindern, aber nicht verhindern. In diesem Sinne bleibt Passion unvermeidlich. Die Auseinandersetzung damit bleibt spirituelle Aufgabe. ȤȤ Das Leiden, die Passion der Patient*innen (und. ggf. ihrer An- und Zugehörigen) solidarisch zu begleiten, ist aber auf jeden Fall möglich und sinnvoll – als Compassion. Gerade dort, wo nicht mehr Cure, sondern Care das Gegebene ist, ist Compassion der Kern einer sinnerfüllten mitmenschlichen und pflegerischen Sorge. ȤȤ Der tägliche Umgang mit sterbenden Menschen und deren Zugehörigen, die Auseinandersetzung mit der Kostbarkeit und der Zerbrechlichkeit des Lebens und mit der Würde des Sterbens und Trauerns führt zu einer gestei-

IV

470

Kerstin Lammer

gerten Bewusstheit über die eigene menschliche Verfasstheit und klärt die eigene Lebenshaltung; sie führt in diesem Sinne zu Selbst-Bewusstheit. Fazit – neuer Sinngewinn jenseits nötiger Ent-Täuschungen

Sinngewinn, gestaltete Arbeitsbeziehungen und gesteigertes Selbst-Bewusstsein in persönlicher und beruflicher Hinsicht – dafür lohnt es sich nach wie vor, ­Palliative Care als Arbeitsbereich zu wählen. Multidisziplinarität in Palliative Care steht im Dienste der Patient*innen, bereichert aber auch die Caregiver. Das kann durch Spiritual Coaching in der Supervision erarbeitet und angeeignet werden. Rückkoppelung – im Krankenhaus Supervisor*innen wählen, die zugleich Seelsorger*innen sind

IV

Besonders geeignet, um in der Supervision auch Spiritual Coaching durchzuführen, sind theologisch und pastoralpsychologisch ausgebildete Supervisor*innen, denn sie bringen eine besonders geschulte spirituelle und hermeneutische Kompetenz mit. Hier schließt sich der Kreis zum Eingangsteil des Beitrags: Es ist eine gute Entscheidung, für die Supervision im Krankenhaus Supervisor*innen zu wählen, die zugleich auch theologisch und pastoralpsychologisch ausgebildete Seelsorger*innen sind – es sollten nur nicht die eigenen Haus-Seelsorger*innen sein.

Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge Annedore Methfessel

Die Klinische Seelsorge Ausbildung lebt von der Auseinandersetzung mit der eigenen Person und hat sich als Standard für die Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge etabliert. Darüber hinaus hat sie das Potenzial, Menschen ganz allgemein für gelingende Begegnungen zu stärken und zu befähigen. Daraus ergeben sich Chancen gerade im Hinblick auf sich verändernde Strukturen in Krankenhäusern, Kirche und Gesellschaft.

IV 1  Die Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge an sich Für Theologinnen und Theologen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, sich für Aufgaben in der Seelsorge weiterzubilden oder sich zu spezialisieren. Systemische Seelsorge wäre zum Beispiel eine solche Möglichkeit und auch die verschiedenen Sektionen der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie (DGfP)1 weisen auf unterschiedliche Akzente hin: GPP steht für Gestaltseelsorge und Psychodrama in der Pastoralarbeit, GOS für Gruppe, Organisation, System, PPS für Personzentrierte Psychotherapie und Seelsorge, T für Tiefenpsychologie. In Deutschland hat sich aber seit Beginn der 1970er-Jahre die Klinische Seelsorge Ausbildung (KSA), die zahlenmäßig größte Sektion in der DGfP und auch die einzige, die von Anfang an selbst ausbildend tätig war, als anerkannter Weg etabliert und durchgesetzt und wird entsprechend häufig in Stellenbeschreibungen für den Dienst in der Krankenhausseelsorge gefordert. Dabei ist begrifflich zu diskutieren, ob es sich um eine Aus-, Fort- oder Weiter­bildung handelt. Klinische Seelsorge Ausbildung ist der Oberbegriff der Sektion KSA. Gleichzeitig bezeichnet die Sektion selbst in ihren Standards die einzelnen Ausbildungsschritte als Weiterbildung, nämlich Pastoralpsychologische Weiterbildung in Seelsorge (KSA), Pastoralpsychologische Weiterbil1 DGfP: Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie e. V., www.pastoralpsychologie.de.

472

Annedore Methfessel

dung in Supervision (KSA) usw. Die vielleicht notwendige Trennschärfe in der Begrifflichkeit ist hier nicht durchgängig gegeben, tlw. werden die Begriffe synonym verwendet. Dies möchte ich an dieser Stelle einfach um der Klarheit willen erwähnen und festhalten. 1.1  Was bedeutet KSA und wie arbeitet KSA?

IV

KSA ist eine Form der pastoralpsychologischen Aus-, Fort- und Weiterbildung, die vor allem von den persönlichen Erfahrungen der Teilnehmenden lebt. Zunächst auch hier eine Anmerkung: Leider wird diese Bezeichnung immer wieder fälschlich und verkürzt auf eine Tätigkeit ausschließlich im Krankenhaus bezogen. Es gab deshalb auch immer mal wieder Ansätze in der Sektion KSA, einen anderen Begriff dafür zu finden, die aber bisher alle verworfen wurden. Das Wort klinisch (englisch clinical) verweist jedenfalls nicht auf das Krankenhaus, sondern bedeutet in diesem Zusammenhang erfahrungsbezogen. Die KSA kam in den 1960er-Jahren über die Niederlande aus den USA auch nach Deutschland und ist heute bei uns eine etablierte Seelsorgeausbildung, die von vielen evangelischen Landeskirchen, katholischen Bistümern und evangelischen Freikirchen anerkannt wird. Auch im benachbarten Ausland – in den Niederlanden, in Frankreich, in England, in der Schweiz, in Österreich, in Rumänien, in Ungarn und in weiteren Ländern – ist die KSA ein anerkanntes Modell der Seelsorgeausbildung. So hat z. B. Helmut Weiß mit der Organisation SIPCC2 maßgeblich dazu beigetragen, die KSA in osteuropäischen Ländern heimisch zu machen. Der Ursprung der KSA liegt in den USA. Die Grundidee wurde von Anton Boisen in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts erarbeitet und angewandt.

»Mit seiner Forderung, die angehenden Theologen sollten Theologie auch ›am klinischen Material‹, nämlich an den ›living human documents‹ studieren, wurde der Psychiatriepfarrer Anton Boisen zum Gründer des sich rasch überall […] ausbreitenden ›Clinical Pastoral Trainings‹. […] Außerdem stand von Anfang an das Beziehungslernen im Mittelpunkt, denn jedes ›lebendige menschliche Dokument‹ hat eine eigene Integrität, die nach Verständnis und Interpretation ruft, nicht nach stereotypen Behandlungsmustern. Wenn sich der Studierende den Höhen und Tiefen des Lebens 2 SIPCC: Society for intercultural pastoral care and counselling, www.sipcc.org. Ein bewegendes Gesprächsprotokoll aus der interkulturellen und interreligiösen KSA-Arbeit von Helmut Weiß findet sich z. B. in Weiß/Temme, 2014, bes. S. 141 ff.

Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge

473

der Leidenden aussetzt, wird er schließlich auch persönlich bereichert, an sich selbst wachsen und menschlich reifer werden. Durch die Bündelung dieser Ziele, die bis heute gültig sind, wurden Boisens ›Klinische Semester für Theologen‹, die 1925 im Worcester State Hospital in Massachusetts zum erstenmal veranstaltet wurden, eine wirklich praktische und ganzheitliche Zurüstung für den seelsorgerlichen Dienst. Im Unterschied zu den Anfängen erhielt die Selbsterfahrung und die Arbeit der Seelsorger/innen an der eigenen Person einen immer gewichtigeren Raum in der späteren Ausbildung.«3 Boisen wurde und wird mit dem Begriff living human documents häufig zitiert und dieser Begriff ist immer noch aktuell. In dieser erfahrungsbezogenen Seelsorgearbeit sind also die Lernenden selbst Gegenstand ihrer eigenen Weiterbildung. Da es um Seelsorge geht, geht es um uns als Seelsorger*innen. Was macht uns aus, welche Stärken und Gaben bringen wir mit, welche Ängste und Blockaden behindern uns? Es ist hochindividuelles Lernen und gleichzeitig auch exemplarisches Lernen. An den Protokollen der anderen Teilnehmenden lernt man ebenso wie an den eigenen. Die KSA arbeitet also traditionell mit Selbsterfahrungselementen und bietet eine gute Gelegenheit, sich in Beziehungskompetenz, in Selbst- und Fremdwahrnehmung und gelingender Kommunikation zu üben. In der Praxisreflexion und im Gruppengespräch haben die Teilnehmenden Gelegenheit, ihre eigenen Stärken und Schwächen in ihrer Tätigkeit in den Blick zu nehmen oder sich ihrer überhaupt bewusst zu werden. Entscheidend ist also: man lernt nicht aus Büchern, sondern anhand der eigenen Person. 1.2  Kompetenz und Lernziele Was sind das für Kompetenzen, die erworben werden in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, und um welche Lernziele geht es genau? In den neuen Standards der Sektion KSA wurden in Freising 2014 acht Kompetenzen benannt: ȤȤ Pastorale Kompetenz – Eine eigene Identität als Seelsorger bzw. Seelsorgerin entwickeln ȤȤ Konzeptionelle Kompetenz – Ein eigenes Konzept für Seelsorge entwerfen ȤȤ Kommunikative Kompetenz – Selbst- und Fremdwahrnehmung: Sich selbst 3 Gestrich, 2013, S. 261 (Hervorhebung im Original).

IV

474

ȤȤ

ȤȤ ȤȤ

ȤȤ

IV

ȤȤ

Annedore Methfessel

und andere in der jeweiligen aktuellen Lebenssituation sowie in den emotionalen, sozialen, kulturellen und spirituellen Bezügen wahrnehmen; Kommunikation: Verbale und nonverbale Kommunikationsformen üben und reflektieren; Interaktion: Sich der Wechselwirkung mit Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen in Aktion und Reaktion bewusst werden Hermeneutische Kompetenz – Den eigenen Glauben auf dem Hintergrund christlicher Tradition verstehen und angemessen zum Ausdruck bringen sowie Menschen bei ihrer spirituellen Selbstauslegung unterstützen Rituelle Kompetenz – Mit Symbolen und Ritualen vertraut werden, sie ggf. weiter entwickeln, angemessen einbringen und gestalten Ethische Kompetenz – Eine der eigenen religiösen Tradition verpflichtete Haltung verantwortlich leben und in ethische Diskurse einbringen. Die berufsethischen Standards wahrnehmen und beschreiben können und sie respektieren Systemische Kompetenz – Strukturelle und organisatorische Faktoren der jeweiligen Arbeitsfelder erfassen und einen adäquaten Umgang damit entwickeln Theorie-Kompetenz – Konzepte von Seelsorge, Theologie und Humanwissenschaften für die pastorale Arbeit nutzen

Diese Kompetenzen werden auch zum Teil schon mitgebracht von den Teilnehmenden, entweder aus dem Studium oder aber auch aus den bisherigen Tätigkeitsfeldern oder aufgrund ihrer bisherigen Lebenskompetenz. Aber die KSA ermutigt im besonderen Maße dazu, dass man diese Dinge nicht einfach nur gelernt hat und vollzieht, sondern dass man sich erarbeitet, was der persönliche Zugang dazu ist, warum manches leichter fällt und wie von selbst gelingt, während anderes immer wieder Probleme bereitet. Gleichzeitig richten sich diese Kompetenzen aus auf die seelsorgliche Begegnung mit Menschen. Und das kann nur gelingen in einer tiefgreifenden Begegnung mit sich selbst, mit der eigenen Biografie, der eigenen beruflichen und persönlichen Lebenssituation. Diese Voraussetzungen entscheiden über das Gelingen seelsorglicher Begegnungen. Diese Auseinandersetzung mit sich selbst, die Arbeit an der eigenen Person, kann aufwühlend sein, sogar lebensverändernd. Deshalb bietet die KSA so viele Chancen zur Entfaltung und Entwicklung. Und es ist klar, dass es einer kompetenten, von der DGfP zertifizierten Kursleitung bedarf, um diesen Prozess zu halten.

Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge

475

1.3  Wie vollzieht sich diese Ausbildung? Der KSA-Ausbildungsweg ist gegliedert in sechswöchige Kurse, die in der Regel von zwei qualifizierten KSA-Kursleitenden durchgeführt werden. Für Theolog*innen, die eine Pfarrstelle oder einen Arbeitsauftrag in der Krankenhausseelsorge anstreben, wird in der Regel die Teilnahme an ein bis zwei KSA-Kursen gefordert. Wer diese Ausbildung jedoch vertiefen oder später selbst supervisorisch oder kursleitend tätig werden möchte, wird an weiteren solchen Fortbildungen teilnehmen und Prüfungscolloquien ablegen, wie es in den Standards der KSA beschrieben ist. 1.4  Inhalte und Methoden eines KSA-Kurses Die beiden entscheidenden Elemente in der pastoralpsychologischen Weiterbildung in Seelsorge (KSA), die für die KSA definitiv und prägend sind, sind die Arbeit an Gesprächsprotokollen in kleinen Gruppen sowie die Selbsterfahrung in der Gruppe. Beide Elemente kommen in den meisten KSA-Kursen täglich vor, so auch in unseren Hattinger KSA-Kursen. Zur Struktur eines Ausbildungstages gehören in der Regel vier Einheiten à 90 Minuten mit in der Regel halbstündigen Pausen dazwischen. Gesprächsprotokoll/Fallbesprechung

An jedem Tag findet mindestens eine Gesprächsprotokoll- oder Fallbesprechung – in zwei parallelen Kleingruppen mit max. fünf Teilnehmenden und einer Kursleitung – statt. In diesen 90 Minuten stellt in jeder der beiden Kleingruppen eine oder einer der Teilnehmenden das eigene Material schriftlich in Kopie zur Verfügung. Ein Seelsorgebesuch wurde aus dem Gedächtnis aufgeschrieben, dabei die Gesprächsanteile der Gesprächspartner durchnummeriert, um sie so leichter besprechbar zu machen.4 Es gibt natürlich unterschiedliche 4 Zu den Fallbesprechungen ist anzumerken, dass Traugott Roser eine vielseitige Auflistung relevanter »Informationen für einen Fallbericht zu Seelsorge im Kontext des Gesundheitswesens« vorstellt (Roser, 2017a, S. 63–78, bes. S. 77 f.). Dabei geht er vom institutionellen Kontext eines interdisziplinären Teams im Gesundheitswesen aus, bei dem die Belange der Patient*innen aus multiprofessioneller Sicht im Mittelpunkt stehen. Deshalb problematisiert Roser die »Subjektivität« der Bearbeitung von Gesprächsprotokollen in einer Ausbildungsgruppe, »die Hans-Christoph Piper als ihre Absicht bezeichnete« (S. 68). In der erfahrungsbezogenen Lernsituation eines KSA-Kurses geht es aber gerade um die individuelle Persönlichkeit und die pastoralpsychologische Entwicklung der Seelsorgenden, sodass gerade diese von Piper positiv hervorgehobene »Subjektivität« bei der Besprechung der Gedächtnisprotokolle bzw. Fallbesprechungen zentral ist.

IV

476

IV

Annedore Methfessel

Möglichkeiten der Besprechung. Das ist auch abhängig vom persönlichen Stil der Kursleitung. Ich selbst bevorzuge, das Gespräch in verteilten Rollen lesen zu lassen, wobei der/die Protagonist*in selbst nicht liest, um das eigene Material aus der Distanz noch einmal zu hören; ich selbst als Kursleitung übernehme natürlich ebenfalls keine Rolle, um den Überblick zu behalten. Ein wichtiger Punkt ist hier, dass der/die Protagonist*in die Rollen selbst in der Kleingruppe verteilt. Er/sie folgt dabei dem eigenen Gefühl und häufig trifft diese Entscheidung aus dem Bauch heraus bereits einen Kern dessen, was später explizit besprochen wird. Vor dem Lesen stellen die Protagonist*innen noch eine Frage, der sie in besonderer Weise in der Besprechung nachgehen möchten. Nach dem gemeinsamen rollenverteilten Lesen äußern die Teilnehmenden aus der Rolle heraus ihre Gefühle, die ihnen beim Lesen gekommen sind. Sehr häufig ergibt sich eine hohe Übereinstimmung mit dem, was die Protagonisten selbst auch empfunden haben. Dies wird überwiegend als große Bestätigung wahrgenommen. Danach kann in aller Ruhe an einzelnen Passagen gearbeitet werden. Vergewisserungen werden benannt, Stärken bilden sich heraus, aber auch Unsicherheiten oder konfrontative Elemente, Ärgernisse, Störungen etc. können gut besprochen werden. Dieses Element ist nach meiner Wahrnehmung als Kursleitung das Kurselement, das von nahezu allen Kursteilnehmenden immer begeistert aufgenommen wird. Sie betonen, wie viel sie dadurch über sich selbst in ihrer Rolle als Seelsorgende gelernt haben. Ein übergreifender Konsens und Standard ist das gesprächspsycho­thera­ peutische Verfahren nach Carl Rogers: Echtheit, Wertschätzung und Empathie bei non-direktiver Grundhaltung (das sind die wichtigsten Elemente der Gesprächspsychotherapie, die Carl Rogers in den 1940er-Jahren benannt hat)5. Dies wird mit den Kursteilnehmenden bei der Besprechung en passant so eingeübt, dass diese dabei zugleich einen angemessenen Umgang mit ihrer eigenen Klientel in ihrem Seelsorgearbeitsfeld erlernen. Selbsterfahrung in der Gruppe

Ebenfalls täglich findet die Selbsterfahrung in der Gruppe statt (früher Freies Gruppengespräch). Die max. 10 Teilnehmenden und zwei Kursleitenden sitzen im Stuhlkreis. Es findet ein Gruppengespräch statt, bei dem kein Thema vorgegeben ist. Die Teilnehmenden bringen ihre eigenen Themen ein. Diese Gespräche dienen vor allem als Erfahrungs- und Lernfeld für ihre Wahrneh5 Diese Merkmale der Gesprächsführung nach Rogers sind kurz und gut zusammengestellt von Klessmann in 8.4 Gesprächstherapeutische Impulse für die Seelsorge, in: Klessmann, 2008, S. 276–280.

Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge

477

mungs- und Kommunikationsfähigkeit, für die Einübung in Beziehungskompetenz, die Differenzierung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Es geht hier nahezu immer um emotionales Lernen. Es ist ein Möglichkeitsraum, in dem sich Einzelne miteinander und in der Gruppe ausprobieren können, ein geschützter Raum, in dem die Kursleitenden gelegentlich intervenieren, um zu fördern und zu bestärken oder auch um zu konfrontieren, um Zwischentöne herauszuarbeiten, um zu größerer Deutlichkeit zu ermutigen. Unter den Kursleitenden, den Ausbilder*innen, gilt dieses Element als Königsdisziplin. Dabei können die kursleitenden Interventionen so unterschiedlich sein, wie es die Kursleitenden selbst sind. Die Kursleitenden variieren in ihren Interventionen, je nachdem welche Verfahren sie selbst gelernt haben und welche Zusatzausbildungen sie mitbringen. So können Elemente aus der Systemik vorkommen oder einzelne therapeutische Verfahren, mit denen die Kursleitenden vertraut sind. Auch in der Haltung (attitude) der Kursleitenden – z. B. dem Grad ihrer Partizipation oder Abstinenz – gibt es breite Variationsmöglichkeiten. Einer der wichtigsten Lernschritte für die Teilnehmenden ist hier eine Vergleichbarkeit mit ihren eigenen Begegnungen in ihren Seelsorgearbeitsfeldern: sie lernen für sich selbst zu sorgen, Offenheit zu entwickeln, wo Offenheit angemessen ist, Grenzen zu ziehen, wo Abgrenzung notwendig ist usw. Hier äußert sich vielleicht das stärkste Moment moderner Seelsorge: Ich komme zwar mit allem, was ich habe, aber letztlich mit leeren Händen. In dieser Ausbildung arbeitet man an sich selbst, was ich dort über mich erfahren habe, das bringe ich mit: meine eigenen Gewissheiten, aber auch meine Ängste, meine eigenen Stärken, aber auch meine Schwächen. Alles das steht mir zur Verfügung und das ist viel. Dieser Schatz der Bewusstwerdung, was steht mir schon zur Verfügung und was kann ich noch ergänzend entwickeln, dieser Schatz wird in der KSA-Ausbildung gehoben. Für mich selbst und sicherlich für die meisten meiner KSA-Kolleg*innen bilden diese beiden Kurselemente – die Gesprächsführung und Praxisreflexion in den Gesprächsprotokollbesprechungen sowie die Selbsterfahrung in der Gruppe – das Herzstück der KSA-Ausbildung. Weitere Einheiten eines KSA-Kurses sind: Predigtbesprechungen

Wie verkündige ich? Wie gehe ich mit den biblischen Texten um? Wie erreiche ich meine Zuhörerschaft? Gelingt es, etwas weiterzugeben in einer Situation, in der die Predigenden reden, aber in der Regel alle anderen schweigen? Mit wel-

IV

478

Annedore Methfessel

chen Feedbacks kann ich gut umgehen, welche machen mir zu schaffen? Wo fühle ich mich verstanden, wo komplett unverstanden? Theorieeinheiten

Zur KSA-Ausbildung gehört selbstverständlich die Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen des Seelsorgeverständnisses. In vielen Kursen werden Themen zur Theorie von den Teilnehmenden selbst erarbeitet, z. B. Seelsorgekonzeptionen, verschiedene theoretische Seelsorgeansätze. Wir selbst halten dies in manchen Kursen ebenfalls so, in anderen laden wir qualifizierte Referent*innen zu bestimmten Themen ein. Kreative Einheiten

IV

Diese Einheiten geben den Teilnehmenden die Gelegenheit, auf andere Weise Zugang zu sich selbst zu finden. Dies können z. B. sein: Malen (frei oder zu einem Thema), Tonarbeiten, musiktherapeutische Arbeit, Bibliodrama etc. Diese Einheiten dienen häufig der Selbsterfahrung und der Erschließung biografischer Gelenkstellen oder auch Themen. Einzelsupervision

Last but not least ist die Einzelsupervision ein wichtiges Element in der Ausbildung. Hier können sich die Teilnehmenden u. a. an für sie schwierige oder herausfordernde Themen herantasten. Nach Ermutigung in der Einzelsupervision bringen sie ihre Themen dann häufig mit hohem Gewinn in die Selbsterfahrung in der Gruppe ein. Einzelsupervision dient weiter dazu, um psychologische Prozesse, die durch die Selbsterfahrung in der Gruppe oder durch die Beschäftigung mit den Ursprüngen der eigenen Persönlichkeit angestoßen wurden, erfolgreich aufzuarbeiten und zu einem guten Abschluss zu bringen. Zusätzliche Elemente können einen KSA-Kurs bereichern. Eine Anmerkung zu fakultativen Kurselementen sei aber vorangestellt: In den meisten KSA-Kursen und auch in unseren Hattinger Kursen stehen in allen Kursen die Protokoll­ besprechungen und die Selbsterfahrung in der Gruppe im Mittelpunkt. Sie kommen in der Regel täglich vor. Hingegen sind die unter systemischem Einfluss entwickelten Elemente Institutionsanalyse oder Kybernetik fakultativ. In den Hattinger Kursen ist auch die Predigtbesprechung fakultativ. Ob und wie sich die Teilnehmenden in diesen fakultativen Einheiten mit eigenem Material einbringen, hängt stark ab von ihrem jeweiligen Arbeitsfeld, aber auch von dem, worin sie sich gerade üben möchten. Dies ergibt sich auch durch die sich verändernden Anforderungen im Beruf. Während z. B. im Rhein-Ruhr-Gebiet manche

Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge

479

Pfarrer*innen nur jede dritte Woche predigen, müssen die meisten heutzutage mindestens dreimal pro Woche leitend tätig sein, z. T. in schwierigen Konstellationen und zu erheblich verändernden strukturellen Themen (Fusionen von Gemeinden, Abbau von Pfarrstellen, Schließung von Kirchen). Das Instrumentarium und die Möglichkeiten eines KSA-Kurses zum Beispiel in Bezug auf das eigene leitende Handeln zu nutzen, halte ich für eine neue Herausforderung, die sich durch diesen innerkirchlichen Strukturwandel herausgebildet hat. Zusätzliche Elemente können sein: Einheiten zur persönlichen Spiritualität

Hier geht es darum, dass die Teilnehmenden sich ihrer eigenen Spiritualität bewusst werden. Gibt es die überhaupt? Wenn ja, wie ist sie geprägt? Wenn nein, warum kommt dieser Bereich nicht vor? Welche positiven Bilder bringen die Teilnehmenden mit? Welche Widerstände? Die Teilnehmenden bringen ihre wie auch immer geprägte Spiritualität ein und reflektieren sie in der Gruppe. Institutionsanalyse

Bei diesem Arbeitselement geht es um den gemeinsamen Blick der Gruppe und der Leitung auf die spezielle institutionelle und kontextuelle Situation je eines oder einer Teilnehmenden. Unter welchen Bedingungen arbeite ich in meinem Arbeitsbereich, welche Struktur habe ich mir für diese Tätigkeit gesetzt, was läuft gut, wo ist mit Schwierigkeiten zu rechnen und wie gehe ich mit ihnen um? Einheiten zur Kybernetik

Bei diesem Arbeitselement können die Teilnehmenden im Rollenspiel Erfahrungen in der Leitung von Gruppen machen. Dazu gehört ein ausführliches und persönliches Feedback zum Leitungsstil durch die anderen Teilnehmenden und die Kursleitung. Hier werden häufig konkrete Fallbeispiele aus Leitungssituationen der Teilnehmenden eingebracht. Beratungsgespräche

Coaching der Teilnehmenden untereinander: Es werden Kleingruppen oder Zweiergruppen gebildet, in denen die Teilnehmenden »Beratungsgespräche« ohne Kursleitung durchführen können. Hier können z. B. konkrete Alltagsfragen aufgearbeitet werden. Zugleich wird dabei die praktische Gesprächsführung eingeübt. Zusammenfassend ist zu den KSA-Kurselementen also festzuhalten: Während die Selbsterfahrung in der Gruppe der Kontaktaufnahme, der Beziehungsklä-

IV

480

IV

Annedore Methfessel

rung, der Eigen- und Fremdwahrnehmung dient, bieten die Gesprächsprotokoll- oder Fallbesprechungen die Gelegenheit zur individuellen Praxisreflexion. Hauptleitsatz dieser Ausbildung ist, dass sich die Teilnehmenden mit sich selbst auseinandersetzen und sich selbst möglichst gut kennenlernen, auch an den Punkten, die sie eigenständig nicht erreichen würden, und dass sie ihre Kommunikationsfähigkeiten im Umgang mit anderen überprüfen und ergänzen. In allen Elementen steht jedoch stets die Arbeit an der eigenen Person grundsätzlich im Vordergrund (individuelles erfahrungsbezogenes Lernmodell). Eine Besonderheit bilden in den Hattinger Kursen die Sonntage. Gehören Sonntage zu einem Kursintervall, dann verzichten wir auf die sonst täglichen Elemente Protokollbesprechung und Selbsterfahrung in der Gruppe, um den Sonntag auch im Kursgeschehen von anderen Tagen abzuheben. Neben der Teilnahme am Gottesdienst finden eher kreative Einheiten, spirituelle Einheiten oder auch kulturelle Einheiten statt, z. B. Impulse zur Spiritualität im säkularen Raum des Gasometers Oberhausen oder des Lichtkunstmuseums in Unna. Abschließend an dieser Stelle noch eine kurze Bemerkung zum Kursformat und zur Haltung der Kursleitung: Als ich vor 30 Jahren an meinem ersten KSA-Kurs teilnahm, gab es fast ausschließlich geschlossene Kursformate: sechs Wochen am Stück, in der Regel halbtags Kursprogramm, in der anderen Hälfte des Tages Krankenbesuche in einem fremden, örtlichen Krankenhaus. Später wurde diese Kursform kaum noch angeboten, und heute finden fast nur noch fraktionierte Kurse statt. Dadurch wird der berufsbegleitende Anteil gestärkt. Die Teilnehmenden bringen zumeist Material aus ihren eigenen Arbeitsfeldern mit, in denen sie auch sonst beruflich agieren. Die Bedürfnisse der KSA-Kursteilnehmenden und auch die Erwartungen der entsendenden Institutionen oder Anstellungsträger verändern sich mit der Zeit. Es ist eine Herausforderung, auch die Standards der KSA diesem Wandel gerecht werden zu lassen. Auch die Haltung (attitude) der Kursleitenden hat sich nach meiner Beobachtung im Laufe der Zeit geändert. Habe ich selbst noch Kursleitungen in den 1980er-Jahren erlebt, die überwiegend analytisch aufdeckend und defizitorientiert gearbeitet haben, so ist die Haltung heute eher ressourcenorientiert, ohne dabei die Arbeit an Konflikten, Herausforderungen oder sog. Negativgefühlen wie Ärger und Aggression zu vernachlässigen. Aber das überwiegend einseitige hin zu Aggression und Ärger hat sich meiner Meinung nach gelegt, die Ausbildung geschieht heute eher entängstigend und ermutigend und – durch systemischen Einfluss – vielfach wertschätzend und motivierend.

Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge

481

2 Klinische Seelsorge Ausbildung in einem sich verändernden Umfeld Die Klinische Seelsorge Ausbildung wurde Anfang der 1970er-Jahre noch keineswegs selbstverständlich und offen in den Landeskirchen aufgenommen. Es dauerte eine gute Weile, bis sich die KSA so etabliert hatte, dass in den 1980erund 1990er Jahren mindestens ein KSA-Kurs in der Regel Voraussetzung dafür war, dass man sich überhaupt auf eine hauptamtliche Krankenhausseelsorgestelle bewerben konnte. Heute ist KSA in den meisten evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümern etabliert. Die Mehrzahl der hauptberuflich tätigen KSA-Kursleitenden ist an landeskirchlichen Weiterbildungsinstituten oder Seminaren tätig. Gegenüber den Anfängen erscheint dies als Fortschritt. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass dadurch eine zeitgemäße Weiterentwicklung der KSA teilweise erschwert wird. Wenn man die institutionelle Situation der KSA heute betrachtet, dann fallen wichtige und gegenläufige Tendenzen ins Auge: ȤȤ Die Anzahl der Pfarrstellen und die Anzahl der aktiven Pfarrer*innen nimmt nach meiner Wahrnehmung in allen Landeskirchen ab. ȤȤ Die Anzahl der hauptamtlichen Krankenhausseelsorgenden nimmt ebenfalls ab. ȤȤ Außerdem ist zu beobachten, dass sich einige wenige Bistümer und landes­ kirchliche Institute, die früher selbst KSA-Kurse veranstaltet haben, jetzt umorientiert haben und nun andere pastoralpsychologische Modelle in der Seelsorgeausbildung favorisieren. Das bedeutet, dass die »klassische« Klientel für KSA-Ausbildung rückläufig ist wie teilweise auch die Bereitschaft der entsendenden Institutionen und Anstellungsträger, eine so aufwendige Ausbildung zu finanzieren oder die Kursteilnehmenden dafür so lange freizustellen. Andererseits ist – wie oben bereits angemerkt – eine KSA-Ausbildung wertvoll nicht nur für Krankenhausseelsorger*innen, sondern auch für Pfarrer*innen, die nicht in der Krankenhausseelsorge, sondern in Gemeinden und anderen Bereichen arbeiten oder die leitende kirchliche Ämter innehaben. Sie alle würden von einer KSA-Weiterbildung profitieren. Darin liegt ein großes Potenzial. Mehr denn je kommt es in allen Bereichen auf die Stärkung der persönlichen Kompetenz und Kommunikations­fähigkeit an. War die KSA-Seelsorgeausbildung zunächst nur den Pfarrer*innen und Theolog*innen vorbehalten, so verändern sich die Arbeitsaufgaben der Haupt­ amtlichen auch durch den der Institution Krankenhaus immanenten Struktur-

IV

482

IV

Annedore Methfessel

wandel kontinuierlich. Die Bedeutung von Ehrenamtlichen und Laienseelsorger*innen wird zunehmen. Der Begriff der Laienseelsorge ist dabei umstritten, manche meiner Kolleg*innen stören sich an dem darin enthaltenen Laienelement, als würde hier das Amateursein besonders betont und die Professionalität besonders vermisst. Ich finde, dass der Begriff konstruktiv zum Ausdruck bringt, dass es Ehrenamtliche geben kann, die professionell ausgebildet wurden oder sind, die aber dennoch auf dem Gebiet der Theologie Laien, also ohne Theologiestudium, sind. Oft verfügen sie über berufliche Erfahrung und Lebenskompetenz, die sie zu gelingender Seelsorge befähigen. Bereits heute gibt es Verschiebungen dahingehend, dass besonders im Hospizbereich, aber auch in der Seelsorge an alten und kranken Menschen die Arbeit nicht mehr von hauptamtlichen Pfarrer*innen bestritten wird, sondern Ehrenamtliche diese Aufgaben übernehmen. Diesem Umstand tragen die Standards der KSA bereits Rechnung, indem KSA-Kursangebote auch für qualifizierte Personen ohne theologisches Studium grundsätzlich offen sind6. Das Herzstück der KSA – also die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit auch und gerade in Beziehungen erleben auch diese Teilnehmenden als bestärkend. Zusammenfassend bieten sich durch folgende Veränderungen in der beruflichen Realität von Krankenhausseelsorgenden für die KSA auch folgende Chancen an: ȤȤ Gefragt ist die persönliche Kompetenz für alle beruflichen Arbeitsfelder, in denen mit Menschen umgegangen wird, dies gilt im besonderen Maße für die Seelsorge, und besonders aber nicht ausschließlich im Krankenhaus; ȤȤ Ehrenamtlich tätige Laienseelsorger*innen sind in jedem Fall genauso professionell zu schulen und auszubilden wie hauptamtliche Seelsorgende, wenn sie deren Aufgaben in Eigenverantwortung übernehmen sollen. Gleichzeitig bedarf auch eine professionell ausgebildete Gruppe von Laienseelsorger*innen immer auch der Leitung, Begleitung und theologischen Kompetenz der hauptamtlich Seelsorgenden. Wie alle Seelsorgenden bedürfen auch ehrenamtliche Laienseelsorgende der eigenen Begleitung und Supervision. ȤȤ Die Strukturen im Krankenhaus haben sich gegenüber den 1980er- und 1990er-Jahren stark verändert. Sie entwickeln sich weiter zu ambulanteren Strukturen. Die Verweildauer der Patient*innen ist von typischerweise mehreren Wochen auf wenige Tage zurückgegangen. Das macht eine über punktuelle Begegnungen hinausgehende seelsorgliche Begleitung schwierig. Moderne Konzepte der Krankenhausseelsorge müssen diesen Umständen 6 KSA-Standards: Geschäftstelle der DGfP, 2014, S. 8–12, S. 26–29.

Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge

483

Rechnung tragen. Die hohe Kompetenz der KSA-geschulten Seelsorgenden ist dabei eine vielseitig einsetzbare Ressource auch außerhalb der stationären Einrichtungen.7 Meine Kreispfarrstelle für Seelsorge, Beratung und Supervision eröffnete mir aus diesem Grund die Möglichkeit, die erworbenen KSA-Kompetenzen vielseitig im Ev. Kirchenkreis Hattingen-Witten einzubringen.

3  Zwischen spiritueller Offenheit und traditioneller Bindung Eine neue Herausforderung für die Ausbildung und Fortbildung für Krankenhausseelsorge ist die Palliativmedizin mit dem neuen Begriff »Spiritual Care« und das ungeklärte Miteinander oder Gegenüber von Spiritual Care und Seelsorge. Zurzeit erlebe ich (noch), dass dieses Miteinander manchmal so unspezifisch gedacht ist, dass beide Begriffe fast synonym verwendet werden. Dann wiederum werden sie einander so gegenübergestellt, als hätten sie kaum etwas miteinander gemein. M. E. trifft beides zu. Spiritual Care und Seelsorge haben sehr wohl vieles gemeinsam, unterscheiden sich aber auch. Spiritual Care ist ein Anliegen, das – so könnte man formulieren – von außen an die Seelsorge herangetragen wird. Nach Definition der WHO gehört Spiritualität zu den Grundbedürfnissen von Menschen und hat seit einiger Zeit einen klaren positiven Stellenwert in Palliativzusammenhängen. Der Umgang mit Spiritualität wird also gefordert und zwar von einer Institution außerhalb der kirchlichen Zusammenhänge. Damit gehen bestimmte Erwartungen einher, z. B. Zugehörigkeit zu einem Palliativteam. Dazu gehört weiter eine »spirituelle Offenheit«. Der Begriff Spiritualität z. B. ist nicht klar definiert, impliziert aber eine professionelle Offenheit im Umgang mit Menschen unabhängig von der eigenen religiösen und/oder kirchlichen Bindung. In einem Interview8, das Christian Ruch, Schweizerische Gesellschaft für Palliative Care, mit Simon Peng-Keller, dem ersten Schweizer Professor für Spiritual Care, geführt hat, erklärt Peng-Keller: »dass Spiritual Care ausdrücklich als eine interprofessionelle Aufgabe wahrgenommen« und »konsequenter institutionell verankert« wird. Auf die Frage »Spiritual Care ist also keine Konkurrenz für die klassische kirchliche Spitalseelsorge?« antwortet Peng-Keller, dass es dabei auf die Entwicklung in der Schweiz ankomme. »In Holland gibt 7 Vgl. die Hinweise in Lammer/Borck/Habenicht/Roser, 2015, bes. Kap. 10 »Wohin soll die Entwicklung der Seelsorge gehen?«, S. 113 ff. 8 Interview vom 13.3.2016: Ruch, 2016.

IV

484

IV

Annedore Methfessel

es eine solche Konkurrenzsituation. […] In den USA, um ein anderes Beispiel zu nennen, haben sich Modelle von Spiritual Care etabliert, in denen die kirchliche Seelsorge sehr gut integriert ist.« Hier wird es also spannend sein, wie die Berufsgruppe der Krankenhausseelsorgenden und ihre Anstellungsträger mit diesem Phänomen weiter umgehen. Eine Entwicklung in zwei verschiedene Richtungen ist denkbar: Entweder besteht die Möglichkeit, dass Spiritual Care komplett von anderen Professionen ausgeübt wird mit der Gefahr, dass die Seelsorgenden ausgegrenzt werden oder sich dieser Entwicklung selbst verschließen, oder aber die kirchliche Seelsorge bringt sich mit ihrer ganzen Fachkompetenz und dem Reichtum ihrer professionellen Erfahrungen ein und öffnet sich dieser neuen Entwicklung in der Krankenhausseelsorge und gestaltet dabei die Zukunft maßgeblich mit. Traugott Roser, der gemeinsam mit Eckhard Frick die erste Stiftungsprofessur für Spiritual Care in München innehatte, und gemeinsam mit Thomas Hagen den Qualifizierungskurs Palliative Care für Seelsorgende entwickelte9, hat durch seine Arbeit auf diese neue Herausforderung für die Aus- und Fortbildung in der Krankenhausseelsorge aufmerksam gemacht. Dieses Curriculum wurde 2008 in München in Zusammenarbeit auch mit KSA-Kursleitenden und -Lehrsupervisor*innen erstmals durchgeführt. In Hattingen hat unser erster Kurs Spiritual Care 2013/14 stattgefunden. Dabei haben wir das Curriculum von Hagen/Roser zugrunde gelegt, gleichzeitig aber weiterentwickelt. Wir haben die Themen übernommen und uns an der vorgeschlagenen Literatur orientiert. Vor allem aber haben wir die im Curriculum Hagen/Roser vorgeschlagenen 120 Unterrichtsstunden (1 Ustd. = 45 Min.) für einen Qualifizierungskurs Palliative Care für Seelsorgende verbunden mit den nach KSA-Standards für einen regulären KSA-Kurs geforderten 144 Präsenz-Arbeitseinheiten in der Gruppe (Anm.: 1 AE = 45 Min.). Wir bieten also einen KSA-Kurs an, der gleichzeitig die Zusatzqualifikation Palliative Care für Seelsorgende, in einem Gesamtkonzept mit insgesamt 264 Unterrichtsstunden unter dem Thema Spiritual Care verbindet. Unsere Überzeugung, dass die KSA-Kurs-Elemente – die Selbsterfahrung in der Gruppe, die Differenzierung von Eigen- und Fremdwahrnehmung, die Einübung in Beziehungskompetenz sowie die tägliche Praxisreflexion durch Gesprächsprotokolle – ganz entscheidende Merkmale einer Qualifizierung sind, um die Seelsorgenden für den umfassenden Bereich der Seelsorgearbeit im Trauer-, Hospiz- und Palliativbereich vorzubereiten, haben wir damit zum Ausdruck gebracht. Gerade in diesen Bereichen – Trauer-, Hospiz- und Palliativar9 Hagen/Roser/Reigber/Fittkau-Tönnesmann, 2010.

Die Bedeutung der KSA in der Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge

485

beit – ist das Lernen an der eigenen Person der Königsweg. Gleichzeitig wird dieses Angebot bisher gut nachgefragt, weil die Teilnehmenden – unabhängig von der weiteren Entwicklung im Bereich von Spiritual Care und Seelsorge – auf jeden Fall eine KSA-Qualifizierung erwerben. Die Teilnehmenden der Hattinger KSA-Kurse »Spiritual Care« sind vielfältig. Es sind Theolog*innen und Pfarrer*innen aus allen konfessionellen Bereichen; hinzukommen, auch durch die langjährige Kooperation mit der Ev. Hochschule Bochum, Gemeindepädagog*innen, Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen, Heilpädagog*innen oder Diakon*innen. Aus dem Trauer- und Hospizbereich kommen weitere Teilnehmende wie z. B. Psycholog*innen, Ärzt*innen sowie Palliativ-Fachkräfte hinzu. Sie arbeiten haupt-, neben- oder ehrenamtlich seelsorglich in ihren Arbeitsfeldern und erkennen an Schnittpunkten, die sich aus ihrem beruflichen Fokus, einem ehrenamtlichen Interesse oder einer kirchlich-religiösen Bindung ergeben, dass sie sich bei uns weiterbilden möchten. In diesen Kursen wird die Berufsheterogenität als großer Reichtum und absoluter Gewinn erlebt. Die Teilnehmenden lernen voneinander durch Gesprächsführung individueller Art, aber auch durch Kommunikation im jeweiligen beruflichen Kontext, durch die Selbst- und Fremdwahrnehmung unterschiedlicher beruflicher Prägungen und natürlich auch durch die ganz unterschiedlich und individuell ausgeprägte religiöse und/oder kirchliche Bindung und Zugehörigkeit. Durch evangelische und katholische Teilnehmende aus Landeskirchen und Bistümern, durch Teilnehmende aus freievangelischen und freikirchlichen Gemeinden, und auch durch einzelne muslimische Teilnehmende ergibt sich eine bereichernde Ausbildungssituation, in der tatsächlich täglich voneinander gelernt wird. Dies führt nach meiner Beobachtung zu einer größeren Akzeptanz und Toleranz anderer religiöser und/oder kirchlichen Positionen und zugleich – und das ist wichtig – zu einer größeren Vergewisserung und zu einem klareren Bewusstsein des jeweils eigenen, konfessionsspezifischen und/oder religiösen Standpunktes. Die tägliche gemeinsame Aus- und Weiterbildung in Seelsorge öffnet hin zu einem toleranten und offenen Verständnis von Spiritualität und verstärkt zugleich den eigenen konfessionellen und/oder religiösen Hintergrund.

4 KSA – Quo vadis? Oder: Die Zukunft von Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge Die KSA ist zurzeit organisatorisch sehr stark in landeskirchlichen Institutionen eingebunden. Das Gute daran ist, dass die bestehenden KSA-Strukturen in diesem Rahmen gepflegt und erhalten werden. Die Gefahr ist jedoch, dass

IV

486

Annedore Methfessel

die Notwendigkeit für Veränderungen und die Chancen, die sich daraus ergeben, unterschätzt werden. Nach meinem Dafürhalten hat die Klinische Seelsorge Ausbildung für die Zukunft gutes Potenzial und sehr gute Chancen, sich den Herausforderungen zu stellen. Gesprächsführung und Kommunikation, gutes Differenzierungsvermögen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie Einübung in Beziehungskompetenz – also die Hauptanliegen der KSA – sind nicht nur für die Krankenhausseelsorge und für andere Seelsorgefunktionsbereiche, sondern für viele kirchliche und andere soziale und diakonische Berufs- und Arbeitsfelder außerordentlich wertvoll. Eine Öffnung der Zielgruppe, wie es in den Standards bereits jetzt angelegt ist, ist also hilfreich. Zur Zielgruppe der Pastoralpsychologischen Weiterbildung in Seelsorge (KSA) heißt es in den Standards von 2014:

IV

»KSA richtet sich an Personen, die haupt-, neben- oder ehrenamtlich als Seelsorgerinnen und Seelsorger in Gemeinden oder in speziellen Arbeitsfeldern mit seelsorglichem Schwerpunkt tätig sind oder sein werden. KSA ist offen für vergleichbare Zielgruppen aus verschiedenen religiösen Traditionen.«10 Man könnte es aus meiner Sicht so zusammenfassen: Die Zukunft der KSA liegt darin, dass sich dieser ursprünglich nur für Theolog*innen gedachte Weg der Weiterbildung in der beschriebenen Weise öffnet und weiterentwickelt, um den gegenwärtigen Herausforderungen gerecht zu werden. Dazu gehört auch, sich auf eine in diesem Sinne erweiterte Klientel einzustellen und entsprechende Kursangebote zu machen. Sollte der KSA dies gelingen, dann hat sie gute Chancen, über ihren bisherigen binnenkirchlichen Rahmen hinaus auch gesamtgesellschaftlich entscheidende Akzente zu setzen.

10 Geschäftstelle der DGfP, 2014, A. 1.1, S. 8.

Trostspuren – Dokumentation und Verschwiegenheit in der professionellen Seelsorge im Krankenhaus1 Thomas Beelitz

1 Wie dokumentieren? Was wird für wen dokumentiert? Was ist nicht zu dokumentieren und also zu verschweigen? Wie passt beides für die Seelsorge zusammen? Diese Fragen lassen komplexe Zusammenhänge erahnen. Der folgende Beitrag ist aus der Perspektive praktizierter professioneller Krankenhausseelsorge geschrieben. Professionelle Seelsorge ist definiert als die Seelsorge, die den Hauptteil der Berufsausübung ausmacht.2 In der Praxis sind beim Thema Dokumentation und Verschwiegenheit viele Kolleg*innen selbst weiter, als es Theorie und Richtlinien zu erlauben scheinen. Das erschwert die Darstellung dieses Themas in einem Handbuch. Die notwendige, bestätigende Klärung derartiger Praxis durch übergeordnete Verantwortliche wird häufig vermieden. Hier ist auf ein anstehendes Regelungssoll hinzuweisen. Eine Klärung wäre dringend erforderlich, um den Partnern im Alltag auf allen Seiten die nötige Handlungssicherheit und eine organisatorische Verstätigung anbieten zu können. Das jedoch erfordert inhaltlich-strukturelle Positionierungen bezogen auf professionelle Seelsorge im Krankenhaus – und diese wird auf allen Seiten leicht mit dem eiligen Hinweis auf Kosten und der womöglich erforderlichen Übernahme von Finanzierungen gern vermieden. Nordamerikanische Kolleg*innen veröffentlichten ein Beispiel, das deutlich macht, was viele von uns in der Krankenhausseelsorgepraxis mehr oder weniger explizit tun und was Ängstlichere ermutigen kann. Es zeigt: So lässt sich in der professionellen Krankenhausseelsorge gleichzeitig dokumentieren und verschweigen. 1 Vereinfachend und stellvertretend ist hier von »Krankenhaus« die Rede, auch wenn ganz unterschiedliche Systeme und stationäre Einrichtungen der professionellen Gesundheitsversorgung als Felder professioneller Seelsorge im Blick sind oder mitgemeint sein sollten. – Alle Übersetzungen aus dem Englischen durch den Verfasser T. B. 2 Seelsorge – Muttersprache der Kirche (Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2010, S. 45, 2.2.2.).

IV

488

IV

Thomas Beelitz

»Der Krankenhausseelsorger hat ein Gespräch mit einer Patientin, Frau H., die er in Tränen aufgelöst auf der Palliativstation antrifft. Die Patientin erzählt aus ihrem Leben und von ihrer Familie und zählt dabei Beispiele auf, wie sie gegenüber der Familie ›versagt‹ hat. Im Besonderen erzählt sie dem Seelsorger, dass sie vor einigen Jahren ihren Mann betrogen hat und dass sie seither mit Schuld- und Schamgefühlen ringt. Nie war sie in der Lage, mit ihrem Mann, der vor ein paar Jahren verstorben ist, oder mit ihren Kindern darüber zu reden. Sie hat die Befürchtung, dass diese Unfähigkeit sie auch in ihrem religiösen Glauben kompromittiert hat, und sie ringt nun damit, wie sie mit ihrem Sterben klarkommen soll. Das relevante Gesprächsanliegen hier ist nicht die Tatsache des Ehebruches, sondern die emotionale und spirituelle Belastung, die der Frau erwächst und die sie deutlich behindert, ihre Diagnose wahrzunehmen, Entscheidungen über ihre Zukunft zu treffen und sich letztendlich ihrem Sterben zu stellen. Ein/e professionelle/r Seelsorger/in wird in einer solchen Situation niemals in den Akten den Ehebruch dokumentieren. Ein angemessener Eintrag in der Akte, der andere Teammitglieder auf das Problem aufmerksam macht, könnte lauten: ›Patientin beschäftigt sich mit Lebensbilanzfragen; sie schämt sich und fühlt sich schuldig angesichts ungelöster Lebensereignisse und sie ist tief besorgt, ob ihr religiöser Glaube ihr im Angesicht des Todes eine Hilfe sein kann.‹«3

Ein Praktikumsbericht aus dem Münsterland skizziert, wie ein Dokumentationssystem in der Seelsorge, in diesem Fall für den Bedarf nach Krankenhausseelsorge, aussehen kann: »Im Krankenhaus hat sich ein System etabliert, das vorsieht, dass Pflegekräfte und Ärzte in der Patientenakte einen Vermerk, bestehend aus den Zahlen eins bis sieben, einfügen können. Wenn dies geschieht, bekommt der zuständige Seelsorger oder die zuständige Seelsorgerin eine Nachricht. Aufgrund der Kennziffer kann sofort gesehen werden, aus welchem Grund Seelsorge ›verordnet‹ wurde: Begleitung eines religiösen Patienten, Begleitung eines ›schwierigen‹ Patienten, einem Patienten bei der Verarbeitung seiner Diagnose helfen, Begleitung eines niedergeschlagenen Patienten, dem Besuchswunsch eines Angehörigen nachkommen, Sterbebegleitung oder Verlustbewältigung.«4 3 Wintz/Handzo, 2015, S. 161. 4 Zit. nach Roser, 2018, S. 142.

Trostspuren

489

In den hektischen Betriebsabläufen im Krankenhaus wahrt diese Art der Verschlüsselung die Verschwiegenheit gegenüber Patient*innen und anderen Mitarbeiter*innen. Es erspart zudem das weitere Nachdenken, wenn die Zeit dafür fehlt. Hier ist es ein Beispiel für ein schlankes Benachrichtigungssystem, das patientenbezogen den Seelsorgebedarf verschlüsselt dokumentiert. Ähnliche Benachrichtigungssysteme über patientenbezogene Seelsorgeergebnisse (Outcomes) sind vorstellbar und bereits eingeführt. Bei uns aber sind solche Dokumentationssysteme zu den Arbeitsverläufen der professionellen Krankenhausseelsorge, zur Entstehung, zum Umgang und zur Weiterarbeit mit Bedarfen noch eher selten. Anderwärts gehört das zum Standard.5 Ist es »an der Zeit, einen Schritt vorwärts zu machen«6, werden sie zur Grundlage der Arbeit. Der diesbezügliche Prozessindikator der Stellungnahme Time To Move Forward aus dem Jahr 2017 führt speziell zu Dokumentation aus: »Die oder der professionell Seelsorgende erkennt die Bedeutsamkeit von Dokumentation und die Erfordernisse organisatorischer und steuernder Richtlinien. Die oder der professionell Seelsorgende implementiert für die Seelsorgedokumentation die besten Standards und dokumentiert damit religiöse, kulturelle, existentielle, emotionale und soziale Bedürfnisse, Ressourcen und Risikofaktoren der Klienten sowie notwendige Überweisungen.«7‚ Rabbi Rafael Goldstein, Leiter der Seelsorgeabteilung am Mount Sinai Medical Center in New York City, wies darauf hin, gegebenenfalls zu dokumentierende Informationen mit der besuchten Patientin bzw. dem besuchten Patienten am Ende des Gesprächs zu thematisieren und abzustimmen.8 Das moderne Krankenhaus der Gegenwart ist fast gänzlich ein Ort geworden, an dem totalitär gilt: was nicht (elektronisch) dokumentiert ist, hat nicht stattgefunden und ist (vielleicht) nicht wirklich wahrgenommen worden. Nur was dokumentiert ist, kann auch vergütet werden! Das hat spannenderweise die eher unbekannte, paradoxe Seite: Was nicht wahrgenommen wird, verursacht dennoch Kosten auf allen Seiten, die auf demselben Weg belegbar sind!9

5 6 7 8 9

Siehe Goldstein, 2012; Steinhauser et al., 2017. HealthCare Chaplaincy Network (HCCN), 2016a. HCCN, 2016a, deutsche Übersetzung S. 23. Siehe Goldstein, 2012, 84. Siehe HealthCare Chaplaincy Network (HCCN), 2016b, S. 13; Beelitz, 2018, S. 16 f.

IV

490

Thomas Beelitz

2  Das Vermeiden von Dokumentieren und Kosten

IV

Nach wie vor löst das Thema Dokumentation und Verschwiegenheit bezogen auf Seelsorge in hiesigen Kontexten eine gewisse, eine besondere Beunruhigung aus. Dokumentation und Verschwiegenheit aber sind immer und überall wichtige Themen der Krankenhausseelsorge! Dokumentation und Verschwiegenheit appelliert, so ist darzustellen, an die eigene Professionalität all jener, die in der Krankenhausseelsorge hauptberuflich tätig sind, sowie an die verantwortliche Wahrnehmung derer, die für die diesbezüglichen strukturellen Gegebenheiten Verantwortung tragen. In dem herausfordernden Tätigkeitsfeld professioneller Krankenhausseelsorge ist Dokumentation und Verschwiegenheit ein Thema von Praxis- und von Leitungsverantwortung. Es ist ebenfalls ein Thema der Qualitätssicherung und gehört zentral zu den ethischen Standards dieses herausfordernden Berufsfeldes. Professionell Krankenhausseelsorgende verstehen sich zunehmend als Teil der interdisziplinären Versorgung im Krankenhaus. Das findet paradigmatisch in der Palliativversorgung statt, aber bei weitem nicht nur dort. »Kirche am anderen Ort«10, wie manchmal gesagt wird, nämlich Kirche in einem nicht-religiösen, hoch-professionalisierten Zusammenhang wie der stationären Gesundheitsversorgung, wird dort erlebt, ist aber hier nicht strukturbildend. Dem muss eine sich aktuell positionierende Krankenhausseelsorge Rechnung tragen. Die Arbeit an der nötigen und möglichen Identifizierbarkeit unter obwaltenden Bedingungen kann auch als bedrohlich empfunden werden, wie allgemein aus vielen Qualitätsentwicklungsverfahren bekannt: Sie bedroht mit Einschränkung jene Macht, die sich der Kontrolle über Unklarheiten verdankt!11 Doch die Zeiten der professionellen Krankenhausseelsorge in der Rolle der Quasi-Angehörigen und/oder der Institutionsfremden sind vorbei. Professionelle Seelsorge in den Feldern der Gesundheitsversorgung findet ihren Zugang heute über Professionalität, nicht über Konfessionalität (worunter allgemein Religions- bzw. Kirchenzugehörigkeit verstanden wird). Anregend ist die historische Erinnerung: »›Konfessionalität‹ im Sinne einer sich in typischer Weise abgrenzenden lebensgeschichtlichen und lebensweltlichen Milieuprägung ist ein Produkt 10 Jahrestagung der Krankenhaus-, Altenheim-, Kur- und Reha-Seelsorgerinnen und -Seelsorger der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck (EKKW) zum Thema »Sonderseelsorge – Kirche am anderen Ort!«, Hofgeismar 23./24.02.2017. Vgl. auch den Beitrag von Sebastian Borck im vorliegenden Band. 11 Siehe Crozier/Friedberg, 1993, S. 13.

Trostspuren

491

des 19. Jahrhunderts, gleichsam eine Erfindung des Katholizismus, mit der dieser etappenweise auf Distanz zur protestantischen Hegemonialkultur ging.«12 Aktuell wird Professionalität von Seelsorge im Gesundheitswesen folgendermaßen bestimmt: »Zur Professionalität professioneller Seelsorge gehört, seelsorgliche Versorgung im Leben der Organisation zu verorten, der Aufbau und die Pflege interdisziplinärer Beziehungen, das Verständnis für Organisationskultur und Systeme, die Förderung von ethischen Entscheidungsfindungsprozessen, die angemessene Dokumentation der Arbeit der professionellen Seelsorge und der Aufbau angemessen kollaborativer Beziehungen zu örtlichen Gemeinden und deren Leitungen.«13 Eine Loyalität der professionell Seelsorgenden gegenüber den sie entsendenden religiösen Gemeinschaften wird von allen Seiten erwartet. Besuche von Gemeindeverantwortlichen im Krankenhaus sowie von kommunalen und religiösen ehrenamtlichen Besuchsdiensten finden zusätzlich statt.

3  Die Verschwiegenheit regeln Wenn sich professionelle Krankenhausseelsorge heute als ein Player unter anderen im modernen Krankenhaus wahrnehmen und verstehen will, müssen ihre Funktionsträger und ihre Verantwortlichen darstellen, wie die Themen Amtsverschwiegenheit/Seelsorgegeheimnis hier anders verstanden werden können und müssen. Das ist durchaus strittig: »Ganz zentral kommt es darauf an, dass man den Unterschied begreift zwischen dem Tätigkeitsfeld eines Geistlichen bzw. einer Leitungsperson in einer religiösen Gemeinschaft und dem Tätigkeitsfeld einer professionellen Seelsorgerin bzw. eines professionellen Seelsorgers, die als Mitglied eines interdisziplinären Teams in einem nicht-religiösen sozialen Kontext arbeiten.«14 12 Drehsen, 1994, S. 100. 13 Association of Professional Chaplains, 2011, S. 4; vgl. Spiritual Care Collaborative, 2004, S. 4 (Section IV: Professional). 14 Wintz et al., 2015, S. 161 f.

IV

492

IV

Thomas Beelitz

Das fällt eventuell leichter in Gesellschaften, in denen die professionelle Krankenhausseelsorge direkt beim Krankenhaus (z. B. in Nordamerika, den Beneluxstaaten, in Großbritannien) und nicht bei der Kirche (wie z. B. im deutschsprachigen Bereich Mitteleuropas) angestellt ist. Strukturelle und kulturelle Fragen spielen beim Thema Dokumentation und Verschwiegenheit eine unmittelbare, weithin unterschätzte Rolle. Eine komplizierte, soziokulturell geprägte Gemengelage ist mit in den Blick zu nehmen! Das Thema Beichte gehört dazu.15 Rechte der Patienten, der staatlichen Versorgungseinrichtungen, der einzelnen Berufsgruppen, der religiösen Amts- und Funktionsträger und der kirchlichen Selbstverständnisse verbinden sich – oft in buchstäblich fataler Weise – mit dem Thema Geld. Die ausreichende geistig-seelische Versorgung der Patient*innen im Krankenhaus bleibt aus. Stattdessen wird darum gerungen: Wer kann, will, wird, soll, muss denn noch professionelle Krankenhausseelsorge künftig wie bezahlen?! Wie gewohnt, lohnt es sich, sich zu vergegenwärtigen, wer wo was auf welcher Ebene und mit welchen Interessen zum Ausdruck bringt: Vertreter religionsaffiner Wissenschaften reden anders als die der religionsdistanten; Vertreter der großen Kirchen reden anders als Vertreter des Staates; Vertreter von Religionen reden anders als Vertreter von Weltanschauungen; Vertreter von Ethikkommissionen reden anders als Vertreter von berufsständischen Organisationen; unterschiedliche Vertreter der mittleren Ebenen reden wieder anders; Vertreter der medizinischen Dienste vor Ort reden anders als die Seelsorgedienste vor Ort; Vertreter der Pflege reden anders als Angehörige usf. In dem für die evangelische Krankenhausseelsorge im Raum der EKD vorgelegten Standard von 2004 hat es immerhin geheißen: »Die Seelsorgerinnen und Seelsorger sind in diese Entscheidungsprozesse [über die Versorgung der Patienten einer Station] in dem Maße eingebunden und sie kooperieren mit den anderen Berufsgruppen in dem Maße, wie dies für alle Beteiligten fachlich geboten und rechtlich zulässig ist. Dass die Zuwendung zu den Patienten koordiniert und kooperativ stattfinden muss, ist sicherlich unstrittig. Die jeweilige konkrete Lösung jedoch ist im Rahmen einer sorgfältigen Qualitätsentwicklung zwischen allen Verantwortlichen vor Ort auszuhandeln und immer wieder neu zu prüfen.«16 Das muss man nicht als Abwälzen von Verantwortung an die unterste Ebene verstehen. Man kann es positiv sehen: Das Problem wird als ein mehrseitiges 15 Siehe Beelitz, 2015b, S. 31. 16 Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD, 2004, S. 29 f.

Trostspuren

493

erkannt und es wird zu konkreten Lösungen ermuntert! Daran könnte man anknüpfen. Für den Klärungs- und Abstimmungsbedarf auf den unterschiedlichen Ebenen reichen nämlich eine allgemeine Wahrnehmung des Problems und eine prinzipielle, im Äußerlichen bleibende Einlassung nicht aus. Es braucht darüber hinaus konkrete Vorschläge und Ideen, die diskussionsfähig sind. Das versucht der vorliegende Beitrag. Das Diskussionspapier aus der Sektion »Seelsorge/Spirituelle Begleitung« der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) kann ebenfalls als solch ein Beispiel verstanden werden.17 Dieses Papier wird jedoch der Notwendigkeit einer inhaltlichen, proaktiven Darstellung des Problems von Dokumentation und Verschwiegenheit in diesem Berufsfeld nicht ausreichend gerecht. Es bleibt auf der verrechtlichenden, defensiv-apologetischen Ebene. Da ist die anfangs zitierte Stellungnahme nordamerikanischer Kolleg*innen inhaltlicher und praktischer. Natürlich aber bleibt es immer dabei: »Jede Person, die sich in einem Seelsorgegespräch einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger anvertraut, muss darauf vertrauen können, dass daraus ohne ihren Willen keine Inhalte Dritten bekannt werden.«18 Wer jedoch über die Inhalte des Gesprächs hinaus grundsätzlich das ›Ob‹ (»also die Frage, dass überhaupt Seelsorge stattgefunden hat«) und auch das ›Wie‹ (»die Art und Weise: Ort, Kommunikation …«) des Seelsorgegespräches im Krankenhaus unter das Seelsorgegeheimnis stellen will19, erklärt von vorn­ herein die interprofessionelle patientenbezogene Zusammenarbeit mit der professionellen Krankenhausseelsorge vor Ort für unmöglich und schadet den Patient*innen.

4  Dokumentieren und Kommunikation Beichte und Buße sind in aller Regel nicht Gegenstand und Inhalt von professioneller Krankenhausseelsorge. Dieser Sachstand sollte nicht verschwiegen und verschleiert werden! In der Krankenhausseelsorge findet vieles statt: Vom Alltagsgespräch bis zur professioneller Beratung, von der Krisenintervention bis zu Angeboten der innerbetrieblichen Fort- und Weiterbildung, von der Sterbebegleitung bis zu Supervision und Coaching, vom Gespräch über ethische Fragen bis zu spirituellen Angeboten ist vieles möglich – für Patienten, für Mitarbeitende, für Leitungen, für Angehörige, für ambulante Partner, für Interes17 Siehe Coors/Hart/Demetriades, 2014. 18 SeelGG § 2 Abs. 4, in: Evangelische Kirche in Deutschland, 2009. 19 Richter, 2011.

IV

494

Thomas Beelitz

sierte. Aber ritualisierte Beichte und Buße sind fast nie der Inhalt! Das, so die kollegiale Auskunft, gilt ebenso für die professionelle Krankenhausseelsorge in katholischer Verantwortung, wenn man sie von der sakramentalen Versorgung unterscheidet. Für den kommunikativen Alltag der professionellen Seelsorge im Krankenhaus ist die Amtsverschwiegenheit (Beichtgeheimnis) weitgehend untauglich. Das kann in der Gemeindearbeit vor Ort anders sein und das wird sich stark von der professionellen seelsorglichen Praxis im Strafvollzug unterscheiden. Im Krankenhaus verändert das den Anspruch an den Umgang mit den Verschwiegenheitspflichten. Diese sind hier weit und differenziert gefasst20, wie am Beispiel exemplifiziert werden soll:

IV

Das Ethikkomitee des Krankenhauses berät den Fall eines Patienten, Ende 50. Er ist seit Wochen im Krankenhaus. Innere Medizin, Psychiatrie, Intensivstation sind immer wieder beteiligt, sind ›seine Stationen‹. Seine Lage ist körperlich desolat; er ist stark untergewichtig. Sein Verhalten ist extrem ausfallend und verbal aggressiv. Eine schwere Geistesstörung infolge langjährigen Alkoholmissbrauchs, es wird von ›Korsakow‹ gesprochen, sowie eine unaufgeklärte, raumfordernde Tumorerkrankung stehen medizinisch aktuell im Vordergrund. Eine Aufklärung über letztere lehnt der Patient jedoch ab. Auf Antrag der Inneren Abteilung werden die aktuelle medizinische Situation und mögliche Behandlungsoptionen beraten. Der Krankenhausseelsorger ist Teil des Ethikkomitees. Der Patient hat inzwischen einen gesetzlichen Betreuer. Zunächst werden weitere neurologische und psychiatrische Konsile, sowie seelsorgliche und sozialarbeiterische Beratungen angefordert. Der seelsorgliche Kontakt gelingt und wird vom Patienten dankbar angenommen. Der Seelsorger kann dem Behandlungsteam bestätigen, dass der Patient bereit scheint, sich mit einer Zukunft für sich beschäftigen zu wollen. Eine akute Lebensmüdigkeit besteht offenbar nicht. Bei weiteren Gesprächen mit dem Patienten erzählt dieser dem Seelsorger von Waffen in der eigenen Häuslichkeit. Er bestätigt dem Seelsorger auf dessen Erschrecken deren, wie er sagt, »objektive« Gefährlichkeit. Subjektiv findet er die Waffen sehr in Ordnung. Eine wirkliche Verständigung darüber, dies dem behandelnden Team weiterzusagen, ist aufgrund der psychischen Erkrankung nicht möglich. Der Seelsorger kann über diesen Inhalt des Gesprächs ohne ausdrückliche Erlaubnis keine Mitteilung machen. In dem abschließenden Gespräch des Ethikkomitees wird eine zusätzliche neurologische Erkrankung festgestellt und ist die Verlegung in eine spezialisierte 20 Vgl. Klessmann, 2017c, S. 74; Enxing/Peetz, 2017.

Trostspuren

495

Pflegeeinrichtung geplant. Bei der abschließenden Feststellung der aktuell fehlenden Selbst- und Fremdgefährdung ergänzt der Seelsorger seine Einschätzung: Er verweist auf eine bei dem Patienten gleichwohl bestehende »gewisse Waffenaffinität«. Daraufhin erklären mehrere der vertretenen Dienste, dass sie von Waffen in der Häuslichkeit des Patienten wüssten. Offenbar hatte der Patient mehrfach und gegenüber verschiedenen Gesprächspartnern darauf hingewiesen. Es wird verabredet, den Betreuer zu informieren und die Waffen (sowie einen Waffenschein) von der Polizei einziehen zu lassen. Eine ausführliche Dokumentation der Beratungen und Beschlüsse des Ethikkomitees wird für die Akten erstellt.

Wer am Patienten arbeitet, hat über die patientenbezogenen Inhalte seiner Tätigkeit außerhalb dieser unmittelbaren Arbeit mit dem Patienten zu schweigen. Das gilt für alle – wenn auch nicht in gleicher Weise.21 Zwischen Ehrenamtlichen und Ärzten, zwischen Pflegenden und Krankenhausseelsorgenden wird durchaus, auch in den Fällen vor Gericht, unterschieden. In der alltäglichen Arbeit im Krankenhaus aber hat jede*r zwischen den persönlichen patientenbezogenen Inhalten, die niemanden etwas angehen (dürfen!), und dem patientenbezogenen Informationsaustausch, der die nötige und zustimmungspflichtige22 arbeitsteilige Zusammenarbeit erst ermöglicht, zu unterscheiden. Das kann und muss man lernen! Nichts anderes gilt für die professionelle Seelsorge und ist dort, wie die zitierten Beispiele zeigen, möglich, zu entwickeln und kultivierbar. Einfach ist es nicht.

5  Dokumentieren und Trost Dokumentieren und Verschweigen wird in den praktischen Vollzügen der Krankenhausseelsorge mit Patienten, Angehörigen und Mitarbeitern oft noch ganz anders zum Thema, als das zunächst zu vermuten ist. Professionell Krankenhausseelsorgende lernen in den für sie verpflichtenden Weiterbildungen Systeme der Dokumentation ihrer Arbeit kennen. Für die 21 Vgl. Datenschutz-Grundverordnung der EU (EU-DSGVO; www.dsgvo-gesetz.de) und das neue Bundesdatenschutzgesetz (BDSG neu), anwendbar ab 25. Mai 2018. Zentrale Grundsätze der Dokumentation im Krankenhaus, und der sich daraus ergebenen Verschwiegenheitspflichten, sind durch verschiedene Gesetzeswerke (Berufsordnungen der Ärzte, StGB, BGB, SGB V, IV, X, Landeskrankenhausgesetze) und Verordnungen geregelt. 22 Diese Zustimmung wird im Behandlungsvertrag eingeholt und ist dort mit Unterschrift dokumentiert. Nur in diesem Sinne gibt es die manchmal beschworene, gemeinsam geteilte Schweigepflicht.

IV

496

IV

Thomas Beelitz

Qualität der eigenen Arbeit als Seelsorgende in der Krankenhausseelsorge ist Dokumentieren wesentlich und mit entscheidend. Gemeint ist dabei zunächst das Dokumentieren für sich. Gemeint ist das Rückhaltesystem, das es gilt, für sich zu entwickeln, damit man selbst weiß und sich erinnern kann, wer wann zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis besucht worden ist. Es lassen sich auf diese Weise Anknüpfungen, Muster, Schwerpunkthemen und weiterführende Fragestellungen entdecken und entwickeln. Diese Verlaufsdokumentation ist unter Verschluss zu halten, unterliegt also den berufsbezogenen Verschwiegenheitspflichten, und sie ist ausreichend zu anonymisieren. Eine solche Dokumentation macht erst das kontinuierliche Lernen im Sinne eines Selbst-Coachings möglich. Das Dokumentieren für sich hat zudem eine professionsbezogene intersubjektive Seite. Seelsorge ist viel zu lange ausschließlich akteurszentriert und zu wenig feldtheoretisch und auf die Handlungsbreite bezogen wahrgenommen worden.23 »Wie die Schachspieler bilden sie sich ein, allein zu sein, und doch könnten sie nicht spielen, gäbe es nicht einen dritten Mitspieler, nämlich das Schachspiel selbst mit seinen Regeln und möglichen Zügen.«24 Harald Poelchau schrieb daher aufgrund langjähriger Tätigkeit in der Seelsorge im Strafvollzug von der Ordnung der Bedrängten25 und Karl Barth führte bei seinen Überlegungen zur Ehrfurcht vor dem Leben aus: »Die Grundfrage nach der Kraft zum Menschsein […] ist […] immer eine gemeinsam zu stellende und zu beantwortende, eine soziale Frage.«26 Wenn nicht sonst schon, dann machen spezialisierte Felder professioneller Krankenhausseelsorge, wie etwa die Psychiatrieseelsorge, endgültig deutlich: Es kann letztlich nur miteinander gelingen, die eigene professionelle Perspektive in dieser »Schule ständigen Umdenkens«27 zu halten! Dieses Miteinander ist zur Sicherung der eigenen Professionalität zu kultivieren; und es bezieht sich sowohl auf das intradisziplinäre (verschiedene Bereiche von Kirche und Theologie) wie das interprofessionelle kommunikative Zusammenarbeiten (verschiedenste Dienste der Patientenversorgung). Erst die Gruppe kann die Gelassenheit und das Vertrauen (auch virtuell stellvertretend) halten und vermitteln, dass die eigenen Gewissheiten im Alltag des Krankenhauses auch immer wieder auftauchen werden. Verdaut werden können viele der einschneidenden Ereignisse erst in einer triadischen Situation (wie z. B. durch 23 Vgl. Hiltner, 1958, S. 55 ff., S. 192 ff.; HCCN 2016a, Anhang II; Beelitz, 2016, S. 30 ff.; Emlein, 2017. 24 Gargani, 2001, S. 161. 25 Vgl. Poelchau, 2004. 26 Barth, 1951, S. 413 (Hervorhebung im Original). 27 Lückel, 1998, S. 9.

Trostspuren

497

Supervision).28 Solche Verarbeitung im Dienste der Qualitätssicherung unterliegt ebenfalls den allgemeinen Verschwiegenheitspflichten und den Erfordernissen ausreichender Anonymisierung. Das Dokumentieren für andere hat dann sehr unterschiedliche Adressaten und sehr verschiedene Kontexte! Da erwarten Krankenhausseelsorgende zu Recht und zunehmend, dass man ihre wichtige und schwere Arbeit auch ausreichend wahrnimmt. Die Zeiten der verdrucksten Arbeit der Seelsorge im Krankenhaus, also vor den Kirchen und vor dem Arbeitsfeld Krankenhaus verborgen, sind vorbei.29 Da gibt es längst eine Aufbruchsstimmung. Vorbei sind mittelfristig gesprochen auch die Zeiten, dass die Ebenen im Krankenhaus wie die kirchlichen Stellen die professionelle Krankenhausseelsorge mit einiger­maßen gutem Gewissen ignorieren können. Das Licht, heißt es doch, ist nicht unter den Scheffel zu stellen: »So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.« (Mt 5,16 par.) Da möchten nun die entsendenden kirchlichen Stellen genauer wissen, was macht ihr denn da in der Krankenhausseelsorge? Zahlen, Fakten, Entwicklungen und Perspektiven werden aufgeschrieben, dokumentiert. Krankenhausseelsorgende nehmen diese Verpflichtungen gegenüber ihrem Dienstherrn gern mit mehr oder weniger großem Engagement wahr. Ähnlich dokumentierende Berichte auf regelmäßiger Basis gibt es für die Träger, die Einrichtungsleitungen und die Qualitätssicherungssysteme im Krankenhaus selbst. Letzteres findet bei Krankenhäusern in konfessioneller Trägerschaft in größerer Regelhaftigkeit statt. Als aktuell neue Entwicklung werden in den Qualitätssicherungssystemen im Krankenhaus direkt behandlungsbezogen vonseiten der Patienten dokumentierte Ergebnisse zur Sicherung der Qualität und Verbesserung der Versorgung erfasst.30 Auch das findet Eingang in die Entwicklung der professionellen Krankenhausseelsorge in Europa.31 Außerdem gibt es in vielen Krankenhäusern Räume der Stille/Andachtsräume/Kapellen. An diesen Orten werden oft von der Krankenhauseelsorge Besucherbücher ausgelegt. Patienten und Besucher dokumentieren hier, was sie bewegt und welchen Raum sie dafür gefunden haben. Es sind Spuren von Menschen, die Trost gesucht und manchmal hier gefunden haben. Diese Trostspuren werden für andere an einem solchen Ort sichtbar. Und diese Spuren spenden 28 Siehe Weimer, 1999, S. 494. 29 Vgl. Borck, 2014. 30 Siehe Patient Reported Outcome Measures (PROMs), siehe EUPATI (Europäische Patientenakademie), 2016. 31 Siehe European Research Institute for Chaplaincy in Healthcare (ERICH): www.chaplaincyresearch.eu.

IV

498

Thomas Beelitz

selbst Trost. In eigener, persönlichster Sprache wird Leid dokumentiert – nicht als Krankengeschichte, wie sonst im Krankenhaus, auch nicht als Krankheitsgeschichte, wie sonst vielleicht gelesen und erzählt. Wenn ein solches Buch voll ist, bleibt es in den Händen der Krankenhausseelsorge und wird durch ein neues ersetzt. Man kann diese Spuren aus seelsorglicher Perspektive als fürs Dokumentieren paradigmatisch ansehen. In solchen Trostspuren, so ist wahrzunehmen und hervorzuheben, lassen sich die Gesichtszüge Gottes erkennen.32 Von derartigen Erfahrungen im Krankenhaus angeregt, wird der Text des bekannten Liedes »Wir haben Gottes Spuren festgestellt«33 – wenn man sich einmal nicht den gewohnten Mustern eingeschränkter Imagination überlässt – als Leuchtfeuer für den Umgang mit Dokumentation und Verschwiegenheit in der professionellen Krankenhausseelsorge sichtbar. Wird nicht dokumentiert, gerät Hoffnung ins Vergessen und so abhanden.

IV

32 Vgl. Vattimo, 2001, S. 107. 33 Evangelische Landeskirche in Württemberg, 1996, Nr. 656, von Diethard Zils aus der französisch-reformierten Tradition übertragen.

Netzwerkarbeit – Seelsorge zwischen Krankenhaus und Gemeinde Martina Schlüter

Ein Netz ist die Verknüpfung vieler einzelner Fäden mittels Knoten, sodass ein Gewebe aus Längs- und Querfäden entsteht. Zweck eines Netzes ist, etwas aufzufangen, zu halten oder zu tragen. Es grenzt ab, und dabei sowohl aus als auch ein. Im übertragenen Sinne sprechen wir auch vom sozialen Netzwerk und meinen damit die vielfältigen Möglichkeiten, über die ein Mensch mit einzelnen Personen oder Gruppen in Verbindung tritt. Jeder Kontakt, auch ein Blickkontakt ist ein Knotenpunkt. Der Begriff Netzwerkarbeit drückt aus, dass unsere Beziehungen nicht statisch sondern bewegt, nicht linear sondern komplex und prozesshaft sind. Einmal geknüpft halten sie nicht ewig, sondern bedürfen der steten Pflege. Unaufhörlich müssen wir uns um den Kontakt zu unserer Umwelt bemühen, ihn aufnehmen und wieder lösen; auf Veränderungen, Neues und Unbekanntes reagieren, uns anpassen oder abgrenzen, überprüfen, was sich richtig anfühlt und was nicht. Einem Patienten muss ein Bein amputiert werden. Noch während er in der Klinik ist, verstirbt seine Frau an den Folgen einer Krebserkrankung. Die Seelsorge wird eingeschaltet und begleitet den Patienten in den folgenden Wochen eng. Vor der Entlassung stellt die Seelsorge den Kontakt zum Trauerbeauftragten des Dekanats her, der die weitere Begleitung übernimmt. Ist das der Regelfall? Heißt Vernetzung von Krankenhausseelsorge, dass alle Patientinnen und Patienten durchgehend von Seelsorger*innen betreut werden und diese sich jeweils eine Übergabe machen?

1  Jesus – ein Netzwerker Die Betrachtung des biblischen Jesus gibt Aufschluss über die ihm eigene Form von Netzwerkarbeit, seine Art, mit Einzelnen und Gruppen in Kontakt zu treten und sie zu einer tragfähigen Gemeinschaft zu verbinden. Zunächst geht er von

IV

500

IV

Martina Schlüter

sich aus auf die Einzelnen, die späteren Apostel zu. Er spricht sie an und ruft sie, ihm zu folgen. Viele Fischer sind unter ihnen: Männer, die sich im Knüpfen von Netzen und im Umgang mit ihnen auskennen. Menschenfischer sollen sie werden. Mit ihnen setzt er sich in Bewegung und erwandert seine Umgebung. Er schlägt kein Zelt auf, baut kein Haus, um die Menschen zu sich zu rufen. Er geht dahin, wo die Menschen sind: in die Dörfer, auf die Marktplätze, an den Jordan, an den See Genezareth. Er nimmt genau wahr, was um ihn herum vorgeht. Er sieht und spürt die Not der Ehebrecherin genauso wie die des Lahmen, des Blinden oder der Aussätzigen. Er geht auf sie zu, er spricht sie an, er hört zu, er berührt und lässt sich berühren. Jesus tritt in Gemeinschaft mit denen, die am Rande stehen. Seine Jünger und Freund*innen begleiten und unterstützen ihn dabei. Er lebt mit ihnen in enger Gemeinschaft. Sie essen mit ihm, hören ihm zu, wenn er ihnen vom Vater und vom Reich Gottes erzählt. Sie feiern und beten mit ihm. Sie organisieren seine Begegnungen mit den Massen und der Obrigkeit und ziehen sich mit ihm zurück, um in der Stille wieder Kraft zu schöpfen. So entsteht fast ein Rhythmus: Zeit, durch die Welt zu wandern und in Kontakt zu gehen, und Zeit für Rückzug und Ruhe. Jesus ist immer offen für Neues, Unerwartetes, das die Menschen an ihn herantragen und zugleich immer in Verbindung mit sich und seinem Vater.

2 Kirche unterwegs mit Menschen in besonderen Lebensumständen »Jesus beginnt seinen Kontakt zu den Menschen bei ihren lebenswichtigen Grundbedürfnissen. Erst danach kommen Lehre, Ethik, Auftrag und Theologie.«1 So nimmt der Dienst am Nächsten, an den Kranken, Sterbenden, Trauernden und Verzweifelten in Krankenpastoral und Krankenhausseelsorge nach wie vor einen zentralen Platz ein. »Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jüngerinnen und Jünger Christi.«2 Kirche bleibt dabei nicht in der Kirche als Haus, dem Pfarrhaus oder Pfarrheim, sondern sie bewegt sich hinein in die Lebenswelt ihrer Gemeindemitglieder, aber auch in die Lebenswelt aller anderen Menschen am Ort. Sie besucht die Kranken dort, wo sie sind, zuhause oder im Krankenhaus. Früher war es üblich, dass der Priester oder Diakon einmal in der Woche die Mitglieder sei1 Projektgruppe Pastorales Konzept, 2017, S. 10 2 Paul VI, 1965.

Netzwerkarbeit – Seelsorge zwischen Krankenhaus und Gemeinde

501

ner Gemeinde im Krankenhaus oder die Kranken zuhause besucht hat. Durch den Fortschritt in Medizin und Pflege wurden Krankenhäuser zu immer komplexeren Systemen. Um diesem hochspezialisierten Gefüge und den Menschen darin gerecht zu werden, entwickelte sich Krankenseelsorge nach und nach hin zur Krankenhausseelsorge, die sich auf die vielfältiger werdenden Anforderungen im System immer mehr spezialisiert hat. Durch die Spezialisierung auf das säkulare System Krankenhaus weitete sich der Fokus der Seelsorge über die Kranken der eigenen Gemeinde, Konfession und Religion hinaus. Sie schaut auf alle Patient*innen, auf die An- und Zugehörigen sowie die Mitarbeiter eines Krankenhauses. Das Angebot von Krankenhausseelsorge umfasst inzwischen nicht nur Gespräch, Gebet, Beichte, Krankensalbung und Aussegnung. Es umfasst auch Begleitung in ethisch schwierigen Entscheidungen, Mitarbeit in Palliativteams, Arbeit mit Patienten in veränderten Bewusstseinszuständen, Supervision, Coaching von Mitarbeitern und vieles mehr. Durch die enge Anbindung an das Krankenhaus und den kontinuierlichen Kontakt zu den Mitarbeitenden wird Seelsorge zu einem Teil des interdisziplinären Teams im Krankenhaus. Sie wird zu einem Bindeglied zwischen den verschiedenen Berufsgruppen sowie den Patienten*innen und deren Angehörigen. Krankenhausseelsorge wirkt idealerweise integrierend, stabilisierend und ausgleichend auf alle Beteiligten. Über die Begleitung der Mitarbeitenden in den Krankenhäusern unterstützt Krankenhausseelsorge diese bei einem menschenfreundlichen Umgang mit sich selbst und anderen und übernimmt so die Funktion eines Multiplikators: Auch die Mitarbeitenden werden als Seelsorgende angefragt. Ekklesiologisch gesprochen übernehmen sie Aufgaben, die in der Gemeinde klassischerweise der Laien-Pastoral zugewiesen werden: mitmenschliche, caritative Zuwendung und Begleitung. In Folge dieser Spezialisierung kam es auch dienstrechtlich und verwaltungstechnisch zu anderen Organisationsformen in den Kirchen. So entstanden Fachbereiche für Krankenhausseelsorge, die Auswahl, Ausbildung und inhaltliche Ausrichtung koordinieren. Krankenhausseelsorger*innen sind bei diesem Modell nicht der Gemeinde und der Gemeindeleitung zugeordnet, sondern dem Fachbereich Krankenhausseelsorge und dessen Leitung. Aktuell gibt es Diskussionen, ob es nicht sinnvoll ist, die Krankenhausseelsorger*innen von der Dienstaufsicht her wieder mehr an den Pfarrer der Gemeinde anzubinden, in dem das Krankenhaus liegt. Als Kirche unterwegs, Kirche in Welt, bildet Krankenhausseelsorge neue gemeindeartige Strukturen im säkularen Feld eines Krankenhauses: Strukturen von Verkündigung (Glaubensgespräche, Da-Sein), Gottesdienst (Segens­feiern, Gedenkgottesdienste), Diakonie (Zuwendung zum Menschen in der Ausnah-

IV

502

IV

Martina Schlüter

mesituation) und Gemeinschaft in der Begleitung. Ein Krankenhaus ist ein Ort im Ort, eine kleine Stadt innerhalb der großen. Im Sinne von Michel Foucault3 ist ein Krankenhaus ein Ort außerhalb der Orte, ein anderer Raum für Personen, die aus der gesellschaftlichen Norm fallen. Zugleich ist es ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und unseres gesellschaftlichen Umgangs miteinander. Krankenhausseelsorge leistet Seelsorge an diesem speziellen Ort. Sie ist thematisch hingeordnet auf die besonderen Bedürfnisse aller Menschen, die vorübergehend oder dauerhaft dort leben. Im Gegensatz zur Ortsgemeinde bietet sie keine auf Dauer angelegte, sondern punktuelle Begleitung. Aus der Begegnung im Hier und Jetzt heraus eröffnen sich spirituelle Räume für die Patient*innen und Mitarbeiter*innen. Die Krankenhausseelsorge hat wechselndes Publikum und anderes Publikum: gemischtkonfessionell, andersgläubig, nicht gläubig, kirchenfern, ausgetreten … Im Mittelpunkt sind nicht der Altar, sondern die persönliche Begegnung und Begleitung. Die Krankenhausseelsorger*innen bewegen sich im Sinne einer nachgehenden Seelsorge hin zu den Menschen und nicht umgekehrt. Kirche im Krankenhaus ist in Bewegung, wanderndes Gottesvolk. Durch die seelsorgliche Begegnung öffnen sich in der Krise spirituelle Momente, in denen sich Menschen, vergleichbar zu Exerzitien, innerlich weiterentwickeln können.4 Jede Erkrankung stellt eine Zäsur im Leben dar und zwingt zur Neuorientierung. Zwischen Hoffen und Bangen, Gesundheit und Krankheit, zwischen Leben und Tod, tun sich Zwischenräume auf, die in die Tiefe führen. Die Auseinandersetzung mit existenziellen Themen führt in eine Begegnung mit sich selbst und zu neuen Erfahrungen von Glauben, von Getragen- und Gehaltensein. »Manche finden den Glauben an Gott wieder, für manche wird er intensiver, manchen geht er endgültig verloren.« (Tiefensee, 2017, S. 95) So können Krankenhäuser zu spirituellen Zentren werden, die auf vielfältige Weise diese Prozesse begleiten. In ihnen kann ökumenisch, interreligiös, experimentell Neuland erschlossen werden, um Menschen individuell, kreativ in Lebenswenden zu begleiten. »Wenn Kirche zukunftsfähig werden will, gehören lebendige Orte der Verwirklichung des Evangeliums dazu.«5 Kirche im säkularen Umfeld kann sich in ihren alten Stärken neu und kompetent zeigen. Eine Vernetzung von Drinnen und Draußen in Bezug auf Krankenhaus- und Kirchengemeinde aber auch zur 3 Foucault, M. (1967): Andere Räume, zit. nach: Tiefensee, 2017, S. 101. Vgl. auch Roser, 2017a, S. 482–509. 4 Schlüter, 2013. 5 Marcus, 2017, S. 119.

Netzwerkarbeit – Seelsorge zwischen Krankenhaus und Gemeinde

503

politischen Gemeinde hin kann die gesellschaftliche Isolation von Krankenhäusern aufbrechen. Die Kranken, die wie moderne Nomaden zwischen Klinik- und Rehaaufenthalten, der Versorgung zuhause oder in Pflegeeinrichtungen hin und herwechseln, können aktuell nicht von übergreifend vernetzter Seelsorge betreut werden. Die Kooperation der Krankenhausseelsorge mit kategorialer Seelsorge und anderen kirchlichen oder sozialen Trägern außerhalb des Krankenhauses ist mittlerweile gut eingespielt. Die Angebote der verschiedenen Pfarrverbände für die Begleitung und Betreuung von Kranken sind dagegen sehr unterschiedlich. Generell zeigen sich eine geringere Priorisierung der Einzelseelsorge und eine starke Fokussierung auf die Kerngemeinde. Von der Idee einer »Caring Community«6 ist man insbesondere im städtischen Umfeld so noch weit entfernt. Ein offener Austausch aller Beteiligten ist zwingend erforderlich und wird kreatives Potenzial freisetzen. Er kann gelingen, wenn Mut zur Veränderung und zu Neuem da ist. Krankenhausseelsorge als spirituelles Zentrum kann ein Lebensort für Suchende und ein Lernort von Kirche werden. Genau hier kann sie in die Ortsgemeinde ausstrahlen durch konkrete Angebote und Einladungen.

3 Netzwerkarbeit zwischen Krankenhausseelsorge und Gemeinde in der Praxis Die nachfolgenden Beispiele für die verschiedenen Arten von Netzwerkarbeit beschreiben Erfahrungen aus acht Jahren Krankenhausseelsorge an zwei unterschiedlichen Einsatzstellen: Einer kleinen Klinik in konfessioneller Trägerschaft mit 150 Betten sowie einem Klinikverbund aus einem Akutkrankenhaus mit 450 und einer geriatrischen Akut- und Rehaklinik mit 150 Betten. Es gibt jeweils kleine ökumenische Teams mit zwei bis drei hauptamtlichen Krankenhausseelsorger*innen in Teil- oder Vollzeit. Die dienstliche Anbindung erfolgt auf katholischer Seite über den Fachbereich Krankenhausseelsorge, auf evangelischer Seite entweder in direkter Anstellung beim Krankenhausträger oder über die Landeskirche. Der Kern der Netzwerkarbeit findet im ökumenischen Seelsorgeteam selbst statt. Im einen der Häuser gibt es eine enge Zusammenarbeit auch mit den Kolleg*innen des benachbarten Wohnstiftes. Regelmäßige Dienstgespräche, gemeinsame Jahresplanung, Klausurtage zur Entwicklung eines gemeinsamen Konzeptes sind Orte des Austausches und der gemeinsamen Entwicklung. Darüber hinaus gibt 6 Klie, 2013.

IV

504

IV

Martina Schlüter

es bereits vorhandene Strukturen, um den Kontakt zu den Ortsgemeinden beider Konfessionen zu knüpfen und zu halten. Dazu zählen die Dekanatskonferenzen und Treffen der Subregion, der persönliche inhaltliche Austausch mit den zuständigen Dekanen und leitenden Pastoren*innen sowie die Teilnahme an Dienstgesprächen der Ortsgemeinden. Zu den Kollegen*innen aus weiteren Gemeinden besteht situations- und bedarfsorientierter Kontakt, wenn z. B. ein Gemeindemitglied im Krankenhaus liegt. In einer Klinik angesiedelt sind Grüne Damen und Herren, die ursprünglich aus dem Besuchsdienst einer katholischen Gemeinde stammen und jetzt dem Klinikträger zugeordnet sind. In der anderen Klinik gibt es seit über 20 Jahren ein gut eingeführtes ökumenisches Team von sechs ehrenamtlichen Mitarbeitern*innen in der Seelsorge, die meisten davon aus den Nachbargemeinden. Beispiel für die Netzwerkarbeit im Sinne wechselseitiger Übernahmen von Aufgaben ist der Einsatz in der Nacht und am Wochenende: Kollegen*innen beider Konfessionen lassen sich für Sterbebegleitungen und Notfälle verschiedenster Art in Rufbereitschaft einteilen. Je nach personeller Situation und Belastung in den Einzelgemeinden ist die Bereitschaft, sich regelmäßig verlässlich einbinden zu lassen, unterschiedlich hoch. Manche externe Kollegen*innen wollen nur zu Patienten*innen und Angehörigen*innen der eigenen Konfession oder nur der eigenen Gemeinde kommen. Andere gehen davon aus, dass im Krankenhaus Seelsorge nur für die rituelle Begleitung im Sterbefall gerufen wird. Die Krankenhausseelsorger*innen selbst arbeiten ökumenisch und überkonfessionell. Notwendig für eine Zusammenarbeit ist hier bei allen Beteiligten die Bereitschaft zum Erwerb notwendiger Qualifikationen wie z. B. Ausbildung in Notfallseelsorge oder Trauerbegleitung. Ein weiteres Feld der Netzwerkarbeit betrifft die Zusammenarbeit der Krankenhausseelsorge mit den Nachbardisziplinen: Fast alle Krankenhausseelsorger*innen haben eine notfallseelsorgliche Ausbildung und kooperieren eng mit der Notfallseelsorge des Dekanats, die wiederum mit Mitarbeitenden aus Gemeinden, Caritas oder Diakonie besetzt ist. Telefonische Übergaben während eines Einsatzes, Weiterarbeit oder Übergaben in der Notaufnahme sind fest verankert. Über die Palliativteams der Kliniken besteht ein wöchentlicher Austausch mit einem örtlichen Hospizverein, einem Team der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) sowie den dort verorteten Seelsorgenden. Die Klinikseelsorge ist eingebunden in ein sogenanntes Netzwerk Trauer und steht darüber im regelmäßigen Austausch mit den Dekanatstrauerbeauftragten sowie den Mitarbeitenden in Palliativversorgung, Notfall- und Behindertenseelsorge. Ebenso eng arbeitet die Krankenhausseelsorge im Einzelfall mit der Seniorenseelsorge, der Behindertenseelsorge und der Caritas vor Ort zusammen.

Netzwerkarbeit – Seelsorge zwischen Krankenhaus und Gemeinde

505

Strukturell vorgegebene Zusammenarbeit ist auf katholischer Seite die Einbindung der Priester für Spendung der Sakramente, da Pastoral- oder Gemeindereferenten*innen und auch Diakone keine Krankensalbungen spenden dürfen. Wenn ein fremder Priester von außen gerufen wird, kann sich das Sakrament nicht organisch aus einer stimmigen Begleitung zwischen Krankenhausseelsorger*in und Patient*in entwickeln. Zugleich wird der Priester auf die Sakramentenspendung reduziert. Die »Seelsorge verliert den Charakter von Begleitung und Begegnung im Sinne einer wirklichen Ich-Du-Relation.«7 Hier wäre es sinnvoll, neue kirchliche Formen zu entwickeln. In einer Klinik wird am Samstag ein regelmäßiger Gottesdienst mit Eucharistiefeier von Priestern der Gemeinde übernommen. Während die Patienten*innen mangels Mobilität den Gottesdienst primär über das Krankenhausfernsehen verfolgen, bildet ein kleiner Kreis von außerhalb die Gottesdienstgemeinde im Andachtsraum der Klinik. Ergänzend möglich ist projekthafte Netzwerkarbeit: Angebot von Meditationsabenden für Gemeinden und Klinikpersonal, eine Predigtreihe oder die Einladung eines Taizé-Gebetskreis ins Krankenhaus. Eine weitere Möglichkeit ist das Recyceln von Veranstaltungen: Bibelgespräche, Gesprächsandachten oder musikalische Angebote können einmal in Gemeinde und dann im Krankenhaus angeboten werden.

4  Netzwerke zwischen Krankenhausseelsorge und Gemeinde 4.1  Theologisch gebotene Organisationsentwicklung Durch alle Jahrhunderte hindurch waren und sind Christen und Christinnen Netzwerker, Kontaktkünstler und Gemeinschaftsstifter gewesen, nicht zuletzt auch in der Begleitung und Versorgung von Kranken. Es gibt vielfältige verbindende Strukturen und Kooperationsmöglichkeiten für eine gute Zusammenarbeit. Je nach personeller Konstellation vor Ort und Kapazität der Mitarbeitenden werden diese unterschiedlich intensiv ausgeschöpft. Zu einer Vernetzung kommt es daher eher sporadisch oder zufällig.8 Durch die organisatorische und räumliche Trennung von Gemeinde und Krankenhausseelsorge entstand zum Teil gefühlt, zum Teil real eine Distanz zwischen beiden, die jetzt in der Auseinandersetzung um die Gewichtung und Zuordnung von Territorium und Kategorie diskutiert wird. Dies liegt vor allem 7 Knoll, 2017, S. 65. 8 Kuhn-Flammensfeld, 2017.

IV

506

IV

Martina Schlüter

an der Not, die durch den Personalmangel im kirchlichen Dienst entsteht, sowie an den existenziellen Fragen, die der Schwund an Kirchenmitgliedern in beiden Konfessionen aufwirft. Wo liegen die Kernaufgaben kirchlichen Handelns und welche Bereiche müssen deshalb vorrangig versorgt werden? Braucht es eine hochspezialisierte Krankenhausseelsorge im säkularen Raum überhaupt, oder muss doch vorrangig die Gemeinde mit ihren Gottesdiensten und Sakramentalien versorgt werden? Schon die Begrifflichkeiten territoriale als zentrale und kategoreale als besondere Seelsorge legen eine Trennung nahe, die theologisch so nicht gegeben ist. Ortsgemeinden und Krankenhausgemeinde gehören zusammen – wie das gemeinsame Brotbrechen und das Hinausgehen in die Welt und zu den Menschen zusammengehören. Sie bleiben aufeinander bezogen, weil sie demselben Auftrag dienen, nur in einem anderen Raum. »Kategoreale Seelsorge ist Ausdruck der Glaubwürdigkeit der Kirchen und demgemäß kein ›Nice-to-have‹ in den Pastoralkonzepten oder ein ›Add-on‹ der Territorialgemeinden.«9 Grundlage eines guten Diskurses muss die Gleichgewichtung des kirchlichen Handelns in Gemeinde und Krankenhausgemeinde sein. Über dienstrechtliche Zuordnungen können tragfähige Lösungen nicht erzeugt, sondern bestenfalls unterstützt werden. Aus der Not muss nicht erst eine Tugend gemacht werden. Es genügt, sich auf die ureigenen Vollzüge der Kirche zu besinnen. Eine Kirche in Bewegung wird sich immer wieder verändern und auf neue Gegebenheiten einstellen ohne Angst sich zu verlieren. »Damit Seelsorge professionell auf aktuelle Entwicklungen reagieren und als Kirche für Menschen hilfreich und relevant sein kann, ist eine Vernetzung derer, die in den verschiedenen Seelsorgefeldern arbeiten, unerlässlich. Wegen der deutlich verkürzten Liegezeiten im Krankenhaus werden z. B. Sterbende und ihre Angehörigen wieder vermehrt zuhause begleitet.«10 Deshalb muss ein gemeinsames Verständnis von Krankenpastoral entwickelt und ein Netz von geschulten Haupt- und Ehrenamtlichen aufgebaut werden. Die Ausbildung und fortlaufende Begleitung der Ehrenamtlichen für Krankenhaus, Krankenpastoral in der Gemeinde und Trauerarbeit kann dabei ökumenisch und gemeinsam durch Krankenhausseelsorge und Gemeinde erfolgen. Kranken- und Gedenkgottesdienste können im Wechsel im Andachtsraum einer Klinik, in der Kapelle eines Seniorenheims oder in einer Kirche zusammen gefeiert werden.      9 Knoll, 2017, S.  71. 10 Kast-Streib/Knöll-Herde/Bergdolt/Lutz, 2016.

Netzwerkarbeit – Seelsorge zwischen Krankenhaus und Gemeinde

507

Das Projekt »Im Sterben nicht allein gelassen«, das in einer Kooperation von Diözesanrat, Caritasverband, Fachbereich Hospiz- und Palliativ und einigen Pfarreien der Erzdiözese München und Freising entstand, hat sich zur Aufgabe gemacht, die Themen Krankheit, Sterben und Trauer, die fast aus dem Alltag der Gemeinden verschwunden sind, wieder in den Blick zu nehmen und »[…] wieder Impulse für eine neue Kultur innerhalb Pfarrei/Seelsorgeeinheit im Umgang mit Krankheit, Sterben und Trauer zu geben«11. Gerade solche Impulse können von Krankenhausseelsorge ins Territorium hinein geleistet werden. Aus Sicht der Organisationsentwicklung geht es bei Netzwerkarbeit darum, Kompetenzen wechselseitig verfügbar zu machen und Synergien zu schaffen. Kooperationen helfen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, sich kritisch anzufragen aber auch sich zu befruchten und zu entlasten. Kein Bereich von Kirche wirkt für sich allein. Gestalttherapeutisch betrachtet geht es darum, das Verbindende, den Weg der Mitte, sowie den richtigen Zeitpunkt, den lebensspendenden Raum und den angemessenen Rahmen für Weiterentwicklung zu finden. Gelingt dies, können durch Engpässe und Schwierigkeiten hindurch Umstrukturierungen stattfinden, und es kommt wieder zu Elastizität und Mobilität12 zwischen Gemeindeund Krankenhausseelsorge. Netzwerkarbeit als breites Schultern der gemeinsamen Aufgaben von Kirche kann Fürsorge für die Mitarbeitenden in den verschiedenen Arbeitsbereichen sein. Sie entlastet, baut Stress ab, fördert Kreativität und Austausch. Sie hilft, Prioritäten zu setzen und Unnötiges wie Ineffektives auszusortieren. So werden Ressourcen freigesetzt und Resilienz gefördert. 4.2  Herausforderungen und Grenzen Bei aller Effektivität solch eines Netzwerkmodells von Gemeindeseelsorge und Krankenhausseelsorge gibt es Herausforderungen und Grenzen. Netzwerkarbeit ist zeitintensiv. Viele Krankenhausseelsorger*innen betreuen mehrere Kliniken in unterschiedlichen Dekanaten und oft in großer Distanz. Der Aufwand für Vernetzung ist hier beträchtlich. Diese Zeit fehlt für die Wahrnehmung der eigentlichen Schwerpunkte in der Krankenhausseelsorge, z. B. der Präsenz vor Ort. Auch eine zeitnahe Erreichbarkeit kann nicht immer optimal gewährleistet werden. Um effektiv zu kooperieren, müssen die Kontaktpunkte bei der Netzwerkarbeit klar begrenzt und inhaltlich gut strukturiert sein. Weder die 11 Kuhn-Flammensfeld, 2018. 12 Pieritz, R. (2017): unveröffentlichtes Manuskript (früher auf https://www.zwischenraum.org).

IV

508

IV

Martina Schlüter

Seelsorge in der Gemeinde noch die im Krankenhaus darf sich im Austausch und in der Beschäftigung mit sich selbst verlieren. Reden über ersetzt nicht das Da-Sein bei den Menschen. Es braucht klare Bezugspersonen für die Krankenhausmitarbeiter*innen. Ein Bereitschaftspool über fünf Personen hinaus erschwert die Kontaktaufnahme vor Ort: Zusammenarbeit spielt sich nicht ein, gesunde Routinen können nicht entstehen, persönliche Beziehungen bauen sich kaum auf. Krankenhausseelsorge und Gemeindeseelsorge haben unterschiedliche und schlecht kompatible Anforderungen an das Zeitmanagement und die Notwendigkeit von Erreichbarkeit und Präsenz. Das erschwert eine Kooperation: Aus einer Pfarrgemeinderatssitzung oder einem Gottesdienst können Gemeindemitarbeiter*innen nicht stehenden Fußes zur Krankensalbung oder Notfallbegleitung aufbrechen. Umgekehrt müssen Krankenhausseelsorger*innen immer wieder geplante Termine, Dienstgespräche und Treffen kurzfristig absagen, wenn in der Klinik eine Begleitung benötigt wird. Zeitnaher und zuverlässiger Kontakt sind deshalb herausfordernde Themen. Die Effektivität von Netzwerkarbeit hängt stark an Einzelpersönlichkeiten. Unter den Seelsorgenden finden sich zahlreich freischaffende Künstler, Individualisten, Kommunikationsexperten und Strukturfans: Es gibt die unterschiedlichsten Persönlichkeitsmuster. Die Bereitschaft ökumenisch oder überkonfessionell zu arbeiten, ist bei den Beteiligten unterschiedlich ausgeprägt. Je nach Sympathie und Antipathie, je nach theologischer Prägung und Alter gelingen Kontakt und Austausch besser, schlechter oder gar nicht. Netzwerkarbeit kann aber nicht verordnet oder konstruiert werden. Sie basiert auf Freiwilligkeit. So bedarf es einer Balance zwischen unabhängigem Arbeiten im je eigenen Bereich und einem befruchtenden Austausch mit dem anderen. Es braucht gesunde Individualität und Unabhängigkeit der Bereiche. Die je eigene Arbeitsweise muss klar konturiert sein, ein Profil von Seelsorge, das im Umfeld eines Krankenhauses anders ist als in der Gemeindearbeit des Territoriums. Gemeinde und Krankenhaus haben eine gemeinsame Schnittmenge der Menschen, die sie ansprechen, aber sie haben auch separate Zielgruppen. Das erfordert ein großes gegenseitiges Verständnis untereinander. Eine Kirche in Bewegung und Offenheit kann diese Unterschiedlichkeit integrieren und nutzbar machen. Kooperation und Netzwerkfähigkeit sind für die Zukunft der Seelsorge notwendig. Wie sich ein sinnvolles Netzwerk aufbauen lässt und wie es dauerhaft gelingen kann, wird im Einzelfall je nach Personen und Bedürfnissen von Krankenhaus, Gemeinde und Ort unterschiedlich sein und sich auch laufend im Prozess verändern. Wichtig ist, Spielräume offen zu lassen und eine individuelle und an Charismen orientierte Gestaltung zu ermöglichen.

Netzwerkarbeit – Seelsorge zwischen Krankenhaus und Gemeinde

509

5 Netzwerkarbeit als Herausforderung für Krankenhauseelsorger*innen »Um als Seelsorgerinnen und Seelsorger Menschen in deren Lebenskontexten zu begleiten und adäquat zu beraten, bedarf es nicht allein einer körperlichen und mentalen Präsenz, eines guten Willens und einer empathischen Einstellung, sondern darüber hinaus professioneller Kompetenzen.«13 Entsprechend heißt es in der Formulierung von Qualitätsstandards: »Die hauptamtlichen Krankenhausseelsorger*innen haben grundsätzlich einen theologischen oder religionspädagogischen Hochschulabschluss, eine praktische Seelsorgeausbildung mit zweiter Dienstprüfung sowie eine pastoralpsychologische oder vergleichbare Weiterbildung für die spezifischen Aufgaben in einem Krankenhaus. Je nach den Erfordernissen der Einsatzstelle erwerben sie Zusatzausbildungen wie zum Beispiel für Notfallseelsorge, für die Moderation ethischer Fallbesprechungen, für die besonderen Anforderungen auf Intensivstationen, in Geriatrie, Psychiatrie, Pädiatrie oder Palliativversorgung.«14 Was macht über diese klaren Ausbildungskriterien hinaus Krankenhausseelsorger*innen zu guten Netzwerkarbeiter*innen? Welche Qualifikationen und Kompetenzen brauchen sie in Hinblick auf eine gute Beziehung zwischen Krankenhaus und Ortsgemeinden? In erster Linie die Fähigkeit, Kontakt aufzubauen und zu halten, ebenso die Fähigkeit, bewusst aus dem Kontakt zu gehen und diesen dann wiederaufzubauen. Dazu braucht es eine gute Selbstwahrnehmung und -reflexion genauso wie eine klare Wahrnehmung des äußeren Geschehens und der einzelnen Gesprächspartner. Im rechten Moment auch Impulsivität, spielerische Leichtigkeit ebenso wie Ernsthaftigkeit, kreativen Wagemut für Neues und Wurzeln in der Geschichte. Netzwerker*innen brauchen eine hohe Frustrationstoleranz, denn sie werden niemals fertig und müssen mit Widerständen umgehen lernen. Deshalb müssen sie Grenzen ziehen zum eigenen Schutz und sie wieder fallen lassen, wenn es geboten ist. Sie müssen ihre Ressourcen pflegen und Freiräume, Auszeiten schaffen, in denen sie sich regenerieren können. Vor allem aber brauchen sie Freude an der Begegnung mit Menschen in allen Lebenslagen und lustvollen Spaß am Kontaktarbeiten. Sie brauchen ein Ziel, 13 Knoll, 2017, S. 67. 14 Beirat der Abteilung Krankenpastoral in der Erzdiözese München und Freising, 2017.

IV

510

Martina Schlüter

eine Vision, ein Wozu sie das alles tun. In der Nachfolge Jesu sollten die Seelsorger*innen in allen Bereichen von Kirche Netzwerker sein.

5  Zusammenfassung und Ausblick

IV

Als nachgehende Seelsorge richtet sich Krankenhausseelsorge an alle Menschen über die Grenzen von Konfession und Religion hinweg. Den Mittelpunkt bilden nicht Altar und Kerngemeinde, sondern persönliche Begegnung und Begleitung des einzelnen Menschen. Jenseits struktureller Zuordnungen und Rollen übernimmt sie Aufgaben eines Diakons. Ortsgemeinden und Krankenhausseelsorge bleiben aufeinander bezogen, weil sie demselben Auftrag dienen, nur in einem anderen Raum. Sie gehören zusammen wie bei Jesus das gemeinsame Brotbrechen im Kreis seiner Jünger und das Hinausgehen in die Welt. Die je eigene Arbeitsweise muss Konturen sichtbar machen. Als eigenständiges spirituelles Zentrum kann Krankenhausseelsorge ein Lernort von Kirche werden. Als wandernde Seelsorge eröffnet sie aus der Begegnung im Hier und Jetzt heraus spirituelle Räume für die Patienten*innen, ihre Angehörigen und die Mitarbeiter*innen. Wie Jesus z. B. mit den Emmausjüngern nur ein Stück des Weges mitgeht, bietet sie keine auf Dauer angelegte, sondern punktuelle Begleitung. Wesentlich für die Seelsorgenden ist die Fähigkeit, Kontakt aufzubauen und zu halten, ebenso die Fähigkeit, bewusst aus dem Kontakt zu gehen und diesen dann wieder aufzubauen. Netzwerkarbeit zwischen Krankenhausseelsorge und Gemeinde entwickelt sich organisch, sie ist bewegt und prozesshaft. Aus der (Personal-)Not muss nicht erst eine Tugend gemacht werden. Es genügt, sich auf die ureigenen Vollzüge der Kirche zu besinnen. Eine Kirche in Bewegung wird sich immer wieder verändern und auf neue Gegebenheiten einstellen ohne Angst sich zu verlieren.

6 Leitsätze Eine Kirche in Bewegung wird sich immer wieder verändern und auf neue Gegebenheiten einstellen ohne Angst sich zu verlieren. Ortsgemeinden und Krankenhausseelsorge gehören zusammen wie bei Jesus das gemeinsame Brotbrechen im Kreis seiner Jünger und das Hinausgehen in die Welt.

Netzwerkarbeit – Seelsorge zwischen Krankenhaus und Gemeinde

511

Kooperation zwischen Gemeinde- und Krankenhausseelsorge entlastet und bereichert Krankenhausseelsorge als eigenständiges spirituelles Zentrum kann zu einem Ort von Glaubenserfahrung für Suchende und einem Lernort von Kirche werden. Als wandernde Seelsorge bietet Krankenhausseelsorge punktuelle Begleitung und eröffnet dabei aus der Begegnung im Hier und Jetzt heraus spirituelle Räume.

IV

Krankenhausseelsorge als Aufgabe der Kirchenleitung

Thomas Hagen

1 Die Sorge um die Kranken als biblischer Auftrag und Werk der Barmherzigkeit

IV

Die Sorge um kranke Menschen ist eine Selbstverständlichkeit für alle Menschen, die sich zu Jesus bekennen. Dieser Auftrag ist so tief in der Lehre Jesu, der Theologie und der Kirche verankert, dass der christliche Glaube und ein Leben aus ihm heraus die Sorge um die Kranken konstitutiv immer miteinschließen. Die Wurzel liegt in der Gottebenbildlichkeit des Menschen, in der unverlierbaren Würde jedes Menschen und dem biblischen Auftrag zur Nächstenliebe, die zum lebendigen Gelingen letztlich die Gottes- und Selbstliebe umfassen muss. Wie sehr dieser Auftrag, sich um jeden Menschen – unabhängig von seinen Überzeugungen, seiner Lebenseinstellung und seinem Aussehen – zu sorgen, in der Botschaft Jesu verankert ist, zeigen neben den wegweisenden Gleichnissen (z. B. vom barmherzigen Samariter [Lk 10,25–37] oder vom verlorenen Sohn [Lk 15,11–32]) auch die konkreten Handlungsschritte Jesu, der den kranken Menschen bewusst in die Mitte stellt, wie dies z. B. in seiner Aufforderung an den Menschen mit der verdorrten Hand deutlich wird: »Steh auf und stell dich in die Mitte!« (Lk 6,8) Jesus geht es dabei immer um den Menschen, um das Gegenüber, um den Nächsten, den zu lieben – gepaart mit der Gottes- und Selbstliebe – das zentrale Gebot des Christentums ist. Wie konkret Jesus jeden Menschen um seiner selbst willen in das Zentrum stellt, wird in der Erzählung im Markusevangelium sichtbar, bei der es um die Frage der Jünger geht, wer der Größte sei. Der Größte ist für Jesus ein Kind, das er in die Arme nimmt und in die Mitte stellt. Seinen Jüngern, also auch uns, sagt er: »Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.« (Mk 3,36) Diese Absage an jedes »Sich-über-den-anderen-Setzen« führt uns zu dem christlichen Blickwinkel auf den konkreten Menschen, auf ihn in all seiner Individualität, Einmaligkeit und Gottesebenbildlichkeit. Diese Haltung des tatsächlichen Mit-

Krankenhausseelsorge als Aufgabe der Kirchenleitung

513

einanders, das letztlich erst Begegnung möglich macht, ist neben der theologischen Fundierung die praktische Handlungsempfehlung Jesu für den Umgang mit jedem Menschen, auch und besonders mit dem Kranken. Die Haltung, die den biblischen Auftrag Jesu, der sich in seiner Aussage im Rahmen des Weltgerichts »Ich war krank und ihr habt mich besucht« (Mt 25,36) bündelt, lebendig und erlebbar macht, ist die Barmherzigkeit. Hier wird die Sorge um die Notleidenden konkret, wie dies auch in der Umsetzung der zen­ tralen Werke der Barmherzigkeit im Ablauf der Kirchengeschichte sichtbar wird. Um die Barmherzigkeit als Lebensader der Kirche wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen, hat Papst Franziskus vom 8.12.2015 bis 20.11.2016 ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. In seinem Abschlussschreiben fasst er die Bedeutung der Barmherzigkeit für das Leben der Kirche wie folgt zusammen: »Das Leben Jesu und seine Verkündigung prägen die Geschichte der christlichen Gemeinde auf entscheidende Weise; sie hat auf der Grundlage des Auftrags Christi ihre Sendung, ein ständiges Werkzeug seiner Barmherzigkeit und seiner Vergebung zu sein (vgl. Joh 20,23) verstanden.«1 Wie sehr Barmherzigkeit die Leitschnur gemeinsamen kirchlichen Handelns der katholischen und evangelischen Kirche ist, wird in vielen ökumenischen Aktionen dieser Tage deutlich. So wurde z. B. 2016 in Augsburg das Reformationsfest ökumenisch unter der Überschrift »Aus der Barmherzigkeit Gottes leben« begonnen. In der gesamten Kirchengeschichte – angefangen von der jungen Kirche – war praktizierte Krankenversorgung und gelebte Nächstenliebe das Kennzeichen einer lebendigen christlichen Gemeinde. »Im Mittelalter waren die Räume für Kranke in Klöstern oder Kirchen Orte der Fürsorge. Seelsorge geschah im Zeichen christlicher Barmherzigkeit, verbunden mit geistlich-moralischer Zurechtweisung«2 – so fassen die Leitlinien für die evangelische Krankenhausseelsorge die Geschichte prägnant und kurz zusammen. Zentral für den Auftrag Jesu bleibt eine barmherzige, von der Liebe getragene Haltung. Wie diese im Laufe der Geschichte lebendig und spürbar wird, zeigen uns immer wieder beeindruckende Persönlichkeiten (wie z. B. Mutter Teresa), aber auch die vielen kleinen Schritte und Begegnungen, die sich im Alltag ereignen und so Zeugnis geben von der im Glauben verankerten christlichen Haltung.

1 Franziskus, 2016, S. 12. 2 Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD, 2004, S. 11.

IV

514

Thomas Hagen

2 Die Sorge um die Kranken als Herausforderung für jeden Gläubigen

IV

Krankheit, Sterben und Tod im eigenen Glauben, in die eigene Lebensvorstellung zu integrieren, ist eine der wesentlichen Aufgaben im Leben jeder/s Gläubigen. Neben dem notwendigen wissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Diskurs in der Theodizee-Problematik fordert das Erleben von Leid und Krankheit jeden Menschen existenziell heraus. Die dann gestellte Frage nach dem Warum geht über in die zentrale Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt. Das Nachdenken und – zugespitzt in der Situation von Krankheit – das Erleben der eigenen Endlichkeit führen letztlich zu der zentralen Frage nach der Sinnhaftigkeit von Religion und Glaube. Die persönliche Suche nach einer Antwort geschieht nicht in einem leeren Raum, sondern in der individuellen Lebenswelt eines jeden Einzelnen. Im christlichen Glauben ist eine Spur durch das spirituelle Mitgehen des Leidensweges Jesu gelegt, der ja selbst die Warum-Frage am Kreuz gestellt hat, zu einer möglichen Antworterfahrung. Die Integration von Leid in das Gottesbild, das ehrliche Bekenntnis zum realen Sterben, zum wirklichen Tod und zur tatsächlichen Bestattung Jesu Christi, der wahrer Mensch und Gott ist, eröffnet eine Möglichkeit, die Liebe im Leid zu erkennen, dass zu Ohnmacht und Verzweiflung genauso Hoffnung und Auferstehung gehören. An der Grenze des Lebens und des Todes wird die Ernsthaftigkeit der Vorstellung von Ewigkeit und Einmaligkeit von Leben spürbar. Sich dieser Wirklichkeit von Transzendenz im Glauben immer wieder zu stellen und mit ihr leben zu lernen, ist Aufgabe einer/s jeden und zugleich auch die der Gemeinschaft aller Glaubenden. In der Konsequenz heißt dies, dass der kranke Mensch nicht isoliert ist, sondern dass die Gemeinschaft, die Gemeinde sich von sich aus um ihn sorgen und kümmern muss. Im Gang durch das Kirchenjahr werden wir – unabhängig von unserer persönlichen Situation – immer wieder an diese Themen – sei es in der Karwoche oder an Allerheiligen/Allerseelen – herangeführt, sodass uns sowohl für die Haltung, wie man als Christ Kranken begegnen soll, als auch für das konkrete Angebot an Notleidende, ihnen in der jeweiligen individuellen Situation beizustehen, die Wurzel aufgezeigt wird.

Krankenhausseelsorge als Aufgabe der Kirchenleitung

515

3 Die Sorge um die Kranken als Kernbestandteil der Pastoral heute Aufgrund der dargelegten Basis ergibt sich der logische Schluss, dass die Sorge um die Kranken immer ein Kernbestandteil der Pastoral war, ist und bleiben wird bzw. muss. An dieser Frage hängt die Glaubwürdigkeit der Kirche. Wie ist dies umzusetzen? Es geht in der Kirche und somit in der Pastoral immer um Begegnung, um die Beziehung zum anderen und somit zu sich und zu Gott. Diese Begegnung, den Dialog zu ermöglichen, ist Grundbestand jedes kirchlichen Handelns, in welcher Form und Gestalt sich dies auch immer ereignet. »Diese mit Gott und den Menschen verbindende und darum (freundliche wie zuspruchs- und anspruchsvolle) verbindliche Wirklichkeit ist die Kirche.«3 Für die pastorale Aufgabe, die Sorge um die Kranken ist der erste und entscheidende Schritt die Wahrnehmung des konkreten Menschen. Hier liegt im Alltag der Gemeinden, der kirchlichen Gemeinschaften bzw. Institutionen und bei den Seelsorger*innen eine der größten Herausforderungen. Denn die zahlreichen anderen Aufgaben lassen oft keine Zeit mehr für den Blick auf die kranken Menschen und ihre Angehörigen – und diese können erst dann gesehen werden, wenn die Seelsorgerin oder der Seelsorger sich aufmachen, um als Person in das Blickfeld des Kranken zu treten. Seelsorge zeichnet sich immer dadurch aus, dass sie Interesse an jedem Menschen hat, dies in vielfältigen Formen deutlich macht und unterstreicht. Zentral bleibt – unabhängig von jeder strukturellen Fassung – das persönliche Zeugnis jedes einzelnen Christen. Diese sichtbare, radikale Zuwendung zu jedem Menschen – ohne Berücksichtigung seiner Lebensform, Einstellung oder Religion – als Kern der Pastoral, als Wesenspunkt der Sendung zu sehen, ist herausfordernd, da sie immer weg vom Gewohnten hin zum Fremden führt und Neues in den Blick nehmen muss. Ein Schlüsselwort für die praktische Umsetzung ist sicher die gelebte und lebendige Vernetzung mit all jenen, die sich in dem Umfeld des kranken Menschen und seiner Angehörigen bewegen – professionell wie Hausärzte/*innen, Pflegedienste oder ehrenamtlich wie Hospizhelfer. Hierbei selbst sensibel und verlässlich präsent zu sein und zugleich die anderen in Fortbildungen und Teambesprechungen zu sensibilisieren, ist im wahrsten Sinne notwendig, damit jede und jeder weiß, welche Aufgabe der Netzwerkpunkt Seelsorge einnimmt, und alle geschult sind für das Erkennen einer sogenannten seelsorglichen Indikation. Diese ist z. B. gegeben, wenn der Patient die Warum-Frage stellt oder etwas von seinem Glauben sichtbar macht (z. B. Aufstellen eines Kreuzes, religiöse 3 Freitag, 2016, S. 35.

IV

516

IV

Thomas Hagen

Bücher). Die Wahrnehmung und das Aufnehmen dieser sichtbaren Kommunikationspunkte des Kranken können nur im Miteinander geschehen, in dem jede und jeder weiß, welche Kompetenzen und Möglichkeiten der/die andere hat. Unabhängig von dieser Sensibilisierung gilt es an allen Orten, an denen Kirche präsent und lebendig ist, deutlich zu machen, dass Kirche jederzeit für Menschen in Not erreichbar ist und Kranke und ihre Angehörigen durch kompetente Seelsorger*innen begleitet. Diese 24/7-Erreichbarkeit ist verlässlich zu organisieren, damit in der Versorgung der Kranken Seelsorge tatsächlich immer ansprechbar und bereit ist. Das Mitgehen im Glauben, die kontinuierliche Überwindung der möglichen Isolation des kranken Menschen und seines Umfelds wird auch sichtbar durch das Mitnehmen der Kranken in den Gottesdienst. Auch wenn dies physisch nicht mehr möglich ist, so sollten die kranken Mitchristen stets im Wort und Gebet gegenwärtig sein. Durch diese normale und im Leben der Gemeinde integrierte Präsenz der Kranken wird kontinuierlich eingeübt, dass Krankheit eine normale Form des Lebens darstellt und eben keinerlei Strafe von Gott oder die Sühne eines Vorfalls aufgrund von Sünde und Verfehlung. So wird im besten Falle das kirchliche Selbstverständnis einfach selbstverständlich und dadurch lebendig und glaubwürdig. Diese zentrale Aufgabe der Seelsorge, Menschen in Not beizustehen, gilt es immer wieder bei allen planerischen und konzeptionellen Überlegungen als Leitschnur zu bedenken und letztlich im Praxistest zu überprüfen bzw. zu verifizieren. Hier in der Begegnung mit den kranken und notleidenden Menschen liegt der Ausgangspunkt aller pastoralen Überlegungen. Das aktive Zugehen auf und das Hineingehen in diese Situationen steht leider manchmal in der Spannung zu den häufig zu stark geplanten pastoralen Aktivitäten. Eine Präsenz des Unverfügbaren im Alltag, des erfahrbaren Leids, der Hilflosigkeit und Ohnmacht – bewusst auch in Zeiten einer Terminfülle, die eher an Allmacht erinnert – ist letztlich ein spiritueller Auftrag für die praxisnahe Ausgestaltung des pastoralen Auftrags. In diesen Grenzsituationen des Lebens muss Kirche durch ihre Mitarbeiter*innen präsent sein und zwar aus dem einen Grund, dass Kirche immer dort sein muss, wo der Mensch ist und besonders da, wo er bedroht ist und an seine Grenze kommt.4 4 Vgl. dazu Papst Johannes Paul II, der in seiner ersten Enzyklika »Redemptor hominis«, die Grundsätzliches zum Inhalt hat, schreibt: »Da also der Mensch der Weg der Kirche ist, der Weg ihres täglichen Lebens und Erlebens, ihrer Aufgaben und Mühen, muss sich die Kirche unserer Zeit immer wieder neu die »Situation« des Menschen bewusst machen. Sie muss seine Möglichkeiten kennen, die eine immer neue Richtung nehmen und so zu Tage treten; zugleich aber muss die Kirche die Bedrohungen kennen, die über dem Menschen hängen.« (Johannes Paul II, 1979)

Krankenhausseelsorge als Aufgabe der Kirchenleitung

517

4 Die Sorge um die Kranken als Aufgabe für die Kirchenleitungen im Bereich der Ermöglichung Das religiöse Leben zu ermöglichen, die Präsenz Gottes in der Welt sichtbar zu machen und der praktizierte Einsatz für die Kranken, Armen und Schwachen sind wesentliche Aufgaben jeder Kirchenleitung. Hierfür finanzielle und personelle Ressourcen bereitzustellen, ist eines der zu steuernden Elemente in der Verantwortung jeder Landeskirche bzw. Diözese. Orientieren sollten sich diese technischen Instrumente an dem Pastoralkonzept, den strategischen Schwerpunkten und zentralen Punkten des christlichen Lebens. Die Umsetzung erfolgt dann in Stellen- und Haushaltsplänen. Gerade im Bereich des Personals gilt es, den Bereich der Motivation für diesen Beruf, die Aus- und Weiterbildung konkret zu betrachten. Hier liegt der Schlüssel, durch den die pastoralen Schwerpunkte eingeübt, erfahren und somit verinnerlicht werden. Bereits bei der Auswahl derjenigen, die den Beruf des Seelsorgers/der Seelsorgerin, zu der wesentlich die Begegnung mit Menschen in Krankheit und anderen Notsituationen gehört, anstreben, gilt es sehr genau auf die Persönlichkeit zu achten. Bereits 1998 schrieben die Deutschen Bischöfe in ihrer bis heute lesenswerten pastoralen Handreichung zur Seelsorge im Krankenhaus: »Wer ›von Berufs wegen‹ so konzentriert dem Leid und der Sinnfrage ausgesetzt ist, braucht deshalb selbst ein stabiles menschliches und geistliches Fundament.«5 Wie sich dies konkret gestaltet, muss in den einzelnen Landeskirchen und Diözesen beschrieben werden. Letztlich sollte aus der Perspektive des späteren Einsatzes deutlich werden, dass sich die jungen Seelsorger*innen nicht nur Wissen über Krankenseelsorge angeeignet haben, sondern auch über reflektierte Erfahrungen und über eine spirituelle Haltung verfügen, die anderen Halt geben kann. Sowie ein Arzt/eine Ärztin nicht ohne den Lehrmeister des Patienten in der Ausbildung auskommt, so wenig kann ein Seelsorger ohne die stete Auseinandersetzung mit Menschen in Not ausgebildet werden. Konkret sollte die Begleitung von Kranken ein Kontinuum sein, wie auch die Begegnung mit dem Tod und das Erleben von krisenhaften Not(fall)situationen. Diese Schule des Lebens mit all ihren Höhen und Tiefen ist dann in der jeweiligen professionellen Berufslaufbahn kontinuierlich fortzuentwickeln und verbindlich weiter zu qualifizieren. Diese beiden Facetten der Aus- und Weiterbildung, zum einen die Persönlichkeit durch Exerzitien und Supervision zu stabilisieren und zum anderen in dem Handlungsfeld auf der Höhe 5 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 1998, S. 24.

IV

518

Thomas Hagen

des aktuellen Wissens zu sein, gilt es stets gemeinsam im Blick zu haben. Von daher kann eine Spezialisierung in der Pastoral, die notwendig und für die Zukunft zielführend ist, nur dann erfolgen, wenn beide Bereiche kontinuierlich weiterentwickelt wurden. »Grundmaßstab ist die qualifizierte seelsorgliche Zuwendung zum Einzelnen. Das Spektrum an Grundformen seelsorglicher Begleitung reicht von der kurzen seelsorglichen Begegnung über das vertiefende intensive Einzelgespräch bis zu einer Reihe von Begegnungen mit Einzelnen und Gruppen, die Zuwendungen über einen längeren Zeitraum hindurch ermöglichen.«6

IV

Die eben zitierten aktuellen Leitlinien der evangelischen Krankenhausseelsorge beschreiben die Kompetenzbereiche und die notwendige Professionalität für den Bereich der Krankenhausseelsorge. Gerade die kommunikative Kompetenz ist hierbei zentral – und zwar für jede Begegnung mit einem kranken Menschen. Das richtige Wort, die Wahrnehmung der Bedeutung des Wortes beim anderen, die Art der wertschätzenden und nicht wertenden Kommunikation sind zentrale, grundlegende Bausteine. Diese einzuüben, zu reflektieren und weiterzuentwickeln, bleibt eine Grundaufgabe im Bereich der Profession der Seelsorge, die es durch die Kirchenleitungen zu organisieren gilt, was z. B. durch Dienstgespräche, Mitarbeiterjahresgespräche, verbindliche Fortbildungsangebote, präzise Stellen- bzw. Aufgabenbeschreibungen, Supervisionen und Exerzitien erreicht werden kann. Wie es in der Medizin Allgemeinärzte und Fachärzte gibt, so ist es auch in der Seelsorge wichtig, dass langfristig alle Seelsorger*innen auf die gleiche Grundausbildung zurückblicken können, aber zugleich ihren »Facharzt« bzw. ihren beruflichen Schwerpunkt wählen und sich in diesem weiter entwickeln dürfen. Die Diözese Münster hat 2013 z. B. eine eigene Ausbildung zur Krankenhauspastoralreferentin/zum Krankenhauspastoralreferenten aufgelegt, welche nur für diesen Bereich qualifiziert und bei dem die Absolventen dann auch nur in diesem pastoralen Handlungsfeld arbeiten werden.7

6 Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD, 2004, S. 27. 7 Vgl. Bistum Münster, 2013.

Krankenhausseelsorge als Aufgabe der Kirchenleitung

519

5 Die Sorge um die Kranken als Aufgabe für die Kirchenleitungen im Bereich der Qualitätssicherung Der Fokus und die Verantwortung der Kirchenleitungen liegen auf der Ermöglichung von seelsorglich kompetenter Begegnung. Welche Kriterien hierfür angewendet werden, was konkret in diesem Bereich zu leisten ist und welche Indikatoren einer Qualitätssicherung es gibt, ist aktuell im Entstehen. Diese sollten nicht gesetzt, sondern zusammen mit der erlebten Praxis entwickelt werden. Hilfreich ist es, dass in den von aktiven Seelsorger*innen erstellten Leitlinien konkrete Kompetenzbereiche, wie ethische oder liturgische Kompetenz beschrieben werden. So entstehen für das konkrete Handlungsfeld nachvollziehbare Kriterien, die das lange und immer noch existierende Kriterium – Anzahl der Betten – ablösen werden. Das multiprofessionelle Miteinander, die Übernahme von Lehreinheiten in Medizin und Pflege, die Begleitung von Ehrenamtlichen und die Verankerungen in der Hauskultur des Krankenhauses bzw. den standardisierten Prozessen (wie z. B. in den Notfallplänen oder im Bereich der Palliativversorgung) werden überprüfbare Kriterien sein, die immer wieder neu betrachtet werden müssen und die auch neue Themenkomplexe aufrufen, wie z. B. das Seelsorgegeheimnis und die Dokumentationspflicht in multiprofessionellen Teams.8 Aufgrund dieses Weges, der Transparenz in der Darstellung der Arbeitsweise der Kranken(haus)seelsorge und unterstützt durch den grundsätzlich ganzheitlichen Ansatz, der sich immer mehr in den standardisierten Behandlungskonzepten der Kliniken und ambulanten Behandlungsteams niederschlägt, stellt sich für die Kirchenleitungen die spannende Frage nach der Refinanzierung des seelsorglichen Angebots durch das Gesundheitssystem. Leitfaden hierfür sollte sein, dass nur die Stellen und nicht die Personen refinanziert werden (z. B. im Bereich der Palliativversorgung) und dass die Seelsorger*innen immer im kirchlichen Auftrag handeln und so nicht der klinischen Hierarchie unterstellt werden dürfen. Im Bereich der Qualitätssicherung gilt es auch die Weiterbildung und spezifische Qualifikation für den Bereich der Seelsorge zu betrachten. Die Grundqualifikation der Pioniere in diesem Seelsorgefeld wurzelt in der personenzentrierten Gesprächstherapie von Carl Rogers und der Entstehung der Pastoralpsychologie. Dieses erfahrungsorientierte Modell für Seelsorge und Kommunikation, 8 Vgl. hierzu das Diskussionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP): ­Coors/Haart/Demetriades, 2014. Vgl. auch den Beitrag von Thomas Beelitz im vorliegenden Band.

IV

520

Thomas Hagen

kurz KSA9, stellt bis heute in beiden großen Kirchen die Basis dar. Gerade der Ansatz der Palliativmedizin mit ihrer festen Verankerung von Spiritualität in der WHO-Definition10 fordert im Bereich des multiprofessionellen Miteinanders neue Kompetenzbereiche und Qualifizierungswege, sodass sich auch in diesem Bereich in den letzten Jahren Veränderungen abzeichnen.11

6 Die Sorge um die Kranken als Aufgabe für die Kirchenleitungen im ökumenischen Miteinander

IV

Ökumene, verstanden als ein geschwisterliches Miteinander aller Christ*innen, um die Botschaft Jesu in die Welt zu tragen, ist gerade im Bereich der Sorge um die Kranken eine immer verlässlichere Grundlage. Sichtbar ist dies z. B. dadurch geworden, dass die evangelische Kirche und die Deutsche Bischofskonferenz zusammen mit weiteren Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland 1999 die erste und 2003 eine zweite Auflage der christlichen Patientenverfügung herausgebracht haben, die 2012 durch die christliche Patientenvorsorge abgelöst wurde.12 Neben dem häufig gelebten Umgang mit der jeweils anderen Kirche, der sich z. B. in gemeinsamen Dienstgesprächen oder gemeinsamen Konzepten zeigt, gilt es im Gespräch mit der Medizin, den Pflegenden und allen anderen therapeutischen Berufen intensiv im Austausch zu sein, um letztlich dem Wohl oder theologisch gesprochen dem Heil des Menschen zu dienen. Diesen wissenschaftlichen Diskurs zu fördern, war die Idee des von der evangelischen und katholischen Bundeskonferenz initiierten ersten ökumenischen Kongresses der Seelsorgenden im Krankenhaus und Gesundheitswesen im Jahr 2017. In      9 »KSA stellt ein Lernmodell dar, in dem Seelsorge, Kommunikation und Supervision durch Selbsterfahrung und Reflexion beruflicher Praxis gelernt und eingeübt wird. Theologische Reflexion, Ansätze aus Psychotherapie, Kommunikations- und Sozialwissenschaften sind die Elemente der Weiterbildung und ermöglichen ein erfahrungsbezogenes, personenspezifisches und identitätsbildendes Lernen.« (Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie e. V., o. J.) 10 »Palliativversorgung ist ein Ansatz, der die Lebensqualität von Patienten und deren Familien verbessert, die mit den Problemen im Zusammenhang einer lebensbedrohenden Erkrankung konfrontiert sind, dies mittels Prävention und Linderung von Leiden durch frühzeitiges Erkennen und umfassende Erfassung sowie durch die Behandlung von Schmerz und anderen Problemen auf körperlichen, psychosozialen und spirituellen Ebenen«. Definitionen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e. V., 2016. 11 Vgl. hierzu: Hagen/Roser/Reigber/Fittkau-Tönnesmann, 2011. 12 Vgl. hierzu die aktuelle Fassung der Christlichen Patientenvorsorge: Deutsche Bischofskonferenz/Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in Verbindung mit weiteren Mitgliedsund Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, 2010.

Krankenhausseelsorge als Aufgabe der Kirchenleitung

521

seinem Geleitwort zum Kongressband schreibt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Kardinal Marx: »Dennoch müssen die Klärung von anstehenden Fragen, die Stärkung des beruflichen Selbstverständnisses der in diesem Feld Tätigen und die insgesamt positive und zukunftsoffene Weiterentwicklung der Krankenhausseelsorge aktiv gestaltet und vorangetrieben werden, damit die Krankenhausseelsorge weiterhin als nicht nur notwendiger, sondern auch die Seelsorge insgesamt inspirierender Teilbereich der Pastoral erfahren werden kann.«13 Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, geht in seinem Geleitwort auf eine mögliche Zielperspektive von Kirchenleitung ein: »Spiritualität ist eine Dimension, die der Mensch hat und braucht. Der Kongress hat den Eindruck vermittelt, dass sich diese Erkenntnis unter vielen Akteuren im Gesundheitswesen immer mehr durchsetzt. Wenn der Kongress, der hier in seinen zentralen Impulsen dokumentiert wird, unter anderem dazu beigetragen hat, dass Seelsorge in den medizinischen Abläufen noch selbstverständlicher wird – dass sie zum Standard wird –, dann wäre viel gewonnen.«14 Das immer stärker wachsende ökumenische Miteinander in den Einrichtungen gilt es in Bezug auf die strukturellen Herausforderungen weiterzuentwickeln. Die Rahmenvereinbarung zwischen der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg aus dem Jahr 2016 dient hierfür als Beispiel und »beschreibt ein zeit- und situationsadäquates ökumenisches Miteinander und öffnet Räume zur Gestaltung von Krankenhausseelsorge als einem wichtigen kirchlichen Ort«15. Diese Vereinbarung ermuntert zu klaren Regelungen und benennt die aktuellen und für die Zukunft zentralen Themenfelder, wie z. B. Anwesenheit, Erreichbarkeit, Gottesdienste, Seelsorge im Kontext kultureller, religiöser und weltanschaulicher Pluralität. Konkret geht es um eine möglichst kompetente seelsorgliche Präsenz auf den Stationen, bei den Kranken, Angehörigen und Mitarbeiter*innen, sowie 13 Marx, 2017. 14 Bedford-Strohm, 2017b. 15 Klinikseelsorge in ökumenischer Verbundenheit. Rahmenvereinbarung zwischen der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg: Diözese Rottenburg-Stuttgart/Evangelischen Landeskirche in Württemberg, 2016, S. 6.

IV

522

Thomas Hagen

im gesamten Krankenhaus. Da nie der Besuch jeder/s Kranken gewährleistet werden kann, müssen Kriterien der Auswahl entwickelt werden, die sich an der Notlage des Kranken orientieren und nicht an seiner Kirchlichkeit. Nachlesbar ist dies in den jeweiligen Konzepten oder Qualitätsstandards.16

7 Die Sorge um die Kranken als Zukunftsaufgabe für Gesellschaft und Kirche

IV

Wie dem kranken Menschen gerecht werden? Wie ihn – biblisch gesprochen – in die Mitte stellen? Wie kann die für den Einzelnen optimale, d. h. nicht minimale, aber auch nicht maximale, sondern individuell angepasste und kommunizierte Begleitung und Behandlung ermöglicht werden? Diese Fragen werden wichtig für unsere Gesellschaft und für die Kirche. Als Kirche wird es aufgrund der eindeutigen Option für die Kranken neben den innerkirchlichen und pastoralen Herausforderungen notwendig sein, in der Gesellschaft auf ein humanes und gemäß der christlichen Ethik sich bewegendes Gesundheitssystem inklusive der Patientenversorgung zu achten. Dies kann zum einen durch die starke Präsenz der kirchlichen Krankenhäuser gelingen und zum anderen durch die Bewusstseinsbildung vor Ort sowie durch vielfältige seelsorgliche Begegnungen. In den Krankenhäusern kann dies gelingen, indem z. B. ethische Fragestellungen in Form von Fallbesprechungen auf den Stationen oder in Ethikkomitees strukturiert und verlässlich behandelt werden. Im Bereich der oben erwähnten Patientenverfügungen haben die beiden Kirchen gemeinsam stets ihre Position verdeutlicht, sodass die christliche Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu den meist verbreitetsten in Deutschland zählen. Eine Kirche ohne Präsenz im Krankenhaus ist keine Kirche! Vor Ort in allen kirchlichen Einrichtungen, angefangen von den Kindergärten über die Schulen bis hin zu den Senioreneinrichtungen, gilt es, das Thema »Krankheit und Sterben« aktiv anzusprechen und den Umgang damit in der jeweiligen Lebenssituation gemeinsam einzuüben. Eine Möglichkeit z. B. wäre 16 Vgl. zu dem multiprofessionellen Ansatz den zentralen Satz der Qualitätsstandards der Erzdiözese München und Freising: »In dem Maße, wie im Klinikum die Sorge für spirituelle Bedürfnisse als Bestandteil einer ganzheitlichen Zuwendung zum Menschen verstanden wird (Spiritual Care), intensiviert sich auch die Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und Seelsorge.« (Erzbischöfliches Ordinariat München, o. J.)

Krankenhausseelsorge als Aufgabe der Kirchenleitung

523

es auch, die Frage nach der Sorge bezüglich einer möglichen Krankheitssituation im Rahmen der Ehevorbereitung zu stellen. Eine Kirche ohne Einsatz für die Kranken ist keine Kirche! Vor Ort in der Familie, in dem die meiste Pflege passiert und der Umgang mit Krankheit gelebt und praktiziert wird, gilt es, dies als Gemeinschaft im Glauben sichtbar und möglich zu machen. Dieses tagtägliche und an vielen Orten sich ereignende beeindruckende Zeugnis von gelebtem Glauben sollte aktiv gewürdigt werden, damit dieser christlich selbstverständliche Dienst auf Verständnis in der Gesellschaft stößt. Die Kirche muss – wie es der biblische, theologische und historische Auftrag ist – den Kranken aktiv in den Blick nehmen, ihn anschauen, um anfanghaft zu begreifen, was der Kern der Botschaft Jesu ist: die Liebe und zwar die Liebe, die sich an nichts anderem festmacht außer am Gegenüber. Dies hat zur Konsequenz, dass jede Begegnung wirklich auf Augenhöhe passiert und nicht von oben herab, nicht von einem Gesunden zum Kranken, sondern – biblisch gesprochen – eher vom Kranken zum Gesunden. Eine Kirche, die sich um die Kranken sorgt, ist glaubwürdig und zukunftsfähig.

IV

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort – systemische und ekklesiologische Überlegungen Sebastian Borck

IV

Die Rede von der Krankenhausseelsorge (KHS) als »Kirche am anderen Ort« ist aus der Verantwortung für die KHS heraus entstanden. Wo in einem ortsgemeindlich geprägten kirchlichen Denken die KHS keinen Ort hat, nirgends, da müssen für sie die Augen erst geöffnet, Verständnis und Interesse erst geweckt werden. Dem soll die Formel von der »Kirche am anderen Ort« dienen: die Augen öffnen für die kirchliche Präsenz im Krankenhaus (KH) und zugleich Verständnis und Interesse dafür wecken, was dort »anders« ist. Und sie soll helfen, den Stellenwert der KHS zu behaupten, zum einen in der Kirche durch den Hinweis, Kirche »am anderen Ort« zu sein, zum anderen durch die Behauptung, dort, am anderen Ort, tatsächlich »Kirche« zu sein. »Am anderen Ort« soll heißen: nicht unter eigenem Kirchen-Dach, sondern unter fremdem Dach und also den Einflüssen anderer Regeln, einer anderen Haus-Ordnung und -Leitung ausgesetzt, aber doch kirchlich verantwortet. Wie können Krankenhausseelsorger*innen (KHSr*innen) dort handeln? Leitet sie dabei die KH-Welt oder der kirchliche Auftrag? Die Thematisierung der KHS als »Kirche am anderen Ort« hat sich in den letzten 15 Jahren durchgesetzt. In den EKD-Leitlinien für die KHS »Die Kraft zum Menschsein stärken« von 20041 spielt sie noch keine Rolle, auch wenn mit dem Motto »Gute Medizin, gute Pflege und gute Seelsorge gehören zusammen« bereits ein Positionsgewinn im Feld des KH angestrebt wurde. Folgende Entwicklungen und Themenkomplexe haben dann aber dazu beigetragen: ȤȤ Fragen im Zusammenhang der Refinanzierung von KHS ȤȤ der enorme Zuwachs systemischer Fragen in der Seelsorge und zum Dienst und Stellenwert der KHS im Kontext des KH-Betriebes ȤȤ Fragen zum Stellenwert der KHS im Kontext von Prioritätenfragen und Strukturanpassungen in den Landeskirchen

1 Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD, 2004.

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort

525

ȤȤ Fragen nach dem Verständnis und Stellenwert kirchlicher Dienste und Werke überhaupt ȤȤ Fragen über die einzelne Seelsorge hinaus nach landeskirchlichen Seelsorge-Konzeptionen inkl. der Aufgabe ihrer Umsetzung, Steuerung und Weiterentwicklung. Im Arbeitspapier und EKD-Workshop »Seelsorge – Muttersprache der Kirche« 20092 und in der Seelsorge-Schrift »Menschen stärken« von 20153 sind dann selbstverständlich besondere Seelsorgedienste als »Kirche am anderen Ort« näher dargestellt. Die Formel KHS als »Kirche am anderen Ort« enthält und verbindet verschiedene Akzente und Funktionen. Sie fragt nach der Kirche und nach verschiedenen Orten und setzt beides durch das Wort »anders« in eine spannungsreiche Beziehung. Sie ist ein Türöffner, indem sie ermutigt, in »Fremdes« hineinzugehen. KHS als »Kirche am anderen Ort« lenkt die Aufmerksamkeit darauf, genauer danach zu fragen, wie verschiedene Bereiche zueinander in Beziehung stehen: ortsgemeindliche und andere Gestaltungsformen der Kirche, der gesellschaftliche Bereich des Gesundheits- und Krankenhauswesens und der Handlungsbereich der Kirche, der medizinisch-pflegerische Auftrag des KH und der Seelsorgeauftrag der Kirche. Es geht um systemische Fragen – mit erheblicher Relevanz für die KHS und ihre Leitung in einem aktiven unternehmerischen Verständnis. Damit werden schwierige Erfahrungen und Widersprüche, mit denen die KHSr*nnen konfrontiert sind, aufgegriffen. Michael Klessmann hat sie in der Einleitung zu früheren Auflagen dieses Handbuchs unter der Überschrift »Seelsorge in der Institution ›Krankenhaus‹« zusammengetragen und daraus das Leitbild der »KHS im ›Zwischen‹-Raum«4 formuliert. Im Dreieck von Kirche, KH und KHSr*nnen hat er Ambivalenzen sowie Herausforderungen und Chancen aufgezeigt. Den Fragen nach der Verortung der KHS gilt es weiter nachzugehen, ekklesiologisch, historisch, soziologisch, theologisch, systemisch. Das soll hier geschehen, nicht nur als Frage nach den KHSr*nnen, sondern auch nach dem Verhältnis von Institution zu Institution und den daraus folgenden Herausforderungen für Konzeption und Leitung.

2 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2010, darin bes. S. 43–56. 3 Lammer/Borck/Habenicht/Roser, 2015. 4 Vgl. Klessmann, 2013a, S. 16; außerdem Klessmann, 2003.

IV

526

Sebastian Borck

1  KHS als Kirche »am anderen Ort«

IV

Wie die KHS selbst hat auch die Formel eine aufsuchende Funktion. Sie hilft, sich gedanklich oder auch ganz real auf den Weg zu machen, genauer hinzu­ sehen und den Ort, der anders ist, die KH-Situation, zu erkunden. Für den oder die KHSr*in, die bzw. der dort häufig genug allein auf sich gestellt für die kirchliche Präsenz einsteht, ist diese Bewegung hin zu ihm bzw. ihr entscheidend. Denn in den Kirchenkreisen, wo sich die Pfarrer*innen zum Konvent versammeln und zumeist Ortsgemeinde-bezogene Fragen besprechen, kommt es nur selten vor, dass die Arbeitsbedingungen der KHS dort präsent werden, geschweige denn, dass Kollegen oder gar die Pröpstin sich an den Ort der KHS begeben. Das Aufsuchen der KHSr*innen an ihrem Arbeitsort, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, gehört zu den vernachlässigten Leitungsaufgaben der Kirche. Der genauere Blick für das KH als Arbeitsort der KHS lässt über die Aufgabe hinaus, Menschen in krankheitsbedingten Krisensituationen während ihres Krankenhausaufenthaltes seelsorglich beizustehen, sofort eine ganze Reihe mehr oder weniger prekärer Fragen entstehen: Wer erlaubt der KHS hier, was sie tut? Mit welchem Recht ist sie präsent? Von wo aus geschieht sie? Sind ihr Räumlichkeiten eingeräumt? Hat sie Platz in den Abläufen auf Station, und wenn ja, welchen? Wie erfolgt die Kommunikation? Was wird kommuniziert und was nicht? Wie ist in der Sprache des Krankenhauses zu bezeichnen, was in Kirchensprache »Seelsorge« heißt? Können andere Berufsgruppen einschätzen und benennen, in welcher Situation KHS angezeigt ist? Vieles von dem, was unterm Kirchendach selbstverständlich sein mag und unbefragt passieren kann, ist dort, am anderen Ort, in vielerlei Hinsicht aushandlungsbedürftig. Das beginnt schon bei der Einrichtung von Seelsorge im KH. Es ist ein Prozess, der inhaltliche und äußere Rahmenbedingungen umfasst. Als neue*r KHSr*in einen Platz zu gewinnen, dauert. Es hängt nicht selten mit Gelegenheiten zusammen, in denen es gelingt, Grenzerfahrungen auf Station einen Raum zu geben, sodass auf persönlich geprägte Weise der Stellenwert des spezifischen Dienstes der KHS erfahrbar wird. Auch wer als KHSr*in etabliert ist, muss ihr bzw. sein Standing im Alltag des KH-Betriebes immer wieder neu bewähren, schon allein den immer wieder neuen Mitarbeitenden gegenüber, die sonst nicht gewohnt sind, mit Kirche in Berührung zu kommen. Vor dem Hintergrund dieser Fremdheitserfahrungen tut es der KHS gut, als »Kirche am anderen Ort« geachtet und angesprochen zu werden.

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort

527

2  KHS braucht Feldkompetenz KHS als »Kirche am anderen Ort« zu verstehen, führt dazu, genauer nach dem Feld zu fragen, in dem KHS geschieht. KHSr*innen müssen verstehen, wie ein KH heutzutage funktioniert, wie es organisiert ist, wer wofür das Sagen hat, welche Rechte ein*e Patient*in hat, wonach sich der Dienst der verschiedenen Professionen ausrichtet, was eine Ärztin bzw. ein Arzt heute lernt – und was nicht –, was eine Schwester bzw. ein Krankenpfleger heute lernt – und was nicht –, wie die Kommunikation erfolgt, wie mit Zeit umgegangen wird und was wie gerechnet wird. Ging es in der Seelsorgebewegung jahrzehntelang eher um Fragen der persönlichen Eignung, der pastoralpsychologischen Kompetenzen und einer reflektierten Haltung, so wird seit etwa 15 Jahren verstärkt auch nach der Feldkompetenz gefragt, bezogen auf das jeweilige Seelsorge-Handlungsfeld. Für ihre Praxis im KH sind Seelsorger*innen darauf angewiesen, gut strukturiert und konzentriert zu den oben genannten Fragen ein klares Wissen erwerben zu können, und zwar in der Begegnung mit Vertreter*innen anderer Professionen im KH. KHS bedeutet: kirchliche Präsenz auf einem Feld, das nicht das eigene ist, unter Regeln, die nicht die eigenen sind, und konfrontiert mit Sprachen, die nicht die eigenen sind und erstmal, jedenfalls teilweise, erlernt sein wollen. Diese Feldkompetenz gilt es zunächst ganz grundsätzlich für das Feld KH zu erwerben. Erst darüber hinaus gibt es dann noch spezielle Krankenhausbereiche: Neonatologie, Kinderkrankenhaus, Psychiatrie und Forensik, Onkologie, Palliativstationen, in denen auch die Seelsorge besonderen Rahmenbedingungen unterliegt, besondere Gestalt annimmt und deshalb spezifischer Formen der Ausbildung und Einarbeitung bedarf. Für die Begleitung von Patient*innen, ihren Angehörigen, aber auch des Personals durch die KHS ist es wichtig, um Diagnose- und Therapieverläufe sowie häufigere Komplikationen grundlegender Erkrankungen zu wissen. Letztlich kann die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen im KH in Solidarität und Kritik nicht gelingen, wenn die KHS nicht beseelt ist mit verschiedenen Formen des Respekts und der Neugier für deren Profession, deren Ausbildung, deren inneren Handlungskriterien, deren Qualitätsentwicklung und Fortbildung, deren ethischen Standards und Ethos.

IV

528

Sebastian Borck

3  Kirche im Prozess gesellschaftlicher Differenzierung

IV

Dass es neben der Kirche vor Ort auch Kirche am anderen Ort bzw. an anderen Orten gibt, ist keine Erfindung unserer Tage, sondern hängt mit einem anhaltenden Prozess gesellschaftlicher Differenzierung zusammen, der in Deutschland seit etwa 200 Jahren mit ungeheurer Dynamik anhält und in seinen Herausforderungen von der Kirche viel zu wenig realisiert wird.5 Wir kommen aus einer Zeit und aus einem Bild von Kirche vor Ort, wo örtliche Gemeinde und christliche Gemeinde, Bürgergemeinde und Kirchengemeinde nahezu identisch waren, wo die Menschen ihre Lebensfunktionen nahezu alle am Ort erfüllten und dort hineingeboren auch zeitlebens blieben. Die Ortsgebundenheit aller Lebensvollzüge ermöglichte ebenso auch den umfassend ortsgemeindlichen Vollzug von Glaube und Werken. Versammlungsort war die Kirche, ihr Turm weithin sichtbares Symbol der Mitte des Ortes. Was so an einem Ort vereint war, hat sich durch Veränderungen in der Landwirtschaft, Mobilität und rasante Industrialisierung seit Beginn des 19. Jahrhunderts in eine Vielzahl von Lebensbereichen mit je eigener Kultur und Sprache ausdifferenziert: Gesundheit, Recht, Schule, Arbeit, Soziales, Musik und Theater usw. Der Mensch, der nun mit verschiedenen Lebensbereichen und vorher nicht gekannten Nöten zu tun hat, spielt dort jeweils eine andere Rolle und ist selbst dafür verantwortlich, diese in seiner Person zu integrieren und zu bewältigen. Für die Kirche bedeutet das: Sie wird ein Lebensbereich unter anderen. Auch sie hat ihre Kultur und ihre Sprache. Die Frage entsteht: Ist die Kirche eine Nische der Gesellschaft, nur für Bestimmtes da? Oder gibt es so etwas wie »Gottes kräftigen Anspruch auf unser ganzes Leben«6? Mit der Differenzierung aller Lebensverhältnisse explodieren die Kommunikationsaufgaben zwischen den verschiedenen Welten. Und auch für die Kirche selbst explodieren die Fragen: Wer gehört dazu, wer nicht? Was ist Kriterium dafür? Wie ist das mit dem Teilnahmeverhalten? Vor allem auch: Haben die anderen Lebenswelten überhaupt etwas mit Kirche zu tun?7 Welche Aufgaben stellen sich der Kirche dort? Nach der Entwicklung einer Vielzahl evangelischer Vereine im 19. Jh.8 kommt 5 6 7 8

Vgl. zum Ganzen: Borck, 2016. These II der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen, 1934. Vgl. Grethlein, 2018. In der Entwicklung sind die landesherrlich gebundenen Kirchen aus zahlreichen Gründen den Parochien verhaftet geblieben und haben zunächst keinerlei gesellschaftliche Anstrengungen entfaltet. Aber der Prozess gesellschaftlicher Differenzierung hat dennoch Christen auf den Plan gerufen, vor allem aus der Erweckungsbewegung, und zwar zur Eigeninitiative in evange-

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort

529

im 20. Jh. die Figur auf, dass Menschen in Militär-, Straf- und Krankenanstalten ein Recht auf Religion haben und dass die Kirchen jemanden mit der Seelsorge beauftragen und z. B. ins KH senden. Durch die pastoralpsychologische Bewegung in den letzten 50 Jahren ist daraus eine kompetente seelsorgliche Zuwendung geworden, die für Menschen jedweder Religion und Weltanschauung offen ist. Vor Ort präsent und Nähe stiftend ist die Kirche heute somit insgesamt auf zweifache Weise unterwegs: durch ihr dezentrales System von Ortsgemeinden und mit ihren sog. Diensten und Werken als Kirche am anderen Ort in verschiedenen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Ebenso lapidar wie grundlegend formuliert: Der kirchliche Auftrag wird erfüllt ȤȤ durch Ortsgemeinden und ȤȤ durch Kirche am anderen Ort. Unter den verschiedenen Diensten von Kirche am anderen Ort ist die KHS einer der größten, qualifiziertesten und, wie noch zu zeigen ist, geistlich wichtigsten. Die Sendung an den anderen Ort beinhaltet zum einen die Chance, mit der Seelsorge Menschen ansprechen zu können, die sonst nicht erreichbar wären. Zum anderen bringt sie eine Reihe von Gefahren mit sich: ȤȤ die Gefahr, dass das System des anderen Ortes die entsandte Person schluckt; ȤȤ die Gefahr, dass die entsandte Person sich anpasst und verwechselbar wird, ȤȤ oder dass sie auf totale Distanz geht (mit der Gefahr, nicht verstanden zu werden); ȤȤ oder die Gefahr, dass die entsandte Person den Sinn dafür, gesandt zu sein, verliert, sei es, weil sie die sendende Kirche aus den Augen verliert, sei es weil sie dort am anderen Ort alleingelassen wird und keinen kirchlichen Rückhalt erfährt. Die Lage wird derzeit durch die Pluralisierung der Religionssysteme noch komplexer. Wie in anderen Bereichen auch ist in der KHS die Entwicklung zu islamischer Seelsorge im Gang. Wo die christliche KHS bisher allein tätig war, sind plötzlich Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis in der Wahrnehmung des seelsorglichen Auftrags angesagt. lischen Vereinen in großer Zahl: Vereine zur Verbreitung der Bibel und evangelischen Schrifttums, für Äußere Mission, für Innere Mission mit Strafgefangenenhilfe, Krankenversorgung, Jünglingsvereinen, Sonntagsschulen, sog. Rettungshäusern für schwer Erziehbare usw. usw. D. h. getragen von Vereinen, später von kirchlichen Diensten und Werken sind Christen in die anderen gesellschaftlichen Bereiche hineingegangen und haben sich auch um Menschen in gesellschaftlichen Zwischenräumen und an den Rändern gekümmert. Vgl. Borck, 2016.

IV

530

Sebastian Borck

4  Kirche im säkular geprägten Handlungsfeld Krankenhaus

IV

Eine der Ausprägungen des beschriebenen gesellschaftlichen Differenzierungsprozesses ist die naturwissenschaftlich-technische Entwicklung des Gesundheitswesens. Zugleich sind die Krankenhäuser zu hochkomplexen Unternehmen der Gesundheitswirtschaft geworden, komplizierten Abrechnungsverfahren unterworfen und Profite erwirtschaftend, u. a. um zur Weiterentwicklung nötige Investitionen tätigen zu können. Für kirchliche Arbeit und KHS ist das – ebenso wie für viele Menschen – zunächst eine fremde Welt. Sie ermöglicht Hochleistungsmedizin, hat aber in der Taktung der Abläufe für Gespräch kaum Zeit. Subjektives und der emotionale Faktor scheinen – ebenso wie die KHS – keinen Platz zu haben. Michael Klessmann hat pointiert von der »strukturellen Bedeutungslosigkeit« der KHS gesprochen, sie ist »kein Bestandteil in den Zielvorstellungen der medizinisch-technischen Institution KH«.9 In diesem säkular geprägten Umfeld seelsorglich präsent zu sein, bedeutet, Fremdheit überwinden und Gesprächsräume überhaupt erst eröffnen zu müssen. Das ist in einer Welt, in der die tragenden Berufsgruppen auf emotionale Distanz und Objektivität achten (müssen), nicht leicht. Und doch sind gerade deshalb und gerade hier Menschen für achtsame Begleitung empfänglich und dankbar, in dieser Weise angesprochen zu werden. Zu dieser Situation gehört auch, dass der Begriff der »Seelsorge« seinerseits eine Fremdheit mitbringt und für viele in seinem Inhalt unverständlich bleibt. So kommt die KHS im säkularen Raum des KH fremd daher und vermittelt auch in ihrer Selbstvorstellung als »KHS« noch Fremdheit, vorsichtiges Interesse hervorrufend vielleicht, aber auch Abstand vor etwas »anderem«, von einigen als heilig Empfundenem, signalisierend. Was KHS ist, ist übersetzungsbedürftig. Wie aber lässt sich in säkulare Begriffe übersetzen, was doch mindestens u. a. auch Religiöses beinhalten kann und soll? Und wie lässt »Seelsorge« sich übersetzen in andere Worte, ohne mit Beratung und Therapie verwechselbar zu werden und ihrer spezifischen Dimension verlustig zu gehen? Die meisten Menschen müssen erst Erfahrungen mit der Seelsorge machen, um herauszukriegen, was Seelsorge für sie ist.

9 Klessmann, 2013a, S. 18.

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort

531

5  KHS als Heterotopie in der Heterotopie Von Michel Foucault ist die Rede vom »anderen Ort« mit einer besonderen Aura versehen worden, indem er ihn als Heterotopie bezeichnet und damit in die Nähe einer Utopie gesetzt hat. In zwei Vorträgen 1966/6710 arbeitet er sechs Aspekte zur Verhältnisbestimmung heraus: Kulturen bringen andersartige Räume hervor (1), die zu ihnen in einem Krisen- und Abweichungsverhältnis stehen und in ihnen feste, nicht selten ihre Ordnung stabilisierende Funktion haben (2). Heterotopien besitzen (3) »die Fähigkeit, […] andere Orte, die eigentlich nicht miteinander verträglich sind, an einem einzigen Ort nebeneinander zu stellen.« Sie »stehen meist in Verbindung mit zeitlichen Brüchen« (4). Sie beginnen »erst dann voll zu funktionieren, wenn die Menschen einen absoluten Bruch mit der traditionellen Zeit vollzogen haben.« Damit hängt zusammen (5), dass Heterotopien »stets ein System der Öffnung und Abschließung voraus(setzen), das sie isoliert und zugleich den Zugang zu ihnen ermöglicht.« Man gelangt in sie hinein durch Zwang oder durch besondere »Eingangs- und Reinigungsrituale«. Gegenüber dem übrigen Raum schaffen Heterotopien (6) entweder »einen illusionären Raum […], der den ganzen realen Raum […] als noch größere Illusion entlarvt«, oder kompensatorisch »einen anderen realen Raum, der im Gegensatz zur wirren Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist«11. Im Verhältnis zum menschlichen Leben und zur Gesellschaft allgemein lassen sich Krankenhäuser als Heterotopien bezeichnen. Man kommt hinein, wenn es kritisch wird und nicht mehr anders geht. Alles andere muss dann zurücktreten. Aufnahmeprozeduren werden vollzogen. Diagnostische und therapeutische Maßnahmen sind (von besonderen Bereichen wie etwa der Palliativmedizin abgesehen) gerade nicht ganzheitlich angelegt, sondern im Gegenteil darauf ausgerichtet, das eine zu finden und zu kurieren, was Not tut.12 Während die gesellschaftliche Ordnung die Gültigkeit bestimmter Grenzen und Selbstbestimmung voraussetzt, sind an diesem anderen Ort andere Zugänge möglich; Scham und Selbstbestimmung sind teilweise außer Kraft gesetzt. Was an diesem anderen Ort geschieht, muss nicht unter den Augen des Bekanntenkreises oder der sonst üblichen sozialen Kontrolle geschehen. Die Heterotopie ist auch Ort anderer Zeiten als Ausdruck anderer Organisation und Hierarchieverhält10 Foucault, M. (1966): Die Heterotopien, zit. nach: Foucault, 2017, S. 7–22; Foucault, M. (1967): Von anderen Räumen, zit. nach: Dünne/Günzel, 2015, S. 317–327 – aus diesen beiden ähnlich aufgebauten (daher die Ziffern) Texten kommen auch die Zitate in diesem Abschnitt. 11 Vgl. hierzu Roser, 2017a, S. 282 ff. 12 Vgl. Borck, 2006.

IV

532

IV

Sebastian Borck

nisse. Durch anhaltende Perfektionierung der Abläufe wird die Effizienz der Heterotopie fortwährend zu erhöhen versucht. Doch es gibt Grenzen, die auch die Funktionsweise der Heterotopie infrage stellen. So bleibt die entlarvende Funktion der Heterotopie KH ambivalent: In der Vollkommenheit ihrer Ordnung erweist sie die Gesellschaft als krank machend – oder am Ende sich selbst. Inwiefern nun lässt sich die KHS wiederum als Heterotopie im KH, also als Heterotopie in der Heterotopie begreifen? Ist auf diese Weise das eigentümliche Zugleich von Zugehörigkeit der KHS zum System KH und Nichtzugehörigkeit der KHS zum System KH genauer zu verstehen? Es ist offensichtlich, dass die KHS einerseits an etlichen Eigentümlichkeiten der Heterotopie KH teilhat. Sie vollzieht ihren Dienst, indem sie von den sonstigen Räumen und Zeiten genauso abgetrennt agiert wie alle anderen Berufsgruppen im KH auch. So werden auch ihr jenseits des Alltags unabhängige Zugänge möglich. Mit den anderen Berufsgruppen knüpft die KHS an die Dimension der Angewiesenheit der Patient*innen an, unterscheidet sich von jenen aber dadurch, dass sie nicht allein die Dimension des tätigen Lebens in den Blick nimmt, sondern auch der lassenden, empfangenden, der Passiv-Seite des Lebens nachzugehen ermutigen kann. Zur KH-Kultur mit den Möglichkeiten moderner Hochleistungsmedizin und der Fülle funktionaler Abläufe gehört als Gegenwelt die besondere Rolle der Seelsorge, nicht weniger professionell, mit einem Raum der Stille jenseits aller Funktionsräume und der Möglichkeit zur Begegnung mit Zeit jenseits des sonstigen Zeitmanagements. Anders als die sonstigen Maßnahmen geschieht die KHS nicht flächendeckend, sondern als offenes Angebot. Am Eingang steht ein Seelsorge-Kontrakt. Der andere Raum der Seelsorge ist durch das Seelsorgegeheimnis besonders geschützt. KHS hat eher die Aufgabe, danach zu fragen, wie das besondere Geschehen im Krankenhaus in das Ganze des Lebens zu integrieren ist. Sie kann nochmal anders innere Räume öffnen, verschüttete Sinn-Ressourcen freilegen und auf diese Weise Kräfte der Selbstheilung und Neuorientierung erschließen. Wo das System KH an seine Grenzen stößt, kann die KHS »da« sein, nicht mit metaphysischem Überbau, sondern Brüchiges und Unabgeschlossenes ansprechend und in einen größeren Rahmen stellend. Auf diese Weise kann beides nebeneinander zu stehen kommen, das Verfügbare und das Unverfügbare. Diese Beschreibung der KHS als Heterotopie im KH hilft, Brüche und Fremdheiten besser zu verstehen und gelten zu lassen. Sie zeigt, dass auf diese Weise an einem einzigen Ort nebeneinander zusammenkommt, was eigentlich nicht miteinander verträglich ist: Nüchternheit und Emotionalität, Naturwissenschaft und Religion, Mediziner*innen, Pflegende, weiteres KH-Personal und Seelsorger*innen.

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort

533

6  Einpassung in eine spezifische Auftragssituation Zu fragen ist nicht nur nach der bzw. dem einzelnen Seelsorger*in in mehr oder weniger Nähe und Distanz zu anderen »am anderen Ort«. Spätestens kirchliche Wünsche nach einer Refinanzierung von Seelsorge durch das KH sind nicht mehr durch die bzw. den einzelne*n KHSr*in zu transportieren, sondern bedürfen einer Kommunikation von Institution zu Institution, von KH und Kirche in je ihrem Auftrag. Das Verhältnis der Kirche zu anderen gesellschaftlichen Bereichen und Entwicklungen wird häufig nach der Leitunterscheidung von Anpassung und Widerstand sortiert. Entweder passt sie sich an oder sie geht auf Distanz. Entweder ist KHS das allen anderen Berufsgruppen im KH gegenüber »ganz andere«, von anderen weder benenn- noch fassbar und darum letztlich unverständlich bleibend, tätig in den Zwischenräumen des KH-Betriebes. Oder KHS ist im Zeichen von »wir auch« eine inmitten verschiedener Berufsgruppen im KH, genauso Care wie alle anderen, nur eben Spiritual Care, Religion und Spiritualität als Gesundheitsressource einbringend, also voll integriert und tätig als der spirituelle Dienst unter den verschiedenen Diensten des KH. Hinter Anpassung und Widerstand stehen verschiedene theologische Traditionen. Sie machen auf Chancen und Schatten aufmerksam. Einerseits geht es um die Plausibilität der Seelsorge aus dem Umfeld heraus – ähnlich wie Friedrich Schleiermacher dem durch die Aufklärung hindurchgegangenen Menschen die Religion neu nachvollziehbar gemacht hat. Andererseits ist bei solcher Anknüpfung – mit Karl Barth u. a. – kritisch zu fragen, ob auf diese Weise Seelsorge nicht von ihrem Umfeld abhängig wird, weil ihr Spezifikum ins Nachträgliche gerät und sie ihren ureigenen Stellenwert verliert. Ist die Freiheit und Eigenständigkeit der KHS letztlich nicht nur christologisch gegründet und kirchlich getragen möglich? Aber kann sie sich so »anders« hinreichend verständlich machen? Die KHS als eine Gestalt des Handelns der Kirche in öffentlichen Institutionen versteht sich sehr bewusst nicht nur auf die Kranken, sondern auch auf das KH insgesamt ausgerichtet. Sie hat ihren Dienst lange Zeit in einem »Zwischen« angesiedelt und ihn damit als etwas »anderes« und »eigenes« definiert. Einige haben sich so in ihrem Dienst, mehr oder weniger in einer »Nische« existierend, als nicht recht »gesehen« empfunden. Als dann kirchliche Ressourcenkürzungen drohten, hat manch einer umgeschwenkt, Berücksichtigung bei Qualitätszertifizierungen des KH gesucht und mehr oder weniger erfolgreich die zu geringe Beachtung in der Kirche gegen das Ansehen des KH einzutauschen versucht. Wie also ist zu bestimmen, was Ziel und Inhalt der KHS ist? Gelten Kriterien des KH, individuelle Bedürfnisse oder gesellschaftliche Erwartungen? Als Han-

IV

534

IV

Sebastian Borck

deln der Kirche, noch dazu nicht »im eigenen Haus«, sondern »am anderen Ort«, inmitten eines fremden Systems, muss es genauer bestimmt werden, und zwar von der Kirche her, doch so, dass es allgemein verständlich wird. Für eine relevante KHS ist die Zusammenarbeit mit den anderen Professionen wichtig, ihre Dialogfähigkeit, zugleich in aller Unabhängigkeit ihre Besonderheit vom Evangelium her, aber in säkularer Umgebung doch so, dass sie übersetzt und allgemeinverständlich wird. Es gilt, sich für Menschen als hilfreich zu erweisen, doch nicht irgendwie, sondern spezifisch als Kirche. Um Begleitung geht es, Berührung mit Leid, Aushalten von Brüchen im Leben und Fragen nach Sinn – und es geht um den Mehrwert des spezifisch so nur vom Evangelium her Möglichen. Ein Diktum Friedrich Schleiermachers verdichtet Erfahrungen, wie sie auch für die KHS gelten: Im Verhältnis zum Staat bestehe die Aufgabe, dahin zu wirken, dass die Kirche »weder in eine kraftlose Unabhängigkeit vom Staat, noch in eine wie immer angesehene Dienstbarkeit unter ihm gerate«13. In der KHS weiß man um die Spannung von Unabhängigkeit und Dienstbarkeit. Doch Schleiermacher hat darüber hinaus auch den Nachteil bzw. die Gefahr des vermeintlichen Vorteils, also das Verführerische zu benennen gewusst und vor einer »wohlhabenden Dienstbarkeit« gewarnt, die es wagt, »auch aus mit nicht-evangelischen Elementen versetzten Quellen zu schöpfen«14. Die Alternative dieser beiden Bewegungsrichtungen und Versuchungen ist unauflösbar. Dies vor Augen hat Ernst Lange in einer eingehenden Analyse der Barmer Theologischen Erklärung herausgearbeitet, dass es jenseits von Anpassung oder Widerstand um des kirchlichen Auftrags willen (!) auf eine kommunikative Relation ankommt und um die »Einpassung in eine spezifische Auftragssituation« gehen muss.15 Anpassung wie Widerstand führen zum Verlust der Freiheit wie der Kommunikationsmöglichkeit, den kirchlichen Auftrag umsetzen zu können. Demgegenüber kommt es – des kirchlichen Auftrags bewusst – auf die Einpassung in eine spezifische Situation an, um ihn überhaupt erfüllen zu können, aus eigener Freiheit ebenso wie um der Relevanz für das Umfeld willen. Mit der KHS passt sich die Kirche aus eigener Freiheit und Begründung um ihres Auftrags willen ein in die spezifische Auftragssituation eines KH, um dort in kirchlich getragener Unabhängigkeit und kritischer Solidarität ihren seelsorglichen Dienst zu tun. Für die KHS als »Kirche am anderen Ort« folgen aus dieser von Ernst Lange geleiteten Verhältnisbestimmung eine Reihe von Aufgaben: 13 Schleiermacher, F. (1811/1830), zit. nach Scholz, 1977, S. 125. 14 Schleiermacher, F. (1811/1830), zit. nach Scholz, 1977, S. 126. 15 Lange, 1981 (1966).

535

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort

ȤȤ In der Unterscheidung von Auftrag und Auftragssituation geht es um Wahrnehmen und Verstehen der Situation und entsprechende Dialogfähigkeit. ȤȤ Es geht um Auftragsfestigkeit. ȤȤ Es geht um Übersetzung aus evangelischer, die Seelsorge begründender Perspektive in allgemeinverständliche Sprache, und zwar möglichst so, dass eine Ahnung für den spezifischen Mehrwert dieser Perspektive spürbar wird. ȤȤ Es geht um kritische Solidarität, also um Beteiligung und Anteilnahme und auf dieser Basis um Kritik, um Einspruch gegen verkürzte Menschlichkeit, um prophetische Infragestellung im Zeichen vorweggenommener Zukunft. ȤȤ Es geht um »Koalitionsverhandlungen«: die Feststellung von Interessenkoalitionen zwischen KH- und kirchlichem Auftrag und die Verabredung von gemeinsamem Handeln.

7  Von der systemischen Analyse zur Aufgabe der Leitung Die Formel KHS als »Kirche am anderen Ort« lehrt Respekt vor dem »anderen Ort« als eigener Institution, mit eigener Mitarbeiterschaft und eigener Leitung. Und es hilft, sich die Relationen in einfachster Form zu veranschaulichen: Da ist die Institution KH mit ihrer Leitung (Ltg.) und dem Personal (P) unterschiedlicher Professionen; das Personal unterliegt dem Direktionsrecht dieser Leitung, es gibt aber auch eine Rückkopplung. In der Kirche ist das grundsätzlich ebenso, ggf. strukturell differenzierter: KH

Kirche Ltg.

P

P

P

P P P

Ltg.

? P

P

P

P P P

P

Abb. 7: Krankenhaus und Kirche mit jeweiliger Leitung und Personal

IV

536

Sebastian Borck

In Form der KHS sendet die Kirche eine Seelsorgerin bzw. einen Seelsorger in das KH. Sie bzw. er bleibt dort jedoch im kirchlichen Auftrag tätig. Im Fall der Refinanzierung setzt sich das KH erheblich dafür ein, dass dies so geschieht.16 Es lässt sich dies etwas kosten und muss das begründen. Doch das verändert den KHS-Auftrag nicht. Offen ist, welcher Leitungsbezug seitens der KH-Leitung sich hier ergibt: KH

Kirche Kommunikation

Ltg.

IV

P

P

P

P P P

Ltg.

Vereinbarung

P

P

P

P P P

P

Abb. 8: Kommunikation zwischen Krankenhaus und Kirche auf Leitungsebene

Damit wird auf einen Blick deutlich, wie wichtig zwischen KH und Kirche die direkte Kommunikation auf Leitungsebene und ggf. eine Vereinbarung ist. Der Stellenwert dessen, was auf Leitungsebene geschieht, wird auf diese Weise klar. Ohne einen funktionierenden Bezug auf Leitungsebene wäre die bzw. der KHSr*in in ihrer bzw. seiner Rolle und der spezifischen Rollen-Aushandlungssituation allein gelassen. Umso wichtiger ist, dass alle Beteiligten den Dienstweg einhalten und ihn nutzen.

8  Zuspitzung: Am anderen Ort Kirche! Während in der Fläche Kirchen geschlossen oder umgenutzt werden, sind in den letzten Jahren in Kliniken und anderen Institutionen zahlreiche Räume der Stille neu entstanden. Es macht einen Unterschied für die KHS, ob sie im KH nur durch Personen präsent ist oder ob ein KH durch solch einen Raum zeigt: Hier 16 Vgl. Borck, 2011 (Vortrag 2007).

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort

537

gibt es bei aller medizinisch-technischen Funktionalität auch Respekt vor einer anderen Dimension. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der KHS steigt. Mit der KHS bleibt die Kirche gesellschaftlich anschlussfähig. Sie zieht sich nicht auf ihren Eigenbereich zurück. Die KHS eröffnet ihr Begegnungen mit Menschen, die sonst ohne Zugang zu ihr blieben, und gesellschaftliche Berührungsflächen, die sie sonst nicht hätte. Dadurch, dass es der Kirche möglich ist, Menschen im Krankenhaus in Krisensituationen hilfreich beizustehen, teilweise ähnlich wie Ärzt*innen und Pflegende dies tun, erhält ihr Dienst in der Gesellschaft eine hohe Plausibilität. Dies verschafft ihrem Handeln eine gesellschaftliche Resonanz, die sie mit ihren ortsgemeindlichen Kommunikationsformen und deren Reichweite allein nicht erreichen kann. Nicht wenige Menschen kommen durch die KHS mit kirchlichem Handeln in Berührung. Ob sie den Zugang zu einer Ortsgemeinde verloren oder ihn nie entwickelt haben, Begegnungen mit der KHS lassen sie auf eine Weise mit der Kirche in Berührung kommen, wie das sonst kaum möglich ist. In der KHS stehen Zerbrechlichkeit und Kostbarkeit des Lebens sogleich im Mittelpunkt. Weil da, wo Anfechtung ausgehalten wird, auch zu erfahren ist, dass Anfechtung den Glauben macht, ist KHS nicht nur Anwendungsort, sondern Entstehungsort von Kirche! Diese Perspektive ist geeignet, die KHS als »Gemeinde auf Zeit« zu verstehen, ebenso zerbrechlich wie inhaltsvoll. Zuweilen gelingt es, dem nicht nur in der direkten Kommunikation des seelsorglichen Gesprächs, sondern auch in der symbolischen Kommunikation einer Andacht oder eines Gottesdienstes Ausdruck zu geben. Mit ihrer Spiritualität der Brüche und der Würdigung des Fragments hat die KHS theologisch einen eigenen und für die Kirche unverzichtbaren Stellenwert. Als Heterotopie im KH gilt es, diese Dimension auch bewusst zu gestalten, inmitten der sonstigen Abläufe als Unterbrechung, an die verschiedenen Formen und Gaben der Zusammenarbeit erinnernd, Scheidender, Abwesender und Verstorbener gedenkend, für Patient*innen und Tätige fürbittend und kritische Fragen stellend und in alldem am anderen Ort sich als Kirche erweisend, mit einem Mehrwert, der dem Alltag zugutekommt.

9  Konsequenzen für die KHS und insbesondere ihre Leitung Zur Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags »am anderen Ort« bedarf es nicht nur entsprechend qualifizierter KHSr*innen. Unerlässlich ist auch eine kirch­ liche (!) Leitung, die sich der komplexen Aufgabe und Rahmenbedingungen auf

IV

538

IV

Sebastian Borck

eine inhaltliche, in wachsendem Maße fachliche und durchaus auch unternehmerische Weise annimmt. Wenn dieser Abschnitt im Handbuch auf ein Desiderat aufmerksam machen will, dann auf dieses: KHS als Kirche »am anderen Ort« bedarf kirchlich einer Leitung, die sie gemeinsam mit den KHSr*innen und im Dialog mit den KH-Leitungen und verschiedenen an der KHS Interessierten in den benannten Perspektiven zu profilieren und weiterzuentwickeln versteht.17 KHS ist eine bedeutende Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft, und es geht darum, sich um der Menschen und der seelsorglichen Möglichkeiten willen mit der Kliniklandschaft in einer Region spürbar in Beziehung zu setzen. Über die auf personale Kompetenzen und die auf äußere Rahmenbedingungen bezogenen Standards hinaus sollten zur Seelsorge stets auch Standards einer dritten Sorte gehören: die Standards einer Leitung, die für die KHS und ihr Profil inhaltlich und unternehmerisch verantwortlich und für die Entwicklung von deren Konzept-, Prozess- und Ergebnisqualität zuständig ist.18 Für die KHS als »Kirche am anderen Ort«, ihre strategische Ausrichtung, Struktur und Leitung beinhalten die hier dargestellten Perspektiven zusammengefasst folgende Impulse: ȤȤ KHS ist als bedeutende Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft zu gestalten. Alles andere hätte schwerste Substanz- und Relevanzverluste zur Folge. ȤȤ Ortsgemeindliche Kirche mit der Seelsorge in den Lebensübergängen wie KHS als Präsenz in Krisensituationen sind gleichermaßen unersetzbar und sorgfältig aufeinander zu beziehen. ȤȤ Dass die Kirche mit der KHS bei kirchlich Ungebundenen und Konfessionslosen derart auf Resonanz stößt, ist innerkirchlich zu wenig gesehen und muss Folgen für ihren Stellenwert haben. ȤȤ KHS bleibt ein andauernder Einwanderungsprozess, sowohl auf der KHSr*innen- und Mitarbeiter*innen-Ebene als auch im Dialog zwischen den Leitungen. Es kommt darauf an, Entwicklungen mitzugehen, und zwar in kritischer Solidarität. Im Alltag wie bei Bildungsveranstaltungen und Kongressen ist dies sichtbar zu gestalten. ȤȤ Indigenisation bringt Übersetzungsaufgaben mit sich. Sie sind nie einseitig, sondern dialogisch zu gestalten, damit wechselseitige Erschließung möglich wird. 17 An Carl Immanuel Nitzsch anknüpfend profiliert Traugott Roser die Kirche »als actuoses Subjekt« der Seelsorge, in Roser/Rüter/Stache/Wemhöner, 2017, S. 155 ff. 18 Vgl. Lammer, K. zu Strategie, Struktur und Leitungsaufgaben der Seelsorge in: Lammer/Borck/ Habenicht/Roser, S. 93 ff.

Krankenhausseelsorge als Kirche am anderen Ort

539

ȤȤ Dem KH als prekärem Ort für kirchliches Handeln entspricht die Nicht-­ Selbstverständlichkeit des Seelsorgeangebots. Es bekanntzumachen, reicht nicht. Den meisten Menschen wird es erst im Verlauf der seelsorglichen Begegnung selbst in seiner existenziellen Relevanz deutlich. KHS muss aufsuchende Seelsorge sein und um Verständnis werben. ȤȤ Als »Kirche am anderen Ort« muss sich die KHS anderen Ansprüchen stellen. Die interdisziplinäre Kooperation mit anderen Berufsgruppen im KH führt dazu, Qualität nicht nur kirchlich behaupten zu können, sondern durch Feldkompetenz und im Dialog mit anderen Formen der Qualitätsentwicklung erweisen zu müssen. ȤȤ Inmitten von Technik und Ohnmachtserfahrungen Unverfügbarem Raum zu geben, heißt Routinen und Abläufe zu unterbrechen. Als Kirche vermag sich die KHS insbesondere dann zu erweisen, wenn sie aus Quellen christlicher Tradition schöpfen kann, die sich den Menschen inhaltlich als heilsam erweisen. ȤȤ Als »Kirche am anderen Ort« bedarf die KHS der systemischen Analyse von Institution zu Institution und entsprechender Transparenz. ȤȤ Zukunft hat die Präsenz der Kirche im KH nur, wenn die KHS durch kirchliche Leitung fachlich verantwortet und weiterentwickelt wird. ȤȤ Und schließlich: KHS muss Fremdes fremd sein lassen können. Als Heterotopie beinhaltet sie die anspruchsvolle Aufgabe, den kirchlichen Auftrag ebenso demütig wie souverän wahrzunehmen, mit Kompetenz und Selbst-Bewusstsein ebenso wie mit der Bereitschaft, in der seelsorglichen Begegnung auch selbst für Unverfügbares empfänglich zu sein.

IV

Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft Ralph Kunz

IV

Die Präsenz der Kirche im Krankenhaus ist nicht unumstritten und Krankenhausseelsorge doppelt herausgefordert. Durch den Mitgliederschwund bedingt müssen die Kirchen zukünftig mit einem erheblichen Ressourcenrückgang rechnen. Gleichzeitig führen der gesellschaftliche Wandel und Entwicklungen im Gesundheitswesen zu neuen Konstellationen der religiösen Versorgung im klinischen Bereich. Der Spardruck steigt und die Akzeptanz des kirchlichen Monopols sinkt. Seelsorge im Krankenhaus ist und bleibt jedoch ein kirch­ licher Dienst. Die reflexive Selbstklärung ihrer institutionellen Verankerung hilft der Krankenhausseelsorge, das eigene Profil zu schärfen und ihren Part und Widerpart im Zusammenspiel der Berufe im Gesundheitswesen kompetent und selbstbewusst wahrzunehmen. In der Diskussion um die zukünftige Gestaltung von Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche geht es grundlegend um die Frage, wie sich Kirche auf die gegenwärtige Gesellschaft bezieht und in einer säkularen Organisation integrieren will.1 Im Wissen um die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche der Gegenwart plädierte Michael Klessmann in der letzten Ausgabe dieses Hand­buches für eine Kontinuität der funktionalen Differenzierung kirchlicher Dienste. Letztlich verdankt sich die Organisationsgestalt der heutigen Krankenhausseelsorge einer funktionalen Logik. Das Plädoyer verband er mit einer Warnung. Es sei problematisch, aus Kostengründen Seelsorgestellen an den Krankenhäusern abzubauen und zum Konzept einer territorial orientierten »Krankenseelsorge« zurückzukehren. Als eine »besondere Gestalt von Kirche« könne die Krankenhausseelsorge nicht durch eine rein mitgliederorientierte Gemeindeseelsorge ersetzt werden.2 1 In diesem Beitrag liegt die Krankenhausseelsorge in kirchlichen Einrichtungen weniger im Fokus. Vgl. dazu Mader, 2017. 2 Klessmann, 2013b.

Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft

541

Die Warnung bleibt aktuell! Für das Selbstverständnis der Krankenhausseelsorge ist konstitutiv, dass sie als kirchlicher Dienst im System angeboten wird. Das Ja zur Einbettung der Seelsorge in die zentrale Organisation des Gesundheitswesens ist verbunden mit dem Widerstand gegen Dynamiken, die ihr kirchliches und damit letztlich auch christliches Profil nivellieren. Diese Zwischenposition prägt das professionelle Selbstbewusstsein der Krankenhausseelsorge und fordert sie immer wieder neu heraus. Schon ein flüchtiger Blick auf das Inhaltsverzeichnis offenbart es: die Pluralisierung, Spezialisierung und Ausdifferenzierungen ihrer Dienstleistungen ist eine Dynamik, die das Krankenhaus als Ort und die Krankenhausseelsorge als Arbeitsfeld zunehmend unübersichtlicher und anspruchsvoller machen. Was in unterschiedlichen Stationen und Situationen von den Seelsorger*innen erwartet wird, löst eine regelrechte Kompetenzlawine aus. Das Handbuch liefert Stoff für einige Dutzend Weiterbildungen. Angesichts der Pluralität der Verhältnisse und dem enormen Spezialisierungsbedarf könnte der Singular Dienst der Kirche den Verdacht wecken, die Komplexität des Berufs unzulässig zu vereinfachen. Braucht es in der Klinik noch einen Dienst der Kirche? Und kann sich das Krankenhaus längerfristig leisten, nur eine Religionsgemeinschaft beziehungsweise zwei Konfessionen mit der religiösen Versorgung von Patienten zu betrauen? Ferner auf den Beruf bezogen gefragt: Sind das Kirchliche wie das Amtliche (und allenfalls auch das Christliche) nicht vielmehr lästige und hinderliche Überbleibsel einer Profession, die sich mit ihren institutionellen Altlasten selbst im Wege steht und die Modernisierung des Berufsprofils verhindert? Wäre es nicht gescheiter, das Berufsbild den Gegebenheiten anzupassen und stärker auf einen spirituellen Service im Kontext einer umfassenden interprofessionell ausgerichteten Care hinzuarbeiten? Vergleicht man die Verhältnisse im deutschsprachigen Raum mit der Situation in anderen Ländern und zieht man die fortschreitende Säkularisierung in Betracht, ist damit zu rechnen, dass der Ruf nach einem solchen Paradigmenwechsel lauter wird. Ob ein neues System und eine Umgestaltung der Seelsorge nach dem Vorbild Hollands oder den USA eine Verbesserung der religiösen oder spirituellen Versorgung bringen würden, ist freilich umstritten.3 Wer von der Seelsorge als Dienst der Kirche spricht, hat in dieser Debatte schon Position bezogen. Der Singular Dienst kann in der Tat als Chance gesehen werden, das kirchliche Proprium der Krankenhausseelsorge herauszuarbeiten. Denn der Dienst ist nicht mit einer beliebigen Dienstleistung gleichzusetzen. Auch wäre die Kirche schlecht beraten, wenn sie ausgerechnet im Krankenhaus ihr insti3 Gärtner, 2015; Gärtner, 2016.

IV

542

Ralph Kunz

tutionell-religiöses Profil verschleiern oder verstecken würde! Vielmehr gilt es, den Dienst der Kirche als etwas zu sehen, dass der Seelsorge im säkularen Krankenhaus den nötigen Rückhalt gibt, um ihren Part und Widerpart im Zusammenspiel der Berufe profiliert, kompetent und selbstbewusst wahrzunehmen. Dies soll entlang der Stichwortpaare Dienst und Dienstleistungen (1.), Raum und Orte (2.), Amt und Berufe (3.) entfaltet werden.

1 Der Dienst der Kirche im Dienstleistungsbetrieb Krankenhaus 1.1  Ökonomisierung, Zentralisierung und Professionalisierung

IV

Das Stichwort plurale Gesellschaft kursiert seit den 1960er-Jahren in den pastoraltheologischen Diskursgemeinschaften – manchmal im Ton der Verheißung und meistens mit einem Unterton der Bedrohung. Studiert man die einschlägige Literatur, zeigen sich indes markante Verschiebungen in der Pluralismus-­ Diskussion. In den 1960er-Jahren entwickelt die Diskussion einen Sog hin zu Fragen der Strukturen. Die Forderung und schließlich die Stärkung der Funktionalisierung der Dienste in Entsprechung zur funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft kann u. a. auch als Reflex der Kirchenreform und Wirkung einer missionstheologischen Öffnung der Ekklesiologie gesehen werden. Kirche soll zur Welt hin orientiert, in der Welt verortet und als öffentliche Kirche für andere da sein.4 In den letzten Jahren beherrschte zunehmend die Frage nach der Kultur das Gespräch über Pluralität. Die durch Migration verstärkte Multireligiosität ist ein Thema, das die ganze Gesellschaft betrifft. Religiöse Sensitivität ist auf allen Ebenen und in allen Bereichen des öffentlichen Handelns gefordert. Insofern tangiert die fortschreitende Pluralisierung strukturell wie kulturell den Dienst der Kirche im Krankenhaus. Dass die Seelsorge den spirituellen Nöten und Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten mit divergenten weltanschaulichen und religiösen Hintergründen begegnet, ist schon länger ein Thema.5 Nach der Krankenhausseelsorge in der pluralen Gesellschaft zu fragen, griffe aber zu kurz, wenn unter Pluralismus lediglich Vielfalt verstanden würde. Sieht man auf die Gesellschaft als Gesamtsystem, rücken auch zunehmend uniformierende Dynamiken ins 4

Anstelle der »Welt« trat der (philosophisch weniger aufgeladene) Begriff der »Öffentlichkeit«. Vgl. dazu Schlag, 2012. 5 Vgl. Haker/Wanderer/Bentele, 2014. Vgl. auch den Beitrag von Andreas Stähli in diesem Band.

Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft

543

Blickfeld, die eine Kultur der Diversität und Pluralität in der Organisation eher untergraben.6 Die Tendenz zur Ökonomisierung des Gesundheitswesens kann als Strukturwandel aufgefasst werden, der sich in seiner Wirkung ambivalent äußert. Die Teilliberalisierung und -deregulierung auf dem Gesundheitsmarkt, die Privatisierung sowie der verschärfte Konkurrenzdruck zwischen den Gesundheitsanbietern hat die Krankenhauslandschaft in den letzten dreißig Jahren gerade nicht pluralisiert. Der Trend geht eher in Richtung einer Homogenisierung der Betriebskulturen und Zentralisierung der Gesundheitsversorgung in Großkliniken. Regionale Krankenhäuser stehen vermehrt unter Kostendruck, weil sie die teure, aber einträgliche Spitzenmedizin nicht bieten können, zugleich aber Leistungen garantieren müssen, die nicht einträglich sind. Die effizientere Gestaltung der Arbeitsabläufe, die Optimierung der Ausnutzungsziffern und eine generelle »Abkehr vom Postulat der Daseinsvorsorge als oberstem Prinzip der Krankenhauspolitik«7 führte zu einem Kultur­wandel in den Häusern. Es ist ein Wandel, der die Seelsorge als Dienst der Kirche herausfordert. Die Rede von der Funktionalisierung des kirchlichen Dienstes, die sich in der innerkirchlichen Strukturdebatte als Gegenrede zur territorialen Organisationslogik bewährt hat, weist hinsichtlich der Kulturdebatte eine eigentümliche Schwäche aus. Sie lässt das kirchliche Profil der Seelsorge eher unscharf werden, weitet ihr Programm und verwischt ihr Proprium. Wenn aber ȤȤ die Zentralisierung im Gesundheitswesen und der Trend zu Großkliniken den Professionalisierungsdruck erhöht, ȤȤ durch die Spezialisierung der Medizin das interprofessionelle Gespräch mit den Ärzten und dem Pflegepersonal erschwert wird ȤȤ und die Effizienzsteigerung als Maxime die Betriebskultur des Kranken­ hauses dominiert, erhöht sich die Spannung zwischen dem seelsorglichen Dienst der Kirche als einem diakonischen Akt und anderen Dienstleistungen der Organisation. Diese Spannung ist unvermeidbar, weil sie das kirchliche Selbstverständnis betrifft. Die Krankenhausseelsorge sorgt nicht in erster Linie für das Funktionieren des Betriebs – sie sorgt sich um die kranken Menschen!8 Gleichwohl wäre es übertrieben zu behaupten, Entwicklungen im Gesundheitswesen stellten die Krankenhausseelsorge als Profession, die sich als kirch­ 6 Ansorge, 2016. 7 Fintrop, 2014. 8 Vgl. dazu auch Schneider-Harpprecht, 2005a.

IV

544

Ralph Kunz

licher Dienst dem Organisationsprinzip nicht ganz unterordnen kann, prinzipiell infrage. Zunächst ist es die Seelsorge selbst, die in ihrem beruflichen Selbstverständnis herausgefordert ist! Wie viel Widerstand ist nötig und wieviel Kooperation ist zwingend, damit die Seelsorge das tun kann, was den Menschen dient? Die Frage ist durchaus brisant. Sie stellt sich zum Beispiel da, wo sich die Seelsorge als Teil einer interprofessionell geübten Spiritual Care in die geregelte klinische Arbeit einordnet. 1.2  Spiritual Care als Chance und als Bedrohung

IV

Damit ist eine Thematik angesprochen, die in den nächsten Jahren die Diskussion bestimmen wird. Die Krankenhausseelsorge sollte sie als Chance nutzen, ihren eigenen Kodex zu begründen und ihr Selbstverständnis zu kommunizieren. Sie soll sich in die Gesundheitspolitik einmischen und diejenigen Kräfte unterstützen, die gegen eine unbarmherzige Ökonomisierung und Rationalisierung opponieren. Und sie soll sich mit anderen Professionen zusammen als Anwältin für eine ganzheitliche und personenzentrierte Medizin engagieren.9 Denn die Krankenhausseelsorge ist in diesem Engagement ja nicht allein! Partnerschaften und Koalitionen innerhalb des Systems werden immer wichtiger. Das Bild der Kirche als einer einsamen Ruferin in der säkularen Wüste der Gesundheitsindustrie ist darum wenig hilfreich. Vor allem wird so ausgeblendet, dass die Entwicklungen im Gesundheitswesen in den letzten Jahren nicht einlinig verlaufen sind. Der Sammelbegriff Spiritual Care steht u. a. auch für eine »gemeinsame Sorge für den kranken Menschen«10 und ist – je nach Blickwinkel – eine Bewegung oder Gegenbewegung innerhalb des naturwissenschaftlich-technisch dominierten Subsystems Gesundheit. Für das Selbstverständnis der Krankenhausseelsorge macht es einen erheblichen Unterschied, ob sie sich in der Rolle als professioneller Sonderling gefällt oder mit anderen Gesundheitsberufen zusammenrauft. Im Berufsalltag zeigt sich die Relevanz dieser Entscheidung. Wenn beispielsweise die Seelsorgeverantwortlichen auf einer Palliativstation ohne Rücksprache mit den Teamkolleg*innen aus der Psychoonkologie, der Musikund Psychotherapie ihre Patient*innen besuchen, kann dies für Irritationen sorgen und als unprofessionell wahrgenommen werden. Vernetzung, Teamarbeit und ein gemeinsam besprochenes Vorgehen sind gefragt.11      9 Rationierte Medizin ist ein Thema in der medizinischen Versorgung von Hochaltrigen. Vgl. Müller, 2012. 10 Roser, 2017b, S. 434. 11 Vgl. Mader, 2017, S. 172.

Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft

545

Wie weit lässt sich aber der prophetisch-diakonische Dienst der Seelsorge als Glied in einer Behandlungskette verstehen? Lässt sie sich ohne einen erheblichen Profilverlust in ein therapeutisches (oder palliatives) Setting eingliedern? Wenn dezidierte Stimmen vor einer Verwässerung oder gar Auflösung des seelsorglichen Profils sprechen, scheint in dieser Auseinandersetzung eine Verteidigungsoder Angriffshaltung geboten zu sein. Verdrängt Spiritual Care die Seelsorge? 1.3  Die Spiritualität der christlichen Seelsorge Einige in den letzten Jahren erschienene Schriften legen diesen Schluss nahe.12 Simon Peng-Keller hält dagegen und betont: »Die Diskussion um das Verhältnis zwischen Klinikseelsorge und Spiritual Care bekommt […] einen völlig anderen Drive, wenn man versucht, die Bezugspunkte genauer zu bestimmen. Dabei stehen nicht nur unterschiedliche Seelsorgeansätze zur Diskussion, sondern auch divergierende Spiritual Care-Modelle.«13 Letztere lassen sich nach Bruce Rumbold in drei Typen unterscheiden. Ein erstes Modell kann als eine Erweiterung des biopsychologischen Gesundheitsmodells begriffen werden. Sitz im Leben ist die Klinik. Das zweite Modell betont den Aspekt der gemeinschaftlichen und ethischen Praxis in der größeren Community, während im dritten Modell die Möglichkeit der spirituellen Heilung von der rein körperlichen Heilung unterschieden und priorisiert wird.14 Verstehe man Spiritual Care als sortalen Begriff für ein plurales Forschungs- und Praxisfeld, so Peng-Keller, könne man diese nicht mehr als einen bestimmten Ansatz identifizieren. Die Einwände gegen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit betreffen nicht die Spiritual Care als Ganzes, sondern nur ein bestimmtes Modell.15 Die typologische Differenzierung ist hilfreich für die reflexive Selbstklärung der Seelsorge. Die Opposition zielt eigentlich nicht gegen eine von allen Berufen mitverantwortete Spiritual Care, sondern gegen die Reduktion der in der 12 13 14 15

Vgl. Nauer, 2015, S. 229–375. Peng-Keller, 2017d, S. 415. Peng-Keller nimmt hier Bezug auf Rumbold, 2012. Dazu Peng-Keller, 2017d, S. 420: »Kirchliche Seelsorge und die sie begleitende theologische Reflexion stehen heute nicht vor der Frage, ob sie sich in diesem Rahmen (scil. der interprofessionellen Spiritual Care, RK) stellen sollen oder nicht, sondern wie sie das tun bzw. wie sie diesen Rahmen, zu dessen Herausbildung christlich inspirierte Bewegungen massgeblich beigetragen haben, auch in Zukunft kreativ mitgestalten können.«

IV

546

IV

Ralph Kunz

Seelsorge angewandten religiösen Handlungen zu einer Art Parabehandlung. An den sensiblen Stellen der religiösen Kommunikation regt sich ein institutioneller – allerdings konfessionell unterschiedlich akzentuierter – Widerstand gegen eine klinische Funktionalität.16 Dagegen wird auf die der Seelsorge eigene Aufmerksamkeits- und Gesprächskultur verwiesen. Die mit Geschichten gesättigten, mit Gottesvorstellungen verbundenen und in Wertvorstellungen eingebetteten rituellen Praktiken haben einen religiösen Eigensinn.17 Er leitet sich aus dem kirchlichen Auftrag ab. Es wäre für die reflexive Selbstklärung der Krankenhausseelsorge fatal, wenn daraus eine Fundamentalopposition gegen wie auch immer verstandene Spiritual Care würde. Genauso fatal wäre es, wenn der Auftrag der Seelsorge verloren ginge. Sie behandelt die Menschen nicht.18 Sie steht an der Seite der vulnerablen Patienten, die verletzlich sind, weil sie dem Handeln anderer ausgeliefert sind, denen sie vertrauen müssen. Das zu wissen und zu bezeugen ist ihr Beitrag zur Care: Menschen nicht nur als Adressaten medizinischen Handelns zu betrachten, »sondern als Menschen, die in ihrer je unterschiedlichen Individualität im Zentrum der Kultur in einem Krankenhaus stehen.«19 Dies erfordert von der Seelsorge eine Haltung, die mit dem Attribut professionell unterbestimmt und bestimmt auch unterkühlt bleibt. Nebst der Profession wird sich die Seelsorgetheorie auf ein zweites Referenzsystem berufen müssen, um ihr eigensinniges Berufsverständnis zu begründen. Von der Krankenhausseelsorge als einem kirchlichen Dienst zu sprechen, weist auf diesen zweiten Halt hin. Er bleibt aber mit dem Attribut institutionell genauso unterbestimmt und unterkühlt wie professionell. Die Seelsorge dient nicht der Kirche, sie ist ein Dienst der Kirche. Die Umkehrung erinnert daran, dass sich die Seelsorge einer ursprünglichen Bewegung verdankt, die quer zu den Schichten, Milieus und Ausdifferenzierungen der Gesellschaft zuerst das Menschliche sucht. Bei allen konzeptionellen Unterschieden wird sich eine Seelsorgetheorie, die sich als Teil der Spiritual Care versteht, deshalb auf die Spiritualität der Seelsorge im Geiste der Nachfolge Jesu berufen. Tut sie das nicht, bleibt alles Reden über den religiösen Eigensinn der Seelsorge irgendwie blutleer.

16 Vgl. den Beitrag von Michael Klessmann zu Fremdheit und Widerständigkeit von Krankenhausseelsorge in diesem Band. Vgl. auch Peng-Keller, 2017d, S. 416 f. 17 Josuttis, 2002. 18 Ähnlich Kössler/Mösli, 2014, S. 72. 19 Haker/Wanderer/Bentele, 2014, S. 16.

Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft

547

2  Der Raum für Kirche am Ort Krankenhaus 2.1  Ort, Nicht-Ort und anderer Ort Im mittelalterlichen Stadt- und Landschaftsbild war der kirchliche Dienst durch seine Gebäude sichtbar, erkennbar und identifizierbar. In Klöstern, Kapellen, Kirchen, Hospizen oder Siechenhäusern wurden die Werke der Barmherzigkeit als konkrete Ausgestaltung der Spiritualität Jesu gelebt. In der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft sind Kliniken in der Regel Örtlichkeiten, die nach pragmatischen Kriterien gestaltet sind. Michael Klessmann beschreibt das Krankenhaus in Anlehnung an Marc Augé als einen »Nicht-Ort«.20 Gemeint ist damit ein Ort, der durch seine kalte, vorläufige und flüchtige Qualität gekennzeichnet ist. Krankenhäuser sind atmosphärisch gesehen wie Bahnhöfe oder Flughäfen. Sie sind nicht nur äußerlich provisorisch, austauschbar und anonym. Auch die inneren Elemente des Gebäudes vermitteln einen unwohnlichen Eindruck. Jeder Flur und jedes Zimmer sieht sich ähnlich. Das hat seinen guten Grund. Die technisch-kalte Atmosphäre ist das Resultat des herrschenden Geistes. Weniger phänomenologisch und mehr soziologisch ausgedrückt bedeutet dies, dass das Krankenhaus eine Organisationskultur ausweist, die primär den Zweck erfüllt, Menschen physisch zu heilen. Weil dieser Auftrag in erster Linie technisch interpretiert wird, müssen andere Dimensionen der Heilung, wie sie im heilenden Handeln Jesu beispielhaft ansichtig geworden sind, nachgeordnet werden. Das ist im modernen Krankenhaus augenscheinlich der Fall. Es ist sozusagen ein in Stein gebautes Monument für den Siegeszug der modernen Medizin oder wie Werner Jetter es mit Blick auf die historischen Veränderungen im 19. Jahrhundert auf den Punkt bringt: »Man begab sich nicht mehr ins Hospital, um im Anblick des Altars gut zu sterben, sondern erhoffte an den neuartigen Behandlungsstätten alles von der Anwendung ärztlicher Kunst.«21 Die historische Reminiszenz verweist auf eine Spannung, die nicht nur für die Seelsorge im Krankenhaus bedeutsam ist.22 Schulen, Gefängnisse, Altersheime oder Kliniken sind Häuser, die dafür eingerichtet wurden, Menschen in irgendeiner Weise zu behandeln. Im Gebäude herrscht ein Regiment, das den Ort prägt. Für gottesdienstliche Handlungen findet sich allenfalls ein Raum. Es 20 Klessmann, 2007b, S. 239 f., zitiert Augé, 1994. Vgl. Fries, 2017, S. 156. 21 Klessmann, 2007b, S. 238, zitiert Artelt/Rüegg, 1967, S. 70–81. 22 Vgl. dazu Jobin, 2017. Jobin sieht in der Entwicklung zur Professionalisierung von Spiritual Care eine notwendige Neubestimmung der Rollen und Verantwortlichkeiten von Seelsorge und den spirituellen Kompetenzen verschiedener Gesundheitsberufe.

IV

548

Ralph Kunz

ist zwangsläufig ein anderer Ort.23 Er symbolisiert und konkretisiert räumlich jenes Gegenläufige, das auch die pastorale Profession vom Plural der professionellen Helfer abhebt. Wie grundlegend das räumliche Arrangement der Seelsorge im Krankenhaus ist, lässt sich auch an der Auflistung der exemplarischen Arbeitsfelder in diesem Handbuch ablesen. Und man mag die Tatsache, dass die Reflexion der (religiös verwendeten) Räume und Orte der Seelsorge gleichsam am Rande verhandelt wird, als Symptom für die kybernetische Situation der Berufspraxis lesen. Was die Seelsorger*in tut, geschieht vor oder nach der Behandlung oder zwischen Therapien in funktionalen Räumen. Während die Profession wandert, wird der Dienst der Kirche in der stabilitas loci des Gottesdienstraums öffentlich. 2.2  Seelsorge im Zwischenraum?

IV

In seiner Untersuchung zu Raum, Leib und Ritualität geht Thomas Fries davon aus, dass »bereits die Architektur der Krankenhäuser, das Vorhandensein und die Ausgestaltung von Gebets- und Meditationsräumen, Krankenhauskapellen oder -kirchen […] etwas über den zuerkannten Wert von Spiritualität« und Religiosität in der jeweiligen Institution aussagt.24 Ausgehend vom Leitgedanken eines engen Zusammenhangs von Räumen und menschlicher Leiblichkeit und Spiritualität fragt er nach der Ausstattung und Nutzung entsprechender Räumlichkeiten im Krankenhauskontext. Es liegt auf der Hand, dass diese Lokalitäten im Ensemble der funktionalen Einheiten einer Klinik »fast wie ein Fremdkörper«25 wirken. Einerseits ist ihre Randstellung sinnbildlich für den Ort, den die Religion in einem zweckrational orientierten Betrieb hat. Andererseits ist die Art und Weise, wie diese Räume genutzt werden, ein Indikator für die Pluralisierung der Gesellschaft. Fries kommt aufgrund seiner Beobachtungen zum Schluss: »Was sich derzeit in westlichen Gesellschaften an Wandel vollzieht (fortgeschrittene Säkularisierung, Individualisierung auch der spirituellen Bedürfnisse und Pluralität der Angebote), geht auch an den Krankenhäusern nicht 23 Grundlegend und weiterführend das Kapitel »Deutekunst: Seelsorge als Heterotopie und Heterochronie – Spiritual Care als ortsbezogener Transformationsprozess« von Roser, 2017a, S. 482–509. 24 Fries, 2017, S. 153. 25 Fries, 2017, S. 157. Wobei zu prüfen wäre, ob eine allzu strikte Gegenüberstellung der funktionalen Einheiten und der für den spirituellen Gebrauch reservierten Räume andere funktional äquivalente Gegenorte, wie zum Beispiel die Bibliothek, zu wenig in den Blick nimmt.

Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft

549

vorbei. […] Es ist festzustellen, dass die für spirituelle Vollzüge reservierten Räume derzeit auf plurale und kreative Weise für spirituelle Einkehr und rituelle Vollzüge verwendet werden. Es gibt eine konfessionelle Nutzung, wie etwa für christliche Gottesdienste, aber ebenso finden sich Muslime individuell zum rituellen Gebet ein.«26 Fries’ Beobachtungen beziehen sich auf zwei universitäre Krankenhäuser in urbanen Zentren. »In beiden [untersuchten] Fällen sind sich die Seelsorger, die einen christlichen Hintergrund haben, der Herausforderungen bewusst, dass sich die Pluralität spiritueller Praxis auch in seiner verleiblicht-räumlichen Form und den spirituellen Angeboten niederschlagen muss«.27 Im Universitätsspital Lausanne zeigt sich dies in der flexiblen Umgestaltung der Kirche. »[T]emporäre und fixe Installationen« (Kerzen, Kunst und Natursymbole) öffnen den Raum für unterschiedliche Lesarten.28 Anhand der Raum­ gestaltung lassen sich die Konturen einer pluralitätssensiblen Krankenhausseelsorge anschaulich machen. Aber inwiefern leisten die Seelsorger*innen noch einen Dienst der Kirche? Und trifft die von Michael Klessmann geprägte Formel vom »Zwischenraum« der Krankenhausseelsorge das Modell, das Fries in seiner Untersuchung zeichnet? Seine durchgehende Verwendung von »spirituell« zeigt eine Problematik an, die zwangsläufig mit der Weitung und Öffnung des beruflichen Profils verbunden ist. 2.3  Der Raum als Aufgabe und Gabe der Seelsorge Das Krankenhaus ist eine sich rasant entwickelnde und immer komplexer werdende Umwelt der Seelsorge. Als ein Dienst im Betrieb ist sie Teil einer Organisation, die ihrerseits als ein Teilsystem den Regeln der Gesundheitsindustrie und -politik unterworfen ist. Veränderungen des Gesamtsystems werden auf der untersten Ebene als Anpassungsdruck empfunden. Während sich der klinische Bereich der Medizin immer stärker spezialisiert, bleibt das Krankenhaus ein Ort, an dem alle Generationen, Schichten, Milieus und Kulturen zusammenkommen. Es bildet so etwas wie einen Kristallisationspunkt einer Gesellschaft, 26 Fries, 2017, S. 164 27 Fries, 2017, S. 164. 28 Fries, 2017, S. 164.

IV

550

Ralph Kunz

die sich immer stärker pluralisiert. Entsprechend verwinkelt, verschachtelt und vielverzweigt ist das System Krankenhaus. Der Ort hat viele Räume, Abteilungen und Unterteilungen. Sich in einer großen Klinik zurechtzufinden, ist nicht ganz einfach. Und manchmal ist es schwierig, die Spitalkapelle oder den Raum der Stille zu finden …

3 Die Berufung der Seelsorger*innen im Plural der Berufe 3.1 Das Amt der Seelsorge im Team der professionellen Helfer

IV

Für den kirchlichen Dienst der Seelsorge konnte sich dennoch die Hirtenmetaphorik behaupten. Das ist einerseits als ein Reflex auf die dominante Versorgungsstruktur der Kirche zu interpretieren und andererseits dem starken Bild des guten Hirten, der seine verlorenen Schafe sucht, zu verdanken.29 Dass die Seelsorger*innen auf den Korridoren wandern müssen, um Menschen zu dienen, die stationär vor Ort sind, ist zugleich ein Sinnbild für die Mission der Kirche und Ausdruck der Berufung im Beruf der Seelsorgerin. Sie kommt mit dem klassischen, am Pastoral orientierten Amtsbegriff nicht angemessen zum Ausdruck. Was im Deutschen Dienst und im Englischen ministry oder chaplaincy heißt, trifft es besser.30 Im Dienstbegriff ist allerdings auch das ministerium mitenthalten, das sich vom sacerdotium (dem allgemeinen Priestertum) abhebt.31 Wenn das helfende Aufsuchen der Patient*innen als grundlegende Aufgabe der pastoralen Care gesehen wird, liegt es nahe, hier auch ihre Gabe zu erkennen. Das Amt bindet die Pflicht kirchlicher Präsenz an den charismatischen Auftrag zurück, »aus der heilsamen Präsenz des Heiligen Geistes zu wirken und sie zu vergegenwärtigen«32. Krankenhausseelsorge als kirchlicher Dienst soll darum in der Spannung von Amt und Charisma begriffen werden. Was sie tut, darf nicht auf den religiösen oder spirituellen Teil der Versorgung reduziert werden, weil dies eine Anthropologie implizieren würde, die den Menschen in seine physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse aufspaltete. Seelsorge widerspricht diesem Bild – nicht weil sie sich gegen eine gemeinsame interprofessionell geübte Sorge für den Patienten sperren will, sondern weil sie sich darin

29 Prägend Martin Bucer mit seiner Schrift »Von der wahren Seelsorge und dem rechten Hirtendienst« (1538). Bucers Texte sind leicht modernisiert zu finden in Gronauer, 2002. 30 Paget/McCormack, 2006. 31 Bullinger, 1998, S. 92 f. 32 Peng-Keller, 2017d, S. 420.

Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft

551

als profilstarke Profession erweist, wenn sie sich für eine ganzheitliche Sicht des Menschen einsetzt. Seelsorge ist immer auch Leibsorge.33 3.2 Seelsorge als Gemeinde auf Zeit Analog zur Kritik an der Beschränkung der Krankenhausseelsorge auf die Krankenseelsorge muss auch eine Beschränkung der Krankenhausseelsorge auf die Krankenhausseelsorger*innen ein Thema der kritischen Selbstreflexion sein. So wie die Krankenseelsorge die systemische Einbindung der Seelsorge aus dem Blick zu verlieren droht, läuft eine auf Kompetenzen der Person fixierte Pastoraltheologie Gefahr, den kirchlichen Dienst der Krankenhausseelsorge auf die Berufsausübung theologisch ausgebildeter Individuen zu verengen. Als Vertreter der Kirche bringen die Seelsorger*innen nicht nur sich selbst zum Mitmenschen. Wo zwei (oder drei) sich zur Seelsorge versammeln, entsteht eine Gemeinde auf Zeit – möglicherweise auch eine Weggemeinschaft zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeiten! Der Begriff der Weggemeinschaft oder »Gemeinde auf Zeit«34 ist geeignet, um die fragile und offene Situation einer Begegnung zu umreißen. Das Charakteristische der seelsorglichen Gelegenheit für Kirche lässt sich, wie oben gezeigt, mit der elementaren, am Leib orientierten Raummetaphorik ausdrücken. Die Begegnung hat aber auch eine Zeitdimension. Nicht nur der Raum, auch die Zeit ist knapp. Und wenn die Krankenhausseelsorge als wandernde Profession keinen Ort hat, schafft sie doch einen Zeitraum für Begegnungen, indem sie Handlungsroutinen unterbricht.35 In beiden Dimensionen setzt die Seelsorge ein Signal für ein anderes Paradigma. Im Kairos der Zwischenzeit kann sich etwas ereignen, das nicht auf Dauer und Verbindlichkeit angelegt ist, aber vom Vertrauen in die Verlässlichkeit einer Beziehung getragen wird, die nicht in erster Linie auf Sympathie, sondern auf Empathie beruht. Der Dienst der Kirche, die sich in der Nachfolge Christi als Gemeinde auf Zeit versteht, wäre dann auch ein Dienst, der die eigene Konstitution durch konfessionelle Bekenntnisgebundenheit und parochiale Zugehörigkeit zu relativieren bereit ist. Gerade darin erweist sich Seelsorge als Liebesdienst der Kirche, dass sie nicht das Ihre sucht (1. Kor 13,5). Die Selbstrelativierung der Institution ist nur dann glaubwürdig, wenn ihre Diener den Christus im anderen lieben: »[Weil] Christus an meinem Bruder 33 Schneider-Harpprecht, 2005b. 34 Zum Begriff und zur Bedeutung von Gemeinden auf Zeit vgl. Bubmann/Fechtner/Weyel, 2014. 35 Die Dimension der Unterbrechung kommt paradigmatisch in der Gottesdienstfeier zum Ausdruck. Vgl. dazu Kössler/Mösli, 2014.

IV

552

Ralph Kunz

schon längst entscheidend gehandelt hat, bevor ich anfangen konnte zu handeln.«36 Dieser gewiss sehr steile Satz aus Dietrich Bonhoeffers »Gemeinsames Leben«, kann auch als ekklesiologischer Leitsatz für den kirchlichen Dienst der Krankenhausseelsorge gelesen werden. Wenn die Seelsorge das Gegenüber »für Christus« freigibt, aktualisiert sie eine Gemeinschaft, die schon realisiert ist. Das Flüchtige der Begegnung ist gehalten und geborgen von »guten Mächten«, die wunderbar gegenwärtig sind. 3.3 Seelsorge als Präsenz der Kirche

IV

Die Anwesenheit von Seelsorger*innen am Krankenbett, auf Fluren oder in Beratungsrunden wird immer wieder als Da-Sein beschrieben, als eine Präsenz, in der etwas von der Gegenwart Gottes spürbar werden kann.37 Man kann die Wertschätzung, die Krankenhausseelsorge genießt, als eine Ahnung für die »Spuren der Engel« interpretieren38, die auch dem säkularen Zeitgenossen geblieben ist. Aus soziologischer Distanz betrachtet ist die Akzeptanz für den seelsorglichen Dienst der Kirche im Krankenhaus ein Ausdruck für das, was Grace Davies vicarious belief nennt.39 Der Beruf der Seelsorger*in repräsentiert für diejenigen, die Seelsorge erfahren, den Glauben einer Minderheit – einen Glauben, eine Liebe und eine Hoffnung für die sie auch dann dankbar sind, wenn sie sie selbst nicht (mehr) mit einem Bekenntnis verbinden können. Wenn es in der Diskussion um die zukünftige Gestaltung von Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche grundlegend um die Frage geht, wie sich Kirche auf die gegenwärtige Gesellschaft bezieht, geht es umgekehrt auch darum, wo und wie sich die gegenwärtige Gesellschaft (noch) auf eine Kirche einlassen will, die ihren Dienst an Menschen als einen göttlichen Auftrag versteht. Es ist nicht zuletzt das Verdienst der Seelsorge im Krankenhaus, wenn die Mission der Kirche als glaubwürdiges Zeugnis wahrgenommen wird.

36 Bonhoeffer, 2006, S. 21. 37 Roser, 2017b, S. 437. 38 Berger, 1970. 39 Davie (2007, S. 22) definiert »The notion of religion performed by an active minority but on behalf of a much larger number, who (implicitly at least) not only understand, but, quite clear­ ly, approve of what the minority is doing.«

Sachregister Abdankungsritus 390 Abschiedsraum 252, 287, 397 Achtsamkeit 134, 146, 306, 361, 411 ACK-Klausel 451 Adjuvante Therapien 180 Advanced Care Planning 411 Aggression 172, 173, 236, 398, 480 Allmacht 106, 420, 421, 516 Altersbegrenzung 452 Altruismus 435 Ambiguität 16, 342 Amt 43, 44, 52, 105, 109, 110, 112, 114, 188, 264, 281, 364, 374, 444–448, 450–453, 481, 482, 492, 503, 506, 509, 541, 542, 550 Amtsverschwiegenheit 491, 494 Amtsverständnis 447 Angst 66, 124, 138–140, 151, 167, 168, 182, 187, 204–206, 215, 223, 247, 285, 329, 378, 385, 398, 409, 430, 473 Angsterkrankungen 152 Anthropologie 34, 54, 60, 61, 63, 158, 262, 298, 299, 308, 340, 358, 361–363, 396, 405, 417, 550 Apostel 34, 500 Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen 520 Arbeitszufriedenheit 457, 464, 469 Architektur 36, 101, 548 Ärger 133, 173, 214, 350, 393, 476, 480 Arzt-Patienten-Beziehung 96, 299 Association of Professional Chaplains 491 Atmosphäre 10, 22, 25, 134, 136, 170, 203, 250, 264, 329f., 349, 352, 382, 547 Atmung 129, 130, 132, 139, 169–171, 177, 266 Auschwitz 67, 69, 73, 74 Aussegnung 170, 197, 198, 213, 252, 273, 287, 309, 382, 390, 399, 501 Authentizität 82, 89, 273 Autonomie 168, 224, 228, 235, 237, 261, 262, 284, 326, 381, 412 Barmer Theologische Erklärung 534 Behandlungsentscheidung 335, 337, 338, 340, 343, 461 Behindertenarbeit 281 Beichte 35–37, 213, 382, 492–494, 501 Beichtgeheimnis 494

Belastungsfaktor 206, 208, 210, 277, 462, 465 Benediktinerregel 36 Beratungsformate 454–457, 460 Beratungsfunktion 467 Beratungskompetenz 363 Berufsethos 103, 364 Besuchszeiten 280 Betreuungsfrequenz 305 Beziehungskompetenz 265, 473, 477, 484, 486 Bibliotherapie 442 Bildungsprozesse 357, 367 Biografiearbeit 194, 221, 227 Broken-Heart-Syndrom 153 Buddhismus 369 Buddhisten 205 Burnout 304, 305, 462 Charisma 550 Chemotherapie 83, 167, 170, 172, 174, 177– 180, 184, 253 Chest-Pain-Unit 151, 153 Christian Medical Commission 54 Christus Medicus 35 Clinical Pastoral Training 39, 472 Coaching 17, 358, 363, 456, 479, 493, 496, 501 compassion 394, 469 Communitas 390 Copingstrategie 151, 276 Corporate Identity 97 critical life events 250 Delir 258 Depression 152, 154, 183, 210, 234 Desillusionierung 185, 468 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) 216, 493 Deutsche Gesellschaft für Pastoral­psychologie 471, 520 Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention 232, 243 Deutscher Ethikrat 95, 96, 359 Deutscher Evangelischer Krankenhaus­ verband 336 Diakonie-Care 312 Dienst- und Fachaufsicht 103, 108, 211, 309, 448

554 Diözese 41, 107, 108, 111, 449, 507, 517, 518, 521, 522 Diversität 368, 543 Dokumentation 23, 31, 96, 200, 206, 211, 213, 224, 296, 298, 359, 370, 373, 458, 487–496, 498, 519 Dolmetscherliste 375 DRG 92–95, 98, 103 Dyspnoe 177 Echtheit 476 Ehrenamt 29, 40, 41, 104, 105, 109, 110, 165, 346, 361, 414, 444–453, 482, 485, 486, 491, 495, 504, 506, 515, 519 Emanzipation 334 Empathie 17, 24, 171, 289, 375, 377, 476, 551 Endlichkeit 185, 186, 208, 209, 226, 264, 268, 269, 277, 278, 381, 514 Entlassmanagement 280 Enttäuschungsmanagement 454, 461, 468 Ergebnisqualität 404, 538 Erinnerungskästchen 135 Erzählraum 52 Ethikberatung 126, 333, 335, 337, 393, 394 Ethik-Kodex 544 Ethikkomitee 307, 332, 336, 337, 339, 343, 399, 494, 495, 522 ethische Kompetenz 334, 335, 341, 342, 474 ethische Metakompetenz 343 ethische Standards 490 European Research Institute for Chaplaincy in Healthcare (ERICH)\ 497 Euthanasie 426, 427 Evangelisches Krankenhaus 307, 308 Exerzitien 61, 148, 502, 517, 518 Existenzielle Kommunikation 312, 329 Extubation 245 Fachkonferenz Kinderklinikseelsorge 244, 252, 253 Fachkräftemangel 96, 200, 304, 359, 453 Fallsupervision 363, 458 Familienberatung 117 Familiensysteme 144, 146, 205, 248 Fantasiereise 173 Fatigue 177, 185, 220, 409 Feindseligkeit 154 Feldkompetenz 209, 363, 366, 406, 411, 527, 539 FICA 291

Sachregister

Finanzierung 28, 41, 99, 117–119, 307, 323, 326, 343, 359, 487, 519, 524, 533, 536 Fort- und Weiterbildung 296, 336, 341, 362, 363, 366, 367, 373, 375, 472, 473, 493 fragmentarisch 162, 396 Fragmentarität 155, 365 Frauenheilkunde 164, 165 Freies Gruppengespräch 476 Fremdheit 17, 18, 24, 49, 209, 391, 392, 404, 526, 530 Frühgeburtlichkeit 126, 130–132 Frühwarnsysteme 288 funktionale Differenzierung 80, 81 Gebärmutter 165, 177, 245 Gebetskultur 328–331 Gedächtnisprotokolle 475 Gedenkfeier 30, 123, 136, 212, 214, 349, 410 Gedenkgottesdienste 345, 349, 350, 501, 506 Geheimnis 20, 49, 71, 185, 186, 212, 299, 395 Geh-Struktur 40, 158, 310 Gemeindeseelsorge 29, 157, 507, 508, 540 Gemeinde vor Ort 453 Generativität 225, 285 Genitalbereich 165 Geriatrie 23, 188–193, 195, 196–199, 201, 393, 509 Gesprächskunst 341 Gesprächspsychotherapie 476 Gestaltseelsorge 471 gestalttherapeutisch 507 Gesundheitsbegriff 27, 396 Gesundheitsberufe 23, 24, 55, 94, 216, 291– 293, 296, 304, 308, 309, 357–360, 363, 544 Gesundheitsförderung 27, 56, 464 Gesundheitspolitik 544 Gesundheitssystem 24, 60, 194, 412, 453, 519, 522 Gesundheitsversorgung 59, 64, 92, 93, 487, 490, 543 Gewissen 37, 340–342, 432, 456, 497 Gewissensfreiheit 340 Glaubenserfahrung 303, 511 Gleichberechtigung 464, 465 Globalisierung 59, 373 Golgatha 67, 73 Gottesbild 183, 251, 514 Gottesdienst 25, 31, 59, 72, 117, 158, 188, 198, 262, 309, 310, 329, 344–353, 364, 391, 403, 422, 430–432, 449, 501, 516, 521, 537, 547

Sachregister

Gottesfurcht 422, 433, 434 Gottesglaube 417, 431 Gottverlassenheit 73, 209 Gottvertrauen 129, 130, 245, 273 Grundgesetz 192, 391 Grundlagenforschung 418 Grüne Damen 165, 449, 504 Gruppengespräch 473, 476 Hadith 413 Handlungssicherheit 261, 487 Handwerkerdienste 362 Heiliges 31, 61, 70 Heilsein 409 Heilungsauftrag 39, 54, 59, 60, 64 Herzrasen 387 Heterotopie 20, 30, 103, 153, 531, 532, 537, 539, 548 High-Tech-Medizin 300 Hilflosigkeit 177, 202, 209, 247, 274, 516 Hinduismus 369 Hirnschädigung 256–258, 263, 264, 266, 267 Hospitalität 379 Hospizbewegung 445, 464 Humor 151, 207, 464 Ideale 78, 277, 421, 461 Identitätsbildung 289 Imagination 173, 175, 498 Immuntherapie 180 Indigenisation 538 Indikation 218–228, 233, 297, 341, 457, 515 Individuation 142, 384 Inhouseschulungen 296 Inkontinenz 189, 195, 387 Inkubator 123, 131, 254 innerbetriebliche Fortbildung 357, 358, 493 Innere Medizin 179, 494 Intensivstation 123–127, 132, 136, 138, 139, 141–148, 152 Interessenverbände 108 Interkulturelle Kompetenz 374, 375 Internetrecherche 248 Interprofessionalität 411 islamisch 23, 57, 373, 407, 413–443, 529 IT-Bereich 362 jüdisch 14, 23, 34, 73, 74, 139, 170, 407, 412 Jugendliche 244–247, 250–252, 260

555 Kardiologie 24, 149, 151, 152, 156–158, 162, 163, 189 Kasualgottesdienst 345, 352 Katholischer Krankenhausverband Deutschlands 336 Kinderklinik 136, 152, 244–247, 252–254, 345, 353, 408 Kirchenjahr 71, 353, 514 Kirchenordnungen 37 Kirchensteuern 118 Kirchenzucht 36, 37 kirchliche Gemeinschaften 515 kirchliches Proprium 541 klientenzentriert 342, 414 Klinikclown 449 Kliniklandschaft 538 Klinikleitung 28, 103, 167, 314, 322 Klinische Ethik 334, 339, 340, 343 klinische Ethikberatung 336, 337, 339, 393 klinisches Ethikkomitee 339, 399 Kloster 36, 67, 372, 513, 547 Kommunikation des Evangeliums 18, 26, 74 Kommunikationseinschränkungen 195 Kommunikationsfähigkeit 23, 267, 450, 477, 480, 481 Kommunikationskanäle 145, 266 Kommunikationsmedien 80, 194 Kommunikationstechniken 195 Kommunion 117, 213, 273, 449 Komplexbehandlung 191, 200, 201 Konferenz der Krankenhausseelsorge in der EKD 40 Konferenz Katholische Krankenhaus­ seelsorge 40 Konfessionalität 490 konfessionelle Prägung 404 kontemplativ 146 Kontextsensitivität 382 Kontingenz 100, 381 Kontrollverlust 204, 223, 228, 381, 385–387 Konzeptqualität 404, 538 Kopftuch 293 Koran 372, 413–441 Koronare Herzkrankheit 151, 152, 154, 155 Körpergedächtnis 260 Körper-Haben 384, 386–388 Körperlichkeit 168 Körperorientierte Seelsorge 169, 170, 172, 173 Körperspannung 259, 260, 266 Kraft zum Menschsein 22, 396, 496, 524

556 Krankenhausbudget 118, 119 Krankenhausfinanzierungsgesetz 95, 99 Krankenhausgemeinde 444, 506 Krankenkassen 95, 108, 463 Krankenpflegeschule 358 Krankheitsverständnis 386, 395, 396, 398, 437 Krebs 65, 68, 165, 166, 176, 179, 181, 184, 334, 443 Krisenintervention 99, 146, 213, 403, 493 kritische Solidarität 535 Kultursensibilität 97, 128, 373 Kulturwandel 332, 543 Kurzatmigkeit 387 Kurzgespräche 29, 287 Kurzzeitpflege 190, 192, 199 Kybernetik 478, 479 Laien-Pastoral 501 Laienseelsorge 482 Lebensbedrohung 142 Lebensbilanz 203, 221, 227, 361, 488 Lebenskunst 193, 194 lebensmüde 233, 235, 239, 241, 283 Lebensprozess 138, 142, 143, 147, 148 Lebenssinn 138, 194, 208, 237, 311, 362 Lebensstil 153, 154, 157, 158, 247, 369 Leibphänomenologie 386 Leib-Sein 384, 386–388 Leitbild 9, 16–18, 28, 98, 192, 200, 250, 290, 306, 321, 392, 525 Leitlinien 14, 40, 156, 191, 216, 218, 363, 513, 518, 519, 524 Leitung 16, 31, 52, 108, 218, 479, 482, 491, 493, 501, 524, 525, 535–539 Liminalität 389 living human document 32, 472, 473 Logifizierung 385 Loyalität 97, 391, 407, 458, 491 Meditationspraxis 294 medizinethisch 98, 146, 336, 339, 341, 402 Medizinrecht 340 Medizinstudium 296 Mehrbettzimmer 160, 256, 284 Mehrfacherkrankungen 190 Menschenwürde 364, 427, 428, 441 Metapher 17, 47, 150, 162, 213, 387 Migration 59, 369, 372, 373, 376, 378, 542 Migrationshintergrund 95, 128, 368 Mimik 171, 256, 259, 260, 266

Sachregister

Mitarbeiterjahresgespräche 518 Modernisierungsprozess 80 Möglichkeitssinn 24, 384 Mönchtum 36 Mortalitätsrate 124, 153 multidisziplinäres Team 454, 461, 467, 468 Multimodalität 152 Multiplikatorenrolle 215 multiprofessionelles Team 123, 126, 165, 202, 213, 264, 286, 350, 519 Multireligiosität 542 Musiktherapie 210, 436 mutmaßlicher Wille 140, 263, 336, 341, 466 Mutterrolle 165 Muttersprache 214, 377, 487, 525 Nächstenliebe 36, 265, 406, 512, 513 narzisstische Kränkung 234 Nebenwirkungen 180, 190 Netzwerkarbeit 25, 30, 157, 499, 503–505, 507–510 Nicht-Ort 547 Niederlande 232, 447, 472 Notfallbegleitung 414, 415, 508 Notsectio 125 Öffentlichkeit 386, 441, 444, 542 Öffentlichkeitsarbeit 167, 215, 373, 400 Ohnmacht 17, 106, 124, 127, 134, 223, 225, 228, 247, 277, 514, 516 Ökonomisierung 28, 40, 92, 94, 96, 99, 101, 359, 360, 411, 464, 542–544 ökumenische Gedenkfeier 136 Ökumenischer Rat der Kirchen 54, 56, 57, 59, 60 Onkologie 22, 41, 176, 179–181, 216, 272, 376, 527 Organisationskultur 323, 324, 327, 338, 491, 547 Organismus 55, 395, 407 orthodox 214, 369 Ottawa Charta 56, 57 Paarbeziehung 248 Pädiatrie 244, 255, 280, 509, 573 Palliative-Care-Team 454, 461, 464, 468, 469 Paradigmenwechsel 181, 280, 541 Passion 410, 469 pastorale d’engendrement 42–48 pastorale Räume 111

Sachregister

Pathogenese 56 Patientencafé 177 Patientenrechte 341 Patientenwille 263, 399, 466 Patient Reported Outcome Measures PROMs 497 Patrozinien 104 Peergroup 247, 284 Personalität 340 Personenkompetenz 303 Personzentrierte Psychotherapie 471 Pflegeberuf 304, 305, 363 Pflegeheim 145, 188, 190, 226, 279, 317 Pietismus 37, 38 Pluralismus 338, 371, 542 Pneumatologie 63, 300, 383 Präeklampsie 125, 128 Pränataldiagnostik 123, 357, 399 Priestertum aller Gläubigen 43 Problempatienten 398 proCum Cert 97 Professionalisierung 32, 110, 414, 542, 543, 547 Professionalität 32, 88, 150, 167, 208, 253, 277, 318, 334, 341, 369, 482, 490, 491, 496, 518 prophetische Haltung 394 Prozessarbeit 145 Prozessqualität 404, 538 Psalmen 315, 385, 386 Psychiatriepfarrer 472 Psychodrama 471 Psychokardiologie 149, 156 Psychologischer Dienst 117, 362 Psychotraumatologie 146 Qualifikation 14, 29, 111, 145, 253, 254, 264, 265, 358, 406, 446, 460, 484, 504, 519 Qualitätsmanagement 108, 325, 333, 373 Qualitätssicherung 59, 100, 103, 129, 135, 298, 458, 461, 490, 497, 519 Querschnittsaufgabe 196, 313, 316, 317, 319, 373 Rahmenvereinbarung 521 Rat der Religionen 215 Rationalisierung 94, 544 Rationierung 94, 400 Raum der Stille 66, 118, 203, 287, 373, 411, 497, 532, 536, 550

557 Refinanzierungsmodelle 103 Rehabilitation 94, 152, 153, 156, 157, 190, 362 Relecture 26, 33, 45, 47, 50–53 Religionskritik 397 religionspädagogisch 367, 509 Religionssoziologie 79 religiöse Kommunikation 26, 79, 82, 88, 90, 91 Resilienz 149, 155–157, 234, 358, 361, 462, 464, 468, 507 Resonanz 22, 212, 264, 272, 404, 537, 538 Resonanzraum 410 Re-Traumatisierung 260 Risikoschwangerschaft 357 Ritualraum 389 Rollenspektrum 343 Rollenspiel 151, 479 Ronald-McDonald-Haus 129 Rufbereitschaft 409, 504 S3-Leitlinie 191, 202, 272 Sakramente 36, 45, 145, 249, 384, 392, 505 Sakramentenspendung 408, 505 Salbung 30, 35, 163, 198, 223, 273, 346–348, 387, 456, 501, 505 Salbungsgottesdienst 344–348, 353 Salutogenese 56, 163 Schädelhirntraumata 258 Schalom 27, 60, 61 Scham 68, 204, 221, 223, 237, 238, 293, 294, 299, 358, 488, 531 Schamangst 299 Schizophrenie 234 Schönheit 69, 159, 227, 228, 442 Schöpfungstheologie 263 Schuld 86, 125, 183, 212, 227, 242, 247, 341, 342, 365, 390 Schuldgefühle 157, 183, 214, 221, 223, 232, 234, 237, 238, 247, 263, 282, 361 Schutzfaktor 207, 208, 210, 464, 465 Schwangerschaft 65, 123–126, 128, 165, 167 Schwangerschaftsabbrüche 340 Schweigen 77, 101, 106, 270, 278, 386, 390 Screening 164, 219, 293, 294 Seelsorge-Ausbildung 264 Seelsorgebedarf 489 Seelsorgebewegung 32, 39, 334, 391, 405, 527 Seelsorgegeheimnis 16, 102, 211, 445, 446, 448, 491, 493, 519, 532 Seelsorgegeheimnisgesetz 445

558 Seelsorgegespräch 18, 28, 85, 156, 158–161, 163, 167, 183, 293, 303, 334, 382, 457, 493 Seelsorge-Kontrakt 532 Segen 68, 134, 141, 144, 173, 205, 214, 226, 265, 273, 347, 352, 409, 501 Sehnsucht 45, 70, 71, 77, 147, 185, 202, 209, 215, 269, 270 Selbstbestimmungsrecht 363 Selbsterfahrung 296, 473, 475–480, 484, 520 Selbsthilfegruppe 135, 157, 165, 281, 345–347 Selbsttötung 232, 234–238, 240, 241 Selbstvorwürfe 237 Selbstwirksamkeit 234 Sexualität 167, 168 Sh’ma Jisrael 73 Sinngewinn 463, 468–470 Sorgekultur 316 Spezialisierungsbedarf 541 SPIR 291 spiritual assessment 292 Spiritual Coaching 454, 461, 468–470 Spirituelle Anamnese 291–296, 298–300 spirituelle Dimension 43, 55, 56, 59, 64, 311, 318, 382 spirituelle Heilung 59, 60, 63 Staatsangehörigkeit 368, 378 Stahl und Strahl 179 Standesethik 340 Stationsbesprechung 171, 206 Stellenbeschreibungen 471 Stellen- und Haushaltspläne 517 Sterbehilfe 232, 233, 239–241, 462 Sterbewunsch 232, 239 Sterblichkeit 151, 179, 264, 269, 271 Sternenkinder 349 Strahlentherapie 166, 167, 169, 180 Suizid 183, 228, 232–242, 304, 462 Suizidneigung 233 Suizidopfer 349 Suizidversuch 233, 234, 236, 238, 357 Suizidzahlen 232 Systematische Theologie 77 Systemfremdheit 407 systemische Fragen 525 Taufe 123, 133, 134, 205, 245, 249, 352, 382, 384, 399, 451, 456 Teamentwicklung 102, 458 Teamsupervision 454, 457, 458, 461 Telefonseelsorge 361, 416, 451

Sachregister

Theodizee 65, 77, 351, 263, 514 Therapeutische Seelsorge 216, 405 Therapiebegrenzung 399 Therapieentscheidungen 96, 142, 181, 360, 458, 467 Tiefenpsychologie 145, 414, 471 Todesangst 151, 156 Tönen 171, 172, 348 Totengedenken 214 traditionelle Medizin 59 transreligiös 64 Trauerbeauftragte 499, 504 Trauerprozess 249, 250, 268, 270, 271 Trostspuren 8, 25, 487, 491, 497, 498 Übergangsriten 389 Überleitungsmanagement 117 Überredseligkeit 207, 465 Unbestimmtheit 22, 81, 82, 89–91, 215 Unsterblichkeitsillusion 271 Unterbewusstsein 282 Unterbrechung 328–331, 348, 365, 395, 399, 537, 551 Unterbrechungskultur 328–330, 399 Unternehmensverfassung 392 Untröstlichkeit 68, 69, 74, 76, 77 Unverfügbare 25, 63, 103, 278, 516, 532, 539 Urlaub 452 Valetsegen 390 vegetativer Zustand 258, 266 Vereinsamung 194 Verkündigung 17, 39, 46, 392, 449, 501, 513 Verletzlichkeit 23, 168, 209, 262, 299, 381, 389 Verlusterfahrung 186, 194, 208, 226, 250, 270, 271, 273, 274 Verschwiegenheit 211, 367, 452, 456, 487, 489–499 Versorgungsforschung 192, 267 Vervollkommnung 425, 432 Verweildauer 94, 156, 157, 167, 193, 482 Verzweiflung 66, 69, 70, 186, 204, 221, 223, 225, 234, 261, 390, 393, 409, 514 visionäres Erleben 55 Vorsorgeplanung 192 Wachkoma 256, 258–264, 266, 267 wanderndes Gottesvolk 502 Weiblichkeit 168

559

Sachregister

Weltanschauung 117, 212, 213, 215, 278, 331, 377, 412, 437, 456, 492, 529 Wertschätzung 211, 214, 249, 320, 347, 348, 395, 444, 463, 469, 476, 552 WHO 27, 56, 61, 202, 216, 437, 483, 520, 552 Wirkungen 31, 41, 59, 180, 184, 185, 190, 196, 220, 283, 365 Wunder 66, 68, 72, 150, 168, 172, 239, 255, 302, 357, 552 Wut 133, 172, 173, 223, 225, 226, 232, 234, 238, 248, 361, 390 Xenodochien 35

Yoga 370 Zeitdiagnose 338 Zeitmanagement 508, 532 Zen 371 Zertifizierung 97, 164, 533 Zeugnis 32, 44, 51, 62, 276, 445–447, 513, 515, 523 Zeugnisverweigerungsrecht 445 Zielgruppe 14, 35, 148, 455, 460, 486, 508 Zielvereinbarungsgespräch 108 Zuständigkeit 108, 113, 147, 313, 343, 411, 448 Zwei-Klassen-Medizin 400

Personenregister Ablett 462 Albrecht 345, 352 Albus 149, 153, 154, 156 Alexander 465 al-Ġazālī 443 Alt-Epping 240 Amery 234 Ammann 148 Anandarajah 299 Anderssen-Reuster 59 Anselm 339 Ansorge 543 Arendt 47 Arnaldez 423 Artelt 547 Aslan 413–415, 417 as-Surramarri 438 Ateş 420, 429 Augé 547 Augustin 71 Aulbert 202 Ausländer 66, 72, 74, 77 Bachert 303 Baierl 248 Balboni 217, 291, 298 Balducci 58, 60 Barth 303, 396, 496, 533 Bassiouni 428 Bauer 240, 243 Bausewein 179 Beauchamp 339 Bedford-Strohm 303, 402, 521 Beelitz 22, 23, 25, 359, 360, 487, 489, 492, 496, 519 Behrendt-Fuchs 451 Belok 369, 374, 406 Bender 61, 63 Benjamin 291 Bennesch 251 Bentele 338, 364, 542, 546 Berg 304 Berger 552 Berne 283 Best 299 Biel 451

Blumhardt 38 Boisen 472, 473 Bonhoeffer 71, 303, 552 Borasio 82, 128, 148, 255, 291, 314 Borck 24, 30, 109, 310, 364, 483, 490, 497, 524, 525, 528, 529, 531, 536, 538 Bormann 340 Bracks 462 Brathuhn 269 Brooks 260 Bruchhausen 59 Buber 396 Bubmann 194, 551 Bucer 550 Buche 182 Bullinger 550 Bürgel 420, 421, 438, 439 Calvin 383 Caro 152 Charlier 57 Cheraghi 57 Childress 339 Clark 210 Clauer 172 Clinton 154 Coakley 309 Cohen 59 Coors 200, 211, 493, 519 Crozier 490 Dalferth 263 Dangel 406 Davies 552 Derrida 290 Diamond 148 Diegelmann 173 Domin 72 Donegani 47 Dörries 126, 218, 246, 341 Dragano 179 Draguhn 159 Drehsen 491 Dreßke 83, 88 Durkheim 79, 285

561

Personenregister

Ebadi 57 Ebrahimi 57 Edmonson 61 Eliade 81 Emlein 18–21, 24, 496 Enomiya-Lassalle 371 Entralgo 34 Enzner-Probst 382 Erdem 415, 417 Erikson 289 Ernsting 347 Etzelmüller 58 Eurich 305, 396 Fechtner 551 Fegg 179, 183, 291 Feil 195 Fintrop 543 Fischer, Johannes 63, 364, 365 Fischer, Michael 23, 28, 104, 107–110, 318, 330, 453 Fishback Powers 67 Fittkau-Tönnesmann 209, 314, 315, 359, 484, 520 Fliedner 38 Foucault 21, 502, 531 Frankl 237 Freitag 515 Freud 397, 414 Frick 23, 59, 112, 212, 217, 273, 291, 296–299, 333, 360, 484 Friedberg 490 Friedman 34 Fries 547–549 Frör 138, 264, 265 Fuchs, Christoph 196 Fuchs, Ottmar 62 Fuchs, Thomas 160 Gabriel 196 Gargani 496 Gärtner 110, 331, 541 Gebler 251, 252 Gellner 371 Gerdes 182, 185, 187 Gernlach 139 Giacino 259 Göckenjan 83, 88 Goffman 398 Greiner 347 Grethlein 30, 345, 350, 352, 528

Grimes 383 Gronauer 550 Grossmann 325, 326, 327 Gün 378 Haart 24, 28, 92, 105, 200, 211, 337, 519 Hagen 24, 40, 82, 116, 209, 219, 314, 315, 359, 406, 484, 512, 520 Haker 338, 364, 542, 546 Halhuber 149, 154 Hämmerling 260, 267 Handzo 32, 488 Hannich 148 Hardeland 35, 36 Haupt-Scherer 254 Hauschildt 18–20, 308, 311, 360 Helbich 305 Helbig 98 Hemmerle 104, 106 Henderson 171, 172 Heydari 57 Hilpert 403 Hiltner 32, 496 Hippokrates 34 Hoffritz 96 Holder-Franz 212 Honecker 35 Hopkinson 462 Hoppe 96 Horneber 305, 306 Huber 173 Huguelet 299 Hüther 173, 185 Hvidt 299 Ibn ‘Arabi 372 Ibn Buṭlān 430 Ignatius 61 Ilkilic 426, 429, 437, 438 Iqbāl 423 Isermann 173 Jaberi 57 Jäger, Alfred 101, 392 Jäger, Dirk 181 Jakob-Krieger 463, 467 Jalics 148 Jeremia 159 Jetter 547 Joas 61

562 Jobin 217, 298, 547 Johannes XXIII 46 Johanns 160, 163 Jones, R. S. 462 Jones, L. S. 148 Jörns 242 Josuttis 59, 546 Jox 142, 148 Jung 414 Jünger 182, 218, 462 Kääb-Eber 25, 344, 349 Kälble 465 Karle 27, 34, 112, 157, 291, 297, 385, 386, 403 Kast-Streib 506 Kelly 63 Kern 463, 467 Khorashadizadeh 57 Kißler 266 Kittel 156, 363 Klein 414 Knoll 309, 505, 506, 509 Knöll-Herde 506 Koemeda-Lutz 168, 169, 173 Koenig 60, 358–360 Koeth 154 Köhle 148 Kohli Reichenbach 212 Körtner 338, 339, 341, 365, 366 Kössler 546, 551 Kotulek 198 Kovacs 152 Kröger 49 Krupp 191 Kühlmeyer 142, 148 Kühn 316 Ladwig 149, 153, 155–158 Lammer 23, 109, 255, 304, 363, 364, 374, 375, 377, 381, 454, 455, 457, 459, 483, 525, 538 Lampert 179 Lange, Dietz 341 Lange, Ernst 534 Lapide 74 Laureys 266 Lemmen 414 Leuenberger 352 Lévinas 100 Levi 69 Liebau 169, 170

Personenregister

Linden 236 Lipsch 374 Lobnig 325–327 Löhe 38 Lohse 191 Lowen 169, 172 Lublewski-Zienau 156, 158, 161 Lückel 496 Luhmann 80, 81 Luther, Henning 100, 384 Luther, Martin 37, 68, 73, 340 Mader 391, 405, 540, 544 Maio 58, 59 Marckmann 142, 181 Marcus 502 Marperger 38 Marquard 102, 336 Marx, Karl 397 Marx, Reinhard Kardinal 402, 521 Massey 32, 64 Mazlom 57 McAfee Brown 73 McCormack 550 McFarlane 148 McNamara 88 McWilliam 462 Mead 414 Mehler 100, 109 Melanchthon 68 Merkt 316 Mette, Johannes 59 Mette, Norbert 42, 43, 413 Metz 291, 395, 399 Meussling-Sentpali 312, 329 Meyer 63 Meyer-Blanck 150 Michal 154 Mindell 145 Mittelstraß 465 Modditt 58, 60 Modler-El Abdaoui 413, 414, 417 Moeller 63 Momennasa 57 Monin 264, 265 Monti 142, 266 Moreira-Almeida 60 Morgenthaler 129, 157, 248, 253, 382, 403 Mösli 216, 217, 223, 225, 546, 551 Müller, Heidi 45, 270

563

Personenregister

Müller, Joachim F. W. 324, 325 Müller, Luzius 544 Müller, Monika 204, 207, 208, 255, 269, 277, 462, 465 Müller-Tidow 181 Mummenhoff 341 Münzel 153 Mutz 322 Nabavi 57 Nacimiento 259 Nagase 56 Nauck 202 Nauer 18, 64, 112, 212, 285, 297, 404, 409, 454 Naurath 169, 388 Neitzke 341 Nelius 109 Neubart 192 Niethammer 248 Nolan 212, 217, 386 Nono 77 Noth 212, 297 Nouwen 253 Oberholzer 407 Ostermann 166, 169 Otto 81 Otzelberger 243 Owen 266 Paal 217, 296–298, 375 Paget 550 Panikkar 371 Papadatou 465 Papst Franziskus 513 Papst Johannes Paul II 516 Papst Paul VI 500 Park 61 Parker-Oliver 88 Parsons 79 Pawlik 240 Payne 182, 218 Peintinger 316, 317 Peng-Keller 23, 27, 54–56, 63, 112, 142, 212, 267, 332, 360, 406, 408, 483, 545, 546, 550 Pfaff-Czarnecka 282 Pfister 204, 207, 208, 277, 462, 465 Pfisterer 191 Pieritz 507 Pisarski 348

Platon 413 Plügge 387 Poelchau 496 Pöldinger 235 Puchalski 220, 291 Pujol 298 Pulheim 100 Radbruch 182, 202, 218 Rafael 139 Raiser 406 Reber 23, 28, 307, 313, 319, 328 Reddemann 173 Regitz-Zagrosek 153 Reich 169 Rentz 341 Rilke 231 Ringel 235 Ritschl 60 Rogers 405, 414, 476, 519 Rosenthal 152 Roser 13, 21–24, 27, 33, 60, 61, 82, 103, 109, 111, 112, 133, 143, 151, 155, 161, 182–185, 193, 209, 212, 216–218, 223, 225, 239, 245, 270, 276, 285, 296–298, 309, 314, 315, 322, 333, 338, 339, 341, 342, 353, 358–360, 364, 366, 376, 379, 386, 402–404, 410, 411, 451, 475, 483, 484, 488, 502, 520, 525, 531, 538, 544, 548, 552 Rössler 341 Ruch 483 Rückert 435 Rumbold 545 Rutter 234 Ṣāʿid ibn al-Ḥasan 429 Sass 437 Saunders 196, 210, 463 Scharfenberg 382 Schaupp 212, 302, 308 Schernus 101 Schimmel 423, 436 Schindler-Herrmann 347 Schipperges 36, 400, 437, 438 Schirmacher 181 Schlag 542 Schlaudraff 338 Schleidgen 181 Schleiermacher 38, 303, 371, 414, 533, 534 Schmidtbauer 309

564 Schmidt-Leukel 371 Schmidt-Rost 185 Schmohl 22, 176, 182, 183, 186 Schmolke 238 Schnegg 269 Schneider-Harpprecht 17, 165, 382, 543, 551 Schneider-Stengel 373, 374 Schnurr 464 Schoenauer 305 Schuchter 99 Schulze 133 Schwer 304 Scriver 364 Seiler 37 Sennett 97 Shut 270 Simon, Alfred 126, 240, 246, 341 Simon, Michael 40, 94, 95, 393 Sloterdijk, Peter 286 Smeding 252, 275 Sommerauer 133 Sperry 298 Spiewak 93 Stache 111, 193, 538 Städtler-Mach 109, 304, 305 Steffensky 209, 347 Steinforth 322 Steinmann 309 Steppacher 266 Stiller 184 Stolberg 185 Stollberg 32, 39, 405, 407 Strecker 384 Ströbe 270 Sturm 126, 339 Sundermeier 395 Swinton 63 Taves 61, 63 Taylor 61, 292 Theobald 44–47, 52, 53 Thilo 36 Thomas von Aquin 240 Thurneysen 39 Tiefensee 502 Tirier 183 Turner 388, 389 Tveit 54 Utens 152 Utsch 59

Personenregister

Vachon 462 Vagts 322 van der Kolk 148 van Gennep 82, 388, 389 Vattimo 498 Vermandere 299 Vetter 153 Virchow 400 Vollmann 341 von Bodelschwingh 38 von Harnack 35, 62 Wanderer 316, 338, 364, 542, 546 Wang 154 Wasner 184 Watt 439, 440 Weber 79, 318 Weidmann 62 Weidner 94 Weiher 20, 185, 272, 274, 300, 308, 359, 370, 409, 410 Weimer 497 Weinberg 254, 255 Weiß 157, 413, 472 Weissenrieder 58 Welter-Enderlin 382 Wemhöner 111, 193, 538 Wermuth 134 Wetzstein 340 Weyel 551 Wichern 38 Wielandt 428 Wiesel 73 Wild 151, 259 Willemsen 243 Willmann 270 Willms 302 Winkelmann 151, 155, 161, 162 Wintz 488, 491 Wortmann 341 Xenophanes 71 Yardim 414 Yektatalab 57 Zielke-Nadkarni 378 Zinzendorf 38 Zitt 311

Literatur

Ablett, J. R./Jones, R. S. (2007): Resilience and well-being in palliative care staff: a qualitative study of hospice nurses’ experience of work. Psychooncology, 16 (8), 733–740. Aerzteblatt.de (2011): Kommunikation in der Onkologie: 5 Fragen an Friedrich Overkamp (S. 1–2). http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/45107 (Zugriff am 20.10.2018). Aerzteblatt.de (2017): Mehr Fälle aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/74178/Mehr-Faelle-aktiver-Sterbehilfe-in-den-Niederlanden (Zugriff am 13.4.2018). Al-Ghasâli (1993): Das Elixier der Glückseligkeit. Aus den persischen und arabischen Quellen in Auswahl übertragen von Hellmut Ritter. München. Aland, K. (Hg.) (1983): Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, Bd. 10: Die Briefe (2. Aufl.). Göttingen. Albrecht, C. (2006): Kasualtheorie. Tübingen. Al-Buḫārī, Ṣ. (1989): Auszüge aus Ṣaḥīḥ al-Buḫāryy. Aus dem Arabischen übertragen und kommentiert von Abu-r-Ridāʾ Muḥammad Ibn Aḥmad Ibn Rassoul. Köln. Al-Buḫārī, Ṣ. (1991): Nachrichten von Taten und Aussprüchen des Propheten Muhammad. Ausgewählt, aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Dieter Ferchl. Stuttgart. Albus, C. (2011): Psychosoziale Aspekte in Entstehung und Verlauf der koronaren Herzkrankheit. Psychotherapie im Dialog, 12 (1), 13–18. Albus, C./Waller, C./Fritzsche, K./Gunold, H./Haass, M./Hamann, B./Kindermann, I./Köllner, V./ Leithäuser, B./Marx, N./Meesmann, M./Michal, M./Ronel, J./Scherer, M./Schrader, V./Schwaab, B./Weber, C. S./Herrmann-Lingen, C. (2018): Bedeutung von psychosozialen Faktoren in der Kardiologie. Update 2018. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Kardiologe (DOI: https://doi.org/10.1007/s12181–018–0271–4). Alexander, D. A./Ritchie, E. (1990): Stressors and difficulties in dealing with the terminal patient. Palliative Care, 6, 28–33. Alt-Epping, B. (2018): Con: Der FNFV ist keine Form des Suizids. Zeitschrift für Palliativmedizin, 19, 13–14. Amery, J. (1993): Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod (9. Aufl.). Stuttgart. Ammann, P. (2012): Reaching out to People in Comatose States: Contact and Communication. Norderstedt. Amt der VELKD (Hg.) (2017): Gute Hoffnung – Jähes Ende. Eine Hilfe für Eltern, die ihr Baby verloren haben, und alle, die sie unterstützen. Erarbeitet vom Konvent der Seelsorgerinnen und Seelsorger in Kinderkliniken und auf Kinderstationen im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) (12. Aufl.). Hannover. Anandarajah, G./Roseman, J./Lee, D./Dhandhania, N. (2016): A 10-year longitudinal study of effects of a multifaceted residency spiritual care curriculum: clinical ability, professional formation, end of life, and culture. Journal of Pain and Symptom Management, 52, 859–872.e1.

566

Literatur

Anselm, R./Schleissing, S. (Hg.) (2008): Ethik als Kommunikation. Zur Praxis klinischer Ethik-­ Komitees in theologischer Perspektive. Göttingen. Ansorge, D. (Hg.) (2016): Pluralistische Identität. Beobachtungen zur Herkunft und Zukunft Europas. Darmstadt. Arbeitsgemeinschaft der Chefärzte des Landesverbandes Geriatrie Brandenburg in Kooperation mit der Geriatrischen Akademie Brandenburg e. V. (2012): Geriatriekonzept Brandenburg (2. Aufl.). https://kcgeriatrie.de/Info-Service_Geriatrie/Documents/gk_brandenburg_2012. pdf (Zugriff am 10.12.2018). ARCHE NOVA (2018): Riss durchs Leben. http://www.archenova-net.de/arche_nova_rissdurchsleben.htm (Zugriff am 1.3.2019). Arnaldez, R. (1987): Le Moi divin et le Moi humain d’après le commentaire coranique de Faḫr al-Dīn al-Rāzī. In: R. Arnaldez (Hg.): Aspects de la pensée musulmane (S. 183–209). Paris. Artelt, W./Rüegg, W. (1967): Der Arzt und der Kranke in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Stuttgart. Aslan, E. (2013): Islamische Theologie in Österreich. Institutionalisierung der Ausbildung von Imamen, SeelsorgerInnen und TheologInnen. Frankfurt a. M. Aslan, E./Modler-El Abdaoui, M./Charkasi, D. (2015): Islamische Seelsorge. Eine empirische Studie am Beispiel von Österreich (S. 47–48). Wiesbaden. Assemblée plénière de l’épiscopat (1982): Des Propositions pastorales pour le monde de la santé. https://landes.catholique.fr/IMG/pdf/lourdes_82.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Association of Professional Chaplains (2011): Standards of Practice for Professional Chaplains in Long-term Care. http://www.professionalchaplains.org/files/professional_standards/standards_of_practice/sop_longtermcare.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Ateş, S. (1997–2003): Kur’ân Ansiklopedisi, Bd. 1–30. Istanbul. Augé, M. (1994): Ort und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Frankfurt a. M. Aulbert, S. E./Nauck, F./Radbruch, L. (Hg.) (2012): Lehrbuch der Palliativmedizin (3. Auflage). Stuttgart. Aurnhammer, K. (2013): Trostlose trösten – eine Aufgabe für die Palliativmedizin? Trost – eine menschliche Grunderfahrung. Zeitschrift für Palliativmedizin, 14 (5), 206–209. Ausländer, R. (2012): Gedichte. Frankfurt a. M. Bachert, S./Klindworth, J./Winkler, S./Winkler, T. (2013): Pause mit schlechtem Gewissen. In: Diakonie Deutschland/J. Stockmeier/A. Giebel/H. Lubatsch (Hg.): Geistesgegenwärtig pflegen. Existenzielle Kommunikation und spirituelle Ressourcen im Pflegeberuf, Bd. 2 (S. 65–73). Neukirchen-Vluyn. Bacq, P. (2012): Für eine Erneuerung vom Ursprung her. Auf dem Weg zu einer zeugenden Pastoral. In: R. Feiter/H. Müller (Hg.): Frei geben (S. 34–42). Ostfildern. Bacq, P./Theobald, C. (2004): Une nouvelle chance pour l’Évangile. Vers une pastorale d’engendrement. Bruxelles u. a. Bacq, P./Theobald, C. (2008): Passeurs d’Évangile. Autour d’une pastorale d’engendrement. Bruxelles u. a. Baierl, M. (2014): Hilfen für Eltern traumatisierter Jungen und Mädchen. In: S.  B.  Gahleitner/T. ­Hensel/M. Baierl/M. Kühn/M. Schmid (Hg.): Traumapädagogik in psychosozialen Handlungsfeldern (S. 151–162). Göttingen. Balboni, M. J. (2013): A theological assessment of spiritual assessments. Christian Bioethics, 19, 313–331. Balboni, M. J./Sullivan, A./Amobi, A./Phelps, A. C./Gorman, D. P./Zollfrank, A./Peteet, J. R./­ Prigerson, H. G./Vanderweele, T. J./Balboni, T. A. (2013): Why is spiritual care infrequent at the end of life? Spiritual care perceptions among patients, nurses, and physicians and the role of training. Journal of Clinical Oncology, 31 (4), 461–467.

Literatur

567

Balducci, L./Lee Modditt, H. (2012): Cure and healing. In: M. Cobb/Ch.M. Puchalski/B. Rumbold (Hg.): Oxford Textbook of Spirituality in Healthcare (S. 151–155). Oxford. Bargenda, H./Lammer, K./Terjung, J. (2013): Kostbare Zeit – Was Eltern erleben, wenn ihr Kind stirbt. Elterninterviews, Praxisberichte und eine wissenschaftliche Reflexion von Kerstin Lammer. Freiburg i.Br. Barth, K. (1951): Kirchliche Dogmatik III/4. Die Lehre von der Schöpfung. Zollikon u. a. Barth, U. (2003): Die religiöse Dimension des Ethischen. Grundzüge einer christlichen Verantwortungsethik. In: U. Barth: Religion in der Moderne (S. 315–344). Tübingen. Bassiouni, M. (2014): Menschenrechte zwischen Universalität und islamischer Legitimität. Berlin. Bauer, E. J./Fartacek, R./Nindl, A. (2011): Wenn das Leben unerträglich wird. Suizid als philosophische und pastorale Herausforderung. Stuttgart. Beauchamp, T. L./Childress, J. F. (2013): Principles of biomedical ethics (7. Aufl.). New York u. a. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hg.) (2015): Das kultursensible Krankenhaus. Ansätze zur interkulturellen Öffnung (3. Aufl.). Berlin. Bedford-Strohm, H. (2017a): Radikal Lieben. Gütersloh. Bedford-Strohm, H. (2017b): Geleitwort. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 21–22). Freiburg i.Br. Bedford-Strohm, H./Marx, R. (2017): Es gibt etwas zu feiern. ZEIT ONLINE, 44. https://www.zeit. de/2017/44/oekumene-reformationstag-katholiken-protestanten-einheit (Zugriff am 1.3.2019). Beelitz, T. (2015a): Zur Rolle von Spiritualität im Umgang mit ethischen Konflikten in der Psychiatrie. Wege zum Menschen, 67 (5), 464–482. Beelitz, T. (2015b): Pastoralpsychologie – Was ist das bloß und wozu ist das gut? Transformationen. Pastoralpsychologische Werkstattberichte, 23 (2), 4–45. Beelitz, T. (2016): Seelsorge aus GOS-Perspektive. Einige Hinweise mithilfe der Theologie. Transformationen. Pastoralpsychologische Werkstattberichte, 24, 24–57. Beelitz, T. (2018): Entwicklungen im Bereich von spiritual care weltweit. Perspektiven aus der Krankenhausseelsorge. Transformationen. Pastoralpsychologische Werkstattberichte, 29 (2), 4–38 (erneut veröffentlichte, reparierte Fassung). Behrendt-Fuchs, I. (2017): TelefonSeelsorge. In: T. Roser/F. Rüter/M. Stache/H. Wemhöner (Hg.): Verlässlich und erreichbar. Seelsorgepraxis in der Evangelischen Kirche von Westfalen (S. 133– 142). Bielefeld. Beirat der Abteilung Krankenpastoral in der Erzdiözese München und Freising (2017): Qualitätsstandards in der Krankenhausseelsorge der Erzdiözese München und Freising (unveröffentlichter Entwurf der Neuauflage). Belok, M. (2012): Die Spital- und Klinikseelsorge als Gesprächsseelsorge in einer religionspluralen Gesellschaft. In: M. Belok/U. Länzlinger/H. Schmitt (Hg.): Seelsorge in Palliative Care (S. 99–114). Zürich. Belok, M. (2014): Herausforderung Seelsorge. In: I. Noth/C. Kohli Reichenbach (Hg.): Palliative und Spiritual Care. Aktuelle Perspektiven in Medizin und Theologie (S. 61–83). Zürich. Bennesch, T. (2011): Wie sieht das Gottesbild von Kindern aus? Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 10 (2), 302–322. Berg, C. (2011): Erschöpfungssyndrom: Wege aus der Burnoutfalle. Pharmazeutische Zeitung online, 17/2011. Berger, P. L. (1970): Auf den Spuren der Engel. Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz. München. Berne, E. (2002): Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen. Reinbek. Best, M./Butow, P./Olver, I. (2015): Do patients want doctors to talk about spirituality? A systematic literature review. Patient Education and Counseling. 98 (11), 1320–1328 (DOI: 10.1016/j. pec.2015.04.017).

568

Literatur

Best, M./Butow, P./Olver, I. (2016a): Creating a safe space: A qualitative inquiry into the way doctors discuss spirituality. Palliative & Supportive Care, 14 (5), 519–531. Best, M./Butow, P./Olver, I. (2016b): Why do we find it so hard to discuss spirituality? A qualitative exploration of attitudinal barriers. Journal of Clinical Medicine, 5 (9), 77. Biel, E. (2006): Die Bedeutung des Ehrenamtes für das Konzept der TelefonSeelsorge. In: T. Weber (Hg.): Handbuch Telefonseelsorge (2. Aufl.; S. 43–48). Göttingen. Bieler, A. (2017): Verletzliches Leben. Horizonte einer Theologie der Seelsorge. Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie, Bd. 90. Göttingen. Biondo, P. D./Nekolaichuk, C. L./Stiles, C./Fainsinger, R./Hagen, N. A. (2008): Applying the Delphi process to palliative care tool development: lessons learned. Support Care Cancer, 16, 935–942. Bistum Münster (2013): Ordnung der Ausbildung zur Krankenhauspastoralreferentin/zum Krankenhauspastoralreferenten. https://www.bistum-muenster.de/fileadmin/user_upload/Website/Downloads/Bistum/BGV/500-SeelsorgePersonal/2018/2018–04–500-Ordnung-Ausbildung-PR-KHS.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Bonhoeffer, D. (1956): Akt und Sein. Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie. München. Bonhoeffer, D. (2006): Gemeinsames Leben, Leipzig. Borasio, G. D. (2013): Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen (10. Aufl.). München. Borck, S. (2006): Seelsorge in der Palliativmedizin. Bundesgesundheitsblatt, 11, 1122–1131. Borck, S. (2011): Sind refinanzierte Krankenhausseelsorge-Stellen ein Gewinn? Oder kommt, wer refinanziert wird, von der Rolle? Wege zum Menschen, 63 (6), 537–548. Borck, S. (2014): Die verborgenen Schätze der Krankenhausseelsorge und wie sie zu heben und neu in Beziehung zu bringen sind. Aufruf zum Aufbruch bei der diesjährigen Jahrestagung der Konferenz für Krankenhausseelsorge der EKD. Wege zum Menschen, 66 (6), 620–628. Borck, S. (2016): »Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben«. Die Kirche und ihre Dienste und Werke in den Herausforderungen der Gesellschaft. Kiel. Bormann, F.-J./Wetzstein, V. (Hg.) (2014): Gewissen. Dimensionen eines Grundbegriffs medizinischer Ethik. Berlin. Boysen, D./Boysen J. (1797): Beiträge zur Verbesserung des Kirchen- und Schulwesens in protestantischen Ländern I/2. Altona. Bracks, V. (2014): Burnout – ein Thema auf Palliativstationen? In: M. Müller/D. Pfister (Hg.): Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativ­ medizin (3. Aufl.; S. 31–34). Göttingen. Brandenburgisches Vorschriftensystem (BRAVORS) (2016): Fortschreibung des Dritten Krankenhausplanes des Landes Brandenburg. 13.6.1 Geriatrie. https://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/krankenhausplan2013#13.6.1 (Zugriff am 10.12.2018). Brooks, D. (1991): The Head-Injured Family. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology, 13, 155–188. Bruchhausen, W. (2006): Medizin zwischen den Welten. Vergangenheit und Gegenwart des medizinischen Pluralismus im südöstlichen Tansania. Göttingen. Bubmann, P. (2015): Gut leben lernen. Lebenskunst als Leitbegriff in Ethik und Praktischer Theologie. Zeitschrift für Evangelische Ethik, 59, 250–261. Bubmann, P./Fechtner, K./Weyel, B. (2014): ›Gemeinden auf Zeit‹. Empirische Wahrnehmung punktuell-situativer Formen evangelischer Kirche und ihre sozialitätstheoretische Reflexion. In: B. Weyel/P. Bubmann (Hg.): Kirchentheorie. Praktisch-theologische Perspektiven auf die Kirche (S. 132–143). Leipzig. Bullinger, H. (1998) Das Zweite Helvetische Bekenntnis. Ins Deutsche übertragen von W. Hildebrandt und R. Zimmermann (5. Aufl.). Zürich.

Literatur

569

Bundesamt für Gesundheit (BAG)/Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheits­ direktorinnen und -direktoren (GDK) (Hg.) (2011): Nationale Leitlinien Palliative Care. Bern. Bundesamt für Gesundheit (BAG)/Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) (2014): Empfehlungen für die allgemeine Palliative Care zum Beizug von Fachpersonen aus der Psychiatrie/Psychotherapie. Bern. Bürgel, J. C. (1991): Allmacht und Mächtigkeit: Religion und Welt im Islam. München. Büssing, A./Frick, E. (2015): Psychosoziale und spirituelle Bedürfnisse chronisch Kranker. In: A. Büssing/J. Surzykiewicz/Z. Ziemowski (Hg.): Dem Gutes tun, der leidet. Hilfe kranker Menschen – Interdisziplinär betrachtet. Berlin u. a. Büssing, A./Surzykiewicz, J./Zimowski, Z. (2015): Dem Gutes tun, der leidet. Hilfe kranker Menschen – interdisziplinär betrachtet. Berlin u. a. Caritas-Konferenzen im Erzbistum Paderborn e. V. (o. J.): Grüne Damen und Herren – Ehrenamt im Krankenhaus. www.ckd-paderborn.de/unser-verband/katholische-krankenhaus-hilfe/ katholische-krankenhaus-hilfe (Zugriff am 1.3.2019). Caro, A. M./Rosenthal, J. L./Pozuelo, L./Funk, M. C. (2016): What the Psychiatrist Needs to Know About Ventric-ular Assist Devices: A Comprehensive Review. Psychosomatics, 57 (3), 229–237. Charlier, P./Coppens, Y./Malaurie, J./Brun, L./Kepanga, M./Hoang-Opermann, V./Correa Calfin, J. A./ Nuku, G./Ushiga, M./Schor, X. E./Deo, S./Hassin, J./Hervé, C. (2017): A new definition of health? An open letter of autochthonous peoples and medical anthropologists to the WHO. European Journal of Internal Medicine, 37, 33–37. Chochinov, H. M. (2017): Würdezentrierte Therapie. Was bleibt – Erinnerungen am Ende des Lebens. Göttingen. Church of England House of Bishops Report (2000): A Time to Heal. A Contribution towards the Ministry of Healing. London. Clark, D. (1999): Total pain, disciplinary power and the body in the work of Cicely Saunders, 1958–1967. Social science & medicine, 49, 727–736. Clauer, J. (2009): Zum Grounding-Konzept der Bioenergetischen Analyse. Neurobiologische und entwicklungspsychologische Grundlagen. Psychoanalyse und Körper, 15 (2), 79–102. Coakley, S. (2007): Macht und Unterwerfung. Spiritualität von Frauen zwischen Hingabe und Unterdrückung. Gütersloh. Cohen, M. H. (2002/2003): Healing at the Borderland of Medicine and Religion. Regulating potential abuse of authority by spiritual healers. Journal of Law & Religion, 18, 373–426. Coors, M./Haart, D./Demetriades, D. (2014): Das Beicht- und Seelsorgegeheimnis im Kontext der Palliativversorgung. Ein Diskussionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Wege zum Menschen, 66 (1), 91–98. Crozier, M./Friedberg, E. (1993): Die Zwänge kollektiven Handelns. Über Macht und Organisation. Frankfurt a. M. Dalferth, I. (1994): Subjektivität und Glaube. Zur Problematik der theologischen Verwendung einer philosophischen Kategorie. Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie, 36, 18–58. Dangel, S. (2014): Konfessionelle Identität und ökumenische Prozesse. Analysen zum interkonfessionellen Diskurs des Christentums. Berlin u. a. Davie, G. (2007): Vicarious Religion: A Methodological Challenge. In: N. T. Ammerman (Hg.): Everyday Religion: Observing Modern Religious Lives (S. 21–35). Oxford. De Meo, F. (2017): Seelsorge im Krankenhaus. Ein Statement. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/ C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 284–289). Freiburg i.Br. Der Koran (1992): Übersetzt von Adel Theodor Khoury unter Mitwirkung von Muhammad Salim Abdullah. Gütersloh. Derrida, J. (2002): Politik der Freundschaft. Frankfurt a. M.

570

Literatur

Deutsche Bischofskonferenz/Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in Verbindung mit weiteren Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (Hg.) (2010): Christliche Patientenvorsorge durch Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Behandlungswünsche und Patientenverfügung. https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/gem-texte/GT_020_Internet.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e. V. (DGG) (o. J.): Was ist Geriatrie? https://www.dggeriatrie. de/ueber-uns/was-ist-geriatrie (Zugriff am 10.12.2018). Deutsche Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (2014): Frühgeburt an der Grenze der Lebensfähigkeit des Kindes. Gemeinsame Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin und Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Überarbeitung 04/2014, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 024/019. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/024–019 l_S2k_Frühgeburt_ Grenze_Lebensfähigkeit_2014–09-verlaengert.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. (2016): Deutsche Gesellschaft zur Palliativmedizin: Definitionen zur Hospiz- und Palliativversorgung. https://www.dgpalliativmedizin.de/ images/DGP_GLOSSAR.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V./Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V./ Bundesärztekammer (Hg.) (2012): Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (2. Aufl.). Berlin. Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie e. V. (o. J.): KSA. http://www.pastoralpsychologie. de/sektion-ksa.html (Zugriff am 19.9.2018). Deutsche Gesellschaft für Patientenwürde e. V. (o. J.). http://www.patientenwuerde.de (Zugriff am 1.3.2019). Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Hilfe in Lebenskrisen e. V. (DGS) (o. J.): Suizid­ prophylaxe. Mitteilungsblatt der DGS. www.suizidprophylaxe-online.de (Zugriff am 1.3.2019). Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Hilfe in Lebenskrisen e. V. (DGS) (o. J.): Suizidalität. https://www.suizidprophylaxe.de/suizidalitaet/allgemeine-informationen/ (Zugriff am 28.3.2018). Deutsche Islam Konferenz (2017): Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen als Thema der Deutschen Islam Konferenz. http://www.deutsche-islam-konferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DIK/ DE/Downloads/LenkungsausschussPlenum/20170314-la-3-abschlussdokument-seelsorge. pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 1.3.2019). Deutscher Ethikrat (Hg.) (2016): Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus. Stellungnahme. Berlin. Deutscher Evangelischer Krankenhausverband/Katholischer Krankenhausverband Deutschlands (1997): Ethik-Komitee im Krankenhaus. Berlin. Diakonie Deutschland/Stockmeier, J./Giebel, A./Lubatsch, H. (Hg.) (2012; 2013): Geistesgegenwärtig pflegen. Existenzielle Kommunikation und spirituelle Ressourcen im Pflegeberuf, Bd. 1 und 2. Neukirchen-Vluyn. Diamond, J./Jones L. S. (2005): A Path Made by Walking: Process Work in Practice. Chicago. Diegelmann, C./Isermann, M. (2011): Kraft in der Krise. Ressourcen gegen die Angst. Stuttgart. Diepgen, P. (1958): Über den Einfluß der autoritativen Theologie auf die Medizin des Mittelalters, Nr. 1. Mainz. Dinkel, A./Balck, F. (2003): Krankheit, Rehabilitation und Familie. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 16 (62), 116–121. Diözese Rottenburg-Stuttgart/Evangelischen Landeskirche in Württemberg (2016): Klinikseelsorge in ökumenischer Verbundenheit. Rahmenvereinbarung zwischen der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. https://pastorale-konzeption.drs. de/fileadmin/user_files/119/Dokumente/Konzepte_bis_2016/­OEkumenische_Rahmenvereinbarung_2016.pdf (Zugriff am 19.9.2018).

Literatur

571

Diyanet TV (2015): Hastanelerde manevi destek dönemi başlıyor. http://www.diyanet.tv/hastanelerde-manevi-destek-donemi-basliyor/ (Zugriff am 2.1.2019). Dobos, G./Kümmel, S. (2011): Gemeinsam gegen Krebs. Naturheilkunde und Onkologie – Zwei Ärzte für eine menschliche Medizin. München. Domenig, D. (2007): Das Konzept der transkulturellen Kompetenz. In: D. Domenig (Hg.): Transkulturelle Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe (2. Aufl.; S. 165– 189). Bern u. a. Domenig, D./Stauffer, Y./Georg, J. (2007): Transkulturelle Pflegeanamnese. In: D. Domenig (Hg.): Transkulturelle Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe (2. Aufl.; S. 301–310). Bern u. a. Domin, H. (2010): Sämtliche Gedichte, hg. v. N. Herweg/M. Reinhold (4. Aufl.). Frankfurt a. M. Donegani, J.-M. (2012): Säkularisierung und Pastoral. In: R. Feiter/H. Müller (Hg.): Frei geben (S. 56–80). Ostfildern. Dörries, A. (2015): Die medizinische Indikation: Begriffsbestimmung und Rahmenbedingungen. In: A. Dörries/V. Lipp (Hg.): Medizinische Indikation. Ärztliche, ethische und rechtliche Perspektiven. Grundlagen und Praxis (S. 13–22). Stuttgart. Dörries, A./Neitzke, G./Simon, A./Vollmann, J. (Hg.) (2010): Klinische Ethikberatung. Ein Praxisbuch für Krankenhäuser und Einrichtungen der Altenpflege (2. Aufl.). Stuttgart. Drechsel, W. (2012a): Seelsorge an Sterbenden. In M. Anderheiden/E. Schmitt (Hg.): Handbuch Sterben und Menschenwürde, Bd. 2 (S. 779–821). Berlin u. a. Drechsel, W. (2012b): Die Begleitperspektive: Der Seelsorger im Umgang mit dem Sterbenden. In: M. Anderheiden/E. Schmitt (Hg.): Handbuch Sterben und Menschenwürde, Bd. 3 (S. 1077– 1097). Berlin. Drechsel, W. (2015): Gemeindeseelsorge. Leipzig. Drehsen, V. (1994): Wie religionsfähig ist die Volkskirche? Sozialisationstheoretische Erkundungen neuzeitlicher Christentumspraxis. Gütersloh. Dünne, J./Günzel, S. (Hg.) (2015): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Berlin. Durkheim, É. (1977): Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt a. M. Edmonson, E./Park, C. L./Blank, T. O./Fenster, J. R./Mills, M. A. (2008): Deconstructing Spiritual Well-Being. Existential Well-Being and HRQOL in Cancer Survivors. Psychooncology, 17 (2), 161–169. Elhardt, E./Paal, P./Riedner, C./Roser, T./Frick, E. (2013): Evaluation einer Fortbildung zur Spirituellen Anamnese SPIR in Klinik und Praxis. Spiritual Care, 2, 27–34. Eliade, M. (1984): Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Frankfurt a. M. Emlein, G. (2017): Das Sinnsystem Seelsorge. Eine Studie zur Frage: Wer tut was, wenn man sagt, dass man sich um die Seele sorgt? Göttingen. Engemann, W. (2006): Aneignung der Freiheit. Lebenskunst und Willensarbeit in der Seelsorge. Wege zum Menschen, 58, 28–48. Entralgo, P. L. (1956): Heilkunde in geschichtlicher Entscheidung. Salzburg. Enxing, J./Peetz, K. (Hg.) (2017): Contritio. Annäherungen an Schuld, Scham und Reue (Beihefte zur Ökumenischen Rundschau No. 114). Leipzig. Enzner-Probst, B. (2009): Rituelle Seelsorge. Überlegungen zur Bedeutung der rituellen Dimension für die seelsorgliche Begleitung. Praktische Theologie, 98 (4), 87–209. Erdem, G. (2014): Vom Projekt zum Modell. Die muslimische Seelsorge im Aufbau – Eine Praxisdokumentation. In: H. Haker (Hg.): Religiöser Pluralismus in der Klinikseelsorge – Theoretische Grundlagen, interreligiöse Perspektiven, Praxisreflexionen (S. 363–384). Berlin. Erikson, E. H. (1966): Identität und Lebenszyklus. Frankfurt a. M. Ernsting, H. (2012): Salbungsgottesdienste in der Volkskirche. Leipzig. Erzbischöfliches Ordinariat München (o. J.): Qualitätsstandards Krankenhausseelsorge. https:// www.erzbistum-muenchen.de/cms-media/media-36575120.pdf (Zugriff am 1.3.2019).

572

Literatur

EUPATI (Europäische Patientenakademie) (2016): Patient Reported Outcomes (PROs). https:// www.eupati.eu/de/klinische-entwicklung-und-studien/beurteilung-der-patient-reported-outcomes-pros/ (Zugriff am 1.3.2019). Eurich, J. (2009): Religiöse Deutung und medizinisches Verständnis von Krankheit und Heilung. Theologische Ansätze im interdisziplinären Gespräch (S. 434–447). Stuttgart. Eurich, J./Maaser, W. (2013): Diakonie in der Sozialökonomie. Studien zu Folgen der neuen Wohlfahrtspolitik. Leipzig. Evangelische Kirche A. und H.B. in Österreich (2010): Profil Evangelische Seelsorge in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Wien. Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) (2009): Kirchengesetz zum Schutz des Seelsorgegeheimnisses (Seelsorgegeheimnisgesetz – SeelGG) vom 28. Oktober 2009. www.ekd.de/download/008_beschluss_seelsorgegesetz_endfassung.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Evangelische Landeskirche in Württemberg (1996): Evangelisches Gesangbuch: Antwort finden in alten und neuen Liedern und Texten. Stuttgart. Fachkonferenz Kinderkrankenhausseelsorge im Bereich der EKD (2007): Seelsorge in Kinder­ kliniken und auf Kinderstationen. https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/konzeption_kinderklinikseelsorge.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Fachkonferenz Kinderklinikseelsorge im Bereich der EKD (2014): 25 Jahre Kinderklinikseelsorge im Bereich der EKD. Wege zum Menschen, 66 (6), 65–67. Fegg, M. (2004): Krankheitsbewältigung bei malignen Lymphomen. Evaluation und Verlauf von Bewältigungsstrategien, Kausal- und Kontrollattributionen vor und 6 Monate nach Hoch­ dosischemotherapie mit autologer Blutstammzelltransplantation. Dissertation, LMU München. https://edoc.ub.uni-muenchen.de/1766/ (Zugriff am 15.10.2018). Fegg, M./Lehner, M./Simon, S. T./Gomes, B./Higginson, I. J./Bausewein, C. (2015): Was beeinflusst Entscheidungen am Lebensende? Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 58 (10), 1118–1123. Feil, N. (2005): Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen. München. Feiter, R. (2012a): Das Evangelium wird zur »guten Nachricht«. In: R. Feiter/H. Müller (Hg.): Frei geben (S. 139–151). Ostfildern. Feiter, R. (2012b): Einführung in die Pastoraltheologie. In: C. P. Sajak (Hg.): Praktische Theologie (S. 15–63). Paderborn. Feiter, R. (im Druck): Von anderswoher sprechen und handeln. Salzburger Theologische Zeitschrift. Feiter, R./Müller, H. (Hg.) (2012): Frei geben. Pastoraltheologische Impulse aus Frankreich. Ostfildern. Fintrop. J. (2014): Krankenhäuser zwischen Medizin und Ökonomie. Die Suche nach dem richtigen Maß. Deutsches Ärzteblatt, 11, 1930–1931. Fischer, J. (2010): Sittlichkeit und Rationalität. Zur Kritik der desengagierten Vernunft. München. Fischer, J. (2017): Theologie und Medizin im Dialog. Suche nach einem ganzheitlichen Menschenbild. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 31–41). Freiburg i.Br. Fischer, M. (2005): Seelsorge mit Brief und Siegel: Kann man die Krankenhausseelsorge zertifizieren? Krankendienst, 1, 383–291. Fischer, M. (2009): Mit den Entwicklungen Schritt halten. Die Krankenhausseelsorge im Geflecht einer triangulären Verantwortungsstruktur: aus der Sicht konfessioneller Träger. Krankendienst, 12, 265–269. Fischer, M. (2011): Die Qualität pastoralen Handelns. Braucht es ein pastorales Qualitätsmanagement? Wege zum Menschen, 63, 273–288. Fischer, M. (2012): Das konfessionelle Krankenhaus. Gestaltung und Begründung aus theologischer und unternehmerischer Perspektive (3. Aufl.). Münster. Fischer, M. (2013): Spiritualität – ein Alleinstellungsmerkmal kirchlicher Krankenhäuser? In: K. Baumann/J. Eurich/K. Wolkenhauer (Hg.): Konfessionelle Krankenhäuser: Strategien – Profile – Potenziale (S. 25–37). Stuttgart.

Literatur

573

Fischer, M. (2014): Ehrenamtliche in der Krankenhausseelsorge. Freiburg i.Br. Fischer, M. (2017): Die Qualität konfessioneller Krankenhäuser. Zwischen gesellschaftlicher Relevanz und christlicher Identität. In: M. Heimbach-Steins/T. Schüller/J. Wolf (Hg.): Katholische Krankenhäuser – herausgeforderte Identität (S. 107–129). Paderborn. Fishback Powers, M. (2014): Spuren im Sand. Ein Gedicht, das Millionen bewegt, und seine Geschichte. Gießen. Fitchett, G./Nolan, S. (Hg.) (2015): Spiritual Care in Practice. Case Studies in Health Care Chaplaincy. London u. a. Fondazione Maruzza Lefebre D’Ovidio Onlus (2015): Religions of the world charter for children’s palliative care. http://religionsworldcharter.maruzza.org/ (Zugriff am 17.1.2019). In Deutsch: http://religionsworldcharter.maruzza.org/downloads/charter-DE.pdf (Zugriff am 17.1.2019). Fondazione Maruzza Lefebre D’Ovidio Onlus (2017): Religions of the world charter palliative care for older people. http://olderpeoplereligionsworldcharter.maruzza.org/ (Zugriff am 17.1.2019). Foucault, M. (2017): Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge. Berlin. Frankl, V. E. (1978): … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (2. Aufl.). München. Franziskus (2016): Apostolisches Schreiben »Misericordia et misera« von Papst Franziskus zum Abschluss des Außerordentlichen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit. In: Deutsche Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 207. Freitag, J. (2016): Die Sakramentalität der ganzen Kirche und die sieben Sakramente. In: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Gemeinsam Kirche sein. Impulse – Einsprüche – Ideen, Arbeitshilfe Nr. 286 (S. 35–37). Bonn. Frick, E. (2009): Spiritual care – nur ein Wort? Lebendige Seelsorge, 60, 233–236. Frick, E./Riedner, C./Fegg, M. J./Hauf, S./Borasio, G. D. (2006): A clinical interview assessing cancer patients’ spiritual needs and preferences. European Journal of Cancer Care, 15, 238–243. Frick, E./Roser, T. (Hg.) (2011): Spiritualität und Medizin. Gemeinsame Sorge um den kranken Menschen (2. Aufl.). Stuttgart. Frickenhofen, N. (2018): Immuntherapie – neue Chancen und Komplikationen in der Onkologie: was bedeutet das für die Palliativmedizin? Kongressvortrag (zugänglich nur für Kongressteilnehmer*innen). 12. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, 05.-08.09.2018, Bremen, 08.09.2018, Folien 1–44, Folien 10.11.21–23. https://www.dgpalliativmedizin.de/allgemein/dgp-kongress-2018.html (Zugriff am 1.3.2019). Friedman, D. A. (2005): Jewish Pastoral Care. A Practical Handbook (2. Aufl.). Woodstock. Fries, T. (2017): Raum, Leib und Ritualität. Beobachtungen zu einigen Aspekten verleiblichter Spiritualität in Schweizer Universitätsspitälern. Spiritual Care, 6 (2), 153–165. Frommann, N. (2013a): Das Verletzte stärken. Seelsorge für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen und für Menschen im Wachkoma (APhLH 73). Göttingen. Frommann, N. (2013b): Von der Notwendigkeit und dem Sinn der Seelsorge für Menschen im sogenannten Wachkoma. Wege zum Menschen, 65 (2), 145–160. Frör, P. (1996): Seelsorge auf der Intensivstation. In: M. Klessmann (Hg.): Handbuch der Krankenhausseelsorge (S. 51–63). Göttingen. Frör, P. (2006): Reisen und Begegnungen im unbekannten Land. Bericht eines Seelsorgers. In: T. Kammerer (Hg.): Traumland Intensivstation. Veränderte Bewusstseinszustände und Koma. Interdisziplinäre Expeditionen (S. 11–17). Norderstedt. Frör, P. (2009): Seelsorge mit Komapatienten. Wege zum Menschen, 61, 522–535. Frör, P./Frör, W. (2018): Praxisort Intensivstation. Seelsorge und moderne Bewusstseinsforschung im Dialog. Stuttgart. Fuchs, C./Gabriel, H./Raischl, J./Steil, H./Wohlleben, U. (Hg.) (2012): Palliative Geriatrie. Ein Handbuch für die interprofessionelle Praxis. Stuttgart.

574

Literatur

Fuchs, O. (2005): Art. Trösten/Trost. In: P. Scheuchenpflug (Hg.): Tröstende Seelsorge. Chancen und Herausforderungen für christliches Handeln in der pluralen Welt (S. 13–17). Würzburg. Fuchs, T. (2008): Leibgedächtnis und Lebensgeschichte. In: M. A. Friedrich/T. Fuchs/J. Koll/B. Krondorfer/G. M. Martin (Hg.): Der Text im Körper. Leibgedächtnis, Inkarnation und Bibliodrama (S. 36). Hamburg-Schenefeld. Führer, M./Duroux, A./Borasio, G. D. (2006) (Hg.): »Können Sie denn nichts mehr für mein Kind tun?« Therapiezieländerung und Palliativmedizin in der Pädiatrie. Stuttgart. Gabe, W. (2011): Das Frühchen-Buch, Schwangerschaft, Geburt, das reife Neugeborene, das Frühgeborene – praktische Tipps für Eltern (6. Aufl.). Stuttgart. Gargani, A. G. (2001): Die religiöse Erfahrung. Ereignis und Interpretation. In: J. Derrida/G. Vattimo: Die Religion (S. 144–171). Frankfurt a. M. Gärtner, S. (2012): Vor Risiken und Nebenwirkungen wird gewarnt. Beobachtungen zur Professionalisierung der Pastoral. Pastoraltheologische Informationen, 32 (1), 27–47. Gärtner, S. (2015): Seelsorge und Spiritualität vs. Spiritual Care und Seelsorge. Spiritual Care, 3, 203–213. Gärtner, S. (2016): Krankenhausseelsorge vor der Herausforderung Spiritual Care. Die praktisch-theologische Debatte und ihre professionstheoretischen Konsequenzen. Praktische Theologie, 51 (1), 50–58. Gebler, J./Riegel, U. (2011): »Ich wende mich an … Gott« – eine explorativ-qualitative Studie zu den Theodizee-Konzepten von Kindern der vierten Jahrgangsstufe. In: P. Freudenberger-Lötz/U. Riegel (Hg.): »Mir würde das auch gefallen, wenn er mir helfen würde«. Baustelle Gottesbild im Kindes- und Jugendalter. Jahrbuch der Kindertheologie. Sonderband (S. 140–157). Stuttgart. Gellner, C. (2008): Der Glaube der Anderen. Christsein inmitten der Weltreligionen. Düsseldorf. Gennep, A. von (1986 [1909]): Übergangsrituale (Les rites de passage). Frankfurt a. M. Gerdes, N. (1986): Der Sturz aus der normalen Wirklichkeit und die Suche nach Sinn. Ein wissenssoziologischer Beitrag zu Fragen der Krankheitsverarbeitung bei Krebskranken. In: W. Schmidt (Hg.): Jenseits der Normalität. Leben mit Krebs (S. 10–34). München. Gernlach, Z. (2000): War ich nicht tot genug? Ich hab im Koma von anderen Sachen als Engel und Tunnel mit Lichtquellen geträumt. Norderstedt. Geschäftstelle der DGfP (Hg.) (2014): Standards der Sektion KSA/DGfP. Freising. http://www.pastoralpsychologie.de/uploads/media/Standards_KSA_Freising_2014.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Gestrich, R. (2013): Aus- und Fortbildung für Krankenhausseelsorge. In: M. Klessmann (Hg.): Handbuch der Krankenhausseelsorge (4. Aufl.; S. 330–340). Göttingen. Giacino, J./Ashwal, S./Childs, N./Cranford, R./Jennet, B./Katz, D./Kelly, J./Rosenberg, J./Whyte, J./Zafonte, R./Zasler, N. (2002): The minimally conscious state. Definition and diagnostic criteria. Neurology, 58, 349–353. Giebel, A. unter Mitwirkung von Wettreck, R./Groß, N. (2009): Zur Qualitätsentwicklung in diakonischen Einrichtungen und Erwartungen an die Seelsorge. In: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Seelsorge – Muttersprache der Kirche. Dokumentation eines Workshops der EKD (Hannover, 16. November 2009) (S. 35–36). epd-Dokumentation, 10/2010. Hannover. https://www.kirche-im-aufbruch.ekd.de/downloads/10–10_Kirche_im_ Aufbruch_Seelsorge_Sonderauflage.pdf (Zugriff am 5.6.2018). Giebel, A./Lubatsch, H./Meussling-Sentpali, A. (2013): DiakonieCare. Existenzielle Kommunikation, Spiritualität und Selbstsorge in der Pflege. Curriculum und Arbeitshilfe zur Organisationsentwicklung. Neukirchen-Vluyn. Göckenjan, G. (2008): Sterben in unserer Gesellschaft – Ideale und Wirklichkeiten. Politik und Zeitgeschichte, 4, 7–14. Göckenjan, G./Dreßke, S. (2002): Wandlungen des Sterbens im Krankenhaus und die Konflikte zwischen Krankenrolle und Sterberolle. Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 28, 80–96.

Literatur

575

Goldbach, G. (2016): Seelsorge bei Frauen mit Brust- und Unterleibskrebs. Wege zum Menschen, 68 (6), 541–554. Goldstein, H. R. (2012): Chaplains and Charting. In: S. B. Roberts (Hg.): Professional Spiritual & Pastoral Care. A Practical Clergy and Chaplain’s Handbook (S. 81–91). Woodstock. Görlitz, G. (2014): Körper und Gefühl in der Psychotherapie. Basisübungen (7. Aufl.). München. Grabe, M. (2016): Ärzte und Burnout – wie kann man vorbeugen? In: S. Ehm/A. Giebel/U. Lilie/ R. Prönneke (Hg.): Geistesgegenwärtig behandeln. Existenzielle Kommunikation, Spiritualität und Selbstsorge in der ärztlichen Praxis (S. 121–134). Neukirchen-Vluyn. Gratz, M./Roser, T. (2016): Curriculum Spiritualität für ehrenamtliche Hospizbegleitung. Göttingen. Gratz, M./Roser, T. (2019): Spiritual Care in Qualifizierungskursen für nicht-seelsorgliche Berufe. Grundsätze der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Stuttgart. Greiner, D. (2003): Segnung und Segen. Stuttgart. Grethlein, C. (2007): Grundinformation Kasualien. Göttingen. Grethlein, C. (2014): Taufpraxis in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Leipzig. Grethlein, C. (2018): Kirchentheorie. Kommunikation des Evangeliums im Kontext. Berlin u. a. Grimes, R. (1990): Ritual Criticism. Case Studies on its Practice, Essays on its Theory. New York. Gronauer, G. (2002): Reformatorische Pastoral- und Seelsorgelehre im Vergleich. In: T. Schirrmacher (Hg.): Anwalt der Liebe. Martin Bucer als Theologe und Seelsorger (S. 95–142). Bonn. Grossmann, R./Greulich, A. (2013): Führung und Organisationsentwicklung im Krankenhaus. In: H. Lobnig/R. Grossmann (Hg.): Organisationsentwicklung im Krankenhaus (S. 97–116). Berlin. Grossmann, R./Lobnig, H. (2013a): Aktuelle und zukünftige Veränderungsthemen in der Organisation Krankenhaus. In: H. Lobnig/R. Grossmann (Hg.): Organisationsentwicklung im Krankenhaus (S. 15–23). Berlin. Grossmann, R./Lobnig, H. (2013b): Einige Grundannahmen über Organisationen und ihre praktischen Konsequenzen für Organisationsentwicklung im Krankenhaus. In: H. Lobnig/R. Grossmann (Hg.): Organisationsentwicklung im Krankenhaus (S. 41–47). Berlin. Grossoehme, D. H. (2008): Development of a Spiritual Screening Tool for Children and Adoles­ cents. Journal of Pastoral Care and Counseling, 62 (1–2), 71–85 (DOI: doi.org/10.1177/1542 30500806200108). Grundmann, C. H. (2015): Wir sind Leib! Wege zum Menschen, 67 (4), 309–320. Gün, A. K. (2017): Religiöse Krankheits- und Heilvorstellungen am Beispiel des Islam. In: A. K. Gün: Interkulturelle therapeutische Kompetenz. Möglichkeiten und Grenzen psychotherapeutischen Handelns (S. 179–198). Stuttgart. Güzel, A. (1991): Mutasavvıf Yunus Emre. Hayatı-Eserleri. Ankara. Haart, D. (2007): Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus. Würzburg. Habermas, J. (2001): Dankesrede. Glaube und Wissen. In: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.): Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001 Jürgen Habermas (S. 9–15). https:// www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/sixcms/media.php/1290/2001_habermas. pdf (Zugriff am 27.2.2019). Hagen, T. (2016): Krankenhausseelsorge. Auftrag der christlichen Kirchen und seine aktuelle Ausgestaltung. Deutsche Islam Konferenz, Berlin, am 14. Juli 2016. http://www.deutscheislamkonferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DIK/DE/Downloads/Sonstiges/20160714_11Arbeitsausschuss_vortrag_hagen.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 1.3.2019). Hagen, T./Raischl, J. (2011): Allgemeine und spezielle Kompetenzen in Spiritual Care. In: E. Frick/ T. Roser (Hg.): Spiritualität und Medizin. Gemeinsame Sorge für den kranken Menschen (2. Aufl.; S. 285–292). Stuttgart. Hagen, T./Roser, T./Reigber, H./Fittkau-Tönnesmann, B. (Hg.) (2010): Qualifizierungskurs Palliative Care für Seelsorgende. Curriculum und Einführung. Stuttgart. Hagen, T./Groß, N./Jacobs, W./Seidl, C. (Hg.) (2017): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven. Freiburg i.Br.

576

Literatur

Haker, H./Bentele, K./Moczynski, W./Wanderer, G. (Hg.) (2009): Medizinethik in der Klinikseelsorge. Münster. Haker, H./Wanderer, G./Bentele, K. (Hg.) (2014): Religiöser Pluralismus in der Klinikseelsorge. Theoretische Grundlagen, interreligiöse Perspektiven, Praxisreflexionen. Berlin. Halhuber, M. J. (1991) (Hg.): Lebensstil und Lebensqualität. Innsbruck u. a. Hämmerling, E./Ludwig, C./Wendel, C. (2008): Lebenszufriedenheit von PartnerInnen chronisch Hirngeschädigter unter besonderer Berücksichtigung von Persönlichkeitsveränderung. Zeitschrift für Neuropsychologie, 19 (4), 223–233. Hannich, H.-J. (2016): Intensivmedizin. In: K. Köhle/W. Herzog/P. Joraschky/J. Kruse/W. Langewitz/W. Söllner (Hg.): Uexküll, Psychosomatische Medizin: Theoretische Modelle und klinische Praxis (8. Aufl.; S. 1134–1140). München. Hardeland, A. (1898): Geschichte der speciellen Seelsorge in der vorreformatorischen Kirche und der Kirche der Reformation. Berlin. Harnack, A. von (1892): Medicinisches aus der ältesten Kirchengeschichte. Leipzig. Haupt-Scherer, S. (2015): Traumakompetenz für die Kinder- und Jugendarbeit. Amt für Jugendarbeit der EKvW. Hauschildt, E. (2009): Interkulturelle Herausforderungen an die Seelsorge. In: D. Bell/G. Fermor (Hg.): Seelsorge heute (S. 80–100). Neukirchen-Vluyn. Hauschildt, E. (2015): Von einer Spiritual-Care-Darstellung für die Seelsorgetheologie lernen. Pastoraltheologie, 104, 326–344. Hauschildt, E. (2017a): Seelsorge – Sinnsystem und Hybrid. Günther Emleins neue systemtheoretische Theorie der Seelsorge. Pastoraltheologie, 106, 152–172. Hauschildt, E. (2017b): Spiritual Care als Organisation gemeinsamer Sorge. Zur zweiten, überarbeiteten Auflage von Traugott Rosers Monografie über Seelsorge als Spiritual Care. Pastoraltheologie, 106 (10), 449–466. HealthCare Chaplaincy Network (HCCN) (Hg.) (2016a): Time To Move Forward. Creating a New Model of Spiritual Care to Enhance the Delivery of Outcomes and Value in Health Care Settings. https://www.spiritualcareassociation.org/docs/resources/time_to_move_forward_report_2016–06–07.pdf (Zugriff am 27.2.2019). Ins Deutsche übersetzt von Beelitz, T. https://www.pastoralpsychologie.de/uploads/media/SCA_Time_to_Move_Forward_deutsch. pdf (Zugriff am 27.2.2019). HealthCare Chaplaincy Network (HCCN) (Hg.) (2016b): Spiritual Care: What It Means, Why It Matters in Health Care. New York. http://files.constantcontact.com/511297de301/1c955cdbbf40–4bef-bb56–6bce02f51dc5.pdf?ver=1476887863000 (Zugriff am 1.3.2019). Heart Rhythm Society (2014): End of Life and Heart Rhythm Devices. How do I handle death and dying issues with my implantable cardioverter defibrillator (ICD) or cardiac pacemaker? Heimbach, M. (2009): Rollenbild im Wandel. Die Integration des Islam in die Gesellschaft stellt die Imame vor Herausforderungen. Herder-Korrespondenz, S2: Die unbekannte Religion. Muslime in Deutschland, 23–28. Heimerl, K./Heller, A./Pleschberger, S. (2007): Implementierung der Palliative Care im Überblick. In: C. Knipping (Hg.): Lehrbuch Palliative Care (2. Aufl.; S. 50–57). Bern. Helbich, P./Oberender, P./Zenker, J. (Hg.) (2015): Diakonische Perspektiven für innovative Strategien. Impulse für eine nachhaltige Unternehmensführung in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. Stuttgart. Helbig, W. (2001): Krankenhausmanagement in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wege zum Menschen, 53, 427–437. Heller, A./Schuchter, P. (2017): Interkulturelle Kompetenz der Krankenhausseelsorge im Multioptionsdilemma. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 257–265). Freiburg i. Br. Heller, B./Heller, A. (2014): Spiritualität und Spiritual Care. Orientierungen und Impulse. Bern.

Literatur

577

Hemmerle, K. (1977): Grenzgänger der Transzendenz – eine Zielgruppe der Pastoral. In: L. Bertsch/ K.-H. Rentmeister (Hg.): Zielgruppen. Brennpunkte kirchlichen Lebens. Karl Delahaya zum 65. Geburtstag (S. 141–154). Frankfurt a. M. Henderson, J. (2005): Embodying Well Being (2. Aufl.). Bielefeld. Henderson, J. (2014): Das große Buch vom Summen (2. Aufl.). Bielefeld. Heydari, A./Khorashadizadeh, F./Nabavi, F. H./Mazlom, S. R./Ebrahimi, M. (2016): Spiritual Health in Nursing from the Viewpoint of Islam. Iran Red Crescent Medical Journal, 18(6): e24288. Hézser, G. (2013): Seelsorge mit Angehörigen und Mitbetroffenen In: M. Klessmann (Hg): Handbuch der Krankenhausseelsorge (4. Aufl.; S. 219–228). Göttingen. Hibaoui, A. (2015): Seelsorge in islamischer Tradition (Vortrag). http://www.mannheimer-institut.de/downloads/fachkonferenz/Vortrag%20Seelsorge%20in%20islamischer%20Tradition_ Herr%20Dr.%20Abdelmalek%20Hibaoui.pdf (Zugriff am 2.1.2019). Hilpert, K. (2011): Spiritualität – esoterisches Gegenphänomen zu traditionell kirchlicher Frömmigkeit? In: E. Frick/T. Roser (Hg.): Spiritualität und Medizin. Gemeinsame Sorge für den kranken Menschen (2. Aufl.; S. 58–65). Stuttgart. Hiltner, S. (1958): Preface to Pastoral Theology. Nashville. Hoefert, H.-W./Härter, M. (Hg.) (2010): Patientenorientierung im Krankenhaus. Göttingen u. a. Hoffritz, J. (2002): Pauschal gesund. Die Zeit (42), 16. Holder-Franz, M. (2012): »… dass du bis zuletzt leben kannst.« Spiritualität und Spiritual Care bei Cicely Saunders. Zürich. Honecker, M. (1986): Christus medicus. In: P. Wunderli (Hg.): Der kranke Mensch im Mittelalter und Renaissance. Düsseldorf. Hopkinson, J. B./Hallet, C. E./Luker, K. A. (2005): Everyday death: how do nurses cope with caring for dying people in hospital? International Journal of Nursing Studies, 42 (2), 125–133. Hoppe, J.-D. (2004): Von der Patientenorientierung zum Profitdenken – auf dem Weg in die Gesundheitswirtschaft? Rede des Präsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, zum 107. Deutschen Ärztetag in Bremen am 18. Mai 2004. https://www.aerzteblatt. de/down.asp?id=1338 (Zugriff am 1.3.2019). Horneber, M./Helbich, P./Raschzok, K. (Hg.) (2010): Dynamisch Leben gestalten. Perspektiven zukunftsorientierter Unternehmen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. Stuttgart. Hospiz- und Palliativ-Erfassung HOPE (2009): Spiritualität. https://www.hope-clara.de/download/HOPE2009Spiritualitaet.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Huber, M. (2003): Wege aus der Traumabehandlung, Teil 2. Paderborn. Huguelet, P./Mohr, S./Betrisey, C./Borras, L./Gillieron, C./Adham-Mancini, M. et al. (2011): A randomized trial of spiritual assessment of outpatients with schizophrenia: patients’ and clinicians’ experience. Psychiatric Services (Washington D.C.), 62, 79–86. Hüther, G. (2017): Raus aus der Demenzfalle! Wie es gelingen kann, die Selbstheilungskräfte des Gehirns rechtzeitig zu aktivieren. München. Hvidt, N. C./Kappel Kørup, A./Curlin, F. A./Baumann, K./Frick, E./Søndergaard, J. et al. (2016): The NERSH international collaboration on values, spirituality and religion in medicine: Development of questionnaire, description of data pool, and overview of pool publications. Religions, 7, 107 (DOI: 10.3390/rel7080107). Ibn ‘Arabi (1911): The Tarjumān al-Ashwāq, A Collection of Mystical Odes, transl. and ed. Reynold Nicholson. London. IGES Arzneimittel-Atlas (Hg.) (2019a): Brustkrebs- und Prostatakrebsmittel L02 Endokrine Therapie (zytostatische Hormone). http://www.arzneimittel-atlas.de/indikationsgruppen/endokrine-therapie/indikationsgruppe/index_ger.html (Zugriff am 12.10.2018). IGES Arzneimittel-Atlas (Hg.) (2019b): Krebsmedikamente. L01 Antineoplastische Mittel. http:// www.arzneimittel-atlas.de/indikationsgruppen/l01-antineoplastische-mittel/indikationsgruppe/index_ger.html (Zugriff am 12.10.2018).

578

Literatur

IGES Arzneimittel-Atlas (Hg.) (2019c): Mittel zur Anregung des Immunsystems L03 Immun­ stimulanzien. http://www.arzneimittel-atlas.de/indikationsgruppen/immunstimulanzien/indikationsgruppe/index_ger.html (Zugriff am 12.10.2018). Ilkilic, I. (2002): Der muslimische Patient. Medizinethische Aspekte des muslimischen Krankheitsverständnisses in einer wertpluralen Gesellschaft. Münster. Ilkilic, I. (2003): Begegnung und Umgang mit muslimischen Patienten. Eine Handreichung für die Gesundheitsberufe. Tübingen. Ilkilic, I. (2005): Gesundheitsverständnis und Gesundheitsmündigkeit in der islamischen Tradition. Bochum. Interkonfessionelle Konferenz (2011): Leitfaden zum Leistungsprofil und zu Qualitätsstandards der Seelsorge in Spitälern, Kliniken und Heimen der Kantone Bern, Jura und Solothurn. Bern. Jaberi, A./Momennasa, M./Yektatalab, S./Ebadi, A./Cheraghi, M. A. (2017): Spiritual Health: A Concept Analysis. Journal of Religion and Health (DOI: 10.1007/s10943–017–0379-z.). Jäger, A. (2000): Seelsorge als Funktion diakonischer Unternehmenspolitik. In: C. Schneider-­ Harpprecht (Hg.): Zukunftsperspektiven für Seelsorge und Beratung (S. 136–138). Neu­kirchenVluyn. Jäger, D. (2017): Aktuelle und zukünftige immunologische Konzepte in der Onkologie. Klinikum Stuttgart. Fünf Jahre Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl. Wissenschaftliches Symposium. 22.09.2017. Vortragsmitschrift C. Schmohl. Jalics, F. (2009): Kontemplative Exerzitien (11. Aufl.). Würzburg. Joas, H. (2017): Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung. Berlin. Jobin, G. (2017): Developement of the connection between spirituality and medicine: historical and current issues in clinical contexts. Spiritual Care, 6 (2), 167–174. Johannes Paul II (1979): Redemptor hominis. https://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_04031979_redemptor-hominis.html (Zugriff am 19.9.2018). Johanns, U. (2013): Seelsorge mit Herzinfarkt-PatientInnen. In: M. Klessmann (Hg): Handbuch der Krankenhausseelsorge (4. Aufl.; S. 102–112). Göttingen. Jörns, K.-P. (1986): Nicht leben und nicht sterben können. Suizidgefährdung – Suche nach dem Leben (2. Aufl.). Göttingen. Josuttis, M. (2002): Religion als Handwerk. Zur Handlungslogik spiritueller Methoden. Gütersloh. Josuttis, U. (2009): Seelsorge im Akutkrankenhaus – nur noch Krisenintervention. 11 Thesen. Wege zum Menschen, 61 (6), 561–562. Jox, R./Kühlmeyer K./Borasio G.-D. (2011): Leben im Koma – Interdisziplinäre Perspektiven auf das Problem des Wachkomas. Stuttgart. Jox, R. J./Kühlmeyer, K./Marckmann, G./Racine, E. (Hg.) (2012): Vegetative State: A Paradigmatic Problem of Modern Society. Ethical, legal, social and medical perspectives on chronic disorders of consciousness. Münster. Jünger, S. (2014): Belastung als Thema der Versorgung am Lebensende. In: M. Müller/D. Pfister (Hg.): Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin (3. Aufl.; S. 22–28). Göttingen. Jünger, S./Payne, S. A./Brine, J./Radbruch, L./Brearley, S. G. (2017): Guidance on Conducting and Reporting Delphi Studies (CREDES) in palliative care: Recommendations based on a methodological systematic review. Palliative Medicine, 31 (8), 684–706. Juul, J. (2015): Die intuitive Verbindung. Wenn ein Elternteil besondere Bedeutung für das Kind hat. Berlin. Kääb-Eber, H. (2014): »Für sich und sein Kind etwas Gutes tun«. Gedenkgottesdienste für verstorbene Kinder. Wege zum Menschen, 66 (1), 54–57. Kaiser, M. (2016): ALLES INKLUSIVE. Aus dem Leben mit meiner behinderten Tochter. Frankfurt a. M.

Literatur

579

Kälble, K. (2014): Interdisziplinäre bzw. interprofessionelle Zusammenarbeit – wie geht das? Terminologie, Chancen und Barrieren einer Disziplinen und Berufe übergreifenden Zusammenarbeit. In: C. Wewetzer/M. Winkler (Hg.): Beratung schwangerer Frauen (S. 55–75). Stuttgart. Kammerer, T. (Hg.) (2006): Traumland Intensivstation, Veränderte Bewusstseinszustände und Koma – Interdisziplinäre Expeditionen. Norderstedt. Kammerer, T./Roser, T./Frick, E. (2013): Spiritualität und Religion. In: A. Michalsen/C. S. Hartog (Hg.): End-of-Life Care in der Intensivmedizin (S. 139–145). Berlin u. a. Kammerer, T. (2017): Krankenhausseelsorge heute: Offenheit – Professionalität – Zusammenarbeit. Deutsche Zeitschrift für Onkologie, 49, 186–190. Karle, I. (2009): Sinnlosigkeit aushalten! Ein Plädoyer gegen die Spiritualisierung von Krankheit. Wege zum Menschen, 61 (1), 19–34. Karle, I. (2010): Perspektiven der Krankenhausseelsorge. Eine Auseinandersetzung mit dem Konzept spiritual care. Wege zum Menschen, 62 (6), 537–555. Karle, I. (2018): Chancen und Risiken differenter Systemlogiken im Krankenhaus. Perspektiven einer Kooperation von Seelsorge und Spiritual Care. Spiritual Care, 7 (1), 57–67. Kassebaum, H. (2015): »Jetzt habe ich große Angst und viele Fragen …«. Seelsorgliche Begleitung von Kindern mit schwerwiegenden Entwicklungsverzögerungen. Wege zum Menschen, 67 (6), 561–570. Kast-Streib, S./Knöll-Herde, I./Bergdolt, G./Lutz, D. (2016): Was oft verborgen geschieht ans Licht bringen. Wege zum Menschen, 68 (6), 504–518. Kayser, A. (2011): Die transkulturelle Pflegeanamnese in der Palliative Care. Zeitschrift für Palliativmedizin, 12, Beilage. Kayser, A. (2013): Transkulturelle Kompetenz in der Palliative Care. Die palliative Betreuung und Begleitung im Kontext soziokultureller und religiös-spiritueller Diversität. In: DRK-Landesverband Westfalen-Lippe e. V./Akademie am Johannes-Hospiz (Hg.): Empfehlungen zur Hospiz- und Palliativbetreuung von Menschen mit Migrationshintergrund – eine Handreichung (S. 8–14). Münster. http://www.johannes-hospiz.de/cms/upload/pdf/01_Handreichung.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Kempen, T. von (1975): Nachfolge Christi. Leipzig. Kern, M./Jakob-Krieger, C. (2014): »Immer wieder knallt es bei uns …«. Spannungen (Reizbarkeit, Streitigkeiten) zwischen den Berufsgruppen. In: M. Müller/D. Pfister (Hg.): Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin (3. Aufl.; S. 172–183). Göttingen. Kersting, K. (2013): »Coolout« in der Pflege. Eine Studie zur moralischen Desensibilisierung (3. Aufl.). Frankfurt a. M. Khouja, M. (2008): Europäische Militärseelsorge zwischen Christentum, Islam und Säkularisierung aus der Sicht der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. In: S. Baus (Hg.): Europäische Militärseelsorge zwischen Christentum, Islam und Säkularisierung. Militär und Seelsorge, Themenheft 23 (S. 31–34). Wien. http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/ ms_23_5.pdf (Zugriff am 2.1.2019). Kittel, J./Lublewski-Zienau, A./Karoff, M. (2003): Bestandsaufnahme: Seelsorge in der kardiologischen Rehabilitation. herzmedizin, 20 (2), 108. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.) (2010): Seelsorge – Muttersprache der Kirche. Gemeindliche Seelsorge und Seelsorge in Institutionen. Thesen und Überlegungen zu ihrer Stärkung im EKD-Reformprozess – Arbeitspapier der EKD-Konferenz der Seelsorge-Verantwortlichen in den Gliedkirchen, Stand 30.4.2009. In: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Seelsorge – Muttersprache der Kirche. Dokumentation eines Workshops der EKD (Hannover, 16. November 2009) (S. 43–56). epd-Dokumentation, 10/2010. Hannover. https://www.kirche-im-aufbruch.ekd.de/downloads/10–10_Kirche_im_ Aufbruch_Seelsorge_Sonderauflage.pdf (Zugriff am 1.3.2019).

580

Literatur

Klauber, J./Geraedts, M./Friedrich, J./Wasem, J. (2017): Krankenhaus-Report 2017. Schwerpunkt: Zukunft gestalten. Stuttgart. Klein, S. (2013): Die Entwicklung der Seelsorge in der Geschichte des Christentums. In: B. Ucar/ M. Blasberg-Kuhnke (Hg.): Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft. Von der theologischen Grundlegung zur Praxis in Deutschland (S. 71–82). Frankfurt a. M. Klein-Franke, F. (1982): Vorlesungen über die Medizin im Islam. Wiesbaden. Klessmann, M. (2002): Qualitätsmerkmale in der Seelsorge oder: Was wirkt in der Seelsorge? Wege zum Menschen, 54, 144–154. Klessmann, M. (2003): Seelsorge im Zwischenraum/im Möglichkeitsraum. Wege zum Menschen, 55, 411–426. Klessmann, M. (2004): Pastoralpsychologie. Ein Lehrbuch. Neukirchen-Vluyn. Klessmann, M. (2007a): Heilsamer Glaube?! Über den Zusammenhang von Religiosität, Seelsorge und Heilung. Berliner Theologische Zeitschrift, Beiheft, 130–148. Klessmann, M. (2007b): Krankenhaus. In: G. Fermor/K. Schäfer/H. Schroeter-Wittke/S. Wolf-Withöft (Hg.): Gottesdienst-Orte. Handbuch Liturgischer Topologie (S. 238–242). Leipzig. Klessmann, M. (2008): Seelsorge. Begleitung, Begegnung, Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glaubens. Ein Lehrbuch. Neukirchen-Vluyn. Klessmann, M. (2009): Qualität in Seelsorge und Beratung. Wege zum Menschen, 61 (2), 119–132. Klessmann, M. (2013a): Einleitung: Seelsorge in der Institution »Krankenhaus«. In: M. Klessmann (Hg.): Handbuch der Krankenhausseelsorge (4. Auflage; S. 15–29). Göttingen. Klessmann, M. (2013b): Ausblick: Krankenhausseelsorge als Dienst der Kirche in der pluralen Gesellschaft. In: M. Klessmann (Hg.): Handbuch der Krankenhausseelsorge (4. Aufl; S. 341– 350). Göttingen. Klessmann, M. (2014): Im Strom der Zeit. Von der evangelischen über die ökumenische zur interkulturellen Seelsorge und spiritual care. Wege zum Menschen, 66, 5–18. Klessmann, M. (2015): Zukunftsfähige Seelsorge im Krankenhaus. Diakonia, 46 (4), 257–263. Klessmann, M. (2017a): Pastoralpsychologische Perspektiven in der Seelsorge. Grenzgänge zwischen Theologie und Psychologie. Göttingen. Klessmann, M. (2017b): Die Fremdheit der Seelsorge im Krankenhaus. Wie können wir sie produktiv nutzen? In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen (S. 75–87). Freiburg i.Br. Klessmann, M. (2017c): Schuld und Gewissen. Seelsorgliche Perspektiven. In: M. Klessmann: Pastoralpsychologische Perspektiven in der Seelsorge. Grenzgänge zwischen Theologie und Psychologie (S. 58–75). Göttingen. Klessmann, M./Lammer, K. (2007): Was ist Supervision? Grundlegendes – Abgrenzung zu anderen Beratungsformaten – Kontexte – Ethische Dimensionen. In M. Klessmann/K. Lammer: Das Kreuz mit dem Beruf. Supervision in Kirche und Diakonie (S. 5–42). NeukirchenVluyn. Klie, T. (2013): Caring Community. Kirche im ländlichen Raum, 03/2013, 16–21. https://www.kilr. de/wp-content/uploads/Caring-Community.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Knoll, F. (2015): Mensch bleiben! Zum Stellenwert der Spiritualität in der Pflege. Stuttgart. Knoll, F. (2017): Paradigmen der Krankenhausseelsorge – was brauchen wir in Zukunft? Seelsorge in der Spannung zwischen eigener Sendung, Spiritual Care und Personalreduktion. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheits­wesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 56–74). Freiburg i.Br. Koemeda-Lutz, M. (Hg.): Körperpsychotherapie – Bioenergetische Konzepte im Wandel, Charakterstrukturen. Basel. Koemeda-Lutz, M. (2002): Ein psychosomatisches Persönlichkeitsmodell. In: M. Koemeda-Lutz (Hg.): Körperpsychotherapie – Bioenergetische Konzepte im Wandel, Charakterstrukturen (S. 117–137). Basel.

Literatur

581

Koenig, H. G. (2012): Spiritualität in den Gesundheitsberufen. Ein praxisorientierter Leitfaden. Bearbeitet und mit einem Vorwort von René Hefti. München. Köhle, K./Herzog, W./Joraschky, P./Kruse, J./Langewitz, W./Söllner, W. (Hg.): Uexküll, Psychosomatische Medizin: Theoretische Modelle und klinische Praxis (8. Aufl.). München. Koeth, R. A./Wang, Z. et al. (2013): Intestinal microbiota metabolism of L-carnitine, a nutrient in red meat, promoes atheroscleroses. Nature Medicine, 19 (5), 576–585. Kolk, B. A. van der/McFarlane, A./Weisaeth, L. (Hg.) (2000): Traumatic Stress. Grundlagen und Behandlungsansätze. Paderborn. Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD (Hg.) (2004): Die Kraft zum Menschsein stärken. Leitlinien für die evangelische Krankenhausseelsorge. Eine Orientierungshilfe. Hannover. https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/leitlinien_krankenhausseelsorge_ekd_2004.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Konzept für die Katholische Seelsorge in Spitälern, Kliniken und Pflegezentren im Kanton Zürich (2005). http://www.spitalseelsorgezh.ch/begleitung/leitbild/def-konzept-spital-29–8–05.pdf/ view (Zugriff am 27.2.2019) Koordinierungsstelle für Hospiz- u. Palliativversorgung in Deutschland (Hg.) (2019): Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland. https://www.­chartazur-betreuung-sterbender.de/ (Zugriff am 10.12.2018). Körtner, U. H. J. (2004): Grundkurs Pflegeethik. Stuttgart u. a. Körtner, U. H. J. (2007): Ethik im Krankenhaus. Diakonie – Seelsorge – Medizin. Göttingen. Körtner, U. H. J. (2015): Ethik, Seelsorge und Beratung. Zeitschrift für Evangelische Ethik, 59 (4), 279–291. Kössler, H./Mösli, P. (2014): Unterbrechung des Krankenhausalltags: Gottesdienste im Inselspital Bern. In: K. Kusmierz/I. Noth (Hg.): »… mitten unter ihnen«. Gottesdienste in Institutionen und an Orten öffentlichen Lebens (S. 57–72). Zürich. Kotulek, M. (2018): Menschen mit Demenz spirituell begleiten. Impulse für die Praxis. Ostfildern. Kovacs, A. H./Utens, E. M. (2015): More Than Just the Heart. Transition and Psychosocial Issues in Adult Con-genital Heart Disease. Cardioligy Clinics, 33, 625–634. Kröger, E. (2016): Wie lernt Kirche Partizipation? In: Kröger, E. (Hg.): Wie lernt Kirche Partizipation? Würzburg. Kroeger, M. (2004): Im religiösen Umbruch der Welt: Der fällige Ruck in den Köpfen der Kirche. Stuttgart. Krüger, A. (2014): Traumapädagogisches Handbuch. Medizinische Versorgung. Göttingen. Krupp, S./Lohse, K. (2016): Seelsorge. In: M. Willkomm (Hg.): Praktische Geriatrie. (2. Aufl., S. 69). Stuttgart. Kühl, S. (2018): Organisationskulturen beeinflussen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden. Kühn, H. (2014): Die Sorge um die Patienten: Grundlage der Personalarbeit im Krankenhaus. In: H. Naegler (Hg.): Personalmanagement im Krankenhaus (3. Aufl.; S. 25–48). Berlin. Kuhn-Flammensfeld, N. (2017): Modelle der Mitwirkung von Seelsorge in ambulanten Gesundheitsnetzen. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 200–204). Freiburg i.Br. Kuhn-Flammensfeld, N. (2018): Im Sterben nicht allein gelassen. Arbeitshilfe der Erzdiözese München und Freising. Kühnle-Hahn, G. (2010): Auftrag und Identität der Krankenhausseelsorge im Zusammenspiel mit Mitarbeitenden. Wege zum Menschen, 62 (6), 556–569. Kunz, R. (2009): Weisheit. Konzepte der Lebensklugheit. In: T. Klie/M. Kumlehn/R. Kunz (Hg.): Praktische Theologie des Alterns (S. 171–172). Berlin u. a. Kunz, R. (Hg.) (2012): Spiritualität im Diskurs Spiritualitätsforschung in theologischer Perspektive. Zürich.

582

Literatur

Kunz, R. (2015): Gottesdienst im Altersheim. In: K. Kusmierz/I. Noth (Hg.): »… mitten unter ihnen« Gottesdienste in Institutionen und an Orten öffentlichen Lebens (S. 23–41). Zürich. Künzler, A./Znoj, H./Bargetzi, M. (2010): Krebspatienten sind anders. Was häufig auffällt und manchmal schwierig ist. Schweizerisches Medizin-Forum, 10 (19–20), 344–347 (DOI: 10.4414/smf.2010.07171). https://medicalforum.ch/de/article/doi/smf.2010.07171/ (Zugriff am 19.10.2018). Labitzke, K./Kuhn-Flammensfeld, N. (2017): Spiritual Care und Seelsorge in der Hospiz- und Palliativversorgung. Konzept der Sektion Seelsorge der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Münster. https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/pdf/fachkompetenz/Spiritual_Care_Seelsorge_DGP_Endfassung_170915.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Ladwig, K.-H./Lederbogen, F./Albus, C./Angermann, C./Borggrefe, M./Fischer, D./Fritzsche, K./ Haass, M./Jordan, J./Jünger, J./Kindermann, I./Köllner, V./Kuhn, B./Scherer, M./Seyfarth, M./ Völler, H./Waller, C./Herrmann-Lingen, C. (2013): Positionspapier zur Bedeutung psychosozialer Faktoren in der Kardiologie. Update 2013. Kardiologe, 7, 7–27. Lammer, K. (2005): Was ist pastoralpsychologische Supervision? In: W. Härle/B. M. Haese/K. Hansen/E. Herms (Hg.): Systematisch praktisch. Festschrift für Reiner Preul zum 65. Geburtstag. Marburg; nachgedruckt in K. Lammer (2012a): Beratung mit religiöser Kompetenz. Beiträge zu pastoralpsychologischer Seelsorge und Supervision (S. 107–131). Neukirchen-Vluyn. Lammer, K. (2012a): Beratung mit religiöser Kompetenz. Beiträge zu pastoralpsychologischer Seelsorge und Supervision. Neukirchen-Vluyn. Lammer, K. (2012b): Was ist Seelsorge. In: K. Lammer: Beratung mit religiöser Kompetenz. Beiträge zu pastoralpsychologischer Seelsorge und Supervision (S. 20–24). Neukirchen-Vluyn. Lammer, K. (2013): Ein Ritual zeigt mehr als 1000 Worte. Über die Grenzen von Gesprächen und den Wert von Ritualen. Leidfaden. Fachmagazin für Krisen, Leid und Trauer, 2 (1), 4–9. Lammer, K. (2015a): Was ist Seelsorge? In: K. Lammer/S. Borck/I. Habenicht/T. Roser (Hg.): Menschen stärken. Seelsorge in der evangelischen Kirche (2. Aufl.; S. 11–17). Gütersloh. Lammer, K. (2015b): Wie arbeitet Seelsorge? In: K. Lammer/S. Borck/I. Habenicht/T. Roser (Hg.): Menschen stärken. Seelsorge in der evangelischen Kirche (2. Aufl.; S. 59–72). Gütersloh. Lammer, K. (2015c): Welche operative Qualität braucht Seelsorge? Kompetenzen, Haltung und ethisches Handeln Seelsorgender. In: K. Lammer/S. Borck/I. Habenicht/T. Roser (Hg.): Menschen stärken. Seelsorge in der evangelischen Kirche (2. Aufl.; S. 81–93). Gütersloh. Lammer, K./Borck, S./Habenicht, I./Roser, T. (2015): Menschen stärken. Seelsorge in der evangelischen Kirche. Gütersloh. Lampert, T./Richter, M./Schneider, S./Pallek, J./Dragano, N. (2016): Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Stand und Perspektiven der sozioepidemiologischen Forschung in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 59 (2), 153–165. Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (Hg.) (o. J.): Segnen und gesegnet werden. Anregungen für Gottesdienste mit Segnung und Salbung. Nürnberg. Lange, D. (1991): Evangelische Seelsorge in ethischen Konfliktsituationen. Pastoraltheologie, 80, 62–77. Lange, E. (1981 [1966]): Von der »Anpassung« der Kirche. In: Schloz, R. (Hg.) (1981): E. Lange: Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns (S. 161–176). München. Langer, R. (2015): Therapeutisch-religiöse Ritualperformanzen im sufischen Kontext: das Beispiel Oruç Güvenç. In: G. Klinkhammer/E. Tolksdorf (Hg.): Somatisierung des Religiösen: empirische Studien zum rezenten religiösen Heilungs- und Therapiemarkt (S. 219–236). Bremen. Lapide, P. (1983): Auferstehung. Ein jüdisches Glaubenszeugnis (4. Aufl.). München u. a. Laureys, S./Celesia, G./Cohadon, F./Lavrijsen, J./Leon-Carrion, J./Sannita, W./Sazbon, L./Schmutzhard, E./von Wild, K./Zeman, A./Dolce, G./The European Task Force on Disorders of Consciousness (2010): Unresponsive wakefulness syndrome. A new name for the vegetative state or apallic syndrome. BMC Medicine, 8, 68.

Literatur

583

Lazar, R. A./Oechslen, R./Jörgensen, K. (2017): ›Faith-in-O‹ und der Umgang mit der Unbestimmtheit des Todes. In: E. Frick/R. T. Vogel (Hg.): Den Abschied vom Leben verstehen. Psychoanalyse und Palliative Care (2. Aufl.; S. 63–78). Stuttgart. Leget, C. (2015): Spiritual Care als Zukunft der Seelsorge! Diakonia, 46 (4), 225–231. Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)/Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG)/Deutschen Krebshilfe (DKH) (2015): S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. Kurzversion. https://www.leitlinienprogramm-onkolo-gie.de/fileadmin/user_ upload/Downloads/Leitlinien/Palliativmedizin/LL_Palliativmedizin_Kurzversion_1.1.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF) (2015): Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, Langversion 1.0. http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Palliativmedizin.80.0.html (Zugriff am 1.3.2019). Lemmen, T./Yardim, N. (2011): Notfallbegleitung für Muslime und mit Muslimen: Ein Kursbuch zur Ausbildung Ehrenamtlicher. Gütersloh. Leuenberger, M. (Hg.) (2015): Segen. Tübingen. Levi, P. (2015): Ist das ein Mensch? Ein autobiographischer Bericht (5. Aufl.). München. Liebau, I. (1997): Zwischen Himmel und Erde. Leiblichkeit und Geschlecht – aus bioenergetischer und theologischer Sicht. In: M. Klessmann/I. Liebau (Hg.): »Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes«. Körper – Leib – Praktische Theologie (S. 164–177). Göttingen. Liebau, I. (2003): Körperpsychotherapeutische Elemente als Ausdrucksformen ganzheitlicher Seelsorge. Wege zum Menschen, 55, 444–462. Liebau, I. (2014): Körperorientierte Seelsorge Mit Körper und Seele arbeiten. Meditation. zeitschrift für christliche spiritualität und lebensgestaltung, 40 (4), 32–39. Linden, K. J. (1969): Der Suizidversuch. Stuttgart. Lipsch, A. (2014): Kirche mit anderen – interkulturelle Öffnungsprozesse in der Evangelischen Kirche und Diakonie. In: C.-H. Mayer/E. Vanderheiden (Hg.): Handbuch Interkulturelle Öffnung. Grundlagen, Best Practice, Tools (S. 173–182). Göttingen. Löhr, M./Noelle, R./Baumeister, M./Meißnest, B. (Hg.) (2010–2013): »Lern von mir«. Unterstützung von Menschen mit Demenz in Allgemeinkrankenhäusern. Bielefeld. http://lernvonmir. fh-diakonie.de (Zugriff am 1.3.2019). Löw, M. (2015): Raumsoziologie (8. Aufl.). Frankfurt a. M. Lowen, A. (2013): Bioenergetik. Therapie der Seele durch Arbeit mit dem Körper (3. Aufl.). Hamburg. Lowen, A. (2014): Bioenergetik für jeden (16. Aufl.). München. Lublewski-Zienau, A./Kittel, J./Karoff, M. (2003): Was erwarten Patientinnen und Patienten von der Klinikseelsorge. Eine Studie in der kardiologischen Rehabilitation. Wege zum Menschen, 55 (7), 463–478. Lublewski-Zienau, A. et al. (2003): Erwartungen der Patienten an die Seelsorge. herzmedizin, 20 (2), 110. Lublewski-Zienau, A./Kittel, J./Karoff, M. (2005): Religiosität, Klinikseelsorge und Krankheitsbewältigung. Wie wird Seelsorge von kardiologischen Rehabilitanden angenommen? Wege zum Menschen, 57 (4), 283–295. Lückel, K. (1998): Gratwanderungen zwischen Sinn und Widersinn (Transparent, Bd. 47). Göttingen. Luhmann, N. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main. Luhmann, N. (2000): Die Religion der Gesellschaft. Frankfurt am Main. Luther, H. (1986): Alltagssorge und Seelsorge. Zur Kritik am Defizitmodell des Helfens. Wege zum Menschen, 38, 2–17.

584

Literatur

Luther, H. (1992): Alltagssorge und Seelsorge. Zur Kritik am Defizitmodell des Helfens. In H. Luther: Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts (S. 224– 238). Stuttgart. Mader, J. (2017): Professionelle Krankenhausseelsorge. Chancen und Aufgaben für Kirchen und konfessionelle Träger. Stuttgart. Maio, G. (2011): Der gute Arzt im Zeitalter der Ökonomie. Plädoyer für eine neue Kultur der Sorge in der Medizin. In: Erzbischöfliches Generalvikariat (Hg.): Ärztliches Selbstverständnis zwischen Dienstleistung und Nächstenliebe (S. 7–19). Paderborn. Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V. (Hg.) (2013): Islamische Krankenhaus-, Notfall-, Gefängnis-, Altenheim- und Telefonseelsorge. In: Miteinander im Dialog. Voneinander lernen. Gemeinsam Brücken bauen (S. 10–17). http://www.mannheimer-institut.de/downloads/Mannheimer_Institut_Broschuere_2013.pdf (Zugriff am 2.1.2019). Marcus, H.-J. (2017): Krankenhäuser und caritative Einrichtungen als Lernorte der Kirche. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 117–121). Freiburg i. Br. Marperger, B. W. (1717): Getreue Anleitung zur wahren Seelencur bey Krancken und Sterbenden. Nürnberg. Marquard, O. (1986): Über die Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften. In O. Marquard: Apologie des Zufälligen. Stuttgart. Marx, R. (2017): Geleitwort. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 19–20). Freiburg i.Br. Massey, K. (2015): Surfing through a Sea Change. The Coming Transformation of Chaplaincy Training. Reflective Practice: Formation and Supervision in Ministry, 35, 144–152. Mauritz, E. (2013): »Wertbild so wichtig wie Blutbild«. https://kurier.at/wissen/wertbild-so-wichtig-wie-blutbild/25.915.349 (Zugriff am 2.1.2019). Mayer, C.-H./Vanderheiden, E. (Hg.) (2014): Handbuch Interkulturelle Öffnung. Grundlagen, Best Practice, Tools. Göttingen. Mayr, B./Elhardt, E./Riedner, C./Roser, T./Frick, E./Paal, P. (2016): Die Kluft zwischen eingeschätzten und tatsächlichen Fähigkeiten bei der Erhebung der spirituellen Anamnese. Spiritual Care, 5, 9–16. Mazanec, P./Panke, J. T. (2016): Cultural Considerations in Palliative Care. In: B. R. Ferrell (Hg.): Spiritual, Religious and Cultural Aspects of Care (S. 47–70). Oxford. McNamara, B. (2004): Good enough death: autonomy and choice in Australian palliative care. Social Science & Medicine, 58, 929–938. McWilliam, C. L./Burdock, J./Wamsley, J. (1993): The challenging experience of palliative care support-team nursing. Oncology Nursing Forum, 20 (5), 779–785. Mehler, B. (2002): Seelsorge nach EN ISO 9000? Herausforderungen des Qualitätsmanagements an die Seelsorge. Wege zum Menschen, 54, 416–424. Merkt, H. (2014): Was ist interreligiöse Kompetenz in der Pflege? Ein Modellvorschlag aus religionspädagogischer Perspektive. In: H. Merkt/F. Schweitzer/A. Biesinger (Hg.): Interreligiöse Kompetenz in der Pflege. Pädagogische Ansätze, theoretische Perspektiven und empirische Befunde (S. 25–46). Münster u. a. Mette, J. (2010): Heilung durch Gottesdienst? Ein liturgietheologischer Beitrag. Regensburg. Mette, N. (2005): Einführung in die katholische Theologie. Darmstadt. Mette, N. (2013): Seelsorge im christlichen Verständnis. In: B. Ucar/M. Blasberg-Kuhnke (Hg.): Islamische Seelsorge zwischen Herkunft und Zukunft. Von der theologischen Grundlegung zur Praxis in Deutschland (S. 61–69). Frankfurt a. M. Metz, J. B. (1984): Glaube in Geschichte und Gesellschaft (4. Aufl.). Mainz. Meyer, B. (2012): Religious and Secular, »Spiritual« and »Physical« in Ghana. In C. Bender/A. Taves (Hg.): What matters? Ethnographies of value in a not so secular age (S. 86–118). New York.

Literatur

585

Meyer-Blanck, M. (2016): Theologie der Seelsorge. In: R. Kunz (Hg.): Seelsorge. Grundlagen – Handlungsfelder – Dimensionen (S. 29–40). Göttingen. Michal, M./Subic-Wrana, C./Beutel, M. E. (2014): Psychodynamische Psychotherapie, Lebensstil und Prävention. Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 60 (4), 350–367. Miche, E./Radzewitz, A./Herrmann, G. et al. (2003): Trainingsprogramm für Frauen mit chronischer Herzinsuffizienz. herzmedizin, 20 (2), 108. Mindell, A. (1990): Der Leib und die Träume – Prozessorientierte Psychologie in der Praxis (7. Aufl.). Paderborn. Mindell, A. (2000): Koma – ein Weg der Liebe. Ratgeber für Familie, Freunde und Helfer. Petersberg. Mindell, A. (2013): Schlüssel zum Erwachen – Menschen im Koma erreichen und ihnen beistehen. Ostfildern. Mittelstraß, J. (1998): Die Häuser des Wissens. Wissenschaftstheoretische Studien. Frankfurt a. M. Moeller, C. (1994): Entstehung und Prägung des Begriffs Seelsorge. In: Moeller, C. (Hg.): Geschichte der Seelsorge in Einzelporträts, Band 1 (S. 9–19). Göttingen. Moltmann, J. (1989): Diakonie im Horizont des Reiches Gottes. Schritte zum Diakonentum aller Gläubigen (2. Auflage). Neukirchen-Vluyn. Monin, P. (2006): Prozessorientierte Kommunikation mit Menschen in Veränderten Bewusstseinszuständen und Koma. In: T. Kammerer (Hg.): Traumland Intensivstation. Veränderte Bewusstseinszustände und Koma. Interdisziplinäre Expeditionen (S. 271–280). Norderstedt. Monod, S./Rochat, E./Büla, C. (2006): Quelle place donner à la sphère spirituelle dans la prise en charge des patients âgés. Revue médicale suisse, 85. http://revue.medhyg.ch/article. php3?sid=31758 (Zugriff am 1.3.2019). Monti, M. M./Vanhaudenhuyse, A./Coleman, M. R./Boly, M./Pickard, J. D./Tshibanda, L./ Owen, A. M./Laureys, S. (2010): Willful Modulation of Brain Activity in Disorders of Consciousness. The New England Journal of Medicine, 362, 579–589 (DOI: 10.1056/NEJMoa0905370). Moos, T. (2016): Eine verlorene Kategorie? Zum Umgang mit moralischer Schuld in der Klinikseelsorge. Praktische Theologie, 51, 214–220. Moos, T./Ehm, S./Kliesch, F./Thiesbonenkamp-Maag, J. (2016): Ethik in der Klinikseelsorge. Empirie, Theologie, Ausbildung. Göttingen. Moreira-Almeida, A./Koenig, H. (2006): Retaining the meaning of the words religiousness and spirituality. A commentary on the WHOQOL SRPB group’s »a cross-cultural study of spirituality, religion, and personal beliefs as components of quality of life«. Social Science & Medicine, 63 (4), 843–845. Morgenthaler, C. (1999): Systemische Seelsorge. Impulse der Familien- und Systemtherapie für die kirchliche Praxis. Stuttgart u. a. Morgenthaler, C. (2003): Seelsorge. Lehrbuch Praktische Theologie (3. Aufl.). Gütersloh. Morgenthaler, C. (2007): Rituale: Theoretische Zugänge. In: K. Eulenberger/L. Friedrichs/U. Wagner-Rau im Auftrag der Liturgischen Konferenz (Hg.): Gott ins Spiel bringen. Handbuch zum Neuen Evangelischen Pastorale (S. 174–184). Gütersloh. Müller, H./Willmann, H. (2016): Trauer: Forschung und Praxis verbinden: Zusammenhänge verstehen und nutzen. Göttingen. Müller, J. F. W. (2004): Organisationsentwicklung und Personalentwicklung im Qualitätsmanagement der Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens am Beispiel Altenhilfe. München u. a. Müller, L. (2012): Grenzen der Medizin im Alter? Sozialethische und individualethische Diskussion. Zürich. Müller, M./Pfister, D. (Hg.) (2014a): Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin (3. Aufl.). Göttingen.

586

Literatur

Müller, M./Pfister, D. (2014b): Die verwundbaren Helfer. Warum die Studie und dieses Buch? In: M. Müller/D. Pfister (Hg.): Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin (3. Aufl.; S. 13–21). Göttingen. Müller, M./Pfister, D./Markett, S./Jaspers, B. (2009): Wie viel Tod verträgt das Team? Eine bundesweite Befragung der Palliativstationen in Deutschland. Schmerz, 23 (6), 600–608. Müller, M./Brathuhn, S./Schnegg, M. (Hg.) (2013): Handbuch Trauerbegegnung und -begleitung. Theorie und Praxis in Hospizarbeit und Palliative Care. Göttingen. Müller-Tidow, C. (2017): Personalisierte Therapie bei Leukämien. Klinikum Stuttgart. Fünf Jahre Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl. Wissenschaftliches Symposium, 22.09.2017. Vortragsmitschrift C. Schmohl. Münzel, T./Perings, S./Post, F. (2016): Chest pain Units. Erste Erfahrungen. Deutsches Ärzteblatt, 113 (41), 32 (DOI: 10.3238/PersKardio.2016.10.14.07). https://www.aerzteblatt.de/ archiv/182933/Chest-pain-Units-Erste-Erfahrungen (Zugriff am 24.10.2018). Nacimiento, W. (2005): Apallisches Syndrom, Wachkoma, persistent vegetative state: Wovon redet und was weiß die Medizin? In: W. Höfling (Hg.): Das sog. Wachkoma. Rechtliche, medizinische und ethische Aspekte, Recht – Ethik – Medizin 1 (S. 29–48). Münster. Naegler, H. (2014): Kulturelle Bedingungen für die Leitungstätigkeit in Krankenhäusern. In: H. Naegler (Hg.): Personalmanagement im Krankenhaus (3. Aufl.; S. 85–91). Berlin. Nagase, M. (2012): Does a Multi-Dimensional Concept of Health Include Spirituality? Analysis of Japan Health Science Council’s Discussions on WHO’s ›Definition of Health‹ (1998). International Journal of Applied Socio-logy, 2 (6), 71–77. Nassehi, A. (2009): Religiöse Kommunikation. Religionssoziologische Konsequenzen einer qualitativen Untersuchung. In: Bertelsmann Stiftung (Hg.): Woran glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008 (S. 169–204). Gütersloh. Nassehi, A./Saake, I. (2004): Die Religiosität religiöser Erfahrung. Ein systemtheoretischer Kommentar zum religionssoziologischen Subjektivismus. Pastoraltheologie, 93, 64–81. Nauer, D. (2001): Seelsorge-Konzepte im Widerstreit. Ein Kompendium. Stuttgart. Nauer, D. (2007): Seelsorge. Sorge um die Seele. Stuttgart. Nauer, D. (2015): Spiritual Care statt Seelsorge? Stuttgart. Nauer, D. (2016): Spiritual Care und/statt Seelsorge? Geist und Leben, 89, 291–301. Naurath, E. (2000): Seelsorge als Leibsorge. Perspektiven einer leiborientierten Krankenhausseelsorge. Köln. Naurath, E. (2007): Berühren. In: K. Eulenberger/L. Friedrichs/U. Wagner-Rau im Auftrag der Liturgischen Konferenz (Hg.): Gott ins Spiel bringen. Handbuch zum Neuen Evangelischen Pastorale (S. 154–158). Gütersloh. Neher, P. (2018): Zukunftsperspektiven. Wohin geht die Krankenhausseelsorge? In: T. Hagen/ N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 289–291). Freiburg i.Br. Nelius, G./Städtler-Mach, B. (2002): Qualitätssicherung in der Krankenhausseelsorge – Chancen und Risiken. Wege zum Menschen, 54, 402–412. Network for Pastoral, Spiritual & Religious Care in Health (NPSRCH) (2019): We champion … http://network-health.org.uk/ (Zugriff am 1.3.2019). Neubart, R. (2018): Seelsorge. In: R. Neubart (Hg.): Repetitorium Geriatrie, Geriatrische Grundversorgung – Zusatz-Weiterbildung Geriatrie – Schwerpunktbezeichnung Geriatrie (2. Aufl.; S. 55), Berlin u. a. Niederberger, M./Renn, O. (2018): Das Gruppendelphi-Verfahren. Vom Konzept zur Anwendung. Berlin. Niethammer, D. (2010): Wenn ein Kind schwer krank ist. Über den Umgang mit der Wahrheit. Berlin. Nolan, S. (2011): Spiritual Care at the End of Life. The Chaplain as a »Hopeful Presence«. London.

Literatur

587

Nolan, S./Saltmarsh P./Leget, C. (2011): Spiritual Care in palliative care: working towards an EAPC Task Force. European Journal of Palliative Care, 18 (2), 86–89, Übersetzung: Kammerer, T./ Roser, T./Frick, E. (2013): Spiritualität und Religion. In: A. Michalsen/C. S. Hartog (Hg.): Endof-Life Care in der Intensivmedizin (S. 139–145). Berlin u. a. Nono, L. (1962): Intolleranza. Handlung in zwei Teilen nach einer Idee von Angelo Maria Ripellino. Mainz (dt. Übertragung von Alfred Andersch). Noth, I. (2014): Seelsorge und Spiritual Care. In: I. Noth/C. Kohli Reichenbach (Hg.): Palliative und Spiritual Care. Aktuelle Perspektiven in Medizin und Theologie (S. 103–115). Zürich. Noth, I./Kohli Reichenbach, C. (2014): Palliative und Spiritual Care: aktuelle Perspektiven in Medizin und Theologie. Zürich. Noual, J.-A. (2012): Überraschungen bezeugen. Relecture einer Praxis in der Krankenhausseelsorge. In: R. Feiter/H. Müller (Hg.): Frei geben (S. 170–173). Ostfildern. Nouwen, H. (2012): Leben hier und jetzt. Jahreslesebuch. Freiburg i. Br. Oberholzer, B./Palm, L./Kaelin, A. (2018): Patientinnen und Patienten Ohne Bekenntnis (OB). Ein Erfahrungsbericht aus dem Universitätsspital Zürich. Spiritual Care, 7 (3), 301–303. Oechsle, U. (2011): Wozu Krisen uns herausfordern und was wir aus ihnen lernen können. Existenz und Logos, 19, 18–31. Okoli, C./Pawlowski, S. D. (2004): The Delphi method as a research tool: an example, design considerations and applications. Information & Management, 42, 15–29. Ostermann, U./Lowens, A. (2015): Charaktertypen in der Seelsorge mit Krebskranken. In: I. Liebau (Hg.): Forum Bioenergetische Analyse 2015 (S. 93–109). Gießen. Otto, R. (1963): Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. München. Otzelberger, M. (2002): Das Trauma der Hinterbliebenen. München. Owen, A. (2017): Zwischenwelten. Ein Neurowissenschaftler erforscht die Grauzone zwischen Leben und Tod. München. Paal, P. (2012): Ist »Kultur« in Palliative Care von Belang? Überlegungen aus anthropologischer Sicht. Zeitschrift für Palliativmedizin, 13, 24–27. Paal, P./Frick, E./Roser, T./Jobin, G. (2017): Expert discussion on taking a spiritual history. Journal of Palliative Care, 32, 19–25. Paget, N./McCormack, J. (2006): The Work of the Chaplain. Valley Forge. Papadatou, D. (2000): A proposed model of health professionals’ grieving process. OMEGA: Journal of Death an d Dying, 14, 59–77. Parker-Oliver, D. (1999): The social construction of the »dying role« and the hospice drama. OMEGA, 40, 493–512. Paul VI (1965): Gaudium Et Spes. Art. 1. Rom. Pawlik, M. (2012): Wo wäre denn da die Entscheidungsfreiheit?, 26.03.2012. https://www.faz.net/ aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/bauer-fartacek-und-nindl-wenn-das-lebenunertraeglich-wird-wo-waere-denn-da-die-entscheidungsfreiheit-11698349.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0 (Zugriff am 1.3.2019). Peintinger, M. (2003): Autonomie und Lebenswirklichkeit – Spiritualität als Teil des Heilungsauftrages im Krankenhaus. In: Landeskrankenhaus/Universitätsklinikum Graz (Hg.): »Heil werden«. Spiritualität im Krankenhaus. Texte (S. 20–27). Graz. http://olaf.uni-graz.at/spiritualitaetlkhgraz/Dateien/Symposium1 %20Texte.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Peng-Keller, S. (2005): Einführung in die Theologie der Spiritualität. Darmstadt. Peng-Keller, S. (2012): Spiritualität in der modernen Medizin. In: M. Belok (Hg.): Seelsorge in Palliative Care (S. 87–98). Zürich. Peng-Keller, S. (2017a): Sinnereignisse in Todesnähe. Traum- und Wachvisionen Sterbender und Nahtoderfahrungen im Horizont von Spiritual Care (Studies in Spiritual Care, Bd. 1). Berlin. Peng-Keller, S. (2017b): »Spiritual Care« im Werden. Spiritual Care, 6, 175–181.

588

Literatur

Peng-Keller, S. (2017c): Spiritual Care und klinische Seelsorge im Horizont globaler Gesundheitspolitik. Chancen und Herausforderungen. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 47–55). Freiburg i.Br. Peng-Keller, S. (2017d): Professionelle Klinikseelsorge im Horizont interprofessioneller Spiritual Care. Pastoraltheologie, 106 (10), 411–421. Peng-Keller, S. (2019): Spiritual Care im Gesundheitswesen des 20. Jahrhunderts. Von der sozialen Medizin zur WHO-Diskussion um die ›spirituelle Dimension‹. In: S. Peng-Keller/D. Neuhold (Hg.): Spiritual Care im globalisierten Gesundheitswesen. Historische Hintergründe und aktuelle Entwicklungen. Darmstadt. Peters, S. (2013): »Ich versteh die Welt nicht mehr« – Existenzielle Kommunikation in der Pflege. In: Diakonie Deutschland/J. Stockmeier/A. Giebel/H. Lubatsch (Hg.): Geistesgegenwärtig pflegen. Existenzielle Kommunikation und spirituelle Ressourcen im Pflegeberuf, Bd. 2 (S. 165– 180). Neukirchen-Vluyn. Petersen, B. (1998): Theologie nach Auschwitz. Jüdische und christliche Versuche einer Antwort, VIKJ Bd. 24 (2. Aufl.). Berlin. Petery, M. (2017): Die Betreuung Schwerstkranker und Sterbender in Bayerischen Jüdischen Gemeinden heute. Berlin u. a. Pfaff-Czarnecka, J. (2012): Zugehörigkeit in der mobilen Welt. Göttingen. Pfister, D. (2014a): Belastungsfaktoren. In: M. Müller/D. Pfister (Hg.): Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin (3. Aufl.; S. 43–49). Göttingen. Pfister, D. (2014b): Schutzfaktoren. In: M. Müller/D. Pfister (Hg.): Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin (3. Aufl.; S. 181–183). Göttingen. Pisarski, W. (2000): Gott tut gut. München. Platon (1992): Apologie des Sokrates. Griechisch – Deutsch. Übersetzt und hg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart. § 17. http://agiw.fak1.tu-berlin.de/Auditorium/AntWirkG/SOKap5/ApolSokr. htm (Zugriff am 2.1.2019). Plügge, H. (1967): Der Mensch und sein Leib. Tübingen. Pockrandt, B. (2008): Zwischen Befunden und Befinden. Krankenhauswelten im Fragment. Frankfurt a. M. Poelchau, H. (2004): Die Ordnung der Bedrängten. Erinnerungen des Gefängnisseelsorgers und Sozialpfarrers (1903–1972). Berlin. Pöldinger, W. (1968): Die Abschätzung des Suizids. Bern. Probst, S. M. (2019): Die palliativmedizinische Begleitung jüdischer Patienten und Palliative Care aus jüdischer Sicht. Zeitschrift für Palliativmedizin, 20, 31–38. Projektgruppe Pastorales Konzept (Hg.) (2017): Pastorales Konzept. Pfarrverband Dachau  – St. Jakob. http://www.pv-dachau-st-jakob.de/index.php?page=1441 (Zugriff am 1.1.2019). Puchalski, C. M. (1999): Spiritual Assessment Tool. Innovations in End-of-Life Care, 6, 1–2. Puchalski, C. M./Vitillo, R./Hull, S. K./Reller, N. (2014): Improving the Spiritual Dimension of Whole Person Care: Reaching National and International Consensus. Palliative Medicine, 17 (6), 642–656 (DOI: 10.1089/jpm.2014.9427). Pujol, N./Jobin, G./Beloucif, S. (2016): ›Spiritual care is not the hospital’s business‹: a qualitative study on the perspectives of patients about the integration of spirituality in healthcare settings. Journal of Medical Ethics, 62, 733–737. Pulheim, P. (1981): Ich will nicht als Spezialist für Sterbebegleitung im Krankenhaus funktionieren. Erfahrungen eines Krankenhausseelsorgers. In: T. R. Peters (Hg.): Theologisch-politische Protokolle (S. 28–42). München u. a. Radbruch, L./Payne, S. (2011): White Paper on Standards and Norms for Hospice and Palliative

Literatur

589

Care in Europe: Part 1. Recommendations of the European Association for Palliative Care. Übersetzt von Buche, D./Schmidlin, E./Jünger, S. (2011): Standards und Richtlinien für Hospiz- und Palliativversorgung in Europa: Teil 1, Weißbuch zu Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Palliative Care (EAPC). Zeitschrift für Palliativmedizin, 12 (5), 116–227. https:// www.dgpalliativmedizin.de/images/Radbruch_2010_Standards_Norms_DeutschTeil1_ZPallMed.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Rafael, S. (2006): Kopfzerbrechen: Notizen aus meinem Koma und der Zeit danach (2. Aufl.). Frankfurt. Raiser, K. (2013): Ökumene unterwegs zwischen Kirche und Welt. Berlin Rat der Religionen Frankfurt (2012): Seelsorge interreligiös. Empfehlungen für ehren- und hauptamtliche Angebote in Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen. https://rat-der-religionen.de/portfolio/seelsorge-interreligioes (Zugriff am 14.12.2018). Reber, J. (2013a): Spiritualität im Sozialen Unternehmen. Mitarbeiterseelsorge – Spirituelle Bildung – Spirituelle Unternehmenskultur. Stuttgart. Reber, J. (2013b): Christliche spirituelle Unternehmenskultur. Stuttgart. Reber, J. (2018): Christlich-spirituelles Unternehmensprofil. Prozesse in Caritas, Diakonie und verfasster Kirche fördern. Stuttgart. Reddemann, L. (2006): Imagination als heilsame Kraft (12. Aufl.). München. Rentz, R. (2016): Schuld in der Seelsorge. Historische Perspektiven und gegenwärtige Praxis. Stuttgart. Richter, H. (2014): Das Ehrenamt in der Krankenhausseelsorge. Wege zum Menschen, 66 (6), 590–599. Richter, H. (2016): Klinikseelsorge oder Krankenhausgemeinde – Plädoyer für ein neues Paradigma. Wege zum Menschen, 68 (6), 489–503. Richter, M. (2011): Der Schutz des Seelsorgegeheimnisses. Konvent der Krankenhausseelsorgerinnen und Krankenhausseelsorger der EKBO, 11.11.2011. Berlin (unveröffentlicht). Rilke, R. M. (1957): Herbsttag. In: R. M. Rilke: Werke. Auswahl in zwei Bänden, Bd. 1. Leipzig. Ringel, E. (1999): Der Selbstmord: Abschluß einer krankhaften psychischen Entwicklung (7. Aufl.). Eschborn. Rinn-Maurer, A. (1995): Seelsorge an Herzpatienten. Zum interdisziplinären Gespräch zwischen Medizin und Theologie. Stuttgart. Ritschl, D. (2004): Heil und Heilung aus der Patientenperspektive. In: Ritschl, D. (Hg.): Zur Theorie und Ethik der Medizin. Philosophische und theologische Anmerkungen (S. 119–231). Neukirchen-Vluyn. Ritter, H. (1978): Das Meer der Seele. Mensch, Welt und Gott in den Geschichten des Farīduddīn ʿAṭṭār. Leiden. Roberts, D. L./Kovacich, J. (2018): Modifying the Qualitative Delphi Technique to Develop the Female Soldier Support Model. The Qualitative Report, 23 (1), 158–167. Rollig, C./Beelen, D. W./Braess, J./Greil, R./Niederwieser, D./Passweg, J./Reinhardt, D./ Schlenk, R. F. (2018): Akute Myeloische Leukamie (AML). https://www.onkopedia.com/de/ onkopedia/­guidelines/akute-myeloische-leukaemie-aml/@@view/html/index.html (Zugriff am 18.10.2018). Röseberg, D./Müller, M. (Hg.) (2014): Handbuch der Kindertrauer. Begleitung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Göttingen. Roser, T. (2001): Ethik in der Klinikseelsorge. Neue Herausforderungen der Seelsorgelehre. In: R. Busch/N. Knoepffler (Hg.): Grenzen überschreiten (S. 77–89). München. Roser, T. (2007): Spiritual Care. Ethische, organisationale und spirituelle Aspekte der Krankenhausseelsorge. Ein praktisch-theologischer Zugang. Stuttgart. Roser, T. (2011): Innovation Spiritual Care. Eine praktisch-theologische Perspektive. In: E. Frick/ T. Roser (Hg): Spiritualität und Medizin (2. Aufl.; S. 45–55). Stuttgart.

590

Literatur

Roser, T. (2012): Lebenssättigung als Programm. Praktisch-theologische Überlegungen zu Seelsorge und Liturgie an der Grenze. Zeitschrift für Theologie und Kirche, 109 (3), 397–414. Roser, T. (2014): Schmerz ausdrücken und behandeln in Ritualen. Praktische Theologie, 49 (4), 221–227. Roser, T. (2015a): Als Kranker unter Gesunden. In: S. Höfling/E. Rösch (Hg.): Wem gehört das Sterben? Sterbehilfe und assistierter Suizid. Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 99 (S. 31–36). München. https://www.hss.de/download/publications/AMZ_99_Sterben.pdf (Zugriff am 20.10.2018). Roser, T. (2015b): Wie positioniert sich Seelsorge im Gesundheitswesen? Spiritual Care und die Integration von Seelsorge in ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen. Zeitschrift für Evangelische Ethik, 59 (4), 262–278. Roser, T. (2015c): Spiritual Care und Krankenhausseelsorge. Diakonia, 46 (4), 232–240. Roser, T. (2016a): Sexualität bei Palliativpatienten. In: R. Likar/E. Riess. (Hg.): Unerhörte Lust. Zur Sexualität behinderter und kranker Menschen (S. 202–216). Salzburg u. a. Roser, T. (2016b): Seelsorge bei Sterbenden und ihren Angehörigen. In: R. Kunz (Hg.): Seelsorge: Grundlagen – Handlungsfelder – Dimensionen (S. 129–143). Göttingen. Roser, T. (2017a): Spiritual Care. Der Beitrag von Seelsorge zum Gesundheitswesen (2. Aufl.). Stuttgart. Roser, T. (2017b): Transformation in Raum und Zeit – Seelsorge als verändernde Kraft im Gesundheitswesen. Pastoraltheologie, 106, 434–448. Roser, T. (2017c): Krankenhausseelsorge und Spiritual Care. Spiritual Care (Themenheft Klinikseelsorge im Horizont von Spiritual Care), 6 (2), 229–232. Roser, T (2017d): Strukturen der Krankenhausseelsorge in England: Impulse für Deutschland? In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 243–250). Freiburg i.Br. Roser, T. (2018): Könnte es von Bedeutung sein, in der Seelsorge von Gott zu reden? Gedanken zur Gottesrede in der Seelsorge. Wege zum Menschen, 70 (2), 132–147. Roser, T./Hagen, T./Foster, C./Borasio, G. D. (2010): Einblicke in die spirituelle Begleitung am Lebensende. Empirische Erhebung im Hospiz und Palliativbereich. Zeitschrift für Palliativmedizin, 11, 130–132. Roser, T./Rüter, F./Stache, M./Wemhöner, H. (Hg.) (2017): Verlässlich und erreichbar. Seelsorgepraxis in der Evangelischen Kirchen von Westfalen. Bielefeld. Rössler, D. (1994): Grundriss der praktischen Theologie (2. Aufl.; S. 202–206). Berlin u. a. Ruch, C. (2016): Simon Peng-Keller ist der erste Schweizer Dozent für Spiritual Care. https:// www.theologie.uzh.ch/dam/jcr:9f0a3b60-d02a-4ddc-9237-c183c57c8af8/pal_116_S42_43. pdf (Zugriff am 1.3.2019). Rückert, F. (1837): Die Verwandlungen des Abu Seid von Serug oder die Makamen des Hariri, Bd. 2. Stuttgart u. a. Rumbold, B. (2012): Models of spiritual Care. In: M. A. Cobb/C. M. Puchalski/B. Rumbold (Hg.): Oxford Textbook of Spirituality in Healthcare (S. 177–183). Oxford. Rüter, F. (2009): Späte Trauer. Eine Studie zur seelsorglichen Begleitung Trauernder. Leipzig. Rutter, M. (1985): Resilience in the face of adversity: protective factors and resistance to psychiatric disorder. British Journal of Psychiatry, 147, 398–611. Saake, I. (2003): Die Performanz des Medizinischen. Soziale Welt, 54, 429–459. Saake, I. (2006): Der Arzt als Zauberer: Zur Performanz des Medizinischen. In: K.-S. Rehberg/ Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) (Hg.): Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2 (S. 1982–1990). Frankfurt a. M. Saʿdī (1998): Der Rosengarten. Auf Grund der Übers. von Karl Heinrich Graf neu bearb., hg. und kommentiert von Dieter Bellmann. München.

Literatur

591

Šarīʿatī, A. (1981): Die vier Gefängnisse des Menschen. Bonn. Scharfenberg, J. (1991): Seelsorge als Gespräch. Zur Theorie und Praxis seelsorgerlicher Gesprächsführung (5. Aufl.). Göttingen. Schaupp, K. (2006): Gott im Leben entdecken. Einführung in die geistliche Begleitung, Würzburg. Schaupp W. P. J./Kröll, W. (Hg.) (2014): Gesundheitssorge und Spiritualität im Krankenhaus. Innsbruck u. a. Schernus, R. (1997): Abschied von der Kunst des Indirekten. Umwege werden nicht bezahlt – Implikationen und Folgen der Ökonomisierung des Sozialen. Soziale Psychiatrie, 21 (3), 4–10. Schimmel, A. (1952): Some Aspects of Mystical Prayer in Islam. Die Welt des Islam, 2 (2), 112–125. Schimmel, A. (1958): The Idea of Prayer in the thought of Iqbāl. The Muslim World, 48 (3), 205–222. Schimmel, A. (1995): West-östliche Annäherungen: Europa in der Begegnung mit der islamischen Welt. Stuttgart. Schimmel, A. (2000): Dein Wille Geschehe. Die Schönsten Islamischen Gebete. Kandern. Schindler, Ch./Buyer, R.(2014): Das Schöne in der Arbeit der Kinderklinikseelsorge. Wege zum Menschen, 66 (1), 58–64. Schindler-Herrmann, C. (o. J.): Salbung. Eine Handreichung, Schopfheim. Schipperges, H. (1990): Die Kranken im Mittelalter (2. Aufl.). München. Schipperges, H. (1999): Krankheit und Kranksein im Spiegel der Geschichte. Berlin u. a. Schipperges, H. (2003): Gesundheit und Gesellschaft. Ein historisch-kritisches Panorama. Berlin u. a. Schirmacher, P. (2017): Von der morpho-molekularen Klassifikation bis zum Molekularen Tumorboard – Sinn und Perspektive der molekularen Tumorpathologie. Klinikum Stuttgart. Fünf Jahre Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl. Wissenschaftliches Symposium, 22.09.2017, Vortragsmitschrift C. Schmohl. Schlag, T. (2012): Öffentliche Kirche. Grunddimensionen einer praktisch-theologischen Kirchentheorie. Zürich. Schlaudraff, U. (2013): Krankenhausseelsorge und Ethik. In: M. Klessmann (Hg.): Handbuch der Krankenhausseelsorge (4. Aufl.; S. 251–262). Göttingen. Schleidgen, S./Thiersch, S./Wuerstlein, R./Marckmann, G. (2017): How Do Patients Experience Individualized Medicine? A Qualitative Interview-based Study of Gene Expression Analyses in the Treatment of Breast Cancer. Zeitschrift für Geburtshilfe und Frauenheilkunde, 77, 984–992. Schleiermacher, F. (2001): Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Berlin. Schlüter, M. (2013): Seelsorge in der Herzklinik. Spiritual Care, 2 (2), 55–65. Schmidt-Leukel, P. (2005): Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen. Gütersloh u. a. Schmidt-Rost, R. (1986): Tod und Sterben in der modernen Gesellschaft. Humanwissenschaftliche und theologische Überlegungen zur Deutung des Todes und zur Sterbebegleitung. In: Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen: EZW-Information, 99. Stuttgart. http:// www.ezw-berlin.de/downloads/Information_99.pdf (Zugriff am 31.10.2018). Schmidtbauer, W. (1983): Helfen als Beruf. Die Ware Nächstenliebe. Reinbek. Schmohl, C. (2015a): Onkologische Palliativpatienten im Krankenhaus. Seelsorgliche und psychotherapeutische Begleitung. Stuttgart. Schmohl, C. (2015b): Sinnsuche als Chance in Spiritual Care. Logotherapeutische Perspektiven für die Begleitung onkologischer Palliativpatienten im Krankenhaus. Spiritual Care, 4 (1), 29–37. Schmohl, C. (2015c): Sinnorientierung und Seelsorge. Perspektiven für die Begleitung onkologischer Palliativpatienten. Wege zum Menschen, 67 (4), 358–370. Schmohl, C. (2017): »You’ve done very well« (»Das haben Sie sehr schön gemacht«): On courage and presence of mind in spiritual issues. Health and Social Care Chaplaincy (Special Issue on Case Studies), 5 (2), 174–193.

592

Literatur

Schmolke, A. (2019): Trauer als Weg zur Versöhnung. Die Bedeutung der Spiritualität für Hinter-bliebene nach einem Suizid, Dissertation, Münster. Schneider, I. (1997): Sidjn. In: P. Bearman/T. Bianquis/C. E. Bosworth/E. van Donzel/W. P. Hein‒‒ richs (Hg.): Encyclopaedia of Islam, Bd. 9 (2. Aufl.; S. 547–548). Leiden. Schneider-Harpprecht, C. (2003): Seelsorge als systemische Praxis. Wege zum Menschen, 55, 427–443. Schneider-Harpprecht, C. (2005a): Das Profil der Seelsorge im Unternehmen Krankenhaus. In: C. Schneider-Harpprecht/S. Allwin (Hg.): Psychosoziale Dienste und Seelsorge im Krankenhaus. Eine neue Perspektive der Alltagsethik (S. 150–174). Göttingen. Schneider-Harpprecht, C. (2005b): Leibsorge? Die Wiederentdeckung des Leibes in der Seelsorge. In: C. Schneider-Harpprecht/S. Allwin (Hg.): Psychosoziale Dienste und Seelsorge im Krankenhaus. Eine neue Perspektive der Alltagsethik (S. 202–222). Göttingen. Schneider-Harpprecht, C./Allwinn, S. (2005): Psychosoziale Dienste und Seelsorge als vierte Säule im Krankenhaus. In: Schneider-Harpprecht, C./Allwinn, S. (Hg.): Psychosoziale Dienste und Seelsorge im Krankenhaus. Eine neue Perspektive der Alltagsethik (S. 223–245). Göttingen. Schneider-Stengel, D. (2014): Interkulturelle Öffnung der katholischen Kirche. In: C ­ .-H. Mayer/ E. Vanderheiden (Hg.): Handbuch Interkulturelle Öffnung. Grundlagen, Best Practice, Tools (S. 151–163). Göttingen. Schneidereit-Mauth, H. (2013): Die Krankheit eines Kindes als Krise der ganzen Familie. Wege zum Menschen, 65 (2), 175–184. Schneidereith-Mauth, H. (2015): Ressourcenorientierte Seelsorge. Salutogenese als Modell für seelsorgerliches Handeln. Gütersloh. Schnurr, S. (2005): Managerielle Deprofessionalisierung? Neue Praxis, 35, 238–242. Schoenauer, H. (Hg.) (2012): Spiritualität und innovative Unternehmensführung, Stuttgart. Scholz, H. (Hg.) (1977): F. Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811/1830). Darmstadt. Schulze, A. (2010): Tod eines neugeborenen Kindes. In G. Jorch/A. Hübler (Hg.): Neonatologie. Die Medizin des Früh- und Reifgeborenen (S. 640–647). Stuttgart. Schweizerische Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung (palliative ch) (2008): BIGORIO 2008. Empfehlungen zu Palliative Care und Spiritualität. Konsens zur »best practice« für Palliative Care in der Schweiz. https://www.palliative.ch/fileadmin/user_upload/palliative/fachwelt/E_Standards/E_12_1_bigorio_2008_Spiritualitaet_de.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Schwer, M. (2010): Selber mehr Mensch sein. Diakonisch-mystagogisches Lernen in der stationären Altenpflege. Ostfildern. Seiler, R. (1994): Mittelalterliche Medizin und Probleme der Jenseitsvorsorge. In: P. Jezler (Hg.): Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter (S. 117–124). Zürich. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (1998): Die Sorge der Kirche um die Kranken. Seelsorge im Krankenhaus. Pastorale Handreichung. Zu einigen aktuellen Fragen des Sakramentes der Krankensalbung, Die deutschen Bischöfe, Nr. 60. Bonn. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (2008): Zeugenaussage, Zeugnisverweigerungsrecht und Schweigepflicht. Ein juristischer Leitfaden für Seelsorger zum Schutz des Beichtund Seelsorgegeheimnisses. Bonn (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Arbeitshilfen 222). https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/arbeitshilfen/AH_222. pdf (Zugriff am 1.3.2019). Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (2018): »Ich war krank und ihr habt mich besucht« (Mt 25,36). Ein Impulspapier zur Sorge der Kirche um die Kranken. (Die deutschen Bischöfe – Pastoralkommission; 46). Bonn. Sennett, R. (2000): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin u. a. Sevinç, İ./Akay, M. (2018): Özel Hastanelerde Çalışan Doktor ve Hemşirelerin Dini Danışmanlık ve Manevi Bakıma İlişkin Görüşleri: Antalya İli Örneği/The Opinions of Doctors and Nurses

Literatur

593

Working in Private Hospitals regarding Spiritual Counseling and Care Services: The Case of City of Antalya (S. 70). http://mdrk.org/MDR2_Ozet-Kitapcigi_TR.pdf (Zugriff am 2.1.2019). Simon, A. (2018): Pro: Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit als Suizid? Zeitschrift für Palliativmedizin, 19, 10–12. Simon, M. (2000): Ökonomische Anreize und verdeckte Rationierung im Gesundheitswesen. Wege zum Menschen, 52, 305–314. Simon, M. (2017): Das Gesundheitswesen in Deutschland (6. Aufl.). Bern. Singer, C. (2011): Alles ist Leben. Letzte Fragmente einer langen Reise. München. Sloterdijk, P. (2009): Du musst dein Leben ändern. Frankfurt a. M. Smeding, R. M./Heitkönig-Wilp, M. (2010): Trauer erschließen. Eine Tafel der Gezeiten. Esslingen. Sommerauer, C. (2006): Seelsorgerliche Begleitung bei sterbenden Kindern/verstorbenen Kindern um Kreißsaal und auf Neonatologie, ihren Familien und den sie begleitenden Personen. In: A. Schulze/A. Strauss/A. W. Flem-mer/S. Herber-Jonat/I. M. Heer (Hg.): Grenzbereiche der Perinatologie (S. 125–131). München u. a. Sperry, L. (2016): Secular spirituality and spiritually sensitive clinical practice. Spirituality in Clinical Practice, 3, 221–223. Spiewak, M. (2000): Suche nach der Zauberformel. Die schwedische Provinzklinik von Sunderby will das modernste Krankenhaus Europas sein. Eine Visite. Die Zeit, 55 (36), 32. Spiritual Care Collaborative (2004): Common Standards for Professional Chaplaincy. http://www. spiritualcarecollaborative.org/docs/common-standards-professional-chaplaincy.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Spital- und Klinikseelsorge, Katholische Kirche im Kanton Zürich (2007): Verbindliches Rahmen-Konzeptpflichtenheft kath. Spitalseelsorgerin, Spitalseelsorger, Klinikseelsorgerin, Klinikseelsorger. http://www.spitalseelsorgezh.ch/begleitung/leitbild/konzeptpflichenheft-2011/ view (Zugriff am 1.3.2019). Städtler-Mach, B. (2015): Salutogenese in der Pflegewissenschaft. In: A. von Heyl/K. Kemnitzer/ K. Raschzok (Hg.): Salutogenese im Raum der Kirche (S. 431–440). Leipzig. Stähli, A. (2011): Palliative Care im Kontext kulturell-religiöser Vielfalt. Zeitschrift für Palliativmedizin, 12, 256–259. Stähli, A. (2013): Erläuterung und Anleitung zum erweiterten Pflegeanamnesebogen. In: DRK-Landesverband Westfalen-Lippe e. V./Akademie am Johannes-Hospiz (Hg.): Empfehlungen zur Hospiz- und Palliativbetreuung von Menschen mit Migrationshintergrund – eine Handreichung (S. 30–36). Münster. http://www.johannes-hospiz.de/cms/upload/pdf/01_Handreichung.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Statistisches Bundesamt (Hg.) (2017a): Gesundheit. Grunddaten der Krankenhäuser 2016. Fachserie 12 Reihe 6.1.1. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/ Krankenhaeuser/Publikationen/Downloads-Krankenhaeuser/grunddaten-krankenhaeuser-2120611177004.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Zugriff am 1.3.2019). Statistisches Bundesamt (2017b): Pressemitteilung Nr. 261 vom 1. August 2017. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/08/PD17_261_12511.html (Zugriff am 26.10.2018). Steffensky, F. (2007): Mut zur Endlichkeit, Stuttgart. Steffensky, F. (o. J.): Und du sollst ein Segen sein. Ein Begleitheft zum Segenskoffer. Hg. von Andere Zeiten e. V. Hamburg. Steinforth, T. (2013): Wie kommt Spiritualität in die Organisation? Förderung spiritueller Kompetenz. Spiritual Care, 2 (3), 8–20. Steinhauser, K. E./Balboni, T. A./Fitchett, G./Handzo, G. F./Johnson, K. F./Koenig H. G./Pargament, K. I./Puchalski, C. M./Sinclair, S./Taylor, E. J. (2017): State of the Science in Spirituality and Palliative Care Research. Journal of Pain and Symptom Management, 54 (3), 426–453.

594

Literatur

Steinmann, R. M. (2012): Spiritualität – die vierte Dimension der Gesundheit: Eine Einführung aus der Sicht von Gesundheitsförderung und Prävention. Münster. Stempin, L. (2014): Gesundheit als Gabe. Zur Wiederkehr religiöser Begründungen von Gesundheit und spirituell geprägter Gesundheitspraxis. Göttingen. Stiller, H. (2013): Seelsorge mit KrebspatientInnen. In: M. Klessmann (Hg.): Handbuch der Krankenhausseelsorge (4. Aufl., S. 112–124). Göttingen. Stolberg, M. (2011): Die Geschichte der Palliativmedizin. Medizinische Sterbebegleitung von 1500 bis heute. Mabuse: Frankfurt a. M. Stollberg, D. (1969): Therapeutische Seelsorge: die amerikanische Seelsorgebewegung. Darstellung und Kritik. München. Stollberg, D. (1978): Wahrnehmen und Annehmen. Gütersloh. Strecker, J. (2009): Die Bedeutung und Besonderheit von Ritualen in Seelsorge und Beratung. Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung, 27 (3), 121–127. Sturm, W. (2015): »Was soll man da in Gottes Namen sagen?« Der seelsorgerliche Umgang mit ethischen Konfliktsituationen im Bereich der Neonatologie und seine Bedeutung für das Verhältnis von Seelsorge und Ethik. Göttingen. Sundermeier, T. (1996): Den Fremden verstehen. Eine praktische Hermeneutik. Göttingen. Swinton, J./Kelly, E. (2016): Contextual Issues. Health and Healing. In: Ch. Swift/M. Cobb/A. Todd (Hg.): A Handbook of Chaplaincy Studies. Understanding Spiritual Care in Public Places (S. 175–185). London u. a. Tatçı, M. (1991): Yunus Emre Divanı. Ankara. Taves, A./Bender, C. (2012): Introduction. Things of Value. In: C. Bender/A. Taves (Hg.): What matters? Ethnographies of value in a not so secular age (S. 1–33). New York. Taylor, C. (1996): Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität. Frankfurt a. M. Taylor, E. J. (2016): Spiritual assessment. In: B. R. Ferrell (Hg.): Spiritual, religious, and cultural aspects of care (S. 1–28). New York. The Multi-Society Task Force on PVS (1994a): Medical aspects of the persistent vegetative state. First of two parts. The New England Journal of Medicine, 330 (21), 1499–1508. The Multi-Society Task Force on PVS (1994b): Medical aspects of the persistent vegetative state. Second of two parts. The New England Journal of Medicine, 330 (22), 1572–1579. Theobald, C. (2000): Le récit et la pratique de la relecture pastorale. Aumônerie des hôpitaux; ­cliniques, maisons de retraite et de cure (AH), 168 (10), 12–15. Theobald, C. (2001): L’équipe, creuset où se forgent les identités pastorales. Aumônerie des ­hôpitaux; cliniques, maisons de retraite et de cure (AH), 169 (1), 4–7. Theobald, C. (2001): La relecture pastorale à la lumière des récits évangéliques. Aumônerie des hôpitaux; cliniques, maisons de retraite et de cure (AH), 170 (4), 3–7. Theobald, C. (2008): Relecture. In: P. Bacq/C. Theobald: Passeurs d’Évangile. Autour d’une pastorale d’engendrement (S. 218). Montréal u. a. Theobald, C. (2012a): Heute ist der günstige Augenblick. In: R. Feiter/H. Müller (Hg.): Frei geben (S. 81–109). Ostfildern. Theobald, C. (2012b): Evangelium und Kirche. In: R. Feiter/H. Müller (Hg.): Frei geben (S. 110– 138). Ostfildern. Thilo, H.-J. (1985): Die therapeutische Funktion des Gottesdienstes. Kassel. Thomas, G./Karle, I. (Hg.) (2009): Krankheitsdeutung in der postsäkularen Gesellschaft. Theologische Ansätze im interdisziplinären Gespräch. Stuttgart. Tiefensee, E. (2017): Krankenhäuser als »andere« pastorale Orte. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/ C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 94–109). Freiburg i.Br. Tirier, U. (2003): Wenn alles sinnlos erscheint. Logotherapie in der Begleitung lebensbedrohlich erkrankter Menschen. Gütersloh.

Literatur

595

Türk, E. (2014): Kur’an’a göre din eğitiminde rehberlik. Istanbul. Turner, V. (1995): Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Frankfurt a. M. UNHCR (2015): Culture, Context and the Mental Health and Psychosocial Wellbeing of Syrians. A Review for Mental Health and Psychosocial Support Staff Working with Syrians Affected by Armed Conflict. www.unhcr.org/55f6b90f9.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Utsch, M./Anderssen-Reuster, U./Frick, E./Gross, W./Murken, S./Schouler-Ocak, M./Stotz-­ Ingenlath, G. (2017): Empfehlungen zum Umgang mit Religiosität und Spiritualität in Psychiatrie und Psychotherapie. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Spiritual Care, 6 (1), 141–146. Vachon, M. L. S. (1995): Staff stress in hospice/palliative care: a review. Palliative Medicine, 9, 91–121. Vagts, D. A./Mutz, C. W. (2013): Verhältnis von Intensiv- zu Palliativmedizin. In: A. ­Michalsen/­ C.  S. Hartog (Hg.): End-of-Life Care in der Intensivmedizin (S. 101–105). Berlin u. a. Vattimo, G. (2001): Die Spur der Spur. In: J. Derrida/G. Vattimo: Die Religion (S. 107–124). Frankfurt a. M. Vermandere, M./Warmenhoven, F./Van Severen, E./De Lepeleire, J./Aertgeerts, B. (2016): Spiritual history taking in palliative home care: A cluster randomized controlled trial. Palliative Medicine, 30 (4), 338–50. Vetter, C. (2014): Perkutane Koronarintervention. Sind die Medikamenten-Stents der dritten Generation effektiv und sicher? Deutsches Ärzteblatt, 111. https://www.aerzteblatt.de/archiv/156718/ Perkutane-Koronarintervention-Sind-die-Medikamenten-Stents-der-dritten-Generation-­ effektiv-und-sicher (Zugriff am 26.10.2018). Voelker, C. (Hg.) (2011): Interprofessionelle Kooperation. In: C. Voelker (Hg.): Berufliches Selbstverständnis (Reihe Physiotherapie) (S. 131–152). Berlin. https://www.cornelsen.de/bgd/97/83 /06/45/03/20/5/9783064503205_x1SE_S138–143.pdf (Zugriff am 1.3.2019). Vonderlin, E.-M. (1999): Frühgeburt: Elterliche Belastung und Bewältigung. Heidelberg. Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e. V. (2010): Standards für Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitssystems. Ethik in der Medizin, 22 (2), 149–153. Wagner-Rau, U. (Hg.) (2015): Zeit mit Toten. Eine Orientierungshilfe der Liturgische Konferenz, Gütersloh. Wanderer, G. (2017): Hat jeder seine eigene Moral? Pluralismus im Krankenhaus und seine Herausforderungen für die Klinikseelsorge. In: T. Hagen/N. Groß/W. Jacobs/C. Seidl (Hg.): Seelsorge im Krankenhaus und Gesundheitswesen. Auftrag – Vernetzung – Perspektiven (S. 177– 186). Freiburg i.Br. Wasner, M./Stahn, T./Roser, T. (2008): Bedeutung von Sexualität und Intimität für Palliativpatienten. Zeitschrift für Palliativmedizin, 9 (3) (DOI: 10.1055/s-0028–1088432). Watt, W. M. (2002): Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter. Berlin. Weidmann, W. (2003): Trost und Trösten als ärztliche Aufgabe. Würzburg. Weidner, F. (2003): Die Beschleunigungsmühle mahlt weiter. Visionen einer zukünftigen Krankenversorgung. Krankendienst, 76 (12), 373–380. Weiher, E. (2001): Mehr als begleiten. Ein neues Profil für die Seelsorge im Raum von Medizin und Pflege (2. Aufl.). Mainz. Weiher, E. (2007): Die Religion, die Trauer und der Trost. Seelsorge an den Grenzen des Lebens (3. Aufl.). Ostfildern. Weiher, E. (2009): Das Geheimnis des Lebens berühren. Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod (2. Aufl.). Stuttgart. Weiher, E. (2012): Wenn das Geheimnis die Lösung ist. Spiritual Care, 1, 82–83. Weiher, E. (2014): Das Geheimnis des Lebens berühren – Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod. Eine Grammatik für Helfende (4. Aufl.). Stuttgart. Weimer, M. (1999): Der Brief Christi. Pastoralpsychologische Fußnoten zu den seelsorgerlichen Elementen der Pastorenrolle. Wege zum Menschen, 51, 484–495.

596

Literatur

Weinberg, D. (2015): Verletzte Kinderseele. Was Eltern traumatisierter Kinder wissen müssen und wie sie richtig reagieren. Stuttgart. Weiß, H. (2011): Seelsorge – Supervision – Pastoralpsychologie. Neukirchen-Vluyn. Weiß, H. (2012): Der Islamische Gruß. Der Beginn eines Ausbildungskurses in »Islamischer Seelsorge im Krankenhaus«. In: R. Kunz/I. Noth (Hg.): Nachdenkliche Seelsorge – seelsorgliches Nachdenken: Festschrift für Christoph Morgenthaler zum 65. Geburtstag (S. 123–138). Göttingen. Weiß, H./Temme, K. (2014): Seelsorge als Beziehungsarbeit, Dokumentation aus einem Kurs »Islamische Seelsorge im Krankenhaus«. In: E. Begic/H. Weiß/G. Wenz (Hg.): Barmherzigkeit. Zur sozialen Verantwortung islamischer Seelsorge (S. 125–146). Neukirchen-Vluyn. Weissenrieder, A./Etzelmüller, G. (2010): Christentum und Medizin. Welche Koppelungen sind Lebensförderlich? In: G. Etzelmüller/A. Weissenrieder (Hg.): Religion und Krankheit (S. 11–34). Darmstadt. Weizsäcker, B. von (2013): »Ich glaube nicht an einen personalen Gott«. Beatrice von Weizsäcker über ihren Glauben. chrismon plus, 8/2013. https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2013/%E2 %80 %9Eich-glaube-nicht-einen-personalen-gott%E2 %80 %9C-19457 (Zugriff am 1.3.2019). Well, J. E. (2013): Ressourcen stärken. Seelsorge für Eltern letal erkrankter Kinder. Leipzig. Welter-Enderlin, R. (2002): Nützlichkeit und Grenzen von Ritualen und ritualisierten Übergängen in der Praxis systemischer Therapie. In: R. Welter-Enderlin/B. Hildebrand (Hg.): Rituale – Vielfalt in Alltag und Therapie (S. 237–249). Heidelberg. Wemhöner, H./Stache, M./Roser, T. (2017): Seelsorge in der Ortsgemeinde. In: T. Roser/F. Rüter/ M. Stache/H. Wemhöner (Hg.): Verlässlich und erreichbar. Seelsorgepraxis in der Evangelischen Kirche von Westfalen (S. 125–132). Bielefeld. Wermuth, I. (2010): Palliative Behandlung und Sterben auf einer Neugeborenen-Intensivstation. Kassel. Wettreck, R. (2008): Spiritualität, Werte, Organisation. Diakonische Identität und Profilierung im Gesundheitsmarkt. Wege zum Menschen, 60, 472–487. Wettreck, R./Drews-Galle, V./Rothe, K. (2012): Existenzielle Kommunikation systemisch gedacht. »Seelischer Beistand« als Profilmerkmal diakonischer Unternehmen. In: Diakonie Deutschland/J. Stockmeier/A. Giebel/H. Lubatsch (Hg.): Geistesgegenwärtig pflegen. Existenzielle Kommunikation und spirituelle Ressourcen im Pflegeberuf, Bd. 1 (S. 213–227). N ­ eukirchen-Vluyn. WHO/Weltgesundheitsorganisation (1946): Verfassung der Weltgesundheitsorganisation. Z. B. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19460131/201405080000/0.810.1.pdf (Zugriff am 19.3.2019). WHO/Weltgesundheitsorganisation (1986): Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. http:// www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf (Zugriff am 6.12.2018). WHO/World Health Organization (2005): The Bangkok Charter for Health Promotion in a Globalized World. http://www.who.int/healthpromotion/conferences/6 gchp/bangkok_charter/ en/ (Zugriff am 5.12.2018). WHO/World Health Organization (o. J.): Cancer. http://www.euro.who.int/en/what-we-do/ health-topics/noncommunicable-diseases/cancer/facts-and-figures (Zugriff am 16.10.2018). Wielandt, R. (1994): Der Mensch und seine Stellung in der Schöpfung: Zum Grundverständnis islamischer Anthropologie. In: A. Bsteh (Hg.): Der Islam als Anfrage an christliche Theologie und Philosophie (S. 97–105). Mödling. Wiesemann, C./Dörries, A./Wolfslast, G./Simon, A. (2003) (Hg.): Das Kind als Patient. Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille. Frankfurt a. M. u. a. Wild, B. (2010): Humor und Gehirn. Neurobiologische Aspekte. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 43 (1), 31–35.

Literatur

597

Wild, K. von/Laureys, S./Giuliano, D. (2012): Apallisches Syndrom, vegetativer Zustand. Unangemessene Begriffe. Deutsches Ärzteblatt, 109 (4), A-143/B-131/C-131 (http://www.aerzteblatt.de/archiv/119915). Wild, T. (2016): Seelsorge Inselspital. Kompetenzen und Perspektiven. Bern. Willemsen, R. (2006): Der Selbstmord. Briefe, Manifeste, literarische Texte. Berlin. Willms, W. (1986): Der geerdete Himmel. Kevelaer. Winkelmann, S. (2016): Religiöse Deutungen in schwerer Krankheit. Berlin u. a. Winter-Pfändler, U./Morgenthaler, C. (2010): Wie zufrieden sind Patientinnen und Patienten mit der Krankenhausseelsorge. Wege zum Menschen, 62 (6), 570–584. Wintz, S./Handzo, G. (2015): Dokumentation und Verschwiegenheit in der professionellen Seelsorge, Wege zum Menschen, 67 (2), 160–164. Worden, J. W. (2004): Beratung und Therapie in Trauerfällen (2. Aufl.). Bern. World Council of Churches (2010): Witnessing to Christ today. Promoting health and healing for all. Tübingen. World Council of Churches (2017): »Our calling to health and healing is as strong as ever«. https:// www.oikoumene.org/en/press-centre/news/201cour-calling-to-health-and-healing-is-asstrong-as-ever201d (Zugriff am 18.11.2018). Wortmann, H./Jarck, T./Mummenhoff, U. (Hg.) (2010): Qualitätshandbuch zur Krankenhausseelsorge. Göttingen. Yancick, R. (1984): Sources of work stress for hospice staff. Psychosocial Oncology, 2, 21–31. Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut (Hg.) (2016a): Kapitel 2: Epidemologie von Krebserkrankungen (S. 21–23). Berlin. https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/ Publikationen/Krebsgeschehen/Epidemiologie/Kapitel 2_Epidemiologie.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 18.10.2018). Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut (Hg.) (2016b): Anlage zur Pressemitteilung vom 29.11.2016. Zusammenfassung des Berichts zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016. Berlin. http://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2016/17_2016_ Anlage.pdf;jsessionid=FB0B4AC3418E10B64E19BB8BFF68A263.2_cid372?__blob=publicationFile (Zugriff am 18.10.2018). Zentrum für Krebsregisterdaten (2017): Krebs gesamt. https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Krebs_gesamt/krebs_gesamt_node.html (Zugriff am 18.10.2018). Zielke-Nadkarni, A. (2007): Gesundheits- und Krankheitskonzepte. In: D. Domenig (Hg.): Transkulturelle Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe (2. Aufl.; S. 191– 204). Bern u. a. Ziemer, J. (2015): Seelsorgelehre. Göttingen. Zimmermann, M./Klein, C./Büttner, G. (Hg.) (2013): Kind – Krankheit – Religion. Medizinische, psychologische, theologische und religionspädagogische Perspektiven. Neukirchen-Vluyn. Zitt, R. (2008): Hoffnung und Verletzlichkeit und Verantwortung. Theologisch-ethische Dimensionen und Multiperspektiven in der Sozialen Arbeit. In: R. Hoburg (Hg.): Theologie der helfenden Berufe (S. 183–193). Stuttgart.

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Aebi, Renata, Pfarrerin, Spitalseelsorgerin am Kantonsspital Graubünden, Beauftragte für Seelsorge in Palliative Care der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen Albrecht, Johannes, Seelsorger im Evangelischen Zentrum für Altersmedizin in Potsdam Beelitz, Thomas, Dr. theol., Pfarrer, Krankenhausseelsorger, Berater/Lehrsupervisor DGfP, Systemischer Supervisor SG, Vivantes Klinikum Kaulsdorf, Berlin Bieler, Andrea, Prof. Dr., Professorin für Praktische Theologie (Theologische Fakultät), Universität Basel Borck, Sebastian, Leitender Pastor des Hauptbereichs Seelsorge und gesellschaftlicher Dialog der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland Braune, Christian, Dr. theol, Pastor, Gefängnisseelsorger in der JVA Hamburg-Fuhlsbüttel Brems, Michael, Pastor, Koordinierungsstelle für Krankenhausseelsorge in der Nordkirche De Meo, Francesco, Dr. jur., Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) der Helios Health GmbH Fischer, Michael, Prof. Dr. theol., St. Franziskus-Stiftung Münster, Referat für Leitbildkoordination/ Qualitätsmanagement und Professor für Qualitätsmanagement an der Privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik in Hall (UMIT) Frick SJ, Eckhard, Prof. Dr. med., Forschungsstelle Spiritual Care, Klinikum rechts der Isar der TU München und Hochschule für Philosophie München Frommann, Nicole, Dr. theol., Pfarrerin, Theologische Direktorin des Evangelischen Klinikums Bethel, Bielefeld Giebel, Astrid, Dr. theol., Pastorin, Theologin im Leitungsstab der Diakonie Deutschland im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e. V. Goldbach, Gundula, Pfarrerin der Kirchengemeinden Heckershausen und Kammerberg (Pfarrstelle Ahnatal II), körperorientierte Seelsorgerin (Zertifikat) und Traumaberaterin, 1999–2015 Klinikpfarrerin am Klinikum Kassel Gratz, Margit, Dr., Theologin, Palliativfachkraft, Gesamtleitung des Hospiz St. Martin, Stuttgart-Degerloch

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

599

Haart, Dorothee, Dr. theol., Klinikseelsorgerin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Hagen, Thomas, Dr., Hauptabteilungsleiter für Seelsorge in Lebensumständen und Lebenswelten in der Erzdiözese München und Freising Kääb, Heidi, Pfarrerin, Seelsorgerin in der Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Regensburg und im Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg Kammerer, Thomas, Pfarrer, Seelsorger im Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Kaspers-Elekes, Karin, Pfarrerin, Dipl.-Päd., Evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau, Spitalseelsorgerin am Kantonsspital Münsterlingen, Co-Studiengangleitung MAS Spiritual Care an der Universität Basel Kassebaum, Heike, Mag. Päd., Pfarrerin, Kinderkrankenhausseelsorgerin in der Akutklinik Kinderzentrum des Evangelischen Klinikums Bethel und in der Abteilung für Kinderepileptologie im Krankenhaus Mara, Bielefeld Klessmann, Michael, Prof. em. Dr., Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel Kuhn-Flammensfeld, Norbert, Seelsorger auf der Palliativstation an der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin der LMU München Großhadern Kunz, Ralph, Prof. Dr., Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Homiletik, Liturgik und Poimenik an der Universität Zürich Labitzke, Karoline, Pfarrerin, Beauftragte für Seelsorge in der Palliativarbeit der Ev.-Luth. K ­ irche in Bayern, Seelsorgerin an der Klinik für Palliativmedizin, LMU Klinikum der Universität ­München, Lehrsupervisorin (DGfP) Lammer, Kerstin, Prof. Dr., Professorin für Seelsorge und Supervision an der Evangelischen Hochschule Freiburg Mayr, Katharina, Dipl.-Soz., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Ludwig-­ Maximilians-Universität München Methfessel, Annedore, ev. Theologin und Pastoralpsychologin, Lehrsupervisorin (DGfP), Geschäftsführung PZ.RR Pastoralpsychologisches Zentrum Rhein-Ruhr gGmbH Moos, Thorsten, Prof. Dr., Professor für Diakoniewissenschaft und Systematische Theologie/Ethik an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel Mösli, Pascal, lic. theol., Supervisor, Coach, Koordinator für Palliative Care der Reformierten ­Kirchen Bern-Jura-Solothurn und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Spiritual Care im Bereich »Klinische Seelsorge« an der Universität Zürich Müller, Hadwig Ana M., Dr. theol., Dipl.-Psych., Pastoralreferentin des Erzbistums Freiburg i.Br. Nassehi, Armin, Prof. Dr. phil., Inhaber des Lehrstuhls I Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München Palm, Lisa, lic. theol., Palliative Care Beauftragte der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, Kath. Spitalseelsorgerin am Universitätsspital Zürich

600

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Peng-Keller, Simon, Prof. Dr. theol., Professor für Spiritual Care an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich, Seelsorger am Kompetenzzentrum Palliative Care, Universitätsspital Zürich Reber, Joachim, Dr. theol., Trainer und Berater mit dem Schwerpunkt christliche Unternehmenskultur, Stuttgart Richter, Harald, Klinikseelsorger am Rhön-Klinikum und im Heilbad Campus Bad Neustadt a. d. Saale Rinn, Angela, Prof. Dr. theol., Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar in Herborn und Privatdozentin für Praktische Theologie in Heidelberg Roser, Traugott, Prof. Dr. theol., Professor für Praktische Theologie an der Westfälischen ­Wilhelms-Universität Münster Rüter, Friederike, Dr. theol., Pfarrerin, Dozentin und Supervisorin, Leiterin des Fachbereichs Seelsorge am Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Evangelischen Kirche von Westfalen Saake, Irmhild, Dr., Akademische Rätin am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-­ Universität München Schindler, Christa, Pfarrerin, Klinikseelsorgerin in der Kinderklinik Amsterdamer Straße in KölnRiehl und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Holweide, Städtische Kliniken Köln Schlüter, Martina, Dipl.-Theol., Pastoralreferentin und Leitung der katholischen Seelsorge am Helios Amper-Klinikum Dachau Schmohl, Corinna, Dr. theol., Pfarrerin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Logo­ therapeutin, fachwissenschaftliche Autorin, Stuttgart Schmuck, Volkmar, Pfarrer der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, Lehrsupervisor (DGfP), Krankenhausseelsorger des Städtischen Klinikums Wolfenbüttel Stähli, Andreas, Dr. phil., M.A., Leiter der Akademie am Johannes-Hospiz Münster Takim, Abdullah, Prof. Dr. phil., Professor für Islamische Theologie an der Fakultät für Lehrerinnenbildung der Universität Innsbruck Zierer, Claudia, Katholische Pastoralreferentin, Systemische Beraterin (DGSF), Supervisorin (DGSv), Seelsorgerin am Klinikum der LMU Campus Großhadern und am Kinderpalliativzentrum des LMU Klinikums