Gustav von Schmoller und die Probleme von heute [1 ed.] 9783428475025, 9783428075027

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Gustav von Schmoller und die Probleme von heute [1 ed.]
 9783428475025, 9783428075027

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JÜRGEN G. BACKHAUS (Hrsg.)

Gustav von Schmoller und die Probleme von heute

Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann t

Heft 430

Gustav von Schmoller und die Probleme von heute

llerausgegeben von

Jürgen G. Backhaus

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gustav von Schmoller und die Probleme von heute I hrsg. von Jürgen G. Badehaus. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Volkswirtschaftliche Schriften ; H. 430) ISBN 3-428-07502-1 NE: Backhaus, Jürgen [Hrsg.]; GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-07502-1

Inhalt Jürgen G. Backhaus Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einfluß Nicholas W. Balabkins Schmoller und der Stammbaum der nationalökonomischen Wissenschaft: "Mit der Theorie allein kommt man nicht aus" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Peter R. Senn Gustav Schmollerauf englisch: Welche Spuren hat er hinterlassen? . . . . . . . . . . . .

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Riccardo Faucci Gibt es einen Fall Schmoller? Zur Rezeption der Historischen Schule in Italien

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II. Sozialpolitik Günter Schmölders Statt Wirtschaftstheorie Staatswirtschaftslehre: Erinnerungen an Gustav Schmoller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gernot Gutmann Gustav Schmollerund der Verein für Socialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Reginald Hansen Gustav Schmoller und die Sozialpolitik von heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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111. Gesellschaft-Unternehmung-Technik Manfred Prisehing Schmollers Gesellschaftstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

Horst Betz Von Schmoller zu Sombart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Dieter Schneider Schmollerund die Lehre von der Unternehmungsverfassung vor der Betriebswirtschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Karl-Heinz Schmidt Ökonomie und Technologie . . .. . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . ..

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Namenregister . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . .. . .. .. . . . . . . . . . . . . . ..

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Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Verzeichnis der Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Einleitung I. Eine sonderbare Verdoppelung: Schmoller oder Schmöller? Zwei Generationen nach seinem Tode tritt uns Gustav Schmoller heute in doppelter Gestalt gegenüber. Einerseits lernen wir ihn vor allem aus Lehrbüchern als einen nie wieder erreichten Tiefpunkt in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften kennen; andererseits begegnen wir seinem Lebenswerk täglich in den vielfaltigen Manifestationen des modernen Wohlfahrtsstaates. Der eine Schmoller hat mit dem anderen kaum mehr als die Lebensdaten gemein. Einen hervorragenden Eindruck von dem, was ein fortgeschrittener Student der Wirtschaftswissenschaften an einer besseren Universität über Schmoller erfahren kann, gewinnen wir aus dem weitverbreiteten Lehrbuch von Ekelund & Hebert 1, in dem es heißt: "Instead of appreciating the beautiful sunset of Roscher's Principles, younger German economists mistakenly identified it as a sunrise. Although many writers dived into the ocean of historical research, none came close to the notorious Gustav Schmöller, Ieader of the younger school. Schmöller, pushing Roscher's historicism to extremes, argued that all received economic analysis, mainly Ricardian, was not only useless but pemicious as weil (since it led to social conclusions which were presumably not to Schmöller's taste). Schmöller drew up sharp lines of demarcation in the debate over method; the classical economists and the neo-classical Austrians (especially Menger) defending and employing what he regarded as an abstract deductive argument with the historico-inductive method of the German school. Schmöller seriously proposed that received theory, owing to the unrealism of assumptions, to the degree of theoretical abstraction and to the neglect of interrelated and relevant facts, be completely discarded. The resultant gap would ultimately be filled by historicallaws of development, laws which Schmöller attempted to discuss in numerous publications, including his elephantine Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre" ...

Das Phänomen ist nicht neu. Kaum zehn Jahre nach SchmollersTode versuchte Schumpeter in einem damals aufsehenerregenden Artikel in Schmollers Jahrbuch dieser sonderbaren Verdoppelung Schmollers, die vermutlich in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften einzigartig ist, entgegenzuwirken. 2 Eine Genera1 Robert B. Ekelund, Jr. und Roben F. Hebert, A History of Economic Theory and Method. New York: McGraw Hili, 1975, 196-197. 2 Siehe Joseph Alois Schumpeter, "Gustav von Schmoller und die Probleme von heute". Schmol/ers Jahrbuchfür Gesetzgebung und Volkswirtschaft im deutschen Reiche, 50, 1926/27, 337-388.

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Jürgen G. Backhaus

tion später machte Erwin von Beckerath einen erneuten Versuch in kaum zu überbietender Klarheit: "Schmoller genießt heute eine merkwürdige Aktualität. Er lebt fort als Prototyp einer Richtung, die nicht scharf genug verurteilt werden kann. Anders als Klopstock in dem berühmten Lessingschen Epigramm wird er nicht gelobt, vielmehr getadelt, aber ebensowenig gelesen. Die Wortführer einer an sich berechtigten Hinwendung zur reinen Theorie sowie junge Gelehrte, welche nach dem zweiten Weltkriege ihre Ausbildung erfuhren, sehen in ihm häufig den Verderber theoretischen Denkens, der die ökonomische Wissenschaft in Deutschland schwer geschädigt hat. Als ob die Autorität eines einzigen Mannes eine Wissenschaft hätte ,verführen' können, wenn nicht die Wendung, die er eingeleitet hat und förderte, aus kräftigen geistigen Quellen gespeist worden wäre. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht der Vorwurf einer grundsätzlichen ,Theoriefeindlichkeit'; in dieser Form gehört er ins Reich der Fabeln." 3 Daß Schmoller von denen, die sich in dieser Form über ihn äußern, nicht gelesen wird, ist jedermann deutlich, der sich auch nur kurz etwa seinem Grundriß4 widmet. Die Autoren des eingangs zitierten amerikanischen Lehrbuches machen daraus übrigens kein Hehl; sie beziehen sich explizit auf ein anderes einschlägiges Lehrbuch und nicht auf eine einzige Originalquelle. Edgar Salin lieferte wohl die Begründung für diese quellenferne Ausübung des wissenschaftlichen Berufes, indem er den Grundriß als einen "unbezwingbaren Berg" bezeichnete. 5 Die Einschätzung hat nicht jedermann geteilt, denn sonst hätte das Werk kaum große Verbreitung finden können. 1923 erschien die zweite, völlig neu bearbeitete und auch umfangreichere Auflage bereits im fünfzehnten Tausend. Von der französischen Ausgabe 6 konnte Schmoller befriedigt bereits 1908 mitteilen, daß innerhalb von sechs Jahren bereits sechstausend Exemplare "in die Welt gegangen" waren 7• Das Scheitern einer Übersetzung ins Englische "an der großen Schwierigkeit, meine Darstellungs- und Schreibweise gerade in diese Sprache zu übertragen" , hat sich langfristig besonders nachteilig ausgewirkt; denn sonst hätte das Schmollerbild der Lehrbuchautoren keinen Glauben finden können. Bis in die zwanziger und dreißiger Jahre beherrschten viele amerikanische Volkswirte freilich noch die deutsche Sprache; und Schmollers Werk war aus der einschlägigen Fachliteratur durch sorgfaltige Besprechungen (zum Beispiel im Journal of Political Economy) gut bekannt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die amerikanischen Universitäten aufhörten, Fremdsprachenkenntnisse als Zulassungserfordenis zur Promotion zu verlangen, wurde der Mangel einer Übersetzung zum unüberwindlichen Hindernis. Freilich hat O'Brien kürzlich gezeigt, daß sich 3 Erwin von Beckerath, "Gustav von Schmoller". In: Lynkeus: Gestalten und Probleme aus Wirtschaft und Politik. Tübingen: Mohr I Siebeck, 1962, 69. 4 Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, München-Leipzig: Duncker & Humblot, 1919. s Edgar Salin, Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Bern: Francke 1944, 171. 6 Principes d' economie politique. Paris Giard & Briere 1905- 1908, 5 Bände. 7 Siehe die Vorrede zum siebenten bis zehnten Tausend.

Einleitung

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Schmollers Sprache sehr wohl ins Englische übertragen läßt und Peter Senn zeigt in diesem Bande, daß Schmollers Einfluß trotz der Sprach- und anderen Barrieren im angelsächsischen Raum sehr groß war und bis heute nachwirkt. 8 Mit dem hiermit vorgelegten Buch möchten wir 9 zweierlei erreichen. Einerseits geht es um die Wirkungsgeschichte des Schmollersehen Werkes. Es wird deutlich, daß die Wissenschaft mit dem Schmollersehen Erbe unachtsam und unsargfaltig umgegangen ist. Das eingangs wiederholte amerikanische Zitat macht das überdeutlich. Andererseits geht es uns darum, die Ansatzpunkte, die wir im Schmollersehen Werk finden, für die Fragen und Aufgaben zu nutzen, vor denen wir heute stehen. Der Rest dieser Einleitung besteht aus zwei Teilen. Zunächst bemühe ich mich darum, Hauptpunkte des Schmollersehen Programms kurz zusammenzufassen und auf die Bedingungen einzugehen, unter denen sich ein derartiges wissenschaftliches Programm verwirklichen läßt. Zweitens gebe ich einen kurzen Überblick über die Beiträge zu diesem Band.

II. Das Schmoller Programm Wenn im folgenden von der Aktualität Schmollers die Rede sein soll, dann nicht im Sinne jener "merkwürdigen Aktualität" von Beckeraths, von der schon eingangs gesprochen wurde. Nicht um den zu wissenschaftspolitischen Zwecken zum Zerrbild verzeichneten "Schmöller" der Lehrbücher soll es gehen, sondern um den ursprünglichen Schmoller, so wie er uns aus seinen Schriften und seinen Wirken deutlich wird. Das Interesse an Schmoller beruht heute nicht allein auf einem durchaus verständlichen Nachholbedarf an diesem lange verkannten Klassiker. Das Interesse an Schmoller heute hat vielmehr inhaltliche Gründe, die mit seiner Theorie und dem heutigen Stande der volkswirtschaftlichen Theorie gleichermaßen zu tun haben. Schmoller sagt uns heute wichtiges, weil er vor allem sechs Aspekte in den Vordergrund rückt, an denen wir heute, dem Stande unserer Theorie entsprechend, nicht mehr vorbeigehen können und an denen die Theorie auch nicht mehr vorbeigeht; ohne daß freilich der Anschluß an Schrnollers Vorarbeiten gesucht und genutzt würde oder diese gar bekannt wären.

8 Dies wird durch den folgenden wohl durchaus einzigartigen Vorgang illustriert, der sich soeben ereignet hat. Anläßlich der letzten Jahrestagung der Association for Social Economics hielt der scheidende Präsident, wie es üblich ist, seine Ansprache. Diese wurde, wie es ebenfalls üblich ist, in der Zeitschrift der Vereiniging inzwischen publiziert: John C. O'Brien, "Adam Smith by Gustav von Schmoller", in: Review of Social Economy, 49, 1991, S. 130-140. ("Presidential address to the Association for Social Economics", Washington D.C. am 29. Dezember 1990). Die Ansprache bestand aus einer Übersetzung wesentlicher Passagen aus Schmollers Charakterbildern (München-Leipzig, Duncker & Humblot, 1913). Der Präsident hatte selbst kein einziges Wort hinzuzufügen. 9 "Wir" sind der Herausgeber und die Autoren, "ich" ist der Herausgeber.

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Jürgen G. Backhaus Diese sechs mir besonders wichtig erscheinenden Aspekte sind:

1. Der Staat steht im Zentrum der wirtschaftlichen Analyse. Der Staat ist heute der wichtigste Wirtschaftsfaktor überhaupt, und der Entscheidungsprozeß in staatlichen Organen unterscheidet sich systematisch von jenem bei anderen Wirtschaftsteilnehmern. Es ist deshalb schlechterdings unvorstellbar, heute eine Wirtschaftstheorie zu betreiben, in der staatliche Wirtschaftstätigkeit allenfalls als Ausnahme und nicht als integraler Bestandteil des wirtschaftlichen Geschehens behandelt wird. 10 Bei Schmoller wird der Punkt in der Weise herausgearbeitet, daß der Staat überhaupt als Voraussetzung für Wirtschaften auf hohem Entwicklungsniveau erscheint. Den Beginn der Volkswirtschaftslehre als wissenschaftliche Disziplin datiert Schmoller infolgedessen auch mit dem Beginn großer entwickelter Staatswesen, die den Rahmen für komplexere Marktabläufe bieten.

2. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der öffentlichen Verwaltung ist integraler Bestandteil der Volkswirtschaftslehre. Schmoller, der, dieser Einsicht folgend, die Verwaltungsgeschichte als eigenständige wissenschaftliche Disziplin begründete, nahm das Ergebnis einer Entwicklung voraus, die sich zwar schon zu seiner Zeit abzeichnete, heute dagegen mit Händen zu greifen ist. Den Alltag der meisten, nicht in der Lehre tätigen, an Universitäten ausgebildeten Volkswirte bestimmt das staatliche Verwaltungshandeln, ein Bereich, der sehr weit über jenen hinausgreift, der im angelsächsichen Sprachgebrauch "Economics ofRegulation" heißt und sich in den letzten Jahren eines enormen Aufschwungs erfreut hat. 3. Schmoller war ein Vorreiter radikaler Interdisziplinarität, der alle Sozialwissenschaften, aber auch bestimmte Geisteswissenschaften für fähig hielt, nützliche Beiträge für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung zu leisten. Er ließ es sich nicht nehmen darauf hinzuweisen, daß ein dermaßen breiter Ansatz hohe Anforderungen an die wissenschaftliche Vorbildung stellt. Wer in den letzten zwei Jahrzehnten Gelegenheit hatte, die vielfältigen Versuche einer Neubelebung interdisziplinärer Forschungs- und Studienprogramme zu beobachten, wird ihm nur beipflichten können. 4. Viertens erscheint uns Schmoller aktuell durch seine Betonung des Zusammenhanges zwischen der Rechtsordnung, worunter er auch, neben Gesetzen, Sitten und Gebräuche faßt und deren verschiedenen Funktionen für das Marktgeschehen differenziert einerseits, den rein wirtschaftlichen Ablauf andererseits. Erst bei dieser Perspektive, die uns in den letzten zwei Jahrzehnten aufs neue im Gewande der "New Law and Economics" begegnet, wird es verständlich, daß Schmoller den Institutionen einen so zentralen Platz in seiner Volkswirtschaftslehre einräumt. 10 Die Zuerkennung von Nobelpreisen an Stigler und Buchanan in den letzten Jahren macht dies deutlich.

Einleitung

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5. Die Analyse der Institutionen lebt aus dem Vergleich der verschiedensten Strukturen im Hinblick auf ähnliche Funktionen, einem Vergleich, der sowohl gegenwärtig im Sinne eines Wirtschaftssystemvergleiches durchgeführt werden kann, als eben auch historisch, wobei dann noch die Entwicklung der betreffenden Institution bis auf den heutigen Tag miterforscht werden kann. Dieser fünfte Aspekt umschreibt heutzutage das Forschungsprogramm der eigentumsrechtlichen Ansätze allgemein, der ,.New Economic History" im Hinblick auf die Wirtschaftsgeschichte der Institutionen im besonderen. 6. Vielerorts werden heute Versuche unternommen, Probleme des technologischen Wandels wieder in das Visier der volkswirtschaftlichen Analyse zu bekommen. Wer den Grundriß aufschlägt sieht sofort, daß Schmoller mit der Technologie beginnt. Tatsächlich handelt es sich bei der Technologie-Ökonomie nur um ein Beispiel für ein Gebiet der Volkswirtschaftslehre, das bei Schmoller zentral stand, später jedoch vernachlässigt wurde und heute unsere Aufmerksamkeit wieder beansprucht. Ähnliches gilt für die Theorie der Unternehmung, die Umweltökonomik und die Beziehungen zwischen ökonomischen und biologisch-evolutionären Erklärungsmustern, um nur noch einige weitere Beispiele zu nennen. Wesentlich für die Wirkungsgeschichte des Schmollersehen Werkes ist die Einsicht, daß sich der Autor in Vorgehensweise, Stil und Inhalten weit von dem entfernte, was damals vor allem in England als Orthodoxie vorherrschte und auch heute wieder den akademische Lehrbetrieb beherrscht. Schmoller macht diesen Unterschied an zentraler Stelle deutlich, indem er schreibt: ,.Die alte Gliederung des Stoffes nach Produktion, Verkehr und Konsumtion entsprach dem wissenschaftlichen Standpunkt und Bedürfnis des naturrechtlich kameralistischen Vorstellungskreises zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Heute scheint sie mir überlebt und falsch; der philosophisch-historische Standpunkt der Gegenwart mit seiner Anlehnung an die Ethik und Soziologie einerseits, an die Naturwissenschaften andererseits, mußte nach einer anderen Gliederung suchen." 11 • Das Schmollersehe Programm wurde unter besonders günstigen Bedingungen in Angriff genommen, die bei Schmollers Tode schon nicht mehr gegeben waren und danach in dieser Konstellation nie wieder erreicht wurden. Obwohl das Schmoller Programm einer historisch fundierten interdisziplinären Forschungsstrategie auch außerhalb Deutschlands Nachahmung fand, wie Schmoller selbst befriedigt feststellen konnte 12 , blieb doch der Schwerpunkt auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Die Forschungsstrategie ist nicht ohne weiteres verpflanzbar, weil sie an mindestens drei gesellschaftliche Voraussetzungen geknüpft ist, die Professor Tenbruck in wünschenswerter Klarheit herausgearbeitet hat. 13 Grundriß, 126. Grundriß 121 ff. 13 Dies geschah in einem Diskussionsbeitrag während der Trentiner Schmollerkonferenz. Die Beiträge sind erschienen in: Pierangelo Schiera und Friedrich Tenbruck, Gustav 11

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Diese sind: 1. Wissenschaftliche Vereinigungen, in denen sozialpolitisch relevante Fragestellungen erforscht werden; 2. Eine Staatsmacht, die willens und in der Lage ist, grundlegende Reformen durchzuführen; und 3. Universitäten, die so verfaßt sind, daß die in ihnen tätigen Forscher die gesellschaftliche Achtung erfahren, die ihren wissenschaftlich begründeten Ratschlägen das Gewicht gibt, welches zur Durchführung sozialpolitischer Reformen erforderlich ist. Diese Bedingungen waren noch nicht erfüllt, als Schmoller im Heilbronner Kameralamt von seinem Vater die Grundbegriffe der Staatswirtschaft lernte. Das Faszinierende an der Persönlichkeit Schmollers ist, daß er die Erfolgsbedingungen seines Programms kannte und sich bemühte, diese Bedingungen herbeizuführen. Dazu waren mindestens drei Schritte erforderlich: die Bildung einer Staatsmacht, die über den Interessen stehend sozialpolitisch Verantwortung tragen konnte und wollte. Dafür war die 1871 erfolgende Einigung Deutschlands eine Voraussetzung. Den zweiten Schritt bildete die Universitätsreform. Die alten Fakultäten waren unter anderem als Folge des Kooptationsprinzips zum Teil verknöchert. Mit Hilfe Althoffs gelang die Reform mit dem Übergang zur Seminarstruktur. 14 Den dritten Schritt bildete die Gründung des Vereins für Socialpolitik. Auch hier war es mit der Gründung nicht getan. Vielmehr hat Schmoller sich zeit seines Lebens darum bemüht, den Verein zwischen der Scylla der reinen Verwissenschaftlichung und der Charybdis der interessengebundenen Politik hindurchzusteuern, eine Aufgabe, der seine Nachfolger bekanntlich nicht gewachsen waren. Auch in den Vereinigten Staaten hatten weitblickende Wissenschaftler, "captains of erudition", wie sie A. W. Coats nennt, die Voraussetzungen für die Durchführung des Schmoller Programms erkannt und trachteten danach, sie zu schaffen. 15 Die Gründung der Johns Hopkins Universität, die Geschichte der Clarke Universität und der Universität Chicago zeugen davon ebenso wie die Verleihung des Ehrendoktorgrades an Friedrich Althoff durch Charles Elliot, der die Bedeutung des von Althoff Geleisteten verstand und es an seiner eigenen Institution, der Harvard Universität, ebenfalls zu verwirklichen trachtete. Die Gründungsstatuten der American Economic Association sind jenen des Vereins Schmol/er in seiner Zeit: Die Entstehung der Sozialwissenschaften in Deutschland und Italien. Berlin: Duncker & Humblot, 1989. 14

Vergleiche Bemhard vom Brocke, "Preußische Bildungspolitik" (1700-1930},

Deutsches Venvaltungsblatt 1./ 15. August 1981, 727-746 und ders., "Hochschul- und

Wissenschaftspolitik in Preußen und im Deutschen Kaiserreich 1882- 1907: das ,System Althoff'". In: Peter Baumgart Hrsg., Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs, 9-188. 15 A. W. Coats, The American Economic Association and the Economics Profession, Journal of Economic Literature, 23. 4. 1985, 1697-1727.

Einleitung

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für Socialpolitik nachgebildet. Sie wurden später verworfen und durch die heute geltenden ersetzt. Und die Werbung für ein sozialpolitisches Mandat der Bundesregierung in Washington kennzeichnet das Werk vieler amerikanischer Volkswirte jener Zeit, zum Beispiel jener der Wisconsin Schule. Wir können aus diesem Vergleich ersehen, daß die Erfolgsbedingungen für das Schmoller Programm den Zeitgenossen, oder zumindest einigen Zeitgenossen Schmoller bekannt waren. Sie hatten zum Teil ja in seinem Seminar gesessen. Selbst wenn der Leser nach der Lektüre der auf die modernen Anwendungen gerichteten Beiträge mit dem Herausgeber der Ansicht sein sollte, daß das Werk Schmollers für die Probleme von heute wichtig ist, so stellt sich doch die Frage, ob Wissenschaft im Stile des Schmollerprogramms heute überhaupt möglich ist. Können wir von unseren wissenschaftlichen Vereinigungen augenblicklich mit Fug und Recht behaupten, daß sie sich vor allem um die Lösung sozialpolitisch relevanter Fragestellungen bemühen? Ist heute die Staatsmacht überhaupt dazu in der Lage, für richtig erkannte Reformen kraftvoll und verantwortungsbewußt in die Tat umzusetzen, oder bleibt sie im Geflecht der Verbände gefangen? Können wir den öffentlichen Dienstherren der staatlichen Universitäten wirklich ehrlicherweise bescheinigen, daß die wissenschaftlichen Hochschulen so verfaßt sind, daß die in ihnen tätigen Forscher die gesellschaftliche Achtung erfahren, die nötig ist, um ihren wissenschaftlich begründeten Ratschlägen das Gewicht zu geben, das für derartige sozialpolitische Reformen ganz unabdingbar erforderlich ist? Der Leser möge selbst entscheiden. 111. Ein kurzer Überblick Die folgenden zehn Kapitel dieses Bandes sind in drei große Teile gegliedert. Der erste Teil ist dem Einfluß Schmollers gewidmet, der zweite seinem zentralen Anliegen, der Sozialpolitik, und der dritte drei weiteren bei ihm zentral stehenden einzelnen Themen, der Gesellschaftstheorie, der Unternehmenstheorie, und seiner besonderen Behandlung der Technik in der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Niebolas Balabkins beginnt mit einer Einordnung Schmollers in die Geschichte der Wirtschaftstheorie oder, wie er sagt, in den Stammbaum der Ökonomie. Er nimmt den in dem weitverbreitenden Lehrbuch von Samuelson und Nordhaus dargestellten Stammbaum der Volkswirtschaftslehre zum Ausgangspunkt seiner Kritik und stellt mit Hilfe eines alternativen Stammbaums die systematische Position Schmollers in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre klar. Besonders deutlich wird Schmollers Nähe zu Adam Smith, und Balabkins betont, "daß SehrnaHer unmittelbar bei Adam Smith anknüpfte, den er den ,großen Schotten' nannte, ohne den ,Umweg' über den von ihm abgelehnten Ricardo zu nehmen". Im allgemeinen wird davon ausgegangen, Gustav SehrnaHer sei in der angelsächsischen Literatur einflußlos geblieben. Peter Senn dokumentiert den tatsächli-

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Jürgen G. Backhaus

eben Einfluß mit der von ihm entwickelten bibliographischen computerunterstützten Methode, und er kommt zu dem Ergebnis, daß der Einfluß Schmollers in der anglo-amerikanischen Literatur immens war, aber sich nicht auf die Volkswirtschaftslehre konzentrierte. Als Nebenprodukt dieser computerunterstützten Forschungen entsteht übrigens eine außerordentlich umfangreiche Bibliographie, die am Schluß des Kapitels erscheint. 16 Eine wesentliche Ergänzung unseres Verständnisses der Wirkungsgeschichte des Schmollersehen Werkes bietet der italienische Fall. Riccardo Faucci zeigt u. a., wie innenpolitische, auf Italien bezogene Überzeugungen die Rezeption des Schmollersehen Werkes dort erschwerten. Man wird übrigens dem Gesamtwirken Schmollers nicht gerecht, wenn man sein Wissenschaftsverständnis allein aus seinen Schriften ableiten will. In mindestens genauso starkem Maße äußert es sich in seinem wissenschaftsorganisatorischen Werk, daß untrennbar mit dem System Althoff verbunden ist. Es war dieses die Großforschung auch in den Sozialwissenschaften ermöglichende System, das Arbeitsteilung und Einheit der Sozialwissenschaften als gleichzeitig erreichbar erscheinen ließ. Der zweite der Sozialpolitik gewidmete Teil besteht aus zwei kleineren und einem zentralen und seinem Gewicht entsprechend umfangreichen Kapitel. Günter Schmölders läßt noch einmal eine Welt entstehen, in der (im Berlin der frühen zwanziger Jahre) der Geist Schmollers noch ganz und gar wirksam ist und durch seinen Nachfolger Herkner den Studenten im staatswissenschaftliehen Seminar näher gebracht wird. Aus heutiger Sicht bemüht sich der damalige ( 1988) Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik, Gernot Gutmann, vor allem darauf hin zu weisen, daß auch die heutige Arbeit des Vereins sehr wohl den Intentionen Schmollers entspricht. Reginald Hansen ist einer der besten Schmollerkenner Deutschlands. Außerdem kennt er die deutsche Wirtschaftspraxis aus erster Hand. Er hat es auf sich genommen, die Bedeutung des Schmollersehen Werkes für die heutige Sozialpolitik zu dokumentieren. Er geht zunächst auf den wissenschaftstheoretischen Ausgangspunkt Schmollers ein, behandelt dann Schmoller als Sozialreformer und arbeitet seine besondere Wirkung für den Aufbau der sozialen Marktwirtschaft heraus. Schließlich erörtert er aktuelle Fragen der Sozialpolitik aus der Sicht der Schmollersehen Theorie. Angesichts der vielfältigen Mißverständnisse, die das heutige Schmollerbild kennzeichnen, erscheint es wesentlich, über eine klare Darstellung der Schmollersehen Gesellschaftstheorie zu verfügen, in die seine allgemeine Volkswirtschaftslehre eingebettet ist. Manfred Prisehing zeigt in seinem Beitrag, daß es sich bei 16 Die Bibliographie wurde übrigens entsprechend den amerikanischen Standards erstellt. Eine Überführung in die deutschen Standards scheitert an Kostengründen, da die zitierten Werke zum Teil in deutschen Bibliotheken nicht verfügbar sind. Vergleiche die entsprechenden Ausführungen durch Senn im dritten Band der Sombarttri1ogie, siehe unten Fußnote 17.

Einleitung

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Schmollers Gesellschaftstheorie "um ein historisches, evolutorisches, kulturalistisches und etatistisches Modell" handelt, das eine Rahmenvorstellung - das Minimum an Aprioris - für die historische Arbeit abgeben konnte. Einer der großen Vollender des Schmollersehen Forschungsprogramms war sein Schüler Werner Sombart. 17 Horst Betz, einer der besten Sombartspezialisten Amerikas, stellt diesen Zusammenhang zwischen Schmollers Ansatz und Sombarts Ausarbeitung dar. Betz beschreibt auch den Prozeß, der zu einer immer stärkeren Ausgrenzung des Schmollersehen Forschungsprogramms aus der Nationalökonomie führte, nicht ohne allerdings auch auf Gegentendenzen hinzuweisen, die sich vor allem in den letzten Jahren gezeigt haben und die darauf hinauslaufen, die gegenseitige Abhängigkeit sozialer, politischer, kultureller und wissenschaftlicher Erscheinungen besser zu erforschen und somit die Volkswirtschaftslehre auch wieder praktisch relevanter zu machen. Der Praxis am nächsten steht in den Wirtschaftswissenschaften natürlich die Betriebswirtschaftslehre, und so ist es reizvoll, Dieter Schneiders Darstellung des Beitrages Gustav Schmollers zur Lehre von der Unternehmensverfassung zu lesen. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß Schmollers Untersuchung über die Entwicklung der Unternehmungsverfassungen in antiken und neueren Großunternehmungen, in Handel, Handwerk, Hausindustrie und Bergwerken das später sich verbreitende, "ungeschichtliche Gerede" über eine angebliche klassische Lehre von der Unternehmungsordnung widerlegt, die noch immer zur Stützung marktwirtschaftsferner Ideologien im Organisationsschrifttum herangezogen wird. "Schmollers Blick auf die Realität der Führung in Großunternehmungen und der damit verbundenen Principal-Agent-Probleme lassen ihn einzelne Reformvorschläge ansprechen, die teilweise inzwischen verwirklicht sind, teilweise immer noch beherzigenswert erscheinen." Eines der faszinierensten Forschungsgebiete der interdisziplinären Ökonomie ist heutzutage die Technologieforschung. Karl-Heinz Schmidt hebt in seinem Beitrag "Ökonomie und Technologie", der den Abschluß dieses Bandes bildet, Schmollers heute oft gar nicht gewürdigte Pionierrolle auf diesem Gebiet hervor. Er betont vor allem Schmollers Versuch einer Endogenisierung des technologischen Wandels in das allgemeine theoretische Erklärungssystem. Die meisten der in diesem Band vorgelegten Beiträge sind während des Symposions zur ISOjährigen Wiederkehr des Geburtstages Gustav Schmollers (in englischer Sprache) in Heilbronn vorgetragen worden. Dies gilt nicht für die Beiträge Hansens und Fauccis, die erst auf Grund der neueren Schmollerforschung zu Stande kamen. Das Symposion, das vom 24. bis zum 27. Juni 1988 in Schmollers Vaterstadt Heilbronn stattfand, wurde durch einen großzügigen Zuschuß der Volkswagenstiftung, die gastliche Aufnahme durch die Herren Oberbürgermeister 11

Vergleiche auch Jürgen G. Backhaus (Hrsg), Werner Sombart: Social Scientist, 1-

III, Marburg: Metropolis, 1993.

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Jürgen G. Backhaus

Dr. Weinmann und Bürgermeister Casse, und die wissenschaftliche und organisatorische Unterstützung durch das Stadtarchiv und seinen Leiter, Dr. Schmolz nachhaltig unterstützt und so überhaupt erst möglich gemacht. Ihnen allen sei an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. Maastricht, im Januar 1992

Jürgen G . Backhaus

I. Einfluß

2 SB Backhaus

Schmoller und der Stammbaum der nationalökonomischen Wissenschaft: "Mit der Theorie allein kommt man nicht aus" 1 Von Niebolas W. Balabkins Die heutige deutsche Generation der Volkswirte kennt Schrnoller nur dem Namen nach. Um die Jahrhundertwende war Schmoller ein bekannter Name nicht nur in Deutschland, sondern auch im Auslande, sogar in Übersee. Dagegen schämen sich heute viele junge deutsche Akademiker, mit Schmoller etwas zu tun zu haben. Zum Beispiel haben die Mitglieder des Vereins für Socialpolitik die jahrzehntelang weitbekannte nationalökonomische Zeitschrift Schmollers Jahrbuch in die Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften umgetauft, als wolle man den Namen Schmoller aus dem deutschen nationalökonomischen Stammbaum tilgen. Vor 25 Jahren schrieb Professor Horst C. Recktenwald in seinem Buche Lebensbilder großer Nationalökonomen, daß heutzutage Schmoller und sein Werk "vielmehr getadelt, aber ebensowenig gelesen wird." 2 Die deutschen Nationalökonomen der Bundesrepublik sehen in Schmoller "häufig den Verderber theoretischen Denkens, der die ökonomische Wissenschaft in Deutschland schwer geschädigt hat." 3 Im Jahre 1989, nach der Neuauflage von Schmollers Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, schrieb Horst Dohm in seiner Rezension des Buches, daß "die Faszination des historischen Details" für Schmoller doch ausschlaggebend war. 4 Der Vorwurf gegen Schmollerberuht auf seiner grundsätzlichen Ablehnung der a priori Theorie. Das stimmt. Er verachtete die spekulative, deduktive Art der englischen Klassiker, insbesondere Ricardos, und ihre sogenannten Naturgesetze. Er strebte nach fundierterem Wissen auf dem Gebiete der Nationalökonomie und er ging dabei seine eigenen Wege. Er wußte von dem sozialen Fiasko des ,englischen Nachtwächterstaates', und er hatte Angst vor den möglichen revolutionären Folgen des sich ausbreitenden Marxismus. Er wollte weder den laissez-faire Kapitalismus noch den marxistischen Sozialismus. Er wollte weitgehende Sozialreformen durchführen, um den ,echten' Sozialisten, Revolutionären aller Art, den Nihilisten und Terroristen den Wind aus den Segeln 1 Vergleiche Niebolas Balabkins,Not by Theory alone . . . Berlin: Duncker & Humblot, 1988. 2 Köln, Kiepenheuer & Witsch, 1965, 342. 3 Loc. cit. 4 H. Dohm, "Die Faszination des historischen Details," in Frankfurter Allgemeine Zeitung, den 29. Mai, 1989.

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zu nehmen. Er strebte eine neue Sozialordnung an und versuchte, das zu schaffen was wir heute den Wohlfahrtsstaat nennen. Aber um diese neue Sozialordnung in Deutschland auf dem legislativen Wege zu errichten, wollte Schmoller nichts mit der spekulativen, auf der a priori Basis ruhenden englischen Nationalökonomie zu tun haben. Um die deutsche Sozialgesetzgebung auf einer realistischen Basis aufbauen zu können, brauchte Schmoller Tatsachen in Bezug auf die geschichtliche Entwicklung verschiedener wirtschaftlicher und sozialer Institutionen. Er wollte die Gesetzgebung nicht auf die Basis spekulativen Flugsands gründen. Er wollte die neue Sozialverfassung, um im Bilde zu bleiben, nicht in den Sand der Dünen schreiben, sondern in den Fels der Berge meißeln. Mit diesem Ziel vor Augen trieb Schmoller Geschichte. Sicher war er fasziniert von den Verschiedenheiten des historischen Details, aber er trieb nicht nur wie Joseph A. Schumpeter es einmal sagte "die unendliche Geschichte." Die englischen Nationalökonomen, wie Thomas Carlyle, Walter Bagshot, John K. Ingram, Cliffe Leslie, Walter Cunningham und Arnold Toynbee, betrieben auch Wirtschaftsgeschichte, aber ihre Arbeiten legten nicht die ersten Grundsteine des englischen Wohlfahrtsstaates. Für Schmoller war Geschichte nur ein Mittel zum Zweck. Geschichte war kein Selbstzweck. Der Zweck war eine soziale Gesetzgebung zur Grundlegung des deutschen Wohlfahrtsstaates, den Bismarck in den achtziger Jahren auch schuf. So wurde Schmoller der eigentliche Vater unseres heutigen Wohlfahrtsstaates in Deutschland, der politisch den Bundesbürgern demokratische Freiheiten garantiert. Institutionell ist dieser Wohlfahrtsstaat auf der Grundlage des privaten Eigentums aufgebaut. Wirtschaftlich ist die Bundesrepublik eine soziale Marktwirtschaft.

Der junge Schmoller und die ersten Lehren seines Lebens David Hume schrieb in seinem Buch Treatise of Human Nature , daß "the truths of the world we live in are based on experience, not abstract logic." 5 Diese Lebensweisheit war auch der Leitstern für Schmoller, und das von Jugend an. Gustav Schmoller war ein Schwabe und er sprach auch zeit seines Lebens wie ein Schwabe, obwohl er im Herzen ein Wahlpreuße wurde. Der Name Schmoller soll eigentlich slawischen Ursprungs sein und bedeutet, nach Schmollers eigenem Zeugnis, "Kohlenbrenner"; Schmoller selbst gebrauchte das Wort Smoller. 6 Schmollers Vater, Ludwig Friedrich David, war ein Verwalter der königlichen Güter des damaligen Königreichs Württemberg. Als junger Mann war er Offizier und hatte sogar gegen Napoleon gekämpft. Im Einsatz wurde er schwer verwundet. Nach seiner Genesung wurde er ein treuer Diener des Königs in seiner schwäbischen Heimat. Der junge Gustav wuchs in einem wohlhabenden Heim auf. Der jungverwitwete Vater Ludwig versuchte seine Kinder mit viel Liebe, 5 Zitiert bei L. Silk, Economics in Plain English, New York, Sirnon und Schuster, 1978, 117.

6 n.a. Reden und Ansprachen gehalten am 24. Juni 1980 bei der Feier von Gustav Schmollers 70. Geburtstag, A1tenburg, 1980, 47.

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gutem Beispiel und einem Maß von Disziplin zu erziehen. Vor allem wollte er den Kindern beibringen, wie man ein fleißiges und strebsames Leben führt. Doch lernte Schmoller bald mehr als die schwäbischen Tugenden von seinem Vater. Die Dienststube seines Vaters war die erste große Schule des jungen Schmollers. Dort traf er Leute aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft, und dort hörte er von der Not des Volkes. So erkannte er schon als junger Mann, was die Arbeiter und die Bauern bedrückte. Er lernte auch die Probleme der verschiedenen Branchen der Kleinindustrie und des Handwerks kennen. Er bereiste bald die württembergischen Lande und kannte die Lage der Straßen, der Brücken und der vielen Zölle. In diesen jungen Jahren hatte er schon verstanden, oder sogar begriffen, was Klassenunterschiede sind, und was für eine Bedeutung sie im sozialen Leben haben können. Als Schmoller erst sechs Jahre alt war, d. h. im Jahre 1844, wurde Deutschland durch die Weber-Revolte erschüttert, die später durch Gerhart Hauptmanns Drama "Die Weber" weltbekannt wurde. 7 Als Knabe und Jüngling beobachtete er täglich die sozialen Nöte der Arbeiterklasse, die sich durch die rasche Industrialisierung Deutschlands schnell vermehrte. Diese unmittelbare Umgebung des jungen Gustav verursachte, daß er schon in früher Jugend in täglicher Umgebung die großen und kleinen Probleme der Menschen und der Gesellschaft kennenlernte. Diese Erfahrungen haben später eine entscheidende Rolle in Schmollers Hinwendung zur Sozialpolitik gespielt. 8

Schmoller: Der Akademiker Von 1864 bis 1872 lehrte Schmoller in Halle. Dort schrieb er auch sein erstes wichtiges Buch, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Statistische und nationalökonomische Untersuchungen, 1870. Vor seinem Antritt der Professur an der Universität zu Halle schrieb er einen sehr wichtigen Aufsatz über die Arbeiterfrage in den Preußischen Jahrbüchern. Hier deutete er klipp und klar die ersten Konturen seiner sozialpolitischen Vision für die Arbeiterklasse an und setzte damit die ersten Schritte für die Schaffung des kommenden Wohlfahrtskapitalismus in Deutschland. Schmoller haßte den Marxismus und verachtete den englischen "laissez-faire" Kapitalismus. 9 Kurz vor seiner Übersiedlung nach Straßburg gründete Schmoller im Jahre 1872 den Vereinfür Socialpolitik. Der Vereinfür Socialpolitik war damals nicht, wie es heute der Fall ist, eine Vereinigung der verst@ckten Fachpfaffen der mathematischen und aprioristischen Theorie, sondern er war eine Vereinigung von Beamten, Journalisten, Politikern, Historikern, Statistikern, Nationalöko7 L. Kronberg, und R. Schloesser, Weber-Revolte 1844, Köln, Informationspresse, C. W. Leske Verlag, 1979, 717. s N. W. Balabkins, Not by Theory alone . .. The Economics ofGustav von Schmoller and lts Legacy to America, Berlin, Duncker & Humblot, 1988, 11-16. 9 R. v. Bruch, "Bürgerliche Sozialreform im deutschen Kaiserreich," in Weder Kommunismus noch Kapitalismus, München, Verlag C. H. Beck, 1985,61 -65.

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nomen und Unternehmern, die den sich rasch verbreitenden Marxismus durch eine umfassende Wohlfahrtsgesetzgebung bremsen wollten. Das hat der Verein auch vermocht, und in den 1880er Jahren hat Bismarck die ersten Sozialgesetze der Welt durchgesetzt. Auf diese Weise entstand der heutige Wohlfahrtskapitalismus. Für mich ist Schmoller der eigentliche Vater dieses Wohlfahrtskapitalismus. Nach seiner Übersiedlung nach Straßburg vervollständigte Schmoller sein Forschungsprogramm, für sowohl die soziale Gesetzgebung als auch die Entwicklung einer anschaulichen Nationalökonomie, was heute kaum bekannt ist. In der neugegründeten Reichsuniversität Straßburg entwickelten Schmoller und seine Kollegen, wie Georg Friedrich Knapp, Wilhelm Stieda und Wilhelm Lexis das Seminarformat als eine neue Unterrichtsform. 10 Dies war einer der Gründe, warum die Nationalökonomen Straßburgs überall in Deutschland so bekannt wurden. 11 Warum eigentlich? Was war das Einzigartige an diesen Seminaren? Schmoller wählte seine Seminaristen sorgfältig aus. Sobald die Themen der Seminararbeiten verteilt wurden, bestand Schmoller darauf, daß die Themen sorgfaltig mit sozialstatistischem Material untermauert wurden. Seine Studenten waren verpflichtet, das Material selbst zu sammeln, indem sie entweder in die Archive gingen und sich mit den alten Urkunden vertraut machten oder, zum Beispiel, die Zahl der Fabrikunfalle selbst ermittelten. Erst danach durften die Seminaristen ihr gesammeltes Material mit dem vorhandenen Material in Fachzeitschriften und Büchern ergänzen. 12 Schmoller schrieb zum Beispiel: "Die Wissenschaft der Nationalökonomie will von der Volkswirtschaft ein vollständiges Bild, einen Grundriß der volkswirtschaftlichen Erscheinungen nach Raum und Zeit, nach Maß und historischer Folge entwerfen; sie tut das, indem sie die Wahrnehmungen dem vergleichenden und unterscheidenden Denken unterwirft, das Wahrgenommene auf seine Gewissheit prüft, das richtig Beobachtete in ein System von Begriffen nach Gleichartigkeit und Verschiedenheit einordnet und endlich das so Geordnete in der Form typischer Regelmäßigkeilen und eines durchgängigen Kausalzusammenhanges zu begreifen sucht." 13 Wie bringt man so eine Methode den jungen Seminaristen bei, könnte man heute fragen? Dafür gibtSchmollereine klare Antwort, die allerdings in seinem Grundriß begraben liegt. Erstens verlangt die Hauptaufgabe strenger Wissenschaft a) richtig zu beobachten, b) gut zu definieren und zu klassifizieren, und c) typische Formen zu finden und kausal zu erklären. 14 Da Schmoller die grob vereinfachende Methodologie der klassischen Nationalökonomie verachtete, verlangte er von seinen Seminaristen, daß sie zweitens richtig beobachten und 10 W. Stieda, ,,Zur Erinnerung an Gustav Schmollerund seine Straßburger Zeit", in Schmo/lers Jahrbuch, vol. 45, 192, 227. 11 G. F. Knapp, Einführung in einige Hauptgebiete der Nationalökonomie, München und Leipzig, Verlag Duncker & Humblot, 1925, 365. 12 G. Schmoller, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Erster Teil, 1919, 120. 13 Ibid., 101. 14 Grundriß, Erster Teil, 101.

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beschreiben lernten. Zum Beispiel schrieb Schmoller: die "wissenschaftliche Fixierung der Beobachtung ist die Beschreibung; jede halbwegs brauchbare Beschreibung setzt aber schon ein geordnetes System von Begriffen und die Kenntnis der bekannten und festgestellten Formen und Kausalverhältnisse voraus." 15 Aber damit war es nicht genug. Schmoller verlangte drittens von seinen Seminaristen, daß sie auch die Begriffsbildung pflegten und typische Reihen und Formen erlernten, um die Ursachen ihrer Themen erklären zu können. 16 Die fertiggestellten Seminararbeiten wurden nachher vorgetragen, streng von Schmoller diskutiert, nochmals durchgearbeitet und dann als Staatswissenschaftliche Forschungen publiziert. Seit 1878 wurden diese Arbeiten bei Duncker & Humblot gedruckt. 17 In französischen, englischen und russischen Universitäten schrieben angehende Nationalökonomen auch Seminararbeiten, aber diese blieben meistens ungedruckt. Für Schmoller dienten diese empirischen Vorarbeiten wiederum nur als Mittel zum Zweck für die deutsche Sozialgesetzgebung, denn viele von den Themen, die von seinen Seminaristen bearbeiten worden waren, wurden auf den Tagungen des Vereins für Socialpolitik aufgegriffen und tagelang diskutiert. So schrieb er, zum Beispiel, daß der" Vereinfür Socialpolitik . . . seit 1872 120 Bände Schriften publiziert, meist Berichte und Gutachten verschiedener Autoren über denselben Gegenstand und darunter musterhafte Sammlungen wie z. B. die über das deutsche Handwerk, über das Hausierergewerbe, die ländlichen Arbeiter. Andere Vereine, wie der Armenpflegekongreß, sind ebenso vorgegangen. An die statistischen Bureaus und an die staatswissenschaftliehen Seminare der Universitäten haben sich eine ganze Reihe von Serien wissenschaftlicher Publikationen angeknüpft, meist deskriptiver Art. 18 Auf dieser Basis sind die Grundlagen für den deutschen Wohlfahrtskapitalismus errichtet worden, und die drei großen Sozialgesetze sind dann in der Dekade der 1880er Jahre verabschiedet worden. Auf diese Weise kann man Schmoller als den eigentlichen Vater oder sogar Urheber des heutigen Sozialstaates ansehen. Da alle seine Vorarbeiten nur auf deutsch geschrieben sind, und da nur wenige englischsprechende Nationalökonomen deutsch verstehen, ist ihnen dieses ganze Material noch immer ein Geheimnis und die englischsprechenden Nationalökonomen leben auch heute noch von Anekdoten, Mutmaßungen und vielfach mißdeutenden Überlieferungen über Schmoller.

Schmoller und der korrigierte Stammbaum der ökonomischen Wissenschaft Fragen wir jetzt: Wo ist eigentlich der Platz des Schmollersehen Gedankengutes einzuordnen? Darf ich Ihnen ein Beispiel nennen? Für die heutigen Nationalökolbid., 102; § 43 ist überschrieben: .,Beobachtung und Beschreibung". lbid., 104 und 106. 17 0. Hintze, A. Spiethoff, E. v. Beckerath, "Gustav von Schmoller, 1838-1917", in Lebensbilder großer Nationalökonomen, herausgegeben von Horst C. Recktenwald, Köln und Berlin, Kiepenheuer und Witsch, 1965, 300. 18 lbid., 121. 15

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nomen ist der Name Paul Samuelson der Inbegriff des wirtschaftswissenschaftlichen Könnens. Er ist Wirtschaftstheoretikerpar excellence, Nobelpreisträger, und ein großer Lehrer an dem Massachusetts Institute of Technology. In seinem weltbekannten Lehrbuch, das in einer Auflage von mehr als einer Million Exemplaren erschienen ist, zeichnet er den Stammbaum der ökonomischen Wissenschaft folgendermaßen 19:

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Nach Samuelson's Stammbaum führt die klassische Schule der Nationalökonomie entweder direkt zum marxistischen Sozialismus oder mündet in die moderne "Mainstream Economics" was man auf deutsch etwa als die gegenwärtige herrschende mathematische Wirtschaftstheorie übersetzen könnte. Die deutsche historische Schule, ob die ältere oder die jüngere, wird von Samuelson gar nicht erwähnt. Das bedeutet, daß für Samuelson die deutsche historische Schule nichts zum Stammbaum der ökonomischen Wissenschaft beigetragen hat. Er schnitt sie einfach ab, wie einen toten Ast. Doch damit fällt er in eine selbstgebaute Falle. Wenn Schmoller wirklich nichts Bedeutendes geleistet hat, wie erklärt man dann die Entstehung des deutschen Wohlfahrtsstaates, oder des kapitalistischen Wohlfahrtsstaates überhaupt? Es war kein anderer als Gustav Schmoller, der eigentliche Gründer des Vereins für Socialpolitk im Jahre 1872. Das Ziel des Vereins war es, die Grundlagen der Sozialgesetzgebung vorzubereiten, um aus deutschen Fabrikarbeitermassen würdige Menschen zu machen, um ihnen ein gesicherteres Dasein zu gewährleisten als es das System des "laissez-faire" vermag oder, modern ausgedrückt, um ein soziales Netz zu bieten. Das haben die Bismarksehen Sozialgesetze der 1880er Jahre auch vermocht. Man bewahrte dabei eine geringfügig gezügelte Marktwirtschaft, man behielt auch die private Eigentumsordnung des Besitzes und des Kapitals bei. Man bewahrte ebenfalls eine politische Ordnung, in der die Liberalen, Sozialdemokraten, und die Konservativen um die Gunst der Wähler warben. Meiner Meinung nach war Gustav Schmoller der eigentliche Vater des Wohlfahrtsstaates. Man vergißt es immer wieder und man denunziert und degradiert Schmoller immer wieder zu einem Nurhistoriker unserer Wissenschaft, der nichts für die Wirtschaftswissenschaft geleistet hat. Jawohl, die aprioristische, nur auf den Hörsaal bezogene Theorie war Schmoller verhaßt, solange sie keine Anwendungen besaß; das reine Fachwissen verabscheute er. Sein Leben lang wollte er eine marxistisch-geführte Revolution vermeiden. Er wollte die Lage der Fabrikarbeitermassen verbessern, aber ohne Revolution, ohne Blutströme. 20 Der Sozialpolitiker und Nationalökonom Schmoller war maßgeblich an der Entwicklung des kapitalistischen Wohlfahrtsstaates beteiligt. Das dürfen wir heute nicht vergessen und müssen den Stammbaum der ökonomischen Wissenschaft folgendermaßen korrigieren (siehe Abb. auf Seite 26). Der korrigierte Stammbaum zeigt schematisch die einzigartige Leistung Schmollers. Der korrigierte Stammbaum weist auch darauf hin, daß Schmoller unmittelbar bei Adam Smith anknüpfte, den er den "großen Schotten" nannte, ohne den "Umweg" über den von ihm abgelehnten Ricardo zu nehmen. Er hat erfolgreich einen Damm zwischen dem "laissez-faire" System und dem authenti19 P. Samuelson und W. D. Nordhaus, Economics, 12th edition, New York, McGrawHill, 1985, inside of the back cover. 2o N. W. Balabkins, "Schmoller in Tsarist Russia", in Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, vol. 144, § 3, 1988, 578-578.

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sehen oder marxistischen Sozialismus errichtet. Das wissen auch die sowjetischen Nationalökonomen, und im Jahre 1940 schrieb Israel Bljumin dementsprechend. 2 1 Vielleicht ist es Zeit, um diese Leistung zu betonen, die deutsche historische Schule in die deutsche Schule des Wohlfahrtskapitalismus umzutaufen? 21 I. Bljumin, "lstoricheskaya shkola v politicheskoj ekonomii", Voprosy Ekonomiki, 10, 1940, 141.

Gustav Schmoller auf englisch: Welche Spuren hat er hinterlassen?*·' Von Peter R. Senn

I. Einleitung Im Jahre 1954 veranstaltete die ,American Economic Association' zum ersten Mal eine Sitzung unter dem Titel: "Der internationale Fluß wirtschaftswissenschaftlicher Ideen". In seinem Koreferat sagte der hervorragende Kenner des Werkes Walras', William Jaffe, die Eisernen und Bambus-Vorhänge von heute hatten vor einem Dreivierteljahrhundert ihre Vorgänger in nationalistischen, sprachlichen und anderen Vorhängen, die alle den freien Fluß der Ideen in der akademischen Welt behinderten (1955, 38-9). 2 • Ein Wort des Dankes: Professor Dr. Jürgen Backhaus hat die Übersetzung ins Deutsche besorgt, und ihm gebührt mein erster Dank. Bereitwillig halfen mit schriftlichen und mündlichen Auskünften und Kommentaren Rita Aldenhoff, A. W. Coats, Jürgen Backhaus, Mary Stone Senn, Mactin Bronfenbrenner, Paul E. Fisher und die anderen Konferenzteilnehmer. Besonders danke ich Mary Stone Senn für die Computerarbeiten. ' Die Forschung auf dem Gebiet des internationalen Ideenflusses steckt immer noch in den Kinderschuhen, obwohl bereits wesentliches geleistet wurde. Wir verfügen immer noch nicht über ein allgemeines Konzept, das in akzeptabler Allgemeinheit alle die Tatsachen zu erfaßen vermag, die wir inzwischen über die Ideenflüsse kennen: welche Ideen, Methoden und Menschen sind gewandert, welche sind nicht gewandert und welche Veränderungen haben sich demzufolge ergeben? Der Zustand dauert an, obwohl T. W. Hutchinson bereits 1955 deutlich die Anforderungen an eine derartige Theorie formulierte (1955, 1). Konrad Jarausch stellt dazu fest: "Die Unterschiede im nationalen Stil haben insofern nicht nur Folgen im Hinblick auf die Interpretation, sondern auch solche sehr praktischer Art." Er spricht von: "typischen wissenschaftlichen Ansätzen," und fügt eine ganze Liste von Faktoren hinzu, "die den Inhalt und die Anwendung derselben historischen Methode beeinflussen können" (1985, 13). Er hat sich zu dieser Frage ausführlich sowohl auf deutsch als auch auf englisch geäußert. Georg G. Iggers spricht ebenfalls von einer deutschen Geschiehtsauffassung (1968). Der wirtschaftswissenschaftlichen Ideengeschichte ist eine Scheidung nach nationalen Grenzen wohl erspart geblieben. Schmollers Bedeutung als Historiker und Geschichtsschreiber sichert ihm einen festen Platz in der "deutschen Geschichtsauffassung." Seine Bedeutung als Volkswirt reicht, was die Volkswirtschaftslehre betrifft, über diese Begrenzung hinaus, wie in diesem Aufsatz gezeigt wird. Wäre Schmoller nur ein wenngleich wichtiger Bestandteil dieser nationalen Richtung, dann hätte sein Einfluß nicht im entferntesten an seine tatsächliche Bedeutung heranreichen können. 2 Coats nennt noch weitere Hemmnisse: "Sprachschwierigkeiten, die Unzulänglichkeiten der modernen Informationsverarbeitungsmethoden sowie manchmal einfach der menschliche Unwille zur Zusammenarbeit und persönliche Abneigungen; alle diese haben manchmal den Wissensfortschritt gehemmt." (1987, 66).

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Nehmen wir den Fall eines Autors, der in einer Sprache schreibt, die nicht die Muttersprache der Mehrheit der Kollegen in seiner Disziplin ist, und der sich Gegenständen widmet und dies mit Methoden tut, die aus dem Rahmen des üblichen fallen. Sein Werk bleibt im wesentlichen ohne Übersetzungen. Welche Chance hat dieser Autor, Einfluß auszuüben wenn wir noch hinzufügen, daß er jenen Ländern gegenüber skeptisch eingestellt war, sein eigenes Land sogar zweimal jenen anderen Ländern im Kriege gegenüberstand, die heute die Führung in seiner wissenschaftlichen Disziplin beanspruchen können? Auf den ersten Blick ist man versucht zu sagen, daß die Chance für diesen Wissenschaftler sehr gering war, unter solchen Umständen Einfluß zu gewinnen. Aber Gustav von Schmoller ( 1838- 1917) zählt ganz zweifellos zur Gruppe der hundert bedeutendsten Volkswirte aller Zeiten. 3 So wie Latein jahrhundertelang die wichtigste Sprache für Wissenschaft und Literatur war, und so wie Französisch über ein Jahrhundert lang die Sprache der Diplomatie war, so kann man ohne zu übertreiben feststellen, daß Englisch heute die wichtigste Sprache in den Sozialwissenschaften geworden ist. 4 Dies ist hier wichtig festzuhalten, denn das Faktum bezeichnet ein wichtiges Hindernis, das derjenige überwinden muß, um internationales Ansehen zu erlangen, der nicht auf englisch publiziert. Schmoller wurde auch kaum übersetzt. Eine Reihe von Autoren, die sich für Schmoller interessieren, haben darauf hingewiesen, wie wenige seiner vielen Werke ins Englische übersetzt werden. Henry William Spiegel sagt zum Beispiel: "Trotz seines großen Einflusses auf die Wirtschaftswissenschaft seiner Zeit ist nur ein geringer Teil seines Werkes ins Englische übersetzt worden, scheinbar weil der Inhalt außerhalb seines Geburtslandes wenig Interesse fand" (1983, 762). 5

3 Für eine Rechtfertigung dieser Beurteilung vergleiche Peter R. Senn 1977. Die Ergebnisse beruhten auf einer Situationsanalyse der führenden Dogmenhistoriker bis zu jenem Zeitpunkt. John C. O'Brien bietet das einzige Beispiel auf englisch, das beim Namen Schmollers abweicht: "Hugo Eisenhart Gustav von Schmoller" [Hugo Eisenhart (1811-1893) war seit 1856 Professor in Halle. Das Mißverständnis beruht auf der Zusammenfügung zweier Namen und kann als weiteres Beispiel für die hohen Sprachbarrieren angeführt werden. Der Übersetzer]. Soweit ich sehen kann, gibt es nur einen einzigen Fall einer möglichen Verwechslung mit jemand anderem. In Gisela Herschs Bibliografie ( 1972) wird Schmoller als der Autor eines Werkes genannt, das 1951-57 publiziert wurde. Rätselhaft ist auch die Mitautorschaft bei diesem Zitat. 4 Der Beweis erschließt sich auch dem ungeübten Auge. Welche ist die erste Fremdsprache der Sozialwissenschaftler, deren Muttersprache nicht Englisch ist? In welcher Sprache erscheinen die meisten und bedeutendsten wissenschaftlichen Zeitschriften von Rang? In welcher Sprache arbeiteten die meisten Nobelpreisträger? In welcher Sprache werden die meisten und die besten Bücher publiziert? Die Reihe dieser Fragen läßt sich beliebig fortsetzen. Eine Zusammenstellung der Literatur über Nobelpreisträger in den Wirtschaftswissenschaften gibt Arthur M. Diamond, jr. 1988, mit den entsprechenden Verweisungen.

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Spiegels Bemerkung deutet schlaglichtartig auf ein anderes mögliches Hindernis, das dem Bekanntwerden des Schmollersehen Werkes beim englischen Leser entgegenstand: die Auswahl seiner Themen. Eines seiner frühen Werke trug den Titel: "Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert", 1989. 6 Ein anderes Werk, auf das er sehr stolz war, trug den Titel: Acta Borussica, (ab 1904). Die meisten seiner Themen suchte er sich nicht im Hinblick auf den Geschmack des breiten Publikums 7 • Auch jene, die für einen breiteren Leserkreis gedacht waren, konnten hier kaum Ersatz bieten, wie zum Beispiel: Die soziale Frage (1918). Dem Volkswirt reicht bereits die bloße Erwähnung des Methodenstreits, um ihn daran zu erinnern, daß Schmollers Methoden ungewöhnlich und umstritten waren. Zahllose Kommentatoren haben darauf hingewiesen, daß sich der junge Schmoller im Gegensatz zu den herrschenden Lehrauffassungen seiner Zeit befand. Zum Beispiel sagt Bemard Semmel: "Die deutsche Schule der historischen s Bei Henry William Spiegel finden wir einen schönen Absatz über Schmoller bei den bibliografischen Anmerkungen ( 1983, 763- 765), die auch die meisten Übersetzungen aus den Werken Schmollers umfassen. Er erwähnt weder "The ldea of Justice in Political Economy" (Schmoller, 1894), noch "On Class Conflicts in General" (Schmoller, 1914). Die meisten Kommentatoren scheinen das Merkantilismusbuch zu kennen (Schmoller 1902), obwohl es sehr unterschiedlich zitiert wird. Wenigstens ein Autor, John C. O'Brien (1987, 26), hat in den achtziger Jahren Henry William Spiegels Übersetzung "Schmoller on Roscher" bemerkt. William A. Scott (1933) bringt viele seitenlange SchmollerÜbersetzungen. Eine weitere Übersetzung finden wir unter der bezeichnenden Überschrift "The Social Optimism of a Bourgeois Intellectual" (49-77) in Eugene N. Anderson, Stanley J. Pincetl und Donald J. Ziegler (eds.), Europein the Nineteenth Century, A Documentary Analysis of Change and Conflict, vol. II, 1870-1914. Pauline Relyea Anderson übersetzte in gekürzter Form Über einige Grundfragen des Rechts und der Volkswirtschaft: Ein offenes Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Heinrich von Treitschke unter dem Titel Socia/ Relationsand Social Progress (1875). (Jena: Verlag von Friedrich Mauke, 1875). Charles Dudley Salley übersetzte: Gustav Schmollers Aufsatz, "Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und Methode", der im Handwörterbuch der Staatswissenschaft in den Auflagen von 1893, 1897 und 1911 erschienen war, unter dem Titel"National Economy, Economic Theory and Economic Method" in so wie Schmollers Rectoratsrede an der Berliner Universität so wie einige weitere kürzere Auszüge. Da bislang noch keine Bibliografie der auf englisch erschienenen Arbeiten Schmollers zur Verfügung steht, kann ich nur hoffen, daß meine Verweise vollständig sind. 6 Bertram Schefold (in John Eatwell et al. 1988, 4: 257) und ESS und IESS geben als Publikationsdatum 1870 an. Meine Quelle ist die unsignierte Biografie in der Encyclopedia Britannica. (in Hugh Chisholm 1911, 24 : 344) Diese Unstimmigkeiten kennzeichnen die Probleme, die sich für die Forschung in der englischsprachigen Literatur stellen. Es scheint mir wichtig hervorzuheben, daß Schmoller noch zu seinen Lebzeiten in einem so wichtigen Werk wie der Encyclopedia Britannica Erwähnung fand. 1 Schumpeter erinnert uns daran, daß lbsen, als er die Figur von Hedda Gablers Ehemann als vertrockneten wenn nicht gar beschränkten Akademiker schildern wollte, er Hedda ohne viel Federlesens die Klage in den Mund legt: "und dann noch das Getue mit dem heimischen Handwerk im Mittelalter! Das geht doch wirklich zu weit" (1954, Fn. 6, 810).

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Volkswirte betonte unter der Führung Schmollers seit den siebziger Jahren die historischen, statistischen und induktiven Methoden gegenüber den abstrakten und deduktiven Methoden der klassischen Schule um Ricardo" (in: Silles 1968, 1:411). Seine politischen Ansichten als Kathedersozialist und Anhänger der Hohenzollern warfen weitere Barrieren gegenüber seinem Einfluß auf. Ein Autor bezeichnet ihn sogar als "streitlustig" (Cossa, 1983, 430) 8 • Und schließlich sind die Feindseligkeiten Englands und Amerikas gegenüber Deutschland und die Taten der Deutschen nicht nur während des ersten und des zweiten Weltkrieges, sondern auch jahrelang davor und danach bestens bekannt. Mindestens fünf mögliche Barrieren konnten deshalb die Aufname des Schmollersehen Werkes durch die englisch lesende Welt der Volkswirte behindern: (1) die Sprache und der Mangel an Übersetzungen; (2) die Gegenstände; (3) die Methode; (4) seine Auffassungen über Theorie, Politik und Religion; und (5) seine frühe ablehnende Haltung gegenüber den englischen Volkswirten und die Kriege, die Deutschland gegen England und Amerika führte.

II. Das Problem: Haben die Barrieren seinen Einfluß gehemmt? Angesichts der schwierigen Lage, in der sich Schmoller wegen seiner Sprache und des Mangels an Übersetzungen, seiner Themen, Methoden und politischen Überzeugungen sowie seines Heimatlandes befand, wäre es keineswegs unbegründet zu erwarten, daß sein Werk und sein Einfluß außerhalb Deutschlands unbedeuted waren. War das wirklich der Fall? Wir müssen den Rahmen unserer Untersuchung zu Beginn abstecken. Wenn wir von Schrnoller auf englisch sprechen, dann denken wir an Autoren, wie zum Beispiel Alfred Marshall (1842-1924), oder an jene Autoren, deren Werk in englischer Übersetzung vorliegt, wie das der französischen Dogmenhistoriker Charles Gide und Charles Rist. Obwohl dies zu Abstrichen bei den Endergebnissen führen muß, können wir doch nicht alle Erwähnungen Schmollers anführen, ohne den Rahmen dieses Beitrages zu sprengen. Dafür wäre ein ganzes Buch nötig. Wir müssen uns deshalb auf Beispiele beschränken. Die Stichprobe umfaßt verschiedene Quellen, betont aber vor allem die Dogmenhistoriker und die bedeutenderen Volkswirte. Die Stichprobe schließt nur wenige der zahlreichen Symposien und Konferenzen ein, die Schrnoller selbst oder solchen Themen gewidmet waren, mit denen sein Name verknüpft ist und in denen sein Name natürlich häufig erwähnt wird. 9 Die 8 "Schmoller druckte eine nörgelnde und ziemlich unbedarfte Besprechung von Mengers "Untersuchungen" ab, und provozierte damit Mengers lebhafte und äußerst aggressive Replik" (Cossa 1893, 430).

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Auswahl ist natürlich eine Sache des Ermessens, die Stichprobe ist repräsentativ, aber nicht alles umfassend. Obwohl sich das Werk Schmollers kaum nach wenigen allgemeinen Gesichtspunkten gliedern läßt, müssen wir für die Zwecke dieses Aufsatzes einen solchen Versuch doch unternehmen. Die Gesichtspunkte sind: Sprache und Übersetzungen, Themen, Methoden, Überzeugungen, und geografische Orientierung. Jeder dieser Gesichtspunkte deutet auf eine mögliche Barriere seines Einflusses und seiner intellektuellen Position hin. Im Hinblick allein auf die anglo-amerikanischen Quellen läßt sich das Problem so formulieren: Wie hat Gustav Friederieb von Schmoller diese zahlreichen Hindernisse überwunden? 10 Oder anders ausgedrückt versuchen wir das Rätsel zu lösen, wie es dazu kam, daß Schrnoller angesichtsder vielen Rezeptionshindernisse doch für einsprachige anglo-amerikanische Leser so bedeutsam werden konnte.

111. Was verstehen wir unter intellektuellem Einfluß? Was können wir unter Einfluß oder Bedeutung in der Dogmengeschichte der Volkswirtschaftslehre verstehen? Viele verschiedene Interpretationen sind möglich. 11 Karl W. Deutsch definiert einen wesentlichen Beitrag im Hinblick auf die 9 Vergleiche auch die Aufsätze von Niebolas W. Balabkins, Jacob J. Krabbe, H. K. Betz, and John C. O'Brien, die anläßlich der Sitzung der ,,North American Economics and Finance Association" 1985 vorgetragen wurden. In diesem Zusammenhang gehört auch Krabbes Erörterung Schmollers im Hinblick auf die organische Theorie. Im Juni 1988 nahm anläßlich des 150sten Jahrestages seiner Geburt die Anzahl der englischen Schmoller-Zitate sprunghaft zu. Vermutlich gab es in diesem Monat mehr Zitate als in den letzten fünfzig Jahren zusammengenommen. Jürgen Backhaus organisierte das wichtige Symposium über "Gustav Schmoller und die Probleme von heute" in Heilbronn am 24. bis zum 27. Juni 1988. Die folgenden Autoren präsentierten dort Arbeiten über Schmoller: Jürgen Backhaus, Nicolas W. Balabkins, Haim Barkai, H. K. Betz, Christian Diminger, Neil de Marchi, Kurt Dopfer, Gernot Gutman, Michael Hudson, Michael Hutter, J. J. Krabbe, Kurt Leube, John C. O'Brien, Reiner Porstmann, Birger P. Priddat, Manfred Prisching, Fritz Reheis, Charles D. Salley, Karl-Heinz Schmidt, G. Schmölders, Manfred Schön, Dieter Schneider, Eberhard K. Seifert, Peter R. Senn, Erich Streissler und Kar! Milford, und H. R. C. Wright. A. W. Coats präsentierte eine Hintergrundanalyse, und Koreferate wurden von Rita Aldenhoff, A. W. Coats, Reginald Hansen, Karl Häuser und Bertram Schefold gehalten. Die Juniausgabe der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft brachte einen weiteren Zuwachs zur englischsprachigen Literatur über Schmoller unter dem Titel "Views and Comments on Gustav Schmoller." Hier erschienen Arbeiten von: Niebolas W. Balabkins, Kurt Dopfer, Karl Häuser, Terence W. Hutchison, Clark Nardinelli und Roger E. Meiners, Willi Meyer, Rudolf Richter und Gerhard Rosegger. 10 Die englischen Quellen nennen viele der bedeutendsten Arbeiten auf deutsch. John C. Fout (1974) allein nennt mindestens 61 Arbeiten Schmollers auf deutsch und eine Fülle von Sekundärliteratur. II W. T. Jones (1943) ist noch immer wichtig und nützlich, trotzseiner einschränkenden Bedingung, daß "Einfluß das Bewußtsein der Beeinflußten über diesen Einfluß einschließt." Auch die Literatur zur Wissenschaftsgeschichte und zur Wissenschaftsso-

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Bedeutung für die Disziplin und die Wirkung auf spätere Arbeiten (Deutsch et al., 1986, 3). Für die Volkswirtschaftslehre läßt sich dies in verschiedene Formen umsetzen. 12 Ein Maß bieten Ideen und Konzepte, die weit verbreitet sind oder lebhaft diskutiert werden, unabhängig davon, ob sie zutreffen oder nicht. Hierzu gehören etwa das Werk von Marx oder Keynes. Die Bedeutung kann auch von der Lösung bestimmter Probleme herrühren, zum Beispiel der Bestimmung und Schätzung von Modellen, die aus simultanen Gleichungssystemen bestehen. Die Bedeutung kann auch darauf beruhen, daß neue Methoden eingeführt werden, wie etwa die Verwendung der Mathematik in der Volkswirtschaftslehre. Kronzeugen hiervor sind Cournot, Walras, Jevons, Edgeworth, Marshall und Fisher. Der Einfluß kann auch auf einem Lehrbuch beruhen. Wir denken sofort an Namen wie John Stuart Mill, Marshall, Gide und Rist und Samuelson. Ebenso kann der Einfluß auf der Begründung einer "Schule" beruhen, um die sich Schüler und Anhänger bilden. Der Institutionalismus bietet hierfür ein Beispiel. Der Einfluß kann auch von bedeutenden Lehrern herrühren, von wissenschaftlichen Organisatoren oder den Herausgebern wissenschaftlicher Zeitschriften. 13 Die Begründung neuen Wissens, die Neuformulierung, die Umformung oder die neue Interpretation dessen, was bisher bekannt war, sind ebenfalls bedeutende Quellen des wissenschaftlichen Einflusses. Der Wandel einer politischen Orientierung oder Sichtweise wie etwa der Wechsel von der Betonung des Staatseingrifziologie ist einschlägig. Die Probleme sind freilich so komplex, daß es keine einzige definitive Referenz gibt. 12 Karl W. Deutsch et al. (1986) bieten eine gute Einführung indieneuere Literatur und greifen weit über die Wirtschaftswissenschaft hinaus. Eine ausführlichere Darstellung würde die Einflußpfade und -prozesse darstellen und nach Einflußmassen ordnen. Zum Beispiel verfolgen die amerikanischen Wissenschaftler die Vorgänge in Deutschland sehr genau. Oft wird auf Schmoller in Berichten, Übersichten und Übersetzungen verwiesen. Zum Beispiel verweist James J. Sheehan in einem Bericht über die quantitative Geschichtsforschung auf Schmoller: "Für die Sozialgeschichte der Handwerker und Fabrikarbeiter während des neunzehnten Jahrhunderts müssen wir systematisch die Daten in so klassischen Analysen wie Schmollers Württemberger Statistik vor hundert Jahren auswerten." (in Lorwin und Price, 315). C. H. Lee (1977, 3) verweist auf Schmoller als einen Vorläufer der modernen quantitativen Wirtschaftswissenschaften. Auch Karen Hausen zitiert die "Geschichte des Kleingewerbes." (in Iggers 1985, 263). Die englischsprachigen Ökonomen müssen notwendig auf den Namen Schmollers stoßen, wenn sie die einschlägige deutsche Literatur überprüfen. n Bei R. Wildenmann finden wir hervorragende Kommentare zur geistigen Rolle, die Schmoller im Verein für Socialpolitik spielte. (Deutsch et al. 86, 68) Der Verein gehörte zu den Institutionen, durch die Schmoller seinen Einfluß entfaltete. Nach seinem Tode änderte sich dies, und somit auch die Funktion des Vereins. Der Verein war in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Dies betrifft einerseits den direkten politischen Einfluß in der Bismarckära vor allem in den siebziger Jahren. Dies betrifft andererseits die langfristigen geistigen Wirkungen, die Wildenmann erörtert. Der Verein enfaltete diese Wirkung durch seine Enqueten und Sitzungen, deren Ergebnisse er regelmäßig veröffentlichte.

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fes zur "laissez-faire" Politik kann Einfluß begründen. Die Infragestellung eines fehlerhaften Ansatzes oder einer fehlerhaften Analyse kann dies ebenfalls bewirken; die Ablösung des aristotelischen Weltbildes in der Wissenschaft ist dafür ein gutes Beispiel. Ebenso kann der politische Einfluß die Bedeutung eines Volkswirts begründen. Dies gilt besonders, wenn die betreffende Politik von allgemeiner Bedeutung ist, wie dies in Fragen der Besteuerung, der Eigentumsverhältnisse oder des sozialen Wohlfahrtssystems der Fall ist, besonders dann, wenn das Ursprungsland, für das die Politik gilt, vergleichbare Strukturen mit anderen Ländern aufweist. 14, 15 Die Klärung eines Begriffes oder seiner Verwendung kann ebenfalls Einfluß begründen. Wiederum ist unsere Liste der Gründe, die für den intellektuellen Einfluß von Volkswirten auschlaggebend waren, nicht abschließend. 16 Ein guter Maßstab des Einflusses eines Volkswirtes ist das Ausmaß, in dem die Nachfolger dasjenige fortsetzen, was der betreffende tat oder sagte. Am deutlichsten ist dies dann der Fall, wenn der betreffende Beitrag Allgemeingut wird und ohne weiteren Bezug auf seine Urheber Verwendung findet. Dies ist etwa der Fall bei den mathematischen Methoden oder der Grenznutzenanalyse. 17 Jedes Maß des Einflusses oder der Bedeutung ist zeitabhängig. Selbst dann, wenn ein Beitrag Allgemeingut wird, ohne daß noch auf seine Urheber Bezug genommen wird, nimmt der Einfluß mit der Zeit ab. Das liegt einfach daran, daß der gesamte Umfang des Wissens zunimmt und deshalb jeder einzelne Beitrag an relativer Bedeutung abnehmen muß. So waren zum Beispiel die metaphysischen und ethischen Vorstellungen des heiligen Thomas von Aquin für das gesamte Mittelalter bestimmend; sie sind heute noch wichtig, aber nicht so dominant wie einst. 18 Auch der Ort bestimmt Bedeutung und Einfluß. Wenn das Werk eines Menschen auf ein kleines Gebiet beschränkt bleibt, dann fällt der Einfluß kleiner aus, als wenn der Anwendungsbereich breit ist. Auch die Breite bestimmt Bedeutung und Einfluß. Unter Breite können wir die Art und Anzahl der Probleme verstehen, auf die sich ein Gedanke anwenden läßt.

14 George Stigler hat sich zu diesem Thema ausführlich geäußert, siehe zum Beispiel: "The Influence of Events and Policies on Economic Theory." (1960 in 1965). 15 Andererseits hat George Stigler eventuell recht, wenn er meint, daß Volkswirte politischen Einfluß nur dann entfalten, wenn sie Maßnahmen unterstützen, für die die Zeit politisch reif ist. 16 Natürlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten, um Einfluß zu messen. Man denke etwa an kliometrische Verfahren mit Techniken wie Zitationsanalysen auf Grund von Einschätzung oder Analyse. In dieser Arbeit werden begrenzte Stichproben verwendet. 11 Zum Beispiel gibt Carl F. Christ (1985) einen kurzen geschichtlichen Abriß der Geschichte der quantitativen Wirtschaftsforschung in Amerika. Cohen (1983) gibt einen breiteren Überblick über quantitative Forschung in Amerika für die Anfangszeit 1s In der Physik gibt es dafür viele Beispiele. Man denke etwa an Newton oder Einstein.

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Das Maß der Bedeutung eines Beitrages kann explizit und implizit sein. Explizit sind die üblichen Quantifizierungen von Zitaten, Diskussionen, Behauptungen und so weiter. Implizit sind typische Züge, Attribute oder Charakteristika, die ein wissenschaftliches Werk bestimmen. Sie finden ihren Niederschlag in Symbolen oder Zeichen (zum Beispiel der Verwendung von Statistiken und Tabellen), Methoden (zum Beispiel der Betrachtung eines Gegenstandes aus unterschiedlichen Blickwinkeln), Gesichtspunkten (zum Beispiel der Rolle des einzelnen in der Gesellschaft), Rollen (zum Beispiel politisch oder nicht), Ansätzen (zum Beispiel der besonderen Betonung der Ethik oder Moral), und, ganz allgemein, identifizierbaren aber nicht meßbaren Kennzeichen eines wissenschaftlichen Werkes. Dies ist besonders schwierig, wenn mehrere derartiger Merkmale zusammengehören. Aus diesen Gründen gibt es keine einzige einfache, konsistente, oder verlässliche Methode, um den Einfluß entweder relativ oder absolut zu messen, die allzeit gleichermaßen anwendbar bleibt. Selbst wenn wir alles dies berücksichtigen, müssen wir doch festhalten, daß es gewichtige Gründe für die Behauptung gibt, daß Schmollers Beiträge wichtig und einflußreich waren.

IV. Schmollers Platz in der Geschichte der Sozialwissenschaften Was dachten die Zeitgenossen über den Stellenwert, den Deutschland in der Volkswirtschaftslehre im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert besetzte? John M. Ferguson's Beurteilung der Lage lautet so: "Die Einschätzung des Werkes dieses und anderer Gelehrter wird vor allem daraus deutlich, daß während der siebziger und achtziger Jahre junge Menschen aus der ganzen zivilisierten Welt, die sich auf ihren Beruf in der Volkswirtschaftslehre vorbereiten wollten, in großer Zahl nach Deutschland gingen, um dort zu studieren, nachdem sie ihre Studien zu Hause bereits abgeschlossen hatten. Die Wanderung ehrgeiziger junger Leute, die sich um eine hervorragende Ausbildung bemühten, nahm einen gewaltigen Umfang an. Die deutsche Historische Schule stand gerade in voller Blüte. Die Anzahl und hohe Qualität der Gelehrten aller Zweige der Volkswirtschaftslehre fand außerhalb Deutschlands weder auf dem Gebiet der Lehre noch der Forschung ihresgleichen" (1950, 154).19 19 John F. Ferguson studierte in Deutschland. Sein Enthusiasmus wurde vielleicht in England nicht von jedermann geteilt, vermutlich wohl aber von Alfred Marshall und wohl auch von den Amerikanern. In diesem Zusammenhang schreibt Ferguson noch: Der Einfluß dieser Schule war deshalb keineswegs auf Deutschland begrenzt, sondern findet sich besonders deutlich in den Werken der italienischen und amerikanischen Volkswirte (1950, 154). Es gibt noch sehr viel mehr Hinweise auf die Bedeutung Deutschlands aus der Sicht der Amerikaner. Die Aufmerksamkeit, die den deutschen Universitäten gewidmet wurde, ergibt sich deutlich aus den Artikeln von H. R. Seager (1892) und Leo S. Rowe (1890). Beide befassen sich mit den Wirtschaftswissenschaften und beide erwähnen Schmoller. Schmoller übte auch großen Einfluß durch die Herausgabe von Schmollers Jahrbuch aus, eine der derzeit bedeutendsten wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften. War Schmollers Jahrbuchfür Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im deutschen Reiche die erste professionelle wirtschaftswissenschaftliche Zeitschrift? Dem

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In den neunziger Jahren schrieb Marshall: "Insgesamt gesehen finden die wichtigsten Arbeiten, die auf dem Kontinent geleistet werden, in Deutschland statt" (1961, 767). Man wird behaupten können, daß Joseph Alois Schumpeters Geschichte der ökonomischen Analyse zu den wichtigsten derartigen Darstellungen in englischer

Sprache gehört. 20 An vielen Stellen zeigt Schumpeter, wie wichtig seiner Meinung nach Schmoller ist. Zum Abschluß einer dichten Abhandlung über Schmoller, den Historismus und die jüngere historische Schule schreibt er, daß diese uns "einen enormen Fortschritt im Hinblick auf die Genauigkeit unserer Kenntnis gesellschaftlicher Prozesse hinterlassen habe" (1954, 810).

Der Vergleich mit John Stuart Mill fällt mehr als einmal günstig für Schmoller aus. 21 Schmollers zusammenfassende Darstellung in seinem Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre ( 1900- 1904, im folgenden Grundriß) beurteilte Schumpeter wie folgt: "Man denke sich John Stuart Mill's ,Treatise', denke sich dazu ein Gegenstück, das ebenso kompetent den Nachdruck auf die institutionellen Aspekte legt wie Mill auf die theoretischen im herkömmlichen Sinne und man reduziere entsprechend den Platz und die gedankliche Tiefe der letzteren; dann hat man Schmoller's Grundriß." (1954, 813-14). 22 Brockhaus (1928, 4: 89) zufolge beginnt es 1877 [die Angabe ist unrichtig. Der erste Jahrgang erschien 1871, und war von Franz von Holzendorff herausgegeben. Der erste Jahrgang der neuen Folgen erschien dann 1877, und von Holzendorff und Brentano traten als Herausgeber auf. Ab Band 5 (1871) gab Schmoller das Jahrbuch heraus, das ab 1913 (Jahrgang 37) Schmo/lers Jahrbuch ... hieß. Die Zeitschrift besteht noch heute unter dem Namen Zeitschriftfür Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Der Übersetzer]. Stigler sagt über England: "Die erste wirklich professionelle Zeitschrift war das Royal Economic Journal (1891), das Quarterly Journal of Economics erschien natürlich schon fünf Jahre früher in den Vereinigten Staaten und es gab noch früher Zeitschriften auf dem Kontinent (1964, 1965, 40). Mitchell (1969, 531) meint, der Ruhm gebühre höchstwahrscheinlich Rau. Häuser ( 1988, 536) geht davon aus, die Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (seit 1844) sei die erste gewesen. Ich bin nicht sicher, was unter einer "wirklich professionellen" Zeitschrift zu verstehen ist. Ob er nun der erste war oder nicht, Schmollers Zeitschrift war einflußreich. Schmoller würde die "Social Science History Association" gefallen haben und ihre ZeitschriftSocial Science History, in der detaillierte quantitative historische Untersuchungen erscheinen. Eine kurze Geschichte dieser Zeitschrift gibt Bogue (1987). Es ist möglich, daß er auch an der Zeitschrift Historical Methods: A Journal ofQuantitative and lnterdisciplinary History Gefallen gefunden hätte. Die Zeitschrift widmet sich der Kliometrie, wie diese Forschungsrichtung heute heißt. Eine kurze Geschichte findet man bei Davis und Engerman ( 1987). Auch das Journal of Economic History zeugt noch heute von seinem Einfluß. 20 Zum Beispiel schreibt W. E. Kuhn über Schumpeters Geschichte (1954): "Es handelt sich um ein Nachsc~agewerk in englischer Sprache, in der Schulen und Strömungen des ökonomischen Denkens äußerst vollständig und mit großer Einsicht und Klarheit dargestellt werden. Das Werk war für Spezialisten geschrieben und zeugt von einer Gelehrsamkeit, die nur wenige Autoren jemals erreichen können." Diese Darstellung erfolgt im Zusammenhang seiner Diskussion, warum ein derartiges Buch nötig ist (1963, 1).

21 Zum Beispiel1954, Fn. 10, p. 454, pp. 813-814. SchumpeterkommentiertSchmoller auch in vielen seiner anderen Werke, zum Beispiel 1950, 1939.

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Eine andere dogmenhistorische Darstellung, die ebenfalls in der angloamerikanischen Welt ein halbes Jahrhundert lang einflußreich war, ist das Werk von Gide und Rist ( 1948). Wie Schumpeter zählen sie Schmoller zu den unsterblichen Ökonomen und üben lediglich vorsichtige Kritik. Im Zusammenhang mit dem Fortleben der historischen Schule und Methode schreiben sie: "Die Namen Schmoller, Brentano, Held, Bücher und Sombart sind jedem Kenner der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften vertraut. Marshall, der bedeutensie moderne Theoretiker, hat sich mehr als einmal mit überschwänglichem Lob über sie geäußert" (1948, 329). Sie weisen auf das Goethe Zitat hin, "das als Motto dem großen Werke Schmollers, dem Grundriß, voransteht" und die Bedeutung geschichtlicher Kenntnis unterstreicht (1948, 403). Ein anderes Zitat finden wir bei William James Ashley, der von dem "großen ,treatise' Gustav Schmollers" spricht (1948, 409). Schmoller wird vielfach zustimmend zitiert. 23

22 Schumpeter erwähnt auch andere Beiträge, die noch heute Bestand haben, wie etwa die Hermann I Schmollersehe Einkomensdefinition ( 1954, Fn. 678). Die Bedeutung der Schmoller-Schule wird mit der anderer Schulen verglichen (zum Beispiel1954, 418, 452, 849, 855). Sein Einfluß auf wissenschaftliche Gegner, wie zum Beispiel Adolf Wagner (1835-1917) wird ebenfalls erwähnt (1954, 851). Seine Kritik ist vergleichsweise mild. Über Schmollers Versuch, die Wirtschaftsgeschichte durch die Definition einer Stufenfolge zu schematisieren: sie sei "heute von geringem Interesse und müsse uns nicht weiter aufhalten" (1954, 786) Schumpeter folgt hier J. H. Clapham, der schrieb: "Heute besteht Einigkeit darüber, daß ein solcher Versuch selbst Schmoller mißlingen mußte" (in Seligman V: 329). Schumpeter weist darauf hin, daß Schmoller und seine Schüler oft dahingehend kritisiert wurden, sie genügten nicht den professionellen Anforderungen der Historiker (1954, Fn 2, 208). Bei der Diskussion seiner Gegnerschaft zur Österreichischen Schule fügt er hinzu, Schmoller habe seinen Irrtum eingesehen, allgemein Theorie mit dem Manchestertum und ungezügeltem "laissez-faire" in Verbindung zu bringen (1954, 849). 23 Charles Gide und Charles Rist (1948) führen im Index Schmoller 14 mal auf, aber andere Darstellungen seiner Ideenwelt und seines Einflusses erscheinen nicht im Index. Man sollte nicht vergessen, daß Gide bei Roseher studierte. Gide und Rist arbeiten besonders gut die gegenseitigen intellektuellen Zugehörigkeilen heraus. Zwei Beispiele können dies zeigen: ,,Sismondis Plädoyer einer genaueren Beobachtung der Tatsachen und seine Kritik des rein deduktiven Prozesses und voreiliger Verallgemeinerung finden ihr Echo bei LePlay in Frankreich, Schmoller in Deutschland, und Cliffe Leslie und Toynbee in England (1948, 209). "Schmoller denkt, daß man Roschers Werkam besten als den Versuch ansieht, die Lehren der politischen Ökonomie mit der kameralistischen Tradition des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts in Deutschland zu versöhnen (1948, 386). Im Zusammenhang mit der Darstellung des Problems der Existenz natürlicher Sozialgesetze oder natürlicher Gesetze oder Regelmäßigkeilen in den Sozialwissenschaften werden auch Schmollers Ansichten wiedergegeben. Die berühmte Schlußfolgerung aus dem Grundriß wird wiederholt: Wir können noch nicht einmal sagen, ob das Wirtschaftsleben der Menschheit irgendein gemeinsames Element besitzt oder irgendwelche Spuren einer einheitlichen Entwicklung aufweist, oder ob überhaupt von Fortschritt die Rede kann sein (1948, 389). Auch ein anderes berühmtes Zitat wird wiedergegeben: "Induktion und Deduktion sind beide nötig für die Wissenschaft, so wie man zum Gehen des rechten und des linken Fußes bedarf." Es folgt eine Fußnote, die neben der Quelle ein weiteres langes Zitat

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Alle allgemeinen dogmenhistorischen Darstellungen behandeln Schmoller, die meisten zustimmend. 24 Ferdinand Zweig nennt Schmollers Werke in einem Atemzug mit den anderen großen Werken in der Volkswirtschaftslehre, die wir Marx, Malthus, Ricardo, Sismondi, List und Roseher verdanken (1950, 39). Wesley Clair Mitchell antwortete auf die Frage eines Studenten: "Worin besteht sein (d.h. Schmollers -PRS) Beitrag zur ökonomischen Theorie?" wie folgt: "Der Versuch, das wirtschaftliche Leben als ganzes zu sehen und auf alle Möglichkeiten der Geschichte, der Statistik und der Analyse zurückzugreifen, um diese besser zu verstehen. Er hat dies in größerem Umfang und mit mehr Sorgfalt betrieben als jeder andere" (1949, 196). Ingrid Hahne Rima spricht von seinem "eindrucksvollen Vermächtnis historischer Forschung" (1978, 314). 25 William A. Scott zitiert ihn ausführlich bei seiner Besprechung anderer Vertreter der historischen Schule (1933). Es gibt noch weitere Hinweise auf Schmollers Bedeutung in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften. 26 T. Riha (1985), Mary Cookingham (1987) und

bringt und mit der Bemerkung schließt: "Jedermann kann dieser Auffassung zustimmen." Die Kritik folgt im ersten Kapitel des VI Buches als Teil III, der die Überschrift trägt: "Die positiven Ideen der historischen Schule." Die Überschrift selbst deutet bereits den gutwilligen Charakter der Kritik an. Im Hinblick auf die Ziele der historischen Schule schreibt Rist: "Aber unter der Oberfläche dieser scheinbaren Einfachkeil liegt noch ein gewisses Dunkel, und die Gegner dachten, daß bei genauem Zusehen doch erhebliche Bedenken erhoben werden müßten" (1948, 404). Nach mehreren Seiten zieht Rist die Schlußfolgerung: "Im Hinblick auf diese Erwägungen hätte man annehmen können, daß die historische Schule etwas geduldiger mit den Versuchen der klassischen und der hedonistischen Schule gewesen wäre, mit unterschiedlichen Methoden doch demselben instinktiven Wunsch Ausdruck zu geben, die Dinge durch Vereinfachung besser zu verstehen." 24 Schmoller wird ohne besondere Zustimmung zweimal von Alan G. Gruchy (1947) erwähnt. Mark Blaug ( 1985) erwähnt ihn nur im Zusammenhang mit dem Merkantilismus und der Wirtschaftssoziologie. Eduard Heimann (1945) diskutiert ihn eigentlich nur im Zusammenhang mit Fehlern der jüngeren Schule. John Kenneth Galbraith ( 1986) erwähnt ihn zweimal, einmal im Zusammenhang mit dem Merkantilismus, und das andere Mal in einer Liste von "great German historical scholars." Roger Backhouse bietet eine ausführlichere und gründlichere Darstellung des Methodenstreits und auch der politischen Haltung Schmollers. Warren B. Catlin (1962) nennt ihn mindestens fünfmal und, wie zu erwarten, nennt ihn auch Spann ( 1930). Alexander Gray (1948) gibt gründliche Darstellungen mehrerer älterer Theoriegeschichten in seinen weiteren Literaturhinweisen (370-374). Die vollständigste Liste von Theoriegeschichten bis in die Mitte der siebziger Jahre dieses Jahrhunderts gibt Richard S. Howey (1982). William Albert Samuel Hewins erwähnt ihn im Artikel "Economics" in der elften Auflage der Encyclopedia Britannica (in Chisholm 8:899-910). 25 Sie beschreibt ihn, als habe er "sich nach dem Werk Müllers und Lists, zum Teil auch Roschers zurückgesehnt" (in Weintraub, 1977, 13). 26 Es gibt noch eine umfangreiche periphäre Literatur, vor allem biografischer Art, die auf seinen Einfluß hindeutet. Diese Literatur ist weit verstreut, und sie läßt sich nur mühsam messen und in überzeugender Weise ordnen. Darum weise ich hier nur auf zwei Beispiele hin. Die Beziehungen zwischen Schmoller und Karl Helfferich werden

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John C. O'Brien (1987) haben seine Rolle als Sozialökonom deutlich herausgearbeitet. Michael Hudson (1975) bespricht seinen Einfluß auf den amerikanischen Protektionismus. Das wichtigste neue Nachschlagewerk in den Wirtschaftswissenschaften, The New Palgrave: A Dictionary ofEconomics (Eatwell et al. 1987), verzeichnet neben der Biografie vier weitere Eintragungen. 27 Alle wirtschaftswissenschaftlichen Nachschlagewerke, die Biografien enthalten, haben seit der Jahrhundertwende Einträge zu Schmoller, zum Beispiel Horten et al. 1948. Sein Name steht auch in den biografischen Wörterbüchern, zum Beispiel Mai (1975), Blaug und Sturges (1983) und Blaug (1986a, 1986b). Zu den Standardnachschlagewerken in den Sozialwissenschaften gehören die

Encyclopedia of the Social Seiences (Seligman 1935, im folgenden ESS) und die International Encyclopedia of the Social Seiences (Sills 1968, im folgenden

IESS). Beide enthalten Biografien und viele Erwähnungen Schmollers und seines Werkes in Aufsätzen, die von hervorragenden Gelehrten verfaßt wurden. 28 Beide zählen acht Verweise auf Schmoller, enthalten aber viele weitere. Zum Beispiel wird Schmoller bei Harry Eimer Bames und Howard Becker im Zusammenhang der Geschichte der Sozialwissenschaften erörtert (Bames and Becker, 1961). in John G. Williamsons (1971) Biografie He1fferichs dargestellt. Ein anderes Beispiel bildet Alon Kadishs (1982) Untersuchung der Ökonomen in Oxford im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, in der Schmollers Einfluß, vor allem auf Ashley, herausgearbeitet wird. Natürlich verweist Ashley auf Schmollers Werk, auf das er sich ausgiebig stützt (z. B. Ashley, 1904, 57, 95, 124 u.s.w.). 27 Schmoller wird im Neuen Palgrave (Eatwell et al. 1987) an vielen Stellen erörtert, aber der Mangel an Übersetzungen zeigt sich augenfallig in seiner Biografie, die nur einen Literaturhinweis auf englisch anführt. Alle Verweise des Artikels "Methodenstreit" sind auf deutsche Literatur. Lediglich vier der dreiunddreißig Literaturhinweise des Artikels "German Historical School" sind auf Quellen in englischer Sprache. Der Alte Palgrave (Dictionary of Political Economy, Palgrave 1896) hat keine Biografie Schmollers. Person und Ideen werden an verschiedenen Stellen erörtert, zum Beispiel in dem langen Artikel "Historical School of Economics" von William J. Ashley (Palgrave 1896, 310-314). Sein Name taucht im Index gar nicht auf, Roseher dagegen häufig. Auch allgemeine Übersichten zur europäischen Geschichten weisen oft auf Schmoller hin, z. B. Matthew Smith Anderson ( 1985, pp. 231 - 232) im Zusammenhang einer kurzen Erörterung der Rolle Schmollers im Verein für Socialpolitik. 28 Die Beiträge in der ESS, die auf Schmoller eingehen, stammen von Carl Brinkmann, Paul Mombert, J. H. Clapham, Hans Schumacher, Edwin R. A. Seligman, Eli F. Heckscher, Wladimir Woytinsky und Hans Gehrig. Rita Aidenhoff hat mich daran erinnnert, daß die ESS selbst nach dem Vorbild des deutschen Handwörterbuchs der Staatswissenschaften konzipiert worden war. Die Herausgeber gehörten zu Schmollers Generation. Einer von ihnen, Wilhelm Lexis, gehörte zu den Mitbegründern des Vereins für Socialpolitik. Es ist nicht auszuschließen, daß sich Schmollers Einfluß in den beiden amerikanischen Publikationen (ESS und IESS) niedergeschlagen hat. Schmoller wird auch von bedeutenden Sozialwissenschaftlern in der IESS erwähnt. In dieser Ausgabe stammen die Artikel von Wolfram Fischer, Bernard Semmel, Friedrich A. von Hayek, Reinhard Bendix, Theo Surany-Unger, Gustav Clausing und Gerhard Meyer. Mindestens drei weitere Artikel, die auf Schmoller eingehen, sind im Index nicht erwähnt, nämlich jene von Kar! Polanyi, Charles A. Barker und Edgar Salin.

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John Theodore Merz (1914) erörtert Schmoller im Zusammenhang mit Fichte und dem Sozialismus. SehrnaHer hat auch einen festen Platz in der Soziologie. Albion W. Small

(1924) betrachtet ihn im Zusammenhang mit seiner Diskussion der Schmoller-

Treitschke Kontroverse als festen Bestandteil der Geschichte der Soziologie. Emile Durkheim war mit seinem Werk wohl vertraut. 29 Ferdinand Tönnies geht in seiner Entwicklung der Soziologie in Deutschland (1974) mehrfach auf ihn ein. 30 Pitirim Soroking bezieht sich auf ihn im Hinblick auf die soziale Klassenbildung und die Zyklen in sozialen und historischen Prozessen (1928, 736- 737). Schmoller wird auf vielen Gebieten außerhalb der Wirtschaftswissenschaften Bedeutung beigemessen. 31 Zum Beispiel taucht Schmoller im Dictionary ofThe History of ldeas ... (Wiener 1974, im folgenden DHI)von Frank H. Knight, George G. lggers und Herbert Butterfield, dem Historiker, auf. Er hat auch einen festen Platz im Dictionary of the History of Science (Bynum et al. 1981, im folgenden DHS) (189, 487). Pauline Relyea Anderson hat einen schönen Artikel über Schmoller und die Geschichtsschreibung veröffentlicht (in Schmitt 1942, 415-443). 32 Anderson sagt über sein historisches Werk, "es bleibt nur Bewunde29 Emile Durkheim zitiert Schmoller zustimmend, und oft recht ausführlich, zum Beispiel (1933, 46, 187, 188-189,307-308 u.s.w.). Wenn ich mich nicht irre, war Albion Woodbury Small (1851-1926), der Vorsitzende des ersten soziologischen Fachbereichs in der Welt an der Universität von Chicago, ebenfalls ein Schüler Schmollers. Small war der Herausgeber des American Sociological Review und veröffentlichte eine positive Besprechung des Grundriß (Small, 1900). Max Weber organisierte eine wichtige Konferenz zur Ehre Schmollers mit Beiträgen bedeutender Soziologen, so wie Ferdinand Tönnies. Vergleiche E. G. Jacobys Postscript (in Tönnies 1974, 265). Weber bezieht sich häufig aufSchmollerund sein Werk, vergleiche zum Beispiel die Fußnoten zu den Kapiteln 7, 10 und 11 in Weber (1961), obwohl Schmollers Name im Index nicht auftaucht. Viele bedeutende Gelehrte wurden durch Schmoller beeinflußt, auch wenn sie wie etwa Weber selbst ihm gegenüber eine kritische Haltung einnahmen. Webers Bedeutung für die angelsächsische Sozialwissenschaft läßt sich kaum überschätzen. Einen weiteren der vielen Belege in der soziologischen Literatur findet sich bei T. B. Bottomore, der Schmoller im Zusammenhang mit seiner Theorie der sozialen Schichtung und Klassenbildung sowie bei seiner Stufentheorie erwähnt (1962, 34, 135). 30 Er sagt: "Insgesamt gesehen zeugt Schmollers Jahrbuch ab 1989, als die Studien über die Arbeitsteilung erschienen, zunehmend von den soziologischen Studien des Herausgebers und seiner ökonomischen Fachkollegen." 31 Der Leser der englischsprachigen Literatur gewinnt den Eindruck daß Schmoller auch einen Platz in der Bildungsgeschichte verdient. Friedrich Paulsen zitiert Schmoller in seiner klassischen Arbeit über die deutsche Universität zustimmend mit Bezug auf die Entwicklung des deutschen Universitätssystems (1906, 123 ). Ausführlich kritisiert er Schmollers Vorschlag, die Anwesenheit der Studenten in den Vorlesungen zu registrieren, als nicht praktikabel ( 1906, 286 - 287). Andere Hinweise betreffen seine offiziellen Funktionen im Bildungswesen und die widersprüchlichen Ansichten über seinen Einfluß, auf die weiter unten noch eingegangen wird. 32 Pauline Relyea Andersans langer Aufsatz ist eine der besten allgemeinen Studien in englischer Sprache, die auf die vielen Fragen, die in diesem Aufsatz aufgeworfen werden, eingehen (in Schmitt 1942, 415-443). Der Aufsatz wurde zum fünfzigsten

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rung" (in Schmitt 1942, 438). Charles E. McClelland (1971) bespricht ihn ausführlich in seinem bedeutenden Werk über die deutschen Historiker und England. Auch diejenigen, die aus dem einen oder anderen Grunde Schmoller gegenüber ablehnend eingestellt sind, bezweifeln seinen Einfluß nicht. Im DHI sagt Knight über Schmoller: "Er war als Historiker ... bedeutsam ... " (in Wiener 1974, 11:60). 33 Der bedeutende Wissenssoziologe Robert K. Merton spricht von Schmoller als deutschem Gelehrten und Wissenschaftler des ersten Ranges (1973, 109). Es ließen sich noch viele weitere Belege für den Einfluß und die Bedeutung Schmollers anführen. Hier konnte nur eine Stichprobe gegeben werden, denn die entscheidende Frage lautet ja: wie konnten die Barrieren überwunden werden, die diesem Einfluß entgegenstanden.

V. Die Sprache und die Bedeutung der Übersetzungen Die Schmollerliteratur strotzt von Klagen über den Mangel an Übersetzungen. 34 Zum Beispiel schreibt John M. Ferguson über den "außerordentlich interessanten Jahrestag des Bestehens der Universität von Chicago veröffentlicht. Die Leidenschaften des zweiten Weltkriegs scheinen das Urteil der Autorin nicht berührt zu haben. Sie wiederholt und beantwortet einen der am häufigsten gegen Schmoller vorgebrachten Einwände. "Man hat oft kritisiert, daß Schmoller sich im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert vergraben habe, während er niemals den Mut aufgebracht hätte, sein eigenes Zeitalter mit derselben Gründlichkeit zu erforschen. Demgegenüber ist die Tatsache festzuhalten, daß Schmoller sich absichtlich der modernen Zeit zuwandte statt dem Altertum und dem Mittelalter, um die Wurzeln der Institutionen seiner Zeit durch das Studium der Bedingungen des neunzehnten Jahrhunderts freizulegen (in Schmitt 1942, 438). Kritiken dieser Art, die sich darauf beziehen, was der Autor dem Kritiker zufolge hätte tun sollen statt darauf, was der Autor tatsächlich getan hat, tragen meiner Ansicht nach wenig bei. Sie sind genau so bedeutungslos wie die Kritik, die Schmoller vorhält, kein Theoretiker gewesen zu sein. 33 Das vollständige Zitat lautet: "Er war als Historiker ebenso bedeutsam wie als Propogandist" (Knight in Wiener 1974, II: 60). 34 Meine Suche nach Übersetzungen hat zu dem Ergebnis geführt, daß im Vergleich zu seinem Gesamtwerk nur ein winziger Bruchteil ins Englische übersetzt worden ist. Das umfangreichste und vollständigste Werk ist Mercantilism (1902), das einschließlich des Anhangs von Ashley nur 95 Seiten lang ist. Schmollers Aufsatz über den Gerechtigkeitsbegriff (1840) ist 41 Seiten lang. Klagen über den Mangel an Übersetzungen gibt es seit dem Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts in verschiedener Form. So sagt Balabkins: "Aber im heutigen Amerika ist Schmoller beinahe unbekannt. Sein Werk liegt in der deutschen Sprache festbeschlossen ... ",und etwas später, "niemand interessiert sich heute noch für Schmoller" (1987, 22). Es ist wohl richtig zu sagen, daß Schmoller ,,kaum bekannt" ist, wenn man damit meint, daß viele englischsprachige Volkswirte Schmoller nicht auf deutsch lesen. Andererseits zeige ich hier, daß die Schlußfolgerung bereits dann falsch ist, wenn man sich nur auf die ausdrücklichen Hinweise bezieht. Wenn man den Blickwinkel weiter faßt wird deutlich, daß viele auf Schmollers Werk aufbauen, selbst wenn sie sich dessen nicht bewußt sind. Erich Streissler hat darauf hingewiesen, daß die Österreicher sehr wohl übersetzt wurden. Dies lag daran, daß sie übersetzt werden wollten, und dieses Bedürfnis hing zum Teil

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und wertvollen" Grundriß etwa 1938: "Unglücklicherweise ist der Grundriß mit seinen über tausend Seiten in der letzten Ausgabe noch immer nicht auf englisch verfügbar" (1950, 153). Daranhat sich bis 1989 nichts geändert.35 Mit dem Problem des Mangels an Übersetzungen ist Schmollers Stil eng verknüpft. Edwin H. Spengler sagt über den Grundriß: "Er ist darüberhinaus in einem gewichtigen Stil verfaßt, der vom Leser große Aufmerksamkeit fordert" (Abraham und Weingast 1942, Vorwort, II). 36 Die Übersetzer schreiben "Die größte Schwierigkeit bestand darin, Schmollers verschlungenen Stil zu modernisieren und in einfache englische Strukturen zu überführen" (Abraham und Weingest 1942, Vorwort. V). damit zusammen, daß sie nicht in nationalen Grenzen dachten. Wie weit dieser Wunsch nach Übersetzungen ging, zeigt das Beispiel von Böhm-Bawerks Besprechung (1890) von Schmollers Zur Literaturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften. Das Original wurde nicht übersetzt. Menger (1985), der Schmoller erwähnt (zum Beispiel auf Seite 43) ist sogar noch im Druck. 35 Hier ist Wesley Clair Mitchells Kommentar, den er etwa 1934 oder 1935 niederschrieb: "Es ist eine traurige Tatsache, daß dieses Buch (der Grundriß, PRS) immer noch nicht ins Englische übersetzt worden ist, und es ist eine noch traurigere Tatsache, daß so wenige amerikanische Ökonomiestudenten sich heute so weit ausbilden, daß sie diesen unglaublich wertvollen Beitrag im Original verwenden können." AufGrund seiner Vorlesungsaufzeichnungen wird deutlich, daß Mitchell davon ausging, daß seine Studenten deutsch lesen konnten. Aber Sätze wie der eben zitierte machen deutlich, daß die Anforderung, jeder gut ausgebildete Volkswirt müsse deutsch lesen können, sich in der Praxis seit der Mitte der dreißiger Jahre nicht mehr durchsetzen ließ. 36 Das Gegenteil schreibt Mortimer Epstein [der Sombart Übersetzer, JB], der sich über den "schönen Stil" des Grundrisses äußert (1917, 436). Balabkins schreibt, daß "Schmollers wunderbarer Stil die Lektüre anregend macht." (1987a, 22) Famhem (1901, 170) spricht von der "Anmut des Stils" und weist darauf hin, daß im ersten Band des Grundrisses nicht eine Fußnote zu finden ist. Balabkins hat einen sehr nützlichen Artikel über den Grundriß verlaßt, aber seine Kommentare über den Einfluß Schmollers sind etwas eigentümlich und bedürfen einer sorgfältigen Interpretation. Ich habe auf englisch noch niemals eine herablassende Äußerung über Schmoller gefunden wie diese: "Ein unwissender deutscher Wirtschaftshistoriker" (1987a, 27). Auch ist es strikt gesprochen nicht wahr, daß "Schmoller mit seinen sechs Methoden keinen Einfluß auf die englischsprachigen Volkswirte ausübte" (1987a, 28). Sehr unverständlich ist auch die folgende Aussage von Balabkins: "Der zweite Grund besteht darin, daß, wie es Wesley Clair Mitchell ausdrückt, in den Vereinigten Staaten die Neigung bestand, Schmoller als relativ folgenlos anzusehen" (1987a, 27). Mitchell sprach nämlich von Deutschland, und nicht von den Vereinigten Staaten. Dieses Mißverständnis stellt die darauf aufbauenden Folgerungen zum Teil infrage. Die Arbeit von Abraham und Weingest (1942) erscheint in den Universitätskatalogen oft als vollständige Übersetzung des Grundrisses und wird auch manchmal so zitiert. Tatsächlich handelt es sich um eine Zusammenfassung auf 68 Seiten, die bis zum siebten Kapitel des zweiten Buches führt. Die Arbeit ist nützlich und, so weit ich das überprüfen konnte, eine getreue Wiedergabe des Originals. Nun verletze ich die mir selbst aufgelegte Beschränkung, nur englische Quellen zu zitieren. Niemand, der über Schmoller geschrieben hat, erwähnt die rührende Zueignung des Grundrisses an seine Frau Lucie. Wir brauchen wirklich eine gute Biografie, aus der wir auch etwas über Schmoller als Person erfahren können. Dieser Mangel ist schon früh beklagt worden. So schreibt Charles E. McClelland: "Trotz seines großen Einflusses hat Schmoller bis heute keinen Biografen gefunden" (1971, 293).

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Der Mangel an Übersetzungen hat seinem Einfluß aber keinen Abbruch getan. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die meisten besser ausgebildeten amerikanische Volkswirte beherrschten das Deutsche in jener Zeit, als Schmollers Einfluß seinen Höhepunkt erreichte; (das ist die Zeit zwischen 1870 und 1910); zum Teil gilt dies noch fort bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs. 37 Viele der wichtigsten frühen amerikanischen Volkswirte genossen ihre Ausbildung in Deutschland in der Zeit des größten Schmollersehen Einflusses. Zwei der prominentesten Begründer der American Economic Association, Richard T. Ely und Edwin R.A. Seligman hatten in Deutschland studiert. 38 Eine Erklärung dafür, daß sich Schmollers Einfluß auf die angloamerikanische Literatur vor allem über Amerika entfaltete, finden wir bei Philip C. Newman. Über Sir William James Ashley (1860-1927) schreibt er: "Er war auch einer 37 Vergleiche zum Beispiel Thorstein Veblens keineswegs nur wohlwollende Besprechung des Grundrisses als "eines Ereignisses von größter Bedeutung für die Volkswirtschaftliche Literatur." "Gustav Schmollers Economics" Quarterly Journal ofEconomics, Vol. 16, Nov. 1901, wieder abgedruckt in The Place ofScience in Modern Civilization, p. 252 ff. (Veblen 1919). O'Brien geht darauf ausführlicher ein. Veblens Besprechung gibt uns einen gewichtigen Hinweis darauf, warum wir Schmollers Einfluß bei den amerikanischen lnstitutionalisten nicht direkt nachweisen können, und natürlich noch weniger bei der amerikanischen historischen Schule, die es niemals gab. Die meisten der wichtigeren Besprechungen des Grundrisses beginnen, soweit ich das übersehen kann, mit überschwenglichem Lob, enden aber recht kritisch. Beispiele dafür sind die Besprechungen von Frank W. Taussig (1905), der sich vor allem auf den Außenhandel richtet, und Henri W. Famam (1900). S. F. Altman (1904) ist in seiner Kritik zurückhaltender. In diesem Zusammenhang stellt Rita Aidenhof die interessante Frage, welchen Einfluß Autoren wie Thorstein Veblen, die Schmollers Werk sorgfältig besprachen, auf die deutschen Soziologen wie zum Beispiel Max Weber entfalteten. 38 Ein weiterer interessanter Hinweis, der Schmollers Einfluß wiedergibt, ist das Ausmaß, in dem die Begründer der American Economic Association diese dem Modell des Vereins für Socialpolitik nachbildeten. Die Statuten waren so sozialpolitisch ausgerichtet, daß sie nachträglich geändert wurden. Noch heute ist die Mehrheit der amerikanischen Volkswirte stärker sozialpolitisch orientiert als der Durchschnitt ihrer Landsleute. Die Statuten von 1923, die heute noch gelten, regeln, daß die Association keine parteipolitische Haltung einnehmen wird und ihre Mitglieder auch nicht auf Standpunkte in der praktischen Wirtschaftspolitik festlegt (Vergleiche "Certificate of Incorporation," p. ix, American Economic Review 75, No. 6 (December 1985). Zur Geschichte der American Economic Association vergleiche A. W. Coats 1985 und die vielen Hinweise dort. Der deutsche Einfluß kommt dort natürlich auch zur Sprache). Ely hatte in Heidelberg studiert und stand stark unter dem Einfluß von Kar! Knies. Er war nicht nur einer der Gründer der American Economic Association, sondern auch einer ihrer Präsidenten, und er betätigte sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Association als Sozialreformer. Das kommt deutlich in Joseph Dorfrnans Aufsatz über ihn zum Ausdruck, der den Titel trägt: Richard T. Ely: "Ein christlicher Sozialist" (1940, 161-62). In Elys Werk finden wir viele Hinweise auf Schmoller, zum Beispiel in Ely 1971. Die Literatur über den Einfluß der deutschen Ausbildung auf amerikanische Volkswirte ist umfangreich. Zum Beispiel entfalteten die Amerikaner unter dem deutschen Einfluß ihren eigenen Methodenstreit (Mongiovi 1988). Zu anderen Beispielen mit weiteren Verweisen siehe Cookingham (1987), Craver (1986), Dorfman (1955) und Dorfman (1949).

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der wenigen englischen Volkswirte seiner Generation, der ohne größere Mühe deutsch lesen konnte" (1952, 193). 39 Bis zum zweiten Weltkrieg verlangten alle wichtigeren amerikanischen Universitäten zwei Fremdsprachen für die Zulassung zur Promotion. Am häufigsten fiel die Wahl der zweiten Fremdsprache auf Deutsch. Hinzukam, daß während der Migrationen von 1930 bis 1940 und dem damit verbundenen braindrain die Reihen der amerikanischen Volkwirte, die des Deutschen mächtig waren, stark anschwollen. Schumpeter, der 1932 nach Harvard kam, ist für diese Gruppe ein Beispiel. So ergibt sich auch als der wahrscheinlichste Grund dafür, daß bis zu den vierziger Jahren keine Übersetzungen zur Verfügung standen, die Tatsache, daß die meisten Volkswirte ihrer nicht bedurften. Sorgfältig ausgebildete englischsprachige Volkswirte konnten Schmollerauf deutsch lesen und taten es auch. Die Lage änderte sich in Amerika während derfünfzigerund sechziger Jahre, als die Anforderungen an die Fremdsprachenkenntnisse der Doktoranden zunächst zurückgenommen und schließlich an den amerikanischen Universitäten weitgehend fallengelassen wurden. 40 Heute gilt allgemein, daß gut ausgebildete Volkswirte Mathematik, Ökonometrie, und Rechnersprachen beherrschen, aber nicht Deutsch. 41

39 Aber Koot ( 1987, 104) stellt fest, daß Ashley in seiner Oxforder Zeit "scheinbar das Deutsche nicht ohne Mühe las." Ich weiß nicht, wie verläßlich Newman ist, der freilich Mitchell (1969, 560) folgt. Zu diesem Thema kenne ich keine Studien. Marshall ist ein weiteres Beispiel eines brittischen Ökonomen der deutsch fließend las. Mein eigener Eindruck geht dahin, daß die bedeutenden englischen Volkswirte der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts deutsch lesen konnten. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist nur einer der möglichen Gründe dafür, daß sich Schmollers Einfluß über Amerika und nicht über England entfaltete. William Cunninghams (1895) Besprechung von Roseher kann auch für Schmoller Parallelen haben (er äußert sich über Schmoller übrigens positiv, 1895, 13). 40 Um 1959 war die Lage soweit gediehen, daß wohl jeder amerikanische Autor dachte, was Edmund Whittaker direkt aussprach: "Dieses Buch wurde unter der Annahme geschrieben, daß wenige seiner Leser Quellen überprüfen wollen, die ihnen nicht zur Verfügung stehen, es sei denn, diese seien fremdsprachig, daß aber viele dieses Bedürfnis haben werden, wenn dies auf englisch erfolgen kann. Dies ist vielleicht ein unwissenschaftlicher Standpunkt aber gleichwohl auch ein realistischer" (Whittaker, 1960, VII). 41 Ein Beispiel ist Schmollers Beziehung zum Sozialismus. In der englischen Literatur gibt es seit über hundert Jahren Abhandlungen über Schmollers Sozialismus. Das ganze Problem hängt natürlich davon ab, was man unter Sozialismus versteht. Dorfman (1949 3, p. 89 ff.) gibt einen Überblick über die frühe amerikanische Diskussion, der auch heute noch gilt. "Von Anfang an bekämpfte die historische Schule alle [meine Hervorhebung PRS] sozialistischen Lehren" (Anikin 1975, 338). Albion W. Small machte sich einige Mühe, die wichtigsten Vorwürfe Treitschkes gegen die Sozialisten "und insbesondere ihren Sprecher Schmoller" zu entkräften (1924, 65). Epstein sagt abgewogen "Schmoller war kein Sozialist in jeder denkbaren Bedeutung dieses Wortes" ( 1917, 437). Bames und Becker befinden sich im Einklang mit der großen Mehrheit, die ihn als Sozialisten abstempeln. "Azcarate war ein Sozialist wie Brentano, Wagner und Schmoller

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Für den modernen Volkswirt, der nur englisch lesen kann, hat der Mangel an Übersetzungen Schmoller fast unerreichbar gemacht. Diese Volkswirte können sich nur einen sehr begrenzten Eindruck von Schmoller verschaffen, wenn sie sich auf die wenigen Übersetzungen und Besprechungen seiner Arbeiten stützen müssen. Sie sehen sich mit vielen verwirrenden Äußerungen über ihn und sein Werk konfrontiert. Die Sekundärliteratur über Schmollerist voller Widersprüche, Unverständlichkeiten und Irreführungen, man möchte selbst sagen parteilicher Äußerungen über ihn. 42 Der Mangel an Übersetzungen wird dann auch der Grund dafür sein, daß Schmoller keinen Anlaß zu Zitaten, Kommentaren, oder Re-Evaluationen geboten hat oder in der nahen Zukunft bieten wird. 43 Daraus folgt aber nicht, daß seine relative Bedeutung abnehmen wird. Für den fortdauernden Einfluß eines Autors ist es gar nicht nötig, daß er auch gegenwärtig gelesen wird. 44 In vieler Hinsicht haben seine Beiträge Eingang in die tägliche Praxis der Volkswirte gefunden. Das wird im folgenden zu zeigen sein. . . . "(Barnes and Becker 1961, 3:1113). und "Schmoller und andere deutsche Kathedersozialisten ... " (Barnes and Becker 1961, 3:979). Harry W. Laidler sagt in seinem Abschnitt über "Kathedersozialismus und Kadersozialismus": "Das wissenschaftliche Haupt dieser Schule und sein prominentestes Mitglied war Adolph Wagner, der Berliner Professor. Gustav Schmoller ... und andere deutsche Gelehrte gehörten ebenfalls dazu" ( 1927, 669). Es folgt ein langes Zitat zur Unterstützung seiner Stellungnahme: "In der praktischen Politik stellte sich die Wagner-Schmoller Schule gegen gewalttätige oder plötzliche Veränderungen, sie bevorzugte eine allmähliche Entwicklung zu besseren Arbeitsbedingungen" (1927, 670). Der große Chronist der sozialistischen Ideengeschichte gibt in seinen Kommentaren zu den Kathedersozialisten einige von einander abweichende Definitionen des Begriffes Sozialismus, die vielleicht ironisch gemeint waren, vielleicht aber in seiner Zeit auch realistisch gewesen sein können. "Sozialismus war dann keine proletarische internationalrevolutionäre Bewegung, die von zwei Juden ins Leben gerufen worden war, sondern eine königliche, nationale und konservative Politik, die schon lange zuvor von den Hohenzollern entwickelt worden war und nun im neuen Kaisertum in seinen Staatsmännern ihren Ausdruck fand" (1935, 54). Beerbespricht in diesem WerkSchmollerund verschiedene andere. Viele andere Beispiele miteinander unvereinbarer und verwirrender Äußerungen ließen sich anführen. Der intelligente Leser findet auf englisch keine geeignete Quelle, die ihn über diese verwickelte Frage informieren könnte. Laidler ( 1927) wird in Laidler ( 1948) reproduziert. 42 Die Verweise auf Schmoller sind seit den fünfzigerJahrenstets weniger geworden, und dieser Trend wird sich wohl auch fortsetzen. 43 Eine Suche mit dem DIALOG Information Retrieval Servicefile 139 (Economic Literature Index) unter Verwendung des Suchbegriffes "Schmoller" erbrachte keinen einzigen Verweis. Diesesfile umfaßt alle bibliografischen Zitationen der ungefähr 260 Zeitschriften, die in der vierteljährlichen Ausgabe des Journal of Economic Literature seit 1969 und in den Zusammenfassungen im Journal of Economic Literature seit Juni 1984 enthalten sind. Die Suche wurde am 14. Mai 1988 durchgeführt. 44 Was Boyd C. Schäfer über Ranke sagt, gilt ebenfalls für Schmoller. "Wenige Leute, nicht einmal Historiker, lesen heute Ranke, aber Ranke begann die historische Forschung im modernen Sinn mit seinen vielen hervorragenden Studenten und der Verwendung der Seminarmethode" (Einführung zu Fran~ois et al. 18).

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VI. Die Gegenstände, mit denen er sich beschäftigte Der Leser, der auf englisch beschränkt bleibt, erhält nur Hinweise auf die Breite des wissenschaftlichen Interesses Schmollers und seines Werkes, wenn er sich nicht einer der wenigen alten Theoriegeschichten anvertraut wie etwa jener von Mitchell ( 1949). Einenungefahren Eindruck von der wissenschaftlichen Breite erhält man auch, wenn man auf die Artikel in der Encyclopedia of the Social Seiences und der International Encyclopedia ofthe Social Seiences zurückgreift. In der ESS umfassen die Gegenstände, neben der Biografie, Artikel über "Nationalism", "Class", "Economic History", "The Historical School", "Economics", "Income Tax", "Mercantilism", "Wages", und eine Biografie. Die Artikel in der IESS, in denen Hinweise auf Schmoller erscheinen, umfassen neben der Biografie die folgenden: "Ashley, William James": .,Economic Thought: The Australian School": "Hintze, Otto"; "Economic Thought: The Historical School"; "Menger, Carl"; "Spiethoff, Arthur" und "Wagner, Adolph". Mindestens die folgenden Artikel, die im Index nicht erscheinen, verweisen ebenfalls auf Schmoller, "Bücher, Kar!", "George, Henry" und "Roscher, Wilhelm." Im DHI wirdSchmollerunter den folgenden Rubriken besprochen: "Economic History", "Historicism" und "Historiography." Im DHS unter der Rubrik "Historicism." In der soziologischen Literatur finden wir ihn vor allem als Bestandteil der modernen Soziologie besprochen, zum Beispiel in den Klassentheorien, den Theorien der wirtschaftlichen Entwicklung u.s. w. Seine Beziehungen mit Max Weber und deren Einfluß auf die Soziologie sind ebenfalls von Bedeutung. Um den Einfluß abschätzen zu können, muß man entsprechend den einzelnen Themen vorgehen. Zumindest müssen wir seine wirtschaftwissenschaftlichen und seine historischen Studien getrennt behandeln, ebenso seine theoretischen Arbeiten über volkswirtschaftliche und historische Fragen, seine politischen und sozialpolitischen Arbeiten und schließlich seine philosophischen Schriften zu Methodenfragen in den Sozialwissenschaften. An den volkswirtschaftlichen und historischen Studien sind die angelsächsischen Leser eigentlich vorbeigegangen. 45 Daran kann sich grundsätzlich nichts ändern, da sich die Auswahl der Themen unverbrüchlich aus Schmollers Grundhaltung zur wirtschaftswissenschaftlichen Forschung ergab. Sein Ansatz bestand ja darin, gezielt Einzelstudien durchzuführen, deren Ergebnisse später zur allgemeinen Theoriebildung vetwendet werden sollten. Dieser Ansatz erforderte, daß man sich den besonderen zeitlichen und örtlichen Umständen sorgfältig widmete. Die zeitlichen und örtlichen Besonderheiten führten natürlich dazu, daß sich die 45 Dies kann sich in Zukunft ändern, da deutsche Forscher zunehmend auf englisch publizieren. Man nehme zum Beispiel Schmollers Beiträge zur Entwicklung des Kapitalismus, vergleiche dazu Kriedte et al. (1981, 3, 4).

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Ergebnisse der einen Einzelstudie nicht ohne weiteres auf eine andere Einzelstudie übertragen ließen. Die große Synthese sollte dagegen erst viel später erfolgen. 46 Was die eng angelegten Einzelfallstudien angeht, etwa jene zum Kleingewerbe, so kann man Spiegels oben wiedergegebenen Bemerkungen vielleicht folgen. Dies gilt nicht für die breiter angelegten Untersuchungen wie jene des Merkantilismus. Die einfache Tatsache, daß sie übersetzt wurde, zeigt, daß Spiegels Bemerkungen nicht immer zutreffen. 47 Ganz anders steht es mit seinen theoretischen Schriften, die oft Teile von Einzelstudien waren. Die Artikel in den großen Nachschlagewerken (IESS, ESS, and DHI) zeugen überdeutlich von seinem Einfluß. Am "Historizismus" und am "Histori~>mus" scheiden sich noch heute die Geister. 48

46 "Einen Vorwurf wird man Schmoller nicht ersparen können, daß er nämlich den Gebrauch der deduktiven Methode für die Volkswirtschaftslehre strikt ablehnte. Er bat uns geduldig abzuwarten, bis die Sammlung der historisch empirischen Fallstudien der besonderen Bedingungen and den verschiedenen Orten und zu den verschieden Zeiten abgeschlossen sein würden (aber mancher unter uns kann so viel Geduld nicht aufbringen)" (Cossa 1893, 414). Der Grundriß zeigt, daß auch Schmoller schließlich nicht länger warten wollte. Spätere Dogmenhistoriker haben Cossas Kritik nicht geteilt. Vergleiche zum Beispiel Mitchell (1949, 187). Lewis Haney zufolge war Luigi Cossa ein Schüler Roschers und "seine aufgeschlossene Haltung gegenüber der klassischen Lehre ist allgemein bekannt" (1949, 545). 47 Im Fall der Merkantilismus Studien kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß Schmoller einen originellen und wichtigen Beitrag geleistet hat. Vergleiche etwa Mathias (1969, 2) oder Buck (1964, 6). 48 In seinem Artikel "Historizismus" bezeichnet Georg Iggers "Schmoller als den wichtigsten Volkswirt der historischen Schule." Er geht auf Mengers Angriff aus dem Jahre 1884 ein und fahrt fort "Adolph Wagner identifizierte diese (Schmollers? PRS) Irrtümer als die Verwechslung von ökonomischer Theorie mit Wirtschaftsgeschichte (cf. Heussi, 1932)" (in Wiener 1974, Il:457). Am wichtigsten ist die Darstellung, die lggers den wechselnden Bedeutungen des Begriffes "Historizismus" widmet. Seine Schlußfolgerungen widersprechen denjenigen, die der Ansicht sind, unter den Händen der Amerikaner habe der Historizismus zum Empirizismus geführt. "Als wissenschaftliche Bewegung verwarf der Historizismus positivistische Versuche, soziales Verhalten mit theoretischen Modellen zu erklären, die auf verschiedene Gesellschaften anwendbar wären; als politische Bewegung verwarf der Historizismus nicht nur dieNaturrechtslehre, sondern darüber hinaus auch jeden Versuch, Normen abzuleiten, die das politische Verhalten oder die Grundrechte betreffen" (lggers in Wiener 1974, II: 458). Einen hervorragenden Überblick über den Gebrauch des Begriffes "Historizismus" gibt Iggers in seinen Anmerkungen zum ersten Kapitel (lggers 1968, 287 ff.). Auf Beispiele zur Literatur über den Historizismus weist er ebenfalls hin. Bei lggers findet man auch ausführliche Arbeiten über die historische Forschung und eine Reihe guter Übersichten. Anderer Ansicht ist Karl R. Popper, der vom "Elend des Historizismus" spricht, The Poverty of Historicism (1960). Seine Logic of Scientific Discovery (1959) ist immer noch eine gute Einführung in Probleme der Induktion und Deduktion in den Sozialwissenschaften. Friedrich A. Hayek bespricht auch den Historizismus und Cossas Einfluß auf Schmoller (1955, 199). In den Anmerkungen geht er nur auf deutsche Quellen ein. Es ist noch zu

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Seine Bedeutung als Geschichtsschreiber ist ganz unbestritten. 49 Jede Verallgemeinerung, die darauf hinaus läuft, Schmollers Einfluß sei wegen der Auswahl seiner Gegenstände begrenzt gewesen, sollte mit Vorsicht betrachtet werden. Anders steht es mit seinen politischen Schriften, zum Beispiel die im ersten Weltkrieg verfaßte "Soziale Frage." 50 Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, daß seine politischen Schriften Beurteilungen wie jene von lrving Louis Horowitz begründen, der ihn dem rechten Flügel zuordnet (1987, 117), oder Knights Bezeichnung als "Propogandist" (in Wiener 1974, II, 60) oder auch die relativ schwache Biografie in der IESC. Diese Schriften haben seinen Einfluß jedenfalls bei einigen abgeschwächt. Der Hauptgrund hierfür ist wohl darin zu suchen, daß Schmoller "den klassischen Meistem näher stand" (Mitchell 1949, 191) als modernen Auffassungen, denen zufolge politische Entscheidungen bei den Wählern liegen und der wissenschaftlichen Arbeit nicht zugänglich sind. Da dies von den meisten Wissenschaftlern richtig erkannt wird, erscheinen seine politischen Schriften ihnen auch als Stolpersteine, die sich der Autor selbst in den Weg gelegt hat, die aber seinen Einfluß insgesamt kaum schmälern, da sie seinen vielen anderen Verdiensten keinen Abbruch tun. Keiner seiner Beiträge zur sozialen Frage wurde übersetzt, und so läßt sich ein direkter Einfluß auch nicht nachweisen. Diese Schriften wurden aber auf einem anderen Wege sehr einflußreich. Es ist gut nachgewiesen, daß Bismarck erwähnen, daß Hayek Schmollers Gerechtigkeitsbegriff mit Geringschätzung behandelt (1973, II, 77). Kar! Pribram (1983) verwendet den Begriff "Historismus" und bespricht zum Teil dieselben Fragen. Wieder wird es dem Leser, der nur des Englischen mächtig ist, sehr schwer fallen, die verschiedenen Begriffe zu verstehen, ganz abgesehen von den zugrunde liegenden Fragen. Auf englisch liegen die Quellen nicht vor, sodaß ein abschließendes Urteil unmöglich bleibt. 49 Herbert Buttemeld schreibt in seinem Artikel "Historiography", Schmoller sei "in Deutschland dominant" gewesen und habe großen Einfluß auf "William Ashley ausgeübt, der an der Harvard University den ersten Lehrstuhl in der Wirtschaftsgeschichte überhaupt innehatte." Seines Erachtens war seit den späten siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts "die Wirtschaftsgeschichte vor allem Verwaltungsgeschichte, zumindest wurden die Ereignisse aus der Sicht der Regierungen und ihrer Verwaltungen betrachtet" (in Wiener 1974, II, 495). so In diesem Zusammenhang sind mindestens drei verschiedene und voneinander getrennte Aspekte zu behandeln. Dies ist einerseits die sich noch immer stellende und immer noch kontroverse Frage, inwiefern politische Probleme "überhaupt zum Gegenstandshereich der Volkswirtschaftslehre gehören" (Mitchell, 1949, 191). Zweitens geht es um das Problem, Schmollers politische Auffassungen in einem vernünftigen Spektrum zu verorten und anzugeben, wie eine bestimmte politische Auffassung im Sinne von rechts oder links, kon~ervativ oder wie dann auch einzuordnen ist. Drittens bleibt noch das Problem der Bewertung einer politischen Haltung im Lichte eines vernünftig definierten Standpunkts, der wissenschaftlicher Kritik standzuhalten vermag. Mitchell ist einer der wenigen, der diese Fragen in seiner Besprechung nicht durcheinander wirft.

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mit großer Aufmerksamkeit die Aussprachen des Vereins für Socialpolitik verfolgte, den Schmoller mitbegründet hatte und als dessen Vorsitzender er von 1890 bis zu seinem Tode diente. Der Verein war begründet worden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Dieser Einfluß hinterließ deutliche Spuren in vielen Maßnahmen, die zur Schaffung des Systems von Sozialreformen führten, die unter Bismarcks Kanzlerschaft eingeführt wurden. 51 Diese Reformen wurden sorgfältig studiert und dienten oft als Vorbild für Reformen in der englischsprachigen Welt. Zweifellos hatte er mit seinen philosophischen Schriften zu den Methodenfragen in den Sozialwissenschaften großen Einfluß. Aber dieser Einfluß entwickelte sich in anderen Formen. Seine Beiträge haben bleibenden Bestand im Hinblick auf die wichtige Frage, was in den Sozialwissenschaften als Wissen akzeptiert wird. Die Ergebnisse des Methodenstreits, denen wir uns nun zuwenden, bieten dafür vielleicht das beste Beispiel.

VII. Schmoller und seine Methoden Schmollers Methoden kommen in jedem üblichen Lehrbuch zur ökonomischen Theoriegeschichte zur Sprache, und es gibt auch darüberhinaus viele Hinweise darauf in der englischen Literatur. Wie zu erwarten, unterscheiden sich diese Abhandlungen im Hinblick auf beinahe jede wichtige Dimension hinsichtlich Länge, Tiefgang und Qualität. 52 Schlimmer noch ist die Nachlässigkeit, mit der der Begriff "Methode" verwendet wird: einerseits, um Techniken oder bestimmte V orgehensweisen zu bezeichnen, als Ausdruck einer allgemeinen Orientierung oder eines Standpunktes (wie z. B. die historische, statistische, induktive, abstrakte, deduktive, poetische, intuitive, diskursive oder dialektische Methode); oder als Anordnung oder Klassifikation. Wenige Autoren unterscheiden zwischen dem, was Schmoller tut und dem, was er über Methodenfragen sagt. Auch machen die wenigsten Autoren deutlich, daß Schmoller seine Ansichten in wichtigen Punkten änderte. 53 51 Bismarcks Verhältnis zu Schmoller verdient eine eigene Arbeit. Obwohl er heute keine besonders gute Presse hat, galt Bismarck in seiner Zeit als brillianter und aufgeklärter Staatsmann. Zum Beispiel charakterisiert ihn Andrew Dickson White als einen der sieben großen Staatsmänner, der den Kampf der Menschheit gegen geistige Finsternis führte, oder William Roscoe Thayer ( 1899), der ihn als Schöpfer von Thronen bezeichnet, oder Esmond Wright (in Canning 1973), dem er als großer Europäer und einer der Architekten der modernen Zivilisation erscheint. 52 Ein Beispiel ist die Behandlung der Beziehungen zwischen Schmollers politischen Ansichten, seinen wissenschaftlichen Ansichten und seine Freundschaften. "In der reinen Wissenschaft ist Wagner im Hinblick auf die von ihm verwendeten Methoden am zuverlässigsten, und niemand spricht sich grundsätzlicher gegen Schmoller aus als es Wagner tut" (Cossa 1893, 422-423). Dagegen schreibt Epstein von "Schmollers Freund Wagner" (1917, 437). Der allein auf englische Quellen angewiesene Leser kann über diese Beziehungen wenig erfahren.

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Man muß davon ausgehen, daß Schmoller versuchte, seine Techniken, seine Ansichten und seine Erörterungen einigermaßen konsistent zu halten. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß sie sich änderten, und keineswegs in gleicher Weise oder mit gleicher Schnelligkeit. 54 , 55 Alle diese Faktoren haben sehr viele verschiedene und ganz unzureichende Behandlungen erfahren, die Schmollers Methoden nicht gerecht werden. Im folgenden gebe ich einige Beispiele, wie der Methodenstreit in den englischen Quellen dargestellt wird. Schumpeter war der Ansicht, der Methodenstreit sei "im wesentlichen eine Geschichte verschwendeter Energien gewesen, die auf einen besseren Zweck hätten verwendet werden sollen." (1954, 814) 56 Knight urteilte wie folgt: "Es gab eigentlich keine Entschuldigung für den Methodenzwist ... , denn es gab keinen Gegensatz mit dem Überlieferten" (in Wiener, 1974, II, 61)_57 Obwohl Gide und Rist den Methodenstreit nicht in derselben Weise erörtern wie die anderen auf englisch verfaßten Texte, gelangen sie doch zu demselben Ergebnis. "Glücklicherweise kann die Kontroverse über die Vorzüge der rivalisierenden Methoden, die durch die historische Schule entfacht wurde, aus heutiger Sicht kein großes Interesse beanspruchen." Sie zitieren zustimmend Pareto: "Die Diskussion von Methodenfragen ist die reine Zeitverschwendung" (1948, 400). 58 Diese Beurteilungen sind das genaue Gegenteil derjenigen von Daniel R. Fusfeld. "Der Methodenstreit zwischen Carl Menger (1840- 1921) und Gustav Schmoller (1838-1917) ist eine der bedeutsamsten methodologischen Debatten in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaft" (in Eatwell et al. 1987, 3:454). Wie soll man sich dazu stellen? Als erste Antwort liegt nahe, das übliche Argument der Zeitverschwendung in Frage zu stellen, denn jeder Spezialist auf dem Gebiet fühlt sich bemüßigt, den Methodenstreit zu erörtern. Offensichtlich geht es um mehr als kurze apodiktische Urteile aussagen können. 53 Schumpeter bildet hier eine Ausnahme, zum Beispiel im Hinblick auf Schmoller und das Manchestertum. 54 Zum Beispiel behauptet Nicholas Balabkins, Schmollers Wirksamkeit lasse sich in zwei Phasen unterscheiden. Vor 1883 beschäftigte er sich vor allem mit deutschen politischen Problemen, nach 1883 vor allem mit theoretischen Fragen. 55 Dieses Problem ist so wichtig, daß es einen eigenen Aufsatz verdiente. 56 Trotzdem widmet Schumpeter dem Methodenstreit und Schmollers Rolle darin einigen Raum (Schumpeter 1954, 814-815). 57 Knight schließt mit den Worten: "Es läßt sich nicht bestreiten, daß die Preistheorie Gesetze enthält, die als Handlungsanweisungen nützlicher sind als jede andere Lehre sozialer Phänomene, zum Beispiel die Kriminologie" (in Wiener, 1974, II, 61). Ob der abschätzige Hinweis auf die Kriminologie wohl auf die Tradition der deutschen Universitäten anspielt, Beamte auszubilden? 58 Der Hinweis erfolgt im fünften Buch, und dort im ersten Absatz des ersten den Hedonisten gewidmeten Kapitel, der die Überschrift trägt: "Die Pseudo-Renaissance der klassischen Schule". Mit Hedonisten bezeichnen sie Autoren wie Menger, die die reine Wirtschaftstheorie auf dem Prinzip von Nutz~n und Leid aufbauen wollten. "Natürlicherweise entspann sich so eine hitzige Kontroverse zwischen den führenden beiden Schulen vor allem zwischen ProfessorSchmollerund Kar! Menger" (Gide und Rist, 1948, 488).

4 SB Backhaus

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Bert F. Hoselitz sieht den Streit in Zusammenhang mit der zweiten Stufe der Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften, "der Klärung ihrer Methoden" ( 1959, 18). 59 Er teilt dann die Fragen, derentwegen der Krieg ausgetragen wurde in Schlachten ein. Für ihn ging es darum, "ob die Wirtschaftswissenschaften eine theoretische oder historische Wissenschaft seien" (1959, 139). "Nachdem eine klare Trennung zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte vollzogen war, entwickelten sich beide Zweige fruchtbar und trugen zueinander bei" (1959, 139-140). Für Hoselitz errang Menger den ganzen Sieg. Wieder eine andere Schlußfolgerung finden wir bei B. Schefold. Andererseits kann der Methodenstreit auch als Ausdruck des Versuchs gesehen werden, wesentliche Einsichten in die historische und wechselhafte Natur wirtschaftlicher und sozialer Phänomene zu bewahren und gegen vereinfachende und mechanische Auffassungen von den Gesetzen des rationalen Verhaltens zu schützen; so hatte der Methodenstreit wichtige Folgen für die Entwicklung der Nachbarwissenschaften, vor allem der Soziologie" (in Eatwell et al. 1987, 4:257). Der Methodenstreit ereignete sich im Umfeld methodologischer Auseinandersetzungen, die bald mehr umfaßten als die Wirtschaftswissenschaften. "Der Zankapfel war der Status der Wissenschaften vom Menschen, auch historische Wissenschaften, Gesellschaftswissenschaften, intellektuelle oder Kulturwissenschaften u.s.w. genannt: sollten sie, wie die Positivisten beanspruchten, den Naturwissenschaften angenähert werden, oder sollten sie im Gegenteil als völlig selbständig angesehen werden" (Freund, 1968, 37- 38)? Viele Wissenschaftler aus vielen Disziplinen waren beteiligt, und so entwickelte sich eine komplexe Reihe schwieriger Argumente. Bis heute sind viele Fragen noch nicht geklärt, zum Beispiel die Rolle des Positivismus. 60 Begründbare Schlüsse über Schmollers Rolle im Methodenstreit können erst auf Grund einer sorgfältigen Prüfung der einzelnen Fragen gezogen werden, und wenn man den historischen Kontext im Auge behält. 6 1 Die Quellen für eine derartige sorgfältige Untersuchung sind trotz geie59 "Aber die Einführung neuer Ideen die erste Stufe in der Entwicklung der Disziplin - hörte nicht auf, bis die Prinzipien der Grenznutzenlehre eindeutig in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts formuliert worden waren. Dann erreichten die Wirtschaftswissenschaften die zweite Stufe, die Klärung ihrer Methoden" (Hoselitz, 1959, 18). Landreth (1976, 275) gibt diesen Standpunkt auch wieder. Ist der Hinweis wichtig, daß die zweite Stufe genau mit Schmollers Aufstieg und auch dem Aufstieg Deutschlands zur Weltmacht zusammenfällt? Eine frühe und günstigere Darstellung des Methodenstreits gibt Seager (1892, 237). 60 Obwohl sich Schmoller an diesen Debatten lebhaft beteiligte, finden seine Beiträge in der englischsprachigen Literatur nur insoweit Beachtung, als sie sich auf die Wirtschaftswissenschaften beziehen. Eine Ausnahme bildet Kurt Dopfer, der schreibt: "Schmollers Position ebenso wie jene der anderen Vertreter der historischen Schule, die bereits erwähnt wurde, trägt zur modernen Theoriediskussion einen Schatz konzeptioneller Perspektiven und methodologischer Sichtweisen bei, der noch ganz zu erforschen bleibt" (1985, 30). 6 1 Wichtige Beiträge zur englischsprachigen Literatur über den Methodenstreit bilden die Aufsätze von Häuser (1988), Nardinelli und Miner (1988) und Streissler und Milford (1988).

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gentlieber Arbeiten wie jener von Kurt Dopfer auf englisch nicht vorhanden, und dies obwohl etwa Dopfer mit der Bemerkung schließt, "es gibt gute Gründe zu glauben, daß eine weitere Erforschung des Methodenstreites wesentliche Resultate zu Tage fördern kann" (1985, 30). Es ist höchstwahrscheinlich, daß noch eine lange Zeit vergehen wird, ehe der auf die englische Sprache beschränkte Leser eine befriedigende Darstellung der Schmollersehen Methoden erhalten wird. Wir können aber auf anderem Wege einen Eindruck von der Bedeutung Schmollers gewinnen. Zum Beispiel stand Marshall, der vielleicht einflußreichste Volkswirt seiner Zeit, unter dem direkten Einfluß von Schmollers methodologischen Auffassungen. Ein Schmollerzitat in seinem berühmten Lehrbuch lautet: "It is the business of economics, as of every other science, to coliect facts, to arrange and interpret them, and to draw inferences from them. ,Observation and description, definition and classificatioil are the preparatory activities. But what we desire to reach thereby is a knowledge of the interdependence of economic phenomena ... Induction and deduction are both needed for scientific thought as the right and left foot are both needed for walkingl'"(1961, 29).62 Daß Schmollers Ansichten ernst genommen wurden, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß seine Kritiker sich veranlaßt sahen, ihre Argumente deutlich zu formulieren. Ein Standardwerk, das zuerst 1891 erschien, ist John Neville Keynes' (1852-1949) Buch über Gegenstand und Methode der Wirtschaftswissenschaft Wir finden dort mindestens sechs Verweise auf Schmoller. Zu Beginn wird Schmoller als "Revolutionär" bezeichnet (28), danach als "einer der extremeren Autoren mit extremeren Ansichten" (Fn. 316). 63 Ein anderes Beispiel seines Einflusses finden wir, indem wir uns einer völlig anderen Frage zuwenden. Ich verweise auf den heutigen Stand der ökonomischen Theorie und insbesondere der ökonometrischen mathematisch fundierten Wirtschaftswissenschaften. Im Hinblick darauf muß man den Eindruck gewinnen, daß Schmoller den Krieg des Methodenstreits keineswegs verloren hat, selbst 62 Das Zitat steht am Beginn des ersten Buches in der "Vorläufigen Übersicht". Das dritte Kapitel trägt die Überschrift "Wirtschaftliche Verallgemeinerungen oder Gesetze". Die Fußnote lautet, " 1Schmoller in the article on Volkswirtschaft in Conrad's Handwörterbuch." Beinahe ein halbes Jahrhundert lang war Marshalls Lehrbuch in der angelsächsischen Welt am weitesten verbreitet und deshalb sehr einflußreich. Es ist bemerkenswert, daß Marshall dieses Zitat auswählte, wenn man an alldie oberflächliche Kritik an Schmollers angeblicher Theoriefeindlichkeit denkt. Mit anderen Zitaten läßt sich belegen, daß Marshall Schmolier sowohl wegen seiner empirischen als auch wegen seiner theoretischen Arbeiten hoch schätzte. 63 Dieses Buch ist vorbildlich für klare und bedächtige Gedankenführungen. Trotz der zitierten Kennzeichnungen ist das Buch nicht polemisch, und Schmollers Ansichten werden mit Respekt behandelt und abgelehnt. Meines Erachtens bildet das Buch einen wesentlichen Beitrag zur Literatur über den Methodenstreit Obwohl die beiden Bücher von Marshall und Keynes im Abstand von wenigen Jahren erschienen und zur Pflichtlektüre gehörten, unterschieden sie sich diametral in der Behandlung vieler Aspekte, die mit Schmoller zusammenhängen. 4*

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wenn er in einigen Schlachten den kürzeren ziehen mußte. Es ist heute allgemein anerkannt, daß die Wirtschaftswissenschaften auf empirischer Grundlage ruhen, und der statistischen Absicherung bedürfen. Wir müssen uns stets vor Augen halten, daß Schmoller seine theoriekritischen Ansichten später abmilderte, niemals aber von dem entscheidenden Gesichtpunkt abrückte, daß unser Wissen auf Tatsachen beruhen muß. Wenn wir dies berücksichtigen, können wir uns der Folgerung nicht verschließen, daß Schmollers Ansichten den Eckpfeiler der modernen Wirtschaftswissenschaft ausmachen. Wie ist dies zu erklären? In dem Sprachbarrieren gewidmeten Abschnitt oben haben wir einige wichtige frühe Einflüsse der historischen Schule nachgezeichnet. Aber es gab weitere. Earlene Craver und Axel Leijonhufvud ( 1987) haben überzeugend dargestellt, daß die amerikanische Führung auf dem Gebiet der mathematischen Wirtschaftstheorie und der Ökonometrie zumindest durch die zweite Einwanderungswelle zentraleuropäischer Ökonomen in den dreißiger Jahren wesentlich mitbestimmt wurde. Kurz zusammengefaßt sagen sie das folgende. Der wohlbekannte direkte deutsche Einfluß auf die amerikanische Wirtschaftswissenschaften, der oben dargestellt wurden, führte zum "Import des deutschen lnduktivismus." Der Rockefeiler Stiftung unter der Leitung des Wirtschaftshistorikers Edwin Gay kommt das Verdienst zu, "den Wiederexport der amerikanischen Version des Induktivismus in den zwanziger Jahren" vollzogen zu haben. Gay hatte zwölf Jahre lang in Deutschland studiert und die entscheidenden Jahre "im Seminar Gustav Schmollers verbracht" (1987, 177). "Nach dem ersten Weltkrieg waren es die Amerikaner, denen die kontinentaleuropäische Wirtschaftswissenschaft zu spekulativ vorkam und völlig ungeeignet für empirisch testbare Formulierung und empirische Forschung." Die RockefeUer Stiftung ging nun daran, "Schmollers Induktivismus im neuen pragmatischen amerikanischen Gewand wieder zu exportieren; dazu dienten Forschungsstipendien und die Finanzierung der empirisch ausgerichteten Konjukturforschungsinstitute und einige Universitätscurricula sowie groß angelegte internationale Studien, zu denen Wirtschaftswissenschaftler aus verschiedenen Ländern zusammengeführt wurden." (1987, 179). Etwa zur Zeit des zweiten Weltkrieges führte das Programm der Rockefeiler Stiftung zu einer "Umformung der empirischen Tradition," die zu einer "Zusammenführung der mathematischen Wirschaftstheorie und der statistisch empirischen Forschung führte," nachdem etwa fünfzig der führenden europäischen Forscher auf diesem Gebiet nach Amerika gekommen waren (1987, 180-181). 64 Zusammen mit amerikanischen Forschern wie Paul Samuelson, Milton Friedman, 64 J. M. Letiche ist der Ansicht: "In den dreißiger Jahren erlebten wir die Wanderung etwa der Hälfte der besten deutschen und Österreichischen Volkswirte" (1955, 32).

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James Tobin und Kenneth Arrow schuf diese Gruppe die wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze und Methoden, die heute vorherrschend sind. Obwohl heute Methodendiskussionen in den Wirtschaftswissenschaften mit anderen Worten und Begriffen geführt werden, haben viele der Grundsätze, so wie sie von Schmoller formuliert wurden, Bestand. Der Methodenstreit hat zur Klärung einiger der Probleme geführt, so wie wir sie heute auffassen. Obwohl hier noch einiges weiterer Forschung bedarf, ist doch deutlich, daß die allgemein akzeptierten Auffassungen über den Methodenstreit so nicht zu halten sind. Keineswegs war der Methodenstreit reine Zeitverschwendung, und keineswegs hatte Menger recht behalten. Der Methodenstreit war vermutlich notwendig, um die Wirtschaftswissenschaften auf ihren heutigen Stand zu bringen. Man kann an der Einsicht nicht vorbeigehen, daß Schmoller im Hinblick auf eine Vielfalt von Methodenfragen großen Einfluß ausgeübt hat. Der Einfluß war einerseits direkt, so wie er oben nachgezeichnet wurde, andererseits indirekt, wie es Max Weber ausdrückte: "Die zunehmende Verlagerung der wirtschaftwissenschaftlichen Arbeit auf die Theoriebildung wäre ohne Schmollers historische Arbeiten unmöglich gewesen" (Gehrig in Seligman 1935, xiii: 577). 65

VIII. Seine Ansichten Unter Schmollers Ansichten verstehe ich seine allgemeine Einschätzung der Rolle des Kapitalismus, des Staates, der Politik und der Religion. Schumpeter stellt den Hintergrund richtig dar: "Wenn Marx auch die Tatsachen oft nicht richtig einschätzte und in der Gedankenführung Fehler machte, so war doch das Hauptergebnis richtig, wenn wir es auf die einfache Einsicht zurückführen, daß die kapitalistische Entwicklung die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft zerstört. Von dieser Einsicht bin ich fest überzeugt. Es ist sicher keine Übertreibung, wenn man eine Sichtweise, die diese Wahrheit 1847 deutlich machte, als tiefschürfend bezeichnet. Heute ist sie ein Gemeinplatz. Der erste, der sie zu einem Gemeinplatz machte war Schmoller. Seine Exzellenz Professor von Schmoller, preußischer Geheimrat und Mitglied des Herrenhauses, war kein Revolutionär oder politischer Agitator. In aller Stille machte er diese wahre Einsicht deutlich. Das Wie und Warum ließ er indessen ungesagt" (1950, 43). In den englischen Quellen finden wir öfter Bemerkungen über Schmollers Einschätzung der Rolle des Staates. 66 Meistens wird Schmollers tiefe ÜberzeuFusfeld kommt der Wahrheit wohl näher als Schumpeter oder Knight. Joseph Dorfman schreibt in seinem Artikel über John R. Commons, daß Commons' Lehre an der Johns Hopkins Universität nicht unwesentlich dafür verantwortlich war, "daß der Standpunkt der deutschen historischen Schule in die klassische Wirtschaftswissenschaft Eingang fand, der die historischen Statistiken der vergleichenden Entwicklungs65

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gung mitgeteilt, der Staat müsse in vielfältiger Weise in das wirtschaftliche Leben eingreifen. 67

Hany W. Laidler zitiert Schmoller vermutlich aus seiner Ansprache anläßtich der Eisenacher Konferenz, die zur Gründung des Vereins führte, "But we do not wish, out of respect for abstract principles, to allow the most crying abuses to become daily worse, and to permit socalled freedom of contract to end in the actual exploitation of the laborer. We demand that it [the state] should concem itself, in an altogether new spirit, with his instruction and training, and should see that Iabor is not conducted under conditions which must have for their inevitable effect the degradation of the laborer" (1927, 669-670). Zwei sehr unterschiedliche Einwände sind gegen Schmollers Staatsauffassung vorgetragen worden. In seinem Aufsatz "Politische Ökonomie in Deutschland" faßt Luigi Cossa einen Einwand wie folgt zusammen:

studien, das Recht und die Ethik betonte. Der Sinn bestand darin, eine Wirtschaftswissenschaft zu entwickeln, die eine solide Grundlage für die staatliche Sozialpolitik abgeben konnte" (in Sills 1968, 3: 22). 67 Es gibt eine wichtige Ausnahme, vorausgesetzt ich lese den Text richtig. Der angesehene Historiker der Wirtschaftstheorie Martin Bronfenbrenner schreibt: "Die deutsche historische Schule und die Wirtschaftstheorie von Karl Marx teilen weitgehend dieselben Vorurteile und räumen bewußter Intervention in die natürlichen Abläufe nur eine winzig kleine Möglichkeit ein" (Bronfenbrenner, 1985, 21). Das Zitat erscheint im Kontext einer Zusammenfassung von Veblen. Der Satz überrascht, wenn man daran denkt, wie groß Schmollers Vertrauen in die Fähigkeit des Staates war, Wandel herbeizuführen. Bronfenbrenner erklärt, er habe sich auf die "Kathedersozialisten bezogen, die sich der historischen Methode verpflichtet fühlten." Er "setzt die deutsche historische Schule mit Stufentheorien gleich." Den Brief an mich, in dem er dies auseinandersetzt, schließt er wie folgt: ,,Nun frage ich mich, ob diese Herren montags, mittwochs und freitags Stufentheoretiker waren, dienstags und donnerstags aber Sozialreformer. Bleibt hier ein erklärungsbedürftiger Rest, oder habe ich mich einfach geirrt?" Natürlich ist es kein einfacher Irrtum. Die gedanklichen Schwierigkeiten, denen sich jeder gegenübersieht, der gleichzeitig Stufentheorien und theoretische Sozialpolitik betreibt, wurden nie zufriedenstellend bewältigt und blieben Anlaß zu Auseinandersetzungen. Soweit ich weiß, gibt es keine eingehende Erörterung dieses Problems in der englischsprachigen Literatur, wie Schmoller dieses Problem selbst gelöst hat. Joseph J. Spengler und William R. Allen sagen ganz deutlich, "politische Erwägungen und die Rolle des Staates wurden von den historischen Arbeiten der Volkswirte betont" (1960, 490). Paul Gottfried ( 1977, 146- 153) erörtert Schmollers Glauben in die Regelungsfähigkeiten des Staates im Gegensatz zu den Auffassungen von Adam Smith. Vergleiche auch die Literaturhinweise dort. Es ist bemerkenswert, daß Schmoller wenigstens in der englischsprachigen Literatur stets von ehrlichen und fähigen Beamten ausgeht und das Problem der Kosten der Sozialreform ebenso aus den Augen verliert wie jenes der Größenordnung, der Grenzen und der Vielfalt staatlichen Handelns, von Problemen des Staatsversagens ganz abgesehen. Er scheint sich des Argumentes nicht bewußt zu sein daß, mit den Worten Paul E. Fishers, "der Nationalstaat der Freiheit und dem Wirtschaftswachstum im Wege steht" (Persönliche Korrespondenz).

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"Sie befinden sich theoretisch jedenfalls im Irrtum, insoweit als sie die gesunde Freiheit, die der klassischen Schule vorschwebte, mit dem knallharten Dogmatismus des Laissez Faire verwechseln, den die Optimisten verteidigen. Praktisch irren sie sich auch, insoweit als sie auf verhängnisvolles und weit über das Ziel hinausschiessendes Staatseingreifen andringen, denn so begeben sie sich unter den Bann, der über die verantwortungslosen sozialistischen Utopisten verhängt werden muß, ganz gleich, ob diese nun Revolutionäre oder Bureaukralen sind" (1893, 400-401). Der andere typische Einwand lautet, Schmollers politische Überzeugungen hätten seine wissenschaftlichen Arbeiten verzent. Robert B. Ekelund Jr. und Robert F . Hebert schreiben: "Schmoller überzog Roschers Historizismus und behauptete, die überlieferte Wirtschaftsanalyse, vor allem die Ricardianische, sei nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich (vermutlich weil sie zu sozialen Folgen führt, die Schmollers persönlichen Überzeugungen widersprachen" (Ekelund und Hebert 1983, 220). 68 Karl Pribram schreibt: "Die politischen Überzeugungen, die den Lehren vieler deutscher Volkswirte zu Grunde lagen, kommen gut in einer Aufsatzsammlung zum Ausdruck, die Gustav Schmoller, M. Sering und A. Wagner geplant hatten, um die offiziellen Pläne zur Schaffung einer mächtigen Marine zu unterstützen (1983, 219). 69 68 Robert B. Ekelund Jr. und Robert F. Hebert kennzeichnen Schmoller als "zäh" ("tenacious") "notorisch" und "die Grundriße" [sie] als "elefantenartig" (Ekelund und Hebert 1983,218,220, 221). Sind diese Eigenschaftsworte Ausdruck einer Behandlung des Gegenstandes mit Augenmaß? Die fehlerhafte Zitierung des Kernbegriffs im Titel des Grundrisses, die auf Seite 221 gleich zweifach auftaucht, macht die Frage unausweichlich, ob es sich wirklich nur um Tippfehler handelt. 69 Etwas später, in Zusammenhang mit Betrachtungen über den Niedergang der historischen Schule schreibt Kar! Pribram mit Bezug auf Schmoller: "Ohne es zu wissen, bereiteten sie den Boden, auf dem nationalsozialistische Überzeugungen sprießen konnten" (1983, 372). Andere Historiker sehen dies anders. Zwei der bedeutendsten britischen Historiker nähern sich einer Art Prädestinationstheorie. G. Barraclough schreibt: "Tief in der deutschen Geschichte wurzelnde Kräfte ... schufen einen eisernen Rahmen, eine Form in die alle deutschen Versuche gegossen wurden, mit den Problemen der modernen kapitalistischen Gesellschaft fertigzuwerden" (1963, ix). Er schreibt, der größte Teil seines Buches wurde verfaßt, "während der Autor im aktiven Dienst der Royal Air Force stand" (1983, aus dem Vorwort von 1946, x). Der angesehende Historiker A. J. P. Taylor schreibt in seiner deutschen Geschichte: "Es ist genausowenig ein Fehler des deutschen Volkes, daß es schließlich Hitler an seiner Spitze hatte, wie es ein Zufall ist, daß ein Fluß in das Meer fließt (1946, Aus dem Vorwort von 1961, 7). Seine feindseligen Vereinfachungen sind ebenso unrealistisch wie jene Pribrams, so verschieden sie auch sein mögen. Tailor schreibt: "Dieses Buch wurde während der letzten Tage des zweiten Weltkriegs verfaßt." Sorgfältiger aber nicht weniger feindselig ist ein dritter berühmter britischer Historiker, R. C. Collingwood. In einem Kapitel unter der Überschrift "Die vierte barbarische Welle: Die Deutschen" schreibt er: "Das deutsche Barbarenturn entwickelte sich langsam, so wie sich geschichtliche Ereignisse entwickeln; niemand kann dies schlüssig erklären, selbst wenn man es versucht" (1970, 1971 , 376, 377). Dem Vorwort von 1942 können wir entnehmen, daß das Buch größtenteils während des Bombardements von London geschrieben wurde (1971, V). Dieses Argument, Schmoller habe den Nationalsozialisten den Weg bereitet, wird auch an anderer Stelle erhoben. M. J. Bonn (1938, 713) schreibt in einer kurzen Besprechung,

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Diese Einwände gegen Schmollers politische Überzeugungen, die in der englischsprachigen Literatur zu finden sind, leiden an einem Mangel an vernünftigen Definitionen. Begriffe wie "Sozialismus", "konservativ", "rechts" und "links" wechseln von Autor zu Autor. Irvin Louis Horowitz schreibt über Schmollers politische Überzeugungen im Hinblick auf die Staatsraison: "Gustav Schmoller auf der rechten und Wladimir Lenin auf der linken Seite" ( 1987, 117). Mark Blaug schreibt dagegen: "Seine politische Haltung - zwischen Konservatismus und revolutionären Sozialismus - hielt er durch, und erzielte damit erheblichen politischen Rückhalt" (1986b, 339). 70 Horton et al. schreiben: "Man betrachtet ihn im allgemeinen als humanitär gesinnt, und er kritisierte die politischen Anschauungen und die Methoden der klassischen Ökonomen" (1948, 296). Eduard Heiman schreibt: "Der Einfluß dieser Schule war im allgemeinen konservativer Art" (1945, 179). Diese Äußerungen sind vor allem von den politische Standpunkten ihrer Autoren geprägt. 71 Ich habe keine einzige Bewertung finden können, die man als ausführlich und unvoreingenommen bezeichnen könnte. 72 Ebenso fehlt eine Darstellung seiner politischen Entwicklung und der Veränderungen, die sich dabei ergaben. In der Innenpolitik war Schmollerein treuer Gefolgsmann der Hohenzollern. 73 Einige Autoren, wie zum Beispiel Charles E. McClelland, behaupten, Schmollers daß "Brinkmann sich nachhaltig darum bemüht, Schmoller als geistigen Wegbereiter der Nationalsozialisten darzustellen." Derartige Argumente sind aus verschiedenen Gründen problematisch. Können wir Äußerungen trauen, die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten über diese verfaßt wurden? Läßt sich nicht behaupten, daß alles, was vor Hitler geschah, diesem den Weg bereitet habe? Selbst die Gedanken und das Handeln derjenigen, die ihm widerstanden ebenso wie die Umstände ihrer Niederlage können zu den Grundsteinen des nationalsozialistischen Erfolgs gezählt werden. Die englischsprachige Literatur zu diesem Problemkreis ist außerordentlich polemisch. Und schließlich: sollte man einen Gelehrten für den Mißbrauch seiner Gedanken verantwortlich machen? 10 Das Zitat bleibt in beiden zitierten Ausgaben dasselbe. 11 Eduard Heiman schreibt: "Der Einfluß dieser Schule war im allgemeinen konservativer Art, obwohl viele ihrer einflußreichsten Vertreter, besonders Brentano und Max Weber, gestandene Liberale waren." "Schmoller, der einflußreichste Vertreter dieser Gruppe, legte großen Nachdruck auf die Formbarkeil des Wirtschaftslebens, und er studierte die Staatsarchive, um die Vorzüge des Handels einer aufgeklärten und wohlmeinenden Verwaltung nachzuweisen. Sie alleine könne die Kraft des Volkes führen und formen und für das Volk gerechte Zustände herbeiführen, die durch eine laissez-faire Politik niemals erreicht werden können ( 1945, 179). 12 Pauline Relyea Anderson kommt der Wahrheit wohl am nächsten, wenn sie über seine Sozialideen schreibt: "Er läßt sich nicht einordnen, denn er vermied dogmatische Überzeugungen, um die Auffassung zu vertreten, die er für historisch gerechtfertigt hielt" (in Schmitt 1942, 430). 73 Ein Beispiel für die Probleme, die sich daraus ergaben, finden wir bei Gide und Rist. In einer Fußnote über Staatssozialismus und dem Wunsch einer möglichst genauen Übereinstimung zwischen Einkommen und Leistung schreibt Schmoller, der diesen

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aktive Unterstützung der preußisch-deutschen Monarchie werfe ernste Zweifel auf seine historische Objektivität (1973, 7). 74 Schmollers Einsichten über Fragen der Religion stellen wieder ein ungeschriebenes Kapitel in der englischsprachigen Literatur dar. 75 Gleichwohllohnt es sich, diesen Punkt hier anzusprechen, und zwar wegen der Leidenschaft, mit der die Angelegenheit zur Sprache kommt, wenn sie dann erwähnt wird. Erwähnungen finden wir in Zusammenhang mit dem Index (verbotener Literatur) der Kirche, Darstellungen der deutschen Geschichte im Hinblick auf den "Kulturkampf', d.h. den Kampf zwischen Bismarck und der Katholischen Kirche von 1872 bis 1876, und die anderen konfessionellen Auseinandersetzungen, die sich in Schmollers Zeit ereigneten. Weder die Bedeutung, die religiöse Fragen für Schmoller hatten, noch seine Schriften über diese Fragen kommen in der englischsprachigen Literatur über ihn zur Sprache. Ein seltenes Beispiel ist dieses: "Im Hinblick auf ökonomische Schriften über Luther verweise ich hier nun auf Schmollers Studien" (Weber 1958, Fn. 16, 214). Die Religion spielt bei Schmollers Einfluß im englischen Sprachraum keine Rolle. Es ist wohl ziemlich unwahrscheinlich, daß jenes besonders herausstechende Merkmal der vielschichtigen Auffassungen Schmollers über Politik, seine Neigung zur aktiven staatlichen Wirtschaftspolitik, seinen Einfluss auf Volkswirte in England und Amerika gedämpft hat. Die meisten englischsprachigen Volkswirte haben seit Schmollers Zeiten eine starke Neigung zur sozialen Reform. Auch die Minderheit, die diese Meinung nicht teilt, widersetzt sich ihr auf das heftigste. Andererseits hat seine königstreue Gesinnung ihm bei einigen geschadet. Interessanterweise erwähnen die meisten Dogmenhistoriker diese Gesinnung nicht. Wieder scheint es sich allenfalls um eine kurzfristige Barriere gehandelt zu haben, die seinem Ruf auf anderen Gebieten kaum geschadet hat. Wahrscheinlich ist der wichstigste Grund dafür, daß Schmollers Auffassungen zu umstrittenen Fragen seinem Ruf nicht geschadet haben, darin zu suchen, daß die meisten Volkswirte J. M. Letiches Ausspruch teilen: "Unsere geistigen Kräfte würden größtenteils freigemacht, wenn sich die Auffassung durchsetzte, daß die Entwicklung unserer Wissenschaft sich nicht in deterministischen Formen erklären läßt und ebensowenig mit den politischen Überzeugungen der Wissenschaftler" ( 1955, 30). 76 Wunsch teilte, widersprüchlich in einem Brief an von Treitschke: "So betrachtet haben die Hohenzollern nicht mehr als sie verdienen" (Gide und Rist 148, Fn. 1, 444). 74 Viele teilten Schmollers oder ähnliche Einsichten, sodaß dies allein für eine Begründung seines Einflusses nicht hinreicht. 75 Kar! Pribram gehört zu den wenigen, die wenigstens einen Hinweis geben. Im übrigen gaben auch religiöse Überzeugungen oft den Anstoß für Bewegungen zugunsten radikaler sozialer Reformen" (1983, 290). Der Hinweis steht im Zusammenhang mit einer Erörterung über die Kathedersozialisten." P. G. J. Pulzer schreibt über den Einfluß der Kathedersozialisten auf die Kirche (in Pasley 1972, 260). Adolph Wagners kirchliche Tätigkeit findet auch gelegentlich Beachtung, zum Beispiel in Donald 0. Wagner (1939).

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Schmollers Land Deutschland und sein Einsatz dafür hatte Folgen für die Aufnahme seines Werks in der englischsprachigen Welt. Diese Folgen hingen mit den beiden Weltkriegen zusammen, aber auf sehr unterschiedliche Weise. Schmollers vaterländische Gesinnung war nicht oberflächlich und eine Frage der Überzeugung. McClelland zitiert ihn wie folgt: "In einem Reich, das nicht zufällig das Attribut deutsch trägt, ist es für einen Deutschen nicht eine Frage der Politik sondern eine Frage der Selbstverständlichkeit auch als Deutscher zu denken" (1980, 315). Diese Überzeugung lag wohl seinen "propagandistischen" Aktivitäten zu Grunde. Robert K . Merton erklärt, wie es zu dem Attribut "Propagandist" kam. "Der Chauvinismus findet seinem vollkommensten idealistischen Ausdruck, wenn Gruppen akuten Konflikten ausgesetzt werden. Unter dem Druck des Krieges sind zum Beispiel Wissenschaftler so weit gegangen, die Werte und Normen des Universalismus zu verletzen, die sie sonst verinnerlicht hatten, sodaß ihre nationale Rolle jene des Wissenschaftlers dominierte. Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges ließen sich beinahe hundert deutsche Gelehrte - darunter erstklassige wie Brentano, Ehrlich, Haber, Eduard Meyer, Ostwald, Planck und Schmoller - dazu hinreißen, einen Aufruf zu veröffentlichen, in dem sie die wissenschaftlichen Beiträge des Gegners herabwürdigten; sie äußerten den Vorwurf nationalistischer Voreingenommenheit, der intellektuellen Unredlichkeit, und, bei Lichte besehen, der Unfähigkeit zur kreativen Arbeit. Thnen standen die englischen und französichen Wissenschaftler kaum nach mit der Werbung für ihre eigenen chauvinistischen Auffassungen" ( 1973, 109). 77 Seine Rolle in der Propaganda des ersten Weltkriegs hat seinen Einfluß in der englischsprachigen Welt geschmälert. Knight nennt ihn "einen großen Historiker und Propagandisten" (in Wiener 1974, II, 60). 76 Natürlich gibt es noch Autoren mit deterministischen Erklärungen und solche, die der Ansicht sind, die politischen Auffassungen eines Autors müßten die Beurteilung seines Werkes beeinflussen. Die extremste Haltung ist wohl jene der Marxisten mit ihrer oft monokausalen und deterministischen Erklärungsstrategie. Die meisten englischsprachigen Volkswirte waren es wohl mit M. Epstein eins, der seinen Nachruf auf Schmollerinder von John Maynard Keynes herausgegebenen Zeitschrift so beschloß: "Der Krieg muß sein Urteilsvermögen getrübt haben. Wir glaubten unseren Augen nicht trauen zu dürfen als wir vor einigen Monaten in einer deutschen Zeitung lasen, Schmoller habe der Auffassung Ausdruck gegeben, eine der Kriegsfolgen werde die englische Besetzung von Calais sein. Aus dem Munde Schmollers, des Mannes mit den äußerst sorgfaltigen Urteilen, ist dies eine erstaunliche Vorhersage. Glücklicherweise wird dies seinem Ruf als Gelehrten nicht schaden, und selbst englische Ökonomen können diesen Fehler mit einem Lächeln im Hinblick darauf übergehen, was er für die Volkswirtschaftslehre geleistet hat. Die Gediegenheit seiner vielen Schriften bürgt dafür, daß sie in jedem Lande noch lange hochgeschätzt bleiben werden ( 1917, 438). 77 Es folgt der Hinweis auf eine Fußnote, in der ein Teil dieser Literatur aufgeführt ist (Merton 1973, 109). Auf Seite 271 wird etwa dasselbe im Hinblick auf den Nationalismus wiederholt. Robert K. Merton weist aber auch darauf hin, daß die Ächtung dieser dem Universalismus zuwiderlaufenden Aktivitäten die Norm des wissenschaftlichen Universalismus festigt.

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In der Flut der anti-deutschen Gefühle jener Zeit hat der erste Weltkrieg zweifellos seinen Einfluß geschmählert. Aber sein Ruf unter den Volkswirten wurde davon kaum berührt. 78 Obwohl zum Beispiel Gay und Mitchell zu den vielen Volkswirten gehören, die in Deutschland studiert hatten und während des Krieges für die amerikanische Regierung arbeiteten, so standen doch keine antideutschen Gefühle dem oben erwähnten Rockefeiler Programm im Wege. Diesseihe Nachsichtigkeit, wenn dies das richtige Wort ist, kennzeichnet auch die englischen Volkswirte. 79 Obwohl sich dies schlecht messen läßt, haben der Nationalsozialismus und der zweite Weltkrieg oder das sonderbare Ergebnis, Schmollers Einfluß auf ungewöhnliche Weise ans Licht gebracht. Die Politik der Nationalsozialisten vertrieb viele bedeutende Gelehrte, unter ihnen, um nur wenige zu nennen, Adolph Lowe, Gerhard Colm, und Hans Neisser; viele von ihnen waren von Schmoller auf verschiedene Weise beeinflußt worden, durch direkte Bekanntschaft mit seinem Werk, über den oben erwähnten "Re-export" und durch ihre Lehre. 80 Selbst dort, wo sie seine Überzeugungen nicht teilten, etwa hinsichtlich der Werturteile in den Sozialwissenschaften, läßt sich kaum behaupten, daß sich in ihren Arbeiten sein Einfluß nicht niedergeschlagen hätte. 81 78 Viele sehr bedeutende Gelehrte waren nicht von dem Gedanken durchdrungen, daß die Deutschen die gesamte Schuld für den ersten Weltkrieg verdienten. Eine interessante Einführung in diese Literatur findet man bei Bames ( 1920). Der erste Weltkrieg wurde von vielen Gelehrten als der unnötigste Krieg der Geschichte bezeichnet. 79 Von dem bedeutenden Wirtschaftshistoriker George Unwin berichtet R. H. Tawney: "Nichts hat ihm in seinen letzten Jahren mehr Freude gemacht als die Besprechung seines Buches lndustrial Organization in the 16th and 17th Centuries, die Professor Schmoller 1917 verfaßt hatte, und in der er seiner Hoffnung Ausdruck gab, Unwin werde die abgerissenen Fäden des europäischen Diskurses wieder anknüpfen" (Tawney in Unwin 1927, XXII). John Maynard Keynes (1920) argumentierte vehement gegen den Friedesvertrag, der Deutschland auferlegt worden war. 80 Adolph Lowe studierte unter Franz Oppenheimer. Gerhard Colms Dissertation war von Max Weber inspiriert. Diesen Hinweis verdanke ich Rita Aidenhof die auch darauf hinwies, daß sich die ausgewanderten Volkswirte von den Problemen, die der erste Weltkrieg aufwarf, herausgefordert fühlten und daß viele konservative und national gesinnte Gelehrte wie Wemer Sombart nicht auswandern wollten und dies auch nicht mußten. Obwohl viele der Ausgewanderten Schmollers Gedanken nicht teilten, hatten sie sie doch in ihrem Gepäck. Hierzu zählten Auffassungen über die Rolle staatlicher Interventionen und die politische Aufgabe der Volkswirte. Andere ließen sich nennen. Lewis Coser (1984) behandelt die beruflichen Wege viele bedeutender Flüchtlinge, von -denen die meisten Deutsche waren. 81 Earlene Craver und Axel Leijonhufvud geben als einen Grund dafür an, daß die Europäer bei der Entwicklung empirischer und ökonometrischer Methoden eine so bedeutende Rolle spielten, daß "sie hofften, eine wertfreie Sozialwissenschaft zu entwickeln, die gegen Propaganda jeder Art immun sei" (1987, 181 ). Die englischsprachige Literatur über Schmoller behandelt einige seiner Ansichten über die Wertfreiheit in den Sozialwissenschaften vor allem in Gegensatz zu Max Weber als grundlegende Beiträge zu dieser Frage. Ein vergleichsweise seltenes Beispiel einer direkten Fortführung und Entwicklung eines Schmollersehen Gedankens (über objektive Werturteile) durch Anghel N. Rugina wird bei Balabkins (1987b, 59) erwähnt. Es ist

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IX. Andere Faktoren Ein Marxist, der nur Englisch liest, hat kaum Schwierigkeiten, sich ein Bild von Schmoller zu machen. Es gibt eine Parteilinie, die natürlich ständigen Veränderungen unterworfen ist, wie dies bei offizieller Geschichtsschreibung stets der Fall ist. 82 1975 lautete sie wie folgt: "In den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts bildete eine junge Generation deutscher Gelehrterunder der Führung Schmollers die sogenannte historische Schule. Knies und Schmoller zogen die Verfechter eines dritten Weges an, die weder der subjektiven Schule (den Neoklassikern) noch dem Sozialismus folgen wollten. Sie hatten auch einen bedeutenden Anhang in den angelsächsischen Ländern. Die Mitglieder der historischen Schule waren auf dem Gebiet der ökonomischen Einzelforschung sehr aktiv. Sie machten in ihren Arbeiten weitgehenden Gebrauch von historischem und statistischem Material. Ihre Arbeiten litten aber an zu stark beschreibendem Charakter, extremem Empirizismus und Oberflächlichkeit. Von Beginn an attakierte die historische Schule jedwede sozialistische Lehre. Als sie zum offiziellen Trend im kaiserlichen Deutschland wurde, griff die historische Schule den Marxismus gewaltig an, der sich schnell im ganzen Lande ausbreitete" (Anikin 1975, 388). Autoren, die nicht der marxistischen Parteilinie folgen oder ihr zuneigen, sind oft untereinander uneins, ohne daß dafür immer Gründe genannt würden, obwohl der Ton scharf sein kann. Erik Roll ist ein Beispiel: "Obwohl sie auf dem Relativismus bestand, stellte die historische Schule das Überleben des kapitalistischen Systems nicht ernsthaft in Frage" ( 1942, 339). Dies ist das genaue Gegenteil der Behauptung Schumpeters, die bereits zitiert wurde. Etwas später schreibt Roll: "Obwohl sie nicht gänzlich von reaktionären "totalitären" Motiven bestimmt war, war die historische Schule hier doch von ähnlichen Bewegungen inspiriert, wie sie auch die Romantiker geleitet hatten" (1942, 393).

allgemein bekannt, daß Weber stark unter dem Einfluß Schmollers stand und diesen hoch schätzte. Die Debatte ist noch keineswegs abgeschlossen. Viele römisch-katholische und marxistische Sozialökonomen ebenso wie "liberale" (im amerikanischen Sinne) Aktivisten halten an der Auffassung fest, die Kendall P. Cochran so beschreibt: "Der Volkswirt muß von der traditionellen Auffassung abgehen, daß er keine Werturteile zu fällen habe; stattdessen sollte er sie nicht nur explizit fällen, sondern sich auch aktiv um ihre Umsetzung kümmern" (1974, 187). Schwester Catherine T. Knoop unterstützt ebenfalls diese Mei, nung (1975, l74ff.). Es liegt auf der Hand, daß Politik und Gelehrsamheil auf dem Kontinent immer enger miteinander verbunden waren als in den englischsprachigen Ländern. Damit mag es zusammenhängen, daß einige Intellektuelle stets den politischen Gesichtspunkt betonen. Es ist keineswegs unwahrscheinlich, daß weitere Forschungen noch Hinweise darauf erbringen können, daß die deutsche Erfahrung unter Hitler unsere Auffassungen über wertfreie Sozialwissenschaften noch modifizieren können. 82 Für die ostdeutscheVariante der marxistischen Perspektive der deutschen Geschichte vergleiche Andreas Dorpalen ( 1985).

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Wenn man von einigen Getreuen absieht, erscheint die marxistische Kritik doch zunehmend unbedeutend, vermutlich aus dem Grund, den Robert Solow angibt. 83 "Marx war ein bedeutender und einflußreicher Denker, und der Marxismus war eine Lehre mit intellektuellem und praktischem Einfluß. Die Tatsache bleibt aber, daß die meisten ernstzunehmenden englischsprachigen Volkswirte die marxistische Wirtschaftstheorie als eine unbedeutende Sackgasse betrachten" (1988, 3). Häufig findet man in der Literatur die Klage, Schmoller habe irgendwie die deutsche Ökonomie beherrscht und für eine lange Dauer von Jahren zerstört. Cossa spricht von der wissenschaftlichen Kalamität der letzten zwanzig Jahre, die die reine Wissenschaft von der Volkswirtschaftslehre befallen habe und für die wirSchmollerund seine neue Schule verantwortlich machen müssen" (1893, 419). 84 Knight schreibt in seinem Artikel "Wirtschaftsgeschichte" über Schmoller: "Dieser war eine Generation lang während der Dauer des Reiches von 1871 "Zar" und Zensor der deutschen Universitätsökonomie" (in Wiener 1974, II, 60). 85 Schefold schreibt: "Man ist heute allgemein der Ansicht, daß Schmollers Einfluß auf die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften in Deutschland ziemlich unglücklich war. Ein halbes Jahrhundert lang trug er zur Vernachlässigung der ökonomischen Theorie in Deutschland bei. (in Eatwell et al. 1987, 4, 457) 86 83 Derselbe Bedeutungsschwund ist auch bei den Historikern festzustellen. Harold T. Parker schreibt: ,,Nichtsdestoweniger weist der Marxismus nun meines Erachtens alle Kennzeichen eines Paradigmas in der Krise auf: Anomalien, ad hoc Interpretationen und die Auflösung der wunderbaren Einfachheit der ursprünglichen Formulierung. Als Erkenntnistheorie hat der Marxismus für den Historiker den Punkt des höchsten Nutzens überschritten" (in Iggers und Parker 1979, 424). 84 Aber wie soll dies geschehen sein? Cossa schrieb dies 1891 (1893, Prolegomena, 4 ). 1871 hatte Schmoller gerade zu publizieren begonnen. Jedenfalls steht dies im genauen Gegensatz zu Marshalls und den amerikanischen Auffassungen, die bereits zitiert wurden. 85 McClellands großartige Studie über die Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und Universität in Deutschland in der Zeit von 1700 bis 1914 läßt uns an Knights Meinung zweifeln. "Althoff beschützte so kontroverse Persönlichkeiten wie den Kathedersozialist Schmoller" (1880, 295). Über Schmoller und Delbrück: "Beide Männer bezahlten dies teuer mit Argwohn und Feindseligkeit der Staatsverwaltung und selbst ihrer eigenen Kollegen" und "beide hätten beinahe in Preußen ihre Professuren verloren" (1980, 318). Dies deutet wohl kaum auf die Stellung eines ,,Zaren" hin. Wieder müssen wir sagen, daß die englischen Quellen eine definitive Antwort nicht erlauben. Interessanterweise ähnelte Marshalls Stellung in England in vielerlei Hinsicht jener, die Schmoller in Deutschland innehatte. Seine Studenten besetzten zum Beispiel viele der wichtigsten Universitätslehrstühle. Ein Vergleich ihrer beider Rollen könnte ein deutlicheres Licht darauf werfen, was "Einfluß" bei akademischen Berufungen bedeutet. Koot 1987 bringt viel aufschlußreiches Material. 86 Viele andere Belege ließen sich anführen. In dem schönen Übersichtsaufsatz von Eric E. Johnson über den Stand der quantitativen Geschichtsforschung in West-Deutschland wird Schmollers Name nicht einmal erwähnt, obwohl ansonsten ein breiter historischer Hintergrund geschildert wird (Johnson 1988). Schmoller herabzuwürdigen oder zu ignorieren hat in Deutschland eine lange Tradition, die beinahe mit seinem Tode beginnt. Mitchell erklärt, wie dies vermutlich in Gang gekommen ist. Über die historische Schule schreibt er: "Als Deutschland zu Ende des

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Diese Einschätzung ist aus verschiedenen Gründen höchst fragwürdig. 87 Allein die Beiträge der deutschsprachigen und in Deutschland ausgebildeten Volkswirte,

Krieges eine politische und soziale Revolution durchmachte, litten diese Männer unter genau jener Dichte ihrer Beziehungen mit der Politik des alten Deutschlands; ihre wirtschaftlichen Auffassungen wurden ebenso diskreditiert wie das politische System, mit dem sie einst verbunden waren. Und seit dem Krieg besetzten die deutschen Universitäten ihre Lehrstühle lieber mit jenen, die man im Gegensatz zu den historisch interessierten als Theoretiker bezeichnet" (1949, 188). Auch Iggers schreibt über das Mißtrauen, mit dem man der Tradition Schmollers nach dem ersten Weltkrieg begegnet (1975, 85). Im Hinblick auf die deutschen Zeitschriften bis 1935 schreibt Mitchell: "Es läßt sich eine nachdrückliche Tendenz feststellen, zum Beispiel Schmoller als relativ unbedeutend darzustellen" (1949, 189). Andersen schreibt: ,,Nach seinem Tode wurde bis in die späten dreißiger Jahre wenig gutes über ihn geschrieben; erst anläßlich seines hundertsten Geburtstages regte sich erneut Interesse an seinem Werk" (in Schmitt 1942, 438). Wenn Mitchell und Andersen recht hätten, wie sollten dannSchmollerund seine Schule dafür verantwortlich gemacht werden, daß sie der deutschen Volkswirtschaftslehre Schaden zugefügt hätten oder dem Nationalsozialismus den Weg bereiteten? Dorpalen schreibt über Treitschke als Vorläufer des Nationalsozialismus: "Er stand für einen Staat der auf Monarchie, Armee und Beamtenschaft gegründet war und nicht auf Führer und Rasse; deshalb blieb er auch in der Ära des Nationalsozialismus kontrovers" (1985, 13). Die englischen Quellen zu Schmoller sprechen niemals davon, er hätte an einen auf Führer und Rasse gegründeten Staat geglaubt. Aber die Einzelheiten und die Tatsachen bleiben dem auf englisch beschränkten Leser verborgen. Das Problem der Wegbereiter des Nationalsozialismus gehört zu jener Frage, auf die man in Deutschland noch auf lange Zeit keine vernünftige Antwort erhalten konnte. Bestand nicht die Mehrheit der deutschen Volkswirte und Historiker der älteren Generation, die dem Nationalsozialismus genügend fernstanden, um ihren Platz an den Universitäten zu behalten, aus Leuten, die Schmoller nicht folgten? Betrachten sich nicht viele der jüngeren Volkswirte und Historiker als "progressiv" und links von der Mitte stehend (zum Beispiel Frankfurter Schule) oder als Marxisten? Über jene Fragen können wir von dieser Gruppe intellektuell bedeutendes nicht erwarten. Der allein auf das Englische beschränkte Leser könnte leicht den Eindruck gewinnen, unter deutschen Gelehrten gebe es eine anhaltende Debatte über die Frage, wieviel "Theorie" für ihre Arbeit nötig sei. Jürgen Kocka beginnt sogar zum Beispiel seinen schönen Aufsatz über neue Entwicklungen in der Sozialgeschichte mit diesem Satz: "In den letzten fünfzehn Jahren hat der Ruf nach mehr Theorie im Mittelpunkt der Programme jener gestanden, die in West-Deutschland die traditionelleren Formen historischer Forschung kritisierten" (1980, 246). Interessanterweise finden wir Schmollers Namen auch nicht in diesem Aufsatz. 87 Den genau entgegengesetzten Standpunkt zu Schmollers langfristigem Einfluß nimmt Epstein ein. Er schrieb bereits 1917: "Man wird hinzufügen müssen, daß sein Einfluß später zurückging und die jüngere Generation der Universitätslehrer sich wiederum mehr Adam Smith, Ricardo und Mill zuwandten und die Grenznutzentheorie vertraten" (1917, 437). Über seinen anhaltenden Einfluß schreibt Iggers: "Eckart Kehr hatte wohl nicht ganz unrecht als er 1933 schrieb, die letzten Spuren der Sozialgeschichte seien mit Schmollers Tod verschwunden und daß nun kein Historiker in Deutschland über sei, der auch nur den geringsten Begriff von Wirtschaftsgeschichte habe" ( 1968, 236). In einem anderen Ubersichtsaufsatz, der die Zeit seit 1940 betrifft, schreibt Iggers, daß "die ältere historische Tradition in den Wirtschaftswissenschaften, für die Schmoller aber auch Hintze standen, nun ausgestorben sei" (1985, 30). Wolfgang J. Mommsen schrieb 1968, daß die Einzelforschung in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte noch

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die nach Amerika kamen, nähren Zweifel an den verbreiteten Ansichten über das Theoriedefizit. Ihre Arbeit beruhte nicht auf irgendeiner Art von neuer Ausbildung, nachdem sie Amerika erreicht hatten. Es ist nicht unvernünftig zu vermuten, daß ihre Produktivität in Amerika mit Unterschieden in den Universitätskulturen zwischen Amerika und Europa zu tun hat. 88 Die größere Fruchtbarkeit ihrer Forschungen kann auch mit größerer Freiheit, besseren Unterstützungen, geringerer Sicherheit, weniger Bureaukratie und einer stark wettbewerblieh ausgerichteten Umgebung zusammenhängen. Man kann sich auch fragen, wie es möglich war, daß die Amerikaner und die anderen in Deutschland ausgebildeten Ausländer nicht ebenfalls zu Schmollers Opfern gehören. Der Niedergang der deutschen Wirtschaftswissenschaft hat mit Sicherheit nichts mitSchmollerund seiner Schule zu tun. XI. Schmollers bleibender Einfluß im größeren Zusammenhang Eine andere Möglichkeit, um Schmollers Einfluß in der englischen Literatur zu beurteilen, besteht darin, drei typische Mengen von Merkmalen, wie wir sie mit der klassischen Theorie, mit Schmollers Theorie, und mit der Lehrbuchökonomie unserer Tage verbinden, miteinander zu vergleichen. Wenn es uns gelänge, im Wege einer vertretbaren Methode eine Menge von Merkmalen zu bestimmen, die Schmollers Ökonomie gut beschreiben, und wenn diese die heutige Theorie treffend beschrieben, wäre es dann nicht vernünftig, den Schluß zu ziehen, daß Schmoller einflußreich war? Müßten wir nicht von seinem Einfluß überzeugt sein, wenn mehr Schmollersehe Merkmale als solche der klassischen Ökonomie auf die Ökonomie unserer Tage zuträfen? Wenn wir uns vor Augen halten, wofür er eingetreten ist und wie die Wirtschaftswissenschaften zu seiner Zeit außerhalb immer hinter dem Stand in anderen westlichen Ländern zurückbleibe" (in Fran~ois et al. 126). Wir sollten auch nicht vergessen, daß das Weltwirtschaftliche Archiv im Jahre 1913 begründet wurde, um einer anderen Richtung als den historisch orientierten Wirtschaftswissenschaften ein Sprachrohr zu geben" (Andersen in Schmitt 1942, 438). Bereits 1916 zitiert Johnson Klagen über die Überproduktion an Daten in Deutschland ( 1988, 61 ). Alles dies deutet nicht auf einen dauerhaften Einfluß auf einigen Forschungsgebieten in Deutschland hin. Wenn die negativen Bemerkungen über Schmollers Rolle, was die Theorie betrifft richtig wären, dann hätte die Forschung, für die er stand und die er betrieb, theorielos gewesen sein müssen. Hier sind wohl einige begriffliche Klärongen nötig. Was wird unter "Theorie" verstanden? Um welche Forschungsrichtungen soll es gehen? Was wird unter "Einfluß" verstanden, und wie soll dieser gemessen werden? Der englische Leser kann sich nur fragen, wie ernstzunehmende Wissenschaftler zu so unterschiedlichen Ansichten gelangen können. 88 Die Bedeutung der deutschen Universitäten bildet wiederum den Gegenstand einer umfangreichen engVschsprachigen Literatur. Ein Beispiel ist Jarausch (1983). Interessanterweise nennt lggers Schmollerein Beispiel für die gelegentlich vorkommenden kleineren Abweichungen von der unbeugsamen Gefolgschaft, die die deutsche Professorenschaftstets dem Establishment ihre~ Zeit beweist (1985, 83-84).

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Deutschlands betrieben wurden, dann liegt der Schluß nahe, daß sein Einfluß von bleibender Dauer ist. Um dies zu zeigen, stelle ich neunzehn Fragen zum Stand der heutigen Wirtschaftswissenschaften. 1.

Worauf liegt heute der methodische Nachdruck, auf der Deduktion, auf der Induktion oder auf einer Kombination der beiden?

2.

Sind die Gesetzmäßigkeilen in den Wirtschaftswissenschaften und in der wirtschaftlichen Entwicklung spezifisch und abhängig von der Zeit, dem Ort, der Gesellschaft und der Sitte?

3.

Geschieht die Forschung vor allen Dingen um ihrer selbst willen oder geht es um die Anwendung auf vernünftige Formen der Wirtschaftspolitik?

4.

Spielen ethische Fragen eine Rolle in den Wirtschaftswissenschaften?

5.

Sollten wir in den Sozialwissenschaften die Statistik benutzen? Sind statistische Einzelstudien wichtig?

6.

Sind historische Einzelstudien wichtig? 89

7.

Ist die ökonomische Rechtsanalyse wichtig?

8.

Wie wichtig sind die klassischen Auffassungen über wirtschaftliches Verhalten?

9.

Sind die Zwischenbeziehungen zwischen ethischen, politischen und ökonomischen Prozessen wichtig?

10. Gehört es zu den Aufgaben des Volkswirts, praktische, politische Probleme zu lösen? 11. Besteht nicht allgemein Übereinstimmung darüber, daß es nicht um das "Ob" sondern um das "Wie" der Teilname des Staates am Wirtschaftsleben geht? 12. Sollten wir über eine Gesetzgebung, Sozialverwaltung und Sozialversicherung verfügen, um uns wirksam gegen die Folgen von Krankheit, Unfällen, Alter und Arbeitslosigkeit zu schützen? 13. Müssen wir Methodenfragen diskutieren? 14. Ist die Geschichte des Kapitalismus wichtig? 15. Sind Protektionismus und Freihandel Fragen des Prinzips oder solche der Staatsraison? Sind Freihandelszonen wünschenswert? 16. Ist die Dynamik ebenso wichtig wie das klassische statische theoretische Modell? 17. Ist in der ökonomischen Analyse der Prozeß ebenso wichtig wie der Ausgang des wirtschaftlichen Geschehens? 89 Lehrveranstaltungen mit dem Titel "quantitative historische Analyse" sind heutzutage an amerikanischen Universitäten keine Seltenheit.

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18. Sollte man Probleme so auswählen und definieren, daß sie sich an Hand historischer Daten erläutern lassen? 19. Ereignet sich das Wirtschaftsleben im Rahmen spezifischer historischer Bedingungen? Kommen im Wirtschaftsleben die Normen und Werte einer Gesellschaft zum Ausdruck? In jedem Einzelfall ist die Antwort auf diese Fragen getränkt von den Einsichten, für die Schmoller eintrat. Selbst für den allein auf die englische Sprache beschränkten Kenner des Schmollersehen Werkes und der heutigen Volkswirtschaftslehre kann kein Zweifel daran bestehen, daß Schmollers Ansichten einen großen Teil der englischsprachigen Volkswirtschaftslehre durchziehen. 90 Dies heißt natürlich nicht, daß Schmoller alleine dafür verantwortlich war, daß die Antworten auf die gestellten Fragen heute in seinem Sinne gegeben werden; noch wird hier behauptet, daß alle diese Antworten richtig sind. Viele dieser Fragen sind heute noch zweifelhaft. Was immer man jedoch von seinen grundsätzlichen Methoden und Überzeugungen halten mag, ihre Bedeutung zeigt sich bereits darin, daß sie heute noch aktuell sind. Wenn die Parallelen zwischen den heutigen Wirtschaftswissenschaften und Schmollers Ansichten nicht auf Schmollers Einfluß zurückzuführen sind, woher rühren sie dann? Wie sind sie zustande gekommen? Jedes der angeführten Merkmale kann auf eine andere Weise Bestandteil der modernen Wissenschaft geworden sein. Ist es der reine Zufall, daß Schmollers Beitrag und die Form, in der uns die Wirtschaftswissenschaften heute erscheinen, einander so stark ähneln? Möglicherweise. Aber wenn es sich um einen Zufall handeln sollte, dann müßte man zeigen, daß die Ähnlichkeiten auf eine Weise zustande gekommen sind, die uns noch völlig unbekannt ist. Augenblicklich können wir nur festhalten, daß der Augenschein auf Schmoller hindeutet. 91

90 Wenn wir uns an den wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften als Maßstab orientieren wollen, dann müssen wir feststellen daß das Schmollersehe Verfahren der Auswahl von Problemen (das heißt empirisch lösbare Probleme) auch das Verfahren der überwältigenden Mehrheit der heute tätigen Volkswirte ist. Wenn wir Schmollers Methoden als den Versuch umschreiben, Schlußfolgerungen auf die Analyse konkreter historischer Daten und Statistiken zu gründen, dann können wir ohne Übertreibung sagen, daß dies heute die allgemein akzeptierte Vorgehensweise ist. Die Einsichten des reifen Schmoller zu Fragen der Theorie, und insbesondere zu Bedeutung von Induktion und Deduktion, so wie sie Marshall zitiert, gehören heute zum Gemeingut der Disziplin. Seine Ansichten über die Rolle des Volkswirts in der Politik, über Kapitalismus, über die Rolle des Staates in der Wirtschaft und über die Bedeutung der Volkswirtschaftslehre für die Politik werden heute weitgehend geteilt. Jeder Wirtschaftswissenschaftler, der gleichzeitig auf verschiedenen Gebieten arbeitet - Methodenfragen, Lohntheorie, Wirtschaftsgeschichte, Institutionenlehre, Einkommensverteilung - um nur einige wenige zu nennen, baut auf seinen Werken auf.

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XII. Mögliche Gründe für Schmollers Einfluß In seiner Zusammenfasssung über den internationalen Ideenfluß in der Zeit von 1870 bis 1914 schreibt T . W. Hutchinson: "Der internationale Ideenfluß wurde je stärker, desto mehr neue Ideen in den nationalen Zentren vorgetragen wurden" (1955, 14-15). Wenn wir uns den Hintergrund der schnellen Industrialisierung Deutschlands und des Wandels in Amerika vom Agrarstaat zum Industriestaat vor Augen halten, dann kann Hutchinson sehr Recht haben. Aber seine Deutung reicht nicht hin für die Erklärung der Verbreitung bestimmter Ideen, sie erklärt nur die Entstehung von für die Verbreitung allgemein günstigen Umständen. Die wichtigsten Gründe für Schmollers weitreichenden Einfluß sind: 1. Die praktische und theoretische Bedeutung der Fragen, mit denen er sich beschäftigte. 2. Die theoretische Bedeutung seiner methodischen Auffassung. 3. Die Güte seiner Arbeit, die zu dem Besten seiner Zeit gehörten. 4. Die Menge seiner Arbeit. 5. Seine beherrschende Rolle in der deutschen Wirtschaftswissenschaft während einer langen Zeit. 6. Die Tatsache, daß viele amerikanische Volkswirte, die später berühmt werden sollten, zu Schmollers Zeit in Deutschland studierten. 7. Die Immigration vieler bedeutender in Deutschland ausgebildeter und deutschsprachiger Volkswirte nach Amerika, die mit Schmollers Werk vertraut waren. 8. Seine sozialpolitischen Auffassungen, die einen vernünftigen Kompromiß zwischen Reform und dem Respekt vor den bestehenden Institutionen darstellt.

XIII. Schlußbemerkungen Ein Jahrhundert lang, ungefähr von 1860 bis 1960, bildete Schmollers Sprache kein entscheidendes Hindernis für seinen Einfluß in der angelsächsischen Welt. 91 Sollten wir überhauptSchmollerunter diesen Gesichtspunkten deuten? Augenblicklich bietet sich zu Schmoller keine ernstzunehmende Alternative. Meine Antwort ist ein eindeutiges ,ja". Fritz Karl Mann argumentiert überzeugend in seinem Beitrag über ,.lnstitutionalismus und amerikanische Wirtschaftstheorie: ein Fall von Interpenetration" (1960 in Rima 1970, 165- 175), daß der Institutionalismus als Folge einer ,.Interpenetration" Bestandteil der amerikanischen Wirtschaftstheorie geworden ist. Er begründet dies mit Argumenten und einer Methode, die von der meinen leicht abweicht. Dorfman faßt seine Betrachtungen so zusammen: ,.Die Amerikaner sind der deutschen historischen Schule von Anfang an wählerisch gefolgt" (1955, 28). Er unterscheidet zwischen den Methoden und der politischen Philosophie.

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Die Sprachbarriere, die inzwischen entstanden ist, wird vermutlich seinen Einfluß in der Zukunft in dem Sinn begrenzen, daß sein Werk nicht in derselben Weise studiert und kommentiert wird wie etwa das John Stuart Mills. Aber im vergangenen Jahrhundert hat sich sein Einfluß entfaltet und ist zu einer historischen Tatsache geworden. Etwa ein halbes Jahrhundert lang mußten sich englischsprachige Ökonomen, die sich mit Themen beschäftigen wollten, über die Schmoller gearbeitet hatte, direkt mit seinem Werk vertraut machen, wenn sie zutreffend informiert sein wollten. Das ist heute nicht mehr der Fall. Inzwischen läßt sich der englischsprachigen Literatur ein wenig zuverlässige Information entnehmen neben einer Fülle verwirrender und sich widersprechender Äußerungen. Worin Schmollers Einfluß auf die angelsächsischen Volkswirte bestand und wie er sich entfaltete, ist heute nur in Umrissen deutlich, die ich in diesem Aufsatz zu skizzieren versuchte. Ort und Zeit waren bedeutende Faktoren für Schmollers Bedeutung in der angelsächsischen Welt. 92 Aus amerikanischer Sicht jedenfalls war Deutschland in den Wirtschaftswissenschaften während der drei Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg das führende Land. Auch der erste Weltkrieg hat Schmollers Einfluß nicht bleibend gemindert. Der zweite Weltkrieg hatte die kuriose Wirkung, daß viele Europäer, die mit Schmollers Werk vertraut waren, nach Amerika kamen. Ein abschließendes Urteil kann der nur auf das Englische angewiesene Wissenschaftler nicht fällen. Die auf englisch verfügbaren Quellen sind viel zu begrenzt. Aber seit seiner Zeit und sogar zu seinen Lebzeiten wurde sein Werk in der angelsächsischen Welt als von grundlegender Bedeutung geschätzt. Dies geschah wegen der intellektuellen Lebensfähigkeit seines Ansatzes, wegen der Bedeutung der von ihm erforschten Fragen für seine Zeit und die unsere und wegen der Güte und der Originalität seines Werkes. n Im Revolutionsjahr 1848 war Schmoller gerade zehn Jahre alt. Seine Jugendjahre waren durch den Aufstieg Österreichs (1849-1860) und den folgenden Kampf gekennzeichnet, der die Vorrangstellung Preußens brachte (etwa von 1861 bis 1871). Er war 33 Jahre alt, als das Bismarcksche Reich unter der Herrschaft der Hohenzollern gegründet wurde. Er entfaltete sich zur Zeit der Bismarckschen Kanzlerschaft (1871-1890). Seine fünfzigerund sechziger Jahre verbrachte er in den Jahren des Wohlstands (1890-1910). Die letzten drei Jahre seines Lebens verbrachte er in einem Deutschland, das einen Krieg führte, den es verlieren sollte. Er starb 1917, ein Jahr ehe die führende Rolle der Hohenzollern und Deutschlands in Europa endete. Schmoller erlebte und verstand die großen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen. Zu seinen Lebzeiten beobachtete er den großen materiellen Wohlstand, der Deutschland als Folge der industriellen Revolution zuwuchs, und über den, um nur zwei Namen zu nennen, Clapham (1963) und Veblen (1915) geschrieben haben. Beide erwähnen Schmoller. Erinnert sei auch daran, daß während der 22 Jahre von 1874 bis 1896 das deutsche bürgerliche Gesetzbuch entwickelt wurde. Dies waren Schmollers Jahre der Reifung zwischen seinem 36. und 58. Lebensjahr. Obwohl man immer die Amerikaner als Pragmatiker bezeichnet, muß sich auch Schmoller stets von den Problemen seiner Umgebung und seiner Zeit angesprochen gefühlt haben. 5*

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Für den Dogmenhistoriker liegt die Schlußfolgerung auf der Hand. Wissenschaftler, die Schmollers Namen nicht einmal kennen, bauen auf dem, was er zu schaffen half, auf. Das Geflecht des ökonomischen Wissens ist außerordentlich kompliziert und genau so kompliziert ist der Prozeß seiner Verbreitung. Wie auch immer dies geschehen sein mag, Schmoller gehört zu diesem Geflecht.

Zusammenfassung Diese Untersuchung der Spuren, die Gustav Schmollerauf englisch hinterlassen hat, beginnt mit einer Auflistung der möglichen Hemmnisse, die seinem Einfluß in der fremden Sprache entgegengestanden haben können. Daraufhin wird die Frage erörtert: Ist Schmoller (auf englisch) überhaupt wichtig? Die Antwort ist ein eindeutiges "Ja". Seinen Einfluß auf die Sozialwissenschaften und insbesondere auf die Wirtschaftswissenschaften kann man in unterschiedlicher Weise messen. Verschiedene Maßstäbe werden verwendet. Auch eine große Fülle verschiedener Quellen wird herangezogen. Verschiedene Begründungen für Schmollers großen Einfluß über die Sprachbarrieren hinweg werden erörtert. Eine Reihe konventioneller Auffassungen wird in Frage gestellt. Die Schlußfolgerung lautet, daß Schmollers Platz in der Spitzengruppe der Volkswirte gesichert ist, trotz der vielen Hindernisse, die seinem Wirken entgegenstanden, und obwohl sein Einfluß als Folge fehlender Übersetzungen den Wissenschaftlern, die nu'r des Englischen mächtig sind, immer weniger deutlich vor Augen steht.

Bibliographie Diese Bibliographie umfaßt jene Titel, auf die ich zurückgegriffen habe. Viele dieser Titel sind in anderen Ausgaben erhältlich. Viele der Aufsätze sind auch andernorts erschienen. -

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Gibt es einen Fall Schmoller? Zur Rezeption der Historischen Schule in Italien Von Riccardo Faucci I.

Der folgende Bericht ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten werden kurz Aufstieg und Niedergang (und die Gründe des einen wie des anderen) der Historischen Schule der deutschen Volkswirtschaftslehre in Italien unter dem Einfluß deutscher Wirtschafts- und Geschichtsforschung sowie in Anbetracht der besonderen Rückständigkeit der italienischen Gesellschaft nach der Einigung Italiens dargestellt. Im zweiten Teil soll versucht werden, die Position Gustav von Schmollers, des Anführers der Jüngeren Historischen Schule der deutschen Volkswirtschaftslehre, im Rahmen der geistigen Auseinandersetzungen seiner Zeit zu erörtern, um so allfällige aktuelle Elemente in seinen Positionen zu erfassen. Tatsächlich steht außer Zweifel, daß sich seit einigen Jahren immer wieder nicht nur vereinzelte Ansätze einer erneuten Beschäftigung mit Schmoller in Zusammenhang mit den heutigen Problemen der Wirtschaftswissenschaft abzeichnen. Die heute vorherrschende Überspezialisierung und Übertechnisierung, die fortschreitende Abspaltung der ökonomischen von den historischen und soziologischen Studien sowie eine immer größere Gleichgültigkeit (oder auch Unduldsamkeit) der hauptberuflichen Ökonomen gegenüber dem, was man einst die soziale Frage nannte, haben- vor allem in den Vereinigten Staaten, wo diese so stark technisierte Ausrichtung vorherrscht - zu einer Blüte von sozialen, evolutionistischen oder "historistischen" wirtschaftswissenschaftlichen Vereinigungen und Zeitschriften geführt, welche nach über hundert Jahren wieder die Themen des Methodenstreits aufzugreifen scheinen. Die Rolle der Institutionen in der Wirtschaft, die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Moral und zwischen Wirtschaft und Politik - Fragen, über die, wie es schien, nichts mehr zu sagen war werden nun wiederentdeckt. Kann es doch noch zu etwas gut sein, den alten Schmoller wieder zur Hand zu nehmen?

II.

Das vereinte Italien, in dem sich die deutsche Historische Schule schnell verbreitet, ist ein rückständiges Land mit einer hinsichtlich des einzuschlagenden 6 SB Backhaus

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Riccardo Faucci

wirtschaftspolitischen Weges zutiefst gespaltenen herrschenden Klasse. Nach Meinung der Vertreter des Laissez-faire hatten sich die Produktionskräfte in Italien aufgrund des FehJens eines gesamtitalienischen Marktes nicht ausreichend entwickelt. Sobald dieser 1861 Wirklichkeit geworden war, hätte die Sicherung der Leistungsfähigkeit der wichtigsten öffentlichen Einrichtungen sowie eines die Wirtschaftstätigkeit (vor allem im Agrarbereich) nicht unterdrückenden Steuersystems genügt, um den Rückstand zum übrigen Europa aufzuholen. Der Hauptvertreter dieser Richtung war Francesco Ferrara (1810- 1900), ein Sizilianer, der an der Revolution des Januar 1848 in Palermo teilgenommen und dann im Exil mit Cavour an der Zeitung "II Risorgimento" mitgearbeitet hatte und schließlich von 1849 bis 1859 Professor für Politische Ökonomie in Turin gewesen war. Ferrara, ein großer Bewunderer von Jean-Baptiste Say und Frederic Bastiat, leugnete sogar, daß es in Italien eine mit der "sozialen Fragen" verbundene "meridionale Frage" gäbe: sobald sich die Produktionskräfte frei entfalten könnten, würde sich auch das Nord-Süd-Gefalle nach und nach abbauen. Der Ansatz Ferraras - welcher auch einige Eingriffe Cavours als der Freihandelslehre nicht genügend entsprechend kritisiert hatte - wurde von der Mehrheit der Linken geteilt, von zahlreichen Vertretern der Rechten jedoch bekämpft, besonders von jenem süditalienischen Patrioten (wie Antonio Scialoja und Pasquale Villari), denen bewußt war, daß die Übel der Wirtschaft des Südens strukturelle und somit ohne massiven staatlichen Eingriff nicht zu überwinden waren. Aber auch Mittel- und Norditaliener wie Marco Minghetti (1818-d1886), ein Cavour besonders nahestehender Staatsmann aus Bologna, hatten die optimistische Wirtschaftslehre Says und Bastiats zurückgewiesen, um sich einem Programm weitreichender Wirtschaftsreformen (von der Steuer- bis zur Bankreform) anzuschließen. Wie bekannt, kam es 1876 zur Krise der bis dahin regierenden Rechtsmehrheit, von der sich dann auch tatsächlich die gegen die staatliche Betreibung der Eisenbahnen opponierende toskanische Abgeordnetenfraktion loslöste. Der dieser Gruppe nahestehende Ferrara konnte sich rühmen, jene parlamentarische Schlacht geleitet zu haben, welche die Niederlage Minghettis bewirkt und Agostino Depretis, den Anführer der Linken, an die Macht gebracht hatte. Die Linke vertrat jedoch, einmal an der Macht, bekanntlich nicht jene Freihandelspolitik, die sich ein Ferrara gewünscht hatte (wofür jedenfalls sein enttäuschter Rückzug aus dem politischen Leben spricht), sondern zog es vor, einzelne Interessengruppen aus Wirtschaft und Finanz in ihrer Zuflucht zur Schutzzollpolitik zu ermutigen und zu begünstigen. Gerade die Sozialgesetzgebung mußte bis 1898 zuwarten, um eine erste Form der Pflichtversicherung für Industriearbeiter verwirklich zu sehen. Zwischen dem Staat und den privaten Unternehmen etablierte sich eine gewisse Komplizenschaft durch stillschweigende Duldung, die zu den Bankskandalen von 1893 und zu einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise Ende des Jahrhunderts führte. Aber das ist ein Stück Realgeschichte und nicht Ideengeschichte.

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111. Seit 1874 führte Francesco Perrara einen lebhaften Kampf gegen den "wirtschaftlichen Germanismus" in Italien. Sein Angriff gliederte sich in drei Bereiche: a) die Abwertung der theoretischen Bedeutung der deutschen Wirtschaftslehre. Perrara schreibt, daß ihm der Jurist Karl Mittermaier, einer seiner deutschen Korrespondenten, auch im Namen von Rau und Mohl abgeraten habe, wirtschaftspolitische Abhandlungen aus Deutschland in die von ihm geleitete Reihe "Biblioteca dell' economista" aufzunetunen, weil keine von ihnen dieser Reihe ebenbürtig sei 1; b) die Auffassung, daß die Schwachstelle der deutschen Lehre im Begriff des ethischen Staates liegt, dem die nicht näher präzisierte Aufgabe anvertraut wird, den Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft Ausdruck zu geben, zugleich aber auch seine nicht weniger dürftig präzisierten eigenen Ziele zu verwirklichen. Die geschichtliche Realität hingegen lehrt, so wandte Perrara ein, daß es nicht der Staat ist, sondern die Regierung (Ausdruck tendenziell minderheitlieh organisierten Gruppen oder, falls mehrheitlich, von Gruppen, die geneigt sind, Minderheiten zu unterdrücken), welche auf die Gesellschaft einwirkt, indem sie ihr das Erreichen von Partikularzielen aufzwingt und diese als allgemeine Ziele ausgibt. Dieser dem radikalen und individualistischen Liberalismus entsprechende "realistische" Staatsbegriff führte zur Politikwissenschaft von Gaetano Mosca und Vilfredo Pareto, deren Vorläufer Perrara war. Schließlich, Punkt c), schreitet Perrara zur Überprüfung der Positionen dieser italienischen "Germanisten", um zu zeigen, daß es sich um eine heterogene Gruppe handelt und um mit einem skeptischen Urteil über die wissenschaftliche Ernsthaftigkeit dieser Bewegung abzuschließen. Wer aber waren denn nun die Gegner, die so viel Strenge und Geringschätzung verdienten? Es waren vier Wirtschaftswissenschaftler- Antonio Scialoja (18171877), Luigi Cossa (1831-896), Fedele Lampertico (1833-1906), Luigi Luzzatti (1841-1927), drei davon aus der Lombardei bzw. dem Veneto, weswegen Perrara die gesamte Gruppe ihrer Anhänger als "lombardo-venetisch" definierte. Diese waren im Begriff, das Modell des 1872 von Schmoller gegründeten "Vereins für Sozialpolitik" auch nach Italien zu verpflanzen. In ihrem im September 1874 von Lampertico verfaßten Manifest traten sie für eine Verbindung der "Fortschritte der Wirtschaftswissenschaft" mit "erneuerten sozialen Bedingungen" ein und bestimmten als Hauptziel der Vereinigung - die sich "Associazione per il progresso degli studi economici" (Vereinigung für den Fortschritt der ökonomischen Studien) nennen sollte - "zu untersuchen ... , welche wirtschaftliche Funktion dem heutigen Staat zukommen solle, damit die Freiheit nicht aus dem Fatalismus der Optimisten erwachse, sondern immer sicherer und fruchtbarer 1 Vgl. F. Ferrara, ll germanismo economico in ltalia, in: "Nuova Antologia", August 1874; Nachdruck in: Ders., Opere complete, Bd. X, Rom 1972, 556. Kar! Heinrich Rau

war schon 1855 ins Italienische übersetzt worden. 6*

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werde" - sichtlich ein Programm von stark deutscher Prägung. Ebenso stark vom deutschen Kulturraum beeinflußt ist der Zuschnitt der folgenden Tagung in Mailand im Januar 1875, die von einem Referat Lamperticos über die Grenzen des Laissez-faire eröffnet wurde, das mehr als einen Anklang an den Vortrag Schmollers auf dem Eisenacher Kongreß vom Oktober 1872 erkennen läßt 2 • Ferrara hatte recht, als er die Heterogenität des geistigen Hintergrundes sowie den unterschiedlichen wissenschaftlichen Wert der Anführer des "italienischen Germanismus" aufzeigte. So hatte sich Scialoja, auch er ein Mann des Risorgimento und durch die bourbonischen Gefängnisse gegangen, wie viele vom reinem Liberalismus zu einem gemäßigten Etatismus bekehrt; Cossa war vor allem Akademiker, Professor an der Universität Pavia und guter Kenner der internationalen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, wenngleich es ihm an Originalität mangelte; Lampertico war ein katholischer Intellektueller, der sich der Lösung der Beziehung zwischen Kirche und Staat gewidmet und die Einbeziehung der Katholiken in das politischen Leben Italiens unterstützt hatte; Luzzatti schließlich war ein Verfechter der Volksbanken nach dem Schulze-Delitzsch Modell sowie auch ein ebenso beredter wie wenig beachteter Publizist. Ferrara sollte jedoch nicht recht behalten in der Vorhersage des geringen Erfolgs seiner Gegner. Wenig später eröffnete die inzwischen aus den Händen Ferraras in jene des deutschfreundlichen Gerolamo Boccardo (1829-1904) übergegangene "Biblioteca dell'economista" ihre neue Serie mit Wilhelm Roschers Nationalökonomik des Ackerbaues und der verwandten Urproduktionen (1859), betreut eben von Luigi Luzzatti, der in der Einleitung seine Freundschaft mit dem Autor betonte und begeistert dessen Geschichtssinn, kritische Ausgewogenheit und wissenschaftliche Lehre hervorhob 3• Die III. Serie der "Biblioteca dell 'economista" veröffentlichte die beiden Hauptwerke Albert Schäffles 4 , die finanzwissenschaftliche Abhandlung Adolph Wagners 5 und die wirtschaftswissenschaftliche Abhandlung Gustav Schönbergs 6 , während die folgende IV. Serieunter der Leitung von Salvatore Cognetti de Martiis ( 1844- 1901 ), einem Ökono2 Nachdruck des Textes des sogenannten "circolare di Padova" in, R. Faucci, lntroduzione, in: F. Ferrara, Opere complete, Bd. VIII, Rom 1976, lv-lvi. Zum Mailänder Kongreß der "Associazione per il progresso degli studi economici" vgl. D. Parisi Acquaviva, Congresso di economisti ne/ gennaio 1875 a Milano, in: "Rivista internazianale di scienze sociali" , Juli- September 1978, 308- 350. Zum Eisenacher Kongreß vgl. A. Roversi, II magistero de/la scienza. Storia del Vereinfür Sozialpolitik da/1872 a/1888, Mailand 1984, 39-42. 3 Vgl. L. Luzzatti, Guglielmo Roseher e l' economia politica, in: "Biblioteca dell'economista", III. Serie, Bd. I, Turin 1876. 4 Gesellschaftliche Systeme der menschlichen Wirtschaft (1873), ital. Übers. in: "Biblioteca dell' economista", III. Serie, Bd. VII (zwei Teile), Turin 1881. s Finanzwissenschaft (1871-1872), ital. Übers. in: "Bibi. econ.", III. Serie, Bd. X, zweiter Teil, Turin 1891. 6 Handbuch der politischen Ökonomie (1882-1895), ital. Übers. in: "Bibi. econ.", III. Serie, Bd. XI-XV, Turin 1886-1900.

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men und Soziologen der darwinistischen Richtung- ein Jugendwerk Wemer Sombarts über die Handelspolitik Italiens aufnahm 7 sowie eben jenen Grundriß Schmollers bei dem wir später noch verweilen werden. Wirtschaftslehre in Italien wurde von der gestiegenen Nachfrage nach wirtschaftskundlichem Unterricht gefördert, die sich aus der Einrichtung der dem Ministerium für Landwirtschaft, Industrie und Handel unterstellten Höheren Handelsschulen ergab. Die in Deutschland gelehrte Volkswirtschaft, ohne mathematischen Ballast, aber stattdessen mit reichhaltigen Bezügen zu Geographie, Agronomie, Handelstechnik und Betriebsführung, war besonders geeignet für die Ausbildung künftiger Staatsbeamter oder leitender Bankangestellter 8 • Natürlich reicht dies nicht aus, um den wissenschaftlichen Erfolg im engeren Sinn zu erklären. Dafür wird auch zu bedenken sein, daß eben jene Jahre die Inkubationszeit der Grenznutzenlehre sind: einer langsamen und mühevollen Inkubation allerdings, wie der geringe Erfolg von Walras in seinem eigenen Land beweist sowie auch die Kritik an Jevons in England (welcher noch dazu frühzeitig starb) und die Schwierigkeiten, unter denen Marshall den Lehrstuhl für Ökonomie in Cambridge erhielt. Alles in allem handelte es sich also um eine Übergangszeit. Die Kommune des Jahres 1871 hatte die ganze explosive Kraft der sozialistischen Lehren gezeigt. Diese konnten jetzt nur auf derselben Ebene bekämpft werden. Ein Rekurs auf die mitterweile schon dahingeschiedene klassische Wirtschaftslehre war nicht mehr möglich. Dem Körper der politischen Ökonomie mußte hingegen eine kräftige Dosis politischen Realismus und strengen historischen Sachwissens injiziert werden, aber auch Vertrauen in die Entwicklungsmöglichkeiten des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Das politische und wissenschaftliche deutsche Modell wurde dabei bald zum bevorzugten Muster. Das deutsche Reich und seine angesehenen Universitätssitze wurden zum Ziel der jungen italienischen Ökonomen. Die Serie eröffnete Vito Cusumano (1843-1908), der nach Berlin geschickt wurde, um bei Wagner und Engel zu studieren (er wird bei den Eisenacher Kongressen der Jahre 1872 und 1874 anwesend sein und ihren Verlauf im "Archivio giuridico" beschreiben). Seine Monographie über die Scuole economiche della Germania in rapporto alla questione sociale (1875) ist noch heute eine unersetzliche Informationsquelle über den Kathedersozialismus. Hinzuweisen ist weiter auf Carlo F. Fe1nris (18501924), einen Gelehrten aus dem Bereich der Verwaltungswissenschaft und späteren italienischer Minister (er betrieb die Verstaatlichung der Eisenbahnen 1905), welcher 1873-74 die Vorlesungen von Nitzsch in Berlin besuchte. Weiterhin 7 Die Handelspolitik Italiens seit Einigung des Königreichs, ital. Übers. in: "Bibi. econ.", IV. Serie, Bd. I, Turin 1896. s Vgl. M. M. Augello, M. E. L. Guidi, I "Politecnici del commercio" e laformazione

della classe dirigente economica nell' ltalia post-unitaria. L' origine delle Scuole superiori di commercio e I' insegnamento dell' economia politica, in Varii Auctores, Le cattedre di economia politica in ltalia. La diffusione di una disciplina "sospetta" (1750-1900) , Mailand 1988, 335-384.

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der Finanzwissenschaftler Giuseppe Ricca Salerno (1849-1912), auch er 1875 bei Wagner und Engel; dann Achille Loria (1857 -1943: mehr über ihn später), 1881 bei Wagner; Ugo Mazzola (1863-1899), der 1884 die innere Kolonisation in Preußen und die Sozialversicherungen im Reich untersuchte; und zahlreiche andere, um schließlich zu Costantino Bresciani Turroni ( 1882 -1963) zu gelangen. Bresciani hatte das Jahr 1902 bei Schmoller, Wagner und Bortkiewicz in Berlin verbracht. (Er beschäftigte sich später mit der deutschen Inflation des Jahres 1923.) Der "Fall Schmoller", nach dem, wenn auch in Form einer Frage, unser Aufsatz benannt ist, deckt sich mit dem Erfolg des wissenschaftlichen und technologischen (und zum Teil verfassungsmäßigen und administrativen) Modells, das der mächtige Verbündete für uns darstellte.

IV. Wir finden das Namenpaar Achille Loria-Gustav Schmoller am Beginn der Veröffentlichungen der "Riforma sociale", einer Zeitschrift, welche 1894 mit einem weitreichenden Programm der Verständigung zwischen Ökonomen, Soziologen und Juristen unter dem Zeichen der Interdisziplinarität und gegen die exzessiven theoretischen Abstraktionen der reinen Wirtschaftslehre gegründet wurde. Der schon durch seine Studien über die Bodenrente und seine Kritik der Wirtschaftstheorie von Marx 9 wohlbekannte italienische Ökonom Achille Loria schlug in seinem Artikel Scienza sociale e riforma sociale eine Synthese zwischen reiner und angewandter Theorie vor, um so die Beschränkungen sowohl der abstrakt-deduktiven englischen Schulen als auch eines gewißen Ultrahistorismus und Relativismus zu überwinden. Von Gustav Schmoller hingegen wurde die italienische Fassung des im Handwörterbuch von Conrad und Lexis erschienen Beitrages Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und -methode veröffentlicht. Bei dieser Schrift wird nun kurz zu verweilen sein. Schmollerscheint hier beim Definieren der Volkswirtschaft von einer Definition des Begriffes "ökonomisch" abzusehen. Seiner Meinung nach beobachtet die Volkswirtschaft nähmlich das Verhalten kollektiver Einheiten, von der Familie bis zur internationalen Gemeinschaft, und die Motivationen, nach denen diese innere und äußere Beziehungen eingehen. Beobachtungseinheit ist "das Volk" auf der Grundlage gemeinsamer ethnischer, sprachlicher und kultureller sowie geographisch-politischer Werte. Die Verfahren zur Analyse einer so beschaffeneo Realität sind vielfältig und können sowohl den Naturwissenschaften als auch den Sozialwissenschaften entnommen werden. Die praktische Anwendung der einen wie der anderen durchSchmollerträgt jedoch nicht viel zum Verständnis 9 Vgl. dazu: R. Faucci, Achille Loria, in: M. Finoia (Hrsg.), Il pensiero economico italiano 1850-1950, Bologna 1980, 637-649. Zu einem positiven Urteil Lorias über Schmoller vgl. A. Loria, Gustavo Schmal/er (1904), Nachdruck in: Ders., Verso Ia giustizia sociale (idee, battaglie ed apostoli), Mailand 1908, darin vor allem: 184 und 193.

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der schließlich einzusetzenden Methode bei, da der deutsche Ökonom absichtlich nicht zwischen reinen und angewandten Wissenschaften unterscheidet: für ihn gehören Technologie, Agronomie, Ethnologie, Geographie und Klimatologie zu den Naturwissenschaften, sowie Psychologie, Ethik und Allgemeine Rechts- und Staatslehre zu den abstrakten Wissenschaften. Es entsteht somit der Eindruck, daß Schmoller methodologischer Spezifik gegenüber eher gleichgültig sei und vor allem vorhabe, dem Ökonomen ein möglichst umfangreiches Bildungsgepäck vorzuschreiben. In der nun folgenden Untersuchung der Beziehung zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik behauptet er, daß man erstere als "Allgemeine Volkswirtschaftslehre" definieren könne und beschäftigt sich mit den letzten Gründen ökonomischer Phänomene, während er diese im zweiten Bereich, der "Besonderen Wirtschaftslehre", vom historischen Standpunkt aus analysiert und einen deskriptiven Ansatz verfolgt. Trotz Schmollers wiederholter Versicherungen, daß die Besondere Wirtschaftslehre der Allgemeinen bedürfe, darf nicht vergessen werden, daß er bis zu seiner Schrift gegenMengeraus dem Jahre 1883 behauptet hatte, daß der Unterschied zwischen theoretischer und angewandter Ökonomik weitgehend graduell und kein Wesenunterschied sei, da nicht einmal die Allgemeine Wirtschaftslehre zu unbestreitbaren Wahreiten gelange. Es ist somit der Gegenstand und nicht die Methode (immer eine experimentelle, auf Beobachtung und Induktion beruhende), welcher die beiden unterscheidet. Dennoch dachte Schmoller nicht wirklich an eine Trennung, wohl aber an eine Hierarchie, welche die theoretische Wirtschaftslehre der angewandten unterordnen solle. Während die angewandte Wirtschaftslehre nämlich die sachliche Basis der theoretischen bildet, wirkt letztere auf erstere nicht erhellend, oder höchstens erst dann, wenn das empirische Material schon dermaßen reichhaltig ist, daß es schließlich die Konstituierung einer theoretischen Wirtschaftslehre auf sicheren Grundlagen zuläßt. Aber dies ist ein für Schmoller charakteristisches Problem. Es ist tatsächlich nicht leicht zu verstehen, wie eine größere Quantität an Informationen schon per se eine Verbesserung der Qualität jener Theorie bewirken soll, mit welcher diese Informationen erst zu erfassen und zu interpretieren sind. Auch das roheste ökonomische Faktum wird gemäß einer Theorie gelesen; wenn überhaupt etwas, so ist es die Verbesserung der wissenschaftlichen Methode, die es uns gestattet, aus den zur Verfügung stehenden Daten (ob nun vielen oder wenigen) ein sinnvolles Modell zu entwickeln so wie Schmoller die unersetzliche und unvoreingenommene Funktion der Theorie auch der empirischen Forschung entgegenhielt 10• Tatsächlich meint Schmoller jedesmal wenn er von "Theorie" spricht eine Art empirischer Verallgemeinerung a la Stuart Mill 11• Im Vergleich zu Mill ist dem deutschen Ökonom der ideologische Gehalt JO C. Menger, Die lrrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie (1884), ital. Teilübers. in: F. Bianco (Hrg.), II dibattito sullo storicismo, Bologna 1978, vor allem: 95-99.

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ökonomischer Theorien jedoch sehr wohl bewußt. Darin liegt ein Berührungspunkt zwischen Schmoller und Marx. Für Schmoller spiegelt nämlich nicht nur die klassische englische Ökonomik die sozioökonomische Situation Großbritanniens zu Beginn und in voller Entfaltung der Industriellen Revolution wider, es erscheint ihm vielmehr der Großteil der klassischen Theorien ad hoc und zur Unterstützung der ökonomischen Interessen dieser oder jener sozialen Klasse konstruiert. Smith wird so zum Apologeten des Kleinbetriebes, Ricardo steht den Kapitalisten bei, Maltbus den Grundbesitzern, Marx den Proletariern. Über sich selbst stellt Schmoller naturgemäß keine analogen reduzierenden Überlegungen an. Er war im Gegenteil davon überzeugt, daß die Volkswirtschaftslehreauch durch sein Verdienst- nunmehr in das Stadium einer Wissenschaft getreten war. In seiner Rektoranrede des Jahres 1897, ebenfalls in der "Riforrna sociale" übersetzt, betonte er stolz, daß das Jahr 1870 die Wasserscheide zwischen einem Zeitalter steriler ideologischer Auseinandersetzungen (individualistische Freihandelslehre kontra Sozialismus) und einem neuen Zeitalter echten wissenschaftlichen Fortschritts gewesen sei. Aber diese Wasserscheide war, ungeachtet des zeitlichen Zusammentreffens, nicht durch das Aufreten der Grenznutzenlehre gekennzeichnet - diese war im Gegenteil für Schmoller schon alt geboren, da durch Dogmatismus und Hang zum Abstrakten desavouiert - wohl aber durch den Durchbruch der Historischen Schule der deutschen Volkswirtschaftslehre 12 •

V. Die Rechnungen mit der Grenznutzenlehre wurden 1883, zur Zeit der Kontroverse mit Menger, allerdings nicht beglichen. Möglicherweise unter dem Einfluß Diltheys tendierte Schmoller in den folgenden Jahren zu einer Reinterpretation der bis dahin klar und deutlich zurückgewiesenen "reinen" Wirtschaftslehre, und zwar in einem weiter abgesteckten sozial- und humanwissenschaftliehen Bereich, in dem er ihr eine wohl untergeordnete, aber doch immer positive Funktion zumaß. In seinem ebenfalls ins Italienische übersetzten monumentalen Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre (1900-1904) behauptet Schmoller, ganz nach Dilthey, daß die Wirtschafslehre zu den Geisteswissenschaften gehöre und die Aufgaben habe, mit ihren Analysen das Verhalten der Wirtschaftsunternehmer herauszuarbeiten. In diesem Sinn werden nun auch alte Widersacher wie Menger und Böhm-Bawerk geschätzt, da sie "gewiße psychologische Wert- und Markt11 Zu den Anklängen der Methodologie Schmollers an jene von Mill vgl. J. A. Schumpeter, History of Economic Analysis (1954), ital. Übers., Band II., Turin 1959, 551 (Anm.); sowie V. Gioia, Causalira e analisi economica nella concezione di G. Schmoller, in: "Quademi di storia dell 'economia politica", 1987- 88, vor allem 287-89. 12 G. Schmoller, Wechselnde Theorien und fesrehende Wahrheiten im Gebiete der Staats- und Sozialwissenschaften und die heutige deutsche Volkswirtschaftslehre (1897), ital. Übers. in "Riforma sociale", 1898, Bd. VIII, v.a. 39-41.

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vorgänge empirisch schärfer erfaßt (haben)" 13, was vielleicht beunruhigen mag angesichts dessen, daß die historistische Kritik an der reinen Wirschaftslehre gerade auf dem abstrakten und unrealistischen Charakter des Homo oeconomicus bestanden hatte. In anderen Teilen des Buches zieht Schmoller wohlwollend einige Errungenschaften der Österreichischen Schule in Erwägung (so die auf Erkenntnissen Böhm-Bawerks beruhende Theorie des Tauschwertes, dessen Kapital- und Kapitalzinstheorie sowie die Theorie von den Gütern erster und höherer Ordnung Mengers usw.), soweit diese nicht im Gegensatz zur Wirtschaftspraxis stehen. Andere theoretische Abschnitte des Grundrißes sind noch jene über die Löhne (wo Schmoller die Lohndeterminantentheorie von Smith lob), sowie über die Wirtschaftskrisen und über die Verteilung. Vielleicht hatte dieser kritische Vorbehalt, der Theorie ihre Verdienste anzuerkennen, den Betreuer der italienischen Ausgabe, Pasquale Jannaccone, dazu veranlaßt, dem Grundriß die Ausgabe der Principles von Marshall zur Seite zu stellen, um so diese beiden Werke gleichsam als komplementäre Arbeiten vorzustellen. Marshall kannte übrigens auch selbst die Hauptwerke der Historischen Schule und entnahm ihnen Informationsmaterial für sein Buch. Es ist aber dennoch nicht die theoretische Vorgangsweise welche den Grundriß von jedem gewöhnlichen Handbuch der Wirtschaftslehre unterscheidet. Er stellt vielmehr eine kolossale Bestandsaufnahme menschlicher Produktionstätigkeit (oder besser menschlicher Arbeitsamkeit) innerhalb eines in Umwandlung begriffenen Rahmens von psychologischen, Umwelt- und technischen Faktoren dar. Mit dem Fortschritt der Zivilisation sind es nicht nur die Institutionen, welche sich weiterentwickeln, sondern alle Beweggründe des menschlichen Handelns, von denen jener im engeren Sinn ökonomische - von Schmoller mitunter als ,,Sparsamkeit" bezeichnet (ein Ausdruck, der sich nicht aus Zufall auch bei Menger wiederfindet 14) -eigentlich der am wenigsten bedeutsamste ist. Getreu seiner Vorstellung des Wirtschaftsprozesses als Ergebnis des Zusammenwirkens kultureller und sozialer Faktoren verschiedener Art, lehnt Schmoller die Idee eines oder mehrerer primärer Fortschrittsfaktoren ab. Darin weicht er ab von Hildebrand, Knies und Roseher 15 , den Vertretern der "älteren" Historischen Schule, für die keine Abfolge von Entwicklungsstadien existiert. "Wir wissen, daß Rasse, Moral, Religion, Sitte und Recht, Wohnsitz und Landesgröße auf analogen l3 G. Schmoller, Grundriß . . . , erster, größerer Teil, Leipzig 1900, 119. Halbfettschrift des Verfassers. Vgl. auch die ital. Übers. in: Teil 1, "Bibi. econ.", Serie IV., Bd. X, Turin 1904, 183. 14 Vgl. C. Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftlehre (1871), ital. Übers. Turin 1976, 161. 15 In einer Abhandlung über Roseher läßt Schmoller allerdings die Uneinigkeit über die Entwicklungsstadien im Dunkeln um die Übereinstimmung bezüglich der empirischen Methode und der sprachgeschichtlichen Forschung zu betonen; vzg. G. Schmoller, Wilhelm Roseher (1888), eng!. Übers. in H. W. Spiegel (Hrsg.), The Development of Economic Thought, New York- London 1952, 364-377.

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Stufen des technischen Könnens doch recht verschiedene Volkswirtschaften erzeugen" 16• Auch Marx ist fürSchmollerein Opfer des technologischen Vorurteils, daß unterschiedliche Produktionsweisen das zwangsläufige Ergebnis bestimmter technischer Verfahren seien (Windmühle für den Feudalismus, Dampfmühle für den Kapitalismus). Die Moral, mit der Schmoller sein Monumentalgemälde schließt, liegt darin, daß die Menschheit eine fortschreitende Sozialisation durchläuft, die sich in den immer größeren Dimensionen kollektiver Ansammlungen äußert: von den wenigen Hunderten von Menschen in den primitiven Stämmen zu den Tausenden von Bürgern in den griechischenpoleisbis zu den hunderttausend Bewohnern des kaiserlichen Rom und den vielen Millionen der großen modernen Staaten. So überläßt auch der Betrieb kleineren Ausmaßes der großen und gigantischen Konzentration seinen Platz. Meister der Beschreibung mit großen Pinselstrichen sowie auch der minuziösen Ausführung besonderer Fälle, scheitert Schmoller am Finden ausreichend allgemeiner Antworten auf die beobachteten Phänomene. Warum und wie wachsen die gesellschaftlichen Zellen? Wie erfolgt der Übergang von einer institutionellen Form zu einer anderen? Nicht zufällig beobachtete ein aufmerksamer Leser wie Thorstein Veblen, wenngleich er Schmoller schätzte, daß der deutsche Ökonom am Ende soweit gekommen war, den gesellschaftlichen Fortschritt nach dem darwinistischen Schlüssel zu erklären 17 • Die Umwelt trifft die Auslese der gesellschaftlichen Kräfte: es überlebt, wer eher fähig ist, sich durch Umwandlung anzupassen 18• VI. Schon mit den Anfängen des Jahrhunderts verblaBte das historistische Gestirn in Italien. Der hauptsächliche und offensichtlichste Grund ist der Aufstieg der Grenznutzenlehre. Es war Maffeo Pantaleoni (1857- 1924), der gleich einem "Erzengel mit dem flammenden Schwert", das akademische Feld von den Historisten räumen und sie durch Vertreter der reinen Wirtschaftslehre ersetzen sollte. Und seine Schlacht erwies sich als umso erfolgreicher, als er selbst aus seiner Studienzeit in Deutschland, als er sich an Themen des Antiken Rechts versucht hatte, über eine solide historische Bildung verfügte 19• Er verstand es jedenfalls, zu überzeugen, wenn er behauptete, daß jene Evolutionen des historischen Geistes 16 G. Schmoller, Grundriß .. . , zweiter Teil, Leipzig 1904, 167 (ital. Übers. in: Teil II., "Bibliot. econ.", Serie V., Bd. I, Turin 1913, 1095). 17 T. Veb1en, Gustav Schmoller' s Economics, in: "Quarterly Journal of Economics", 1901, nachgedr. in: Veblen onMarx,Race, Science andEconomics, New York 1969,265. 18 Um eine "evolutionistische" Analyse handelt es sich bei jener der historischen Entwicklung des Unternehmens; vgl. dazu: G. Schmoller, Die geschichtliche Entwicklung der Unternehmung (1890-91), engl. Teilübers. in: F. C. Lane, J. C. Riemersma (Hrsgg.), Enterprise and Secular Change, Homewood, 111. 1953, 3-24. 19 Vgl. M. Pantaleoni, Studi storici di economia, Bologna 1936.

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unzuverlässig seien, welche sich ausschließlich auf Umwelt und Milieu bezogen, und er verkündete, daß die einzige wissenschaftliche Geschichte der Politischen Ökonomie jene war, welche die vergänglichen Intümer von den "ewigen Wahrheiten" unterschied 20. Ihm zur Seite verdammte Vilfredo Pareto - der nicht Deutsch konnte und sich daher in der Sache auf Pantaleoni verließ- die Historisten deswegen, weil sie von den Ursachen auf die Wirkungen schlossen und so die Zusammenhänge wechselseitiger Abhängigkeiten übergingen. (Ihm entging jedoch gerade die Tatsache, daß Schmoller, wie wir gesehen haben, eben nicht nach Ursachen, sondern nach Interdependenzen forschte). Jedenfalls hatte Schmoller die Gültigkeit "ökonomischer Gesetze" geleugnet, und das war für Pareto schon Schuld genug21. Dazu kam dann noch der Weltkrieg, welcher das wissenschafliehe Klima in Italien deutschen Einflüßen gegenüber besonders ungünstig stimmte. In der Politischen Ökonomie gab es auch keinen Benedetto Croce, der das deutsche Kulturerbe verteidigt hätte. Es wurde sogar die Organisation der Kriegswirtschaft in Deutschland als Manifestation einer etatistischen Manie, wo nicht geradeweg als schleichender "Bolschewismus" verurteilt. Von Luigi Einaudi (1874-1961) bis zu Umberto Ricci ( 1879- 1946) und dem zuvor erwähnten Pantaleoni ertönte ein einstimmiger Chor der Verurteilung der bürokratischen Wirtschaftshindernisse und der ,,kriegerischen Aufmachungen". Antietatismus, Antigermanismus, und Antisozialismus deckten sich hier völlig 22. In der Zwischenkriegszeit war in Italien dank des Erfolgs der Werke von Werner Sombart und Max Weber sowie dank der Blüte der von Giuseppe Toniolo ( 1845- 1918) gegründeten christlich-sozialen Schule eine gewisse Wiederbelebung des deutschen wirtschaftsgeschichtlichen Geistes zu verzeichnen. Außerhalb dieses Kreises tat Gino Luzzatto ( 1878- 1964) viel für die Verbreitung der Lehren 2o Vgl. M. Pantaleoni, Dei criteri ehe debbono informare Ia storia delle dottrine economiche (1898), in: Ders., Erotemi di economia, Bd. I., Bari 1925, 223-258. 21 "Io ho una disgrazia: non so il tedesco, e non mi rimane speranza di impararlo" (Ich habe ein Problem: ich kann nicht Deutsch, und mir bleibt keine Hoffnung, es zu erlernen), schrieb Pareto an Pantaleoni am 7. Oktober 1891 (V. Pareto, Lettere a Pantaleoni, hrsg. von G. de Rosa, Bd. I., Rom 1962, 73). Er dürfte auch in der Folge keine Möglichkeit gefunden haben, es zu lernen, denn 1908 wandte er sich an Pantaleoni, um sich den Inhalt von Das Wesen .. . des "dottor Schumpeter" erzählen zu lassen (vgl. dazu: Pareto, op. cit., Bd. III., 117).Sein Urteil über Schmoller ist sarkastisch: "Es ist offensichtlich, daß er nichts von Politischer Ökonomie versteht, und mir scheint, daß er sogar selbst zugibt, wenn er sagt, daß sie nicht existiert. Wie kann man von einer Sache etwas verstehen, die nicht existiert?" (Brief an Pantaleoni vom 19. Januar 1898, in: Pareto, op. cit., Bd. II., 152). Auch in der Einleitung des Jahres 1903 zu der von ihm geleiteten "Biblioteca di storia economica" behauptet Pareto, daß jemand, dem das Handwerkszeug der Wirtschaftstheorie fehle, wie "ein Wagner, einSchmollerund andere dieses Schlages", nicht einmal imstande sei, die wirtschaftlichen Fakten der Vergangenheit zu verstehen (nachgedr. in: Ders., Ecrits sociologiques mineurs, hrg. von G. Busino, Genf-Paris 1980, 243). 22 Vgl. zur Haltung der italienischen Freihandelsökonomen gegenüber der Kriegswirtschaft: R. Faucci, Luigi Einaudi, Turin 1986, 150-168.

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deutscher Wirtschaftshistoriker aus der auf Schmoller folgenden Generation, wie Karl Bücher und Alfred Dopsch. Nicht fruchtbar war hingegen das Eintreten des faschistischen Korporativismus für die Wiederbelebung der Positionen der Historischen Schule. Sein schärfster Vertreter, der Philosoph Ugo Spirito (1896- 1978), ging von der Annahme der Deckungsgleichheit von Individuum und Staat aus wies daher den individualistischen Anspruch der reinen Wirtschaftslehre zurück. An einer soliden Verbindung von Geschichte und Ökonomie schien er allerdings nicht interessiert zu sein. Einen gewissen Erfolg, speziell in katholisch-faschistischen Kreisen, hatten die Universalistischen Theorien Othmar Spanns (1936 ins Italienische übersetzt). Einaudi aber bekämpfte sie im Namen, nochmals, der Reinheit des ökonomischen "Dogmas". Nach dem Tod Pantaleanis war es nun an ihm, sich zum Wächter der ökonomischen Orthodoxie zu erheben, nicht nur gegen Korporativisten und Historisten verschiedener Richtungen, sondern auch gegen Keynes und die Vertreter der Planwirtschaft. Der einzige von ihm geschätzte deutsche Ökonom war, pour cause, der neoliberale und anti-historistische Wilhelm Röpke. In der Nachkriegszeit hatte uns die überwältigende Anglisierung unserer Wirtschaftswissenschaften die Historische Schule so weit aus den Augen verlieren lassen, daß - als in den 60er Jahren der Bestseller Walt Rostows The Stages ofEconomic Growth ins Italienische übersetzt wurde- der Betreuer der Ausgabe Giulio Pietranera (wenngleich marxistisch und historistisch geschult) es verabsäumt hatte, die Rostowschen Stadien mit jenen der alten Schule zu verbinden. Und als viel später, in 1983, ein Band der "Annali Einaudi" der Economia naturale ed economia monetaria gewidmet wurde, hielt man es nicht für notwendig, die Namen von Dopsch, Hildebrand, Bücher und Schmoller (außer in flüchtigen Anmerkungen) zu erwähnen. Ebenso scheint auch das auf den Nachweis der Unerheblichkeit des Marktes für ein Wirtschaftssystem ausgerichtete Werk Karl Polanyis zu keiner erneuten Beschäftigung mit diesen Bereichen angeregt zu haben, obgleich Polanyi in Italien wahre wissenschaftliche Bekehrungen traditioneller Historiker zur Anthropologie ausgelöst hatte.

VII. Außerhalb Italiens beeinflußte die Historische Schule die eben entstehende Disziplin der Wirtschaftsgeschichte hingegen viel nachhaltiger. In England wurde dieses Fach von Wissenschaftlern gefördert , die in Deutschland studiert hatten, wie William Ashley (Schüler von Knies in Heidelberg und Übersetzer der Studien Schmollers über den Merkantilismus) sowie William Cunningham (der in Tübingen studiert hatte) und George Unwin (unmittelbarer Schüler Schmollers 23 ). 23 Informationen zu einigen dieser Autoren finden sich in: Enterprise and Secular Change, op. cit.; eine interessante Darstellung der methodologischen Evolution der

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Diese Persönlichkeiten engagierten sich zum Teil zugunsten der protektionistischen Kampagne Joseph Chamberlains im Jahre 1903. Aber es ist zu bedenken, daß auch der Hauptvertreter der Grenznutzenlehre in England, Alfred Marshall, wirtschaftsgeschichtliche Studien förderte und seinen Schüler John Clapham ermutigte, eine monumentale Wirtschaftsgeschichte Großbritanniens zu schreiben; und daß John Maynard Keynes den Wirtschaftshistorikern von 1926 an eine Beilage des "Economic Journal" reservierte 24 • Gleichfalls beachtlich war der Einfluß in den Vereinigten Staaten, wo das Terrain sowohl durch die protektionistische Tradition der amerikanischen Wirtschaftspolitik als auch durch die Verbreitung der Ideen Friedrich Lists (der bekanntlich von 1825-1832 in Amerika lebte) bereits für eine wohlwollende Aufnahme vorbereitet war. Edwin Gay, Sirnon Patten und Richard Ely hatten vor dem ersten Weltkrieg in Deutschland gelebt 25 • Die institutionalistischen Ökonomen wie Veblen, John Commons und Wesley Mitchell 26 teilten ihrerseile viele der kritischen historistischen Argumente gegen die vorherrschende Wirtschaftstheorie. Diese Richtungen hatten einen entscheidenden Anteil an der Bildung der geistigen Grundlagen des New Deals Roosevelts. Für Frankreich sieht die Sache ganz anders aus. Mare Bloch, der Begründer der modernen Sozialgeschichte (Dozent in eben jenem Straßburg, in das gerade Schmoller kurz nach dem Deutsch-Französischen Krieg seine Berufung erhielt), predigte eine der Schmollersehen zweifellos verwandte ganzheitliche Geschichtsauffassung. Die Mikrohistorie, die historische Psychologie und ähnliches mehr in den "Annales" von Bloch und Febvre hätten möglicherweise die Zustimmung eines Schmoller erhalten. Doch die geistigen Aszendenten, an denen sich diese beiden großen Gelehrten orientierten, waren meist Franzosen: von Taine bis Fustel de Coulanges, von Durkheim bis Gurvitch und Simiand.

VIII. Von einem an sich der interdisziplinären Forschung zwischen den verschiedenen Sozialwissenschaften günstigen Klima scheint Schmoller wenig profitiert zu haben. Vielleicht ist sein Einfluß gerade wegen der Schwäche des seinem wissenschaftlichen Programm zugrundeliegenden Paradigmas so schnell (und wie zu Wirtschaftsgeschichte in England in: N. B. Harte (Hrsg.), The Study of Economic History. Collected lnaugural Lectures 1893-1970, London 1971. 24 Vgl. den kurzer Beitrag von C. Wilson, Keynes and Economic History, in Milo Keynes (Hrsg.), Essays on lohn Maynard Keynes, Cambridge 1975, 230-36. 25 Vgl. N. W. Balabkins, Not by Theory Alone .. . The Economics of Gustav von Schmal/er and lts Legacy to America, Berlin 1988, 95 ff. 26 Von den Arbeiten Mitchells sei besonders verwiesen auf: Types of Economic Thoughtfrom Mercantilism to lnstitutionalism, hrsg. von J. Dorfman, Bd. II., New York 1969, 230 ff. (Darstellung des Grundrisses von Schmoller).

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befürchten ohne Möglichkeit der Wiederkehr) zu Ende gegangen. Die Zeit war reif für eine Übernahme großer Teile des Marxismus in eine nichtmarxistische Lehre. Schumpeter und Max Weber waren mit demselben Recht jeweils ein "bürgerlicher Marx" wie sie es nicht waren: der erste, indem er den Kern der Lehre der Historischen Schule (aber auch von Marx) für seinen Versuch verwendete, den Übergang vom Kreislaufsystem zum Entwicklungssystem zu bewerkstelligen, der zweite auf der Suche nach der die kapitalistische Gesellschaft beherrschenden Rationalität. Nichts von all dem bei Schmoller. Als Gefangener seiner außergewöhnlichen Bildung pflegte er seine Studenten zur wissenschaftlichen Vorsicht zu mahnen, denn "es ist alles so unendlich compliziert" 27 • Besorgt, wie er dem Vorwurf des Determinismus entgehen könne, berief er sich immer auf die Bedeutung der idealen, der kulturellen, der Überfaktoren, ohne allerdings anzugeben, wie diese zur Gestaltung der wirtschaftlichen Realität beitragen würden. Eine ähnliche Unsicherheit lassen seine methodologischen Schriften durchblicken, die aber doch auch beachtliche Meriten aufweisen, wo Schmoller den Dogmatismus der reinen Theoretiker kritisiert. Menger hatte in seiner Polemik gegen ihn zweifellos übertrieben, doch man weiß als Leser Schmollers nie so recht, ob dieser sich nun für einen gemäßigten Kausalisten oder für einen ebenso gemäßigten Interdependentisten hält, ob er nun immer die induktive Methode anwenden will oder nicht, und so weiter. Er strebte zu Recht die Einheit der Sozialwissenschaften an, behauptete aber, daß dieses Ziel auf dem Weg einer maximalen wissenschaftlichen Arbeitsteilung verfolgt werden müße, da nur die Arbeitsteilung einen echten Fortschritt der einzelnen Wissenschaften gestatte. Es gelang ihm dann aber nicht, klarzustellen wie man - außer über die Zuflucht zum Intuitionismus - von den Einzelwissenschaften zum angestrebten Verständnis des Ganzen gelangen könne. Als Historiker des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens unterstützte er ein gutes Argument, und zwar jenes, daß die theoretischen Systeme der Wirtschaftslehre vergänglich seien, sobald das grundlegende System, das sie hervorgebracht hat, untergegangen ist. Aber, vielleicht auch hier besorgt, für einen Marxisten gehalten zu werden, bestand Schmoller gerne auf einem anderen, an sich weniger interessanten Motiv, nähmlich der Abstraktheil der klassischen Ökonomen (und der Vertreter der Grenznutzenlehre); eine Abstraktheit, für die er ihre Neigung zur Freihandelslehre verantwortlich macht. Schumpeter entgegnete ihm mit gutem Grund, daß auf diese Weise- sehr zum Schaden der Wirtschaftswissenschaft - jede Unterscheidung zwischen analytischem Kern und ideologischer "Vision" der Ökonomen wegfiele 28 • Auch in sachlicher Hinsicht hatte Schmoller übrigens Balabkins, op. cit., 50. Seit seinem Wesen und Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie (1 908), warf Schumpeter Schmoller vor, nicht zwischen Weltanschauung und Analyse unterschieden und somit keine wirkungsvolle Kritik der Grenznutzenlehre erarbeitet zu haben. Vgl. dazu in der ital. Übers. (Bari- Rom 1982) 4 und 25 ff. Vgl. auch: Ders., Epochen 21 28

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unrecht, wenn er alle Klassiker für Anhänger der Freihandelslehre hielt (das waren weder Malthus noch Stuart Mill). Das größte Verdienst Schmollers ist es, in exemplarischer Weise den Typus des Beamten-Gelehrten des Deutschen Reichs verkörpert zu haben: treuer Diener der Wissenschaft und des Staates (zwei für ihn notwendigerweise miteinander verbundene Ideale, ja vielmehr zusammen ein einziges Ideal). Er war eine Schlüsselfigur einer Übergangszeit von einem völlig "politischen" und individualistischen Liberalismus zu einem "sozialen" Konservatismus, der darauf aus war, die Massen in das Leben des Staates zu integrieren, auch als Präventivmaßnahme gegen den Sozialismus. Dieser Integrationsprozeß wurde in den anderen europäischen Ländern von Staatsmännern wie Disraeli Jules Ferry oder Francesco Crispi angeführt, die direkte Teilnahme der Professoren und der intellektuellen Schicht war jedoch gering. In Deutschland wurde er im Gegensatz dazu von Bismarck und Schmoller in unmittelbarer Zusammenarbeit betrieben- in einem unwiederholbaren Einklang zwischen Wissenschaft und Politik, Studium und praktischem Handeln 29 • In gewissem Sinne war Schmoller sich selbst völlig treu, als er absolute wissenschaftliche Unparteilichkeit beanspruchte und zugleich bekräftigte, daß der Wissenschaftler offen Werturteile abgeben müsse. Wenn er von der Höhe seiner Lehrkanzel in Berlin aussprach, fühlte er sich wahrhaft über den Parteien und den Klassen. Diese privilegierte Position, von der er fand, daß sie ihm und der Klasse der Gelehrten zustehe, konnte nur solange andauern, als die politischen und sozialen Auseinandersetzungen in Deutschland von der eisernen Faust Bismarcks im Zaum gehalten wurden. Nach dessen Sturz und dem Aufstieg der (von Schmoller verachteten) Sozialisten geriet auch der "Verein für Socialpolitik" in eine Krise, weil nun der Augenblick gekommen war, Stellung zu beziehen und es den beiden Strömungen innerhalb des Vereins, der gemäßigten unter Schmoller und der kritischen unter Weber 30 und Sombart, nicht mehr gelang, der Dogmen- und Methodengeschichte (1914), ital. Übers. Turin 1953, 147. Es ist aber immerhin auch zu beachten, daß Schumpeter wieder auf Schmoller aufmerksam macht, als er ihn 1926 wegen des Realismus seiner Darstellung der ökonomischen Realität gerade mit Marshall vergleicht. Vgl. dazu: J. A. Schumpeter, G. und die Probleme von Heute, in "Schmollers Jahrbuch", 1926, Bd. L, 337 -388; darauf aufbauend: F. C. Lane, Some Heirs ofG. S., in: Architects and Craftsmen in History. Festschriftfür A. P. Usher, Tübingen 1956, vor allem 10 und 20-27. Aber der Umstand, daß Schumpeter die Geschichte als Instrument der Wirtschaftsanalyse betrachtet, dürfte uns doch nicht vergessen lassen, daß im Zentrum seines wissenschaftlichen Interesses die zwei miteinander zusammenhängenden Probleme des Gleichgewichts bzw. der ökonomischen Dynamik stehen, welche Schmoller beide fremd sind. 29 Vgl. P. Schiera, lllaboratorio borghese. Scienza e politica nella Germania dell' ottocento, II Mulino, Bologna 1987, vor allem 207-252. 30 Zu den Beziehungen zwischen Weber und der Historischen Schule vgl. W. Hennis, A Science of Man. Max Weberand the Political Economy of the German Historical School, in: W. J. Mommsen, J. Osterhammel (Eds.), M. W. and His Contemporaries, London 1987, 26 - 58; M. Schön, Gustav Schmal/er and Max Weber, ebd., vor allem

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friedlich miteinander auszukommen. Der von 1904 an ausgebrochene Werturteilstreit war nicht nur ein Generationskonflikt; er bedeutete vor allem die irreversible Krise einer auf naive Weise optimistischen (und völlig positivistischen) Auffassung der Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik, die SehrnaHer geteilt hatte, und das Eintreten in eine neue Phase - eine dramatischere und vielleicht noch nicht abgeschlossene. (Aus dem Italienischen von Irmgard Egger)

63-66. Das harte Urteil Webers über die akademische Haltung Schmollers, der sich anmaßte, den Lehrkörper nach ausschließlich ideologisch-politischen Kriterien auszuwählen, findet sich in: Ders., Der Sinn der "Wertfreiheit" der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften (1917), ital. Übers. in: M. Weber, Il metodo delle scienze storico-sociali, hrsg. von Pietro Rossi, Turin 1958, vor allem 314-15 und 319. Die Abhandlung beruht auf einem 1913 im "Verein" gehaltenen Vortrag Webers.

II. Sozialpolitik

7 SB Backhaus

Statt Wirtschaftstheorie Staatswirtschaftslehre Erinnerungen an Gustav Schmoller Von Günter Schmölders Schmoller starb 1917 und meine Erinnerungen an die Berliner Universität begannen praktisch erst 1920, als ich in das Studium der Wirtschaftlichen Staatswissenschaften eintrat. Dieser Ausdruck stammte von Schmoller wie auch der ganze Geist, in dem dieses Studium gehalten war. Schmollers persönlicher Schüler und Nachfolger Heinrich Herkner wurde mein Lehrer, mein Doktorvater und mein Berichterstatter bei der Habilitation 1932. Schmoller beherrschte die Berliner Fakultät so sehr, daß man seinen Geist nicht nur im staatswissenschaftliehen Seminar, sondern in allen Hörsälen spürte. In seiner Gedächtnisrede wies Heinrich Herkner darauf hin, daß ungeachtet seiner schwäbischen Herkunft Schmoller von Jugend an unter dem Einfluß seines Schwagers Rümelin ein Anhänger der kleindeutschen Politik war. Schmoller verfocht in der Zollvereinkrise den anti-österreichischen Standpunkt mit solcher Schärfe, daß er seine großdeutsch- und preußenfeindlich gestimmte Heimat verlassen mußte. Seine Laufbahn entwickelte sich parallel mit dem Aufstieg der preußischen Macht. Schmoller war vor allem Sozialpolitiker. Der Verein für Socialpolitik galt ihm als das vornehmste Werkzeug, das er sich geschmiedet hatte, um die sozialen Ziele, von denen sein grundgütiges Herz von Jugend an erfüllt war, im praktischen Leben zur Geltung zu bringen. So liegt in der Tätigkeit Schmollers, die er in und für den Verein für Sozialpolitik entfaltet hat, vielleicht der ihm wichtigste und liebste Teil seiner ganzen Lebensarbeit eingeschlossen. Schmoller war mit Leib und Seele Sozialpolitiker. Dieser Begriff ist nicht in dem engen Sinne eines bloßen Spezialistentums in industriellen Arbeiterfragen, wie Arbeiterschutz, Arbeiterversicherung, Koalitionsrecht und derartigem mehr aufzufassen. Sozialpolitik im Schmollersehen Sinne hatte weit mehr zu bedeuten und schloß auch einen guten Teil von dem mit ein, was seither als "Sozialisierung" alle Geister beschäftigt und weiterhin beschäftigen sollte. Diesem weiten Horizont der Schmollersehen Sozialpolitik ist es zu danken, daß der Verein sich niemals auf das sozialpolitische Arbeitsgebiet im engeren Wortsinne, wie es zum Beispiel die Gesellschaft für soziale Reform pflegt, beschränkt hat. Er hat viel mehr mit unablässigem Bemühen auch danach getrachtet, im Aktienrecht, in der Personalbesteuerung, in der Handelspolitik, im Kredit7*

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wesen, in der Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte, in der Politik der Binnenschiffahrt usw. der Sache der sozialen Reform ebenso zu dienen, wie etwa in der Fabrikgesetzgebung, im HUfskassenwesen oder im Koalitionsrecht Vorbildliches zu leisten. Dies zeigt sich besonders in seiner Stellungnahme zu dem Sozialisten Lasalle, dessen Thesen er keineswegs unkritisch übernahm. Mit bewunderungswürdiger Klarheit und Bestimmtheit, so registrierte Herkner, schob er aus Lasalles Ideen alles zur Seite, was - wie die Lehre vom ehernen Lohngesetz - nur verwirrend und hemmend auf sozialpolitische Bestrebungen einwirken konnte. Schmoller geht Hand in Hand mit Lasalle, wo es gilt, das Manchestertum zu kritisieren und die große zivilisatorische Mission der Staatsgewalt dem Zeitbewußtsein tief einzuhämmern. Schmoller steht aber nach Meinung von Herkner hoch über Lasalle, wo er es unternimmt, die wahre Bedeutung des Arbeiterschutzes, der Arbeiterversicherung, der Gewerkschaften, der Genossenschaften und der Wohnungspolitik klarzulegen. "Die ganze Wirtschaftsgeschichte ist ein Wachsen der sittlichen Solidarität und Gemeinschaft, ein Wachsen der Gleichmäßigkeit und Kontinuität der ökonomischen und sozialen Existenz", zitiert Herkner Schmoller. Der wahre Fortschritt auch im ökonomischen Leben hängt von seinem Zusammenhang mit den übrigen Lebensgebieten und Zwecken, von der gesamten ethischen Kultur ab. Denn kein Zweig und kein Glied kann dauernd gedeihen, wenn der übrige Organismus leidet. Es gibt keine ökonomische Handlung, die, wenn sie wirklich unsittlich ist, nicht auf die Dauer auch ökonomischen Schaden stiftet. Nicht unerhebliche Meinungsverschiedenheiten bestanden über die Grundsätze, nach denen die Organisation aufgebaut werden sollte. Eine Gruppe, zu der auch Brentano gehörte, wollte nur eine relativ geringe Zahl engverwandter Gesinnungsgenossen sammeln, die imstande gewesen wären, wegen der vollständigen Übereinstimmung ihrer Absichten ein wirkungsvolles Programm aufzustellen und durchzufechten. Es schwebte der Weg vor, der später von der Fabian Society in England tatsächlich betreten worden ist. Schmoller war jedoch anderer Meinung. Zwar sollte auch nach seiner Auffassung eine Gruppe von Männern mit einheitlicher prinzipieller Überzeugung und sozialer Weltanschauung den Kern der Vereinigung bilden; aber um diesen Kern sollten sich Angehörige aller Berufsstände und politischen Parteien gruppieren, von denen anzunehmen war, daß sie "Interesse und sittliches Pathos für die soziale Frage" besitzen würde. Dieser Standpunkt wurde von der Mehrheit gebilligt, und so fanden sich im Verein für Socialpolitik nicht nur Gelehrte, sondern auch Unternehmer, Beamte, Tagesschriftsteller und Arbeiter, nicht nur Angehörige der Mittelparteien, sondern auch Konservative, Sozialisten und Angehörige des Zentrums zusammen. "Ich möchte immer dahin wirken", sagte Schmoller, "daß die verschiedenen Parteien der Gegenwart sich gegenseitig als berechtigt und notwendig betrachten.

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Nur, wenn wir so weit kommen, daß die Parteien sich zueinander verhalten, wie die sich ergänzenden Teile eines und desselben Ganzen, ist ihr Kampf und ihre Wirkung eine segenreiche". Und es dahin zu bringen, erschien ihm vor allem die Aufgabe der Vertreter der Wissenschaft zu sein. Er bejahte eben die ganze menschliche Natur, die gesamte Gesellschaft. Professor Arthur Spiethoff war der Zweite, dessen intime Lebenserinnerungen an Gustav Schmoller bei der Gedächtnisfeier 1917 zum Ausdruck kamen, denn Professor Spiethoff war zehn Jahre lang Schmollers täglicher Mitarbeiter gewesen und dieser war ihm ein zweiter Vater. Schmollers Weltanschauung war geprägt von den Forderungen nach Sittlichkeit und Gerechtigkeit. Diese sittliche Forderung führte ihn zur Verwaltungsgeschichte, um mit ihrer Hilfe die Beeinflußungsmöglichkeit der Volkswirtschaft zu zeigen, sie führte ihn zu einer umfassenden Heranziehung der Kulturgeschichte und Philosophie, um die Volkswirtschaftspolitik aus dem Gehenlassen eines Naturvorganges zu einer ethischen Disziplin zu machen. Schmoller fand eine Volkswirtschaftslehre vor, die die Volkswirtschaft in einer Konstruktion unveränderlicher Vorgänge darstellte. Ihr setzte er die Volkswirtschaft als ein geschichtliches Entwicklungsgebilde entgegen. Die herrschende Lehre gipfelte in den Marktvorgängen einer abstrakten Verkehrswirtschaft. Spiethoff betonte, daß dies nach Schmollers Ansicht nur ein ganz kleiner Ausschnitt der von der Volkswirtschaftslehre zu behandelnden Erscheinungen sei, dem nicht die beigemessene, alles überragende Bedeutung zukomme. Die an sich berechtigten Abstraktionen, erklärte Schmoller, seien so blutleer und wesenlos, vernachlässigten die volkswirtschaftliche Wirklichkeit und ausschlaggebende geschichtliche, psychologische und gesellschaftlichen Bedingungen in solchem Umfange, daß die Theorie zur Unfruchtbarkeit verurteilt sei. Die Systembildungen erschienen ihm unbegründet und voreilig. Die verschlungenen, wirklichkeitsfremden Gedankengänge vieler der gefeiertsten Theoretiker verletzten sein wirklichkeitsfrohes, anschauliches Denken. Der Einseitigkeit und Abwendung von der Wirklichkeit stellte Schmoller die Erfahrung jeder erreichbaren Art gegenüber. Vor allem wurde er so der einflußreiche Pfleger einer alle Zweige der Volkswirtschaft durchforschenden monographischen Spezialforschung, der Befruchter der Wirtschaftsgeschichte und der Verwaltungsgeschichte, der Ausdeuter verwickelter Gesellschaftserscheinungen, der nachfühlende Erklärer letzter seelischer Beweggründe. Die weit auseinander und der Volkswirtschaftslehre teilweise scheinbar ferne liegenden Gebiete waren durch seine Grundauffassung von der vielfältigen Bedingtheit der Volkswirtschaft eng zu einem Zusammenspiel verknüpft; sie waren tragende Pfeiler eines geschlossenen Gedankengebildes eigener Prägung, das mosaikartig die Elementeall dieser Erfahrungszweige vereinigt. Kein Gebiet der Volkswirtschaftslehre fehlt, auf zahlreichen steht er durch grundlegende Untersuchungen in vorderster Reihe. Neben die alles umfassende Forschertätigkeit im Bereich der Volkswirtschaftslehre trat die auf den großen Hilfs- und Grenzgebieten der

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Verwaltungsgeschichte, der Wirtschaftsgeschichte und der Gesellschaftslehre. Gewiß haben diese Fächer auch andere große Vertreter, aber für uns ist Schmoller ein Bahnbrecher. Er hat sie als Volkswirtschaftler bearbeitet, er hat sie gemeinsam als Erkenntnisquellen nutzbar gemacht und der Volkswirtschaftslehre eingefügt. Die Verwaltungsgeschichte erbrachte ihm für seine volkswirtschaftspolitischen Bestrebungen den Beweis der Möglichkeit heilsamer Beamten- und Staatstätigkeit, für die allseitige Erklärung volkswirtschaftlichen Geschehens zeigte sie ihm "wie die ungeheure Staatsmaschine und die ganze Volkswirtschaft mit tausend Fäden zusammenhängen und sich gegenseitig bedingen". Diese scharfe Betonung des Staates ist auch grundsätzlich bedeutsam, denn sie verstärkt die ausgesprochen geschichtliche Auffassung im Gegensatz zur rationalistischen des Liberalismus. Von der Wirtschaftsgeschichte wähnten viele, er wolle sie an die Stelle der Volkswirtschaftslehre setzen und diese darin aufgehen lassen. Das war nicht der Fall: beide hat er selbständig nebeneinander bestehen lassen. Wir danken es nicht zuletzt Schmoller, daß die Wirtschaftsgeschichte ein geschichtliches Fach mit volkswirtschaftslicher Fragestellung und ein volkswirtschaftliches Fach mit geschichtlicher Methode geworden ist. Auf Schmoller hat keiner der großen Sozialisten nachhaltiger eingewirkt, keinem hat er je nahegestanden. Der Mechanik der Volkswirtschaft suchte er deren Seele an die Seite zu stellen. Auf diesem Boden hat sich die ausgeprägte und für ihn immer kennzeichnender werdende Schätzung des Persönlichen entwickelt. Fürsten, Staatsmänner, Unternehmer und Gelehrte seelisch richtig zu erfassen, empfand er als ein inneres Bedürfnis und notwendiges ErkenntnismitteL Das Verständnis der führenden Männer bot ihm den Schlüssel zum Verständnis der großen geschichtlichen Umbildungen in Staat und Volkswirtschaft. Spiethoff verdanken wir auch wesentliche Bemerkungen zur Bewertung des psychologischen Elements in Schrnollers Wirtschaftslehre. Aber von einer empirischen, wissenschaftlich vollendeten Psychologie, von einer ausreichend psychologischen Völker- und Klassenkunde können wir leider heute doch noch entfernt nicht reden. Und gerade sie müßten wir anstelle der wenigen zu Gemeinplätzen gewordenen psychologischen Wahrheiten, mit denen wir jetzt haushalten, besitzen, um besseren Boden in der Volkswirtschafts- und Staatslehre unter den Füßen zu haben. Jeder Forscher, der uns die Industrie eines Volkes, der uns nur die Arbeiter eines Fabrikzweiges vorführt, beginnt mit einer psychologischen Zeichnung; bei jedem allgemeinen Schluß über die Wirkung einer Institution, einer Veränderung von Angebot und Nachfrage auf die Entschließungen der Menschen handelt es sich darum, die psychologischen Zwischenglieder der Untersuchung richtig zu bestimmen. Aber die Frage ist immer, ob und inwieweit man diese psychischen Faktoren genau genug kenne, in ihrer unendlichen Kompliziertheit beherrsche, ob man ihr Zusammenwirken mit den entsprechenden natürlichen Ursachen überhaupt ganz verfolgen könne.

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Schmoller ging noch weiter: er skizzierte - seiner Zeit weit voraus - das Konzept einer "allgemeinen Wirtschaftspsychologie", ja einer Art "sozialökonomischer Verhaltensforschung": "Die allgemeinen psychologischen Elemente, welche das volkswirtschaftliche Leben beeinflussen und beherrschen, äußern sich teils in elementarer, direkter Weise, gleichsam als Ursachen erster Ordnung, wobei von einer psychischen Trieblehre und einer Theorie der sittlichen Charakterbildung auszugehen ist; dann aber als komplizierte Ergebnisse eines höheren Kulturlebens, als Sprache, Sitte, Recht, als Institutionen wirtschaftlicher und rechtlicher Art. Das ergibt ein Netz psychologischer Verursachung höherer Ordnung. Für ersteres kommt die individuelle und vergleichende Psychologie, für diese hauptsächlich die historische Untersuchung, die vergleichende Sitten- und Rechtsgeschichte in Betracht. Es bildet einen der größten Fortschritte der neueren Volkswirtschaftslehre, daß sie auf die Erkenntnis dieser geistigen Zwischenglieder zwischen Natur und Psyche einerseits und volkswirtschaftlichen und sozialen Erscheinungen andererseits den rechten Nachdruck gelegt hat, daß sie nicht mehr versucht, bloß aus Natur- und Größenverhältnissen und den rohesten psychologischen Axiomen, sondern vor allem aus der Geschichte der volkswirtschaftlichen Institutionen heraus zu argumentieren.

Gustav Schmoller und der Verein für Socialpolitik Von Gernot Gutmann Es ist mir eine große Ehre, Ihnen im Namen des Vorstands des Vereins für Socialpolitik die besten Grüße und Wünsche für diese Tagung überbringen zu dürfen. Der Verein für Socialpolitik hat mit großer Freude zur Kenntnis genommen, daß das Werk Gustav Schmollers, das leider auch in fachkundigen Kreisen allzu oft in Vergessenheit geraten ist, wieder verstärkt in die wissenschaftliche Auseinandersetzung über aktuelle Probleme mit einbezogen werden soll. Die Tatsache, daß zu diesem Zweck eigens eine viertägige Tagung hier in Heilbronn ins Leben gerufen worden ist, sowie die hervorragende internationale Besetzung dieser Tagung zeugen von der Bedeutung Gustav Schmollers für die Wirtschaftsund Sozialwissenschaften damals und heute. Ohne der kommenden Diskussion vorgreifen zu wollen, möchte ich doch an dieser Stelle kurz etwas über das Wirken Gustav Schmollers im und für den Verein für Socialpolitik sagen. Es besteht sicherlich kein Zweifel darüber, daß Schmoller zu Lebzeiten die Arbeit des Vereins von Anfang an entscheidend beeinflußt hat. Und ich denke, es gibt auch ausreichend Hinweise dafür, daß selbst sein heutiges Wirken teilweise auf die Ideen und Ansätze Schmollers zurückzuführen ist. Als der Verein für Socialpolitik im Jahre 1873 in Eisenach gegründet wurde, war das neugeschaffene Deutsche Reich schweren wirtschaftlichen und politischen Belastungen ausgesetzt. Die Industrialisierung Deutschlands hatte die gesellschaftspolitischen Verhältnisse völlig verändert, die wirtschaftliche und politische Lage der neuentstandenen Arbeiterklasse entwickelte sich für den Nationalstaat allmählich zu einem nahezu existentiellen Problem. Die junge Nationalökonomie jedoch war beherrscht von den Lehren des Manchesterliberalismus, der - basierend auf der naturgesetzliehen Harmonielehre - die Existenz einer sozialen Frage aus der Vorstellung eines unumschränkten Individualismus heraus negierte. 1 Im Laufe der sechziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts formierte sich erst langsam eine neue wirtschaftswissenschaftliche Richtung, deren Vertreter sich gegen die manchesterliehen Einseitigkeiten der liberalen Wirtschaftsgrundsätze wandten, ohne notwendigerweise die Grundgedanken des Liberalismus selbst abzulehnen. Obwohl diese Gegnerschaft zur Manchesterschule, die I Vgl. Albrecht, Gerhard: Verein für Socialpolitik, in: HdSW, Bd. II, Stuttgart u.a. 1961 , 10-16, hier: 10 f.

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im allgemeinen auch heute noch als Kathedersozialismus bezeichnet wird, keine eigene wissenschaftliche Schule begründete, da sie auf verschiedenen philosophischen Auffassungen, politischen Einstellungen und methodischen Vorgehensweisen basierte, war ihren Vertretern doch eines gemeinsam: die Problematisierung der sozialen bzw. Arbeiterfrage und die - allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß aufgestellte - Forderung nach sozialen Reformen sowie sozialpolitischen Interventionen des Staates, verbunden mit der Ansicht, daß dies die wichtigste aktuelle Aufgabe deutscher Politik sei. 2 Zu den führenden Kathedersozialisten wurde auch Gustav Schmoller gezählt. Kennzeichnend für seine Arbeit war eine historisch-ethische Auffassung vom ökonomischen Geschehen, die ihn zum Haupt der jüngeren Historischen Schule machte. 3 Obwohl selbst ehemals Vertreter der Manchesterschule, konstatierte er schon in frühen Jahren (1864) mit seinem sozialpolitischen Erstlingswerk über die Arbeiterfrage 4 die Notwendigkeit positiver Reformen zur Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft. s Schmoller wandte sich in seinen Arbeiten nicht gegen die Grundgedanken des Liberalismus selbst. Vielmehr wollte er den Begriff der "wirtschaftlichen Freiheit" von der Bedeutung egoistischer, willkürlicher Schrankenlosigkeit individuellen Handeins freimachen und mit der Verpflichtung des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft füllen. Seine sozialpolitischen Forderungen resultierten daher aus der Ansicht, daß der einzelne die Kraft, die er aus der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft gewinnt, durch soziale Pflichterfüllung wieder gut zu machen habe. 6 Sein Ziel war es, die Einsicht in die Notwendigkeit sozialer Reformen auch in liberalen Kreisen zu fördern, um letzten Endes das liberalistische Gedankengut fester zu untermauern. Denn genauso wie er sich gegen das sozialreaktionäre Manchestertum aussprach, richtete er sich gegen den immer stärker werdenden sozialrevolutionären Sozialismus und gegen sozialistische Experimente überhaupt.7 Aufgrund seiner Persönlichkeit und seiner vermittelnden Denkweise wurde Schmoller schnell zum Mittelpunkt sozialpolitisch interessierter Nationalökonomen. Bald entstand bei den Vertretern dieser neuen Richtung das Bedürfnis 2

Vgl. Born, Kar! Erich: Kathedersozialisten, in: HdWW, Bd. 4, Stuttgart u.a. 1978,

463-465, hier: 463.

3 Vgl. Simon, Helene: Schmoller als Lehrer, in: Die Zukunft, 22. Jg. ( 1913 I 14), Bd. 86, 122-125, hier: 124. 4 Schmoller, Gustav: Die Arbeiterfrage, in: Preußische Jahrbücher, Bd. XIV, 393424 u. 523-547, Bd. XV, 32-63, Berlin 1864/65. s Vgl. Wittrock, Gerhard: Die Kathedersozialisten bis zur Eisenacher Versammlung 1872, Historische Studien, Heft 350, Berlin 1939, 63 f. 6 Vgl. ebd., 75 f. 7 Vgl. Plessen, Marie-Louise: Die Wirksamkeit des Vereins für Socialpolitik von 1872-1890. Studien zum Katheder- und Staatssozialismus, Beiträge zur Geschichte der Sozialwissenschaften, Heft 3, Berlin 1975, 41.

Gustav Schmoller und