Gustav Freytag - Konstellationen des Realismus 9783110541779, 9783110539301, 9783110682854

The work portrays Gustav Freytag as a key figure in the establishment of literary realism post 1848, and comprehensively

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Gustav Freytag - Konstellationen des Realismus
 9783110541779, 9783110539301, 9783110682854

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Teil I: Einleitung
1. Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen Bürgerthums“: Zeitgenössische Bedeutung, Rezeptionsgeschichte und Forschung
2. Gegenstand und Vorgehen
Teil II: Das Lustspiel als bürgerliches Zeitdrama. Gustav Freytags Erfolgskomödie Die Journalisten (1852)
1. Das Lustspiel in der Gattungsdiskussion. Zur Theorie der Komödie um 1850
2. Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück. Rezeptionsgeschichtliche Perspektiven
3. „Die Meisterkomödie des bürgerlichen Liberalismus“. Die Journalisten als nachmärzliches Zeitdrama
4. Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus
Teil III: Die Poesie des Prosaischen. Das Feld des Romans und die Literaturpolitik der Grenzboten. Eine Positionsanalyse im Kontext von Soll und Haben
1. Einleitung und Überblick
2. Die Poesie des Prosaischen. Eine neue Position im ‚Raum des Möglichen‘
3. Die Grenzboten und die feldstrategische Platzierung von Soll und Haben
4. Die Poesie des Prosaischen in Soll und Haben
5. Der ‚Grenzboten-Streit‘ in feldtheoretischer Perspektive
Teil IV: Schluss
1. Zusammenfassung
2. Ausblicke
3. Die ‚Poesie des Prosaischen‘ und ein Ende – ‚Deutscher Mondschein‘
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Register
Dank

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Philipp Böttcher Gustav Freytag – Konstellationen des Realismus

Deutsche Literatur Studien und Quellen

Herausgegeben von Beate Kellner und Claudia Stockinger

Band 27

Philipp Böttcher

Gustav Freytag – Konstellationen des Realismus

ISBN 978-3-11-053930-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-054177-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-054027-7 ISSN 2198-932X Library of Congress Control Number: 2018935037 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Titelabbildung: Johann Wolfgang Goethe an Johann Gottfried Herder, wahrscheinlich zwischen Mitte Januar und Mitte Februar 1786. Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Teil I: Einleitung 1

Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen ­Bürgerthums“: Zeitgenössische Bedeutung, Rezeptionsgeschichte und Forschung 

2

Gegenstand und Vorgehen 

 3

 31

Teil II: Das Lustspiel als bürgerliches Zeitdrama. Gustav Freytags Erfolgskomödie Die Journalisten (1852) 1

Das Lustspiel in der Gattungsdiskussion. Zur Theorie der Komödie um 1850   45 1.1 Hinführung   45 1.2 Das realistische Lustspiel als Zeitdrama. Gattungsreflexionen der Jahrhundertmitte   50 1.3 Freytags Gattungsreflexion im Kontext der Journalisten  2 2.1

2.2 2.3

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1

 71

Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück. Rezeptionsgeschichtliche Perspektiven   83 ‚Ein ächt modernes und mustergiltiges Lustspiel‘. Zur Innovationsleistung der Journalisten aus Sicht der Zeitgenossen   83 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘. Zur Aufführungs-, Wirkungs- und Wertungsgeschichte   94 Effekte des Realidealismus. Die Journalisten zwischen Zeitgebundenheit und Überzeitlichkeit   115 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“. Die Journalisten als ­nachmärzliches Zeitdrama   129 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext   129 Die ‚Piepenbrink-Szene‘ II/2   129 Ein liberaler Standpunkt: Freytags Position zum Wahlrecht   142 Presse – Wahlmann – Öffentlichkeit. Zeitgetreue Darstellung und mittlere Referentialisierbarkeit   147 Eine Komödie mit ‚liberalem Strich‘?   154 Zur Ablehnung der Komödie an der Berliner Hofbühne 

 154

VI  3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4 3.4.1 3.4.2

 Inhaltsverzeichnis

Parteinahme und Sympathieverteilung im Drama: Figuren und Zeithintergrund   158 Die Unbestimmtheit des Parteienkonflikts   166 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘: Versöhnung, ­Harmonisierung und Verbürgerlichung   169 Konfliktgestaltung und Wirklichkeitszugriff im Kontext von Freytags Vormärz-Dramatik   169 ‚Harmonisierung‘ im Kontext von Programmatik und Rezeption   173 Fassungsvergleich: Die Bearbeitung des Bühnenmanuskripts als Konfliktentschärfung   176 Dimensionen der ‚Versöhnung‘   179 Die Journalisten als Drama der Verbürgerlichung   185 ‚Resignation‘. Zur historischen Semantik eines Epochen­begriffs im Kontext der Journalisten   190 Resignation als ‚Hurra‘. Bürgerlich-liberale Sinngebungen im Nachmärz   190 ‚Falsche Resignation‘ oder: die Rechte des Privaten. Nachmärzliche bürgerliche Handlungslogiken und die idealistische Grundierung privater Glücksansprüche   202

 207 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus  Ein Journalisten-Drama oder: „das klassische deutsche Pressestück“   207 4.2 Bolz   219 4.3 Die Komödie als Zeitbild des nachmärzlichen Journalismus   234 4.4 „Ich bin einer von den Namenlosen, die euch den Wind machen“ – Freytags journalistisches Selbstverständnis   248 4.5 Schmock   261 4 4.1

Teil III: Die Poesie des Prosaischen. Das Feld des Romans und die Literaturpolitik der Grenzboten. Eine Positionsanalyse im Kontext von Soll und Haben 1

Einleitung und Überblick 

2

Die Poesie des Prosaischen. Eine neue Position im ‚Raum des Möglichen‘   297 Die Poesie-Prosa-Differenz oder: der „Stand der legitimen Problematik“. Romantheoretische Voraussetzungen   297 Zur Bedeutung der Dorfgeschichte für die Poesie-Prosa-Debatte und den Grenzboten-Realismus   308

2.1 2.2

 287

Inhaltsverzeichnis 

2.3

 VII

Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer k ­ lassischen Ästhetik   323 2.3.1 Der ‚Fortschritt in der Poesie des neunzehnten Jahrhunderts‘: Zur Aufwertung des Romans bei Freytag   326 2.3.2 „Ein Unrecht gegen die Kunst“. Freytags Ästhetik des ‚ganzen Buchs‘ und der Beginn einer neuen ‚Volksliteratur‘   340 2.3.3 Zusammenfassung   352 2.4 Die Grenzboten-Position und Soll und Haben als „Lösung eines der Kunst wesentlich angehörigen Problems“   354 3

Die Grenzboten und die feldstrategische ­Platzierung von Soll und Haben   361

4

Die Poesie des Prosaischen in Soll und Haben 

5

Der ‚Grenzboten-Streit‘ in feldtheoretischer Perspektive 

Teil IV: Schluss 1 Zusammenfassung  2 Ausblicke  3

 447

 453

Die ‚Poesie des Prosaischen‘ und ein Ende – ‚Deutscher Mondschein‘   467

Literaturverzeichnis   475 1 Siglen   476 2 Quellen und Werke   479 2.1 Gustav Freytag   479 2.2 Julian Schmidt   482 2.3 Weitere Quellen und Werke  3 Forschungsliteratur   500 Abbildungsverzeichnis  Register  Dank 

 531  541

 529

 484

 391  423

Teil I: Einleitung

1 Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen ­Bürgerthums“: Zeitgenössische Bedeutung, Rezeptionsgeschichte und Forschung Als Thomas Mann im August 1949 anlässlich der Feiern zu Goethes 200. Geburtstag seine erste Nachkriegsreise nach Deutschland unternahm, bei der er – der Teilung des Landes trotzend – sowohl Frankfurt am Main als auch Weimar besuchte, machte er, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, auch in Gotha-Siebleben Station. Einen Tag, nachdem ihm in Weimar der Goethe-Nationalpreis verliehen wurde, wollte er dort auf der Rückfahrt nach Frankfurt dem Haus des 1895 verstorbenen Schriftstellers Gustav Freytag einen Besuch abstatten – ein darüber hinausgehendes Besuchsprogramm lehnte er ab.1 So kurios Thomas Manns Ansinnen aus heutiger Perspektive erscheint, so fast schon folgerichtig ergibt sich die Konstellation Gustav Freytag  – Thomas Mann aus dem ‚langen 19. Jahrhundert‘. Nicht nur gastierte Mann bei einem der erfolgreichsten und meistgelesenen ProsaDichter des 19. Jahrhunderts; hier machte die Verkörperung bürgerlicher Autorschaft im 20. Jahrhundert jenem bürgerlichen Musterschriftsteller die Aufwartung, der dem vorangegangenen Jahrhundert dafür galt. „Selbstbewußter sang […] vielleicht kein deutscher Dichter das Hohelied von dem Wert des Bürgers“, befand der Literaturwissenschaftler Oskar Walzel 1930 über Freytag.2 Hatte Thomas Mann in seinem ersten und bis heute bekanntesten Roman den ‚Verfall einer Kaufmannsfamilie‘ geschildert, so entwarf Freytag in seinem ersten und berühmtesten Prosa-Werk den Aufstieg des deutschen Bürgertums in Form einer „Verherrlichung“ des Kaufmannsberufs3 – wenig überraschend, dass sich in den Buddenbrooks intertextuelle Elemente und Darstellungsverfahren aus Soll und Haben wiederfinden lassen.4 Auch wenn es in Thomas

1 Vgl. Konrad Hüther: Wo Thomas Mann sein Auto anhalten ließ. Gustav Freytag zum 200. Geburtstag. In: Kultur-Report 2016, H. 2, S. 22  f.; ders.: Als Thomas Mann in Gotha den Dichter Gustav Freytag ehrte. In: Thüringer Allgemeine, 16. April 2011. http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/kultur/ detail/-/specific/Als-Thomas-Mann-in-Gotha-den-Dichter-Gustav-Freytag-ehrte-134983850 (zuletzt aufgerufen am 01. 12. 2016). – Thomas Mann selbst hat den Besuch in Gotha nicht in seinem Tagebuch vermerkt. 2 Oskar Walzel: Deutsche Dichtung von Gottsched bis zur Gegenwart. Bd. 2 (Handbuch der Literaturwissenschaft, hg. von dems.). Potsdam 1930, S. 146. 3 Vgl. Theodor Fontane: [Rez.] Soll und Haben. Ein Roman in drei Bänden von Gustav Freytag. In: Literatur-Blatt des Deutschen Kunstblattes 2 (1855), 26. Juli 1855 (Nr. 15), S. 59–63, hier S. 61  f. 4 Vgl. dazu genauer: Jürgen Barkhoff: „Eigentlich und bei Lichte besehen sei doch jeder Geschäftsmann ein Gauner“. Zur Intertextualität von Freytags „Soll und Haben“ und Thomas Manns „Buddenbrooks“. In: Florian Krobb (Hg.): 150 Jahre „Soll und Haben“. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005, S. 187–208; Hannelore Tute: „das Ideal eines modernen Soll und Haben erfüllt“. „Königliche“ Kaufleute in Romanen von Thomas Mann, Gustav Freytag und Ida Boy-Ed. In: Wirkendes Wort 64 (2014), H. 2, S. 179–202; Irmtraud Hnilica: Romantisierungsstrategien in Thomas https://doi.org/10.1515/9783110541779-001

4 

 1 Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen ­Bürgerthums“

Manns Schriften und Dokumenten lediglich zwei direkte Hinweise auf Gustav Freytag gibt  – bezeichnenderweise zu dessen Erfolgswerken Die Journalisten und Soll und Haben –,5 verweist die Anekdote von 1949 doch darauf, welcher Stellenwert Freytag von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis weit hinein ins vergangene Jahrhundert zugeschrieben wurde:6 So schien Conrad Alberti zum 70. Geburtstag Gustav Freytags eine Sache gewiss: „[D]er letzte Leser der Schriften Freytags wird auch der letzte Deutsche sein!“7 Nun ist, wie bereits Arno Schmidt im Steinernen Herzen (1956) halb würdigend, halb herabsetzend bemerkte, „seit Gustav Freytag einiges in der Dichtung geschehen“,8 und Albertis für heutige Ohren befremdlich klingende nationalkulturelle Kopplung hat sich als ebenso wenig zukunftsfest erwiesen wie der überwiegende Teil von Freytags Werk. Auf den ersten Blick scheint es, als sei vom Erfolgsschriftsteller des 19. Jahrhunderts 200 Jahre nach dessen Geburt neben einigen Schul- und Straßennamen v.  a. eine in der Forschung seit Jahrzehnten recht kontinuierlich geführte Diskussion über die antisemitischen sowie antislawischen Gehalte seines Romans Soll und Haben geblieben. Bis heute nicht nur in den schulischen und universitären Curricula präsent,9 hat sich darüber hinaus das ikonographisch gewordene gleichschenklige Dreieck gehalten (Abb. 1; GW I, 102), mit dem Freytag in seiner Technik des Dramas (1863) den „pyramidalen Bau“ (GW XIV, 102) der klassischen Tragödie veranschaulichte.

Manns „Buddenbrooks“ und Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Jens Ewen, Tim Lörke u. Regine Zeller (Hg.): Im Schatten des Lindenbaums. Thomas Mann und die Romantik. Würzburg 2016, S. 71–82. 5 Erstens: Im Brief an Ida Boy vom 28. Juni 1910 nennt Thomas Mann deren Werk Ein königlicher Kaufmann ein Buch, das „das Ideal eines modernen ‚Soll und Haben‘ erfüllt“ (vgl. Thomas Mann: Briefe an Otto Grautoff 1894–1901 und Ida Boy-Ed 1903–1928, hg. von Peter de Mendelssohn. München 1975, S. 170). – Zweitens: Am ersten Oktober 1920 verzeichnet sein Tagebuch einen Theaterbesuch mit Klaus und Erika Mann, im Residenztheater wurden Freytags Die Journalisten aufgeführt (vgl. Thomas Mann: Tagebücher. 1918–1921, hg. von Peter de Mendelssohn. München 1979, S. 468). 6 Ab hier finden sich einzelne Textbausteine aus diesem Kapitel im Dossier wieder, das ich zum 200. Geburtstag Gustav Freytags in der Zeitschrift für Germanistik veröffentlicht habe: Philipp Böttcher: „Der Herold des deutschen Bürgerthums“. Zum 200. Geburtstag Gustav Freytags (1816–1895). In: Zeitschrift für Germanistik NF 26 (2016), H. 3, S. 638–645. 7 Conrad Alberti: Gustav Freytag: Zur siebzigsten Wiederkehr seines Geburtstages (13. Juli 1816). In: Prager Tagblatt, 9. Juli 1886 (Nr. 188), S. 1–3, hier S. 3. 8 Arno Schmidt: Das steinerne Herz. Historischer Roman aus dem Jahre 1954. In: ders.: Das erzählerische Werk in 8 Bänden. Bd. 4. Zürich 1985, S. 102. 9 So verstehen Verlag und Herausgeber der derzeit einzigen im Buchhandel erhältlichen Ausgabe von Freytags Die Technik des Dramas das Werk ausdrücklich nicht als ein literarhistorisches Dokument, sondern als ein zeitlos gültiges Handbuch für das professionelle Schreiben von Dramen und Drehbüchern (vgl. Gustav Freytag: Die Technik des Dramas, hg. von Manfred Plinke. Berlin 2003). Schon Zeitgenossen wie bspw. Rudolf Gottschall oder Julius Leopold Klein empfanden die Schrift eher als eine Art ‚Handwerker-Kurs‘, was Klaus Jeziorkowski dazu veranlasste, von einem „Kochbuch für Dramatiker“ zu sprechen (Klaus Jeziorkowski: Nachwort. In: Gustav Freytag: Die Technik des Dramas, hg. von dems. Stuttgart 1983, S. 319–331, hier S. 329).

1 Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen ­Bürgerthums“ 

 5

Abb. 1: Die Technik des Dramas (1863)

Solch vereinzelt nachhaltiges Echo deutet darauf hin, welch kanonischer Autor Gustav Freytag einst gewesen ist. Dass Ingo und Ingraban mehreren Lesergenerationen einmal so selbstverständlich geläufig waren wie heute vielleicht nur Harry und Hermine, davon kann man sich am ehesten beim Besuch eines klassischen Antiquariats ein Bild machen. Fragt man danach, welchen Wert Freytags Werk und seine Person für die literaturwissenschaftliche Forschung heute noch haben können, gilt es zunächst, sich dieser Tatsache zu erinnern. Denn Freytags literaturgeschichtliche Relevanz ergibt sich nicht zuvorderst aus einer zeitüberdauernden ästhetischen Qualität seines Werks, sondern zum einen aus den Zusammenhängen, in denen dieses entstand und rezipiert wurde, zum anderen aufgrund jener Innovationsleistung, die seine Zeitgenossen darin erkannten sowie aufgrund der Bedeutung, die dem Werk und seinem Autor – zum Teil bis hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts – zugesprochen wurde. Welche Stellung der Schriftsteller, Journalist und Historiker zeitgenössisch innehatte, zeigt ein Blick zurück auf jene Phase, in der Freytags Popularität ihren Höhepunkt erreicht hatte: die Zeit um seinen 70. Geburtstag.10 Auf das am 13. Juli 1886 anstehende Jubiläum weist die Kölnische Zeitung bereits zwei Monate zuvor hin, „um die geeigneten Kreise zur Vorbereitung einer würdigen Feier zu veranlassen, welche dem deutschen Volke Gelegenheit gibt, dem Verfasser von Soll und Haben, der verlorenen Handschrift, der Ahnen sich dankbar zu erweisen“. An Gründen für ein großes Fest mangelt es der Zeitung zufolge nicht, handle es sich bei Freytag doch um einen Autor, der in jeder Hinsicht eine „der hervorragendsten Stellungen im deutschen Geistesleben“ einnehme.11 Eigentlich jedoch bedarf es dieser Begründung nicht, wie das Familienblatt Der Hausfreund feststellt, denn:

10 Vgl. dazu auch Anja Oesterhelt: Heimatkunde. Gustav Freytags „Ahnen“ und die pädagogische Konzeptualisierung von ‚Heimat‘ nach der deutschen Reichsgründung. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 207–232, hier S. 207  f. 11 N. N.: [Feuilleton] Kunst, Wissenschaft und Leben. In: Kölnische Zeitung, 14. Mai 1886 (Nr. 133). Erstes Blatt.

6 

 1 Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen ­Bürgerthums“

Die Bedeutung dieses Mannes als dramatischer Dichter, als Romanschriftsteller und Geschichtsschreiber kennt in Deutschland jeder gebildete Mensch.“12 Der Dichter sah sich gezwungen, zeitig zu intervenieren. Im Ton leutselig-jovialer, aber in der Argumentationsstruktur jenem Brief nicht unähnlich, den Gottfried Benn später anlässlich der geplanten Feierlichkeiten zu seinem 70. Geburtstag an die Akademie der Künste schicken sollte,13 bittet Freytag die Zeitung brieflich darum, von Würdigungen dieser und vergleichbarer Art abzusehen.14 Das vertrage sich nicht mit seinem dichterischen Selbstverständnis als „der bescheidene Hausfreund meines Volkes“ (BrHerz, 225).15 Die große Feier blieb dem Jubilar erspart, der 70. Geburtstag wurde von der Presse dennoch als nationales Ereignis begangen. „Gustav Freytag ist ohne Zweifel der Lieblingsdichter unseres Volkes“, rühmt etwa Adolph Kohut und ist sich sicher: „An seinem siebzigsten Geburtstage wird die ganze deutsche Nation, deren Zierde er ist, im Geiste pietätvoll theilnehmen. Denn […] wir haben niemand in der deutschen Literatur, den wir ihm an die Seite stellen könnten!“16 Dass des Schriftstellers an seinem Ehrentag „allerwärts in Dankbarkeit gedacht“ werde, versichert auch Ludwig Salomon, stehe doch „kein anderer Dichter der Gegenwart dem Herzen des deutschen Volkes so nahe wie Gustav Freytag“ und blicke man bekanntlich „mit herzlicher Theilnahme […] auf alles, was ihn betrifft“. Ehrfurchtsvoll resümiert der Gratulant die „große Zahl herrlicher Werke […], welche nun seine Nation zu den edelsten Schätzen ihrer Literatur zählt“ und sieht Freytag „in reichem Maße umgeben“ von dem, was dieser sich gegenüber der Kölnischen Zeitung anstelle eines Fests gewünscht hatte: „von der Liebe seines Volkes“.17 Folgt man dem Germanisten Wilhelm Scherer, erhält Freytag damit lediglich das zurück, was er ihm und seiner Generation zuvor geschenkt habe. Ähnlich wie Freytag, so der Berliner Ordinarius, habe nämlich nur noch Jacob Grimm ihn „mit einer solchen Liebe für unser Volk erfüllt“.18 Wie jener ist Freytag zur nationalen Denk-

12 N. N.: Gustav Freytag, der Siebziger. In: Der Hausfreund. Illustrirtes Familienblatt 29 (1886), Nr. 40, S. 537–538, hier S. 537. 13 Gottfried Benn: Sehr geehrter Herr Senatsrat! (1956). In: ders.: Prosa und Autobiographie in der Fassung der Erstdrucke. Mit einer Einführung hg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt a. M. 2006, S. 491– 493. 14 Gustav Freytag an die Kölnische Zeitung, 14. Mai 1886 [dort veröffentlicht am 20. Mai 1886]. In: ders.: Briefe an seine Gattin, von Hermance Strakosch-Freytag und Curt L. Walter-van der Bleek. [Mit einem Nachwort von Arthur Eloesser]. Berlin [1912], S. 49–52. 15 Vgl. ähnlich auch im Brief an die Zeitung: Gustav Freytag an die Kölnische Zeitung, S. 51. 16 Adolph Kohut: Gustav Freytag. Ein Gedenkblatt zu seinem 70. Geburtstage am 13. Juli 1886. In: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1886, Bd. 2, S. 497–508, hier S. 498, 508. 17 Ludwig Salomon: Zu Gustav Freytag’s siebzigstem Geburtstage. In: Illustrirte Zeitung, 10. Juli 1886 (Nr. 2245), Bd. 87, S. 30  f. 18 Wilhelm Scherer: An Gustav Freytag [Deutsche Zeitung, Nr. 5219, 13. Juli 1886]. In: ders.: Kleine Schriften. Bd. 2: Kleine Schriften zur neueren Litteratur, Kunst und Zeitgeschichte, hg. von Konrad Burdach u. Erich Schmidt. Berlin 1893, S. 36–39, hier S. 38 (im Original gesperrt).

1 Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen ­Bürgerthums“ 

 7

malsmasse geworden, sei er doch „längst in die Reihe derer eingerückt, die nicht mehr sich selbst, sondern ihrem Volke gehören und die daher unbequeme Festlichkeiten über sich ergehen lassen müssen“ – dienten solche Feierlichkeiten schließlich in erster Linie „einem öffentlichen Interesse“, gar „der Erziehung des Volkes“. Freytag habe daher kein Recht, sich die Feier seines Geburtstages – eine demnach geradezu nationale Angelegenheit  – zu verbitten.19 Dies ist die hohe Tonlage, die nahezu alle Glückwunsch-Artikel durchzieht.20 Auch das frühe Leseerlebnis Soll und Haben wirkt bei Scherer so eindrücklich nach, dass er die dritte Person bemühen muss, um Abstand dazu und zu sich selbst zu gewinnen – den Ton legt er dadurch allerdings dennoch nicht ab: „So hatte ihm Poesie noch nie ans Herz gegriffen; so lieb waren ihm noch niemals dichterische Gestalten geworden; er ermüdete nicht, das Buch immer von neuem zu lesen“. Entsprechend habe er sich als junger Gelehrter lange schwer damit getan, wenn man ihm sagte, „Goethe sei doch ein größerer Dichter als Freytag“.21 Der Vergleich mit Goethe findet sich in dieser Zeit häufiger,22 und glaubt man den Lebenserinnerungen des Grenzboten-Mitarbeiters Julius von Eckardt, konnte es vorkommen, dass Freytag sich auch habituell an diesem ein Beispiel nahm: Dann „saß er stundenlang so feierlich da, als ob er den Goethe seiner Zeit zu spielen vorhabe“.23 Auch Wilhelm Scherer beobachtete bei seiner ersten und vermutlich einzigen Begegnung mit Freytag Anfang April 1868 an diesem „die Formen und die Reserve eines Hofmannes, aber so daß man auf den ersten Blick sieht: sie sind blos angenommen“.24 Die Begeisterung des Gelehrten für das Jugendvorbild wich daher im direkten Kontakt einer gewissen Ernüchterung: „Freytag ist ganz anders als man sich ihn nach seinen Schriften vorstellt, er gewinnt nicht durch die persönliche Bekanntschaft, hat was trivial Docirendes wie ein süddeutscher Bierphilister oder […] Berliner Weißbierconsument“.25 Etwas weniger enttäuscht bestätigt ein anderer Zeitgenosse

19 Scherer: An Gustav Freytag, S. 36  f. 20 Vgl. etwa auch die Huldigung des Philologen Karl Weinhold: Gustav Freytag. In: Deutsche Dichtung 1 (1886), H. 1 (1. Oktober 1886), S. 29–31, hier S. 31 („Der Dichterlorbeer krönt sein Haupt und die Gelehrten der Zunft gönnen ihm liebende Achtung. Was aber höher gilt als das: von unserm ehrwürdigen Kaiser bis zu dem heranstrebenden Jüngling nennen die Deutschen, wenn sie ihrer Treuesten gedenken […], auch Gustav Freytag“) – oder den Artikel Josef Bayers, bei dem es über Freytag heißt: „ein Name […], den kein Deutscher heute ohne herzliche Bewegung ausspricht“ (Josef Bayer: Zur Technik der Dichtkunst. In: Deutsche Dichtung 1 (1886), H. 1 (1. Oktober 1886), S. 26–28, hier S. 28). 21 Scherer: An Gustav Freytag, S. 37. 22 Vgl. z.  B. Franz Hirsch: Zu Gustav Freytags siebzigstem Geburtstag. In: Schorers Familienblatt. Eine illustrirte Zeitschrift. Salon Ausgabe 1 (1886), H. 12, S. 714–718, hier S. 714. 23 Julius von Eckardt: Lebenserinnerungen. Bd. 1. Leipzig 1910, S. 66. 24 Wilhelm Scherer an Herman Grimm, 14. April 1868, zit. n. Hans-Harald Müller u. Mirko Nottscheid: Gustav Freytag und Wilhelm Scherer – Gelehrtenkultur zwischen Dichtung und Wissenschaft. In: Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig 2015, S. 39–57, hier S. 45. 25 Scherer an Herman Grimm, 14. April 1868, S. 45.

8 

 1 Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen ­Bürgerthums“

anlässlich eines Zusammentreffens im Jahr 1867, Freytag habe ihm nicht den Eindruck „eines Künstlers oder gar Dichters“ gemacht: „Wäre ich Gustav Freiytag [!] anderweitig begegnet, ohne zu wissen, wer er sei, ich hätte den Dichter für einen gewissenhaften, höheren Beamten gehalten.“26 Das Porträt, das Die Gartenlaube 1886 zusammen mit einem Gratulations-Artikel27 zu Freytags 70. Geburtstag abdruckt (Abb. 2),28 lässt die angeführten Zeugnisse durchaus anschaulich und nachvollziehbar werden – und weist zugleich über den anekdotischen Unterhaltungswert solcher Quellen hinaus. Denn jene seit Mitte des 19.  Jahrhunderts zeittypische Profilierung des bürgerlichen mittleren Helden als kunst- und poesiefähig einerseits sowie des Künstlers als mittlere bürgerliche Existenz andererseits – wie sie etwa Wilhelm Raabes Einer aus der Menge auf der einen und Eduard Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag auf der anderen Seite ins Werk setzen – repräsentiert Freytag offenbar auch physiognomisch. Ihm attestiert man in diesem Sinne, seine Zeit und besonders den „hervortretenden Mittelstand[]“ in Werk und Persönlichkeit einzigartig zu verkörpern29 – und in dieser Weise lässt sich der späte Freytag (im Unterschied zum frühen) auch abbilden, besonders augenfällig in den berühmten Radierungen Karl Stauffer-Berns.30 Theodor Fontanes Urteil, Freytags Soll und Haben sei „das beste, was ein Nicht-Genie, unter Berufung (nicht Nachahmung) großer Vorbilder zu leisten im Stande ist“,31 trifft sich somit durchaus mit dem schriftstellerischen Selbstentwurf und dem Signum einer Zeit, von der der Philosoph Carl Lemcke sagte, ihr „Genie“ sei „der gesunde Menschenverstand“.32 Zeitgenössisch wird Freytags Leistung entsprechend in erster Linie darin gesehen, das bürgerliche Leben

26 E. E. Lehmann: Persönliche Erinnerungen an Gustav Freytag. In: Neues Wiener Journal, 13. Juli 1916 (Nr. 8154), 24. Jahrgang. 27 C[onrad] Alberti: Gustav Freytag. In: Die Gartenlaube 1886, Nr. 29, S. 514. 28 Die Gartenlaube 1886, Nr. 29, S. 501. 29 Oswald Dammann: Gustav Freytag bei den Grenzboten. Zu seinem hundertsten Geburtstag am 13. Juli 1916. In: Die Grenzboten 75 (1916), Drittes Vierteljahr, S. 33–41, hier S. 34; vgl. ähnlich auch: Alfred Dove: Ein Bild aus der deutschen Gegenwart. In: Die Gartenlaube 1871, Nr. 25, S. 410–412, hier S. 411. – „Er war durch und durch Vertreter des soliden Bürgertums seiner Zeit und darum auch befähigt, wie kein anderer, den bürgerlichen Gesellschaftsroman zu schaffen“, heißt es bei Samuel Lublinski im Jahr 1900 (S[amuel] Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV: Blüte, Epigonentum und Wiedergeburt. Berlin 1900, S. 86). 30 Am frühen Freytag fällt die unter den Jungdeutschen beliebte Haar- und Barttracht (Spitzbart) sowie die fast obligatorische Napoleon-Pose auf. Der späte Freytag hingegen inszeniert bürgerliche Bescheidenheit bis hinein ins explizit Anti-Künstlerische. Vgl. hierzu neben den Abbildungen in dieser Studie die Bildsammlungen im Gustav-Freytag-Archiv Wangen (ohne Signatur) sowie im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar: GSA 19/423. 31 Theodor Fontane an Theodor Storm, 16. Juni 1855. In: Theodor Storm – Theodor Fontane. Briefwechsel. Kritische Ausgabe, hg. von Gabriele Radecke. Berlin 2011, S. 99  f. 32 Zit. n. Gerhard Plumpe: Einleitung. In: Edward McInnes u. ders. (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/Wien 1996, S. 7–83, hier S. 31.

1 Gustav Freytag – „Der Herold des deutschen ­Bürgerthums“ 

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Abb. 2: Gustav Freytag in Die Gartenlaube (1886)

seiner Gegenwart idealisiert und poesiefähig gemacht zu haben.33 Vor allem habe er jene mittlere Schicht poetisiert, deren „Leben in den ruhigen Bahnen des Alltags dahinfloß“. Erfolg und Attraktivität von Freytags Poesiekonzept bestehen demnach nicht unwesentlich darin, das bürgerliche Normalleben verklärt zu haben.34 Mit dem von Freytag gelieferten geschichtsphilosophischen Überbau wurden individuelle Selbstbeschränkung, ein geregeltes Anspruchsdenken im Privaten wie im Politischen sowie die regelmäßige Alltagstätigkeit überhöht zur Mitarbeit an einer Geschichte in bürgerlicher Absicht.35 Die Gartenlaube erklärt den Autor u.  a. deswegen zum „Herold des deutschen Bürgerthums“.36 33 Diese Leistung, die man ihm zuerkennt, stimmt mit dem Selbstverständnis des Autors überein: „So aber ist es meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß das wirkliche Leben meines Volkes den Adel der Poesie nicht verliert“, schreibt Freytag am 25. Juli an Ernst II. (BrHerz, 225). 34 Alfred Kleinberg: Gustav Freytag als Erzieher (Zum 100. Geburtstag am 13. Juli). In: Beilage zur Wiener Zeitung, 11. Juli 1916 (Nr. 156), S. 1–3, hier S. 2. 35 Kleinberg fasst Freytags Botschaft entsprechend zusammen: „Sieh, auch durch dein Tun rauscht der starke Strom der Welt. Der gleichmäßige Rhythmus deines Handelns ergibt eine urgewaltige Melodie, nicht aufregend allerdings und nicht bezaubernd, dafür aber lebenerhaltend und wahrhaft schöpferisch. Suche die Poesie nicht außerhalb deiner selbst, träume nicht und schwärme nicht, sondern schau in dich und bring zur Reife, was du als dein Wesentlichstes erkanntest. Dann hast du dein ‚Soll‘ im großen Schuldbuch der Natur getilgt und darfst deinem ‚Haben‘ vertrauen.“ (Kleinberg: Gustav Freytag als Erzieher, S. 3). 36 Alberti: Gustav Freytag. In: Die Gartenlaube 1886, S. 514. – Vgl. ähnlich auch die Reden vom „Dichter des Bürgertums“ oder „Dichter des dritten Standes“: Maximilian Harden: Gustav Freytag. In: Die Zukunft 12 (1895), 10. August 1895, S. 241–256, hier S. 254; Franz Hirsch: Geschichte der deutschen

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Als solcher ist Freytag spätestens 1886 als National- und Volksdichter kanonisiert. Sogar die österreichische Tageszeitung Die Presse spricht dem einst vehementen Propagandisten eines kleindeutsch-preußisch geführten Deutschlands den Status des „bedeutendsten lebenden Dichters“ zu und stellt ihn mit Goethe und Schiller in eine Reihe.37 ‚Der bescheidene Hausfreund‘ hat dieser Würdigung nicht widersprochen, traf sie sich doch mit seiner Selbsteinschätzung: „[U]nter den lebenden Künstlern unsres Volkes“, befindet Freytag am 11. April 1874 im Brief an Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha, „erkenne ich keinen über mir“ (BrHerz, 263). Dieser Feldposition gemäß wird Freytag sich mit Vollendung des 70. Lebensjahres und auf dem Höhepunkt seiner Popularität selbst historisch. 188638 erscheinen seine Erinnerungen aus meinem Leben als Einleitung der zweiundzwanzig Bände umfassenden Ausgabe seiner Gesammelten Werke.39 Wie für sein schriftstellerisches Selbstverständnis – und eben auch: seine schriftstellerische Selbstinszenierung – kennzeichnend, betont Freytag gleich in den ersten Sätzen, im Folgenden „keine farbenreiche Schilderung ungewöhnlicher Erlebnisse“ liefern zu wollen, sondern einen „einfache[n] Bericht“, der den Leser dadurch ansprechen soll, „daß, was hier erzählt wird, in der Hauptsache dem Leben und Bildungsgang von vielen Tausenden meiner Zeitgenossen sehr ähnlich sieht“ (GW I, 3). In Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Skepsis gegenüber dem genialischen Individuum entwirft sich der Verfasser eingangs nicht als Ausnahmemensch; vielmehr versteht sich der Dichter als Glied einer historisch sich entwickelnden Bürgergesellschaft, deren geschichtliche Stunde mit dem eigenen Leben zusammenfalle. Es überrascht wenig und entspricht daher der programmatischen Anlage des Textes, wenn auch die Erinnerungen des ‚bürgerlichen Hausfreunds‘ von der Kritik als künftiges ‚bürgerliches Hausbuch‘ aufgenommen werden, als ein Werk, das „fortan zu den Büchern“ zu zählen sei, „die im Hausschrein der deutschen Familie nicht fehlen dürfen“.40 Litteratur von ihren Anfängen bis auf die neueste Zeit. Dritter Band: Von Goethe bis zur Gegenwart. Leipzig [1883], S. 711; Alberti: Gustav Freytag: Zur siebzigsten Wiederkehr seines Geburtstages. 37 N. N.: Gustav Freytag’s Selbstbiographie. In: Die Presse, 26. Oktober 1886 (No. 297), 39. Jahrgang, S. 1–2, 30. Oktober 1886 (No. 301), S. 1–2, hier No. 297, S. 1. 38 Der Band ist zwar auf 1887 datiert, wie die zeitgenössischen Rezensionen belegen, lag das Buch aber bereits im Oktober 1886 vor. 39 Gustav Freytag: Gesammelte Werke. 22 Bde. Leipzig 1886–1888; im Folgenden zitiert unter Verwendung der Sigle ‚GW‘. – In der Zeit der Weimarer Republik entstanden neben verschiedenen Auswahlbänden zwei weitere (unvollständige) Werkausgaben: Gustav Freytag: Gesammelte Werke. Neue wohlfeile Ausgabe, zwei Serien à acht Bänden. Leipzig/Berlin [1920–1923]; Gustav Freytags Werke. Eingeleitet von Johannes Lemcke und Hans Schimank. 24 in 12 Bänden. Hamburg [1927–1928]. – Diese Werkausgaben sind für die Freytag-Rezeption interessant, zum einen im Hinblick auf die Frage, welche von Freytags Texten noch als lesenswert erachtet wurden und wie sie gelesen wurden (vgl. die Einführungstexte bei Lemcke/Schimank), zum anderen weil sie zeigen, welche Rezeptionserfolge Freytag gerade in der Weimarer Republik noch einfahren konnte (siehe dazu auch die Anmerkungen unten). 40 Gotthilf Weisstein: Gustav Freytags Lebenserinnerungen. In: Deutsches Montags-Blatt, 8. November 1886 (Nr. 45), 10. Jahrgang, S. 4–5, hier S. 5.

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Wer sich als Germanistin oder Germanist im 21. Jahrhundert mit Gustav Freytag auseinandersetzt, muss sich erst eine genuine Fremdheit gegenüber dem eigenen Kanon sowie eine gewisse Sensibilität für oft wechselvolle Kanonisierungsgeschichten aneignen, um solche Zitate nicht als selektive Ansammlung gewogener Übertreibungen abzutun und Freytags Kanonizität im langen 19. Jahrhundert anzuerkennen – nicht jedoch, um diese Wertungen zu bestätigen, geschweige denn zu reaktualisieren, sondern um sie zu historisieren. Was hier für den 70. Geburtstag mit einigen Beispielen ausschnitthaft ausgeführt wurde, ließe sich etwa mittels einer Presseschau zum 100. Geburtstag Freytags 1916 vergleichbar darstellen41 – ebenso natürlich für die Nekrologe auf den Dichter. Als der bereits kranke Freytag mit einer schließlich zu seinem Tod führenden Lungenentzündung darniederliegt, nimmt sogar die Londoner Times besorgt Anteil („Gustav Freytag, the celebrated author, is lying ill at Wiesbaden“42) und würdigt ihn später in einem Nachruf.43 So wie Freytags Geburtstag in den zeitgenössischen Zeitungen und Zeitschriften zum Jubeltag des ganzen Volkes ausgerufen wird, erklärt man dort den Satz, dass „[d]ie deutsche Literatur […] in ihm einen ihrer bedeutendsten Vertreter verloren“ habe, „zu einem von Tausenden mitempfundenen Schmerzensschrei“.44 Dass diese Totenklage keine Ausnahme darstellt, zeigt u.  a. ebenso der Nachruf des Schriftstellers und führenden Wiener Kritikers Ludwig Speidel, in dem es am 5. Mai 1895 vergleichbar heißt: „Der Hingang Gustav Freytags wird allerwärts, wo deutsche Sprache, deutsche Dichtung und treues Festhalten am eigenen Volke noch in Ehren steht, wie ein persönlicher Verlust empfunden werden.“45 Und in seiner Rede auf den Verstorbenen versichert der Philologe Erich Schmidt, nicht „augenblicklich […] blenden“ oder wohlfeil Applaus erscheischen zu wollen, wenn er feststelle, Freytag sei „allen Kreisen vertraut, Hoch und Niedrig, Alt und Jung, Männern und Frauen, Zünftigen und Unzünftigen, auch den Deutschen über dem Weltmeer drüben“.46 41 So erklären die Wiener Bilder Freytag noch 1916 zu einem der „populärsten“ und „größten“ deutschen Dichter, der eine Vielzahl „unsterblich[er]“ Werke geschaffen habe: N. N.: Gustav Freytags 100. Geburtstag. In: Wiener Bilder. Illustriertes Familienblatt 21, 9. Juli 1916 (Nr. 28), S. 12–13, hier S. 12, 13. – Vgl. beispielhaft auch weitere Jubiläumsartikel: Anselma Heine: Gustav Freytag. Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 13. Juli. In: Mährisches Tagblatt, 38. Jahrgang, 12. Juli 1916 (Nr. 156), S. 2–4; Edgar Steiger: Der Dichter des deutschen Bürgertums. Zu Gustav Freytags 100. Geburtstag (13. Juli). In: Deutsches Volksblatt, 28. Jahrgang, 13. Juli 1916, (Nr. 9888), S. 4–5; Kleinberg: Gustav Freytag als Erzieher; Steinkogler, ???: Gustav Freytag. Zu seinem hundertsten Geburtstage am 13. Juli 1816. In: Beilage der Linzer Tages-Post, 15. Juli 1916 (Nr. 169), S. 15–16; Karl Busse: Gustav Freytag zu seinem hundertsten Geburtstag. In: Neue Freie Presse, 14. Juli 1916 (Nr. 18640) [die Neue Freie Presse widmete dem 100. Geburtstag von Gustav Freytag gleich drei lange Jubiläumsaufsätze]. 42 The Times (London), 30. April 1895, S. 10. 43 N. N.: Obituary. Gustav Freytag. In: The Times (London), 1. Mai 1895, S. 10. 44 N. N.: Tagespost. In: Bukowiner Post, 5. Mai 1895 (Nr. 225). 45 Ludwig Speidel: Gustav Freytag [Nachruf vom 5. Mai 1895]. In: ders.: Ludwig Speidels Schriften. Bd. 1: Persönlichkeiten. Biographisch-literarische Essays. Berlin 1910, S. 337–349, hier S. 337. 46 Erich Schmidt: Dem Andenken Gustav Freytag’s. In: Deutsche Rundschau, Bd. 83 (April–Juni

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Der von der Philologie derart geschätzte und bereits zu Lebzeiten vielfach (sogar monographisch)47 zum Gegenstand von Publizistik und Wissenschaft gewordene Autor, dessen Werke auch für die Intellektuellen-Generationen nach Wilhelm Scherer (etwa die eines Max Weber, Theodor Heuss oder Hermann Uhde-Bernays) zur selbstverständlichen Lektüresozialisation gehörten,48 weckte mit seinem Tod erst recht die Begehrlichkeiten einer sich etablierenden germanistischen Literaturwissenschaft. Wenngleich Freytag – als gelernter Philologe gleichsam von Berufs wegen mit einem ausgeprägten Nachlassbewusstsein ausgestattet – der Nachlassverwertung gegenüber kritisch bis gar vehement verhindernd eingenommen war,49 streckte die Literaturwis1895), S. 453–464 [Rede zur Gedächtnisfeier des Vereins Berliner Presse am 19. Mai 1895 im Rathaus Berlin], hier S. 454. 47 So z.  B.: Constantin Rössler: Gustav Freytag und die deutsche Dichtung der Gegenwart. Berlin 1860; Conrad Alberti: Gustav Freytag. Sein Leben und Schaffen. Leipzig 1885; ders.: Gustav Freytag (geb. den 13. Juli 1816). Ein Festblatt zur Feier seines siebzigsten Geburtstages. Leipzig 1886. – Daneben entstanden einige halbmonographische Lebensbilder und Broschüren wie z.  B.: Lic. Weber: Gustav Freytag, ein sozialer und kulturhistorischer Dichter. Vortrag. Leipzig 1893; Edwin Lepp: Die deutsche Art und der protestantische Geist in Freytags Werken. Pforzheim 1895. – Für die zahlreichen unselbständigen Veröffentlichungen zu Freytag siehe u.  a. das Literaturverzeichnis sowie die vielen Verweise vor allem in Kap. II. – Drei Jahre nach Freytags Tod lieferte Seiler eine Biographie des Autors (Friedrich Seiler: Gustav Freytag. Mit 28 Abbildungen. Leipzig 1898) und 1907, als die literaturwissenschaftliche Erforschung des Autors bereits in vollem Gange war, erschien die erste im engeren Sinne wissenschaftliche Gesamtmonographie. Diese Studie Lindaus ist für die Forschung bis heute wertvoll (Hans Lindau: Gustav Freytag. Leipzig 1907). 48 Vgl. beispielhaft: Jürgen Kaube: Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen. Berlin 2014, S. 29; Peter Merseburger: Theodor Heuss. Der Bürger als Präsident. Biographie. München 2012, S. 34.  – Uhde-Bernays berichtet etwa von einem regelrechten „Freytag-Enthusiasmus“ während seiner Gymnasialzeit (Hermann Uhde-Bernays: Mittler und Meister. Aufsätze und Studien. München 1948, S. 34). 49 Gustav Freytag versuchte eine Verwertung seines schriftlichen Nachlasses zu verhindern und ordnete dafür u.  a. die Rückgabe und Vernichtung erhaltener Briefe an, vgl. dazu das Testament („Mein letzter Wille“, hier §13 und §14) des Autors sowie weitere entsprechende Dokumente im Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 19/415, 1 u. 2, außerdem weiterführend GSA 19/416 u. 19/421. In der Folge entbrannte um diesen Nachlass ein mehrjähriger Erbschaftsstreit zwischen Freytags Sohn aus zweiter Ehe (mit Marie Kunigunde Dietrich) Gustav Willibald und seiner dritten Ehefrau Anna Strakosch, in dessen Zuge per Rechtsgutachten bestätigt wurde, „dass es die grösste Sorge des Erblassers war, die Verwertung seines schriftlichen Nachlasses zu verhindern“ (GSA 19/415, 2, Blatt 102). Als Quelle dafür diente neben dem Testament ein Brief Freytags, in dem er den Wunsch äußert, dass bei seinem Nachlass „Missbrauch durch Druck usw. zu hindern“ sei (GSA 19/421). – Dass Freytag der Nachlassverwertung grundsätzlich ablehnend gegenüberstand, belegt auch eine Episode, die er selbst überliefert hat: In seinen Erinnerungen berichtet Freytag, wie ihm einst von dessen Sohn angetragen wurde, den Nachlass des Schriftstellers Adolf Müllner („einige Kisten mit Briefen und Handschriften, den ganzen literarischen Nachlaß“) herauszugeben – Freytag lehnte ab: „Denn ich empfand schon damals starke Mißachtung gegen die gesamte Schnitzelliteratur, selbst wenn sie den Papierkorb größerer Männer ausräumt, als Adolf Müllner zu seiner Zeit gewesen war“ (GW I, 22). – Der Philologe Erich Schmidt wird diesen Aspekt in seinem Nachruf besonders hervorheben: „Er war ein Feind aller Schnitzel­ literatur“, heißt es da (Schmidt: Dem Andenken Gustav Freytag’s, S. 456). Diese Fixierung Freytags auf Einheit, Abgeschlossenheit und Ganzheit geht einher mit einer medienkritischen Ablehnung der

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senschaft bereits ein Jahr nach dem Tod des Autors die Fühler nach dessen ‚Überresten‘ aus. So forderte der Literarhistoriker und Philologe Alfred Schöne anlässlich der Einweihung des Weimarer Goethe- und Schiller-Archivs in der Deutschen Rundschau, dass das frisch errichtete Institut sich möglichst rasch um Freytags Nachlass bemühen möge.50 Schönes Forderung verdeutlicht Freytags Stellenwert noch ‚um 1900‘, als der Autor sogar einmal (1901) mit mindestens einer Stimme für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen wurde.51 In welcher Weise er in dieser Zeit überhöht, idealisiert und zudem als Person mit seinem Werk gleichgesetzt wurde, ja wie außerdem schriftstellerisches Selbstverständnis und zeitgenössische Zuschreibung konform gingen, illustriert beispielhaft das Gedenkblatt, das Die Gartenlaube zum Tod des Dichters veröffentlicht (Abb. 3)52. Großformatig (doppelseitig) angelegt, zeigt es den Schriftsteller, verweist auf sein Leben (das Haus bei Gotha, oben links im Bild), auf seine Arbeit (symbolisiert durch die Theatermaske und Harfe/Leier als Attribute des Dichtens) und wird darüber hinaus dominiert von Figuren aus seinem Werk – v.  a. von jenen aus seinem Romanzyklus Die Ahnen (1872–1880; rechts im Bild); aber auch Gestalten aus Soll und Haben (1855), Die verlorene Handschrift (1864) und den Bildern aus der deutschen Vergangenheit (1859–1867) werden in der Zeichnungsmitte abgebildet und dem Leser in Erinnerung gerufen.53 periodischen Publikation literarischer Texte (s. Kap. III. 2.3.2). – Die Verwertung seines brieflichen Nachlasses konnte Freytag übrigens nicht verhindern. Bereits bald nach seinem Tod erschienen mehrere Briefausgaben: Gustav Freytag und Heinrich von Treitschke im Briefwechsel, hg. von Alfred Dove. Leipzig 1900; Gustav Freytag an Salomon Hirzel und die Seinen, hg. von Alfred Dove. Leipzig 1902; Gustav Freytag und Herzog Ernst von Coburg im Briefwechsel. 1853 bis 1893, hg. von Eduard Tempeltey. Leipzig 1904 (Sigle: BrHerz); ders.: Briefe an seine Gattin [1912]; Gustav Freytags Briefe an Albrecht von Stosch, hg. und erläutert von Hans F. Helmolt. Stuttgart 1913. – Hinweise auf die früh in unselbständigen Schriften veröffentlichten Briefe Freytags finden sich an den jeweiligen Stellen in den Hauptkapiteln dieser Studie und im Literaturverzeichnis. – Die Auflistung Gebhardts über den Briefbestand der Berliner Staatsbibliothek von 1959 gibt einen Überblick über die noch unveröffentlichten Briefe. Die Liste ist bei weitem nicht vollständig, da der Nachlass des Autors gestreut über zahlreiche Archive und Institutionen liegt: Walther Gebhardt: Die Briefsammlung Gustav Freytags. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 4 (1959), S. 152–175. 50 Vgl. Alfred Schöne: Die Einweihung des Goethe-Schiller-Archivs zu Weimar am 28. Juni 1896. In: Deutsche Rundschau 88 (1896), S. 295–301, hier S. 298. 51 Vgl. N. N.: Ein Brief von Gustav Freytag. In: Berliner Tageblatt, 14. Dezember 1901, Abendausgabe, S. 2. – Der Brief befindet sich im Goethe- und Schiller-Archiv GSA 19/420,4. 52 Ein Gedenkblatt für Gustav Freytag. Für die „Gartenlaube“ gezeichnet von A[lexander] Zick. In: Die Gartenlaube 1895, Nr. 20, S. 328  f. – Für die professionelle Bearbeitung des Bildes danke ich Michael Huick herzlich. – Vgl. zur Abbildung im Folgenden ähnlich Philipp Böttcher u. Claudia Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus. Gustav Freytags Zeitdrama „Die Journalisten“ und die Geschichte seiner Kanonisierung. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 151–190, hier S. 151  f. 53 Vgl. dazu auch die Bildbeschreibung in dem begleitenden Nachruf Rudolf Gottschalls: „Fern im

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Abb. 3: Gedenkblatt für Gustav Freytag. In: Die Gartenlaube (1895)

Das Gedenkblatt ist geprägt von feierlichem Ernst und gravitätischer Überhöhung. Mit getragener Miene blickt dem Betrachter nicht nur das Konterfei des verstorbenen Dichters entgegen; bang und bedenklich sowie von Leid gezeichnet sind auch die Gesichter insbesondere der Figuren aus Freytags Ahnen, die den Hauptzug des Blattes ausmachen. Die Prozession versinnbildlicht die deutsche Nationalgeschichte als einen von Anstrengungen geprägten Entwicklungsprozess ‚der Ahnen‘, wie dieser vom Autor – so die Logik des Bildes – in seinen Werken beschrieben wurde. Hierfür steht allen voran das Kind mit dem Tränenkrug im Bildvordergrund: eine Sagengestalt, mit der Freytag in den Bildern aus der deutschen Vergangenheit die persönlichen Verluste eines jeden Einzelnen ‚volksromantisierend‘ verklärt (vgl. GW XVII, 91  f.). Sie findet sich ebenso in einer Zeichnung, mit der Schorers Familienblatt dem Autor zum

Hintergrund zeigt das Bild Ingo und Irmgard sterbend in der brennenden Burghallte und die mit dem Kinde flüchtende Magd. Nun wallen von dort heran zu Roß und zu Fuß Ingraban und der junge Mönch Gottfried, Ivo, der Kreuzfahrer des Geschlechts und „Bruder vom Deutschen Haus“, der Friderun an sich zieht – Georg König als Landsknecht mit seiner Anna und ihrem Vater, dem Magister Fabricius. Vorn im Zug schmiegt sich die treue Pastorstochter an den geliebten Ernst König, dem Freiwilligen, von welchem abseits sein Rival und Gegner Oberst Dessalle steht. Gestalten aus den modernen Romanen gesellen sich dazu. Da kommt Anton Wohlfahrt [!] und Leonore [!] aus ‚Soll und Haben‘, das verschmitzte Gesicht von Veitel Itzig wird hinter ihnen sichtbar, und sogar einer der epischen Charakterhunde aus der ‚Verlorenen Handschrift‘ stellt sich sein“ (Rudolf von Gottschall: Gustav Freytag. In: Die Gartenlaube 1895, Nr. 20, S. 330–334, hier S. 334).

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70. Geburtstag gratuliert – wie sich die Art und Weise der Darstellung sowie die Würdigung in den Begleittexten überhaupt auffallend ähneln54 (Abb. 4)55. Die Pointe, die beide Abbildungen illustrieren und die in den dazugehörigen Artikeln Rudolf Gottschalls und Franz Hirschs zugleich explizit benannt wird, lautet, dass Freytags Figuren allesamt lebendig sind bzw. weiterleben werden – wodurch auch dem Autor Unsterblichkeit garantiert sei. Zwar trifft dies für einige Werke (wie z.  B. die von keiner der beiden Zeichnungen aufgerufenen Fabier [1859] oder Freytags Vormärz-Dramatik) im Grunde schon Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu, alle von Freytag im Verlag von Salomon Hirzel erschienenen Werk brachten es bis zum Ende der Schutzfrist 1925 aber zusammengenommen auf eine Gesamtauflage von 2.528.400 Exemplaren.56 Vor diesem Hintergrund erkennt selbst der Freytag gegenüber äußerst kritische eingestellte Franz Mehring in seinem Nachruf dessen Bedeutung als „klassische[r] Dichter“ und „repräsentative[r] Mann“ des deutschen Bürgertums an und hebt Soll und Haben als den „gelesenste[n] aller deutschen Romane“ hervor.57 Damit sollte der marxistische Publizist und Politiker sich nicht nur mit Rudolf Borchardt treffen, der Soll und Haben einige Jahre später (1902 bzw. 1907) ein „unendlich gelesenes Buch von kaum zu erschütternder Geltung“ nannte;58 beide sollten auch weit über die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinaus richtigliegen. Denn das Buch, das davor bereits zu den meistverkauften und am häufigsten ausgeliehenen Romanen gehörte, konnte seine Popularität nach der Jahrhundertwende sogar noch 54 In dieser Reihe ist etwa auch die prominent platzierte und in der Darstellung auffällig ähnliche Titelillustration in der von Karl Emil Franzos herausgegebenen Zeitschrift Deutsche Dichtung zu sehen: Gustav Freytag. Nach einer Photographie. In: Deutsche Dichtung 1 (1886), H. 1 (1. Oktober 1886). 55 Schorers Familienblatt. Eine illustrirte Zeitschrift. Salon Ausgabe 1 (1886), H. 12, S. 715. – In seiner begleitenden Würdigung schreibt der Literaturhistoriker Franz Hirsch über das Bild: „Da sind sie alle, von den Gestalten der grauen Vorzeit bis auf die Vertreter modernsten Lebens. Da steht neben dem fröhlichen Immo die liebliche Hildegard und reicht dem Dichter den Lorbeerkranz. Die Gestalten des großartigen Werkes, das der Dichter geschaffen hat, drängen sich ihm freudig entgegen. Da ist der lustige Fink, der ehrliche Anton, ja selbst Schmeie Tinkeles vergißt sein ‚Geschäft‘ und die sanfte Sabine widmet dem Poeten liebliche Blumen. Einen herzhaften Schluck trinkt der derbbiedere Piepenbrink, zu welchem die reizende Ilse aus der verlorenen Handschrift ein anmutiges Gegenstück bildet, dem Dichter der Journalisten zu. Auch Mutter und Kind mit Thränenkrüglein fehlen nicht; hat doch die rührende Sage aus der dämmernden Vorzeit unseres Volkes auch für das Leben Gustav Freytags tief schmerzliche Bedeutung gewonnen“ (Hirsch: Zu Gustav Freytags siebzigstem Geburtstag, S. 714). 56 Vgl. dazu genauer: Helmut Preuß: Volk und Nation im Werk Gustav Freytags. Phil. Diss. Frankfurt a. M. 1950, Anlage, S. 1–3. 57 Franz Mehring: Gustav Freytag. 1. Mai 1895 (ursprünglich erschienen in: Die Neue Zeit 13 (1894/95), Bd. 2, S. 161–164). In: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Thomas Höhle, Hans Koch u. Josef Schleifstein. Bd. 11: Aufsätze zur deutschen Literatur von Hebbel bis Schweichel. Berlin 1961, S. 63–68, hier S. 63, 66, 63. – Die Forschungsliteratur hat dieses Urteil später übernommen, so Eda Sagarra 1972: „‚Soll und Haben‘ war vermutlich der meistgelesene Roman des Jahrhunderts“ (Eda Sagarra: Tradition und Revolution. Deutsche Literatur und Gesellschaft 1830 bis 1890. München 1972, S. 285). 58 Rudolf Borchardt: Rede über Hofmannsthal. In: ders.: Reden, hg. von Marie Luise Borchardt unter Mitarbeit von R. A. Schröder u. S. Rizzi. Stuttgart 1955, S. 45–103, hier S. 53.

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Abb. 4: „Gustav Freytags poetische Gestalten huldigen dem Dichter zu seinem siebzigsten Geburtstag. Originalzeichnung von Fritz Gehrke“ (1886)

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steigern: In den 40 Jahren von der Erstveröffentlichung bis zum Tod des Autors in 43 Auflagen von insgesamt ca. 130.000 Exemplaren erschienen, erreichte es bis zum Ablauf der Schutzfrist im Jahr 1925 als Einzelausgabe ganze 128 Auflagen mit einem Gesamtumfang von 480.000. Zwischen 1950 und 1965 wurden über 400.000 weitere Exemplare des Textes gedruckt.59 In der Folge verlor das Buch zwar seine Bedeutung als kanonischer Bildungsroman sowie Lieblingslektüre des deutschen Bürgertums und avancierte stattdessen aufgrund seiner antisemitischen60 und polonophoben61 Dimension zu einem der umstrittensten sowie womöglich am meisten erforschten Texte der neueren deutschen Literaturgeschichte. Mitte der 1970er Jahre setzte die ideologiegeschichtliche Beschäftigung mit Freytags Bestseller ein62 und fand ihren größten medialen Widerhall 1977 in der Debatte um die von Rainer Werner Fassbinder geplante Verfilmung Soll und Habens.63 Initi-

59 Vgl. zu den Auflagenzahlen genauer: T. E. Carter: Freytag’s „Soll und Haben“. A Liberal National Manifesto as a Best-Seller. In: German Life and Letters 21 (1967/68), S. 320–329; [Gustav Willibald Freytag]: Gustav-Freytag-Chronik. Auflagenziffern der Werke. In: GFB 5 (März 1958), H. 1 (Nr. 8. der Reihe), S. 29–32; Michael Kienzle: Der deutsche Erfolgsroman. Zur Kritik seiner poetischen Ökonomie bei Gustav Freytag und Eugenie Marlitt. Stuttgart 1975, S. 46–48. 60 Den umfassendsten Beitrag zur Forschung und über die Forschung bietet: Christine Achinger: Gespaltene Moderne. Gustav Freytags „Soll und Haben“. Nation, Geschlecht und Judenbild. Würzburg 2007. – Vgl. als Überblick auch Ulrich Wyrwa: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘. In: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, hg. von Wolfgang Benz. Bd. 2/1: Personen: A–K. Berlin/New York 2008, S. 253–255. – Vgl. für eine ausführliche Diskussion der früheren Forschungen zu diesem Thema: Matthias Richter: Die Sprache jüdischer Figuren in der deutschen Literatur (1750– 1933). Studien zur Form und Funktion. Göttingen 1995, S. 187–200. 61 Eine Monographie zu Freytags Polenbild, die keinen Aspekt unberücksichtigt lässt, bietet die umfangreiche und quellengesättigte Studie von: Izabela Surynt: Das „ferne“, „unheimliche“ Land. Gustav Freytags Polen. Dresden 2004. Surynt stellt die bisherigen Forschungen zu diesem Thema zudem in einem ausführlichen Überblick vor. – Vgl. im Kontext von Soll und Haben auch die grundlegenden Beiträge von: Ludwig Stockinger: Polen als „grüne Stelle“? Ästhetische und politische Implikationen des Polenbildes bei Gustav Freytag. In: Convivium 2001, S. 99–127; Hendrik Feindt: Dreißig, sechsundvierzig, achtundvierzig, dreiundsechzig. Polnische Aufstände in drei Romanen von Freytag, Raabe und Schweichel. In: ders. (Hg.): Studien zur Kulturgeschichte des deutschen Polenbildes 1848–1933. Wiesbaden 1995, S. 15–40; Kristin Kopp: Germany’s Wild East. Constructing Poland as Colonial Space. Ann Arbor, Mich. 2012, S. 29  ff. et passim. 62 Vor allem zu nennen sind hier: Kienzle: Der deutsche Erfolgsroman; Peter Heinz Hubrich: Gustav Freytags „Deutsche Ideologie“ in „Soll und Haben“. Kronberg i. Ts. 1974 (phil. Diss. Konstanz); Claus Richter: Leiden an der Gesellschaft. Vom literarischen Liberalismus zum poetischen Realismus. Königstein Ts. 1978. 63 Zusammen mit einer Neuausgabe Soll und Habens, zu der Hans Mayer das Nachwort beisteuerte, stellte der Hanser-Verlag 1977 einen Reader zusammen, der alle Beiträge zur Debatte enthält. Mehrere Exemplare des Readers finden sich im Gustav-Freytag-Museum und -Archiv in Wangen im Allgäu. – Eine Chronologie der Debatte mit Hinweisen auf die wichtigsten Texte gibt: Herbert Knopp: Vom schwierigen Umgang mit Geschichte. „Soll und Haben“ in Fassbinders Verfilmung. Chronologie eines verhinderten Projekts. In: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen 24 (2016), H. 2, S. 49–70.

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iert durch einen skandalisierenden Artikel Hans Mayers64 über das bereits in fortgeschrittenen Planungen befindliche Projekt, entzündete sich eine Diskussion, an deren Ende der WDR von dem Vorhaben Abstand nahm, obwohl der durch die Kritik an Der Müll, die Stadt und der Tod (1975) unter Antisemitismus-Verdacht stehende Fassbinder plausibel darlegte, den Text filmisch entlarven zu wollen65 – die umfangreichen und erhellenden Einblicke, die der damals federführend beteiligte Drehbuchautor Herbert Knopp jüngst in die damaligen Planungen, Entwürfe und Diskussionen gab, bestätigen Fassbinders Aussagen.66 Auch wenn ab den 1980er Jahren vermehrt die spezifische poetische Faktur Soll und Habens in den Blick der literaturwissenschaftlichen Forschung rückte67 und auch sozialgeschichtlich orientierte Studien sich des Romans annahmen,68 ja obgleich die Geschichtswissenschaft früh eine umfassende und grundlegende Monographie zum

Vgl. dazu auch: ders.: Salomon Itzig. Aus dem Drehbuch zur „Soll und Haben“-Verfilmung. In: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen 24 (2016), H. 2, S. 71–84. 64 Hans Mayer: Ist Gustav Freytag neu zu entdecken? „Soll und Haben“. Aus Anlaß eines Fernsehprojekts. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Februar 1977, Nr. 48. Vgl. auch: ders.: Gustav Freytags bürgerliches Heldenleben. In: Gustav Freytag: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern. München/ Wien 1981, S. 838–845; ders.: Außenseiter. Frankfurt a. M. 1975, S. 386–391. – „Veitel Itzig ist wieder da, und es führt ein gerader Weg von dieser bösartigen Karikatur zu den späteren Judenfratzen eines Julius Streicher“, schreibt Mayer über Freytags Roman (Gustav Freytags bürgerliches Heldenleben, S.  844) und attestiert diesem in seinem Zeitungsartikel eine Fülle „antisemitischer und antislawischer Akzente“, die „verheerenden Einfluß“ auf die ‚deutschen Buchleser ausgeübt‘ und „in der Praxis“ ‚mitgeholfen‘ hätten. Wenn Mayer in seiner Stellungnahme fragt: „Haben die Verantwortlichen im Westdeutschen Rundfunk diesen Roman tatsächlich gelesen?“, fällt diese Frage gewissermaßen auf den Autor und sein eigenes Nachwort zurück. Denn hierin weitet er den Antisemitismusvorwurf auch auf Freytags Roman Die verlorene Handschrift (1864) aus. In diesem Roman werde abermals eine „Unterwelt“, die – so suggeriert Mayer – erneut jüdischer Abstammung sei, als negativer Kontrast zu einem idealisierten Bürgertum aufgebaut (S. 842). Im Roman besteht diese „Unterwelt“ jedoch tatsächlich aus genau einer Person, die zudem zweifelsfrei ein durch und durch deutscher Kleinbürger ist. 65 Vgl. Rainer Werner Fassbinder: Gehabtes Sollen  – gesolltes Haben. In: Die Zeit, 11. März 1977 (Nr. 12), S. 7  f. – Bezogen auf Fassbinder vgl. weiterführend: Thomas Elsaesser: Rainer Werner Fassbinder. 2., bearb. Aufl. Berlin 2012, S. 48–51, 261–265. 66 Knopp: Vom schwierigen Umgang mit Geschichte. – Vgl. auch die Auszüge aus dem Drehbuch, die Knopp in einem weiteren Beitrag liefert: Herbert Knopp: Salomon Itzig. Aus dem Drehbuch zur „Soll und Haben“-Verfilmung. In: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen 24 (2016), H. 2, S. 71–84. 67 Vgl. vor allem: Karin Wirschem: Die Suche des bürgerlichen Individuums nach seiner Bestimmung. Analyse und Begriff des Bildungsromans, erarbeitet am Beispiel von Wilhelm Raabes „Hungerpastor“ und Gustav Freytags „Soll und Haben“. Frankfurt a. M./Bern/New York 1986; vgl. auch: Michael Schneider: Geschichte als Gestalt. Formen der Wirklichkeit und Wirklichkeit der Form in Gustav Freytags Roman „Soll und Haben“. Stuttgart 1980; ders.: Apologie des Bürgers. Zur Problematik von Rassismus und Antisemitismus in G. Freytags Roman ‚Soll und Haben‘. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 25 (1981), S. 385–413. 68 Vgl. Gabriele Büchler-Hausschild: Erzählte Arbeit. Gustav Freytag und die soziale Prosa des Vorund Nachmärz. Paderborn u.  a. 1987.

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Autor lieferte69 und vereinzelt immer wieder auch andere Texte Freytags (wie etwa Die Ahnen)70 eingehendere Beachtung fanden, richtete sich der bei weitem größte Teil der germanistischen Aufmerksamkeit auf die ideologischen Gehalte von Soll und Haben.71 Welchen Umfang und welch breites Spektrum die Freytag-Forschung gleichwohl inzwischen erreicht hatte und in welchem Ausmaß Freytag schon im 19. sowie gerade im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts72 Gegenstand der literaturkritischen und litera-

69 Renate Herrmann: Gustav Freytag. Bürgerliches Selbstverständnis und preußisch-deutsches Na­ tio­nal­bewusstsein. Ein Beitrag zur Geschichte des national-liberalen Bürgertums der Reichsgründungszeit. Würzburg 1974. – Neben der hervorragenden Arbeit Herrmanns sind für die Geschichtswissenschaft vor allem zwei Studien Bußmanns zu nennen, in denen dieser sich neu und grundlegend mit Freytags Denken auseinandergesetzt hat: Walter Bußmann: Treitschke. Sein Welt- und Geschichtsbild. 2 Aufl. Göttingen 1981; ders.: Gustav Freytag. Maßstäbe seiner Zeitkritik. In: Archiv für Kulturgeschichte 34 (1951/52), S. 261–287. 70 Vgl. hier nur beispielhaft: Hartmut Eggert: Studien zur Wirkungsgeschichte des deutschen historischen Romans 1850–1875. Frankfurt a. M. 1971; Claus Holz: Flucht aus der Wirklichkeit. „Die Ahnen“ von Gustav Freytag. Untersuchungen zum realistischen Roman der Gründerzeit 1872–1880. Frankfurt a. M. 1983; Gesa von Essen: Die Rückgewinnung der Geschichte in Gustav Freytags ‚Ahnen‘-Galerie. In: dies. u. Horst Turk (Hg.): Unerledigte Geschichten. Der literarische Umgang mit Nationalität und Internationalität. Göttingen 2000, S. 162–186; Rainer Kipper: Der Germanenmythos im Deutschen Kaiserreich. Formen und Funktionen historischer Selbstthematisierung. Göttingen 2002; Jan-Arne Sohns: An der Kette der Ahnen. Geschichtsreflexion im deutschsprachigen historischen Roman 1870–1880. Berlin/New York 2004; Stefan Keppler-Tasaki: Britische Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Gustav Freytags „Die Ahnen“ und der Maßstab Walter Scotts. In: Mathias Herweg u. ders. (Hg.): Rezep­ tions­kulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin/Boston 2012, S. 185–209; Anja Oesterhelt: Heimatkunde. Gustav Freytags „Ahnen“. 71 Eine der am breitesten wahrgenommenen Studien stellt hierbei die Arbeit Gubsers dar: Martin Gubser: Literarischer Antisemitismus. Untersuchungen zu Gustav Freytag und anderen bürgerlichen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Göttingen 1998. 72 Die Hauptphase der Freytag-Rezeption im 20. Jahrhundert liegt eindeutig im ersten Drittel. In dieser Phase sind neben einer großen Zahl von Neu-, Auswahl- und Werkausgaben zahlreiche Monographien, vor allem Dissertationen, zu Freytags Leben und Werk entstanden: Georg Schridde: Gustav Freytags Kultur- und Geschichtspsychologie. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtsphilosophie. Leipzig 1910; Michael Tichoff: Über Gustav Freytags Trauerspiel „Die Fabier“. Phil. Diss. Leipzig 1910; Roland Freymond: Der Einfluss von Charles Dickens auf Gustav Freytag. Mit besonderer Berücksichtigung der Romane „David Copperfield“ und „Soll und Haben“. Prag 1912; Armin Posern: Der altertümelnde Stil in den ersten drei Bänden von Gustav Freytags „Ahnen“. Phil. Diss. Greifswald 1913; Kurt Classe: Gustav Freytag als politischer Dichter. Hildesheim 1914; Franz Deppe: Das Naturgefühl bei Gustav Freytag in den ersten drei Bänden seiner „Ahnen“. Phil Diss. Greifswald 1915; Adolph Kohut: Gustav Freytag als Patriot und Politiker. Berlin [1916]; Oswald Dammann: Gustav Freytag und der Konstitutionalismus. Freiburg 1916; Georg Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen. Weida i. Thür. 1919; Joseph Schenkel: Das Verhältnis des jungen Freytag zum Jungen Deutschland. Phil. Diss. Bonn 1920; Johannes Hofmann: Gustav Freytag als Politiker, Journalist und Mensch. Mit unveröffentlichten Briefen von Freytag und Max Jordan. Leipzig 1922; Adolf Thiele: Gustav Freytag, der Grenzbotenjournalist. Phil. Diss. Münster [1924]; Alma Roedder: Das Problem der dramatischen Gestaltung im deutschen Lustspiel. Hamburg 1926; Hans Zuchhold: Gustav Freytag. Ein Buch von deutschem Leben und Wirken. Breslau 1926; Franz Kunkel: Gustav Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“

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turwissenschaftlichen Kommunikation war, davon vermittelt die 1990 erschienene, allerdings auf eine Auswahl beschränkte Freytag-Bibliographie einen Eindruck.73 Ihre Verfasser machten wenig später auch Freytags Verlagsbriefwechsel in einer verdienstvollen Ausgabe zugänglich.74 Davon unabhängig wurde Gustav Freytag und – nicht zu vergessen – Julian Schmidt innerhalb der literaturprogrammatisch, gattungs- sowie sozialhistorisch interessierten Realismus-Forschung recht kontinuierlich ein zentraler Stellen- und Quellenwert zuerkannt.75 Im Zuge eines seit einigen Jahren wahrnehmbar erstarkenden Interesses an Freytags Werk (s. u.) haben gerade neuere Fragestellungen der Realismusforschung in diesem ein lohnendes Untersuchungsfeld gefunden, so z.  B. die (psychoanalytisch eingefärbte) Frage nach spezifischen Poetisierungs- und ‚Romantisierungsverfahren‘76 oder die nach den ‚Ökonomien des Realismus‘, dem Verhältnis von Poesie- und Ökonomiekonzept77 – im Mittelpunkt steht dabei jedoch noch immer Soll und Haben. als schriftstellerische, künstlerische und dichterische Leistung gewürdigt. Aschaffenburg 1926; Paul Ostwald: Gustav Freytag als Politiker. Berlin 1927; Eduard Rothfuchs: Der selbstbiographische Gehalt in Gustav Freytags Werken (bis 1855). Ein Beitrag zur Frage der Wechselwirkungen von Erlebnis und Dichtung. Münster 1929; Berthold Kern: Gustav Freytag. Ein Publizist. Karlsruhe 1933 (phil. Diss. Heidelberg); Fritz Kämpf: Gustav Freytag und das Kronprinzenpaar Friedrich Wilhelm. Berlin 1933; Erwin Laaths: Der Nationalliberalismus im Werke Gustav Freytags. Wuppertal-Beyenburg 1934; Otto Herrmann: Die Anfänge Gustav Freytags. Ein soziologischer Beitrag zur Geschichte der bürgerlichen Intelligenz im 19. Jahrhundert. Hamburg 1934; Anton Danek: Gustav Freytag als Historiker. Phil. Diss. Wien 1938. 73 Jürgen Matoni u. Margarete Galler (Hg.): Gustav Freytag Bibliographie. Dülmen 1990. 74 Gustav Freytags Briefe an die Verlegerfamilie Hirzel, hg. im Auftrag der Stiftung Haus Oberschlesien von Margret Galler u. Jürgen Matoni. Teil 1: 1853–1864. Berlin 1994; Teil 2: 1865–1877. Berlin 1995; Teil 3: 1877–1895. Heidelberg 2000. – Im Folgenden unter der Sigle BrHi I–III. 75 Verwiesen sei hier nur stellvertretend auf eine kleine monographische Auswahl grundlegender Studien: Hermann Kinder: Poesie als Synthese. Ausbreitung eines deutschen Realismus-Verständnisses in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1973; Ulla Schirmeyer-Klein: Realismus. Literaturprogramm für einen bürgerlichen Staat. Der programmatische Realismus in den ‚Grenzboten‘ 1848–1860. [o. O.] 1976 (phil. Diss. München 1974).; Helmuth Widhammer: Realismus und klassizistische Tradition. Zur Theorie der Literatur in Deutschland 1848–1860. Tübingen 1972; ders.: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus (1848–1860). Stuttgart 1977; Peter Uwe Hohendahl: Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus 1830–1870. München 1985; Hartmut Steinecke: Romanpoetik von Goethe bis Thomas Mann. Entwicklungen und Probleme der „demokratischen Kunstform“ in Deutschland. München 1987; Lothar L. Schneider: Realistische Literaturpolitik und naturalistische Kritik. Über die Situierung der Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Vorgeschichte der Moderne. Tübingen 2005; Claudia Stockinger: Das 19. Jahrhundert. Zeitalter des Realismus. Berlin 2010. 76 Irmtraud Hnilica: Im Zauberkreis der großen Waage. Die Romantisierung des bürgerlichen Kaufmanns in Gustav Freytags „Soll und Haben“. Heidelberg 2012. – Vgl. zu dieser Studie genauer: Philipp Böttcher: [Rez.] Irmtraud Hnilica: Im Zauberkreis der großen Waage. Die Romantisierung des bürgerlichen Kaufmanns in Gustav Freytags „Soll und Haben“. Heidelberg 2012. In: Schriften der TheodorStorm-Gesellschaft 62 (2013), S. 119–121. 77 Vgl. etwa: Fritz Breithaupt: Homo Oeconomicus (junges Deutschland, Psychologie, Keller und Freytag). In: Jürgen Fohrmann u. Helmut J. Schneider (Hg.): 1848 und das Versprechen der Moderne.

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So ungebrochen wie das (freilich spezifische) Interesse der Wissenschaft scheint sich das Interesse der Leser an Freytags Roman erhalten zu haben, denn selbst eine seit 2002 nur unregelmäßig im Buchhandel erhältliche Ausgabe befindet sich inzwischen in der fünften Auflage und wurde seitdem mehr als zehntausendmal nachgefragt.78 Dass es sich hier bei dem einzigen, das Buch derzeit anbietenden Verlag um den extrem rechtskonservativen Manuscriptum-Verlag handelt, dem somit auch eine besondere Deutungshoheit über den Text zugestanden wird, sollte nicht zu vorschnellen Rückschlüssen auf den Autor verleiten, vielmehr als unerträglicher Zustand und im Idealfall endlich als Anlass für eine wissenschaftlich kommentierte Textausgabe begriffen werden. Es steht sonst zu befürchten, dass Freytag in die Hände derer zurückgerät, deren rechte Vorväter einst mehr altersschwach als einsichtig von ihm ablassen mussten. Während der Nationalsozialismus mit dem allzu liberalen Freytag nämlich wenig anzufangen wusste,79 obwohl Freytags Sohn Gustav Willibald Freytag (1876– Würzburg 2003, S. 85–112; Christian Rakow: Die Ökonomien des Realismus. Kulturpoetische Untersuchungen zur Literatur und Volkswirtschaftslehre 1850–1900. Berlin/Boston 2013; Manuel Bauer: Ökonomische Menschen. Literarische Wirtschaftsanthropologie des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2016. 78 So nach schriftlicher Auskunft des Verlags vom 19. 01. 2016. 79 Vgl. dazu genauer: Alyssa A. Lonner: Mediating the Past. Gustav Freytag, Progress, and German Historical Identity, 1847–1871. Oxford 2005, S. 12; Herrmann: Gustav Freytag, S. 317–321; Schneider: Geschichte als Gestalt, S. 175–179; Edward Białek: „Die Wacht am Osten“ als des Schlesiers Kampfparole. Zur Mythisierung des Grenzlandes am Beispiel der Freytag-Rezeption in der literarischen Kultur Niederschlesiens nach dem Ersten Weltkrieg. In: Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig 2015, S. 228–252, hier S. 243. – Während des NS ging etwa auch der Absatz von Soll und Haben im Vergleich zu den Jahren davor und danach deutlich zurück (vgl. Carter: Freytag’s „Soll und Haben“, S. 328). – Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Aufführungsgeschichte der Journalisten während des Nationalsozialismus (Kap. II.2.2). – Mit der kulturpolitischen Funktionalisierung von Freytags Werk im Nationalsozialismus hat sich erstmals und verdienstvoll Burkhard Stenzel beschäftigt. Stenzels Ergebnisse sind aber insofern zu relativieren, 1) als die Studie im methodischen Zuschnitt so angelegt ist, vor allem zu finden, was ohnehin (auf vergleichbar geringer Quellenbasis) gesucht wird – erkennbar etwa an der Auswahl der untersuchten und natürlich einschlägigen, aber eben nicht erst 1933 erschienenen Literaturgeschichten (Nadler, Bartels), die u.  a. mitunter recht freihändig, vorschnell und (angesichts der zugrundeliegenden Belege) zum Teil sehr weitgehend im Sinne der eigenen Optik gedeutet werden; einiges bleibt unbelegte Behauptung, so die diagnostizierten Gemeinsamkeiten zwischen Bartels und Freytag (S. 256, 257); 2) als kein systematischer Abgleich mit anderen Autoren des Realismus vorgenommen wurde, mithin zu fragen wäre, ob und inwiefern die Ergebnisse für Freytag spezifisch sind oder ob nicht z.  B. Raabe und Fontane in ähnlicher Weise instrumentalisiert wurden – Reihungen wie etwa auf S. 252 u. 254, in denen Freytag zusammen mit Keller, Storm, Raabe, Hebbel, Kleist, Goethe usw. genannt wird, deuten dies selbst an und werfen umso mehr die Frage nach der spezifischen Instrumentalisierung Freytags auf; 3) als die nationalsozialistische Kritik an Freytags Werk und dessen Widerstände im Hinblick auf eine nationalsozialistische Funktionalisierung unbeachtet bleiben; genauer zu hinterfragen wäre etwa, warum Bartels den Kulturhistoriker über den von ihm als zum Teil veraltet angesehenen Dichter Freytag stellt (S. 256), obwohl dessen kulturhistorische Schriften gerade keine ausgewiesen antisemitischen Züge aufweisen; ebenso wäre nicht nur festzustellen, dass Auszüge aus Freytags Werken in nationalsozia­

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1961)80 – weitgehend erfolglos – alles daran setzte, seinen Vater für die von ihm angestrebte Karriere als Nationalsozialist in Dienst zu nehmen,81 konnte die noch 1942 aus diesen Bemühungen heraus von ihm gegründete Gustav-Freytag-Gesellschaft nach dem Krieg ihre reaktionäre Umdeutung in Wangen weiterführen.82 Der Autor galt nun eben nicht mehr als Wegbereiter der Volksgemeinschaft, aber dafür als Ahnherr der schlesischen Landsmannschaften, obwohl Schlesien im Werk Freytags keine ausgewiesene Bedeutung zukommt.83

listischen Lesebüchern abgedruckt werden, sondern auch welche; 4) als ein Vergleich mit der Zeit davor und danach ausbleibt. Die Zahl der Ausgaben und Auflagen von Freytags Werken in der Zeit des Nationalsozialismus mag auf den ersten Blick beeindruckend wirken. Sie ist aber zu relativieren, wenn man bedenkt, dass sie in der Phase der Weimarer Republik deutlich höher lag und hier etwa auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Freytags Werk erkennbar größeren Umfangs war (s. o.). Die Notwendigkeit nach einer genaueren Differenzierung zwischen NS-Zeit und Weimarer Republik ergibt sich allein schon daraus, dass hier vor 1933 erschienene, völkisch und antisemitisch gefärbte Literaturgeschichten als Beleg für die Freytag-Rezeption im NS in Anschlag gebracht werden; näher zu eruieren wäre ebenso, inwiefern Freytags Erfolg vor 1933 bereits auf völkische Lesarten zurückzuführen ist. – Burkhard Stenzel: Gustav Freytag und der literarische Antisemitismus. Zur Rezeption der Werke eines bürgerlichen Schriftstellers in Deutschland 1933 bis 1945. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 249–266. 80 Gustav Willibald Freytag unterhielt enge Verbindungen zu Teilen des George-Kreises wie Ludwig Klages oder Alfred Schuler und nahm von dort seinen Weg ins antisemitisch-nationalsozialistische Milieu (vgl. Thomas Karlauf: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma. München 2007, S. 322). 81 Vgl. als Quellenzeugnis: Gustav Willibald Freytag: Erinnerungen an meinen Vater Gustav Freytag. In: „Aus der Heimat“. Beilage der Kreuzburger Nachrichten, August 1932, S. 153–159. – Vgl. Gabriela Dziedzic: Gustav Freytags Gedenkstätten in Schlesien. In: Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816– 1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig 2015, S. 253–270, hier S. 256–260. 82 Vgl. in diesem Kontext: Herrmann: Gustav Freytag, S. 319–322; Schneider: Geschichte als Gestalt, S. 180.  – Die personelle Kontinuität der nationalsozialistisch einschlägig vorgeprägten Mitglieder (besonders: Karl Fleischer) zeigt sich, wenn man die von Dziedzic erwähnten Namen (vgl. Dziedzic: Gustav Freytags Gedenkstätten in Schlesien, 263  f.) mit den Verantwortlichen der frühen Gustav-Freytag-Blätter (im Folgenden GFB) abgleicht. – In deren ersten Jahrgängen (vgl. GFB 1954–1960) finden sich auch immer wieder Versuche Gustav Willibald Freytags, den Vater auf das nationalsozialistische Resterbe zu reklamieren. Vgl. dazu auch meine Anmerkungen in: Philipp Böttcher: [Rez.] Rafał Biskup (Hrsg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2015 (Schlesische Grenzgänger, Bd. 7). In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 48, H. 2 (2016), S. 167–172. – Ausdruck der Geisteshaltung der Verantwortlichen ist etwa die Broschüre des Wangener Freytag-Archivs und -Museums, in der noch 1970 beklagt wird, dass durch das „unglückliche Kriegsende“ [!] das Kreuzburger Freytag-Museum „in die Hände der Feinde“ fiel (Karl Fleischer u. Margret Fleischer-Mucha: Gustav Freytag. Bilder aus seinem Leben, hg. vom Gustav-Freytag-Archiv und -Museum Wangen im Allgäu. Wangen im Allgäu 1970, S. 13). – Zur Geschichte der Gustav-Freytag-Gesellschaft vgl. auch: Karl Fleischer: 55 Jahre Gustav-Freytag-Gesellschaft. In: GFB 8 (1962), H. 2 (Nr. 18 der Reihe), S. 4–8; Helmut Schwitzgebel: 33 Jahre Deutsche Gustav-Freytag-Gesellschaft. In: GFB 29 (1985), Nr. 46, S. 5–8. 83 Vgl. dazu genauer: Białek: „Die Wacht am Osten“.

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Gerade die Rezeptionsgeschichte Freytags zeigt also, dass man den Autor zum einen kritisch analysieren und zum anderen vor seinen vermeintlichen Verteidigern schützen muss. Sowohl die literaturwissenschaftliche als auch die historische Forschung zum Werk und zur Person Gustav Freytags sollte daher Spannungen zwischen beiden Bereichen ebenso aushalten wie Ambivalenzen, die bereits auf der Ebene des Gegenstands begegnen und sich darüber hinaus in der Rezeptionsgeschichte widerspiegeln: Dazu gehört u.  a. die Konstellation, dass die antisemitische Dimension von Freytags Texten Soll und Haben und Die Journalisten bereits von seinen Zeitgenossen – nicht zuletzt den jüdischen – kontrovers diskutiert wurde,84 dass ihr Autor sich später mehrfach öffentlich eindeutig philosemitisch85 äußerte (schon 1869 gegen Richard Wagner,86 am prominentesten aber 1893 in seiner Pfingstbetrachtung87) und sogar dem „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ angehörte, dass er in dritter Ehe die Jüdin Anna Strakosch heiratete, dass er 1847 Berthold Auerbachs Trauzeuge war,88 dass sich ferner die Allgemeine Zeitung des Judentums den Dichter nur über einen mehrfachen Wandel seiner Einstellungen gegenüber dem Judentum erklären konnte89 und ihn in

84 Vgl. etwa die beiden differenzierten Betrachtungen von Deutsch und Kohut: G[otthard] Deutsch: Die Juden in Gustav Freytag’s Dichtungen. Zu seinem 70. Geburtstage. In: Allgemeine Zeitung des Judenthums 50 (1886), 24. August 1886 (Nr. 35), S. 547–550; Adolph Kohut: Gustav Freytag und seine Beziehungen zu Juden und Judentum. In: Im Deutschen Reich 22 (1916), Nr. 5, S. 108–114. – Vgl. hierzu auch die im GSA gesammelten zeitgenössischen Reaktionen auf Freytags spätere philosemitische Äußerungen: GSA 19/70+71 sowie GSA 19/9. So zeigt sich die Nationalzeitung (24. Mai 1893, Nr. 323) über diese Äußerungen verwundert, da Freytag „als Schöpfer der Figuren des Veitel Itzig in ‚Soll und Haben‘ und des Schmock in den ‚Journalisten‘ gewiß nicht zu den Philosemiten zu zählen ist“. Ähnlich wird in einer anderen Quelle (im Archiv ungekennzeichnet und ohne Beleg) Freytags später Einsatz für die richtige Sache zurückgewiesen: „Wer […] die typischen Figuren: Ehrenthal, Pinkus und Veitel Itzig leibhaftig vor uns hinstellen konnte, hat in der Judenfrage sein entscheidendes Wort gesprochen. Er braucht nichts mehr zu sagen. Spätere Aeußerungen ändern an der Sache nichts.“ – Vgl. zur zeitgenössischen Diskussion auch die einzelnen Belege und Ausführungen im Hauptteil dieser Studie. 85 Vgl. hierzu bezogen auf Freytag: Iriving Massey: Philo-Semitism in Nineteenth-Centuy German Literature. Tübingen 2000, S. 87–96. 86 Vgl. G[ustav] F[reytag]: Der Streit über das Judenthum in der Musik. In: Die Grenzboten 28 (1869), I. Semester, II. Band, S. 333–336. 87 Vgl. Gustav Freytag: Ueber den Antisemitismus. Eine Pfingstbetrachtung. Berlin 1893. 88 Hans Otto Horch: Gustav Freytag und Berthold Auerbach. Eine repräsentative deutsch-jüdische Schriftstellerfreundschaft im 19. Jahrhundert. Mit unveröffentlichten Briefen beider Autoren. In: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 1985, S. 154–174, hier S. 156  f. – Zur Bewertung Freytags durch die Allgemeine Zeitung des Judentums vgl. genauer: Hans Otto Horch: Auf der Suche nach der jüdischen Erzählliteratur. Die Literaturkritik der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ (1837–1922). Frankfurt a. M. u.  a. 1985, S. 52–58 et passim. 89 Bei dieser Deutung zu bedenken wäre auch, dass sich womöglich gar nicht Freytags Haltung so sehr geändert hat, vielmehr die Realitäten, denen der Autor begegnete. Freytags Aufsatz „Die Juden in Breslau“ von 1849 etwa artikuliert die Angst des Bürgertums vor den sozialen Folgen der Moderne, die in dem urbanen Grenzbereich um Breslau besonders stark ausgeprägt waren. Im Jahr 1848 zählte

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ihrem Nekrolog schließlich als den „wärmsten Vertheidiger der angegriffenen Juden“ würdigte.90 Dazu gehört ferner, dass sich in Freytags Nachlass Dokumente finden, die nicht bloß belegen, dass er seine dritte Frau von der Konversion abhielt und für deren Sohn Hebräisch-Unterricht beauftragte, sondern bereits 1843 für die katholisch, jüdisch und evangelisch besetzte Festtafel seines Onkels  – dem protestantischen Pastor Neugebauer – ein Lobgedicht im Geiste Lessings auf das Zusammenwirken der Religionen dichtete („Drei Weine“).91 Bemerken ließe sich in diesen Zusammenhängen überdies, dass sich das alldeutsche Organ Deutsche Presse 1916 anschickte, Freytag zu diffamieren, indem es ihn einen „Judenfreund“ nannte,92 während die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung Freytags „bißchen Antisemitismus“ 1933 einerseits kleinredete, sich andererseits indes sicher war, dass er „im heutigen Deutschland doch auch ins Konzentrationslager schubiert worden wäre“.93 Adorno wiederum hätte das bestritten, denn er höchsten Schätzungen zufolge maximal ein Drittel der in den Gebieten des späteren Deutschen Reiches lebenden Juden zu den „bürgerlich gesicherten Existenzen“. Ca. 50 Prozent gehörten dagegen zu den pauperisierten Massen. In Preußen allgemein und besonders in Breslau sah die Lage zum Teil noch drastischer aus. Die rechtliche Gleichstellung der Juden, die seit 1848 allmählich in fast allen deutschen Territorien erfolgte, hat zu einer Umkehrung dieser Zahlen beitragen. Nach Gründung des Kaiserreiches rechnete man nun 60 Prozent der im Reich ansässigen Juden zu den mittleren und oberen bürgerlichen Steuerstufen. Zugleich vollzog sich eine rasche Assimilation an die Normen und Verhaltensweisen der bürgerlichen Mittelschicht, deren zentrale politische Forderungen von den jüdischen Bürgern geteilt wurden: etwa Abschaffung des Ständestaats und Etablierung einer auf Gleichstellung beruhenden bürgerlichen Leistungsgesellschaft. Die veränderten Realitäten sind demnach sicher ein entscheidender Faktor, warum Freytag bald nicht mehr die ‚Integrationsprobleme, sondern die Integrationsleistungen in den Vordergrund rückte. Zu diesen hat er freilich nichts beigetragen. Vgl. für die skizzierte Entwicklung: Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1998, S. 251–255. 90 G[ustav] K[arpeles]: Gustav Freytag. Ein Nachruf. In: Allgemeine Zeitung des Judentums 59 (1895), S. 220–221, hier S. 220. – Vgl. in diesem Sinne auch: N. N.: Gustav Freytag und der Antisemitismus. In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen 38 (1898) 21. Oktober 1898 (Nr. 42), S. 434; Ludwig Geiger: Aus Anlaß eines Nachlaßbandes von Gustav Freytag. In: Allgemeine Zeitung des Judentums 68 (1904), 11. März 1904 (Nr. 11), S. 127  f. 91 Vgl. dazu die Dokumente in der Archiv-Mappe GSA 19/9, darin auch die Mitheilungen des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus vom 18 Mai 1895 (Nr. 20). – Das lange Gedicht „Drei Weine“ endet schließlich mit den Versen: „Heut seht ihr eine Tafel sich festlich erhöh’n, / Und alle drei Weine in friedlicher Mischung droben steh’n. / Nicht war, ihr Herrn, die Mischung dünkt euch gut? / Und fragt ihr, was die Reben so zusammengebracht? / Das hat die ehrliche, brüderliche Treue gemacht. / Die Liebe, die hoch über den Welten schwebt. / Die Liebe, die warm in jedem Herzen schlägt. / Drum sei auch noch so verschieden euer Wein, / Einig könnt ihr Alle in der Einen sein, / Drum reich euch die Hand und hebt den Pokal, / Hoch lebe die Bruderliebe beim heutigen Mahl!“ (Kursivierungen im Original gesperrt). 92 N. N.: Gustav Freytag und die „Neue Freie Presse“. In: Deutsche Presse. Zeitung für alldeutsche Politik, 20. Juli 1916, 3. Jahrgang, Folge 164, S. 3–4, hier S. 4. 93 O. K.: Soll und Haben – in vereinfachter Buchführung. In: Arbeiter-Zeitung. Zentralorgan der So­ zial­demokratie Deutschösterreichs, 4. August 1933 (Nr. 213), 46. Jahrgang, S. 6.

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hielt Freytag für einen antisemitischen Autor und sein Soll und Haben für ein ‚unheilvolles‘ Buch.94 Johannes R. Becher dagegen galt Freytag 1938 im sowjetischen Exil aufgrund der positiven Schilderung des ‚jüdischen Beitrags‘ zur deutschen Nationswerdung in den Bildern aus der deutschen Vergangenheit sowie der darin scharf verurteilten Pogrome als Vertreter des ‚anderen Deutschland‘.95 In solch komplexe Gemengelage fügt sich schließlich auch die Tatsache, dass Soll und Haben lange Zeit zur Konfirmation96 genauso wie zur Bar Mitzwa verschenkt wurde97 (bei Gershom Scholem etwa ist dies überliefert)98, dass jüngst u.  a. der um die Antisemitismus-Forschung verdiente Götz Aly (wie vor ihm schon Hans-Ulrich Wehler)99 und Bernhard Schlink zur differenzierten Bewertung Freytags aufriefen100 und dafür heftig kritisiert wurden.101 Nun sollte man über die Antisemitismusfrage bei Freytag nicht die Rezeptionsgeschichte mit den Füßen abstimmen lassen;102 gleichwohl sind diese kontroversen 94 Vgl. Theodor W. Adorno: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute. In: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 20,1: Vermischte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 1986, S. 360–383, hier S. 382; Max Horkheimer u. Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (Gesammelte Werke, Bd. 3), hg. von Rolf Tiedemann. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1984, S. 299. 95 Vgl. Johannes R. Becher: Tyrannen-Schmach. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 15: Publizistik I. 1912–1938, hg. von Ilse Siebert u.  a. Berlin/Weimar 1977, S. 585–590, hier S. 585. 96 Nipperdey charakterisiert das Buch wie folgt: „Ein ‚Klassiker des Bürgertums, das typische Konfirmationsgeschenk; ein Buch des Einverständnisses, des Glaubens an die Übereinstimmung von human individueller Entfaltung und Gesellschaft, an den liberal-nationalen Aufstieg des Bürgertums, den Fortschritt, den Sieg des Guten“ (Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 582). 97 Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 405; Moshe Zimmermann: Das Auswärtige Amt und der Holocaust: In: Johannes Hürter u. Michael Mayer (Hg.): Das Auswärtige Amt in der NSDiktatur. Berlin u.  a. 2014, S. 165–176, hier S. 166. 98 Vgl. Hans Otto Horch: [Rez.] Martin Gubser: Literarischer Antisemitismus. Untersuchungen zu Gustav Freytag und anderen bürgerlichen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1998. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 10 (2000), H. 2, S. 549–553, hier S. 552. – Scholem, so zitiert es Horch aus einem Brief, habe sich zu Freytag wie folgt geäußert: „Gustav Freytag war ein Liberaler, in dem, wohl wie bei so vielen seinesgleichen, verschiedene Emotionen in Sachen der Juden durcheinander gingen, der sich aber keineswegs der antisemitischen Seite zuneigte, oder sich ihr zuschreiben läßt“ (S. 552). 99 Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. 1849–1914. München 1995, S. 293, 329  f., 361  f., 851. 100 Vgl. Götz Aly: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800– 1933. Frankfurt a. M. 2011, S. 34  f.; Bernhard Schlink: Die Kultur des Denunziatorischen. In: Martin Sabrow u. Christian Mentel (Hg.): Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. Eine deutsche Debatte. Frankfurt a. M. 2014, S. 347–365, hier S. 353  f. 101 Vgl. Jan Süselbeck: Die Totalität der Mitte: Gustav Freytags Figur Anton Wohlfart und Wilhelm Raabes Protagonist Hans Unwirsch als ‚Helden‘ des antisemitischen ‚Bildungsromans‘ im 19. Jahrhundert. In: Nikolas Immer u. Mareen van Warwyck (Hg.): Ästhetischer Heroismus. Konzeptionelle und figurative Paradigmen des Helden. Bielefeld 2013, S. 293–321, hier S. 301–303, 321. 102 Stattdessen wären quantitative Analysen mit qualitativen – auch des Romantextes selbst – zu verbinden. Vgl. erhellend und materialreich: Katja Mellmann: „Detoured Reading“. Understanding

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bis paradoxen Konstellationen nicht um einsinniger Deutungen willen zu ignorieren. Dies gilt für die meist rein biographistisch argumentierenden ‚Verteidiger‘ Freytags103 nicht weniger als für dessen Kritiker, bei denen der vielfach ahistorische Griff zum NS-Vergleich stets eher erste Wahl denn letztes Mittel darstellte.104 In beiden Fällen fehlte zudem häufig eine argumentative Trennung von Autor und Text, denn selbstverständlich kann auch jemand, der privat nicht als ausgewiesener Antisemit auftritt, antisemitische Texte schreiben – ebenso denkbar ist der Umkehrschluss. Wie u.  a. Christine Achinger in ihrer umfassenden Studie zu Soll und Haben betont und vorgeführt hat, gilt es in der Debatte um Freytag und den Antisemitismus, die Komplexität dieses Themas und die hier begegnenden „Widersprüche“ anzuerkennen und sie zugleich als für das bürgerlich-liberale Denken des 19. Jahrhunderts charakteristische zu analysieren und zu historisieren.105 Freytag ist demnach ohne Zweifel

Literature through the Eyes of Its Contemporaries (A Case Study on Anti-Semitism in Gustav Freytag’s „Soll und Haben“). In: Matt Erlin u. Lynne Tatlock (Hg.): Distant Readings. Topologies of German Culture in the Long Nineteenth Century. Rochester 2014, S. 301–331; dies.: Kein Buch für den Giftschrank. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Oktober 2014 (Nr. 233). 103 Vgl. z.  B. völlig distanzlos: Ulrich Konitzer: Gustav Freytag – der tüchtige Bürger. In: Brigitte Dörrlamm, Hans-Christian Kirsch u. ders. (Hg.): Klassiker heute. Realismus und Naturalismus. Frankfurt a. M. 1983, S. 15–57. 104 So spricht Wagner u.  a. von Vorformen der NS-„Züchtungsphantasien“ und sieht die Figuren Anton Wohlfart und Fritz von Fink als Kolonisatoren im Dienste Hitlers (vgl. Benno Wagner: Verklärte Normalität. Gustav Freytags „Soll und Haben“ und der Ursprung des „Deutschen Sonderwegs“. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30 (2005), H. 2, S. 14–37, hier S. 36). – Im selben Jahr merkt Niels Werber in einem Aufsatz an, die von Freytag geforderte Ostkolonisation sei erst Ende 1941 vor Moskau zum Stillstand gekommen (vgl. Niels Werber: Geopolitiken der Literatur. Raumnahmen und Mobilisierung in Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Hartmut Böhme (Hg.): Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext. Stuttgart/Weimar 2005, S. 456–478, hier S. 478). – Bisweilen treibt die Beweisführung für diese Vergleiche erstaunliche Blüten: Hubrich etwa führt als Argument für den ‚Vorläufer-Charakter‘ Freytags ernsthaft an, dass er in der von ihm verwendeten Ausgabe von Soll und Haben den Stempel einer „Adolf-Hitler-Schule“ gefunden habe (Hubrich: Gustav Freytags „Deutsche Ideologie“, S. 135). – Bezogen auf Freytags Rassismus und Antislawismus z.  B. hat gerade die polnische Germanistik zahlreiche grundlegende, historisch differenzierende und quellennah argumentierende Beiträge geliefert, so jüngst: Izabela Surynt: Über die „Verbastardung“ der Nationen. Zum Problem der kulturellen Begegnung und „Mischung“ bei Gustav Freytag. In: Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben  – Werk  – Grenze. Leipzig 2015, S. 116–136; dies.: Das „ferne“, „unheimliche“ Land. Gustav Freytags Polen; Piotr Stronciwilk: Das Polenbild in Gustav Freytags „Grenzboten“. In: Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig 2015, S. 209–227. – Auch die ihrerseits mitunter einseitigen Bemühungen, Freytags Position gegen die Vehemenz der Ideologiegeschichte historisierend einzuordnen, sind in ihren Argumenten ernst zu nehmen, vgl. etwa: Sönke Jaek: Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Polenrezeption 1772–1855. In: Beiträge zur deutsch-polnischen Germanistik 1 (1999/2000), S. 13–29. 105 Achinger: Gespaltene Moderne, S. 244. – Vor dem Hintergrund der um Integration bemühten und sich zugleich ‚nach unten‘ wie nach außen abgrenzenden liberalen Gesellschaftsvorstellung ist es nicht notwendig ein Widerspruch, wenn Freytag von jenen Juden, die seinen bildungsbürgerlichen Maßstäben entsprechen, als „Verbündete[n], Freunde[n], Mitarbeiter[n], auf jedem Gebiete unseres

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im Rahmen der komplexen Geschichte des kulturell und sozial begründeten Antisemitismus und Antislawismus seiner Zeit zu betrachten, nicht jedoch bloß als versimplifizierter Markstein einer ideologiegeschichtlichen Einbahnstraße ‚von Luther über Freytag zu Hitler‘. Über der Freytag zugeschriebenen Relevanz als „Multiplikator fragwürdiger Ideologeme“106 hat die Forschung das breite Spektrum von Freytags Werk lange ein wenig aus den Augen verloren. Dabei weist sein Gesamtwerk im Hinblick auf die Formierung und Ausdifferenzierung der bürgerlichen Gesellschaft gerade deshalb einen besonders hohen Quellenwert auf, weil der Dichter, Publizist, Politiker und Gelehrte wie vielleicht kein Zweiter an nahezu all ihren Schnittstellen aktiv war. In diesem Sinne befinden die Hamburger Nachrichten 1895: „Das Arbeitsgebiet Freytags ist mit einem Worte abzustecken: universell“.107 Gustav Freytag war eben nicht nur einer der erfolgreichsten Romanschriftsteller des 19. Jahrhunderts, sondern ein fast ebenso wirkmächtiger Populärhistoriker,108

realen und idealen Lebens“ spricht (Gustav Freytag: Eine Pfingsbetrachtung [1893]. In: VA II, 311–319, hier 316), den Breslauer „Schacherjuden“ aber als „Schmutz“ klassifiziert (Gustav Freytag: Die Juden in Breslau [1849]. In: VA II, 339–347, hier 340). Freytags bürgerlicher Normenkatalog geht dabei einher mit einem typisch liberalistischen Assimilationskonzept, das bis zur Nivellierung sämtlicher kultureller Eigenheiten reichte – es gehört zur komplexen deutsch-jüdischen Geschichte von Christian Wilhelm Dohm bis Ludwig Geiger, dass die liberalistischen Assimilations- und Integrationsgedanken von breiten Kreisen des jüdischen Bürgertums geteilt wurden. Vgl. bezogen auf Freytag hierzu auch: Hannah Burdekin: Kontinuität oder Veränderung? Freytags Judenbild vor und nach „Soll und Haben“. In: Florian Krobb (Hg.): 150 Jahre „Soll und Haben“. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005, S. 269–284, hier S. 281; Hans-Werner Hahn: Gustav Freytag und die bürgerliche Lebenswelt des 19. Jahrhunderts. In: ders. u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 13–29, hier S. 27; vgl. zum Assimilationsdenken: Hans-Joachim Salecker: Der Liberalismus und die Erfahrung der Differenz. Über die Bedingungen der Integration der Juden in Deutschland. Berlin 1999, S. 166–168; Dieter Borchmeyer. Was ist deutsch? Die Suche einer Nation nach sich selbst. Berlin 2017, S. 538–570. 106 Peter Sprengel: Der Liberalismus auf dem Weg ins ‚Neue Reich‘. Gustav Freytag und die Seinen 1866–1871. In: Literatur und Nation. Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 in der deutschsprachigen Literatur, hg. von Klaus Amann und Karl Wagner, Wien/Köln/Weimar 1996, S. 153–181, hier S. 155. 107 N. N.: Gustav Freytag. In: Hamburger Nachrichten, 5. Mai 1895. 108 Vgl. zu Freytags Bildern aus der deutschen Vergangenheit u.  a. die folgenden wichtigen Beiträge: Martin Nissen: Populäre Geschichtsschreibung. Historiker, Verleger und die deutsche Öffentlichkeit (1848–1900). Köln/Weimar/Wien 2009; Eckhardt Treichel: Kulturgeschichte in bürgerlicher Absicht. Gustav Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“. In: Dieter Hein, Klaus Hildebrand u. An­ dreas Schulz (Hg.): Historie und Leben. Der Historiker als Wissenschaftler und Zeitgenosse. Festschrift für Lothar Gall zum 70. Geburtstag. München 2006, S. 429–440; Lynne Tatlock: Realist Historiography and the Historiography of Realism: Gustav Freytag’s „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“. In: German Quarterly 61 (1990), H. 1, S. 59–73; dies.: Regional Histories as National History. Gustav Freytag’s Bilder aus der deutschen Vergangenheit (1859–67). In: Nicholas Vazsonyi (Hg.): Searching for Common Ground. Diskurse zur deutschen Identität 1750–1871. Köln 2000, S. 161–178; Jochen Strobel: Tableaus und raumzeitliche Grenzen in der populären Geschichtsnarrativik: Gustav Freytags „Bil-

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Dramatiker, (politischer) Journalist und Literaturprogrammatiker – zudem stand er als habilitierter Philologe sein ganzes Leben repräsentativ für das übergängige Verhältnis von akademischer und publizistisch-literarischer Welt im ‚bürgerlichen Zeitalter‘.109 Entsprechend führt ihn auch die ADB von 1904 als „Dichter, Historiker, Journalist“ und urteilt über ihn, er sei „in seiner Gesammterscheinung als deutscher Schriftsteller im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts zeitgemäß und namhaft wie kein anderer“.110 In einem jüngst wiederveröffentlichten Überblicksaufsatz zu Freytag konstatieren auch Izabela Surynt und Marek Zybura: „Für sein publizistisches Schaffen ist eine facettenreiche Fülle von sozialpolitischen, ästhetischen und wissenschaftlichen Fragestellungen charakteristisch, in der sich beinahe alle Probleme und Konflikte widerspiegeln, die die deutsche Öffentlichkeit in dem Zeitraum zwischen 1848 und 1871 bewegten“.111 Während bis vor kurzem eher von einer Soll und Haben-Forschung denn von einer Gustav-Freytag-Forschung gesprochen werden konnte, weil lediglich zu „Freytags kontroversem Roman“112 ein Sammelband vorlag, nicht aber etwa zu seinem Gesamtwerk bzw. zu werkübergreifenden Aspekten, wurde diese Lücke jüngst mit den Jubiläumspublikationen zum 120. Todestag sowie zum 200. Geburtstag des Schriftstellers

der aus der deutschen Vergangenheit“. In: Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig 2015, S. 98–115. 109 Mit dem Germanisten Gustav Freytag hat sich Scheible eingehender auseinandergesetzt: Hartmut Scheible: Gustav Freytag als Germanist. In: Frank Fürbeth u.  a. (Hg.): Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in Europa. 150 Jahre Erste Germanistenversammlung in Frankfurt am Main (1846–1996). Tübingen 1999, S. 241–258.  – Umfassende Informationen zu Freytags wissenschaftlicher Laufbahn sowie Einblick in seinen Briefwechsel mit Wilhelm Grimm bietet: Philip Kraut (Hg.): Briefwechsel zwischen Wilhelm Grimm und Gustav Freytag. In: Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Gustav Freytag, Moritz Haupt, Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Franz Joseph Mone, hg. von dems. u.  a. Stuttgart 2015, S. 15–48. – Zu Freytags Studien- und Dozentenzeit, vgl. auch Bernt Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag. Biographie. Göttingen 2016, S. 28–64. – Weitere relevante Quellen und Hinweise liefert: Uwe Meves (Hg.): Deutsche Philologie an den preußischen Universitäten im 19. Jahrhundert. Dokumente zum Institutionalisierungsprozess. Berlin 2011, S. 242, 276–280, 290–292. – Freytags Quellenwert für das Verhältnis von Philologie und Wissenschaft im 19. Jahrhundert hat kürzlich Behrs instruktiv skizziert: Jan Behrs: Der Dichter und sein Denker. Wechselwirkungen zwischen Literatur und Literaturwissenschaft in Realismus und Expressionismus. Stuttgart 2013, S. 37–44. 110 Alfred Dove: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘. In: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 48: Nachträge bis 1899: Döllinger–Friedreich. Leipzig 1904, S. 749–767, hier S. 749. 111 Izabela Surynt u. Marek Zybura: „Mein theurer Theodor“. Gustav Freytags Briefe an Theodor Molinari 1847–1867. In: Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig 2015, S. 12–38, hier S. 21. 112 Florian Krobb (Hg.): 150 Jahre Soll und Haben. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005.

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geschlossen. Inzwischen gibt es zwei breiter angelegte Sammelbände zum Werk113 sowie eine belastbare Biographie des Autors.114 Mit diesen Büchern wird, bezogen auf die Freytag-Forschung, auch die Kluft zwischen ‚Inlands‘- und ‚Auslandsgermanistik‘ ein Stück weit aufgehoben. Denn mag man diese Unterscheidung auch generell für obsolet halten, so war sie innerhalb der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Freytags Werk bisher doch augenfällig. Eine umfassende und in der Perspektivierung breitere Auseinandersetzung mit dem vielfältigen Wirken und Schaffen des Dichters erfolgte vorher insbesondere durch die amerikanische, britische und polnische Germanistik. Gerade von den grundlegenden Arbeiten Surynts, Schofields und Lonners sind nach wie vor wichtige Impulse aufzunehmen.115 In diesem Sinne ist Freytag nicht in jeder Hinsicht neu, sondern vor allem erst einmal ganz zu entdecken. Mit dem Fokus auf die Erfolgstexte Die Journalisten und Soll und Haben  – im Kontext des Freytag’schen Gesamtwerks, der Gattungsdiskussionen ‚um 1850‘ sowie der realistischen Literaturpolitik insgesamt – möchte diese Studie einen Beitrag dazu leisten.

113 Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig 2015; Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/ Weimar/Wien 2016. 114 Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag. 115 Surynt: Das „ferne“, „unheimliche“ Land; Benedict Schofield: Private Lives and Collective Destinies. Class, Nation and the Folk in the Works of Gustav Freytag. London 2012; Lonner: Mediating the Past. – Als wichtige Monographie aus der amerikanischen Geschichtswissenschaft kann zudem die Arbeit Pings genannt werden: Larry L. Ping: Gustav Freytag and the Prussian Gospel. Novels, Liberalism, and History. Oxford 2006.

2 Gegenstand und Vorgehen „Der ganze Kerl – die ‚Journalisten‘ und den 1. Band von ‚Soll und Haben‘ abgerechnet – ist doch nur ein Lederschneider.“ (Theodor Fontane am 27. Februar 1881 über Gustav Freytag)1

Es sind vor allem zwei Werke, welche die Bedeutung Freytags im 19. Jahrhundert begründen und die ihm diese bis weit hinein ins 20. Jahrhundert sichern: Seine Komödie Die Journalisten (1852) und der Roman Soll und Haben (1855). In seinem Nekro­log betont etwa Rudolf Gottschall, Freytag habe gerade „auf zwei Gebieten, dem des Lustspiels und des Romans, das Beste geleistet von den Zeitgenossen“.2 Eine weitschweifige Würdigung kann sich der Nachrufende daher schenken: „Sowohl dies Lustspiel als auch der Roman sind so bekannt, daß ihre Inhaltsangabe überflüssig ist und ihre Vorzüge keines eingehenden Lobes bedürfen“.3 Gottschall steht mit seiner Meinung nicht allein. Ähnlich heißt es im Nachruf der Hamburger Nachrichten: „Nächst dem Roman ‚Soll und Haben‘ ist es das Lustspiel ‚Die Journalisten‘, dem sich die Gedanken des Hörers zunächst zuwenden, sowie der Name Gustav Freytag fällt.“4 Und in seinem Überblickslexikon Das literarische Deutschland (1891) charakterisiert Adolf Hinrichsen Freytag knapp als den „allerverehrteste[n] der deutschen Schriftsteller unserer Zeit“ und den „Dichter des vornehmsten und von niemand wieder erreichten modernen Lustspiels und Romans“.5 Noch Anfang des 20. Jahrhunderts bezeichnet Alfred Dove die beiden Werke in seinem Überblicksartikel für die Allgemeine Deutsche Biographie als Höhepunkt von Freytags Dichtung;6„beide zusammen“ seien dabei „litterarhistorisch von hervorstechender Bedeutung als poetischer Ausdruck des allgemeinen Charakters ihrer Zeit“; gerade die Komödie Die Journalisten sei „unstreitig“ die „schlechthin […] ruhmwürdigste Leistung seiner Feder“.7 Mögen die Urteile zu Freytags Roman auch niemanden überraschen, so befremdet die Nennung in einem Atemzug mit der Komödie auf den ersten Blick schon – ist das Stück doch, bis auf wenige Ausnahmen, vom Radar der Forschung noch eher verschwunden als von dem des Buchhandels und kann man es heute getrost als ‚vergessen‘ bezeichnen.8

1 Theodor Fontane: [Eintrag vom] 27. Februar 1887, Sonntag. In: ders.: Werke, Schriften und Briefe. Abteilung III: Erinnerungen. Ausgewählte Schriften und Kritiken. Bd. 3,2: Tagebücher, hg. von Helmuth Nürnberger. München 1997, S, 1135  f., hier S. 1136. 2 Gottschall: Gustav Freytag, S. 334. 3 Gottschall: Gustav Freytag, S. 334. 4 N. N.: Gustav Freytag. 5 Adolf Hinrichsen: Das literarische Deutschland. Mit einer Einleitung versehen von C. Bayer. Zweite vermehrte Aufl. Berlin 1891, Sp. 390. 6 Vgl. Dove: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘, S. 756. 7 Vgl. Dove: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘, S. 756. 8 Vgl. dazu im Einzelnen die Ausführungen in Kap. II. https://doi.org/10.1515/9783110541779-002

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Dabei stellen auch diese Äußerungen  – in der Perspektive der Zeitgenossen  – keine Übertreibungen dar und es handelt sich hierbei weder um eine zeitlich deutlich begrenzte Sichtweise noch um eine selektive Zusammenstellung kurioser Überhöhungen einzelner Verehrer:9 Bereits nach der Karlsruher Premiere am 2. Januar 1853 wird Freytags Lustspiel zu einem der „besten Bühnenproducte der Neuzeit“ erklärt.10 Ende des Jahrhunderts ist es so beliebt, dass es tatsächlich in mehreren Rezeptionszeugnissen als „das Beste Freytagscher Kunst überhaupt“,11 ja sogar als „das Hauptwerk seines Lebens“ hervorgehoben wird.12 Das Stück ist im 19. und im 20. Jahrhundert in einer Art und Weise auf den Bühnen und in den Literaturgeschichten präsent, dass der junge Georg Britting seine Aufführungskritik zu der Komödie 1912 mit der folgenden Einleitung beginnen kann: Nach einem Satz, der sich in jeder Literaturgeschichte findet, haben die Deutschen nur drei gute Lustspiele: Lessings „Minna von Barnhelm“, Kleists „Zerbrochenen Krug“ und Freytags „Journalisten“. Und wer all das platte Zeug kennt, das unter der Flagge „Lustspiel“ segelt, […] der muß dem strengen Urteil beipflichten.13

Während die Bestseller-Geschichte von Soll und Haben sattsam bekannt ist, wurde die Erfolgsspur der Journalisten, die sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des vergangenen zieht, bisher nicht wahrgenommen. Diese Studie zeichnet die Rezeptions- und Kanonisierungsgeschichte der Komödie von der Erstrezeption bis in die Jetztzeit nach (Kap. II.2.). Den Ausnahmeerfolg des Stücks sowie die Entwicklungslinien seiner Deutungsgeschichte bindet sie dabei zum einen zurück an dessen ‚realidealistische‘ Darstellungsanlage (s.  v.  a. Kap. II.2.3). Zum anderen zeigt sie, dass dem Drama schon bald nach Erscheinen der Rang einer damals dringend herbeigesehnten realistischen ‚Musterkomödie‘ zugesprochen wurde, ja dass es die gattungstheoretischen Vorgaben, in deren Kontext es entstand und auf deren Grundlage es bewertet wurde, in den Augen vieler Zeitgenossen mustergültig einlöste (s. Kap. II.1 u. Kap. II.2.1). Um dies zu veranschaulichen, rekonstruiert die Arbeit die in der litera9 Auch um diesem Eindruck zu entgehen bzw. ihn zu widerlegen, ist die vorliegende Studie auf eine Vielzahl von Belegen angewiesen. Schon angesichts des quantitativen Ausmaßes wie der qualitativen Streuung literarischer Kommunikation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich beinahe für jede beliebige These ein entsprechendes rezeptionsgeschichtliches Zeugnis finden. Rezeptionshistorisch verfahrende Studien sind daher m. E. in der Bringschuld, ihre Quellen einzuordnen und zentrale Thesen in einem quantitativ aussagekräftigen Maße zu stützen. 10 N. N.: Carlsruhe, den 4. Januar. In: Allgemeine Theater-Chronik. Organ für das Gesammtinteresse der deutschen Bühnen und ihrer Mitglieder 22 (1853), Nr. 7–9 (14. Januar 1853), S. 27. 11 Ernst Heilborn: Gustav Freytag, der Dramatiker. In: Das Magazin für Litteratur 64 (1895), Nr. 19, Sp. 583–587, hier Sp. 585. 12 Max Schoenau: Gustav Freytag. In: Mährisches Tagblatt 16 (1895), 3. Mai 1895 (Nr. 102). 13 Georg Britting: Die Journalisten. Lustspiel in vier Akten von Gustav Freytag [1912]. In: ders.: Frühe Werke. Prosa – Dramen – Gedichte. 1920 bis 1930, hg. von Walter Schmitz in Zusammenarbeit mit Hans Ziegler. München 1987, S. 40  f., hier S. 40.

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turwissenschaftlichen Forschung bisher geradezu inexistente Komödientheorie ‚um 1850‘ und verortet die Beiträge Gustav Freytags und Julian Schmidts in diesen Debatten.14 Auch indem sie die dafür einschlägigen Quellen überhaupt erst erschließt, versteht sich die Studie zugleich als Forschungsbeitrag zur Komödientheorie des Realismus. Für die besondere Wirksamkeit der Journalisten sowie Soll und Habens hat auch die zeitgenössische Rezeption eine Erklärung parat: Das erklärt sich hier wie dort aus der gleichen Ursache: dem festen Stehen beider Werke auf dem bürgerlichen Boden damaliger Zeit, der der Mutterboden gewesen ist für die Entwicklung des Bürgerthums von heute. Wie in „Soll und Haben“ das damalige sociale Leben an einer empfindlichsten Stelle herzhaft angefaßt war, so in den „Journalisten“ das politische. Hier wie dort galt es ein Waffenmessen zwischen Rückschritt und Fortschritt, bei dem der Rückschritt unterlag.15

Beider Innovationswert besteht in der Verklärung der nachrevolutionären bürgerlichen Gegenwart, die – so wird es hier nahegelegt – die Werke zugleich historisch, genauer: optimistisch-fortschrittsgeschichtlich perspektivieren. Nimmt man diese Zuschreibung ernst, so stehen bereits Die Journalisten für ein Literaturprogramm, das man primär mit Soll und Haben verbindet. In der Tat handelt es sich bei dem Lustspiel um Freytags erstes Nachmärzwerk, das dem etwa zweieinhalb Jahre später veröffentlichten Roman in vielen Punkten vorausgeht. Freytags ‚Poesie der Arbeit‘ und seine Poesie des als ‚prosaisch‘ verschrienen Bürgertums ebenso wie sein bürgerlicher Fortschrittsoptimismus, so möchte ich zeigen, werden nicht erst in Soll und Haben, sondern schon in Die Journalisten ins Werk gesetzt.16 Eigentlich ist nämlich es dieser Text, der die Leerstellen füllt, die Freytags Vormärz-Dramatik lässt, der sein Vormärz-Werk im Hinblick auf die bürgerliche Gesellschaft weiterentwickelt (s. Kap. II.3.3.1) und erstmals ein für den Nachmärz in besonderer Weise kennzeichnendes, geschichtsphilosophisch unterfüttertes Sinnangebot bereitstellt (s. Kap. II.3.3 u. 3.4). Dass es sich dabei um ein spezifisch liberales handelt (s. Kap. II.3.2), das seinen Darstellungsgegenstand in der zeitgenössischen Politik findet, auch darauf macht das zitierte Rezeptionszeugnis aufmerksam. Erkannte man in dem Drama 1853 noch ein – durchaus provokantes – Abbild des politischen Lebens

14 Für einen genaueren Forschungsüberblick s. Kap. II.1.1. 15 N. N.: Gustav Freytag. 16 So bemerkt etwa auch Samuel Lublinski im Jahr 1900: „Sein erfolgreiches Lustspiel ‚Die Journalisten‘ weist im kleineren Maßstabe alle Vorzüge seines bürgerlichen Romans auf“ (Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 89). – Den programmatischen VorgängerCharakter des Lustspiels betont zeitgenössisch auch: R[obert] Giseke: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern von Gustav Freytag. Eine Charakteristik. In: Novellen-Zeitung. Romane, Novellen, Schilderungen. Eine Wochenchronik für Literatur, Kunst, schöne Wissenschaften und Gesellschaft, dritte Folge, 1. Jahrgang (1855), Nr. 20, S. 311–318, hier S. 313  f.

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(„Die Handlung ist ein Stück Zeitgeschichte“)17 und ein liberales Parteistück,18 verschleift die spätere Rezeption diese Aspekte zunehmend. Demgegenüber soll das Lustspiel hier als ein für die Nachmärzjahre sowohl politisch als auch poetisch charakteristisches, liberales Zeitdrama profiliert werden. Die Umstände der kontroversen Frührezeption werden dabei ebenso berücksichtigt wie die politik- und sozialhistorischen Kontexte sowie die Entstehungszusammenhänge des Textes – etwa, indem ein ausführlicher Abgleich mit der verschollen geglaubten ersten Bühnenfassung vorgenommen wird (s. Kap. II.3.3.3). Die Tatsachen, dass Freytags Erfolgskomödie literaturgeschichtlich als das Journalistenstück schlechthin kanonisiert ist und ihr Autor zeitlebens als „der erste deutsche Journalist“ gilt,19 sollen darüber hinaus für die Textanalyse sowie in sozialgeschichtlicher, pressehistorischer und werkbiographischer Hinsicht fruchtbar gemacht werden (Kap. II.4). Nun gehen Die Journalisten Freytags Soll und Haben allerdings nicht nur bezogen auf die Darstellungsverfahren, die bürgerliche Verklärungspoetik oder den Geschichtsoptimismus voraus, sondern auch in ihrer antisemitischen Dimension. Während diese für den Roman tiefgehend erforscht wurde20  – und daher hier nur um wenige v. a. erzählanalytische Anmerkungen ergänzt wird (s. Kap. III.4) –, fand eine eingehende Diskussion über die problematischen Gehalte des Lustspiels bisher nicht statt. Dabei kann eine Auseinandersetzung mit Freytags frühestem jüdischen Charakter ‚Schmock‘ Kontexte und Blickwinkel eröffnen (etwa zur ‚Sprache jüdischer Figuren‘ oder zum liberalen Assimilationsdenken der Zeit), die sich wiederum interpretatorisch für Soll und Haben in Anschlag bringen ließen. Mit dem Kapitel zur Figur des ‚Schmock‘ möchte die vorliegende Studie eine bestehende Forschungslücke schließen und die Diskussion zum literarischen Antisemitismus bei Freytag um einen zentralen Baustein ergänzen. Dass ein quellenbasierter Zugriff Anlass dazu gibt, die Freytag zugeordnete Herkunft des sprichwörtlich gewordenen ‚Schmock‘ zu revidieren, zeigt dabei, wie wichtig gerade bei Freytag eine historisierende, kontextorientierte Herangehensweise ist, ja dass die breite verfügbare Quellenbasis noch zu wenig berücksichtigt wird und insbesondere Freytags Nachlass bislang nur unzureichend erschlossen ist (Kap. II.4.5). In Summe soll dargelegt werden, dass es sich bei Die Journalisten um einen Schlüsseltext für den Realismus, v. a. der Nachmärzjahre, sowie für das Gesamtwerk Gustav Freytags handelt, um ein Drama von außerordentlichem werk-, sozial- und epochengeschichtlichen Erkenntnispotential. Dient der breite Fokus auf die Komödie mithin dazu, auf die vielfältigen Konstellationen und Anknüpfungsmöglichkeiten bei 17 N. N.: Correspondenz. Berlin, den 12. April. In: Allgemeine Theater-Chronik. Organ für das Gesammtinteresse der deutschen Bühnen und ihrer Mitglieder 22 (1853), Nr. 49–51 (22. April 1853), S. 194  f., hier S. 194. 18 Vgl. Dove: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘, S. 756. 19 Alberti: Gustav Freytag: Zur siebzigsten Wiederkehr seines Geburtstages. 20 Vgl. grundlegend: Achinger: Gespaltene Moderne.

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diesem Text hinzuweisen und ihn für die Forschung (wieder) zu entdecken, so besteht dazu bei Soll und Haben keine Notwendigkeit. Mehr noch als die Komödie wird der Roman bereits zeitgenössisch als ein aus der nachmärzlichen Gattungsdiskussion hervorgegangener realistischer Mustertext21 wahrgenommen. Der Umstand, dass das lustspiel- ebenso wie das romantheoretische Anforderungsprofil, auf dessen Basis die Werke jeweils als beispielgebend gelesen und kanonisiert wurden, wesentlich durch Freytag selbst und die von ihm (1848 bis 1870) mitherausgegebene Zeitschrift Die Grenzboten (als Leitorgan des nachrevolutionären Realismus) formuliert wurden, wirft ein erhellendes Licht auf die Begründungszusammenhänge des programmatischen Realismus in den 1850er Jahren. Diese werden im Kontext der Romantheorie und der Positionierung von Soll und Haben eingehender untersucht. Gerade im Hinblick auf die von Segeberg nebenbei bemerkte „Zusammenarbeit zwischen rezensierender Programm-Zeitschrift und marktgerechtem Bestseller“22 fehlt es an Forschungsbeiträgen. Dies trifft ganz besonders auf das Zusammenwirken von Gustav Freytag und seinem zeitweiligen Mitherausgeber der Grenzboten (1848–1861), Julian Schmidt, zu. Beide sind als zentrale Stichwortgeber des programmatischen Realismus vornehmlich des ersten Nachmärzjahrzehnts kanonisiert – und zwar als Einheit.23 Diese Studie widmet sich erstmals dem strategischen Zusammenspiel der beiden, vor allem im Vorfeld von Soll und Haben (s.  v. a. Kap. III.3). Sie verfolgt damit ein Projekt, zu dem Freytags und Schmidts größter Antipode im literarischen Feld der Zeit, Karl Gutzkow (s. Kap. III.5), bereits 1852 aufgerufen hatte: „das Siamesische Zwillingspaar“ analytisch „in seine beiden Bestandteile zu trennen“.24 Ihre – bis heute jeder Anthologie zur realistischen Gattungstheorie ablesbare und von Gegnern wie Bewunderern anerkannte25 – diskursbestimmende Stellung erwarben sich die Grenzboten-Herausgeber durch eine geschickte Platzierung ihrer Werke

21 Es handelt sich, Steinecke zufolge, um den „erste[n] deutsche[n] Roman“, der „von zahlreichen Kritikern sehr unterschiedlicher ästhetischer Standorte unabhängig voneinander sogleich bei seinem Erscheinen als ‚realistisch‘ bezeichnet und auf ‚realistische‘ Merkmale hin untersucht“ wurde (Steinecke: Romanpoetik von Goethe bis Thomas Mann, S. 151). – Aus einer formgeschichtlichen Perspektive heraus betonte Petersen unlängst, dass es sich bei Soll und Haben um einen „Schlüsseltext der Epoche“ handle (Jürgen H. Petersen: Formgeschichte der deutschen Erzählkunst. Von 1500 bis zur Gegenwart. Berlin 2014, S. 242). 22 Harro Segeberg: Literatur im technischen Zeitalter. Von der Frühzeit der deutschen Aufklärung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Darmstadt 1997, S. 154  f. 23 Vgl. Richter: Leiden an der Gesellschaft, S. 4. –Vgl. dazu genauer die Ausführungen in Kap. III.1. 24 [Karl Gutzkow]: Feuilleton. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 16. Februar 1852 (Nr. 78) [Abendausgabe], S. 323  f., hier S. 324. 25 So nennt etwa Georg Lukács Die Grenzboten „das offizielle Organ der damaligen liberalen Bourgeoisie“, während Wilhelm Scherer von Freytag und Schmidt als von einst ‚kultisch verehrten‘ „Abgöttern“ spricht: Georg Lukács: Deutsche Literatur in zwei Jahrhunderten (Georg Lukács Werke, Bd. 7). Neuwied/Berlin 1964, S. 420; Scherer: An Gustav Freytag, S. 37.

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und programmatischen Texte, durch Strategien der wechselseitigen Selbstkonsekration und -kanonisierung sowie, vielleicht in allererster Linie, durch eine agonale Positions- und Aufmerksamkeitslogik, mit der sie in einem nach 1848 umorientierten26 literarischen Feld agierten (s. Kap. III.2, 3 u. 5). Nicht nur weil sie das nach allen ‚Regeln der Kunst‘ taten, auch um die Sichtweisen der Forschung auf den Roman zu erweitern und sich dem Werk mit einem – für text- und kontextorientierte Erörterungen gleichermaßen geeigneten – Zugang zu nähern, wird im Teil zu Soll und Haben eine feldtheoretische Perspektive eingenommen. Sie eignet sich mit ihrem doppelten Blick für die Textinnenwelt und das textexterne Umfeld des literarischen Marktes insofern, als der ‚Programmroman‘ solche literaturprogrammatischen, poetologischen und literaturpolitischen Positionen aufgreift, literarisch anverwandelt und popularisiert, wie sie das ‚Programmorgan‘ zuvor formuliert hat. Die von Helmstetter für die Realismus-Forschung diktierte Entscheidung „Programmatik oder Texte“ wird daher weder als ein Entweder-Oder akzeptiert noch für sinnvoll erachtet.27 Stattdessen werden außerdem umfassende (v. a. gattungshistorische und poetologiegeschichtliche) Kontextualisierungen vorgenommen und rezeptionshistorische Belege integriert. Bourdieus Vorstellung von einem sich historisch wandelnden ‚Raum der Werke‘ legt eine solche Verbindung sozial-, gattungs- und rezeptionsgeschichtlicher Perspektiven bereits indirekt nahe. Das außergewöhnliche ‚Feldereignis‘, um das es sich bei dem Erscheinen und der Diskussion um Soll und Haben erkennbar handelt, sowie die im Kontext davon stattfindenden massiven literaturpolitischen Umstrukturierungen empfehlen sich wiederum einer feldtheoretischen Herangehensweise und den von Bourdieu vorgeschlagenen (und ja v. a. am Beispiel des 19. Jahrhunderts entwickelten) Analysemodellen,28 sowohl einer textimmanenten Sozioanalyse (s. Kap. III.3), wie sie hier skizziert wird, als auch einer Positionsanalyse des Textes, wie sie den Schwerpunkt der Auseinandersetzung bildet. Die übergängige Anlage der Literaturpolitik von Freytag und Schmidt greift die Arbeit in der mehrfach codierten Formel von der ‚Poesie des Prosaischen‘ auf. Über sie soll gezeigt werden, wie die Aufwertung des als ‚prosaisch‘ geltenden bürgerlichen Lebens in poetischer, politisch-sozialer und literaturprogrammatischer Hinsicht im Grenzboten-Realismus mit einer Aufwertung der Prosa als literarischer Form einhergeht. Aus der Betrachtung dieser epochentypischen Großkonstellation – und dabei

26 Vgl. Peter Uwe Hohendahl: Literaturkritik in der Epoche des Liberalismus. In: ders. (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730–1980). Stuttgart 1985, S. 129–204, hier S. 187–192; Maria Zens: Literaturkritik in der Zeit des Realismus. In: Thomas Anz u. Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München 2004, S. 79–91, hier S. 79–82. 27 Vgl. Rudolf Helmstetter: Die Geburt des Realismus aus dem Dunst des Familienblattes. Fontane und die öffentlichkeitsgeschichtlichen Rahmenbedingungen des Poetischen Realismus. München 1998, S. 259–263. 28 Vgl. dazu Tilmann Köppe u. Simone Winko: Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung. Stuttgart/ Weimar 2008, S. 195  f.

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stets im Kontext der romantheoretischen Positionierung Freytags und Schmidts  – ergeben sich verschiedene für das Zeitalter des Realismus charakteristische (v. a. gattungshistorische und romanpoetologische) Einzelkonstellationen, die im Feld des Romans miteinander verbunden sind und hier in den Fokus rücken: die Bedeutung der Dorfgeschichte für den Grenzboten-Realismus und die realistische Prosatheorie (Kap. III.2.2), die behauptete Strukturähnlichkeit von Drama und Roman (Kap. III.2.3.1), das Aufeinanderprallen von ‚neuklassischer‘ Autonomieästhetik mit modernen Publikations- und Distributionsmedien (Kap. III.3.2), die realistische Wilhelm Meister-Rezeption (Kap. III.3 u. 4), die Verbindung von Individual- und Gesellschaftsroman (Kap. III. 4 u. 5), der sog. ‚Grenzboten-Streit‘ als feldstrukturierender und für den modernen Literaturmarkt beispielgebender Konflikt (Kap. III.5). Bereits diese Aufzählung macht deutlich, dass sich die Geschichte des Realismus ohne Gustav Freytag nicht schreiben lässt, sowie dieser umgekehrt erst dann interessant wird, wenn man ihn und sein Werk in weiteren Kontexten betrachtet – die ideologisch fragwürdigen ausdrücklich miteingeschlossen. In dieser Hinsicht (und nicht etwa als Person oder wie auch immer begabter Schriftsteller) ist Gustav Freytag als Epochenfigur, als ‚Phänotyp des 19. Jahrhunderts‘ für die vorliegende Arbeit interessant. Der in der Studie erprobte konstellative Zugriff, der sich für Konstellationen der Rezeptionsgeschichte ebenso interessiert wie für solche der Gattungs-, Sozial-, Ideologie-, Mentalitäts- oder auch Pressegeschichte, ergibt sich dabei zum einen aufgrund von Freytags besonderer Stellung an den Schnittstellen verschiedener Diskurse (literaturprogrammatisch-poetologische, publizistische, politische, wissenschaftliche), zum anderen aus der diskursübergreifend-integrierenden Anlage des Grenzboten-Programms, das einen Anspruch auf Gesamtreflexion der „wichtigsten politischen, socialen und künstlerischen Erscheinungen“29 der Gegenwart formuliert und etwa Politik, Kultur sowie Alltag der Menschen des 19. Jahrhunderts auf dessen Geschichte hin parallelisiert.30 Der Zugang der Arbeit ergibt sich darüber hinaus aus der Übereinstimmung von auktorialem Selbstverständnis und rezeptionshistorischer Zuschreibung, dass es sich gerade bei Die Journalisten und Soll und Haben um repräsentative Zeitgemälde handle.31 Die epochal repräsentative Bedeutung von Freytags Werk manifestiert sich noch da, wo es offenkundig scheitert – und von wo es etwa auf die beiden hier betrachteten Erfolgswerke zurückspiegelt. So gehört es etwa zur Ironie der Geschichte Freytags, dass es dem Autor der wohl wirksamsten Tragödientheorie des 19. Jahrhunderts nicht gelang, ein anerkanntes Trauerspiel zu verfassen. Sein Versuch in dieser Hinsicht, Die Fabier (1859), erweist sich nicht nur aufgrund seiner Anlage als historisches Drama von klassizistischer Form und geschlossenem Geschichtsbild als epochentypisch; es 29 Julian Schmidt u. Gustav Freitag: Den Lesern der Grenzboten. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, III. Band, S. 1–4, hier S. 2. 30 Vgl. z.  B. Julian Schmidt: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit [Bd. 1]. Leipzig 1870, S. 44. 31 Vgl. Dove: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘, S. 756.

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steht gleichermaßen symptomatisch für die Diskrepanz zwischen höchster ästhetischer Stellung des Dramas innerhalb der damaligen Gattungstheorie und einer schon von den Zeitgenossen beklagten Krise der Praxis, wie sie dem Drama des Realismus bis heute als Signum anhaftet (s. Kap. II.1.1). Einmal beinahe unzulässig verkürzt formuliert, scheitert die von Fontane über Raabe und Meyer bis zu Storm und Stifter vergeblich projektierte realistische Tragödie32 daran, dass sich der für das Trauerspiel konstitutive existentielle Konflikt nicht mit der realistischen Vorgabe nach Verklärung einer mit der Gegenwart versöhnten bürgerlichen Lebenswirklichkeit verträgt. Daher erscheinen die Konflikte realistischer Tragödienversuche, etwa Otto Ludwigs Der Erbförster, häufig nicht ‚tief‘ genug und darum verlagerten die Dramatiker der Zeit, so auch Freytag, diese Konflikte vielfach in die Geschichte. Die hohe Zahl von Historiendramen im Realismus begründet sich m. E. daher ebenso wie man aus dieser Konstellation die besondere und von den Theoretikern selbst erst spät erkannte (s. Kap. II.1) Kompatibilität der Komödie mit den Forderungen der Zeit ableiten kann. Gerade die in dieser Arbeit im Zentrum stehenden ersten beiden Werke Freytags nach der Revolution von 1848/49 bedienten die zeitgenössischen Bedürfnisse mit ihrem gegenwartsnahen, optimistischen und humorvoll-versöhnlichen Weltzugriff mustergültig. Entsprechend betonen die Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts ein ums andere Mal, wie sehr vor allem der Zeitroman Soll und Haben und das Zeitdrama Die Journalisten die historische Phase ihrer Entstehung einfangen.33 Sie gelten als spezifische Werke des literarischen Nachmärz, vorangetrieben von den – nach übereinstimmender Ansicht der Forschung34 – insbesondere für das nachrevolutionäre Jahrzehnt maßgeblichen Köpfen, geschrieben für einen veränderten Publikumsgeschmack: „Der Dichter bot dem nachmärzlichen Publikum in den ‚Journalisten‘ und in ‚Soll und

32 Vgl. Hans-Peter Rüsing: Otto Ludwigs Agnes-Bernauer-Fragmente. Zur Krise des Dramas im Bürgerlichen Realismus. Frankfurt a. M. u.  a. 1994, S. 9  f. 33 Vgl. etwa: Otto Brahm: Gustav Freytag [Deutsche Illustrirte Zeitung, 10. Juli 1886]. In: ders.: Kritische Schriften. Bd. 2: Literarische Persönlichkeiten aus dem neunzehnten Jahrhundert, hg. von Paul Schlenther. Berlin 1915, S. 52–60, hier S. 52  f.; Dove: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘; Heilborn: Gustav Freytag, der Dramatiker. – Für weitere Belege vgl. den Hauptteil. 34 Vgl. etwa: Kinder: Poesie als Synthese, S. 194; Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 9  f. Manuela Günter: Im Vorhof der Kunst. Mediengeschichten der Literatur im 19. Jahrhundert. Bielefeld 2008, S. 159. – Noch die wenig sinnvolle Unterscheidung zwischen einem ‚poetischen‘ und einen ‚bürgerlichen‘ Realismus, für den in der Regel die Phase der 1850er Jahre bzw. der Grenzboten-Realismus steht, spiegelt die herausgehobene Bedeutung gerade der Nachmärzjahre sowie die programmatische Relevanz Freytags und Schmidts (vgl. Claus-Michael Ort: Was ist Realismus? In: Christian Begemann (Hg.): Realismus. Epochen. Autoren. Werke. Darmstadt 2007, S. 11–26, hier S. 21 sowie Bernd Balzer: Die meisten Schwellen tragen Schienen. Anmerkungen zu Georg Weerth, Gustav Freytag und zur „Epochenschwelle“ von 1848. In: Julia Bertschik (Hg.): Produktivität des Gegensätzlichen. Studien zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Horst Denkler zum 65. Geburtstag. Tübingen 2000, S. 3–17, hier S. 6).

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Haben‘ gerade das, nach dem es verlangte“, wird Ludwig Salomon mit etwas Abstand 1881 urteilen.35 Keinesfalls soll damit die Zäsur von 1848/49 absolut gesetzt werden, die Freytag allerdings  – ähnlich wie etwa Theodor Fontane oder Robert Prutz –36 später zum entscheidenden „Wendepunkt“ sowohl in der „künstlerischen als auch in der „politischen Entwickelung unsres Volkes“ erklärt hat.37 Vielmehr möchte diese Studie besonders in der Rekonstruktion gattungstheoretischer Programmatiken darlegen, welche Kontinuitäten und Brüche die realistische „Programmphase in den 1850er Jahren“38 im Vergleich zur jungdeutschen Theoriediskussion aufweist (s. Kap. II.1 u. Kap. III.2). Vor allem, wenn man – mit guten Gründen – von einer Entwicklung realistischer Schreibweisen seit den 1830er Jahren bis ca. 1890 ausgeht,39 erscheint nicht nur eine stärkere Binnendifferenzierung der Epoche angebracht; die veränderten literaturpolitischen und mentalitätsgeschichtlichen Rahmenbedingungen nach der Revolution sollten ebenso berücksichtigt werden wie die Verbindungen und Unterschiede zu den frührealistischen Schreibweisen und Programmatiken des Vormärz (in der vorliegenden Studie dargestellt für die ‚realistische‘ Komödiendiskussion und Prosatheorie). In diesem Sinne knüpft die vorliegende Studie auch an die jüngere Profilierung des ‚Nachmärz‘-Begriffs40 und den Diskussionszusammenhang um

35 Ludwig Salomon: Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts. Stuttgart 1881, S. 384. 36 Vgl. Robert Prutz: Literatur und Literaturgeschichte in ihren Beziehungen zur Gegenwart. [zugleich Vorrede von Prutz’ Werk Die deutsche Literatur der Gegenwart. 1848 bis 1858 aus dem Jahr 1859]. In: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 8 (1858), Bd. 2, 9. Dezember 1858 (Nr. 50), S. 865–883, bes. S. 873  f.; Theodor Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe, München 1969, S. 236–260. – Vgl. dazu auch Norbert Otto Eke: Vormärz/Nachmärz – Bruch oder Kontinuität? Nachfragen an die Begriffsgeschichte. In: ders. u. Renate Werner (Hg.) unter Mitarbeit von Tanja Coppola: Vormärz – Nachmärz. Bruch oder Kontinuität? Vorträge des Symposions des Forum Vormärz-Forschung e.V. vom 19. bis 21. November 1998 an der Universität Paderborn. Bielefeld 2000, S. 11–30, hier S. 13  f. – Vgl. in diesem Rahmen mit besonderem Blick auf Freytag außerdem: Balzer: Die meisten Schwellen tragen Schienen. Anmerkungen zu Georg Weerth, Gustav Freytag und zur „Epochenschwelle“ von 1848. 37 [Gustav Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt. In: Die Grenzboten 25 (1866), I. Semester, I. Band, S. 241–247, hier S. 241. 38 Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 9. 39 Vgl. Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 16–18. 40 Sie tut dies in dem von Norbert Otto Eke sehr ausgewogen und überzeugend dargelegten Sinne eines ‚Nachmärz‘-Begriffs, der „längerfristige Transformationen ebenso wie die Gleichzeitigkeit konkurrierender Tendenzen“ (S. 29) integriert, der nicht kleinteiligen Periodisierungsfragen abgeleitet ist (vgl. S. 25  f.), sondern die Kategorie offen und wertneutral (vgl. S. 30) denkt – mit Fokus auf den nach 1848/49 geänderten Mentalitäten (s. etwa Kap. II.3.3 u. 3.4 zum Resignationsbegriff und Versöhnungskonzept), neuen institutionellen Rahmenbedingungen (s. etwa die Kapitel zum Wahlrecht und zur Pressefreiheit, Kap. II.3.1 u. II.4) sowie den u.  a. hieraus abgeleiteten literaturprogrammatischen Konsequenzen (hier dargestellt v. a. für Roman- und Komödiendiskussion); vgl. grundlegend Eke:

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die ‚vergessenen Konstellationen literarischer Öffentlichkeit seit den 1840er Jahren‘ an.41 Die wesentlich durch die Literaturpolitik der Grenzboten geprägte nachmärzliche Begründungsphase versucht sie abseits der bisherigen entweder politisch-sozial oder ästhetisch induzierten Epochalisierungen (‚poetischer‘/‚bürgerlicher‘ Realismus) differenzierter zu fassen.42 Die Arbeit bedient sich dabei eines streng historisierenden und quellenzentrierten Zugriffs, der sozial-, politik- und gattungshistorische Interessen ebenso integriert und verbindet wie kanonisierungs-, rezeptionsgeschichtliche und feldtheoretische Perspektiven. Zwischen letzteren besteht, wie oben angedeutet, eben kein Widerspruch, ist doch die rezeptions- und kanonisierungsgeschichtliche Herangehensweise schon bei Bourdieu angelegt, wenn dieser den „öffentlichen Sinn“ sowie die Bedeutung eines Werks als „ein Produkt unendlich verflochtener wechselseitiger Äußerungen innerhalb der kulturellen Sphäre“ begreift.43 Im Unterschied zur Historischen Rezeptionsanalyse, die sich auf das „Erkenntnisziel der bloßen Rekonstruktion“44 von textexternen Aussagen und Zuschreibungen beschränkt, gilt das Interesse hier zugleich den Texten selbst. Die Frage, wie ein Text gelesen, positioniert und kanonisiert wurde, lässt sich demnach nicht sinnvollerweise von der Frage trennen, was in einem Text der Fall ist‘45 – gerade wenn dieser „durch die literarische Kommunikation einer Zeit ‚benutzt‘ und zur sozialen Sinngenerierung eingesetzt wird“.46 Stattdessen wird dafür plädiert, ‚Rezeptionsakte‘ immer auch daraufhin zu befragen, ob sie als Texteffekte gelesen und für eine historisierend-interpretierende Textanalyse fruchtbar gemacht werden können.47

Vormärz/Nachmärz – Bruch oder Kontinuität?; vgl. auch Sigrid Weigel: Vorwort. Der Nachmärz als Laboratorium der Moderne. In: dies. u. Thomas Koebner (Hg.): Nachmärz. Der Ursprung der ästhetischen Moderne in einer nachrevolutionären Konstellation. Opladen 1996, S. 9–18. 41 Vgl. Katja Mellmann: Literarische Öffentlichkeit im mittleren 19. Jahrhundert. Zur Einführung. In: dies. u. Jesko Reiling (Hg.): Vergessene Konstellationen literarischer Kommunikation zwischen 1840 und 1885. Berlin u.  a. 2016, S. 1–32; vgl. dazu auch: Philipp Böttcher: [Tagungsbericht] Literarische Öffentlichkeit im mittleren 19. Jahrhundert. Vergessene Konstellationen literarischer Kommunikation zwischen 1840 und 1885, veranstaltet von Katja Mellmann und Jesko Reiling, Göttingen, 3.–5. April 2014. In: Zeitschrift für Germanistik NF 25 (2015), H. 1, S. 172–174. 42 Vgl. dazu auch Anm. 34 und Anm. 40. 43 Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt a. M. 1970, S. 101. 44 Katja Mellmann u. Marcus Willand: Historische Rezeptionsanalyse. Zur Empirisierung von Textbedeutungen. In: Philip Ajouri, Katja Mellmann u. Christoph Rauen (Hg.): Empirie in der Literaturwissenschaft. Münster 2013, S. 263–281, hier S. 277; vgl. auch: Marcus Willand: Lesermodelle und Lesertheorien. Historische und systematische Perspektiven. Berlin/Boston 2014, S. 16  f. 45 Mellmann/Willand: Historische Rezeptionsanalyse, S. 265. 46 Mellmann/Willand: Historische Rezeptionsanalyse, S. 265 (Hervorhebung im Original). 47 Insofern versteht sich die Arbeit, insbesondere der Teil zu Die Journalisten, auch als exemplarischer Beitrag zu den methodischen Kombinations- und Integrationsmöglichkeiten rezeptionshistorisch interessierter Zugänge.

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Sicher trifft dies etwa auf die frühen proto-literaturwissenschaftlichen Arbeiten zum Leben und Werk Freytags zu, die bereits im 19. Jahrhundert entstanden sind. Sie finden hier umfassend Berücksichtigung – und zwar gemäß ihrer ‚unprofessionellen‘ Beschaffenheit sowohl als rezeptionshistorische Zeugnisse als auch als informierende Darstellungen und mitunter inspirierende Deutungsangebote. Überhaupt möchte diese Arbeit über die Erschließung breiter (und zum Teil bisher unentdeckter) Quellenbestände einen Eindruck von dem Ausmaß der literarischen Kommunikation über einen Autor vermitteln, der der professionellen Forschung lange kaum erwähnenswert schien. Sie ruft die Literaturwissenschaft damit ihrerseits dazu auf, das Gespräch über Freytags epochenhistorisch in vielfältiger Hinsicht charakteristische Schriften weiter aufzunehmen, und möchte dazu ihren Anteil leisten: als Forschungsbeitrag zum Werk Gustav Freytags sowie zur Literaturgeschichte des Realismus.

Teil II: Das Lustspiel als bürgerliches Zeitdrama. Gustav Freytags Erfolgskomödie Die Journalisten (1852)

1 Das Lustspiel in der Gattungsdiskussion. Zur Theorie der Komödie um 1850 1.1 Hinführung Dass der Verfasser eines der erfolgreichsten Lustspiele des 19. Jahrhunderts die Komödie als Gegenstand seiner dramentheoretischen Abhandlung Die Technik des Dramas (1863) aussparte, gab Georg Droescher noch 1919 Anlass zu solchem Bedauern, dass der bekannte Theatermann und Autor seiner Klage mittels einer gewagten Parallelisierung Ausdruck verlieh: [M]üssen wir schon bei der Poetik des Aristoteles die Kapitel über [die] Komödie der Griechen entbehren, so wäre die deutsche Nation dem Dichter der „Journalisten“ entschieden dankbar gewesen, wenn er aus dem Schatze seiner Erfahrungen auf dem einschlägigen Gebiete einige leitende Grundsätze aufgestellt hätte.1

So aufschlussreich Droeschers Vergleich auch für Gustav Freytags literaturhistorischen Stellenwert noch im Jahr 1919 ist, so überzogen bis beinahe skurril mag seine Analogie aus heutiger Sicht anmuten. Sie verweist zudem auf ein charakteristisches Merkmal der Epoche des Realismus sowie auf ein typisches Problem ihrer Literaturgeschichtsschreibung. Denn Droeschers Dilemma, eine Monographie über Freytags Lustspiele zu schreiben, ohne dabei auf eine umfassende Lustspieltheorie des 19. Jahrhunderts zurückgreifen zu können, stellt bis heute eine allgemeine Herausforderung an die Realismus-Forschung auf dem Gebiet der Komödie dar. Die u.  a. von Helmut Schanze diagnostizierte „Lücke des Dramas von Hebbel bis Hauptmann, […] von Büchner und Grabbe bis Hauptmann und Wedekind“2 klafft innerhalb der literaturwissenschaftlichen Forschung zur Komödie dieser Zeit auch darum vermutlich noch tiefer als im Fall der Tragödie und deren Theorie.3 1 Georg Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen. Weida i. Thür. 1919, S. 104. 2 Helmut Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus (1850–1890). Theorie und Praxis. Frankfurt a.  M. 1973, S. 1. 3 Die Leerstellen in einschlägigen Überblickswerken zur Komödie und Komödientheorie bilden diese Lücke ab. Vgl. z.  B. Andrea Bartl: Die deutsche Komödie. Metamorphosen des Harlekin. Stuttgart 2009 (in Bartls Darstellung folgen auf die Deutung von Büchners Leonce und Lena im nächsten Abschnitt direkt die Ausführungen zu Hauptmanns naturalistischer Komödie Der Biberpelz [vgl. S. 166  f.]); vgl. ebenso Ulrich Profitlich (Hg.): Komödientheorie. Texte und Kommentare. Vom Barock bis zur Gegenwart. Reinbek b. Hamburg 1988; Bernhard Greiner: Die Komödie. Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretationen. 2., aktual. Aufl. Tübingen/Basel 2006; Uwe Japp: [Art.] ‚Komödie‘. In: Handbuch der literarischen Gattungen, hg. von Dieter Lamping in Zusammenarbeit mit Sandra Poppe, Sascha Seiler u. Frank Zipfel. Stuttgart 2009, S. 413–431, hier S. 429  f. – Auch der Artikel zur Komödie im ‚Reallexikon‘ lässt zwischen Kleists Der zerbrochne Krug (1811) und Hauptmanns Der Biberpelz (1893) einen Leerraum (Ulrich Profitlich u. Frank Stucke: [Art.] ‚Komödie‘. In: Reallexikon der deuthttps://doi.org/10.1515/9783110541779-003

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 1 Das Lustspiel in der Gattungsdiskussion. Zur Theorie der Komödie um 1850

Sowohl dem Trauerspiel als auch dem Lustspiel wurde indes ein spezifisches Missverhältnis zwischen Theorie und Praxis attestiert. Bei der Tragödie gilt die Diskrepanz zwischen höchster ästhetischer Stellung sowie geradezu ausufernder gattungstheoretischer Reflexion auf der einen Seite und der von Zeitgenossen wie Literaturwissenschaft gleichermaßen beklagten ‚Schwäche‘, ‚Krise‘ oder gar ‚Verfallsentwicklung‘ der Praxis auf der anderen Seite als literaturgeschichtliches Charakteristikum der Epoche.4 Bei der Komödie hingegen, so scheint es mit Blick auf die Forschung, verhält sich diese Divergenz genau umgekehrt: „In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besteht ein scharfer Widerspruch zwischen der theoretischen  – und im offiziellen Normensystem gegebenen – Abwertung der Komödie und ihrer realen theater- und repertoiregeschichtlichen Dominanz.“5 Diese Aussage bezieht sich allerdings eher auf die mittlere Ebene der Gebrauchs- und Unterhaltungsdramatik, die überdies stark von französischen Stücken und Vorlagen geprägt war. Aus heutiger Perspektive hat das Zeitalter des Realismus in Deutschland auf dem Feld der Komödie insgesamt weder dauerhaft kanonisierte Lustspiele von Rang noch eine mit der zeitgenössischen Tragödientheorie vergleichbare umfassend-systematische Gattungsreflexion hervorgebracht. Ein entsprechend unbeachteter Forschungsgegenstand blieb die Komödientheorie des 19. Jahrhunderts bisher.6 Der folgende Abschnitt setzt hier an und versteht sich als Einführung in die Theorie der Komödie um die Jahrhundertmitte. Die Begriffe ‚Lustspiel‘ und ‚Komödie‘ werden

schen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, hg. von Harald Fricke u.  a. Bd. 2: H–O. Berlin/New York 2007, S. 309–313, hier S. 311). 4 Vgl. dazu allgemein: Helmut Schanze: Die Anschauung vom hohen Rang des Dramas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seine tatsächliche „Schwäche“. In: Helmut Koopmann u.  J. Adolf Schmoll (Hg.): Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jahrhundert. Bd. 1. Frankfurt a.  M. 1971, S. 85–96; ders.: Theorie des Dramas im „Bürgerlichen Realismus“. In: Reinhold Grimm (Hg.): Deutsche Dramentheorien. Bd. 2: Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland. 3., verb. Aufl. Wiesbaden 1981, S. 67–82; ders.: Drama im Bürgerlichen Realismus; Edward McInnes: Drama und Theater. In: ders. u. Gerhard Plumpe (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/ Wien 1996, S. 343–393; ders.: Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts. Berlin 1983; Roy C. Cowen: Der Poetische Realismus. Kommentar zu einer Epoche. München 1985, S. 22–29. 5 Hans-Peter Bayerdörfer: [Art.] ‚Komödie‘. In: Moderne Literatur in Grundbegriffen, hg. von Dieter Borchmeyer u. Viktor Žmegač. 2., neu bearb. Aufl. Tübingen 1994, S. 224–230, hier S. 224. 6 Außer der schmalen Studie von Bardeli (1935) liegt keine monographische Darstellung oder umfassendere Arbeit zum Thema vor: Walter Bardeli: Theorie des Lustspiels im 19. Jahrhundert. Phil. Diss. München/Eisenach 1935. – Der veränderten Bedeutung der Komödie seit den 1840er Jahren widmet sich außerdem Dithmar in einem erhellenden Kapitel: Otto-Reinhard Dithmar: Deutsche Dramaturgie zwischen Hegel und Hettner und die Wende von 1840. Phil. Diss. Heidelberg 1965, [o. O.] 1966, S. 132– 152.  – Eine Zusammenstellung dreier zentraler, aber weithin unbeachteter komödientheoretischer Texte (von Hermann Hettner, Karl Hillebrand und George Meredith) hat 1973 Altenhofer vorgenommen: Norbert Altenhofer (Hg.): Komödie und Gesellschaft. Komödientheorien des 19. Jahrhunderts. Hettner – Hillebrand – Meredith. Frankfurt a.  M. 1973.

1.1 Hinführung 

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dabei – wie seit Gottsched üblich („Von Komödien oder Lust-Spielen“7) – gleichbedeutend behandelt. Diese synonyme Verwendung hat sich in der Forschung als so sinnvoll wie gebräuchlich etabliert8 und findet sich auch im 19. Jahrhundert. Mitunter ist da in den Quellen vom ‚hohen‘ oder ‚höheren‘ Lustspiel die Rede. Bezeichnet ist damit keine spezifische Form; vielmehr dient diese Wendung den Zeitgenossen zur Abkehr vom niedrigen Gattungswert der Komödie allgemein, besonders aber zur Abgrenzung von deren als nieder angesehenen Untergattungen des populären Unterhaltungstheaters, allen voran von der Posse.9 Diese wurde um 1850 zwar als potentieller Ansatzpunkt bzw. Entwicklungsstufe für das angestrebte ‚hohe‘ Lustspiel profiliert, notorisch jedoch als niedere Komödienform angesehen und nicht nur von den Zeitgenossen („[d]em feineren Lustspiele ordnet die Posse sich unter“10), sondern lange auch von der Literaturwissenschaft gegenüber dem als anspruchsvoller verstandenen und ersehnten ‚höheren‘ Lustspiel abgegrenzt und abgewertet.11 In Zusätzen wie ‚hohes‘ 7 Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. In: ders.: Schriften zur Literatur, hg. von Horst Steinmetz. Stuttgart 1972, S. 12–196, hier S. 176. 8 „[W]ir tun am besten, wenn wir Komödie und Lustspiel als gleichberechtigte und austauschbare Namen für das komische Drama verwenden“ (Hans Joachim Schrimpf: Komödie und Lustspiel. Zur terminologischen Problematik einer geschichtlich orientierten Gattungstypologie. In: ZfdPh 97 (1978), Sonderheft: Studien zur deutschen Literaturgeschichte und Gattungspoetik. Festgabe für Benno von Wiese, S. 152–182, hier S. 181). „Die Begriffe ‚Lustspiel‘ und ‚Komödie‘ bezeichnen in der Sache im Wesentlichen ein und dasselbe […]. Versuche einer insbesondere mit der deutschen Komödiengeschichte  […] verbundenen begrifflichen Differenzierung haben sich nicht durchgesetzt“ (Andreas Mahler: [Art.] ‚Lustspiel, Komödie‘. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding. Bd. 5: L–Musi. Darmstadt 2001, Sp. 661–674, hier Sp. 661). – Vgl. hierzu auch: Georg-Michel Schulz: Einführung in die deutsche Komödie. Darmstadt 2007, S. 9; Japp: [Art.] ‚Komödie‘, S. 414; Profitlich/ Stucke: [Art.] ‚Komödie‘. – Vgl. zu einer genaueren Begriffsdiskussion, zum Komödien-Begriff allgemein sowie zur Gattungsgeschichtsschreibung: Schrimpf: Komödie und Lustspiel; Ulrich Profitlich: „Geschichte der Komödie“. Zu Problemen einer Gattungsgeschichte. In: ZfdPh 116 (1997), S. 172–208. 9 Zur Posse als Untergattung vgl. Schulz: Einführung in die deutsche Komödie, S. 13  f. – Als Beleg für die Abgrenzung von ‚höherem Lustspiel‘ und ‚niederer Posse‘ sowie für die synonyme Verwendung von ‚Lustspiel‘ und ‚Komödie‘ siehe z.  B.: Philipp Mayer: Theorie und Literatur der deutschen Dichtungsarten. Ein Handbuch zur Bildung des Stils und des Geschmackes. Nach den besten Hilfsquellen bearbeitet. Bd. 1. Wien 1824, S. 202, 206–208. – Zum Verhältnis von gering geachteter Posse und programmatisch neu entdecktem Lustspiel im Jungen Deutschland vgl. Paul Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel. Heidelberg 1930, S. 98–143. 10 Wilhelm Ernst Weber: Die Aesthetik aus dem Gesichtspunkte gebildeter Freunde des Schönen. Zwanzig Vorlesungen, gehalten zu Bremen, zweite Abtheilung, Leipzig/Darmstadt 1835, S. 299. – Für weitere Belege vgl. die entsprechenden Zitate in diesem Kapitel. 11 Zur Abwertung der Posse gegenüber dem ‚höheren Lustspiel‘ vgl. Eckehard Catholy: [Art.] ‚Posse‘. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, hg. von Werner Kohlschmidt u. Wolfgang Mohr. Bd. 3: P–Sk. 2. Aufl. Berlin/New York 2001, S. 220–223, hier S. 222  f.; Herbert Herzmann: [Art.] ‚Posse‘. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, hg. von Harald Fricke u.  a. Bd. 3: P–Z. Berlin/New York 2007, S. 134–136; Jürgen Hein: Spiel und Satire in der Komödie Johann Nestroys. Bad Homburg/Berlin/Zürich 1970, S. 160–162; Bayerdörfer: [Art.] ‚Komödie‘, S. 225; Martin Holtermann: Der deutsche Aristophanes. Die Rezeption

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oder ‚höheres‘ (mitunter auch ‚feines‘, ‚echtes‘ ‚edles‘ oder ‚ernst(haft)es‘) artikulieren sich dieser Wunsch und dieses Verständnis. Die Attribute spiegeln mithin sowohl die in der Dramentheorie zu beobachtende Unterscheidung zwischen ‚höherer‘ und ‚niederer‘ Komödienform als auch ein Missbehagen an der Komödienpraxis, bezogen auf die eine von den Zeitgenossen empfundene Leerstelle markiert wird. Die Ansicht, dass „in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts komödientheoretisch“ lediglich „gedanklich Schlichtes“ hervorgebracht wurde, wie Helmut Arntzen 2001 bemerkte,12 teile ich nicht. Auch wenn die Komödie – im Ganzen betrachtet – in den Gattungspoetiken des 19. Jahrhunderts eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielte und sie von dem überwiegenden Teil der damaligen Literaturtheorie und -kritik eher geringe Wertschätzung erfuhr,13 wurde ihr gerade ‚um 1850‘ eine zentrale öffentliche Funktion zugeschrieben. Wenngleich die entsprechenden Quellen unzusammenhängender und entlegener vorliegen (und nicht nur aufgrund der notorischen Geringschätzung der Gattung, sondern auch deshalb von der Literaturwissenschaft gar nicht oder nur kaum beachtet wurden), nahm die Komödie besonders in dieser Phase innerhalb der literaturkritischen und literaturreflexiven Kommunikation durchaus breiten Raum ein. Der Dramentheoretiker und Literarhistoriker Hermann Hettner bemerkte in seiner wirkmächtigen Programmschrift Das moderne Drama (1852) sogar: „Wir in Deutschland kommen vor lauter Theorie des Komischen zu keiner Komödie.“14 Der Umstand, dass weder zahlreich noch umfangreich ‚Techniken des Lustspiels‘ verfasst wurden, sollte nicht zu der Annahme verleiten, eine Theoriebildung auf diesem Gebiet habe es nicht gegeben. Vielmehr gilt die Komödie in den – die politische Zäsur von 1848 ästhetisch überschreitenden – literaturtheoretischen Diskussionen der Jahrhundertmitte als privilegiertes Wunschobjekt poetischer Modernisierung. Insbesondere in dieser Gattung wird seit der jungdeutschen Hinwendung zum Lustspiel Mitte der 1830er Jahre15 eine mögliche Form gesehen, die sich der politischgesellschaftlichen Wirklichkeit auf populäre Weise öffnet und so wiederum potentiell auf die Realität zurückwirken kann. Zur Komödientheorie der Zeit stellt Altenhofer treffend fest: „Die Erkenntnis des gesellschaftlichen Relevanzverlustes der Komödie ist für sie der eigentliche Antrieb der theoretischen Reflexion.“16 eines politischen Dichters im 19. Jahrhundert. Göttingen 2004, S. 173, Anm. 251. – Als Beispiel für die literaturwissenschaftliche Unterscheidung zwischen der vermeintlich ‚niederen‘ Posse und dem ‚höheren‘ Lustspiel vgl. Bardeli: Theorie des Lustspiels im 19. Jahrhundert, S. 5–9. 12 Helmut Arntzen: Bemerkungen zur immanenten Poetologie der „Ernsten Komödie“ im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Nestroy, G. Hauptmann, Sternheim, Horvath. In: Ralf Simon (Hg.): Theorie der Komödie – Poetik der Komödie. Bielefeld 2001, S. 157–171, hier S. 157. 13 Vgl. Schulz: Einführung in die deutsche Komödie, S. 71–73; vgl. Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus, S. 3  f.; Bayerdörfer: [Art.] ‚Komödie‘, S. 224  f. 14 Hermann Hettner: Das moderne Drama. Aesthetische Untersuchungen. Braunschweig 1852, S. 142. 15 Vgl. dazu allgemein Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel. 16 Norbert Altenhofer: Nachwort. In: ders. (Hg.): Komödie und Gesellschaft. Komödientheorien des 19. Jahrhunderts. Hettner – Hillebrand – Meredith. Frankfurt a.  M. 1973, S. 215–221, hier S. 216.

1.1 Hinführung 

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Dennoch mag es aus der Rückschau und angesichts der vielfach unvollendet oder erfolglos gebliebenen Lustspielprojekte zunächst so scheinen, als füge sich auch die Geschichte der realistischen Komödie bruchlos in die von Martini für die Zeit allgemein konstatierte „Geschichte des scheiternden Dramas“.17 Die Dramenproduktion des Realismus überblickshaft taxierend, spricht etwa Aust vom „Scheitern bzw. Ausbleiben einer modernen, realistischen Komödie“ und kommt zu dem Ergebnis: „Die Literaturgeschichte kennt keine realistische Komödie, die sich mit einem kanonischen Erzählwerk des Realismus vergleichen ließe.“18 Was Aust hier mit Fokus auf die Kanones des späten 20. Jahrhunderts formuliert, stellt sich mit Blick auf jene des 19. sowie auch des frühen 20. Jahrhunderts freilich anders dar. Ebenso verhält es sich mit seinem Urteil, bei Freytags Die Journalisten handle es sich um ein „ästhetisch belanglos[es]“ Stück.19 Mag – aus der Metaperspektive der neueren deutschen Literaturgeschichte betrachtet – der darstellungstechnische Innovationswert dieser Komödie auch eher gering ausfallen, so wurde dem unvergleichbar erfolgreichen Drama von den Zeitgenossen sehr früh ästhetisches Erneuerungspotential und sehr lang kanonische Geltung attestiert. Entsprechend galten Die Journalisten z.  B. Brockhaus’ Konversationslexikon von 1894 als „das beste Lustspiel des Jahrhunderts“20 und wurden noch 70 Jahre später von Kurt Bräutigam in dessen Abriss zur Komödiengeschichte als „das beste Lustspiel jener Zeit“21 und als seltenes Beispiel eines „echte[n] Lustspiel[s]“ ‚hoher Form‘ gewertet.22 Gerade hierdurch wird ersichtlich, wie wenig die Literaturwissenschaft bei ihrer Beurteilung von Texten mitunter die Historizität des eigenen Standorts, die der Bewertungen und Kanones sowie nicht zuletzt die Geschichte der eigenen Wertungen berücksichtigt und reflektiert. Auch die Perspektive der zeitgenössischen Aufnahme und Bewertung eines Textes sowie die damals zugrunde gelegten Kriterien werden von einer auf den gegenwärtigen Kanon und dessen Maßstäbe verengten Literaturwissenschaft häufig gleichermaßen vernachlässigt wie die oft wechselvolle Geschichte der Kanonisierung bzw. Nicht-Kanonisierung eines Textes überhaupt. Beiden Aspek-

17 Fritz Martini: Drama und Roman im 19. Jahrhundert. Perspektiven auf ein Thema der Formengeschichte. In: ders.: Literarische Form und Geschichte. Aufsätze zu Gattungstheorie und Gattungsentwicklung vom Sturm und Drang bis zum Erzählen heute. Stuttgart 1984, S. 48–80, hier S. 59. 18 Hugo Aust: Realismus. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart/Weimar 2006, S.  292, 291.  – Dass der Realismus auf dem Gebiet der Komödie unergiebig geblieben sei, konstatieren – unter verhaltener Ausnahme von Freytags Die Journalisten – auch: Richard Daunicht, Werner Kohlschmidt u. Wolfgang Mohr: [Art.] ‚Lustspiel‘. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, hg. von Werner Kohlschmidt u. Wolfgang Mohr. Bd. 2: L–O. 2. Aufl. Berlin/New York 2001, S. 226–240, hier S. 238. 19 Aust: Realismus, S. 291. 20 N. N.: [Art.] ‚Freytag, Gust.‘ In: Brockhaus’ Konversationslexikon. In sechzehn Bänden. Bd. 7: Foscari–Gilboa. 14., vollst. neubearb. Aufl. Leipzig 1894, S. 300. 21 Kurt Bräutigam: Zur Geschichte des Lustspiels. In: ders. (Hg.): Europäische Komödien. Dargestellt an Einzelinterpretationen. Frankfurt a.  M./Berlin/Bonn 1964, S. 18–31, hier S. 27. 22 Bräutigam: Zur Geschichte des Lustspiels, S. 28.

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ten möchte die folgende Darstellung gerecht werden, indem sie den kultur- und komödiengeschichtlichen Ort von Freytags Drama sowie dessen Wertungsgeschichte rekonstruiert und historisiert. Dabei sollen nicht nur Verbindungen zwischen Entstehungszusammenhang, früher Rezeption und Kanonisierungsgeschichte verdeutlicht, sondern insgesamt Zusammenhänge zwischen Text, (historischen) Kontexten, Programmatik und Rezeption aufzeigt werden. Mittels einer streng historisierenden und quellennahen Analyse sollen überdies die eben referierten gängigen literaturgeschichtlichen Urteile zur Komödie sowie zur Komödientheorie des Realismus differenziert und zum Teil auch korrigiert werden. Wie die anderen Texte Gustav Freytags gewinnt auch sein mit weitem Abstand erfolgreichstes und von den Zeitgenossen am meisten anerkanntes Drama Die Journalisten seine Relevanz für die Literaturgeschichtsschreibung nicht aufgrund seines poetisch überdauernden Werts, sondern aufgrund seiner zeitpolitischen, sozialgeschichtlichen sowie zeitästhetischen Bedeutung. Entscheidend ist mithin der Stellenwert, den man dem Text im 19. Jahrhundert – und darüber hinaus – zuerkannte, nicht zuletzt, da dieser die komödientheoretischen Vorgaben, in deren Kontext er entstand und auf deren Grundlage er bewertet wurde, in den Augen der Zeitgenossen mustergültig einlöste. Dies möchte ich im Folgenden darstellen und dabei zunächst die bisher von der Forschung vernachlässigte komödientheoretische Diskussion der Jahrhundertmitte umreißen (Kap. 1.2), um daraufhin Freytags Beiträge zu dieser Debatte zu rekon­ struieren, in dieser zu verorten und weitläufiger (werkbiographisch und komödientheoretisch) zu kontextualisieren (Kap. 1.3). Denn erst vor dem Hintergrund der Lustspieldiskussion um 1850 erklären sich die kulturhistorisch-politische Relevanz, die poetisch-programmatische Bedeutung und der spezifische ‚Realismus‘ jenes Dramas, dem im 19. Jahrhundert schließlich wie keinem anderen23 der Status einer bis dahin dringend herbeigesehnten ‚realistischen‘ und ‚nationalen‘ Komödie zugeschrieben wurde: Gustav Freytags Die Journalisten.

1.2 Das realistische Lustspiel als Zeitdrama. ­Gattungsreflexionen der Jahrhundertmitte Die „Durststrecke“, die die Komödienforschung dem sog. ‚hohen‘ Lustspiel in Deutschland nach dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bescheinigt,24 haben die Zeitgenossen in ähnlicher Weise als Mangelzeit wahrgenommen („um unsere komi23 Trotz der dort insgesamt als wenig ergiebig bewerteten Lustspielproduktion im Zeitalter des Rea­ lismus gelten Die Journalisten noch dem Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte als „beste[s] Ergebnis“ des realistischen Lustspiels (Daunicht/Kohlschmidt/Mohr: [Art.] ‚Lustspiel‘, S. 238). 24 Schulz: Einführung in die deutsche Komödie, S. 71. – Deutlich noch konstatiert Helmut Prang in seiner Geschichte des Lustspiels die „Dürftigkeit der deutschen Lustspieldichtung im 19. Jahrhundert

1.2 Das realistische Lustspiel als Zeitdrama. ­Gattungsreflexionen der Jahrhundertmitte 

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sche Poesie steht es sehr schlimm“25; „Wer kennt die Noth des deutschen Lustspielrepertoirs und stimmt nicht aus vollster Seele in diese Klage?“26), jedoch bereits seit Beginn der 1840er Jahre vielfach zu einer notwendigen Übergangsphase erklärt,27 die man theoretisch zu begleiten und zu unterstützen habe.28 Eine solche „Uebergangszeit“, so Julian Schmidt 1853 in seiner Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert, sei für das Drama insgesamt grundsätzlich „nicht sehr verheißend“, die Gattung sei vielmehr auf eine „fertige geschlossene Weltordnung“ angewiesen.29 Vergleichbar befindet Gustav Freytag 1850 in den Grenzboten: „Da jetzt eine Zeit ist, wo wir in Deutschland weder am Alten noch am Neuen besondere Freude haben, ist nicht anzunehmen, daß irgend eine Art des Lustspiels gerade jetzt große Fortschritte machen würde“.30 An selber Stelle schreibt er ein Jahr zuvor unter der Überschrift „Vergangenheit und Zukunft unsrer dramatischen Kunst“: Es steht schlecht um die dramatische Kunst und wir suchen nach Rettung. Die gründliche Heilung liegt in der Zukunft. […] An der staatlichen Entwicklung der Deutschen hängt fortan ihre gesamte künstlerische. Das Leben des Forum schaffe Charaktere, so wird der Dichter und Schauspieler sie darstellen können, es gebe dem Einzelnen Selbstgefühl, so werden die Künstler den Muth haben, ehrlich gegen ihre Kunst zu sein, es schaffe uns die übermüthige Freude am Leben und seinen bunten Genüssen, welche einem thätigen Volk mit der Macht und Herrschaft kommt, so wird dem Drama Humor, Witz und der frische Muth, das Gewaltigste zu wagen, auch nicht fehlen.31

Freytag bemüht hier ein zeitgenössisch charakteristisches – und bereits die Vormärzzeit prägendes – Argumentationsmuster, dem zufolge die Gründe für die ästhetische Krise des Dramas in den politisch-sozialen Zuständen der Gegenwart zu suchen seien und erst mit deren Veränderung auch eine Verbesserung der dramatischen Produkund bemängelt ein „geringe[s] Lustspielschaffen dichterischer Qualität“ (Helmut Prang: Geschichte des Lustspiels: Von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart 1968, S. 273, 246). 25 Hettner: Das moderne Drama, S. 139. 26 Hettner: Das moderne Drama, S. 173. 27 Vgl. z.  B.: Hettner: Das moderne Drama, S. Vf.; N. N.: Das neue deutsche Drama. In: Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände. Bd. 17. Leipzig 1852, S. 1–45, hier S. 1–5, 44  f. 28 „Nicht vornehm verleugnen dürfen wir die künstlerischen Bestrebungen der Gegenwart; wir müssen ihnen, insoweit sie einen inneren Kern haben, nach allen Kräften über die Drangsale der äußeren Hemmnisse hinüberhelfen. […] Und da muß ich denn gestehen, daß, obgleich ich vorhin sagte, wir kämen vor lauter Theorie des Komischen zu keiner Komödie, ich dennoch in dieser Lage der Dinge einzig und allein von der allgemeinsten Verbreitung gründlich theoretischer Einsicht eine wirklich durchgreifende Förderung erwarte.“ (Hettner: Das moderne Drama, S. 144). 29 Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. Zweiter Band. Leipzig 1853, S. 286. 30 Gustav Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß [1850]. In: VA I, 70–78, hier 77. 31 Gustav Freytag: Theater. Vergangenheit und Zukunft unsrer dramatischen Kunst [1849]. In: VA I, 274–282, hier 281  f.

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tion erwartet werden könne. Seiner mimetischen Kunstauffassung gemäß müsse das politische „Leben des Forum“ erst für die Bühne darstellbare Charaktere hervorbringen, ehe die Bühne zum Forum für das politische Leben werden könne. Diese Überlegung, wonach realistische Dramatik eine entsprechende empirische Wirklichkeit voraussetzt, hängt zusammen mit einem schon in den jungdeutschen Gattungsdiskussionen zu beobachtenden Dramenverständnis, dem zufolge das Drama als ‚objektive Gattung‘ nur bestehende Zustände abbilden könne.32 Ähnlich wie später in Die Technik des Dramas wird die dramatische Entwicklung daher von Freytag an die nationale Entwicklung gekoppelt, setzt der von ihm beschworene „Frühling für ein reichliches Blühen des Dramas“ eine bürgerliche Blütezeit voraus (GW XIV, [X]).33 Diese Argumentationsfigur erweist sich als zeittypisch. Sie findet sich in ähnlicher Form in unzähligen literaturtheoretischen Überlegungen der Jahrhundertmitte und erstreckt sich nicht nur auf die Komödie, sondern auf das Drama insgesamt.34 Die hohe nationalpolitische Bedeutung, die dem Drama zugesprochen wurde, hat ebenso wie die diskursive Kopplung von dramenästhetischen und politisch-öffentlichen Fragen wohl nicht zuletzt darin ihren Ursprung, dass sich in der Theater- und Literaturkritik „jene Form von Öffentlichkeit“ bilden konnte, „die auf dem politischen Feld nicht möglich war“.35 Von Gutzkow etwa wird dieses Argumentationsmuster auch für das historische Drama herangezogen36 – für die im Vergleich zur Tragödientheorie quantitativ massiv abfallende und insgesamt wenig kohärente Gattungsdiskussion zur Komödie ist sie jedoch in besonderer Weise signifikant. Ob nun Julian Schmidt, Gustav Freytag oder Gottfried Keller, ob Robert Prutz, Hermann Hettner oder Friedrich Theodor Vischer, ob Heinrich Laube, Arnold Ruge oder Eduard von Bauernfeld  – sie alle teilen neben einer gegenwärtigen Defizit­ diagnose die Annahme, dass die moderne Komödie erst in einem fortgeschrittenen,

32 Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 11–16, 22. 33 Vgl. in diesem Sinne und ausführlicher in der Argumentation auch GW XIV, 22–25. – Ähnlich wie Freytag formuliert Hermann Hettner 1852: „Große Kunstepochen, besonders dramatische, erstehen überall nur, wo ein Volk zum gedeihlichen Abschluß eines gewaltigen Bildungsprocesses gelangt ist.“ (Hettner: Das moderne Drama, S. 9  f.) 34 Vgl. Gerhard Plumpe: Einleitung. In: ders. (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Stuttgart 1997, S. 9–40, hier S. 30; vgl. Aust: Realismus, S. 292; vgl. ausführlicher: Jörg Schönert: Zur Diskussion über das „moderne Drama“ im Nachmärz (1848–1870). Realismus – Klassizität – epigonale Praxis. In: DVjs 53 (1979), S. 658–694, bes. S. 674–677. 35 Bernd Kortländer: „… was gut ist in der deutschen Literatur, das ist langweilig und das Kurzweilige ist schlecht.“ Adaptionen französischer Lustspiele im Vormärz. In: Maria Porrmann u. Florian Vaßen (Hg.): Theaterverhältnisse im Vormärz (FVF – Forum Vormärz Forschung. Jahrbuch 2001, 7. Jahrgang). Bielefeld 2002, S. 197–211, hier S. 199. – „[W]ir Deutsche haben kein anderes öffentliches Leben als das der Literatur“, klagte demgemäß etwa auch der demokratisch gesinnte Literatur- und Kulturhistoriker Johannes Scherr (J[ohannes] Scherr: Poeten der Jetztzeit in Briefen an eine Frau. Stuttgart 1844, S. 124). 36 Vgl. Karl Gutzkow: Vorrede zu „Wullenweber“ [1848]. In: RuG II, S. 470–471.

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freien, und national vereinten bürgerlichen Staat zur vollen Entfaltung gelangen werde.37 „Weiß es doch bereits jedes Kind“, bemerkt Hettner, „daß die Schönheit der Kunst vor Allem die Schönheit des Lebens voraussetzt! […] das höchste Ziel der komischen Poesie ist uns unter den jetzigen Verhältnissen verschlossen“.38 Die hohen Ansprüche an die Gattung Komödie, ihre Anlage als Zeitbild der bürgerlichen Gegenwart und die damit einhergehende Bindung an die außerliterarische Wirklichkeit klingen schon beim vormärzlichen Gutzkow aporetisch: „Das Lustspiel muß die Blüte einer gesellschaftlichen Kultur sein, wie wir sie nicht besitzen“.39 Für den Mangel an modernen Lustspielen werden mithin entscheidend äußere Umstände verantwortlich gemacht. So führt beispielsweise Friedrich Theodor Vischer die jungdeutsche Begründung für das Scheitern eines deutschen Nationaltheaters fort,40 wenn er 1857 – übertragen auf die Komödie – schreibt: Der Grund, warum wir so arm sind an Komödien, liegt zum Theil allerdings in dem Mangel einer Gesellschaft, einer großen, tonangebenden Hauptstadt mit der gleich fließenden Stoffquelle komischer Typen, komischer Verhältnisse, zum Theil auch im Mangel politischer Freiheit […].41

Diese Bedingungsfaktoren der fehlenden Freiheit, der eingeschränkten Sagbarkeitsregeln und ausgebliebenen Demokratisierung in den deutschen Territorien gewichtet der Literarhistoriker Hermann Hettner 1852 in seiner literaturprogrammatischen Schrift Das moderne Drama noch stärker als etwa das Fehlen eines Nationalstaats als hohem Stoffkreis:42 „Unser Staat, der noch immer nicht ein Rechts-, sondern nur ein Polizeistaat ist, erlaubt nicht die Komödirung staatlicher Zustände.“43 Eine „politische Komödie“, für die auch Freytag die Deutschen noch 1863 nicht „reif“ hält (GW XIV,

37 Zu Heinrich Laube und Eduard von Bauernfeld vgl. Bardeli: Theorie des Lustspiels im 19. Jahrhundert, S. 46–47; zu Arnold Ruge vgl. Holtermann: Der deutsche Aristophanes, S. 181  f.; für die allgemeine Gedankenfigur zum Drama bei Prutz vgl. Meike Wagner: Theater und Öffentlichkeit im Vormärz. Berlin, München und Wien als Schauplätze bürgerlicher Medienpraxis. Berlin 2013, S. 209. – Zu allen anderen Genannten vgl. die entsprechenden Ausführungen und Zitate in diesem Kapitel. 38 Hettner: Das moderne Drama, S. 143. 39 Karl Gutzkow im September 1840 im Telegraph für Deutschland (Nr. 153), zit. n. Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 149. 40 Vgl. Petra Hartmann: Das „dramatische“ Ende des Jungen Deutschland. In: Maria Porrmann u. Florian Vaßen (Hg.): Theaterverhältnisse im Vormärz (FVF – Forum Vormärz Forschung. Jahrbuch 2001, 7. Jahrgang). Bielefeld 2002, S. 243–268, hier S. 246–248. 41 Friederich Theodor Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Theil: Die Kunstlehre. Stuttgart 1857, S. 1435. 42 Dies ist schon 1845 bei Vischer ein sehr gewichtiger Grund: „Aristophanes hatte zum Stoffe einen durchaus anschaulichen Staat, der aber dem Untergange entgegengieng; der moderne Satyriker hat zum Stoffe einen Staat, der erst anschaulich werden soll, – dieß ist die große Ungunst der jetzigen Zeit für den Dichter.“ (Fr[iedrich] [Theodor] Vischer: Politische Poesie. In: Jahrbücher der Gegenwart (1845), März-Heft, hg. von Dr. A. Schwegler, S. 237–253, hier S. 250) 43 Hettner: Das moderne Drama, S. 162.

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52), sei poetisch dringend geboten, aber aus diesem Grund ausgeschlossen: „[D]er rechte Stoff wird […] erst dann vorhanden sein, wenn die Völker frei, wenn geordnete würdige Zustände, wenn wahre Staatsmänner, wenn andere Träger der Bildung vorhanden sind“.44 Für Friedrich Theodor Vischer ist eine Neubelebung der politischen Komödie sogar nur möglich in einem großen politischen Moment, etwa einer siegreichen Revolution, wo Alles politisch gestimmt ist, wo das Treiben der Besiegten als ein großartiger, tragikomischer Wahnsinn erscheint und wo der Sieger zugleich großmüthig und klar genug ist, sich selbst, seine Sünden und Schwächen mit in den Taumel des Humors zu werfen.45

Die Fähigkeit des Bürgers, in politischer Hinsicht generös über sich selbst zu lachen, setzt hier also den eigenen historischen Sieg voraus.46 1857 ist dies andersherum in erster Linie als Erklärung für das Fehlen besagter Komödien sowie als Unbehagen an den Zuständen zu lesen. Solche konsequente gedankliche Engführung von staatlichpolitischem und ästhetischem Entwicklungsprozess, wie sie allen bisher angeführten Beispielen ablesbar ist, bringt Hermann Hettner auf den Punkt, wenn er konstatiert: „Die Zukunft des deutschen Lustspiels hängt lediglich davon ab, ob Deutschland politisch noch eine Zukunft hat.“47 Zwar ist Hettner sich sicher: „[W]ir werden noch sehr tragische Zeiten erleben, bevor wir zu dieser rechten Komödie kommen“,48 dennoch stellt er am Ende seines Kapitels zur „Komödie der Gegenwart“49 eine Forderung auf, die immerhin jedem Komödienfreund gewichtige Gründe zur politischen Teilhabe geliefert haben musste: „Sorgt für die Idealität der Wirklichkeit, und Ihr werdet die Idealität der Komödie ganz von selbst haben.“50 Wie angedeutet, hat diese Denkfigur ihren Ursprung im Vormärz – Robert Prutz hat sie in seiner aristophanischen, politisch-satirischen Komödie Die politische Wochenstube (184451) weniger diplomatisch als Hettner formuliert. In diesem Text, der seinem Autor eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung einbrachte, beschreitet der Dichter mit dem Epilog nicht nur selbst die Bühne, sondern zugleich die Metaebene des Dramas bzw. der Lustspielreflexion und verabschiedet das Publikum mit den Worten: „Dann, wenn Du einst, in künft’ger Zeit, dein Recht dir hast genommen, / Dann wird, mit anderm Guten, dir auch die Komödie kommen! / Dann wird ein Aristo-

44 Hettner: Das moderne Drama, S. 178; vgl. auch S. 168. 45 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Dritter Theil, S. 1432. 46 Zur historischen Kontinuität dieses Lustspiel-Problems in Deutschland vgl. Eckehard Catholy: Das deutsche Lustspiel. Von der Aufklärung bis zur Romantik. Stuttgart u.  a. 1982, S. 9. 47 Hettner: Das moderne Drama, S. 176. 48 Hettner: Das moderne Drama, S. 181. 49 Hettner: Das moderne Drama, S. 161. 50 Hettner: Das moderne Drama, S. 180. 51 Die Komödie erschien noch im Jahr 1844, auf dem Titelblatt jedoch bereits mit dem Datum ‚1845‘.

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phanes in Deutschland auch erstehen – / Und aus der ‚Wochenstube‘ dann mag man Patronen drehen!“52 Interessant an dieser Übereinstimmung zwischen dem vorrevolutionären Prutz und dem Hettner von 1852 ist, dass sich nicht die Argumentation, sondern die politische Situation änderte – freilich in einem anderen als dem von Prutz gewünschten Sinn. Während dieser meinte, seine Hoffnungen auf ein zeitgemäßes Drama unter den Bedingungen des Nachmärz begraben zu müssen,53 suchte die nachrevolutionäre Komödientheorie nach einer neuen Position und eigenen Möglichkeiten – auf Prutz konnte sie sich hierbei kaum beziehen.54 Die in ihren eigentlich zu konkretisierenden poetischen Vorstellungen mitunter nebulös und unbestimmt bleibende Gattungstheorie schien sich des Ziels und der Tatsache ihres Bedürfnisses dabei insgesamt weitaus sicherer als der Mittel zu dessen Erfüllung. Sie artikulierte in erster Linie ein Verlangen nach Zeitgemäßheit und Innovation. Selbst wenn die Voraussetzungen gegeben seien, dass „unsere Komödie in einem freien Staate wirkliche Staatskomödie sein kann“, so Hettner, seien nationale Eigenständigkeit und ästhetische Neuheit gefragt: „[A]uch dann dürfen wir noch immer nicht die ausgetretenen alten Wege gehen. Wir müssen uns unsere eigenen neuen suchen“.55 Hettner veröffentlicht diese Zeilen 1852  – in jenem Jahr, in dem Gustav Freytag seine Journalisten fertigstellt und an dessen Ende das Stück uraufgeführt wird. Im selben Jahr beschließt Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände ihren Artikel über „Das neue deutsche Drama“ auf eine Weise, welche die miteinander verknüpften nachmärzlichen Aufbruchshoffnungen im Bereich des Dramas und der Politik mustergültig zum Ausdruck bringt. In den Mängeln der Gegenwart will der Text nicht mehr nur Krisensymptome, sondern Anzeichen einer beginnenden Erneuerung sehen: So wenig Vollendetes diese Epoche aufzuweisen hat, so finden wir doch in ihr Kräfte, welche der idealen Kunsthöhe nahe sind, […]. Nur mit der Nation stirbt ihr Drama, aber die Augurn lügen, welche aus dem Fluge der Unglücksvögel das nahe Verderben künden. Was sie im politischen Leben und in der Literatur für Ermattung halten, das ist die Ermattung der neuen, ungewohnten Frühlingsluft.56

52 R[obert] E[duard] Prutz: Die politische Wochenstube. Eine Komödie. Dritte unveränderte Aufl. Zürich 1845, S. 123. 53 Vgl. Robert Prutz: Das Drama der Gegenwart [1851]. In: RuG II, S. 424–427. 54 Mit dem normativen Rüstzeug der realistischen Literaturprogrammatik ausgestattet, bewertet daher auch Emil Kneschke Prutz in seiner Studie zum deutschen Lustspiel von 1861 äußerst kritisch, vgl. Emil Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart. Kritische Beiträge zur Literaturgeschichte unseres Volkes. Leipzig 1861, S. 193  f. 55 Hettner: Das moderne Drama, S. 163  f. 56 N. N.: Das neue deutsche Drama, S. 44  f.

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Obwohl Julian Schmidt 1856 anlässlich seiner Überlegungen zur Komödie gleichermaßen davon ausging, dass „die Zeit eines freien und einigen Deutschland noch ziemlich fern liegen mag“, so plädierten er und Gustav Freytag für den leicht anders akzentuierten Weg, „mit der Verbesserung unserer Sitten nicht auf diese allgemeine Umgestaltung zu warten“, sondern dieser mit Hilfe der Literatur zuzuarbeiten: „und dazu kann Niemand mehr beitragen, als die Lustspieldichter“57 – vor allem indem das Lustspiel auf „reale[n] Boden“ gestellt werde.58 Die Haltung der Grenzboten-Herausgeber bestand demnach darin, die Übergangsphase des Dramas als eine solche anzuerkennen. Zur künftigen Idealität von Wirklichkeit und Komödie sollte dieselbe beitragen, indem sie die idealen Potentiale zeitgenössischer Wirklichkeit im Rahmen ihrer selbst und der gegebenen Möglichkeiten darstellte (ohne dass sie damit lediglich für außerliterarische Zwecke funktionalisiert würde).59 Allein hieran sind die hohen Erwartungen ablesbar, die Freytag und Schmidt einer erst noch zu schaffenden modernen Komödie gemäß dem „Princip des Realismus“ entgegenbrachten.60 Mögen die beiden auch keine umfassende oder gar abgeschlossene Theorie des Lustspiels vorgelegt haben, so lassen sich ihre Anforderungen an ein zeitgemäßes Lustspiel dennoch aus ihren wenigen literaturprogrammatischen Einlassungen, im Abgleich mit der Dramentheorie der Zeit und nicht zuletzt ex negativo aus ihren Defizitbeschreibungen ableiten: In seiner Widmung an Wolf von Baudissin begründet Freytag die Beschränkung seiner Technik des Dramas auf den Kreis der Tragödie damit, dass „die höchste Gattung der Komödie aber überhaupt noch kaum auf der neueren Bühne lebendig geworden ist“ (GW XIV, [X]). Unter der ‚höchsten Gattung der Komödie‘ versteht Freytag ausdrücklich nicht die im Bühnenrepertoire der Zeit breit vertretenen Possen oder Familienstücke (vgl. GW XIV, [X]): Ich meine die launige und humoristische Darstellung des beschränkten Empfindens, Wollens und Thuns, welche über die Anekdote des häuslichen Lebens hinausgeht und weitere Kreise menschlicher Interessen behandelt. Wenn erst Schwäche der Fürsten, politische Spießbürgerei des Städters, Hochmuth des Junkerthums, die zahlreichen socialen Verbildungen unserer Zeit ihre heitere und stilvolle Verwerthung in der Kunst gefunden haben, dann wird es auch eine ausgebildete Technik des Lustspiels geben. (GW XIV, [X])

Freytag rechtfertigt hier zum einen die fehlende Theoriebildung im Bereich des Lustspiels mit der Notwendigkeit eines induktiven Vorgehens, wodurch eine Bemerkung Walter Hincks zur damaligen Komödientheorie bestätigt wird: „In der zweiten Hälfte 57 Julian Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Dritter Band: Die Gegenwart. Dritte, wesentlich verbesserte Aufl. Leipzig 1856, S. 104. 58 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 105. 59 Vgl. Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 99– 105; Freytag: Theater. Vergangenheit und Zukunft unsrer dramatischen Kunst. 60 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 101.

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des 19. Jahrhunderts hat die induktive Methode die spekulative abgelöst.“61 Zum anderen teilt Freytags Argumentation abermals indirekt die Prämisse, dass die bürgerliche Kunst erst in einer durch und durch bürgerlichen Welt über die Freiheit verfügen würde, mit heiterem Abstand die dann gewonnenen, gegenwärtig aber noch brisanten politischen Zeitkonflikte zu thematisieren.62 Programmatisch entscheidend sind allerdings die hier von ihm geforderte Verpflichtung des Lustspiels auf Gegenstände des öffentlichen und politisch-sozialen Lebens, deren humoristisch-verklärende Darstellung sowie die grundsätzliche Hinwendung zu Stoffen der nationalen Gegenwart, der zeitgenössischen Wirklichkeit. In Freytags Ausführungen wird die zentrale Bedeutung, die dem Humor und seiner harmonisierenden Funktion zukommt, besonders deutlich; darüber hinaus weisen seine Sätze eine hohe Übereinstimmung mit jenen Merkmalen auf, die z.  B. das liberale Staats-Lexikon dem neueren Lustspiel schon 1843 zuerkannte. Dieses, so heißt es dort, habe trotz der politisch bedingt geringen Verwirklichungsaussichten die Aufgabe, die verkehrten Richtungen und Zustände der Gegenwart, die Verwirrungen und Schiefheiten unserer socialen, namentlich unserer öffentlichen Verhältnisse […] zu komischen Contrasten zu verarbeiten. Dadurch würde es gleichfalls als eine befreiende Macht in die socialen Zustände der Gegenwart eingreifen und zu einem von jeder Spießbürgerlichkeit entfernten und nationalen Lustspiel erwachsen.63

Obwohl sich das Lustspiel literaturgeschichtlich schon früher immer wieder Gegenständen von besonderer Wirklichkeitsrelevanz widmete64 und sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts kontinuierlich den öffentlichen Verhältnissen sowie der zeitgenössischen Wirklichkeit öffnete,65 gewinnen solche Anforderungen an das Lustspiel vor allem im Jahrzehnt vor der 1848er Revolution eine neue Qualität. Von der Komödie wird verlangt, die Beschränkung auf familiäre und bürgerliche Verhältnisse konsequent zugunsten der nationalen politisch-öffentlichen Verhältnisse aufzugeben; sie

61 Walter Hinck: Einleitung. Einführung in die Theorie des Komischen und der Komödie. In: ders. (Hg.): Die deutsche Komödie. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Düsseldorf 1977, S. 11–31, hier S. 19. 62 Vgl. ähnlich auch: Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Dritter Theil, S. 1431. 63 H[einrich] Th[eodor] Rötscher: Theater und dramatische Poesie. In: Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften. In Verbindung mit vielen der angesehnsten Publicisten Deutschlands hg. von Carl von Rotteck u. Carl Welcke, Bd. 15. Altona 1843, S. 388–408, hier S. 403. 64 Vgl. dazu etwa Christian Neuhuber: Das Lustspiel macht Ernst. Das Ernste in der deutschen Komödie auf dem Weg in die Moderne: von Gottsched bis Lenz. Berlin 2003; Helmut Arntzen: Die ernste Komödie. Das deutsche Lustspiel von Lessing bis Kleist. München 1968. – Weil die Komödie immer schon ‚ernste‘ gesellschaftliche Realitäten humoristisch aufgegriffen, verhandelt oder entlarvt hat, scheint es mir allerdings irreführend zu sein, von einer ‚ernsten Komödie‘ zu sprechen; vgl. in diesem Sinne auch: Winfried Freund: Einleitung. „Eine Komödie? Was ist das für ein Ding?“. In: ders. (Hg.): Deutsche Komödien. Vom Barock bis zur Gegenwart. München 1988, S. 7–15, hier S. 11. 65 Vgl. als Quellenbeleg für diese Entwicklung die Ausführungen zur neueren Komödie bei Mayer [1824]: Theorie und Literatur der deutschen Dichtungsarten, S. 202–206.

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soll nicht mehr nur ‚Spiegel des Lebens‘, sondern zugleich ein Beitrag zu dessen Veränderung sein.66 Gerade ihre Bindung an die bestehende Wirklichkeit machte die Komödie für Jungdeutsche wie Heinrich Laube attraktiv und begründete eine seit etwa Mitte der 1830er Jahre zunehmende Wertschätzung der Gattung, von der sich Laube 1836 die Grundlegung für eine ‚neue Literatur‘ versprach67: Es klingt so unscheinbar, daß wir im Lustspiele anfangen, mit dem Lustspiel zu einer neuen Literatur kommen sollen! Und doch dürfte es so geschehen. Das Lustspiel ist diejenige Form, welche am Wenigsten die verrenkte Lüge zuläßt, es ist direkt aus unsrer Mitte genommen, die einfachen Leute mögen dabei erkennen, ob ihnen ähnliche Empfindungen und Personen begegnet seien, die Wirkung beschränkt sich nicht bloß auf solche, welche Dies oder Jenes gelernt haben, um zu genießen, das Lustspiel verlangt durch und durch ein wirkliches Leben, und die Poeten können darin nicht auf die Täuschung eines künstlichen Lebens hin sündigen […].68

Das Lustspiel wird hier als eine genuin ‚realistische‘, durch ihre Wirklichkeitsnachahmung auf Wirkung bzw. gar bürgerliche Selbstkorrektur abhebende und dabei demokratische Form begriffen, die das ganze Volk adressiert und diesem zugänglich ist. Das komische Drama, so Laube weiter, sei „allein im Stande, unsere Zustände zu schildern“69, denn es entspricht seiner Ansicht nach dem aktuellen Zeitgefühl: „Das Lustspiel trifft […] mit dem Farbentone unsrer jetzigen Zeit zusammen“.70 Die spezifische Zeitstimmung ist für den Jungdeutschen zum einen durch eine grundlegende bürgerliche Zuversicht geprägt, zum anderen durch die zentrale Bedeutung der von ihm sog. „Mittelzustände“,71 welche die Komödie in den Blick zu nehmen habe. Dieses Wort ist sowohl in sozialer als auch in mentaler Hinsicht zu verstehen, denn gemeint sind einerseits die mittleren, d.  h. bürgerlichen Schichten und Lebensformen, andererseits ‚mittlere‘ Einstellungen, Konflikte und Anschauungsweisen. Ebensolche entsprechen Laube zufolge den gegenwärtigen Zuständen, die seiner Ansicht nach ihr „nothwendig Tragisches“, ihre unauflösbaren Kollisionen, ja ihr „Extrem verloren“ hätten.72 Die Lustspieldiskussion nach 1848 wird an dieser Stelle wieder ansetzen und das Ziel der jungdeutschen Komödientheorie – die „Schaffung eines nationalen, vom deutschen Bürgertum getragenen Lustspiels“73 – weiterverfolgen.

66 Holtermann: Der deutsche Aristophanes, S. 173. 67 Vgl. dazu genauer Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 24–28. 68 [Heinrich Laube]: Neue Lustspiele in Berlin. In: Mitternachtszeitung für gebildete Stände 11 (1836), No. 69, 25. April 1836 (Reprint Frankfurt a.  M. 1971), S. 273–276, hier S. 273. 69 [Laube]: Neue Lustspiele in Berlin, S. 274. 70 [Laube]: Neue Lustspiele in Berlin, S. 274. 71 [Laube]: Neue Lustspiele in Berlin, S. 275. 72 [Laube]: Neue Lustspiele in Berlin, S. 273. 73 Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 52.

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Die Komödie, so könnte man allgemein konstatieren, wird gerade seit Mitte der 1830er Jahre mit der verstärkten jungdeutschen Zuwendung zur Gattung merklich und buchstäblich ‚ernster‘74 genommen als zuvor, denn ihr programmatischer Darstellungsanspruch erweitert sich:75 Die Komödie wird als politisch orientiertes Zeitstück, als Zeitdrama der nationalen bürgerlichen Gegenwart profiliert. Sie soll dabei zugleich volksnah-populär und zu diesem Zweck tendenziell realistisch-idealisierend in der Ausführung sein. Bei aller Vagheit und allen Unterschieden, welche die literaturprogrammatische Debatte über das moderne Lustspiel in den einzelnen ästhetischen Vorstellungen (etwa auch im Hinblick auf Integration phantastisch-märchenhafter oder musikalischer Elemente) und politischen Zielsetzungen genau prägen, handelt es sich bei diesen Punkten um einen vielfach wiederkehrenden programmatischen Kernbestand der Gattungsdiskussion ‚um 1850‘, welche im Folgenden zusammen mit einer Rekonstruktion von Freytags Position weiter vertieft und differenziert werden soll. Gerade im Vergleich mit den benachbarten europäischen Literaturen, insbesondere der französischen, auf deren Vorlagen und Übersetzungen die deutschen Bühnen sowie der Literaturbetrieb angewiesen waren, realisierten die Zeitgenossen die Krise und mangelnde ästhetische Autonomie der deutschen Komödie:76 Wir haben keine einzige deutsche Komödie, die von allgemeiner und nachhaltiger Wirkung gewesen wäre. Ja, was das Traurigste ist, wir haben nicht nur Nichts, was wir der Komödie der Engländer Spanier und Franzosen als ebenbürtig an die Seite stellen dürften; selbst unsere kleinsten Bühnen, die in ihren künstlerischen Ansprüchen doch wahrhaftig nicht verwöhnt sind, müssen sich zur Befriedigung ihres täglichen Hausbedarfs fast immer nur an Uebersetzungen oder Nachahmungen fremder, meist französischer Stücke halten.77

Vor allem beim Blick auf die eigenen Spielpläne und die des Nachbarlandes äußerte sich der Wunsch nach Loslösung vom französischen Muster sowie nach eigenständi-

74 So betont Gutzkow – auch in der Absicht, das Lustspiel als der Tragödie gleichwertig zu profilieren – an diesem die „ernsten Motive“: „Ein Lustspiel ist unsers Dafürhaltens jedes Drama, das einen ernsten Zweck zu einem heitern Ende führt“. Weiter heißt es bei ihm: „Der echte Poet kann nur solche Lustspielgedanken aufgreifen, die wie bei Shakespeare eine ernste Lebensseite herauskehren“ (Karl Gutzkow im März 1841 im Telegraph für Deutschland [Nr. 38], zit. n. Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 73, 143). – Vgl. hierzu genauer: S. 73  f., 90, 143–145. 75 Diesen Einschnitt bestätigt aus zeitgenössischer Sicht auf das Lustspiel auch Kneschke in seiner Studie von 1861: Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 174 et passim. 76 Vgl. dazu allgemein Kortländer: „… was gut ist in der deutschen Literatur, das ist langweilig […]“, S. 197–211. – Dass selbst im Fall der vermeintlich ‚lokal geborenen‘ Possen vielfach auf französische Vorlagen zurückgegriffen wurde, zeigt Ekkehard Pluta: Komödienstoffe zu vermieten. Vom Vaudeville zur Gesellschaftssatire: Metamorphosen eines französischen Sing-Spiels im deutschen Theater des Vormärz. In: Maria Porrmann u. Florian Vaßen (Hg.): Theaterverhältnisse im Vormärz (FVF – Forum Vormärz Forschung. Jahrbuch 2001, 7. Jahrgang). Bielefeld 2002, S. 175–196. 77 Hettner: Das moderne Drama, S. 139.

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ger Ausbildung einer „tiefere[n], eine[r] mehr nationale[n] Komödie“.78 Bereits 1843 seufzte der Dramaturg und Ästhetiker Heinrich Theodor Rötscher: Wenn die Deutschen hier Werke aufzuweisen hätten, welche an Erfindung geistreicher Composition, spannender Entwickelung und unmittelbarer Beziehung zum höchsten socialen und politischen Leben sich mit einigen der letzten größeren Lustspiele Scribe’s messen könnten, […] so würden wir nicht mehr über den Mangel eines nationalen Lustspiels zu klagen haben.79

Nicht ohne Grund sollte Fontane etwa dreißig Jahre später angesichts des großen Erfolgs und der immensen Wirkung, die allen voran Eugène Scribes Das Glas Wasser in Deutschland hatte,80 witzeln: „Ich glaube es giebt eine Theorie, wonach aus dem Wasser die Welt entstanden sei; es hat das viel für sich, wenn man bedenkt, was blos aus dem ‚Glas Wasser‘ entstanden ist: eine ganze Welt von Lustspielen.“81 Auch Julian Schmidt kam nicht umhin, die Leistung Scribes zu würdigen, entsprach der Kaufmannssohn in seinem (genuin bürgerlichen) geschichtlichen Fortschrittsdenken und der kausallogischen Motivierung einer begrenzt-geschlossenen, aber den Bereich des Öffentlich-Politischen berührenden Handlung doch beinahe allzu mustergültig den dramenästhetischen Vorgaben der Grenzboten.82 Auch Freytag war noch mit dem Abstand von Jahrzehnten bereit, Scribe eine gewisse Vorbildhaftigkeit zuzugestehen: „Seine Stücke besaßen, was der deutschen Bühne allzusehr fehlte, und wir alle konnten nach dieser Richtung von den Franzosen lernen“ (GW I, 134). Insgesamt zeichnete sich die Haltung von Freytag und Schmidt gegenüber der französischen Lustspielkultur – ähnlich wie bei Hettner83 – einerseits dadurch aus, dass man deren Überlegenheit und Vorbildcharakter, besonders in technisch-handwerklicher Hinsicht, anerkannte, andererseits auf Unterschiede im ‚Nationalcharakter‘ hinwies (die zumeist nicht ohne Verweis auf die mangelnde Sittlichkeit der Franzosen auskamen) und eine notwendige Abgrenzung einforderte.84 Empfahl man 78 Hettner: Das moderne Drama, S. 168. 79 Rötscher: Theater und dramatische Poesie, S. 403. 80 Vgl. dazu allgemein Hans-George Ruprecht: Theaterpublikum und Textauffassung. Eine textsoziologische Studie zur Aufnahme und Wirkung von Eugène Scribes Theaterstücken im deutschen Sprachraum. Bern 1976; vgl. außerdem: Dithmar: Deutsche Dramaturgie zwischen Hegel und Hettner, S. 148–152. 81 Th[eodor] F[ontane]: Königliche Schauspiele. Sonnabend, den 17. Januar: In Charlottenburg, historisches Schauspiel in 4 Akten von Max Ring. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staatsund gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 20. Januar 1874 (Nr. 16), 2. Beilage. 82 Julian Schmidt: [Rez.] Eugen Scribe. Die Mährchen der Königin von Navarra. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, II. Band, S. 1–9. 83 Zur Auseinandersetzung Hettners mit Scribe und dem französischen Lustspiel vgl. Hettner: Das moderne Drama, S. 168–174. 84 Vgl. dazu Schmidt: [Rez.] Eugen Scribe sowie u.  a.: GW I, 134; Gustav Freytag: Uebersetzungen. Molière übersetzt durch Graf Baudissin [1865]. In: VA I, 229–252, hier 234–236, 251  f.; Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 104  f. – Deutlich stärker

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den deutschen Dramatikern Scribes Werk auch unbedingt zum Studium, so galt es im Sinne eines ästhetischen Patriotismus doch, eine eigenständige Lustspielkultur auszubilden, wie sie beispielsweise Julian Schmidt forderte: „Ein gutes Lustspiel, so wie ein gesundes sittliches Wesen leiht man nicht aus der Fremde; es muß sich aus dem innern Mark des Volkes herausarbeiten.“85 Vom modernen Lustspiel verlangte man demnach nicht nur Gegenwartsorientierung, sondern eine spezifisch nationale Einfärbung, für die Minna von Barnhelm vorbildhaft stand.86 Etwa meinte auch Hermann Hettner, eine zeitgemäße Komödie müsse mit ihrem Stoff so „unmittelbar in das Leben der Gegenwart eingreifen“ wie es Lessings Komödie Minna von Barnhelm mit ihrem „nationalen Gehalt“ getan habe.87 Für die Enge und Bedeutungslosigkeit der „neuere[n] Komödie“ in Deutschland zeichnet Hettner zufolge der Umstand verantwortlich, dass „sie aus Mangel an der Oeffentlichkeit des Staatslebens fortwährend bisher ihre Stoffe nur aus dem untergeordneten Kreise engster Privatverhältnisse zu ziehen gezwungen war“.88 Die Zukunft des Lustspiels sieht Hettner daher „auf dem Lebensgrunde des Politisch-Öffentlichen“.89 Selbst dem Figurenensemble des modernen Charakterlustspiels prognostiziert er, nicht mehr aus „der Enge des Privatlebens ausgebrütet [zu] werden“, sondern aus einer Sphäre des Öffentlich-Politischen oder Historisch-Zeittypischen.90 Dies korrespondiert mit Freytags Wunsch, „daß sich unser Lustspiel aus der Trivialität des Anekdotenraums […] erheben wird“91 und die dramatische Kunst statt des Familienlebens wieder das öffentliche Leben als Darstellungsgegenstand aufwerte.92 Auch Gottfried Keller, der sich wohl nicht zufällig ausgerechnet seit seinem Aufenthalt in Berlin (1850–1855) bis in die späten Jahre selbst mit solchen Lustspielideen herumtrug,93 sieht im Brief an Hermann Hettner vom 4. März 1851 die Zeit für eine Komödie anbrechen, die sich zunehmend gegenwärtigen öffentlichen Fragen widmet und die sich unter freieren Bedingungen zu dem von den Zeitgenossen anvisierten noch als beim Lustspiel ist die von Freytag geforderte Abkehr von französischen Mustern im Bereich seiner Tragödientheorie zu beobachten, vgl. dazu genauer: Stefanie Stockhorst: Nationales Theater. Deutsch-französische Verwerfungen bei Gustav Freytag. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 57 (2007), H. 4, S. 423–437. 85 Schmidt: [Rez.] Eugen Scribe, S. 8. 86 Vgl. Dithmar: Deutsche Dramaturgie zwischen Hegel und Hettner, S. 150  f. 87 Hettner: Das moderne Drama, S. 175. 88 Hettner: Das moderne Drama, S. 159. 89 Fritz Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848–1898. 2. Aufl. Stuttgart 1964, S. 125. 90 Hettner: Das moderne Drama, S. 167. 91 Freytag: Uebersetzungen. Molière übersetzt durch Graf Baudissin, S. 251. 92 Freytag: Theater. Vergangenheit und Zukunft unsrer dramatischen Kunst, S. 279–282. 93 „Ich führe von der Berliner Zeit her […] ein paar Lustspiele als anonyme Passagiere im Hirnkasten mit, die aber wohl nicht mehr aussteigen werden.“ (Gottfried Keller an Julius Rodenberg am 8. April 1881. In: Gottfried Keller: Gesammelte Briefe. In vier Bänden hg. von Carl Helbling. Bd. 3/2. Bern 1953, S. 387). – Vgl. dazu auch: Ulrich Kittstein: Gottfried Keller. Stuttgart 2008, S. 202.

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‚hohen‘ politischen Lustspiel der Gegenwart entwickeln werde: „Denn es ist eine Lüge, was die literarischen Schlafmützen behaupten, daß die Angelegenheiten des Tages keinen poetischen und bleibenden Wert hätten.“94 Kellers Brief steht im Kontext einer wachsenden realistischen Wiederentdeckung politischer Gegenwartsfragen als literarischem Stoffkreis. Sie steht außerdem im Kontext der ästhetischen Nobilitierung solcher Fragen sowie der vielfach erstrebten Aufwertung der Posse zum ‚hohen‘ zeitpolitischen Lustspiel.95 In den „Wienerpossen“ sehen sowohl Hettner als auch Keller solche „Vorboten einer neuen Komödie“;96 „die künftige politische Komödie“ werde, so Keller 1851, aus den Lokalpossen hervorgehen.97 Obgleich Keller den Reiz, der für ihn von dieser Form ausgeht, auf deren vermeintlich ‚naturwüchsig‘-volkspoetischen Charakter zurückführt,98 kann man die allgemeine Hinwendung zur Posse im Sinne einer Ver(bildungs)bürgerlichung des Volkstheaters begreifen, nachdem die Verbürgerlichung des klassischen Lustspiels in den Augen einiger Kritiker ausgeblieben war. So schreibt Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände 1852, die Posse habe im Gegensatz zu dem zeitgenössisch als ‚höher‘ verstandenen Lustspiel breitere Stoffkreise und Publikumsschichten er­schlossen: [I]n Wahrheit finden wir in den Possen der Neuzeit die Gegensätze der Gesellschaft, das öffentliche, ja das ganze geistige Leben oft in wirksamer Weise illustrirt. Während sie so aus reichern Quellen schöpfte als das Lustspiel, gewann sie auch ein anderes größeres Publicum. Der Boden des Lustspiels war der Salon; seine Helden die Helden der privilegierten Stände; seine Sprache der Gesellschaftston. […] Die Galerie aber, das eigentliche Volk, das doch auch sein Recht am Theater hat, sah diese Lustspiele mehr mit Neugierde als innerer Befriedigung an. Sie machten auf das Volk denselben Eindruck wie der Blick von der Straße in einen erleuchteten Ballsaal der Haute-Volée, […]. Dagegen trat die Posse als das eigentliche Volkslustspiel auf.99

Über die Hinwendung zu politischen Themen sollte die Posse ästhetisch und gesellschaftlich zu einem Organ bürgerlicher Öffentlichkeit erhoben werden. Angesichts 94 Gottfried Keller: Keller an Hettner. Berlin, 4. März 1851. In: Klaus Hammer (Hg.): Dramaturgische Schriften des 19. Jahrhunderts. Bd. I. Berlin 1987, S. 611–613, hier S. 613. – Vgl. zu diesem Brief auch die Erläuterungen in Profitlich (Hg.): Komödientheorie, S. 149–152. 95 Zu Kellers Erneuerungsbestrebungen in diesem Kontext vgl. auch Hein: Spiel und Satire, S. 160–162. 96 Gottfried Keller: Keller an Hettner. Berlin, 16. September 1850. In: Klaus Hammer (Hg.): Dramaturgische Schriften des 19. Jahrhunderts. Bd. I. Berlin 1987, S. 606–608, hier S. 608. – Ebendiese Wendung („Vorboten einer neuen Komödie“) benutzt in Anschluss an Keller auch Hettner (Hettner: Das moderne Drama, S. 177). – Vgl. dazu auch: Altenhofer: Nachwort, S. 217. 97 Keller: Keller an Hettner. Berlin, 4. März 1851, S. 612. 98 „[D]as Volk, die Zeit haben sich diese Gattung selbst geschaffen nach ihrem Bedürfnisse, sie ist kein Produkt literarhistorischer Experimente, wie etwa die gelehrte Aufwärmung des Aristophanes und ähnliches! Gerade deswegen wird vielleicht ihre Bedeutung von den gelehrten Herren ignoriert, bis sie ihnen fertig und gewappnet, wie die junge Pallas, vor Augen steht.“ (Keller: Keller an Hettner. Berlin, 4. März 1851, S. 612 – Hervorhebung im Original) 99 N. N.: Das neue deutsche Drama, S. 40  f.

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etwa der damaligen Fokussierung der Tragödie auf historische Stoffe, der notwendigen Abgrenzung von der politischen Vormärzliteratur und dem niedrigen Status der als trivial geltenden Possendramatik konnte dies als durchaus ambitioniertes Unterfangen gelten. Bot die Posse aufgrund ihrer effektvollen Darbietungsformen (Musik und Tanz), ihrer Regelungebundenheit, ihrer Allegorisierung politisch-moralischer Begriffe,100 ihrer Volksnähe, ihrer lokalen Verwurzelung und vor allem ihrer Verankerung sowohl im Zeitgeschichtlich-Aktuellen als auch im bürgerlichen Alltagsleben einerseits attraktive Anschlussmöglichkeiten, erschwerten andere Charakteristika eine solche Anknüpfung andererseits wieder. Dazu zählten u.  a. ihr allgemein niedriger Gattungswert, ihre offene Dramaturgie, ihr begrenzter Darstellungskreis, ihre häufig derbe, schematisch-überzeichnete und illusionsbrechende Komik, ihre formale Regellosigkeit und Diskontinuität sowie ihr häufiger Rückgriff auf anti-realistische Mittel (phantastische Elemente, Allegorien, tragende Funktion des Zufalls).101 Der Rolle vergleichbar, welche die Dorfgeschichte für die Prosatheorie der Jahrhundertmitte einnahm (s. Kap. III.2.2), übernahm die zunächst als niedere komische Gattung verstandene Posse in der Komödientheorie um 1850 die Funktion einer Art Übergangs- und Entwicklungsstufe zu ‚höheren‘ Formen. Demgemäß heißt es 1852 in dem schon zitierten Lexikon-Beitrag zum ‚neuen deutschen Drama‘: „Sie [die Posse, P. B.] ist ein Kind der Übergangsepoche, deren Gegenwart anziehend, weil ihre Zukunft bedeutend ist“.102 An diesem Text lässt sich im Einzelnen sowohl der bisher skizzierte Argumentationsgang103 als auch – dem Anspruch eines Gegenwartslexikons gemäß – der hier behauptete Stand der Lustspieldiskussion genau ablesen. Letzteren und mit ihm zentrale programmatische Merkmale der Debatte um die komische Dramengattung spiegeln bereits die Eingangssätze zur Komödie, die auf die Darstellung des „modernen Lebens“ verpflichtet wird: Das Lustspiel bewegt sich, seiner Natur nach, in den Kreisen des modernen Lebens und darf auch bei der Wahl geschichtlicher Stoffe nicht zu weit zurückgreifen, wenn es das Interesse der Gegenwart nicht verlieren will. Das Lustspiel ist im Ganzen in neuester Epoche nicht über die Form der Kotzebue’schen Komödie hinausgegangen; eher haben sich auf dem Gebiete der Posse neue und eigenthümliche Richtungen aufgethan.104

100 Vgl. zu den bisherigen Punkten: Keller: Keller an Hettner. Berlin, 4. März 1851, S. 612. 101 Vgl. dazu aus zeitgenössischer Sicht: N. N.: Das neue deutsche Drama, S. 41  f. – Zu den Merkmalen der Posse vgl. allgemein und genauer: Herzmann: [Art.] ‚Posse‘; Catholy: [Art.] ‚Posse‘; Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848. Bd. II: Die Formenwelt. Stuttgart 1972, S. 439–450; vgl. außerdem die Ausführungen in: Volker Klotz: Bürgerliches Lachtheater. Komödie – Posse – Schwank – Operette. 4., aktual. und erw. Aufl. Heidelberg 2007. 102 N. N.: Das neue deutsche Drama, S. 41. 103 Vgl. genauer N. N.: Das neue deutsche Drama, S. 35–45, bes. S. 40–42. 104 N. N.: Das neue deutsche Drama, S. 35.

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Über die unten am Beispiel Freytags noch einmal aufgegriffene Rolle der Posse (als Ansatzpunkt zur Weiterentwicklung des als defizitär wahrgenommenen Lustspiels) bleibt festzuhalten, dass der Posse als Komödie, mithin der Gattung insgesamt, ein besonderer Stellenwert zugewiesen wird. Diesen illustriert vor allem die bei Keller ebenfalls zu beobachtende und hier bereits mehrfach herausgestellte Kopplung von Dramen- und Nationalentwicklung. Solche Parallelisierung setzt die zeitpolitische Dimension und Bedeutung sowie den zeitabbildenden Charakter der Gattung Komödie bereits wesenhaft voraus. Diese wird nicht mehr zwangsläufig nur ihrem Personal nach (seit Harsdörffers Poetischem Trichter: „Die Freudenspiele  / so des gemeinen Bürgermanns Leben ausbilden“105), sondern nun auch ihrem übergeordneten Denk- und Sinnhorizont gemäß als genuin bürgerlich verstanden. Zudem wird bei Freytag und Schmidt nicht allein das Lustspiel mit der nationalen – d.  h. in erster Linie: bürgerlichen  – Entwicklung verknüpft, vom Lustspiel wird umgekehrt auch erwartet, diese zu fördern. Der Literaturprogrammatik der Zeit geht es hierbei nicht um Tagespolitik oder eine politische Tendenzdramatik – das jungdeutsche politische Tendenzdrama etwa wird kategorisch abgelehnt –, sondern um das öffentliche Leben der Gegenwart als Stoffreservoir. Für Hettner – nicht weniger als für Keller106 – steht dabei außer Frage, dass die Komödie sich durch die „verklärende Spiegelung der realen Weltverhältnisse“107 auszeichnet. Gerade die als notwendig erachtete Idealisierung bedingt ja ihre schwierige Stellung in einer noch als konflikthaft erfahrenen Wirklichkeit. Wie sehr die ästhetischen Debatten der Zeit die politikgeschichtlich begründeten Zäsuren überschreiten, zeigt gerade diese realidealistische Fundierung der Komödie. Sie lässt sich so etwa bereits in August Wilhelm Bohtz’ von der Literaturwissenschaft kaum wahrgenommener Abhandlung Ueber das Komische und die Komödie (1844)108 beobachten. Übereinstimmend mit Hettners und Kellers Ansätzen steht Bohtz’ Text zunächst ebenfalls für eine wachsende Wertschätzung der Komödie (Bohtz sieht seine Studie als gleichwertiges Gegenstück zu seiner Abhandlung über Die Idee des Tragischen109) sowie für ein zunehmendes und absichtsvolles Interesse an den Wiener Volksstücken resp. Possen. In diesen erkennt auch der Literarhistoriker und Ästhetiker den „Keim, der die reichste Blüthe und Frucht der ächten deutschen Komödie in

105 Georg Philipp Harsdörffer: Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst / ohne Behuf der Lateinischen Sprache / in VI. Stunden einzugiessen. (Reprint der Ausgabe Nürnberg 1648–1653) Drei Teile in einem Band. Hildesheim/New York 1971, S. 71. 106 Auch Kellers Vision einer Komödie zielt im realidealistischen Sinn auf „etwas Lebendiges und Wahres“ (Keller: Keller an Hettner. Berlin, 4. März 1851, S. 613). 107 Hettner: Das moderne Drama, S. 146. 108 August Wilhelm Bohtz: Ueber das Komische und die Komödie. Ein Beitrag zur Philosophie des Schönen. Göttingen 1844. 109 August Wilhelm Bohtz: Die Idee des Tragischen. Eine philosophische Abhandlung. Göttingen 1836.

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sich birgt“.110 „Zum Gelingen einer großartigen und zugleich populären Komödie“, so Bohtz, gehöre, dass der Dichter einerseits einen gegenüber den Volksstücken breiter ansprechenden, d.  h. höheren „humoristischen Standpunkt“ gewinne, „anderer Seits aber auch dies, daß der Poet das vom Volke wirklich Erlebte, was dessen Anschauungsweise angehört, aufnimmt, und dieses zum Ausdruck des Idealischen erweitert“.111 Vergleichbar hatte Vischer 1845 von einer politischen Komödie ‚höherer Form‘ verlangt, dass sie „nicht blos Gegebenes angreift und auflöst, sondern schöpferisch das Gegebene zu komisch idealen Gestalten umbildet“.112 Beiden geht es demnach um nicht weniger als die Idealisierung von Wirklichkeit. Vehement widerspricht Bohtz in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass der „Ernst[] der Gegenwart, namentlich [die] politischen Interessen“ dafür nicht heranzuziehen seien; es komme nur darauf an, „jeden einseitigen, irgend einem besondern Interesse dienenden Ernst“  – mit anderen Worten: eine allzu deutliche Tendenz  – noch dem eigentlichen Ziel der Idealisierung „des rohen Lebens“ unterzuordnen.113 Die Forderungen an die ‚realistische‘ Komödie entsprechen damit allgemein jenen, die in den Literaturdiskussionen um die Jahrhundertmitte so auch an andere Gattungen, insbesondere die Prosa, formuliert wurden (s. Kap. III.2). Eine so realidealistisch perspektivierte Komödie, wie Bohtz sie nicht mehr ausschreibt, sondern nur als nächsten Entwicklungsschritt der Gattung entwirft, steuere auf jenen für das Lustspiel allgemein kennzeichnenden Endpunkt der Handlung zu, „wo wir erkennen, daß diese Wirklichkeit, trotz ihrer Hinfälligkeit, doch wünschenswerth und mit dem, was Geist und Sinn befriedigt, reichlich erfüllt ist“.114 Im Grunde ist damit schon die spätere Erkenntnis vorbereitet, dass die Komödie naturgemäß eine Nähe zu den Grundgedanken der nachmärzlichen Literaturpolitik und deren Wirklichkeitsauffassung aufweist, etwa in ihrem heiter-positiven und idealisierenden Zugang sowie der für sie charakteristischen Versöhnung und „Folgenlosigkeit der Konflikte“.115 Bildet das ästhetisch ambitionierte ‚hohe‘ politische Lustspiel, in dem mit Abstand auf diese Konflikte geblickt und über dieselben gelacht werden kann, für die zeitgenössische Komödientheorie auch den Zielpunkt des sich vollziehenden ästhetisch-politischen Prozesses, so geht es ihr doch zunächst primär darum, das Lustspiel auf die moderne Lebenswirklichkeit zu verpflichten. Dass die Stoffe für die Komödie ebenso wie für den Roman im „soziale[n] Leben der Gegenwart“116 zu suchen seien,

110 Bohtz: Ueber das Komische und die Komödie, S. 265. 111 Bohtz: Ueber das Komische und die Komödie, S. 265  f. 112 Vischer: Politische Poesie, S. 246. 113 Bohtz: Ueber das Komische und die Komödie, S. 266. 114 Bohtz: Ueber das Komische und die Komödie, S. 142. 115 Stefan Scherer: Einführung in die Dramenanalyse. Darmstadt 2010, S. 51. 116 Rudolf von Gottschall: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit, Band 1. Fünfte durchgesehene und verbesserte Aufl. Breslau 1882, S. 81.

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hebt selbst Rudolf Gottschall hervor, der dieser mit seinem streng klassizistischen Dramenverständnis ansonsten wenig Beachtung geschenkt hat. Ähnlich verortet Friedrich Theodor Vischer, der im Anschluss an Hettner die Idee einer zeitgemäßen idealrealistischen Komödie propagiert,117 die Komödie analog zum Roman in den „prosaischen Verhältnissen“, in der „Stoffwelt des sozialen und Privat-Lebens“.118 Angesiedelt auf dem „Boden der naturgemäßen Wirklichkeit des politischen, bürgerlichen, oder Privatlebens“ trete das ‚moderne Drama‘ „mitten in die Bedingungen der Realität“.119 Hettner sieht den historischen Fehler des deutschen Lustspiels darin, diesen Boden verlassen zu haben (sei doch der Lustspieldichter „wie kein anderer immerdar an die frischen Stoffe und Formen des nächsten Lebens gewiesen“120) und stattdessen den Weg in eine volksferne „Kunstpoesie“ beschritten zu haben.121 Zwar zeichneten verschiedene nationaltypische Faktoren für die Krise der Komödie in den deutschen Territorien verantwortlich (u.  a.: die „vorwiegende[] Ernsthaftigkeit unseres Naturells“, die „Prüderie unserer gesellschaftlichen Sitten“, der „Druck unseres Staatslebens, das uns alle wirksamen Stoffe und Figuren entziehe und zu guterletzt sogar polizeilich alle Wagnisse drastischer Darstellung hindere“)122, das eigentliche Problem der deutschen Komödie liege aber in einem Mangel an „Volksthümlichkeit“.123 Der Form nach zukunftsweisend ist für Hettner daher die „realistische Komödie“: Diese realistische Komödie will nicht mehr, wie die phantastische, als eine ganz selbständige, von der Welt abgetrennte Schöpfung der Phantasie gelten. Sie tritt als wirkliches Ereignis auf; sie beansprucht überall den Schein der unbezweifelbaren Wahrheit. In der Zeichnung der Charaktere und Situationen ist täuschende Natürlichkeit ihre erste Lebensbedingung.124

Für die so von ihm geforderte ‚Wirklichkeits- und Lebensnähe‘ der realistischen Komödie ist Hettner zufolge auch eine ‚straffe‘ Komposition mit kausallogischer Motivierung ausschlaggebend (– man kann solche erhöhten handwerklich-technischen Ansprüche auch als Ausdruck der gestiegenen Bedeutung der Gattung lesen): eine in sich einige, folgerichtig zusammenhängende Handlung, und diese ist ächt dramatisch streng nach Anfang, Mitte und Ende gegliedert. Verwicklung und Lösung sind […] genau auf einander berechnet; die eine ergiebt mit Nothwendigkeit die andere.125

117 Klaus Müller-Wille: [Art.] ‚Realismus/Naturalismus‘. In: Handbuch Drama. Theorie, Analyse, Geschichte, hg. von Peter Marx. Stuttgart/Weimar 2012, S. 272–283, hier S. 274, 279. 118 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Dritter Theil, S. 1440, 1431. 119 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Dritter Theil, S. 1413, 1414. 120 Hettner: Das moderne Drama, S. 141. 121 Hettner: Das moderne Drama, S. 140. 122 Hettner: Das moderne Drama, S. 139  f. 123 Hettner: Das moderne Drama, S. 140. 124 Hettner: Das moderne Drama, S. 156  f. 125 Hettner: Das moderne Drama, S. 157.

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In der Wahl der hier formulierten ästhetischen Kriterien und vom Politischen zunächst losgelösten Darstellungsmittel126 sowie in der Ablehnung romantischer Reflexionsund Kunstpoesie – wie sie für ihn etwa Tiecks Prinz Zerbino und Der gestiefelte Kater verkörpern127 – trifft sich Hettner mit dem konsequent anti-romantischen RealismusVerständnis der Grenzboten,128 die aus solcher Perspektive auch Friedrich Hebbels Lustspiel-Versuche entschieden ablehnten. Über Hebbels noch stark romantisch eingefärbte Texte Der Diamant und Der Rubin urteilte Julian Schmidt, diese seien „Komödien, in denen Hebbel der Welt, welcher er das Brod des Lebens verhieß, Steine vorsetzt, […] Phantasiegebilde des künstlerischen Nihilismus, wie ihn die romantische Schule ersonnen hatte“.129 Beide Lustspiele, so Schmidt weiter, entsprächen einer romantischen  – „das Volk und die Realität verachtenden“ – Manier.130 Bereits 1847 kritisiert er, Der Diamant sei gegenüber Maria Magdalena als ein „Rückschritt aus der bestimmten Welt […] in die wüste Nacht der Romantik“ zu betrachten.131 Diese auch von den Zeitgenossen geteilte Kritik132 ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich: zum einen im Hinblick auf die ästhetisch-moralische Ablehnung der romantisch beeinflussten Ideenkomödien Hebbels, zum anderen weil diese sehr eindeutige Negation bestehender Neuerungsversuche seitens der Grenzboten einer eigenen positiven Bestimmung dessen, was ‚realistische Komödie‘ genau heißen könnte, einmal mehr vorausgeht (s. Kap. III.2 u. 3). Darüber hinaus sind Hebbels Lustspiel-Versuche ebenso im Kontext der Neuentdeckung und Aufwertung der Komödie um 1840 interessant. Am Prolog seines 1841 abgeschlossenen und 1847 gedruckten Lustspiels Der Diamant etwa ist das in diesem Kapitel erläuterte Lustspielverständnis der Zeit ablesbar, wenn die Muse dem Dichter dort jenes zeitgenössische Anforderungsprofil an die Gattung auseinandersetzt, das dieser metaphysisch zu überschreiten beabsichtigt: MUSA. […] Was ist ein Lustspiel nun? Ein Spiegel Der Zeit, ein abgerißnes Siegel Des Lebens, das, geschickt gelöst, Das Tiefstversteckte fein entblößt. Man will nicht des Kometenschwenkers Geheimnis und des Sternenlenkers,

126 Vgl. Aust: Realismus, S. 292. 127 Vgl. Hettner: Das moderne Drama, S. 161  f. 128 Vgl. Roy C. Cowen: Das deutsche Drama im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1988, S. 94. 129 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 160. 130 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 160. 131 Julian Schmidt: Friedrich Hebbel. In: Die Grenzboten 6 [1847], I. Semester, II. Band, S. 501–513, hier S. 513. 132 Als Schritt zurück in die Romantik und als für die Anforderungen an eine moderne Komödie nicht zeitgemäße Reflexionspoesie bewertet etwa 1861 auch Kneschke Hebbels Lustspielversuche (vgl. Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 190–193).

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Man will erfahren, was der Staat, Die Kirche auch, in petto hat. Mit einem Wort: die Gegenwart Ist, wie Narziß, in sich vernarrt, Sie will ihr Bildnis, zart umrissen, Dem lieben Sohn erhalten wissen, Sie hat sich ihr Porträt bestellt, Und du, du bringst das Bild der Welt.133

Auch wenn Hebbels Komödienprojekte den Vorgaben der Zeitgenossen, ein (möglichst politisch perspektiviertes) ‚Porträt der Gegenwart‘ zu erschaffen, nicht entsprechen, machen sie ebendiese Ansprüche sichtbar. Zudem zielen Hebbels Versuche auf dem Gebiet der Komödie epochentypisch auf ein „Lustspiel höheren Stils“;134 er versteht sie in diesem Sinne – ebenfalls zeittypisch – als grundlegenden Beitrag zur „wichtigsten Angelegenheit des neuern Dramas, denn dafür halte ich [Friedrich Hebbel] die Lustspielfrage“.135 Auf diese allgemeine Frage kann jedoch auch Hettner, wie Freytag und Schmidt, in Hebbels Lustspielen aus den nämlichen Gründen eines mangelnden Realismus keine zeitgemäßen Antworten finden.136 Die realistische Darstellungsform, die Hettner ebenso wie Die Grenzboten zur Notwendigkeit erklärt, macht für ihn eben nur die eine Bedingung für eine zukünftige Komödie aus. Die andere wird in der zeitpolitischen Dimension des Gegenstands gesehen. Als zentraler Bezugspunkt in dieser Hinsicht gilt innerhalb der Lustspieldiskussion nicht erst seit Prutz die Komödie des Aristophanes.137 Deren Wesenszug wird in der Komödierung der politisch-öffentlichen Wirklichkeit identifiziert. Ihr Wirklichkeitszugang, der mittels Verspottung und dadurch operiert, die Welt in ihrer Nichtigkeit und Verkehrtheit auszustellen, wird allerdings gerade von der realidealistisch eingefärbten Literaturtheorie „als destabilisierend, […] als Makel empfunden“.138 Solches Unbehagen bezieht sich zugleich unmittelbar auf die aristophanische Form der Darstellung, wie sie dann auch an den Komödien der Aristophaniden des Vormärz kritisiert wird.139 Schon die Zeitgenossen erkannten, dass die „Aristophanomanie“ 133 Friedrich Hebbel: Der Diamant. Eine Komödie in fünf Akten. In: ders.: Werke, hg. von Gerhard Fricke, Werner Keller u. Karl Pörnbacher. Bd. 1. Darmstadt 1963, S. 234. 134 Friedrich Hebbel: Tagebücher I. Eintrag vom 19. März 1838 [1047]. In: ders.: Werke, hg. von Gerhard Fricke, Werner Keller u. Karl Pörnbacher. Bd. 4. Darmstadt 1966, S. 200. 135 Friedrich Hebbel: Vorbemerkung [zu Der Diamant. Eine Komödie in fünf Akten]. In: ders.: Werke, hg. von Gerhard Fricke, Werner Keller u. Karl Pörnbacher. Bd. 1. Darmstadt 1963, S. 221. 136 Vgl. Hettner: Das moderne Drama, S. 165  f. 137 Vgl. dazu ausführlich Holtermann: Der deutsche Aristophanes, S. 143–184; Dithmar: Deutsche Dramaturgie zwischen Hegel und Hettner, S. 138–141; vgl. außerdem: Altenhofer: Nachwort, S. 216; Sengle: Biedermeierzeit. Bd. II, S. 410–411. 138 Holtermann: Der deutsche Aristophanes, S. 121. 139 Vgl. etwa: N. N.: Das neue deutsche Drama, S. 41  f.

1.2 Das realistische Lustspiel als Zeitdrama. ­Gattungsreflexionen der Jahrhundertmitte 

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nicht im öffentlich-politischen Diskurs, vielmehr im „bildungsgesättigten und bühnenfernen Lesedrama“140 zu enden drohte.141 Für Keller steckte daher in den auf tagespolitische Aktualität hin inszenierten Wiener Volksstücken „mehr aristophanischer Geist als in den Gymnasialexerzitien von Platen und Prutz“.142 Nicht in der offenen Dramaturgie, der formalen Regellosigkeit, in ironisch-gelehrten Parabasen oder phantastisch-allegorischen Elementen wurde eine der Gegenwart adäquate Darstellungsform gesehen, sondern in mehr Realismus.143 So erblickt z.  B. Friedrich Theodor Vischer 1845 das ‚Unpopuläre‘ der aristophanischen Komödie in ihrer „phantastisch-allegorische[n] Compositionsweise und Personification“144 und erläutert nicht nur, warum diese nicht mehr zeitgemäß ist, sondern umreißt ebenso die neuen ‚realistischen‘ (explizit anti-romantischen)145 Vorgaben: Die neuere Zeit dagegen hat sich dieser ganzen Anschauungsform entfremdet, und wie in ihrem Epos (dem Roman) keine überirdischen Personen mehr eingreifen, wie in ihrer Tragödie keine Götter und Wunder mehr wirken, so ist auch ihre Komödie eine Darstellung, worin Personen, die möglicherweise als Individuen existieren können, sich zu einer aus dem Leben und seinen Verhältnissen geschöpften Handlung ohne irgend eine Durchbrechung der Naturgesetze verbinden. Nur der Dichter, der diese von dem Zeitbewußtsein geforderte Form wählt, kann Ansprüche auf Popularität machen.146

Der Realität verwandte ‚wirkliche‘ Personen und Verhältnisse, die man glauben kann, und eine kausallogisch motivierte Handlung, der man folgen kann,  – das sind für Vischer neben einem das Politische berührenden, modernen Stoff die Erfordernisse einer neuen Komödie. Es sind gleichermaßen die Voraussetzungen für eine Komödie, die ‚Popularität‘ nicht nur als eine Qualität der Darstellung begreift, sondern überdies auf breiten Erfolg und Wirksamkeit setzt. Die hier bei Vischer und – wie oben skizziert – bei Bohtz angestrebte zugleich ‚großartige und populäre Komödie‘ steht im Kontext der epochentypischen147 und vor allem von den Grenz140 Altenhofer: Nachwort, S. 216. 141 So urteilt etwa Friedrich Theodor Vischer in dieser Hinsicht über Prutz’ aristophanische Komödie Die politische Wochenstube: „Prutz, der unsere deutschen Zustände verspottet, gehört ihnen selbst an, indem er, ächt deutsch, in einer todtgeborenen, gelehrten Form dichtet. Ein Gelehrter schreibt für Gelehrte eine politische Satyre […]. Ein Glas, aus dem man nicht trinken kann, eine volle Schüssel ohne Löffel!“ (Vischer: Politische Poesie, S. 252). 142 Keller: Keller an Hettner. Berlin, 16. September 1850, S. 608. 143 Vgl. Holtermann: Der deutsche Aristophanes, S. 177–181, bes. S. 180. 144 Vischer: Politische Poesie, S. 248. 145 Zum „Realismus als Anti-Romantik“ vgl. Stockinger: Das 19. Jahrhundert. Zeitalter des Realismus, S. 39–44. 146 Vischer: Politische Poesie, S. 248  f. 147 Vgl. u.  a. Silvia Serena Tschopp: Kunst und Volk. Robert Eduard Prutz’ und Gottfried Kellers Konzept einer zugleich ästhetischen und populären Literatur. In: Heinrich Detering u. Gerd Eversberg (Hg.): Kunstautonomie und literarischer Markt. Konstellationen des Poetischen Realismus. Berlin 2003, S. 13–30; Michael Gamper: Gute Unterhaltung. Robert Prutz und die ästhetische Mittellage. In:

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boten148 propagierten Denkfigur, die Dichotomie zwischen elitär-gebildeter und ästhetisch anerkannter Literatur auf der einen Seite sowie volksnah-populärer und erfolgreicher Kunst auf der anderen Seite aufzuheben. Aristophanes und seine vormärzlichen Nachfolger konnten deshalb nur in Bezug auf den Stoffkreis als wegweisend gelten, nicht aber in puncto Volksnähe oder in formaler Hinsicht. Was darum schon Vischer 1845 in seiner Besprechung von Prutz’ satirischer Komödie Die politische Wochenstube in die griffige Formel fasst: „Je entgegengesetzter dem Aristophanes in der Form, je modern populärer, desto Aristophanischer!“,149 bringt Hermann Hettner 1852 letztlich auf den Punkt: „Aristophanischer Inhalt in realistischer Form, das ist die Zukunft der modernen Komödie.“150 An dieser Übereinstimmung lässt sich gut beobachten, dass vor allem Hettner unter insgesamt veränderten politischen Voraussetzungen und ohne die diesen zugrundeliegenden unmittelbaren Wirkungsabsichten an die Dramentheorien des Vormärz (etwa Ludwig Börnes151) anknüpft und deren ästhetische Programme einer Verpflichtung des Dramas auf Stoffe der zeitgenössischen Wirklichkeit sowie auf lebensnah-realistische Darstellung weiterschreibt.152 Treffend beurteilt Denkler Hettners Schrift Das moderne Drama in diesem Sinne nicht zuletzt als Versuch, „die unverlorenen Einsichten der vorrevolutionären Epoche in die Nachrevolutionszeit zu retten“.153 Im Vormärz wurde das Politische vielfach komödiantisch verarbeitet; die Komödie war politisch geworden und wurde dadurch in den ästhetischen Debatten als „zeitgemäße Gattung rehabilitiert“.154 Mit den ästhetischen Diskussionen des

Anna Ananieva, Dorothea Böck u. Hedwig Pompe (Hg.): Geselliges Vergnügen. Kulturelle Praktiken von Unterhaltung im langen 19. Jahrhundert. Bielefeld 2011, S. 301–318. 148 Vgl. Helmut Schanze: Probleme der Trivialisierung der dramatischen Produktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Helga de la Motte-Haber (Hg.): Das Triviale in Literatur, Musik und Bildender Kunst. Frankfurt a.  M. 1972, S. 78–88. 149 Vischer: Politische Poesie, S. 252  f. 150 Hettner: Das moderne Drama, S. 159  f. 151 Vgl. Wolfgang Beutin: „Der Weg führt vom Leben zur Bühne.“ Ludwig Börnes Dramaturgische Blätter (1829). In: Maria Porrmann u. Florian Vaßen (Hg.): Theaterverhältnisse im Vormärz (FVF – Forum Vormärz Forschung. Jahrbuch 2001, 7. Jahrgang). Bielefeld 2002, S. 213–241; Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 24. 152 Vgl. zu solchen Anknüpfungspunkten Horst Denkler: Politische Dramaturgie. Zur Theorie des Dramas und Theaters zwischen den Revolutionen von 1830 und 1848. In: Reinhold Grimm (Hg.): Deutsche Dramentheorien. Bd. 2: Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland. 3., verb. Aufl. Wiesbaden 1981, S. 43–66, hier S. 50  f. – Zum jungdeutschen Verständnis des Lustspiels als einer an sich realistischen Gattung vgl. Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 27. 153 Horst Denkler: Restauration und Revolution. Politische Tendenzen im deutschen Drama zwischen Wiener Kongress und Märzrevolution. München 1973, S. 48. 154 Norbert Otto Eke: Politische Dramaturgien des Komischen. Satire im Vormärz (mit Blick auf das Drama). In: Michael Vogt (Hg.) unter Mitwirkung von Bernd Füllner u. Fritz Wahrenburg: Georg Weerth und die Satire im Vormärz. Referate des internationalen Kolloquiums im 150. Todesjahr des Autors, 16.–18. Juni 2006 in der Lippischen Landesbibliothek, Detmold. Bielefeld 2007, S. 13–36, hier S. 17.

1.3 Freytags Gattungsreflexion im Kontext der Journalisten 

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Vormärz, so Denkler an anderer Stelle, war die Komödie „als politisches Lustspiel eingeholt, das – zum Zeitstück bestimmt – die von der gegenwärtigen Wirklichkeit angeregten Motive, Stoffe, Ideen und Tendenzen in die Wirklichkeit zurücktragen will, um deren Änderung anzubahnen.“155 Zugleich wurde das anspruchsvolle Lustspiel aber auch damals bereits in seiner grundsätzlichen Eignung für die Tendenzdramatik in Zweifel gezogen.156 Der Weg zurück in die politische Satire der Revolutionszeit war mit dem Wegfall der revolutionären Öffentlichkeit jedenfalls nicht nur für das Drama grundsätzlich versperrt und politisch überholt, wie etwa das Beispiel Georg Weerths zeigt.157 Gleichwohl stabil blieb neben der zuvor vorbereiten Öffnung der komischen Dramenform für Stoffe der Wirklichkeit das Bedürfnis nach einem zeitgemäßen Lustspiel, das sich nicht allein in seiner Unterhaltungsfunktion erschöpfte. Diese rückte jedoch wieder stärker in den Vordergrund, weil daran der erwünschte positive Bezug auf die bürgerliche Wirklichkeit geknüpft wurde – ein Organ bürgerlicher Selbstkritik, wie die „Revolutionskomödien der Achtundvierziger“,158 sollte die Komödie nämlich nicht bleiben. Erst dieser Hintergrund macht die nachmärzliche Diskussion um die erneute Hinwendung der Komödie zum Zeitdrama sowie deren Dilemma zwischen Aktualität und Gegenwartsnähe einerseits und der Forderung nach Verklärung und Harmonisierung andererseits nachvollziehbar.159

1.3 Freytags Gattungsreflexion im Kontext der Journalisten In dieser Debatte mussten auch Die Grenzboten Position beziehen und sie erwiesen sich hierin abermals als programmatisch repräsentatives wie bestimmendes, als gleichermaßen wegweisendes, normbildendes und bestehende Stimmen verdichtendes Organ. Dass die Literatur die zeitgenössische Wirklichkeit in verklärender Weise in den Blick zu nehmen, sie überhaupt als poesiefähig zu erweisen habe, macht den literaturprogrammatischen Markenkern der Zeitschrift aus. Diese Forderung erstreckte sich ebenso auf das Lustspiel, wenngleich diesem in literaturtheoretischer Hinsicht von den Herausgebern vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt wurde. Was für das Feld des Romans von der Zeitschrift ausufernd dargelegt und von der Forschung vielfach berücksichtigt und nachgezeichnet wurde, ist für das Lustspiel zwar bisher

155 Horst Denkler: Einleitung. In: ders. (Hg.): Der deutsche Michel. Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 5–15, hier S. 7. 156 Vgl. Eke: Politische Dramaturgien des Komischen, S. 17; Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 11–13 et passim. 157 Vgl. Eke: Politische Dramaturgien des Komischen, S. 14–15, 34–36. 158 Siehe hierzu die Anthologie von Horst Denkler (Hg.): Der deutsche Michel. Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971. 159 Vgl. hierzu auch: Norbert Otto Eke: Das deutsche Drama im Überblick. Darmstadt 2015, S. 143  f.

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ziemlich vernachlässigt und unerforscht geblieben, lässt sich indes in Ansätzen auch dafür rekonstruieren – zumal Freytags Argumentation inhaltlich und strategisch in wesentlichen Punkten analog funktioniert. Entsprechend topisch begegnet auch hier zum einen die Klage, dass „die Bühne in diesem Augenblick durchaus nicht der Spiegel unserer Zeit und unseres Lebens“ sei,160 zum anderen der Anspruch an das ‚bürgerliche Lustspiel‘ nach „Übereinstimmung mit dem wirklichen Leben“.161 Wie Freytag bereits 1849 in seinem frühen programmatischen Grenzboten-Aufsatz „Die Kunst und Künstler in der Revolution“ entfaltet, sieht er in der „Empfänglichkeit für die neuen Stoffe“,162 welche die Gegenwart biete, die wichtigste Voraussetzung für moderne Kunst im Allgemeinen: „Es ist eine große neue Welt von Stoffen, welche sich aufgeschlossen hat, und nothwendig werden sie in der Kunst sich geltend machen.“163 Den zeitgenössischen Realitäten habe der Künstler sich auch in politischer Hinsicht zu öffnen, dabei aber gewissermaßen einen Mittelweg einzuschlagen: Er solle weder „in Opposition gegen eine neue Zeit verknöchern“ oder sich mit „schmerzlicher Resignation“ ganz von seinem politischen Gestaltungsanspruch zurückziehen, noch solle seine Kunst ganz in den Dienst der Tendenz gestellt und damit zum „Sklaven der prosaischen Wirklichkeit“ degradiert werden.164 Angestrebt wird zwar ein positiv-idealisierender Bezug auf die Wirklichkeit, zugestanden wird jedoch, dass die politische Umbruchsituation eine Harmonisierung in der Kunst noch erschwere.165 Der politische Übergang wird zugleich als ein ästhetischer begriffen, der dem Drama in besonderer Weise entspreche, weil auch dieses von der Spannung zwischen dem Konflikt und dem Ausgleich der Gegensätze gekennzeichnet sei:166 „Das Leben des Volkes ist dramatisch geworden.“167 Wenn Freytag das Drama derart als zeitgemäße Kunstform profiliert („Unser Volk findet im Drama jetzt ein Spiegelbild seiner eigenen Kämpfe und der Schicksale seiner Helden“168), rückt im Sinne der Gattungshierarchie der Zeit natürlich vor allem die Tragödie als höchste Form des Dramas in den Fokus („Unser Volk ist reif geworden für die Tragödie“169). Weil diese angesichts der „vorhandenden Dichterkräfte“ aber nur schwerlich bald realisiert werde, sieht er „in andern Gattungen des Schauspiels“, vor allem in der Komödie, eine Form, in der sich die „Aufregung der Gegenwart“

160 Freytag: Uebersetzungen. Molière übersetzt durch Graf Baudissin, S. 251. 161 N. N.: Roderich Benedix. In: Die Grenzboten 11 (1852), II. Semester, IV. Band, S. 136–138, hier S. 137. 162 Gustav Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution [1849]. In: VA I, 1–18, hier 5. 163 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 8. 164 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 5, 4. 165 Vgl. Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 5  f., 10  f. 166 Vgl. Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 12. 167 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 12. 168 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 12. 169 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 12.

1.3 Freytags Gattungsreflexion im Kontext der Journalisten 

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äußern könne und bereits in verfehlter Weise ihren Ausdruck gefunden habe.170 Die Musterung der zeitgenössischen Produktionen gerät Freytag zur üblichen Mängeldiagnose171 – die Argumentationsmuster für das Feld des Dramas und das Feld des Romans gleichen sich hier (s. Kap. III.2 u. 3). Vom politischen ‚Spektakelstück‘ grenzt er sich ebenso ab wie vom bloß gemütlich-behaglichen Familienstück. Abermals wird die Zukunft des Dramas jedoch an die Fortentwicklung des politisch-sozialen Lebens geknüpft,172 werden „Kraft und Humor“173 zunächst im Leben erwartet, womit wiederum die zeitpolitische und mimetische Dimension seines Kunstverständnisses anschaulich wird. Mit der Stabilisierung der politischen Zustände konkretisierte sich auch Freytags Lustspielkritik. 1850 setzt er sich in den Grenzboten mit den mundartlichen LokalLustspielen und Possen von Karl Malß auseinander. Freytag selbst hatte sich schon um 1842/43 mit dem Versuch einer politischen (man könnte auch sagen: aristophanischen) Posse Dornröschen (erster Arbeitsentwurf zunächst unter dem Titel Das Kartenspiel der Geister. Ein Märchen als Lustspiel in 5 Akten)174 beschäftigt, diese dann aber trotz umfangreicher Entwürfe nicht abgeschlossen.175 Wie aus einem Brief Freytags an Ludwig Tieck hervorgeht,176 plante er im Februar 1848 erneut, den Lustspielentwurf

170 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 13. 171 In der Argumentation ähnlich wie wenig später in Bezug auf den zeitgenössischen deutschen Roman beklagt Freytag auch bezogen auf das Feld des Dramas einen „Mangel an Productivität seiner Dichter“ (Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 13). 172 Vgl. Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 13–15. 173 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 15. 174 Das dramatische Fragment Das Kartenspiel der Geister [o.  D.] (Vorstufe zu Dornröschen) und das „Zauberspiel mit Gesang und Tanz“ Dornröschen [1842/1843] finden sich in Freytags Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin: StB, Nachlass Gustav Freytag, eigene Werke, 62, 1–8 sowie 63, 1–21, 22 u. 23–54. – Die Entwürfe zur politisch-satirischen Posse lassen ein deutlich jungdeutsches Profil erkennen. So finden sich etwa im ‚Kartenspiel‘ für das Junge Deutschland typische Elemente wie die Kritik an der fehlenden Presse- und Meinungsfreiheit, an der Suprematie Preußens, an der biederen Behaglichkeit des deutschen Michel (hier verkörpert durch die Familie Herz und – wenig subtil – deren sich dann unter Anleitung durch den ‚Philosophus‘ emanzipierenden Sohn Michel), außerdem ein starkes ‚Volks- und Nationalbewusstsein. – Eine gute Zusammenfassung mit einigen Textauszügen gibt Hans Lindau: Gustav Freytag. Leipzig 1907, S. 73–84. – Zu Das Kartenspiel der Geister siehe auch die Abschrift im Goethe-Schiller-Archiv Weimar: GSA. 19/28. 175 Siehe dazu Freytag in seinen Erinnerungen: „[I]ch ersann eine politische Posse ‚Dornröschen‘, worin vier Prinzen: Treffleton, Carreau, Pickowitsch und Michel Herz mit ihrem Gefolge von Kartenblättern ausziehen, um die schlafende Schönheit zu erlösen, welche unter wohlwollender Aufsicht des Geisterfürsten Europius steht. Der deutsche Michel, der mit seinem unpraktischen Hofmeister Philosophus die Fahrt unternommen hat, gewinnt zuletzt die Braut, nachdem er durch einige Akte von den anderen sehr schlecht behandelt worden ist. Die Idee war nicht übel, der guten Laune fehlte das Derbe und Kräftige, was die Posse braucht, und als Holtei, dem ich das Bruchstück zeigte, beim Durchlesen den politischen Hintergrund gar nicht merkte, ließ ich es unvollendet liegen.“ (GW I, 129) 176 Freytag schildert Tieck am 1. Februar 1848 seine Pläne zu zwei geplanten Stücken und schreibt über Dornröschen: „Das erste soll ein Volksstück werden, ich habe unser Märchen vom schlafenden

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nach dem Vorbild der „Wiener Possen“ als „Volksstück“ auszuarbeiten, um u.  a. damit „der gegenwärtigen Schlaffheit und Nichtswürdigkeit des dramatischen Schaffens“177 Abhilfe zu leisten. Dornröschen, „das Zauberspiel mit Gesang und Tanz“, in dem die Figuren – allen voran der am Ende mündig gewordene und die Braut erobernde deutsche Michel – als Nationalallegorien gezeichnet sind,178 blieb letztlich unvollendet. Dass die ‚Zauberposse‘ allerdings das Potential für eine in ferner Zukunft liegende politische Komödie biete, davon wollte sich Freytag noch in Die Technik des Dramas (1863) nicht ganz lösen.179 Auch Freytags Possen-Kritik um 1850 sollte man demnach im Kontext jener Denkfigur einer historistischen Literaturbetrachtung lesen, nach der die Gegenwart als Übergangsphase der Lustspielentwicklung und die Posse als eine niedrige, aber doch berechtigte potentielle Entwicklungsstufe zu ‚höheren‘ Formen anzusehen sei. Die Lokalpossen, wie sie Karl Malß verfasst hat,180 mag Freytag in diesem Sinne immerhin als Ausdruck eines regionalen Selbstgefühls verstehen181 – und bedenkt man das soziale Gepräge der Gattung, möchte man präzisierend hinzufügen: als Ausdruck eines (städte)bürgerlichen Selbstbewusstseins.182 Allerdings deutet Freytag darauf hin, dass gerade die dialektale Gestaltung und eine allzu starke Verankerung

Dornröschen zu Grunde gelegt, und lasse vier schnurrige Gesellen darnach ausziehn. Das Ganze soll so sehr als möglich der herrschenden Form der Wiener Possen sich anschließen, damit die Laune und Satyre, über die ich etwa commandieren kann, nicht zu sehr befremdlich werde. Dies Stück ist schon einmal gemacht, aber es ist zu sehr Skizze geblieben, ich muß es lustiger, burlesker austreiben. Dazu warte ich auf Uebermuth.“ – Freytag an Ludwig Tieck, 1. Februar 1848. In: Karl von Holtei (Hg.): Briefe an Ludwig Tieck. Bd. 1. Breslau, 1864, S. 216–219; hier S. 219. – Der Brief findet sich in leicht veränderter Abschrift ebenso in: Adolph Kohut: Ungedruckte Briefe Gustav Freytags. In: Kölnische Zeitung, 11. Juli 1916 (Nr. 693), 13. Juli 1916 (Nr. 703), 20. Juli 1916 (Nr. 729), 27. Juli 1916 (Nr. 754), hier 20. Juli 1916 (Nr. 729). 177 Freytag an Ludwig Tieck, 1. Februar 1848, S. 219, 217. 178 Vgl. genauer: Lindau: Gustav Freytag, S. 73–84. 179 „Während Götter und Geister im ernsten Drama üblen Stand haben, gelingt es ihnen in der Komödie weit besser. Und die jetzt abgelebten Zauberpossen geben nur eine sehr blasse Vorstellung von dem, was unsere Geisterwelt bei launiger und humoristischer Darstellung einem Dichter sein könnte. Wenn die Deutschen erst für eine politische Komödie reif sein werden, dann wird man den Werth des unerschöpflichen Schatzes von Motiven und Gegensätzen benutzen lernen, welcher aus dieser Phantasiewelt für drollige Laune, politische Satire und humoristische Einzelschilderung zu heben ist.“ (GW XIV, 52) 180 Vgl. zu diesen genauer: Volker Klotz: Karl Malß und seine Lokalpossen. Nachwort. In: Karl Malss: Frankfurter Mundartstücke. Neue Gesamtausgabe mit Nachwort, Erläuterungen und Glossar von dems., Erwin Th. Rosenthal u. Rainer Schönhaar. Frankfurt a.  M. 1988, S. 435–458. 181 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 77. 182 Vgl. dazu die Ausführungen in Klotz: Bürgerliches Lachtheater, S. 101  ff.; vgl. hierzu auch sowie zur Lokalposse als dem ‚Leitgenre‘ des Vormärz: Hans-Peter Bayerdörfer: ‚Lokalformel‘ und ‚Bürgerpatent‘. Ausgrenzung und Zugehörigkeit in der Posse zwischen 1815 und 1860. In: Maria Porrmann u. Florian Vaßen (Hg.): Theaterverhältnisse im Vormärz (FVF – Forum Vormärz Forschung. Jahrbuch 2001, 7. Jahrgang). Bielefeld 2002, S. 139–173.

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in den lokalen Zuständen dem Ziel einer nationalen Komödie letztlich zuwiderliefen (es sei denn, man stelle in breiter Darstellungsabsicht „verschiedene Provinzialismen einander gegenüber“183). In ästhetisch-technischer Hinsicht bietet ihm selbst Malß’ überregional außerordentlich erfolgreiche Frankfurter Lokalkomödie Die Entführung oder der alte Bürger-Capitain (1820) wenig Vorbildliches. Das Stück sei zugegebenermaßen in seinem Ansatz zu würdigen, „Zustände der Wirklichkeit“ zu schildern; der Handlung und Komposition des Dramas mit seinem „locker zusammengewebte[n] Inhalt“ mangle es indes an Geschlossenheit und zwingender Motivierung („weder Einheit noch innere Nothwendigkeit“) – den für Freytags Dramenpoetik insgesamt wichtigsten und von ihm äußerst streng angelegten Kategorien.184 Auch die der Posse eigentümliche ‚stereotyp-maskenhafte‘ – und beinahe selbstzweckhafte – komische Überzeichnung beißt sich mit Freytags Bedürfnis nach realistisch-natürlicher Figurenzeichnung.185 Den fehlenden „Idealismus“186 auf der Ebene der Figuren sowie der Handlung formuliert Freytag darüber hinaus als weiteren zen­ tralen Kritikpunkt an Malß’ Stücken. Zwar bemerkt er die „Genauigkeit, mit welcher die Figuren nach der gemeinen Wirklichkeit gezeichnet sind“,187 dieser fehlen nach Freytags realidealistischem Kunstverständnis aber idealisierend-verklärende Elemente als notwendige Ergänzung: „[D]enn je genauer und wahrer nach dem Leben Charaktere gezeichnet sind, desto genauer muß auch ihr Schicksal im Stück nach den Forderungen der sittlichen Welt, welche wir in uns tragen, bestimmt werden“.188 Realismus und Idealismus der Darstellung bedingen einander in dieser Logik auch im Lustspiel. Die Idee eines Stückes, so Freytag, solle „wenigstens am Schlusse hervortreten“.189 Indem bei Malß „das Lustspiel […] zur Posse“ und der „Bourgeois“ zum „Hanswurst“ werde,190 erkennt Freytag in ihm zwar kein unmittelbar-wegweisendes Anknüpfungspotential für jene „neue höhere Form des deutschen Lustspiels, von welchem wir wohl noch einige Zeit hoffnungsvoll träumen werden“, aber doch immerhin „prächtige[s] Material“.191 Den Weg hin zur ‚höheren‘ Komödie sah nicht allein Freytag in der genau umgekehrten als Malß unterstellten Entwicklung. Auch der einflussreiche Theaterkritiker, Feuilletonist und Schriftsteller Karl Frenzel trat für eine Hinwendung zur Komödie durch „Hebung der Possendramatik“192 im Sinne einer inhaltlich und ästhetischen Vertiefung ein: „Gebt der Posse einen tieferen Inhalt und eine künstlerische Form! 183 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 77. 184 Alle Zitate: Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 72. 185 Vgl. Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 73. 186 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 72; vgl. dazu auch S. 72–74. 187 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 73. 188 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 74. 189 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 74. 190 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 73. 191 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 77. 192 [Max Bucher]: Drama und Theater. In: RuG I, S. 136–159, hier S. 137.

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Das ist die Aufgabe“.193 Nicht nur die Possenkritik der Grenzboten194 etwa an Roderich Benedix oder Nestroy verstand sich im Dienste einer Aufwertung der komischen Form zum bürgerlichen Gegenwartsdrama. In diese Richtung argumentiert u.  a. auch Emil Müller-Samswegen, der vehement die „Zurücksetzung des bürgerlichen Dramas“, insbesondere des Lustspiels, beklagt, das daher gegenwärtig „so gut wie ausgestorben“ sei.195 Die Possen von Benedix oder Raupach hätten „mit dem edlern bürgerlichen Drama nichts mehr gemein“.196 In diese Richtung aber habe sich auch das Lustspiel wieder zu orientieren, das Müller-Samswegen weitaus eher als etwa die Hochstiltragödie dazu geeignet sieht, aus der „bürgerlichen Sphäre“197 heraus „den idealen Gehalt der Gegenwart dramatisch zu verwerthen“.198 Auf diesem Feld könne es zudem leichter gelingen, neben dem „Gegensatz […] zwischen Idealität und Wirklichkeit“199 auch den Konflikt zwischen „Realismus“ und „Idealismus“ der Darstellung aufzuheben.200 Dass sich die Komödie (mit der für sie gattungskonstitutiven Versöhnung) möglicherweise besser als die Tragödie dazu eigne, zentrale literaturprogrammatische Forderungen der Zeit umzusetzen, erkannten die Grenzboten-Herausgeber, in deren dramentheoretischen Erörterungen die Tragödie im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, erst spät.201 1870 schließlich formuliert Julian Schmidt die Einsicht, „daß unserere Zeit nicht für die Tragödie gemacht ist“; man sei statt zum „‚Biegen oder Brechen‘“ eher „zum Vermitteln geneigt“.202 Ein Jahr zuvor arbeitet Freytag sich in den Grenzboten unter der Überschrift „Der dramatische Dichter und die Politik“ an dem Problem des dramatischen Dichters ab, „politische und sociale Tagesinteressen zu verwerthen“, ohne aber „ungelöste politische und sociale Streitfragen“ oder „Schlagworte des Tages“ auf die Bühne zu bringen, „welche den Zuschauer in den Zank des Marktes hineinziehen“.203 Freytag kommt zu dem Schluss, dieses gelinge dem Dichter umso eher,

193 Zit. n. [Bucher]: Drama und Theater, S. 137. 194 Vgl. z.  B. N. N.: [Rez.] Die Freiheit in Krähwinkel. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, III. Band, S. 145  f.; N. N.: Roderich Benedix; Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 105  f. 195 Emil Müller-Samswegen: Das bürgerliche Drama [1858]. In: RuG II, S. 460–465, hier S. 461. 196 Müller-Samswegen: Das bürgerliche Drama, S. 462. 197 Müller-Samswegen: Das bürgerliche Drama, S. 462. 198 Müller-Samswegen: Das bürgerliche Drama, S. 465. 199 Müller-Samswegen: Das bürgerliche Drama, S. 463. 200 Vgl. Müller-Samswegen: Das bürgerliche Drama, S. 464  f. 201 Vgl. Helmuth Widhammer: Realismus und klassizistische Tradition. Zur Theorie der Literatur in Deutschland 1848–1860. Tübingen 1972, S. 69; Schönert: Zur Diskussion über das „moderne Drama“ im Nachmärz, S. 664, 669–671. 202 Julian Schmidt: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit. [Bd. 1]. Leipzig 1870, S. 426. 203 Gustav Freytag: Der dramatische Dichter und die Politik [1869]. In: VA I, 66–69, hier 69.

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wenn seine Persönlichkeit und das Genre des Stückes ihm möglich machen, jene souveraine Freiheit dabei siegreich zu wahren, also überall, wo gute Laune, Ausdruck eines fröhlichen Herzens, oder gar ein übermüthiges Spiel mit dem Stoff gestattet ist. Die Politik wird also leichter in das Lustspiel, als in das ernste Drama eindringen dürfen […].204

Tatsächlich war Freytag schon zu diesem Zeitpunkt mit dem Drama Die Journalisten nach Ansicht der Zeitgenossen auf dem Feld der Komödie das gelungen, was er für die Tragödie bloß anstreben sollte:205 ein modernes Zeitdrama der bürgerlichen Gegenwart zu schaffen, das durchaus als politisches Zeitstück auftrat und zunächst auch so gelesen wurde. Die Journalisten wollte Freytag im Sinne der zuvor von ihm angestrebten und propagierten „neue[n] höher[n] Form des deutschen Lustspiels“ in Abgrenzung zu niederen Formen des ‚Schwanks‘ und der ‚Posse‘ verstanden wissen.206 Gegenüber dem Intendanten der Frankfurter Bühnen Emil Claar ärgerte er sich entsprechend, wenn das Drama, das er sich als „feineres Lustspiel gedacht habe“, in manchen Inszenierungen „durch schwankmäßige Banalisierung, durch possenhafte Zutaten aller Art“ verändert und gegen seinen Sinn trivialisiert worden sei – „unter dem Titel Lustspiel“ hätten „Schwank und Posse“ nämlich nichts verloren.207 Noch die vielfach auf einer grundsätzlichen Trennung von ‚höherem‘ Lustspiel und ‚nied­ erem‘ komischen Unterhaltungstheater beharrende Literaturwissenschaft der 1960er Jahre hat diese zeitgenössische Perspektive Freytags (und der frühen Rezeption, s. Kap. 2.1) fortgeschrieben und seine Journalisten im Unterschied zu den die damaligen Bühnen dominierenden Formen wie Schwank und Posse als „echte[s] Lustspiel“ hervorgehoben.208 Wenn der Dichterjournalist Freytag behauptet: „Der Künstler schafft nur, was er zuvor gelebt“,209 wenn er schon 1849 überdies das politische Leben der Gegenwart, den Parteienkampf und die Volksversammlungen einerseits als ideale Stoffwelt zeitgenössischer Literatur profiliert,210 andererseits 1850 als größte Herausforderung des modernen Lustspiels benennt, „eine Handlung zu erfinden […], welche frei von verstimmendem Parteihaß bleibt“,211 dann liest sich auch das im Nachhinein wie eine programmatische Selbstverortung seines eigenen Lustspiels Die Journalisten. Mit dessen Ausarbeitung hatte er im Gegensatz zur späteren Selbstaussage, das Stück 1852 in Rekordschnelle niedergeschrieben zu haben, in der Tat spätestens bereits

204 Freytag: Der dramatische Dichter und die Politik, 69. 205 Vgl. GW XIV, 100  f. 206 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 77; vgl. auch: GW XIV, [X]. 207 Emil Claar: Ein Zwischenaktgespräch mit Gustav Freytag. In: GFB 1 (1954), H. 2, S. 29–31, hier S. 30. 208 Bräutigam: Zur Geschichte des Lustspiels, S. 28. 209 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 7. 210 Vgl. Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 8. 211 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 78.

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1849212 (evtl. sogar früher213) – also in zeitlicher Nähe zu den zitierten programmatischen Aussagen – begonnen. Gleichwohl lässt sich für sein Lustspiel nicht von einer vergleichbaren resonanzstrategischen und auf Selbstkanonisierung zielenden Feldpolitik sprechen, wie man sie im Fall von Soll und Haben für den zeitgenössischen Roman und dessen Theorie beobachten kann (s. Kap. III). Dabei reicht Freytags Beschäftigung mit der Komödie weitaus länger zurück. Der Autor, dessen wissenschaftliche Qualifikationsschriften bereits einen literarhistorischen Blick auf die Frühphase des mittelalterlichen Dramas boten (Promotion: De initiis scenicae poesis apud Germanos, 1838; Habilitation: De Hrosuitha poetria. Adjecta est comoedia Abraham inscripta, 1839), arbeitete seit dieser Zeit an einer weiter in die Gegenwart reichenden „Geschichte der deutschen dramatischen Poesie“ (GW I, 123).214 Die Vorstudien hierzu mögen später ihren Weg auch in Die Technik des Dramas gefunden haben; dennoch sind aus dieser Phase keine zusammenhängenden Äußerungen zur modernen Komödie überliefert. Und das, obwohl Freytag sich noch in seiner Zeit als Privatdozent an einer Komödie probierte – so etwa an dem Fragment gebliebenen Der Schulmeister. Lustspiel in 5 Akten (1840)215 – und 1841 schließlich das fünfaktige Lustspiel Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen (uraufgeführt: 23. März 1843; gedruckt: 1844) erarbeiten und abschließen konnte.216 Mit diesem ersten ‚richtigen‘ Theaterstück, das Freytag nach einigen frühen (z.  T. auch unvollendet gebliebenen) dramatischen Versuchen (z.  B. Der Hussit [1837], 212 Freytags Aussage in seinen Erinnerungen („Ich schrieb das Lustspiel ‚Die Journalisten‘ in den drei Sommermonaten nieder. Nie ist mir ein Plan so schnell fertig geworden als dieser“; GW I, 172) widerspricht sein Brief vom 25. November 1852 an den mit der Inszenierung des Stückes betrauten Leiter des Karlsruher Hoftheaters Eduard Devrient: „Das Stück ist nicht in einem Sommer gemacht. Schon vor drei Jahren schrieb ich die meisten Scenen und ließ sie unlustig liegen. Diesen Sommer habe ich’s überfahren und zusammengebaut, und da wollte es hier und da nicht passen.“ (Hans Devrient [Hg.]: Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient. In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Jg. 46, Bd. 91, 1901/02, S. 127–139, S. 199–211, S. 343–355, S. 505–551, hier S. 132) – Vgl. zur Entstehung des Dramas auch Christa Barth: Gustav Freytags „Journalisten“. Versuch einer Monographie. Phil. Diss. München 1949, S. 49–51; Eduard Rothfuchs: Der selbstbiographische Gehalt in Gustav Freytags Werken (bis 1855). Ein Beitrag zur Frage der Wechselwirkungen von Erlebnis und Dichtung. Münster 1929, S. 38–39; Benedict Schofield: Private Lives and Collective Destinies. Class, Nation and the Folk in the Works of Gustav Freytag. London 2012, S. 85  f.; Horst Kreißig: Nachwort. In: Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in 4 Acten. Faksimiledruck nach der Ausgabe der Gesammelten Werke von 1887. Göttingen 1966, S. 113–124, hier S. 113–116. 213 So spricht Freytag in einem Brief an Ludwig Tieck am 1. Februar 1848 von dem Plan zu einem ‚großen‘ Stück, bei dem es sich vielleicht bereits um die Idee zu Die Journalisten handelt (vgl. dazu auch Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S.  50  f. sowie Kreißig: Nachwort, S.  113  f.): Freytag an Ludwig Tieck, 1. Februar 1848. In: Kohut: Ungedruckte Briefe Gustav Freytags, 20. Juli 1916 (Nr. 729). 214 Vgl. dazu auch: Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 43, 54, 59, 63; vgl. zu Freytags wissenschaftlichen Arbeiten außerdem: Lindau: Gustav Freytag, S. 52–61. 215 Vgl. StB, Nachlass Gustav Freytag, eigene Werke, 3. 216 Vgl. zur Komödie allgemein: Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 6–54; Schofield: Private Lives and Collective Destinies, S. 42–52; Lindau: Gustav Freytag, S. 68–72.

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Die Sühne der Falkensteiner217 [1838]) verfasst hatte,218 nahm der Dichter am Dramenwettbewerb teil, den das Berliner Hoftheater 1841 für ein „Lustspiel höheren Stils aus der Gegenwart“ ausgelobt hatte. Die Ausschreibung zeigt einmal mehr, dass das Bedürfnis schon Anfang der 1840er Jahre zunehmend auf anspruchsvolle deutschsprachige Lustspiele gerichtet war, die sich einem Stoff aus der unmittelbaren Gegenwart widmen sollten. Es sagt einiges über die Komödienlandschaft der Zeit – ihre Misere sowie ihre Produktionsbedingungen – aus, dass bei dem Wettbewerb kein erster Platz vergeben werden konnte und Freytag mit seinem Stück einen von vier zweiten Plätzen errang,219 obwohl sein Text als historisches Lustspiel die Teilnahmebedingungen gar nicht erfüllte (worüber sich der Autor allerdings sehr im Klaren war).220 Das Stück, das seinen doppelten Aufmerksamkeitsfokus auf die Brautwerbung Maximilians I. um Maria von Burgund einerseits und des Erzherzogs Hofnarr Kunz von der Rosen andererseits schon im Titel sichtbar macht, zeigt zwar bereits einen nationalbewussten Zug und eine Tendenz zur Verbürgerlichung der geschichtlichen Welt „im Geiste der Gegenwart“;221 von einer modernen gegenwartsnahen oder gar innovativen Komödie kann hier allerdings nicht die Rede sein. Das Stück ist beim Pub-

217 Vgl. StB, Nachlass Gustav Freytag, eigene Werke, 33. 218 Vgl. dazu genauer: Lindau: Gustav Freytag, S. 32–41, 96. 219 Vgl. dazu GW I, 106. – Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Freytag hier das gleiche Schicksal ereilte wie später, im Jahr 1860, beim Schillerpreis, den der Autor von Die Fabier (1859) sich mit Gustav Heinrich Gans zu Putlitz und dessen Das Testament des großen Kurfürsten teilen musste. 220 An den Intendanten Graf Friedrich Wilhelm von Redern schreibt der Zweiplatzierte, nachdem er in den Zeitungen überrascht von seinem Erfolg gelesen hat: „Es kam mir dies fast unerwartet, da das Stück den gestellten Anforderungen allerdings sehr widerspricht“ (Freytag an die Generalintendanz der königlichen Schauspiele zu Berlin, 9. April 1842. In: Georg Droescher: Gustav Freytags Schriftwechsel mit der Generalintendanz der Königlichen Schauspiele zu Berlin. In: Deutsche Rundschau, Bd. 177 (Oktober–Dezember 1918), S. 129–146, hier S. 130). – Vgl. dazu außerdem Freytags Anmerkungen in seinen Erinnerungen aus meinem Leben: GW I, 105  f. 221 Karl Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels. Mit 100 Abbildungen. Leipzig 1923, S. 276. – So protobürgerlich, wie es später für die Liebeskonstellationen in Die Ahnen charakteristisch ist, erweist sich etwa das in Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen vor allem von Maria vertretene Liebeskonzept. Diese setzt die auf freier Gattenwahl beruhende ‚Liebe als Passion‘ gegen die taktischen und auf Einschüchterungen wie Intrigen basierenden Erwägungen der staatlichen Heiratspolitik (vgl. etwa GW II, 26–28). Die hier vertretene Freiheit der Partnerwahl (die durch das Kindheitsversprechen von Maria und Maximilian allerdings etwas relativiert wird) deutet so gesehen tatsächlich schon auf Ingos Kampf für eine freie Brautwahl im ersten Band der Ahnen hin. Protobürgerlich und wegweisend für Freytags folgende Werke ist auch die in ‚der Brautfahrt‘ formulierte Adelskritik. „Ich hasse dies freche Junkerwesen wie den Tod“, sagt etwa Kunz an einer Stelle (44) und verurteilt jene adligen „vornehme[n] Müßiggänger[n]“, die „Land und Volk erhenken, ohne daß ihnen der Daumen zuckte“ (45). Kunz und Max dagegen bilden sich auf ihren Adel nichts ein und werden stattdessen als bodenständig und volksnah gezeichnet. Ein Ablegen adliger Verhaltensweisen oder eine Distanzierung diesen gegenüber kann man dann später bei Georg Saalfeld in Die Valentine, bei ‚Graf Waldemar‘ und Fritz von Fink in Soll und Haben beobachten.

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 1 Das Lustspiel in der Gattungsdiskussion. Zur Theorie der Komödie um 1850

likum auf ganzer Linie durchgefallen222 und neben dem weit zurückreichenden Stoffkreis wurde vor allem auch dessen mangelnde Komik kritisiert.223 Das Komischste an Freytags Erstlingswerk ist dabei vielleicht die Tatsache, dass es ausgerechnet von jenem Berliner Hoftheater als ‚höheres Lustspiel aus der Gegenwart‘ prämiert wurde, das Freytags tatsächliches Gegenwartslustspiel Die Journalisten später zunächst mit Ablehnung quittieren sollte (s. Kap. 3.2.1). Der Dichter selbst hatte sich schon 1848 im Vorwort der Dramatischen Werke von seiner bis dahin einzigen veröffentlichten Komödie distanziert und das Werk mit seinen „Mängel[n]“ und seinem „romantischen, lustigen Trödelkram“ als „nicht ‚zeitgemäß‘“ beurteilt.224 Wie Freytag selbst zugab, hatten ihn „die Schicksale des Lustspiels nachdenklich“ gemacht (GW I, 110). Wenngleich Freytags dramatisches Frühwerk also nicht mit direkten bzw. umfassenden programmatischen Äußerungen zum Lustspiel einhergeht, offenbaren seine späteren Äußerungen von 1848 beim Autor ein geändertes Lustspielverständnis, vor dem der Erstling nicht mehr bestehen konnte und das eher auf Die Journalisten vorverweist.225 In diesem Sinne gehören ‚die Brautfahrt‘ und die Lehren, die Freytag aus deren Misserfolg zog, in den Kontext der Journalisten. Dass Freytag sich direkt nach seinem auf dem Theater gescheiterten historischen Lustspiel mit der politischen Posse auseinandergesetzt hat (und hier noch in Die Technik des Dramas wieder anknüpft), zeigt zudem, wie kontinuierlich der Dramatiker – der sich ja bereits zuvor mit Lustspielversuchen trug – sich mit der Gattung Komödie beschäftigte, selbst wenn diese Auseinandersetzung nur wenige literarische und theoretische Texte getragen hat. Zusammengefasst: Bleiben Freytags literaturprogrammatischen Äußerungen zum Lustspiel, gemäß dessen Bedeutung im Rahmen der zeitgenössischen Gattungstheorie, auch im Ganzen betrachtet vergleichsweise rar und unsystematisch, so deckt sich die – wie für Die Grenzboten typisch – primär via Negation operierende Positionierung des Autors mit zentralen Forderungen der Zeitgenossen auf diesem Gebiet. Formuliert wurde somit nicht bloß ein Mangel, der mit den Diagnosen anderer Akteure vielfach

222 Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 56  f.; vgl. dazu auch Freytags Ausführungen in seinen Erinnerungen: GW I, 105–112. 223 Vgl. etwa: N. N.: Feuilleton. Leipziger Stadttheater. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 16. März 1856 (Nr. 64), S. 526. 224 Gustav Freytag: Vorwort. In: ders.: Dramatische Werke. Bd. 2: Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen. Lustspiel in fünf Akten. Leipzig 1848, S. IX-XII, hier S. XI, XII, IX. – Schon der im Anschluss an ‚die Brautfahrt‘ begonnene Lustspielentwurf Das Kartenspiel der Geister zeigt auf inhaltlicher Ebene einen deutlich antiromantischen Zug („Noch spukt euch die leidige Romantik sehr im Kopfe herum“, belehrt der Philosophus die Familie Herz im Possenfragment), obgleich das Märchen als Lustspiel auf Darstellungsebene mit romantischen Verfahren operiert (vgl. StB, Nachlass Gustav Freytag, eigene Werke, 6). Diese Inkongruenz mag – vor dem Hintergrund sich beim Autor klarer konturierender Lustspielanforderungen – dazu beigetragen haben, dass Freytag die Entwürfe trotz neuerlicher Beschäftigung um 1848 nicht fertiggestellt hat. 225 Vgl. Freytags Äußerungen von 1848: Freytag: Vorwort.

1.3 Freytags Gattungsreflexion im Kontext der Journalisten 

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übereinstimmte; ableitbar war daraus vielmehr ein Forderungskatalog, der die Gattungsdiskussion der Jahrhundertmitte repräsentativ widerspiegelte: Die Aufwertung des Lustspiels in seiner zeit- und nationalpolitischen Bedeutung, die Emanzipation vom französischen Vorbild, das Bemühen um Popularität und ästhetische Erneuerung, die Hinwendung zu Stoffen der unmittelbaren – auch politischen – bürgerlichen nationalen Gegenwart, ein ideeller Gehalt und positiver Wirklichkeitsbezug, poetische Idealisierung bei eher verhaltener Tendenz, eine kompositorisch eher geschlossene und straffe Dramenform mit Vorliebe für eine streng motivierte kausal-lineare Handlungsstruktur, „täuschende Natürlichkeit“ und „sachliche[r] Witz“ anstelle von grotesk-komischer Überzeichnung,226 ein realistischer, aber zugleich verklärender und harmonisierender Modus humoristischer Darstellung – dies alles sind bestimmende Punkte der nachmärzlichen Komödiendiskussion und vielfach ebenso des literaturprogrammatischen Diskurses um das Drama schlechthin. In der literaturtheoretischen Debatte ‚um 1850‘ wurde damit ein Bedürfnis nach Innovation auf dem Feld der Komödie artikuliert, das in den Augen vieler Zeitgenossen von Freytags Lustspiel Die Journalisten vorbildlich erfüllt wurde. In der Rezeption des Stücks lassen sich entsprechend all diese Punkte wiederfinden. Es gehört zur Ironie der Geschichte des Erfolgsschriftstellers Freytag, dass der Verfasser einer der wirkmächtigsten Tragödientheorien des 19. Jahrhunderts kein erfolgreiches oder programmatisch anerkanntes Trauerspiel geschrieben hat, dass er umgekehrt jedoch keine geschlossene Lustspieltheorie vorgelegt, aber ein immens populäres Lustspiel geschrieben hat, dem es als einzigem von Freytags Stücken gelungen ist, in den Bereich kanonischer Geltung vorzudringen oder diesen zumindest zu berühren. Wie in der Rezeption von Freytags Die Journalisten im 19. Jahrhundert an die hier dargestellte Komödiendiskussion angeknüpft wurde, wie dem Stück gerade in der frühen Rezeption das zuvor gattungstheoretisch geforderte Innovationspotential sowie die Erfüllung zentraler dramenpoetischer Vorgaben attestiert wurde und wie dem Lustspiel zum Teil bis hinein ins 20. Jahrhundert der Rang einer realistischen ‚Musterkomödie‘ zugesprochen wurde, soll im Folgenden dargelegt werden.

226 Aust: Realismus, S. 292.

2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück. Rezeptionsgeschichtliche Perspektiven 2.1 ‚Ein ächt modernes und mustergiltiges Lustspiel‘. Zur Innovationsleistung der Journalisten aus Sicht der Zeitgenossen Bei Die Journalisten handelt es sich um das seltene Beispiel eines Stücks, das sowohl außerordentlich populär bei Theaterpublikum und Leserschaft war als auch von großen Teilen der zeitgenössischen Literaturkritik als innovativ und zugleich als übereinstimmend mit den dominierenden literaturprogrammatischen Forderungen rezipiert wurde. Der Literarhistoriker und Dichter Adolf Stern, der schon im Jahr 1885 eine Epochendarstellung zum „Realismus“ bzw. der von ihm sog. „‚realistischen‘ Schule“ veröffentlicht, nennt Freytags Stück daher ein „Meisterwerk“ und urteilt bezogen auf die doppelte Herausforderung von Bühnenwirksamkeit und programmatisch-ästhetischem Anspruch, dieses sei „in der eigentümlichen und […] unüberwindlichen Armut der deutschen Komödie auf ein ganzes Menschenalter hinaus das einzige Lustspiel, welches hinreißende Bühnenwirkung bewährte und poetisch-literarischen Wert besitzt“.1 Dem 19. Jahrhundert sind Die Journalisten nicht weniger als ein „epochemachende[s] Lustspiel[]“.2 Bereits Emil Kneschkes nicht einmal ein Jahrzehnt nach Freytags Komödie veröffentlichte Studie Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart (1861) widmet Freytag als dem „geistigen Heros unsrer modernen Lustspielliteratur“ und seinem Drama – einer „Erscheinung in ihrer künstlerischen Vollendung“ – entsprechend ein eigenes der sonst nach Epochen und literarischen Gruppierungen eingeteilten 29 Kapitel.3 Die sich an der Schnittstelle von Publizistik und Wissenschaft entwickelnde gegenwartsorientierte Literaturgeschichtsschreibung der 1880er Jahre spricht den Journalisten unter den Dramen nicht nur der vergangenen Jahrzehnte, sondern der gesamten neueren deutschen Literaturgeschichte schließlich in breiter Übereinkunft eine herausragende kanonische Bedeutung zu und sieht allein in diesem Stück jene Forderungen verwirklicht, die in den Jahrzehnten zuvor an ein zeitgemäßes Lustspiel gestellt wurden. Die Journalisten seien „ein Stück, das den Zeitgeschmack vollständig traf“, urteilt etwa Ludwig Salomon in seiner Geschichte der deutschen Nationalliteratur

1 Adolf Stern: Geschichte der neuern Litteratur. Bd. 7: Realismus und Pessimismus. Leipzig 1885, S. 95, 98. 2 Alwill Räder: Fünfzig Jahre Deutscher Bühnen-Geschichte, 1836–1886. Berlin 1886, S. 143. 3 Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 279, 281. https://doi.org/10.1515/9783110541779-004

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

des neunzehnten Jahrhunderts (1881).4 Und was z.  B. Franz Hirsch 1886 über Freytags Komödie schreibt, könnte man mit dem oben aus der nachmärzlichen Komödiendiskussion destillierten Anforderungskatalog parallel lesen; man würde dann schon auf den ersten Blick zahlreiche Übereinstimmung entdecken (z.  B.: angestrebte ‚höhere Form‘ des Lustspiels, moderner Darstellungsgegenstand, Verbindung von Popularität, Bühnenwirkung und poetischem Wert, ‚gesunder‘ und harmonisierender Humor, eher verhaltene Tendenz). In dem nach Ansicht von Hirsch „beste[n] deutsche[n] Lustspiel“ findet sich alles, was das Lustspiel edler Art verlangt und die Poesie, die sonst nicht gut mit dem jetzigen Theater harmoniert, macht hier ihren fröhlichen Frieden mit der gefährlichen Macht des Bühneneffekts. Modernstes Leben, gesunder behaglicher Humor, graziöse Ironie, die selbst da, wo sie Schäden aufdeckt, immer eine liebenswürdige Miene macht, ergötzliche Situationen, wie sie die Bühne nicht besser wünschen kann, alle diese Eigenschaften verbinden sich in diesem Stück, welches unsre Generation stetig entzückt […].5

Der Blick auf Freytags Lustspiel und seine Rezeption legt es daher meiner Ansicht nach nahe, die durch Fokussierung auf die Tragödie entstandene Forschungsperspektive vom „Scheitern der Erneuerungsbestrebungen“6 im Verhältnis von Drama und Dramentheorie nach 1848 zumindest für die Komödie zu differenzieren. Denn die Rezeptions- und Kanonisierungsgeschichte der Journalisten im ‚langen 19. Jahrhundert‘, die ich zusammen mit Claudia Stockinger andernorts überblickshaft-systematisierend bis in die 1920er Jahre nachgezeichnet habe,7 erwies sich nahezu ausschließlich als eine Erfolgsgeschichte, innerhalb derer Popularität, kanonische Geltung und ästhetische Anerkennung über Jahrzehnte konform gingen. Zu rekonstruieren, welcher enorm hohe Stellenwert Freytags Komödie über etwa 100 Jahre seitens der Literaturgeschichtsschreibung zuerkannt wurde und welchen Zustrom seitens des Publikums das Drama in diesem Zeitraum verzeichnete, dient nicht dazu, diese Wertungen zu bestätigen, geschweige denn zu reaktualisieren, sondern sie – und mit ihnen den Text selbst  – zu historisieren. Auf diese Weise zeigt sich u.  a., auf Basis welcher normativen und programmatischen Vorgaben Freytags Komödie kanonisiert wurde. Zugleich weisen die Rezeptionsakte vielfach zurück auf die spezifische Faktur und Bedeutung eines Textes, dessen vergessener Sinnhorizont auf umgekehrtem Weg

4 Ludwig Salomon: Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts. Stuttgart 1881, S. 385. 5 Franz Hirsch: Zu Gustav Freytags siebzigstem Geburtstag. In: Schorers Familienblatt. Eine illustrirte Zeitschrift. Salon Ausgabe 1 (1886), H. 12, S. 714–718, hier S. 716. 6 Schönert: Zur Diskussion über das „moderne Drama“ im Nachmärz, S. 694. 7 Vgl. dazu Philipp Böttcher u. Claudia Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus. Gustav Freytags Zeitdrama „Die Journalisten“ und die Geschichte seiner Kanonisierung. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 151–190. – Einige der von mir verfassten Teile dieses Aufsatzes finden sich im Kap. 3 dieses Kapitels wieder. Diese Passagen werden hier nicht mehr eigens ausgewiesen.

2.1 ‚Ein ächt modernes und mustergiltiges Lustspiel‘ 

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(von der Zuschreibung in der Rezeption zurück zum Dramentext selbst) womöglich sogar leichter erschlossen werden kann. Wussten Hettner und seine Mitstreiter vom erwünschten modernen Drama noch nicht viel mehr zu sagen, als dass dieses eine Leerstelle markiere und konnten sie daher nur das Bedürfnis „nach einem unbekannten, nur dunkel geahnten Neuen“ artikulieren,8 fiel die Lektüre von Freytags Die Journalisten beim Direktor des Wiener Burgtheaters, Heinrich Laube, nach eigener Aussage „wie voller Sonnenschein“ in seine Nachtgedanken vom „Verfalle des deutschen Theaters“.9 Mit dem Stück war für ihn ein epochal ersehnter Markstein erreicht und nicht weniger als die nationale Theaterkultur gerettet, die er zu Beginn des Theaterjahres 1852 noch in der Krise sah10 und deren Zukunft Laube schon seit den 1830er Jahren an das Lustspiel band:11 Das war ein Trost für meine Produktionssorgen! Es gibt also noch Geister, rief ich, die auf der Höhe unserer Gedanken stehen […]. Willkommen, ihr prächtigen „Journalisten“ rief ich seelenvergnügt […].12 [E]in volles Lustspiel, ein modernes […]. Ein solches sind ‚Die Journalisten‘. Was ich immer gewünscht, lag vor mir. Unser heutiges Leben da angefaßt, wo es geistige Bedeutung hat, also in höherem Sinne und doch in leichter Form, in der heiter wohltuenden Form des ehrlichen deutschen Lustspiels. Wahrheit, volle Möglichkeit des Vorganges, reizend gehoben durch feinen Humor […], populär gehalten durch starke Züge und kräftige Charaktere […] – das war ein Fest für mich, diese erste Lektüre! Da war ja der Weg, da war ja das erreichte Ziel! Wir können also doch Stücke schreiben, wir können Lustspiele schreiben ohne Übertreibung und Forciertheit, das deutsche Theater kann also noch bestehen und gedeihen, es braucht nicht zu sterben!13

1869 wird der wirkmächtige Dichter, Literaturhistoriker und -kritiker Rudolf Gottschall, der im Gegensatz zu Laube nicht mit Freytag befreundet oder diesem besonders gewogen war, des Theaterdirektors begeisterte Aufnahme der Journalisten im Rahmen eines literaturgeschichtlichen Beitrags zur Geschichte des deutschen Lust-

8 Hettner: Das moderne Drama, S. V. 9 Heinrich Laube: Das Burgtheater. Ein Beitrag zur deutschen Theater-Geschichte [1868]. In: ders.: Schriften über das Theater, hg. von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, ausgewählt und eingeleitet von Eva Stahl-Wisten. Berlin 1959, S. 71–402, hier S. 239. – Auch Eduard Devrients Tagebucheintrag vom 11. November 1852 („anmutig und geistvoll“) stellt ein weiteres Zeugnis für die positive Erstrezeption von Freytags Drama dar: Eduard Devrient: Aus seinen Tagebüchern. Karlsruhe 1852–1870, hg. von Rolf Kabel. Weimar 1964, S. 7. 10 „Das Theaterjahr 1852 hatte unter der trostlosen Aussicht begonnen, daß unsere deutsche dramaturgische Produktion gar nichts bieten würde. Ich hatte nicht ein einziges brauchbares Stück. Stücke genug! Alljährlich werden ungefähr dreihundert eingesendet, die alle gelesen sein wollen und von denen höchstens zehn in nähere Betrachtung kommen können. Von diesen zehn war damals nicht ein brauchbares übrig.“ (Laube: Das Burgtheater, S. 220) 11 Vgl. Malthan: Das junge Deutschland und das Lustspiel, S. 33–36 12 Laube: Das Burgtheater, S. 239. 13 Laube: Das Burgtheater, S. 241.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

spiels seit 1850 zustimmend zitieren und damit sowohl die Bedeutung des Dramas als auch die Gültigkeit von Laubes Wertung unterstreichen.14 Für Laube erfüllt das Stück alle Anforderungen an das sehnsüchtig herbeigewünschte ‚moderne‘ Lustspiel – dass dieses nicht etwa irgendeinen Stoff zeitgenössischer Wirklichkeit auf die Bühne zu bringen habe, sondern einen idealisierten Ausschnitt gegenwärtigen Lebens („wo es geistige Bedeutung hat“), einen Gegenstand mit ideeller Substanz („also in höherem Sinne“), versteht sich für ihn von selbst und erklärt sich aus der realidealistischen Literaturprogrammatik der Zeit. Das Attribut ‚modern‘ begegnet sowohl in der Rezeption der Komödie als auch in der Beurteilung von Freytags schriftstellerischem Wirken um die Jahrhundertmitte immer wieder. Dem hier bereits eingeführten Rudolf Gottschall gilt Freytag schließlich als maßgeblicher Repräsentant eines ‚modernen Dichters‘ – eine Eigenschaft, die er wie folgt definiert: „[S]ein ganzes Denken und Empfinden ist durch die sozialen Verhältnisse unserer Zeit bestimmt“.15 Die Journalisten bezeichnet Gottschall an anderer Stelle als ein in der Art und Weise der Darstellung, in seinem ‚Humor‘ und seiner ‚Frische‘„ächt moderne[s] und in vieler Hinsicht mustergiltige[s] Lustspiel“16 – der Status des Textes als „Musterlustspiel[]“17 wird in den Rezeptionszeugnissen der folgenden Jahrzehnte wiederholt wortwörtlich bestätigt. Auch die Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst bescheinigen Freytag 1855 in Auseinandersetzung mit dem ‚deutschen Drama, wie es ist und sein wird‘, er stehe derzeit durch seine – in Die Journalisten nach Ansicht der Zeitschrift am bedeutendsten vollzogene – Hinwendung zu Stoffen der Gegenwart „einzig da als der absolut moderne Dichter, während alle Uebrigen entweder ausschließlich oder doch theilweise der Geschichte zugewendet sind“.18 Für Julian Schmidt, der Freytags Stück noch vor der Veröffentlichung mit Einverständnis gelesen hatte (GW I, 172) und der den späteren Kollegen schon Anfang Januar 1848 – anlässlich seines Graf Waldemar und vermittelt über Arnold Ruge – wissen ließ, dass er ihn für das einzig verbliebene poetische Talent der Gegenwartsliteratur halte,19 leitet sich der literarhistorische und werkbio-

14 Vgl. Rudolf Gottschall: Das deutsche Theater seit dem Jahre 1850. Die dramatische Dichtung: Lustspiel, Posse und Oper. In: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart. Monatsschrift zum Conversations-Lexikon. Neue Folge, H. 13 (1. Juli 1869), S. 67–76, hier S. 69. 15 Rudolf von Gottschall: Die deutsche Nationallitteratur des neunzehnten Jahrhunderts. Litterarhistorisch und kritisch dargestellt. Bd. 4. Sechste vermehrte und verbesserte Aufl. Breslau 1892, S. 44. 16 Rudolf von Gottschall: Leipziger Stadttheater. In: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung, 12. September 1880 (Nr. 74), S. 441–443, hier S. 442. 17 So zum Beispiel: Carl Biberfeld: Gustav Freytag. In: Der Osten. Literarische Monatsschrift 33 (1907), H. 7/8, S. 107–114, hier S. 113; N. N.: Vom deutschen Landestheater. In: Prager Abendblatt. Beilage zur Prager Zeitung, 26. Mai 1886 (Nr. 120). 18 N. N.: „Das deutsche Drama wie es ist und sein wird“. In: Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst 2 (1855), S. 98–109, 211–223, hier S. 212. 19 Günter Schulz: Briefe Arnold Ruges an Gustav Freytag. In: Jahrbuch der Schlesischen FriedrichWilhelms-Universität zu Breslau 11 (1966), S. 244–252, hier S. 250.

2.1 ‚Ein ächt modernes und mustergiltiges Lustspiel‘ 

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graphische Neuerungswert des Textes ebenfalls aus seinem zeitgemäßen bürgerlichen Darstellungsgegenstand ab. Mit Die Journalisten habe Freytag sich – und in der Logik von Schmidts Literaturgeschichte setze man hinzu: die deutsche Literatur mit ihm – vom aristokratischen Milieu entfernt.20 Freytags ‚Modernität‘ wird demnach wesentlich durch seine Stoffwahl begründet, die der dramentheoretisch geäußerten Vorgabe nach Darstellung von gegenwärtigen Wirklichkeitsausschnitten des politisch-öffentlichen und sozialen Lebens entspricht. In seiner Kritik zur Premiere der Journalisten (am 8. Dezember im Breslauer Stadttheater) für die Breslauer Zeitung vom 14. Dezember 1852 hebt der Theaterkritiker Max Kurnik gerade diesen Ansatz des Stücks, „Verhältnisse aus unserem öffentlichen Leben“ dramatisch ins Werk gesetzt zu haben, als richtungsweisend für die gesamte Gattung hervor: „[E]s dürfte die weitere Ausbildung des deutschen Lustspiels auf dieser Bahn zu suchen sein. […] Einstweilen ist ein Versuch in dieser Richtung hin gemacht, der ähnlichen in der neueren Zeit den Rang abläuft“.21 In seinen Theater-Erinnerungen (1882) wertet Kurnik die Komödie, die auch in die Geschichte des Breslauer Theaters als „[d]as Ereignis des Theaterjahres von 1852“22 eingegangen ist, sogar als „eine Novität, die alles Andere in den Schatten stellte“.23 Aus der Rückschau von 1907 wird ebenso Hans Lindau den zeitgenössischen Innovationswert des Textes bestätigen: „Denn es ist tatsächlich etwas Neues, was da anmutig und bedeutend geboten wird, etwas, was so noch nicht zuvor da war und durch die bescheidene Unvergleichlichkeit anspricht.“24 Anfangs galten Die Journalisten manchem als so neuartig und herausfordernd, dass Heinrich Laube nicht nur Mühe hatte, das Stück aufgrund seines nach den Revolutionsereignissen politisch kritisch beäugten Darstellungsgegenstands (Journalismus und politische Parteien) bei seinen Vorgesetzten durchzusetzen,25 er musste auch das Ensemble gegen dessen ästhetische Vorbehalte überzeugen: „[S]elbst die alten Hofschauspieler verkündeten altklug: derlei modernster Kram werde auf dem Hofburgtheater nicht besteh’n.“26 Die Schauspieler sollten irren und das Stück nicht nur bei der Wiener Erstaufführung am 14. September 1853 „mit jubelndem Beifall aufgenommen“27 werden, so dass Laube sich auf der richtigen Seite wissen konnte, bis schließlich eineinhalb Jahrzehnte später niemand mehr daran gezweifelt habe, 20 Vgl. Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 306  f. 21 Zit. n. Karl Fleischer: Gustav Freytag und die ‚Schlesische Zeitung‘. In: GFB 10 [1964], H. 1. (Nr. 21 der Reihe), S. 26–28, hier S. 27. – Vgl. zur Kritik Kurniks auch Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 113  f. 22 Ludwig Sittenfeld: Geschichte des Breslauer Theaters von 1841 bis 1900. Breslau 1909, S. 54. 23 Max Kurnik: Ein Menschenalter Theater-Erinnerungen (1845–1880). Berlin 1882, S. 65. 24 Lindau: Gustav Freytag, S. 131. 25 Vgl. Laube: Das Burgtheater, S. 241  f. 26 Heinrich Laube: Erinnerungen. 1810–1840. Wien 1875, S. 179. 27 Laube: Das Burgtheater, S. 243.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

„daß ‚Die Journalisten‘ zum Besten gehören, was unsere dramatische Literatur in den letzten Jahrzehnten gebracht“ hätte.28 Laubes Rückschau aus dem Jahr 1868 entspricht fast wörtlich der Erstrezeption in dem von Robert Prutz herausgegebenen und Freytag gegenüber ansonsten eher kritisch eingestellten Deutschen Museum. Dieses kommt im März 1853 zu dem Urteil, dass Die Journalisten, „die fast ohne Ausnahme […] mit dem lebhaftesten Beifall aufgenommen worden sind“, „wol ohne Widerspruch als das Bedeutendste und Geistvollste“ zu bezeichnen seien, „was das deutsche Lustspiel seit Jahren hervorgebracht hat“.29 Selbst als Freytag und Prutz endgültig zu Gegnern geworden waren, musste Letzterer 1858 in seiner großen „literarhistorische[n] Skizze“ Gustav Freytags den Rang der Journalisten als „eins unserer beliebtesten neuern Theaterstücke“30 sowie dessen neuartigen und bürgerlich-zeittypischen Charakter anerkennen, auch wenn Prutz diese Eigenschaften lediglich polemisch für seine einigermaßen vernichtende Kritik des Stücks funktionalisierte.31 Gestalten sich die zeitgenössischen Dramenkritiken in ihren Bewertungen allgemein mitunter ähnlich vage und unbestimmt wie die gattungstheoretischen Vorgaben der Zeit, so lassen die Rezeptionszeugnisse zu Die Journalisten – allein in ihrer Masse sowie in ihren stabilen Wertungen über Jahrzehnte – jedenfalls keinen Zweifel daran, dass diese Komödie anders war als das bisher Dagewesene und damit ein Bedürfnis nach Erneuerung auf dem Feld des Lustspiels bedient hat. Freytag, so heißt es schließlich 1895 zur Erinnerung an den Dichter, habe „seinen Landsleuten gegeben, was ihnen am meisten fehlte, ein Lustspiel“.32 Immer schon vorausgesetzt wird dabei ein Lustspielverständnis im oben erläuterten Sinne, wonach die Komödie als humoristisch verklärtes Zeitdrama begriffen wird. Demgemäß begründet der Brockhaus von 1894 seine Wertung des Stücks als „das beste Lustspiel des Jahrhunderts“ damit, dass dieses mit feinem und herzlichen Humor ein Bild des geistigen und politischen Lebens jener Zeit entrollt“.33 Und mit beinahe identischen Worten rühmt auch Gustav Adolf Zimmermann in seinem Rückblick auf das 19. Jahrhundert an Freytags Lustspiel, dem seiner Ansicht nach „nicht

28 Laube: Das Burgtheater, S. 243. 29 N. N.: Notizen. In: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 3 (1853), Bd. 1, 17. März 1853 (Nr. 12), S. 445–447, hier S. 445. – Ähnlich bezeichnet etwa auch Adolf Stahr Gustav Freytag 1855 in der Kölnischen Zeitung als den Dichter des „ohne Widerrede […] besten neueren deutschen Lustspiels“. Adolf Stahr: Gustav Freytag’s „Soll und Haben“. In: Kölnische Zeitung, 11. Juni 1855 (Nr. 160), S. 1–3, hier S. 1. 30 Robert Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze. In: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 8 (1858), 23. September 1858 (Nr. 39), S. 441–458, hier S. 451. 31 Vgl. Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 450–452. 32 H. Neubauer: Zur Erinnerung an Gustav Freytag. Erfurt 1896 (Sonderabdruck aus: Jahrbücher der Königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt. Neue Folge, H. 22; Vortrag, gehalten am 29. Mai 1895), S. 12. 33 N. N.: [Art.] ‚Freytag, Gust.‘. In: Brockhaus’ Konversationslexikon, S. 300.

2.1 ‚Ein ächt modernes und mustergiltiges Lustspiel‘ 

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leicht ein zweites in der deutschen Literatur an die Seite zu setzen“ sei, dieses führe „mit prächtigem Humor ein getreues Bild des geistigen und politischen Lebens jener Zeit, der Wahlumtriebe der Parteien und des Einflusses der Presse im konstitutionellen Staatswesen“, vor.34 Freytags Komödie, so erweist sich in Auseinandersetzung mit den Rezeptionszeugnissen, entspricht den Forderungen nach einem ‚realistischen‘ Zeitlustspiel und wird gleich nach Erscheinen mit diesem Label versehen  – ein Label, das dem Drama dann über viele Jahrzehnte hinweg stabil zugeordnet wird. So kommt der Theaterkritiker der Deutschen Allgemeinen Zeitung nach der Weimarer Premiere vom 16. Januar 1853 zu dem Urteil: „Das Stück ist das beste Zeitlustspiel, was ich seit langeher zu sehen bekommen. Die Figuren kernig, gesund und aus dem Leben gegriffen.“35 Nicht nur Siegfried Robert Nagel wird die Komödie 1904 mit mehr Abstand dennoch ebenso als für die Phase nach 1848 singuläres Paradebeispiel eines „bedeutende[n] Zeitlustspiel[s]“36 bewerten. Mit etwas Distanz, aber noch in Sichtweite zu den um 1850 geführten Diskussionen um die politische Zeitkomödie greifen die Schlesischen Provinzialblätter diese Debatte 1869 wieder auf, beklagen neuerlich einen Mangel an politischen Lustspielen und bilanzieren die einmalige Stellung von Freytags Drama: „Bis jetzt aber haben wir immer noch so ziemlich ein Zeit-Lustspiel, ‚die Journalisten‘“.37 In seinem Aufsatz „Das deutsche Lustspiel der Gegenwart“ nimmt entsprechend auch Hermann Ethé Freytags Komödie 1871 von der „alte[n] stereotyp gewordene[n] Klage“ aus, „daß bisher die komische Muse auf unseren deutschen weltbedeutenden Brettern so wenig Triumphe gefeiert, und […] nichts wirklich Stichhaltiges und Bedeutsames auszuweisen habe“.38 Vielmehr zählt auch er Die Journalisten zu den „bedeutsamste[n] Schöpfung[en] auf dem Gebiete des deutschen Lustspieles“39 und betont aus dem Abstand von fast 20 Jahren den Erneuerungswert, den das Drama für die Gattung bedeutete. Das Stück habe die „gewöhnlichen Lustspielpfade verlassen und eine neue Bahn einzuschlagen versucht“.40 Den neu beschrittenen Weg sieht Ethé in der „socialen […] Komödie“41, die er wie folgt zu definieren versucht: „eine ganze Klasse oder Kaste der modernen Gesellschaft, eine bestimmt abgegrenzte

34 G[ustav] A[dolf] Zimmermann: Das neunzehnte Jahrhundert. Geschichtlicher und kulturhistorischer Rückblick. Zweite Hälfte. Erster Theil. Mit 175 Illustrationen und Karten, sowie 335 Portraits und 20 Modebildern. Milwaukee 1901, S. 256. 35 N. N.: Feuilleton. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 23. Januar 1853 (Nr. 20), S. 163. 36 Siegfried Robert Nagel: Die Hauptwerke der deutschen Literatur im Zusammenhange mit ihrer Gattung erl. Wien 1904, S. 163. 37 J. J. Jung: Theaterbrief. In: Rübezahl. Der Schlesischen Provinzialblätter dreiundsiebzigster Jahrgang. Der Neuen Folge achter Jahrgang 1869, H. 12 (Dezember), S. 568–569, hier S. 569. 38 Hermann Ethé: Das deutsche Lustspiel der Gegenwart. In: Deutsche Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart 1 (1871), S. 449–460, hier S. 449. 39 Ethé: Das deutsche Lustspiel der Gegenwart, S. 456. 40 Ethé: Das deutsche Lustspiel der Gegenwart, S. 457. 41 Ethé: Das deutsche Lustspiel der Gegenwart, S. 456.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

Lebenssphäre in ihren liebenswürdigen Seiten poetisch verherrlichend[] und in ihren Schwächen und Unzulänglichkeiten treffend, aber ohne zu beleidigen“.42 Ethés Würdigung attestiert der Komödie neben der Eigenschaft des Zeitbilds bzw. Zeitdramas weitere Qualitäten, die unmittelbar auf die Lustspieldebatte um 1850 rückbeziehbar sind: ein klar bestimmter und gegenwartstypischer gesellschaftlicher Darstellungskreis sowie ein poetisch idealisierender  – d.  h. positiv-verklärender –, aber nicht einsinniger und auf keinen Fall verspottender Wirklichkeitsbezug. Die spezifischen Qualitäten, die den Journalisten zugeschrieben werden (Gegenwartsorientierung, ‚Modernität‘, erfahrungsgesättigte Hinwendung zur Wirklichkeit, poetische Idealisierung) und die deren Ruf als bestes Werk des Dramatikers Freytag begründen, weisen eindeutig zurück auf die dramentheoretischen Vorgaben ‚um 1850‘ und haben ihren Weg in dieser konzentrierten Kopplung bis hinein in den Nachruf der Londoner Times gefunden: „Returning to the modern drama, he next achieved a great success with Die Journalisten, which appeared in 1853, and, based as it was upon his journa­ listic observation and experience, considerably idealized this ranks as his best play.“43 Dass die Leistung von Freytags Stück darin bestehe, die erfahr- und beobachtbare gegenwärtige Wirklichkeit idealisierend und zugleich lebensnah einzufangen, hebt die Kritik bereits 1853 hervor: „Die Bühne hat seit langer Zeit kein Lustspiel gebracht, welches Zustände unserer Tage so wahr und so warm schildert.“44 In der Formulierung ‚wahr und warm‘ spiegeln sich beide Seiten des zeitgenössisch geforderten Realidealismus, den man durch das Drama eingelöst sieht. Der Wirklichkeitszugriff der Komödie wird als so „naturgetreu“ bewertet, dass es heißt: „Wir können nicht entscheiden, ob ein Theil der Handlung sich nie und nirgends zugetragen“.45 Für das zeitgenössische Realismusverständnis ist mithin nicht relevant, ob das Dargebotene tatsächlich real ist oder war; entscheidend ist – in Anlehnung an Julian Schmidt formuliert46 – dass es als wahr empfunden und gewünscht werden kann. Für die frühe Aufnahme und Bewertung des Stücks außerdem von Bedeutung ist, dass nicht irgendein Wirklichkeitsausschnitt präsentiert wird, sondern dass dieser wohlgewählt, repräsentativ und aus einem überindividuellen Darstellungsanspruch erwachsen ist. So lobt die Besprechung der Burgtheater-Premiere an der Figurenzeichnung des Lustspiels, dass Freytag „Typen“ gebe und betont: „diese Characteristik steht über 42 Ethé: Das deutsche Lustspiel der Gegenwart, S. 456. 43 N. N.: Obituary. Gustav Freytag. In: The Times (London), 01. Mai 1895, S. 10. 44 N. N.: Theater von gestern. In: Humorist und Wiener Punch 17 (1853), 15. September 1853 (No. 212), [S. 848]. 45 N. N.: Theater von gestern, [S. 848]. 46 „Der Zweck der Kunst, namentlich der Dichtkunst, ist, Ideale aufzustellen, d.  h. Gestalten und Geschichten, deren Realität man wünschen muß, weil sie uns erheben, begeistern, ergötzen, belustigen u.  s. w.; das Mittel der Kunst ist der Realismus, d.  h., eine der Natur abgelauschte Wahrheit, die uns überzeugt, so daß wir an die künstlerischen Ideale glauben“ (J[ulian] S[chmidt]: Neue Romane [Rez. zu: Berthold Auerbach: Joseph im Schnee. Eine Erzählung]. In: Die Grenzboten 19 (1860), II. Semester, IV. Band, S. 481–486, hier S. 481).

2.1 ‚Ein ächt modernes und mustergiltiges Lustspiel‘ 

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der Stegreif-Satyre und über der Persönlichkeit,  – sie faßt Gruppen zusammen.“47 Aus ebendiesem breiteren und differenzierten Realitätszugriff des Dramas, welcher der humoristischen Wirkung nicht nach-, vielmehr vorgeordnet sei, leitet Kindermann später dessen Mehrwert gegenüber dem zeitgenössischen Possentheater sowie die Zuordnung des Stücks zum ‚ernsthaften‘ Lustspiel ab. Dass Freytag seine Komödie nicht als „Standessatire gestaltete“, so Kindermann, sondern das ganze Lebensprofil aller Beteiligten in leisem Lächeln offenbart, öffnet ihm den Weg von der Posse zum wirklichen Lustspiel. An die Stelle flächiger, bloß ein- oder zweidimensionaler Schwarzweißmalerei vom Schlage Kotzebues oder Bauernfelds tritt hier die dreidimensionale Lebensgestaltung und Ableuchtung des vollen Lebensraumes.48

Kindermanns Befund stimmt mit der Perspektive der Erstrezeptionszeugnisse überein, die Die Journalisten als Gegenentwurf einer ‚hohen‘ Komödie zu den die Bühnen beherrschenden Alltagspossen begrüßen.49 Dieser Punkt gehört womöglich zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren der Anfangszeit, weil genau darin ‚um 1850‘ ein zentrale literaturprogrammatische Forderung bestand und ein Bedarf auf dem Feld der Komödie artikuliert wurde (s. Kap. 1). In der frühen Rezeption des Stücks lassen sich darüber hinaus weitere Punkte wiederfinden, die aus der literaturprogrammatischen Diskussion um die moderne Komödie bereits bekannt sind: Bei aller Kritik, die z.  B. Berthold Auerbach im Oktober 1855 an Die Journalisten zu üben hat, erkennt auch er im zeitgemäßen Sujet eine entscheidende – und hier schon mehrfach anhand der Rezeptionsgeschichte hervorgehobene  – Leistung des Stückes.50 Neben der Wahl eines modernen zeittypischen Stoffes und dessen ‚frischer‘ und ‚lebensnaher‘ Darstellung lobt Auerbach in seinen Notizen aber vor allem die handwerklich-formalen Qualitäten des Werks, in erster Linie die lineare Handlungsstruktur mit ihrer eindeutigen Funktionalität aller Teile sowie die streng kausal-logische Motivierung, die er als Fortschritt gegenüber der ‚spielerischen‘ Beschaffenheit romantischer Texte begreift: eine äußerst verständige Gipfelung der Scenen und ihrer Folgenreihe, jeder Charakter spielt sich aus – und davon ist viel zu lernen! – jedes Motiv entfaltet sich in überraschender Konsequenz – und hierin liegt auch eine achtungswerte Divergenz von der Romantik mit dem bloß genießelnden Herumschmecken; es ist hier ernste Arbeit, die sich den Bedingungen der inneren und äußeren Konsequenzen nicht entzieht, sondern ihnen gerecht zu werden sucht.51

47 N. N.: Theater von gestern, [S. 848]. 48 Heinz Kindermann: Gustav Freytag und das Theater. In: Neues Wiener Tagblatt 77 (1943), 31. Juli 1943 (Nr. 209), S. 4. 49 Vgl. N. N.: Weimar, am 17. Januar. Freytags’s „Journalisten“. In: Allgemeine Theater-Chronik. Organ für das Gesammtinteresse der deutschen Bühnen und ihrer Mitglieder 22 (1853), 28. Januar 1853 (Nr. 13–15), S. 52  f., hier S. 52. 50 Vgl. Berthold Auerbach: Freytags „Journalisten“. In: ders.: Dramatische Eindrücke. Aus dem Nachlasse. Stuttgart 1893, S. 33–35, hier S. 34. 51 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 35.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

Dass der Autor der Journalisten „ganz Herr seines Stoffes ist“,52 hebt 1854 zudem die von Gustav Kühne herausgegebene Wochenschrift Europa. Chronik der gebildeten Welt hervor. Freytags Drama wird dort Rudolf Gottschalls Pitt und Fox gegenübergestellt und gewinnt den direkten Vergleich nach Einschätzung des Organs mit Abstand. Die Begründung wirft ein erhellendes Licht zurück auf die zeitgenössischen Erwägungen um eine Vertiefung der Posse (s. Kap. 1). Gottschall nämlich wird vorgeworfen, genau daran zu scheitern. Er habe versucht, einen großen und gewichtigen Stoff in die leichte Form der Posse zu zwängen, Freytag dagegen habe den bedeutenden Hintergrund der „Epoche einer politischen Parteistellung im Volke“ auf einen begrenzten Stoff heruntergebrochen und als „lustige[] Redactionswirthschaft“ zur Darstellung gebracht: „Freytag lieferte aus einem kleinen Inhalte und mit kleinen Mitteln ein vollständiges Meisterstück“.53 Insbesondere diese Mittel der realistisch-heiteren Figurenzeichnung und Handlungsführung sowie der Verzicht auf Abstraktionen machen für die Zeitschrift hier das „Behagen der natürlichen Grazie“ aus und das Stück zu einem „Kunstwerk der glücklichen Laune“54 (und auch hierin löst das Drama die bestehenden komödientheoretischen Vorgaben ein55). Allerdings findet solches Lob für die Beschränkung des Gegenstands in der liberalen Zeitschrift immer unter der aus der Komödiendiskussion bekannten Prämisse statt, „daß die deutschen Verhältnisse einem Lustspieltalent keine weitere Satyre gestatten, keine größern Stoffe liefern“.56 So gelesen, wäre Freytags Stück in jeder Hinsicht zeitrepräsentativ und gerade in der fehlenden Größe des Stoffes ein eigentümlich deutsches, weil zugleich in diesem Punkte national- und zeittypisches Lustspiel – eine Qualität, welche die Blätter für literarische Unterhaltung dem Stück im selben Jahr zuerkennen, jedoch ganz anders herleiten: Wenn diese 1854 bei Freytags Drama „die Aufgabe, die er sich in seinem Stücke gestellt hat – Verlebendigung des journalistisch-socialen Treibens der jüngsten Zeiten – auf geistvolle und echt dramatische Weise ausgeführt“57 sehen, bestä-

52 N. N.: Aus Leipzig. Freytags Journalisten. In: Europa. Chronik der gebildeten Welt, 2. November 1854 (No. 90), S. 719. 53 N. N.: Aus Leipzig. Freytags Journalisten, S. 719. 54 N. N.: Aus Leipzig. Freytags Journalisten, S. 719. 55 So gehörten „täuschende Natürlichkeit“ und „sachliche[r] Witz“ laut Aust (ders.: Realismus, S. 292) zu den zentralen Forderungen an die realistische Komödie. Neubauers Ausführungen zu Die Journalisten zeigen, dass diese Forderungen von Freytags Text aus Sicht der Zeitgenossen erfüllt wurden und der Komödie auch in dieser Hinsicht ein gewisser Neuerungswert zugesprochen wurde: „Ein Lustspiel ohne Anzüglichkeiten, ohne Albernheiten, ohne bei den Haaren herbeigezogene Witze und Wortspiele, ohne bissige Ausfälle, ohne irgend welches Haschen nach dem Aussergewöhnlichen ist selbst eine so ausserordentliche Erscheinung, dass wir unser Erstaunen nur darum vergessen, weil es uns mit seiner anspruchslosen Natürlichkeit und seinem kerngesunden Humor von Anfang an gefangen nimmt“ (Neubauer: Zur Erinnerung an Gustav Freytag, S. 12). 56 N. N.: Aus Leipzig. Freytags Journalisten, S. 719. 57 N. N.: [Rez.] Die Journalisten. Lustspiel in vier Acten von Gustav Freytag. Leipzig, Hirzel. 1854. In: Blätter für literarische Unterhaltung, 24. August 1854 (Nr. 35), S. 635–636, hier S. 636.

2.1 ‚Ein ächt modernes und mustergiltiges Lustspiel‘ 

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tigen sie nicht nur einmal mehr den genuin modernen Darstellungsgegenstand als Innovationsmerkmal; sie legen mit der Wortwahl zugleich nahe, dass der Text hierin als poetische Erfüllung der selbst formulierten literaturkritischen Vorgaben des Grenzboten-Herausgebers und mithin als eine Art Programm- oder Musterkomödie zu betrachten sei. Als mustergültig und richtungsweisend gelten Die Journalisten der Zeitschrift nämlich auch im Hinblick auf die in der zeitgenössischen Literaturprogrammatik – u.  a. auch von Freytag und Schmidt (s. o.) – dringend verlangte Emanzipation vom Vorbild des französischen Lustspiels. Fragte Heinrich Heine 1837 noch verzweifelnd: „Oder ist es wahr, daß wir Deutschen wirklich kein gutes Lustspiel produzieren können, und auf ewig verdammt sind dergleichen Dichtungen von den Franzosen zu borgen?“,58 können die Blätter für literarische Unterhaltung 1854 zufrieden feststellen: „Die ‚Journalisten‘ sind – ach, daß es so selten der Fall! – ein deutsches Lustspiel, welches, auf eigenen Beinen stehend, beim Franzmann nicht auf Borg gegangen ist, und der Erfolg, den es gehabt hat, möge Freytag zu weiterm Vorgehen gerade auf diesem Gebiete […] bewegen.“59 Freytag hat das Gebiet des Lustspiels nach den Journalisten verlassen und der Erfolg, den die Komödie noch haben sollte, sprengte bald jene Maßstäbe, von denen die Blätter für literarische Unterhaltung 1854 noch mit freundlichen Wünschen für den Kollegen hatten ausgehen können. In der Rezeption von Freytags Stück wurde dabei die von den Zeitgenossen schon nicht mehr akzeptierte Dichotomie zwischen populärer und ästhetisch anerkannter Literatur aufgehoben; obendrein wurde der Text, wie ich im Folgenden nachweisen werde, von der literaturwissenschaftlichen Forschung zu jener nationalen ‚Meisterkomödie‘ geadelt, als die bereits die Zeitgenossen das Drama verstanden haben. Erst ein gründlicher Blick auf das Ausmaß der Rezeption dieses Textes, auf den Umfang und die Reichweite von dessen Wirksamkeit, wie ich ihn vor allem entlang der Ausgaben-, Aufführungs- und Wertungsgeschichte werfen möchte, zeigt, wie wenig mit der Rede vom ‚Scheitern des realistischen Dramas‘ eigentlich über die Epoche im Allgemeinen gesagt ist und wie sehr dieses Verdikt im Besonderen an Freytags Komödie und deren Geschichte vorbeiläuft. Die historische Rezeptionsanalyse soll so schließlich den Zugang ebnen zu einer historisierenden und kontextualisierenden Textdeutung.

58 Heinrich Heine: Über die französische Bühne. In: ders.: Sämtliche Schriften in zwölf Bänden, hg. von Klaus Briegleb. Bd. 5: Schriften 1831–1837, hg. von Karl Pörnbacher. Frankfurt/Berlin/Wien 1981, S. 281–354, hier S. 290. 59 N. N.: [Rez.] Die Journalisten, S. 636.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘. Zur Aufführungs-, Wirkungs- und Wertungsgeschichte Freytags Drama fand sowohl im langen 19. Jahrhundert als auch weit darüber hinaus nicht nur auf den Bühnen, sondern ebenso auf dem Buchmarkt ein nachhaltig interessiertes Publikum.60 Von der Erstveröffentlichung im Leipziger S. Hirzel Verlag 185461 bis zum Ende der Schutzfrist 1925 erreichte das Werk dort als selbstständige Ausgabe 38 Auflagen mit einem Gesamtumfang von 125.400 Exemplaren.62 Zudem erschien der Text nicht nur als Bestandteil von Freytags Dramatischen Werken sowie seiner Gesammelten Werke; seit 1852 war darüber hinaus ‚die Erstfassung‘, das bei C. E. Elbert in Leipzig gedruckte Bühnenmanuskript der Komödie, im Umlauf (– ein Exemplar dieser als weithin verschollen geltenden Bühnenausgabe habe ich in der Landesbibliothek Coburg wiederentdeckt; es steht jetzt als Digitalisat zur dauerhaften allgemeinen Verfügung).63 60 Zum nachhaltigen Erfolg und der Rezeption des Stücks vgl. auch die wenigen, aber aussagekräftigen Hinweise bei Michael Schmidt: Die Journalisten (Komödie von Gustav Freytag, 1852). In: Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 7: Literatur, Film Theater und Kunst. Berlin 2015, S. 192–193, hier S. 192. 61 Die häufig – so auch beim Autor selbst (vgl. GW I, 175) – zu findende Angabe, das Stück sei zuerst 1853 bei Hirzel erschienen, ist nicht korrekt. 62 [Gustav Willibald Freytag]: Gustav-Freytag-Chronik. Auflagenziffern der Werke. In: GFB 5 (März 1958), H. 1 (Nr. 8. der Reihe), S. 29–32, hier S. 30. 63 Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in 4 Akten. Bühnenmanuscript [dagegen auf dem Einband: „Lustspiel in fünf Aufzügen von Gustav Freytag“]. Leipzig: Elbert [1852] (im Folgenden mit der Sigle ‚BümaJour‘ bezeichnet). – Das Exemplar in Coburg (Signatur: TB S. 1115; Permalink: http:// gateway-bayern.de/BV005517846 Direktzugriff auf das Digitalisat: http://digital.bib-bvb.de/webclient/DeliveryManager?custom_att_2=simple_viewer&pid=8206843) ist mit dem handschriftlichen Eintrag „ca. 1853“ versehen. Tatsächlich enthält dieses ehemalige Exemplar eines Souffleurs aus dem Bestand des Herzoglichen Hoftheaters Coburg-Gotha zwar den Text des Bühnenmanuskripts von 1852, es wurde aber erst später (oder neu) eingebunden. Das ist u.  a. am Einband erkennbar, denn auf dem Umschlag findet sich nun im Widerspruch zum Titelblatt der Zusatz „Lustspiel in fünf Aufzügen“. Die von Eduard Devrient für die Karlsruher Aufführung vom 2. Januar 1853 vorgenommene Neueinteilung des Stücks in fünf Akte wurde demnach bereits berücksichtigt. Zudem enthält das Coburger Exemplar eine als Faltblatt integrierte Übersicht über die von Devrient mit Freytag für die Karlsruher Inszenierung verabredeten Änderungen, die der Verfasser danach mittels dieser Beilage allen anderen aufführenden Bühnen zur „freundlichen Beachtung“ empfahl (BümaJour, S. [74]; zu den Änderungen und dem Beiblatt vgl. auch: H. Devrient [Hg.]: Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient, S. 131–133; das Beiblatt „Scenierung und Arrangement des Lustspiels ‚Die Journalisten‘ bei dem Großherzoglichen Hoftheater zu Karlsruhe“ findet sich auch im Weimarer Goethe-Schiller-Archiv: GSA 19/29). – Zur Bühnenausgabe der Journalisten vgl. auch Friedrich Rosenthal: Anhang. Die erste Bühnenausgabe von Freytags „Journalisten“. In: Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel. Mit einem Anhang „Erste Bühnenausgabe der Journalisten“ von dems., einem Nachwort von Georg Richard Kruse und einer Notenbeigabe. Leipzig o.  J. [1926], S. 140–156; Heinrich Glücksmann: Die erste Bühnenausgabe der „Journalisten“. In: Das Prisma. Blätter der Vereinigten Stadttheater BochumDuisburg 4 (1927/28), H. 27: Die Journalisten, Sp. 323–326.

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

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Überdies wurden noch weitere Ausgaben publiziert; auch als Übungsgegenstand für die Übersetzung ins Englische erschien das Drama offenbar sofort geeignet64 und war schließlich gerade ‚um 1900‘ in den Vereinigten Staaten eine gefragte Lektüre im fremdsprachlichen Deutschunterricht an Schulen und Universitäten65  – in diesem Zusammenhang zu bedenken ist, dass das Drama Teil jenes Kanons war, den deutsche Auswanderer mit in die Neue Welt nahmen. Was für das Ausland zu beobachten ist, gilt erst recht für den inländischen Deutschunterricht. Als der Dramentext etwa 73 Jahre nach der Uraufführung der Journalisten gemeinfrei wurde, veröffentlichten neben Reclam schnell auch weitere Verlage Textausgaben, die sich vornehmlich an Schulen und Universitäten richteten und dort eine offenkundig stark vorhandene Nachfrage abdeckten.66 Bereits seit 1903 – als sich das Drama beim Hirzel-Verlag in der 18. Auflage befand  – bediente ein Bändchen aus der Reihe Dr. Wilhelm Königs Erläuterungen zu den Klassikern die Interessen von Schülern sowie Studenten und bestätigte gleichsam qua Existenz den Klassikerstatus, den das Drama inzwischen erworben hatte.67 Als Klassiker galt das Stück um 1900 nicht nur auf den Lehr-, sondern auch auf den Spielplänen. So stellen Königs Erläuterungen 1903 fest, dass das Drama „zum eisernen Grundstocke jedes Spielplans“ der großen deutschen Bühnen gehöre, ja „die Beliebtheit der ‚Journalisten‘ noch im Zunehmen begriffen“ sei.68 Karl Holls Angabe in seiner Geschichte des deutschen Lustspiels (1923), Freytags Text gehöre „auch heute noch zu unseren erfolgreichsten Bühnenwerken“,69 scheint diese Prognose zu erhärten. Dass solche häufig eher allgemein behaupteten als im Einzelnen belegten Aussagen tatsächlich zutrafen, sieht man durch einen Blick auf die zeitlichen Abstände zwischen

64 Davon zeugt etwa folgende Ausgabe: Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in 4 Akten. Zum Uebersetzen aus dem Deutschen in das Englische bearbeitet von J. Morris, Lehrer der englischen Sprache in Magdeburg. Hannover 1856 (Sammlung deutscher Lust- und Schauspiele zum Uebersetzen in das Englische bearbeitet, No. 1). 65 Vgl. als Beleg z.  B. folgende Ausgaben: Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in vier Akten. Mit Anmerkungen und Fragen versehen von Jonathan Hildner und Tobias Diekhoff, University of Michigan. Ann Arbor, Mich. [1901]; dass., edited with Introduction and Notes by Charles Bundy Wilson, Professor of German Language and Literature in the State University of Iowa. Chicago 1906; dass. With an introduction and notes by Richard Hochdörfer. Boston, Mass. [1888]; dass. Edited with an English commentary by Walter D. Toy. Boston, Mass. 1889; dass. With introduction and notes by Calvin Thomas. New York/Boston [1889]. 66 Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel. Mit einem Anhang „Erste Bühnenausgabe der Journalisten“ von Friedrich Rosenthal, einem Nachwort von Georg Richard Kruse und einer Notenbeigabe. Leipzig o.  J. [1926] (Reclam); dass. Paderborn [1926] (Schöninghs Textausgaben 81); dass., hg. v. Professor Dr. J. Wychgram. Bielefeld/Leipzig 1926 (Velhagen & Klasings Sammlung deutscher Ausgaben 208); dass. Breslau [1929] (Hirts deutsche Sammlung. Literarische Abteilung 7). 67 Paul Sommer: Erläuterungen zu Gustav Freytag’s „Die Journalisten“. Leipzig [1903] (Dr. Wilhelm Königs Erläuterungen zu den Klassikern 76). 68 Sommer: Erläuterungen zu Gustav Freytag’s „Die Journalisten“, S. 8. 69 Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 280.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

den Jubiläumsvorführungen der Journalisten70 am Königlichen Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, das sich Ende 1852 aus politischen Erwägungen noch gegen die Aufnahme des Stücks in den Spielplan entschieden hatte (s. Kap. 3.2.1): 1. Aufführung: 100. Aufführung: 200. Aufführung: 300. Aufführung: 400. Aufführung:

17. November 1857 17. November 187871 17. August 1897 07. Dezember 1908 28. Februar 1916

Selbst während des Ersten Weltkrieges und selbst nach der 400. Wiederholung nahm das Interesse des Berliner Publikums noch immer nicht ab, sondern intensivierte sich sogar so, dass bereits im Jahr 1918 die 435.72 und 1919 die 460.73 Vorstellung gegeben wurde (der Zeitraum von der 100. bis zur 124. Aufführung am 30. Dezember 1885 lag dagegen bei über sieben Jahren).74 Schon Ende der 1850er und Anfang der 1860er etablierten sich Die Journalisten als das Erfolgsstück schlechthin am Königlichen HofTheater75 und gehörten mit 68 Vorstellungen in den 15 Jahren von 1861 bis 1876 auch danach zu den meistgespielten Dramen (zum Vergleich: Goethes Faust wurde 69-mal aufgeführt)76. Wie kontinuierlich sich diese Entwicklung in den 1870er, 1880er und 1890er Jahren fortsetzte, zeigt die Auswertung der Aufführungszahlen nach Jahrzehnten bei Schanze.77 Mit insgesamt 634 Aufführungen von 1857 bis 1933 (davon 510 vom 25. Februar 1886 bis zum 21. April 193378) gingen Die Journalisten schließlich in die 70 Die Zahlen wurden entnommen aus: Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 95. 71 Schuster dagegen datiert die 100. Aufführung irrtümlicherweise auf den 27. Dezember 1878: Julius Schuster: Gustav Freytag’s Nachlaß. Aus der Dokumenten-Sammlung Darmstaedter der Preußischen Staatsbibliothek II. In: Der Kunstwanderer. Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen 3 (September 1920–August 1921), 1. Februarheft 1921, S. 230–231, hier S. 230. 72 Georg Droescher: Gustav Freytags Schriftwechsel mit der Generalintendanz der Königlichen Schauspiele zu Berlin. In: Deutsche Rundschau, Bd. 177 (Oktober–Dezember 1918), S. 129–146, hier S. 146. 73 Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 95. 74 C. Schäffer u.  C. Hartmann: Die Königlichen Theater in Berlin. Statistischer Rückblick auf die künstlerische Tätigkeit und die Personal-Verhältnisse während des Zeitraums vom 5. December 1786 bis 31. December 1885. Berlin 1886, S. 47. 75 Vgl. Paul Lindau: Die Leistungen des Königlichen Schauspielhauses unter der Verwaltung des Herrn von Hülsen I-III. In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 9 (1876), 20. Mai 1876 (Nr. 21), S. 326–329, hier S. 328. 76 Paul Lindau: Die Leistungen des Königlichen Schauspielhauses unter der Verwaltung des Herrn von Hülsen  IV-VI. In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 9 (1876), 26. Mai 1876 (Nr. 22), S. 341–345, hier S. 343. 77 Vgl. Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus, S. 177. 78 Georg Droescher: Die vormals Königlichen, jetzt Preußischen Staatstheater zu Berlin. Statistischer Rückblick auf die künstlerische Tätigkeit und die Personalverhältnisse während der Zeit vom 1. Januar 1886 bis 31. Dezember 1935. Ein theatergeschichtliches Nachschlagebuch. Berlin 1936, S. 82.

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

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Geschichte des Berliner Theaters als jenes Stück ein, dass ‚alle Aufführungsrekorde schlug‘.79 Nun lässt sich die Aufführungsgeschichte der Journalisten aufgrund der allgemein prekären Quellen- und Forschungslage in diesem Bereich nicht überall so lückenlos rekonstruieren wie beim Königlichen Berliner Theater; alle verfügbaren Quellen veranschaulichen jedoch eindeutig, dass die Berliner Erfolgsgeschichte des Stücks keinen Einzelfall darstellt und dass die von der Realismus-Forschung allgemein getroffene Feststellung, das Drama gehöre bis Anfang des 20. Jahrhunderts zu den meistgespielten Komödien,80 sogar noch zu kurz greift. Freytags Die Journalisten fanden nicht nur schnell Verbreitung auf den deutschen Bühnen, sie hielten sich dort auch jeweils sehr lange. Auf die Premiere des Stücks im Breslauer Stadttheater am 8. Dezember 1852 folgte am 2. Januar 1853 die von Freytag in Absprache mit dem frisch gekürten Direktor Eduard Devrient vorbereitete Inszenierung am Karlsruher Hoftheater (s. Abb. 5 u. Abb. 6)81, welche der Autor als ‚eigentliche Uraufführung‘ seines Dramas verstanden wissen wollte und die so auch vielfach in die Literaturgeschichten eingegangen ist.82

79 Gerhard Müller, Dieter Götze u. Ariane Handrock: Apollos Tempel in Berlin. Vom Nationaltheater zum Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Eine Berliner Theaterchronik 1776–2008, hg. von Berger Bergmann u. Gerhard Müller. München 2008, S. 126. 80 Aust: Realismus, S. 293. 81 Theaterzettel abgedruckt in: Paul Legband: Gustav Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum. In: Bühne und Welt. Zeitschrift für Theaterwesen, Litteratur und Musik. Amtliches Blatt des „Deutschen Bühnen-Vereins“ 5 (Oktober 1902–März 1903), S. 221–228, hier S. 226 (Breslau), S. 227 (Karlsruhe). 82 Anders als die Karlsruher Aufführung, über die sich Freytag vorab brieflich mit Devrient verständigte, erwähnt er die Breslauer Inszenierung auch in seinen Erinnerungen aus meinem Leben mit keinem Wort (vgl. GW I, 172  f.). Allerdings ist Freytags Brief vom 20. Dezember 1852 an Devrient überliefert, in dem er sich knapp über die Breslauer Vorführung äußert: „Während meiner Krankheit haben sie in Breslau eine schnelle Vorstellung des Stückes zusammengeschlottert. Zufällig ist es gut eingeschlagen“ (Freytag an Eduard Devrient, 20. Dezember 1852. In: H. Devrient [Hg.]: Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient, S. 132). – Vgl. hierzu außerdem: Wilhelm Kappler: Die „eigentliche Uraufführung“ der „Journalisten“ [mit einem Nachwort von Rupprecht Leppla, S. 41  f.]. In: GFB 19 (1975), Nr. 34/35, S.  38–42; Heinrich Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung]. Sonntags-Beilage Nr. 49/50, 1902, S. 387–390, 395–396, hier S. 388  f. [dieser wichtige, aber kaum zugängliche Artikel wurde wiederabgedruckt in: GFB 25 (1981), Nr. 42, S. 11–22; vgl. auch: Rupprecht Leppla: Zu Heinrich Stümckes Jubiläumsartikel über Freytags „Journalisten“. Ergänzungen. In: GFB 25 (1981), Nr. 42, S. 22–28]; Paul Legband: Gustav Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum. In: Bühne und Welt. Zeitschrift für Theaterwesen, Litteratur und Musik. Amtliches Blatt des „Deutschen Bühnen-Vereins“ 5 (Oktober 1902–März 1903), S. 221–228, hier S. 224–226.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

Abb. 5 u. 6: Theaterzettel der ‚beiden Uraufführungen‘ in Breslau (Abb. 5) und Karlsruhe (Abb. 6)

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

Nahezu unmittelbar an die hoch gelobte und erfolgreiche83 Karlsruher Aufführung schlossen sich gleich im Januar Inszenierungen in Weimar und München an, noch in derselben Saison gab es weitere Erstaufführungen etwa in Oldenburg, Koblenz, Dresden, Königsberg, Wien, Berlin (Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater), Coburg-Gotha, Posen und Schwerin.84 Was direkt nach der Fertigstellung des Dramas so erfolgreich begann, sollte sich auch in der nächsten Theatersaison 1853/54 mit zahlreichen neu einstudierten Darbietungen u.  a. in Leipzig, Göttingen, Prag, Hamburg, Rostock, Bremen, Danzig, Augsburg, Mannheim, Magdeburg etc. fortsetzen85 – der von Schmidt jüngst unbelegt behauptete „eher zögerliche[] Bühnenstart“86 der Journalisten findet sich beim Blick auf die Quellen also gerade nicht bestätigt. Dieser Aussage widersprechen außerdem die oben bereits zitieren Rezeptionszeugnisse (etwa des Deutschen Museum von März 1853) sowie die Feststellung der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 16. Februar 1855: „Freytag’s ‚Journalisten‘ sind über alle Bühnen mit Erfolg geschritten.“87 Dieselbe Zeitung verzeichnete schon nach der Dresdner Premiere vom 11. März 1853 das „mit lebhaftem Beifall aufgenommene Lustspiel“88 und der Theaterkritiker urteilte gleich nach der ersten Vorstellung wenig zögerlich: [I]ch wüßte kein Lustspiel in der neueren Zeit, das ihm an Werth gleichkäme“.89 Freytag selbst schrieb 1886 in seinen Erinnerungen aus meinem Leben über seine Komödie: „Das Stück fand bei den deutschen Theatern schnelle und wohlwollende Aufnahme und die Gunst der Zuschauer ist ihm geblieben (GW I, 174).90 Dem Autor sicherte sein Lustspiel noch lange und kontinuierlich für ein Theaterstück beträchtliche Einnahmen. So schreibt der Autor Mitte Juli 1869 an seinen Verleger: „Die Journalisten haben

83 „[D]as Publikum“, so wird u.  a. von der sofort enorm gepriesenen und schließlich theatergeschichtlich als bedeutend kanonisierten Karlsruher Premiere berichtet, „kam aus dem Lachen nicht heraus und folgte mit dem regsten Interesse und der ungeschwächtesten Aufmerksamkeit dem Gange der Handlung und dem natürlich witzigen, höchst wirksamen Dialoge“. N. N.: Carlsruhe, den 4. Januar. In: Allgemeine Theater-Chronik. Organ für das Gesammtinteresse der deutschen Bühnen und ihrer Mitglieder 22 (1853), 14. Januar 1853 (Nr. 7–9), S. 27. 84 Vgl. Deutscher Bühnen-Almanach 18 (1854), S. 62, 120, 142, 226, 231, 299, 312, 342, 372; Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 91  f.; siehe auch Kreißig: Nachwort, S. 120. 85 Vgl. Deutscher Bühnen-Almanach 19 (1855), S. 62, 76, 109, 153, 158, 314, 169, 226, 232, 237, 242, 278, 299, 305. 86 Schmidt: Die Journalisten, S. 192. – Vermutlich bezieht sich Schmidt dabei auf Schanze, der nicht ganz nachvollziehbar von einer ‚nur zögernden Aufnahme‘ 1854 spricht: Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus, S. 125. 87 N. N.: Feuilleton. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 16. Februar 1855 (Nr. 40), S. 327. 88 N. N.: Feuilleton. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 13. März 1853 (Nr. 61), S. 500–501, hier S. 500. 89 N. N.: Feuilleton. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, S. 501. 90 Auch Heinrich Laube stellt 1875 in seiner Schrift Das Wiener Stadttheater fest, Die Journalisten seien als „eins unsrer besten Lustspiele […] auf allen Bühnen noch hochwillkommen“ (Heinrich Laube: Das Wiener Stadttheater. In: ders.: Schriften über Theater, hg. von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, ausgewählt und eingeleitet von Eva Stahl-Wisten. Berlin 1959, S. 545–659, hier S. 622  f.).

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

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in diesem 1sten Semester 430 Thlr Tantieme gebracht [entspricht damals etwa dem unteren Jahresgehalt eines Gymnasiallehrers; P. B.], von Berlin, Wien, München. Das gute Fäßlein giebt doch unermüdlich seinen Trank.“91 Tatsächlich etablierten sich Die Journalisten in der Folge der Anfangsjahre als zugkräftiges Repertoirestück auf den deutschsprachigen Bühnen und erwiesen sich als stets lohnenswerte und vielversprechende Neuinszenierung. Sie besetzten jene Lücke im deutschsprachigen Komödienrepertoire, über die die zeitgenössischen Theater seit Jahrzehnten klagten und die sie mit (vor allem französischen) Übersetzungen füllen mussten. 1881 konstatierte Robert Koenig in seiner Literaturgeschichte einen seit 1853 „unwandelbaren, ja […] stetig steigenden Beifall[]“,92 der dem Stück zuteil werde. Überall, wo theatergeschichtliche Statistiken vorliegen bzw. ausgewertet wurden, lassen sich Bausteine einer theaterhistorisch außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte rekonstruieren – um stellvertretend nur einige, sich erst in der Gesamtheit als repräsentativ und aussagekräftig erweisende Befunde der Rezeptions- und Aufführungshistorie zusammenzustellen: –– Am Königlichen Hoftheater Coburg und Gotha gehörten Freytags Die Journalisten im Zeitraum zwischen 1827 und 1918 nicht lediglich zu den beliebtesten Komödien, sondern zu den insgesamt meistgespielten Stücken überhaupt (und das, obwohl das Lustspiel naturgemäß erst ab 1853 Teil der Statistik werden konnte).93 –– Vergleichbar trifft das für den Zeitraum bis 1886 auf das Frankfurter Stadttheater zu94 – und der Umstand, dass die Komödie auch in den 1930er Jahren dort noch regelmäßig aufgeführt wurde,95 lässt im Kontext der hier über die Rezeptionsgeschichte des Dramas gewonnenen Erkenntnisse vermuten, dass das Stück dort bis dahin kontinuierlich gegeben wurde. –– Von 1901 bis 1921 erwiesen sich Die Journalisten am Zürcher Stadttheater nicht allein als eines der am häufigsten aufgeführten, sondern zugleich als eines der am besten besuchten Stücke.96 Auch in der Schweiz erfreute sich Freytags Stück demnach großer Beliebtheit. –– In noch höherem Maße gilt dies für Österreich, was durchaus beachtlich ist, wenn man bedenkt, wie sehr Freytag als Propagandist eines kleindeutsch-preußisch geführten Deutschlands auftrat und auch später noch gegen Österreich Partei nahm. „Die Journalisten sind bekanntlich Lieblinge des Publikums“,97 bemerkte 91 Gustav Freytag an Salomon Hirzel, 18. Juli 1869. In: BrHi II, 93  f., hier 94. 92 Robert Koenig: Deutsche Literaturgeschichte. 10. Aufl. Bielefeld/Leipzig 1881, S. 747. 93 Vgl. Andrea Heinz: Quantitative Spielplanforschung. Neue Möglichkeiten der Theatergeschichtsschreibung am Beispiel des Hoftheaters zu Coburg und Gotha (1827–1918). Heidelberg 1999, S. 405. 94 Vgl. Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus, S. 224. 95 Vgl. Bettina Schültke: Theater oder Propaganda? Die Städtischen Bühnen Frankfurt am Main 1933–1945. Frankfurt a.  M. 1997, S. 308. 96 Vgl. Guido Frei: Das Zürcher Stadttheater unter der Direktion Alfred Reucker 1901–1921. Phil. Diss. Zürich/Innsbruck 1951, S. 41, 175, 179. 97 N. N.: Theater-Figaro. In: Figaro. Humoristisches Wochenblatt, 7. Juni 1890 (Nr. 23).

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etwa das ‚humoristische‘ Wiener Wochenblatt, der Figaro, 1890 anlässlich der 100. Aufführung von Freytags Stück im Burgtheater. Zwischen 1888 und 1934 gehörten Die Journalisten – deren besonderen Erfolg in der Zeit davor auch Heinrich Laube bestätigt (s. o.) – am Wiener Burgtheater zu den insgesamt am meisten gespielten Dramen. Freytags Komödie liegt in diesem Zeitraum statistisch noch vor Dramen wie Shakespeares Hamlet, Schillers Die Räuber und Wilhelm Tell oder Grillparzers Weh dem, der lügt!98 –– In die Geschichte des Hamburger Thalia Theaters gingen Die Journalisten als das erfolgreichste Lustspiel ein. Als solches wurden sie nicht nur zum 25-jährigen Bestehen des Theaters 1868, sondern auch 1912 als letzte Vorstellung im alten Haus und außerdem 1943 zum 100. Geburtstag des Theaters aufgeführt.99 –– Von einer aus heutiger Sicht kurios anmutenden Konstellation der Rezeptionsgeschichte zeugen u.  a. die bis heute erhaltenen Theaterzettel des „Deutschen Theater-Vereins“. Dabei handelte es sich um eine von zahlreichen Lagerbühnen, die deutsche Kriegsgefangene während des Ersten Weltkriegs in ihrer Haft gründeten.100 Zu jenen Stücken, welche die Inhaftierten der Lagerbühne in Wakefield (Yorkshire) spielten, gehörte im März 1917 Freytags Die Journalisten (Abb. 7)101. So selbstverständlich, wie die Komödie noch etwa 65 Jahre nach ihrer Premiere Teil jener nationalen Theaterkultur war, die man fernab der Heimat pflegen und bewahren wollte, zählte das Lustspiel während des Ersten Weltkriegs auch zu jenen Stücken, mit denen ‚deutsches Wesen‘ in den eroberten Gebieten erhalten und vermittelt werden sollte: In der Universitätsbibliothek von Gent findet sich ein Theaterzettel über eine Aufführung von Freytags Drama am 6. Oktober 1915 im Genter Theater.102 Die Aufführung fand im Rahmen jenes ‚Deutschen Theaters in Belgien‘ statt, das während des Generalgouvernements nach der Besetzung Belgiens durch den Rhein-Mainischen Verband für Volksbildung (Frankfurt) gegründet wurde.103

98 Zwischen 1888 und 1934 kommen Die Journalisten auf 129 Aufführungen, Hamlet dagegen z.  B. auf 124 Vorstellungen zwischen 1889 und 1938. Vgl. Statistische Nachrichten (Bundesamt für Statistik, Österreich) 16 (1938), S. 201, 202. 99 Vgl. Carl Albert Lange: Festvorstellung im Thalia-Theater „Die Journalisten“. In: Hamburger Anzeiger. Neue Hamburger Zeitung 56 (1943), 11. November 1943 (Nr. 245). 100 Vgl. dazu ausführlich: Hermann Pörzgen: Theater ohne Frau. Das Bühnenleben der kriegsgefangenen Deutschen 1914–1920. Königsberg/Berlin 1933. 101 Abbildungsnachweis: http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN749786477 (zuletzt aufgerufen am 01. 03. 2016). 102 Siehe: http://www.europeana.eu/portal/record/9200142/BibliographicResource_3000135564126. html (zuletzt aufgerufen am 01. 03. 2016). 103 Vgl. hierzu Frank Vossler: Propaganda in die eigene Truppe. Die Truppenbetreuung in der Wehrmacht 1939–1945. Paderborn 2005, S. 28.

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

Abb. 7: Theaterzettel der Lagerbühne in Wakefield (Yorkshire), März 1917

 103

104 

 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

–– Dass das aufgrund der Figur des Schmock als antisemitisch diskutierte Drama (s.  Kap. 4.5) während des Nationalsozialismus besonders politisch in Dienst genommen oder instrumentalisiert wurde, lässt sich nicht feststellen – das Gegenteil ist der Fall: Offenbar wurde der Dramatiker Gustav Freytag zwischen 1936 und 1941 auf den deutschen Bühnen gar nicht gespielt.104 Nach 1933 kamen Die Journalisten Eicher zufolge lediglich „mit maximal 2 Inszenierungen je Spielzeit auf die Bühnen und verschwanden nach einer letzten Inszenierung am 5. November 1935 im Deutschen Nationaltheater Weimar zunächst ganz aus den Spiel­plänen. Es gibt zwar keine aktenkundigen Hinweise auf ein Verbot der Reichs­dramaturgie, das abrupte Verschwinden aus den Spielplänen spricht aber dafür, daß ein solches bestanden hat.“105 Drewniaks Behauptung, wonach Freytag als Repräsentant einer dem Nationalsozialismus „verwandte[n] oder ausschlachtbare[n] Gesinnung“ insbesondere mit den Journalisten im Repertoire der Bühnen geblieben und ideologisch ‚eingespannt‘ worden sei, erweist sich mithin als haltlos.106 Einerseits ist leicht nachzuvollziehen, dass ein Stück, in dem sich schließlich der freie Journalismus und mit ihm die liberale Partei in einem Parteien- und Zeitungsstreit durchsetzt, nach der Auflösung und Gleichschaltung der Parteien sowie dem Ende der Pressefreiheit nicht mehr erste Wahl war. Hinzu kommt das in dieser Studie einleitend angemerkte und auch von Eicher angeführte107 biographisch und politisch vergleichsweise geringe oder jedenfalls problematische Anknüpfungspotential, das der bürgerlich-liberale Freytag den Nationalsozialisten bot. Andererseits erwies sich das Stück wiederum als so harmlos, dass es ab 1941 dann doch und mit großem Zulauf in mehreren Neuinszenierungen – etwa in Bochum,108 Hamburg, Frankfurt109 und sehr erfolgreich in Berlin (mit Viktor de Kowa, der auch die Regie übernahm, als Bolz und Marianne Hoppe als Adelheid)110 – auf die Bühne gebracht werden konnte, allem Anschein nach für

104 Vgl. Thomas Eicher, Barbara Panse u. Henning Rischbieter: Theater im „Dritten Reich“. Theaterpolitik. Spielplanstruktur. NS-Dramatik, hg. von Henning Rischbieter. Seelze-Velber 2000, S. 359; so zuerst zu lesen auch bei: Thomas Eicher: Theater im „Dritten Reich“. Eine Spielplananalyse der deutschen Schauspieltheater 1929–1944. Phil. Diss. Berlin 1992, S. 175. – Eicher allerdings irrt, wenn er das 1936 uraufgeführte Stück Um die Meisterschaft Gustav Freytag zuordnet, es stammt von Mathilde Freiin von Freytag-Loringhoven. 105 Eicher/Panse/Rischbieter: Theater im „Dritten Reich“, S. 359. 106 Bogusław Drewniak: Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte 1933–1945. Düsseldorf 1983, S. 117. 107 Vgl. Eicher/Panse/Rischbieter: Theater im „Dritten Reich“, S. 359. 108 Vgl. Eicher/Panse/Rischbieter: Theater im „Dritten Reich“, S. 359. 109 Vgl. Schültke: Theater oder Propaganda, S. 209. 110 Die am 31. Mai 1941 am Berliner Staatstheater erstmals auf die Bühne gebrachte Inszenierung des Stücks unter der Regie von Viktor de Kowa brachte es auf ganze 57 Wiederholungen (Peter Jammer­ thal: Ein zuchtvolles Theater. Bühnenästhetik des Dritten Reiches. Das Berliner Staatstheater von der

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die Kriegsjahre zeittypisch als heiter-unverfängliches Kostümstück. Die zu den Aufführungen ab 1941 eingesehenen Rezeptionszeugnisse weisen jedenfalls auf eine solche Inszenierungspraxis hin, die hierin auch mit der NS-Kulturpolitik während des Krieges konform geht. In einem Artikel für das Neue Wiener Tagblatt betont auch Heinz Kindermann 1943, das Stück sei so sehr in der „achtundvierziger Bewegung“ verankert, „daß wir das Lustspiel nur als Kostümstück spielen können“.111 Schültke allerdings zitiert einen Artikel aus dem Frankfurter Volksblatt über die Frankfurter Aufführung der Journalisten vom 3. Oktober 1941, in dem an der Inszenierung die Zeichnung des Schmock als „fast liberalistisch-jüdisch“ gelobt wird.112 Unklar bleibt hier jedoch, wie sehr diese (ohnehin recht verhalten formulierte) Aussage der tatsächlichen Inszenierung entspricht und wie viel Anteil daran Projektion und Deutung eines NS-Journalisten innerhalb eines NS-Organs haben. Der Verfasser des Artikels ist ansonsten nämlich darum bemüht, den historischen Abstand zum Darstellungsgegenstand und der Entstehungszeit des Dramas zu markieren, Freytags Drama also gerade keine zeitaktuelle oder dem NS verwandte politische Botschaft zu attestieren: „Die Wahlmanöver alten Stils, der Meinungskrieg der Zeitungen untereinander und die sittlichen Aufgaben der Presse gegenüber den Geschäftsjournalisten sind uns heute Empfindungen, die nur unter ‚Es war einmal‘ eingehen.“113 Insgesamt bleibt für die Aufführungsgeschichte der Journalisten während des ‚Dritten Reiches‘ zu konstatieren, dass die Zahl der Inszenierungen in diesem Zeitraum im Vergleich zu den Jahren davor und danach deutlich zurückging.114 –– Selbst von 1947 bis 1968/69 sind 689 Aufführungen von Die Journalisten auf den westdeutschen Theaterbühnen nachgewiesen, was Freytag noch für diesen Zeitraum einen Eintrag in die Liste der meistgespielten Autoren des Zeitraums von 1947 bis 1975 einbrachte – eine Platzierung, die er im Unterschied zu fast allen sonst vertretenen Dichtern mit nur einem einzigen Stück erreichte.115 Entsprechend heißt es noch 1968 in Reclams Schauspielführer: „‚Die Journalisten‘ gehören zu den wenigen deutschen Lustspielen des 19. Jahrhunderts, die ihren Platz im Machtergreifung bis zur Ära Gründgens. Phil. Diss. Berlin 2007, S. 341 [http://www.diss.fu-berlin.de/ diss/receive/FUDISS_thesis_000000002953; zuletzt aufgerufen am 04. 02. 2016]). 111 Kindermann: Gustav Freytag und das Theater, S. 4. 112 Schültke: Theater oder Propaganda, S. 209. 113 Zit. n. Schültke: Theater oder Propaganda, S. 209. 114 Vgl. dazu die in diesem Kapitel angeführten Statistiken. – Laut Eicher lag der Anteil der FreytagAufführungen am gesamten Deutschen Bühnenspielplan zwischen 1933 und 1945 bei 0,06 %, in den Jahren 1929–1933 dagegen noch bei 0,23 % (Eicher/Panse/Rischbieter: Theater im „Dritten Reich“, S. 359). 115 Vgl. Dieter Hadamczik, Jochen Schmidt u. Werner Schulze-Reimpell: Was spielten die Theater? Bilanz der Spielpläne in der Bundesrepublik Deutschland 1947–1975, hg. vom Deutschen Bühnenverein. Remagen-Rolandseck 1978, S. 34, 44.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

Bühnenspielplan bis auf den heutigen Tag behauptet haben.“116 Die Komödie von 1852 hat sich demnach weit über 100 Jahre unter großem Zulauf auf den Bühnen gehalten. –– Dass Freytags Komödie auch in der Bundesrepublik zunächst keinesfalls vergessen war, ihr vielmehr auch dort Aktualität oder jedenfalls ein unverminderter Unterhaltungswert zuerkannt wurde, zeigt u.  a. die Tatsache, dass 1961 unter der Regie von Fritz Umgelter eine Fernsehverfilmung des Textes für die ARD entstand und zur besten Sendezeit ausgestrahlt wurde (Samstag, 09. 09. 1961, 20:20–22:45 Uhr).117 Offenbar stand die FAZ mit ihrer Ansicht nicht allein, denn diese befand 1956, Die Journalisten seien „heute lebendiger denn je“.118 Während sich auf den Sektor des Theaters und seiner Wissenschaft bald darauf bereits deutliche Tendenzen des Verblassens beobachten ließen,119 lebte das Drama auf dem Buchmarkt der 1960er und 1970er Jahre weiter, denn in beiden Jahrzehnten erschien je eine Neuausgabe des Textes.120 1986 allerdings stellt sich die Lage schon ganz anders dar. Damals widmet die Neue Zürcher Zeitung Freytags Lustspiel und dessen komödiengeschichtlichem Standort zwar noch einen zweiseitigen Artikel – jedoch nicht, um damit etwa ein vorhandenes Interesse an diesem Stück zu bedienen, sondern eher, um dieses erst wieder zu erzeugen. Denn die Zeitung befindet, dass Freytags Komödie von den Theatern gegenwärtig ebenso vergessen sei wie von der neueren deutschen Literaturwissenschaft.121 Den entscheidenden Grund sieht der Verfasser des Artikels, der Journalist und promovierte Lustspielforscher Wolfgang Stauch-von Quitzow, in der veralteten Sprachgestalt des Stücks. Darüber hinaus bescheinigt er dem Text – vor allem innerhalb seines Ereignisrahmens „der Konfrontation von 116 Otto C. A. zur Nedden u. Karl H. Ruppel (Hg.): Reclams Schauspielführer. 10. Aufl. Stuttgart 1968, S. 481. – Aufschluss über die Bedeutung des Stücks in der unmittelbaren Nachkriegszeit geben die Bemerkungen Christa Barths von 1949 und die schlichte Tatsache, dass sie zu dieser Zeit die bis dahin erste und bis heute einzige Monographie zu Freytags Komödie geschrieben hat: „Die ‚Journalisten‘ sind das einzige, was von Freytags dramatischen Werken heute noch lebendig ist. […] Sie gelten als eine der beachtlichsten und typischen Lustspielleistungen des 19. Jahrhunderts“ (Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 120  f.). 117 „Die Journalisten“. Fernsehfilm. Reg.: Fritz Umgelter. Produktion des Bayerischen Rundfunks 1961. Erstsendung (ARD): Samstag, 09. 09. 1961, 20:20–22:45 Uhr. 118 August Scholtis: Der Dichter des „Soll und Haben“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. August 1956 (Nr. 195). 119 So wurde Freytags Komödie etwa in Georg Hensels großem Schauspielführer Spielplan (1966) – auch in späteren Auflagen – nicht mit einer Silbe erwähnt (Georg Hensel: Spielplan. Schauspielführer von der Antike bis zur Gegenwart. 2 Bde. Berlin 1966). 120 Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in 4 Acten. Mit einem Nachwort von Horst Kreißig (Faksimiledruck nach der Ausgabe innerhalb der Gesammelten Werke von 1887). Göttingen 1966; dass. Mit einem Nachwort von Bernd Goldmann. Stuttgart 1977. 121 Wolfgang Stauch-von Quitzow: Ein Lustspiel der Versöhnung. Gustav Freytags „Journalisten“ und ihr komödiengeschichtlicher Standort. In: NZZ, 14. März 1986 (Nr. 60).

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

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Parteien und ihrer Publizistik“ – durchaus bleibende Aktualität, leichte Aktualisierbarkeit sowie literatur- und kulturgeschichtlichen Wert.122 Auf die Gründe für den Resonanzverlust des Textes seit den 1960er Jahren kann hier nicht näher eingegangen und darüber zum Teil ohnehin nur gemutmaßt werden. Mehr noch als der Sprachstil oder die spezifische Historizität des Dramas (zwei Faktoren, die für Lessings weiterhin kanonische Komödie Minna von Barnhelm vielleicht noch in höherem Maße gelten) scheint hier zudem der Umstand eine Rolle zu spielen, dass Freytag – im Gegensatz etwa zu Lessing und Kleist – seinen Status als kanonischer Autor insgesamt einbüßte und mit Soll und Haben bald lediglich noch im Negativkanon ideologisch bedenklicher Texte einen festen Platz behaupten konnte, was wiederum auch auf seine weiteren Werke zurückwirkte. –– War das Stück in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend von den Theaterbühnen und in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, so fand es in jüngster Zeit häufiger in den öffentlichen – vor allem: netzöffentlichen – Debatten Erwähnung. Seitdem das Wort „Lügenpresse“ im Kontext der rechtspopulistischen ‚PEGIDABewegung‘ virulent und deshalb zum Unwort des Jahres 2014 gekürt wurde, wird im Zusammenhang mit diesem Wort sowohl von Verfechtern als auch von Kritikern dieses Begriffs immer wieder auf Freytags Komödie Die Journalisten verwiesen. Die Aktualität, die dem Lustspiel dabei neuerdings attestiert wird, beruht indes – debattenübergreifend – auf dessen Unkenntnis. Anlässlich der Kür zum Unwort des Jahres hat zunächst auch ein Qualitätsmedium wie die Süddeutsche Zeitung Gustav Freytag mit dem rechten Kampfbegriff ‚Lügenpresse‘ in Zusammenhang gebracht. Freytag wird in Verbindung mit der rechtsextremen Pressekritik als Autor genannt, der die Presse früh ins Zwielicht gerückt habe und es deswegen im Kaiserreich zu großer Beliebtheit gebracht habe: „In der wilhelminischen Zeit war das Theaterstück ‚Die Journalisten‘ populär, das der Dramatiker Gustav Freytag Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben hatte. Er kritisiert darin die Presse, die er als hinterhältig darstellt.“123 Im Internet haben sich solche Aussagen verselbständigt, so dass Freytag dort nun mancherorts als „Erfinder des Begriffs“ geführt wird.124 Auf Seiten der Rechten hat man dieses Angebot zur Traditionsbildung bereitwillig aufgenommen und sich zum Teil bereits vorher darum bemüht, vermeintliche Vorläufer für den Ausdruck zu reklamieren. Vor allem seit der intensiveren Debatte um das Wort berufen sich die Verwender des Begriffs in

122 Vgl. Stauch-von Quitzow: Ein Lustspiel der Versöhnung. – Für Quitzow handelt es sich bei Freytags Lustspiel um ein Stück, „dessen Bestandteile auch für heutige Aktualität nichts zu wünschen übriglassen.“ 123 Paul Katzenberger: „Lügenpresse” als Unwort des Jahres. Kampfbegriff gegen die Demokratie, veröffentlicht am 13. Januar 2015. http://www.sueddeutsche.de/kultur/luegenpresse-ist-unwort-desjahres-kampfbegriff-gegen-die-demokratie-1.2301815 (zuletzt aufgerufen am 01. 05. 2016). 124 So etwa: [Robert von Wolkenstein]: „Lügenpresse“. In: wiki philosophica. http://www.vonwolkenstein.de/Datenbank/doku.php?id=luegenpresse (zuletzt aufgerufen am 01. 05. 2016).

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

Foren, Tweets und Leserkommentaren besonders gerne auf Gustav Freytag und unterstellen diesem entweder die frühe Begründung des Wortes in dessen Lustspiel oder behaupten, dieser habe in seiner Komödie bereits vorgeführt, dass die Presse systematisch lüge, um ihre Interessen durchzusetzen.125 Beides ist nicht korrekt. Das Wort ‚Lügenpresse‘ kommt in Freytags Stück überhaupt nicht vor. Zudem dürfte es der politisch Rechten nicht gefallen, dass in Freytags Komödie eher die Vertreter der konservativen Parteizeitung in ihren charakterlichen Defiziten vorgeführt werden und sich am Ende gegen das liberale Blatt nicht durchsetzen können. Die Kenntnis des Stücks geht jedenfalls mit einer presseverächtlichen Bezugnahme auf dasselbe nicht zusammen. Dass Freytags Komödie die Presse grundsätzlich als hinterhältig darstellt, lässt sich ebenso wenig konstatieren. Zwar wird die Presse hier in ihren (zumeist lässlichen) Vergehen humoristisch vorgeführt, im Kern wird der Journalismus aber nicht kritisiert, sondern vielmehr idealisiert (s. Kap. 4). –– Obwohl schon zu Lebzeiten Freytags eine von diesem auch so empfundene126 ‚Wachablösung‘ in der Literatur stattfand und der Autor ebenso wie sein Drama Die Journalisten am Ende des 19. Jahrhunderts beispielsweise sowohl aus einer modernen konservativen Position wie der Maximilian Hardens als auch aus einer marxistischen Perspektive wie der Franz Mehrings als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurde,127 lässt sich nach dem Tod Freytags und in jener für die deutsche Literatur so wichtigen Umbruchsphase ‚um 1900‘ statt eines Rückgangs der Aufführungszahlen eher eine Zunahme und Konsolidierung auf hohem Niveau beobachten. Ablesbar ist dies an den Repertoirestatistiken des Deutschen BühnenSpielplans, die Heinrich Stümcke 1902 zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum der Journalisten für die vergangenen vier Spielzeiten ausgewertet und mit den Vorstellungszahlen der zwei bis dahin erfolgreichsten Komödien der deutschen Literatur verglichen hat. Bei den Zahlen zu beachten ist allerdings, dass etwa ein Drittel der deutschen Theater sowie die Wanderbühnen sich nicht an dem vom Deut-

125 So schreibt ‚BergischDigital‘ im Tweet vom 12. Januar 2015: „‚Lügenpresse‘ gab es schon 1853 bei Gustav Freytag“ (http://rivva.de/254364970); vgl. auch: ‚Wollux‘: Kommentar vom 1. Januar 2015 um 21:27: http://publikative.org/2015/01/01/die-luegenpresse-ein-begriff-und-seine-geschichte/; vgl. auch ders.: http://scienceblogs.de/zoonpolitikon/2014/12/19/luegenpresse/ sowie: https://meta. tagesschau.de/id/104780/von-wegen-luegenpresse-grosse-mehrheit-vertraut-medien (alle zuletzt aufgerufen am 01. 05. 2016). 126 Vgl. Berthold Auerbach: Briefe an seinen Freund Jakob Auerbach. Neuedition der Ausgabe von 1884 mit Kommentaren und Indices, hg. von Hans Otto Horch. Teilbd. 2: Briefe 1870–1882. Berlin/ München/Boston 2015, S. 355. 127 Vgl. Franz Mehring: Gustav Freytag. 1. Mai 1895 (ursprünglich erschienen in: Die Neue Zeit 13 (1894/95), Bd. 2, S. 161–164). In: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Thomas Höhle, Hans Koch u. Josef Schleifstein. Bd. 11: Aufsätze zur deutschen Literatur von Hebbel bis Schweichel. Berlin 1961, S. 63–68; Maximilian Harden: Gustav Freytag. In: Die Zukunft 12 (1895), 10. August 1895, S. 241–256. – Vgl. hierzu genauer: Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus, S. 164  f.

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

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schen Bühnenverein initiierten und der Statistik zugrundliegenden Programm­ austausch beteiligte. Der Theaterhistoriker und Chefredakteur der Zeitschrift des Deutschen Bühnenvereins Bühne und Welt schätzt die tatsächliche Zahl der Aufführungen daher „um ein Drittel, ja um die Hälfte höher“128: Vorstellungszahlen nach Spielzeiten129

Die Journalisten Minna von Barnhelm Der zerbrochne Krug

1898/1899

1899/1900

1900/1901

1901/1902

129 111  26

150  78  37

83 97 47

93 79 35

Die Aufführungszahlen der Journalisten habe ich auf Basis des Deutschen BühnenSpielplans130 um vier weitere Spielzeiten (Spieljahr jeweils von September bis August) ergänzt. Diese – in der Folge nur sehr mühsam rekonstruierbaren131 – Zahlen geben einen Eindruck davon, auf welch einem hohen Level das Stück etwa 50 Jahre nach seiner Uraufführung noch stabil erfolgreich war:

Die Journalisten

1902/1903

1903/1904

1904/1905

1905/1906

140

 98

130

144

Der Vergleich mit Kleists Der zerbrochne Krug und Lessings Minna von Barnhelm wurde nicht zufällig oder aus einer statistischen Auffälligkeit heraus gewählt, sondern ergibt sich aus der Kanonisierungsgeschichte und entspricht dem literaturgeschichtlichen Stellenwert, der Freytags Drama in dieser Zeit zugeschrieben wurde. Dem Ausnahme­ erfolg in der Theater- und Aufführungsgeschichte korrespondiert über außerordentlich lange Zeit eine Ausnahmestellung in der Literaturgeschichtsschreibung und Wertungsgeschichte, die in ihrem Ausmaß bisher weder umfänglich wahr- noch überhaupt richtig ernstgenommen wurde132 – und die sich in das literarhistorische Narrativ vom scheiternden Drama höchstens unter einigem Differenzierungsverlust bzw. als die Regel bestätigende Ausnahme fügen will.

128 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 387. 129 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 387  f. 130 Deutscher Bühnenspielplan. Mit Unterstützung des Deutschen Bühnenvereins. 1896–1944. Für die im Folgenden präsentierten Zahlen siehe 1902/1903 (S. 68), 1903/1904 (S. 72  f.), 1904/1905 (S. 75), 1905/1906 (S. 68). 131 Das ohnehin nur schwer verfügbare Organ verzeichnet in der Folge keine Gesamtzahlen mehr, die Ordnung erfolgt nicht mehr nach Stücken, sondern nach Städten. 132 So gelten Die Journalisten Fritz Martini beim Blick auf die Rezeptionsgeschichte lediglich als „lange überschätzte[s]“ Drama (Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus, S. 219).

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

Anders als Arntzen meint, handelt es sich bei Freytags Text jedenfalls nicht um eine „Beiläufigkeit“ innerhalb der Geschichte des deutschen Lustspiels.133 Dem widerspricht neben der zeitgenössischen Rezeption und der Aufführungshistorie über viele Jahrzehnte ebenso die Bewertung und Kanonisierung durch die Literaturwissenschaft. Kanonwissenschaftlich gesprochen134 erreichte Freytags Komödie sowohl den Status der Publizität (durch eine Rezeption von hoher Reichweite, gerade in den ersten Jahren und Jahrzehnten) als auch den der Etabliertheit (durch Rezeption und Tradierung über längere Dauer), mithin den Status der Kanonizität, den der Text etwa bis in die 1960er Jahre innehatte. Bereits die sich noch im Entwicklungsprozess befindende gegenwartsorientierte Literaturgeschichtsschreibung begegnet dem Drama seit etwa Ende der 1870er Jahre mit Superlativen. So steht 1881 für Ludwig Salomon fest, dass „‚Die Journalisten‘ als das gelungenste deutsche Lustspiel bezeichnet werden [müssen], welches in der Neuzeit geschaffen wurde.“135 Und der Literarhistoriker Friedrich Kreyssig spricht von den Journalisten in einem nachgelassenen Porträt Freytags als „dem besten deutschen Drama seit dem Tod Schillers und Kleists, vielleicht dem besten deutschen Lustspiel überhaupt“.136 Ein Jahr nach der Veröffentlichung von Kreyssigs Text wird ihm der Kollege Franz Hirsch in seiner Geschichte der deutschen Litteratur mit dem Urteil „das beste deutsche Lustspiel“ beipflichten.137 Wiederum ein Jahr darauf, 1884, übernimmt auch die zeitgenössische Theaterkritik in Person von Otto Brahm diese Zuschreibung fast wortgleich138 und zählt das Stück schon zu diesem Zeitpunkt zu den ‚klassischen Lustspielen der deutschen Bühne‘139 – er zieht es daher wiederholt als Maßstab heran.140 Wenig verwunderlich, gilt es ihm, wie er wenig später betont, doch

133 Arntzen: Die ernste Komödie, S. 10. 134 Vgl. zur Terminologie genauer Elisabeth Kampmann: Kanon und Verlag: Zur Kanonisierungspraxis des Deutschen Taschenbuch Verlags. Berlin 2011, S. 31–34; dies: Der Kanonisierungsprozess in den Dimensionen Dauer und Reichweite. Ein Beschreibungsmodell mit einem Beispiel aus dem Wilden Westen. In: Matthias Beilein, Claudia Stockinger u. Simone Winko (Hg.): Kanon, Wertung und Vermittlung. Literatur in der Wissensgesellschaft. Göttingen 2012, S. 93–106. 135 Salomon: Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts, S. 385. 136 Friedrich Kreyssig: Gustav Freytag. In: ders.: Literarische Studien und Charakteristiken. Nachgelassenes Werk. Mit einer Einleitung von Julius Rodenberg. Berlin 1882, S. 105–139, hier S. 120. 137 Franz Hirsch: Geschichte der deutschen Litteratur von ihren Anfängen bis auf die neueste Zeit. Dritter Band: Von Goethe bis zur Gegenwart. Leipzig [1883], S. 704. – Hirsch wiederholt dieses Urteil 1886 zu Freytags 70. Geburtstag: Hirsch: Zu Gustav Freytags siebzigstem Geburtstag, S. 716. 138 Für Otto Brahm handelt es sich bei Freytags Stück um nicht weniger als „das beste neuere Lustspiel der Deutschen“ (Otto Brahm: „Die Journalisten“ von Gustav Freytag [06.  02. 1884]. In: ders.: Theater, Dramatiker, Schauspieler. Berlin 1961, S. 245–246, hier S. 245). 139 Brahm: „Die Journalisten“ von Gustav Freytag, S. 246. – „Klassizität“ bescheinigt dem Lustspiel 1900 auch: Richard Hamel: Freitag. Die Journalisten. In: ders.: Hannoversche Dramaturgie. Kritische Studien und Essays. Hannover 1900, S. 111  f., hier S. 112. 140 Otto Brahm: Deutsche Lustspieldichter. In: Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirthschaft und Litteratur 6 (1888), 10. November 1888 (Nr. 6), S.  89–90; Otto Brahm: Theater. In: Die

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

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als „unübertroffen in unserer Lustspielliteratur“ und diene „alles, was auf das Stück gefolgt ist seit mehr als dreißig Jahren […] nur dazu, seine Vorzüge heller leuchten zu lassen.“141 Zum 70. Geburtstag des Autors 1886 geht Adolph Kohut noch einen Schritt weiter und schreibt: „das klassischste deutsche Lustspiel, das Gustav Freytag die Unsterblichkeit sichert, sind ‚Die Journalisten‘“.142 Es handelt sich hier mitnichten um eine singuläre Gratulationsübertreibung – Hans Lindau spricht noch 30 Jahre später von der „unsterbliche[n] Bühnenschöpfung“.143 Heinrich Hart rühmt Freytags Text 1895 sogar als das „erste Lustspiel großen Stils“ der deutschen Literatur, als erste unverwechselbar deutsche Komödie und damit als „eine nationale That“.144 Freytags Werk, so Hart weiter, habe „bis jetzt noch nicht seines Gleichen gefunden“ und weise „neben dem bleibenden literarischen zugleich einen dauernden kulturgeschichtlichen Werth“ auf (s. auch Kap. 2.3).145 Die Rede von einem der besten deutschen Lustspiele, dem besten Lustspiel des Jahrhunderts146 oder gar der besten deutschen Komödie findet sich fortan immer wieder. Sie wird beispielsweise noch 1916 neuerlich von Adolph Kohut147 gestützt und hat 1896 sogar Eingang bis hinein in The Scottish Review gefunden: This play is one of the few bright spots in the history of German comedy. […] it is hardly an exaggeration to describe it as the best German comedy of its class that our century has produced. The fact at least remains that after more than forty years it enjoys as great popularity as ever; it is one of the established repertory-pieces of the German theatres.148

Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirthschaft und Litteratur 9 (1892), 30. April 1892 (Nr. 31), S. 477–478, hier S. 478. 141 Otto Brahm: Gustav Freytag [Deutsche Illustrirte Zeitung, 10. Juli 1886]. In: ders.: Kritische Schriften. Bd. 2: Literarische Persönlichkeiten aus dem neunzehnten Jahrhundert, hg. von Paul Schlenther. Berlin 1915, S. 52–60, hier S. 57. 142 Adolph Kohut: Gustav Freytag. Ein Gedenkblatt zu seinem 70. Geburtstage am 13. Juli 1886. In: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1886, Bd. 2, S. 497–508, hier S. 504. 143 Hans Lindau: Gustav Freytag als Journalist. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 12. Oktober 1906 (Nr. 478). 144 Heinrich Hart: Gustav Freytag als Deutscher und Dichter. In: Tägliche Rundschau. Unabhängige Zeitung für nationale Politik. Unterhaltungs-Beilage, 4. Mai 1895 (Nr. 104), S. 414–415; 5. Mai 1895 (Nr. 105), S. 418–419; 7. Mai 1895 (Nr. 106), S. 422, hier 5. Mai 1895 (Nr. 105), S. 418. 145 Hart: Gustav Freytag als Deutscher und Dichter, S. 418. 146 So. z.  B. Max Vorberg: Zur Erinnerung an Gustav Freytag. In: Neue Preussische Zeitung, 23. Mail 1895, Nr. 239. 147 Adolph Kohut bewertet das Drama 1916 in seiner Würdigung des Journalisten Gustav Freytag als „eines der besten Lustspiele der deutschen Literatur“ (Adolph Kohut: Gustav Freytag als Journalist und Redakteur. In: Geistiges Eigentum. Zeitschrift für Literatur und Pressewesen, Bd. 12, H. 10, 1. Juli 1916, S. 111–114, hier S. 111). 148 John G. Robertson: Gustav Freytag. In: The Scottish Review 27 (1896), Nr. 53, S. 71–82, hier S. 73.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

Um die Jahrhundertwende zählt man Die Journalisten zu den „erfreulichsten Erscheinungen“, ja zu den Hauptwerken der deutschen Literatur (und damit zum gymnasialen Prüfungsstoff).149 Wurde ‚um 1850‘ noch das Fehlen einer neueren deutschen Komödie von Rang beklagt, halten Die Journalisten diesen Platz ‚um 1900‘ so fest besetzt, dass etwa Paul Heyse und sogar Rudolf Steiner in diesen Jahren ein neues deutsches Lustspiel herbeisehnen, das neben Freytags Drama zu bestehen und dessen singuläre Stellung aufzuheben imstande sei. Steiner verwendet dabei 1897 in seiner Kritik des Lustspiels Unjamwewe von Ernst von Wolzogen genau die Argumentationsfigur, mit der etwa 50 Jahre zuvor jene moderne Komödie in der Nachfolge Minna von Barnhelms herbeigewünscht wird (s. Kap. 1.2), als die sich dann Die Journalisten etablieren: Ich glaube nicht, daß wir jetzt das ersehnte ‚deutsche Lustspiel‘ haben; aber das ist mir sicher: wir sind ihm durch Wolzogens neueste Schöpfung um ein gutes Stück näher gekommen. Wir werden bald so weit sein, daß wir auch im deutschen Lustspiele nicht ewig auf die „Journalisten“ werden kommen müssen, wenn wir etwas einigermaßen Wertvolles nennen wollen.150

Heyse wiederum bestätigt gleichermaßen den Vorbildcharakter wie die Ausnahmeposition von Freytags Drama, wenn er im Brief vom 23. November 1891 an den Dramatiker Ludwig Fulda schreibt: „Und doch erinnere ich Dich immer wieder an das, was ich Dir vor Jahren gesagt habe: Daß wir das Lustspiel, die Lustspiele von Dir erwarten, die wir seit den Journalisten so sehnlich vermissen.“151 Fast 18 Jahre später, am 25. Oktober 1909, bekräftigt Heyse seine Aufforderung an Fulda zum Schreiben weiterer Komödien neuerlich – der Maßstab, den er dabei angelegt, ist derselbe geblieben: „Es wäre schön, wenn Du uns ein Stück brächtest, das sich neben den ‚Journalisten‘ sehen lassen könnte.“152 Der hohe ästhetische Rang, der Freytags Text zugesprochen wird, zeigt sich außerdem deutlich an dessen Klassifikation als „Meisterlustspiel“153 – ein Ausdruck, der seit Alfred Klaars Studie Das moderne Drama von 1883 über die Jahrzehnte wortwört-

149 Nagel: Die Hauptwerke der deutschen Literatur, S. 165. 150 Rudolf Steiner: „Unjamwewe“. Komödie in vier Aufzügen von Ernst von Wolzogen [1897]: In: ders.: Gesamtausgabe. Abteilung A: Schriften, II. Gesammelte Aufsätze: Gesammelte Aufsätze zur Dramaturgie 1889–1900 (Bd. GA 29), hg. von der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung. Unveränderter Nachdruck der von E. Froböse und W. Teichert besorgten 2. Aufl. 3., unveränd. Aufl. Dornach 2004, S. 206–208, hier S. 208. 151 Ludwig Fulda: Briefwechsel. 1882–1939. Zeugnisse des literarischen Lebens in Deutschland. Teil 1, hg. von Bernhard Gajek u. Wolfgang v. Ungern-Sternberg. Frankfurt a.  M. u.  a. 1988, S. 105 (Hervorhebung im Original). 152 Fulda: Briefwechsel. 1882–1939, S. 396. 153 Alfred Klaar: Das moderne Drama. Dargestellt in seinen Richtungen und Hauptvertretern. I. Abteilung: Die Geschichte des modernen Dramas in Umrissen (Das Wissen der Gegenwart IX). Leipzig/ Prag 1883, S. 234.

2.2 ‚Das klassische deutsche Lustspiel‘ 

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lich in zahllosen literaturgeschichtlichen Abhandlungen begegnet,154 so dass Bardeli noch 1935 in seiner Theorie des Lustspiels im 19. Jahrhundert konstatiert, die Komödie habe in Deutschland „in dem Meisterlustspiel Lessings und G. Freytags ihre höchste Leistung gefunden“.155 Gerade Lessings Minna von Barnhelm und Freytags Die Journalisten gelten Bardeli als maßgeblich für die Gattung schlechthin, ja als gattungsbegründend: Unter Lustspiel wollen wir im allgemeinen die Gattung des heiteren Theaterstücks verstehen, im besonderen aber meinen wir die Gattung, wie sie in dem Meisterlustspiel Lessings und G. Freytags ihre höchste Leistung gefunden hat. Unsere Hauptabsicht richtet sich auf die Erkenntnis des Gattungsmäßigen solcher Stücke, wie sie in der ‚Minna von Barnhelm‘ oder den ‚Journalisten‘ ihre beste Ausprägung erhalten haben.156

Topischer als die Rede vom ‚Meisterlustspiel‘ tritt nur noch ebendieser Vergleich bzw. ebendiese Gleichsetzung von Freytags Drama mit Lessings Minna von Barnhelm auf – bereits für Hermann Hettner der zentrale Bezugstext einer modernen realistischen Komödie (s. Kap. 1.2). Schon 1861, sieben Jahre nach dem Erscheinen der Buchausgabe, stellt Emil Kneschke Die Journalisten in seiner Studie zum deutschen Lustspiel an die Seite von Lessing Komödie.157 Beide Dramen werden fortan, besonders seit Ende des 19. Jahrhunderts, in einem Atemzug als die klassischen und besten deutschen Lustspiele (bisweilen unter Hinzufügung von Kleists Der zerbrochne Krug) genannt.158 154 So z.  B. auch bei: Max Martersteig: Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert. Eine kulturgeschichtliche Darstellung. Leipzig 1904, S. 409; Adolf Stern: Studien zur Litteratur der Gegenwart. 2., verm. und neu bearb. Aufl. Dresden/Leipzig 1898, S. 53; Konrad Beyer: Einführung in die Geschichte der deutschen Literatur unter besonderer Berücksichtigung der neuesten Zeit. Langensalza 1905, S. 260; Alfred Kleinberg: Gustav Freytag als Erzieher (Zum 100. Geburtstag am 13. Juli). In: Beilage zur Wiener Zeitung, 11. Juli 1916 (Nr. 156), S. 1–3, hier S. 2. – Immer wieder ist auch von einem „Meisterwerk“ die Rede, so z.  B. bei: Stern: Geschichte der neuern Litteratur. Bd. 7, S. 98; Rich[ard] Jul[ius] George: Gustav Freytag. Ein litterarisches Porträt. In: Deutsche Buchhändler-Akademie. Organ für die Gesamt-Interessen des Buchhandels und der ihm verwandten Gewerbe 4 (1887), S. 8–15, hier S. 9; Marianne Rommel: Persönliche Erinnerungen an Gustav Freytag. In: Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk, 15. Mai 1925 (Nr. 133), 32. Jahrgang, S. 1–2, hier S. 2. 155 Bardeli: Theorie des Lustspiels im 19. Jahrhundert, S. 5. 156 Bardeli: Theorie des Lustspiels im 19. Jahrhundert, S. 5. – Bei Bardeli ist hier implizit weiter die Gedankenfigur vom ‚hohen‘ Lustspiel präsent, das von der Masse der komischen Theaterstücke abzugrenzen sei (s. dazu genauer Kap. 1). 157 Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S.  281.  – Von „dem besten Lustspiel Deutschland nächst Lessing’s ‚Minna von Barnhelm‘“ sprechen 1868 etwa auch: Alfred Schönwald u. Hermann Peist: Geschichte des Thalia-Theaters in Hamburg von seiner Gründung bis zum 25jährigen Jubiläum desselben (1843–1868). Hamburg 1868, S. 50. 158 Die Journalisten gelten etwa laut Max Schoenaus Nachruf auf Freytag nicht nur als „das Hauptwerk seines Lebens“. Weiter heißt es: „Seit ‚Minna von Barnhelm‘ hatte die deutsche Literatur kein mustergiltiges Lustspiel hervorgebracht und als zwei einsame Säulen ragen nun diese beiden Werke dauernd empor.“ (Max Schoenau: Gustav Freytag. In: Mährisches Tagblatt 16 (1895), 3. Mai 1895 (Nr. 102). – Weitere Belege für die Gleichsetzung mit Lessings Komödie finden sich u.  a. bei: Adolf

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

1906 zitiert Theodor Lessing diese gängige Ansicht als etablierte Lehrmeinung der Literaturprofessoren sowie Schulwissen der Bürger und höheren Töchter, wobei er sich sogar gezwungen sieht, in Umkehrung der gängigen Reihenfolge („neben Gustav Freytags ‚Die Journalisten‘ das größte Lustspiel in deutscher Sprache“159) die gleichwertige Stellung von Lessings Stück zu unterstreichen – freilich nur, um sich sodann polemisch von der Aufklärungskomödie abzugrenzen.160 Bei all diesen Wertungen handelt es sich nicht um dem Autor gewogene Übertreibungen, eine Zusammenstellung wunderlicher Einzelmeinungen oder um flüchtige Episoden der Kanonisierungsgeschichte, sondern um einen ziemlich lange ziemlich breit geteilten Konsens.161 Wie weit diese Übereinkunft reichte – nämlich bis in den Schulunterricht –, wird anschaulich, wenn der Schriftsteller und Journalist Carl Albert Lange 1943 im Hamburger Anzeiger schreibt, was Friedrich Fiedler 1894 identisch formuliert hat:162 „In der Schule lernten wir, daß es drei große deutsche Lustspiel gäbe, Bartels: Die Deutsche Dichtung der Gegenwart. Die Alten und die Jungen. Eine litteraturgeschichtliche Studie. Leipzig 1897, S. 29; George: Gustav Freytag, S. 9; Nagel: Die Hauptwerke der deutschen Literatur, S. 163–165; Eduard Engel: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis in die Gegenwart. Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und die Gegenwart. 4. Aufl. Leipzig 1908, S. 229; Sittenfeld: Geschichte des Breslauer Theaters, S. 54; Ludwig Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker. In: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart 21 (Januar–März 1896), Bd. 1, S. 69–79, hier S. 75; Karl Ludwig Roth: Gustav Freytag. In: Programm des Königl. Realgymnasiums in Stuttgart am Schluss des Schuljahres 1896/97. Stuttgart 1897, S. 23; Richard Nordmann: Gustav Freytag. Leipzig 1906 (Vortragsstoffe für Volks- und Familienabende, H. 7, hg. von Hermann Barth u. Karl Schirmer), S. 13; Georg Britting: Die Journalisten. Lustspiel in vier Akten von Gustav Freytag [1912]. In: ders.: Frühe Werke. Prosa – Dramen – Gedichte. 1920 bis 1930, hg. von Walter Schmitz in Zusammenarbeit mit Hans Ziegler. München 1987, S. 40  f., hier S. 40; Georg Richard Kruse: Nachwort. In: Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel. Mit einem Anhang „Erste Bühnenausgabe der Journalisten“ von Friedrich Rosenthal, einem Nachwort von dems. und einer Notenbeigabe. Leipzig o.  J. [1926], S. 157–160, hier S. 157; Heinz Wildhagen: Zur Inszenierung von Gustav Freytags Journalisten. In: Das Prisma. Blätter der Vereinigten Stadttheater Bochum-Duisburg 4 (1927/28), H. 27: Die Journalisten, Sp. 327–328, hier Sp. 328; Glücksmann: Die erste Bühnenausgabe der „Journalisten“, Sp. 324; Friedrich Seiler: Gustav Freytag. Mit 28 Abbildungen. Leipzig 1898, S. 89 (vgl. hierzu im Einzelnen genauer Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus, S. 166  f.). 159 Theodor Lessing: ‚Minna von Barnhelm‘. In: ders.: Nachtkritiken. Kleine Schriften 1906–1907, hg. von Rainer Marweldel. Göttingen 2006, S. 51–53, hier S. 51. 160 Vor den Augen des damaligen Theaterkritikers können sowohl Freytags als auch Lessings Komödie nicht mehr bestehen. Beide gelten ihm an anderer Stelle als „lederne und philiströse Schriftwerke“ (Theodor Lessing: Theater-Seele. Studie über Bühnenästhetik und Schauspielkunst. In: ders.: Nachtkritiken. Kleine Schriften 1906–1907, hg. von Rainer Marweldel. Göttingen 2006, S. 276–402, hier S. 338). 161 Selbstredend gab es dazu auch immer wieder kritische Gegenmeinungen, in denen der Vergleich von Freytag und Lessing als unstatthaft bezeichnet wurde, so etwa bei: Friedrich Kummer: Deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Dargestellt nach Generationen. Dresden 1909, S. 389. 162 Friedrich Fiedler: Aus der Literatenwelt. Charakterzüge und Urteile. Tagebuch, hg. von Konstantin Asadowski. Göttingen 1996, S. 164.

2.3 Effekte des Realidealismus 

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das erste wäre von Lessing, das zweite von Kleist und das dritte von Gustav Freytag.“163 Dass diese Ansicht zu diesem Zeitpunkt keine vergangene war und über Langes Schulzeit hinaus Gültigkeit besaß, belegt etwa Kindermanns Wertung aus demselben Jahr, bei Freytags Komödie handle es sich um das „beste[] deutsche[] Lustspiel[], das uns das 19. Jahrhundert schenkte“.164 Der kanonische Rang des Dramas ist seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts über die Weimarer Republik bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts im Kern stabil und in der Breite sichtbar geblieben – mit anderen Worten: Dauer und Reichweite der diskursiven Präsenz des Textes erwiesen sich insgesamt als vergleichsweise beständig. Noch 1953 sind Die Journalisten im großen Schauspielführer der Wiener Theaterwissenschaft mit der Erläuterung versehen: „Neben Lessings ‚Minna‘ das klassische deutsche Lustspiel“.165 In seinem Nekrolog attestierte schon der Philologe Erich Schmidt Freytags Komödie 1895 „einen ‚specifisch temporären Gehalt‘“166 und damit wortwörtlich genau jene Qualität, die Goethe in Dichtung und Wahrheit als Leistung von Lessings Minna von Barnhelm herausstellte („es ist die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt“167). Anders als es nach den bisherigen Ausführungen den Anschein haben könnte, führte gerade ebenjene zeitspezifische Dimension der Journalisten dazu, dass seit Ende des 19. Jahrhunderts – also parallel zu dem anhaltenden bzw. sich noch intensivierenden Erfolg des Stücks (vor allem in der Aufführungspraxis) – zunehmend das Veralten der Komödie diagnostiziert wurde.168

2.3 Effekte des Realidealismus. Die Journalisten zwischen Zeitgebundenheit und Überzeitlichkeit „Gustav Freytag, den wir uns stets als unseren Zeitgenossen zu denken gewöhnt waren, ist historisch geworden […]. Die ‚Journalisten‘ sind ein modernes Lustspiel

163 Lange: Festvorstellung im Thalia-Theater „Die Journalisten“. – Die kanonische Stellung der Journalisten als klassisches Lustspiel bestätigt 1941 auch Karl d’Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung. Eine Ernte aus drei Jahrhunderten. Würzburg 1941, S. 1. 164 Kindermann: Gustav Freytag und das Theater. 165 Joseph Gregor, Margret Dietrich u. Wolfgang Greisenegger: Der Schauspielführer. Bd. 1: Das deutsche Schauspiel vom Mittelalter bis zum Expressionismus. Stuttgart 1953, S. 201. 166 Erich Schmidt: Dem Andenken Gustav Freytag’s. In: Deutsche Rundschau, Bd. 83 (April–Juni 1895), S. 453–464 [Rede zur Gedächtnisfeier des Vereins Berliner Presse am 19. Mai 1895 im Rathaus Berlin], hier S. 460. 167 Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. In: ders.: Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 9: Autobiographische Schriften I. Textkritisch durchgesehen von Liselotte Blumenthal. Kommentiert von Erich Trunz. 12. Aufl. München 1994, S. 281. 168 Vgl. dazu genauer Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus, S. 164–167.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

gewesen“,169 urteilt der Hamburger General-Anzeiger 1902 über eine Aufführung am Deutschen Schauspielhaus und kommt letztlich zu dem Schluss: „Die ‚Journalisten‘ Gustav Freytag’s sind in der That das Lustspiel eines verflossenen Jahrhunderts geworden. Sie wurzeln sogar so sehr in diesen Verhältnissen, daß sie uns vergangener anmuthen, als Lessing’s nun fast hundert Jahre älteres Meisterlustspiel.“170 Im selben Jahr, zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum der Komödie, sieht auch Heinrich Stümcke die Zukunft des einst als modern geltenden Stücks in seinem Charakter „als historisches Lustspiel wie ‚Minna von Barnhelm‘“.171 Was aus Sicht der sich um die breite Anziehungskraft der Komödie sorgenden Theaterleute als mögliches Hindernis betrachtet wird, macht den Text aus der Perspektive der damaligen Wissenschaft gerade interessant. Der Freytag-Forscher Hans Lindau ist geradezu verzückt vom „holde[n] Vergangenheitszauber“,172 der dem Stück anhafte, und befindet: „Daß der Dichter soviel vergänglichen Zeitstoff aufgenommen hat, kann uns den Reiz der Poesie nicht mindern. Eher im Gegenteil: […]. Als ein ehrwürdiges Abbild längst dahingeschwundener Verhältnisse spricht es uns kulturgeschichtlich an“.173 Die spezifische Qualität von Freytags Drama als einem „in sich abgeschlossene[n] Zeit- und Weltbild[]“,174 das in kulturhistorischer Hinsicht und damit nicht zuletzt als Lehrgegenstand besonders wertvoll und aufschlussreich sei, verfestigt sich vor allem seit Endes des 19. Jahrhunderts – von Adolf Bartels Die Deutsche Dichtung der Gegenwart (1897) über Karl Holls Geschichte des deutschen Lustspiels (1923) bis hinein in Knaurs Schauspielführer (1976) – als weitere stabile Zuschreibung in der Wertungsgeschichte des Textes.175 Eine solche künftige Rezeption der Komödie prognostiziert nicht nur Freytag selbst 1856 im Briefwechsel mit seinem Verleger,176 auch die Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst begreifen Die Journalisten schon 1855 als „modern-historisches Bild aus der Gegenwart […], das der Literatur- und Culturhistoriker späterer Zeit mit als Studienquelle unserer Gegenwart benutzen kann“.177

169 H. O.: Deutsches Schauspielhaus. Gustav Freytag: „Die Journalisten“. In: 1. Beilage zum GeneralAnzeiger für Hamburg-Altona, 3. September 1902 (Nr. 206). 170 H. O.: Deutsches Schauspielhaus. Gustav Freytag: „Die Journalisten“. 171 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 396. 172 Lindau: Gustav Freytag, S. 131. 173 Lindau: Gustav Freytag, S. 131. 174 Bartels: Die Deutsche Dichtung der Gegenwart, S. 28 (zu Bartels’ Bewertung des Stücks vgl. genauer: Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus, S. 165  f.). 175 Siehe Bartels: Die Deutsche Dichtung der Gegenwart, S. 28  f.; Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 282; Verner Arpe: Knaurs Schauspielführer. Eine Geschichte des Dramas. München 1976, S. 211. – Bereits Ludwig Salomon hob 1881 in seiner Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts die Qualität der Komödie als „charakteristisches Culturbild“ hervor (Salomon: Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts, S. 385). 176 Gustav Freytag an Salomon Hirzel, 5. September 1856. In: BrHi I, 104–105, hier 104. 177 N. N.: „Das deutsche Drama wie es ist und sein wird“, S. 213.

2.3 Effekte des Realidealismus 

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Der kulturhistorische Quellenwert der Journalisten ergibt sich aus der programmatischen Anlage des Textes als realistisches Zeitdrama, die in der Rezeption gleichsam eingelöst und durch diese bestätigt wird. Anders gesagt: Die Eigenschaft der Komödie, ein realistisches Zeitdrama (oder mit den Worten Otto Manns: ein „realistisches Lustspiel aus der Mitte seiner Zeit“)178 zu sein, erweist sich in der Rezeptionsgeschichte: Sie bedingt, dass der Text – wie in diesem Abschnitt erörtert – in der frühen Rezeption als ‚modernes‘ Zeitbild und in der späteren Rezeption als kulturgeschichtlich reizvolles historisches Lustspiel wahrgenommen wird. Dass die „keck moderne Komödie von anno dazumal […] zum rührend altväterischen Kostümstück geworden“179 ist, wie Lindau 1907 konstatiert, sollte man demnach nicht synchron als Mangel zeitpolitischer Aktualität, sondern diachron als deren Effekt betrachten. Auch der Umstand, dass vor allem seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert einerseits das Veralten des Stücks diagnostiziert, andererseits dessen überdauernde ‚Frische‘ und bleibende Gültigkeit gerühmt wird,180 stellt nur bei oberflächlicher Betrachtung einen Widerspruch dar. Wie erläutert, wird in der Rezeption zwar häufig die Bedeutung des Stücks als nachmärzliches „Kulturbild“181 hervorgehoben, die Aktualität der Komödie aber später kaum mehr über deren zeitpolitische Botschaft oder deren konkreten Stoff begründet. Anders als Schanze andeutet, erreicht das Drama nach 1870 auch nicht in erster Linie einen „entscheidenden ideologischen Stellenwert“;182 der Blick auf das Lustspiel entpolitisiert sich im Gegenteil zunehmend183 und fokussiert stattdessen die Art und Weise der realidealistischen Darstellung. Entsprechend prophezeit Legband „Freytags Meisterstück“ zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, dass es sich „über unsere Tage hinaus erhalten wird“ und führt erklärend aus:184 Denn wir haben es hier nicht nur mit einem Zeitbilde allein zu thun, […] sondern mit einem wertvolleren Kern. Ueber allen zeitlich begrenzten und heute etwas altmodisch anmutenden Inhalt des Stücks geht sein inneres Wesen, seine Seele, die die Spiegelung eines reichen, frohen Gemütes, einer sonnigen, kräftigen Natur ist. […] Sie wirkt heute vielleicht noch stärker als in

178 Otto Mann: Geschichte des deutschen Dramas. Stuttgart 1960, S. 446. 179 Lindau: Gustav Freytag, S. 131. 180 Zu Letzterem vgl. u.  a.: Julian Schmidt: Gustav Freytag’s Ahnen. In: Preußische Jahrbücher 47 (1881), H. 1, S. 65–98, hier S. 72  f.; Brahm: „Die Journalisten“ von Gustav Freytag [06. 02. 1884], S. 246; Bartels: Die Deutsche Dichtung der Gegenwart, S. 28  f.; Legband: Gustav Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 222  f.; Hamel: Freitag. Die Journalisten, S. 111  f.; Kohut: Gustav Freytag als Journalist und Redakteur, S. 111; Alfred Biese: Deutsche Literaturgeschichte. Bd. 3: Von Hebbel bis zur Gegenwart. 13. Aufl. München 1918, S. 130; Glücksmann: Die erste Bühnenausgabe der „Journalisten“, Sp. 323; Walther Victor: Selbstgespräch mit Bellmaus. „Die Journalisten“ [09. 01. 1925]. Zwickauer Stadttheater. In: ders.: Freund und Feind. Kritiken aus fünf Jahrzehnten. 2. Aufl. Berlin/ Weimar 1985, S. 87–89, hier S. 87. 181 Kohut: Gustav Freytag als Journalist und Redakteur, S. 113. 182 Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus, S. 125. 183 Vgl. hierzu genauer Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus. 184 Legband: Gustav Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 222.

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den fünfziger Jahren, in denen der Inhalt des Stückes unmittelbare Beachtung fand, sie ist schier unverwüstlich, selbst bei einer mittelmäßigen Darstellung des Werkes.185

Legband blendet hier auf jenen idealisierenden Überschuss, der Die Journalisten schon in den Augen Otto Brahms über das rein auf ‚Beobachtbares‘ fixierte Zeitstück, über seinen zeitspezifischen Inhalt erhebt.186 Die Leistung der Komödie als Zeitdrama wird dabei von den Kritikern keineswegs bestritten, eher in jener differenzierten Anschauung gewürdigt, die Erich Schmidt dem Text in einer hellsichtigen Bemerkung hat zuteilwerden lassen. Schmidt nämlich lobt an Freytags Drama nicht allein den ‚specifisch temporären Gehalt‘, er analysiert zudem in treffender Vorwegnahme der weiteren Rezeption, der Autor habe seine Komödie „vor der Gefahr örtlicher und zeitlicher Einschränkung“ geschützt, „indem er nicht bloß eine zufällige Wirklichkeit nachschrieb“.187 Nicht nur verhält es sich demnach so, dass das, was an der Komödie zeitgenössisch als modern, realitätsgetreu und zeitgemäß begrüßt wird, später veraltet anmutet. Auch tragen umgekehrt die (später genauer zu erläuternde) lediglich mittlere (aber gleichwohl sozial repräsentative) Referentialisierbarkeit sowie die relative Unbestimmtheit des Textes – wie sie von der frühen Kritik zum Teil noch bemängelt werden – wesentlich zu dessen dauerhafter Wirksamkeit und zu einem überdauernden Aktualisierungspotential bei. Wie der auf Zeittreue verpflichtete programmatische Realismus zeitigt folglich auch der auf Überzeitlichkeit zielende programmatische Idealismus der Darstellung Rezeptionseffekte, die diese realidealistische Anlage des Textes als Musterkomödie letztlich bestätigen. Nachmärzliche Zeitspezifik auf der einen und zeitungebundene Modernisierbarkeit auf der anderen Seite durchziehen als Folge seiner ambivalenten Gestaltung auch die Inszenierungsgeschichte des Textes seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert.188 Dadurch dass die Konflikte des Textes allgemeine bleiben, dass die Handlung wesentlich im Privaten stattfindet und dass das Drama nicht unmittelbar in einer politischen ‚Tendenz‘ aufgeht, weisen Die Journalisten neben der zeitgebundenen auch eine deutlich zeitungebundene Dimension auf. Eine solche findet sich erstens in der Liebeshandlung, zweitens auf der Ebene des Humors, drittens in der lebensnah-typisierenden Figurenzeichnung und viertens in dem – aufgrund seiner verhältnismäßigen Allgemeinheit stets aktualisierbaren bzw. lange aktuell bleibenden – generellen Treiben und Walten des Journalismus und der Parteien.189 Diese These ließe sich im

185 Legband: Gustav Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 222. 186 Brahm: Deutsche Lustspieldichter, S. 90. 187 Schmidt: Dem Andenken Gustav Freytag’s, S. 460. 188 Vgl. Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 396. 189 So meint der Literaturhistoriker Heinrich Kurz 1872, der Stoff des Dramas habe „eine bedeutende Seite des politischen Lebens der damaligen Zeit zum Gegenstand“, dieser würde „seine Bedeutsamkeit auch nie verlieren […], so lange freie Presse und constitutionelle Verfassungen bestehen“ (Heinrich

2.3 Effekte des Realidealismus 

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Einzelnen anhand zahlreicher Rezeptionszeugnisse nachweisen, die die gleichbleibende Bedeutung und Beliebtheit des Stücks auf ebenjene Faktoren zurückführen – so etwa das Mährische Tagblatt, das 1884 schreibt: Gustav Freytags Lustspiel „Die Journalisten“ gehört ohne Zweifel zu den besten dramatischen Producten unserer modernen Literatur. Gediegen in seinem Gehalte, wahr in seinen Characteren, voll liebenswürdigen Humors besitzt es durch den allgemein politischen Hintergrund auf die ewigen Kämpfe zwischen Fortschritt und Reaction einen mehr als vorübergehenden Werth.190

Insbesondere dem Humor der Komödie sowie der als so gelungenen wie lebensnah bewerteten Charakterzeichnung191 wird in der Rezeption – sogar noch in einem FAZArtikel von 1956192 – Zeitlosigkeit attestiert.193 „Was schafft gerade diesem Lustspiel den bleibenden Erfolg?“, fragt Richard Hamel 1899 und gibt sich selbst in dem hier gerade beschriebenen Sinne die Antwort: „Die höhere komische Gestaltungskraft seines Verfassers, […] die thaufrische Natur seiner Hauptcharaktere, die feine Beobachtung und sichere Gestaltung, auch bei den episodischen Figuren. Dazu kommt ein idealer Schein, der auf dem Ganzen ruht.“194 Auch andere Rezipienten wie u.  a. Brahm195, Martersteig196 oder Kohut197 führen die zeitlose Zugkraft des Textes gerade Kurz: Geschichte der neuesten deutschen Literatur von 1830 bis auf die Gegenwart. Mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller. Bd. 4. Leipzig 1872, S. 578). – Die Aktualität des Stücks in dieser Hinsicht betont 1886 auch Hirsch: Zu Gustav Freytags siebzigstem Geburtstag, S. 716. 190 N. N.: Theater und Kunst. In: Mährisches Tagblatt, 12. März 1884 (Nr. 60). 191 „Der höchste, der bleibende Werth des Lustspiels aber liegt in der Charakteristik“, befindet Emil Kneschke bereits 1861 (Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 282); vgl. dazu auch die zahlreichen weiteren Belege in diesem Kapitel sowie: Kreißig: Nachwort, S. 120  f. 192 Vgl. Scholtis: Der Dichter des „Soll und Haben“. 193 Vgl. in diesem Sinne auch: Kreißig: Nachwort, S. 120  f. – Siehe hierzu auch das Urteil Kohuts: „Vor allem war es der behagliche Humor und die sonnenhelle Heiterkeit, die in den ‚Journalisten‘ walteten und allgemein entzückten. Es pulsiert in dem Stück das wirkliche Leben, jede einzelne Figur ist vollkräftig und vollsaftig und steht unter der Einwirkung der großen Zeitgedanken“ (Adolph Kohut: Gustav Freytag und die deutsche Bühne. In: Die Deutsche Bühne. Amtliches Blatt des Deutschen Bühnen-Vereins, 8. Jahrgang, H. 27/28, 10. Juli 1916, S. 281–285, hier S. 283). 194 Hamel: Freitag. Die Journalisten, S. 111. 195 „[E]in Werk, dessen Figuren so bestimmte Anschauung gewähren und fordern, und das seit vierzig Jahren sich unverändert wirksam erhielt, braucht seinen Werth nicht erst vom Frischem zu erweisen“ (Brahm: Theater, S. 478). 196 „Das Prinzip des juste milieu, das Freytag […] in diesem Lustspiel enthüllte, war durch die Wärme der Charakterzeichnung, durch das Hervorheben der mit all ihren Schwächen so bestechenden Gemütswelt über die bewegte Oberfläche des politischen und sozialen Lebens dauernd ästhetisch geadelt“ (Martersteig: Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert, S. 409). 197 „Die ‚Journalisten‘ zählen zu jenen Lustspielen, deren unverwüstliche und urfrische Kraft noch immer die Zuhörer aufs höchste fesselt, weil die Figuren die Freytag geschaffen, keine hohlen Schatten und Schemen, sondern Fleisch von unserem Fleisch und Bein von unserem Bein sind“ (Kohut: Gustav Freytag als Journalist und Redakteur, S. 111).

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auf die humoristisch-frische sowie lebenskräftige und bühnenfähige Figurengestaltung zurück. Anstelle des Inhalts oder des nachmärzlichen Sinnangebots wird an der Komödie später vornehmlich der schon 1858 selbst von Prutz anerkannte „gesunde Realismus der Darstellung“,198 mithin eine epochale Mustergültigkeit in dieser Hinsicht, hervorgehoben – so auch, wenn Kohut die „realistische Treue“199 herausstellt oder Fulda die Ansicht formuliert: „Der Realismus der Charakteristik des Dialogs gewinnt hier eine Meisterschaft“.200 Diese Rezeptionszeugnisse bestätigen, was der Wiener Humorist schon unmittelbar nach der Burgtheater-Premiere 1853 angesichts von Freytags Figurenzeichnung prognostizierte („diese Characteristik […] gibt Typen, die zu naturgetreu sind, um leicht zu veralten“201), was Kohut 1886 ebenso bekräftigte („Die Gestalten des Bolz, Piepenbrink und Schmock sind unsterblich, und sie werden stets dankbare Charakterrollen bleiben“)202 wie 1912 der junge Georg Britting203 und womit Walter Kaulfuß noch 1921 die bleibende Wirksamkeit der Journalisten erklärte: „Wenn […] die ‚Journalisten heute noch nach siebzig Jahren eine Wirkung ausüben, wenn immerhin sie auch keine volle Spiegelung journalistischen Lebens gewähren, so ist dies wohl nur auf die wohlgelungene Charakterzeichnung zurückzuführen.“204 Tatsächlich wurden gerade Bolz, Schmock und Piepenbrink zu weithin geläufigen literarischen Figuren, deren Kenntnis etwa Theodor Fontane in seinen Theaterkritiken allgemein voraussetzen konnte und auf die er so immer wieder direkt oder indirekt verwies.205 Insbesondere diese drei Dramenfiguren erwiesen sich zudem bis weit hinein ins 20. Jahrhundert als gleichermaßen beim Publikum beliebte und bei den Schauspielern begehrte Charakterrollen. Der Erfolg der Journalisten erklärt sich demnach, wie überdies von Ludwig Fulda bemerkt, aus der für den poetischen Realismus typischen realidealistischen Programmatik, aus dem Doppelcharakter sowohl zeitgebundener als auch zeitlos-idealisie-

198 Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 458. 199 Kohut: Gustav Freytag und die deutsche Bühne, S. 283. 200 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75. 201 N. N.: Theater von gestern, [S. 848]. 202 Kohut: Gustav Freytag. Ein Gedenkblatt, S. 504. 203 „Man merkt nicht, daß das Stück schon sechs Jahrzehnte überdauert hat, noch zeigt sich keine Spur von Altersschwäche. In lebendiger Frische wirken die Gestalten des Werks aus uns, sie sind lebende Menschen von Fleisch und Blut wie wir, keine Marionetten. Und darum werden sie auch immer Anteilnahme erwecken.“ (Britting: Die Journalisten, S. 40). 204 Walter Kaulfuß: Der Journalist auf der Bühne. In: Zeitungs-Verlag: Fachblatt für das gesamte Zeitungswesen, 28. Januar 1921 (Nr. 4), 22. Jahrgang, Sp. 124–125, hier Sp. 124. 205 Vgl. etwa Fontanes Besprechungen in der Vossischen Zeitung zu Ifflands Der Spieler (08.02.1874), Julius Rosens Schwere Zeiten (05. 05. 1874), Paul Lindaus Tante Therese (23. 12. 1875), zu Ernst Ecksteins Ein Pessimist und Gustav von Mosers Herrn Kaudels Gardinenpredigten (27. 01. 1877), zu Alfred Friedmanns Geben ist seliger, denn nehmen und Karl Wartenburgs Die Schauspieler des Kaisers (16. 11. 1878), zu Freytags Graf Waldemar (23. 11. 1886) sowie Schillers Die Räuber (25. 11. 1889).

2.3 Effekte des Realidealismus 

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render Darstellung: „[W]eil sie [Die Journalisten, P. B.] […] das Zeitliche ins Poetische steigerten, darum haben sie die vergängliche Situation, von der sie Wurzel, Wärme und Kraft empfingen, unverwelklich überdauert.“206 In ähnlicher Weise hat Alfred Dove 1879 in Nord und Süd dargelegt, warum Die Journalisten, obwohl sie deutlich „den Stempel von 1853 tragen“, trotzdem als Freytags „vollkommenste Leistung“ und etwa ein Vierteljahrhundert nach der Uraufführung noch als unvermindert wirksames ‚Spitzenwerk‘ der nachklassischen Literatur gelten können:207 [E]s stellt […] in seiner allgemeinen Bedeutung ein Mittelstück nationalen Lebens der Gegenwart und Zukunft dar: deutsches politisches Parteiwesen in seinen reinmenschlichen, ethischen und poetischen Grundzügen, ernsthaft und komisch genommen. So trifft hier eben eine Summe von Bedingungen günstig zusammen; technische Fertigkeit, individuelle Erfahrung, Scharfblick für das zeitgemäß Interessante und Fähigkeit, dies in eine gemeingiltige Sphäre zu erheben, die ihm Dauer verheißt, haben sich verbunden, um dies Lustspiel an die Spitze der Werke seines Autors in die vorderste Reihe aller literarischen Schöpfungen unserer nachklassischen Periode zu stellen.208

In seinem Freytag-Artikel für die Allgemeine Deutsche Biographie von 1904 hat Alfred Dove diese Überlegungen noch einmal aufgegriffen. Mit Die Journalisten, so heißt es dort, griff F.[reytag] einfach hinein in die jüngst persönlich erlebte Wirklichkeit des halb ernsten, halb komischen Treibens der deutschen Parteien und der damals vom anmuthigen Leichtsinn der Jugend erfüllten Presse. Ohne die eigene liberale Gesinnung ängstlich zu verhüllen, wußte er doch in unbefangenem Humor den zeitgetränkten Gegenstand in eine so menschlich gemeingültige Höhe zu erheben, daß das Ganze nach Art aller echten Poesie vor der Gefahr behütet ward, innerlich zu veralten. Gleich die Zeitgenossen begrüßten das Stück als unser bestes Lustspiel nach der Minna Lessings; und wenigstens darin kommt es dieser gleich, daß, wie dort die Epoche des siebenjährigen Krieges, so hier die der deutschen Revolution im Spiegel des heiteren Dramas treu verewigt worden. Eine köstliche Seltenheit gerade in unserer Litteratur; auch hernach sollten „Die Journalisten“ in ihrer Gattung den Jahrhundertpreis ohne ernstlichen Wettbewerb behaupten.209

Vergleichbar mit den Überlegungen Brahms210 wird die entscheidende Leistung des Stücks bei Dove darin gesehen, ein relevantes – d.  h. breites, bürgerliches und nationaltypisches – politisches Zeitbild in eine heitere und dauerhaft ansprechende Komödie überführt zu haben (durch Allgemeingültigkeit auf Ebene der Moral, der

206 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75. 207 A[lfred] Dove: Gustav Freytag. In: Nord und Süd. Eine deutsche Monatsschrift 10 (1879), S. 260– 278, hier S. 270. 208 Dove: Gustav Freytag, S. 270. 209 Alfred Dove: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘. In: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 48: Nachträge bis 1899: Döllinger–Friedreich. Leipzig 1904, S. 749–767, hier S. 756. 210 Vgl. Brahm: Deutsche Lustspieldichter.

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Charaktere, des Humors, der Konflikte und der lebensnah-allgemeinen Darstellung). Folgt man dieser Argumentation, lässt sich ausgehend von der realidealistischen Anlage der Komödie nicht nur der oberflächliche Widerspruch auflösen, dass seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die bleibende Frische des Dramas ebenso diagnostiziert wird wie sein einsetzendes Veralten – denn beides sind Rezeptionseffekte, die auf die Programmatik des Dramas zurückverweisen. Es lässt sich in dieser Optik auch der Blick auf zentrale Aspekte des Textes und seiner Rezeption schärfen. Außer Erich Schmidt, Ludwig Fulda und Alfred Dove haben u.  a. auch Rudolf Gottschall und Robert Koenig bemerkt, dass in der Verbindung zeitspezifischer und allgemein-unspezifischer Darstellungselemente die Gründe für den Erfolg der Journalisten zu suchen seien. Gerade Koenigs Ausführungen belegen und verdeutlichen den in diesem Kapitel skizzierten Argumentationsgang noch einmal umfassend: Mit prächtigem Humor ist darin [in Die Journalisten, P. B.] das deutsche Parteistreben und der Einfluß der Presse im modern-constitutionellen Staate „in seinen rein menschlichen, ethischen und poetischen Grundzügen“ [Koenig zitiert hier Dove, s.  o.; P. B.] geschildert: keine der Parteien ist genannt, aber wenn man auch in der Charakteristik der einzelnen Figuren des Dichters Vorliebe für die Liberalen durchmerkt, herrscht doch eine liebenswürdige Gutmüthigkeit in der Charakteristik und Bekämpfung der Gegner vor, dazu bleiben die Schattenseiten des Liberalismus keineswegs ohne Beleuchtung. Kurz: man darf dieses Lustspiel wol ein Zeitstück im besten Sinne des Wortes, und – weil es sich doch über die Zeit erhebt – ein echtes und treues, für alle Zeiten werthvolles Kulturbild aus dem XIX. Jahrhundert nennen.211

Koenigs Einordnung des Dramas von 1881 ist dabei zugleich charakteristisch für einen sich im Umbruch befindlichen Blick auf Freytags Komödie, die mit dem Abstand der Jahrzehnte zunehmend als kultur- denn als zeitgeschichtlich interessant wahrgenommen wird. Wie dann später nur noch vereinzelt, werden die Parteinahme des Textes und sein moderner zeitspezifischer Darstellungsgegenstand hier noch erkannt und begründen dessen Bestimmung als „Zeitstück“; die Aufmerksamkeit gilt aber insbesondere jenen idealisierenden Elementen, die das Stück über das ‚Zeitspezifische‘ erheben. Ebendiese Kombination mündet in das Urteil vom ‚für alle Zeiten werthvollen Kulturbild‘. Wie Koenig erkennt auch Gottschall, dass jene anfänglich Unverständnis hervorrufende Verhaltenheit, Ausgewogenheit und humoristische Verklärung letztlich eine zeitüberdauernde Wirkung begünstigen würden. Eben die zwei Faktoren, die in der frühen Rezeption des Dramas durchaus auf Kritik stießen (s. auch Kap. 3.2.2 u. 3.2.3), nämlich die relative Unbestimmtheit des Politischen in der Komödie kombiniert mit dessen markant-lebensnaher Figurenzeichnung, bedingen seiner Rückbetrachtung von 1895 zufolge die lange Bühnenpräsenz und kontinuier­ liche Aktualisierbarkeit des Dramas:

211 Koenig: Deutsche Literaturgeschichte, S. 747.

2.3 Effekte des Realidealismus 

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„Die Journalisten“ […] sind jetzt ein beliebtes Repertoirestück aller Bühnen, trotz der gänzlich veränderten Weltlage. Wenn sie in keiner Weise veraltet sind, so lag das an der feinen Kunst und glücklichen Vorsicht der Freytagschen Darstellungsweise. Wenn er auch die Parteikämpfe selbst und ihre Taktik mit vieler Lebenswahrheit und glücklicher Satire zeichnete, wenn man auch sah, daß es sich um einen Kampf der Konservativen und Liberalen handelte, so war doch keine der Parteien über die Taufe gehalten und für alle Parteiverschiebungen der Zukunft konnten dieselben Charaktere und Situationen gelten; dennoch entstanden dadurch keine unsichern und verblaßten Umrisse; dafür sorgten die lebensfrisch gezeichneten Persönlichkeiten.212

Mit dem identischen Gedankengang hat Julian Schmidt 1881 eine Begründung für die ungebrochene Anziehungskraft von Freytags Komödie gefunden und seine frühere Kritik an dem Text in einem entscheidenden Punkt revidiert: Ja, was ich beim Erscheinen des Stücks mit Unrecht als einen Mangel empfand, daß die politischen Gegensätze sich nur ganz unbestimmt abzeichnen, […] das hat sich nachher gerade als das lebenserhaltende Princip des Stücks erwiesen: jede stärker hervortretende Parteifarbe, jede schroff realistische Zeichnung der Figuren würde den Stempel einer Zeit an sich tragen, die uns heute schon Vergangenheit wäre […].213

Rößler argumentiert, dass „die empirische Treue […] der poetischen Ausführung der Charaktere im Wege stehen müßte“.214 Die in dem Drama dargestellten „Typen“ seien demnach sehr wohl referentialisierbar, eine genaue Ausmalung würde jedoch deren „poetische[r] Idealisirung“, wie sie Freytag vornehme, entgegenlaufen.215 In der Begründung ähnlich wie Schmidt widerspricht der Freytag-Freund und GrenzbotenMitarbeiter Constantin Rößler 1860 der Kritik an der politischen Unbestimmtheit des im Stück dargestellten Parteienkonflikts, indem er argumentiert, dass „die empirische Treue […] der poetischen Ausführung der Charaktere“ sowie deren „poetische[r] Idealisirung“, wie sie Freytag vornehme, im Wege gestanden hätte.216 Mit anderen Worten: Gerade der Mangel an zeitspezifischer – und das heißt: zeitpolitischer – Realistik würden dem Drama poetische Dauerhaftigkeit verleihen. 1856 noch sah Schmidt in der „Scheu vor poetischer Parteinahme“, wie sie Die Journalisten seiner Ansicht nach kennzeichneten, einen „Fehler“ des Dichters.217 Er stimmte hierin mit Berthold Auerbach überein, dem die politischen Gegensätze der im Text konkurrierenden Parteien zu wenig konturiert und der politische Konflikt zu wenig ausgestaltet war; entsprechend bemängelte er an dem Drama ein „Unkennt-

212 Rudolf Gottschall: Gustav Freytag. In: Die Gartenlaube 1895, Nr. 20, S. 330–334, hier S. 332. 213 Schmidt: Gustav Freytag’s Ahnen, S. 73. 214 [Constantin Rößler]: Gustav Freytag. In: Westermann’s Illustrirte Deutsche Monatshefte, Bd. 9, Nr. 51, Dezember 1860, S. 306–313, hier, S. 310. 215 [Rößler]: Gustav Freytag, S. 310. 216 [Rößler]: Gustav Freytag, S. 310. 217 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 307.

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lichmachen der Parteien“.218 Hierbei handelt es sich um den wichtigsten Kritikpunkt, der in den 1850er Jahren – allerdings nur von einer Minderheit – an Freytags Komödie formuliert wurde. Das Literarische Centralblatt für Deutschland erkennt in diesem Sinne 1855 zwar die Anlage des Textes als ein „aus dem vollen Leben frisch herausgegriffen[es]“, mithin ‚realistisches‘ Zeitdrama an, hält aber den zeitgenössisch geforderten „Schritt weiter zum politischen Lustspiel“ für vom Autor nicht vollzogen: „Er schildert nur das äußere Treiben zweier Parteien, nicht das, was sie eigentlich im Staate wollen, warum sie sich bekämpfen“.219 Vor allem mit den Äußerungen des Literarischen Centralblatts wird ersichtlich, welchen Quellenwert die Auseinandersetzung um die politische Unbestimmtheit der Journalisten über die Freytag-Forschung hinaus hat. In der Debatte nämlich spiegeln sich die Anforderungen an das realistische Lustspiel als politisches Zeitdrama. Vernehmbar ist dabei auch eine noch deutlich jungdeutsch eingefärbte Position wie die von Robert Prutz. Dieser warf Freytag 1858 die „abstracte Unbestimmtheit“ vor, „mit der er die eigentlichen politischen Tendenzen des Stücks völlig in der Schwebe ließ“.220 Bemerkenswerterweise identifiziert Prutz darin zum einen den „schreiendsten Widerspruch“ zur „realistischen, fast empirischen Treue“ der Charakterzeichnung (also ein ästhetisches Gegengengewicht zur realistischen Bestimmtheit), zum anderen eine politische Vagheit, die der politisch unbestimmten dann doch in zeittypischer Weise entsprach. In erster Linie jedoch ist damit für ihn jener Faktor bezeichnet, der es seiner Meinung nach ermöglicht habe, „daß das Stück mehr oder minder bei allen Richtungen und allen Parteien gefiel“.221 22 Jahre später wird sich Rudolf Gottschall in der Leipziger Zeitung diese letzte These zu eigen machen, wenn er erklärt, Freytag habe dadurch „ein dem ganzen Publicum wohlgefälliges Werk“ geschaffen, dass er „die Parteien selbst nur mit seiner feinen Punktirmanier gezeichnet und sich durchaus nicht auf ihre Losungen, auf ihre eigentliche Färbung näher eingelassen“ habe.222 Allerdings gibt Gottschall zugleich zu bedenken, dass Die Journalisten als „Lebensbild“, mithin in ihrer zeitspezifischen Dimension, damit „für die Zukunft etwas blas gefärbt erscheinen“ werden.223 Tat-

218 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 34. 219 N. N.: [Rez.] Freytag, Gustav, die Journalisten. In: Literarisches Centralblatt für Deutschland, 13. Januar 1855 (Nr. 2), Sp. 26–27, hier Sp. 27. – Weiter führt das Centralblatt aus: „Das durfte der Verf. nicht zaghaft andeuten und errathen lassen, sondern mußte es in seinen Personen mit verkörpern, nur so hätte eine berechtigte Idee über eine unberechtigte den erfreulichen Sieg erkämpfen können; jetzt haben die Abgeordnetenwahl und der Zeitungskampf nur wegen der betheiligten Personen ein Interesse, und da wir nicht sehen warum sie kämpfen, finden wir es unnatürlich, daß der Besitz der Geliebten einer Majorität von 2 Wahlstimmen oder einem Zeitungsblatte geopfert werden soll.“ (Sp. 27) 220 Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 452. – Vgl. später mit ähnlicher Kritik auch: Kummer: Deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, S. 389. 221 Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 452. 222 Gottschall: Leipziger Stadttheater, S. 442. 223 Gottschall: Leipziger Stadttheater, S. 442.

2.3 Effekte des Realidealismus 

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sächlich lässt sich, wie an anderer Stelle genauer beschrieben,224 bereits seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beobachten, dass die in der frühen Rezeption sehr wohl wahrgenommene politische Dimension der Komödie kaum mehr als solche erfasst wird. Freytags Drama gilt Ende des Jahrhunderts vielfach als nur „scheinbar politische[s] Stück“,225 als „an sich tendenzlose[]“ und vor allem ‚gemütliche‘ Komödie“,226 als „harmlos liebenswürdige[s] […] Spiel“, das „den großen Kampf der Zeit“ bloß „geschickt zum Hintergrunde“ nehme227 und sich eher in einem so allgemeinen Thema wie dem „Widerstreit zwischen Liebe und Ehre“228 ergehe. Damit ist indes nur die eine Seite der Wirkungsgeschichte des Textes angesprochen. Beinahe gänzlich in Vergessenheit geraten ist die andere, nämlich der hohe zeitpolitische Stellenwert, der Freytags Text zuerkannt wurde, sowie der zeitspezifische Charakter der Komödie, der ihre frühe Rezeption als modernes Zeitbild überhaupt erst begründete. Ausgehend von der politisch motivierten Ablehnung des Stücks an der preußischen Hofbühne Ende 1852 wertet z.  B. der Dramatiker Ludwig Fulda Die Journalisten als ein gleichsam „aus den Kämpfen der Zeit geschöpfte[s] Drama“,229 das als Zeugnis des politischen Liberalismus und dessen  – von Autor und bürgerlichem Publikum geteilten – „vorwärtsstürmenden Empfindungen“ in dieser Form „ohne Nachfolge“ geblieben sei:230 Wir können es bei diesen vielbewunderten und in ihrer Art nie wieder erreichten ‚Journalisten‘ uns nicht eindrücklich genug vergegenwärtigen, daß sie nicht ein zufälliger Griff, ein glücklicher Einfall sind, sondern zu jenen gleichsam providentiellen Werken gehören, welche der Stimmung einer politisch bewegten Epoche den prägnantesten künstlerischen Ausdruck verleihen. […] [W]enn die Deutschen einmal zu einer wahrhaften politischen Komödie durchdringen sollten […] dann werden sie an dieses Werk anknüpfen müssen: unser einziges Lustspiel, welches den heißen Kampf der Zeit nicht nur zart berührt, sondern in durchsichtiger Verschleierung uns leibhaft vor Augen rückt.231

224 Vgl. Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus. 225 Neubauer: Zur Erinnerung an Gustav Freytag, S. 13. 226 Richard M. Meyer: Die deutsche Litteratur des neunzehnten Jahrhunderts [erster Teil]. Zweite Aufl. Berlin 1900, S. 392. 227 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S.  396; vgl. ähnlich auch Seiler: Gustav Freytag, S. 89. 228 Seiler: Gustav Freytag, S. 89. – Wortidentisch vertritt auch der Magdeburger Oberlehrer Richard Nordmann diese These (vgl. Nordmann: Gustav Freytag, S. 13  f.). 229 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 76. – Ähnlich formulierte 1916 auch Kohut, Freytags Komödie spiegele „die harten und bitten politischen Kämpfe der Zeit“ (Kohut: Gustav Freytag als Journalist und Redakteur, S. 112). Und schon 1883 hatte Robert Prölß das Drama als ein „unmittelbar aus den Gegensätzen und Kämpfen der Zeit entwickelte[s] Lustspiel“ bezeichnet (Robert Prölß: Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Zweite Hälfte: Das neuere Drama der Deutschen von Goethe’s Auftreten bis auf unsere Tage. Leipzig 1883, S. 317). 230 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 76. 231 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75.

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Ähnlich wie Fulda erkennt die Literaturwissenschaft in Person von Walter Dohn 1912 in Freytags Drama ein singuläres Beispiel für die nachrevolutionäre „Fortsetzung der Tendenzliteratur“ und das „Bedeutendste“, was auf dem Gebiete des „zahm geworden[en]“ politischen Lustspiels in jenen Jahren geschaffen wurde.232 Dass die Rezeption ‚um 1900‘ eben nicht allein auf den leutseligen Humor des Stücks oder den Realismus der Darstellung fokussierte und wie sehr die historische Rezeptionsanalyse ein ‚Befremden‘ gegenüber dem Gegenstand erfordert (bzw. dazu anregt), macht eine Äußerung Fritz Mauthners über Freytags Drama deutlich. Der jüdische Schriftsteller und Sprachphilosoph, bei dem solch nachdrücklicher Bezug auf Freytag auf den ersten Blick überrascht, betrachtet Die Journalisten als einen Text der liberalen Bewegung und nennt Freytags Lustspiel „die Meisterkomödie des bürgerlichen Liberalismus“.233 Wenngleich Rezeptionsakte sich grundsätzlich nicht immer als nachvollziehbare Text­effekte deuten lassen, sollte sich zu diesen konkreten Bedeutungszuschreibungen (und ihren m.  E. im Text vorhandenen Anknüpfungspunkten) verhalten, wer Freytags Stück nur als harmloses „Unterhaltungstheater“ und die daran verhandelten „Zeitgegensätze“ als bloße „Versatzstücke“ interpretiert.234 Insgesamt allerdings ‚verblasste‘ die politische Bedeutungsdimension der Komödie im Laufe ihrer Rezeptionsgeschichte in der Tat so, wie von Gottschall vorhergesagt; indirekt blieb aber in der Diagnose eines beginnenden Veraltens des Textes noch dessen spezifische Zeitgebundenheit sichtbar. Dass andersherum die immer wieder konstatierte Zeitlosigkeit der Komödie nicht bloß auf deren idealisierend-versöhnliche Darstellung zurückverweist, sondern diese selbst Ausdruck einer für die Nachmärzjahre zeittypischen gemäßigten Tendenz sowie eines politischen Versöhnungsprogramms ist, wurde kaum mehr registriert bzw. berücksichtigt. Als für das nachmärzlich-liberale Denken charakteristisches politisches Sinnangebot war etwa die versöhnlich-gemäßigte Darstellung des Parteienkonflikts späteren Rezipienten nicht mehr referentialisierbar. Lediglich vereinzelt hat auch die literatur- und theatergeschichtliche Forschung seit Mitte des 20. Jahrhunderts das politische Gepräge der seitdem eher wenig beachteten235 Journalisten noch hervorgehoben. So beurteilt Kindermann die Komödie 1965 in 232 Walter Dohn: Das Jahr 1848 im deutschen Drama und Epos. Stuttgart 1912, S. 184. 233 Fritz Mauthner: Friedrich Spielhagen. In: Das literarische Echo 11 (1908/09), H. 12, Sp. 852–858, hier Sp. 853. 234 So Arntzen, der urteilt, in den Journalisten würden die im Stück angedeuteten „Zeitgegensätze“ lediglich „zu Versatzstücken für das Unterhaltungstheater“ (Arntzen: Die ernste Komödie, S. 249). 235 Verwiesen sei hiermit zunächst auf die wichtigsten Forschungsbeiträge der vergangenen Jahrzehnte: Kenneth Bruce Beaton: Gustav Freytags „Die Journalisten“. Eine ‚politische‘ Komödie der Revolutionszeit. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 105 (1986), S. 516–543; Vgl. Robert Theel: Kommunikationsstörungen. Gustav Freytags Kritik an Parteipresse und Politikgeschäft in seinem Lustspiel „Die Journalisten“ (1852). In: Euphorion 90 (1996), H. 2, S. 185–205; Oliver Ruf: Gustav Freytags „Die Journalisten“ aus medienästhetischer Perspektive. In: Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in 4 Akten. Mit einem Nachwort hg. von dems. Hannover 2011, S. 111–126; Schofield: Private Lives and

2.3 Effekte des Realidealismus 

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seiner Theatergeschichte Europas als das „wesentlichste[] theatralische[] Dokument des deutschen Liberalismus“.236 Kafitz wiederum liest das Drama 1982 als „politisches Bekenntnis des Autors“237; und während Martini die Komödie der 1848er Jahre unter die Überschrift vom „Scheitern des politischen Lustspiels“ stellt,238 erklärt Beaton Die Journalisten 1986 in einem instruktiven Beitrag zu einer „politischen Komödie der Revolutionszeit“.239 Auch das Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte bestätigt die in diesem Kapitel vorgenommene komödiengeschichtliche und rezeptionshistorische Kontextualisierung, wenn Die Journalisten dort exemplarisch für die „wachsende Bedeutung der Politik und der aktuell werdenden sozialen Probleme“240 in der Komödie Mitte des 19. Jahrhunderts genannt werden. An diese Beobachtung anknüpfend möchte ich das Drama im Folgenden hinsichtlich seiner politischen Bedeutung sowie seiner Politikdarstellung analysieren und dabei politik- und sozialhistorisch einordnen. Das Stück, so soll gezeigt werden, ist sowohl im Hinblick auf die verhandelten Inhalte als auch auf die Form der Darstellung und vor allem im Hinblick auf die sich hierin artikulierende Geisteshaltung in besonderer Weise repräsentativ für den Nachmärz-Realismus. Es handelt sich seiner ganzen Anlage gemäß tatsächlich um ein ‚Zeitdrama‘ der Nachmärz-Ära, das – wie ich in diesem und dem darauffolgenden Kapitel darstellen möchte – einen umfassenden und tiefen Einblick in die Epoche sowie in das Gesamtwerk des Autors erlaubt. Erst allerdings wenn man den Text umfassend kontextualisiert und dabei neben sozial- und politikgeschichtlichen Gesichtspunkten auch Übereinstimmungen mit rezeptionshistorischen und programmatischen Quellen offenlegt, erweisen sich die breite zeitspezifische Dimension, die vielseitige Ausdeutbarkeit und das bisher unterschätzte Erkenntnispotential dieses Textes. Indem ich die folgende Analyse der Komödie stets auf Freytags Werk, seine eigenen poeto-politischen Positionen, zeitgenössische Quellen, Rezeptionszeugnisse und Denkfiguren sowie schließlich die im Text verhandelte bürgerliche Sozial- und journalistische Lebenswelt rückbeziehe, soll zum einen der nachmärzlich-liberalistische politische Sinnhorizont des Dramas, zum anderen dessen hoher politik- und sozialgeschichtlicher Erkenntniswert rekonturiert und rekonstruiert werden. Das Lustspiel von 1852 widmet sich mit dem Journalismus und dem Parlamentarismus einem Phänomen der damals jüngsten Zeitgeschichte. Es setzt die konkreten Umstände bei Landtagswahlen ebenso wie das neue Verhältnis von Presse, Politik

Collective Destinies, S. 85–93. – Die noch immer umfassendste Darstellung zu Freytags Komödie stellt Christa Barths Dissertation von 1949 dar: Barth: Gustav Freytags „Journalisten“. 236 Heinz Kindermann: Theatergeschichte Europas. Bd. 7: Realismus. Salzburg 1965, S. 141. 237 Dieter Kafitz: Grundzüge einer Geschichte des deutschen Dramas von Lessing bis zum Naturalismus. Bd. 2. Königstein 1982, S. 250. 238 Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus, S. 216. 239 Beaton: Gustav Freytags „Die Journalisten“. Eine ‚politische‘ Komödie der Revolutionszeit. 240 Daunicht/Kohlschmidt/Mohr: [Art.] ‚Lustspiel‘, S. 234.

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 2 Die Journalisten als Musterkomödie und Erfolgsstück

und Wahlmännerschaft ‚realistisch‘ ins Werk und beleuchtet sie (insbesondere das indirekte Wahlrecht) kritisch. Die hierbei erkennbare Position erweist sich als ein für die Jahrhundertmitte typischer liberaler Standpunkt (Kap. 3.1). Die liberale Parteinahme und die eindeutige Sympathieverteilung des Textes bedingen zwar ein gewisses Provokationspotential in der Frührezeption und deuten auf zeitcharakteristische Auseinandersetzungen hin, letztlich ist aber vor allem die nur behutsam profilierte Konfliktkonstellation kennzeichnend für die Komödie und deren geistesgeschichtlichen Standort (Kap. 3.2). Sie ist dies außerdem für Freytags Nachmärz-Werk im Allgemeinen. Über die (u.  a. im Fassungsvergleich mit der ersten Bühnenausgabe genauer zu beschreibende) Konfliktgestaltung werden die Unterschiede zur Vormärz-Dramatik des Autors und ein für den nachrevolutionären Grenzboten-Realismus spezifisches Versöhnungsprogramm sichtbar. Dieses fußt auf einer bürgerlichen Geschichtsteleologie, deren Leitgedanke der ‚Verbürgerlichung‘ sich auch in der Komödie abbildet (Kap. 3.3). Wie sehr das Drama die nachmärzlichen bürgerlichen Handlungslogiken und Sinnangebote ausagiert, lässt sich exemplarisch anhand des zentralen Epochenbegriffs der ‚Resignation‘ veranschaulichen, der im Text reflektiert, in der Rezeption aufgegriffen und in den Kontexten erörtert wird (Kap. 3.4). Ausgehen möchte ich in meinen Überlegungen von jener schnell als schlechthin unpolitisch geltenden241 Szene II/2, die sich sowohl als beliebteste und wirkmächtigste Teilhandlung wie auch als „Höhepunkt“242, ja als „Aktionszentrum“243 des Dramas durch dessen Rezeptionsgeschichte zieht: die sog. „Piepenbrink-Szene“.244

241 So spricht Gottschall mit Blick auf die Szenenfolge des zweiten Aktes von „lustigen Scenen, in denen das Parteigespinst beiseitegelegt wird von einem fröhlichen Humor, der keine andern Götter kennt“ (Gottschall: Gustav Freytag, S. 332). 242 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 390; Alma Roedder: Das Problem der dramatischen Gestaltung im deutschen Lustspiel. Hamburg 1926, S. 47. 243 Stauch-von Quitzow: Ein Lustspiel der Versöhnung. 244 Stauch-von Quitzow: Ein Lustspiel der Versöhnung.

3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“. Die Journalisten als n ­ achmärzliches Zeitdrama 3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 3.1.1 Die ‚Piepenbrink-Szene‘ II/2 Einen Hinweis darauf, dass die Szene  II/2 auch von Freytag selbst als Höhepunkt seines Textes vorgesehen war, liefert seine gleichnamige Vorarbeit zu Die Technik des Dramas, die er 1849 in den Grenzboten veröffentlichte. Als entscheidende Bedingung für ein gelungenes Drama nennt er darin u.  a. „die Concentration des Stückes in der Mitte“.1 Der „Höhepunkt“ müsse „so ziemlich in die Mitte des Stückes“2 fallen – ganz gleich, welche Ausgabe der Journalisten man heranzieht, man wird diese buchstäblich zentrale Szene II/2 dem Seitenumfang nach stets so ‚ziemlich in der Mitte‘ des „Lustspiels in vier Acten“ (so der Untertitel) finden. Durch die eher atypische Szenenstruktur und dadurch, dass spätere Textausgaben – etwa der Reclam-Abdruck von 1926 – das Stück nach dem Tod des Autors z.  T. nicht mehr nur nach Szenen, sondern zusätzlich nach Auftritten gegliedert haben, ist ein bisschen in Verborgenheit geraten, dass die Szene II/2 auch architektonisch exakt die Mitte des Stücks bildet. Es handelt sich nämlich genau genommen um die vierte von insgesamt sieben Szenen.3 Als das Stück auf Bitte des Intendanten Eduard Devrient für die Karlsruher Premiere in fünf Akte eingeteilt wurde4 (was Freytag schon für die Buchausgabe von 1854 und spätere Aufführungen5 wieder rückgängig machte), bildete die sog. ‚Ressourcenszene‘ entsprechend den dritten Akt. Wie man dem Blatt entnehmen kann, mit dem Freytag und Devrient die Karlsruher Änderungen allen anderen Bühnen zur Umsetzungen emp-

1 Gustav Freytag: Die Technik des Dramas. In: Die Grenzboten 8 (1849), II. Semester, III. Band, S. 11– 22, hier S. 15. 2 Freytag: Die Technik des Dramas, S. 15. 3 Weil ihm offenbar im Idealfall an einem sofort sichtbaren symmetrischen Aufbau gelegen war, überlegte Freytag Ende November 1852 zunächst noch, das Stück auf drei Akte zusammenzuziehen, vgl. Freytag an Eduard Devrient, 25. November 1852. In: H. Devrient [Hg.]: Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient, S. 132. 4 Vgl. Freytag an Eduard Devrient, 25. November 1852. In: H. Devrient [Hg.]: Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient, S. 132  f.; Devrient: Aus seinen Tagebüchern, S. 11. 5 So schreibt er am 29. Mai 1857 an die Berliner Intendanz: „Nur die Bitte habe ich, das Stück in 4 Akten zu geben. Herr Dir. Devrient hatte mich aufgefordert, den ersten und zweiten Akt so zu theilen, daß drei daraus würden, ich kann mich aber nicht davon überzeugen, daß solche Verlängerung ein wesentlicher Vortheil ist und halte es für besser, bei der ursprünglichen Form zu bleiben“ (Droescher: Gustav Freytags Schriftwechsel mit der Generalintendanz der Königlichen Schauspiele, S. 145). https://doi.org/10.1515/9783110541779-005

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

fahlen, sahen Dichter und Theaterleiter in dieser Szene II/2 tatsächlich den „Höhepunkt der Handlung“.6 Über die Schlüsselszene, in der Konrad Bolz der konservativen Gegenpartei auf deren Fest den Wahlmann Piepenbrink abspenstig macht, weiß die Leipziger Illustrirte Zeitung schon im Mai 1853 (also etwa ein halbes Jahr nach der Uraufführung) zu berichten, dass sie „bei allen bisherigen Aufführungen übrigens von eclatantem Erfolge gewesen“ sei.7 Einen Monat zuvor wurde sie schon von der Allgemeinen Thea­ ter-Chronik als „wahres Meisterstück komischer Composition“, nach der „eine Steigerung nicht mehr möglich“ sei, bezeichnet.8 Die Illustrirte Zeitung stellt diese Szene ihrer Leserschaft zudem mittels einer Illustration vor Augen. Im weiteren Rezeptionsverlauf wird die weinselige Verbrüderung von Bolz und Piepenbrink als Kernszene9 des Stücks bestätigt und kanonisiert. Für Conrad Alberti handelt es sich hierbei um nichts Geringeres als „die beste Scene des besten deutschen Lustspiels“.10 Und Georg Droescher bemüht sich um weitere Superlative und für die Rezeption des Texts typische Analogien, wenn er 1919 befindet: Die […] Szene ist schlechterdings das Beste, was Freytag auf dramatischem Gebiete geschaffen hat, dieser Abschluß darf als das vorzügliche Lehrbeispiel heiterer Hochkunst gelten, wie jenes zweite Finale in Kabale und Liebe das Muster tragischer Gipfelung bedeutet; er bildet den Glanzpunkt unseres Lustspiels.11

Der Erfolg des Dramas wird auch in der späteren Rezeption häufig von dieser Szene aus begründet – so schreibt etwa Rothfuchs 1929: „In der zweiten Szene des zweiten

6 [Beiblatt] „Scenierung und Arrangement des Lustspiels“ (BümaJour / GSA 19/29). – Zum Aufbau der Journalisten vor dem Hintergrund von Freytags Dramenschema vgl. auch Rogge: Das Problem der dramatischen Gestaltung, S. 47. 7 [Robert Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“. In: Illustrirte Zeitung [Leipzig], Bd. 20, 21. Mai 1853 (Nr. 516), S. 329–330, hier S. 330. – Der Artikel ist zwar nicht namentlich gekennzeichnet, bei dem Verfasser handelt es sich aber sehr wahrscheinlich um Robert Giseke, da Übereinstimmungen zu seinen Artikeln aus der Novellen-Zeitung erkennbar sind: R[obert] Giseke: Literaturbericht. „Die Journalisten“. In: Novellen-Zeitung 3 (1854), 7. Juni 1854 (Nr. 23, Nr. 543 der ganzen Reihe), 14. Juni (Nr. 24, Nr. 544 der ganzen Reihe), S. 367, S. 383  f.; [Robert Giseke]: Bilder aus der neuesten Literatur. Die Journalisten (Lustspiel in vier Acten von Gustav Freytag). In: Novellen-Zeitung 2 (1853), 30. März 1853 (Nr. 13, Nr. 481 der ganzen Reihe), S. 196–201. 8 N. N.: Correspondenz. Berlin, den 12. April. In: Allgemeine Theater-Chronik. Organ für das Ge­sammt­ interesse der deutschen Bühnen und ihrer Mitglieder 22 (1853), 22. April 1853 (Nr. 49–51), S. 194  f., hier S. 195. 9 So sieht etwa Ludwig Römer in der Szene das „Hauptstück“ des Textes: Ludwig Römer: Gespräch über Gustav Freytag. In: Das Prisma. Blätter der Vereinigten Stadttheater Bochum-Duisburg 4 (1927/28), H. 27: Die Journalisten, Sp. 313–315, hier Sp. 314. 10 Conrad Alberti: Gustav Freytag (geb. den 13. Juli 1816). Ein Festblatt zur Feier seines siebzigsten Geburtstages. Leipzig 1886, S. 72. 11 Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 73.

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

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Abb. 8: Zeichnung der Schlüsselszene in der Leipziger Illustrirten Zeitung vom 21. Mai 1853

Aktes feiert Freytags Humor die glänzendsten Triumphe; sie läßt uns mitverstehen, weshalb die Journalisten […] immer noch über die Bretter gehen.“12 Die Bedeutung dieser Szene und die rezeptionshistorische Tatsache, dass die Szene zum Inbegriff des Dramas selbst wird, belegen u.  a. zahlreiche weitere Illustrationen, die sich im Bildausschnitt und Gegenstand ebenso wie in der Art und Weise der Darstellung auffällig gleichen (auch wenn z.  T. zeitspezifische Aktualisierungen erkennbar sind13). Von der Leipziger Zeitungsillustration 1853 (Abb. 8)14 über die

12 Rothfuchs: Der selbstbiographische Gehalt in Gustav Freytags Werken, S. 46; vgl. in diesem Sinne auch Rogge: Das Problem der dramatischen Gestaltung, S. 46, 49; A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater. Vorgestern zum ersten Male: „Die Journalisten.“ Lustspiel in vier Acten von Gustav Freytag. In: Humorist und Wiener Punch, 17. Jahrgang, 16. September 1853 (No. 213), S. 851. 13 Besonders deutlich fällt der Unterschied zwischen der Leipziger Zeitungsillustration von 1853 und dem Liebig-Sammelbild von 1897 ins Auge: Ist Bolz 1853 noch mit jungdeutscher Bartmode – wie sie zu dieser Zeit auch Freytag trug – und Piepenbrink als feiste Biedermeiergestalt gezeichnet, zeigt sich das Liebig-Bild in der Figurendarstellung (insbesondere im Kleidungsstil) modernisiert. Der deutlich erschlankte Weinhändler Piepenbrink ist hier allenfalls an der deutlich geröteten Nase als humoristische Figur erkennbar. 14 Illustrirte Zeitung [Leipzig], Bd. 20, 21. Mai 1853 (Nr. 516), S. 329.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

Abb. 9: Titelvignette Ludwig Richters zur Ausgabe von 1862

Titelvignette Ludwig Richters 1862 (Abb. 9)15 bis hin zur repräsentativen Bebilderung des Dramas in der Gustav Freytag-Galerie – einem Prachtwerk mit Illustrationen zum Werk des Autors von 1882 – (Abb. 10)16 ist das Szenenbild zur bildlichen Entsprechung des Textes selbst und 1897 als Liebig-Sammelbild (Abb. 11)17 schließlich zum kanonisierten nationalen Gemeingut geworden. „Man kennt die Scene in den ‚Journalisten‘, in der Bolz, der Tausendsassa, sich die Gunst und die Wahlstimme des einflussreichen Weinhändlers Piepenbrink sichert“,18 heißt es demnach 1896 in der Tages-Post über jene Szenenfolge des zweiten Aktes, die so beliebt und vertraut war, dass man diese 1868 bei der Festveranstaltung zum 15 Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in vier Akten. Zweite Aufl. Mit einer Vignette von Ludwig Richter. Leipzig 1862. 16 Johann Herterich: Bolz und Piepenbrink [Illustration]. In: Johannes Proelß u. Julius Kiffert (Hg.): Gustav Freytag-Galerie. Nach den Originalgemälden und Cartons der ersten Meister der Neuzeit photographiert in 30 Blättern von Fr. Bruckmann in München. Mit begleitenden Texten von dens. Leipzig 1882, S. 46–47. 17 G. Freytag  – Die Journalisten (1897, Serie 357: Deutsche Bühnendichter, Bild 6, Atlasnummer: 01/2219). In: Liebig’s Sammelbilder. Vollständige Ausgabe der Serien 1 bis 1138. Eine Publikation des Max-Planck-Instituts für Geschichte, hg. von Bernhard Jussen auf der Grundlage der Sammlung Hartmut Köberich. Berlin 2002 [2 CD-ROMs]. 18 N. N.: Der neue Piepenbrink. In: Tages-Post, 12. Dezember 1896 (Nr. 287), S. 3.

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

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Abb. 10: Die Szene II/2 als Illustration zum Drama in der Gustav Freytag-Galerie (1882)

25-jährigen Bestehen des Hamburger Thalia-Theaters gesondert zum Besten gab.19 Dementsprechend kann auch die Gustav Freytag-Galerie den Inhalt des Stücks und Gegenstand der Darstellung als bekannt voraussetzen20:

19 Vgl. Lange: Festvorstellung im Thalia-Theater. 20 Da ebendiese Voraussetzungen angesichts des Bedeutungsverlustes des Stücks selbst in literaturgeschichtlich äußerst kundigen Kreisen nicht mehr gegeben sind, sei die Szene kurz im Inhalt des Stücks verortet: Die Journalisten handeln von der Auseinandersetzung zwischen zwei lokalen Parteiblättern – der liberalen Zeitung „Union“ und dem konservativen Organ „Coriolan“. Das Stück spielt in einer nicht näher bezeichneten Provinzstadt zu einem nicht näher datierten Zeitpunkt. Der Text allerdings legt nahe, dass die Handlung in Preußen – und zwar in den unmittelbaren Nachmärzjahren – zu verorten ist. Hintergrund ist eine Landtagswahl. Als Abgeordneter für die Liberalen kandidiert der Chefredakteur der liberalen Zeitung, Professor Oldendorf. Um diese Wahl zu verhindern, wirbt die konservative Seite einen Oberst namens Berg als Gegenkandidaten an, mit dessen Tochter Oldendorf

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Abb. 11: Freytags Die Journalisten als LiebigSammelbild von 1897 Der schlaue geistreiche gewandte Journalist Doktor Konrad Bolz und der biedere lebenslustige joviale Weinhändler Philipp Piepenbrink: wer kennt und liebt sie nicht diese echten lebensvollen Lustspielfiguren, diese vom Humor verklärten, aber aus der realen Welt unseres modernen Lebens frisch herausgegriffenen Gestalten.21 verbunden ist. Berg fordert Oldendorf zum Verzicht auf die Kandidatur auf, was dieser von sich weist. Der Bruch zwischen den beiden Männern scheint unausweichlich – erst recht als der gewitzte liberale Redakteur Bolz auf das kalkulierte Anwerbemanöver der Konservativen um den Junker Senden seinerseits mit einem ausgeklügelten Schachzug reagiert: Es gelingt ihm, der Gegenpartei den sichergeglaubten Wahlmann Piepenbrink ausgerechnet beim Parteifest der Konservativen abspenstig zu machen und Oldendorf so die knappe Stimmenmehrheit zu sichern. Bolz’ Winkelzug und seine breit ausgeschriebene Eroberung des Weinhändlers Piepenbrink bilden den humoristischen Höhepunkt des Stücks und den Inhalt der hier und im Folgenden erläuterten Szene II/2, durch die der Konflikt zwischen den Parteien sowie den Kandidaten noch verschärft wird. Den Journalisten und künftigen Abgeordneten der liberalen Partei, Professor Oldendorf, will Oberst Berg nun nämlich auf keinen Fall mehr als Schwiegersohn akzeptieren. Die vertrackte Situation wird schließlich von der adligen Gutsbesitzerin Adelheid von Runeck gelöst. Heimlich kauft sie die liberale Zeitung auf, so dass Oldendorf in Befürchtung einer ‚feindlichen‘ konservativen Übernahme seines Blatts als Chefredakteur zurücktritt und damit den Oberst besänftigt. Indem Adelheid das liberale Blatt aber ihrer Jugendliebe Bolz überschreibt, hält sie nicht nur die intrigante konservative Partei zum Besten, sondern legt die Grundlage für jene Doppelhochzeit, die am Ende des Stücks angekündigt wird. 21 Proelß/Kiffert: Gustav Freytag-Galerie, S. 47. – Noch 1929 heißt es vergleichbar über die „Prachtgestalt Piepenbrinks“: „Wer kennte ihn nicht, den Biedermann mit seinem dröhnenden, gesunden Lachen?“ (Rothfuchs: Der selbstbiographische Gehalt in Gustav Freytags Werken, S. 46).

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

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Es ist symptomatisch für die gesamte Wirkungsgeschichte des Textes, dass die schon bei Fontane und Gottschall in den 1880er Jahren redensartlich gewordene ‚Piepenbrink-Szene‘ vor allem in der späteren Rezeption für ihre „Frische“22 und ihren „liebenswürdigen“23 oder gar „an Dickens anklingende[n] Humor“24 gelobt wird, dass hier neben der Kenntnis des Stücks auch die Sympathie für die Figuren nicht in Frage steht, ja, dass die Bezugnahme auf Bolz und Piepenbrink im Gegensatz zur frühen Rezeption später durchweg positiv erfolgt. In dieser Hinsicht ist die Szene tatsächlich geeignet, für das ganze Drama zu stehen. Denn so, wie sich die Rezeption der Journalisten von einem stellenweise sehr kontrovers wahrgenommenen Stück, das das Berliner Hoftheater aus politischen Gründen ablehnte und das auch an der Wiener Burg kritisch betrachtet wurde,25 zu einem „harmlose[n] […] historische[n] Lustspiel“26 wandelte, galt etwa auch die Figur des Weinhändlers Piepenbrink nicht immer schon als Inkarnation eines jovialgesetzten und behaglichen Humors. Anlässlich der Uraufführung schrieb etwa die Breslauer Morgenzeitung: „Piepenbrink ist ein Humorist der Spießbürgerlichkeit, der Bonhommie, des beschränkten Gutschmeckerverstandes“27  – mit anderen Worten: die Karikatur eines Bürgers. Zwar wurde das Lächerliche und Karikatureske der in dieser Szene als Spießbürger vorgeführten Figur durchaus erkannt28 (so dass u.  a. Seiler sich gezwungen sah, den Weinhändler mit einer Auflistung von dessen bürgerlichen Eigenschaften zu verteidigen29 und auch Julian Schmidt sich bemüßigt fühlte, die Spießbürgerfigur

22 Th[eodor] F[ontane]: [Gustav Freytag: Die Journalisten]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 13. Oktober 1889, Morgenausgabe (Nr. 479). – Vgl. auch: Th[eodor] F[ontane]: [Gustav Freytag: Die Journalisten]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 04. November 1888, Morgenausgabe (Nr. 523). 23 Proelß/Kiffert: Die Journalisten. In: Gustav Freytag-Galerie, S. 48. 24 Gottschall: Leipziger Stadttheater, S. 442. 25 Vgl. H[einrich] H[ubert] Houben: Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart. Ein kritisch-historisches Lexikon über verbotene Bücher, Zeitschriften und Theaterstücke, Schriftsteller und Verleger. [Bd. 1]. Berlin 1924, S. 202. – Siehe dazu auch genauer die weiteren Ausführungen in Kap. 3.2.1. 26 Rosenthal: Anhang. Die erste Bühnenausgabe von Freytags „Journalisten“, S. 156. 27 Zit. n. Heinrich Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 389. 28 Für Conrad Alberti etwa stellt die Familie Piepenbrink das Geschlecht der „Philister und beschränkten Köpfe“ dar. Ihnen weist er daher folgende Eigenschaften zu: „Beschränktheit in den Anschauungen, enger Gesichtskreis, großes Selbstbewusstsein, Stolz auf die große Lebenserfahrung und dabei fabelhafte Leichtgläubigkeit“ (Alberti: Gustav Freytag. Ein Festblatt zur Feier seines siebzigsten Geburtstages, S. 62, 34). – Als humoristische Wiedergabe des „Spießbürgerthum[s]“ wird die Szene auch gedeutet bei: A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater, S. 851. 29 „Piepenbrink ist durchaus nicht lediglich eine lächerliche Persönlichkeit; er hat auch vortreffliche Seiten, Herzlichkeit, Edelmut, Sinn für Freundschaft, ja eine gewisse gutmütige Fähigkeit, sich rühren zu lassen“ (Seiler: Gustav Freytag, S. 89).

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in einer für die Grenzboten typischen Argumentation zu idealisieren30); dass Freytags Philisterkritik allerdings nur vereinzelt Beachtung geschenkt und der Charakter Piepenbrink stattdessen massiv überhöht wurde, ist bezeichnend für die bürgerliche Selbstdefinition im 19. Jahrhundert.31 Überspitzt formuliert: In der Sympathie für den leutselig-selbstzufriedenen und offensiv unpolitischen Bürger Piepenbrink, wie sie zahllosen Rezeptionszeugnissen ablesbar ist, spiegelt sich das bürgerliche Selbstverständnis der Zeit – eine Erkenntnisperspektive, die so erst aus der rezeptionshistorischen Analyse erschlossen werden kann. In dem Maße, in dem die insgesamt von einer Tendenz zur Entpolitisierung des Stücks gekennzeichnete Rezeptionsgeschichte das Ausgleichende und humorvoll Versöhnende, mithin das Unpolitische des Dramas in den Mittelpunkt stellte und dem Text positiv anrechnete,32 wurde gerade dieses Unpolitische nicht mehr in seiner zeitspezifischen Dimension erfasst. Das gilt für die tendenziöse Tendenzlosigkeit als nachmärzliches Sinnangebot ebenso wie für das tatsächlich bis zur Karikatur zugespitzte Desinteresse des Weinhändlers an der Politik. Ehe dieser erstmals auftritt, weiß der Redakteur Kämpe über ihn mitzuteilen: „Er soll sehr grob sein und sich um Politik gar nicht kümmern“ (I/2; GW III, 22).33 In der Tat besteht die Pointe der Piepenbrink-Szene gerade darin, dass Bolz hier Politik macht, indem er alle Politik verleugnet. Mehr noch: Bolz macht den unpolitischen Parteigänger der Konservativen zum Wahlmann des reformorientierten und politisch ambitionierten liberalen Kandidaten, indem er sich über dessen politisches Programm wohlweislich ausschweigt.34 Nicht nur bestreitet Bolz selbst jegliches politische Interesse (über Oldendorf: „Seine politischen Ansichten kümmern mich hier nicht“; II/2; GW III, 60); er sensibilisiert Piepenbrink zudem für den eigentlichen politischen Zweck des Festes und dafür, dass der Wahlmann hier aus Gründen eingeladen wurde (vgl. 58  f.). Dass Piepenbrink 30 Über die Figuren in Freytags Drama schreibt Schmidt: „gerade die komisch behandelten sind die besten, vor allen der wackere Piepenbrink, der trotz seiner närrischen Manieren und seines despotischen Wesens ein so warmes und redliches Herz hat, wie es nur je in der Brust eines Weinhändlers geschlagen“ (Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 306). Schmidts Überhöhung Piepenbrinks wirkt hier nicht nur aufgrund des Gegenstands der ins Missverhältnis geratenen Übertreibung beinahe unfreiwillig komisch, sondern auch weil sie die für die Grenzboten charakteristische Verherrlichung des Bürgers als nicht mehr begründungsbedürftiges, sondern schlichtweg behauptetes bzw. vorausgesetztes leeres Axiom offenbart. 31 Freytag hat den Charakter Philipp Piepenbrink, dessen breite Bekanntheit er offenbar noch 1870 voraussetzen konnte, in diesem Jahr für eine unter dem Namen des Weinhändlers veröffentlichte Kriegs-Kolumne in den Grenzboten wiederaufleben lassen. Beginnt der Text auch launig, so ist der Weinhändler hier deutlich ernster und politischer geworden (vgl. P[hilipp] P[iepenbrink] [i.  e. Gustav Freytag]: Während des Krieges. 1. Brief an die Grenzboten [1870]. In: GW XV, 362–370). 32 Vgl. hierzu auch: Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus. 33 Die Zitation des Dramas erfolgt nach dem Muster: Akt/Szene, Sigle, Seitenzahl. 34 Vgl. Hartmut Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“. Journalistenkomödien von Kotzebue bis Schnitzler. In. ders.: Liebe und Liberalismus. Über Arthur Schnitzler. Bielefeld 1996, S. 9–57, hier S. 51.

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

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schließlich dem konservativen Senden eine Abfuhr erteilt, weil er sich von diesem politisch instrumentalisiert wähnt,35 während er zugleich unbemerkt zum Spielball des Liberalen Bolz wird, macht die Ironie der Szene aus. Indem Piepenbrink sich daraufhin endgültig für die Gegenseite und das Verlassen des Festes entscheidet, handelt er nicht nur bar jeder, sondern gegen jede politische Logik. Ohnehin scheint Piepenbrink das Fest der Konservativen kaum aus politischem Interesse oder im Bewusstsein seiner Aufgabe als Wahlmann zu besuchen, wie bereits sein Einzug verdeutlicht (vgl. 52). In dem von ihm als lästig empfundenen „Gedränge“ (52) der Veranstaltung sucht er nicht das Gespräch oder den politischen Disput, sondern seine Ruhe („[h]ier ist ein ruhiger Ort, hier wird hergesetzt“; 52) und sein Amüsement: „Ich habe keine Stimme abzugeben und ich lobe mir eine Gesellschaft, wo man an nichts Anderes denkt, als sich mit seinem Nachbar zu freuen und aufmerksam zu sein gegen die Königinnen der Gesellschaft, gegen holde Frauen!“ (59) Dies spiegelt nicht zuletzt die Gepflogenheiten einer bürgerlichen Lebenswelt, in der der Abend einerseits zunehmend für den – von der Arbeit und der Politik eigentlich getrennten – Bereich des Privaten reserviert ist und Feste auch im privaten Raum üblich werden, bürgerliche Geselligkeit am Abend andererseits zugleich durch eine informelle Übergängigkeit der Sphären des Privaten, Beruflichen und Politischen gekennzeichnet ist.36 Ganz augenscheinlich handelt es sich bei dem von den Konservativen veranstalteten Fest auch nicht um eine politische Veranstaltung im engeren Sinn, vielmehr um eine aus verschleiertem politischen Kalkül organisierte ‚Unterhaltungsgelegenheit‘ zur Pflege und Freude des eigenen Unterstützerkreises sowie vor allem zum Zweck des „großen Fischzug[s] nach Wahlmännern“ (I/2; GW III, 29).37 Zu diesem „Klubfest“ (29) sind daher auch Begleitung und Familienmitglieder eingeladen, sogar der Diener Korb erhält eine von zahlreichen Eintrittskarten, die Senden an Adelheid geschickt hat (vgl. 28  f.). Bolz wird das Offensichtliche dann Piepenbrink gegenüber aussprechen: „[W]enn ich mir denke, diese Leute sind nicht zusammengebeten, damit sie recht von Herzen vergnügt sind, sondern damit sie nächstens ihre Stimmen dem oder jenem Herren geben, so werde ich kalt“ (II/2; GW III, 58  f.). Da schwant es denn selbst dem notorisch verschlafenen Kleinmichel: „Ich hoffe, es wird hier keine Verpflichtung 35 „Ho ho! ich sehe wohl, wie die Sache steht. Ich gehöre auch nicht zu eurer Geschichte, mich aber wollt ihr haben. Deshalb seid ihr mir zwei oder dreimal ins Haus gelaufen, weil ihr dachtet mich zu kapern. Weil ich Wahlmann bin, deshalb liegt euch an mir; […]. Solche Schliche kennen wir!“ (II/2; GW III, 64  f.). 36 Vgl. Anne Martin-Fugier: Riten der Bürgerlichkeit. In: Philippe Ariès und Georges Duby (Hg.): Geschichte des privaten Lebens, Bd. 4: Von der Revolution zum Großen Krieg, hg. von Michelle Perrot. Frankfurt a.  M. 1992, S. 201–266, hier S. 206–222; Gunilla Budde: Blütezeit des Bürgertums. Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Darmstadt 2009, S. 88–91. 37 Immerhin stellt sich die Ausgangslage wie folgt dar: „Kämpe. Von den 100 Wahlmännern unserer Stadt gehören 40 mit Sicherheit zu uns, ungefähr ebenso viel stehen auf den Listen der Gegenpartei, der Rest von etwa 20 Stimmen ist unsicher. Es ist klar, daß die Wahl nur mit sehr kleiner Majorität vor sich gehen wird“ (I/2; GW III, 21).

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unterschrieben.“ (59) Die Idee zu dem Fest stammt von Blumenberg, dem maliziösen konservativen Redakteur des Coriolan, und dieser weiß, was man dem unpolitischen nachmärzlichen Bürgertum bieten muss, damit es politisch gefügig wird: Senden. Diese guten Bürger sind entzückt über unser Arrangement. – Das mit dem Fest war ein vortrefflicher Gedanke von Ihnen, Blumenberg. Blumenberg. Machen Sie nur, daß die Leute schnell warm werden. Etwas Musik thut zum Anfang gute Dienste, am besten sind Wiener Tänze wegen der Frauen. Dann kommt eine Rede von Ihnen, dann einige Gesangstücke, und beim Essen die Vorstellung des Obersten und die Gesundheiten! Es kann nicht fehlen, die Leute müssen Herzen von Stein haben, wenn sie ihre Stimmen nicht geben zum Dank für ein solches Fest. (II/2; GW III, 44  f.)

Mit der vordergründigen Entpolitisierung des politischen Fests, das während der Ereignisse von 1848/1849 noch ein zentrales „Kommunikationsforum der revolutionären Öffentlichkeit“38 war, greift der Text eine nachmärzliche Entwicklung auf. Zugleich deutet das Drama auf den sozialgeschichtlich bemerkenswerten Umstand hin, dass auch Lokalpolitik in der postrevolutionären preußischen Provinz nur noch über die Standesgrenzen hinaus erfolgreich funktioniert. Selbst der konservative Junker Senden muss deshalb primär das Bürgertum adressieren und ein solches Fest ausrichten, „wo die vornehmen Leute mit den Bürgern Arm in Arm gehen“ (29). Der Weinhändler Piepenbrink allerdings verkörpert den bürgerlichen Rückzug auf sich selbst und zieht es vor, beim Fest seinen eigenen, selbst mitgebrachten Wein zu trinken. Auch sonst bleibt er am liebsten unter Seinesgleichen39 – im Kreis seiner Familie nämlich und in der Gesellschaft seines Nachbarn, mit dem er sich über die Heirat der Kinder (Bertha Piepenbrink und Fritz Kleinmichel) noch enger verbinden wird. Wann die Hochzeit stattfinden darf, das gibt der Weinhändler seinem angehenden Schwiegersohn deutlich zu verstehen, darüber entscheiden nicht etwa Braut und Bräutigam, das bestimmt vielmehr allein Piepenbrink als pater familias (vgl. II/2; GW III, 53). Lässt man die überspitzt-ironische Zeichnung zunächst außer Acht, ist die Darstellung der Piepenbrinks ebenfalls typisch für die bürgerliche Lebenswelt des 19. Jahrhunderts: Präsentiert wird eine patriarchal organisierte Familie als elementare Lebensform, die nicht als Teil eines größeren Sozialverbands auftritt, sondern in ihren privaten Bindungen vorgeführt wird (die Piepenbrinks werden von der Nachbarsfamilie begleitet).40 Die sich ankündigende Verbindung der beiden Nachbars38 Frank Lorenz Müller: Die Revolution von 1848/49, 2., überarb. Aufl. Darmstadt 2006, S. 77. – Zum bürgerlichen Fest im 19. Jahrhundert vgl. weiterführend: Budde: Blütezeit des Bürgertums, S. 90  f. 39 „Piepenbrink. […] es ist mir lieber, wenn ihr bei uns bleibt. Ich habe gern alle meine Leute beisammen“ (II/2; GW III, 52). 40 Auch Richard Hamel spricht 1900 von den Piepenbrinks als einer „klassischen Familie“ und davon, dass Freytag hier „das ganze behagliche, echt deutsch gefühlte und geschaute Milieu“ eingefangen habe (Hamel: Freitag. Die Journalisten, S. 112).

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kinder entspricht ebenfalls der Logik der bürgerlichen Partnerwahl. Grundlegend für diese war neben der persönlichen Zuneigung „die Selbstbeschränkung […] auf das eigene Herkunfts- und Sozialmilieu in der Absicht, die materiellen Ressourcen zu stabilisieren“.41 Piepenbrinks Horizont ist demnach sehr eng bemessen, und innerhalb dieses Rahmens weiß Bolz ihn auch anzusprechen. Bolz versucht gar nicht erst, den Wahlmann direkt über die Politik zu gewinnen, sondern vollzieht seine Mission am Glas, beim geselligen Weintrinken im Privaten. Dabei schmeichelt er Piepenbrink, indem er ihn zunächst direkt in seiner bürgerlichen Reputation als besten Weinhändler der Stadt rühmt (vgl. 54). Nachdem er dessen Wein gelobt hat, widmet er sich Piepenbrinks weiteren Mitbringseln und tritt gegenüber dessen Tochter und insbesondere dessen Frau als Charmeur auf. Wer die Frau umwirbt, ehrt in diesem Sinne auch den Gatten. Entscheidend für Bolz’ Überzeugungsarbeit ist jedoch die abenteuerliche Geschichte seiner Rettung aus den Flammen durch den Kandidaten Oldendorf. Mit dieser bezeugt er für Oldendorf jene Eigenschaften und überpolitischen bürgerlichen Tugenden wie schnelles entschlossenes Handeln und „das Herz auf dem rechten Fleck“ (62), die er vorher zum allgemeinen Anforderungsprofil eines Abgeordneten erklärt hatte und die insofern zeitrepräsentativ sind als die Wahlen in dieser Zeit noch stark den Charakter von „persönliche[n] Vertrauenserklärungen“42 hatten: „[W]as verlange ich von einem Deputirten? Daß er ein Mann ist; daß er ein warmes Herz hat und ein sicheres Urtheil, und ohne Schwanken und Umherfragen weiß, was gut und recht ist; und dann, daß er auch die Kraft hat zu thun, was er für recht erkennt, ohne Zaudern, ohne Bedenken“ (60). Dass Bolz mit seiner Rettungsgeschichte das bürgerliche Innenleben der Familie Piepenbrink erobert hat, zeigt die karikaturartigverdichtete Reaktion von Frau Piepenbrink: „Frau Piepenbrink (gerührt). Piepenbrink, wir haben morgen Kalbsbraten. Was meinst Du?“ (63).43 Wie sehr Bolz mit seiner Rede vom guten Deputierten zugleich Piepenbrinks eigene Maßstäbe für die Beurteilung der öffentlichen Sache trifft, bestätigt neben der Fest-Szene auch des Weinhändlers neuerlicher Auftritt im Haus des Obersten (vgl. III; GW III, 87–89). Dessen Verdienste um die Stadt würdigend, offenbart Piepenbrink einmal mehr die Ansprüche seines politischen Denkens. Politik, das ist für Piepenbrink in erster Linie „brave Gesinnung“, Verlässlichkeit sowie ein „schlicht[es] und treuherzig[es]“ Wesen  – „[b]ei Armuth, bei Theuerung, in Vormundschaften, auch bei unserm Schützenfest“ (87). Liebenswürdig-karikierend wird hier die Basalstufe

41 Andreas Schulz: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert. München 2005, S. 6. 42 Thomas Nipperdey: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918. Düsseldorf 1961, S. 23. 43 Die Stelle ist bei aller Lächerlichkeit zugleich kulturhistorisch interessant. Sich Gäste ins eigene Heim einzuladen und sie gut zu bewirten, ist nämlich eine typisch bürgerliche kulturelle Praxis, die sich im 19. Jahrhundert als Verhaltensweise wohlhabender Bürger etabliert (vgl. Michael Schäfer: Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung. Köln/Wien/Weimar 2009, S. 114  f.).

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jenes unpolitischen bürgerlichen Wertehimmels eingefangen, zu der außerdem eine über Bildungsversatzstücke (wie ‚Klassiker‘-Reminiszenzen) kommunizierende kulturelle Vergemeinschaftung gehört.44 Wo Bolz sich mit Piepenbrink verbrüdert, gehen daher auch Shakespeare und Schiller in einer wenig textsicheren, aber doch aparten Katachrese zusammen: „So Hand in Hand mit dir, trotz’ ich dem Capulet und seiner ganzen Sippschaft“ (II/2; GW III, 65).45 Dort, wo Piepenbrink auftritt, ist der Weg von der Politik zur Posse also nicht mehr weit. Zugleich wirft der Text gerade dadurch ein versöhnliches Licht auf das zuvor karikierte Wahlverhalten des Bürgers, dass er diesem beim Wahlakt die eigene Stimme nicht an Oldendorf, sondern – als verständig-versöhnliche Retourkutsche – an den „pfiffigen Politikus“ (71) Bolz geben lässt. Allerdings geschieht das erst, nachdem der Professor die notwendige Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Piepenbrink hat, so insinuiert der Text an dieser Stelle, Bolz’ Strategie doch noch durchschaut, nimmt ihm dieses Verhalten aber keineswegs übel. An Piepenbrinks Retourkutsche wird darüber hinaus anschaulich, was ‚Realismus der Darstellung‘, zeitdramatische Aktualität und historischer Quellenwert im Konkreten bedeuten, ja wie ‚realistisch‘ und zeitgetreu der Text tatsächlich verfährt. Denn dass der Wahlmann Piepenbrink den gar nicht kandidierenden Bolz wählen kann, geht durchaus konform mit den Regeln der preußischen Wahlverordnung vom 30. Mai 1849,46 die bis zum November 1918 in Kraft blieb und deren indirektes Wahlverfahren von Liberalen wie Freytag von Beginn an kritisiert wurde. Auch dass der Wahlakt, wie ihn Senden im Drama in Form eines Botenberichts beschreibt (vgl. 70  f.), öffentlich stattfindet, entspricht – ebenso wie der Umstand, dass die Wahlmänner ohne Auftrag der Urwähler agieren – den Bestimmungen und Realitäten des preußischen Wahlrechts.47 Diente der öffentliche Wahlakt aber ursprünglich dazu, die Stimmgebung vor den Augen einer beobachtenden Öffentlichkeit verantworten zu können,48 wird Piepenbrinks letzte Stimmenabgabe zur bloßen Privatangelegenheit.

44 Bildung wurde zu einem zentralen bürgerlichen Wert im 19. Jahrhundert, den man etwa durch Kenntnis der ‚Klassiker‘ und entsprechender Zitate unter Beweis stellte (vgl. Schulz: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums, S. 19–20; Jürgen Kocka: Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Europäische Entwicklungen und deutsche Eigenarten. In: ders. (Hg.) unter Mitarbeit von Ute Frevert: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Bd. 1. München 1988, S. 11–76, hier S. 27). 45 Vgl. dazu auch: Claudia Stockinger: Das 19. Jahrhundert. Zeitalter des Realismus. Berlin 2010, S. 203  f. 46 Vgl. Die Einführung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen. In: Walter Grab (Hg.): Die Revolution von 1848/49. Eine Dokumentation. Stuttgart 1999, S. 212–218, hier S. 217  f. 47 Vgl. Walter Gagel: Die Wahlrechtsfrage in der Geschichte der deutschen liberalen Parteien 1848– 1918. Düsseldorf 1948, S.  45  f.  – Zum Wahlakt und Wahlverfahren vgl. auch ausführlich: Thomas Kühne: Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen 1867–1914. Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt. Düsseldorf 1994, S. 128–164. 48 Vgl. dazu auch: Kühne: Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen, S. 128  f.

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

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Die Art und Weise, wie Piepenbrink bei der Wahl über die Stimmen der restlichen, bemerkenswerterweise völlig gesichtslosen Wahlmänner verfügt, ist zudem insgesamt historisch sowie im Hinblick auf die Darstellung der politischen Abläufe im Drama interessant. Politisch noch unmündiger als der Weinhändler selbst ist etwa der ebenfalls mit einem sprechenden Namen versehene Kleinmichel. Schon namentlich als Inbegriff des unbedarften und bieder-verschlafenen deutschen Kleinbürgers gekennzeichnet, gehört er zu Piepenbrinks „Anhang“ (I/2; GW III, 22), zu jener politischen Verfügungsmasse also, über die Piepenbrink in der Art eines Patrons herrscht.49 Auch wenn das Stück Piepenbrink insgesamt als einen rechtschaffenen Mann und eine sympathische Figur zeichnet, die in ihrer skeptisch-entspannten Haltung gegenüber der Politik und dem Primat des Privaten durchaus von der Logik des Textes bestätigt wird, so trägt der Weinhändler deutlich karikatureske Züge, wie sie bereits die Breslauer Morgenzeitung anlässlich der Uraufführung etwas missmutig wahrnimmt, wie sie die Gustav Freytag-Galerie 1882 dann differenzierter deutet50 – und wie sie vor allem die spätere Rezeption dann immer mehr verschleift. So suggeriert etwa Ludwig Salomon 1886 in seiner Würdigung zum 70. Geburtstag Gustav Freytags, bei Piepenbrink, den er als „wackern selbstbewußten Weinhändler“ charakterisiert, handle es sich um ein Gegenbild zum Junker Senden.51 Dagegen lässt sich  – betrachtet man allein den Wahlvorgang und den Entscheidungsprozess, der diesem vorausgeht – mit Kurt Classe konstatieren: „Der Rotwein des Herrn Piepenbrink entscheidet im letzten Grunde die Wahlschlacht. Der Rotwein des Herrn Piepenbrink gewinnt infolge des indirekten Wahlverfahrens namhaften Einfluß auf die innere Politik Preußens.“52 Angesichts solcher bei allem Klamauk durchaus wahrnehmbaren53 ernsthaften Kritik merkte der Hamburger General-Anzeiger 1902 daher völlig zu Recht an: „Ob die Piepenbrinckscene allerdings von Freytag so possenhaft beabsichtigt war, wie sie jetzt auf allen Bühnen […] gegeben wird, ist aus guten Gründen zu bezweifeln.“54

49 Auch Julian Schmidt bemerkt an Piepenbrink bei aller Sympathie für die Figur Tendenzen eines „despotischen Wesens“ (Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 306). 50 Diese sieht in Piepenbrink die „Verkörperung“ der „Schwächen des politischen Philisters“, der durch den Autor aber mit einem ‚liebenswürdigen Humor‘ statt mit greller Beleuchtung bedacht werde. Zwar trage die Figur lächerliche Züge, sie werde aber nicht der Lächerlichkeit preisgegeben (Proelß/Kiffert: Gustav Freytag-Galerie, S. 48). 51 Ludwig Salomon: Zu Gustav Freytag’s siebzigstem Geburtstage. In: Illustrirte Zeitung [Leipzig], Bd. 87, 10. Juli 1886 (Nr. 2245), S. 30  f., hier S. 30. 52 Kurt Classe: Gustav Freytag als politischer Dichter. Hildesheim 1914, S. 50. 53 Auch Römer merkt noch 1927 zu dieser Szene an, Freytag packe hier „das unpolitisch-politisierende Kleinbürgertum am Kragen“, indem er es „mit einer gewissen Schüchternheit, aber doch nicht ganz ohne Kunst, ironisiert“ (Römer: Gespräch über Gustav Freytag, Sp. 314). 54 H. O.: Deutsches Schauspielhaus.

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3.1.2 Ein liberaler Standpunkt: Freytags Position zum Wahlrecht Die kritische Dimension der Piepenbrink-Szene berührt neben dem Politikverhalten des unpolitischen Nachmärzbürgertums vor allem das Wahlverfahren, welches den Hintergrund der Politikhandlung im Drama bildet. Gustav Freytag, so könnte man zuspitzen, führt in seinem Lustspiel eine Kritik fort, die er zuvor schon in seinen faktualen Texten verfocht. Denn gegen das in der Komödie vorgeführte „falsche Princip indirecter Wahl“ hat der Journalist Freytag bereits 1848 in den Grenzboten anlässlich der Wahlen zur Preußischen Nationalversammlung mit dem offenen Brief „An den Bauer Michael Mroß“ – einen von Freytag erdachten fiktiven Deputierten – massiv polemisiert.55 Den Kampf gegen dieses ‚falsche Wahlprinzip‘ nennt Freytag hier sogar als den „Hauptgrund“56 seiner wirkmächtigen und mit viel Aufwand betriebenen Polemik.57 Dass der Artikel für Freytag eine über die ereignisbezogene und flüchtige journalistische Tagesprosa hinausgehende Bedeutung besaß, belegt der Umstand, dass er ihn im Rahmen der Werkausgabe in die Auswahl seiner politischen Aufsätze aufnahm (GW XV, 3–11). Tatsächlich repräsentiert der Aufsatz Freytags politische Position zum Wahlrecht sehr umfassend, denn hierin kritisiert er nicht nur das Prinzip indirekter Wahl. Der Text ist darüber hinaus geprägt von Freytags bürgerlichem Überlegenheitsgefühl gegenüber den vermeintlich ungebildeten, unterhalb des Bürgertums angesiedelten Schichten – in diesem Fall: den oberschlesischen Bauern, denen der Schlesier Freytag hier zudem mit einer polonophoben Haltung gegenübertritt und die er aufgrund ihrer mangelnden Bildung und Integration nicht in politischer Verantwortung sehen möchte.58 Hieraus leitet sich bei Freytag zugleich eine skeptisch-ablehnende Haltung zum allgemeinen gleichen Wahlrecht ab; das Prinzip der direkten Wahl – im Idealfall „auf offenem Markt, im reinen Licht des Tages“59 – verteidigte er jedoch glühend.60 55 [Gustav Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs. I. An den Bauer Michael Mroß, erwählten Deputirten des Kreises Strehlitz in Schlesien für die constituirende Versammlung in Berlin. In: Die Grenzboten 7 (1848), I. Semester, II. Band, S. 345–350, hier S. 348  f. 56 [Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs. I., S. 348. 57 Zum indirekten Wahlrecht und zur Kritik der Grenzboten daran vgl. auch Gagel: Die Wahlrechtsfrage, S. 46. 58 „Michael Mroß! Ihr werdet diesen Brief nicht lesen. Les’t Ihr doch, wie ich höre, niemals, am wenigsten deutsch, von dessen Kenntnis und Einwirkungen Ihr Euch möglichst rein erhalten habt. […] Michael Mroß! Ihr seid nicht nur ein ungelehrter, einfältiger Mann von der Art, die bei den Nachbarn ‚Wasserpolacken‘ heißt […]“ ([Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs, S. 345). Freytag ist sich nicht zu schade, seinen fiktiven „Deputirten des Kreises Strehlitz in Schlesien für die constituirende Versammlung in Berlin“ als hochgradig negativ stereotypisierten ‚Wasserpolacken‘ zu entwerfen – d.  h. als nicht vollständig eingedeutschten polnischen Schlesier, der dem Text zufolge nun aber Einfluss auf die großen Fragen des Landes habe. – Zum Begriff des ‚Wasserpolacken‘ vgl. auch Hubert Orlowski: „Polnische Wirtschaft“. Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit. Wiesbaden 1996, S. 150–153. 59 [Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs, S. 350. 60 Vgl. dazu genauer: Oswald Dammann: Gustav Freytag und der Konstitutionalismus. Freiburg 1916, S. 42–46; Paul Ostwald: Gustav Freytag als Politiker. Berlin 1927, S. 72–74; Renate Herrmann: Gustav

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Mag nun der Weinhändler Piepenbrink seiner sozialen Stellung nach viel eher Freytags Vorstellung von einem ordentlichen Wahlmann entsprochen haben als die im fiktiven Michael Mroß porträtierte schlesische Bauernschaft, so bleibt Freytags frühe journalistische Kritik am indirekten Wahlprinzip dennoch auf sein Drama übertragbar. Wenn Freytag 1848 bemängelt, das „Resultat einer Kreiswahl“ sei letztlich „nichts Anderes, als das Resultat einer viertelstündigen Verabredung auf dem Wege zur Kreisstadt oder auf den Bänken einer Schenke“,61 lässt sich dies auch auf Die Journalisten beziehen, wo eine solche Wahl aus der weinbeseelten Laune im Saal eines Tanzfestes entschieden wird. Gleichwohl muss man bei Freytags Einstellung zum Wahlrecht, wie sie sich ausgehend von der Komödie in den Blick nehmen lässt, differenzieren. Sie ist deshalb besonders aufschlussreich und relevant, weil der Autor eine zeittypische, nämlich für den Liberalismus der Jahrhundertmitte repräsentative Position einnimmt. Die Wahlrechtsfrage war eine der zentralen und meist umstrittenen Fragen des deutschen Liberalismus.62 Im relativen Unbehagen am indirekten Wahlverfahren63 und mehr noch in der Ablehnung des allgemeinen Wahlrechts mit freien, gleichen und geheimen Wahlen stimmte Freytag mit der liberalen Mehrheit seiner Zeit überein.64 Zwar waren die frühen Liberalen gegen eine ständisch strukturierte Wahl, die Zeit für eine gleiche Beteiligung aller sah man aber vorerst noch nicht gekommen. Die Mehrheit des Volkes galt den Liberalen gegenwärtig noch als zu „ungebildet und urteilslos, ohne Blick für das Wohl des Ganzen, verstrickt in partikulare Interessen“.65 In einem seiner ersten

Freytag. Bürgerliches Selbstverständnis und preußisch-deutsches Nationalbewusstsein. Ein Beitrag zur Geschichte des national-liberalen Bürgertums der Reichsgründungszeit. Würzburg 1974, S. 141  f.; Schofield: Private Lives and Collective Destinies, S. 90. 61 [Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs, S. 349. 62 Vgl. zu diesem Komplex grundlegend: Gagel: Die Wahlrechtsfrage. 63 Vgl. dazu ausführlich: Gagel: Die Wahlrechtsfrage (u.  a.  S. 45–47). – Die zeitgenössischen Vorbehalte gegen das Dreiklassenwahlrecht fasst Karl Braun 1867 in seiner Diskussion des allgemeinen Wahlrechts noch einmal zusammen: „Das Drei-Classen-Wahlsystem beruhte auf Abgrenzung, Beschränkung und einer gelinden Art der Bevormundung der Menge durch die Aristokratie der Wahlmänner. […] Gewiß aber ist, daß kleine, abgegrenzte, auf localer Präponderanz irgendeines socialen Elementes beruhende Wahlkörper von einer Partei, die durch den Lauf der Dinge obenauf gekommen oder, oder sei durch Glück, sei es durch Geschick, sonstwie in den Vordergrund geschoben worden ist, weit leichter zu beherrschen sind als große, schrankenlos fluctuierende Wählerschaften.“ [Karl Braun]: Das allgemeine und geheime Stimmrecht vor dem Reichstage. In: Die Grenzboten 26 (1867), I. Semester, I. Band, S. 445–456, hier S. 446  f. 64 Vgl. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1998, S. 293  f.; Schäfer: Geschichte des Bürgertums, S. 67  f.; vgl. auch: Walter Bußmann: Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert. 2., unveränd. Aufl. Darmstadt 1969 (reprografischer Nachdruck aus: Historische Zeitschrift Bd. 186, 1958), S. 7–9; Lothar Gall: Bürgertum in Deutschland. Berlin 1996, S. 258. 65 Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 293.

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Grenzboten-Aufsätze über „Die freie Organisation der Gemeinden“ äußerte sich auch Freytag in dieser Frage äußerst apodiktisch: So lange es Dienstgeber und Dienstleute, Hausherren und Hausknechte, Unwissende und Gescheute gibt, ist selbst der Grundsatz der Majoritäten, durch welche nach herrschender Ansicht der Wille des Volks zur Darstellung kommen soll, eine Fiction. Während er bei den Gemeinden das Vermögen, die besten Kräfte, den verständigen Vortheil einer vorübergehenden Laune der besitzlosen und unverständigen Masse opfern wird, kann er bei der Wahl von Kammerdeputirten sich gar nicht realisiren.66

Das gebildete und wirtschaftsstarke liberale Bürgertum, das sich dem eigenen elitären Selbstverständnis nach als ‚allgemeiner Stand‘ definierte,67 hielt ein bestimmtes Maß an Besitz und Bildung für unabdingbar, um in Fragen des Gemeinwohls einigermaßen unabhängig und urteilsfähig Mitsprache halten zu können. Entsprechend definiert der liberale Journalist Bolz „die allgemeine Meinung“ in Die Journalisten als „die Überzeugung der Besseren und Verständigen“ (III; GW III, 93). Der ‚Masse‘ sprach man die Voraussetzungen für politische Partizipation in entscheidenden Fragen ab. Man sah gerade dadurch die „höchsten Interessen des Volkes“ in Gefahr.68 Dass jede Stimme gleich viel zählen sollte – und damit das eigene qualifizierte Personal womöglich an den Rand gedrängt werden könnte –, erschien den frühen Liberalen keinesfalls als erstrebenswert.69 Die Vorstellung von einer gleichgewichteten politischen Teilhabe aller Bürger blieb für die utopische Zukunftsvision einer klassenlosen Bürgergesellschaft reserviert. Der Weg dorthin konnte dem paternalistischen bürgerlichen Anspruch gemäß nur unter eigener Anleitung beschritten werden. Dabei bleibt indes das liberale Argumentationsmuster zu berücksichtigen: „[D]ie Bevorzugung des Mittelstandes war bei den meisten Liberalen nicht egoistisch, sondern organisch gedacht, als eine Funktion im Interesse des Ganzen.“70 Aus einer solchen Position heraus erschien das Zensuswahlrecht letztlich unbedingt notwendig. Die Kritik der Liberalen am Dreiklassenwahlrecht war demnach keineswegs grundsätzlicher Natur.71 Unter anderem von dem liberalen Publizisten August Ludwig von Rochau und vielen gemäßigten Liberalen wurde das bestehende preußische Wahlrecht aus den genannten Gründen vehement verteidigt.72 Gagel geht 66 [Gustav Freytag]: Die freie Organisation der Gemeinden. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, IV. Band, S. 57–72, 87–96, hier S. 60  f. 67 Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 293. 68 [Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs, S. 350. 69 Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 293  f.; Schäfer: Geschichte des Bürgertums, S. 67; vgl. hierzu insgesamt ausführlich auch Herrmann: Gustav Freytag, S. 137–151. 70 Gagel: Die Wahlrechtsfrage, S. 23. 71 Vgl. dazu genauer auch: Gagel: Die Wahlrechtsfrage, S. 33–37. 72 Vgl. Gerhard Plumpe: Einleitung. In: Edward McInnes u. ders. (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/Wien 1996, S. 7–83, hier S. 38; vgl. auch Herrmann: Gustav Freytag, S. 141  f.

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daher so weit, zu urteilen: „Die indirekte und ungleiche Wahl war der gegebene Wahlmodus, um die von den Liberalen gewünschte und auch in der Theorie begründete Vorherrschaft des Bürgertums politisch zur Geltung zu bringen.“73 Immerhin führte das bestehende System in der Praxis zu einer deutlichen Bevorzugung wohlhabender bürgerlicher Eliten, so dass vor allem die Kommunalpolitik in kleineren Städten durch einen überschaubaren Kreis einflussreicher Bürger bestimmt wurde74 – auch dies ist den Journalisten ablesbar. Die zum Teil ablehnende Haltung der Liberalen gegenüber dem indirekten Wahlverfahren erstreckte sich gerade nicht auf das Zensuswahlrecht oder den unterschiedlichen Einfluss der verschiedenen sozialen Gruppen. Auch auf die indirekte Wahl hätte Freytag vielleicht anders geblickt, wenn genau dadurch eine Privilegierung der gebildeten bürgerlichen Eliten sichergestellt worden wäre. Seine Kritik an diesem Wahlverfahren, wie er sie in seinem offenen Brief „An den Bauer Michael Mroß“ formuliert, begründete Freytag  – dem erläuterten liberalen Argumentationsmuster entsprechend – mit der Furcht vor dem zu großen Einfluss ungebildeter, uninformierter und verantwortungsloser Individuen, die in undurchschaubaren politischen Prozessen Entscheidungsgewalt ausüben könnten. Die nämlichen Vorbehalte brachte er gegen das allgemeine Wahlrecht in Stellung und behielt diese bis an sein Lebensende.75 Freytags Kritik an der indirekten Wahl ist insofern stets im Zusammenhang mit seiner Haltung zur allgemeinen Wahl zu betrachten. Über das allgemeine Wahlrecht äußerte er sich u.  a. in einem Brief an Herzog Ernst II. vom 21. Januar 1867: Und doch ist dies allgemeine Wahlrecht das leichtsinnigste aller Experimente, welche Graf B.[ismarck] jemals gewagt hat. Niemand weiß, ob er gewählt wird. Und das wird in den nächsten Jahren noch schlimmer. Denn die Wahl liegt in den Städten in der Hand der Arbeiter, auf dem Lande in der der kleinen Leute, Tagelöhner und Knechte.76

Freytags Aussagen stehen zeittypisch für ein elitäres (bildungs)bürgerliches Denken, das sich gegenüber der entstehenden modernen Massengesellschaft mit ihrer großen Zahl unterprivilegierter Arbeiter weder politisch noch poetisch zu öffnen bereit war. Freytags Blick auf das Volk war in dieser Hinsicht buchstäblich ‚unromantisch‘, für die kulturelle und politische Romantisierung des ‚Naiven‘ hatte er nur Hohn übrig.77

73 Gagel: Die Wahlrechtsfrage, S. 47. 74 Vgl. Budde: Blütezeit des Bürgertums, S.  43–45; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 294. 75 Noch am 8. Mai 1893 schreibt Freytag an Albrecht von Stosch: „Das allgemeine Wahlrecht hat uns soweit heruntergebracht, es ist ohne hochgesteigerten Patriotismus nicht zu gebrauchen, in einer Zeit der Verstimmung und Krakeelerei wird es zum Verhängnis“ (Gustav Freytags Briefe an Albrecht von Stosch, hg. und erläutert von Hans F. Helmolt. Stuttgart 1913, S. 268). 76 Freytag an Herzog Ernst, 21. Januar 1867. In: BrHerz, 212–214, hier 213. 77 „Jetzt endlich wird in Staatsleben, in Gesetzgebung und parlamentarischer Debatte durchgesetzt werden, was Kunst und Wissenschaft so glorreich zur Verjüngung des spießbürgerlichen Menschen-

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Dem Volk vollständig politische Entscheidungsgewalt zu übertragen, bedeutete für ihn, unkontrollierbare politische Prozesse in Gang zu setzen. In diesem Sinne klagt ausgerechnet der Autor der Journalisten mit ihrem überraschenden Wahlausgang hier brieflich darüber, dass bei allgemeinen, freien und offenen Wahlen „niemand weiß, ob er gewählt wird.“ Einem solchen Wahlverfahren hat sich Freytag zum Zeitpunkt des Briefes selbst gestellt, allerdings nur in einem nach eigener Aussage des Autors ‚gesicherten‘ Wahlkreis.78 Hatte Freytag während der Revolution von 1848 das Ansinnen Heinrich Laubes, sich als Kandidat eines böhmischen Wahlkreises für die Frankfurter Nationalversammlung zu bewerben, noch abgelehnt,79 kandidierte er bei Wahlen zum verfassungsgebenden Reichstag des Norddeutschen Bundes im Februar 1867 für die Nationalliberale Partei im Wahlkreis Erfurt-Schleusingen-Ziegenrück.80 Seine Karriere als Abgeordneter des konstituierenden norddeutschen Reichstages war jedoch wenig ruhmreich81 und nur von äußerst kurzer Dauer: Anders als in so ziemlich jeder geschlechts erstrebt haben; die Urlaute naiver Natur werden siegreich durchklingen durch die Bücherformeln rationalistischer Bildung […]. Schon lange lehrten die Romantiker, daß unser Heil nur zu hoffen sei durch ein Zurückgehen aus dem scharfen, gemeinen Licht logischen Denkens in das reizende Düster dämmerigen, volksthümlichen Grübelns. Wir glaubten ihnen nicht. Und jetzt ist es doch wahr geworden: Schelling und Michael Mroß, der Philosoph und der Deputirte, der Weise und der Tölpel, durch beide eine Umkehr des Menschengeschlechts zu den Urformen antediluvianischer Reinheit; die Philosophie, welche den Mustopf himmlischer Seligkeit zusammenkocht aus den Seelen irdischer Individuen und die politische Parteiweisheit, welchen den hohen Himmel einer Staatsverfassung zusammenzuleimen hofft aus den Gesichtskreisen von möglichst vielen kurzsichtigen Tröpfen, Beide sind Formen desselben ewigen Proteus, der alten, unzerstörbaren Romantik“ ([Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs, S. 345). 78 Freytag an Herzog Ernst, 21. Januar 1867. In: BrHerz, 213. 79 Vgl. GW I, 148. Vgl. dazu auch: Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 93  f. 80 Vgl. genauer Ostwald: Gustav Freytag als Politiker, S. 38–42. 81 Bei seiner ersten und einzigen Wortmeldung im konstituierenden Reichstag wurde Freytag das Wort entzogen, weil er nicht zur Sache sprach (Auszüge aus dem Protokoll finden sich bei Lindau: Gustav Freytag, S. 440–443). Da Freytag, der sich in seinen Erinnerungen sein Scheitern als Parlamentsredner selbst eingestand (vgl. GW I, 225), während seiner Ausführungen im Reichstag suchend in seiner Tasche genestelt haben soll, kalauerte man im Saal der Legende nach, der Autor suche nach der ‚verlorenen Handschrift‘. – Zu Freytags Karriere als Parlamentarier vgl. genauer Adolph Kohut: Gustav Freytag als Patriot und Politiker. Berlin [1916], S. 156–170; Ostwald: Gustav Freytag als Politiker, S. 38–42; Johannes Hofmann: Gustav Freytag als Politiker, Journalist und Mensch. Mit unveröffentlichten Briefen von Freytag und Max Jordan. Leipzig 1922; Wolfgang Gresky: Gustav Freytag als Reichstagsabgeordneter. In: GFB 14 (1969), Nr. 28 der Reihe, S. 8–15; Rupprecht Leppla: Gustav Freytag im norddeutschen Reichstag. Ein zeitgenössischer Bericht. In: GFB 15 (1970), Nr. 29 der Reihe, S. 11–15; Hans-Werner Hahn: Gustav Freytag und der deutsche Liberalismus der Reichsgründungszeit. In: ders. u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/ Wien 2016, S. 49–66, hier S. 63  f.; Seiler: Gustav Freytag, S. 158  f.; Günter Bauerfeind u. Reinhard Ponick: Wie die Götter zweigeteilt! Gustav Freytag in Siebleben. Zum 129. Todestag 2015, 200. Geburtstag 2016. Arnstadt 2015, S. 53  f. – Vgl. auch Freytags eigene Ausführungen in seinen Erinnerungen: GW I, 224–227.

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

 147

Darstellung, biographischen Übersicht oder in zahlreichen Lexika zu lesen ist, war Freytag nicht bis 1870 als Abgeordneter aktiv; er gehörte schon dem Ende August 1867 gewählten ersten ‚regulären‘ Reichstag des Norddeutschen Bundes nicht mehr an.82 Im Wahlkampf nun traf er direkt auf seine Wählerschaft – Begegnungen, die dem Autor, zumal in dieser Zahl, nicht sehr lieb waren: Von allen Seiten kommen die Forderungen meiner Herren Wähler, daß ich zu ihnen komme und ihnen eine Abendunterhaltung schaffe, und die Correspondenz mit einflußreichen Rechtsanwälten und Gastwirthen wird riesenhaft. Ach, dies allgemeine Wahlrecht ruinirt den Charakter, funfzig Jahre habe ich mich um Popularität nicht gekümmert, und jetzt sende ich einen Blumenstrauß an eine Wöchnerin, von der ich nicht weiß, ob sie einen Jungen oder ein Mädel taufen läßt, und schüttle hundert guten Freunden die Hand, deren Namen ich nicht weiß und niemals wissen werde. Pfui, Bismarck, das war kein Meisterstreich. Und zuletzt wird doch noch irgend ein Andrer gewählt!83

Freytags eigene Wahlkampferfahrungen werden dann aufschlussreich, wenn man diese im Abgleich mit der Darstellung des Wahlkampfs in Die Journalisten liest.84 Beklagt sich Freytag im Brief an den Herzog noch über die durch das allgemeine Wahlrecht notwendig gewordene direkte Kommunikation mit der Wählerschaft, findet der eigentliche Wahlkampf in Freytags Komödie nur vermittelt statt. Erst durch den Vergleich wird bemerkenswert, was in den 1850er Jahren noch politische Realität war und was Die Journalisten zeitspezifisch abbilden: dass es in den Nachmärzjahren kaum zu einer direkten Kommunikation zwischen Abgeordneten und Wählerschaft kam.85

3.1.3 Presse – Wahlmann – Öffentlichkeit. Zeitgetreue Darstellung und mittlere Referentialisierbarkeit Diesen Umstand und dass die zur Wahl stehenden Kandidaten auf den Wahlausgang mitunter am wenigsten Einfluss hatten, bringt ein kurzer Dialog zwischen Oberst Berg und Professor Oldendorf zu Beginn der Komödie auf den Punkt: Über Oldendorfs Kandidatur für die liberale Partei verärgert, neckt der Oberst den Verehrer seiner Tochter bei dessen Besuch: „Sie haben wohl jetzt viel zu thun mit Ihrer Wahl, Herr Abgeordneter in Hoffnung?“ Darauf antwortet ihm Oldendorf: „Sie wissen, Herr Oberst, daß ich selbst am wenigsten dabei zu thun habe.“ (I/1; GW III, 6) 82 Vgl. Hahn: Gustav Freytag und der deutsche Liberalismus, S. 63  f.; vgl. zu Freytags Zeit als Reichstagsabgeordneter neuerdings auch die detaillierten Informationen bei: Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 187–192. 83 Freytag an Herzog Ernst, 30. Januar 1867. In: BrHerz, 214–217, hier 216  f. 84 Zur Bedeutung des neuen Wahlrechts, insbesondere für die Liberalen vgl. ausgehend von diesem Zitat Freytags: Gagel: Die Wahlrechtsfrage, S. 47–51. 85 Vgl. Günther Grünthal: Parlamentarismus in Preußen 1848/49–1857/58. Preußischer Konstitutionalismus – Parlament und Regierung in der Reaktionsära. Bonn 1982, S. 339.

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Von zentraler Bedeutung war also nicht der direkte Umgang der Kandidaten mit der Wählerschaft, sondern vielmehr die Rolle der Presse als Zwischeninstanz. Denn der Kontakt zu Wahlmännern und Wählerschaft wurde seitens der Parteien und ihrer Kandidaten nicht zuletzt „mit Hilfe eines ‚befreundeten‘ Presseorgans“ hergestellt.86 Der Schwerpunkt der Partei- und Parteipresseaktivitäten lag seit den Wahlen zur Preußischen Nationalversammlung 1848 aufgrund der indirekten Wahlverfahren darin, die Wahlmänner für sich zu gewinnen. Vor allem auf diese Ebene war der Wahlkampf ausgerichtet.87 Die Wahlkampf-Logik des indirekten, öffentlichen und ungleichen Wahlrechts fasst Thomas Kühne in seiner Studie zum Dreiklassenwahlrecht in Preußen folgendermaßen zusammen: „Ziel war nicht die Überzeugung und Mobilisierung möglichst vieler, sondern einiger weniger wichtiger Wähler“,88 d.  h. genauer: Wahlmänner. Freytags Komödie veranschaulicht diese Wahlkampf-Logik, wenn die Redakteure Bolz und Kämpe in der zweiten Szene anhand des Wahlmänner-Verzeichnisses die Mehrheitsverhältnisse und die Möglichkeiten der Beeinflussung einzelner Wahlmänner erörtern. (vgl. I/2; GW III, 21  f.) Gerade die nicht eindeutig zuordenbaren, leicht manipulierbaren, unentschlossenen oder potentiell wechselbereiten Wahlmänner standen im Zentrum der Bemühungen – auf sie wurde gezielt eingewirkt. Und diese „Methode, persönlichen Einfluß auf die Wahlmänner zu nehmen“89 erfolgte in der Realität – wie in der Komödie – häufig mittels Einwirkung der entschiedenen Parteivertreter auf die unentschlossenen Wahlmänner im kleinen Gesprächsrahmen.90 Schon bei den Wahlen zum Frankfurter Parlament 1848 thematisierte die Presse auch unlautere Versuche der Einflussnahme auf die Wahlmänner.91 Wie etwa für die preußischen Abgeordnetenwahlen 1852 dokumentiert, waren auch Wahlmänner-Vorversammlungen in Gaststätten ein gebräuchliches Mittel, um diese zu überzeugen, sie in ihrer Auffassung zu bestärken oder Absprachen zu treffen (was angesichts der Zahl der Wahlmänner allerdings durchaus eine pragmatische Notwendigkeit sein konnte). Ebenso war es üblich, dass Wahlmänner dabei andere Wahlmänner mitbrachten und beeinflussten92  – die im Drama dargestellte Verfügungsgewalt Piepenbrinks über eine ganze Gruppe von Wahlmännern spitzt solche Umstände der Abhängigkeit und

86 Grünthal: Parlamentarismus in Preußen, S. 339; vgl. dazu auch: Nipperdey: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918, S. 38. 87 Vgl. Grünthal: Parlamentarismus in Preußen, S. 323. 88 Kühne: Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen, S. 95. 89 Nipperdey: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918, S. 24. 90 „Für die dezidierten Parteianhänger genügte es unter den Bedingungen des indirekten Wahlsystems zumeist, die noch unentschiedenen Wahlmänner im Sinne ihrer Parteirichtung oder ihres Parteikandidaten zu beeinflussen, und dazu reichten häufig einfach persönliche Gespräche aus“ (Nipperdey: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918, S. 23). 91 Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 53. 92 Vgl. Grünthal: Parlamentarismus in Preußen, S. 329, 337; vgl. bes. auch S. 329, Anm. 66.

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

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Einflussnahme zu.93 Sogar Absprachen unter den Wahlmännern auf der Reise zum Wahlort sind historisch verbürgt.94 Freytags (zuvor erwähnte) Polemik gegen die Wahlen als Resultate einer „viertelstündigen Verabredung auf dem Wege zur Kreisstadt oder auf den Bänken einer Schenke“95 trifft demnach sowohl die Komödienhandlung als auch die Realität. Wie angedeutet, nehmen Freytags Journalisten auch die Rolle, welche der Presse innerhalb der politisch-öffentlichen Konstellationen zukam, zeitgetreu  – und das heißt im Erscheinungsjahr des Dramas: zeitaktuell – in den Blick (s. auch Kap. 4). Es sind die Zeitungen, die hier Politik machen. Im Wahlkampf von 1852, der genau wie in Freytags Text „auf die Konfrontation zwischen liberal-oppositionellem und konservativ-ministeriellem Lager ausgerichtet“96 war, mischten die Presseorgane ebenso mächtig mit. Dass die ganze Aufmerksamkeit der Journalisten in Freytags Text den potentiell noch umzustimmenden Wahlmännern gilt,97 entspricht also den realhistorischen Begebenheiten. Freytag selbst weist in seinen Erinnerungen auf die Realitätsnähe seiner Komödie hin, wobei er bemerkenswerterweise die Tatsache der Beteiligung der Journalisten an einer Abgeordnetenwahl als naheliegend bezeichnet: „Die Vorbilder für die kleinen Typen der Charaktere fand ich überall in meiner Umgebung, auch die Handlung: Wahl eines Abgeordneten, an welcher meine Journalisten sich zu beteiligen hatten, lag sehr nahe.“ (GW I, 172) Der vom Autor behauptete Darstellungsfokus wird in der Rezeption bestätigt: „alles dreht sich um Zeitung- und Wahlpolemik“, schreibt die Zeitschrift Münchener Punsch etwa 1853 in ihrer Theaterkritik.98 In der Abwerbung Piepenbrinks durch Bolz kann man daher auch eine vereinfachte und überzeichnete Darstellung des zeitgenössischen Verhältnisses von Presse und Wahlmännerschaft sehen. Hierüber schrieb der liberale Politiker und Schriftsteller Karl Braun99 1867 in den Grenzboten: „Sie [die Wahlmänner, P. B.] erhielten ihre Parole durch die Tagespresse und durch Flugblätter. Diese Wahlen [die Dreiklassen-

93 „Kämpe. Das ist Piepenbrink, der Weinhändler Piepenbrink. Er hat einen großen Anhang in seinem Bezirk, ist ein wohlhabender Mann und soll über 5–6 Stimmen seiner Anhänger commandiren“ (I/2; GW III, 22); vgl. auch den Ablauf der Wahl (III; GW III, 70). 94 Grünthal: Parlamentarismus in Preußen, S. 337. 95 [Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs, S. 349. 96 Grünthal: Parlamentarismus in Preußen, S. 332. 97 „Kämpe. Ich habe da Zeichen gemacht, wo nach der Meinung unserer Freunde ein Einfluß möglich wäre.“ (I/2; GW III, 22) 98 N. N.: Kgl. Hof- und Nationaltheater. Dinstag [!], 28. Jan. (Zum ersten Mal.) Die Journalisten. Lustspiel in 5 Akten von G. Freytag. In: Münchener Punsch. Humoristisches Originalblatt 6 (1853), S. 37–39, hier S. 39. 99 Zu Karl Braun sowie zu Freytag und Braun vgl. allgemein: Susan Burger: Die zeitgenössische Rezeption Gustav Freytags am Beispiel des liberalen Politikers und Schriftstellers Karl Braun. In: HansWerner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 31–48.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

wahlen, P. B.] ließen sich von einem Centralpunkt aus durch das geschriebene oder gedruckte Wort regieren. Sie bedurften kaum der vox humana.“100 Auf einer höheren Abstraktionsebene betrachtet, führt die Szene  II/2 vor, wie zwei Parteizeitungen versuchen, ihre jeweiligen Parteirepräsentanten gegenüber der Wahlmännerschaft zu popularisieren. So gelesen, schafft es Bolz, Piepenbrink für den spröden Professor Oldendorf zu erwärmen. Dies tut der Zeitungsmann durch ein bis heute in Wahlkämpfen beliebtes Mittel, indem er nicht die politischen Überzeugungen des Kandidaten, sondern die vermeintliche Privatperson ins rechte Licht setzt. Wie Theel gezeigt hat, offenbart die Komödie ein Differenzbewusstsein für die Trennung zwischen verschiedenen Bereichen von Öffentlichkeit sowie für den Unterschied zwischen Privatem und Öffentlichem.101 Es ist in Person von Blumenberg ein Vertreter der in solchen Fragen experten Presse, der dem Kopf der konservativen Partei, dem Junker Senden, einflüstert, dass er im öffentlichen Raum anders agieren muss als etwa im ‚kleinen Kreis‘. Der Pressevertreter wird hier zum politischen PR-Berater: Zu Beginn des Festes spricht Blumenberg mit Senden nicht nur die politische Inszenierung der Veranstaltung ab, zu der ein buchstäblicher Einmarsch gehört („Das gibt dem Eintritt die Feierlichkeit“; II/2; GW III, 45), der Journalist weist den Junker außerdem an, für die Veranstaltung in ein anderes Register zu wechseln und raunt ihm in diesem Sinne zu: „sein Sie populär, denn wir sind heut unter dem großen Haufen“ (45). Dass man sich ‚unter dem großen Haufen‘, im Lichte der Öffentlichkeit anders zu verhalten hat, weiß auch Oberst Berg, der in seiner fix extemporierten Wahlrede jenem Gegenkandidaten danken möchte, den er zuvor vom Hof gejagt hat. Auf die Idee kommt er vor allem deshalb, weil dies „schicklich“ sei (III; GW III, 69). Die Notwendigkeit, zwischen politischem und privatem Bereich zu trennen, geht dem Oberst Berg darüber hinaus ab; dies gelingt ihm selbst beim Entwurf seiner Wahlrede zunächst nicht („Das alles kann ich doch nicht den Wählern sagen“; 70). Wie sehr die Verstellung bzw. das Schauspielern, das Agieren in und mit der Öffentlichkeit (darunter auch den Zeitungen), ja die öffentliche Inszenierung und der Umgang mit verschiedenen Publika neben der Fähigkeit, zu intrigieren, zu den elementaren Anforderungen eines Politikers gehören, hat Freytags bereits in seinem Grenzboten-Aufsatz von 1848 „Die Kunst, ein dauerhafter Minister zu werden“ humoristisch-bissig reflektiert.102 Und seinen dann unter den Bedingungen des allgemeinen Wahlrechts stattfinden Wahlkampf schildert er entsprechend als „Uebung in den tiefsten Tönen der Leutseligkeit und in einer Ueberzeugungstreue, welche die Arme des Wählers öffnet“ – diese „Wahl-

100 [Braun]: Das allgemeine und geheime Stimmrecht vor dem Reichstage, S. 447. 101 Vgl. Theel: Kommunikationsstörungen. 102 Motte [i.  e. Gustav Freytag]: Die Kunst, ein dauerhafter Minister zu werden. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, III. Band, S. 141–154. – Vgl. dazu auch Theel: Kommunikationsstörungen, S. 196– 200.

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

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huberei“ und damit einhergehende „Wühlerei in unwegsamen Schluchten“ verderbe aufgrund des notwendig unehrlichen Auftretens letztlich den Charakter.103 Die Agitation müssen die Kandidaten in Die Journalisten angesichts der unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen noch kaum selbst übernehmen. Stattdessen wird die (Partei-)Presse als Scharnierstelle zwischen Wahlmännerschaft, erweiterter (Stadt-)Öffentlichkeit, Partei und Kandidaten gezeichnet, die dabei multiple Funktionen übernimmt: Sie ist mehr als ein Unterhaltung- oder Nachrichtenübermittlungsorgan, nämlich Sprachrohr der konkurrierenden Parteien, Popularisierungsinstanz, Wahlkampforgan, Öffentlichkeitsberater und damit zentraler Akteur des politischen Feldes.104 Auf den Punkt gebracht: Politik wird in Freytags Drama von den Zeitungen und über die Zeitung gemacht. Nach dem Wahlerfolg der Liberalen gilt Bolz’ erster Toast deshalb „der gemeinsamen Mutter, der großen Macht, welche Deputirte hervorbringt: die Zeitung“ (IV/2; GW III, 105). Wie die Komödienhandlung durch das Agieren von Bolz unmissverständlich veranschaulicht und wie der Blick des Redakteurs Blumenberg auf sein Verhältnis zum konservativen Junker Senden verrät („er ist […] mir nützlich; er treibt die Andern und ich treibe ihn“; II/2; GW III, 45), sind die Zeitungen die eigentlich treibende und beherrschende Kraft der gesamten Wahlkonstellation – das Lustspiel liefert in dieser Hinsicht ein zeitgetreues Bild der veränderten nachrevolutionären Öffentlichkeit mit einem deutlich gestiegenen Einfluss der Presse (s. Kap. 4). Die These, dass Freytags Komödie eine für die Nachmärzjahre spezifische Wahlkonstellation zwischen Wahlmann, Presse und Stadtöffentlichkeit ins Werk setzt, wird auch durch die Rezeption bestätigt. So fasst Richard Julius George die besondere Darstellungsleistung Freytags in Die Journalisten wie folgt zusammen: „Meisterhaft hat er die Umtriebe bei politischen Wahlen, den Einfluß der Presse geschildert“.105All diese Aspekte berücksichtigend sollte man Piepenbrink deshalb nicht bloß als eine humoristische Figur oder als für den Fortgang der Handlung funktionales Unterhaltungselement begreifen; die historisch interessanten zeitdramatischen Qualitäten des Textes werden wesentlich über diese Figur ausgehandelt. In Piepenbrink spiegelt sich die zentrale Bedeutung der Wahlmänner für die politische Öffentlichkeit gerade der unmittelbaren Nachmärzjahre: Die Wahlmännerschaft bildete den Boden, auf dem […] in den 50er Jahren politische Öffentlichkeit gedieh. Sie stellte das Reservoir dar, aus dem die Presse ihre Abonnenten zu gewinnen und die „partei“-politisch gebundenen Abgeordneten ihren potentiellen, zumindest bei Wahlen zur Eigeninitiative fähigen und teilweise auch bereiten Anhang zu rekrutieren vermochten.106

103 Freytag an Max Jordan, 9. Februar 1867. In: Hofmann: Gustav Freytag als Politiker, Journalist und Mensch, S. 32. 104 Vgl. dazu auch Theel: Kommunikationsstörungen, S. 192. 105 George: Gustav Freytag, S. 10. 106 Grünthal: Parlamentarismus in Preußen, S. 339.

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Nun bildete die entscheidende Stimmengewalt eines einzigen von allen Seiten umkämpften Wahlmanns, mit der Piepenbrink im Lustspiel letztlich den Wahlausgang bestimmt, realgeschichtlich eher die Ausnahme. Hierbei handelt es sich allerdings um eine für die Darstellungstechniken des Dramas – zumal der Komödie – notwendige Vereinfachung und Zuspitzung, durch die sich die Kritik am indirekten Wahlverfahren außerdem erst richtig entfaltet, weil das Wahlergebnis nur so als äußerst kontingent und abhängig von der Laune eines Einzelnen erscheint. Im Darstellungsverfahren ähnlich wie später in Soll und Haben (s. Kap. III.4 u. 5) werden die zugrundeliegenden politisch-sozialen Verhältnisse einerseits im gesellschaftlichen Raum, den der Text abbildet, verkleinert. Andererseits ist das Drama mit seiner eher geringen Zahl an Akteuren durch ein hohes Maß an sozialer Repräsentanz geprägt (gekennzeichnet etwa durch Typisierung und das ‚Zusammenfassen von Gruppen‘, wie sie auch die zeitgenössische Rezeption feststellt107). Dieser übergreifende sozial repräsentative Darstellungsanspruch wird bereits im Personenverzeichnis untermauert, wenn dort zu lesen ist: „Ort der Handlung: die Hauptstadt einer Provinz“ (GW III, 4). Mit dieser ambivalenten Formulierung (Stadt/Provinz) wird hier nicht ein bestimmter, nicht einmal ein einheitlicher Handlungsort ausgewiesen. Vielmehr werden sowohl städtische als auch provinzielle Lebenswelten gleichermaßen adressiert und zur Darstellung gebracht. Auch auf der Ebene des Handlungsortes nimmt Freytags bürgerliche ‚Poetik des Mittleren‘ demnach eine Zwischenposition ein (s. auch Kap. I.1). Für die städtisch-regionale politische Ebene, wie sie vom Drama in den Blick genommen wird, ist ein Wahlmann wie Piepenbrink – unabhängig von allem Lächerlichen, das der Figur anhaftet – ein sozialhistorisch typischer Repräsentant. Bei der Auswahl der Wahlmänner ging es weniger um deren politische Einstellung, vielmehr um ihre Reputation sowie wirtschaftliche und soziale Stellung.108 In der Folge ging die politische Macht auf dieser Ebene um die Mitte des 19. Jahrhunderts insbesondere von alteingesessenen Kaufleuten und Wirtschaftsbürgern aus109 und die Wahlmänner rekrutierten sich vor allem aus dem „auf Besitz und Bildung oder Amt basierenden lokalen Honoratiorentum[]“.110 Nicht umsonst weist das Drama Piepenbrink nicht nur mit seinem sprechenden Namen, sondern auch durch die Charakterisierung des Redakteurs Kämpe ausdrücklich als „wohlhabend[]“ aus (I/2; GW III, 22). Kennzeichnend für Die Journalisten ist nicht nur eine solch allgemeine realitätstreu-lebensnahe und zugleich typisierende Zeichnung der Handlung und Charak-

107 N. N.: Theater von gestern, [S. 848]. – Siehe hierzu genauer Kap. 2.1. 108 Nipperdey: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918, S. 23. 109 Vgl. Schäfer: Geschichte des Bürgertums, S. 131–136; Budde: Blütezeit des Bürgertums, S. 43–47. 110 Grünthal: Parlamentarismus in Preußen, S. 336. – Grünthal zufolge wurden die Wahlmänner in einem „weitgehend vorpolitischen Raum“ gewählt: „Zum Amt des Wahlmanns wurden die für würdig befunden, die im überschaubaren Bereich lokaler Sozialverflechtung ein persönliches oder leistungsbezogenes Ansehen genossen und denen deshalb ein überlegenes politisches Urteilsvermögen zugetraut wurde.“ (S. 335  f.)

3.1 Ein Wahl-Drama oder: Piepenbrink im Kontext 

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tere; für den Realismus der Darstellung spezifisch ist auch eine mittlere zeitgeschichtliche Referentialisierbarkeit, wie sie später ebenso für Soll und Haben konstitutiv ist. So legt der Text bei aller zeitlichen und örtlichen Unbestimmtheit des Personenverzeichnisses nahe, dass die Handlung im Preußen der unmittelbaren Nachmärzjahre spielt und sich eine liberal-bürgerliche Partei und eine konservativ-aristokratische Partei (mit zugehöriger Zeitung) gegeneinander im Wettstreit befinden. Die Journalisten nehmen nicht nur mit den Umständen, Verfahren und Konflikten der Wahl zeitaktuelle Elemente auf; beim Publikum in Erinnerung gerufen werden ebenso vergleichbare reale historische Ereignisse, auf die der Text anspielt und die der Leserschaft bzw. dem Publikum evtl. noch aus den Zeitungen präsent sind. So hat Christa Barth dann auch in Arnold Ruges Wahl zum Abgeordneten der Stadt Breslau für die Frankfurter Nationalversammlung im Mai 1848 aufgrund einiger Parallelen die realgeschichtliche Vorlage für Freytags Komödie erkennen wollen.111 Mit einer knappen Mehrheit von neun Wahlmänner-Stimmen ging Ruge überraschenderweise siegreich aus der für ihn zunächst aussichtslos scheinenden Wahl gegen den beliebten Kandidaten Heinrich Simon hervor.112 Auch wenn Barth die im Einzelnen von ihr behaupteten – genau besehen nicht immer besonders zwingenden oder frappanten – Parallelen m.  E. deutlich zu stark betont, mitunter sogar wohlmeinend konstruiert und die Unterschiede zwischen vermeintlichem historischen Vorbild und Dramenhandlung zu wenig gewichtet113 (u.  a.: Die Journalisten spielen nicht in den Revolutionsmonaten; Hintergrund der Handlung ist eine Landtagswahl; die Konfliktlinie verläuft hier ganz anders, nämlich zwischen Liberalen und Konservativen; die Umstände der Wahl gleichen sich im Konkreten wenig; der mit Abstand größte Teil der Handlung wird durch die von Barth präsentierten Vorbilder gar nicht berührt), ist die Möglichkeit einer solchen historischen Verknüpfung an sich interessant. Unter Berufung auch auf Freytags Haltung zu solchen Stoff-Fragen sowie auf seine ästhetischen Überzeugungen, die in einer reinen ‚Nachschrift‘ nach den ‚Vorlagen‘ der Wirklichkeit“ – zumal der historischen – gerade nicht aufgehen,114 könnte man sagen, dass darstellungstechnisch nicht in erster Linie der

111 Vgl. hierzu genau Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 30–32, 52–56. – Leider übernimmt Bernt Ture von zur Mühlen diese These Barths in seiner Freytag-Biographie ohne jeden Beleg und stellt sie als Tatsache dar (vgl. Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 120). 112 Vgl. Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 56. 113 Vgl. bes. Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 55  f., S. 57. 114 Zwar folgt Freytags realistische Ästhetik der Annahme: „Der Künstler schafft nur, was er zuvor gelebt“ (Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 7), und tatsächlich hat Freytag selbst betont, wie stark Die Journalisten von persönlichen Erfahrungen und Anschauungen geprägt sind (vgl. GW I, 172), auf keinen Fall aber sollte der Eindruck einer Übertragung vom Leben in die Poesie erweckt werden, wie er sie mit der Frage nach stofflichen Vorbildern verbunden sah: „Es lohnt kaum, die Frage zu stellen, wie der erfindende Schriftsteller die Stoffbilder seiner Dichtungen gesammelt hat. Wo wächst Farnkraut, wo liegt der Stein und auf welcher Hausschwelle sitzt das Kind, deren Formen der Maler in das Skizzenbuch aufnimmt, um sie für sein Bild zu verwenden? Ist die Erfindung des

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

konkrete stoffliche Bezugspunkt an sich entscheidend ist. Aussagekräftig im Hinblick auf die Anlage der Komödie als Zeitdrama ist vielmehr einerseits, dass solche historischen Bezüge, wie sie hier in breiteren Zusammenhängen skizziert wurden (und wie Barth sie dagegen auf historische Details zurückzuführen versucht), bei diesem Text recht nahtlos hergestellt werden können. Andererseits erweist es sich im Sinne der erörterten realidealistischen Konzeption (s. Kap. 2.3) als aufschlussreich, dass die zeitspezifische Dimension mit der verhältnismäßigen zeitlichen und örtlichen Unbestimmtheit des Dramas, dem daraus resultierenden verallgemeinernden Darstellungsanspruch und einer sich in der Rezeption bestätigenden zeitüberdauernden Aktualität vergleichsweise bruchlos zusammengeht. Verwiesen ist damit auf den Grad an zeitspezifischer Ausgestaltung eines Dramas, dessen Provokationspotential und zeitpolitische Dimension in der Erstrezeption noch durchaus Widerspruch hervorriefen, die aber schon 1896 von Ludwig Fulda und seinen Zeitgenossen nur noch mühsam rekonstruiert werden konnten: „Wir stehen heute der Generation des Bolz zeitlich zu nah und innerlich zu fern, um den politischen Geist dieses Lustspiels voll zu würdigen“.115 Es gilt also, diesen politischen Geist weiter zurückzuverfolgen. Er wird durch eine viel diskutierte Episode der Frührezeption bestätigt.

3.2 Eine Komödie mit ‚liberalem Strich‘? 3.2.1 Zur Ablehnung der Komödie an der Berliner Hofbühne Erst wenn man die hier rekonstruierten zeitpolitischen Kontexte, mithin den zeitgenössischen Rezeptions- und Bedeutungshorizont berücksichtigt, wird verständlich, warum das Preußische Berliner Hoftheater eine Aufführung von Freytags Journalisten zunächst zurückwies und auch Laube Schwierigkeiten hatte, das Stück in Wien durchzusetzen.116 Erfolgte die Absage durch den Generalintendanten der königlich-

Schriftstellers in der That Poesie und nicht schlechte Nachschrift der Wirklichkeit, so wird auch, was er etwa nach Vorlagen des wirklichen Lebens in ein Werk aufgenommen hat, so umgebildet sein, daß es etwas ganz anderes, in der That ein Neues geworden ist. Das ist selbstverständlich. Deshalb bereiten die Ausnahmefälle, wo der Dichter sich mit größerer Treue der Wirklichkeit anschließen muß, z.  B. wo er eine wohlbekannte historische Person in seine Dichtung setzt, ihm und seinem Werk besondere Schwierigkeiten. Denn leicht empfindet der Leser vor solchen Abbildern eine Besonderheit in Farbe, Ton und Schilderung, welche erkältet und die Wirkung des gesammten Kunstwerkes nicht mehrt, sondern mindert.“ (GW I, 181) 115 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75. 116 „Die verhaßten ‚Journalisten‘, welche die Berliner Hofbühne nachdrücklich abgewiesen, nun gar auf’s Hofburgtheater zu bringen, galt für höchst thöricht“ (Laube: Erinnerungen. 1810–1840, S. 179). Den Journalisten drohte in dem der freien Presse wenig wohlgesonnenen Wien ein ähnliches Schicksal wie in Berlin. Laube allerdings konnte seinen Vorgesetzten von der Aufführung überzeugen, indem er

3.2 Eine Komödie mit ‚liberalem Strich‘? 

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preußischen Schauspiele Botho von Hülsen zunächst noch ohne Begründung,117 erklärte derselbe Freytag im Brief vom 15. Mai 1857, als man sich (nicht zuletzt aufgrund des großen Erfolges der Journalisten u.  a. am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater118) doch zur Aufnahme des Stücks in den Spielplan entschied,119 rückblickend die Gründe der vormaligen Absage: Damals war ich über viele Dinge noch befangen, so bestimmte mich, was ich Ihnen ver­trauens­ voll mittheile, die Wahl und die parlamentarischen Angelegenheiten, und die Besprechung darüber, obgleich ich erkenne, wie charakteristisch solche entworfen, gleichsam ein Spiegel der Zustände, – Ihr Werk nicht zur Aufführung anzunehmen.120

Hingewiesen sei zunächst auf die bemerkenswerte Tatsache, dass selbst noch in diesem Schriftwechsel die spezifische Anlage der Komödie als politisches Zeitdrama und realistisches Abbild der Wahlumtriebe bestätigt wird. Der relativierende Konzessivsatz verweist dabei zugleich auf den politisch entschärfenden Realidealismus. Von Hülsens Wendung, der Text sei „gleichsam ein Spiegel der Zustände“, entspricht der späteren Charakterisierung Otto Brahms, der  – den kontroversen Gegenstand und zeitpolitischen Kontext hervorhebend – über Freytags Komödie urteilt: „Mitten aus dem Streit der Meinungen herausgeboren, hat das Stück deutsche Zustände der Gegenwart mit unmittelbarer Wahrheit abgeschildert“.121 Auf den Punkt gebracht: Das Drama erschien von Hülsen zu zeitaktuell und politisch brisant, um es auf die Bühne des preußischen Hoftheaters zu bringen. Zur Ablehnung mögen außerdem die persönlichen Aversionen von Hülsens gegen das Zeitungswesen beigetragen haben, mit dem er in dieser Zeit einige Konflikte auszufechten hatte.122 Mehrfach überliefert ist die Aussage des Intendanten: „Die Journalisten machen mir so schon Ärger genug, ich werd’ sie doch nicht gar noch ansässig machen auf dem Hoftheater!“123 Hülsens Entscheidung, Die Journalisten nicht auf die ihm ausschließlich die für den Journalistenstand wenig schmeichelhafte ‚Schmock-Szene‘ vorlas, in der dieser – so isoliert gelesen – als berufstypischer gesinnungsloser Zeitungsschreiber und die Komödie als Journalistenkritik erscheinen musste (vgl. Laube: Das Burgtheater, S. 241  f.; vgl. auch Houben: Verbotene Literatur, S. 202). – Zur frühen Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte der Journalisten vgl. auch Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S.  90–97 sowie Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 111  ff. 117 Vgl. Botho von Hülsen an Gustav Freytag, 8. Dezember 1852. In: Droescher: Gustav Freytags Schriftwechsel mit der Generalintendanz der Königlichen Schauspiele, S. 143. 118 Das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater führte Die Journalisten am 11. April 1853 erstmals auf. 119 Die Journalisten wurden am 17. November 1857 erstmalig am Königlichen Theater aufgeführt. 120 Botho von Hülsen an Gustav Freytag, 15. Mai 1857. In: Droescher: Gustav Freytags Schriftwechsel mit der Generalintendanz der Königlichen Schauspiele, S. 144  f., hier S. 144. 121 Brahm: Gustav Freytag, S. 57. 122 Vgl. dazu genauer Gerhard Walther: Das Berliner Theater in der Berliner Tagespresse 1848–1874. Berlin 1968, S. 19–23, 27. 123 So u.  a. bei Heinrich Laube (Laube: Das Burgtheater, S.  241) und Otto Brahm (Brahm: Gustav Freytag, S. 58).

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Hofbühne zu bringen, trug zur Intensivierung seiner Auseinandersetzungen mit der Presse bei. Viele Journalisten sahen den eigentlichen Grund für Hülsens Entscheidung darin, dass ihr Berufsstand in Freytags Stück positiv gezeichnet wurde124 und verteidigten ihren bekannten Kollegen – das war gewissermaßen Berufsgebot.125 Sie hielten dem Intendanten seinen Entschluss so lange vor,126 bis er diesen schließlich revidierte. Die Intensität der journalistischen Kritik rief schließlich sogar die konservative Kreuzzeitung als Verteidigerin von Hülsens auf den Plan: In dem Zeitraum von viereinhalb Jahren, der zwischen der Aufführung [der Journalisten, P. B.] am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater und der Aufführung am Hoftheater lag, gab es keine größere Repertoirebesprechung, in der nicht auf die Unterlassungssünde der Königlichen Bühne aufmerksam gemacht wurde. Die Kreuzzeitung distanzierte sich von den Vorwürfen gegen Hülsen und berichtet, wie „von Zorn entbrannten Journalisten ein wahres Staatsverbrechen gegen die Herrlichkeit deutsche Lustspielpoesie gemacht“ wurde.127

All diese Reaktionen zeigen, dass die unterschiedlichen Ablehnungsgründe, über die immer wieder spekuliert wurde, gar nicht voneinander zu trennen sind, da das Thema freier Journalismus – und sei es auch nur als Gegenstand eines Lustspiels – das politische Feld nach 1848 automatisch berührte, ja politisch war,128 zumal wenn ein solches Lustspiel vom politischen Parteijournalismus handelte und dabei auch noch selbst Partei nahm. Noch die Art und Weise, wie der Kladderadatsch auf den Entschluss des Hoftheaters reagierte, Die Journalisten Ende 1857 nun doch auf die Bühne zu bringen, wie die Zeitschrift diese vermeintliche persönliche Willkürentscheidung eines Intendanten in die großen Zeitfragen um die Freiheit der Presse, die Rechte einer politischen Kunst und die Kritik an den Wahlumständen einbettete, belegt die Kontroversität der Komödie und ihren zeitdiagnostischen Quellenwert: 124 Vgl. Walther: Das Berliner Theater in der Berliner Tagespresse, S. 27. 125 Freytags zeitgenössische Doppelexistenz als erfolgreicher Autor, der in den Jahren zuvor insbesondere als führender liberaler Journalist wahrgenommen wurde, hat der Kladderadatsch im Zusammenhang mit der kontroversen Komödie humoristisch in einer Mahnung „an die Journalisten“ aufgegriffen. Bezogen auf Freytag als den literarischen Schöpfer der Journalisten heißt es da: „Ehrt Euren Vater stets und folgt ihm allezeit, / Und werdet, was er ist! – Er war einst, was Ihr seid!“ N. N.: Feuilleton. In: Kladderadatsch. Humoristisch-satyrisches Wochenblatt 7 (1854), 1. Oktober 1854 (No. 46), S. 182. 126 Die Zeitschrift Kladderadatsch, die sich in den kommenden Jahren mehrfach über die Entscheidung von Hülsens lustig machte, kommentierte diese im März 1853 mit den Worten: „Herr von Hülsen hat die Aufführung der Journalisten von Freitag [!] nicht gestattet. Wenn wir könnten wie wir wollen, so würden wir die Aufführung des Herrn von Hülsen auch nicht gestatten.“ N. N.: Feuilleton. In: Kladderadatsch. Humoristisch-satyrisches Wochenblatt 6 (1853), 13. März 1853 (No. 12), S. 46. 127 Walther: Das Berliner Theater in der Berliner Tagespresse, S. 27. 128 Daran wird 1877 in der Beilage zum Wiener Figaro erinnert: „Als die Journalisten noch gar nicht respektirt waren und man auch noch nicht die Journale sondern die Journalisten konfiszirte, erschienen merkwürdigerweise ‚Die Journalisten‘ von Gustav Freytag zum ersten Male auf dem Burgtheater“. C. Sitter: Theater-Figaro. In: Erste Beilage zu „Figaro“ und „Wiener Luft“ 21 (1877), 19. Mai 1877 (Nr. 20).

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Nur wo die Presse erkauft vom Staat, gedeiht der Wohlfahrt reiche Saat; […]. Das ist’s, wonach wir müssen ringen, daß, wie in Oestreich, frank und frei in po-und unpolit’schen Dingen allein des Staates Presse sei. Doch ach, wie darf man sich erkühnen, solch eine Hoffnung noch zu fristen, wenn selbst auf königlichen Bühnen geduldet sind „die Journalisten!“ Wenn man der wahren Freiheit Wächter der Masse hinstellt zum Gelächter, wenn man, was bei der Wahl geschicht [!] der Deputirten, zieht ans Licht, wenn endlich, was Landräthe machen, man darf beklatschen und – belachen?129

In einem weitgehend unbeachteten und nur entlegen zugänglichen Brief vom 17. November 1882 hat Freytag selbst auf die besonderen zeitpolitischen Umstände hingewiesen, innerhalb derer die Weigerung von Hülsens zu verorten ist, und im Nachhinein Verständnis für die Entscheidung des Generalintendanten gezeigt: Daß die Journalisten nicht sofort bei dem Königlichen Theater angenommen wurden, war bei den damaligen politischen Verhältnissen nicht zu verwundern. Das jüngere lebende Geschlecht hat kaum eine Vorstellung von der engherzigen Unduldsamkeit, welche damals in der persönlichen Umgebung und der Regierung Friedrich Wilhelm IV. herrschte. Den sehr bedenklichen Journalismus und die Umtriebe vor einer Wahl auf die Bühne zu bringen, eine Partei, die doch offenbar eine liberale war, wenn sie auch nirgend im Stücke so genannt wird, in gutem Lichte zu zeigen, und zuletzt gar eine Generalstochter und Rittergutsbesitzerin einem verlaufenen Journalisten zu verloben, das erschien für eine Königl. Hofbühne ganz ungehörig. Hätte Herr von Hülsen, der gerade zu jener Zeit die Leitung der Hofbühnen erhalten hatte, das Stück willfährig zur Aufführung gebracht, so wäre ihm das wahrscheinlich sehr übel gedeutet worden. Und als er ablehnte, that er nur, was er unter dem Zwang der herrschenden Stimmung nicht vermeiden konnte.“130

Freytag führt die Ablehnung im Brief nicht auf eine persönliche Entscheidung von Hülsens zurück, sondern auf die „politischen Verhältnisse“ bzw. die politische „Stimmung“ jener Nachmärzjahre. Zudem ruft er deutlich die Parteinahme der Komödie sowie deren politische Brisanz in Erinnerung  – Faktoren, die ihm allerdings erst später und unmittelbar nach von Hülsens Absage noch nicht einleuchten wollten.131 129 [Redaktion] Kladderadatsch: Martini-Rundschau. In: Kladderadatsch. Humoristisch-satyrisches Wochenblatt 10 (1857), 22. November 1857 (No. 54), S. 213  f., hier S. 213. 130 Gustav Freytag [an Johannes Landau]. Brief mit eigenhändiger Nachschrift, Wiesbaden, 17. November 1882. In: Hedwig Gunnemann (Hg.): „… einem wohllöblichen Publico zu Ehren …“. Briefe von Schauspielern, Theaterleitern und Dramatikern aus der Handschriftensammlung. Dortmund 1965 (Mitteilungen der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund NF 7), S. 129–130, hier S. 129. – Erstmals Erwähnung findet der Brief, soweit ich rekonstruieren konnte, schon 1887 bei George (George: Gustav Freytag, S.  10). Der Adressat des Briefes, Johannes Landau, hat diesen dann 1913 in Die Deutsche Bühne vollständig veröffentlicht: J[ohannes] Landau: Botho von Hülsen und Gustav Freytag. In: Die Deutsche Bühne 5 (1913), S. 3–4. 131 Im Brief an den Ministerialrat Werner vom 16. Dezember 1852 äußert Freytag sich wie folgt zum Ablehnungsschreiben Botho von Hülsens, das er etwas mehr als eine Woche vorher erhalten hatte: „Ich […] enthalte mich aller Reflexionen über die Antwort, die vorläufig zu nichts führen würden. Dagegen möchte ich dich sehr gern wissen […] was für Gründe die Intendanz zu so unbedingter Ablehnung gehabt hat. Das Stück wird in Dresden, es soll sogar in Wien einstudiert werden, es ist also

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Auch aber etwa vier Jahre nach seinem Brief an Johannes Landau in seinen Ende des Jahres 1886 erschienenen Memoiren hat Freytag die Berliner Zurückweisung der Journalisten damit begründet, dass „damals bei Hof und Regierung alles, was irgend liberal erschien, verpönt war“ (GW I, 174). „Unverkennbar aber“, so der Autor weiter, „hatten die in dem Stück bevorzugten Journalisten der Union einen gewissen liberalen Strich“ (174).

3.2.2 Parteinahme und Sympathieverteilung im Drama: Figuren und Zeithintergrund Mit der eindeutigen Sympathieverteilung des Dramas rückt Freytag hier einen weiteren Punkt ins Bewusstsein seiner Leser, der im Verlauf der Rezeptionsgeschichte zunehmend aus dem Blickfeld geriet und der doch gerade auf den komplexen politischen Standort verweist, den der Text zeitgenössisch einnahm. So konnte etwa Berthold Auerbach gleichzeitig die mangelnde inhaltliche Ausgestaltung des politischen Konflikts im Drama bemängeln und trotzdem befinden, dass Freytag „alle Ehrenhaftigkeit auf Konto der ‚Union‘“ stelle.132 Die Deutsche Allgemeine Zeitung wiederum beklagte anlässlich der Dresdener Premiere vom 11. März 1853 die „Tendenz“ des Stücks zu Lasten der konservativen Seite.133 Das Drama erfuhr, wie oben dargestellt, von konservativ-aristokratischer wie von liberaler Seite zum Teil Ablehnung und Kritik, aber auch Zustimmung. Es wurde sowohl der Parteilosigkeit als auch der Parteinahme beschuldigt – und gegen beide Vorwürfe in Schutz genommen134 (s. dazu auch Kap. 2.3 u. 3.2.3). Beide Rezeptionseffekte weisen zurück auf die Zeitgebundenheit der politischen Komödie, bei der die Frage nach der Parteinahme nicht auf den Parteienkonflikt zu reduzieren ist. Daran nämlich, dass die liberale Seite in Freytags Drama insgesamt in einem deutlich günstigeren Licht erscheint und dies für die Zeitgenossen auch deutlich erkennbar war, kann kein Zweifel bestehen. Classe bemerkt dazu 1914:

fast unmöglich, daß irgend ein politisches Bedenken die Annahme gestört hat“. (zit. n. Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 112). – Dass der Autor selbst hier nicht sofort von politischen Gründen für die Absage ausgeht (obwohl er diese Überlegungen augenblicklich anstellt), lässt m.  E. keine privilegierten Rückschlüsse auf den politischen Gehalt und das Provokationspotential des Textes zu. Relevanter als der damalige Verständnishorizont des Autors scheint mir, dass von Hülsens Ablehnung, wie hier ausführlich dargestellt, als politische Entscheidung aufgenommen und im Kontext von wichtigen zeitgeschichtlichen Fragen (wie denen nach Pressefreiheit oder liberaler Regierungskritik) politisiert wurde. 132 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 34. 133 N. N.: Feuilleton. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 13. März 1853 (Nr. 61), S. 500–501, hier S. 501. 134 Vgl. z.  B. N. N.: [Rez.] Die Journalisten, S. 635; [Rößler]: Gustav Freytag, S. 310.

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So verschwommen diese Parteien absichtlich gehalten sind, so sehr sie der Dichter poetisch idealisiert hat, so lassen sich doch auf den ersten Blick die damals allein in Preußen vertretenen Parteirichtungen der Konservativen und Liberalen unterscheiden. Aus der rein menschlichen Zeichnung der konservativen wie der liberalen Personen des Stückes erfahren wir schon, ehe der Dichter die Liberalen im Kampfe siegen läßt, die liberale Parteistellung des Verfassers.135

Zwar thematisiert 1880 auch Gottschall Freytags für die nachgeborenen Rezipienten vielleicht allzu ‚blasse‘ und unbestimmte Zeichnung der Parteien und ihrer konkreten Zuordnung, gibt aber zu verstehen, dass diese sich jedenfalls für das zeitgenössische Publikum als eindeutig referentialisierbar erwiesen: „sie [die Parteien, P. B.] werden im Grunde nur durch ihre Vertreter charakterisiert. An dem Major und dem adeligen Gutsbesitzer erkennt man die Conservativen, an dem Professor die Liberalen.“136 Wie oben zitiert (vgl. 3.2.1), hat auch Freytag brieflich sowie in seinen Erinnerungen von „unverkennbar“ als liberal konzipierten und deshalb bevorzugten Parteivertretern gesprochen. Freytag hat in seiner Komödie zeithistorisch relevante Typen gezeichnet,137 eine Nähe zu real existierenden Personen des Journalismus oder der Politik wollte er allerdings unbedingt vermeiden. Entsprechend hat er das Bühnenmanuskript der Journalisten mit der folgenden Aufführungsanweisung versehen: „Der Verfasser erwartet von den Darstellern, daß sie die naheliegende Versuchung vermeiden werden, aus Liebe oder Haß die Persönlichkeit bestimmter Journalisten zu portraitieren“. Eine solche Darstellung nach dem Vorbild von „viel gekannten Personen des wirklichen Lebens“ würde der Autor als „Kränkung“ dieser Personen sowie seines Stücks verstehen.138 Auch in einem späteren Grenzboten-Aufsatz hat Freytag sich programmatisch dagegen ausgesprochen, in Dramen  – zumal solchen mit politischer Tendenz  – bekannte öffentliche Charaktere zur Darstellung zu bringen.139 Auf keinen Fall wollte der Autor sein Drama als tagespolitischen Beitrag verstanden wissen. Dies widersprach seinen ästhetischen genauso wie seinen politischen Überzeugungen. Eine allgemeine zeithistorische Referentialisierbarkeit sowie eine deutliche Parteinahme auf Figuren- und Handlungsebene sind damit allerdings keinesfalls ausgeschlossen (hat doch gerade Freytag immer wieder die dramenkonstitutive Bedeutung von deutlichen Kontrasten hervorgehoben) – in Die Journalisten findet sich eine solche Parteinahme: Unabhängig davon, dass die liberale Seite sich letzten Endes als siegreich erweist, ihre Repräsentanten ansprechender und überlegener gezeichnet sind und der Text ihr weitaus größere Aufmerksamkeit widmet, hat sie überdies Anhänger in Figuren, die nicht unmittelbar Partei sind oder gar der Gegenseite angehören. Nicht nur Schmock

135 Classe: Gustav Freytag als politischer Dichter, S. 48. 136 Gottschall: Leipziger Stadttheater, S. 442. 137 So auch: N. N.: [Rez.] Die Journalisten, S. 636. 138 BümaJour, 71. 139 Vgl. Freytag: Der dramatische Dichter und die Politik, S. 69.

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bestätigt, dass die „honetten Menschen“ (II/2; GW III, 47) auf Seiten der Union zu finden sind, selbst Adelheids treuer Diener Korb entpuppt sich „[m]it Leib und Seele“ als Liberaler: „In all dem Gerede und Gefiedel rufe ich immer im Stillen: Vivat die Union!“ (49) Und sogar die Guts-Erbin Adelheid verschreibt sich am Ende nicht nur ganz dem künftigen Ehemann, sondern auch der liberalen Sache: „Konrad, ich halte zur Partei!“ (IV/2; GW III, 111). Die eindeutige Sympathieverteilung des Autors ist bereits an den Namen der widerstreitenden Parteizeitungen ablesbar. Für die Konservativen hat Freytag einen sprechenden Namen gewählt und deren Parteiorgan Coriolan nach dem starrsinnigen und stolzen patrizischen Feldherrn Gnaeus Marcius Coriolanus benannt, der – passend zu der im Drama durch den Gutsbesitzer Senden repräsentierten Junkernschaft – aus Standesdünkel die neu geschaffenen plebejischen Ämter der Volkstribunen nicht akzeptieren wollte, von den Plebejern daher nicht zum Konsul gewählt wurde und schließlich gar gegen Rom zog.140 Gemeinwohl ist demnach so ziemlich das Letzte, was man auf der Konnotationsebene dieses Namens vermuten kann. Anders dagegen der Name der liberalen Zeitung Union. Dass diese Bezeichnung grundsätzlich positiv besetzt ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Aufgerufen wird mit dem Namen aber zudem ein liberaler Kontext – verweist er doch nicht nur auf ein Kernziel der Liberalen, die Zeitgenossen mögen 1852 auch an ein liberales Projekt wie die Erfurter Union (auch: Deutsche Union) gedacht haben. Was sich bereits an der Namensgebung der Zeitungen ablesen lässt, setzt sich auf Figurenebene fort. Auf der Seite des konservativen Coriolan gibt es keine einzige positiv gezeichnete Figur. An der Spitze der Konservativen stehen der Gutsbesitzer Senden und der leitende Redakteur des Coriolan, Blumenberg. Sie sind den Figuren der liberalen Seite eindeutig moralisch und charakterlich unterlegen. Was sich dem Zuschauer von Beginn an eindeutig darstellt, spricht Adelheid im vierten Akt dem Oberst gegenüber sogar mit deutlichen Worten aus: „Wenn Sie Oldendorf mit diesem hier – (auf die Briefe weisend) [gemeint ist Senden, P. B.] in eine Klasse setzen, so haben Sie Unrecht“ (IV/1; GW III, 101). Dass die konservative Partei in der Komödie ausgerechnet durch einen intriganten Junker repräsentiert wird, ist zeithistorisch bezeichnend und gewiss nicht ohne politischen Aussagegehalt. Zu Beginn der Reaktionsära gewann gerade die Junkerklasse als „gesellschaftliche Basis des Konservatismus“141 weiter an Einfluss.142 Beaton hat darauf hingewiesen, dass der bürgerliche Liberalismus sich um die Jahrhundertmitte

140 Vgl. Walter Eder: [Art.] ‚Coriolanus‘. In: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 3: Cl–Epi, hg. von Hubert Cancik. Stuttgart u.  a. 1997, Sp. 164–165; Horst Dieter: [Art.] ‚Coriolanus‘. In: Lexikon der Antike, hg. von Johannes Irmscher in Zusammenarbeit mit Renate Johne. 10., durchges. und erw. Aufl. Leipzig 1990, S. 126. 141 Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 715. 142 Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 715  f.

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gerade in der preußischen Provinz gegen die Versuche der Junker behaupten musste, die neue Ordnung mit althergebrachten Mitteln zu unterwandern.143 Man kann Sendens Manöver gegen die aufstrebenden Liberalen und ihre jungen Vertreter auch vor diesem Hintergrund lesen. Und man kann das ganze Drama innerhalb dieses Zeithorizonts und dieser Zeitgegensätze betrachten, die Freytag zufolge eine Kontinuität von der Revolution 1848 bis hinein in die nachmärzliche Phase des Preußischen Verfassungskonflikt aufweisen würden. Immer habe sich der „Kampf in Preußen“ als Auseinandersetzung der jungen Kräfte des Bürgertums mit der „Genossenschaft der Bevorrechteten“ (darunter laut Freytag u.  a. die „Militärs“ oder die Grundbesitzer) dargestellt.144 Die Komödie könnte man als verklärt-idealisierten Ausschnitt aus diesem auch im Text beschworenen – und von der Rezeption bestätigten145 – „Kampf und Ringen der Zeit“ verstehen (III; GW III, 75). Die Figuren sind in solchem Sinne typische Repräsentanten dieses ‚Kampfes‘, wie sie Freytag auch journalistisch als zentrale Gegner anführt, wenngleich er die Auseinandersetzungen im nachmärzlichen Preußen ohnehin auf allen Ebenen des Lebens verortet.146 Zieht man diese Kontexte heran, erschließt sich die zeithistorische Dimension der Komödie, die man darum durchaus eine politische nennen darf. Um in diesem Zusammenhang noch einmal daran zu erinnern: Die Schilderung des „Hochmuth[s] des Junkerthums“ und der „politische[n] Spießbürgerei des Städters“ führt Freytag in Die Technik des Dramas als wünschenswerte Themen einer zeitgemäßen und politischen bürgerlichen Komödie an. In solchen Beispielen sieht er die Voraussetzung, um in der Zukunft eine „Technik des Lustspiels“ auszubilden (GW XIV, [X]; vgl. Kap. 1.2). Folgt man der bisherigen Analyse, hat der Autor ausgerechnet diese beiden Themen in Die Journalisten über Piepenbrink und Senden zur Darstellung gebracht und damit später dezent einen Hinweis gegeben, an welches mustergültige Exempel eine künftige Lustspielkultur anknüpfen könnte. Ein in mentaler und sozialer Hinsicht weiterer typischer Vertreter des zeitgenössischen Konservatismus ist auch Oberst Berg.147 Diese Figur ist der konservativen Clique um Senden allerdings nicht im engsten Sinne zuzurechnen. Denn zum einen gelingt es nur durch die Intrige Blumenbergs und Sendens, ihn als Akteur der politisch-jour-

143 Vgl. Beaton: Gustav Freytags „Die Journalisten“, S. 538  f. 144 Gustav Freytag: „Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei“ [1866]. In: GW XV, 262–279, hier 264  f. 145 So sieht Stümcke „den großen Kampf der Zeit“ als den ‚Hintergrund‘ der Komödie an (Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 396). – Vgl. ähnlich auch die Formulierung bei: Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75. 146 Vgl. genauer: Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 262–279; s. auch Kap. 3.4.2. 147 Zu dieser Figur vgl. auch ausführlich Beaton: Gustav Freytags „Die Journalisten“, S. 531–538. – Den Oberst Berg allerdings, wie Beaton es tut, zur „Hauptfigur“ (S.  516) zu erklären, halte ich für abwegig.

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nalistischen Auseinandersetzung zu gewinnen. Zum anderen wendet sich auch der Oberst am Ende von Senden und Blumenberg ab. Der Text führt gerade diesen Charakter in seinen Schwächen vor  – so sehr er zugleich glaubhaft als redlicher Mensch dargestellt wird, den etwa Oldendorf aufrichtig schätzt, wie mehrfach betont wird (vgl. II/1; GW III, 38–40). In der frühen Bühnenfassung wurde das gute Wesen des Obersten zunächst noch stärker profiliert: Die erste Bühnenausgabe der Komödie beginnt mit einer anderen Einleitungsszene, die dann von Freytag und Devrient gestrichen wurde.148 Darin bittet eine arme Witwe den Oberst, die Vormundschaft über ihre fünf Kinder zu übernehmen. Heimlich und sie nur scheinbar zurückweisend unterstützt er die Frau. Zudem wird ersichtlich, dass sich der Oberst bereits vieler vergleichbarer Fälle auf ähnliche Weise angenommen hat. Oberst Berg wird so als knorriger Menschenfreund gezeichnet, der bei aller habitualisierten Bärbeißigkeit doch einen zutiefst guten Kern hat. Einerseits erscheinen die späteren Fehler des Obersten in einem milderen Lichte. Andererseits wird gleich zu Beginn sein großes Ansehen in der Stadt motiviert, das später u.  a. in einem Ständchen der Bürgerschaft ihren Ausdruck findet (vgl. III; GW III, 91  f.). Überdies erhält nicht nur Piepenbrinks Lobrede auf das soziale Engagement Bergs einen konkreten Bezug (vgl. 87); plausibilisiert wird auch das Dankesgedicht eines armen Jungen, das der Oberst nach der Wahl erhält (vgl. 91). In der schlussendlichen Textfassung nun werden die plötzlichen politischen Ambitionen des Obersten  – mehr noch als das Agieren bzw. Nicht-Agieren Oldendorfs – aus dessen Ehrgeiz und Eitelkeit heraus motiviert. Insbesondere Letztere wird offensichtlich, wenn der Oberst bei der Aussicht, Abgeordneter zu werden, „für sich“ spricht: „Ich würde bei Hofe präsentirt werden“ (II/1; GW III, 37). Was die Komödie im Fall Oldendorfs nur in subtilen Übereinstimmungen mit dem politischen Mitbewerber andeutet,149 vollzieht sich beim Oberst als überdeutlich markierte Kehrtwende. Kaum hat er seiner Tochter Oldendorfs Schwäche detailliert und überzeugend dargelegt,150

148 Für die ursprüngliche Einleitungsszene siehe: BümaJour, 3  f.; vgl. auch: Rosenthal: Anhang. Die erste Bühnenausgabe von Freytags „Journalisten“, S. 142–145. [Gustav Willibald Freytag]: Eine unbekannte Scene aus Gustav Freytags Lustspiel „Die Journalisten“. In: GFB 7 (1960), H. 1 (Nr. 13 der Reihe), S. 2–3. – Für eine kritische Bewertung dieser Szene vgl. Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 60  f. – Vgl. zu dieser Szene außerdem Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 95. 149 Wie Oberst Berg fühlt Oldendorf sich von der Partei in die Pflicht genommen, ein „Opfer“ zu leisten („jetzt, wo man mir sagt, daß ich unserer Sache nöthig sei“; I/2; GW III, 24) und bestreitet die Motive „Eitelkeit“ und „Ehrgeiz“, in denen der Oberst seine Weigerung zum politischen Rückzug begründet sieht (II/1; GW III, 34). 150 „Das stellt sich nicht so nackt dar: ich will Carriere machen, oder: ich will ein gefeierter Mann werden. Das geht feiner zu. Da kommen die guten Freunde und sagen: Es ist Pflicht gegen die gute Sache, daß du – es ist ein Verbrechen gegen das Vaterland, wenn du nicht – dir ist es ein Opfer, aber wir fordern es; – und so wird der Eitelkeit ein hübscher Mantel umgehangen und der Wahlcandidat springt hervor, natürlich aus reinem Patriotismus. Lehrt einen alten Soldaten nicht die Welt kennen. Wir, liebe Adelheid, sitzen ruhig und lachen über diese Schwächen.“ (II/1; GW III, 34)

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holt ihn selbst ein, was er am anderen belächelte (vgl. 35–37).151 Dass ihr Vater sich unter demselben Vorwand als Gegenkandidat aufstellen lässt, bleibt auch der Tochter nicht verborgen,152 die für den Zuschauer/Leser kommentiert, was eigentlich keines Fingerzeigs mehr bedurft hätte: „Nein! Der Vater! Kaum hat er uns gründlich auseinandergesetzt, was für kleine Mäntel der Ehrgeiz bei solchen Wahlen umnimmt – […] Und in der nächsten Stunde darauf läßt er sich selbst den Mantel umhängen“ (41  f.). Vergleichbar damit wird später auf die Doppelmoral von Oberst Berg hingedeutet, Oldendorf für dessen Tätigkeit als Journalist zu verachten, selbst jedoch für die Konkurrenzzeitung Artikel zu verfassen: Oberst. Mag er Deputirter sein, er paßt dazu vielleicht besser als ich; daß er ein Zeitungsschreiber ist, das trennt uns. Adelheid. Er thut doch nur, was Sie auch thaten. (IV/2; GW III, 101)

Die Art, wie der Oberst von der konservativen Seite als Kandidat angeworben wird, verweist darüber hinaus historisch auf eine Situation, in der Parteistrukturen sich gerade erst formieren und viele politische Neulinge aus der lokalen Honoratiorenschaft für die Politik rekrutiert werden.153 Dass man in jener Phase, welche Die Journalisten in den Blick nehmen, (gerade auf regionaler Ebene) noch nicht im engeren Sinne oder im modernen Verständnis von ‚Parteien‘ sprechen kann, sollte daher – auch bei der Bewertung des vielfach als zu unprofiliert geltenden ‚Parteienkonflikts‘ in der Komödie – stets mitbedacht werden. Die Politik, insbesondere die Kommunalpolitik, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert eine bürgerliche Honoratiorenpolitik, die fließend in die Parteipolitik überging. Diese war, ähnlich wie im Drama, zumeist kaum durch große ideologische Konflikte gezeichnet154 – eine Tatsache, die Ludwig Salomon den frühen Vorbehalten, 151 Analog zu der vom Oberst gerade am Beispiel Oldendorfs dargelegten Überzeugungstaktik wird Berg nun von Senden überredet: „Wir wissen, Herr Oberst, welches Opfer wir Ihnen zumuthen, und daß Sie nichts dafür entschädigen kann als das Bewußtsein, dem Vaterlande einen großen Dienst geleistet zu haben“ (II/1; GW III, 36). 152 Ihr gegenüber bemüht er die gleiche Argumentation, die er zuvor noch gegen Oldendorf in Anschlag brachte: „Die Gründe, welche mich bestimmt haben das Opfer zu bringen, sind sehr wichtig“ (II/1; GW III, 41). 153 Vgl. Beaton: Gustav Freytags „Die Journalisten“, S. 536; vgl. dazu insgesamt genauer: Nipperdey: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918, bes. S. 9–41. – Als sozialhistorisch interessant erweist sich auch die Erwartung des Obersten, in der Kammer „viele alte Freunde und Kameraden“ – u.  a. den Kriegsminister – wiederzutreffen (II/1; GW III, 37). Zu den zahlreichen parlamentarischen Neulingen bei der preußischen Abgeordnetenwahl von 1852 und zur Zusammensetzung der Kammern vgl. Grünthal: Parlamentarismus in Preußen, S. 341–344. 154 Vgl. dazu genauer Hans-Walter Schmuhl: Bürgertum und Stadt. In: Peter Lundgreen (Hg.): Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986–1997). Göttingen 2000, S. 224–248, bes. S. 234–236.

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das Lustspiel sei politisch zu unbestimmt, entgegenhielt: Freytag entwerfe ein „Bild des damaligen Parteilebens, bei dem von politischen Programmen noch keine Rede war.“155 Politik war in jenen Jahren zudem in der Regel ein ehrenamtlich betriebener Nebenberuf; gewählt wurden Personen von sozialem Ansehen, die sich dieses vor allem in ihrem eigentlichen Beruf erworben hatten: Personen also, wie sie sowohl der alte Militär Berg als auch Professor Oldendorf repräsentieren. In der Darstellung einer sich erst professionalisierenden, regional orientierten, vom ehrenamtlichen Engagement der lokalen Honoratiorenschaft geprägten Parteipolitik spiegeln Die Journalisten den von Habermas entsprechend erörterten Strukturwandel der Öffentlichkeit. Mit der Beschreibung einer auf persönlichen Verbindungen sowie auf einer engen Anbindung an die lokale Presse basierenden Politik (dies trifft im Drama auf beide Seiten zu) gibt Freytag in seiner Komödie einen zeithistorisch verdichteten und sozialhistorisch repräsentativen Ausschnitt der sich im Wandel befindlichen bürgerlichen Öffentlichkeit Mitte des 19. Jahrhunderts.156 Entscheidend dafür, dass es zwischen dem Oberst und Oldendorf überhaupt zur Eskalation kommt, ist neben der schlichten Tatsache von Oldendorfs politisch abweichendem Engagement als Abgeordneter und Journalist157 nicht zuletzt das politisch vormoderne Denken des Obersten, das diesem Wandel – insbesondere der strukturellen Trennung von Politik und Privatem – nicht folgen kann. Der jüngere Oldendorf sieht sich diesem Denken von Beginn an ausgesetzt, und nicht nur er hat darunter zu leiden: Oldendorf.  Du kannst dir denken, wie peinlich meine Stellung im Hause des Obersten geworden ist. Der würdige alte Herr entweder kalt oder heftig, die Unterhaltung mit beißenden Anspielungen gewürzt, Ida leidend, ich sehe oft, daß sie geweint hat. Siegt unsere Partei, werde ich Abgeordneter der Stadt, so fürchte ich, ist mir jede Hoffnung auf eine Verbindung mit Ida genommen. (I/2; GW III, 23  f.)

Weil der Oberst (sich selbst als „alte[n] Stamm aus hartem Holz“ charakterisierend; II/1; GW III, 38) Privates nicht vom Politischen trennen kann, fühlt er sich von Oldendorfs Kritik an seinen (anonym verfassten) Artikeln persönlich beleidigt und herabgesetzt, wie seine empört-verkürzte Darstellung des Sachverhalts anschaulich belegt: „Oldendorfs Zeitung greift meine Aufsätze an!“ (I/1; GW III, 11) Oldendorfs Bemühungen, den Oberst durch Erklärung des Sachverhalts zu beschwichtigen („Die Union hat nicht Sie angegriffen, sondern einen Unbekannten“; 12) sowie zwischen Person und Sache zu trennen, können hier nicht greifen. Die politische Auseinandersetzung 155 Salomon: Zu Gustav Freytag’s siebzigstem Geburtstage., S. 30. 156 Vgl. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied/Berlin 1975, S. 240. 157 In der ersten Szene des Dramas sagt Oberst Berg über Oldendorf: „Es war schon arg genug, daß er die Zeitung übernahm; daß er sich aber jetzt von seiner Partei hat verleiten lassen, als Wahlcandidat für die Kammern aufzutreten, das kann ich ihm gar nicht verzeihen.“ (I/2; GW III, 5  f.)

3.2 Eine Komödie mit ‚liberalem Strich‘? 

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der konkurrierenden Parteiblätter kann er lediglich auf der Ebene der persönlichen Kränkung verstehen, obwohl er den Journalisten gerade zuvor noch ein Übermaß an Empfindlichkeit attestiert hat (vgl. 11): „Sehen Sie hierher! Das steht in Ihrer Zeitung. In Ihrer Zeitung, Oldendorf! […] Sie haben mir hier einen gedruckten Beweis von Freundschaft gegeben, der mich nach anderen nicht lüstern macht“ (12, 13).158 Dieser ‚Logik‘ verpflichtet urteilt Oberst Berg Ida gegenüber, nachdem der zuerst als Kandidat aufgestellte Oldendorf einen Rücktritt ausgeschlossen hat: „Oldendorf hat seine vielgepriesene Anhänglichkeit an uns dadurch bewiesen, daß er nicht zurückgetreten ist“ (II/1; GW III, 41). Zu einer Versöhnung mit Oldendorf ist Oberst Berg nur unter der Voraussetzung einer Niederlage Oldendorfs bereit. Die Hand mag er ihm nur von oben reichen: „Tröste dich, Ida; wenn, wie es den Anschein hat, der junge Herr von der Feder dem alten Soldaten das Feld räumen muß, dann wollen wir weiter reden“ (III; GW III, 68).159 Oldendorf, der dem Oberst noch angesichts des scheinbar endgültigen Bruchs seine persönliche Wertschätzung versichert,160 ist in seinem politischen Denken reifer. Er besteht bereits während der ersten Auseinandersetzung mit Oberst Berg darauf, dass politisch-journalistische Tätigkeit und private Bindung an den Oberst zwei unterschiedliche Ebenen bezeichnen (vgl. I/1; GW III, 7)161 und beklagt später: „Es ist traurig! In Glaubenssachen wird jeder gebildete Mensch die Ueberzeugung des Andern toleriren, und in der Politik behandeln wir einander wie Bösewichter, weil der eine um einige Schattirungen anders gefärbt ist als sein Nachbar“ (I/2; GW III, 26). Bereits im ersten Akt formuliert Oldendorf damit eine zentrale Lehre des Textes, die durch Bolz’ beinahe gleichlautende Klage untermauert wird: „[E]s ist ein allgemeines Unglück, daß Freundschaft durch das Parteileben vernichtet wird.“ (26) Und mit ähnlichen Worten wie Oldendorf wird auch Freytag später in die Grenzboten unter Verweis ausgerechnet auf Vertreter des Junkertums und des Militärs die Notwendigkeit des Kampfes zwischen Liberalen und Konservativen auf das Vehementeste bekräftigen,162

158 Kursivierungen im Original gesperrt. 159 Vgl. in diesem Sinne auch Oberst Bergs Schnellentwurf einer Wahlrede (III; GW III, 69  f.). 160 „Herr Oberst, ich halte diesen Tag für einen sehr unglücklichen, denn ich sehe Trauriges auf ihn folgen, bewahren Sie sich unter allen Umständen die Ueberzeugung, daß meine Liebe und Anhänglichkeit an Sie durch nichts zu erschüttern ist. […] Leben Sie wohl, Herr Oberst, und denken Sie meiner ohne Groll“ (II/1; GW III, 40). 161 So antwortet Oldendorf dem Oberst auf dessen Vorwurf, sich durch die Kandidatur verändert zu haben: „Steht das, was ich jetzt sage oder schreibe, in Widerspruch mit meinen früheren Ansichten? Sie werden mir das schwerlich nachweisen können. Und noch weniger werden Sie in meinem Gefühl und Benehmen Ihnen gegenüber eine Aenderung bemerkt haben“ (I/1; GW III, 7). 162 Vgl. Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 265  f., 276–279. – In Die Journalisten stellt Freytag den von ihm als existentiell empfunden Kampf der Nachmärzperiode zwischen einer bürgerlich-liberalen progressiven Strömung und konservativ-reaktionären Privilegien­ empfängern abgetönter dar als etwa in seinem journalistischen Aufsatz „Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei“ von 1866. Auch die Aussöhnung mit der Gegenpartei wird in der

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aber im Sinne „ruhiger Ausgleichung“163 zugleich zugestehen: „Selbstverständlich unterscheiden sich sehr viele tüchtige Männer in unserem Landadel und im Heere, auch wenn sie sich der Partei zurechnen, welche […] die conservative genannt wird, nur durch eine wenig bemerkbare Schattirung von nahestehenden Männern der andern Partei“.164

3.2.3 Die Unbestimmtheit des Parteienkonflikts Die  – durch Freytags journalistische Ausführungen nachträglich untermauerten  – Aussagen der Liberalen Bolz und Oldendorf sowie Bolz’ zweifache Bezeichnung der Parteigegner als ‚Brüder‘165 formulieren bereits per se ein Versöhnungs(an)gebot und verdeutlichen zudem, wie es um den Parteienkonflikt im Drama wirklich bestellt ist. Dessen fehlende Bestimmtheit hatte, wie bereits ausführlich erläutert, in der frühen Rezeption auf liberaler Seite zum Teil Kritik hervorgerufen, während die Politik des Stücks dem Konservativen von Hülsen ja gerade allzu eindeutig bestimmbar war. Als scharfer Kritiker, der das Stück von weit links angriff, trat z.  B. Robert Prutz auf. Dieser gesteht dem Stück zwar zu, daß Freytags Komödie erkennbar „in unsern Tagen, in nachmärzlicher Zeit“ spiele, sei darin doch von Parteien und Wahlversammlungen die Rede, „[a]ber was für Parteien das sind, und um welche Principien es sich in diesem Wahlkampf handelt, an der er uns übrigens eine lebhafte Theilnahme zumuthet, davon verräth der vorsichtige Dichter kein Wort.“166 Die „politischen Gegensätze des Tages“ behandle der Dichter mit „Oberflächlichkeit“ und genau das gefalle dem Publikum; denn die politische Unbestimmtheit des Textes entspreche jener „Unbestimmtheit, in welcher die Zuschauer selbst sich in Betreff ihrer politischen Ansichten und Tendenzen zu erhalten liebten“.167 Komödie deutlich stärker betont. Als Gründe hierfür kann man zum einen genuin literarische vermuten, etwa das für das Lustspiel konstitutive Versöhnungsgebot oder das für Freytag allgemein zentrale Verklärungspostulat der Literatur. Zum anderen war die historische Situation unmittelbar nach der Revolution eine ganz andere; in der unmittelbaren Nachmärzperiode hatte die gesellschaftliche Aussöhnung und Befriedung für Die Grenzboten höchste Priorität (s. auch Kap. 3.3.4). 163 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 263. 164 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 265. – Dass der Landadel nicht per se negativ zu betrachten ist und es auch unter dieser Gruppe positive Vertreter gibt, dafür steht im Drama die Figur der Adelheid (vgl.: Henk J. Koning: Gustav Freytags Stücke. Überlegungen zur Frühphase seines künstlerischen Schaffens. In: Jahrbuch der Schlesischen FriedrichWilhelms-Universität zu Breslau 38/39 (1997/1998): Opuscula Silesiaca. Festschrift für Josef Joachim Menzel zum 65. Geburtstag, S. 725–737, hier S. 732  f.). 165 In der zweiten Szene entwirft Bolz ironisch einen Leitartikel für Oldendorf: „Achtung vor unsern Gegnern! Denn sie sind ja unsere Brüder!“ (I/2; GW III, 26). Später beklagt er die fehlende „brüderliche[] Gesinnung“ der Konservativen (III; GW III, 95). 166 Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 452. 167 Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 452.

3.2 Eine Komödie mit ‚liberalem Strich‘? 

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Die Pointe von Prutz’ Kritik besteht darin, dass er noch in seiner Polemik den programmatischen Kern des Textes als Mittelstandsdrama sowie dessen zeitspezifische Prägung bestätigt. So gelesen qualifiziert gerade der ‚vorsichtige‘ Umgang mit der Politik das Drama als repräsentatives Zeitgemälde der politischen Nachmärzmentalität. Als solches bietet es in der frühen Rezeption links wie rechts ein gewisses Provokationspotential, weil es entweder zu parteiisch und thematisch zu heikel sei (von Hülsen) oder aber in seiner harmlosen Unbestimmtheit für eine Aussöhnung mit den Zuständen Partei nehme (Prutz). Dieses Provokationspotential verfängt in der späteren Rezeption aufgrund der verhaltenen Politikdarstellung sowie des fehlenden zeitspezifischen Rezeptions- und Bedeutungshorizonts nicht mehr. Die Rezeptionsgeschichte zeigt also, dass die Tendenzlosigkeit des Stücks in der unmittelbaren Rezeption durchaus als tendenziös, jedenfalls in einem politischen Sinne, wahrgenommen wurde, während die spätere Rezeption den politischen Versöhnungscharakter des Textes von dessen historischem Standpunkt entband und auf ein gänzlich unpolitisches Gepräge verkürzte168 (s. auch Kap. 2.3 u. Kap. 3.1.1). Letzterer Rezeptionseffekt ist insofern als Texteffekt zu betrachten, als er nur dadurch ermöglicht wird, dass die Komödie darauf verzichtet, konkrete politische Inhalte zu verhandeln. Tatsächlich liegt die Aufmerksamkeit des Textes nicht auf der Frage, worum die politischen Kontrahenten streiten, sondern darauf, wie sie dabei agieren. Die widerstreitenden Positionen der Parteien werden lediglich zu Beginn des Dramas grob angedeutet, entsprechen jedoch dem realgeschichtlichen Parteienkonflikt in Preußen169 und erweisen sich als eindeutig zuordenbar – etwa wenn der Oberst Oldendorf vorhält, seine Zeitung würde „dem Staat alle Tage vorhalten, wie mangelhaft er eingerichtet ist“ (I/1; GW III, 6), und Ida ihrem Verlobten das Unbehagen des Vaters erläutert: „Es ist ihm aber schmerzlich, daß Sie jetzt in der Politik auf’s neue in die Lage kommen, Maßregeln anzurathen, die er haßt, und Einrichtungen anzugreifen, die er verehrt“ (8).170 Weder den angesprochenen Einrichtungen noch den angedeuteten Maßregeln schenkt der Text im Weiteren konkretere Beachtung und verzichtet damit auf eine allzu deutliche bzw. zeitspezifische Ausgestaltung des Parteienkonflikts – ein Umstand, der zu Lasten des parteipolitischen Profils der Komödie geht, ihr aber zeitüberdauernde Aktualisierbarkeit sichert. Darüber hinaus entspricht diese Darstellung nicht nur dem nachmärzlichen politischen Versöhnungsgeist der Grenzboten, sondern der für

168 Vgl. hierzu im Einzelnen genauer Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus. 169 So schreibt Freytag in Die Grenzboten: „Wir erkennen gegenwärtig in Preußen nur zwei kämpfende Parteien, Liberale und Reactionäre“ (Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 279). 170 Vgl. dazu auch Beaton: Gustav Freytags „Die Journalisten“, S. 532.

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Preußen nach 1848 so bestimmenden Zeitstimmung einer Übereinkunft zwischen den gemäßigten Vertretern der liberalen wie der konservativen Partei.171 Bezogen auf die parteipolitische Positionierung des Dramas trifft demnach zu, was u.  a. Alfred Dove und Robert Koenig betont haben (s. Kap. 2.3): Dass Freytag seinen „zeitgetränkten Gegenstand“ zwar stark poetisch idealisierte und damit etwas politisch verharmloste, dass er „die eigene liberale Gesinnung“ allerdings nicht ‚ängstlich verhüllte‘,172 ja man „des Dichters Vorliebe für die Liberalen“ dennoch bemerkt.173 Auf den Punkt gebracht hat Ludwig Fulda diesen ambivalenten Darstellungsmodus des Politischen in der Komödie, wenn er mit einer treffenden contradictio in adiecto analysiert, Freytags Komödie würde dem Leser/Zuschauer „den heißen Kampf der Zeit […] in durchsichtiger Verschleierung“ präsentieren.174 Schon in der fortgeschrittenen Reaktionsära war dem Publikum dieser Kampf wohl weniger ersichtlich als verschleiert. Mag die Aufführung an der Berliner Hofbühne auch Ende 1852 wegen politischer Bedenken verhindert worden sein (s. Kap. 3.2.1), so soll der damalige Prinz von Preußen und spätere Kaiser Wilhelm I. – einer vom Autor wohl selbst nicht ganz ernst genommenen Legende nach – keinesfalls Anstoß am Drama genommen und der Premiere am Hoftheater Ende 1857 sogar den Weg geebnet haben: Wohl um dem Autor eine Freude zu machen, ist ihm erzählt worden, daß die spätere Annahme auf der Königlichen Bühne durch keine andere Persönlichkeit veranlaßt worden sei, als durch unsern guten Kaiser selbst; denn als der Herr, damals Prinz von Preußen, zugleich mit dem Kronprinzen im Friedrich-Wilhelmstädter Theater eine Aufführung angesehen hatte, frug er, warum das Stück nicht im Repertoir [!] der Königlichen Hoftheater stehe. Diese Bemerkung gab der Intendanz später Veranlassung, die Aufführung zu unternehmen.175

Ob diese Geschichte nun wahr ist oder nicht, die Ablehnungsgründe von 1852 galten für die Berliner Hofbühne offenbar schon 1857 nicht mehr. Das Friedrich-Wilhelmstädter Theater und zahlreiche andere deutsche Bühnen teilten die königlich-preußischen Einwände ohnehin von Anfang an nicht und führten das Stück auf (s. Kap. 2.2). Offenbar erschien den meisten Theatern das im Text verhandelte und durch diesen zu befürchtende Konfliktpotential eher gering. Nachdem im Vorherigen das zeitkritische Provokationspotential sowie die Sympathielenkung des Textes analysiert wurde, soll daher im Folgenden die von konservativer Seite augenscheinlich bald nurmehr als wenig herausfordernd empfundene Konfliktgestaltung des Dramas näher beleuchtet werden. Diese verweist zugleich auf wesentliche Unterschiede zwischen Freytags nachmärzlicher Erfolgskomödie Die Journalisten und seinen Vormärz-Dramen. 171 Vgl. Christopher Clark: Preußen: Aufstieg und Niedergang 1600–1947. Bonn 2007, S. 575–577. 172 Dove: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘, S. 756. 173 Koenig: Deutsche Literaturgeschichte, S. 747. 174 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75. 175 Gustav Freytag [an Johannes Landau]. Brief mit eigenhändiger Nachschrift, Wiesbaden, 17. November 1882. In: „… einem wohllöblichen Publico zu Ehren …“, S. 129  f.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘: Versöhnung, H ­ armonisierung und Verbürgerlichung 3.3.1 Konfliktgestaltung und Wirklichkeitszugriff im Kontext von Freytags Vormärz-Dramatik Der Konflikt findet in Die Journalisten nicht in der Auseinandersetzung um das große Ganze statt, sondern bewegt sich im überschaubaren Rahmen einer Abgeordnetenwahl und ist umfangreich ins Private eingebettet. Das Drama entspricht damit auch der von Friedrich Theodor Vischer programmatisch formulierten Öffnung der Komödie für die „Stoffwelt des sozialen und Privat-Lebens“ (s. Kap. 1.2).176 Vischer hatte bereits 1845 für das politische Lustspiel einen „praktischen, handgreiflichen, dem Volke einleuchtenden Stoff[]“ gefordert und meinte, dies könne etwa „eine Liebesgeschichte seyn, in welcher politische Gesinnung, Stellung, Stand als retardirende und beschleunigende Momente einwirken würden“.177 Auf die Liebesgeschichte zwischen Ida und Oldendorf könnte man diese Sätze ebenso beziehen wie – mit Abstrichen – auf die zwischen Adelheid und Bolz. Nun sind allerdings schon die Liebeshandlungen in Freytags dramatischem Frühwerk in politische Zeithintergründe eingebunden. Die Welt, in der Die Journalisten spielen, ist indes eine andere: eine bürgerliche und im Kern befriedete. Der existentielle vormärzliche Klassenkonflikt, wie er Freytags frühe Dramen – etwa Die Valentine (1846) und Graf Waldemar (1846/1847) – auszeichnet,178 wird in Die Journalisten überführt in einen gemäßigten politischen Parteienkonflikt. Freytags Helden leiden hier nicht an, sondern versöhnen sich in und mit dem Bestehenden. Aus linksliberaler Perspektive sah Robert Prutz darin endgültig Freytags „Bruch mit seiner jungdeutschen Herkunft“, der den Dichter in die „moralisch-ästhetische[] Katastrophe“ seines Nachmärzwerks geführt habe.179 Für Ludwig Salomon dagegen ist Freytag erst durch diese „Wandlung“ und mit den Journalisten ‚zeitgemäß‘ geworden.180 Freytag habe sich dabei gerade nicht zum „Renegaten erniedrigt“,181 vielmehr sei er erst in seinen Nachmärzwerken ganz bei sich selbst und dem Publikum angekommen: „Der Dichter bot dem nachmärzlichen Publikum […] gerade das, nach dem es verlangte und gab sich außerdem ganz so, wie er wirklich war“.182 Dem Autor 176 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Dritter Theil, S. 1431. 177 Vischer: Politische Poesie, S. 251. 178 Vgl. dazu genauer: Schofield: Private Lives and Collective Destinies, S. 40–77; Heinrich-Friedrich Lohrmann: Die Entwicklung zur realistischen Seelenhaltung im Zeitdrama von 1840 bis 1850. Berlin 1931, S. 59–89; vgl. auch (etwas tendenziös, aber inhaltlich einschlägig): Otto Mayrhofer: Gustav Freytag und das Junge Deutschland. Marburg 1907, S. 20–48. 179 Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 448. 180 Salomon: Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts, S. 384, 383. 181 Salomon: Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts, S. 384. 182 Salomon: Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts, S.  384 (Kursivierungen im Original gesperrt).

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

genau wie seinem Publikum, so argumentiert Salomon übereinstimmend mit zahlreichen ähnlich lautenden Deutungen, sei es um eine Versöhnung der Gegensätze von 1848 und ein heiteres Befreunden mit der Wirklichkeit zu tun gewesen. Dies sind die beiden entscheidenden Eckpunkte, welche die in der Rezeption über ein Jahrhundert stabil hervorgehobene Versöhnungsdimension des Textes ausmachen. Es sind dies auch zwei Aspekte, in denen sich Die Journalisten von Freytags Vormärz-Dramen unterscheiden.183 Mit der Komödie hat Freytags sich ganz vom aristokratischen Milieu der Valentine oder des Graf Waldemar entfernt und ist in der bürgerlichen Welt der Gegenwart und auf dem Feld der Arbeit, der tätigen Veränderung angekommen.184 Dies findet auch in einer geänderten Konfliktgestaltung seinen Ausdruck. Die Konfliktlinie verläuft in diesem Sinne in Die Journalisten weder unüberbrückbar zwischen Adel und Bürgertum noch zwischen Reform und Reaktion. Konservative und liberale Presse stehen sich in einem vergleichsweise geregelten Wettstreit gegenüber, der umfangreiche Verstimmungen im Privaten nach sich zieht, aber schon von seiner Anlage her die bestehende Ordnung nicht in Frage stellt. Zwar werden Oldendorf und Bolz an einzelnen Stellen als Idealisten mit Veränderungswillen profiliert (vgl. bes.: GW III, 24, 75, 78  f., 108), ihren politischen Gestaltungsanspruch können und wollen sie aber innerhalb des gegebenen Systems verwirklichen. Von Adelheid nach seinen eigenen politischen Ambitionen gefragt, erscheint Bolz die Antwort ausreichend: „Ich bin Journalist geworden, gnädiges Fräulein“ (III; GW III, 77). Oldendorfs Zukunft wiederum sieht Bolz als Abgeordneter oder gar „als Mitglied der Regierung“ (I/2; GW III, 24). Leidet die Figur des Walter in Freytags Dramenfragment Der Gelehrte (1844 verfasst) – ein als frührealistischer Gegenentwurf zu Goethes Torquato Tasso daherkommender Einakter  – noch an seiner „Thatlosigkeit“ (GW II, 114), entscheidet er sich noch gegen die Mitarbeit am linksliberalen Partei-Journal seines Freundes Romberg, um stattdessen ‚irgendwie‘ im Volk wirken zu wollen, so haben Oldendorf (als Verkörperung des nachmärzlichen Gelehrten) und Bolz (als eine Art Nachfolger Rombergs) einen gemeinsamen Wirkungskreis für sich entdeckt. Oder anders gesagt: Das, wonach sich der Wissenschaftler Walter in Der Gelehrte mit den Schlussworten „Ich gehe in das Volk“ (GW II, 132) auf die unbestimmte Suche begibt, hat sein nachmärz183 So sieht beispielsweise auch Oskar Walzel Die Journalisten als Zeugnis der Überwindung von Freytags nach Walzels Ansicht jungdeutsch-weltfeindlichen Dramen, vgl. Oskar Walzel: Deutsche Dichtung von Gottsched bis zur Gegenwart. Bd. 2 (Handbuch der Literaturwissenschaft, hg. von dems.). Potsdam 1930, S. 146. – Zur Entwicklung Freytags in seiner Dramatik vgl. auch Schmidt: Gustav Freytag’s Ahnen, S. 68–73. 184 Vgl. in diesem Sinne auch das zeitgenössische Urteil Robert Gisekes: „Erst in seinem neuen Stücke hat Freitag [!] einen weitern Schritt seiner Entwickelung gethan. In den ‚Journalisten‘ ist der letzte Entschluß des Waldemar Wirklichkeit geworden; hier treten Männer auf, die einen bestimmten Beruf, eine freie, ehrenvolle Wirksamkeit innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse ausüben.“ R[obert] Giseke: Literaturbericht. „Die Journalisten“. In: Novellen-Zeitung 3 (1854), 7. Juni 1854 (Nr. 23, Nr. 543 der ganzen Reihe), 14. Juni (Nr. 24, Nr. 544 der ganzen Reihe), S. 367, S. 383  f., hier S. 383.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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licher Nachfahre, der Professor Oldendorf, in Die Journalisten schließlich gefunden. Was in Der Gelehrte noch unvollendet „ins Blaue hinein gesprochen“185 wird, präsentiert sich in Die Journalisten als konkretes bürgerliches Tätigkeitsfeld. Bolz wiederum kann als der in Rhetorik, Esprit und Ironie wesensverwandte Wiedergänger von Georg Saalfeld und Graf Waldemar betrachtet werden, der in der Nachmärzkomödie ganz bürgerlich geworden ist und einen praktischen, allgemeinwohlorientierten Lebensinhalt hat (s. auch Kap. 4.2).186 Nimmt Walter in Der Gelehrte aus der Position eines romantisierten, integrativen Volksbegriffs noch eine ablehnende Haltung gegenüber der Beteiligung am Parteienkampf ein (vgl. 98), zu der ihn Romberg überreden will, arbeiten Oldendorf und Bolz gemeinsam für das, was sie mit Überzeugung „unsere Sache“ oder „unsere Partei“ nennen (I/2; GW III, 24). Sie tun dies, wie man dem Text entnehmen kann, bereits seit „drei Jahre[n]“ (24) – nicht nur bei der Uraufführung im Dez. 1852 ein deutlicher Hinweis auf die aus der Revolution von 1848/49 hervorgegangene Parteienbildung und außerdem zeitlich übereinstimmend mit den Wahlperioden für das Preußisches Abgeordnetenhaus. Zeichneten sich Martini zufolge die politischen Komödien der Nachrevolutionsjahre vor allem durch „die ironische Negation aller Parteien“ aus,187 werden diese also in Die Journalisten als soziale Tatsache geschildert und als gesellschaftsbildende Kraft bejaht. Analog zur Darstellung des Journalistenstandes werden auch die Parteien im Drama in ihren Schwächen, Fehlentwicklungen und Defiziten vorgeführt, letztlich aber als Teil der modernen Lebenswirklichkeit anerkannt und affirmiert. Dies entspricht jener Haltung den Parteien gegenüber, wie sie Freytag u.  a. in dem Aufsatz „Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei“ von 1866 ausführlich dargelegt hat und aus der heraus er zum parteipolitischen Engagement animiert hat: „Wer also in politischen Dingen irgendetwas durchzusetzen wünscht, […] hat sich an eine thätige Partei anzuschließen und die Folgen dieses Anschlusses auf sich zu nehmen.“188 Mit der Partei und dem journalistischen Redaktionszimmer entwirft Freytag im Unterschied zu seinen vorherigen Dramen zwei moderne bürgerliche Betätigungsund Wirkungsfelder,189 wie er sie in der Polemik gegen die literarische Darstellung des „thatenlose[n] Leben[s]“190 programmatisch gefordert hat  – und wie sie auch

185 Schmidt: Dem Andenken Gustav Freytag’s. S. 457. 186 Vgl. hierzu auch: Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 306; Schmidt: Gustav Freytag’s Ahnen, S. 71–73. 187 Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus, S. 216. 188 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 269  f. – Vgl. dazu auch: Berthold Kern: Gustav Freytag. Ein Publizist. Karlsruhe 1933 (phil. Diss. Heidelberg), S. 87  f. 189 Hierauf zielt Weber, wenn er über Die Journalisten schreibt: „Hier stehen wir nicht mehr innerhalb aristokratischer Kreise mit ihren Grillen und ihrem Haut-Gout, sondern mitten im bürgerlichen Leben“ (Lic. Weber: Gustav Freytag, ein sozialer und kulturhistorischer Dichter. Vortrag. Leipzig 1893, S. 48). 190 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 6.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

seinen eigenen Dramen bisher fehlten.191 Graf Waldemar endet mit der Absicht des Adligen, sich in ein bürgerliches Leben „voll freier, gesunder Thätigkeit“ (GW II, 312) zu begeben – genau dies bleibt aber unausgeführt. In Die Valentine wiederum beschließen Georg und Valentine, nach Italien zu fliehen, weil ihre Selbstverwirklichung in den deutschen Territorien mit ihrem adlig-rückständigen Geist noch nicht möglich ist – eine Rückkehr in die Heimat wird angestrebt, bleibt aber im Ungewissen (vgl. GW II, 222). Ungeklärt bleibt ebenso, ob Walter aus Freytags Dramenfragment Der Gelehrte das Volk, das er am Ende des ersten und einzigen Aktes aufsucht (vgl. GW II, 132), jemals gefunden hat. Von jenem ‚kleinen Kreis‘, in dem er „tüchtig stark“ sein und wirken möchte (123), erfahren wir nicht mehr als das, was er so absichtsvoll wie vage phantasiert. Befriedigt stellt daher auch die Novellen-Zeitung 1853 fest: „In den ‚Journalisten‘ endlich werden uns Charaktere vorgeführt, die eine solche freie gesunde Thätigkeit üben, Männer, die, mitten in den bürgerlichen Verhältnissen Fuß fassend, in bestimmtem Berufe ihre Lebensaufgabe gewonnen haben.“192 Freytags Die Journalisten füllen demnach jene Leerstelle, die seine – vielfach noch als jungdeutsch‚restromantisch‘ angesehenen  – Vormärz-Dramen lassen. Man könnte sogar noch weiter gehen und befinden: Freytags ‚Poesie der Arbeit‘, sein Anspruch, das Bürgertum im tätigen Leben darzustellen, beginnt nicht erst mit Soll und Haben, es beginnt mit Die Journalisten. Freytags Zeitgenossen wie u.  a. Wilhelm Scherer oder Otto Brahm haben die Komödie in diesem Sinne gelesen193 und Karl Holl hat 1923 in seiner Geschichte des deutschen Lustspiels die neue Zeitstimmung hervorgehoben, die Freytags Komödie charakteristisch zum Ausdruck bringe: Im tiefsten Grund holt sich das Lustspiel seine erquickende Frische aus der neuen Zeitanschauung. Der Ruf zur Arbeit ertönt. Wohl hören wir noch stark resignierende Töne, aber wir fühlen doch, die Zeit pessimistischer Verzagtheit, fruchtloser Skepsis, quietistischer Tatenlosigkeit ist vorüber.194

Zusammengefasst: Das Drama entwirft ein überwiegend positives Bild der zeitgenössischen Wirklichkeit mit positiven Helden, die im Gegensatz zum dramatischen

191 Vgl. dazu auch: [Giseke]: Bilder aus der neuesten Literatur, S. 196  f. 192 [Giseke]: Bilder aus der neuesten Literatur, S. 197. 193 Unter zahlreichen weiteren Beispielen sei stellvertretend auf die folgenden verwiesen: Brahm: Deutsche Lustspieldichter, S. 89; Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 76  f.; Wilhelm Scherer: An Gustav Freytag [Deutsche Zeitung, 13. Juli 1886, Nr. 5219]. In: ders.: Kleine Schriften. Bd. 2: Kleine Schriften zur neueren Litteratur, Kunst und Zeitgeschichte, hg. von Konrad Burdach u. Erich Schmidt. Berlin 1893, S. 36–39, hier S. 39; Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 306  f.; Lohrmann: Die Entwicklung zur realistischen Seelenhaltung im Zeitdrama, S. 88. 194 Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 281.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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Frühwerk Freytags nicht mehr in sozialen Zusammenhängen stehen, an denen sie existenziell leiden. Sie leben vielmehr in einer bürgerlichen Welt, in der sie Einfluss nehmen und etwas bewirken können. Entsprechend stellt auch die Leipziger Illustrirte Zeitung die Komödie 1853 an das Ende einer Entwicklung in Freytags Dramenwerk, der zufolge seine Helden sich „aus dem Bruche zwischen rein geistigen Bestrebungen und zwingenden Thatsachen der Wirklichkeit […] herausgerettet“ hätten auf den ‚reellen Boden‘ „der bürgerlichen Verhältnisse“.195 In diesem Sinne ist Bolz für die Zeitung „der Graf Waldemar, der seine Capricen abgelegt, sich auf den Humor statt auf die Passionen verlegt und eine angenehme Anstellung gefunden hat“.196 Freytags Poesie der bürgerlichen Arbeit in Die Journalisten, die heiter-zuversichtliche Grundstimmung des Textes und der Versöhnungsgedanke, der sich als stets aktualisierbarer Kern des Lustspiels durch dessen Rezeptionsgeschichte zieht, verweisen auf die besondere Konfliktgestaltung sowie die Harmonisierungsbestrebungen des Textes. Diese sind im Folgenden genauer zu kontextualisieren und zu analysieren – auch um damit den Unterschied zwischen jungdeutsch eingefärbter Klassenkollision und realistisch verklärtem Parteienkampf genauer zu verdeutlichen.

3.3.2 ‚Harmonisierung‘ im Kontext von Programmatik und Rezeption Im Unterschied zu Freytags Vormärz-Dramen findet in seiner Nachmärz-Komödie eine vollständige Auflösung des Konfliktes statt; der Zuschauer/Leser wird nicht mit dem Eindruck einer konfliktreichen und noch zu bewältigenden defizitären Lebenswirklichkeit zurückgelassen, sondern mit einem positiv-optimistischen Blick auf das Ganze. Das hat auch damit zu tun, dass die verhandelten Konflikte keine existentiellen und grundsätzlichen mehr sind. Entsprechend ernst nimmt Adelheid gleich in ihrem ersten Gespräch mit Oberst Berg dessen politisches Zerwürfnis mit Oldendorf und ordnet die wechselhaften, aber im Grunde harmlosen politischen Streitigkeiten der Überlegenheit und Beständigkeit des Privaten unter: „Was zwischen Ihnen und Oldendorf schlimm geworden ist, kann wieder gut werden. Heute Feind, morgen Freund, heißt es in der Politik; Ida’s Gefühl wird sich nicht so schnell ändern“ (I/1; GW III, 15). Die besondere Leistung der Journalisten – so argumentiert die Leipziger Zeitung hierzu passend – bestehe darin, dass das Drama als zeitgenössisches Lustspiel gerade darauf verzichte, über die Figuren grundlegende zeitpolitische Fragen oder „tiefere[] Gegensätze[]“ zu verhandeln.197 Den Zuschauer des Dramas sieht das Blatt somit erfüllt von „der behaglichen Zuversicht, daß es für den Dichter keine Conflicte gebe,

195 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 196 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 197 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. – Vgl. dazu und für die folgenden Zitate mit leichten Veränderungen auch: [Giseke]: Bilder aus der neuesten Literatur, S. 200  f.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

die er nicht befriedigend oder ergötzend zu lösen oder zu beseitigen wisse“.198 Es mache den besonderen Wert des Textes aus, dass dieser davon absehe, die Handlung durch die „unserer Zeit eigenthümlichen Principienfragen“ oder „die tiefen sittlichen Conflicte des Menschenlebens im Allgemeinen“ zu motivieren.199 Bei den im Drama ausagierten Gegensätzen handelt es sich demnach weder um unüberbrückbare politische noch um tragische Kollisionen. Vielmehr erscheinen alle Dissonanzen jederzeit auflösbar und im Sinne eines positiv-zuversichtlichen Blickes auf die zeitgenössische Wirklichkeit versöhnbar. In ähnlicher Weise wie die Illustrirte Zeitung loben die Blätter für literarische Unterhaltung das Stück daher 1854 für seine ‚untendenziös-harmonisierende‘ Anlage. Die allgemeinen Fehler des zeitgenössischen Dramas wie die „Disharmonie zwischen Licht und Schatten“, das „tendenziöse[] Hinaufschrauben der begünstigten Parteipersönlichkeiten auf Kosten der verhaßten“ sowie „tendenziöse[] Parteilichkeit“ allgemein würde Freytag gerade unterlassen.200 Die Komödie sei aber eben dadurch aktuell; bei dem Werk handle es sich um „lebendiges und durchaus objectives Zeit- und Charaktergemälde“201, das die ‚gedämpften‘ nachrevolutionären „bürgerlich-politischen Zustände“ zeitgetreu einfange.202 Die Rezeptionszeugnisse decken sich also mit den programmatischen Ausführungen des Autors. Wie oben bereits genauer erläutert (s. Kap. 1.3), sah Freytag es als zentrale Herausforderung des modernen Lustspiels an, dieses „frei von verstimmendem Parteihaß“203 sowie „ungelöste[n] politische[n] und sociale[n] Streitfragen“204 zu halten. Das Politische solle im Lustspiel vielmehr mittelbar in das Spiel dringen, nämlich auf Basis der „souveraine[n] Freiheit“, mit welcher der Dichter hier über seinen Stoff verfügen könne.205 Genau diesen programmatischen Anspruch formulierte Freytag in einem bisher unbeachteten Brief an Ludwig Tieck vom 12. Dezember 1852 bezogen auf Die Journalisten. Dem ‚König der Romantik‘ übersandte Freytag ein Exemplar seiner Komödie und schrieb dazu begleitend: „Eines möchte ich durch Ihr Urtheil sanktioniert wissen; daß es mir nicht mißlungen ist, mit der inneren Freiheit, welche dem Schaffenden ziemt, in das Parteileben der Gegenwart zu sehen.“206 Es

198 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 199 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 200 N. N.: [Rez.] Die Journalisten, S. 635  f. 201 N. N.: [Rez.] Die Journalisten, S. 636. 202 N. N.: [Rez.] Die Journalisten, S. 635. 203 Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß, S. 78. 204 Freytag: Der dramatische Dichter und die Politik, S. 69. 205 Freytag: Der dramatische Dichter und die Politik, S. 69. 206 Der handschriftliche Brief des Autors, der dem Literarhistoriker Robert Koenig augenscheinlich von Freytag selbst überlassen wurde (vgl. Robert Koenig: Zur Erinnerung an Gustav Freytag. In: Daheim. Ein deutsches Familienblatt mit Illustrationen 31 (1895), S. 554–558, hier S. 556), findet sich lediglich als Faksimile in zwei schlecht verfügbaren Darstellungen Koenigs (S. 555; Robert Koenig: Deutsche Literaturgeschichte, hg., bearbeitet und bis auf die Gegenwart fortgeführt von Professor Dr. Kinzel. Bd. 2. Bielefeld/Leipzig 1920, S. 336–337). Ich zitiere den Brief deshalb im Folgenden vollständig:

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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ging Freytag in seinem Lustspiel also ausdrücklich darum, ein Bild des zeitgenössischen Parteilebens zu zeichnen – allerdings ein poetisch verklärtes bzw. idealisiertes Bild. Die Idealisierung der Wirklichkeit im Medium der Kunst war eine der Kernforderungen, die Freytag an das gegenwärtige Drama stellte. In Die Technik des Dramas heißt es: „Der moderne Dichter hat dem Zuschauer die stolze Freude zu bereiten, daß die Welt, in welche er ihn einführt, durchaus den idealen Forderungen entspricht, welche Gemüt und Urteil der Hörer gegenüber den Ereignissen der Wirklichkeit erheben.“ (GW XIV, 81) Eine weitere zentrale Anforderung, die Freytag dem Drama gegenüber formulierte, war dessen Zeitgemäßheit. Unter der Überschrift „Vergangenheit und Zukunft unsrer dramatischen Kunst“ propagiert er 1849: „Alle Künste müssen […] die Empfindungsweise ihrer Zeit abspiegeln, von der dramatischen Kunst gilt dies doppelt.“207 Beide Postulate Freytags – der Anspruch auf Idealisierung wie auf Zeitgeistnähe – treffen im heiter-zuversichtlichen nachmärzlich-liberalen Geist der Journalisten zusammen. Wohl auch weil für sein Dramenverständnis die Idee einer objektiven Versöhnung konstitutiv ist,208 denkt der Autor (der sich selbst den Mittelparteien und ihrem gemäßigten Liberalismus zuordnete)209 das Drama als liberale Form bzw. den Dramatiker als Liberalen: [I]n den Männern der Mittelparteien ist die Naturanlage vorherrschend, die den Dichter zum Dramatiker formt, das heißt eine verhältnismäßig, unbefangene und gerechte Würdigung der kämpfenden Interessen, dazu die Fähigkeit, diese miteinander verhandeln zu lassen und den großen Ideen des Staates dienstbar zu machen. (GW I, 225)

„Leipzig. 12. Dec. 1852. Mein hochverehrter würdiger Freund! Haben Sie die Güte, das beiliegende Exemplar „der Journalisten“ gütig u. wohlwollend als ein Zeichen der alten Hochachtung und Verehrung anzunehmen, welche ich gegen Sie empfinde. Möge Ihnen das Stück den Eindruck machen, daß ich mein Handwerk nicht ganz verlernt habe. Es ist ein nicht ganz dankbarer Stoff u. waren dabei manche Klippen zu vermeiden; u. ich bin diesmal unsichrer, als irgend früher; ob es mir gelingen wird, dabei Ihre Theilnahme und Billigung zu gewinnen. Eines möchte ich durch Ihr Urtheil sanktioniert wissen; daß es mir nicht mißlungen ist, mit der inneren Freiheit, welche dem Schaffenden ziemt, in das Parteileben der Gegenwart zu sehen. Gern hätte ich Ihnen einige kleine Abänderungen in den Aktschlüssen noch beigelegt, aber das Stück fängt an, sich auf den Theatern zu rühren und ich möchte nicht gern, daß Sie durch Andere eher, als durch mich, davon erführen. Erhalten Sie gute Meinung und freundlichen Antheil Ihrem treu ergebenen Freytag“. 207 Freytag: Theater. Vergangenheit und Zukunft unsrer dramatischen Kunst, S. 274. 208 Vgl. Hermann Kinder: Poesie als Synthese. Ausbreitung eines deutschen Realismus-Verständnisses in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.  M. 1973, S. 55. 209 Vgl. Hahn: Gustav Freytag und der deutsche Liberalismus, S. 51.

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Besonders treffend hat Hans-Wolf Jäger die hier eröffneten Zusammenhänge zwischen Harmonisierungsbestreben, liberalem Denken und heiterem Drama erläutert: Harmonie und Integration: Das sind nicht nur politische und historische, es sind auch die leitenden ästhetischen Prinzipien des Realismus. […] Integration ist das herrschende architektonische Prinzip des Kunstwerks, weswegen das Drama als architektonischste Gattung an erster Stelle der realistischen Programmatik rangiert. […] Damit wird das Drama zum Signum einer Gesellschaft, in der die staatlichen Gewaltansprüche und die subjektiven Interessen der Individuen harmonisch zum Ausgleich gefunden haben im Sinne eines liberalen Systems. […] Das liberalistische Ideal einer bürgerlich-integrativen Staatsordnung und einer harmonischen historischen Entwicklung findet sein Abbild und sein programmatisches Zeichen im realistischen Kunstwerk mittlerer Stillage. Vorhandene Spannungen werden ausgeglichen; und der immer wiederkehrende Topos […] heißt ‚Heiterkeit‘. Ihre […] Funktion ist die künstlerische Versöhnung von Widersprüchen, die sich trotz der ausgleichenden und schönenden Tendenzen aus der Wirklichkeit ins Kunstwerk hineinstehlen, ist die Verdrängung des politischen und sozialen Dunkels.210

Mit Verweis u.  a. auf Jäger hat auch Schönert die herausragende Bedeutung unterstrichen, die dem Versöhnungsprinzip in ästhetischer wie ideologischer Hinsicht in den Nachmärzjahren zukam.211 Bei aller gebotenen Differenzierung kann man dieses Prinzip im Kontext des Grenzboten-Liberalismus und dessen Ästhetik in erster Linie als Antwort auf eine ‚unversöhnte gesellschaftliche Wirklichkeit‘ begreifen.212 Von hier aus begründet sich auch die vom Autor selbst angedeutete und durch die zitierten Rezeptionszeugnisse bestätigte Konfliktgestaltung der Journalisten mit ihren ‚Harmonisierungsbestrebungen‘.

3.3.3 Fassungsvergleich: Die Bearbeitung des Bühnenmanuskripts als Konfliktentschärfung Dass es Freytag nämlich offensichtlich nicht darum zu tun war, die privaten und politischen Konflikte des Textes zugleich als soziale zu vertiefen, belegt neben der positiv und letztlich einsichtig gezeichneten Figur des Oberst Berg z.  B. auch die Tatsache, dass der Autor die deutlich negativere Darstellung des Junkers Senden im ersten Bühnenmanuskript für die Buchfassung zurückgenommen hat. In der dann von Freytag und Devrient noch stark bearbeiteten Bühnenfassung weiß Bellmaus etwa noch zu berichten, dass es Senden – der immerhin bereits um Adelheid wirbt – auf eine Verbindung mit Ida abgesehen hat,213 so dass Rosenthal den Junker hier als „Heiratsschwindler“

210 Hans-Wolf Jäger: Gesellschaftliche Aspekte des bürgerlichen Realismus und seiner Theorie. In: Text & Kontext 2 (1974), H. 3, S. 3–41, hier S. 18–20 (Kursivierung im Original). 211 Schönert: Zur Diskussion über das „moderne Drama“ im Nachmärz, S. 669–672. 212 Schönert: Zur Diskussion über das „moderne Drama“ im Nachmärz, S. 670. 213 Vgl. BümaJour, 50.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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dargestellt sieht.214 Man kann die Streichung dieses in der ursprünglichen Fassung recht losen Fadens zwar zugleich im Sinne einer Straffung der Dramenarchitektur und im Dienste einer klareren Handlungsmotivierung lesen;215 m.  E. dienen aber nahezu alle Änderungen an der ersten Bühnenfassung mittel- oder unmittelbar einer Abmilderung der persönlichen, politischen sowie sozialen Konflikte und Kontraste.216 So geht es in der Buchausgabe schlechthin friedlicher zu, wenn der Text darauf verzichtet, die Vorbehalte des Obersten gegenüber Bolz („sittenlos“ und „unwürdig“) ein weiteres Mal zu betonen217 und wenn sich wiederum Bolz verkneift, Senden die Worte „Dieser fade gemeine Gesell“ hinterherzurufen.218 In der Erstfassung erscheint der Konflikt zwischen beiden Parteien tiefer und wird persönlicher genommen. Bellmaus etwa setzt Adelheid hier noch auseinander, dass „der Coriolan ein so schlechtes Blatt ist und von unseren Feinden redigirt wird“.219 Auch das Verhältnis zwischen Oldendorf und dem Oberst wird im Hinblick auf die politischen Differenzen im Bühnenmanuskript noch als um einen Deut angespannter gezeichnet.220 Das Gefälle zwischen dem tugendhaften Oldendorf und dem mehr mit menschlichen Schwächen versehenen Berg ist zudem leicht größer.221 Oldendorfs Idealismus und die Richtigkeit seines Handelns werden in einem später gestrichenen Dialogteil sogar von Ida bestätigt (auch wenn ihre Verherrlichung des Kandidaten im Gespräch mit Adelheid nicht

214 Vgl. Rosenthal: Anhang. Die erste Bühnenausgabe von Freytags „Journalisten“, S. 148. 215 Vgl. in diesem Sinne etwa auch die Streichungen: BümaJour, 63–65 (vgl. dazu auch: Rosenthal: Anhang. Die erste Bühnenausgabe von Freytags „Journalisten“, S. 151–154). 216 Zu den Änderungen gegenüber dem ersten Bühnenmanuskript von 1852 vgl. vor allem das Beiblatt „Scenierung und Arrangement des Lustspiels ‚Die Journalisten‘ bei dem Großherzoglichen Hoftheater zu Karlsruhe“, das am Ende der digitalisierten Bühnenausgabe (BümaJour) sowie im GSA Weimar (GSA 19/29) zu finden ist. – Ein vollständiger und auch den zahlreichen veränderten Details verpflichteter Fassungsvergleich liegt bis dato nicht vor. Den bisher umfassendsten und äußerst wertvollen Beitrag zur ersten Bühnenausgabe liefert: Rosenthal: Anhang. Die erste Bühnenausgabe von Freytags „Journalisten“. Zu den bisher von der Forschung herausgearbeiteten Änderungen vgl. auch: Glücksmann: Die erste Bühnenausgabe der „Journalisten“; Kreißig: Nachwort, S. 118–120.; vgl. außerdem die verstreuten Ausführungen bei Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, sowie bei Barth: Gustav Freytags „Journalisten“. 217 [Beiblatt] „Scenierung und Arrangement des Lustspiels“ (BümaJour / GSA 19/29). 218 BümaJour, 19. 219 BümaJour, 50. 220 So sagt Oldendorf zum Oberst: „Sie müssen ohnedies mir gegenüber oft mehr Nachsicht zeigen, als für unser Verhältniß gut ist“ (BümaJour, 25). 221 In einer dann gestrichenen Passage seiner extemporierten Wahlrede stellt der Oberst Oldendorf als jene Person dar, die ihn vom Militär ins Leben zurückgebracht, ihn in die bürgerliche Welt eingeführt und der er zudem die Bildung seiner Tochter zu verdanken habe: „Ida hat ihm in ihrer Bildung viel zu danken, und ich, – ich habe ihm auch viel zu danken. Ich war im Dienst grau geworden und hatte in der kleinen Garnison mich weniger um die Welt gekümmert, als recht war. – Er hat mir ordentlich die Augen geöffnet und hat mich überall eingeführt und orientiert. Dafür kann ich ihm gar nicht genug danken“ (BümaJour, 42).

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ganz ungebrochen bleibt).222 Sie zeigt Einsicht in die genuin männlichen politischen Pflichten, die Oldendorf in der Erstfassung vom dem vermeintlich traditionell weiblichen Primat des Privaten unterscheidet.223 Es sind häufig nur geringfügige Streichungen und Veränderungen, die Freytag und Devrient für die Karlsruher Premiere vorgenommen haben – und die der Autor fast ausnahmslos für alle späteren Textfassungen so beibehalten hat –, aber diese Änderungen sind bezeichnend. Besonders aussagekräftig ist m.  E., dass Freytag die folgenden Sätze Sendens gestrichen hat, mit dem dieser den Oberst am Anfang des zweiten Aktes zur Kandidatur überredet: Send.  Es würde bei unsern Freunden und Gönnern in der Residenz das größte Mißfallen erregen, wenn diese wichtige Stadt einen Abgeordneten unsrer Gegner in die Kammer senden sollte. Sie sind zu loyal, Herr Oberst, um eine solche Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen.224

Vermutlich handelt es sich hierbei um eine der Stellen, die Botho von Hülsen (der ja zunächst nur die Erstfassung kannte) haben aufschrecken lassen. Durch Sendens Argumentation nämlich wird der (preußische) Hof bzw. die (preußische) Regierung explizit Teil des im Drama geschilderten Parteienkonflikts und wird die Abgeordnetenwahl gleichsam zur Regierungsangelegenheit ausgeweitet. Der Hof stünde somit in massiver Opposition („das größte Mißfallen“) zu seinen liberalen ‚Gegnern‘ und wäre nicht nur mit der intriganteren und insgesamt deutlich negativer gezeichneten Seite verbündet, sondern auch mit der letztlich zu Recht unterlegenen. So betrachtet und unter Berücksichtigung der spezifischen Stimmung der Nachmärzjahre wird verständlich, warum der preußische Staatsbürger Freytag, der bald darauf in den Jahren 1854/55 von seinem Heimatstaat per Haftbefehl verfolgt werden sollte (s. Kap. 4.4), hier zurückruderte. Weitere Beispiele sind vergleichbar im Sinne der hier behaupteten Konfliktentschärfung und Harmonisierung einzuordnen: In der Erstfassung etwa nennt ausgerechnet der Idealist Oldendorf im Gespräch mit dem Oberst „all den Haß und die Bitterkeit des Parteilebens“225 eine hinzunehmende Tatsache des politischen Lebens, obwohl der Text diesen Kampf in seiner verheerendsten Form und die mit ihm verbundene Bitterkeit gerade zu überwinden sucht. Freytag hat diesen Satz gestrichen 222 Vgl. BümaJour, 49. – So antwortet Ida etwa mit Verve auf Adelheids Urteil über Oldendorf, diesem fehle es an „Gemüth“: „Das ist falsch, das in ungerecht! Er ist ein edler Mann und er hat gethan, was seine Pflicht war. Er hat Recht, und Ihr habt Unrecht.“ (49) Idas noch weitaus ausführlichere Idealisierung Oldendorfs wird von Adelheid wie folgt kommentiert (und dadurch relativiert): „Ja, so sind wir! Was uns verloren scheint, daran malen wir unaufhörlich mit goldner Farbe“ (49). 223 Im Gespräch mit Adelheid, die nicht verstehen kann, warum Oldendorf der Politik gegenüber der Liebe den Vorrang gibt, sagt dieser in der ersten Bühnenfassung noch: „Ich finde natürlich, daß Sie als Frau diese politischen Pflichten in die zweite Reihe stellen, ich als Mann darf das nicht. Selbst der Oberst könnte nicht loben, wenn ich es thäte“ (BümaJour, 45). 224 BümaJour, 22. 225 BümaJour, 24.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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und er hat die vom Text selbst so bezeichnete „Versöhnung“ (IV/2; GW III, 110) im letzten Akt gegenüber dem Bühnenmanuskript vollständiger und umfassender hervorgehoben. Verändert wurde etwa auch der Abgang Sendens, nachdem dieser von Adelheid düpiert wird. Während Adelheid den Junker in der späteren Textausgabe diskret und geräuschlos ausbootet, so dass dieser auch leisen Fußes – und mit einer Akzeptanz ausdrückenden Verbeugung – verschwindet (vgl. 110  f.), hat die Art und Weise, wie er in der ursprünglichen Bühnenfassung abtritt, noch etwas eigentümlich Unabgeschlossenes. Konfrontiert mit jenen Papieren, die ihn der Intrige überführen, reagiert er hier nur: „(einen Blick in die Papiere werfend): Merkwürdig, höchst fatal – ich empfehle mich (ab).“226 So wie Sendens Abgang den für einen Schlussakt unglücklichen Eindruck vermittelt, dass hier nur ein Teilsieg eingefahren wurde und das nächste intrigante Manöver der Konservativen auf dem Fuß folgen könnte, bleibt in der Erstfassung der Oberst unversöhnter zurück. Immerhin wird er durch Adelheids Bekenntnis zu Bolz und zu dem von ihm verachteten Journalismus am Schluss noch einmal vor den Kopf gestoßen und blickt schockiert auf das Finale: „(erstaunt an der Thür). Was ist das? […] Adelheid, was seh’ ich?“ (IV/2; GW III, 112). Durch zwei kleine Ergänzungen gegenüber dem Bühnenmanuskript227 hat Freytag dem siegreichen Journalismus der Liberalen zwar weiterhin das letzte Wort zuerkannt, den deutlichen Schlussakkord jedoch buchstäblich mit einer versöhnenden Geste verbunden. Bevor Adelheid mit dem ironischkoketten, aber zugleich bekenntnishaften Ausruf „Die Braut eines Journalisten!“ (112) die letzten Worte des Textes spricht, streckt sie nun laut Regieanweisung „die Hand nach dem Obersten aus[]“ und bekräftigt die performative Geste emphatisch mit der deklarativen Äußerung: „Mein Freund!“ (112) Die Versöhnung ist erst auf diese Weise eine vollständige.

3.3.4 Dimensionen der ‚Versöhnung‘ Durch die Parallellektüre mit der Erstfassung wird demnach vollständig ersichtlich, worum es dem Autor offenbar zu tun war. Man muss indes nicht erst einen Fassungsvergleich bemühen, um zu erkennen, dass es Freytag nicht darum ging, die Konflikte nicht allzu sehr sozial, persönlich und politisch zu vertiefen. Als aufschlussreich im Hinblick auf die Konfliktgestaltung erweist sich etwa ebenso die Liebesgeschichte zwischen der adligen Adelheid und dem Pfarrerssohn228 Bolz bzw. deren Vorge226 Zit. n. Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S.  69 (das Bühnenmanuskript ist an dieser Stelle leider überklebt und daher nicht lesbar, vgl. BümaJour, 69); vgl. zu der Stelle auch: Rosenthal: Anhang. Die erste Bühnenausgabe von Freytags „Journalisten“, S. 155. 227 Vgl. demgegenüber BümaJour, 71. 228 Im Gespräch mit Oldendorf erzählt Bolz über sich und Adelheid: „Wir sind aus demselben Dorf, sie vom Schlosse, ich aus dem Pfarrhaus, mein Vater hat uns zusammen unterrichtet“ (I/2; GW III, 26).

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schichte. Legt Bolz’ Bemerkung, bei der durch Adelheids adligen Vater erzwungenen Trennung der beiden sei „[e]twas Politik […] im Spiel“ gewesen (I/2; GW III, 26),229 noch den klassischen Konflikt eines bürgerlichen Trauerspiels nahe, wird dieser in der Erzählung Adelheids deutlich entpolitisiert und insgesamt stark abgemildert (vgl. II/1; GW III, 43). Vor seinem Tod habe der Vater den Widerstand gegen die Verbindung aufgegeben, erzählt Adelheid (vgl. 44); für dessen zunächst feindseliges Verhalten zeigt später sogar Bolz Verständnis und versöhnt sich nachträglich mit dem Junker, der ihn einst vom Hof jagte – und auf den der Text, einem komplexen Wirklichkeitsverständnis gemäß insgesamt, multiperspektivisch blickt.230 Auch im Zusammenhang mit der Verbindung von Oldendorf und Ida spielen soziale Unterschiede keine Rolle mehr. Die Versöhnung im Lustspiel gelingt nicht gegen soziale Grenzen, sondern über diese hinaus. Als der Wettkampf um das Deputiertenmandat beendet ist, werden zumindest von liberaler Seite die Parteigrenzen ein Stück weit überwunden. Dies entspricht der grundsätzlichen Versöhnungsfunktion, welche Die Grenzboten dem Zeitungswesen dort zuschreiben, wo – wie bei Oldendorf und dem Oberst – einst Eintracht vorhanden war.231 Es entspricht außerdem Freytags journalistischem Selbstverständnis. Laut dem Grenzboten-Mitarbeiter Julius von Eckardt bestanden Freytags Auffassung von der „Aufgabe der Presse“ und der „rote[] Faden“ seiner Pressearbeit darin, unter den „Deutschen der verschiedenen Landschaften wie der verschiedenen Gesellschaftsschichten“ zu vermitteln und Verständnis herzustellen.232 Die liberale Presse im Drama also kommt solchem Versöhnungsgebot nach und zollt dem unterlegenen konservativen Gegenkandidaten mit einem schmeichelhaften Artikel Respekt und Anerkennung. Die Wahlmänner und die Bürgerschaft tun es ihr gleich (vgl. III; GW III, 85–93). Zwar trägt der Aufzug vor dem Haus von Oberst Berg deutlich die Handschrift von Bolz, der Adelheid einen Schritt der Versöhnung verspro229 Vgl. in diesem Sinne auch die Reaktion Oldendorfs. 230 So formuliert Bolz gegenüber Adelheid: „Ihr Vater hat zwar rauh an mir gehandelt, aber daß er uns trennte, daß er Sie, die reiche Erbin, an Ansprüche gewöhnt, in bestimmte Kreise eingelebt, verhinderte, Ihr Leben einem wilden Knaben zu schenken, der immer mehr Uebermuth als Kraft gezeigt hatte, das war doch sehr verständig, und er hat ganz recht daran gethan.“ (III; GW III, 78  f.) – Dabei gibt das, was der Diener Korb Bolz anfangs über Adelheids Vater berichtet, wenig Anlass, diesem gegenüber milde gestimmt zu sein: „Korb. […] [E]s ist uns schlecht gegangen. Vier Jahre war der selige General krank, das war eine böse Zeit. Sie wissen, er war immer ein ärgerlicher Herr. […] Und vollends in seiner Krankheit“ (I/2; GW III, 27). Noch an den unterschiedlichen Perspektiven, die im Stück seitens verschiedener Personen (Bolz, Korb, Adelheid, Oberst Berg) gegenüber dem toten Vater Adelheids (eine Figur, die für das Stück lediglich im Hinblick auf die Liebesgeschichte um Bolz und Adelheid funktional ist) eingenommen werden, kann man bei Freytag Ansätze zu einem multiperspektivischen und mehrsinnigen Blick auf Wirklichkeit erkennen. 231 Vgl. N. N.: Die Pflicht der liberalen Parteien in Preußen. [Rez. zu:] Die liberalen Parteien Angesichts der Zukunft Preußens. Berlin, 1862. J. Springer. In: Die Grenzboten 21 (1862), I. Semester, I. Band, S. 259–264, hier 262  f. 232 Julius von Eckardt: Lebenserinnerungen. Bd. 1. Leipzig 1910, S. 97.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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chen hat (vgl. II/2; GW III, 79), dennoch sind die Ehrerbietungen durchaus als ehrlicher Ausdruck des breiten und hohen Ansehens zu verstehen, das der Oberst nach wie vor in der Stadt genießt (vgl. III; GW III, 93). Mögen die auch in dieser Hinsicht rückständigen und unbelehrbaren Konservativen sogar nach der Wahl ohne „brüderliche[] Gesinnung“ weiter „Nieder mit unsern Feinden!“ und „Pereat die Union“ (95, 94) als Botschaft aussenden, so wird dem alten Militär doch die Modernisierungslektion erteilt, dass eine Wahlniederlage nicht auch einen Ehrverlust bedeuten muss. Mag der Oberst darüber hinaus auch auf die von ihm ritualisierte Weise wüten, ist Bolz sich doch sicher, dass das Versöhnungssignal seinen Zweck nicht ganz verfehlt hat – wähnt er den konservativen Gegenkandidaten doch „halb bekehrt“ (95). Gerade diese Szene zeigt neben allem anderen, dass dem Drama aufgrund der Überzeichnung der Figuren in ihren Wesensmerkmalen (so wenn Bolz sich im Haus des Obersten über dessen Stuhllehne lümmelt oder Oberst Berg am Ende, auf die Journalisten fluchend, die Laterne zu Boden wirft; vgl. 93, 95) der für den poetischen Realismus so charakteristische „Humor der Versöhnung“233 innewohnt. Die Figuren werden zwar in den für sie typischen Merkmalen, insbesondere ihren Schwächen, dargestellt, aber im Grunde handelt es sich um Harmlosigkeiten, die als offenkundig übertrieben ausgestellt werden. Zudem werden Charaktere wie der Oberst oder auch Piepenbrink nicht vorgeführt oder bloßgestellt; sie werden zugleich in ernsteren Zusammenhängen gezeigt, in denen sich ihr letztlich guter Charakter erweist oder von anderen bestätigt wird. Kurz: Man lacht über und mit den Figuren, aber man verlacht sie nicht. Dies hat auch die Rezeption immer wieder hervorgehoben und dem Stück deshalb topisch einen ‚liebenswürdigen Humor‘ attestiert, der starke Gegensätze überwinde und literaturgeschichtlich innovativ sei:234 „Der Humor ist eine Errungenschaft der neueren Poesie; die antike kannte ihn nicht. Die alte Komödie ging dem Lächerlichen wie einem Feind zu Leib, nicht mit der versöhnlichen Stimmung eines Freundes.“235 Nun hat Freytag mit den nämlichen Worten in Die Technik des Dramas selbst auf etwas hingewiesen, was die Forschung zum realistischen ‚Humor der Versöhnung‘ später als dessen Charakteristikum hervorgehoben hat:236 dass für diesen eine Position der ‚Ruhe‘ und ‚Überlegenheit‘ konstitutiv ist (vgl. GW XIV, 268  f.).

233 Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 14. – Zu dem spezifisch realistischen Humor vgl. auch: Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus, S. 59. 234 Stellvertretend für zahlreiche Belege – und weil dieses Kapitel bereits entsprechende Zitate enthält – sei hier nur auf einige Beispiele verwiesen: Salomon: Zu Gustav Freytag’s siebzigstem Geburtstage, S. 30; N. N.: Theater und Kunst; Proelß/Kiffert: Gustav Freytag-Galerie, S. 48; Prölß: Geschichte des neueren Dramas, S. 317; Koenig: Deutsche Literaturgeschichte, S. 747; Vorberg. Zur Erinnerung an Gustav Freytag; Martersteig: Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert, S. 409; N. N.: [Art.] ‚Freytag, Gust.‘, S. 300. 235 Proelß/Kiffert: Gustav Freytag-Galerie, S. 48. 236 Vgl. Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 14–16.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

Diese zuversichtliche Stimmung „überlegener Laune“ (GW XIV, 269) etabliert das Stück gleich mit der ersten Szene, indem Adelheid ihre baldige Gattenwahl zusichert und in einem Pakt mit Oberst Berg an Idas Verbindung mit Oldendorf knüpft (vgl. I/1; GW III, 16). Das Stück nimmt damit seine Lösung vorweg237 und Adelheid lässt auch im Folgenden keinen Zweifel daran, dass sie alles zu einem versöhnlichen Ende zu führen weiß (vgl. etwa II/2; GW III, 44).238 Selbst in der aussichtslos scheinenden Lage des dritten Aktes kann sie Ida versichern, dass diese doch noch „Frau Abgeordnete“ werden solle (III; GW III, 81) und bezogen auf ihre eigene Zukunft sieht sie ebenfalls „eine Vorbedeutung“ (84). Nun ist der positive Ausgang an sich wenig überraschend – gehört doch die Beilegung der Konflikte zu den gattungskonstitutiven Vorgaben der Komödie –, frappant ist allerdings, dass das Stück direkt und gleich zu Beginn darauf hindeutet und wie vor allem Bolz und Adelheid als ‚Drahtzieher der Handlung‘ aus dieser offensichtlichen Gewissheit mit überlegener Zuversicht agieren und kommentieren. Dass nach der Zuspitzung des Konflikts in der Szene II/2 sowie im ersten Teil des dritten Akts komödienlogisch nun ein Schritt zur Aufhebung des Konflikts folgen muss, thematisiert der Text selbstreferentiell im Dialog zwischen Adelheid und Bolz: „Der Oberst muß versöhnt werden“ (III; GW III, 79). Aus der für die Figur charakteristischen überlegenen Position heraus (s. Kap. 4.2) kann Bolz sich darauf nicht nur bereits präpariert geben („Ich habe daran gedacht und Einiges vorbereitet“; III; GW III, 79), er kann auch schon im dritten Akt vorhersagen, wie es zu der vom Text immer wieder direkt angesprochenen „Versöhnung“ dann kommen wird: „Leider kann ich nichts thun, als ihm fühlbar machen, daß sein Zorn gegen Oldendorf eine Thorheit ist. Den milden Sinn, der zur Versöhnung treibt, werden Sie allein hervorrufen können.“ (79) Auch die letztendliche Aussöhnung zwischen Oldendorf und dem Oberst wird nicht nur ausdrücklich auf der Bühne bzw. im Text vollzogen, sondern dort sogar deutlich als solche ausgewiesen. Oberst (die Arme ausbreitend). Kommen Sie, Oldendorf! – Was geschehen ist, that mir leid seit der Stunde unserer Trennung. Oldendorf.

Mein verehrter Freund!

Adelheid (auf die Thür links deutend). Dort drinnen ist noch Jemand, welcher an der Versöhnung Theil zu nehmen wünscht. (IV; GW III, 110)

237 Vgl. hierzu auch: Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus, S. 184  f. 238 Vgl. dazu auch: Koning: Gustav Freytags Stücke, S. 732  f. – Adelheid übernimmt im Stück schließlich die Rolle der Intrigantin – man kann in diesem Sinne bereits den Namen der Figur als Anspielung auf die Adelheid in Goethes Götz von Berlichingen lesen, nur dass es sich bei Freytags Adelheid um eine positive ‚Strippenzieherin‘ handelt.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

 183

Mit einigem Recht also hat Fritz Martini in dem Stück lediglich „sehr milde Kontraste“ am Werk gesehen und stattdessen die „Tendenz zur humoristischen Entspannung der Gegensätze“ hervorgehoben.239 Auch lässt sich auf Basis der bisherigen Analyse nachvollziehen, warum der Lustspielforscher Wolfgang Stauch-von Quitzow Freytags Komödie als „Lustspiel der Versöhnung“ bezeichnete,240 ja warum Erich Schmidt dem Drama salbungsvoll attestierte, durch seine „friedliche, aufheiternde Sendung“ gleich Lessings Minna von Barnhelm im „Strome der Zeit ein Versöhnungsamt der Poesie“ zu sein.241 Nun muss man allerdings anmerken, dass der Versöhnungsgedanke des Lustspiels zu Beginn der Reaktionsära ebenso wenig unpolitisch lesbar war wie 1916, als etwa der konservative Journalist Hermann Ullmann, mitten im Ersten Weltkrieg und anlässlich von Freytags 100. Geburtstag, den parteiübergreifenden Versöhnungsgeist des Lustspiels betonte – womit er dieses mehr oder wenig direkt auf den nationalen ‚Burgfrieden‘ verpflichtete.242 Wolfgang Preisendanz hat in seiner viel rezipierten Studie herausgearbeitet, inwiefern der realistische Humor als Mittel der Verklärung einer Versöhnung mit der zeitgenössischen Wirklichkeit sowie ihrer Aufwertung dient.243 Mit anderen Worten: Die vermeintlich unpolitisch-heitere Aussöhnung im Lustspiel und dessen verhaltene Konfliktgestaltung sind im Kontext ihrer Zeit durchaus politisch zu lesen. Die Versöhnung mit der bestehenden Wirklichkeit und die Überwindung der existentiellen politischen Gegensätze der 1848er-Revolution gehörten zu den zentralen Anliegen der Grenzboten. Erst vor dem Hintergrund von Freytags nachmärzlicher poeto-politischer Programmatik wird deshalb die umfassende Versöhnung am Ende der Komödie und deren zeitgenössisch vielfach diskutierte ‚Tendenzlosigkeit‘ als politische ‚Tendenz‘ erkennbar  – ein Kontext, den die spätere Rezeption des Textes kaum mehr wahrnimmt. Bereits Freytags Der Gelehrte sehnt einen „Weg“ herbei, „die Spannung zu vernichten, / An der wir kranken“; Walter phantasiert „Den Tag, wo sich Regierung und das Volk, / Der Gegensatz, zu schöner Einheit bindet“ (GW II, 123). Walters Ansatz, „Gegensätze zu verbinden“ und den Parteien „gleiches Recht auf Sein und Geltung“ zuzuerkennen (98), findet sich im „politische[n] Glaubensbekenntniß“ wieder, das

239 Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus, S. 219. 240 Stauch-von Quitzow: Ein Lustspiel der Versöhnung. 241 Schmidt: Dem Andenken Gustav Freytag’s, S. 460. 242 Vgl. Hermann Ullmann: Gustav Freytag. Zum 13. Juli 1816. In: Deutscher Wille. Des Kunstwarts 29. Jahr (1916), Bd. 4, H. 20 (2. Juliheft), S. 57–61. 243 Vgl. Wolfgang Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungskraft. Studien zur Erzählkunst des poetischen Realismus. 2., durchges. u. mit e. Reg. vers. Aufl. München 1976, bes. Kap. V; ders.: Voraussetzungen des poetischen Realismus in der deutschen Erzählkunst des 19. Jahrhunderts. In: Richard Brinkmann (Hg.): Begriffsbestimmung des literarischen Realismus. 3., erw. Aufl. Darmstadt 1987, S. 453–479, bes. S. 475–479.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

Gustav Freytag und Julian Schmidt „Den Lesern der Grenzboten“ bei Übernahme des Blatts als liberal-gemäßigtes „Programm ihrer Ueberzeugungen“ skizzierten.244 Die dort ebenfalls angestrebte „Versöhnung der Gegensätze in Deutschland“245 konkretisierte sich bei Freytag in einer Lebensphilosophie des Kompromisses, die mit den Ausgleichsbestrebungen am Ende der Journalisten übereinstimmt. In dem Aufsatz „Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei“, den Freytag 1866 in den Grenzboten veröffentlichte und später in die Auswahl seiner politischen Aufsätze für die Werkausgabe aufnahm, schreibt er: Denn die Grundlage jeder segensreichen politischen Thätigkeit ist Compromiß, und zwar Compromiß des Wahlmanns mit dem Wahlmann, des Schriftstellers mit seinen Lesern, des Deputirten mit seinen Parteigenossen, der Partei mit der Gegenpartei, der Regierung mit den Parteien, der Staaten untereinander.246

Freytags politische Überzeugungen trafen sich mit der allgemeinen bürgerlichen Zeitstimmung. Ähnlich schrieb Robert Giseke 1853 in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Erscheinen der Journalisten, die jetzige Zeit sei die „Zeit der Vermittlung, des Kompromisses, das sich ein Verhältniß suchen zu den Thatsachen“.247 Die bürgerliche Kompromissbereitschaft ist nicht allein vor dem Hintergrund der gescheiterten Revolution zu betrachten, sie ergibt sich aus dem liberalen Geschichtsbild. Das nachrevolutionäre politische Sinn- und Versöhnungsangebot, das Die Grenzboten formulieren, sowie Freytags programmatischer Verzicht auf eine allzu starke Parteinahme, fußen in dem Vertrauen auf die Tendenz der Geschichte. Auf das Scheitern der bürgerlichen Revolution 1848 reagierten Die Grenzboten damit, dass sie das Ende der Revolution nicht als Scheitern deuten wollten, sondern als Sieg der praktischen Vernunft248 im Sinne ihrer Maxime der „Identität von Ideal und Wirklichkeit“249. Aus der Geschichte leiteten die Grenzboten-Herausgeber eine der Gegenwart innewohnende Vernünftigkeit ab, nach der sich das Bürgertum ohnehin auf dem Weg zur politisch bestimmenden Macht befinde. Allerdings, so die Position, erreiche es diese Stellung nicht über einen schnellen Umsturz, sondern über stetige Arbeit und aufgrund seiner ökonomisch wie ethisch überlegenen Stellung im öffentlichen und privaten Leben. Diese Idee müsse die Kunst harmonisierend aus der Wirklichkeit heraus kon-

244 Julian Schmidt u. Gustav Freitag: Den Lesern der Grenzboten. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, III. Band, S. 1–4, hier S. 3, 1. 245 Schmidt/Freitag: Den Lesern der Grenzboten, S. 2. 246 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 269. 247 Robert Giseke: Carrière. Ein Miniaturbild aus der Gegenwart. Bd. 1. Leipzig 1853, S. 82. 248 Vgl. Ulla Schirmeyer-Klein: Realismus. Literaturprogramm für einen bürgerlichen Staat. Der programmatische Realismus in den ‚Grenzboten‘ 1848–1860. [o.O.] 1976 (phil. Diss. München 1974), S. 12–21. 249 Plumpe: Einleitung. In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, S. 76.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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turieren, ohne die Konfrontation sozialer Gruppen zu befördern.250 Gegen die Vorstellung einer kriegerischen Auseinandersetzung der gesellschaftlichen Kräfte mit dem Ergebnis der Dominanz einer Gruppe setzt Freytag während der 1848er Revolution die Vorstellung, „daß die Bewegung der Geschichte auch dahin gehen könnte, die Harmonie aller Kräfte zur absoluten Geltung zu bringen“ – freilich unter der unausgesprochenen Voraussetzung, dass die geschichtliche Bewegung von den mittleren Schichten getragen wird und auf eine bürgerliche Welt zuläuft.251 Als aufschlussreich im Hinblick auf Freytags poeto-politisches Programm erweist sich die Beobachtung, dass Freytags politische Programmatik mit seinen poetologischen Ausführungen im zeitlichen Kontext der Arbeit an Die Journalisten kongruent geht. Auch vom Drama fordert Freytag eine „Versöhnung der kämpfenden Gegensätze“ und die Wiederherstellung der „Harmonie der gestörten Verhältnisse“252 (solche Darstellung in der Kunst setzt nach Freytags Realismus-Verständnis aber entsprechende Tendenzen in der Wirklichkeit voraus).253 Die Journalisten fügen sich sowohl poetisch als auch politisch in diese Programmatik – und vor allem fügen sie sich in das gerade skizzierte, für den Liberalismus der Jahrhundertmitte so charakteristische Geschichtsbild, das Die Grenzboten propagierten. Die Komödie ist von den Zeitgenossen im Sinne dieser Programmatik sowie dieses Geschichtsverständnisses gelesen worden und Julian Schmidt selbst etwa markiert diese Übereinstimmungen, wenn er bezogen auf das Lustspiel lobt: „[W]ir stehen mitten im bürgerlichen Leben, das von bewußten Zwecken getragen wird, das sich nach strengen Gesetzen entfaltet.“254

3.3.5 Die Journalisten als Drama der Verbürgerlichung Schmidt stellt die Komödie hier in jene liberale Geschichtsteleologie, für die Entfaltung gleichbedeutend mit Verbürgerlichung ist. Dass dieser Prozess der Verbürgerlichung nicht aufzuhalten ist, wird im Drama zum einen durch den Sieg einer freien bürgerlichen Presse bestätigt, zum anderen durch jene Doppelhochzeit, die u.  a. die JunkersTochter zur Frau eines Bildungsbürgers macht. Der Schluss der Journalisten ist auch 250 Vgl. dazu genauer: Schirmeyer-Klein: Realismus. Literaturprogramm für einen bürgerlichen Staat, S. 12–39; Herrmann: Gustav Freytag, S. 152–167; Michael Thormann: Der programmatische Realismus der „Grenzboten“ im Kontext von liberaler Politik, Philosophie und Geschichtsschreibung. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 18 (1993), H. 1, S. 37–68. 251 G[ustav] F[reytag]: Aus Berlin: In: Die Grenzboten 7 (1848), I. Semester, II. Band, S. 361–362, hier S. 362. – Vgl. dazu auch: Jäger: Gesellschaftliche Aspekte des bürgerlichen Realismus, S. 18. 252 Freytag: Die Technik des Dramas, S. 12, 13. 253 „So lange unwürdiger Haß der Parteien und die Flecken des vergossenen Blutes auf deutschem Grunde so stark hervortreten, wird der Künstler schwerlich die Harmonie in seinem Leben finden, welche den Theilen unseres politischen Körpers so sehr fehlt“ (Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 11). 254 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 306.

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andersherum lesbar und hält dann noch einen weiteren Clou bereit, der sich im Bühnenmanuskript andeutet, wenn sich Bolz dort am Schluss bei Adelheid bereits nach der Reaktion der gutsherrschaftlichen Nachbarschaft erkundigt.255 Nicht nur wird Adelheid nämlich die Braut eines Zeitungsinhabers; mit der angekündigten Heirat würde Bolz aufgrund der zeitgenössischen eigentumsrechtlichen Stellung der Frau256 zugleich Gutsbesitzer. Adelheid gibt bereits im dritten Akt zu verstehen, dass sie für Bolz einen Platz auf dem Land vorgesehen hat (vgl. III; GW III, 80). Dass ausgerechnet der bürgerliche Filou Bolz das Junkertum beerbt, ist ein denkwürdiger Knalleffekt und erweist sich zugleich als durchaus ernster unterfütterte sozialgeschichtliche Pointe. Handelte es sich beim adligen Großgrundbesitz doch um ein zunehmend krisenhaftes

255 BümaJour, 70. 256 Noch bezogen auf diesen Aspekt ist der Text sozialgeschichtlich aufschlussreich. Dass Adelheid die Zeitung aufkaufen und somit finanziell eigenständig agieren kann, erklärt sich durch ihre ungebundene Stellung als ledige und vaterlose Erbin (vgl. Lothar Gall: Europa auf dem Weg in die Moderne. 1850–1890. München 2010, S. 35). Diese finanzielle Unabhängigkeit verliert sie mit der Heirat. Mag der Ausruf „Die Braut eines Journalisten“ auch im Dramenkontext eher als selbstironisch-triumphierender Ausruf zu lesen sein, so verweist er doch darauf, dass Adelheid sich dem Gatten vollständig hingibt – auch wirtschaftlich. Angedeutet wird in dem Ausruf ein Eheideal, dem zufolge die Frau ihre eigenen Interessen in den Bedürfnissen des Ehemanns erblickt. Diese Form totaler Hingabe entspricht zeitgenössischen liberalen Denkfiguren und Rechtsvorstellungen, nach der auch die finanzielle Hingabe der Frau an den Mann als ein Akt der Liebe anzusehen ist: „Sowie sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit sich dem Erwählten hingibt, um an seinem gesamten innern und äußern Leben Theil zu nehmen, so will sie auch in bezug auf ihre Vermögensmacht nicht unterscheiden, sondern unterstellt sie ganz und ungeteilt dem ihr eigenes Interesse einschließenden Bedürfnis des Gatten“ (zit. n.: Ursula Vogel: Patriarchale Herrschaft, bürgerliches Recht, bürgerliche Utopie. Eigentumsrechte der Frauen in Deutschland und England. In: Jürgen Kocka (Hg.) unter Mitarbeit von Ute Frevert: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Bd. 1. München 1988, S. 406–438, hier S. 432; zur rechtlichen Stellung der Frau vgl. ebd. sowie: Ute Gerhard: Die Rechtsstellung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Frankreich und Deutschland im Vergleich. In: Kocka (Hg.) unter Mitarbeit von Ute Frevert: Bürgertum im 19. Jahrhundert, S. 439–468). – In der Phase nach dem Tod ihres Vaters mag Adelheid also (auch wirtschaftlich) selbständig agieren und die ererbte „Wirthschaft […] wie der beste Wirth“ führen (I/2; GW III, 28), von einem abweichend-modernen oder gar emanzipierten Frauen­bild kann bezogen auf die Komödie indes nicht die Rede sein. Erst nach dem Tod des Vaters ergeben sich für Adelheid Handlungsspielräume, die hier allerdings primär auf die Eheschließung mit Bolz gerichtet sind. Obwohl Adelheid den männlichen Figuren auch auf dem Parkett dem wirtschaftlichen Parkett einen Schritt voraus ist, findet sich ihre Erfüllung am Ende darin, ‚die Braut eines Journalisten‘ zu sein. Dies entspricht der von ihr im ganzen Drama vertretenen Logik einer größeren Relevanz des Privaten gegenüber der Politik. Dass eine baldige Eheschließung der Junkerstochter darüber hinaus den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht, betont der Text – nicht nur in der ersten Szene – ein ums andere Mal. Nicht ganz zu Unrecht erlaubte sich daher Prutz die süffisante Bemerkung, in Adelheid sei das aus dem jungdeutschen Drama bekannte „eman­ci­pa­tions­lustige Weib bereits sehr zahm geworden“ (Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 452). – Zu Adelheid als fortschrittlicher Frauenfigur vgl. dagegen: Sabine Berghaus: Die Rolle der Adelheid in Gustav Freytags Drama „Die Journalisten“. In: GFB 1991, Heft 49, S. 1–11.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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Gewerbe und war der preußische Gutbesitz in den 1850er Jahren (und zum Teil schon lange davor) allgemein von einer Tendenz zur Verbürgerlichung gekennzeichnet.257 Wiederum etwas anders akzentuiert gelesen, könnte man auch deuten: Indem Adelheid sich für den Bürgerlichen Konrad Bolz entscheidet und nicht etwa für den Gutsbesitzer Senden, der ebenfalls um sie wirbt (vgl. I/2, GW III, 28), erfindet sich die mit Diener reisende Junkers-Tochter neu: Aus der Vertreterin eines aussterbenden Geschlechts wird „die Braut eines Journalisten“ – ein für Freytag typischer Schluss: Die klassenübergreifende Verbindung, die in Der Gelehrte zwischen dem Archivar Walter und der Baronin Leontine zumindest angedeutet wird (und der Tragödie gemäß eigentlich tragisch enden müsste), wird in Graf Waldemar mit der Verbindung des Grafen und der Gärtnerstochter Gertrud tatsächlich vollzogen. Schon die Liebe zwischen dem verbürgerlichten Georg Saalfeld (ehemals Georg von Winegg) und der Freiin von Geldern in Die Valentine geht in diese Richtung der Verbürgerlichung via klassenübergreifender Liebesbeziehung. Was bereits in diesen beiden frühen Dramen in die eine wie die andere Richtung funktioniert, setzt der Schluß der Ahnen, endgültig als standesübergreifenden Liebes-Chiasmus ins Werk: Der bürgerliche Victor heiratet die adlige Valerie und Victors Schwester vermählt sich mit dem Aristokraten Henner.258 Nichts, so zeigt sich, ist bürgerlicher als die Liebe. Freytags eigene Liebesbiographie im Vorfeld der Journalisten ist geprägt von standesüberschreitenden Partnerschaften. Im Herbst 1847 ging Freytag die Ehe mit Emilie Gräfin Dyhrn ein, die – als bürgerliche Emilie Scholz geboren – in erster Ehe mit Alexander Graf Dyhrn verheiratet war.259 Dass die Initiative bei der Partnerwahl – anders als bei Freytag selbst – in Die Journalisten von der Frau ausgeht, mag zwar wenig zeittypisch sein, als bürgerlich-modern erweist sich aber das dahinterstehende Liebeskonzept, demzufolge die Verbindung auf Basis der subjektiven und durch Zuneigung motivierten Entscheidung der Frau eingegangen und nicht durch die Eltern oder äußere Umstände herbeigeführt wird.260 Die unaufhaltsame Verbürgerlichung, die sich im Drama auch als Auseinandersetzung der Generationen bzw. schließlich als Generationswechsel darstellt, deutet der Text sogar über die individuellen und sozialen Lebenspraxen der Figuren an. 257 Vgl. Reinhard Rürup: Deutschland im 19. Jahrhundert. 1815–1871. In: ders., Hans-Ulrich Wehler u. Gerhard Schulz: Deutsche Geschichte. Bd. 3: 19. und 20. Jahrhundert. 1815–1945. Göttingen 1985, S. 73; Wolfram Siemann: Gesellschaft im Aufbruch. Deutschland 1847–1871. Frankfurt a.  M. 1990, S. 141; Axel Flügel: Bürgertum und ländliche Gesellschaft im Zeitalter der konstitutionellen Monarchie. In: Peter Lundgreen (Hg.): Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986–1997). Göttingen 2000, S. 195–223, hier S. 208–211; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 146  f. 258 Vgl. zu diesem Aspekt auch insgesamt die Ausführungen bei Schofield, der diesen Punkt der klassenübergreifenden Verbindungen in das Zentrum seiner Analysen rückt: Schofield: Private Lives and Collective Destinies. 259 Vgl. Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 80–85. 260 Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 119.

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Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist zum Beispiel die Eingangsszene. Welche zentrale Funktion diese grundsätzlich für ein Drama hat, unterstrich Freytag schon 1849 in seinem Grenzboten-Aufsatz zur Technik des Dramas. Darin fordert er vom Dramenbeginn, dass dieser bereits den „Grundton des ganzen Dramas“ und „das Charakteristische der Zeit“ andeuten solle.261 So betrachtet wird sofort ersichtlich, warum der Repräsentant des auf einen positiven Wirklichkeitsbezug verpflichteten GrenzbotenRealismus jene ursprüngliche Eingangsszene, die mit einer verwitweten und verarmten Frau einsetzt (s. auch Kap. 3.2.2), nicht beibehalten hat. Stattdessen nun beginnt das Drama mit einem Gespräch über Blumenzucht, genauer: „die neuen Sorten der Georginen“, welche im Garten des Obersten gezogen wurden und die dieser bei der nächsten „Sitzung des Vereins für Gartenbau“ vorzeigen will (I/1; GW III, 5). Was auf den ersten Blick wenig spektakulär und aussagekräftig erscheint, stellt sich bei genauerer Überlegung als sowohl dramentechnisch als auch inhaltlich bemerkenswert heraus. Dramentechnisch, weil durch das sich anschließende Gespräch zwischen dem Oberst und seiner Tochter über mögliche Namen für die neuen Blumen wichtige Figuren sowie der Konflikt eingeführt werden. Dass eine der Blumen nach Adelheids Lieblingsdichter „Boz“ heißen soll (vgl. 5), kann man hier nicht allein als ehrerbietende Bezugnahme Freytags auf den von ihm bewunderten Charles Dickens werten, sondern zugleich als mehrfachen inhaltlichen Hinweis auf die folgende Dramenhandlung. Adelheid nämlich mag nicht nur Boz, sie hängt auch am namenähnlichen Bolz, der mit Charles Dickens zudem den Journalistenberuf teilt. Mit Boz wird demnach einerseits ein Vorverweis auf die Verbindung von Adelheid und Bolz gegeben; die Tatsache, dass Freytag hier jedoch ausgerechnet Dickens’ Zeitungspseudonym gewählt hat, stellt zudem eine deutlich positive Bezugnahme auf den Journalismus dar. Damit wird bezogen auf Thema und Bewertung desselben der ‚Grundton des ganzen Dramas‘ vorgegeben. Aber noch ein weiteres Detail deutet, wie von Freytag theoretisch gefordert, auf die „Grundfarbe des Stückes“262 und die im Drama geschilderten zeittypischen Entwicklungen hin. Nicht von ungefähr findet die „Sitzung des Vereins für Gartenbau“ so prominente Erwähnung im Drama. Denn das im 19. Jahrhundert massiv expandierende Vereinswesen war ein genuin bürgerliches Phänomen.263 Und auch die Maxime, dass man seinen Garten bestellen muss, war eine vom nachmärzlichen Bürgertum offenbar breit geteilte Einsicht. Freytag selbst hat 1851/52 – also in unmittelbarer Nähe zu Die Journalisten – in den Grenzboten über „Einrichtung von Hausgärten“264 als Teil

261 Freytag: Die Technik des Dramas, S. 13. 262 Freytag: Die Technik des Dramas, S. 14. 263 Vgl. dazu etwa: Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 267–271; Jürgen Kocka: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft (Gebhardt. Handbuch der deutschen ­Geschichte, Bd. 13). 10. Aufl. Stuttgart 2001, S. 119; Schulz: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums, S. 13. 264 Gustav Freytag: Die Einrichtung von Hausgärten [1851]. In: VA I, 405–422.

3.3 Freytags ‚tendenziöse Tendenzlosigkeit‘ 

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der bürgerlichen Lebenskultur und auch über die Blumenzucht265 geschrieben. Man könnte die Anfangsszene der Komödie infolgedessen als ersten Hinweis auf die vom Drama allgemein propagierte Verbürgerlichung lesen  – eine Verbürgerlichung, die sich dem liberalen Geschichtsbild der Zeit zunächst auf der Ebene der Kultur, der Gebräuche und des privaten Lebens vollzieht und die selbst vor einem preußischen Militär nicht Halt macht. In der ersten Bühnenausgabe des Dramas findet man weitere Anhaltspunkte, die diese Beobachtung bestärken. Hier sind Oldendorf und der Oberst zusammen im historischen Verein aktiv,266 wobei der Text an anderer Stelle andeutet, dass der bürgerliche Oldendorf den Oberst in solche Gesellschaften eingeführt hat.267 Auch zeichnet der Professor der Erstfassung zufolge für Idas Bildung verantwortlich.268 Dass der Leser/Zuschauer diese zu Beginn der ersten Szene lesend vorfindet, könnte man mit der Erstfassung demnach hierauf rückbeziehen. Nicht nur aber mit dem Lesen geht Ida einer für das wohlhabende weibliche Bürgertum typischen Freizeitbeschäftigung nach, auch dass sie Mitglied im „Verein für Erziehung verwahrloster Kinder“ ist (III; GW III, 91) stellt sich als sozialhistorisch bezeichnend dar, wurde die Armenfürsorge Mitte des 19. Jahrhunderts doch nicht zuletzt von dieser sich in Vereinen organisierenden Gruppe getragen.269 Resümiert man die in der Komödie sich vollziehende Verbürgerlichung, dann greift es zu kurz, festzustellen: „zum Schluß siegen die liebenden Paare über die Politik“.270 Mag sich der Konflikt im Drama auch zwischenzeitlich als Entscheidung zwischen Liebe und politischer Pflicht (so für Oldendorf) präsentieren, lassen sich beide Bereiche am Ende doch vereinbaren und sind die Liebesverbindungen, wie hier dargelegt, eben auch im politischen Sinne zu lesen. Letztlich bleiben die in der Komödie ausagierten Konflikte nicht folgenlos, sondern werden durchweg zugunsten der bürgerlich-liberalen Seite entschieden, die auf ganzer Linie siegt.

265 [Gustav Freytag]: Luxus und Schönheit im modernen Leben. Die Mode in den Blumen. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, I. Band, S. 460–470. 266 Vgl. BümaJour, 59. 267 Vgl. BümaJour, 52. 268 Vgl. BümaJour, 52. 269 Vgl. dazu z.  B.: Kirsten Aner u. Peter Hammerschmidt: Zivilgesellschaftliches Engagement des Bürgertums vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Weimarer Republik. In: Thomas Olk, Ansgar Klein u. Birger Hartnuß (Hg.): Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe. Wiesbaden 2010, S. 63–96; Budde: Blütezeit des Bürgertums, S. 98–103, bes. S. 103. 270 Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus, S. 125.

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3.4 ‚Resignation‘. Zur historischen Semantik eines Epochen­ begriffs im Kontext der Journalisten 3.4.1 Resignation als ‚Hurra‘. Bürgerlich-liberale Sinngebungen im Nachmärz Ludwig Fulda hat sogar den Humor des Textes als einen genuin bürgerlichen und damit ‚siegesgewissen‘ gedeutet: Siegesgewißheit gehört zu dem eigenartigen Humor, der in diesem Lustspiel zuerst aufblitzt […]. Denn dieser […] Humor hat doch einer ausgeprägten Zeitstimmung seinen Ursprung zu verdanken: es ist der Humor einer aufsteigenden Zeit und einer aufsteigenden Klasse.271

Im Gestus eines Rückblicks führt Fulda 1896 gerade die Figur des Bolz als typischen Klassen-Vertreter solchen bürgerlichen Überlegenheitsgefühls an: „Ein vormärzlicher Konrad Bolz wäre undenkbar gewesen. Sein Uebermut entquillt dem Majoritätsbewusstsein, und sogar aus seiner Resignation klingt es wie ein Hurra“.272 Die „Resignation“ wie ein „Hurra“ klingen zu lassen – nichts könnte die Leitidee des GrenzbotenRealismus besser auf den Punkt bringen. Wenn Auerbach 1853 an Bolz eine „ironische Blasiertheit“ wahrnimmt, die ihm in ihrem überlegenen Humor als verzerrtes Bild der bürgerlichen Bewegung von 1848 erscheint,273 beklagt er genau das, was andere zeitgenössische Rezipienten als zeitgemäße Antwort auf die gegenwärtigen politischen Zustände begrüßen: dass hier nämlich eine gegenüber den Erfahrungen der 1848er Revolution souveräne Position ihren Ausdruck findet. So heißt es 1854 in den Blättern für literarische Unterhaltung über die resignative Haltung des Journalisten Bolz, diese sei „nicht jene vage, schwächliche, faule Blasirtheit, es ist das männlich-klare Bewußtsein der Kluft zwischen Ideal und Leben, es ist eine heitere angeborene Resignation“.274 Ähnlich macht auch Constantin Rößler die „Resignation“ als „die Grundstimmung in den Charakteren der ‚Journalisten‘“ aus; er begreift sie zwar als „Resignation auf das individuelle Glück“ im Dienste der fortschreitenden großen Sache,275 ergänzt jedoch: „Aber diese Resignation scherzt über die Last ihrer Aufgabe, über die zahllosen kleinen Bedrängnisse ihrer Tagesarbeit in einer Herzlichkeit, wie sie einem Gemüth möglich ist, welches die beschwerdevolle Bürde mit der Begeisterung einer großen Pflicht trägt.“276

271 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 72. 272 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75. 273 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 33. 274 N. N.: [Rez.] Die Journalisten, S. 636. 275 „Resignation auf das individuelle Glück bei einem ermüdenden Kampf, der, schnell aufreihend, noch manche Kämpfer niederstrecken wird, ehe die aufgethürmten Schwierigkeiten sich lichten“ ([Rößler]: Gustav Freytag, S. 310). 276 [Rößler]: Gustav Freytag, S. 310.

3.4 ‚Resignation‘ 

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Der hier vertretene Resignationsbegriff ist so aufschlussreich wie irritierend und erläuterungsbedürftig. Im Folgenden möchte ich die historische Semantik dieses für die Epoche des Realismus so zentralen Begriffs rekonstruieren. Es spricht für das epochenrepräsentative Erkenntnispotential des Textes, dass Die Journalisten zu einer solchen Rekonstruktion Anlass geben. Denn der Begriff wird im Drama selbst wiederholt auf das Denken und Handeln der Figuren bezogen; er findet sich darüber hinaus in den Texten der Grenzboten und außerdem in zahlreichen Rezeptionszeugnissen zu Freytags Komödie. Seine zeitgenössisch komplexe Semantik erschließt sich auch erst, wenn man in dem hier allgemein vorgeschlagenen Sinne Text, Kontexte, Rezeption und Programmatik gleichermaßen berücksichtigt und aufeinander bezieht. Zu konstatieren ist zunächst, dass es sich bei dem Wort ‚Resignation‘ um einen quellennahen Begriff handelt, der dann später sehr häufig für Desillusionierung der Liberalen nach der Revolution277 sowie zur allgemeinen Charakterisierung der Epoche des Realismus herangezogen wurde. Stellvertretend sei hier nur Martini genannt, der schreibt: „Die Resignation wird eine Grundstimmung in der Literatur der Zeit“.278 Man hat den Begriff insbesondere im 19. Jahrhundert häufig mit Freytags Komödie in Verbindung gebracht und diese unter Bezugnahme auf den Begriff gedeutet. Wurde die ‚Resignation‘ der Nachmärzjahre von der Forschung für die Krise des Dramas im Realismus verantwortlich gemacht,279 so scheinen Die Journalisten diese Zeitstimmung dagegen produktiv aufzugreifen. In seiner Studie Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert merkt etwa Martersteig an: „[E]s sollte […] nie übersehen werden, daß diese Journalisten gewissermaßen ein Bekenntnis der Resignation des dichterischen Zeitgeists waren: ein Entschluss, sich dem zu vertragen, was man auszutragen sich zu schwach bekennen musste.“280 Damit ist indes nur die eine  – die konventionalisierte  – Bedeutung des Resignationsbegriffs markiert, der im Sinne eines machtlosen Sich-Abfindens mit den Verhältnissen zum gängigen Epochenklischee geworden ist und ‚Resignation‘ bloß als bürgerlichen Rückzug bzw. bürgerliche Entpolitisierung nach 1848 begreift.281

277 Vgl. z.  B. Plumpe: Einleitung. In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, S. 76. 278 Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848–1898, S. 7. – Ähnlich schreibt etwa auch Becker über die „Resignation“: „Sie wird zur Grundstimmung nicht nur der bürgerlichen Kreise, sondern auch der Literatur jener Zeit“ (Sabina Becker: Bürgerlicher Realismus. Literatur und Kultur im bürgerlichen Zeitalter 1848–1900. Tübingen/Basel 2003, S. 41). 279 Vgl. Josef Jansen (unter Mitarbeit von Jürgen Hein u.  a.): Einführung in die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts. Bd. 2: März-Revolution, Reichsgründung und die Anfänge des Imperialismus. Opladen 1984, S. 153. 280 Martersteig: Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert, S. 409. – Auch Julian Schmidt hat das Drama später mit dem Begriff in Verbindung gebracht (vgl. Schmidt: Gustav Freytag’s Ahnen, S. 72). – In jüngerer Zeit findet sich eine Deutung des Dramas unter Rückgriff auf das Epochenschlagwort von der ‚Resignation‘ bei: McInnes: Drama und Theater, S. 368. 281 So auch: Ulf Eisele: Realismus und Ideologie. Zur Kritik der literarischen Theorie nach 1848 am Beispiel des „Deutschen Museums“. Stuttgart 1976, S. 11  f.: „Diese frühzeitge Resignation signalisiert

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Diese Begriffsdefinition vermag allerdings nicht die gerade angeführten Beispiele zu erklären, denen zufolge in Die Journalisten eine ‚heitere‘, ‚überlegene‘ oder gar „edle[] Resignation“282 am Werk sei. Ohne die spezifische historische Semantik des Wortes bleibt gleichermaßen unverständlich, was die Zeitschrift Unsere Tage meint, wenn das Blatt 1862 über Freytags Text urteilt, dieser würde „die muthvolle Resignation der wackern Vertreter dieses Standes verherrlichen“.283 Wie kann Resignation heiter, zuversichtlich oder souverän sein, wo sie doch als genaue das Gegenteil gilt? Und wie erklärt sich eine solche Zuschreibung auf Freytags Komödie? Die auf den ersten Blick widersprüchliche Semantik findet sich nicht bloß im Zusammenhang mit Freytag. Dies belegen noch die Fragen, die Theodor Fontane 1888 anlässlich einer Aufführung von Henrik Ibsens Die Wildente formuliert: Es ist wahr, ein Stück wie die ‚Wildente‘ entläßt uns ohne Erhebung; aber muß es denn durchaus Erhebung sein? Und wenn es Erhebung sein muß, muß sie den alten Stempel tragen? Sind nicht andere Erhebungen möglich? Liegt nicht – des erschütternden Waltensehens unerforschlicher Schicksalsmächte ganz zu geschweigen – liegt nicht auch in der Unterwerfung eine Erhebung? Ist nicht auch Resignation ein Sieg?284

Nicht ganz unähnlich schreibt Fontane am 21. August 1891 an seine Frau Emilie: „Resignieren können ist ein Glück und beinah eine Tugend.“285 Und andernorts spricht er von einer „freundlich wehmütige[n], halb humoristische gefärbte[n]“ oder gar „lächelnden Resignation“.286 Dass es sich bei dem Wort von der ‚Resignation‘ um eine für die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert charakteristische Denkfigur sowie einen für diese Phase spezifischen Quellenbegriff handelt, der zwar historisch in der Tradition klassischer Entsagungskonzepte steht, jedoch nicht mit dem (häufig fast deckungsgleich verwendeten)287 Entsagungsbegriff gleichzusetzen ist, darauf hat Karl Richter in seiner Studie Resignation nicht von ungefähr am Beispiel Fontanes hingewiesen.288 eine generelle Entwicklungstendenz nach 1848, die zunehmende gesellschaftliche Isolierung der bürgerlichen Intelligenz“. 282 Hamel: Freitag. Die Journalisten, S. 111. 283 N. N.: Gustav Freytag. In: Unsere Tage. Blicke aus der Zeit in die Zeit 4 (1862), S. 456–462, hier S. 457. 284 Th[eodor] F[ontane]: Residenz-Theater [Theaterkritik zu Henrik Ibsen: Die Wildente. Aufführung vom 21. Oktober 1888 im Residenztheater]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staatsund gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 22. Oktober 1888, Abendausgabe, Nr. 501. 285 Emilie u. Theodor Fontane: Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles. Der Ehebriefwechsel. Bd. 3: 1873–1898 (Große Brandenburger Ausgabe, 12), hg. von Gotthard Erler unter Mitarbeit von Therese Erler. Berlin 1998, S. 539. 286 Zit. n. Karl Richter: Resignation. Eine Studie zum Werk Theodor Fontanes. Stuttgart 1966, S. 166. 287 So z.  B. bei Kluckohn: „[D]ie Einsicht in die Notwendigkeit des Kompromisses oder die Unlösbarkeit der Lebensaufgabe führt zur Resignation und Entsagung“. Paul Kluckohn: Biedermeier als literarische Epochenbezeichnung (1935). In: Elfriede Neubuhr (Hg.): Begriffsbestimmung des literarischen Biedermeier. Darmstadt 1974, S. 100–145, hier S. 114. 288 Vgl. Richter: Resignation, bes. S. 9–12. – Der Begriff der ‚Resignation‘ ist für Fontane zentral und

3.4 ‚Resignation‘ 

 193

An dessen Werken und Selbstäußerungen hat Richter das breite semantische Spektrum der Resignation aufgefächert, darunter vor allem: die „Resignation als Unterwerfung“, „als bewußte Entscheidung“, als gerade nicht fatalistische „Einsicht in notwendige Zusammenhänge“, als Form der „Zeitbewältigung“,289 als Produkt zeithistorisch tiefgreifender Wandlungen,290 als Ausdruck gewachsener „Verbindlichlichkeit gegenüber den neuen Realitäten“ sowie der „Determination im Alltäglichen“ und nicht zuletzt einer stärkeren Priorisierung menschlicher Bindungen.291 Resignation als Denkfigur des poetischen Realismus ist keinesfalls verkürzt gleichzusetzen mit dem Rückzug in eine apolitische Innerlichkeit oder mit der verzagten Beschränkung auf den bürgerlichen Privat-Raum.292 Die Zeitgenossen haben stattdessen die aktive von der passiven Resignation unterschieden, wie sie dann von Lohrmann in seiner Studie explizit gemacht wurde.293 An dieser Differenz hängt nicht weniger als die Frage, wie das liberale Bürgertum auf das Scheitern der 1848er Revolution reagieren und mit den eigenen Gestaltungsansprüchen umgehen kann. Die passive Resignation könnte man im herkömmlichen Sinne als eine durch die Umstände erzwungene begreifen, als ein sich ein bitteres Sich-Fügen in die Verhältnisse, vor deren Veränderung man kapituliert. Gegen solche von „Muthlosigkeit“ gekennzeichnete „pessimistische Resignation“ oder auch „passive Resignation“ haben

begegnet in seinen Werken häufiger, dabei in einer weitgefächerten Semantik, so u.  a. in L’Adultera oder Vor dem Sturm. – Zum Wandel des Entsagungsbegriffs im 19. Jahrhunderts vgl. dagegen: Moritz Baßler: Zeichen auf der Kippe. Aporien des Spätrealismus und die Routines der Frühen Moderne. In: ders (Hg.): Entsagung und Routines. Aporien des Spätrealismus und Verfahren der frühen Moderne. Berlin/Boston 2013, S. 3–21, hier bes. S. 10–12; Stefan Tetzlaff: Entsagung im Poetischen Realismus. Motiv, Verfahren, Variation. In: Moritz Baßler (Hg.): Entsagung und Routines. Aporien des Spätrealismus und Verfahren der frühen Moderne. Berlin/Boston 2013, S. 70–114; Wolfgang Lukas: „Entsagung“. Konstanz und Wandel eines Motivs in der Erzählliteratur von der späteren Goethezeit zum frühen Realismus. In: Michael Titzmann (Hg.): Zwischen Goethezeit und Realismus. Wandel und Spezifik in der Phase des Biedermeier, Tübingen 2002, S. 113–149; Moritz Baßler: Deutsche Erzählprosa 1850–1950. Eine Geschichte literarischer Verfahren. Berlin 2015, S. 33–58. 289 Richter: Resignation, S. 20, 25, 29, 122. 290 Vgl. Richter: Resignation, bes. S. 86–89, 121  f., 163. – Dass es bei den Resignations- und Entsagungskonzepten im Realismus immer zugleich um die großen Fragen des (etwa politischen, sozialen oder sittlichen) Ganzen geht, hat neben Richter (S. 163) auch Baßler hervorgehoben: Baßler: Zeichen auf der Kippe, S. 10. 291 Richter: Resignation, S. 151. 292 Vgl. anders dagegen Becker: Bürgerlicher Realismus, S. 41–43. 293 Dass die Texte der Zeit – u.  a. Freytags Dramen – nicht im gängigen Resignationsverständnis aufgehen, hat deshalb auch Lohrmann in seiner Studie „zur realistischen Seelenhaltung im Zeitdrama“ dazu bewogen, den Begriff der „aktiven Resignation“ einzuführen und von einer passiven zu unterscheiden (vgl. u.  a. Lohrmann: Die Entwicklung zur realistischen Seelenhaltung im Zeitdrama, S. 60, 64, 75  f. et passim). Der Resignation ordnet Lohrmann dabei sogar Heiterkeit zu und sieht die „aktive Resignation“ als „Stufe der Fortentwicklung seelischen Aufbaus zur bürgerlichen Gesellschaftsverbundenheit“ (S. 60).

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

Die Grenzboten angeschrieben und den Begriff leicht, aber effektvoll umgedeutet294 – sie konnten dabei auf vor allem das Vorbild Schillers und dessen Resignationsbegriff sowie das klassische Erhabenheits- und Entsagungsideal zurückgreifen.295 Ablesbar ist diese Umdeutung, wenn Julian Schmidt Kant mit einer an Schiller anknüpfenden Wendung erklärt: „Durch Resignation in die Nothwendigkeit wird der Mensch frei“,296 wenn er an dem mit der Italienischen Reise klassisch gewordenen Goethe die „freiwillige Resignation […], welche sich der Nothwendigkeit freudig unterwirft“,297 lobt oder wenn er zu Lessings Nathan der Weise ausführt: Dem Druck der Verhältnisse setzt er Resignation entgegen, aber nicht jene sieche Resignation der Romantik, welche die Augen anklagend zum Himmel aufschlägt und die Hände in den Schooß legt, sondern die hohe Resignation Spinoza’s – des Nathan’s der Theorie – der die Nothwendigkeit nicht als äußere Macht, sondern als innere Grenze liebevoll anerkennt und durch geistige Auffassung zur Freiheit erhebt.298

294 N. N.: Die Centralisation. In: Die Grenzboten 9 (1850), II. Semester, II. Band, S. 650–663, hier S. 662; N. N.: Noch einmal die Demokratie. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, II. Band, S. 349–353, hier S. 349 (vermutlich stammen beide Texte aus der Feder von Julian Schmidt); ††: Der Rechtsboden und die Constitutionellen. In: Die Grenzboten 10 (1851), II. Semester, III. Band, S. 140–144, hier S. 144. 295 In „Über naive und sentimentalische Dichtung“ spricht Schiller von einer „freie[n] Resignation“, der man sich freiwillig zu unterwerfen habe (Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung. In: ders.: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Bd. 5: Erzählungen. Theoretische Schriften, hg. von Wolfgang Riedel. München 2004, S. 694–780, hier S. 708). Und im neunten Brief „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ fordert er dazu auf, sich mit „edler Resignation“, „mit Freiheit unter das Joch“ vordergründig zu fügen, aber in Wahrheit seine Selbständigkeit zu wahren (Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: ders.: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Bd. 5: Erzählungen. Theoretische Schriften, hg. von Wolfgang Riedel. München 2004, S. 570–669, hier S. 595). Diese Gedankenfigur kehrt wieder in Schillers Aufsatz „Über das Erhabene“, wenn dort die Bedingungen der Möglichkeit eines Wandels der Moral zur „Resignation in die Notwendigkeit“ reflektiert werden (Friedrich Schiller: Über das Erhabene. In: ders.: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Bd. 5: Erzählungen. Theoretische Schriften, hg. von Wolfgang Riedel. München 2004, S. 792–808, hier S. 794). Hatte Schiller in „Über das Erhabene“ noch eine realistische von einer idealistischen Herangehensweise an die Widrigkeiten der Existenz unterschieden, wird bei Freytag und Schmidt ein realidealistisches Resignations- und Erhabenheitskonzept angedacht, das reale und machbare Handlungsspielräume entwirft bzw. konkretisiert und diese zugleich idealistisch verklärt sowie geschichtsphilosophisch fundiert. 296 Julian Schmidt: Geschichte der Romantik in dem Zeitalter der Reformation und der Revolution. Studien zur Philosophie der Geschichte. Bd. 2. Leipzig 1848, S. 140. – In „Über das Erhabene“ spricht Schiller von der „Resignation in die Notwendigkeit“ (Friedrich Schiller: Über das Erhabene. In: ders.: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Bd. 5: Erzählungen. Theoretische Schriften, hg. von Wolfgang Riedel. München 2004, S. 792–808, hier S. 794). 297 Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. Erster Band. Leipzig 1853, S.  11.  – Ähnlich schreibt Schmidt 1849 in den Grenzboten bezogen auf Goethe über die „freiwillige Resignation, welche sich der Nothwendigkeit freudig unterwirft, weil sie lieben gelernt, was sie als eine Seite ihres eignen Daseins erkennt“ ([Julian Schmidt]: Zu Goethe’s Jubelfeier. In: Die Grenzboten 8 (1849), II. Semester, III. Band, S. 201–211, hier S. 207). 298 J[ulian] S[chmidt]: Theater-Juden. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, IV. Band, S. 15–25,

3.4 ‚Resignation‘ 

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Der Gegenentwurf zu einer ‚pessimistischen‘, ‚siechen‘ oder ‚passiven‘ Resignation ist also eine solche, die nicht durch den Zwang der äußeren Verhältnisse aufgenötigt wird, sondern sich durch bewusste innere und aktive Einsicht gestaltet. Entsprechend spricht auch Freytag, bei dem sich der Begriff auch in anderen Werken (z.  B. in Soll und Haben) findet,299 in seinen Bildern aus der deutschen Vergangenheit von der „bewußten Resignation, welche uns nöthig ist“ (GW XVII, 17). Diese Resignation steht den Grenzen der Verhältnisse – d.  h. den eingeschränkten politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Bürgertums – nicht skeptisch-verzweifelnd, vielmehr „liebevoll“, heiter und frohen Mutes gegenüber. Das Subjekt macht seinen Frieden mit den Umständen – oder wie Schmidt es ausdrücken würde: „mit dem Gesetz“.300 Anders gesagt: Auch mit ‚heiterer Resignation‘ werden die nachmärzlichen Realitäten – nicht ohne Schmerz – akzeptiert, sie werden nur gegenläufig interpretiert. Die Frage, die sich aufdrängt, lautet nun: Wie können dieselben Umstände solch unterschiedlichen Umgang, solch voneinander abweichende Deutungen ermöglichen? Die Antwort liegt zwar nicht zuletzt im Mittel des Humors, auf dessen wirklichkeitsverklärende und mit den Realitäten versöhnende Funktion u.  a. Preisendanz und Martini hingewiesen haben;301 sie gründet jedoch in erster Linie auf dem Geschichtsverständnis, mit dem die Liberalen auf das Scheitern der bürgerlichen Revolution reagierten (s. auch Kap. 3.3.4 u. Kap. 3.3.5). Der Verlauf der Revolution hatte den bisher angenommenen Glauben an die Vernunft der Geschichte grundlegend erschüttert. „Wir befinden uns augenblicklich in einem großen und fast allgemeinen Schiffbruch des Geistes und des Glaubens an den Geist überhaupt“, schreibt der liberale Literaturhistoriker und Publizist Rudolf Haym 1857 in seinen Vorlesungen Hegel und seine Zeit.302 Weiter heißt es bei ihm: hier S. 23 – Zu Schmidts Resignationsbegriff vgl. auch: Julian Schmidt: Geschichte der Romantik in dem Zeitalter der Reformation und der Revolution. Studien zur Philosophie der Geschichte. Bd. 1. Leipzig 1848, S. IX, 338–341 sowie Bd. 2. Leipzig 1848, S. 281–302. 299 Das Wort von der Resignation greift Freytag etwa auch in Soll und Haben auf. Hier blickt z.  B. der adlige Fink auf die bürgerliche Handlung Schröter und nennt sie ein „traurige[s] Mühlwerk, wo jeder zuletzt voll Staub und Resignation wird“ (SuH, 97). Später lobt Anton die „würdige[] Resignation der Baronin“, die sich in ihr Schicksal gefügt hat (639). Als Anton bei der Bootsfahrt mit Fink fast ertrinkt, bemüht dieser erneut den Begriff, der durch die Bemerkung Finks in einen allgemeinen politischen Bedeutungskontext gesetzt wird: „Ich warf ihn ins Wasser, und er wäre um ein Haar auf dem Grunde liegengeblieben, weil er es für indiskret hielt, mich durch seine Rettung zu belästigen. Einer solchen höflichen Resignation ist nur ein Deutscher fähig“ (125). In Freytags Werk wird dieser Begriff also mehrsinnig in seinen verschiedenen Bedeutungen und aus verschiedenen Perspektiven ausgedeutet. 300 Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur. Bd. 1, 1853, S. 11. 301 Vgl. Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungskraft, bes. Kap. V; ders.: Voraussetzungen des poetischen Realismus in der deutschen Erzählkunst des 19. Jahrhunderts, bes. S. 475–479; Fritz Martini: Ironischer Realismus. Keller, Raabe und Fontane. In: Albert Schaefer (Hg.): Ironie und Dichtung. München 1970, S. 113–141, hier S. 136. 302 Rudolf Haym: Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und Entwickelung, Wesen und Werth der Hegel’schen Philosophie. Berlin 1857, S. 5.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

Noch voll des Glaubens an eine ideelle Gestaltung der Dinge, an eine Welt construirter Möglichkeiten, so ergriff uns vor nunmehr neun Jahren eine verhängnisvolle politische Bewegung. Ihre Fluthen verliefen, und wie die Leidenschaft sank, so erblickten wir uns von einer namenlosen Oede und Rathlosigkeit umgeben. Hinweggespült war jene üppige und naive Zuversicht, womit wir uns in die Weltbewegung hineingestürzt hatten. Der allmächtig geglaubte Idealismus hatte sich ohnmächtig erwiesen. Wir standen und wir stehen mitten in dem Gefühle einer großen Enttäuschung. Ohne Respect vor den siegreichen Wirklichkeiten, vor der triumphirenden Misere der Reaction, haben wir doch gleichzeitig den Glauben an die einst gehegten Ideale eingebüßt.303

Auf das Scheitern des bisherigen Geschichtsverständnisses und der daraus resultierenden Enttäuschung reagierten die Liberalen nun nicht mit Geschichtsskepsis oder -negation, stattdessen mit einer modifizierten Geschichtsphilosophie, der zufolge der Verlauf der Geschichte selbst die alte Philosophie Lügen gestraft und einen anderen Weg aufgezeigt habe: Diejenige Philosophie, an welche unser deutscher Spiritualismus sich zuletzt anlehnte, hat die ihr gestellt Probe nicht bestanden. Die Interessen, die Bedürfnisse der Gegenwart sind über sie mächtig geworden. Sie ist mehr als widerlegt: Sie ist gerichtet worden. Sie ist nicht durch ein System – sie ist einstweilen durch den Fortschritt der Welt und durch die lebendige Geschichte beseitigt worden.304

Der Glaube an die Geschichte wurde nicht aufgegeben, sondern deren Verständnis umgedeutet. Die Herausforderung bestand darin, „seine alten demokratischen Grundsätze zu vereinigen mit der Einsicht in die Nothwendigkeit der Dinge“305 – so formulierten es Die Grenzboten später anlässlich des Preußischen Verfassungskonflikts, der zweiten Schicksalsfrage, epochalen Niederlage und vergleichbaren Sinnkrise des Liberalismus um die Jahrhundertmitte. Mit Blick auf die jüngere deutsche Geschichte von 1815 bis 1848 bekennt der nationalliberale Historiker Heinrich von Treitschke 1862 ganz ähnlich, es gebe ihm „die Einsicht in die Nothwendigkeit und Stätigkeit dieses historischen Processes neuen Muth“.306 Den Anlass zur ‚mutvollen Resignation‘  – mit anderen Worten: zum Optimismus307 – gewinnt der Liberalismus aus dem, was der Historiker hier mit „Nothwendigkeit und Stätigkeit“ des historischen Prozesses benennt: zum einen die mit der teleologischen Geschichtsauffassung fest verbundene Überzeugung, dass die Geschichte sich letztlich im Sinne des Bürgertums und seiner 303 Haym: Hegel und seine Zeit, S. 6. 304 Haym: Hegel und seine Zeit, S. 6 (Hervorhebung im Original). 305 N. N.: Literatur. [Rez.] Ueber die Stellung und Aufgabe der Nationaldemokratie in Württemberg. Von C. A. Fetzer. Stuttgart, Metzler. 1868. In: Die Grenzboten 28 (1869), I. Semester, I. Band, S. 39  f., hier S. 40 [Verfasser vermutlich Julius von Eckardt]. 306 Heinrich von Treitschke an Robert von Mohl, 3. Februar 1862. In: [Heinrich von Treitschke:] Heinrich von Treitschkes Briefe. Bd. 2, hg. von Max Cornicelius. Leipzig 1913, S. 203  f., hier S. 204. 307 Zum bürgerlichen Optimismus in der Nachmärzphase vgl. in diesem Kontext: Bernd Balzer: Einführung in die Literatur des Bürgerlichen Realismus. Darmstadt 2006, S. 18–20; Helmuth Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus (1848–1860). Stuttgart 1977, S. 46–51.

3.4 ‚Resignation‘ 

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Ideale verändere und erfülle; zum anderen die Vorstellung, dass sich dieser Wandel nicht über große Umwälzungen als vielmehr gesetzmäßig in steten kleinen Schritten, gleichsam als ‚natürlicher Gang der Dinge‘, vollziehe. Die für Freytag und den nachmärzlichen Liberalismus konstitutive Ablehnung weiterer Revolutionen, massiver historischer Umbrüche oder grundsätzlich aller Abweichungen von einem als ‚natürlich‘ angenommenen Geschichtsverlauf findet hier ihre Begründung. Genauso liegt in dieser Geschichtsphilosophie das Fundament für die Idealisierung und Poetisierung der bürgerlichen Arbeit – einer Arbeit, die in der Partei, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und nicht zuletzt auch in der Presse stattfindet. Arbeit wird in diesem Sinne immer schon verstanden als Arbeit an der Geschichte, als verstetigter bürgerlicher Fortschritt. Die Gestaltungansprüche werden verlagert in die zahlreichen kleinen Fortschritte, in den als gesetzmäßig angenommenen historischen Prozess (s. dazu auch Kap. III.4). Das liberale Bürgertum hat trotz der geringen politischen Einflussmöglichkeiten aus seiner wachsenden sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedeutung die Sicherheit auf eine bürgerliche Zukunft auch im Politischen gewonnen. Die Geschichte, die ihnen gerade noch einen kräftigen Schlag versetzt hatte, wähnten die Liberalen solchen Denkfiguren entsprechend doch auf ihrer Seite. So begründet sich eine Art abwartendes Grundvertrauen. ‚Realpolitischen‘ Grundsätzen gemäß akzeptierte das liberale Bürgertum daher die nachrevolutionären historischen Tatsachen und rückte gegenüber den Idealen des Vormärz das Machbare der Nachmärz-Wirklichkeit in den Vordergrund.308 Die Losung nicht nur des Grenzboten-Liberalismus hieß fortan „Evolution statt Revolution“.309 In seiner Rezension zu Soll und Haben erblickt Theodor Fontane im Kaufmann Schröter eine Figur, die dieses Denken prototypisch verkörpert – die auf den ersten Blick für ein in seinem Handeln beschränktes Bürgertum steht, auf den zweiten Blick jedoch Anlass zu Optimismus und Ermutigung gibt: Unsere Mitbetheiligung am Regiment ist gering oder ist null, wir regieren nicht mehr, wir werden regiert. Daraus entsteht eine Beschränktheit in den großen Dingen des Lebens, ein Angewiesensein auf den engsten Beruf […]. Der Blick für’s Allgemeine von der bestimmten Position unseres Standes und Faches aus ist uns verloren gegangen oder doch erschwert. Das ist das übliche; aber es ist nicht die Situation des Bürgerthums-Repräsentanten in diesem Roman. – Gustav Freytag zeichnet uns in seinem Kaufmann, ja, wenn es nicht lächerlich klingt, in der Firma T.O. Schröter eine geistige Potenz, die traditionell diesen Blick für’s Allgemeine und ihre Beziehungen zu ihm sich bewahrt hat. Er kann nicht mehr Politik machen, er kann nicht mehr direkt entscheidend eingreifen, aber er überschaut ein gewisses Maaß von Rechten und Pflichten, auch jenseits der pfahlbürgerlichen Polizei-Tugend, deren gewissenhafteste Innhaltung seine Aufgabe und sein Stolz wird. In diesem Sinne ist er thätig […]. Die Segnungen sind unzweifelhaft auch da, sie sind

308 Vgl. dazu genauer Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 718–722; Rürup: Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 183. 309 Herrmann: Gustav Freytag, S. 152.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

nur schwieriger zu kennen, als in Zeiten, die der unmittelbaren und sichtlichen Bethätigung des Individuums günstiger waren. Man gebe unserem Staat eine lange andauernde Reihe solcher Männer, und man wird an dem Wachsen und Gedeihen des Ganzen die Wirksamkeit der Einzelnen ermessen können.310

Betrachtet man die bestehenden Verhältnisse gemäß solcher Geschichtslogik und deren Gewissheit, dass die vielen mühevollen kleinen Schritte an der letztlich unaufhaltsamen Verbürgerlichung teilhaben, dann wird nicht nur ersichtlich, was die feldübergreifende Maxime des Grenzboten-Realismus, das Ideale im Realen zu suchen, tatsächlich bedeutet; es erschließt sich ebenso, warum die Rede von der heiteren, freiwilligen oder mutigen Resignation für die Zeitgenossen keinen Widerspruch darstellt und warum sie gerade nicht gleichbedeutend ist mit der schmerzlichen Aufgabe der eigenen Ideale und Veränderungsansprüche. Darüber hinaus zeigt sich, wie die hier umrissenen Aspekte – auch der zeithistorisch so bedeutsame Gesichtspunkt der Versöhnung – miteinander zusammenhängen. In dieser Hinsicht aufschlussreich ist ein Text aus den Preußischen Jahrbüchern von 1858, in dem die geänderten Einstellungen und Grundsätze der Liberaldemokraten mit den folgenden Stichpunkten skizziert werden: entschieden auf das Praktische gerichteter Sinn; Abneigung gegen das Aufwärmen theoretischer Streitfragen, […]; die Überzeugung von der Notwendigkeit einer ruhigen, schrittweisen Entwickelung, ja sogar eine gewisse Resignation in der Erwartung; vor allem aber ein Geist der Versöhnlichkeit, und die überall durchzufühlende Freude, daß der Partei endlich Gelegenheit geboten war, wieder mit Teilnahme an das Vaterland anzuschließen.311

Die Mentalität, die Prinzipien und die Handlungslogiken des nachmärzlichen Liberalismus werden hier treffend auf wenige Punkte gebracht. Aufgedeckt ist damit der Sinn-, also zugleich der Produktions- und Rezeptionshorizont, innerhalb dessen man Die Journalisten analysieren und deuten sollte. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht sich ein weiteres Mal, warum der Verzicht auf einen stark konturierten Tendenzcharakter und die Betonung des Versöhnungsaspekts im zeitgenössischen Kontext eben nicht als ‚unpolitisch‘ zu qualifizieren und zu versimplifizieren sind, ja weshalb die bürgerliche Selbstbeschränkung um die Jahrhundertmitte verklärt und nicht durchweg negativ konnotiert wird. Noch Ende des Jahrhunderts werden die vordergründige Aufgabe der politischen Primärziele des Liberalismus und die Beschränkung auf das Maß des gesellschaftlich Möglichen vielfach in einem positiven Lichte, als ‚gesunde

310 Theodor Fontane: [Rez.] Soll und Haben. Ein Roman in drei Bänden von Gustav Freytag. In: Literatur-Blatt des Deutschen Kunstblattes 2 (1855), 26. Juli 1855 (Nr. 15), S. 59–63, hier S. 62. – Vgl. hierzu auch Baßler: Deutsche Erzählprosa 1850–1950, S. 40  f. 311 N. N.: [Die Wende der demokratischen Partei] [1858]. In: Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Stuttgart 1997, S. 46  f., hier S. 46.

3.4 ‚Resignation‘ 

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Entwicklung‘ gesehen.312 Was sich in den Nachmärzjahren indes als Versuch darstellt, sich mit den bestehenden Verhältnissen zu arrangieren und die eigenen Ideale sowie den Glauben an die Geschichte gegen die Niederlage von 1848 zu retten, wird schließlich als bloße Affirmation der nachrevolutionären Entwicklung gedeutet. Wenn nun im Zusammenhang mit Die Journalisten immer wieder von einer positiv verstandenen ‚Resignation‘ die Rede ist und sogar der Humor des Textes als deren Ausdruck verstanden wird, dann lässt sich bis hierhin zusammenfassen: In Übereinstimmung mit der Grenzboten-Programmatik wird ‚Resignation‘ demnach im positiven Sinne als Einsicht in die Notwendigkeit bzw. als ein Befreunden mit der Wirklichkeit verstanden, das seinen Trost im Humor als Überlegenheitsausdruck findet und seinen idealistischen Überschuss in einen sich verstetigenden bürgerlichen Fortschrittsoptimismus verlagert. ‚Resignation‘ ist demnach nicht gleichzusetzen mit Verzicht, Entsagung oder Enttäuschung, sondern erweist sich als ein für die Nachmärzjahre kennzeichnendes optimistisch-evolutionär konzeptualisiertes Sinnversprechen. „[I]n der tiefen Mutlosigkeit der 50er Jahre gewinnt der Liberale aus seiner eigentümlichen Geschichts- und Weltanschauung wieder Vertrauen in den Sieg des liberalen Gedankens“.313 Freytags Komödie ist mithin als ein Drama des nachmärzlichen Liberalismus zu lesen, das sich – wie sich der Autor 1853 im Brief an Herzog Ernst II. ausdrückt – an jene richtet, „die jetzt zu verzweifeln geneigt sind“.314 Alfred Biese befindet entsprechend zur Wirkung des Stücks in seiner Zeit: „In der dumpfen Atmosphäre seiner Entstehungszeit wirkte das lustige Gelächter des Stückes wie eine Erlösung“.315 Tatsächlich scheint der Text genau in diese Richtung rezipiert worden zu sein, als Zeugnis einer erneuerten liberalen Geschichtsphilosophie und einer genesenen bürgerlichen Zuversicht. Karl Holl etwa nennt Freytags Journalisten ein herausragendes Beispiel für die epochentypische Gesundung von der pessimistischen Skepsis, die sich der denkenden und fühlenden Deutschen bemächtigt hatte infolge der durch die Ereignisse der vierziger Jahre begreiflichen Verzweiflung an der Vernunft der Geschichte. […]

312 So heißt es in Ludwig Speidels Nachruf auf Gustav Freytag: „Nach dem eklatanten Bankrott, den nach dem Jahre 1848 der politische Idealismus erlitten, entwickelte sich in Deutschland eine Art Restaurationsliteratur, in der sich, von der Absurdität ihrer Extreme abgesehen, ein sehr gesunder und kräftiger Geist aussprach. Man gab vor allem die unfruchtbare Frage nach der besten Staatsform, ja stellte überhaupt das rein Politische in zweite Linie und wendete seine volle Aufmerksamkeit der bürgerlichen Gesellschaft zu, die man in ihren Elementen, in den natürlichen und sittlichen Grundlagen und Bedingungen ihres Bestandes zu untersuchen begann. Überall war ein Zurückgehen auf das Maß des Positiven, Vernünftigen, Möglichen bemerkbar“ (Speidel: Gustav Freytag, S. 339). 313 Bußmann: Zur Geschichte des deutschen Liberalismus, S. 18. 314 Freytag an Herzog Ernst, 23. April 1853. In: BrHerz, 1. 315 Biese: Deutsche Literaturgeschichte, S. 130.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

Im tiefsten Grund holt sich das Lustspiel seine erquickende Frische aus der neuen Zeitanschauung. Der Ruf zur Arbeit ertönt. Wohl hören wir noch stark resignierende Töne, aber wir fühlen doch, die Zeit pessimistischer Verzagtheit, fruchtloser Skepsis, quietistischer Tatenlosigkeit ist vorüber.316

In ähnlicher Weise hat Alfred Dove Freytags Komödie 1871 in Die Gartenlaube interpretiert. Dove begreift das Lustspiel als nachmärzliches liberales ‚Ermutigungsstück‘, das den Journalismus als zeitgemäßen Wirklichkeitsausschnitt verklärt und poetisch idealisiert habe, weil die Presse im nachrevolutionären Deutschland ein Arbeitsfeld der kleinschrittigen allmählichen Veränderungen dargestellt habe: Es ist freilich keine breite, aber eine wichtige Seite des Volkslebens, welche sie [Die Journalisten, P. B.] poetisch verklären. Man bedenke nur, daß sie 1853 erschienen, wo fast alle Hoffnungen gescheitert waren und der dennoch zum Heile der Nation fortarbeitenden Kraft eben einzig der mühselige, tausendfach eingeengte Weg der Tagespresse noch offen stand. Wie Mancher erlag dabei der lauernden Feindschaft der Reaction, wie Viele verzagten ob der stumpfen Gleichgültigkeit des Publicums am Segen ihres Thuns! Da stellte Freytag mit der wundervollen Heiterkeit, die sein reiner Sinn ihm mitten in der dumpfen Stickluft der Zeit bewahrte, ein ideales und doch so treues Bild freisinniger deutscher Journalistik hin, in ihrem sittlichem Ernste, dem der kecke Uebermuth sprudelnden Humors nur dazu dient, die Seele unter all den kleinen Widerwärtigkeiten des Tages frisch und gesund zu erhalten.317

Auch Ludwig Fulda deutete das Lustspiel als Dokument des bürgerlich-liberalen Vorwärtsdrangs sowie der ‚aufbauenden Arbeit‘ eines Standes, deren zentraler Repräsentant Konrad Bolz sei:318 Mit heiterster Ruhe kann er [Bolz, P. B.] für seine Person einer Führerrolle entsagen, weil er weiß, daß die vielen, mit denen er in Reih und Glied marschirt, in ihrer Gemeinsamkeit die Führer geworden sind. Darum konnte auch eine ganze Klasse ihm zujubeln als ihrem Lieblingshelden und ihrem typischen Vertreter.319

Tatsächlich werden sowohl der liberale Journalist Bolz als auch sein liberaler Freund, der Professor und Politiker Oldendorf, als beseelt von der Gewissheit gezeichnet, „den Wind der Zeit und die Tendenz der Geschichte im Rücken“ zu haben.320 So wie Freytag in seiner Biographie des liberalen Politikers und Journalisten Karl Mathy den historischen Fortschritt zurückführt auf die unzählige „Fülle von Talenten und Charakteren“ (GW XXII, 418), kleiden die beiden Dramenfiguren ihr eigenes Handeln und

316 Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 279  f., 281. 317 Alfred Dove: Ein Bild aus der deutschen Gegenwart. In: Die Gartenlaube 1871, Nr. 25, S. 410–412, hier S. 410. 318 Vgl. Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75–77. 319 Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75. 320 Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 719.

3.4 ‚Resignation‘ 

 201

Wirken idealistisch in solche Bilder von der fortgesetzten Arbeit der Vielen321 (wie sie Fulda später in Erinnerung ruft und wie sie zeitgenössisch auch das bürgerliche Leseund Theaterpublikum adressierten). Oldendorfs und vor allem Bolz’ allein durch ihre Länge hervorgehobene Worte sind zudem repräsentativ für die „Führungsrolle“, welche die Liberalen Hans-Ulrich Wehler zufolge ausgehend vom Feld der Presse beanspruchten und von dem sie ihren „Zukunftsoptimismus eines unaufhaltsamen Siegeszugs“ verbreiteten.322 Bolz. […] Wir summen wie die Bienen, durchfliegen im Geist die ganze Welt, saugen Honig, wo wir ihn finden, und stechen, wo uns etwas mißfällt. […] Ich schreibe frisch drauf los, so lange es geht. Geht’s nicht mehr, dann treten andere für mich ein und tun dasselbe. Wenn Konrad Bolz, das Weizenkorn, in der großen Mühle zermahlen ist, so fallen andere Körner auf die Steine, bis das Mehl fertig ist, aus welchem vielleicht die Zukunft ein gutes Brot bäckt zum Besten Vieler (III; GW III, 78).323 Oldendorf. Mein Fräulein, ich bin nicht eingebildet, ich schlage meine Kraft nicht eben hoch an, […]. Es ist möglich, daß, wie Sie jetzt, auch eine spätere Zeit unsern politischen Hader, unsere Parteibestrebungen und was damit zusammenhängt, sehr niedrig schätzen wird. Es ist möglich, daß unser ganzes Arbeiten erfolglos bleibt; es ist möglich, daß vieles Gute, das wir ersehnen, sich, wenn es erreicht ist, in das Gegenteil verkehrt, ja, es ist höchst wahrscheinlich, daß mein eigener Antheil an dem Kampfe oft peinlich, unerquicklich und durchaus nicht das sein wird, was man eine dankbare Tätigkeit nennt; aber das alles darf mich nicht abhalten, dem Kampf und Ringen der Zeit, welcher ich angehöre, mein Leben hinzugeben; denn es ist trotz alledem dieser Kampf das Höchste und Edelste, was die Gegenwart hervorbringt. Nicht jede Zeit erlaubt ihren Söhnen Erfolge zu erobern, welche für alle Zeiten groß bleiben, und ich wiederhole es, nicht jedes Jahrhundert ist geeignet, die Menschen, welche darin leben, stattlich und glücklich zu machen324 (75).

321 Vgl. dazu bezogen auf Oldendorf auch McInnes: Drama und Theater, S. 367. 322 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. 1849–1914. München 1995, S. 446. 323 Zu diesem Monolog von Bolz schreibt die Weimarische Zeitung 1886: „Die Resignation, die in diesem vom Dichter dem Helden seines bekannten Lustspiels in den Mund gelegten Worte zu schönem Ausdruck kommt, ist der ethische Gedanke, der den Journalismus erfüllen muß, soll er segensreich wirken. Die Persönlichkeit ist nichts, die Sache ist alles“. N. N.: G. Freytag und die Journalisten. In: Weimarische Zeitung, 14. Juli 1886 (Nr. 162). 324 Auch wenn Oldendorfs Monolog im Stück als Irrweg und übertrieben entlarvt wird, so entspricht das hier artikulierte Selbstverständnis doch durchaus jener liberalen Pflichtversessenheit, die von Freytag geteilt und propagiert wurde. So schreibt Freytag 1849 in seinem Grenzboten-Aufsatz „Preußen und Deutschland. Betrachtungen eines Stockpreußen“ in auffallender Ähnlichkeit zu Oldendorfs Worten über den Führungsanspruch der Preußen: „Was nöthig ist und mit Recht von uns gefordert wird durch die übrigen Deutschen, das werden wir thun, ehrlich und ohne Eigennutz, aber wohl verstanden aus Pflichtgefühl, nicht, weil es uns besonders froh und glücklich machte.“ (Gustav Freytag: Preußen und Deutschland. Betrachtungen eines Stockpreußen [1849]. In: GW XV, 77–87, hier 79).

202 

 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

3.4.2 ‚Falsche Resignation‘ oder: die Rechte des Privaten. Nachmärzliche bürgerliche Handlungslogiken und die idealistische Grundierung privater Glücksansprüche Die pathetisch-salbungsvollen Monologe Oldendorfs und Bolz’, in denen sie ihr persönliches Schicksal höheren Zwecken unterordnen, behalten im Drama allerdings nicht das letzte Wort, sondern werden von Adelheid als lächerlich („Jetzt fängt der auch an, und er ist noch ärger als der andere“; 75) und wenig lebensklug entlarvt, kurz: „als dummes Zeug“ (80).325 So urteilt sie zunächst über Oldendorf: Das also ist einer von den Edlen, Hochgebildeten, von den freien Geistern deutscher Nation? Sehr tugendhaft und außerordentlich vernünftig! er klettert auch aus reinem Pflichtgefühl ins Feuer! Aber etwas zu erobern, die Welt, das Glück, oder gar eine Frau, dazu ist er doch nicht gemacht (76).

Im Dialog mit Bolz versucht Adelheid ebenfalls, diesem die Rechte subjektiv-privater Verwirklichungsansprüche zu Bewusstsein zu bringen: „[D]enken Sie nicht allein an den Lauf der großen Welt, sondern zuweilen auch an eine einzelne Freundin, welche an dem unwürdigen Egoismus leidet, auf ihre eigene Hand das Glück zu suchen“ (80). Beide Männer erkennt Adelheid in ihrem etwas koketten, pflichtversessenen Idealismus als unfähig, den eigenen idealistischen Selbstentwurf nicht gegen das individuelle (Liebes-)Glück in Stellung, sondern damit in Einklang zu bringen. Im Gespräch mit Adelheid konstatiert etwa Oldendorf mit finster-schwerer Miene: „Nicht Jeder kann in seinem Privatleben glücklich werden“ (75). In beiden Fällen, bei Oldendorf nicht anders als bei Bolz, sieht die Junkerstochter eine falsche „Resignation“ am Werk. Dem Kandidaten Oldendorf antwortet Adelheid: „Diese Resignation gefällt mir gar nicht, am wenigsten an einem Mann“ (75). Und auf den Monolog von Bolz reagiert sie mit den Worten: „Das ist Schwärmerei, solche Resignation ist ein Unrecht“ (78; vgl. auch: „[A]uch er ist resigniert, […]“; 80). Die ‚Resignation‘ von Bolz und Oldendorf teilt zwar mit dem positiven zeitgenössischen Resignationsbegriff das idealistische Fundament, die bürgerliche Fortschrittsemphase; sie wird hier jedoch durch Adelheid getadelt, weil sie auf individueller Entsagung beruht. Bezogen auf den privaten Bereich ist diese Resignation eine passive. Bolz und Oldendorf verzichten für die Politik auf ihre Heiratsabsichten und ihr individuelles Lebensglück. Demgegenüber ist es Adelheid, die das ganze Stück hindurch immer wieder die höheren Rechte priva325 „Aus lauter Gelehrsamkeit und Nachdenken über sich selbst haben sie [Oldendorf und Bolz, P. B.] das Vertrauen zu sich selbst verloren. Dieser Konrad! Warum sagt er nicht zu mir: Adelheid, ich wünsche Sie zur Frau? Er ist ja sonst unverschämt genug! Behüte, er philosophirt über meine Art Glück und seine Art Glück! Es war Alles sehr schön, aber es ist doch nichts als dummes Zeug“ (III; GW III, 80). – Das Literarische Centralblatt bemerkt dazu 1885, Freytag lasse „an den bedeutendsten Figuren […] Oldendorf und Bolz auch die Schattenseiten der Reflexion hervortreten und durch die kräftige Adelheid erkennen“ (N. N.: [Rez.] Freytag, Gustav, die Journalisten, Sp. 27).

3.4 ‚Resignation‘ 

 203

ter Glücksansprüche gegen die Politik verteidigt und die schließlich einen Weg findet, beide Bereiche zu vereinen. Man kann und man sollte auch diesen Teil der Dramenhandlung, den der Text vor allem in den Dialogen von Adelheid und Oldendorf einerseits sowie Adelheid und Bolz andererseits ausagiert, im Kontext der nachmärzlichen bürgerlichen Handlungslogiken und des liberalen Politikverständnisses lesen.326 Wie gezeigt, fällt hier nicht zufällig wiederholt der Begriff der „Resignation“. Und wiederum nicht zufällig stellt Adelheid dem in Liebesangelegenheiten so resignativ-zauderhaften Agieren der bürgerlich-liberalen Männer den durchsetzungsfähig-praktischen Sinn einer politischsozialen Gruppe gegenüber, die darüber hinaus im Drama kaum gut wegkommt:327 Adelheid. […] sie sind alle krank, diese Männer. Sie haben keine Courage! Aus lauter Gelehrsamkeit und Nachdenken über sich selbst haben sie das Vertrauen zu sich selbst verloren. […] Da sind meine Junker auf dem Lande ganz andere Leute. Die tragen kein großes Bündel Weisheit mit sich herum und haben mehr Grillen und Vorurteile, als verzeihlich ist, aber sie hassen und lieben doch tüchtig und trotzig drauflos und vergessen die Sorge für ihr eigenes Wohlbefinden niemals. (80)

Indem Adelheid darauf hinweist, wo die Junker den liberalen Idealisten ausnahmsweise überlegen sind, ruft sie die liberalen Geistesmenschen insgesamt zu einem zupackenderen, pragmatischeren und vor allem egoistischeren Handeln auf. In der Rezeption des Dramas wurde auch in diesem Gegensatz zwischen der „reflektierende[n] Unschlüssigkeit der Bildung gegenüber derbem, junkerhaftem Zufahren“ ein ‚Zug der Zeit‘ erkannt.328 Man hat in dem Lustspiel jene „Stimmung der nachmärzlichen Zeit“329 am Werke gesehen, die statt idealer Interessen nun die materiellen und persönlichen ins Recht setzte.330 „Die Freitag’schen [!] Helden“, so heißt es bereits 1853 mit Zustimmung, hätten den „Boden reeller, eingestanden egoistischer Zwecke, practischer persönlicher Interessen“ erreicht.331

326 Vgl. in diesem Kontext auch: McInnes: Drama und Theater, S. 368. 327 Vgl. dazu auch Beaton: Gustav Freytags „Die Journalisten“, S. 241. 328 Brahm: Deutsche Lustspieldichter, S. 89. 329 Salomon: Zu Gustav Freytag’s siebzigstem Geburtstage, S. 30. 330 „Nach den Aufregungen der Revolution und den vielen Enttäuschungen, die man erlebt, war man des unklaren Idealismus und der weitschichtigen politischen Auseinandersetzungen herzlich satt; man wollte nichts mehr von politischen Projecten hören und statt der idealen Interessen jetzt einmal vor allem die materiellen gefördert sehen, da nur ein wohlhabendes Volk frei und glücklich sein könne. Es entwickelte sich also eine gewisse materialistische Grundstimmung, es trat überall das Bestreben hervor, den praktischen Sinn zu heben, die Wichtigkeit der Arbeit und den Segen des Wohlstandes überzeugend vor Augen zu führen, doch nicht im schwungvollen vormärzlichen Volksrednertone, sondern im schlichten Vortrage, mit einer gewissen bürgerlichen Behaglichkeit und mit liebenswürdigem Humor“ (Salomon: Zu Gustav Freytag’s siebzigstem Geburtstage, S. 30). 331 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330.

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

Das Verfolgen dieser persönlichen und privaten Interessen wurde zeitgenössisch nicht als egoistischer Verrat an den politischen Idealen oder als unpolitischer Rückzug verstanden. Vielmehr wurde die Arbeit an den eigenen Zwecken im Sinne der Verlagerung bürgerlicher Veränderungsansprüche auf andere gesellschaftliche Felder sowie in Form allmählicher Fortschritte ideologisch fundiert und legitimiert. Der Vorrang des privaten Glücks bedeutete hiernach keinen Widerspruch zu den politischen Zielsetzungen. Den liberalen Ansichten gemäß wurde der bürgerliche Kampf um Einfluss und Vorherrschaft nach 1848 auf allen Ebenen – auch im Privaten – weitergeführt. So schreibt etwa Gustav Freytag anlässlich des Preußischen Verfassungskonflikts: Der Kampf in Preußen, der im Jahre 1848 begonnen und seitdem nur in kurzen Zeiträumen geruht hat, ist ein Kampf nicht nur um die Verfassung selbst, sondern um die gesamten sittlichen Grundlagen des bürgerlichen Lebens. Wie matt er in manchem Jahre geführt wurde, er ist doch in der Stille unaufhörlich fortgeführt worden, in der Kirche, in den Familien, in der Gesellschaft […] auch auf dem weiten Gebiet der materiellen Interessen.332

Ähnlich hat August Ludwig von Rochau, der mit dem Wort von der ‚Realpolitik‘ zum publizistischen Stichwortgeber und spiritus rector der nachrevolutionären bürgerlichen Umorientierungsprozesse wurde, Politik als Summe des Kampfes verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Interessen betrachtet. Diese Kämpfe fänden nicht zuletzt im Bereich des Wirtschaftlichen und Privaten statt; die ausgehend von diesen Feldern sich wandelnden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse würden schließlich auch zu Veränderungen in der politischen Architektur, zu Transformation auf Staatsebene führen.333 Anders gesagt: Was als politische Revolution scheiterte, sollte sich als sukzessive soziale Evolution vollziehen; hierbei zählte jeder Sieg, selbst wenn er – wie in Die Journalisten – ‚nur‘ darin besteht, dass der bürgerliche Journalist sich im Wettbewerb um die Frau gegen den konservativen Konkurrenten aus dem Junkertum durchsetzt. Nun kommt es in Freytags Komödie allerdings nur durch Initiative Adelheids zur Doppelhochzeit und damit zum liberalen Sieg auf allen Ebenen. Der Text thematisiert jene lebenspraktischen Defizite der liberalen Idealisten Bolz und Oldendorf, die das Einschreiten Adelheids notwendig machen – ein Gesichtspunkt, der ebenfalls in der Rezeption seinen Widerhall findet: [D]er thatenmuthige und praktische Journalist ist seinen eigenen persönlichen Interessen gegenüber ein zaghafter unpraktischer Mensch. Der Widerspruch, daß ein Mensch um einer Idee willen, sich selbst zu vergessen vermag, und indem er dem Leben der Gesammtheit dienen will, das seine vernachlässigt, ist eine poetische Vorstellung, welche sowohl eine erhabene, wie eine komische Auffassung zuläßt. Die erstere schuf die Figur des Oldendorf, die letztere die des Bolz.334 332 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 264. 333 Vgl. Gall: Bürgertum in Deutschland, S. 334–337. 334 Proelß/Kiffert: Gustav Freytag-Galerie, S. 48.

3.4 ‚Resignation‘ 

 205

Ein Übermaß an Idealismus und allzu starren Prinzipien war dem nachmärzlichen Liberalismus eher fremd und schien diesem unter den gegebenen Umständen auch ungeeignet.335 Gefordert waren mit den Worten aus den Preußischen Jahrbüchern „Männer[], die weder ein Ideal der Vergangenheit noch ein Ideal der Zukunft in die Welt hineinzaubern wollen, sondern in der praktischen Verbesserung des Bestehenden ihre Aufgabe erblicken“.336 Der politische Idealismus sollte nicht so weit gehen, dass er nur zu Lasten der subjektiven Ansprüche verwirklicht werden kann und das eigene Lebensglück aufs Spiel gesetzt wird. Die zeitgenössische Logik, sich auf das Mögliche und Machbare zu konzentrieren, um schließlich das Wünschenswerte zu erreichen, steht damit im Widerspruch zur starren Prinzipientreue und Pflichtversessenheit Oldendorfs,337 der darüber ‚das kleine Hausglück seines Lebens‘ (wie es im Text heißt: III; GW III, 75) aus den Augen verliert. In diesem sah Freytag allerdings die Voraussetzung, als Abgeordneter – wie Oldendorf einer werden will – fruchtbar wirken zu können. In seiner Biographie Karl Mathys legt Freytag entsprechend dar: Wer die öffentliche Vertretung seiner Mitbürger übernimmt und einen großen Teil seiner Zeit den Geschäften des Landes widmet, der wird nur dann die Bürgschaft der Stärke, Muße und Unabhängigkeit haben, wenn das Haus seines eigenen Lebens fest begründet ist […]. Die erste Sorge des Bürgers gehört der Familie, die nächste dem Kreis von Interessen, in welchem er für sich arbeitet und für andere nützlich zu werden, die dritte erst der Übernahme von Vertrauensämtern für Gemeinde und Staat. […] Wer […] freiwillig große Pflichten gegen sein Volk auf sein Leben nimmt, der vermag diesen Pflichten gerade nur dann dauernd zu genügen, wenn er den gesunden Egoismus hat, zuerst sein Haus […] festzuhalten. Denn nur durch die Gesundheit und Kraft, die er in den Kreisen bewährt, welche ihn am engsten umschließen, behauptet er Achtung und Vertrauen seiner Landgenossen. Das soll die Regel sein in wohlgeordnetem Staat, in friedlicher Zeit, und jede Ausnahme hat sich zu rechtfertigen (GW XXII, 212  f.).

Am Ende machen auch Die Journalisten hier keine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme. Oldendorf findet sein privates Glück und wird Abgeordneter. Nur aus dem Journalismus muss er sich zurückziehen. Dass Oldendorf am Ende gezwungen ist, diese Tätigkeit aufzugeben, bedeutet letztlich keinen schweren Verzicht für ihn, was nicht nur seine schnelle und gelassene Reaktion auf diese Bedingung zeigt. Wie Bolz zuvor an anderer Stelle deutlich macht, gehörte Oldendorf ohnehin nie wirklich zu

335 Vgl. Ludwig August [!] von Rochau: [Der politische Idealismus und die Wirklichkeit]. In: Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Stuttgart 1997, S. 60–67; vgl. in diesem Sinne auch [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 336 N. N.: [Die Wende der demokratischen Partei], S. 47. 337 August Ludwig von Rochau hätte Oldendorf hier im Hinblick auf dessen ‚private Politik‘ die folgenden realpolitischen Grundsätze ins Stammbuch geschrieben: „Ein bürgerliches Tun und Lassen […], dem es zum Beispiel lediglich auf die Behauptung einer […] Konsequenz, auf das Festhalten an einem unantastbaren Dogma ankommt, ein solches Tun und Lassen mag in einzelnen seltenen Fällen als eine Sache der persönlichen Ehre gelten, mit dem Wesen der Politik aber hat es nichts gemein“ (Rochau: [Der politische Idealismus und die Wirklichkeit], S. 62).

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 3 „Die Meisterkomödie des ­bürgerlichen ­Liberalismus“

diesem Berufsstand, sondern schrieb allenfalls „[n]ur so nebenbei“ (III; GW III, 77). Bolz dagegen kann sich keinen anderen Beruf vorstellen, wie er Adelheid erklärt: „[I]ch aber gehöre zur Zunft“ (77). Im Journalismus hat er seine Berufung gefunden – und Freytag eine Figur, mit der es gelingt, zeittypische Charakteristika und Vorurteile des Berufsstandes, die der Autor aus eigener Anschauung zur Genüge kannte,338 unterhaltend zur Darstellung zu bringen.

338 Die Komödie perspektiviert Freytag deutungslenkend auf die eigenen biographischen Erfahrungen als Journalist, wenn er in seinen Erinnerungen schreibt: „Ich war unter das Völklein der Journalisten gerathen“, und „[d]a machte es sich wie von selbst, daß ich dieses Stück Welt, in welchem ich mit Behagen verkehrte, für mein altes Handwerk in Anspruch nahm“ (GW I, 172). Auch spricht das Wenige, was sich über die Entstehungsgeschichte des Stücks sicher rekonstruieren lässt, tatsächlich dafür, dass der Plan zu Die Journalisten bei Freytag aus seiner unmittelbaren journalistischen Praxis nach 1848 erwachsen ist, vgl. Kreißig: Nachwort, S. 114.

4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus 4.1 Ein Journalisten-Drama oder: „das klassische deutsche Pressestück“ Neben allem, was man über Freytags Komödie sagen und aus ihr ableiten kann, sollte auch das Offensichtliche nicht fehlen: Bei Freytags Lustspiel handelt es sich (noch vor Arthur Schnitzlers Fink und Fliederbusch1) um das Journalisten-Drama der deutschen Literaturgeschichte. Nicht umsonst hat Karl d’Ester Freytags Text in seiner umfassenden Studie über ‚die Presse im Spiegel der Dichtung‘ „das klassische deutsche Pressestück“ genannt und dem Autor attestiert, ‚die Presse und ihre Leute‘ „literaturfähig gemacht zu haben“.2 In diesem Sinne hat ebenso Heinrich Stümcke den Innovationswert von Freytags Text nicht nur in dessen aktuellem politischen Zeithintergrund gesehen (es stehe „weit über all den anderen Versuchen, die Ereignisse von 1848 andeutungsweise […] im Rahmen der Komödie zu fassen), sondern zugleich darin, „der gelungene Versuch eines Standeslustspiels“ zu sein.3 Nun ist Freytags früh als „Standeskomödie“4 bezeichneter Text nicht das erste Drama, das einen Journalisten als Hauptfigur besitzt oder den Journalismus zum Thema macht5  – man könnte etwa an Nestroys Freiheit in Krähwinkel, Eduard von Bauernfelds Der literarische Salon6 oder Roderich Benedix’ Erfolgsstück Doctor Wespe denken. Auch sind Freytags Die Journalisten nicht das erste Stück, das diesen Titel trägt. 1837 wurde das Lustspiel Der Ruf, oder: Die Journalisten von Johann von Plötz aufgeführt und erschien später als Buchausgabe. Und bereits 1806 wurde

1 In der zeitgenössischen Kritik zu Schnitzlers Drama bildete Freytags Komödie auch den entscheidenden Maßstab, an dem das neue Journalisten-Stück gemessen wurde, vgl. Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 394  f., Anm. 15. 2 Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 148. – Ähnlich schreibt Hans Teßmer in seinem Aufsatz über den Redakteur in der modernen Literatur: „Die Zeitung als Kampfmittel, die Presse in ihrer Bedeutung für die Politik, den Redakteur als Vertreter einer öffentlichen Meinung, als Typus einer durch ihr Milieu und ihre beruflichen Aufgaben bestimmten Gesellschaftsschicht versucht eben Freytag erstmalig auf die Bühne zu bringen“ (Hans Teßmer: Der Redakteur in der modernen Literatur. In: Das literarische Echo. Halbmonatsschrift für Literaturfreunde 23 (1920/21), S. 70–78, hier S. 71). – Freytags Stück wurde allein aufgrund seiner schnellen und nachhaltigen Popularität in der Folge vorbildhaft für weitere Journalisten-Dramen, wie Ester ausführlich dargestellt hat. Ester will etwa schon in Roderich Benedix’ Pressestück Konzert von 1854 einen Einfluss Freytags erkennen (Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 176). 3 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 396. 4 N. N.: Kgl. Hof- und Nationaltheater [1853], S. 39. 5 Vgl. dazu allgemein die Studie: Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung. 6 In Bauernfelds Stück wurde mitunter ein ‚Vorläufer‘ von Freytags Komödie gesehen (vgl. HansJoachim Neubauer: Judenfiguren. Drama und Theater im frühen 19. Jahrhundert. Frankfurt a.  M. 1994, S. 93. Anm. 163). https://doi.org/10.1515/9783110541779-006

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

Johann Stephan Schützes Komödie Die Journalisten veröffentlicht (1807 in Weimar uraufgeführt).7 Der gleichnamige Titel und einiges, was sich darüber hinaus als Übereinstimmung lesen ließe, haben verschiedentlich die im Ganzen unbegründete Frage nach einem Plagiat Freytags aufkommen lassen.8 Auch wenn von einem Plagiat tatsächlich nicht im Geringsten die Rede sein kann, so könne man bei Betrachtung beider Stücke zu der Annahme kommen, dass Freytag aufgrund einiger oberflächlicher Ähnlichkeiten (in den Motiven, Charakteren und Figurenkonstellationen) Schützes Stück gekannt hat und sich von ihm hat anregen lassen.9 1856 konfrontiert mit Schützes Stück, erweckt Freytags Antwort10 zwar den Eindruck, Schützes Lustspiel jetzt erst zur Kenntnis genommen zu haben,11 sein ausweichender und ‚gewunden-schelmischer‘ Brief an Salomon Hirzel lässt aber Raum für gegenteilige Spekulationen.12 Gegenüber der bisherigen literarischen Beschäftigung mit journalistischen Figuren und Elementen sticht Freytags Stück allerdings in mehrerlei Hinsicht hervor. Es handelt sich hierbei – worauf ich noch zurückkommen werde (s. Kap. 4.3) – nicht nur um ein besonders modernes und zeitgetreues Abbild des Journalismus der Jahr-

7 Zu Schützes Stück vgl. allgemein: Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 43–46. 8 1924 verteidigte Heinrich Glückmann Freytags Stück gegen Plagiatsvorwürfe. Parallelen, ja „starke Ähnlichkeiten“ zu Schützes gleichnamiger Komödie bestünden durchaus, Freytag jedoch habe etwaige Anleihen in ein in jeder Hinsicht eigenständiges Werk transformiert; schon der Vergleich allein aber sei „ein crimen majestatis an der starken, die Zeiten durchleuchtenden Geistigkeit des Meisters der ‚Journalisten‘“ (Heinrich Glücksmann: „Die Journalisten“ – ein Plagiat. In: Jahrbuch Deutscher Bibliophilen 10/11 (1924), S. 111–114, hier S. 111, 114). 9 Vgl. hierzu sowie zu den Gemeinsamkeiten zwischen Freytags und Schützes Die Journalisten ausführlich: Lindau: Gustav Freytag, S. 131–133; Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 61–66; Glücksmann: „Die Journalisten“ – ein Plagiat, S. 112; vgl. hierzu außerdem: Kreißig: Nachwort, S. 117  f. 10 Von seinem Verleger erhielt Freytag 1856 ein Exemplar von Schützes Die Journalisten und antwortete diesem mit den Zeilen: „Ferner den entschiedensten Dank für die Journalisten. Sie können denken, daß sie mir viel Freude gemacht haben, zunächst wegen merkwürdiger Aehnlichkeiten dann aber auch wegen der Verschiedenheiten. Es wird, wenn die Herren Schütze und Freytag einer undankbaren Nachwelt gleichgültige Namen sein werden, noch von höchstem Interesse sein, die Ausbildung deutscher Empfindung und Verhältnisse an dergleichen Aehnlichkeiten u. Verschiedenheiten zu messen. So kindisch uns die Schütze’sche Lustspiel Schablone, – in der That noch das alte Hanswurst Theater  – vorkommt, und wie embryonisch diese belletristische Tagespresse, ebenso wird man in 50 Jahren unsere Journalisten als ein Abbild kindischer Preß und Bildungszustände betrachten. Da diese Journalisten gewissermaßen zu den Anfängen einer Sammlung meiner Productionen gehören, welche nicht ich, sondern Ihre Freundschaft bewirkt hat, so wäre mir lieb, […] das Büchlein wieder an sich zu nehmen und aufzuheben.“ (Gustav Freytag an Salomon Hirzel, 5. September 1856. In: BrHi I, 104–105, hier 104). 11 Walter Heynen sieht darin 1918 trotz der Ähnlichkeiten keinen Widerspruch, vgl. Walter Heynen: Journalistenkomödien. In: Deutsche Rundschau, Bd. 177 (Oktober–Dezember 1918), S. 160–163, hier S. 161. 12 Vgl. in diesem Sinne: Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 64–66.

4.1 Ein Journalisten-Drama oder: „das klassische deutsche Pressestück“ 

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hundertmitte. Es unterscheidet sich auch dadurch von den vorangegangenen Texten, dass der Darstellungsfokus hier deutlich auf dem Journalismus, seinen Praktiken und Arbeitsweisen liegt.13 Diese Besonderheit wird als Innovationsleistung in der Rezeption unterstrichen und begründet die verschiedentliche Einordnung der Komödie als „das erste Journalistenstück“.14 In diesem Sinne lobt etwa die Leipziger Illustrirte Zeitung 1853 die „so recht keck aus dem Leben gegriffene Schilderung innerer Redactionsverhältnisse“.15 Dass der Journalismus im Zentrum des Dramas steht, betont auch Kohut, der „das publizistische Tun und Treiben“ zum „Mittelpunkt der Fabel“ erklärt.16 Und Droescher sieht im Journalismus die treibende Kraft der Handlung: „Der Journalismus […] ist das Agens; wir erleben die kritische ebenso die belustigende Wirkung dieser Triebkraft“17 – eine Beobachtung, die dann erstmals von Stockinger näher herausgearbeitet wurde.18 Bereits der Titel der Komödie zeigt an, dass hier ein „Kollektivum die Hauptperson“19 bildet. Die literaturgeschichtliche Bedeutung von Freytags Komödie als JournalistenDrama ergibt sich daraus, dass der Text den Journalismus in umfassender, vielerlei Gesichtspunkte berücksichtigender und historisch präziser Weise in den Blick nimmt. Diese Punkte hebt Hans Teßmer in seinem Aufsatz „Der Redakteur in der modernen Literatur“ entsprechend als innovativ hervor: Die Zeitung als Kampfmittel, die Presse in ihrer Bedeutung für die Politik, den Redakteur als Vertreter einer öffentlichen Meinung, als Typus einer durch ihr Milieu und ihre beruflichen Aufgaben bestimmten Gesellschaftsschicht versucht eben Freytag in den „Journalisten“ erstmalig auf die Bühne zu bringen.20

Freytags Die Journalisten weichen von bisherigen literarischen Bearbeitungen des Themas und deren Zeichnung journalistischer Figuren außerdem insofern ab, als Freytags Komödie den Journalismus nicht bloß satirisch, sondern im Kern positiv darstellt und poetisch verklärt. Bezogen auf frühere Bestrebungen, den Journalismus literarisch ins Werk zu setzten, konstatiert daher Stümcke: „Freytags Lustspiel bot diesen und anderen unbedeutenden Versuchen gegenüber zum ersten Mal ein

13 Vgl. dazu genauer: Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus, S. 184–190. 14 Kaulfuß: Der Journalist auf der Bühne, Sp. 124. 15 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 16 Kohut: Gustav Freytag als Journalist und Redakteur, S. 111. Vgl. in diesem Sinne auch Gottschall: Die deutsche Nationallitteratur des neunzehnten Jahrhunderts, S. 46. 17 Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 57. 18 Vgl. dazu Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 205; vgl. dazu außerdem Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus, S. 184–190. 19 Koning: Gustav Freytags Stücke, S. 730. 20 Teßmer: Der Redakteur in der modernen Literatur, S. 71.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

von Einseitigkeit und Gehässigkeit freies, vom echten Humor verklärtes Gemälde des Standes und der mannigfachsten Varietäten des Typus Journalist“.21 Tatsächlich handelt es sich bei Freytags Drama um eine im Ganzen entschieden positive Darstellung, um eine Idealisierung des Journalistenberufs.22 Die Komödie ist überwiegend auch so – nämlich als „Verherrlichung des Journalismus“23 – gelesen worden.24 So befindet Witkowski über den Text: „[D]er Beruf der Zeitungsschreiber wird in seiner idealen Bedeutung und in seinen Schattenseiten glaubhaft gezeichnet und das Ganze gibt zwar ein leicht idealisiertes, aber doch nicht vages Bild deutschen Lebens“.25 Und Richard George urteilt 1887: „In den ‚Journalisten‘ hatte sich Freytag die Aufgabe gestellt, den Stand der verachteten Zeitungsschreiber, dem er […] selbst beigetreten war, zu verherrlichen.“26 Die Weimarische Zeitung bedankt sich ein Jahr früher sogar bei dem Autor und Kollegen Gustav Freytag für die Zeichnung des Journalistenstandes in der Komödie: [W]ir Journalisten sind ihm zu besonderem Danke verpflichtet; er hat der Journalistik die rechte Würdigung gewonnen, indem er die sittliche Grundlage in der Thätigkeit der Journalisten zeigte, für die bis dahin die breiten Schichten auch der gebildeten Welt das Verständnis nicht besaßen.27

In der Tat war der Beruf des Journalisten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts nicht besonders gut beleumundet:28 „Der […] Typus des gesinnungslosen Schreibers […] hatte sich im Grunde schon durchgesetzt, als die politische Presse sich erst zu entfalten begann.“29 Schon der im Titel der Komödie verwendete, vergleichsweise junge Begriff vom ‚Journalismus‘ bzw. den ‚Journalisten‘ ist in diesem Zusammenhang interessant. Zu Beginn des langen 19. Jahrhunderts ist die Wortneuschöpfung Ausdruck eines modernen Verständnisses von Öffentlichkeit, einer politischen periodischen Presse, die dabei ist, sich als eigenständiges System zu formieren. In den deutschen Territorien ist das Wort vom „Journalismus“ aber zunächst deutlich negativ mit Fehl-

21 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 396. 22 Vgl. hierzu ausführlicher: Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 59–61. 23 Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 285. 24 Vgl. z.  B. Wilhelm Goldbaum: Die vorige Generation. „Die Journalisten“. In: Pester Lloyd, 19. Juli 1889 (Nr. 174); Hamel: Freitag. Die Journalisten, S. 111. 25 Georg Witkowski: Das deutsche Drama des neunzehnten Jahrhunderts in seiner Entwicklung dargestellt. 2. Aufl. Leipzig 1906, S. 38. – Nach der Premiere am Wiener Burgtheater hebt auch das Blatt Humorist und Wiener Punch hervor, dass Freytag ein gemischtes und daher realistisches Bild des Journalismus mit Ehrenmännern wie Intriganten zeichne (vgl. A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater, S. 851). 26 George: Gustav Freytag, S. 10. 27 N. N.: G. Freytag und die Journalisten. 28 Vgl. Kurt Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert. Geschichte der deutschen Presse. Teil II. Berlin 1966, S. 218, 224–226. 29 Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S.  224  f.  – Vgl. dazu auch ausführlich: Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 9–148.

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entwicklungen und Schattenseiten einer modernen und als so defätistisch wie gefährlich geltenden Presse konnotiert.30 Der Aufstieg des Journalismus ging mit dessen kontinuierlicher Kritik – zumal von konservativer Seite  – einher.31 Wenn die Erzählerfigur Johannes Wacholder den Redakteur Heinrich Wimmer in Wilhelm Raabes Die Chronik der Sperlingsgasse (1856) „eine echte zeitungsschreibende Bummelnatur“32 nennt, dann ist das dem Ton der ‚Chronik‘ gemäß nur die liebenswürdige Entsprechung eines Klischees, das man in konservativen Kreisen mit weitaus drastischeren Bezeichnungen zu bedenken pflegte. Die Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland etwa sahen die Presse – dem Periodikum zufolge überhaupt „eine der Hauptquellen der Uebel unserer Zeit“ – im Jahr 1849 „guten Theils in den Händen der verkommsten Subjecte […], die religiös, sittlich, geistig und ökonomisch ruinirt“ seien.33 Die hier formulierte Verachtung hat zwar entscheidend mit der gewichtigen Bedeutung der liberalen Presse für die Revolutionsereignisse von 1848/49 zu tun, schon seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert haben sich allerdings Topoi der Journalistenkritik etabliert, die keinesfalls nur unter Reaktionären kultiviert wurden. „Die Journalisten sind die Geburtshelfer und Todtengräber [!] der Zeit“34 – mit diesen Worten wird etwa in Karl Gutzkows Roman Blasedow und seine Söhne (1838) der ambivalente Blick auf den expandierenden Berufsstand von einem SchriftstellerJournalisten auf den Punkt gebracht. Und ehe Freytag, der vor der Revolution bereits gelegentlich für die Schlesische Zeitung schrieb,35 als Grenzboten-Herausgeber hauptberuflich Journalist und Wortführer eines liberalen Parteiorgans wurde, hat er in seinem Dramenfragment Der Gelehrte selbst den bestehenden Vorbehalten gegenüber dem Journalismus Ausdruck gegeben. In den Worten, die Freytag seinen Protagonisten Walter 1844 sprechen lässt, klingen zumindest leise jene Ressentiments gegen den Journalismus mit, über die Robert Prutz 1845 in seiner Geschichte des Journalis-

30 Vgl. Franz Schneider: [Art.] ‚Presse, Pressefreiheit, Zensur‘. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck. Bd. 4: Mi–Pre. Stuttgart 1978, S. 899–927, hier S. 901. – Vgl. auch die (anders akzentuierten und gedeuteten) Ausführungen Requates zum Begriff des ‚Journalisten‘: Jörg Requate: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich. Göttingen 1995, S. 131–134, bes. 132. 31 Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 594. 32 Wilhelm Raabe: Die Chronik der Sperlingsgasse. In: ders.: Sämtliche Werke. Bd. 1, bearb. von Karl Hoppe und Max Carstenn. 2., durchges. Aufl. Göttingen 1980, S. 55. 33 N. N.: Die Zeitungspresse und das Volk. In: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 24 (1849), S. 1–39, hier S. 1. 34 Karl Gutzkow: Blasedow und seine Söhne. Komischer Roman. Zweiter Theil. Stuttgart 1838, S. 212  f. 35 Vgl. Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S.  68  f., 101; Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49. München 1987, S. 527.

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mus geklagt hatte und die er gerade unter „Gelehrten“ weit verbreitet sah.36 Der Bitte seines Freundes Romberg, Kopf und Leiter einer neuen politischen Zeitung zu werden, kommt der Protagonist Walter nämlich nicht nach. Der Zeitungsarbeit gegenüber ist er skeptisch eingestellt und beantwortet den Gesprächswillen seines Freundes daher wie folgt: Walter (lächelnd).

Reden? Du willst bereden, und wohl auch Verführen! Hans, du bist ein Journalist, Vorn Diplomat und hinten Sansculotte, Was du auch treibst, du sorgst für dein Journal. (GW II, 96)

Walters Konflikt mit Romberg stellt sich u.  a. als Zwiespalt zwischen einem vagen Liberalismus (Walter) und einem recht bestimmten, auf die Popularisierung durch Zeitungen angewiesenen Radikalismus (Romberg) dar. Wo der Journalismus als politische Meinungspropaganda für Walter noch das Gegenteil von praktischer Arbeit im Volke ist und Journalist Romberg ihm daher nur als „Priester und Opferthier der kranken Zeit“ gelten kann (GW II, 101), handelt es sich in Die Journalisten um ein idealisiertes Arbeitsfeld, einen klar bestimmbaren bürgerlichen Wirkungskreis. Ähnlich wird dieser noch im Schlussteil der Ahnen für Victor König zu einem Möglichkeitsraum, „[z]uerst sich selbst gesund zu machen“, nach dem „üppige[n] Schwelgen im Lande der Träume“ nun tatkräftig an der Veränderung der Realität mitzuwirken und so schließlich „Preußen [zu] retten“ (GW XIII, 302; s. dazu auch Kap. 4.4). Nun idealisiert Freytag in seiner Komödie die Journalistentätigkeit allerdings nicht vordergründig; vielmehr werden die Defizite und Verfehlungen des Berufsstandes vom Journalisten Freytag (selbst-)ironisch vorgeführt, was man früh wahrnahm und dem Autor positiv anrechnete.37 Die Komödie wendet sich nicht offensiv gegen die zeitgenössische Journalismus-Kritik, sondern macht das bei Gutzkow artikulierte ambivalente Bild von der Presse produktiv und gibt den bestehenden Topoi der Journalisten-Verachtung im Drama selbst breiten Raum. Indem Freytag diese als überholt oder rückständig entlarvt – so den geradezu manischen Widerwillen des (selbst Zeitungsartikel verfassenden) Oberst Berg gegen die Zeitungsschreiber („Zum Teufel mit allen Journalisten!“; III, GW III, 95) –, reagiert er auf die vorhandenen Bilder und etabliert neue wirkmächtige Topoi einer sich als antiquiert erweisenden JournalistenKritik, die dann von anderen Autoren aufgegriffen werden.

36 Vgl. Robert Eduard Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus. Zum ersten male vollständig aus den Quellen gearbeitet. Erster Theil. Hannover 1845, S. 11  f. 37 So schreibt der Korrespondent der Allgemeinen Theater-Chronik nach der Weimarer Aufführung im Januar 1853: „Nur ein Journalist durfte es wagen, mit den geheimsten Fäden der Journalistik Komödie zu spielen, und daß er es gewagt, beweist geistige Unabhängigkeit“ (N. N.: Weimar, am 17. Januar. Freytag’s „Journalisten“, S. 52).

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In diesem Sinne könnte man den Hauptmann Fasterling aus Wilhelm Raabes Die Kinder von Finkenrode (1858) als Wiedergänger von Oberst Berg lesen. Auch ihm ist ein liberaler Redakteur das denkbar größte Schreckbild. „Aber du bist ja ein Wühler geworden! Donnerwetter – ein Demokrat, einer von der gottlosen Satansbande, ein Zeitungsschreiber!“,38 fährt er den Ich-Erzähler und Redakteur Dr. Max Bösenberg an. Und mehr noch als Oberst Berg möchte er seine Tochter nicht einem „Zeitungsschreiber“, einem „Schlechte-Witze-Macher […] – einem Journalisten“ zur Frau geben.39 Wie in Freytags Komödie sind die Journalisten allerdings auch die sympathischen und unterhaltsamen Figuren, die die Fäden der Handlung in der Hand halten. Genau genommen trifft dies bei Freytags Drama nur auf einen Teil der Presse zu. Freytags Blick auf den Journalismus im Lustspiel differenziert zwischen guten und schlechten Repräsentanten des Standes.40 Während die Vertreter der konservativen Zeitung als überwiegend opportunistisch, gesinnungs- und charakterlos entworfen werden,41 so sind die Sünden, derer sich die Redakteure der liberalen Union schuldig machen, so lässlich wie berufstypisch. Hierfür einschlägig ist die berühmt gewordene zweite Szene des ersten Aktes, in der die Bühne zum Redaktionsbüro wird – in darstellungstechnischer Hinsicht ein Coup und ein Novum. In dieser Szene42 fordert Bolz den mit dem ‚Vermischtes‘-Teil der Zeitung betrauten Redakteur Bellmaus auf, die noch fehlenden Zeilen der Ausgabe notfalls mit einer erfundenen Meldung zu füllen (z.  B. „wie ein Hamster sieben schlafende Kinder erbissen hat“), auf keinen Fall aber mit der „abgedroschene[n] Lüge“ von der einige Male zu oft entdeckten und zeitgenössisch tatsächlich immer wieder in den Gazetten auftauchenden43 „Seeschlange“ (I/2; GW III, 20, 19): „Erfinde deine eigenen Geschichten, wozu bist du Journalist? […] Es gibt so Vieles, was geschieht, und so ungeheuer Vieles, was nicht geschieht, daß es einem ehrlichen Zeitungsschreiber nie an Neuigkeiten fehlen darf“ (20). Was in der Rubrik ‚Mannigfaltiges‘ mit den dort verfertigten „Nippessachen“ (19) möglich ist, gilt indes nicht für wichtigere Teile der Zeitung wie den Leitartikel.

38 Wilhelm Raabe: Die Kinder von Finkenrode. In: ders.: Sämtliche Werke. Bd. 2, bearb. von Karl Hoppe und Hans Oppermann. Göttingen 1970, S. 41. 39 Raabe: Die Kinder von Finkenrode, S. 103. 40 Vgl. in diesem Sinne auch: A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater, S. 851; Theophil Zolling: Gustav Freytag als Journalist. In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 35 (1889), 23. Februar 1889 (Nr. 8), S. 119–122, hier S. 120. 41 Vgl. dazu die Aussagen, die Schmock zu jenen Lehren und Anweisungen macht, die ihm der Redakteur Blumenberg erteilt hat: GW III, 47  f., 99. – Vgl. dazu außerdem: Böttcher/Stockinger: Die Politik der Komödie als Politik des Journalismus, S. 187. 42 Vgl. zu dieser Szene auch: Ruf: Gustav Freytags „Die Journalisten“ aus medienästhetischer Perspektive, S. 117  f. 43 Selbst in diesem Punkt ist Freytag zeitgetreu, denn Berichte von der ‚Seeschlange‘ finden sich in den Zeitungen Ende 1840er Jahre immer wieder und sind damals bereits ein beliebter Zeitungswitz, der hier entsprechend als ‚Running Gag‘ von Freytag aufgegriffen wird (vgl. Robert Franz Arnold: Wortgeschichtliche Zeugnisse. In: Zeitschrift für Deutsche Wortforschung 8 (1906) S. 1–28, hier S. 19).

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Hier weist Bolz Kämpe zwar an, „möglichst schwarz“ zu malen; zum einen muss er dabei aber „durchaus wahrhaft“ bleiben und für Recherchezwecke sogar die Bibliothek aufsuchen (25). Zum anderen sollen seine lebhaften Schilderungen im Dienste einer guten Sache stehen, sie sollen seine Landsleute nämlich von einer „Auswanderung nach Australien“ (so das Thema des plötzlich notwendig gewordenen neuen Leitartikels) abhalten: „Wir brauchen alle Leute, welche arbeiten wollen, bei uns im Lande“, (25) – ein Satz, den der leitende Redakteur ernst meint und hinter dem bei allem Humor noch das liberale Ethos von der aufbauenden Arbeit durchschimmert. Die Komödie gibt an dieser und anderen Stellen Einblick in den Zeitungsalltag, in die journalistische Arbeit, die im Sinne des Grenzboten-Realismus nicht nur dadurch idealisiert wird, dass sie insgesamt positiv innerhalb eines größeren Wirkungszusammenhangs und als wesentlicher Teil der zeitgenössischen Wirklichkeit dargestellt wird. Entscheidend ist zugleich, dass dieses bürgerliche Arbeitsfeld als unterhaltsam, interessant sowie humoristisch funktionalisierbar – und damit erstmalig in umfassender Weise als poesiefähig – vorgeführt wird. Entsprechend endet die Redaktionsszene I/2 auch mit einem reizvoll-exotischen Schlussakkord, der ganz in diesem Dienste steht: dem Auftritt der Tänzerin „Leontine Pavoni-Geßler, geb. Melloni aus Paris“ (31). Um diesen Effekt noch zu verstärken, machte Devrient in Absprache mit Freytag aus der ursprünglich vorgesehenen nicht näher charakterisierten Sängerin eine französische Tänzerin, die zudem auf Französisch mit den Redakteuren kommuniziert44 – eine Änderung, die neue komische und theatralisch reizvolle Effekte ermöglichte (Bellmaus: „in diese Stube s’il vous plaît“),45 die von Freytag aber später wieder dahingehend umgestaltet wurde, dass die französische Tänzerin Deutsch spricht.46 Die kurze Episode um die Tänzerin hat keine handlungstragende, sondern einerseits eine humoristische sowie andererseits – bezogen auf den Darstellungsfokus des Pressestücks – eine illustrative Funktion, die dabei durchaus realitätsnah war: Gehörte doch der Umgang mit „Durchreisende[n]“ wie „Poeten“, „Schauspieler[n]“ und sonstigen „Virtuose[n]“ zum journalistischen Alltag, wie Freytag im April 1850 an Theodor Molinari schrieb.47 Dass Freytag dem Zuschauer/Leser mit seinem Lustspiel Einsicht in die Redaktionsstube gewährt und diesen damit zum Lachen bringt, fand Robert Prutz indes wenig witzig. Den Herausgeber des Deutschen Museums ärgerten „diese billigen Späße 44 Vgl. [Beiblatt] „Scenierung und Arrangement des Lustspiels“ (BümaJour / GSA 19/29); H. Devrient [Hg.]: Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient, S. 132; Gustav Freytag [an Johannes Landau]. Brief mit eigenhändiger Nachschrift, Wiesbaden, 17. November 1882. In: „… einem wohllöblichen Publico zu Ehren …“, S. 129. 45 [Beiblatt] „Scenierung und Arrangement des Lustspiels“ (BümaJour / GSA 19/29). 46 Zu dieser Szene vgl. auch Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 70–73; Kreißig: Nachwort, S. 119  f. 47 Freytag an Theodor Molinari, 17. April 1850. In: Gustav Freytag: „Mein theurer Theodor“. Gustav Freytags Briefe an Theodor Molinari 1847–1867. Nach den Handschriften hg. und kommentiert von Izabela Surynt und Marek Zybura. Dresden 2006, S. 56–59, hier S. 57.

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über die Journalistik, diese Ausplaudereien aus den kleinen unsaubern Geheimnissen des Redactionsbureau“.48 Prutz, bei dessen Kritik man stets dessen zeitgenössische Gegnerschaft zu Freytag berücksichtigen muss, rückte Freytag in die Nähe des ‚Nestbeschmutzers‘, der vom eigenen Berufsstand vor allem ‚die Schattenseiten“ gezeichnet habe: Es hatte etwas Ueberraschendes, daß ein Schriftsteller, der persönlich in so innigen Beziehungen zur Journalistik stand und der selbst einen großen Theil des Einflusses, dessen er sich erfreute, seiner eigenen journalistischen Thätigkeit verdankte, in seinem Lustspiel von eben diesem Stande ein im Ganzen so wenig schmeichelhaftes Bild entwarf, ein Bild, in dem nur die Schattenseiten mit künstlerischer Energie hervorgehoben waren, während die Lichtseiten ziemlich blaß und dämmerig geblieben.49

Mit dieser wohl bewusst polemisch-verquer zugespitzten Deutung des Dramas stand der linksliberale Prutz zwar vergleichsweise alleine dar, aber auch wenigen anderen Journalisten stieß die Darstellung des eigenen Gewerbes im Lustspiel sauer auf50 – zumal solchen, die dem Herausgeber des Konkurrenz-Mediums Die Grenzboten ohnehin wenig abgewinnen konnten. Aus einer solchen Position heraus nimmt die Breslauer Morgenzeitung51 in ihrer Kritik zur Uraufführung der Journalisten vom 8. Dezember 1852 am Stück eine Übereinstimmung von Form und Inhalt wahr: „Die ‚Journalisten‘ sind ein polemischer Zeitungsartikel, scharf gepfeffert, dramatisirt und in vier Akte eingetheilt.“52 Es handle sich um „ein heiteres, wohl auch malitiöses Feuilleton, das uns vorgespielt wird“.53 Das zunächst unpolitisch-zurückhaltende, ab Mitte der 1850er Jahre dann jedoch deutlich linksliberale Breslauer Blatt bedauert schließlich, dass Freytag in seinem Drama „durchweg ein solches Lumpenpack von Journalisten hingestellt hat“, weil er womöglich „als Chef eines der einflußreichsten deutschen Journale, der Grenzboten, nur so traurige Vorbilder gefunden“ habe.54 Es ist eine schöne Pointe der Rezeptionsgeschichte, dass die Breslauer Morgenzeitung damit 48 Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 451. 49 Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 451. 50 Der Weimarer Korrespondent der Allgemeinen Theater-Chronik befürchtete deshalb, dass einige Theater das Stück aus Angst vor schlechter Presse von verärgerten Journalisten nicht spielen würden. (vgl. N. N.: Weimar, am 17. Januar. Freytag’s „Journalisten“, S. 52). Diese Befürchtung erwies sich allerdings als vollkommen unbegründet, denn die Komödie wurde von der Presse insgesamt außerordentlich positiv aufgenommen und ganz überwiegend als positive Darstellung des Journalistenstandes bewertet. 51 Zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch unter dem Namen Breslauer Anzeiger für polizeiliche Nachrichten und Lokalangelegenheiten. – Zum (politischen) Profil und zur Geschichte des ‚Breslauer Anzeigers‘ bzw. der ‚Breslauer Morgenzeitung‘ vgl. genauer Leonhard Müller: Die Breslauer politische Presse von 1742–1861. Nebst einem Überblick über die Dekade 1861–1871. Breslau 1908, S. 121–126, 294–297; Requate: Journalismus als Beruf, S. 302. 52 Zit. n.: Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 389. 53 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 389. 54 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 389.

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nicht nur die zeitdiagnostischen Qualitäten des Stücks und dessen zeitpolitischen Gehalt, sondern letztlich genau die in der Komödie beschriebenen Mechanismen des Zeitungskampfes bestätigt, indem es ebendiesen Kampf in der Rezeption fortführt. Schon 1853 wies die Zeitschrift Humorist und Wiener Punch auf den spannungsvollen rezeptionshistorischen Umstand hin, dass jede Besprechung von Freytags Komödie „den Journalismus gewissermaßen zum Richter in eigener Sache“ mache.55 Dass Freytag die ‚Schattenseiten‘ des Journalismus, wie es in den Rezeptionszeugnissen immer wieder heißt, in seiner Komödie nicht ausspart, steht gerade nicht im Gegensatz zu einer Idealisierung des Berufs, sondern bedingt diese vielmehr. Denn im Drama wird auf diese Weise ein sittlicher von einem unsittlichen Journalismus unterschieden. Genau wie Emil Kneschke56 nimmt Julian Schmidt das Drama daher gegen den aus seiner Sicht ‚wunderlichen‘ Vorwurf in Schutz, „eine Satire gegen den Journalismus“ zu sein; ebenso wenig handle es sich um eine „Verherrlichung des Schmock­ thums“: „So verächtlich die Journalisten sind, die ihren Beruf als Gewerbe betreiben, mit so warmer Liebe schildert der Dichter die aufopfernde, dunkle und undankbare Thätigkeit derjenigen, die für eine große Ueberzeugung arbeiten.“57 Hierbei nicht mit groben Kontrasten zu operieren, stattdessen zu differenzieren und z.  B. in Figuren wie Bolz oder Schmock auch Zwischentönen und Ambivalenzen Raum zu geben (s. Kap. 4.2 u. 4.5), entspricht dem für die poetischen Verfahren des Autors charakteristischen, in Ansätzen multiperspektivischen Wirklichkeitszugriff. Erst das gemischte Bild, das der Text von der (journalistischen) Wirklichkeit zeichnet, qualifiziert ihn insofern als ‚realistische‘ Darstellung.58 Dieser poetische Realitätszugriff ist über der klar erkennbaren ‚Tendenz‘ von Freytags Texten und der Eindeutigkeit proklamierenden Programmatik des Grenzboten-Herausgebers gerne übersehen worden. Er zeichnet aber für die widerstreitenden Deutungen und Debatten verantwortlich, die sich in der Rezeptionsgeschichte an den genannten Figuren oder auch am Journalistenbild entzünden. Und schließlich kann man überdies die bereits dargelegte Mehrschichtigkeit von Charakteren wie Oberst Berg, Adelheids Vater und Oldendorf, ebenso etwa wie die mehrdimensionale Beleuchtung des Resignationsgedankens (s. Kap. 3.4), vor genau diesem Hintergrund betrachten. Einem solchen Realismus-Konzept verpflichtet, setzt Freytag den hier erläuterten zeitgenössischen Vorbehalten gegenüber der Presse nicht deren plane Verherrlichung entgegen. Vielmehr geht er in seinem Lustspiel von den existierenden Vorurteilen

55 A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater, S. 851. 56 In seiner Studie zum deutschen Lustspiel von 1861 betont der Journalist und Literarhistoriker Emil Kneschke, Freytags Stück sei „keineswegs, wie von einigen Seiten fälschlich gemuthmaßt worden ist, eine Satyre, sondern vielmehr eine Verherrlichung des Journalismus“ (Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 285). 57 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 307. 58 Vgl. hierzu auch das Rezeptionszeugnis zur Burgtheater-Premiere, das diese Deutung untermauert: A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater, S. 851.

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gegenüber dem Journalismus aus und bedient diese auch zum Teil, indem er die kleineren Schwächen des Standes humoristisch aufgreift. Letztlich aber führt der Autor den Journalismus als insgesamt heilsame – und in Form ihrer Repräsentanten auch durchaus angenehme – gesellschaftliche Triebkraft und soziale Tatsache vor.59 Dass der Journalismus als solcher ein unhintergehbarer Einflussfaktor der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist und die Kritik an ihm doppelzüngig operiert, darüber belehrt Adelheid den Zuschauer/Leser in einem ihrer kommentierenden Monologe: Adelheid.  Und all das Unheil hat der böse Geist des Journalismus angerichtet. Alle Welt klagt über ihn und Jedermann möchte ihn für sich benutzen. Mein Oberst hat so lange die Zeitungsschreiber verachtet, bis er selbst einer geworden ist, und Senden läßt keine Gelegenheit vorüber, auf meine guten Freunde von der Feder zu schelten, nur um selbst an ihre Stelle zu treten. (III, GW III, 73)

Das (Vor-)Urteil dem vermeintlich unheilvollen Zeitungswesen gegenüber wird hier vordergründig aufgegriffen, aber aus dem Handlungszusammenhang heraus relativiert. Auf verschiedene Weise thematisiert der Text zeitgenössische Ressentiments, um die Presse dann ins rechtere Licht zu rücken. Das Publikum durch Selbstironie für sich einnehmend, wird Bolz im Gespräch mit Oberst Berg lediglich einen journalistischen Fehltritt bereuen: dass er den Oberst nach der Wahl in seinem Artikel versöhnlicher und verständiger gezeichnet habe, als die Realität dies hergebe. „Ich wünsche Sie zu überzeugen, daß auch ein Journalist bedauern kann, Unwahres geschrieben zu haben.“ (90) Die Pointe bietet die Möglichkeit, eine bestehende Voreingenommenheit gegenüber der Presse aufzunehmen, diese selbstironisch mit einer grundsätzlichen Aussage zu beantworten und sie dadurch zu untermauern, dass Recht und Moral in diesem Dialog ganz auf der Seite von Bolz sind, wie auch Oberst Berg zugeben muss: „Er hat wieder Recht, und ich habe immer Unrecht!“ (93) Freytags Umwendung von Journalisten-Klischees lässt sich noch an einzelnen Textstellen diskursgeschichtlich illustrieren. Spottete etwa das Frankfurter Journal noch im 18. Jahrhundert wirkmächtig über die parasitären Zeitungsschreiber: „Sie nehmen gleich geschäftgen Bienen / Aus 100 Blättern, was darinnen / Zu ihrem Zweck sich tauglich findt“,60 so kleidet Bolz sein journalistisches Selbstverständnis in das 59 Vgl. in diesem Sinne auch Martersteigs Urteil von 1904: „Mit der befreienden Kraft des echten Humors, der die Auswüchse und schiefen Bildungen einer bewegten Kulturströmung mehr unter dem Gesichtspunkt des lachenden als unter dem des moralisierenden Philosophen sieht, war hier das Bild der neuen sozialen Macht, des Journalismus gezeichnet“ (Martersteig: Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert, S. 409). – Dass die zeitgenössische Kritik am Journalismus unbegründet ist, dieser dagegen eine positive gesellschaftsbildende Kraft, ja ein Organ des Fortschritts darstellt, erörtert 1856 auch die Zeitung für die elegante Welt in einem kurzen Artikel, der als entsprechende zeitgenössische Quelle sowohl zu Bolz’ Monolog über den Journalismus als positive Triebkraft als auch zur Differenzierung des zeitgenössischen Journalistenbildes in Freytags Drama gelesen werden kann (vgl.: N. N.: Feuilleton. Redacteur-Journalistik. In: Zeitung für die elegante Welt 56 [1856], S. 22). 60 Zit. n. Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 27.

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Bild von den Bienen, die „Honig [saugen], wo wir ihn finden, und stechen, wo uns etwas mißfällt“, die mit diesem Verhalten damit aber „zum Besten Vieler“ beitragen würden (III; GW III, 78; s. auch Kap. 3.4.1). Aus dem Topos von der stehlenden und parasitären Presse wird bei Bolz eine In­stitution, die alles in sich aufnehmen muss, weil mit ihrer Informationsfunktion eine Selektionsfunktion einhergeht: Wir Zeitungsschreiber füttern unsern Geist mit Tagesneuigkeiten, wir müssen alle Gerichte, welche Satan für die Menschen kocht, in den allerkleinsten Bissen durchkosten, darum müssen Sie uns schon etwas zu Gute halten. Der tägliche Aerger über das Verfehlte und Schlechte, die ewigen kleinen Aufregungen über alles Mögliche, das arbeitet in dem Menschen. Im Anfange ballt man die Faust, später gewöhnt man sich darüber zu spotten. (III; GW III, 77)

Gegenüber dem Leser/Zuschauer wird an dieser Stelle nicht allein um Verständnis für den Journalismus und seine hehren Zwecke geworben. Mit den letzten Sätzen, die Bolz hier spricht, wird – abgeleitet aus dessen journalistischer Tätigkeit – sein ironisch-spottender Umgang mit der Welt motiviert und plausibilisiert. Das ist deshalb relevant, weil diese so zentrale und später so außerordentlich beliebte Figur61 der Komödie genau deswegen in der frühen Rezeption des Textes sehr zwiespältig bewertet wurde – mit zum Teil weitreichenden Schlussfolgerungen bezogen auf das gesamte Drama: In Bolz’ Humor und seinem Wirklichkeitszugriff wurde ein Überrest romantischer Ironie und jungdeutscher Weltverachtung gesehen, der auf das ganze Werk zurückwirke. Außerdem wurden Bolz’ journalistische Manöver und sein Spiel mit den Menschen zum Teil als moralisch fragwürdig empfunden, wodurch das Zeitungswesen insgesamt in Misskredit gebracht werde. Das vermeintlich negative Bild, das Freytag vom Journalismus zeichne, führte man in der Erstrezeption nicht unwesentlich auf den leitenden Redakteur des liberalen Blatts zurück, der bald als „der eigentliche Held des Stücks“ galt.62 Nach Ansicht der Breslauer Morgenzeitung spiegle sich in Bolz der Charakter des Stücks selbst. Zwar gelinge es dem Werk insgesamt und vor allem durch diese Figur, zu amüsieren; so wenig man aber diesem gegenüber „Achtung“ und „Wohlbehagen“ gewinne, so wenig hinterlasse das Ganze „die Befriedigung eines fertigen, gelungenen Werkes“.63

61 Angesichts der Popularität der zum Typus gewordenen Figur kann etwa Alberti 1885 in seiner Freytag-Huldigung mit einigem Recht fragen: „Konrad Bolz, wer kennt ihn nicht den rührenden Hanswurst, den Spötter, den politischen Eulenspiegel, den närrischen Diener einer großen Idee, diese einzige Mischung von Laune, echtem Gefühl, Begeisterung und Selbstironie?“ (Conrad Alberti: Gustav Freytag. Sein Leben und Schaffen. Leipzig 1885, S. 115). 62 Seiler: Gustav Freytag, S.  87. Auch Kurz sieht in Bolz die „Hauptperson“ (Kurz: Geschichte der neuesten deutschen Literatur, S. 578) und die Zeitschrift Münchener Punsch bemerkte dies schon 1853 („eigentlich die Hauptfigur des Stücks“; N. N.: Kgl. Hof- und Nationaltheater, S. 38). 63 Zit. n. Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 389.

4.2 Bolz 

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Die Bewertung des Stücks und des im Drama in den Blick genommenen Journalismus erfolgt in der frühen Rezeption also in wesentlichem Maße ausgehend von der kontroversen Figur des Konrad Bolz, in dem andere Stimmen hingegen den „Ideal­ typus des Journalisten“,64 ein Ebenbild des Autors65 oder die „Inkarnation eines unabhängigen und daher ehrbaren Journalisten-Schreibers“66 verkörpert sahen und von der es 1853 in einer Theaterkritik heißt: „[D]er Journalismus hat in diesem Character eine Art Idealisirung erlebt“.67 Tatsächlich wird die Grenze zwischen einem manipulativintriganten sowie einem lediglich gewieften (und damit legitimen, ja sogar moralisch vorbildlichen) Journalismus, werden zentrale Fragen des Textes (etwa der journalistischen Ethik) in der Komödie sehr differenziert über Bolz ausgehandelt.68 Der Charakter ist zudem im Hinblick auf die Darstellungsverfahren des Lustspiels sowie die auf Freytags Vormärz-Dramen zurückweisende Figurenkonzeption aufschlussreich.

4.2 Bolz Dass die politisch-moralische Dimension des ganzen Textes mit der Spiel- und Darstellungsart von Bolz steht und fällt, verdeutlicht Theodor Fontane in seinen Theaterkritiken. Fontane deutet den Redakteur 1886 als „superiore Natur“, die „voll siegreichen Humors über Menschen und Dingen steht und dadurch Menschen und Dinge beherrscht“.69 Fontanes spätere Einlassungen zu einer Aufführung von 1888 werfen darüber hinaus ein erhellendes Licht auf die Inszenierungsgeschichte der Journalisten

64 Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 281. 65 Vgl. Ernst Heilborn: Gustav Freytag, der Dramatiker. In: Das Magazin für Litteratur 64 (1895), Nr. 19, Sp. 583–587, hier Sp. 585; Carl Schultes: Aus meinem Zusammenleben mit Gustav Freytag. In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, Bd. 48, 5. Oktober 1895 (Nr. 40), S. 214–218, hier S. 216; Wilhelm Goldbaum: Gustav Freytag als Journalist. In: Neue Freie Presse Wien, 17. Januar 1904 (Nr. 14150), S. 31–32, hier S. 31; Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 99; Zolling: Gustav Freytag als Journalist, S. 120. 66 Ruf: Gustav Freytags „Die Journalisten“ aus medienästhetischer Perspektive, S. 123 (Kursivierung im Original). 67 A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater, S. 851. 68 Letzteres ist  – trotz der schmalen und fehlerhaften ‚Ergebnisse‘, die er präsentiert  – auch Leo Keller aufgefallen; Die Journalisten erschienen ihm jedenfalls ein geeigneter Gegenstand für seine Fragestellung nach der Berufsethik in der deutschen Literatur: vgl. Leo Keller: Die Entwicklung der Berufsethik in der deutschen Literatur von Lessing bis G. Freytag. Kiel 1932, S. 126. 69 Th[eodor] F[ontane]: [Gustav Freytag: Die Journalisten]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 23. Mai 1886 (Nr. 237), Morgenausgabe, 1. Beilage. – Ähnlich schreibt Kohut über Bolz: „ein übermütiger Geselle, der mit seinem eigenen und dem Schicksal anderer spielt, und bei dem sich lachende Klugheit und humoristische Ueberlegenheit mit männlicher Haltung und Liebenswürdigkeit vereinigt“ (Kohut: Gustav Freytag als Journalist und Redakteur, S. 113).

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

und die zeitgenössischen Erwartungen, die mit der Darstellung von Bolz verbunden sind: Wir sind gewöhnt, den Bolz als eine humoristische Figur zu sehen, fast nur als eine solche, während ihn Herr Friedrich Mitterwurzer auf den Gentleman, ich möchte sagen auf den selbstbewußten carrièresicheren Assessor hin giebt, der nicht von Humor, sondern von Superioritäts wegen mit den Menschen spielt […]. Die Gestalt erhält dadurch ein klein wenig Bedrückliches und jedenfalls geht ihr ihre die Herzen erobernde Liebenswürdigkeit verloren.70

Schauspieler und Regisseur müssen demnach unbedingt darauf achten, dass Bolz ein humoristischer Sympathieträger bleibt. Rückt dies aus dem Fokus – weil die Inszenierung etwa von dem erwarteten behaglich-liebenswürdigen Humor abweicht –, droht Bolz nicht mehr als humoristischer Diener der guten Sache, sondern lediglich als In­trigant wahrgenommen zu werden.71 Werden die manipulativ-überlegenen Züge des Charakters zu stark unterstrichen, verliert die Komödie (und mit ihr der Journalismus) seine positive Identifikationsfigur. An der Ausdeutung der Figur hängt mithin die Bewertung der zentralen Themen des Textes. Bereits Julian Schmidt hatte früh betont, dass Bolz’ Intrigenspiel nur durch seine jederzeit erkennbare ‚sittlichere‘ Haltung zu rechtfertigen sei.72 Bolz, so Schmidt weiter, dürfe eine herausgehobene Stellung gegenüber seinen Mitmenschen einnehmen, „nicht blos weil er an Willenskraft und Verstand seinen Umgebungen überlegen ist, sondern weil er ein gutes Gewissen hat“.73 Bolz habe „das Recht mit seinen Umgebungen übermüthig zu spielen, denn er ist nicht nur sicher, sondern redlich in seinem Wollen […]. Aber […] um die Stärke der Ueberzeugung bei Bolz zu prüfen, mußten wir die Einheit seines Lebens, seines Charakters und seines Glaubens anschauen.“74 Schmidt weist hier auf den entscheidenden Punkt hin, dass der Text enorm viel Aufwand treibt, um dem Verhalten von Bolz ein sittliches Fundament zu geben, es gegenüber der journalistischen Praxis des konservativen Konkurrenzorgans deutlich unterscheidbar zu machen und so letztlich nicht nur einen positiven Vertreter der journalistischen Zunft insgesamt zu präsentieren, sondern auch einen in jeder Hinsicht (auch moralisch) überlegeneren Repräsentanten der liberalen Partei. 70 Th[eodor] F[ontane]: [Gustav Freytag: Die Journalisten]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 04. November 1888, Morgenausgabe (Nr. 523). – Zur zeitgenössischen Darstellung der Rolle vgl. auch: Gottschall: Leipziger Stadttheater, S. 442. 71 Entsprechend beklagte etwa der Theaterkritiker Max Mell anlässlich einer Burgtheateraufführung der Komödie im Jahr 1921, dass der Schauspieler in der Rolle des Konrad Bolz die entscheidende Darstellungsaufgabe, die mit der Figur verbunden sei, nämlich „Wärme“ und die „Eigenschaft, hinter der übermütigen Maske ein reines Gemüt ahnen zu lassen“, nicht gemeistert habe (Max Mell: 15. 10. 1921. Burgtheater. [Gustav Freytag: „Die Journalisten“]. In: Margret Dietrich (Hg.): Max Mell als Theaterkritiker. Wien 1983, S. 329–330, hier S. 329). 72 Vgl. Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 307. 73 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 307. 74 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 307.

4.2 Bolz 

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Mag Bolz’ Verhalten in der Redaktionsstube (Szene  I/2) dem Zuschauer/Leser schon etwas unlauter, schließlich aber doch noch so berufstypisch wie vordergründig humoristisch-harmlos erschienen sein, so berührt sein Verhalten in der Szene II/2 durch die Abwerbung Piepenbrinks und das Gefügigmachen des verzweifelten Schmock „die Grenzen der Frivolität“, wie es zeitgenössisch in einer Rezension heißt.75 Es ist bemerkenswert, was Freytag alles unternommen hat, um dieses Verhalten zu legitimieren und zu relativieren. Der Autor selbst war sich wohl der Tatsache bewusst, dass die Rolle des Bolz zur Stolperfalle für jede Inszenierung werden könnte und soll deshalb im Gespräch mit Emil Claar betont haben: Man darf auch nicht leichtfertig vergessen, daß wenn Bolz sich in ein übermutiges Abenteuer verwickelt, doch alles, was er den Leuten erzählt, die er für sich und seinen Freund gewinnen will, wahrheitsgetreu klingen muß. Man darf auch nicht außer acht lassen, daß Bolz, trotz der lustigen Komödie, die er einfädelt, eine vornehme Natur, ein geistig hochstehender Mann bleibt.76

Berücksichtigt man zunächst den ersten Punkt, den Freytag hier setzt, so ist es tatsächlich für jede Aufführung von entscheidender Bedeutung, dass jene Geschichte, mit der Bolz den Weinhändler Piepenbrink vom Kandidaten und Lebensretter Oldendorf überzeugen kann, vom Zuschauer auch als wahr aufgefasst wird. Bolz’ Abwerbeversuch und der daraus hervorgehende Wahlsieg der Liberalen würden als unredlich erscheinen, wenn sie ausschließlich auf Basis einer Lüge gelingen würden. Gleich an drei Stellen des Textes wird daher durch eine Außenstehende, nämlich Adelheid, versichert, dass Bolz’ abenteuerliche Rettungsgeschichte wirklich „wahr“ ist (GW III, 62; vgl. 62, 76). Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Funktion von Piepenbrinks späterer Retourkutsche, wenn der Wahlmann seine letzte Stimme nicht Oldendorf, sondern Bolz gibt. Indem Piepenbrink so handelt, legitimiert er Bolz’ Finte als jene „nothwendige journalistische Taktik“ (GW I, 156), die nach Ansicht von Freytag zum journalistisch-politischen ‚Spiel‘ eben dazugehört und vielmehr Ausdruck beruflicher Gewandtheit und lässliche Sünde als großes Vergehen ist. Richard Hamel urteilt daher über die Figur: Konrad Bolz gehört übrigens jener Zeit an, da noch die Persönlichkeit sich in der Tageszeitung völlig ausleben konnte, […]. Bolz ist […] das Urbild des des übermüthigen, gescheuten, und guten Menschen, der der Intrigue, die zur Erreichung des anständigen Zieles nothwendig ist, den Zauber einer gewissen harmlosen Lustigkeit und des Humors beizumischen weiß, klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.77

75 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. – Auch Robert Prölß kritisiert 1882 „frivole[] Art, mit der er [Freytag, P. B.] den für Freiheit, Fortschritt und Wahrheit eintretenden Bolz Journalistik und Partheiwesen behandeln lässt“ (Prölß: Geschichte des neueren Dramas, S. 316). 76 Emil Claar: Ein Zwischenaktgespräch mit Gustav Freytag, S. 31 (Kursivierung im Original gesperrt). 77 Hamel: Freitag. Die Journalisten, S. 112.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

Weder auf die Persönlichkeiten noch auf die Intrige der  – im Übrigen schlichtweg (journalistisch) ungeschickter agierenden – Konservativen trifft dies auch nur in vergleichbarer Weise zu. Im Unterschied zu Bolz überschreiten sie die Grenzen der journalistischen Ethik, indem sie lügen, den Oberst für ihren Machtwillen funktionalisieren und manipulieren und sich die private Verbindung von Oldendorf und Oberst Berg bewusst zunutze machen (vgl. I/1; GW III, 8) – mitsamt der einkalkulierten verheerenden Folgen. Anders als es bei Bolz und Piepenbrink der Fall ist, zeigt Oberst Berg sich deshalb auch nicht dazu bereit, Senden und Blumenberg zu verzeihen. Die Verfehlungen des Coriolan wiegen also ungleich schwerer als die von Bolz. Bei seiner Intrige hat der liberale Redakteur Piepenbrink gegenüber sogar tatsächlich ‚ohne Falsch‘, nämlich mit offenen Karten gespielt: „[D]eshalb könnte ich für ihn [Oldendorf, P. B.] thun, was ich für mich selbst nicht thäte; ich könnte für ihn werben, intrigiuiren und ehrliche Leute zum Besten haben“ (II/2; GW III, 62  f.), prostet der Journalist dem Weinhändler unumwunden zu. Wenngleich dieser Satz in der konkreten Situation einen komischen Effekt erzielt (weil Piepenbrink dem Redakteur dennoch auf den Leim geht), so spricht sich darin zugleich Bolz’ hohe Meinung über Oldendorf und das von ihm uneigennützig verfolgte, höhere Ziel aus. Dass es Bolz primär um den Erfolg der Partei geht, erweist sich bereits im ersten Akt an jenen Stellen, wo von der Bedeutung der Wahlen für den Staat, die Partei und die „Sache“ der Liberalen die Rede ist. Hier appelliert er geradezu pathetisch an Oldendorf, die Kandidatur zum Nutzen des Landes und der Partei nicht aufzugeben (I/2; GW III, 24). In diesen Zusammenhängen weicht der Bonvivant vom notorisch ironischjovialen Ton ab und die Regieanweisungen verraten, dass er „eifrig“, „nachdrücklich“ oder gar „ernsthaft“ (21, 23  f.) spricht.78 Der Text entwirft Bolz hier und an anderen Stellen durchaus als Idealisten mit klaren Überzeugungen, als ‚geistig hochstehenden Mann‘, wie Freytag über ihn sagt. Auch als es scheint, dass die Union von der konservativen Gegenseite gekauft worden sei, behält Bolz zwar seinen ironisch-souveränen Humor, er beweist jedoch zugleich Haltung.79 In der bewussten Parteinahme für die liberale Seite behauptet Bolz seine persönliche und journalistische Unabhängigkeit gegenüber einem neuen Eigner der Zeitung. Weil Bolz nach Prinzipien und nicht nach Auftrag schreibt, kann er den Entschluss Schmocks, vom konservativen Coriolan zur liberalen Union wechseln zu wollen, auch zunächst gar nicht nachvollziehen (vgl. II/2; GW III, 47  f.). Der Zuschauer/Leser lernt Bolz indes nicht nur als Journalisten, sondern außerdem als Privatperson kennen. Wie gezeigt, hat Julian Schmidt darauf hingewiesen, 78 Vgl. dazu auch: Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 54. 79 „Bolz (aufstehend). Sie sind sehr gütig, Herr von Senden. Unsere Contracte geben uns das Recht, die Zeitung ganz nach unserm Ermessen zu redigiren und sowohl die Haltung als die Parteistellung des Blattes selbständig zu handhaben. Wir werden daher bis zum Ablauf des nächsten Halbjahres nicht nur unsere Gehalte fortbeziehen, sondern auch die Zeitung selbst zum Besten der Partei fortführen, welcher anzugehören Sie nicht die Ehre haben“ (IV/2; GW III, 108).

4.2 Bolz 

 223

dass die Figur dadurch an Tiefe gewinnt und ihr Übermut durch ihre moralische Überlegenheit legitimiert wird. Das bewahrheitet sich in der Rezeption. 1861 heißt es entsprechend über die Rolle: „Bolz hat einen sublimen Geist und bei allen Keckheiten und tollen Sprüngen desselben ein zartorganisirtes Herz. Er bleibt immer unsrer Theilnahme und Zuneigung werth“.80 Diese gewinnt er u. a, indem der Leser früh darüber aufgeklärt wird, dass Bolz’ anfänglich tragische Liebesgeschichte mit Adelheid einst unglücklich endete und er der Heimat wohl wesentlich deshalb den Rücken kehren musste (vgl. II/1; GW III, 43). Trotzdem erfährt man im Gespräch zwischen Korb und Bolz, dass man sich des abtrünnigen Journalisten in der Heimat mit Liebe erinnert und dieser andersherum auch noch immer an die Leute im Dorf zurückdenkt (vgl. I/2; GW III, 27  f.). Bereits in der ersten Szene urteilt Korb über den bis dahin noch nicht aufgetretenen Bolz: „Das ist eine treue Seele, auf den kann das Dorf stolz sein. […] Immer lustig und immer freundlich, und wie er am Dorfe hängt!“ (I/1; GW III, 17). Bolz wird als heimatverbundener und als ein, trotz seines herausgehobenen Wesens, ‚im Volk‘ verwurzelter Mensch dargestellt. Dies unterscheidet ihn von den Protagonisten aus Freytags Vormärz-Dramen, mit denen die Figur häufig in eins gesetzt wurde. Dass Bolz’ soziale Verwurzelung so stark betont wird, lässt sich überdies erneut als Reaktion auf die zeitgenössische Kritik an der ‚wurzellosen Intelligenz‘ im Journalisten- und Literatentum lesen.81 Hierfür epochal einschlägig sind Wilhelm Heinrich Riehls Ausführungen zu den „Proletariern der Geistesarbeit“,82 die zwar einen festen Beruf in den Zeitungen, Zeitschriften und als Schriftsteller erworben, dafür allerdings nie einen praktischen Beruf erlernt hätten.83 Dieses unsesshafte, ‚überstudierte‘ und ‚kranke‘ ‚Geistesproletariat‘,84 das seit den 1830er Jahren zunehmend aus den ‚Tagesschriftstellern‘ bestehe, trage nicht erwirtschaftend zum Allgemeinwohl bei und habe vor allem den Kontakt zum Volk sowie zu seinen heimatlichen Wurzeln verloren.85 Indem Bolz  – vornehmlich über die Dialoge mit Adelheids Diener Korb  – als heimatverbunden und als von den Dorfleuten hoch geachtet geschildert wird, wendet Freytag in seinem Journalistendrama abermals ein bestehendes zeitgenössisches Vorurteil gegenüber dem Journalismus um. Die Figur des Konrad Bolz, das deutet der Text vielfach an, bietet also mehr als nur die komödiantisch-ironische Charaktermaske. Nachdem Adelheid hinter diese geschaut hat, bekräftigt sie daher im dritten Akt noch einmal deutlich: „Er ist ein

80 Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 282  f. 81 Vgl. dazu auch: Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 49  f. 82 Wilhelm Heinrich Riehl: Die bürgerliche Gesellschaft (Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. 2). 6. Aufl. Stuttgart 1866, S. 312–349. 83 Vgl. Rolf Parr (unter Mitarbeit von Jörg Schönert): Autoren. In: Georg Jäger (Hg.) im Auftrag der Historischen Kommission: Geschichte des Deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 1: Das Kaiserreich 1870–1918. Teil 1. Berlin/New York 2010, S. 342–408, hier S. 349  f. 84 Riehl: Die bürgerliche Gesellschaft, S. 313, 315. 85 Vgl. Riehl: Die bürgerliche Gesellschaft, S. 334–336.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

zartfühlender, hochherziger Mensch!“ (III; GW III, 80) Als solcher bemüht Bolz sich nach der Wahl um die Aussöhnung mit dem Gegenkandidaten (freilich nicht zuletzt Oldendorf und Adelheid zuliebe). Er platziert in der liberalen Union einen wohlwollend-schmeichelhaften Artikel über den Oberst, in dem diesem die Hand zur Versöhnung gereicht wird, und organisiert allerlei Ehrbekundungen an den unterlegenen konservativen Kandidaten. Die Leipziger Illustrirte Zeitung, die zuvor noch an Bolz’ Agieren in der Redaktionsstube sowie gegenüber Piepenbrink Anstoß genommen hat, sieht  – der eigenen Neigung zum übertriebenen Urteil treu bleibend  – seinen Charakter deshalb im dritten Akt nun im „ganzen Glanze entfaltet“: „Hier ist es sein zuversichtliches, würdevolles und echt humanes Auftreten, das über die gehässigen Agitationen der Gegenpartei, sowie über den ungerechten Groll des Obersten den Sieg davonträgt und so die Versöhnung anbahnt“.86 In dieser Szene wehrt sich Bolz außerdem grundsätzlich gegen den Vorwurf, die Menschen als Journalist nur zu manipulieren – konkret geht es hier um die Dankbekundungen vor dem Haus von Oberst Berg, an denen Bolz nicht ganz unbeteiligt ist: Bolz. […] Sie sind zu gütig, Herr Oberst, wenn Sie alle diese Demonstrationen auf mich allein zurückführen; mein Antheil daran ist doch sehr gering. Ich habe nichts gethan, als die öffentliche Meinung ein wenig redigirt. Diese vielen Menschen sind keine Puppen, welche ein gewandter Puppenspieler an den Drähten umherziehen könnte. Alle diese Stimmen gehören tüchtigen und ehrenwerthen Personen an, und was sie Ihnen gesagt haben, das ist in der That die allgemeine Meinung der Stadt, das heißt, die Ueberzeugung der Besseren und Verständigen in der Stadt. Wäre sie es nicht, so hätte ich mich diesen braven Leuten gegenüber sehr vergeblich bemüht, auch nur einen von ihnen in Ihr Haus zu führen. (III; GW III, 92  f.)

Die öffentliche Meinung als Stimmführer ‚ein wenig zu redigieren‘, die Menschen (oder jedenfalls ‚die besseren und verständigeren‘ unter ihnen) aber trotzdem als eigenständig denkende und handelnde Subjekte anzuerkennen und so auch anzusprechen – dies entspricht durchaus dem leicht paternalistischen Journalismus- und Öffentlichkeitsverständnis des Liberalismus und auch dem Gustav Freytags. Dieser sah die Aufgabe der Presse – insbesondere der Parteipresse – darin, als Instanz zwischen Volk und Politik selektierender und vermittelnder „Regulator der Tribüne“ zu sein sowie in der „einheitliche[n] Beeinflussung der öffentlichen Meinung“87 (s. auch Kap. 4.4). Für das liberale Verständnis von der ‚vierten Gewalt‘ war dabei aber zugleich die Überzeugung konstitutiv, dass nur ein redlicher Journalismus sich auf Dauer würde durchsetzen können.88 Überdies war der Beruf des Journalisten als Meinungsführer für Freytag und seine Zeitgenossen gerade in dem frühen Entwicklungsstadium, in dem sich der Journalismus um die Jahrhundertmitte befand, ent86 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 87 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 272. 88 Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 594.

4.2 Bolz 

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scheidend an die ausübende Person und deren Charakter gebunden.89 Auch diese Kontexte sind mit einzubeziehen, wenn man Freytags Konzeption der Figur und die zahlreichen zeitgenössischen Reaktionen auf diese betrachtet. Ungeachtet der hier umrissenen positiven Perspektiven, die der Text Bolz gegenüber einnimmt, wurde die Rolle in der frühen Rezeption kritisch bewertet – und zwar nicht bloß, wie erläutert, bezogen auf deren journalistische Praktiken, sondern in Bezug ihren Humor und die damit verbundenen Darstellungsverfahren: Sogar Julian Schmidt, der sich in den 1850er Jahren kaum ein kritisches Wort über seinen Herausgeber-Kollegen entlocken ließ (s. Kap. III), war nicht in letzter Konsequenz einverstanden mit der Figur. Zwar verteidigte er deren Konzeption 1856 gegen die bestehende Kritik, er selbst konnte sich aber mit der „Schule Wilhelm Meister’s“ (s. dazu auch Kap. III.3),90 die sich hier noch leicht offenbare, nicht restlos anfreunden und äußerte sich später – allerdings nur zeitweise – sogar etwas ablehnender.91 89 So heißt es in Freytags Erinnerungen aus meinem Leben: Wer in solcher Zeit als Journalist über Politik schrieb, hatte keinen anderen Anhalt, als das Idealbild, das er sich selbst von einer wünschenswerthen Zukunft des Vaterlandes gemacht hatte, und keinen anderen Maßstab für sein Urteil, als die Ansichten, die ihm zufällige Eindrücke seines eigenen Lebens vermittelt hatten; Sprache, Stil und die nothwendige journalistische Taktik, alles was er haßte und was er liebte, mußte ihm der eigene Charakter geben“ (GW I, 156).  – Vgl. zu diesen Aspekten weiterführend und genauer: Karl-Ludwig Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter. Eine geistesgeschichtliche Untersuchung zur Entwicklung der politischen Strukturen des Reaktionsjahrzehnts 1850–1860. Phil. Diss. Erlangen 1970, S. 64–66; Herrmann: Gustav Freytag, S. 168–181; Maria Zens: Literaturkritik in der Zeit des Realismus. In: Thomas Anz u. Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München 2004, S. 79–91, hier S. 79–81; Peter Uwe Hohendahl: Literaturkritik in der Epoche des Liberalismus. In: ders. (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730–1980). Stuttgart 1985, S. 129–204, hier S. 156–158, 199–204; Requate: Journalismus als Beruf, S. 270  f. 90 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 307. Schmidt führt dazu weiter aus: „Bolz klagt einmal, daß seine journalistische Thätigkeit ihn an harmonischer Ausbildung hindere. Das bringt aber jede auf den Tag gerichtete Arbeit, jede bürgerliche Thätigkeit mit sich. Im wirklichen Leben entwickelt Bolz die ganze Wärme und Leidenschaft seines Berufs; in seinem Herzen hat er aber immer noch eine geheime Stelle, wo er nach Art des Bellmaus lyrische Empfindungen über das Aufreibende der täglichen Arbeit hegt.“ (307) 91 1867, nachdem das Verhältnis zu Freytag zeitweilig etwas abgekühlt war, urteilt Julian Schmidt deutlich kritischer über die Figur des Konrad Bolz und stellt diese – im Gegensatz zu seinen Ausführungen von 1856 – in eine Linie mit den Protagonisten aus Freytags Vormärz-Dramen: „Der Dichter […] hatte in seinen frühern dramatischen Versuchen sich keineswegs als Anhänger der gemeinen Volkswirtschaft und spießbürgerlichen Sittlichkeit gezeigt. Seine Lieblingsfiguren gingen vielmehr mit den Helden der romantischen und jungdeutschen Zeit insofern Hand in Hand, als sie die Befangenheit der sittlichen Vorurtheile durch souverainen Uebermuth, die falsche Ehrbarkeit des Spießbürgertums durch Humor, und die Gleichmacherei kleinlicher Naturen durch Stolz bekämpften, der sich in aristokratische Formen hüllte. Solche Figuren sind Valentine, Georg Saalfeld, Graf Waldemar, Georgine, endlich Bolz. Sie spielen sämmtlich gern mit dem Leben, sie haben das Gefühl, in diesem tintenklexenden [!] Säculum nicht recht an der Zeit zu sein, sie nehmen es auch wohl in der Freude an einem augenblicklichen Einfall mit den sittlichen Gesetzen nicht zu genau, sie gehören der Aristokratie oder der Demi-Monde, eigentlich aber einer Schicht an, die zwischen beiden steht.“ (Julian Schmidt: Ge-

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

Am Lebensvirtuosen und Bonvivant Bolz störte Schmidt der seiner Ansicht nach noch spürbare romantisch-jungdeutsche, ja fast antibürgerliche Zug; Bolz’ Esprit und Humor, sein wenig gesetztes und flatterhaftes Wesen, seine Ironie und sein Wille zur Pointe verrieten einen Hang, sich über die ‚normale‘ bürgerliche Arbeit zu erheben bzw. mit dieser nicht ganz zufrieden zu sein. Ähnlich konstatierte die Leipziger Illustrirte Zeitung 1853: Hier tritt immer noch die Kluft hervor zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, die ‚jungdeutsche Genialität‘, die, wenn sie nicht mehr leichtfertig, noch sentimental ist, doch die vornehme Herablassung nie ganz verbergen kann, wo sie es mit Gestalten zu thun hat, die nichts Geniales an sich tragen.92

Bolz, so heißt es auch in anderen Rezeptionszeugnissen und in der frühen FreytagForschung immer wieder, sei noch nicht ganz frei von jenem „Anflug von weltschmerzlichem Pessimismus und von Blasirtheit“, der die Helden seiner Vormärz-Dramen auszeichne,93 mit denen Bolz in der Tat einige Ähnlichkeit aufweist.94 Als notorisch unernster komödiantischer Ironiker ist Bolz aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Georg Saalfeld, Graf Waldemar, Fink oder Kunz von der Rosen.95 Und mit dem Zweiergespann Bolz-Oldendorf wird in Die Journalisten eine Figurenkonstellation wiederaufgenommen, die man vergleichbar bereits aus Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen (dort Maximilian und Kunz) und Der Gelehrte (Walter und Romberg) kannte und die später in Soll und Haben (Anton und Fink) oder Die verlorene Handschrift (Professor Werner und Doktor Hahn) wiederkehrt (s. auch Kap. 3.3.1).96 Zudem hat Freytag Bolz mittels einiger Allusionen und wörtlicher Übereinstimmungen deutlich in die Nähe von Kunz gerückt.97 Während Kunz am Ende des Dramas ein gesetzteres Leben sowie seine Heiratsabsicht damit ankündigt, dass er seine (Narren-)

schichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod. Fünfte, durchweg umgearbeitete und vermehrte Aufl. Dritter Band: Die Gegenwart. 1814–1867. Leipzig 1867, S. 546) – 1881 würdigt Schmidt Freytags Drama und auch die Figur des Konrad Bolz dann wieder umfassender, differenzierter und mit viel Zustimmung (vgl. Schmidt: Gustav Freytag’s Ahnen, S. 71–73). 92 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 93 Prölß: Geschichte des neueren Dramas, S. 315. – Auch Robert Prutz rückt Bolz 1852 in die jungdeutsche Sphäre: „Bolz dagegen mit seinem Uebermuth, seiner Naseweisheit, seinem stachlichen Humor gehört völlig in die Kategorie der Saalfeld und Waldemar; er ist ein genialisierender Aristokrat von der Feder“ (Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze, S. 452). Und noch Barth erkennt an Bolz „eine Art ‚letzter Eierschale‘ des weltmüden jungdeutschen Helden“ (Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 99). 94 Vgl. dazu genauer Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 68–75. 95 1855 bemerkt Gutzkow hierzu bereits, dass Freytags Werke „so ziemlich immer auf einen und denselben Modellmenschen hinauskommen“ (Karl Gutzkow: Ein neuer Roman. I. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd 3 (1855), Nr. 35, S. 558–560, hier S. 559). 96 Vgl. Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 69. 97 Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 86.

4.2 Bolz 

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Kappe zu Boden wirft und spricht: „Fort mit Dir, du freie, lustige Narrheit“ (GW II, 92), läutet Bolz seine Verbindung mit Adelheid am Schluss des Textes ein, indem er den Kaufvertrag der Zeitung zusammen mit seinen letzten Bedenken beiseite wirft und ausruft: „Hebe dich weg von mir, Ueberlegung!“ (IV/2; GW III, 112)98 Man könnte die Pointe der Anspielung in dem Unterschied sehen, der hier markiert wird: Kunz beginnt das ‚bürgerlichere‘ – die anachronistische Kategorie sei hier zugestanden – Leben fernab der reinen Narrheit erst, der bürgerliche Bolz hatte es bereits gefunden. Bolz kann sich zudem der Reflexion entledigen, weil sein Charakter im Gegensatz zu dem des Kunz von der Rosen über diese Eigenschaft verfügt. Bei ihm kommen eine stellenweise durchaus ernste Moral, ein realistischer Zeithintergrund und ein ironisch-komödiantisches Wesen zusammen. Hierauf zielt auch das Urteil ab, das Richard Koebner 1922 im Vergleich von Freytags beiden Lustspielen fällte: „In den ‚Journalisten‘ gelang die moralische Verklärung spielenden Übermuts“, die im ‚Kunz von der Rosen‘ gewollt war“.99 Entscheidender noch scheint mir an dem zitierten intertextuellen Verweis aber die autoreferentielle Dimension selbst zu sein, die an dieser Stelle ins Bewusstsein rückt – eine Dimension, in der Kunz und Bolz ihre Verwandtschaft finden und die für die Komödie durchaus gattungskonstitutiv ist.100 Anders gesagt: Das selbstreferentielle literarische Spiel der Allusion verweist auf die Eigenheit der ‚Spieler‘ Bolz und Kunz, innerhalb der Dramen über diese selbst zu referieren, d.  h. über diese selbst zu sprechen bzw. Situationen in den Komödien zu reflektieren und zu bewerten. Hier legt m.  E. auch die auf Darstellungsebene tatsächlich aufschlussreiche Übereinstimmung zwischen Bolz und Kunz oder auch Bolz und Georg Saalfeld. Beide ‚Vorfahren‘ des Journalisten sprechen an einzelnen Stellen der Texte selbstreferentiell- bzw. selbstreflexiv-kommentierend über die Figurenperspektive hinaus, offenbaren parekbatisch ihre herausgehobene Stellung im Dramenganzen und verweisen sogar auf das Spiel im Spiel, so dass man hier zuerst an sehr späte und stark gedämpfte Formen der romantischen Ironie denken könnte101 –

98 Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 86. 99 Richard Koebner: Gustav Freytag. In: Schlesische Lebensbilder, hg. von der Historischen Kommission für Schlesien. Bd. 1: Schlesier des 19. Jahrhunderts, namens der Historischen Kommission Schlesien hg. von Friedrich Andreae u.  a. Breslau 1922, S. 154–164, hier S. 162. 100 Vgl. Ralf Simon: Theorie der Komödie. In: ders. (Hg.): Theorie der Komödie – Poetik der Komödie. Bielefeld 2001, S. 47–66, hier S. 52  f. 101 Um zunächst einige Beispiele aus Die Valentine zu geben: „Georg. […] Jetzt, König Oberon, sende mir den schnellfüßigen deiner Elfen“. Es folgt der Auftritt Benjamins (vgl. GW II, 157). An späterer Stelle sagt Georg – mit maximaler Selbstreferentialität nicht nur das aktuelle Geschehen, sondern den Drameneinstieg sowie die Gemachtheit des Textes selbst und dessen Produktions- bzw. Rezeptionsbedingungen kommentierend –: „Es war eine phantastische Laune, mich als Herrn Saalfeld in meiner Heimat auftreten zu lassen, ich mache jetzt dem Lesepublikum einiger deutschen Leihbibliotheken das Vergnügen, ein interessanter Spitzbube zu werden […]. Die Buchhändler werden mir’s danken“ (GW II, 206). Eine Spielart romantischer Ironie findet sich auch an jener Stelle, an welcher

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ein epochales Licht, in dem Freytags Vormärz-Dramen vielfach gesehen wurden.102 Dass auch Die Journalisten hieran – wenngleich nochmals weitaus verhaltener und letztlich mit grundlegenden Unterschieden zum romantischen Ironiekonzept (s. u.) – anknüpfen, darauf deutet die Kritik hin, die Berthold Auerbach an dem Stück formuliert: Auerbachs Urteil vom Oktober 1855 spitzt die Einwände Julian Schmidts in den entscheidenden Punkten zu. Zunächst bemängelt er den gegenüber dem ‚wahren Leben‘ allzu überhöhten und kaum je unterbrochenen Humor des Konrad Bolz, die „Purzelbaum schlagende[], forciert humoristische[] Dichtungsart“.103 Ähnlich wird Franz Kafka Anfang März 1912 nach einer Aufführung von Freytags Stück die in Bolz sichtbare „gezwungene Lustigkeit“ vermerken, „aus der sich allerdings auch ein wenig wirkliche, zarte“ ergebe.104 Dieses Zugeständnis macht Auerbach in seinen unveröffentlichten Notizen nicht, vielmehr heißt es bei ihm: Diese Manier des souveränen Spiels mit dem Ernst des Lebens und seinen schweren Eindrücken, dieses höhere Schindludertreiben in eleganter Burschikosität erregt nur ein bittersüßes Lächeln, kein volles und ganzes Lachen. Es ist doch nur die lebensunfreudige Ironie der Romantiker, aber teils unwillkürlich, teils geschickt verbunden mit handfester Realistik. Ja sogar die eigentümlich Heinesche romantische Ironie als Selbstauflösung bricht oft und oft durch, und geradezu widerlich ist es, wenn Bolz in der Erregtheit Oldendorfs sagt: ‚Schöner Moment‘ u.s.w.105

In einer Nachschrift aus dem April 1857 präzisiert Auerbach sein Unbehagen an der selbstreferentiellen Dimension des Textes noch einmal:

der Fürst, der gerade eine ziemlich schlechte Figur gemacht hat, bemerkt: „[I]ch spiele in dieser Scene eine schlechte Rolle“ (GW II, 179). In Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen wiederum offenbart der Narr Kunz an verschiedenen Stellen, was im Drama von Beginn an handgreiflich ist: dass er in dieser Rolle über allen anderen Figuren des Stücks steht, dass er es als Spiel begreift, sich selbst als Spieler und das Stück als Stück (vgl. den Monolog von Kunz GW II, 85  f. sowie seine Äußerungen auf S. 88). Entsprechend kommentiert Kunz als Ein-Mann-Chor und sich seiner Funktion bewusster Narr auch in vollendeter romantischer Ironie: „Meine Narrenkappe hat dich durch das ganze Stücke nicht verlassen“ (88). Und schließlich auf der letzten Seite: „Das Spiel ist am Ende“ (GW II, 92). 102 So schreibt Ludwig Speidel über Die Valentine und Graf Waldemar: „Es lag noch etwas Mondschein der Romantik auf diesen Stücken“ (Speidel: Gustav Freytag, S. 338). 103 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 33. – Ähnlich wird Auerbach in seiner Kritik von Soll und Haben in Fink, dem humoristischen Wiedergänger von Bolz, einen jungdeutschen Rest sehen und auch die Ironie dieses Textes verhalten rügen, vgl. Berthold Auerbach: Soll und Haben, Roman in 6  Büchern von Gustav Freytag. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 7. September 1855 (Nr. 250), S. 3994–3996. 104 Franz Kafka: Tagebücher. In der Fassung der Handschrift, hg. von Hans-Gerd Koch, Michael Müller u. Malcolm Pasley. Bd. 1. Frankfurt a.  M. 1990, S. 396. 105 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 33.

4.2 Bolz 

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Gerade wie in der Schillerschen Tragödie der pathetische Held über sich reflektiert und über sich den Chorus spielt, so reflektiert hier der humoristische Held über sich und spielt den Narren über sich, der ja auch eine Art Chorus ist, indem er Stimme und Stimmung der Betrachtenden vertritt. Die Finks-Narrenkappe [Fink aus Soll und Haben, P. B.] klingelt sehr fein und geistreich, aber es ist nicht wahr, daß sie jemand als permanent auf seinem Kopfe erklärt oder nur erklären kann.106

Bei den Textstellen, die Auerbach bei seiner Kritik im Hinterkopf hatte, handelt es sich vermutlich z.  B. um das Gespräch zwischen Oldendorf und Bolz in der zweiten Szene des ersten Aktes: Oldendorf. Er wird sich mit mir aussöhnen, wenn ich die Redaction der Zeitung niederlege und als Wahlcandidat zurücktrete. Bolz.

Teufel, das ist wenig gefordert.

Oldendorf. Ich leide unter diesen Dissonanzen. Dir, mein Freund, kann ich das sagen. Bolz.  (an ihn tretend und ihm die Hand drückend). Feierlicher Augenblick männlicher Rührung! Oldendorf. Sei jetzt wenigstens kein Hanswurst. (I/2; GW III, 23)

Auch die Szene II/2 ließe sich anführen, in der sich Adelheid als die tatsächlich ‚gute Fee des Stücks‘ in das bis dahin von ihr beobachtete Manöver Bolz’ einschaltet und dieser bemerkt: „Eine Fee interveniert!“ (II/2; GW III, 63) In Erinnerung zu rufen ist in diesem Zusammenhang darüber hinaus der bereits thematisierte Dialog zwischen Bolz und Piepenbrink, in dem der Journalist den Weinhändler hochnimmt und ihm dabei erklärt, dass er für Oldendorf sogar „ehrliche Leute zum Besten“ halten würde (II/2; GW III, 62  f.). Im vierten Akt schließlich findet sich ein weiteres Beispiel. Als es für Oldendorf und Bolz kurzzeitig so aussieht, als sei der Oberst der Käufer von Oldendorfs Zeitung, befindet Bolz beim Auftritt des Militärs: „Ah, jetzt wird die Sache hochtragisch“ (IV; GW III, 109). Solche Stellen wohl meint Auerbach, wenn er vom humoristischen Helden als Narren schreibt, der in der Art eines Chors „Stimme und Stimmung der Betrachtenden vertritt“. In der Nachfolge u.  a. von Kunz tritt Bolz nicht nur als handelnde Figur, sondern zugleich als kommentierende Instanz in Erscheinung, die selbstreflexiv die Rolle eines herausgehobenen Zuschauers einnimmt und das Dramengeschehen humoristisch einordnet. Die ironische Selbstbezüglichkeit, die solche Sätze wie die zitierten bedeuten, wird noch verstärkt, wenn Oldendorf Bolz einen „Hanswurst“ nennt. Er verweist damit – wiederum selbstreflexiv – auf die für die Komödie konstitutive und hier von Bolz übernommene Rolle des Narren, womit

106 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 35.

230 

 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

überdies abermals eine Verbindung zu Kunz, dem tatsächlichen Narren und „Hanswurst“ (GW II, 35) aus der Brautfahrt, geknüpft wird. Diese Spielarten der Ironie und Selbstreflexion, wie sie grundsätzlich auch von den Grenzboten als ‚exzentrische‘ romantische Darstellungsmittel vehement abgelehnt wurden107 (und schon seit der ‚Biedermeierzeit‘ umstritten waren),108 erschienen aus der Sicht von Auerbach und anderen Zeitgenossen als Rückschritt zu überkommenen poetischen Verfahren. Dabei ist Freytags Ironie, zumal in Die Journalisten, in wesentlichen Punkten von der romantischen Ironie zu unterscheiden: Das parekbatische Sprechen bewirkt hier keine vehemente Desillusionierung, sondern erweitert die Referenz lediglich um eine weitere, selbstreferentielle Dimension. In formaler Hinsicht hat man es weniger mit einer konsequenten Brechung als mit einer souveränen Ernüchterung und spezifisch realistischen Transformierung als überkommen angesehener romantischer Mittel zu tun – dieses wird insofern gewissermaßen doppelt ausgestellt, als in Person von Bolz der romantische Heldenthor erwachsen geworden und bürgerlich domestiziert ist. Seine Späße sind nämlich weder selbstzweckhaft noch verschwimmt über ihnen die Grenze zwischen Scherz und Ernst; vielmehr steht Bolz’ Humor inhaltlich im Dienste konkret-realer Überzeugungen sowie poetologisch im Dienste einer Poetisierung prosaischer Darstellungsgegenstände.109 Bolz’ Ironie relativiert nicht das Ganze, sondern ist letztlich Ausdruck einer bürgerlich-liberalen Überlegenheit. Für einige Zeitgenossen um 1850 verbaten sich allerdings auch zaghafte Anleihen bei vorangegangen Literaturprogrammen, so dass die Figur des Berufsjournalisten Widerspruch provozierte. In der Kritik an Bolz – und das macht die Diskussion um die Figur so relevant und epochal aufschlussreich – spiegelt sich die literaturprogrammatische Debatte um die Anforderungen eines realistischen Humors und die Legitimität als ‚romantisch‘ aufgefasster Darstellungstechniken. Dadurch, dass es an einzelnen Textstellen den Eindruck erweckt, als würde Bolz’ Perspektive über den reinen Figurenhorizont hinausgehen; dadurch, dass es scheint, als würde er nicht bloß als Charakter im Kontext der Dramenhandlung, vielmehr zudem über diese zum Zuschauer/Lesern sprechen, bewertete Auerbach solche Züge der Rolle entsprechend als ‚anti-realistisch‘. Wie u.  a. ebenso die Ausführungen Gutzkows oder Gottschalls zur Figur des Unions-Journalisten zeigen,110 nahmen gerade die Wortführer und Köpfe einer realistischen Literatur 107 Vgl. Widhammer: Realismus und klassizistische Tradition, S. 81–83; Max Bucher: Voraussetzungen der realistischen Literaturkritik. In: RuG I, S. 32–47, hier S. 43. – Zur Kritik der romantischen Ironie seit Hegel vgl. auch Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungskraft, S. 308  f. 108 Vgl. Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848. Bd. I: Allgemeine Voraussetzungen, Richtungen, Darstellungsmittel. Stuttgart 1971, S. 625–636. 109 Zur realistischen Ironie vgl. auch Martini: Ironischer Realismus; Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 209–211. 110 Im fünften Abschnitt seiner Generalabrechnung mit der zeitgenössischen Literatur, „Vom deutschen Parnaß“, kommt Gutzkow auch auf Freytags Die Journalisten zu sprechen und äußert sich dabei

4.2 Bolz 

 231

Anstoß an dem in Bolz sich artikulierenden Humor: einem überlegenen Humor, der – worauf Gutzkow hinweist – die Rolle über den Fortgang und die Konsequenzen der Handlung zu erheben scheint, weil ihr der souveräne Witz nie vergeht – auch dann nicht, als Bolz sich des Endes seiner Zeitung, für die er voller Kraft und Überzeugung gearbeitet hat, sicher sein muss. So zeitgebunden, wie der Humor des Textes in der frühen Rezeption gelesen wird, so zeitgebunden erweist sich auch dessen Einordnung. Wo in der Erstrezeption in der Bolz’schen Ironie das Signum der jungdeutschen oder romantischen Literaturperiode erblickt wurde, sah man in späteren Jahren genau das Gegenteil. Im Vergleich mit Freytags Vormärz-Dramen heißt es 1886 über Die Journalisten: „Die Spitzen der Ironie sind abgeschliffen, und an ihre Stelle ist ein gesunder, farbiger Humor getreten“.111 Ebenso wie das Provokationspotential der Politikdarstellung in der Komödie so hat auch das des Humors im Laufe der Jahrzehnte deutlich abgenommen. Beide Aspekte geben demnach Anlass, Rezeptionsakte zu historisieren. Die frühe Kritik an Bolz ermöglicht es somit, Rückschlüsse auf das dieser Kritik zugrundeliegende Literaturverständnis zu ziehen, die als symptomatisch und aussagekräftig für einen literarischen Epochenwechsel um 1850 präsentieren. Von den männlichen Rezensenten und Kritikern ist bei der Fokussierung auf Bolz völlig übersehen worden, dass auch Adelheid innerhalb des Textes ganz ähnlich immer wieder auf diesen selbst verweist – etwa mittels kommentierender Einordnungen oder Bewertungen der bisherigen Handlung (s. auch Kap. 3.2.2) oder durch die bereits thematisierten Vorausdeutungen auf ein glückliches Ende (s. Kap. 3.3.4). Dass nur sie selbst dieses zu bewirken in der Lage ist, daran lässt die Figur ebenso wenig Zweifel wie an der Tatsache, dass sie das Geschehen vollkommen überblickt. Aus solcher Übersicht heraus deutet sie dem Zuschauer/Leser im dritten Akt nicht nur das Ende der Handlung an, sondern markiert zugleich die bis dahin subtile Pointe, dass sie mit ihren Recherchen inzwischen selbst zur Journalistin geworden ist: „Kaum bin ich in der Stadt angekommen, und mein Zimmer ist wie ein Geschäftsbureau, in welchem Redacteure und Schriftsteller ihr Wesen treiben.  – Ich fürchte, das ist

vor allem zur Figur des Konrad Bolz: „[N]ur etwas zu übermüthig mag es in dem Kopfe des Helden, des Herrn Dr. Bolz selbst hergehen. Seine Selbstzufriedenheit ist stellenweise bis zum Dünkel souverän. In jedem guten Drama, auch im Lustspiel, muß das Schicksal oder die Consequenz der Handlung immer noch mehr Matador sein als selbst der größte und gewandteste aller Matadore.“ ([Karl Gutzkow]: Vom deutschen Parnaß. V. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd 2 (1854), Nr. 34, S. 542–544, hier S. 544) – Bei Rudolf Gottschall klingt das ähnlich, er attribuiert den Redakteur wie folgt: „der joviale Bolz, der gelungenste Narcissus des etwas selbstgefälligen Freytag’schen Humors“ (Gottschall: Die deutsche Nationallitteratur des neunzehnten Jahrhunderts, S. 46). 111 Anton E. Schönbach: Zu Gustav Freytag’s siebzigstem Geburtstage. In: Deutsche Wochenschrift, 13. Juli 1886 (zit. n. dems.: Gesammelte Aufsätze zur neueren Litteratur in Deutschland, Oesterreich, Amerika. Graz 1900, S. 57–66, hier S. 59). – Die „Ironie“ wurde seitdem nur noch sehr vereinzelt in der Rezeption überhaupt wahrgenommen, so 1895 bei: Hart: Gustav Freytag als Deutscher und Dichter, S. 418.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

eine Vorbedeutung“ (III, GW III, 84). Adelheid ist mithin nicht lediglich auf Inhalts­ ebene, sondern auch auf Darstellungsebene das weibliche Pendant zu Bolz,112 der mit Adelheid bereits im Personenverzeichnis gegenüber allen anderen Figuren durch die zusätzliche Nennung des Vornamens herausgehoben wird113 – ein Deut auf die spätere Verbindung der beiden sowie ein Ausdruck ihrer ‚herausragenden‘ Stellung. Letztlich sind es Bolz und Adelheid gleichermaßen, die die Handlung der Komödie vorantreiben. Gutzkow tut der Rolle der Adelheid also unrecht, wenn er diese mit den Worten charakterisiert, dass sie den „bürgerlichen Redacteur […] rein aufessen möchte vor Bewunderung“.114 Immerhin foppt Adelheid mit ihrer Schlussfinte Bolz genauso wie alle anderen Beteiligten. Im Unterschied zu Bolz agiert Adelheid im Umgang mit ihren Mitmenschen jedoch einfühlsam und beruhigend (so etwa im Gespräch mit Ida oder Oberst Berg). Weil Bolz dagegen kaum etwas ernst nimmt und im Dialog mit anderen in erster Linie die nächste Pointe sucht, sah nicht allein Fontane in ihm eine „superiore Natur“, die den Eindruck erwecken könne, dass sie aus ihrer überlegeneren Position und ihrem souveränen Humor heraus mit den Menschen spiele. Gutzkow erneuerte seine Kritik an der Figur von 1854 ein Jahr später noch einmal, wenn er in seiner Rezension zu Soll und Haben schreibt, dass „der mit Wahrheit, Kunst, Freundschaft, Liebe und jedem Menschen wie mit Mäusen spielende Katzenhumor des übermüthigen und suffisanten [!] Dr. Bolz […] über die Spannungshöhe eines zarten Gemüths hinausging“.115 Auerbach hat die zeitgenössischen Einwände gegen den Bolz’schen Humor noch um einen weiteren Aspekt ergänzt und in der Ironie eine unzeitgemäße und den „Bewegungsjahre[n] von 48 und 49“ nicht angemessene „verzweifelte[] Lustigkeit“ erblickt.116 Das haben nicht alle Rezensenten so gesehen. Für einige hat gerade Bolz’ Humor einen zeitrepräsentativen und für die nachmärzliche bürgerliche Mentalität kennzeichnenden Charakter.117 In Bolz’ souveränem Witz spiegelt sich solchen Deutungen zufolge die bürgerliche Überlegenheit sowie eine mentale Unabhängigkeit den bestehenden Zuständen gegenüber. Die Blätter für literarische Unterhaltung haben

112 „Adelheid aber ist der weibliche Bolz“, bemerkt Kneschke schon 1861 sehr hellsichtig (Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 283). 113 Vgl. Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 202. 114 Gutzkow: Ein neuer Roman. I., S. 559. 115 Gutzkow: Ein neuer Roman. I., S. 559. 116 „Wer in künftigen Zeiten, ohne die Bewegungsjahre von 48 und 49 mit erlebt zu haben, dieses Stück sähe, würde nur ein schielendes Bild des damaligen gewaltigen und innerlicht bewegten Treibens gewinnen, denn mitten in die Bewegung ist die ironische Blasiertheit gestellt, die erst viel späteren Datums oder vielmehr eine Erweckung der inmitten der Revolution abgethanen, dann aber wieder auflebenden, eigentümlich verzweifelten Lustigkeit ist“ (Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 33  f.). 117 Heilborn etwa sieht in Bolz einen zeitrepräsentativen Typus, weil er die Disharmonien seiner Zeit zwar empfinde, aber durch Humor überwinde (vgl. Heilborn: Gustav Freytag, der Dramatiker, Sp. 585  f.). Ähnlich sieht Fulda in Bolz’ souveräner Witzelei einen Ausdruck des bürgerlichen Überlegenheitsgefühls (vgl. Fulda: Gustav Freytag als Dramatiker, S. 75).

4.2 Bolz 

 233

sogar vernehmbar gegen die zeitgenössische Kritik an der Figur und ihrem Humor Stellung bezogen und dazu eine denkbar konträre Position eingenommen: In Konrad Bolz, diesem Kraftauszuge moderner Anschauung, diesem echten Typus unserer Zeit, sind alle […] Momente in warmes individuelles Leben verwandelt, und der Humor dieses Charakters ist keineswegs jene gemachte Witzelei und jene forcirte Ironie, die uns gemeiniglich als Humor aufgetischt wird, es ist Natur, es ist Poesie, die nicht verletzt und verstimmt, die wohlthut und fröhlich macht.118

Bereits im Mai 1853 wurde vergleichbar hervorgehoben, wie sehr Bolz ein Vertreter der zeitgenössischen Wirklichkeit sei, der ganz in den realen Verhältnissen der Nachrevolutionsjahre aufgehe: Bolz ist der geniale Kopf, der mit den Zuständen der Wirklichkeit – zwar nicht in unmittelbarer, unauflöslicher Vereinigung verwachsen, aber doch liebenswürdigster Weise in durchaus cor­dia­ len Verkehr getreten ist, innerhalb ihrer Schranken sich belustigend an ihren Ergötzlichkeiten, Vortheil ziehend aus ihren Schwächen, durch Geltendmachen seiner persönlichen Eigenschaften einen erfreulichen Beruf erfüllend.119

Diesen letzten Punkt hätte dann auch Auerbach wieder unterschrieben und hat entsprechend in seiner Kritik, bezogen auf Bolz, die eigentliche Innovationsleistung betont: „Und das ist und bleibt dankenswert, daß der Dichter das Bild eines modernen Journalisten ausstellte, frisch und farbig und von ganz neuer Lebenskenntlichkeit, wie es bisher nicht da war.“120 In diesem Aspekt waren sich alle Kritiker einig. Bolz  – „der damals als echt modern empfundene jugendliche, flotte Heldentenor des Stückes“121 – galt um 1850 als Verkörperung eines modernen Journalisten. Er stellte damit in Bezug auf sein sozia­les Profil sowie den von ihm repräsentierten Journalismus einen Held neuen Typs dar, der sich in dieser Hinsicht auch von früheren Redakteursfiguren in Dramen unterscheide.122 Als „ein Journalist der neuen Aera“,123 wie es bei Gottschall heißt, verweist die Figur des Konrad Bolz auf eine Entwicklungsphase des deutschen Zeitungswesen, von dem Freytags Die Journalisten ein sozial-, politik- und pressehistorisch zeitrepräsentatives Bild entwerfen.

118 N. N.: [Rez.] Die Journalisten, S. 636. 119 [Giseke]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“, S. 330. 120 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 34. 121 Lindau: Gustav Freytag, S. 134. 122 Vgl. in diesem Sinne: Gottschall: Leipziger Stadttheater, S. 442. 123 Gottschall: Leipziger Stadttheater, S. 442.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

4.3 Die Komödie als Zeitbild des nachmärzlichen Journalismus Sowohl Freytags Vormärz-Dramen als auch jene programmatischen Artikel in den ersten Jahren seiner Herausgebertätigkeit für Die Grenzboten, die konkret eine ‚Poesie der Arbeit‘ proklamieren, artikulieren das Bedürfnis nach einem poetisierbaren und zeitgemäßen bürgerlichen Tätigkeitsfeld (s. auch Kap. III.2). Dieses findet der Autor nicht erst mit Soll und Haben im Kaufmannsberuf, sondern bereits im Journalismus seines ersten Nachmärzwerkes. Dass Freytag auf der Suche nach einem geeigneten Wirklichkeitsausschnitt auf diesen Bereich bürgerlicher Tätigkeit gekommen ist, ergibt sich nicht allein aus den eigenen Erfahrungen als Journalist in jenen Jahren. Der Journalismus war Mitte des 19. Jahrhunderts ein für Freytags Geschichts- und schriftstellerisches Selbstverständnis zentraler Berufsstand (s. Kap. 4.4) und ein für die Literatur vergleichsweise neuer Darstellungsgegenstand. Ihm kam mit der Entwicklung und Politisierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit, insbesondere im Zuge der Märzrevolution eine insgesamt stetig angewachsene Relevanz zu, so dass Heinrich Kurz zu Recht betonte, Freytags Komödie habe „eine bedeutende Seite des politischen Lebens der damaligen Zeit“124 in den Blick genommen. Darüber hinaus handelte es sich bei dem Journalismus in sozialer Hinsicht um ein modernes und genuin bürgerliches, bzw. genauer: ein durch und durch bildungsbürgerliches Arbeitsfeld.125 Bereits Leopold von Ranke stellte 1832 bezogen auf ‚die öffentliche Meinung‘ fest: „Ihren Hauptsitz hat sie in den mittleren Classen des Volkes“.126 Mit der Ausbildung des modernen Pressewesens entstanden ‚die Journalisten‘ als neue soziale Gruppe.127 Etwa seit Anfang der 1830er Jahre wurde diese Tätigkeit zunehmend zu einem selbständigen Beruf.128 Der Journalismus rekrutierte seine Vertreter überwiegend aus dem akademischen Bürgertum. Die Mehrheit der Journalisten um die Mitte des 19. Jahrhunderts war universitär gebildet und promoviert, häufig sogar habilitiert, dabei aber vielfach nur nebenberuflich für die Zeitung aktiv.129 Freytags Komödie bildet diese Tatsache sozialhistorisch präzise in den beiden Figuren Dr. Konrad Bolz und Profes-

124 Kurz: Geschichte der neuesten deutschen Literatur, S. 578. 125 Vgl. Jürgen Wilke: Grundzüge einer Medien- und Kommunikationsgeschichte. 2., durchges. und erg. Aufl., Köln/Weimar/Wien 2008, S. 293; vgl. dazu ausführlich: Requate: Journalismus als Beruf, S. 237–242. 126 Leopold von Ranke: Die Theorie und die öffentliche Meinung in der Politik. Fragmente. In: Historisch-politische Zeitschrift 1 (1832), S. 482–495, hier S. 488. 127 Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 593. 128 Vgl. Parr (unter Mitarbeit von Schönert): Autoren, S. 349; Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 220  f.; vgl. auch Requate: Journalismus als Beruf, S. 178–187. 129 Vgl. Reinhard Wittmann: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880. Tübingen 1982, S. 156  f.; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 593; Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 219; Wilke: Grundzüge einer Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 293  f.; vgl. Requate: Journalismus als Beruf, S. 139–178; Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2, S. 532–534; Rolf Engelsing: Massenpublikum und Journalistentum im

4.3 Die Komödie als Zeitbild des nachmärzlichen Journalismus 

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sor Oldendorf ab. Oldendorf stellt als lehrender, regional politisch engagierter und zugleich für die Zeitung schreibender Professor eine für die Zeit nicht untypische Sozialfigur dar.130 Selbst der Umstand, dass sein Gegenspieler Oberst Berg kurzerhand einige Artikel für die Zeitung verfasst, ist für den Journalismus um 1850 keineswegs verwunderlich, denn auch eine militärische Ausbildung oder ein militärischer Berufshintergrund war keine Seltenheit.131 Ähnlich wie in Freytags Drama bildete in der Realität eine Anstellung als Journalist häufig die Übergangsphase zu einer Tätigkeit als Politiker (wie Oldendorf) oder Schriftsteller.132 Mit dem Aufstieg der Presse im Vormärz entstand eine neue Gruppe von Journalisten, die sich wie Freytag selbst an den Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Zeitung, Politik und Literatur bewegte und die für das Zeitalter des Realismus so charakteristisch wie wirkmächtig werden sollte. Von einem Durchbruch im belletristischen Metier träumt in Freytags Stück der Lyrik verfassende Redakteur Bellmaus (vgl. GW III, 21, 84). Schriftstellerische Ambitionen standen bei der Wahl des Journalistenberufs zeitgenössisch häufig im Hintergrund.133 Bellmaus hat mangels Erfolgs in der Lyrik den Weg in die Zeitung genommen, kann sich von seinen Jugendgedichten aber noch immer nicht lösen (vgl. 84). Auch bei ihm handelt es sich um einen zeittypischen Repräsentanten seiner Zunft, die im 19. Jahrhundert vielfach als Sammelbecken für (auf anderen Arbeitsfeldern) gescheiterte Existenzen galt.134 „Die Mehrzahl“ der Journalisten, so Heinrich von Treitschke in seinen Berliner Vorlesungen, „besteht aus katilinarischen Existenzen, wie Bismarck sagte, aus Leuten, die sonst im Leben nicht fortgekommen sind.“135 Es ist auch im Sinne einer Idealisierung der Wirklichkeit und des Berufsstandes zu lesen, dass Bellmaus im Drama die Figur präsentiert, die vom Dichter am liebenswürdigsten gezeichnet ist, wenngleich auch diese Rolle, wie für Freytag kennzeichnend und für die Komödie notwendig, mit (harmlosem) Spott bedacht wird. Denn gerade jene charakteristische neue Gruppe von schreibend Tätigen, die sich zwischen Literatur und Publizistik bewegte, zog zeitgenössisch vielfach Hohn auf sich.136

19. Jahrhundert in Nordwestdeutschland. Berlin 1966, S. 55. – Zur Sozialstruktur der Journalisten vgl. auch Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3, S. 1240  f. 130 Vgl. Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 219. 131 Vgl. Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 219. 132 Vgl. Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S.  219; Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2, S. 532–536; ders.: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3, S. 442. 133 Wilke: Grundzüge einer Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 292. 134 Vgl. Requate: Journalismus als Beruf, S. 165  f.; vgl. Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 218. 135 Heinrich von Treitschke: Politik. Vorlesungen gehalten an der Universität zu Berlin, hg. von Max Cornicelius. Leipzig 1913, S. 178. 136 In Gutzkows Blasedow und seine Söhne etwa heißt es: „Neu jedoch ist jene Gattung von Schriftstellern, welche wie Amphibien halb auf dem festen Lande der Literatur, halb im Strome der öffentlichen Begebenheiten leben“ (Gutzkow: Blasedow und seine Söhne. Zweiter Theil, S. 212).

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Goldbaum hat in seinem Artikel von 1889 darauf hingewiesen, dass Freytags Komödie aus presse- und sozialhistorischer Perspektive eine Übergangsphase in den Blick nimmt, die u.  a. durch die Ausdifferenzierung von Zeitung und Literatur und damit insgesamt durch Professionalisierungstendenzen geprägt ist.137 Allgemein und nicht nur, wenn die Mitredakteure Bellmaus zu verstehen geben, dass seine Lyrik in der Zeitungswelt keinen Wert besitzt (vgl. 21), lässt sich Freytags Drama als Dokument der funktionalen gesellschaftlichen Differenzierung sowie der Professionalisierung des Journalistenberufs lesen. Dies wird vom Schluss aus betrachtet besonders deutlich: Am Ende der Journalisten wird Bolz nicht nur zum Eigner der liberalen Zeitung Union, mit Oberst Berg, Oldendorf und Schmock verlassen im Laufe des Dramas auch zwei Gelegenheitsjournalisten und ein explizit parteiungebundener Redakteur („Ich habe geschrieben links, und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung“; II/2; GW III, 48) das Zeitungswesen. Das Ausscheiden des ohnehin nur kurz für den Coriolan tätigen Oberst Berg sowie Oldendorfs, der laut Bolz im Gegensatz zu ihm selbst nie ein richtiger Journalist gewesen sei, sondern bloß nebenberuflich agiert habe (vgl. III; GW III, 94) und dessen Zukunft Bolz in der Politik sieht (vgl. I/2; GW III, 24), bedeutet einen Sieg des professionellen und ausdrücklich parteigebundenen Journalismus in einer Phase des Wandels und Übergangs. Dieser professionelle Journalismus wird durch Bolz verkörpert, in der Rezeption gilt er daher als der „rechte Vollblutjournalist aus Beruf“.138 Im Gegensatz zum Oberst, zu Oldendorf oder auch dem sich eigentlich zum Dichter berufen glaubenden Bellmaus hat Bolz, wie er im Gespräch mit Adelheid versichert (vgl. III; GW III, 77), keine anderen Ambitionen als die, ein guter Journalist zu sein. Entsprechend kann er die Eigenlogik und Leitdifferenz der Presse als eigenständiges gesellschaftliches Teilsystem aus der Sicht ihrer Vertreter formulieren: „Wer dazu gehört, kann den Ehrgeiz haben, witzig oder bedeutend zu schreiben; was darüber hinausgeht, ist nicht für uns.“ (77) Auch aus solcher Systemlogik heraus wird deutlich, warum der Oberst mit seinen „schwerfällig“ und „ungeschickt“ verfassten Artikeln in der Tagesschriftstellerei nichts zu suchen hat (I/1; GW III, 9, 10). Bolz hat im Journalismus seine Berufung gefunden und würde deshalb nach eigener Aussage noch auf dem Nordpol eine Zeitung gründen (vgl. II/2; GW III, 52). Deswegen sieht Adelheid früh ein, dass mit einem Verkauf der Union Bolz’ völlige Hingabe an den Beruf nicht zu ändern wäre, da er dann sofort die Arbeit an einem neuen Blatt beginnen würde (vgl. III; GW III, 73). Bolz repräsentiert also die moderne und im Vormärz dagegen noch sehr selten anzutreffende Sozialfigur eines hauptberuflich tätigen Journalisten, eines Berufsjournalisten wie er sich mit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts immer mehr gegenüber der nebenberuflichen Journalistentätig-

137 Vgl. Goldbaum: Die vorige Generation. 138 Proelß/Kiffert: Gustav Freytag-Galerie, S. 48.

4.3 Die Komödie als Zeitbild des nachmärzlichen Journalismus 

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keit durchsetzte.139 Während der Mangel an Professionalisierung (u.  a. von Riehl) als wesentliches Übel des Journalismus begriffen wurde,140 gewann der Beruf mit zunehmender Professionalisierung auch an Reputation.141 Dass dieser Prozess in Freytags Die Journalisten nur angedeutet, aber nicht vollständig abgeschlossen ist, ja dass das Drama ein realistisches Bild des Journalismus um 1850 zeichnet, spiegelt sich in späteren Rezeptionszeugnissen, in denen die Differenz zum gegenwärtigen Journalismus unterstrichen wird. So schreibt etwa Friedrich Seiler 1898: „Daß ein wissenschaftlich bedeutender Professor zugleich Chefredakteur einer größeren politischen Zeitung ist, kommt jetzt auch nicht mehr vor“.142 Nun ändert sich dieser Sachverhalt am Ende des Stücks durch das Ausscheiden Oldendorfs und den Besitzerwechsel an Bolz im Sinne jener Tendenz zur Professionalisierung und gesellschaftlichen Ausdifferenzierung zwischen Politik, Wissenschaft und Presse, wie sie sich in der Realität ebenso kontinuierlich vollzog. Die klarere Trennung der Bereiche verhindert mit dem Finale der Komödie zudem, dass künftig weiter politische und persönliche Belange miteinander verknüpft werden. Mit Recht hat Christian Göbel bezogen auf die Entwicklungen im Pressewesen angemerkt: „Der Professionalisierungsprozess des Journalismus bedingt grundsätzlich eine zunehmende gesellschaftliche Ausdifferenzierung, im Übrigen nicht nur in Bezug auf die Literatur, sondern auch auf die Politik“.143 Wenngleich es sich bei der Union um ein eindeutig liberal positioniertes Blatt handelt, wäre eine Doppeltätigkeit als Abgeordneter und Chefredakteur für Oldendorf potentiell problematisch gewesen. Auch Freytag selbst hätte dies so gesehen und zeigt, als er 1867 Abgeordneter des konstituierenden norddeutschen Reichstages wird, ein solches Differenzbewusstsein, wenn er die Leser der Grenzboten unterrichtet:

139 Vgl. Wilke: Grundzüge einer Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 290–295; Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2, S. 532–536; vgl. dazu auch ausführlich: Requate: Journalismus als Beruf, S. 125–242. 140 Vgl. Parr (unter Mitarbeit von Schönert): Autoren, S.  349; Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2, S. 536. – Vgl. zu diesem Aspekt auch die Betrachtungen in Gutzkows Blasedow und seine Söhne (Gutzkow: Blasedow und seine Söhne. Zweiter Theil, S. 212–214). Solchen rechthaberischen, unüberlegten Individual- und Regionaljournalismus, wie ihn Oberst Berg praktiziert, hatte darüber hinaus Wolfang Menzel bereits 1839 als einen der Hauptübelstände des deutschen Journalismus und Grund für dessen mangelnde Professionalisierung bezeichnet (vgl. W[olfgang] M[enzel]: Das deutsche Journalwesen. In: Deutsche Vierteljahrs Schrift, H. 1, 1839, S. 1–32, hier S. 28  f.). 141 Wehler führt hierzu aus: „Bemerkenswert ist eher die Tatsache, daß seit den [18]40er Jahren der sich fest etablierende, zunehmend attraktive Journalistenberuf Anerkennung fand. Er entwickelte seine eigenen Qualitätskriterien, blieb sozial offen, diente aber nicht mehr so häufig als Auffangbecken für literarische oder wissenschaftlich ehrgeizige Männer, denen anderswo eine Karriere mißglückt war.“ (Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2, S. 536). 142 Seiler: Gustav Freytag, S. 86. 143 Christian Göbel: Der vertraute Feind. Pressekritik in der Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Würzburg 2011, S. 43.

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Der Unterzeichnete hält sich während der Dauer des Reichstages als Mitglied desselben nicht für geeignet, ja nicht für berechtigt, über Personen, mit denen er collegialisch zusammenwirken soll, oder über die Geschäfte, an denen er Mitwisser und Theilnehmer geworden ist, öffentlich zu berichten. Das Referat über die Wochenereignisse im Reichstag ist deshalb einer Feder der Journalistenloge übertragen worden.144

Diese Mitteilung, die immerhin etwa 15 Jahre nach Die Journalisten veröffentlicht wurde, erinnert daran, welch eine frühe Entwicklungsstufe der modernen Presse die Komödie in den Blick nimmt. Dies gilt nicht minder, sondern viel mehr noch für die im Drama verhandelte Politik. Auch der kurzfristig als Kandidat angeworbene Oberst Berg sowie der geschickt beim Wein inklusive seines ‚Stimmenanhangs‘ abgeworbene Wahlmann Piepenbrink verweisen auf ein politisches Feld, das sich – aus späterer Perspektive – in einem weitgehend vorprofessionellen Zustand befand und das – historisch gesehen – beim Erscheinen der Journalisten in dieser Form tatsächlich erst wenige Jahre existierte. Der Konflikt zwischen Liberalen und Konservativen, und d.  h. zwischen liberaler und konservativer Presse, wie er den Hintergrund der Komödie bildet, sollte jedoch in den nächsten Jahrzehnten aktuell bleiben. Auch bezogen auf den Journalismus liefert Freytags Lustspiel nicht nur ein zeitgetreues, sondern zugleich wegweisendes Abbild der Realität. Denn Freytag porträtiert den Journalismus in einem Entwicklungs- und Modernisierungsstadium, das nicht zuletzt durch den mit der Revolution von 1848 einhergehenden offiziellen Wegfall der Zensur ermöglicht wurde.145 Freytag selbst nannte diese Phase in seinen Erinnerungen eine der „ersten Flugversuche[] der befreiten Presse“ und die „wundervolle Lehrzeit des deutschen Journalismus“ (GW I, 155  f.).146 In jenen Jahren bestanden die Zeitungen zumeist nur aus „einem kleinen Stab von fest angestellten Redakteuren“.147 Selbst die große Kölnische Zeitung beschäftigte kurz vor der Revolution lediglich fünf hauptberufliche Redakteure;148 nach 1848 kam es indes zu einer Expansion des Zeitungswesens. Die Redaktion der liberalen Zeitung Union gibt also mit ihren fünf Mitarbeitern ein durchaus zeittypisches Bild ab. Als richtungsweisend und wiederum für diese Entwicklungsstufe der Presse charakteristisch erweist sich die Tatsache, dass es innerhalb des von Freytag dargestellten Blatts bereits eine klare Zuständigkeitsverteilung gibt: „Herr Kämpe für leitende Artikel, Herr Körner für die französischen und englischen Correspondenzen, und ich [Bellmaus, P. B.] für Theater, Musik, bildende Kunst und Allerlei“ (IV/2; GW III, 110). Die Zeitung als Produkt einer Redaktion, unterschiedliche Ressorts und Rubriken mit 144 [Anmerkung Gustav Freytags in:] B. E.: Kleine Chronik vom Reichstage. In: Die Grenzboten 26 (1867), I. Semester, I. Band, S. 441–444, hier S. 441. 145 Vgl. dazu auch: Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 60–69. 146 Aus der Perspektive von 1889 spricht auch Zolling von einem Journalismus in den „Kinderschuhen“ (Zolling: Gustav Freytag als Journalist, S. 120). 147 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3, S. 444. 148 Vgl. Wilke: Grundzüge einer Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 291.

4.3 Die Komödie als Zeitbild des nachmärzlichen Journalismus 

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je eigenen Textgenres, „Nachrichten, die über den regionalen und sozialen Erfahrungshorizont der Leserschaft hinausgingen“,149 dies alles sind im 19. Jahrhundert neue Entwicklungen hin zur modernen Zeitung, die an Freytags Text ablesbar sind. Die bereits bestehende Ausdifferenzierung des Journalismus spiegelt sich in der Komödie zugleich in den verschiedenen Repräsentanten der Zunft, die das Drama vorstellt. Dies ist in der Rezeption vielfach hervorgehoben worden – schon das Literarische Centralblatt konstatiert 1855: „Von Schmock bis zu Oldendorf tritt uns der ganze Journalismus der Gegenwart in einer Reihe von Vertretern aller Gattungen reich und lebendig vor die Augen“.150 Darüber hinaus werden weitere an der Zeitung beteiligte Personen wie das Redaktionsfaktotum Müller oder der Zeitungsbesitzer und „Buchdrucker“ bzw. Verleger Henning vorgeführt151  – allein der Umstand, dass Letzterer zugleich Inhaber der Zeitung sowie einer Druckerei ist, macht auf die auch hierin zeitcharakteristischen Produktions-, Eigentums- und Entstehungsbedingungen des Journalismus um die Jahrhundertmitte aufmerksam.152 Nicht erst aber über Henning werden die ökonomischen Bedingungen, unter denen Journalismus schon damals stattfindet, reflektiert. Hierfür besonders aufschlussreich ist Schmocks Klage über die  – mitunter willkürlichen  – Streichungen seines Chefredakteurs Blumenberg (vgl. GW III, 46, 99). Schmock geht es noch schlimmer als Theodor Fontane, der als junger Journalist im Dienste des Regierungsapparats153 am 30. Oktober 1851, also im unmittelbaren zeitlichen Kontext der Journalisten, an Bernhard von Lepel schreibt: „Ich habe mich heut der Reaction für monatlich 30 Silberlinge verkauft und bin wiederum angestellter Scribilfax (in Versen und Prosa) bei der seligen ‚Deutschen Reform‘, auferstandenen ‚Adler-Zeitung‘. Man kann nun ’mal als anständiger Mensch nicht durchkommen.“154 Wie für Schmock war es also auch bei Fontane nicht unbedingt Charakterlosigkeit, sondern ökonomische Notwendigkeit, im Zweifel ‚in alle Richtungen schreiben‘ zu können155 (II/2; GW III, 48) – nur wird Schmocks Arbeit in Freytags Komödie noch schlechter honoriert, denn er wird

149 Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009, S. 53. 150 N. N.: [Rez.] Freytag, Gustav, die Journalisten, S. 27. – Vgl. in diesem Sinne auch: Teßmer: Der Redakteur in der modernen Literatur, S. 71; Zolling: Gustav Freytag als Journalist, S. 119; Rogge: Das Problem der dramatischen Gestaltung, S. 49; Hamel: Freitag. Die Journalisten, S. 111. 151 Vgl. [Giseke]: Bilder aus der neuesten Literatur, S. 198. 152 Vgl. dazu die Beispiele bei Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2, S. 536–540. 153 Vgl. dazu genauer: Dorothee Krings: Theodor Fontane als Journalist. Selbstverständnis und Werk. Köln 2008, S. 40–48; Helmuth Nürnberger: Theodor Fontane in seiner Zeit. In: Christian Grawe u. ders. (Hg.): Fontane-Handbuch. Tübingen 2000, S. 1–102, hier S. 41–56. 154 Theodor Fontane an Bernhard von Lepel, 30. Oktober 1851. In: ders.: Werke, Schriften und Briefe. Abteilung IV: Briefe. Bd. 1: 1833–1860, hg. von Otto Drude u. Helmuth Nürnberger. München 1976, S. 194. 155 Vgl. Krings: Theodor Fontane als Journalist, S. 217  f.

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pro gedruckter Zeile bezahlt, so dass jede durch Blumenberg gestrichene Zeile negativ zu Buche schlägt: Schmock. Ich schreibe wieder genial, ich setze viel Brillantes hinein in den Artikel; und wenn ich ihn bringe, nimmt er [Blumenberg; P. B.] den Rothstift und streicht alles Gewöhnliche und läßt mir nur die Brillanten stehen. […] Wie kann ich bestehen bei solcher Behandlung? Wie kann ich ihm schreiben lauter Brillantes die Zeile für fünf Pfennige? Dabei kann ich nicht bestehen. (IV/1; GW III, 99)

Die Angabe von fünf Pfennigen pro Zeile war offenbar kein unrealistischer Wert,156 in jedem Fall wird hier mit dem Zeilenhonorar eine Entwicklung des modernen Journalismus aufgegriffen, welche die vielfach prekäre Beschäftigungssituation in diesem Berufsstand entscheidend bedingte.157 Die bemerkenswerte diskursive Überschneidung, die der Text und Fontanes Brief in Bezug auf diesen grundlegenden Aspekt der Journalistenexistenz aufweisen, führt abermals vor Augen, dass sich mit der Komödie wie mit einer Sonde zu den journalistischen und politischen Zuständen um 1850 vordringen lässt.158 Freytag bietet über Schmock einen Blick auf die wirtschaftlichen Schattenseiten des Berufs, die allerdings nicht durch Verklärung, sondern durch Verspottung kompensiert werden (s. Kap. 4.5). Auch auf höherer Ebene führt Freytags Drama zeitdiagnostisch einen Journalismus vor, der an ökonomische Voraussetzungen gebunden ist. Deutlich wird dies in der Szene IV/2, die im Bühnenmanuskript ursprünglich ungleich stärker ausgearbeitet war und in welcher der bisherige Eigentümer Henning die Union für den Judaslohn von „dreißigtausend Taler[n]“ (IV/2; GW III, 108) veräußert  – und zwar mutmaßlich an einen Vertreter der konservativen Partei. Die Journalisten schildern eine in den Nachmärzjahren ‚befreite‘ Presse, die politische Beeinträchtigungen durch den Staat weniger fürchten muss als Angriffe durch die Konkurrenz oder die wirtschaftliche Monopolbildung, mit der die konservative Seite den Gegner dauerhaft mundtot machen und ihrerseits ein zweites Parteiblatt – einen „Verbündeten“, wie es im Text heißt – etablieren möchte.159 Senden gibt dies im Gespräch mit Oldendorf offen zu:

156 Vgl. trotz der historischen Unterschiede das Beispiel bei: Requate: Journalismus als Beruf, S. 218. 157 Vgl. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2, S. 536. 158 Hierin fügt sich die von Freytag in seinen Erinnerungen mitgeteilte Anekdote, der zufolge die Klage Schmocks tatsächlich auf eine wahre Begebenheit zurückgeht, wodurch einmal mehr die von Freytag so bereits angedeutete ‚Lohnschreiberei‘ als zeitcharakteristische Entwicklung des Journalismus bestätigt wird: „Als Alfred Meißner einmal die Unterredung erzählte, welche ein uns wohlbekannter Wiener Redacteur mit seinem Journalisten gehabt und wie er diesen aufgefordert hatte, gewichtig und brillant zu schreiben, kaufte ich ihm das Anrecht auf die hübsche Geschichte um einige Flaschen Rüdesheimer ab, sie ist im letzten Act der Journalisten durch Schmock, mit der Klage des gedrückten Mitarbeiters, fast wortgetreu auf das Theater gekommen“ (GW I, 159). – Vgl. dazu auch: Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 45. 159 „Bolz. […] (liest) ‚Aus der besten Quelle erfahren wir soeben, daß dem Zeitungswesen unserer Provinz eine große Veränderung bevorsteht. – Unsere Gegnerin, die Union, wird aufhören, ihre maß-

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Oldendorf. […] Erlauben Sie mir auf den Kern der Sache zu gehen. Soll mit diesem Wechsel des Eigenthümers auch eine Aenderung in der politischen Haltung des Blattes verbunden sein? Senden.

[…] Allerdings, Herr Professor, das war bei dem Kaufe die Meinung. (IV/2; GW III, 108)

Dass die Zeitung letztlich doch in liberaler Hand bleibt, verhindert am Ende ein konservatives Meinungsmonopol  – gegen dessen Bedrohung Freytag sich auch in der Realität gewehrt hat160 –, und ist in dieser Hinsicht auch als politisches Statement zu lesen. Denn auch der Übernahmeversuch zwecks politischer ‚Umpolung‘ einer Zeitung fand reale Entsprechungen in der zeitgenössischen Wirklichkeit des Grenzboten-Journalisten.161 Die preußische Regierung akzeptierte das freiere Zeitungswesen nach der Revolution zwar widerwillig als soziale Tatsache und Ausdruck einer bürgerlichen Öffentlichkeit,162 gegen die sie nicht mehr konfrontativ politisch kämpfen konnte, versuchte mit einer koordinierten Zeitungspolitik indes, viele Zeitungen nun ökonomisch abhängig und damit gefügig zu machen. Zudem wurden die oppositionellen Blätter trotz der vermeintlichen Pressefreiheit weiterhin zum Teil massiv schikaniert.163 In Freytags Drama nun bleibt die liberale Zeitung von der ‚feindlichen Übernahme‘ verschont, weil sie in die richtigen Hände, nämlich in die der finanzstarken, aber redlichen Adelheid fällt. Dennoch werden in dem Einfluss, den einzelne Personen mit Geld und Ansehen (wie der Junker Senden und Adelheid) potentiell auf die Presse ausüben können, die Gefahren der Kommerzialisierung und Ökonomisierung des Pressewesens gespiegelt. Diese führten laut Habermas vor allem seit der zweiten Jahrhunderthälfte zu einem Wandel: „die Presse, bis dahin Institution der Privatleute als Publikum“ wurde zur „Institution bestimmter Publikumsteilnehmer als Privatleute[] – nämlich zum Einfallstor privilegierter Privatinteressen in die Öffentlichkeit“.164

losen Angriffe gegen alles Hohe und Heilige zu richten.‘ […] ‚Das Eigenthumsrecht an derselben soll in andere Hände übergegangen sein, und es ist sichere Aussicht, daß wir in diesem vielgelesenen Blatt von jetzt ab einen Verbündeten begrüßen werden.‘“ (IV/2; GW III, 106). 160 Vgl. [Gustav Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen. In: Die Grenzboten 22 (1863), I. Semester, II. Band, S. 472–476, hier S. 473. 161 Müller: Die Breslauer politische Presse, S. 47–50; vgl. Barth: Gustav Freytags „Journalisten“, S. 56. 162 Die folgenden Ausführungen des preußischen Ministerpräsidenten Otto Manteuffel bringen dies anschaulich zum Ausdruck: „Wenn jedes Jahrhundert neue geistige Mächte in den Kreis des tra­di­tio­ nel­len Lebens hat treten sehen, die nicht zu vernichten, sondern zu verarbeiten waren, so erkennt unsere Generation die Presse als eine solche Macht. Ihre Bedeutung ist gestiegen mit der erweiterten Teilnahme des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten, eine Teilnahme, welcher vorzüglich die Tagespresse teils ihren Ausdruck, teils ihre Nahrung und Richtung gibt“ (zit. n. Clark: Preußen: Aufstieg und Niedergang, S. 582). 163 Vgl. Clark: Preußen: Aufstieg und Niedergang, S. 581  f. vgl. dazu genauer und grundlegend: Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 70–131. – Vgl. hierzu als zeitgenössische Quelle: [Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen. 164 Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 221  f.

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Trotz aller Intrigen der Konservativen setzt sich auch auf journalistischer Ebene die liberale Seite im Drama durch. Mit Blick aufs ganze 19. Jahrhundert betrachtet, gleicht dies dem realgeschichtlichen Prozess, in dessen Verlauf sich eine liberal dominierte plurale Zeitungsöffentlichkeit gegen die Hindernisse der Regierung entwickeln und behaupten konnte.165 Es entspricht zugleich der Überzeugung Freytags, dass man bei der liberalen Partei und den liberalen Zeitungen „bessere Bildung, Anstand, Takt“ sowie „Verständnis für die politischen Aufgaben des Staates“166 finde, dass sie „die Herzen der Majorität des Volkes“167 besäßen und daher letztlich gegen das unredliche „literarische Geziefer der Feudalen“168 siegen würden. Freytag schreibt dies angesichts der Bemühungen der preußischen Regierung, eine kritische Presse ‚zum Schweigen zu bringen‘ (wie er selbst sagt; s. dazu auch Kap. 4.4),169 wobei die Reaktion von der regierungstreuen Parteipresse tatkräftig unterstützt wurde. Das verweist darauf, dass der Schluss der Komödie zu ihrem Entstehungszeitpunkt ungleich politischer, wegweisender und für die liberale Sache ermutigender zu deuten ist – stand das Jahrzehnt von 1850 bis 1860 doch „im Zeichen der konservativen Presse“170 und sah Freytag die Liberalen und ihre Presseorgane noch 1863 im Kontext des preußischen Verfassungskonflikts gegenüber der feudal-konservativen Seite ganz in der „Defensive“.171 Die vorausgegangenen Ausführungen zu Freytags Komödie als einem Zeitbild des nachmärzlichen Zeitungswesens setzen bisher unausgesprochen eine historische Tatsache voraus, die heute mehr denn je erläuterungsbedürftig ist: Gilt die Unparteilichkeit (oder auch: Überparteilichkeit) heutzutage als journalistisches Ideal,172 wurde sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit ‚Gesinnungslosigkeit‘ gleichgesetzt. Das journalistische Selbstverständnis der Nachmärzjahre war von eindeutiger parteipolitischer Positionierung bestimmt; Parteilichkeit war ein elementarer Eckpfeiler des journalistischen Berufsethos.173 Vollzog sich mit dem Strukturwandel der bürgerlichen Öffentlichkeit ohnehin ein Wandel der Zeitung, der diese vom Publikationsorgan von Nachrichten zum Mittler, Träger und schließlich parteipolitisch eingefärbten Akteur der

165 „Trotz der Illiberalität, mit der die Regierung die liberale Presse jahrelang bekämpfte, konnte ihre Überlegenheit vorerst nicht gebrochen werden“ (Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3, S. 447). Vgl. genauer: S. 445–448; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 722. 166 [Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen, S. 473. 167 [Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen, S. 476. 168 [Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen, S. 473. 169 Vgl. [Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen, S. 474. 170 Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 130. 171 [Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen, S. 476. 172 „Der Journalist agiert nach dem Prinzip der Unparteilichkeit“ (Dagmar Lorenz: Journalismus. Stuttgart 2002, S. 168). 173 Vgl. Wilke: Grundzüge einer Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 294; Requate: Journalismus als Beruf, S. 264–271.

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öffentlichen Meinung machte,174 so stellte die Märzrevolution in diesem Prozess eine entscheidende Entwicklungsetappe dar: „1848 brachte einen kompletten Wechsel. […] Die Presse wurde nicht nur politischer, sie ergriff auch ‚Partei‘.“175 Im Zuge und im Nachgang der Revolution entstand in den deutschen Territorien durch die Politisierung der Öffentlichkeit und den Wegfall der Zensur ein Zeitungsjournalismus für den die parteipolitische Prägung konstitutiv war176 und in dessen Logik sich die Zeitungen nicht mehr bloß als „Katalysatoren des Zeitgesprächs“,177 sondern  – wie ebenfalls in Die Journalisten zu beobachten – als dessen meinungsbestimmende Motoren verstanden (s. auch Kap. 3.1.3). Die Zeitungen waren nicht mehr nur Vermittlungsinstanz, sie waren selbst Partei. Sie ordneten sich bestimmten politischen Richtungen zu, gingen aus diesen hervor und sind vielfach als Ausdrucksorgan eines bestimmten politischen Willens oder zum Zwecke der politischen Auseinandersetzung ins Leben gerufen worden. Mit Kurt Koszyk auf den Punkt gebracht: Das 19. Jahrhundert steht im Zeichen der politischen Parteipresse. Nie zuvor war der Journalist mehr bestrebt gewesen, sich politisch zu engagieren, […]. Die Zeitung war im 19. Jahrhundert das einzige publizistische Medium, mit dem schnell und wiederholt, also intensiv Politik gemacht werden konnte.“178

Ihre Geburtsstunde erlebten zahlreiche Zeitungen im Zuge der Revolution von 1848/49. Hier entwickelt sich auch der parteigebundene Zeitungskampf, der in seiner etwas beruhigten nachmärzlichen Form den zeithistorischen Hintergrund von Freytags Komödie bildet.179 Um welch ein zeitaktuelles Thema es sich dabei handelt, veranschaulicht die Karikatur „Die Zeitungs-Politiker“ von 1849 (Abb. 12)180. 174 Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 217–221; Lucian Hölscher: [Art.] ‚Öffentlichkeit‘. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck. Bd. 4: Mi–Pre. Stuttgart 1978, S. 413–467, hier S. 455. 175 Müller: Die Revolution von 1848/49, S. 73. 176 Vgl. genauer Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 124, 127–159. 177 Schneider: [Art.] ‚Presse, Pressefreiheit, Zensur‘, S. 909. 178 Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 127. 179 Den Einfluss der politischen Zeitungen während der 1848er Revolution, deren Bedeutung für Politisierung sowie den politischen Meinungspluralismus, der durch die Zeitungen entstand und diesen abbildet, reflektiert Freytag 1849 in Die Grenzboten am Beispiel Breslaus (vgl. Gustav Freytag. Die Physiognomie von Breslau [1849]. In: VA II, 332–339, hier 335–337). 180 Lithographie, G. Pönicke. Leipzig, 1849. „Die Zeitungs-Politiker“, Bildunterschriften: „Der Radikale / Republikaner“. „Der Liberale / Constitutioneller“. „Der Conservative / Absolut. Monarchist“: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bilderrevolution0159.jpg zuletzt aufgerufen am 01.  08. 2016. – Ebenfalls zu finden im „Virtuellen Kupferstichkabinett“ der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de?grafik=graph-c-215 (zuletzt aufgerufen am 01. 08. 2016). – Zur Karikatur vgl. genauer: Anne-Katrin Henkel (unter Mitarbeit von Eva Bliembach): Zeit für neue Ideen. Flugschriften, Flugblätter, Bilder und Karikaturen – Propaganda im Spiegel der Revolution von 1848/49. Ausstellung der Staatsbibliothek zu Berlin  – Preußischer Kulturbesitz und der Niedersächsischen

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Abb. 12: Zeitgenössische Karikatur „Die Zeitungs-Politiker“ (1849)

Sie zeigt drei Männer, die bereits aufgrund ihrer Kleidung, Bart- und Haartracht als Repräsentanten der drei politischen Richtungen ‚radikal-demokratisch‘, ‚liberal‘ und ‚konservativ‘ zuzuordnen sind. Diese repräsentieren jene drei Hauptrichtungen, die während der Revolution 1848/49 gegeneinander standen. Auch die abgebildeten Zeitungen entsprechen zeitaktuellen Blättern mit eindeutiger politischer Zuordnung (da­runter einige gerade neu entstandene).181 Die Lithographie setzt erstens die zahlreichen Zeitungsneugründungen, zweitens deren parteipolitische Gebundenheit und drittens die über die Revolution hinaus zu beobachtende Praxis des Zeitungskampfes ins Werk.

Landesbibliothek Hannover. Hameln 1998, S. 110. – Im „Virtuellen Kupferstichkabinett“ der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel wird die Karikatur dagegen auf 1850 datiert. Sie sei in einer Beilage des 1. Jahrgangs der Zeitschrift „Sternwarte. Harmlose Blätter in harmloser Zeit“ bei Gustav Adolf Pönicke gedruckt worden, heißt es dort: – Ein nahezu in allen Details fehlerhafte Bildbeschreibung bietet die Homepage des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig: http://museum.zib.de/sgml_internet/sgml. php?seite=5&fld_0=gr017504 (zuletzt aufgerufen am 01. 08. 2016). 181 Der Konservative hält die „Freimüthige Sachsenzeitung“, „Die Fackel“ sowie die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ in den Händen, der Liberale nur die „Neue Leipziger Zeitung“ und der Radikale die „Dresdner Zeitung“, die Westdeutsche Zeitung“ sowie die „Vaterlandsblätter“. Vgl. dazu auch weiterführend: Henkel: Zeit für neue Ideen, S. 110.

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Während es „der Radicale“ darauf abzusehen scheint, dem Konservativen mit seinen Zeitungen das Haupt zu spalten, nimmt „der Liberale“ eine vermittelnde und befriedende Position ein. Sie stimmt stark mit der Position überein, die Freytag während der Märzrevolution vertreten hat und die Die Grenzboten als Position der „Versöhnung“ zwischen „den Regierungen“ und „der Masse“ mit der Übernahme der Herausgeberschaft durch Freytag und Schmidt ab Juli 1848 bezogen haben:182 eine Position, die – wie ausführlich dargelegt (s. Kap. 3.3) – wiederum für Die Journalisten grundlegend ist. Es ist zudem sehr wahrscheinlich, dass Freytag die Idee zu seiner Komödie aus der zeitgenössischen Anschauung einer sich bekämpften Parteipresse während der Revolutionszeit gewonnen hat.183 Wie oben bereits in anderem Zusammenhang erläutert, wurde in der Rezeption von Freytags Komödie dessen literarhistorische Erneuerungsund Darstellungsleistung u.  a. darin gesehen, die zeitspezifische Rolle der „Zeitung als Kampfmittel“ und der „Presse in ihrer Bedeutung für die Politik“ anschaulich gemacht zu haben.184 Diese in den Revolutionsmonaten kulminierende Entwicklung hatte ihren Ursprung im Jungen Deutschland: „Es ist die Zeit des Ideenkampfes, und Journale sind unsere Festungen“, schrieb etwa Heinrich Heine 1828 an den Redakteur der Allgemeinen Zeitung Gustav Kolb.185 Dieser Prozess, innerhalb und infolge dessen die Zeitung als politisches Kampf- und Wirkungsfeld begriffen wurde, setzte sich bis hinein in die Nachmärzzeit fort. In der Not, sich aus ökonomischen Gründen für das ‚Literarische Cabinett‘ des preußischen Innenministeriums186 – und damit für die Reaktion – verdingen zu müssen, phantasierte z.  B. der junge Theodor Fontane im Brief an Friedrich Witte von Anfang November 1850, ein politischer Zeitungsredakteur zu werden (ähnlich wie Freytag es zwei Jahre zuvor wurde): Denken Sie sich, daß ich jetzt eine wahre Wut habe, Zeitungsredakteur zu werden! Ich schreibe jetzt gar nicht für politische Zeitschriften, aber nicht etwa, weil ich keine Neigung dafür hätte, sondern weil mir für das Übermaß der Neigung der Kampfplatz, der Spielraum fehlt. […] Mit einem Wort, ich will kein Neuigkeitskrämer, sondern ein Mensch von Meinung und Urteil sein. In einem Moment gleich dem jetzigen an der Spitze eines einflußreichen Blattes stehn, heißt an der Spitze einer Armee stehn.187 182 Schmidt/Freitag: Den Lesern der Grenzboten, S. 2, 3. 183 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 1.3. 184 Teßmer: Der Redakteur in der modernen Literatur, S. 71. 185 Zit. n. Helga Brandes: Die Zeitschriften des Jungen Deutschland. Eine Untersuchung zur literarisch-publizistischen Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. Wiesbaden 1991, S. 113. – Auch das Berliner politische Wochenblatt schrieb schon 1835 über das zeitgenössische Zeitungswesen: „Heute ist fast in allen deutschen Blättern, nach dem Vorgange der Engländer und Franzosen, in den mannichfachsten Formen, sey es als Correspondenz, an das Factum, das Raisonnement und die Doctrin geknüpft“ (zit. n. Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 131). 186 Zum ‚Literarischen Kabinett‘ vgl. ausführlich: Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 73–94. 187 Theodor Fontane an Friedrich Witte, 1. November 1850. In: ders.: Werke, Schriften und Briefe. Abteilung IV: Briefe. Bd. 1: 1833–1860, hg. von Otto Drude u. Helmuth Nürnberger. München 1976, S. 133–135, hier S. 134 (Kursivierung im Original).

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

Freytags Lustspiel nun bildet das nachmärzliche Stadium dieser pressegeschichtlichen Denkfigur und Entwicklung historisch aufschlussreich ab. Auch wenn bisher zu wenig beachtet wurde, welch politisch umkämpftes Feld das Zeitungswesen der 1850er Jahre darstellte und wie sehr der ‚Zeitungskrieg‘ trotz vermeintlicher Pressefreiheit über die Revolution hinaus von ‚Zeitungs-Politikern‘ wie Freytag weitergeführt wurde (s. außerdem Kap. 4.4), so muss man für seine Komödie konstatieren: Der Ton ist hier – im Gegensatz zu Freytags publizistischen Abhandlungen – weniger martialisch, die Konflikte weniger grundlegend, die Auseinandersetzung geregelter und von den widerstreitenden Parteizeitungen sind nur die liberale und die konservative Richtungspresse geblieben. Mehr denn je unverzichtbar ist jedoch die „organisierende Kraft der Presse“188 und die dazu gehörende Fähigkeit, durch journalistischen ‚Kampf‘ und journalistisches Kalkül für die eigene Sache zu streiten und den Gegner zu bekriegen bzw. zu besiegen. Dies wird in Die Journalisten vorgeführt und thematisiert. So kann Oberst Berg der liberalen Zeitung Union eigentlich nichts abgewinnen, achtet das gegnerische Blatt aber dafür, dass es im „Alarmschlagen, in der Attake, im Einhauen […] geschickter“ ist als der Coriolan (I/1; GW III, 11). Mit Recht hat bereits Kern darauf hingewiesen, dass sich die Liberalen in der Komödie auch deshalb durchsetzen, weil sie die raffinierteren Journalisten auf ihrer Seite haben.189 Das ‚Einhauen‘ auf den Gegner, das Spiel von Angriff und Gegenangriff weist die Komödie jedenfalls als eine so selbstverständliche wie notwendige journalistische Praxis aus. Der Konflikt im Drama entzündet sich erst über jene von Blumenberg einkalkulierten Angriffe, die Oldendorf in der Union gegen die anonym publizierten Artikel von Oberst Berg im Coriolan veröffentlicht. Auch im weiteren Verlauf des Dramas nehmen die konkurrierenden Zeitungen immer wieder direkt aufeinander Bezug (so ist zunächst eine weitere Polemik gegen die Artikelserie des Obersten in Planung, nach der Wahl blasen die Konservativen zum fortgesetzten Kampf und später verkündet der Coriolan das Ende der Zeitungsfehde aufgrund des Verkaufs der Union). Hierin stimmt die Komödie wiederum mit der realhistorischen journalistischen Praxis überein. Dass die politische Tagespresse sich kritisch oder gar ironisch auf Artikel in anderen Organen bezog, war bereits Anfang der 1850er Jahre keine Seltenheit und bezeugt neben dem kulturhistorisch wertvollen Realismus der Darstellung von Freytags Text zugleich, wie weit die Presse schon zu seinem auf sich selbst verweisenden gesellschaftlichen Teilsystem erwachsen ist.190

188 Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 131. 189 Vgl. Kern: Gustav Freytag, S. 42. 190 Einige aussagekräftige Beispiele für diese Praxis finden sich z.  B. bei Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 134  f. – Wenige Monate vor der Uraufführung von Freytags Komödie, Mitte Juni 1852, nimmt etwa das oppositionelle Preußische Wochenblatt in einem von zahlreichen Artikeln auf die konservative Neue Preußische Zeitung (‚Kreuzzeitung‘) Bezug, die ihrerseits das politische Konkurrenzmedium angriffen hatte. In geradezu Bolz’scher Manier macht das Wochenblatt diesen Zeitungs-

4.3 Die Komödie als Zeitbild des nachmärzlichen Journalismus 

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Im Hinblick auf den nachmärzlichen Journalismus ist ein weiteres Detail des Lustspiels bemerkenswert: Freytags Komödie rückt den Kampf zweier Provinzzeitungen (vgl. dazu z.  B. IV/2; GW III, 106) in den Fokus. Das ist besonders in zweierlei Hinsicht interessant: zum einen, weil die sog. ‚Lokalblätter‘ das Fundament der deutschen Presselandschaft bildeten und nicht nur die charakteristische Ausprägung des deutschen Zeitungswesens darstellten, sondern zugleich Medien mit lokal außergewöhnlicher Reichweite und enormem Einfluss (wie etwa Wolfgang Menzel schon 1839 betonte);191 zum anderen, da gerade der Journalismus auf lokaler Ebene über parteipolitische Zugehörigkeit funktionierte.192 War Parteilichkeit ohnehin ein allgemeines Kennzeichen des zeitgenössischen Journalismus, so waren vor allem auf liberaler Seite Partei und Presse um die Jahrhundertmitte nicht ohne einander zu denken.193 Dass sich im liberalen Milieu eine Zeitung als Organ der Partei begriff, ohne durch äußere Abhängigkeit an diese gebunden zu sein, war durchaus keine Seltenheit.194 Anders als es mitunter in der Forschung heißt,195 verstanden sich auch Die Grenzboten ausdrücklich als eine Zeitschrift im Dienste der liberalen Sache und der liberalen Bewegung.196 Obwohl es dessen bei der eindeutigen Parteinahme des Blattes nicht mehr bedurft hätte, hat Freytag als Herausgeber etwa 1856 explizit ein Bekenntnis in diese Richtung abgelegt, wenn er über den liberalen Historiker Heinrich von Sybel schreibt: „Seine Ansicht über die Politik Frankreichs, Rußlands, Oestreichs und Preußens ist bis ins Detail herab ganz dieselbe, welche Grundlage des Glaubensbekenntnisses für die große Partei geworden ist, der zu dienen auch der Stolz dieses Blattes ist.“197 M. E. ist es daher sowohl vor dem Hintergrund solcher Kontexte als auch in Anbetracht des Textes selbst wenig plausibel, Freytags Die Journalisten als grundsätzliche Kritik an der parteipolitischen Prägung der Presse zu lesen.198 Weder der Komödientext noch z.  B. Freytags Journalismus-Verständnis liefern hierfür Argumente (s. dazu außerdem Kap. 4.4). Freytag hat Politik und Presse seit jeher eng zusammen gedacht. Für ihn war in den Nachmärzjahren selbstverständlich, was Robert Prutz 1845 zur künftigen Aufgabe

kampf ironisch selbst zum Gegenstand der Berichterstattung und zeigt damit, wie sehr die politische Auseinandersetzung bereits zum professionellen Spiel der medialen Plattformen geworden ist: „Wir sind der Kreuzzeitung aufrichtig dankbar für die freundliche Berücksichtigung, welche sie unseren ‚weniggelesenen‘ Artikeln durch theilweisen ‚Nachdruck‘ derselben hat angedeihen lassen und womit sie für die Verbreitung unseres ‚Mißvergnügens‘ sorgt“ (zit. n. ebd., S. 134). 191 Vgl. M[enzel]: Das deutsche Journalwesen, S. 24–25. 192 Vgl. genauer Requate: Journalismus als Beruf, S. 382–391. 193 Vgl. genauer Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 139–159, bes. S. 147. 194 Vgl. genauer Requate: Journalismus als Beruf, S. 299–308. 195 Vgl. etwa Theel: Kommunikationsstörungen, S. 187 mit Bezug auf Jens Peter Eichmeier: Anfänge liberaler Parteibildung (1847 bis 1854). Göttingen 1968, S. 119. 196 Vgl. dazu genauer: Herrmann: Gustav Freytag, S. 175. 197 Gustav Freytag: Heinrich v. Sybel [1856]. In: VA II, 222–247, hier 228. 198 Vgl. etwa Theel: Kommunikationsstörungen, S. 195.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

der Presse erklärte:199 dass diese politisch auf die Öffentlichkeit einwirkt200 und Zeitungen sich grundsätzlich und kontinuierlich parteipolitisch positionieren: „Es gehört zum Wesen […] der Presse, bei jeder Veranlassung ihre Gesinnung kund zu geben“.201 Weiter führt Freytag aus: [D]er Journalist hat nicht nur Thatsachen mitzutheilen, sondern auch das eigene Urtheil beizufügen; […] auch er ist abhängig zunächst von Tendenz und Haltung des Blattes, in welchem er sich äußert, dann von seiner eigenen Stellung zu den Parteien; sein und seiner Zeitung Werth wird darnach geschätzt, ob sie politischen Charakter und Parteitreue habe […].202

Die Grenzboten sind ein charakteristisches Beispiel dafür, dass eine Trennung von kommentierend-meinungsbildendem und berichtendem Journalismus um die Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso wenig üblich war wie die strikte Trennung von politischem und ästhetischem Diskurs. Ihre eigene Parteinahme leiteten Die Grenzboten entschieden aus ihrem Selbstverständnis als Sprachrohr und Interessensvertretung des gebildeten Bürgertums ab. Bei diesem handelte es sich um die zentrale Trägerschicht liberaler Politik. Darunter bildeten die Journalisten nicht nur eine gewichtige Gruppe, sondern ihnen kam zudem eine zentrale Funktion innerhalb einer noch in der Entwicklung begriffenen bürgerlichen Öffentlichkeit zu.203 Einerseits galt es, der revolutionären Stimmenvielfalt im Zeitungswesen mit einer liberalen Meinungsführerschaft zu begegnen sowie die 1848/49 erwachsene politische Willensbildung meinungslenkend zu transformieren, d.  h. den nachmärzlichen Zuständen anzupassen und auf diese umzuwidmen. Anderseits mussten die Errungenschaften der Revolution gegen die neue Reaktion verteidigt und weiterentwickelt werden. Freytags Auffassung vom Journalismus erklärt sich aus dieser Konstellation und dem mit der Revolution offenkundig gewordenen Bedeutungszuwachs der Presse. 4.4 Freytags journalistisches Selbstverständnis

4.4 „Ich bin einer von den Namenlosen, die euch den Wind machen“ – Freytags journalistisches Selbstverständnis Freytag selbst ist im Sommer 1848 unter die Journalisten gegangen, als die Presse endgültig zum zentralen Feld der öffentlichen Debatte und gleichsam zum Motor wie zum

199 „Von dem ganzen Journalismus ist in diesem Augenblick nur derjenige wirklich lebendig und wird von dem Interesse der Lesenden wirklich getragen, der sich näher oder ferner, referirend oder raisonnirend, bekämpfend oder zustimmend, auf die politischen Zustände unserer Gegenwart einläßt“ (Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 15). 200 Vgl. Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 270. 201 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 264. 202 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 271. 203 Vgl. Schäfer: Geschichte des Bürgertums, S. 63  f.

4.4 Freytags journalistisches Selbstverständnis 

 249

Reflexionsmedium des Zeitgeschehens geworden war.204 Robert Prutz nannte den Journalismus in diesem Sinne 1845 ein Organ des „Selbstgespräch[s] […], welches die Zeit über sich selbst führt“.205 Wollten Freytag und Prutz auch wenig miteinander gemein haben, in ihrem Journalismus-Verständnis treffen sie sich in zentralen Punkten und offenbaren in diesen Gemeinsamkeiten, welche Relevanz der Tagesschriftstellerei um 1850 zugesprochen wurde. Für beide etwa ist die ‚öffentliche Meinung‘ die zentrale Bezugsgröße.206 Mit der Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit, in deren Folge das gebildete Bürgertum zur schreibenden Trägerschicht wie zur konsumierenden Leserschicht auf dem Buch- und Zeitschriftenmarkt wurde, bildete sich ein gemeinsames Verständnis von allgemeinen Anliegen heraus, das schließlich als „öffentliche Meinung“ verstanden wurde.207 Diese entwickelte sich im langen 19. Jahrhundert zu einem grundlegenden Begriff und wurde für die mittleren Schichten zur Legitimationsgrundlage ihrer liberalen Forderungen und verfassungsrechtlichen Ansprüche.208 Die politische Presse wurde dabei als entscheidendes Organ der öffentlichen Meinung aufgefasst, das einerseits gesellschaftliche Stimmungen und Bedürfnisse artikuliert, diese andererseits aber ebenso erzeugt, lenkt und beeinflusst.209 Dieser Gedanke bildet das gemeinsame Fundament der links- wie nationalliberalen Köpfe um die Mitte des 19. Jahrhunderts – von Arnold Ruge über Prutz bis hin zu Freytag.210 Man hat ihn in Freytags Komödie entsprechend verwirklicht gesehen. So heißt es gleich nach der Premiere in München über das Stück: „Freytag wollte seinen Stand nicht nur nicht lächerlich machen, er wollte ihn sogar als den Beherrscher der öffentlichen Meinung, den berufseifrigen Wächter irgend einer Ueberzeugung herausstreichen“.211 So wie die Presse für Prutz einerseits Ausdruck und zugleich Quelle der öffentlichen Meinung ist, andererseits aber eine „gesellschaftliche und politische Orientierungsfunktion“ übernimmt,212 sieht Freytag in ihr nicht bloß eine Artikulationsinstanz des allgemeinen Willens, sondern immer auch ein Instrument, Einfluss auf diesen auszuüben. Zunächst einmal geht Freytag jedoch von einem grundsätzlich

204 Vgl. dazu genauer: Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 60–69. 205 Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 7. 206 Zur Rolle der öffentlichen Meinung bei Freytag vgl. auch Herrmann: Gustav Freytag, S. 168–173; Kern: Gustav Freytag, S. 88  f. Für Prutz vgl. Claude D. Conter: Kommunikationsgeschichte als Literaturgeschichte. Robert Eduard Prutz’s „Geschichte des deutschen Journalismus“ (1845) als Vorläufer einer historischen Kommunikationswissenschaft. In: Bernd Blöbaum u. Stefan Neuhaus (Hg.): Literatur und Journalismus. Theorie, Kontexte, Fallstudien. Wiesbaden 2003, S. 137–158, bes. S. 140–144. 207 Vgl. Schneider: [Art.] ‚Presse, Pressefreiheit, Zensur‘, S. 909  f.; Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 60–63. 208 Vgl. Hölscher: [Art.] ‚Öffentlichkeit‘, S. 455. 209 Vgl. Hölscher: [Art.] ‚Öffentlichkeit‘, S. 455. 210 Für Prutz und Ruge vgl. Conter: Kommunikationsgeschichte als Literaturgeschichte, S. 140–142. 211 N. N.: Kgl. Hof- und Nationaltheater, S. 39. 212 Conter: Kommunikationsgeschichte als Literaturgeschichte, S. 410.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

funktionierenden Verhältnis der Beziehungen zwischen Politik, Presse und Volk aus: „[W]as in dem Volke sich lebendig regt, das dringt auch in der Presse, auf der Tribüne in Worten und Beschlüssen hervor“.213 Wie er in seinen Bildern aus der Deutschen Vergangenheit reflektiert, stellt die öffentliche Meinungsbildung für Freytag einen komplexen und genuin modernen Prozess dar,214 dessen Voraussetzungen erst mit einer freien Presseöffentlichkeit überhaupt gegeben sind.215 Letzteres hatte auch Prutz in seiner Geschichte des Journalismus betont.216 Die Presse steht für Freytag als vermittelnde und regulierende Instanz zwischen dem Volk und der Politik.217 Sie soll zum einen im Dienste der Partei auf das Volk wirken und bietet die Plattform, über welche auf die öffentliche Meinung eingewirkt werden kann (auch seitens der Regierung);218 zum anderen kontrollieren die Zeitungen Politik und Parteien im Dienste der Allgemeinheit. Die öffentliche Meinung versteht Freytag in diesem Sinne als Korrektiv, als Gegengewicht zur Regierungsmacht – und damit als Garantie nicht nur für ein gutes Regierungshandeln, sondern für staatlich-gesellschaftlichen Fortschritt. Sich selbst und die liberale Parteipresse sieht Freytag dabei – dem zeittypischen liberal-elitären Blick auf die Zeitungen gemäß219 – an der Spitze der öffentlichen Meinung, die durch ihn und verbündete charakterfeste Geister im Sinne eines ‚ruhigen‘ geschichtlichen Fortschritts gelenkt werden soll. Solchen Überlegungen gleichermaßen als Journalist und als Historiker nachgehend, macht Freytag in seinen Bildern aus der deutschen Vergangenheit das preußi213 Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 264. 214 Vgl. ähnlich auch Theel: Kommunikationsstörungen, S. 188. 215 „Wenn jetzt eine große politische Idee das Volk erfüllt, so vermögen wir genau die Stadien zu bestimmen, welche sie zu durchlaufen hat, bevor sie sich zu einem festen Wollen verdichtet. Die Presse beginnt zu belehren, und zu erwärmen, Gleichgesinnte treten in öffentlichen Versammlungen zusammen, der Vortrag des begeisterten Redners übt seine Wirkung. Allmählich vergrößert sich die Zahl der Theilnehmenden, aus dem Streit verschiedener Ansichten, welche in der Oeffentlichkeit gegen einander kämpfen, entwickelt sich die Erkenntniß dessen, was Not tut, Einsicht in Wege und Mittel, dann der Wille solche Forderung durchzusetzen, Opferlust, Hingabe. Von dieser allmählichen Steigerung der Volksstimmung durch ein öffentliches Leben ist im Jahre 1813 noch kaum eine Spur“ (GW XXI, 399). 216 „Erst die Zeitungen haben das geschaffen, was wir heut zu Tage die Stimme des Publikums, die Macht der öffentlichen Meinung nennen; ja ein Publikum selber ist erst durch die Zeitungen gebildet worden“ (Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 19). 217 Vgl. Freytag: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei, S. 272. 218 Im Zusammenhang mit dem preußischen Verfassungskonflikt etwa sah Freytag rückblickend in der mangelnden ‚Öffentlichkeitsarbeit‘ der Regierung über die Presse einen Grund für die Zuspitzung des Konflikts: „In allen Fällen, wo die Regierung mit höherer Einsicht neu erwachsene Bedürfnisse des Staates durch tief einschneidende Veränderungen befriedigen will, ist vor Gesetzesanträgen die Belehrung der Nation und eine allmähliche Erziehung der öffentlichen Meinung durch die Presse wünschenswerth, eine stille Agitation, bei welcher die Regierenden sich selbst zunächst im Hintergrund halten. Solche Einwirkung auf die öffentliche Meinung braucht freilich Zeit, und Muße war damals nicht vorhanden“ (GW I, 213). 219 Vgl. Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 65–67.

4.4 Freytags journalistisches Selbstverständnis 

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sche Modernisierungsdefizit im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert am Fehlen einer medialen Öffentlichkeit, ja an deren Unterdrückung durch die Regierung, fest: Und doch fehlte noch die große Hilfe, das letzte Richtmaß für Fürsten und Beamte, eine öffentliche Meinung, welche unablässig, ehrlich, männlich das Tun der Regierenden begleitete, ihre Erlasse prüfte, den aufsteigenden Wünschen Ausdruck gab, die Bedürfnisse des Volkes ihnen ans Herz legte. Die Tagespresse war ängstlich bevormundet, gelegentliche Flugschriften verletzten tief und wurden gewaltthätig unterdrückt. (GW XXI, 361  f.)

Rückblickend sah Freytag den entscheidenden Grund dafür, dass es 1848 in den deutschen Territorien zu einer Revolution kam, nicht zuletzt in der „allzulange[n] Bevormundung der Presse und der öffentlichen Meinung“ durch Staat und Aristokratie (GW I, 145). Freytag hat die Zensur verabscheut und sie als ein Mittel der staatlichen Unterdrückung betrachtet, das letztlich genau das beförderte, was es verhindern sollte. In seiner Biographie des Journalisten und liberalen Politikers Karl Mathy – für Freytag „einer von den großen Helden unserer Presse“ (GW XXII, 360) – schreibt er daher über die Zensur, „diese thyrannische, freche und täppische Gouvernante“ (GW XXII, 67): „Sie machte den Schriftsteller zum Rebellen und den Leser hämisch. Kein Feind der Monarchie hätte ein besseres Mittel erdenken können, die Herrscher ihrem Volk widerwärtig zu machen“ (GW XXII, 67). Als Journalist hat Freytag in der Nachmärz-Ära immer wieder gegen die vielen Repressionen, denen sich gerade die liberale Presse in Preußen ausgesetzt sah, Position bezogen und die Regierung ermahnt, die Pressefreiheit einzuhalten, so beispielsweise in dem Grenzboten-Aufsatz „Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen“ aus dem Jahr 1863.220 Dieser aus heutiger Sicht fortschrittlich-liberale Zug von Freytags Schaffen ist bisher zu wenig gewürdigt worden. Der Dichter, den man vereinzelt als „Vorkämpfer“221 oder gar „Vater des modernen Journalismus“222 bezeichnete, hat den zentralen Wert der freien Presse auch in anderen Werken deutlich herausgestellt. Im letzten Band der Ahnen hat der königliche Steuereinnehmer Köhler sein über dem Sofa hängendes Bild von Friedrich dem Großen mit einem Trauerflor versehen, den er erst an dem Tage abnehmen möchte, „an welchem bei uns die große Knechtung und Fälschung der öffentlichen Meinung aufhört, […] die Censur. Erst wenn das gedruckte Wort frei wird, kann unser Volk zu einem gesunden Gedeihen kommen.“ (GW XIII, 267  f.) Die Pressefreiheit als Eckpfeiler liberalistischer Gesellschaftsvorstellungen223 war für Freytag die Voraussetzung für andere bürgerliche Rechte und Freiheiten. In ihr erblickte er die wesentliche Bedingung zur Entwicklung einer modernen bürgerli-

220 Vgl. [Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen, S. 472–476, bes. S. 473–475. 221 Zolling: Gustav Freytag als Journalist, S. 119. 222 Karl Fleischer u. Margret Fleischer-Mucha: Gustav Freytag. Bilder aus seinem Leben, hg. vom Gustav-Freytag-Archiv und -Museum Wangen im Allgäu. Wangen im Allgäu 1970, S. 8. 223 Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 291.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

chen Gesellschaft.224 Auch hierin stimmt er mit Robert Prutz überein, der eine von der Zensur befreite Presse zu jener Macht des Fortschritts erhebt, als welche die Zeitung in Freytags Journalisten ebenso von Bolz und Oldendorf pathetisch entworfen wird (s. Kap. 3.4.1): [N]icht bloß das Signal zum Fortschritt sollen sie geben [die Zeitungen und Journale, P. B.], sondern auch diesen selbst erwartet man von ihr. Die Blätter sollen unmittelbar zu Früchten werden; mit dem Stift des Censors soll auch der Hemmschuh brechen, welcher bisher das Rad unserer Geschichte, die Entwicklung unserer Freiheit aufgehalten und gehindert hat.225

Für Freytag wie für Prutz stellt das Pressewesen die zentrale Triebkraft gesellschaftlicher Modernisierung dar – eine zeitgenössisch weit verbreitete und nicht zuletzt von der Presse selbst propagierte Denkfigur.226 Prutz spricht vom Journalismus als dem „Wortführer der Zeit und ihrer Stimmungen“.227 Und Freytag hat in seinem Nachruf auf den Publizisten und Grenzboten-Mitarbeiter Jacob Kaufmann, den er 1871 in der Zeitschrift Im Neuen Reich veröffentlichte, die Journalisten der Jahrhundertmitte als die eigentlichen nationalen Wegbereiter bezeichnet (– die Nähe zum Oldendorf-Monolog liegt hier auf der Hand): Bis vor kurzem waren die Tagesschriftsteller Deutschlands die wahren Führer der Nation; denn nicht die Könige, nicht die Staatsmänner haben die großen Ideen, auf denen das neue Deutschland ruht, zuerst gefunden und im Kampfe vertreten, sondern Männer aus kleinen Kreisen des Lebens, von denen viele keinen berühmten Namen hinterließen.228

Für Freytag war Jacob Kaufmann einer jener wahrhaft voranschreitenden Männer ohne großen Namen, die deshalb namenlos blieben, weil es nicht um sie persönlich ging, sondern diese Personen ganz in ihrer Rolle als Vertreter und leise Lenker der öffentlichen Meinung aufgingen. Freytag selbst verstand sich Zeit seines Lebens als ein solcher Repräsentant229 und es ist nur als Ausdruck eines maximalen journalisti-

224 Vgl. Herrmann: Gustav Freytag, S.  168; Izabela Surynt u. Marek Zybura: „Mein theurer Theodor“. Gustav Freytags Briefe an Theodor Molinari 1847–1867. In: Rafał Biskup (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Leben – Werk – Grenze. Leipzig 2015, S. 12–38, hier S. 25. 225 Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 16. 226 So schreibt die Deutsche Vierteljahresschrift 1843 in Übereinstimmung mit Freytags Geschichtsbild: „Die Presse […] ist ein Gärungsstoff, der dem geschichtlichen Prozeß der fortwährenden Zersetzung des Alten und der neuen Bildung eine eigentümliche Form gegeben […]. Mit ihr begann ein neuer höherer Kursus menschlicher Bildung, nachdem der letzte seit Erfindung der Schrift in ein paar Jahrtausenden absolviert worden“ (zit. n. Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 95). 227 Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 17. 228 Gustav Freytag: Jacob Kaufmann [1871]. In: GW XVI, 9–20, hier 20. 229 Vgl. in diesem Sinne auch: Gustav Freytag an Heinrich Geffcken; 27. September 1866. In: Carl Hinrichs: Unveröffentlichte Briefe Gustav Freytags an Heinrich Geffcken aus der Zeit der Reichsgründung. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 3 (1954), S. 65–117, hier S. 101.

4.4 Freytags journalistisches Selbstverständnis 

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schen Selbstbewusstseins und Anspruchs auf Meinungsführerschaft zu lesen, wenn er seinen ersten größeren journalistischen Aufsatz für Die Grenzboten „An den Bauer Michael Mroß“ mit den folgenden wenig leisetreterischen Ausführungen beendet: Die Verhältnisse liegen so, daß gegenwärtig durch die öffentliche Meinung Regierungen und Rathgeber fortgerissen werden, wir haben keinen Mann in ganz Deutschland, der stark genug wäre, den Volkswillen aufzuhalten oder aus seiner Richtung zu bringen. Habt ihr je von den mächtigen Stürmen in der östlichen Steppe gehört, Michael Mroß? Diese Stürme sind so stark, daß sie große Schafherden mit ihren Treibern fortreißen in einer Richtung, Meilen weit, Tage lang. Merkt, mein Bursche, ihr und Viele euresgleichen sind die Schafherde, ihr und eure Treiber müßt dahin, wohin der lebhafte Drang unserer öffentlichen Meinung jagt. […] Und wollt ihr wissen, Michael Mroß, wer ich bin? Ich bin einer von den Namenlosen, die euch den Wind machen.230

Darin ‚Wind zu machen‘, Position zu beziehen, Orientierung und Anleitung zu geben, die öffentliche Meinung gleichermaßen zu vertreten und zu prägen, sah Freytag die wesenhaften Aufgaben des Tagesschriftstellers. Vom Journalisten forderte Freytag das Bedürfnis, urteilen und durch das Wort Einfluss ausüben und politisch gestalten zu wollen,231 auch wenn das manchmal bedeutete, „[m]it halbem Verständnis u[nd] fast immer mangelhafter Kenntnis der Tatsachen sein Urteil in die Welt zu schreien“ (so der Dichter Weihnachten 1868 im Brief an Albrecht von Stosch beim Blick auf sein journalistisches Gesamtwerk).232 Er war der Überzeugung, als Journalist entscheidend Einfluss nehmen zu können auf die Geschicke der Nation. Nach Ansicht des Grenz­ boten-Mitarbeiters Julius von Eckardt wollte Freytag u.  a. als Journalist vor allem „auf das Gemüt seines Volkes wirken, zur sittlichen und politischen Bildung desselben beitragen“.233 Oder mit dem späteren Urteil des FAZ-Redakteurs Nikolas Benckiser: „Für Freytag […] wurde der Journalismus das Tor zur aktiven Anteilnahme an der politischen so bewegten Gegenwart“.234 In diesen Kontext gehört etwa Freytags Engagement für den 1853 unter Leitung von Herzog Ernst II. entstandenen ‚Literarisch-Politischen Verein‘ – einem geheimen Zusammenschluss gleichgesinnter liberaler Männer (u.  a. Rudolf Haym, Max Duncker, Johann Gustav Droysen) mit dem Ziel, den nachrevolutionären liberalen Gestaltungswillen zu bündeln, die liberale Partei zu unterstützen und im Sinne der liberalen 230 [Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs, S. 350. 231 So schreibt er im September 1888 an seine dritte Ehefrau: „Ein tüchtiger Journalist muß den schnell aufspringenden Eifer, vielleicht das leidenschaftliche Bedürfniß haben, etwas zu sagen, er muß vor Allem etwas wollen“ (Gustav Freytag an Anna Strakosch, 10. September 1888. In: ders.: Briefe an seine Gattin, von Hermance Strakosch-Freytag und Curt L. Walter-van der Bleek. [Mit einem Nachwort von Arthur Eloesser]. Berlin [1912], S. 257–258, hier S. 257). 232 Gustav Freytag an Albrecht von Stosch, 26. Dezember 1868. In: Gustav Freytags Briefe an Albrecht von Stosch, S. 43–45, hier S. 44. 233 Eckardt: Lebenserinnerungen. Bd. 1, S. 98. 234 Nikolas Benckiser: Gustav Freytag. Im Sinne des deutschen Bürgerhauses. In: ders. (Hg.): Zeitungsschreiber. Politiker, Denker und Dichter schreiben für den Tag. Einundachtzig Profile. [Frankfurt a.  M.] 1966, S. 120–122, hier S. 121.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

Sache Einfluss auf die Politik und die öffentliche Meinung zu nehmen.235 Für Letzteres insbesondere war der Journalist Freytag vorgesehen. Angesichts einer von den Repressalien der Reaktion in ihrer Existenz bedrohten und beinahe ganz zum Schweigen gebrachten Tagespresse, wie Freytag die Zustände des deutschen Pressewesens u.  a. Mitte Mai 1854 im Brief an den Herzog beschreibt,236 sieht der Dichter das Gebot der Zeit und seine eigene Funktion darin, „die öffentliche Meinung auf außerordentlichem Wege so weit aufzuregen, daß sie der regulären Tagespresse zu Hilfe kommt und dieser Luft macht.“237 Freytag geht sogar weiter und meint: „Die Aufgabe dieser Thätigkeit muß sein: die öffentliche Meinung in Preußen zu revolutioniren.“238 Daher müsse man eine Parole „unaufhörlich und in unzähligen Variationen den Preußen 235 Zum Literarisch-Politischen Verein vgl. die unentbehrliche und grundlegende Studie von: Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 132–282 sowie Rainer Hambrecht: Ernst II. und der Literarisch-politische Verein. In: Harald Bachmann (Hg.) im Auftr. der Städte Coburg und Gotha: Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha, 1818–1893, und seine Zeit. Jubiläumsschrift. Augsburg 1993, S. 73–90. – Zu den folgenden Ausführungen um Freytags Mitgliedschaft im Verein, seine Tätigkeit innerhalb desselben, die Autographische Correspondenz sowie seine Verfolgung durch die preußische Regierung vgl. genauer: Herrmann: Gustav Freytag, S. 188–194; Ostwald: Gustav Freytag als Politiker, S. 30–36; Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 124–133; Hahn: Gustav Freytag und der deutsche Liberalismus, S. 53–55; Lindau: Gustav Freytag, S. 147–151; Johannes Schultze: Gustav Freytag und die preußische Polizei. In: Preußische Jahrbücher 183 (1921), S. 331–344. – Die ausführlichste Darstellung der Ereignisse um Freytags drohende Verhaftung bietet: Jürgen W. Schmidt: „Mein Vaterland, an dem ich mit großer Pietät hänge …“ Aus dem politischen Leben Gustav Freytags (1816–1895). In: Jahrbuch für Erfurter Geschichte 1 (2006) S. 50–76, hier S. 55–76. – Den genauesten chronologischen Ablauf und eine hervorragende Kontextualisierung bietet: Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, bes. S. 211–216. – Vgl. auch Freytags eigene Darstellung der hier im Folgenden kurz zusammengefassten Ereignisse in seinen Erinnerungen aus meinem Leben: GW I, 176–178. 236 So schreibt Freytag etwa an den Herzog: „[D]urch die Tagespresse ist vorläufig nicht viel mehr zu erreichen. Die Zeitungen sind fast alle auf dem Punkt angekommen, wo ihre Existenz in Frage gestellt ist, sie sind zur äußersten Vorsicht gezwungen und jede Redaction schreibt mit einem Knebel vor dem Mund. Was Ew. Hoheit Lauheit und Mangel an Verständnis scheint, ist oft nothgedrungene Vorsicht, die Confiscation der nächsten Nummer zu vermeiden. Die Kölnische, die Weser-, die Na­tio­ nalzeitung, selbst die kleinen Grenzboten stehen so, daß bei jedem mißliebigen Artikel Schließung ihrer Pressen oder Einfuhrverbot zu erwarten steht. Ueber den meisten Oppositionsblättern schweben Preßprozesse. Diese Gesetze und ihre Handhabung sind abscheulich. Solche Zustände machen jede Redaction vorsichtig und bedenklich auch da, wo ein Bedenken nicht nöthig wäre. Eine Besserung unserer Zeitungssprache hängt jetzt ab von einer größern Erregtheit der öffentlichen Meinung und von dem Grade des Einflusses, den die allgemeine Stimmung auf die Executivbeamten ausübt. Die Presse hat zum Volk gesprochen, jetzt muß das Volk sie stützen und ihr Muth machen, mehr zu wagen“ (Freytag an Herzog Ernst, 18. Mai 1854. In: BrHerz, 22–26, hier 23). – Auch in einem späteren Brief beklagt Freytag dem Herzog gegenüber die „Corruption der Presse“, die er ganz „unterdrückt“ sieht, sodass eine Aufklärung des Publikums durch die Gebildeten nicht stattfinden könne (Freytag an Herzog Ernst, 11. November 1855. In: BrHerz, 44–47, hier 45  f.). – Vgl. dazu auch Freytags Bemerkungen in seinen Erinnerungen: GW I, 176  f. 237 Freytag an Herzog Ernst, 18. Mai 1854. In: BrHerz, 23. 238 Freytag an Herzog Ernst, 18. Mai 1854. In: BrHerz, 24 (Kursivierung im Original gesperrt).

4.4 Freytags journalistisches Selbstverständnis 

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ins Ohr […] schleudern“: „Wacht auf, ihr Preußen, ihr werdet von Schurken ins Verderben geführt! Schaart euch um den Prinz v. Preußen, nieder mit Manteuffel und der Kreuzzeitungspartei!“239 Ein Mittel, dies sicherzustellen (und die konkrete Tätigkeit, von der Freytag in diesem Brief spricht), bestand für den Autor und Journalisten in der Koordination der Autographischen Correspondenz für deutsche Zeitungen. Dabei handelte es sich um eine Art von Nachrichtenagentur bzw. politisches Zirkular, das – im Winter 1853 beschlossen und Ende April 1854 bereits wieder eingestellt – in Leipzig (bei Hirzel) in einer Auflage von ca. 50 Exemplaren „unter einem Strohmann als Redacteur und Verleger“240 erschien, das auf einem Netzwerk auf Korrespondenten basierte241 und das mit seinen Nachrichten und Informationen unentgeltlich an verschiedene liberale Zeitungsredaktionen und Politiker verschickt wurde. Die Korrespondenz zielte auf „Beeinflussung der Presse“, wie auch Ernst II. in seinen Erinnerungen erklärt: Die in Preußen staatlich schikanierten liberalen Organe sollten zudem mit sonst für sie schwer zugänglichen, zum Teil vertraulichen, politisch brisanten und strategisch wichtigen, kurz: mit „Mitteilungen […] über den wirklichen Gang der öffentlichen Geschäfte“, versorgt werden.242 Und so kam es dann auch: Weil in der Korrespondenz eine Notiz über den Verrat der preußischen Mobilmachungspläne an Russland erschien, wurde im Juni 1854 in Preußen Haftbefehl gegen Freytag erlassen. Um sich der Verfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden zu entziehen, blieb dem Preußen Freytag nur die Möglichkeit, sich unter den Schutz von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha zu begeben und Gothaischer Staatsbürger zu werden. Zu seiner eigenen Sicherheit musste sich der bürgerstolze und adelskritische Dichter zum höfischen Vorleser im Dienste des Herzogs und zum Hofrat ernennen lassen.243 Der Haftbefehl wurde erst im Juli 1855 aufgehoben. Was sich im Nachhinein beinahe wie eine launige Posse ausnimmt, zeigt als zu berücksichtigender Kontext der Komödie zweierlei: Zum einen wird deutlich, in welches politische und für die nur vermeintlich ‚freie‘ liberale Presse bedrückende Klima Freytags Die Journalisten und seine Tätigkeit als politischer Journalist fielen – eine Phase, die Freytag selbst von „trübselige[r] Reaction“ (GW I, 176) bestimmt sah und über die Herzog Ernst II. rückblickend schrieb: 239 Freytag an Herzog Ernst, 18. Mai 1854. In: BrHerz, 25. 240 Freytag an Herzog Ernst, 18. Januar 1854. In: BrHerz, 18. 241 Vgl. dazu: Freytag an Herzog Ernst, 27. Juli 1853. In: BrHerz, 7–8, hier 8. 242 Ernst  II. Herzog von Sachsen-Coburg Gotha: Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Bd. 2. 6. Aufl. Berlin 1889, S. 322. – Siehe dazu auch Freytags Ausführungen in seiner Biographie Karl Mathys: „Der Verein hatte eine Anzahl guter Flugschriften hervorgerufen und vertheilt, auch zu Leipzig eine autographierte Correspondenz gegründet, welche von Berlin mit Kammerberichten und Nachrichten versorgt wurde und den Zweck hatte, der liberalen Presse, deren Berichterstatter durch Polizei und Ministerium von Berlin regelmäßig ausgewiesen wurden, Mittheilungen im Sinne der Landtagsopposition zu machen“ (GW XXII, 378). 243 Vgl. dazu neben den gegebenen Literaturhinweisen auch Freytags Briefe an Herzog Ernst II. aus dieser Zeit, insbesondere: BrHerz, 28–38.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

Es war unendlich charakteristisch für jene Jahre, daß man in Preußen lüstern war, zu den sons­ tigen Thaten der Reaction auch den vormärzlichen Ruhm hinzuzufügen, den damals eben gefeiertsten und beliebtesten Schriftsteller der Nation herauszugreifen und mit einer, wenn auch voraussichtlich nicht allzu schweren, Märtyrerkrone auszuzeichnen.244

Zum anderen wird ersichtlich, dass Freytag auf dem politischen Kampffeld der Presse in den 1850er Jahren als ‚Zeitungs-Politiker‘ (s. Kap. 4.3) agierte, als äußerst regierungskritischer, (partei-)politisch engagierter und mit starken Veränderungsbestrebungen auftretender Akteur, der in der Presse die zentrale Schaltstelle für politische Veränderungen sah.245 Diese beiden grundlegenden Einsichten haben bisher zu wenig Beachtung gefunden und wurden von den Narrativen einer biedermeierlich-verschlafenen Nachmärzperiode in den deutschen Territorien sowie eines mit dem Gang der Dinge einverstandenen Autors verdrängt – im Falle Freytags hat dazu außerdem seine spätere verhältnismäßige Verschwiegenheit über das Ausmaß sowohl seines Engagements als auch seiner oppositionellen Einstellung beigetragen.246 Aufschlussreich für diese geschichtliche Phase und Freytags Presseverständnis in dieser Zeit ist etwa sein 1853 für den Literarisch-Politischen Verein verfasstes ‚Preßmemoire‘, bei dem die verschiedenen Wege „Einfluß auf die öffentliche Meinung“ auszuüben (durch politische Broschüren, Volksbücher und durch die Tagespresse) im Mittelpunkt seiner Überlegungen stehen.247 Hier findet sich nun auch bei Freytag jene für den Journalismus und die ‚Zeitpunkts-Politik‘ des 19. Jahrhunderts charakteristische und in der Rezeption von Die Journalisten ebenso immer wieder bemühte Kriegs- und Kampfmetaphorik (s. Kap. 4.3), die zudem von den Mitstreitern des Grenzboten-Herausgebers – seinen „geistigen Kriegsgefährten“248 – bekräftigt wird.249 Freytag spricht in seinem Memorandum z.  B. von Broschüren als „Angriffs- und Vertheidigungswaffen“, von der Notwendigkeit, jeden Angriff der ‚Gegenpartei‘ mit einer Replik zu beantworten. Er zählt gewissermaßen sogar seine ‚Truppen‘, nämlich jene wichtigen Zeitungen, die auf liberaler Seite „kämpfen“ und drängt darauf, sich mit Verbündeten

244 Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg Gotha: Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Bd. 2, S. 324. 245 Vgl. dazu ebenfalls Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, bes. S. 200–217. – Von Freytags Engagement für die Autographische Correspondenz zeugen überdies seine Briefe an seinen Verleger Hirzel, vgl. BrHi I, 32–52. 246 Vgl. dazu Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, bes. S. 132–134. 247 Gustav Freytag: [Preßmemoire für den Literarisch-Politischen Verein, verfasst Ende Mai/Anfang Juni 1853]. Abgedruckt in: Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 263– 273, hier S. 264. 248 Lindau: Gustav Freytag, S. 139. 249 Vgl. in diesem Sinne etwa das Urteil Herzog Ernsts II., der über Freytags Tätigkeit für den Literarisch-Politischen Verein schreibt: „Freytag konnte sich schon nach Verlauf eines Jahres rühmen, daß er mit manchem gut dotierten staatlichen Preßbureau den heimlichen Kampf mit Glück aufgenommen habe“ (Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg Gotha: Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Bd. 2, S. 321).

4.4 Freytags journalistisches Selbstverständnis 

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unter den „parlamentarischen Kämpfern“ zu verbinden.250 Sich selbst begriff Freytag in seiner journalistischen Rolle also in hohem Maße als parteipolitischer Streiter, als jemand, dem es darum zu tun war, die öffentliche Meinung mit Hilfe der ‚Waffe‘ bzw. ‚Festung‘ Zeitung zu lenken. Damit stellt sich nun allerdings die Frage, wie dieses parteiische ‚Lenken‘ des bürgerlichen Publikums mit dem sonst von Freytag geäußerten Selbstverständnis als Vertreter der öffentlichen Meinung zusammengeht. Zu berücksichtigen ist, dass er darunter nur die Meinung der gebildeten Vertreter der mittleren Schichten verstand251 – eine zeittypische Auffassung.252 Überhaupt war für Freytag die „Identität von öffentlicher Meinung und Gesamtvernunft“,253 d.  h. die Übereinstimmung der Meinung und Interessen der gebildeten mittleren Schichten mit dem geschichtlich vorbestimmten Weg, ein grundlegendes Axiom. Entsprechend haben Freytag und Schmidt bei Übernahme ihrer Herausgeberschaft der Grenzboten ihren Lesern gegenüber betont, die Orientierungs- und Beurteilungsfunktion des Blatts „vom Standpunkt eines gebildeten Bewußtseins“254 vornehmen zu wollen. Freytags journalistisches Selbstverständnis hat daher eine entschieden volkspädagogische Dimension, für die die Perspektive des Bildungsbürgertums (als Trägerschicht der öffentlichen Meinung) konstitutiv ist. Insofern konnte eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung für ihn durchaus in deren Dienste stehen, ohne für ihn und sein Journalistenethos einen Widerspruch zu bedeuten. Wenn man all dies berücksichtigt, verwundert nicht, was eigentlich eine überraschende und wohlgesetzte Pointe darstellt: dass nämlich am Ende von Freytags sechsbändigem Romanzyklus Die Ahnen aus dem jüngsten Nachfahren des Vandalenkönigs Ingo  – aus Victor König  – ein Bildungsbürger, ein liberaler Journalist geworden ist. Als solcher zieht er nicht wie seine Vorfahren in die Schlacht, sondern leistet seinen „Kriegsdienst […] mit der Feder“ – wie es im Text heißt (GW XIII, 308) –, indem er „liberale Artikel“ verfasst (312).255 Am Ende des vorletzten Kapitels der Ahnen kann der Trauerflor vom Bild des alten Fritz entfernt werden und Victor verkünden:

250 Freytag: [Preßmemoire für den Literarisch-Politischen Verein], S. 263, 264, 269, 271  f. 251 Vgl. Herrmann: Gustav Freytag, S. 171. 252 Schon Friedrich von Gagern definierte die ‚öffentliche Meinung‘ 1825 in diesem Sinne wie folgt: „die bei der Mehrzahl der Gebildeten jetzt herrschende Ansicht, das von ihr ausgesprochene Urteil über Gegenstände von allgemeinem Interesse“ (zit. n. Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 64). 253 Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter, S. 170. 254 „Die Grenzboten sollen eine Revue sein, in welcher die wichtigen politischen, socialen und künstlerischen Erscheinungen, welche jetzt wie ein wildes Heer im Sturmwind durch die Tagesblätter fahren, durch wöchentliche Uebersichten zusammengefaßt und vom Standpunkt eines gebildeten Bewußtseins kritisiert werden“ (Schmidt/Freitag: Den Lesern der Grenzboten, S. 2). 255 „‚Damals that es der Säbel, […] jetzt vielleicht das gesprochene und gedruckte Wort‘“ (GW XIII, 302), sekundiert Victors Freund und Kollege Henner und betont damit, wie eine der Gegenwart angemessene Form des ‚Kampfes‘ für die Nation auszusehen hat.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

„[D]ie Presse ist frei und Henner und ich werden Zeitungsschreiber“ (305). Daraufhin beginnt das Schlusskapitel, jene aus den Ereignissen von 1848 hervorgehende Aufnahme der Journalistentätigkeit zu beschreiben, die den Weg Victors vom Schriftsteller zum Journalisten einmal mehr in die Nähe von Freytags eigenem Lebensweg rückt256 und die darüber hinaus an die Zeitungsgründung von Bolz und Oldendorf um 1848/49 erinnert: Nach Victors Genesung warben die neuen Freunde [Henner und Victor; P.B.] den Verleger, welcher in Gemeinschaft mit ihnen eine neue Zeitschrift begründen sollte. Durch gleichgesinnte Mitarbeiter gefördert, gewann ihr Blatt schnell Beistimmung und Leser, und beide fühlten hohe Befriedigung, daß sie das Beste, was sie wußten, mit regelmäßigem Fluß in die Seelen Anderer hinüberleiten konnten. (GW XIII, 306)

Dieser letzte Satz spiegelt noch einmal das idealistisch volkspädagogische Journalismus-Verständnis Freytags – ein Berufsethos, das in Die Journalisten nur in den besagten Monologen von Bolz und Oldendorf vergleichbar stark formuliert wird. Im Unterschied zu den beiden zaghaften Männern der Komödie vergessen Victor und Henner aber über ihrem Engagement für die liberale Sache das private Glück nicht: „Als nach einem Jahre das Blatt der Freunde fest begründet war, gedachten sie auch des eigenen Haushaltes und warben sich die Hausfrauen.“ (306) Das Ende der Ahnen beschließt also ein unter den bestehenden Verhältnissen in jeder Hinsicht (auch bezogen auf die Geschlechterrollen) vom Autor als ‚ideal‘ entworfener Zustand. Dass – in Anlehnung an Karl d’Ester formuliert  – der „Erbstrom der alten Germanen“ schließlich in das Reich der bürgerlich-liberalen Presse mündet,257 stellt in der Logik des Romanzyklus die bis dahin fortschrittlichste und dabei gerade nicht weniger wirksame Existenzform aller Protagonisten dar. Freytag selbst hat in seinen Erinnerungen angedeutet, dass Die Ahnen auch als pressehistorische Entwicklungsgeschichte lesbar sind: Auch die Männer, welche die Kunde von Thaten und Schicksalen im Volke verbreiten und späteren Geschlechtern überliefern, forderten ihr Recht. Im Ingo vertritt sie der Sänger Volkmar. In den späteren Geschichten nach der Reihe der Spielmann, der lateinische Schüler, der Buchhändler, der Pasquillenschreiber, zuletzt der Journalist (GW I, 242).

256 Die Szene im Schlussband der Ahnen gleicht jener Passage aus Freytag wenige Jahre später erschienenen Erinnerungen. Auch darin werden die innere Wandlung und der Entschluss, vom Theaterschriftsteller zum Journalisten zu werden, um so der ‚nationalen Sache zu dienen‘ aus den Ereignissen des Barrikadenkampfes heraus motiviert (vgl. GW I, 145). „In beiden Szenen der Umkehr, der autobiographischen wie der fiktiven, steht das Schreiben fortan im Zeichen eines Sendungsbewusstseins, das die eigene Tätigkeit dem nationalen Kollektiv zugutekommen lassen will“ (Anja Oesterhelt: Heimatkunde. Gustav Freytags „Ahnen“ und die pädagogische Konzeptualisierung von ‚Heimat‘ nach der deutschen Reichsgründung. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 207–232, hier S. 208). 257 Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 149.

4.4 Freytags journalistisches Selbstverständnis 

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Im Verlauf der Fortschrittsgeschichte, die der Roman darstellt, begegnet der Leser demnach verschiedenen proto-journalistischen Sozialfiguren in historisch sich wandelnder Gestalt. Diese übernehmen mit dem modernen Journalismus vergleichbare Funktionen: Sie stellen in ihrer Zeit eine Öffentlichkeit her und für spätere Zeiten den Überlieferungszusammenhang sicher. Sie vermitteln Informationen, stiften Gemeinschaft, beeinflussen die ‚allgemeine Meinung‘ und übernehmen insgesamt innerhalb des Ganzen eine herausgehobene, aber zugleich integrative Rolle.258 Freytag stand mit dieser Betrachtung der Geschichte nicht allein; auch etwa Wilhelm Scherer sah in den Spielleuten und fahrenden Sängern des Mittelalters „wandernde Journalisten“259 und betonte die entwicklungsgeschichtliche Verwandtschaft des modernen Journalismus mit der frühneuzeitlichen Flugschrift oder der mittelalterlichen „Tagespoesie“.260 Der große Stellenwert, den Freytag dem Pressewesen und dessen Vorformen zumisst, begründet ebenso das gleichfalls in diesem Zusammenhang stehende presse­his­to­rische Interesse an proto-journalistischen Erscheinungsformen in den Bildern aus der deutschen Vergangenheit.261 Es zeigt zudem ein weiteres Mal, welche Bedeutung der Journalismus über Die Journalisten hinaus in Freytags Werk einnimmt und auf Basis welcher Geschichtsauffassung seine Idealisierung und Funktionsbestimmung der Presse erfolgt. Freytags Augenmerk auf dem Zeitungswesen äußert sich in den ‚Bildern‘ nicht nur im Darstellungsgegenstand, es ist vielmehr für die Konzeption des Geschichtswerks grundlegend. Denn das Fundament seines populären Geschichtsbuchs bildete vor allem seine voluminöse Sammlung von Flugschriften und Einblattdrucken262 – Quellen, in denen Freytag eine sich anbahnende Bürgerlichkeit erkennen will und die er als Frühformen der modernen Presse begreift. Den modernen Ursprung des für Die Journalisten so wichtigen Zusammenhangs von politischem Parteienkampf und Pressewesen beleuchtet der Kulturhistoriker Freytag etwa mit Blick auf den Dreißigjährigen Krieg. Er betont hier das „wunderbare

258 Vgl. dazu auch: Stefan Keppler-Tasaki: Britische Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Gustav Freytags „Die Ahnen“ und der Maßstab Walter Scotts. In: Mathias Herweg u. ders. (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin/Boston 2012, S. 185–209, hier S. 205  f. 259 Wilhelm Scherer: Geschichte der deutschen Litteratur. 6. Aufl. Berlin 1891, S. 59. 260 Wilhelm Scherer: Geschichte der deutschen Litteratur. 6. Aufl. Berlin 1891, S. 63. Vgl. dazu insgesamt genauer: ebd., S. 59–65. 261 Vgl. Schneider: [Art.] ‚Presse, Pressefreiheit, Zensur‘, S. 906. 262 Der erhaltene Teil der Sammlung befindet sich in den Händen der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main und wurde vollständig digitalisiert: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freytag (zuletzt aufgerufen am 01. 08. 2016). – Zu Freytags Flugschriftensammlung vgl. genauer: Monika Estermann: Gustav Freytag und das Sammeln im Historismus. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 67 (2012), S.  169–181; Peter Robert Franke: Die Flugschriftensammlung Gustav Freytags. Würzburg 1959; Paul Hohenemser: Flugschriften-Sammlung Gustav Freytag. Hildesheim 1966 (Reprint der Ausgabe Frankfurt a.  M. 1925); Annemarie Brückner: Volkstümliche Erzählstoffe auf Einblattdrucken der Gustav-Freytag-Sammlung. In: Zeitschrift für Volkskunde 57 (1961), S. 230–238.

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

Geschick“, „daß den Deutschen der Krieg in denselben Jahren aufbrannte, in welchen die Theilnahme des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten so weit entwickelt war, daß die ersten Zeitungen entstehen konnten“ (GW XX, 145). Die „öffentliche Meinung“, so Freytag weiter, habe damals ihren ersten politischen Oppositionskampf in der Presse“ geführt (145). Freytag erkennt darin bereits Vorformen einer sich und ihre Interessen artikulierenden bürgerlichen Öffentlichkeit. Die für ihn so zentrale „öffentliche Meinung“ jener Jahre ist seiner Ansicht nach in der „Flugschriftenliteratur“ dokumentiert.263 Interessant hieran ist einerseits, dass es sich bei Freytags Pressegeschichte keinesfalls um ein abwegiges Konstrukt handelt, sondern sich im Gegenteil die Rede von einer „präjournalistischen Periode“ für die frühneuzeitlichen Flugschriften bis heute in der Forschung gehalten hat.264 Aufschlussreich ist andererseits, dass Freytags Ansatz, den Journalismus historisch zurückzuverfolgen, an vergleichbare zeitgenössische Interessen und Denkfiguren anknüpft und sich darin wiederum als zeitrepräsentativ erweist: Robert Prutz versuchte sich bereits 1845 an einer (dann nicht abgeschlossenen) Geschichte des deutschen Journalismus. So wie Freytag seine Bilder aus der deutschen Vergangenheit als Geschichte der mittleren Schichten und der langsam sich entwickelnden bürgerlichen Öffentlichkeit verstand, ging es Prutz in seiner Darstellung darum, die Geschichte des Journalismus zugleich als „Geschichte des deutschen Publikums“ und „Geschichte der öffentlichen Meinung in Deutschland“ zu schreiben.265 Nicht anders als Freytag, der sein alltagsgeschichtlich akzentuiertes Geschichtswerk als Gegenentwurf zur historistischen Geschichtsschreibung ‚großer Männer‘ konzipierte, beabsichtigte Prutz, eine Studie zu verfassen, die nicht bloß „von Gipfel zu Gipfel geht: sondern auch die unscheinbaren Thäler […] durchwandert“.266 Prutz sprach – genau wie Freytag – gerade den journalistischen bzw. ‚prä-journalistischen‘ Quellen einen besonderen historischen Quellenwert zu und meinte, diesen Dokumenten „die öffentliche Meinung vergangener Jahrhunderte“ ablesen zu können.267 Die „Tagesschriften“ sind für Prutz demnach „die Gradmesser der öffentlichen Bildung, die Quellen, aus denen wir das literarische, das ästhetische Bewusstsein der Zeit erkennen und das eigentliche Werden und Weben der Literatur selbst begreifen“.268

263 „Die öffentliche Meinung jener Jahre wird vorzugsweise erkannt aus der Flugschriftenliteratur“ (GW XX, 145). 264 Vgl. z.  B. Siegfried Weischenberg: Journalistik. Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation. Bd. 2: Medientechnik, Medienfunktionen, Medienakteure. Wiesbaden 2002, S. 382. 265 Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 19. 266 Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 4. 267 Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 8. – Vgl. dazu auch: Conter: Kommunikationsgeschichte als Literaturgeschichte, S. 146. 268 Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 354.

4.5 Schmock 

 261

Geht man mit Prutz und Freytag nun also davon aus, dass zeitungsgeschichtliche Quellen einen privilegierten zeithistorischen Einblick geben und die Presse ein zentraler historischer Akteur nicht der Regierungen, vielmehr des Volkes ist,269 wird umgekehrt erst nachvollziehbar, warum Freytag bei den zeitgenössischen Forderungen nach einer Komödie mit einem zeitaktuellen und zeitpolitisch relevanten bürgerlichen Wirklichkeitsausschnitt (s. Kap. 1.2) auf den Journalismus als Gegenstand des Dramas gekommen ist. Von diesen Kontexten, Freytags Kampf für die Pressefreiheit und seiner ausgesprochenen Idealisierung des Journalismus hat sich im Zusammenhang mit seinem Lustspiel aber kaum etwas der Nachwelt übermittelt. Der Text ist stattdessen – einer sehr oberflächlichen Lesart gemäß – vielfach als humoristische Darstellung oder Verspottung eines gesinnungslosen Zeitungswesens in Erinnerung geblieben und wird heute, sofern er überhaupt noch beachtet wird, fast ausschließlich in dieser Hinsicht eingeordnet (s. Kap. 2.2). Das hat vor allem mit jener Nebenfigur zu tun, deren Name erst infolge von Freytags Komödie sprichwörtlich geworden ist: ‚Schmock‘.270 Die Figur hat darüber hinaus – in der frühen Rezeptionsgeschichte mehr als in der jüngeren Forschungsgeschichte – die Frage nach dem Antisemitismus des Lustspiels aufgeworfen. Dabei ist m.  E. nicht berücksichtigt worden, dass nicht nur bezogen auf die Idealisierung des Bürgertums, die zeitpolitische ‚Tendenz‘, das spezifisch nachmärzliche Sinnangebot oder die Poesie der Arbeit, sondern auch in Bezug auf diesen kontroversen Punkt Freytags vergleichsweise wenig beachtete Komödie Die Journalisten seinem Roman Soll und Haben vorausgeht. Vieles von dem, was ich im Folgenden zur Darstellung der Judenfiguren im Lustspiel und zu den dazugehörigen Kontexten darlege, ist daher auch für Soll und Haben relevant und z.  T. auf den Roman übertragbar.

4.5 Schmock Unabhängig von der Frage, was im Text der Fall ist und welche Deutungen sowie Wirkungen der Autor beabsichtigt oder auch nicht beabsichtigt hat, muss man zunächst eindeutig feststellen, dass Freytag mit ‚Schmock‘ eine Figur erschaffen hat, deren Name sich in der Folge des Lustspiels als antisemitisches Klischee etabliert hat und

269 Vgl. auch Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus, S. 7  f. 270 Für eine Herkunfts- und Begriffsgeschichte des Ausdrucks vgl. Christoph Gutknecht: Journalisten und andere Schmocks. In: ders.: Gauner, Grosskotz, kesse Lola. Deutsch-jiddische Wortgeschichten. Berlin 2006, S. 97–99, 212–214; David L. Gold: Studies in Etymology and Etiology (with Emphasis on Germanic, Jewish, Romance, and Slavic Languages). San Vicente del Raspeig 2009, S.  622–625.  – Vgl. außerdem: https://de.wiktionary.org/wiki/Schmock sowie: https://de.wiktionary.org/wiki/ Diskussion:Schmock (zuletzt aufgerufen am 01. 08. 2016).

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 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

als „Verlachfigur des Judentums“271 redensartlich wurde. Hatte bereits Egon Friedell in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit bemerkt, dass unter Freytags JournalistenFiguren Bolz und Schmock „sogar zu Gattungsbegriffen geworden sind“,272 so gilt die Bezeichnung ‚Schmock‘ dem Duden unter Rückverweis auf Freytags Komödie bis heute als Synonym für einen ‚gesinnungslosen Journalisten‘.273 In dieser Hinsicht als sprichwörtlich gewordener Typus in der Rede und Literatur über Journalisten popularisiert,274 wird die Figur im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert – von Fritz Mauthner, Arthur Schnitzler und Karl Kraus über Sigmund Freud, Carl von Ossietzky und Siegfried Jacobsohns Weltbühne bis hin zu Ernst Bloch – immer wieder literarisch oder publizistisch aufgegriffen.275 Der Ausdruck ‚Schmock‘, dessen etymologische Entwicklung zunächst vom altpolnischen ‚smok‘ (Schlange) über die ostjiddische Vulgärbezeichnung ‚shmok‘ (‚Schwanz‘, Penis) verlief,276 fand bereits 1851, also vor Erscheinen der Journalisten, in dem Grenzboten-Aufsatz „Das Ghetto von Prag“ Verwendung. Der Text beschreibt das Prager Judenghetto, darunter ein für das Stadtviertel typisches Wohnhaus: In den Dachkammern thun sich die Kinder des Bettlers bei den starkgewürzten Schüsseln gütlich, welche die Wohltätigkeit der Frommen überreichlich geliefert hat; im dritten Stock erzählt der Trödler seiner Familie nach Tische von den lustigen alten Zeiten, wo es lebensgefährlich war, am Frohnleichnamsfest oder am Charfreitag das Weichbild des Ghetto zu verlassen, wo aber auch 271 Hans-Peter Bayerdörfer u. Jens Malte Fischer: Vorwort. In: dies. (Hg.) unter Mitarbeit von Frank Halbach: Judenrollen. Darstellungsformen im europäischen Theater von der Restauration bis zur Zwischenkriegszeit. Tübingen 2008, S. 1–19, hier S. 16. 272 Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Frankfurt a.  M. 2009, S. 812. – Auch Teßmer spricht 1920/21 von „der klassisch gewordenen Figur des Schmock“ (Teßmer: Der Redakteur in der modernen Literatur, S. 71). Und noch in Reclams Schauspielführer heißt es über Schmock: „der als Typus berühmt gewordene unterdrückte Zeitungsschreiber“. (Nedden/Ruppel: Reclams Schauspielführer, S. 481). 273 [Art.]: ‚Schmock, der‘. In: Duden. http://www.duden.de/rechtschreibung/Schmock (zuletzt aufgerufen am 01. 08. 2016). – Auch von Studnitz kommt in ihrer Studie zur Kritik des Journalisten zu dem Ergebnis, dass ‚Schmock‘ nach Freytags Lustspiel zum „Synonym mieser Journalisten schlechthin“ wurde (Cecilia von Studnitz: Kritik des Journalisten. Ein Berufsbild in Fiktion und Realität. München 1983, S.  91).  – Vgl. dazu ebenfalls: Schmidt: Die Journalisten, S.  193; Jutta Jacobi: Journalisten im literarischen Text. Studien zum Werk von Karl Kraus, Egon Erwin Kisch und Franz Werfel. Frankfurt a.  M. 1989, S. 41. 274 Vgl. Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 7; Elger Blühm u. Rolf Engelsing: Schmock. Gustav Freytag (1854). In: dies. (Hg.): Die Zeitung. Deutsche Urteile und Dokumente von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bremen 1967, S. 185  f. 275 Vgl. dazu genauer: Gutknecht: Journalisten und andere Schmocks, S. 98; Johanna Bertsch: Wider die Journaille. Aspekte der Verbindung von Sprach- und Pressekritik in der deutschsprachigen Literatur seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.  M. u.  a. 2000, S. 34; Jacobi: Journalisten im literarischen Text, S. 41  f., 47; Sigurd Paul Schleichl: Juden, die keine Juden sind. Die Figuren in Schnitzlers „Fink und Fliederbusch“. In: Mark H. Gelber, Hans Otto Horch u. ders. (Hg.): Von Franzos zu Canetti. Jüdische Autoren aus Österreich. Neue Studien. Tübingen 1996, S. 225–238, hier S. 229  f. 276 Gold: Studies in Etymology and Etiology, S. 622  f. – Vgl. anders dagegen die Angabe im Duden, wonach die Herkunft des Ausdrucks „ungeklärt“ sei: [Art.]: ‚Schmock, der‘. In: Duden.

4.5 Schmock 

 263

noch „Löbele Narr“ auf den Hochzeiten Gesichter schnitt, auf Judendeutsch Leberreime machte und dazu Synagogenweisen auf der Geige spielte; im ersten Stock endlich strahlen die Gemächer von modischem Glanz und duften von Pariser Parfums, gebildete Herren und Fräulein führen in allermodernsten Tableaus, die ein geistreicher „Schmock“ zur Verspottung der eigenen Secte ersonnen hat, die Geschichte von „Ritter und Dame Schöckeline“ auf.277

Diesen namentlich nicht gekennzeichneten Grenzboten-Aufsatz hat die Forschung bisher Gustav Freytag zugeordnet278 und als Beleg für dessen stereotypisierte, antisemitische oder ambivalente Judendarstellung gedeutet.279 Beides – sowohl die Zuordnung als auch die Interpretation – ist so nicht haltbar. Denn der Text stammt gar nicht oder wenigstens ganz überwiegend nicht aus Freytags Feder. Das angeführte Zitat sowie fast nahezu der gesamte Rest des Grenzboten-Artikels finden sich identisch in dem Buch Bilder aus Oestreich, das 1851 anonym (nur mit dem Zusatz „von einem deutschen Reisenden“) publiziert wurde.280 Wie u.  a. Freytag in seinem Nachruf auf den Schriftsteller und Journalisten bestätigt, handelt es sich bei dem Verfasser des Buches um den zeitweiligen Grenzboten-Mitarbeiter Jacob Kaufmann (1814–1871):281 „Damals schrieb er seine ‚Bilder aus Oestreich‘, welche zuerst als Aufsätze in den Grenzboten erschienen, 1850 ohne seinen Namen als Buch herausgegeben wurden“.282 Nun hat Freytag den Text „Das Ghetto von Prag“ zwar selbst in das Verzeichnis seiner in Die Grenzboten sowie Im neuen Reich veröffentlichten Aufsätze aufgenommen; in der Liste, die sich in Freytags Nachlass entdecken lässt283 (und die 1903

277 [Jacob Kaufmann u. Gustav Freytag?]: Das Ghetto von Prag. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 57–63, hier S. 58. 278 So hat z.  B. Wilhelm Rudeck den Text in seine mehrbändige Freytag-Anthologie aufgenommen: Wilhelm Rudeck (Hg.): Erzählungen und Geschichten aus schwerer Zeit. Bilder und Dichtungen von Gustav Freytag (Gustav Freytag-Auswahl in sechs Bänden. [Bd. 1]). Leipzig [1911], S. 258–269. 279 Vgl. Martin Gubser: Literarischer Antisemitismus. Untersuchungen zu Gustav Freytag und anderen bürgerlichen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Göttingen 1998, S. 176  f., 281; Andrea Hopp: Gustav Freytag und die Juden. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 233–247, hier S. 246. Anm. 56. 280 [Jacob Kaufmann]: Bilder aus Oestreich (1848 bis 1849) von einem deutschen Reisenden. Leipzig 1851. – Zum angeführten Zitat siehe S. 22  f.; für die Passagen des Grenzboten-Aufsatzes siehe S. 20– 36. – Darauf, dass sich der Ausdruck „Schmock“ bereits bei Kaufmann findet, hat erstmals Arnold 1906 hingewiesen: vgl. Arnold: Wortgeschichtliche Zeugnisse, S. 18. 281 Zu Kaufmann vgl. genauer: Margarita Pazi: Jacob Kaufmann. Böhmischer Jude und deutscher Patriot. In: Bulletin des Leo-Baeck-Instituts 73 (1986), S. 25–67 u. 74 (1986), S. 17–49. – Zu Freytag und Kaufmann vgl. zudem: Lindau: Gustav Freytag, S. 141–144. – Vgl. außerdem Freytags Nachruf auf Kaufmann (Freytag: Jacob Kaufmann [GW XVI, 9–20]) sowie den Nekrolog Julian Schmidts: Julian Schmidt: Jacob Kaufmann. In: ders.: Neue Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit (Bd. 3 der Reihe). Leipzig 1873, S. 397–402. 282 Freytag: Jacob Kaufmann, S. 14. 283 Das Verzeichnis findet sich im Goether-Schiller-Archiv Weimar: Gustav Freytag: Verzeichnis der veröffentlichten Aufsätze Freytags in: „Die Grenzboten“, Leipzig, 1848–70 und „Im neuen Reich“, Leipzig, 1871–80. In: GSA 19/155.

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von Ernst Elster mitgeteilt und 1924 von Adolf Thiele überarbeitet veröffentlicht wurde),284 ist der Text allerdings mit dem Kürzel „Zu“ versehen.285 Freytag hat damit einige – nicht alle – Aufsätze markiert, zu denen er lediglich Zusätze beigetragen, die er manchmal sogar bloß geringfügig überarbeitet oder redigiert hat.286 Im Falle des Artikels „Das Ghetto von Prag“ zeigt ein Vergleich mit Kaufmanns Bildern aus Oestreich, dass sich mögliche Zusätze Freytags – sofern hier überhaupt von solchen auszugehen ist – höchstens auf die Einleitung287 oder den Schlusssatz288 beschränken. Der Text muss folglich der Autorschaft Jacob Kaufmanns zugeordnet werden. Damit erweist sich nicht nur Gubsers Versuch als haltlos, den Aufsatz „Das Ghetto von Prag“ im Sinne einer klischeehaften, verspottenden und nationalistischen Judendarstellung Freytags zu interpretieren, die dem Antisemitismus der Journalisten und Soll und Habens vorausgehe.289 Vor allem für die immer wieder gestellte Frage nach der Etymologie des Ausdrucks ‚Schmock‘, insbesondere nach dessen Übertragung vom Jiddischen ins Deutsche,290 ergeben sich hieraus entscheidende Schlussfolge284 Vgl. VA II, 422–454; Adolf Thiele: Gustav Freytag, der Grenzbotenjournalist. Phil. Diss. Münster [1924], S. 216–260. 285 Siehe: Freytag: Verzeichnis der veröffentlichten Aufsätze (GSA 19/155), [S. 20]. – Vgl. außerdem: VA II, 428; Thiele: Gustav Freytag, der Grenzbotenjournalist, S. 226. 286 Vgl. dazu genauer: Thiele: Gustav Freytag, der Grenzbotenjournalist, S. 255  f. 287 „Mancher tüchtige Gesell ist aus der Judenstadt Prag’s in die weite Welt hinausgezogen, und manche rührende und heitre Geschichte aus dem wunderlichen, unheimlichen Viertel hat die deutschen Leser unterhalten. Seit Leopold Kompert seine Novellen ‚Aus dem Ghetto‘ und ‚Böhmische Juden‘ schrieb, hat die Prager Judenstadt eine gewisse poetische Berühmtheit bekommen; und wenn schon früher der Reisende mit einem leisen Schauer den uralten Judenkirchhof zu besichtigen eilte, so geht er jetzt durch die engen geschwärzten Gassen nicht ohne jene Befriedigung, welche der Anblick poetisch verarbeiteter Oertlichkeiten zu gewähren pflegt. Deshalb mögen auch Ihre Leser nicht verschmähen, mich auf einem Gange nach der Judenstadt von Prag zu begleiten“ ([Kaufmann/Freytag?]: Das Ghetto von Prag, S. 57). – Der durch diese einleitenden Sätze und die Schlussformulierung geschaffene Rahmen könnten ebenso auf deren Ergänzung durch Freytag hindeuten wie der Hinweis auf Leopold Kompert, über den Freytag bereits 1849 in Die Grenzboten geschrieben hat (Gustav Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert. In: VA I 97–106). Der letzte Satz der einleitenden Passage – mit der Anrede „Ihre Leser“ und der Selbsteinführung des Erzählers – spricht hier allerdings dafür, dass Kaufmann selbst diese Einleitung für den Abdruck des Textes in Die Grenzboten verfasst hat und Freytags Mitarbeit sich auf das Lektorat beschränkte. Gleichwohl ist anzumerken, dass sich solche Leseransprachen oder die Rede von ‚Ihrem Blatt‘ auch in Texten finden, die augenscheinlich vollständig aus Freytags Feder stammen (vgl. z.  B. VA II, 340). 288 „Wir aber treten aus dem Kreise der Verstoßenen zurück ins das Leben unseres Geschlechts“ ([Kaufmann/Freytag?]: Das Ghetto von Prag, S. 63). – Aufschlussreich an diesem letzten Satz ist, dass er die Juden einerseits als ‚Verstoßene‘ markiert und anerkennt, andererseits aber gleichzeitig jene Differenz bestätigt, die er vermeintlich beklagt. Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass dem Verfasser bzw. den Verfassern auch darum geht, die zeitliche Differenz zwischen dem beschriebenen Geschehen und der Jetztzeit hervorzuheben. Denn Kaufmanns Bilder aus Oestreich handeln von der Revolutionszeit. 289 Vgl. Gubser: Literarischer Antisemitismus, S. 176  f., 281. 290 Vgl. Gold: Studies in Etymology and Etiology, S. 622  f.

4.5 Schmock 

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rungen, die auch im Hinblick auf die Figur aus Freytags Journalisten ausschlaggebend sind. Denn diese Übertragung des Ausdrucks ins Deutsche nahm entgegen bisheriger Annahmen nicht Freytag, sondern der böhmische Jude Jacob Kaufmann vor – und zwar bereits etwa ein Jahr vor Erscheinen von Freytags Komödie. Freytag wurde wahrscheinlich dadurch erst mit dem Wort bekannt und zum Figurennamen ‚Schmock‘ angeregt.291 Berücksichtigt man nun, welche Bedeutung Kaufmann der Bezeichnung ‚Schmock‘ in seinen Bildern aus Oestreich zuschreibt, wird überdies ersichtlich, dass Freytag bei der Namenswahl für seine Figur nicht von einem vulgär-beleidigenden jiddischen Schimpfwort oder der als Figurennamen ebenso zu verstehenden polnischen Tierbezeichnung ausging. Der Ausdruck ‚Schmock‘ wird von Kaufmann nicht bloß an der oben zitierten Stelle benutzt, sondern schon vorher im Buch durch die Person Elles’ eingeführt. Über diesen heißt es: Einer von den regsamen, aber phantastischen Köpfen, die in der durch Religion, Sprache und Sitte dreifach von der Außenwelt abgesonderten Ghettosphäre zu Dutzenden wachsen. Man hat für die eigenthümliche Verschrobenheit dieser Ghettokinder den lokalen Spitznamen „Schmöckerei“ erfunden. Solch ein geistreicher „Schmock“ war Elles. Durch die Taufe hatte er sich seinen orthodoxen Angehörigen entfremdet und suchte dafür Ersatz unter den „Schmöcken“, an denen es auch außerhalb der Judenstadt in Prag nie gefehlt hat.292

Der ‚Schmock‘ Elles steht für einen der jüdischen Religion und des Ghettos, in dem er großgeworden ist, entfremdeten Menschen, für einen Menschen mit jüdischen Wurzeln, der sich um Assimilation bemüht, aber von der Umwelt dennoch nicht vollständig integriert und als gleichwertig akzeptiert wird. Er steht gewissermaßen zwischen dem orthodoxen Milieu seiner Eltern, dem er lange nur mit Spott begegnen konnte, und einer sich von ihm abschottenden Mehrheitsgesellschaft, weshalb er sich in die Ferne träumt und radikalen politischen Ideen anheimgefallen ist.293 Die Praxis der gezielten Ausgrenzung und Ghettoisierung von Juden hat Freytag als Zeichen von „Mißtrauen und Haß“ 1849 in seinem Aufsatz über Leopold Kompert kritisiert und dabei die schwierige Ausgangslage Komperts als „Kind des Ghetto“ reflektiert.294 Der ‚Schmock‘, den Freytag bei Kaufmann kennengelernt und von ihm übernommen hat, stellt daher zunächst eine weder per se bzw. primär negative noch lächerliche Gestalt dar. Es handelt sich allem anderen voran um eine moderne Sozialfigur mit jüdischen Wurzeln, dem – wie auch die Zusätze im Grenzboten-Artikel veranschaulichen – gleichermaßen mit Mitleid sowie mit einem Gefühl der Differenz begegnet wird und die als zeitgenössisches Phänomen in ihrer ganzen Ambivalenz das poetische Darstellungsinteresse auf sich zieht. 291 Vgl. Benckiser: Gustav Freytag, S. 122. 292 [Kaufmann]: Bilder aus Oestreich, S. 15  f. 293 Vgl. [Kaufmann]: Bilder aus Oestreich, S. 16–20, 36  f. 294 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 102.

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Wie noch gezeigt werden soll, ist diese Ambivalenz gleichermaßen in der Figur von Freytags Komödie angelegt und spiegelt sich darüber hinaus in den Rezeptionszeugnissen zu diesem Charakter – selbst in der Allgemeinen Zeitung des Judentums wird die Figur unterschiedlich bewertet.295 Der ‚Schmock‘ der Journalisten trägt Züge der von Jacob Kaufmann mit diesem Neologismus bezeichneten Sozialfigur. Infolge von Freytags Drama hat sich mit dem Ausdruck ‚Schmock‘ jedoch ausschließlich das Bild vom ‚gesinnungslosen Zeitungsschreiber‘ untrennbar verbunden. Dieser Vorwurf geht zurück auf das Gespräch zwischen Bolz und Schmock in der Festszene  II/2, in dem Schmock den Redakteur der Liberalen um eine Anstellung bittet und den Einwand Bolz’, dass man als Journalist unmöglich die Partei wechseln könnte, mit den berühmt gewordenen Sätzen beantwortet: Schmock.  Wozu machen Sie sich Sorgen um das? Ich habe bei dem Blumenberg gelernt, in allen Richtungen zu schreiben. Ich habe geschrieben links, und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung. (II/2; GW III, 47  f.)

Von Schmocks Aussagen werden im Laufe der Rezeptionsgeschichte fast immer nur die beiden letzten Sätze isoliert zitiert, um damit den Opportunismus der Figur zu belegen. Sie werden in der entsprechenden Szene auch von Bolz in dessen direkter Antwort als charakterlos gebrandmarkt, da für das journalistische Berufsethos der Zeit, wie der liberale Bolz es repräsentiert, Parteilichkeit sowie ein gewisser Idealismus konstitutiv waren – und in der Logik des Stücks auch grundlegend für den Journalismus bleiben sollten. Es ist aus dieser Perspektive nur konsequent, dass Schmock, der diese Merkmale nicht mitbringt,296 am Ende aus dem professionellen Journalismus ausscheidet. Nicht umsonst gilt er zeitgenössisch in breiterer Semantik als Verkörperung der mit dem expandierenden Zeitungswesen einhergehenden ‚verfehlten Journalistenexistenz‘ (ebenso in ökonomischer Hinsicht).297 Berücksichtigt man jedoch den Anfang von Schmocks Monolog, so erscheint seine Fähigkeit, sich journalistisch verschiedenen Parteien anzupassen, nicht primär als Eigenschaft seines Charakters, sondern als journalistische Technik, die er bei Blumenberg erlernt hat.298 Im Gegensatz zum diabolischen Blumenberg – dem „schlaueste[n] Teufel, der je aus einem Tintenfaß gekrochen ist“ (I/1; GW III, 10) – wird Schmock keinesfalls durchweg negativ dargestellt. Bei der Fixierung auf Schmock ist meistens übersehen worden, dass ausgerechnet die durch und durch bösartige

295 Vgl. dazu genauer Horch: Auf der Suche nach der jüdischen Erzählliteratur, S. 55–58. 296 Schmock ist in dieser Hinsicht – genau wie Blumenberg – eine Kontrastfigur „zu den liberalen Überzeugungstätern“ (Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 48). 297 W. Marr: Etwas für den nächsten deutschen Journalistentag. In: Die Grenzboten 32 (1873), I. Semester, II. Band, S. 507–512, hier S. 508. 298 Vgl. Jürgen Matoni: Armer Schmock – der Jude in Gustav Freytags ‚Journalisten‘. In: GFB Nr. 48 (1990), S. 28–38, hier S. 36.

4.5 Schmock 

 267

Figur Blumenberg von Freytag ebenso mit einem typisch jüdischen Namen versehen wurde,299 auch wenn sie die sonst für Freytags Judendarstellung typischen Merkmale (z.  B. den vermeintlich jiddischen Sprachstil) beinahe nicht aufweist.300 Blumenberg, so könnte man sagen, ist vordergründig so assimiliert, wie sich das für einen ‚Teufel‘, der im Hintergrund manipuliert und die Fäden zieht (vgl. II/2; GW III, 45), nun einmal gehört. Der leitende Kopf des Coriolan also hat seinem Mitarbeiter Schmock ein an Gesinnung nicht gebundenes journalistisches Handwerk vermittelt. Und liest man Schmocks Monolog jetzt im Kontext der ganzen Szene II/2, dann erschließt sich vor allem seine Motivation, die Anstellung beim Coriolan und den unwürdigen Dienst unter Blumenberg aufzugeben. Denn von diesem wird er gegängelt und wie ein Aussätziger behandelt (vgl. GW III, 9, 46).301 Seinen Hass auf Blumenberg muss Schmock jedoch unterdrücken, denn er ist ökonomisch von ihm abhängig: „Ich kann’s ihm doch nicht sagen, denn er streicht mir dann Alles in meiner Correspondenz, die ich ihm für die Zeitung mache. Ich will sehen, ob ich’s kann hinunterschlucken“ (II/2; GW III, 46). Wie bereits thematisiert (s. Kap. 4.3), steht Schmock als „Vertreter des Pfennigjournalismus“302 nicht zuletzt für die prekäre Existenz des journalistischen Tagelöhners, der sich zwangsläufig prostituieren muss,303 des „Tintensklave[n]“,304 wie es bei Fontane heißt (der als Liberaler im Dienste des preußischen Innenministeriums und der preußischen Kreuzzeitung von den Nöten wusste, mal links, mal rechts – oder jedenfalls für die falsche Seite – schreiben zu müssen). Der Text legt Schmocks materielle Not offen und führt vor, dass sein Denken und Handeln davon bestimmt sind. Wer  – wie der marxistische Literarhistoriker Franz Mehring  – für solche Gesichtspunkte sensibilisiert war, der hat diese Aspekte der Figur durchaus wahrgenommen; Mehring hat den „braven Schmock“ als Verkörperung des modernen lohnabhängigen Redakteurs daher die „die einzige prophetische Figur des Stücks“

299 Vgl. dagegen ebenso: Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 48; Gubser: Literarischer Antisemitismus, S. 179; Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 79. – Paul Sommer hat darauf 1903 ebenso hingewiesen; er nennt Schmock einen „Stamm- und Glaubensgenosse[n] Blumenbergs“ (Sommer: Erläuterungen zu Gustav Freytag’s „Die Journalisten“, S. 57). Auch in der frühen Rezeption ist dies z.  T. bemerkt worden, vgl. z.  B.: A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater, S. 851. 300 Vgl. Matthias Richter: Die Sprache jüdischer Figuren in der deutschen Literatur (1750–1933). Studien zur Form und Funktion. Göttingen 1995, S. 210. 301 Vgl. dazu auch: Matoni: Armer Schmock, S. 32–34, 36. 302 Sommer: Erläuterungen zu Gustav Freytag’s „Die Journalisten“, S. 57. 303 Vgl. dazu auch: Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung, S. 154. 304 Theodor Fontane: Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe. München 1969, S. 573–577, hier S. 573.

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genannt.305 Und Hans Lindau sah in Schmock vor allem den „jämmerlichen Vertreter des Journalistenelends.“306 Obwohl Schmock schon in der Festszene als materiell bedürftig ausgewiesen wird, versucht er, sich seine Würde zu bewahren. Blumenbergs Angebot, sich auf Kosten der Partei verköstigen zu lassen, nimmt er darum nicht an (vgl. II/2; GW III, 46). Die Szene zeigt Schmock als Menschen, der schlecht behandelt wird,307 der in seiner schwierigen Lage nicht nur unter ökonomisch, sondern auch unter gesellschaftlich erschwerten Bedingungen zu agieren versucht. Denn beim Fest wird Schmock als sozial bindungslos geschildert; ausgerechnet bei Blumenberg, dem Vorgesetzten, der ihn schikaniert und vom dem er abhängig ist, handelt es sich um seine „einzige Bekanntschaft“ (46). Im Gesamtzusammenhang der Szene wird deshalb deutlich, warum Schmock die Seiten wechseln will: „Ich möchte gern bei honetten Menschen sein, wo man seinen Verdienst hat und eine anständige Behandlung“ (47). Über dieses ehrlich und glaubhaft vorgetragene Ansinnen Schmocks geht Bolz letztlich spottend hinweg. Stattdessen wird der verzweifelte Redakteur des Coriolan auch von der Gegenseite bloß funktionalisiert. In Schmocks bedrängter Brust sieht Bolz vor allem eine Gelegenheit, diesem beim Punsch vertrauliche Informationen der Konservativen zu entlocken (vgl. 48  f.). Bolz’ Verhalten kann jedoch dadurch entschuldigt werden, dass er sich nicht sicher sein kann, ob Schmock nicht vielleicht seinerseits als Spion im Auftrag des Konkurrenzblatts unterwegs ist. Zudem behandelt Bolz Schmock nicht anders als alle anderen Figuren des Stücks, wenn er auf ernsthafte Einlassungen vorzugsweise mit Pointen reagiert und seine Gesprächspartner nicht ernst nimmt.308 Offenbar ist Bolz aber durchaus bewusst, dass Schmock wohl unverdient zum Opfer der von den Liberalen erdachten Finten werden wird, denn nach Schmocks Abgang formuliert er in einem typischen selbstreflexiven Szenenkommentar, was viele Zuschauer/Leser bis hierhin vermutlich ebenso empfunden haben: „Armer Schmock!“ (49) Tatsächlich lassen sich zahlreiche Rezeptionszeugnisse finden, in denen der Figur Schmock – neben mitunter zugleich negativen Eigenschaften – attestiert wird, „nicht blos erheiternd, sondern zugleich rührend, mitleiderregend“,309 ja „arm[]“ und „getreten[]“310 zu sein.311 Für die Breslauer Morgenzeitung ist Schmock sogar „am 305 Mehring: Gustav Freytag, S.  66.  – Vgl. dazu auch: Franz Mehring: Schmock (ursprünglich erschienen in: Leipziger Volkszeitung, 15. Januar 1903 [Nr. 11]). In: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Thomas Höhle, Hans Koch u. Josef Schleifstein. Bd. 11: Aufsätze zur deutschen Literatur von Hebbel bis Schweichel. Berlin 1961, S. 78–80, hier S. 80. 306 Lindau: Gustav Freytag, S. 134. 307 Vgl. auch Matoni: Armer Schmock, S. 33. 308 Vgl. Matoni: Armer Schmock, S. 35. 309 Alberti: Gustav Freytag. Sein Leben und Schaffen, S. 124. 310 Ernst Alker: Die deutsche Literatur im 19. Jahrhundert (1832–1914). 2., veränd. und verb. Aufl. Stuttgart 1962, S. 374. – Vom „getretenen Juden“ spricht außerdem: Britting: Die Journalisten, S. 41. 311 Auch Martersteig spricht in seiner theatergeschichtlichen Studie zum 19. Jahrhundert vom „rüh-

4.5 Schmock 

 269

Ende noch der vernünftigste und anständigste unter Freytags Journalisten“.312 Zwar fehlt es in der Rezeptionsgeschichte nicht an dergleichen übertreibenden oder irreführenden Deutungen und bisweilen gar verherrlichenden Lesarten der Figur,313 in der Rezeptionsgeschichte der Komödie dominant und hierin für die Charaktergestaltung bezeichnend ist ein ambivalentes Bild des Redakteurs mit jüdischen Wurzeln. Dass dieser zur beliebten Bühnenrolle wurde, dass er schließlich von Oberst Berg und Adelheid unterstützt wird und dass er im weiteren Verlauf des Dramas noch eine wichtige Funktion für die Handlung übernimmt, wurde immer wieder angeführt, um Freytag gegen den Vorwurf des Antisemitismus zu verteidigen.314 So wenig der Text es erlaubt, ihm kurzerhand oder einseitig antisemitische Tendenzen zu bescheinigen, ja ihn gleichsam nur als niedrigere judenfeindliche Eskalationsstufe von Soll und Haben zu betrachten,315 so unangemessen und falsch ist es m.  E., den Antisemitismusvorwurf und die bis in die Erstrezeption zurückreichende Diskussion316 einfach – und ohne genauere Textanalyse  – als „haltlos[]“ zurückzuweisen.317 Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Figur hat dagegen Scheible vorgelegt. Wenngleich Mutrenden Schmock“ (Martersteig: Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert, S. 409). Bei Nagel ist die Rede von der „rührend-komische[n] Figur des Schmock“ (Nagel: Die Hauptwerke der deutschen Literatur, S. 164). Und Droescher sieht den „künstlerische[n] Wert dieser Gestalt“ u.  a. in ihrem „rührenden Beigehalt“ (Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 83). Selbst Sommer attestiert ihm nach einer Aufzählung lauter denkbar schlechter Charaktereigenschaften „einen Zug naiver Gutmüthigkeit“ (Sommer: Erläuterungen zu Gustav Freytag’s „Die Journalisten“, S. 57). 312 Zit. n. Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 389. 313 So heißt es in der älteren Fassung des Kindler-Artikels über die Komödie, Freytag entwerfe hierin mit Schmock das „komische, menschlich gewinnende Porträt eines völlig unparteiischen Virtuosen der Zeitgeschichte“ (Anneliese Gerecke u. Redaktion Kindlers Literatur Lexikon: [Art.]: ‚Die Journalisten‘. In: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Bd. 5: Ea–Fz, hg. von Walter Jens. München 1988, S. 820–821, hier S. 821). – Für Alberti wiederum nimmt Schmock „in der Oekonomie des Stückes hinter Bolz die zweite Stelle ein“ (Alberti: Gustav Freytag. Sein Leben und Schaffen, S. 124). – Und nach der Münchner Premiere Ende Januar 1853 urteilt der Theaterkritiker des humoristischen Blatts Münchener Punsch: „Schmock ist ein Journalist, der für die Emancipation schreibt, aber selbst nicht emancipirt ist, […] ein Literat, der das Verfehlte seines Berufes einsieht, wie so wenige“ (N. N.: Kgl. Hof- und Nationaltheater, S. 39). 314 Vgl. z.  B. Matoni: Armer Schmock, S. 32, 34; Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 121  f. 315 Vgl. u.  a. Christine Achinger: Gespaltene Moderne. Gustav Freytags „Soll und Haben“. Nation, Geschlecht und Judenbild. Würzburg 2007, S. 235, Anm. 589; Schmidt: Die Journalisten, S. 193; Bertsch: Wider die Journaille, S. 32  f. – Vgl. auch die in vielen Punkten erhellende, aber dann letztlich in der Deutung einseitige Interpretation Gubsers (Gubser: Literarischer Antisemitismus, S. 177–187), der in der für die Studie typischen etwas zwanghaften Argumentation u.  a. meint, Schmock sei „nur durchtrieben und gesinnungslos“ (S. 186; Hervorhebung im Original). 316 So nennt das Blatt Humorist und Wiener Punch Freytag bereits im September 1853 anlässlich der Wiener Premiere des Stücks einen „Judenfeind“ und begründet dies mit der Darstellung jener „Journalisten [also Schmock und Blumenberg; P. B.], welche in der mosaischen Lehre ihre Beruhigung finden“ (A. Sch.: [Rez.] K. l. Hofburgtheater, S. 851). – Vgl. außerdem die weiteren Belege und Beispiele in diesem Kapitel. 317 Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 122.

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maßungen über die Autorintention grundsätzlich problematisch sind, weil diese sich dem Zugriff durch die Literaturwissenschaft letzten Endes entzieht und zunächst unabhängig davon zu untersuchen ist, was in einem Text der Fall ist, so lässt sich bis hierhin mit Scheible konstatieren: Daß eine antisemitische Aggression jedenfalls nicht der Intention des Autors entspricht, geht ohne weiteres aus der Sorgfalt hervor, mit der Schmock als Opfer der Verhältnisse, gegen die er sich auflehnt, dargestellt wird […]. Freytag stellt nicht nur unmißverständlich klar, daß Schmock seine elende Situation nicht selbst verschuldet hat, er läßt ihn darüberhinaus nachdrücklich danach streben, einen anderen Beruf zu ergreifen.318

Nachdem sich für Schmock die Option, zur liberalen Union zu wechseln, zerschlagen hat, möchte er in der Tat die für ihn so unfruchtbare wie unwürdige Journalistentätigkeit beenden. Vorher aber entschließt er sich aus freien Stücken dazu, Adelheid und dem Oberst die Wahrheit über die Intrige Sendens und Blumenbergs mitzuteilen, die ihm Bellmaus bereits beim Punsch entlockt hatte (vgl. III; GW III, 82  f.). Anders als man es der Figur generell unterstellt, agiert Schmock hierbei nicht auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Er handelt so, weil er dem Oberst gegenüber dankbar ist und weil er moralisch zwischen solchen Menschen unterscheidet, die gut bzw. schlecht mit ihm umgegangen sind. Auf Adelheids Frage nach seiner Motivation, sie ins Vertrauen zu ziehen, antwortet er entsprechend: Schmock. Der Bellmaus hat mir doch gesagt, daß Sie eine geschickte Person sind, die dem Obersten auf gute Weise sagen wird, er solle sich vor dem Senden und vor meinem Redacteur in Acht nehmen. Und der Oberst ist ein humaner Mann, er hat mir neulich vorgesetzt ein Glas süßen Wein und Semmel mit Lachs zum Frühstück. […] Warum soll ich ihn hintergehen lassen von diesen Menschen. (IV/1; GW III, 98)

Schmock nimmt den Oberst bereits deshalb als ‚human‘ wahr, weil er ihm ein Frühstück serviert hat. So denkt nur, wer eine gute Behandlung nicht gewohnt ist. Dieses hörend, kann selbst der am Türrahmen mitlauschende Oberst Berg nur „mitleidig die Hände falten[]“ (98). Auch Adelheid, die ihm daraufhin sofort eine neuerliche Mahlzeit servieren möchte, zeigt Mitgefühl und bietet Schmock weitere Hilfe an. Die Reaktion der Figur ist bezeichnend. Nicht nur lehnt Schmock das Frühstücksangebot ab, weil er anderen keine Mühe machen will; auf Adelheids Frage nach sonstiger Unterstützung reagiert er, indem er skeptisch-verunsichert an sich herunterguckt, seine Stiefel und Kleider mustert und fragend-ablehnend befindet: „Womit sollen Sie mir helfen? […] Ich habe jetzt Alles im Stande.“ (98) Hieran wird deutlich, dass Schmock, der die Erfahrung gemacht hat, allen anderen unliebsam zu sein, darum bemüht ist, trotz seiner finanziellen Not wenigstens äußerlich nicht unangenehm aufzufallen. Die Figur entspricht hierin durchaus jenem von Jacob Kaufmann entworfenen Typus

318 Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 46  f.

4.5 Schmock 

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des ‚Schmocks‘, der versucht, nicht als abweichend wahrgenommen zu werden, aber trotzdem nie dazugehört und immer fremd bleibt.319 Dass Adelheid und der Oberst schließlich beide willens sind, Schmock den Ausstieg aus dem Journalismus zu finanzieren, kann man nicht etwa mit der Gerissenheit oder Vorteilssucht des Charakters erklären;320 denn es ist nicht Schmock, es sind Adelheid und der Oberst, die das Gespräch voranbringen, in dessen Verlauf Schmock seine berühmt gewordenen Monologe über die Bedrängnisse des journalistischen Tagelöhners spricht (vgl. 99). Sie sind es auch, die Schmock von sich aus Unterstützung anbieten und ihm schließlich ermöglichen, den Coriolan für die Gründung eines kleinen Geschäfts zu verlassen. Die Art und Weise aber, wie der Text das in Szene setzt, lässt verständlich werden, warum Freytag sich dem Antisemitismus-Vorwurf ausgesetzt sah – man muss diese Stelle im größeren Textzusammenhang lesen: Oberst. (eilig hervorkommend) Ueberlassen Sie das mir, liebe Adelheid. Der junge Mann will aufhören Journalist zu sein, das geht mich an! Hier, hier ist Geld, wie Sie sich wünschen, wenn Sie mir versprechen, von heute ab keine Feder mehr für eine Zeitschrift anzurühren. Hier, nehmen Sie! Schmock. Ein preußisches Kassenbillet von fünfundzwanzig Thalern Courant? Auf meine Ehre, ich versprech’s Ihnen, Herr Oberst, auf meine Ehre und Seligkeit, ich gehe noch heut zu einem Vetter von mir, welcher ein solides Geschäft hat. Will der Herr Oberst einen Schuldschein, oder soll ich ausstellen einen Wechsel auf mich selber mit langer Frist? Oberst.

Bleiben Sie mir vom Leibe mit Ihrem Wechsel!

Schmock. So will ich einen richtigen Schuldschein ausstellen. Es ist mir lieber, daß es nur ein Schuldschein ist. Oberst. (ungeduldig) Auch Ihren Schuldschein will ich nicht. – Herr, gehen Sie in Gottes Namen! Schmock. Und wie wird’s sein mit den Zinsen? Kann ich’s haben gegen fünf Procent, so wäre mir’s lieb. Adelheid.

Der Herr schenkt Ihnen das Geld.

319 Von Kaufmanns Bestimmung des ‚Schmocks‘ als besonders „geistreich“ (s. o.) weicht die Dramenfigur indes ab – vgl. in diesem Zusammenhang die späteren Ausführungen zu Schmock als ‚Possenfigur‘, deren Qualitäten als fähiger Journalist im Drama bloß behauptet (und nicht ausgeschrieben) werden, jedoch in eklatantem Widerspruch zu Schmocks Auftreten und Sprache stehen. 320 Vgl. anders dagegen: Joannes Wilhelmus Henricus Stoffers: Juden und Ghetto in der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Weltkrieges. Graz 1939, S. 360.

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Schmock. Er schenkt mir das Geld? Es ist ein Wunder! – Wissen Sie was, Herr Oberst, wenn ich nichts mache mit dem Geld, so bleibt es geschenkt; wenn ich mir damit aufhelfe, so bring’ ich’s Ihnen zurück. Ich hoffe, ich werde mir aufhelfen. (99  f.)

Die an sich ‚rührende‘ Tatsache, dass Schmock sich schlichtweg nicht vorstellen kann, dass ihm jemand Geld schenkt, wird hier auf die Spitze getrieben und letztlich humoristisch im Sinne eines antisemitischen Klischees funktionalisiert: ‚Der Jude‘, so die Nebenbotschaft des Dialogs, kann nun einmal nicht anders als in Wechseln und Zinsen denken.321 Dass Schmock zudem bis zum Schluss darauf besteht, dem Oberst das Geld zurückzuzahlen, falls es ihm gelingt, damit erfolgreich zu sein, rückt in der Art und Weise, wie es hier geschildert wird, das Geldgeschenk geradezu in die Nähe eines Spekulationsgeschäfts. Überdies wird in der Szene IV/1 – wie schon in Schmocks vorherigen Auftritten – das in der Rezeption immer wieder als ‚servil‘, ‚gedrückt‘, ‚hündisch‘, ‚scheu‘ oder ‚unstet‘ wahrgenommene322 Auftreten Schmocks überzeichnet, womit Schmocks eigentlich traurige Misere zum Teil gebrochen und die Aufmerksamkeit vom Individuum auf das Stereotyp gelenkt wird. In seinem Grenzboten-Aufsatz „Die Juden in Breslau“ hat Freytag einen solchen Habitus auf die schwierige Stellung mancher um Assimillierung bemühter Juden zwischen diskriminierender christlicher Mehrheitsgesellschaft einerseits und orthodoxem jüdischen Herkunftsmilieu andererseits zurückgeführt.323 In der Komödie lässt sich lediglich eine einzelne Stelle als Hinweis auf Schmocks Herkunft deuten. Im Gespräch mit Adelheid sagt Bellmaus über ihn: „Er ist ein armer Mensch, der wenig in guter Gesellschaft gelebt hat, und war bis jetzt Mitarbeiter am Coriolan“ (III; GW III, 82). Es wäre so leicht wie naheliegend, diesen Satz bloß als eine antisemitische Aussage zu lesen, der zufolge Juden eben keine ‚gute Gesellschaft‘ sind.324 Im Textzusammenhang sowie im Kontext der publizistischen Texte Kaufmanns und Freytags betont der Satz aber vor allem, dass Schmocks bisheriger Lebensweg nicht einfach war und bemitleidenswert ist. Berücksichtigt man, was wir über ihn und seine Familie erfahren, was sich aus seinem Habitus – insbesondere seiner Sprache – schließen lässt und was die von Freytag und Kaufmann in den Blick genommenen Assimilationsprobleme und jüdischen ‚Zwischenexistenzen‘ nahelegen, deutet vieles darauf hin, dass Schmock wie seine von Kaufmann beschriebenen Namensgeber aus dem Ghetto kommt. Dieses betrachtete Freytag als soziales Problemmilieu und tatsächlich als keine ‚gute Gesellschaft‘. Von einem Herkunftsraum, der nach Freytags Ansicht die

321 Vgl. Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 47; Schmidt: Die Journalisten, S. 193 – Unverständlich bleibt allerdings, warum Gubser Schmocks Verhalten hier als ‚Feilschen‘ und ‚Schachern‘ deutet (Gubser: Literarischer Antisemitismus, S. 184). 322 Vgl. beispielhaft u.  a.: Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 285; Britting: Die Journalisten, S. 41. 323 Vgl. Gustav Freytag: Die Juden in Breslau [1849]. In: VA II, 339–347, hier 346  f. 324 So Gubser: Literarischer Antisemitismus, S. 179  f.

4.5 Schmock 

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Integration und die Ausbildung eines „kräftige[n] feste[n] Selbstegefühl[s]“ erschwert, weil er integrationshemmende Eigenarten konserviert und ein „beständige[s] Reiben mit der Welt“ erzeugt,325 kam Schmock zum Coriolan, wo er schikaniert wurde und vor allem lernen musste ‚hinunterzuschlucken‘ (II/2; GW III, 46). Selbst wenn man Schmock einmal so liest, bietet das Drama allerdings keine Gegenerzählung, keine positive Lösung oder generalisierbaren konstruktiven Ausweg für ihn an. Bezogen auf Schmocks letzten Auftritt muss man stattdessen zusammenfassen: Gerade als der Charakter in dieser Szene die Sympathien der anderen Figuren gewonnen hat, wird er diesen gleich wieder unangenehm, so dass der eben noch mitfühlende Oberst Berg Schmock gegenüber zunehmend ungehalten wird und ihn vor allem loswerden will. Der Text tritt die Figur genau in dem Moment, als er sie ein Stück erhoben hat. Er gibt sie dem Gespött preis, als ihr eigentlich der Beginn eines würdigeren Daseins ermöglicht werden soll. Der Autor mag Schmock zwar aus dem Journalismus entlassen, er entlässt ihn jedoch nicht aus dem Jude-Sein, d.  h. aus dem stereotypsierten und vorurteilsbehafteten Klischee. Letztlich fügt sich darin auch der Umstand, dass Schmocks Schicksal wohl darin besteht, Händler oder Trödler an der Seite seines Vetters zu werden. Derart sensibilisiert muss auch ein stets für Schmock in Anschlag gebrachtes Argument neu besehen und relativiert werden: Indem Schmock Adelheid gegenüber den Komplott der Konservativen aufdeckt und ihr dafür Beweise überreicht, ebnet er zwar den Weg für eine vollständige Aussöhnung und einen entsprechenden Sieg der guten Seite,326 an die Beweise ist er allerdings nur dadurch herangekommen, dass er fremde Papierkörbe durchwühlt hat (vgl. 98). Der Text bietet also einen ambivalenten Blick auf die Figur – eine Ambivalenz, die sich überdeutlich in jenen beinahe paradoxen Sätzen artikuliert, mit denen Bellmaus Schmock im dritten Akt charakterisiert: „Ich glaube, er ist ein guter Kerl, aber anständig? Nein, das ist er doch nicht.“ (III; GW, 83) Diese Ambivalenz spiegelt sich gleichermaßen in den Rezeptionszeugnissen. So konnte Schmock den Dichter und Theaterkritiker Max Mell bei einer Aufführung im Jahr 1919 „rühren“, ihm aber ebenso „schäbig, verschmiert“ erscheinen.327 Weil Freytags Komödie gerade kein einsinniges Bild des Charakters zeichnet, taten sich mit dessen Beurteilung auch jene Forscher schwer, die hier einen „gemäßigten“328 und in Bezug auf Soll und Haben vorbereitenden Antisemitismus am Werk sehen wollten –

325 Freytag: Die Juden in Breslau [1849], S. 347. 326 Bernd Goldmann: Nachwort. In: Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in vier Akten. Mit einem Nachwort von dems. Stuttgart 1977, S. 111–118, hier S. 116. 327 Max Mell: 11. 12. 1919. Burgtheater. [Gustav Freytag: „Die Journalisten“]. In: Margret Dietrich (Hg.): Max Mell als Theaterkritiker. Wien 1983, S. 165–166, hier S. 165  f. 328 Gerhart Scheit: Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus. 2., verb. Aufl. Freiburg 2006, S. 308.

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allein die Formulierung vom ‚gemäßigten‘ oder ‚nur bedingten‘329 Antisemitismus bringt dies zum Ausdruck. So ist selbst hier von Schmock als einem an sich ‚harmlosen Bösen‘ oder gar vom „liebevolle[n] Schmock“ die Rede.330 Von einem ‚Bösen‘ kann man bei Schmock m.  E. ebenso wenig sprechen wie davon, dass „Freytag […] auf der Seite Schmocks [steht]“.331 Scheible hat nicht zu Unrecht eine „verdeckte Form des Antisemitismus“ bemerkt, die seiner Ansicht nach „im vierten Akt des Lustspiels andeutungsweise sichtbar wird“.332 Mehr oder weniger verdeckt ist diese Form von Anfang an in Schmocks Sprache präsent. Denn Schmock ‚jiddelt‘:333 Er spricht jene nicht nur von Freytag karikierte Mischung zwischen Deutsch und Jiddisch, die in der deutschen Literatur so häufig als spezifischer Jargon nachgeahmt wurde,334 dass Richter in seiner grundlegenden Studie zum Thema für dieses „fiktionale[] jüdische[] Idiom“ den Ausdruck „Literaturjiddisch“ geprägt hat.335 Durch seine Art und Weise zu sprechen, ist Schmock deutlich als nicht vollständig assimilierter Jude markiert. Typisch für das Literaturjiddische, wie Freytag es in Die Journalisten und in Soll und Haben auf der Basalstufe der Persiflage verwendet, ist das Sprechen in Inversionen. Schmocks Diktion ist so sehr davon durchzogen, dass ihm selbst einfachste Sätze misslingen:336 „Ich kann auch gehen allein“; „Ich will nicht hingehen zu essen“; „Wozu machen Sie sich Sorgen um das?“ (II/2; GW III, 46  f.) Nun hat Freytag in Auseinandersetzung mit den von ihm sehr geschätzten Geschichten Aus dem Ghetto (1848) des jüdischen Schriftstellers Leopold Kompert gelobt, dass dieser den „jüdischen Jargon“ sehr geschickt „zum Charakterisiren“ der Figuren einsetze;337 seine Erzählungen erhielten „dadurch einen Strich von dramatischem Leben“338  – überhaupt sei die lebensnah-realistische ‚Genauigkeit‘, ‚Liebenswürdigkeit‘ und ‚Wärme‘ der Darstellung bei Kompert wegweisend.339 Solche „Wärme“ (GW XIV, 219, 222, 232) und solchen Realismus in der Figurenzeichnung fordert Freytag in Die Technik des Dramas vom dramatischen Dichter. Die Herausfor-

329 Goldmann: Nachwort, S. 116. 330 Scheit: Verborgener Staat, lebendiges Geld, S. 309, 311. – Letztlich bleibt Scheit eine Antwort darauf schuldig, was genau an der Darstellung antisemitisch ist. 331 Matoni: Armer Schmock, S. 34. 332 Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 48. 333 Vgl. dazu und im Folgenden auch: Gubser: Literarischer Antisemitismus, S. 181  f. 334 Vgl. dazu: Hans Peter Althaus: Soziolekt und Fremdsprache. Das Jiddische als Stilmittel in der deutschen Literatur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 100 (1981), Sonderheft: Jiddisch, S. 213–232; Mark H. Gelber: Das Judendeutsch in der deutschen Literatur. Einige Beispiele von den frühesten Lexika bis zu Gustav Freytag und Thomas Mann. In: Stéphane Moses u. Albrecht Schöne (Hg.): Juden in der deutschen Literatur. Ein deutsch-israelisches Symposion. Frankfurt a.  M. 1986, S. 162–193. 335 Richter: Die Sprache jüdischer Figuren, S. 98. 336 Vgl. Richter: Die Sprache jüdischer Figuren, S. 210. 337 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 104. 338 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 105. 339 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 104.

4.5 Schmock 

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derung bestehe – zumal bei den Nebenfiguren – darin, „als Einheit verstandene und empfundene“340 Charaktere zu erschaffen, die einerseits für das Dramenganze und dessen Idee funktional seien, andererseits zugleich lebendig und glaubwürdig als individuelle „geschlossene Persönlichkeit[en]“ (216) wirken (vgl. 215–222). Dabei sei nicht zuletzt die Figurensprache von zentraler Bedeutung (vgl. z.  B. 286–288).341 Bei Schmock indes steht die Sprache einer ‚warmen‘ auf das Individuum bezogenen Anteilnahme genauso entgegen wie sie den Eindruck einer als ‚Einheit empfundenen Person‘ verhindert. Denn es ist nachgerade absurd, dass jemand, der als Zeitungsredakteur arbeitet und schriftlich mal „genial“, mal „pedantisch“ (IV/2; GW III, 99) formuliert, mündlich schon an den einfachsten Sätzen scheitert.342 Entsprechend hat es anlässlich der Uraufführung der Komödie bereits die Breslauer Morgenzeitung als „unbegreifliche[n] Widerspruch“ bezeichnet, dass Schmock, „der jüdisch spricht, wie der ungebildetste Trödler […] die brillantesten Journalartikel hochdeutsch schreibt“.343 Die Zeitung nennt Schmock außerdem eine „schofle Possenfigur“344 und gibt damit einen möglichen Hinweis auf die dramatische Funktion von Schmocks Sprachstil. In seinem in diesem Zusammenhang höchst aufschlussreichen Aufsatz „TheaterJuden“ von 1848 hat Julian Schmidt festgestellt: „Die gewöhnlichste Figur des Theaters ist der Schacherjude in der Posse“.345 Tatsächlich übernahmen jüdische Figuren (die dabei häufig Jiddisch – oder was man sich darunter vorstellte – sprachen) mit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in zeitgenössischen Komödien, vor allem Possen, vielfach die Funktionsstelle der lustigen Person.346 Die Bezeichnung „Schmock“

340 GW XIV, 217 (Kursivierung im Original gesperrt). 341 Vgl. für die Argumentation im Einzelnen genauer GW XIV, 215–292. 342 Vgl. dazu und im Folgenden auch: Richter: Die Sprache jüdischer Figuren, S. 210  f. 343 Zit. n. Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 389. 344 Stümcke: Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum, S. 389. 345 J[ulian] S[chmidt]: Theater-Juden. In: Die Grenzboten 7 (1848) II. Semester, IV. Band, S. 15–25, hier S. 20. 346 Vgl. dazu genauer Horst Denkler: „Lauter Juden“. Zum Rollenspektrum der Juden-Figuren im populären Bühnendrama der Metternichschen Restaurationsepoche (1815–1848). In: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, hg. von Hans Otto Horch und dems., Bd. 1, Tübingen 1988, S. 149–163; Hans-Peter Bayerdörfer: „Harlekinade in jüdischen Kleidern“? – Der szenische Status der Judenrollen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Hans Otto Horch u. Horst Denkler (Hg.): Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Bd. 2. Tübingen 1989, S. 92–117; Neubauer: Judenfiguren; Leif Ludwig Albertsen: Der Jude in der deutschen Literatur 1750–1850. Bemerkungen zur Entwicklung eines literarischen Motivs zwischen Lessing und Freytag. In: Arcadia 19 (1984), H. 1, S. 20–33; Anette Spieldiener: Der Weg des ‚erstbesten Narren‘ ins „Planschbecken des Volksgemüts“. Gustav Raeders „Robert und Bertram“ und die Entwicklung der Judenrollen im Possentheater des 19. Jahrhunderts. In: Hans-Peter Bayerdörfer u. Jens Malte Fischer (Hg.) unter Mitarbeit von Frank Halbach: Judenrollen. Darstellungsformen im europäischen Theater von der Re-

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könnte auch ein Hinweis genau darauf sein, denn ursprünglich konnte der Ausdruck auch „Narr“ bedeuten.347 Julian Schmidt hat die Entwicklung, jüdische Charaktere auf dem Theater als komische Figuren einzusetzen, grundsätzlich begrüßt. Da die Juden inzwischen in der Realität emanzipiert seien,348 so Schmidt, gelte es nun, sie auch auf dem Theater als ‚gewöhnliche Figuren‘ zu behandeln.349 Dazu gehöre, die Sprache, die Eigenheiten und das Verhalten der Juden zu parodieren und sich „an dem komischen Dialekt und an den skurrilen, specifisch jüdischen Gesten“350 zu belustigen – sei ‚der jüdische Dialekt‘ doch ganz besonders komisch: [W]enn man den Schwäbischen, den Berliner, den Leipziger Dialekt auf die Bühne bringen darf, wenn man die Sprache der Ecken und Gardelieutnants nachspottet, so ist durchaus kein Grund abzusehn, warum das Jüdische, das offenbar viel komischer ist, als alle die übrigen Dialekte zusammengenommen, sich eines besondern Ausnahmegesetzes erfreuen soll.351

Wie Schmidt auf literarisch-kulturellerer Ebene, so hatte Freytag 1849 in seinem Aufsatz „Die Juden in Breslau“ dafür plädiert, nach der erfolgten Gleichstellung bestimmte von ihm als integrationshemmend angesehene Wesensmerkmale und „Eigenthümlichkeiten“ ‚der Juden‘ auf wirtschaftlicher, politischer und religiöser Ebene anzusprechen.352 Man kann also davon ausgehen, dass Freytag und Schmidt sich hier, wie so oft, im Wesentlichen einig waren und Schmidts Aufsatz – der von Freytag immerhin als Co-Herausgeber mitverantwortet wurde  – auch für Freytags Position eine gewisse Aussagekraft hat. In der weiteren Argumentation plädiert Schmidt dafür, jüdische Figuren und die mit ihnen historisch verbundenen Charakteristika – d.  h. Stereotypen – in der Literatur vor allem humoristisch zu funktionalisieren. Und zwar solle dies mit „unbefangenem Genuß“ und jener „ästhetische[n] Freiheit“ geschehen,353 die durch die Aufhebung der Unterschiede in der Realität gewonnen sei und mit der man nun einer

stauration bis zur Zwischenkriegszeit. Tübingen 2008, S. 101–112. – Vgl. dazu außerdem: Droescher: Gustav Freytag in seinen Lustspielen, S. 84  f. 347 Die vom slowenischen ‚ŝmok‘ herrührende Bedeutung würde auch erklären, wie Kaufmann dazu kam, für die ‚eigenartigen Phantasten‘ des Prager Ghettos die Bezeichnung ‚Schmock‘ zu wählen. – Vgl. Rudolf Köster: Eigennamen im deutschen Wortschatz. Ein Lexikon. Berlin/New York 2003, S. 160; Siegmund A. Wolf: Jiddisches Wörterbuch. Wortschatz des deutschen Grundbestandes der jiddischen (jüdischdeutschen) Sprache mit Leseproben. Hamburg 1993, S. 172; Friedrich Kluge u. Walther Mitzka: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Aufl. Berlin 1967, S. 665. 348 Vgl. S[chmidt]: Theater-Juden, S. 16. 349 Vgl. S[chmidt]: Theater-Juden, S. 19  f. 350 S[chmidt]: Theater-Juden, S. 20. 351 S[chmidt]: Theater-Juden, S. 20. 352 Freytag: Die Juden in Breslau, S. 344. 353 Vgl. S[chmidt]: Theater-Juden, S. 25.

4.5 Schmock 

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„Erscheinung“ begegnen könne, „die einmal geschichtliches Recht an sich trug“.354 Auch wenn man Schmidt nur schwer böse Absicht unterstellen kann und er die Emanzipation der jüdischen Mitbürger begrüßt, so hält er in einer für ihn typischen Weise355 (ob nun bewusst oder unbewusst) an den Vorurteilen, die ‚den Juden‘ zugeschrieben werden, fest und schreibt diese fort, ohne zu bedenken, welche Folgen dies wiederum in der Realität zeitigen könnte. Schmidt möchte über den ‚Theater-Juden‘ lachen können, um von ihm gerührt zu werden356 und in dieser Logik wird er später auch Schmock in einer Art und Weise beurteilen, aus der in den letzten Worten doch wieder das vorurteilsbehaftete Denken (das ‚dem Juden‘ gerade keine Normalität zugesteht) überschießt: ja selbst der ehrliche Schmock, bei dessen Bilde man trotz der grellen Farben dem Dichter dasselbe sagen kann, was er in seinem Roman über die Behandlung des Juden Tinkeles durch Fink bemerkt: Sie zeigt eine warme menschliche Theilnahme, und der Jude muß sich eigentlich geschmeichelt fühlen.357

Der jüdische Schriftsteller und Freytag-Freund Berthold Auerbach fühlte sich nicht geschmeichelt. In seinen aus dem Nachlass veröffentlichten Dramatischen Eindrücken notierte er zu einer Dresdner Aufführung von Freytags Komödie Ende Oktober 1855: „Aus Uebermut und um der leichten dramatischen Typierung willen, macht er [Freytag; P. B.] […] aus dem jüdischen Litteraten Schmock eine komische Schnitzelei“.358 Ohne Auerbachs Urteil kennen zu können, meinte sechs Jahre später auch Emil Kneschke, „nur augenblickliche Verstimmung, oder eine ebenso vorübergehende übermüthige Laune“ könnten den Dichter dazu verführt haben eine so „unwürdige Caricatur“ erschaffen zu haben.359 Wenn sich Auerbach und u.  a. Gutzkow360 daran stören, dass Schmock humoristisch funktionalisiert und dem Gespött preisgegeben wird, handelt es sich m.  E. hier angesichts des bisher Ausgeführten um eine berechtigte und nachvollziehbare Kritik, mit der sich auch jene ‚Verteidiger‘ Freytags auseinandersetzen sollten, denen es bloß um die Abwehr des Antisemitismusvorwurfs zu tun ist. Schmocks Diktion gibt der Figur eben keine Tiefe, sondern zielt zu Lasten der realistischen Konsequenz der Charakterzeichnung primär auf oberflächliche Lacheffekte. Von Kaufmanns Bestimmung des ‚Schmock‘ als ‚geistreicher‘ Kopf bleibt hier nur ein schaler Rest, dem die komische Funktion übergeordnet wird.

354 S[chmidt]: Theater-Juden, S. 25; vgl. für die Argumentation insgesamt: S. 20–25. 355 Vgl. beispielhaft: Schmidt: Jacob Kaufmann, S. 399  f. 356 Vgl. S[chmidt]: Theater-Juden, S. 20  f. 357 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 306. 358 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 34. 359 Kneschke: Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart, S. 285. 360 Vgl. Gutzkow: Ein neuer Roman. I., S. 559.

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Übernimmt man einmal die Gedanken von Schmidts „Theater-Juden“-Argumentation, so würde man aus dieser Perspektive Schmidts vermutlich entgegnen, dass durch die komische Dimension der Figur ihre ernste Seite aufgefangen und deren Thematisierung im Rahmen einer auf das Lachen zielenden Gattung erst ermöglicht wird. Nun unterläuft, ja desavouiert das Lächerliche und Karikatureske Schmocks aber die tragische Dimension des Charakters. Seine teilweise stereotypisierte Darstellung und Funktionalisierung in der Art einer jüdischen Possenfigur verhindert in letzter Konsequenz, ihn über das ganze Stück mitfühlend als das getretene Individuum wahrzunehmen, als das ihn der Text stellenweise mit Anteilnahme und Interesse entwirft. Zu bedenken ist überdies, dass auch im bloßen Mitleid eine Form der Herabsetzung liegen kann und es ebenfalls einer sozial festgelegten, stereotypisierten Vorstellung entspricht. Noch einmal anders akzentuiert: Als Karikatur wird Schmock, obwohl er zugleich als Leidender präsentiert wird, letztlich nicht ernst genommen – und sein letzter Auftritt endet mit einem karikaturesk-stereotypisierten Schlussakkord des in Zinsen und Schuldscheinen denkenden künftigen Händlers. Zwar werden auch andere Figuren im Drama, wie etwa der gescheiterte Lyriker und Feuilletonredakteur Bellmaus, karikiert; bei dem grundguten Bellmaus geschieht das jedoch auf eine sehr liebenswürdige Weise, die mit der Figur, nicht über sie, lacht. Zudem wird bei Bellmaus mit dessen Jugendgedichten eine lediglich harmlose und individuelle Eigenart aufs Korn genommen; in Schmock hingegen werden die einer sozialen Gruppe zugeschriebenen Eigenheiten (auf sprachlicher und auf Verhaltens­ ebene) persifliert. Und überhaupt besteht ein Unterschied darin, ob ein Text die für den Journalismus in seiner Frühphase nicht untypischen schriftstellerischen Ambitionen (oder Vergangenheiten) mancher Zeitungsschreiber spottend aufgreift oder so zum Teil die Vorurteile bestätigt, die einer diskriminierten Minderheit entgegengebracht werden. Auch trägt die Schmidt’sche Argumentation, wonach vermeintlich ‚typisch jüdische‘ Sprech- und Verhaltensweisen auf der Bühne ebenso darzustellen seien wie die von Berlinern, Leipzigern oder Gardelieutenants, hier nicht. Denn Schmock ist im Stück der einzige Charakter mit auffälligen sprachlichen Eigenheiten. Er ist eben keine Figur wie jede andere, sondern wird vor allem durch seine Sprache gegenüber anderen Figuren hervorgehoben, ja durch sie stigmatisiert. Der für die Darstellung von ‚TheaterJuden‘ typische Inversionsstil ist außerdem ausgerechnet bei dem diabolischen Blumenberg an zwei Stellen in abgeschwächter Form zu beobachten.361 Dadurch könnte der Eindruck entstehen, als breche ‚das Jüdische‘ hier bei dem ansonsten unauffälligen Redakteur des konservativen Coriolan doch noch stellenweise durch bzw. sei letzten Endes nie so ganz zu loszuwerden oder zu verbergen. Schmidts Aussage, es

361 „Es kann nicht fehlen, die Leute müssen Herzen von Stein haben, wenn sie ihre Stimmen nicht geben zum Dank für ein solches Fest. […] Gehen Sie zum Restaurateur und lassen Sie sich etwas geben auf meinen Namen“ (II/2; GW III, 45, 46).

4.5 Schmock 

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könne ‚für das Jüdische kein Ausnahmegesetz‘ auf der Theaterbühne gelten, fiele im Zusammenhang mit Die Journalisten auf ihn selbst zurück, weil ‚das Jüdische‘ hier insgesamt die Ausnahme bildet – und zwar nicht im positiven Sinne. Nun mag Schmocks ‚Jiddeln‘ vielleicht durchaus nah an den realen sprachlichen Eigenheiten einiger Zeitgenossen gewesen sein362 und von dem vielfach deutlich humoristisch verzerrteren und sprachlich entstellteren Literaturjiddisch der Zeit zum Verhalteneren hin abweichen;363 zum einen bleibt jedoch der Widerspruch in der Figurenkonzeption (zwischen Schmocks schriftlichem und mündlichem Ausdruck) bestehen und verweist auf eine wohl primär humoristische Funktion der Schmock’schen Sprachverwendung. Zum anderen führt – wie Richter hellsichtig bezogen auf Soll und Haben bemerkt hat – die Exklusivität der sprachlichen Besonderheiten bei den jüdischen Figuren dazu, dass deren Sprache in erster Linie als fehlerhaftes Deutsch wahrgenommen wird.364 Durch seine sprachlichen Fehler und seine spezifische Diktion ist Schmock nicht nur offensichtlich als Jude erkennbar, sondern genauer: als einer, der die Voraussetzungen, als vollwertiger (Bildungs-)Bürger anerkannt zu werden, in den Augen seiner Zeitgenossen (auch aus der Perspektive des gebildeten jüdischen Bürgertums) nicht erbracht hat.365 Kurzum: So wie ihn der Text entwirft, ist er nach der zeitgenössischen Sichtweise auch sprachlich kein gleichrangiges Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft. Gleichwohl bildet Schmock eben nicht nur sprachlich eine Ausnahme im Stück. Er ist zudem der einzige Redakteur, der finanziell kaum lebensfähig und letztlich auf fremde Hilfe angewiesen ist. Am Ende fügt er sich in die Reihe jener Bedürftigen, die von Oberst Berg alimentiert werden müssen. Während Schmock von seinem Zeilenhonorar kaum leben kann, verzichten die Redakteure der Union schließlich sogar auf die ihnen noch zustehenden Bezüge, als sie glauben müssen, die Zeitung sei von der konservativen Gegenpartei aufgekauft worden (vgl. IV/2; GW III, 108  f.). Schmock ist darüber hinaus auch der einzige Journalist, der über seinen Beruf klagt und ihn unbedingt hinter sich lassen möchte. Fasst man es einmal etwas verkürzt zusammen, so finden sich auf der ‚guten‘ liberalen Seite lauter Idealisten und liebenswürdige

362 Vgl. etwa die Sprache in dem Brief des Krakauer Juden Moritz Alfred Hirsch an Gustav Freytag: A. Scholz: Krach um „Soll und Haben“. In: Der Oberschlesier 17 (1935), H. 6, S. 353–354. 363 Vgl. Richter: Die Sprache jüdischer Figuren, S. 211  f. 364 Vgl. Richter: Die Sprache jüdischer Figuren, S. 212. 365 Schulz führt dazu zusammenfassend aus: „Zu den essentiellen Voraussetzungen eines gebildeten Bürgers gehörte die Beherrschung der deutschen Sprache, die akzent- und dialektfrei zu halten war. Im jüdischen Bürgertum war die Aufforderung ‚Sprecht reines Deutsch‘ Erziehungsgebot, Heinrich Heine (1797–1856) galt als stolzes Vorbild gelungener Akkulturation. Die systematische Entfremdung der Kinder vom Jiddischen wurde zur Voraussetzung der Verbürgerlichung, der Anpassungszwang auch bei der Verdeutschung der Vornamen verinnerlicht“ (Schulz: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums, S. 19). – Vgl. dazu auch: Shulamit Volkov: Die Verbürgerlichung der Juden in Deutschland. Eigenart und Paradigma. In: Jürgen Kocka (Hg.) unter Mitarbeit von Ute Frevert: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Bd. 2. München 1988, S. 343–371, hier S. 351–356.

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Charakterköpfe, die aus Überzeugung heraus handeln, wohingegen die Zeitung der konservativen Gegenspieler lediglich von zwei jüdischen Opportunisten repräsentiert wird (s. auch Kap. 3.1.3 u. 4.1), von denen der eine als machtversessen und böse und der andere ambivalent gezeichnet wird. Vor diesem Hintergrund hat Berthold Auerbach an der Figur Schmock einen weiteren Aspekt vehement kritisiert: Dessen Darstellung, so der schwäbische Dichter, sei „gerade der Thatsache gegenüber, daß viele Juden tapfer und treu in der Journalistik wirkten, nicht anders als tendenziös zu nennen“.366 Noch viele Jahre später, als er gerade vom Tod Jacob Kaufmanns erfahren hatte, wiederholte er diese Kritik. Mitte Oktober 1871 schreibt Berthold Auerbach an seinen Freund Jakob Auerbach: „Es hat mich immer am meisten gekränkt, daß Gustav Freytag, der Kaufmann nahe befreundet war, in seinen ‚Journalisten‘ nur einen Schmock als Juden herausgriff, während er doch eine so edle Natur wie Jakob Kaufmann vor Augen hatte.“367 Dieser Punkt ist ernst zu nehmen. Die Tatsache, dass Freytag mit Kaufmann befreundet war, dass er ihn ausschließlich positiv geschildert hat und dass Kaufmann wiederum sich an der Darstellung Schmocks offensichtlich nicht gestört hat – oder dies jedenfalls Freytag gegenüber nicht dokumentiert zum Ausdruck brachte –,368 liefert hierfür kein Gegenargument bzw. entkräftet den Vorwurf Auerbachs nicht.369 Vielmehr ist die Konstellation, dass jemand wie Jacob Kaufmann sich augenscheinlich von der Zeichnung Schmocks nicht be- oder getroffen fühlte – sowie viele jüdische Leser von Soll und Haben die Judenfiguren des Romans nicht auf sich selbst bezogen –, interessant im Hinblick auf das Selbstverständnis und die Identitätsbildung des assimilierten jüdischen Bildungsbürgertums in Österreich und Deutschland. Wenn Auerbach nun bemängelt, mit Schmock werde die eigentliche Leistung jüdischer Journalisten persifliert, so ist dieser Einwand in zweierlei Hinsicht bedenkenswert. Erstens, weil der ‚jüdische Beitrag zum Pressewesen‘ und zur Entstehung einer kulturräsonnierenden bürgerlichen Öffentlichkeit nicht gering einzuschätzen ist, obgleich dieser historische Gesichtspunkt bisher kaum erforscht ist.370 Zweitens,

366 Auerbach: Freytags „Journalisten“, S. 34. 367 Berthold Auerbach an Jakob Auerbach, 16. Oktober 1871. In: Berthold Auerbach: Briefe an seinen Freund Jakob Auerbach. Bd. 2, S. 412. 368 Vgl. Margarita Pazi: Wie gleicht man auch ethisch Soll und Haben aus? In: ZfdPh 106 (1987), S. 198–218, hier S. 205, 214. 369 Vgl. anders dagegen Pazi: Wie gleicht man auch ethisch Soll und Haben aus?; Alfred D. Low: Jews in the Eyes of the Germans. From the Enlightenment to Imperial Germany. Philadelphia 1979, S. 309. 370 Vgl. Uffa Jensen: Gebildete Doppelgänger. Bürgerliche Juden und Protestanten im 19. Jahrhundert. Göttingen 2005, S. 128–136; Kurt Koszyk: Der jüdische Beitrag zum deutschen Presse- und Verlagswesen. In: Werner E. Mosse u. Hans Pohl (Hg.): Jüdische Unternehmer in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1992, S. 196–217; Moshe Zimmermann: Eintritt in die Bürgerlichkeit. Vom Selbstvergleich deutscher mit außereuropäischen Juden im Vormärz. In: Jürgen Kocka (Hg.) unter Mitarbeit von Ute Frevert: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Bd. 2. München 1988, S. 372–391, hier S. 382–383.

4.5 Schmock 

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weil das antisemitische Vorurteil, die Presse unterstehe dem jüdischen Einfluss und der zeitgenössische Journalismus sei von Juden beherrscht, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts existierte. „Man schreit uns aus als eine bissige, stänkerhafte, Leib und Seele verschachernde Judenbande“, klagt die Erzählerfigur, der Zeitungsredakteur Max Bösenberg, in Wilhelm Raabes Die Kinder von Finkenrode (1858).371 Und tatsächlich: „Viele unserer Zeitungen sind auch in den Händen von Juden, deren spiritus principalis ein grimmiger Haß gegen das Christenthum und alles Christliche ist“, schreiben etwa die Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland 1849 in einem Artikel, der sich ausgiebig über die ‚Verkommenheit der Presse‘ ergeht.372 Unterm Strich betrachtet, hat Freytag solchen antisemitischen Klischees mit Die Journalisten eher neue Nahrung gegeben anstatt sie zu widerlegen,373 hat er bestehende stereotypisierte Vorstellungen gegenüber Juden nicht gebrochen, sondern eher bedient und dramaturgisch funktionalisiert. Dass dies vermutlich nicht in der Absicht des Autors gelegen haben mag, ist dafür am Ende unerheblich und die Beantwortung dieser Frage entzieht sich in letzter Konsequenz dem Zugriff der Forschung. Nimmt man allerdings einmal an, dass es dem Autor nicht um eine bewusst judenfeindliche Darstellung zu tun war, dann ist die Konzeption der jüdischen Figuren in der Komödie gerade insofern bemerkenswert und historisch interessant, als sie repräsentativ für ein liberales Denken steht, das in grundsätzlicher Befürwortung der Judenemanzipation von dieser Gruppe massive Assimilationsleistungen fordert, die jüdischen Mitbürger in der eigenen Optik aber in der Devianz belässt. So übte Freytag als Publizist im Vorfeld der Journalisten mit „Die Juden in Breslau“ (1849) starken Veränderungsdruck, gerade auf die orthodoxen ostpreußischen Juden aus und wollte sie zur Assimilierung notfalls mit staatlichen Maßnahmen zwingen,374 er selbst entlässt den Juden Schmock indes nicht aus seiner Andersartigkeit. Schmock bleibt nicht nur im Kern Karikatur, Opfer und ein auf stereotypisierte Alterität abonnierter Fremder; er wird schließlich auch nicht in das bürgerliche gesellschaftliche Arbeitsfeld, das die Komödie idealisierend in den Blick nimmt, integriert. Für Schmock ist im Journalismus trotz seines glaubhaft vorgetragenen Wunsches, bei anständigen Menschen zu sein, kein Platz. Wie Scheible bemerkt, findet „das universale Freiheitsversprechen, das mit dem Liberalismus in seinen Ursprüngen verbunden war“,375 in Schmocks Schicksal keine Entsprechung. Er endet vermutlich im eigenen Herkunftsmilieu. Auch darüber hinaus gibt es keine eindeutig positive jüdi-

371 Raabe: Die Kinder von Finkenrode, S. 69. 372 N. N.: Die Zeitungspresse und das Volk, S. 2. 373 Vgl. auch: Goldmann: Nachwort, S. 116. 374 Vgl. Freytag: Die Juden in Breslau; vgl. dazu auch: Hans Otto Horch: Judenbilder in der realistischen Erzählliteratur. Jüdische Figuren bei Gustav Freytag, Fritz Reuter, Berthold Auerbach und Wilhelm Raabe. In: Herbert A. Strauss u. Christhard Hoffmann (Hg.): Juden und Judentum in der Literatur. München 1985, S. 140–171, hier S. 145  f. 375 Scheible: „Ich kann schreiben nach jeder Richtung“, S. 47.

282 

 4 Das Lustspiel des (nachmärzlichen) Journalismus

sche Identifikationsfigur, die als Gegengewicht zu den Coriolan-Mitarbeitern dienen könnte. Dies alles muss man zum einen im Rahmen eines Textes betrachten, in dem sich ‚das Gute‘ ansonsten auf ganzer Linie durchsetzt und ‚das Schlechte‘ unterliegt. Zum anderen ist es im Kontext einer Literaturprogrammatik zu lesen, die von der im Drama entworfenen Welt fordert, dass sie mindestens am Schluss idealen Anforderungen entspricht und über die Zustände der gemeinen Wirklichkeit hinausweist (vgl. GW XIV, 81). Und dennoch: Jener Text, der endet, ohne dass Schmock in dieser Welt einen erkennbar besseren Platz findet, löste (wie die Rezeptionszeugnisse belegen) in den mit der Figur mitleidenden historischen Lesern/Zuschauern zugleich immer wieder das Unbehagen darüber aus, dass dem so ist. Bei diesen Rezeptionseffekten handelt es sich genau wie bei der Tatsache, dass seit der Erstrezeption kontrovers um den antisemitischen Gehalt des Textes gestritten wird, um Texteffekte. Denn bei allem, was hier gegen die Darstellung des Charakters in Anschlag zu bringen ist, präsentiert das Lustspiel eine Rolle, die über die reine Possenfigur oder negative Kontrastfigur hinausgeht, die ihr gegenüber an Tiefe und Vielschichtigkeit gewonnen hat, die nicht einsinnig, sondern vielmehr ambivalent dargestellt wird. Das Verhalten der Nebenfigur wird von Freytag stellenweise sozial plausibilisiert und motiviert, das Drama zeigt poetisches Interesse an Schmock und nimmt gerade anfangs Anteil an seiner Lage, ohne dass er dadurch zum positiven Helden wird. Die Würde, von der Freytag in den ersten Szenen zeigt, dass sie bei Schmock verletzt wird und um die er ringt, gibt der Autor seiner Figur jedoch am Ende nicht zurück. Der Charakter Schmock ist nicht allein aus historisch interessierter Perspektive oder als moderne Sozialfigur in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Er ist es auch bezogen auf Freytags Werkbiographie, Poetologie und poetische Praxis. Letztere weicht von den normativen Vorgaben der Freytag’schen Dramenpoetik mitunter zu ihrem eigenen Vorteil ab – so im Fall von Schmock. Vom Drama fordert der Dramentheoretiker grundsätzlich Eindeutigkeit, Funktionalität und klare Kontraste in der Architektonik, den Figurenkonstellationen und der individuellen Rollengestaltung. Der Dichter Freytag weiß indes um die Komplexität menschlicher Charaktere: Kein Geiziger, kein Heuchler, ist immer geizig, immer falsch, […] Niemand handelt immer consequent, unendlich vielfach sind die Gedanken, welche in der Menschenseele gegen einander kämpfen, die verschiedenen Richtungen, in welchen sich Geist, Gemüth, Willenskraft ausdrücken. (GW XIV, 262)

Diese Worte implizieren ein relationales sowie multiperspektivisches Charakter- und Wirklichkeitsverständnis, das sich in den Figuren der Journalisten (Schmock, Oberst Berg, Bolz und Oldendorf) bereits andeutet, das jedoch insbesondere für das subkutane Erzählprogramm und den Realitätszugriff von Soll und Haben bezeichnend ist. Der Roman schreibt darüber hinaus das der Komödie zugrundeliegende nachmärzliche Sinnangebot und Geschichtsverständnis, leider aber auch ihre stereotypisierten

4.5 Schmock 

 283

Darstellungsmuster fort.376 Wie das Zeitdrama im Feld des Lustspiels sollte die Bildungsgeschichte im Feld des Romans eine Lücke besetzen. Was den Durchbruch und die dauerhafte Wirksamkeit der Journalisten mitbedingte, sollte im Fall von Soll und Haben zu einer Erfolgsgeschichte führen, die selbst den Triumphzug der Jahrhundertkomödie noch einmal in den Schatten stellte.

376 Gutzkow meinte in seiner Rezension zu Soll und Haben gar, der Judenhass im Roman sei erst „genährt [worden] durch das Lachen, das dem ‚Literaten‘ Schmock in den ‚Journalisten‘ zutheil wurde“ (Gutzkow: Ein neuer Roman. I, S. 574).

Teil III: Die Poesie des Prosaischen. Das Feld des Romans und die Literaturpolitik der Grenzboten. Eine Positionsanalyse im Kontext von Soll und Haben

1 Einleitung und Überblick1 Der Urteilsspruch der Geschichte, die für Werk und Autor einmal zum Jüngsten Gericht wird, ist bereits mit dem Urteil des ersten Lesers präjudiziert, und die Nachgeborenen werden die öffentliche Bedeutung, die die Zeitgenossen dem Werk verliehen haben, mit in Betrachtung ziehen müssen.2

Mit Theodor Fontanes Besprechung von Gustav Freytags Soll und Haben, die den 1855 erschienenen Roman zur „erste[n] Blüte des modernen Realismus“3 erklärt, scheint bereits kurz nach der Veröffentlichung die Kanonisierung eines Werkes einzusetzen, das nicht nur zeitgenössisch schnell als „realistischer Musterroman“ gilt,4 sondern

1 Teile der folgenden Ausführungen zu Soll und Haben wurden 2013 für einen Sammelband, der die Geschichte des Bildungsromans aus feldtheoretischer Perspektive untersucht, zur Publikation eingereicht. Der Aufsatz ist Ende 2016 erschienen: Philipp Böttcher: Die Poesie des Prosaischen. Zur Literaturprogrammatik der „Grenzboten“ und der feldstrategischen Positionierung von Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Elisabeth Böhm u. Katrin Dennerlein (Hg.): Der Bildungsroman im literarischen Feld. Neue Perspektiven auf eine Gattung mit Bourdieus Feldtheorie. Berlin/New York 2016, S. 165–220. Die Übereinstimmungen mit diesem Aufsatz werden hier nicht mehr eigens ausgewiesen. 2 Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt a.  M. 1970, S. 102. 3 Theodor Fontane: [Rez.] Soll und Haben. Ein Roman in drei Bänden von Gustav Freytag. In: Literatur-Blatt des Deutschen Kunstblattes 2 (1855), 26. Juli 1855 (Nr. 15), S. 59–63, hier S. 59. – Als solche gehört Soll und Haben noch 1889 nicht nur für Fontane in die Liste jener Bücher, die man lesen muss (vgl. [Max Schneidewin]: Die besten Bücher aller Zeiten und Litteraturen. Ein deutsches Gegenstück zu den englischen „Listen der 100 besten Bücher“. Eine Sammlung von ähnlichen deutschen Listen und von Äußerungen lebender deutscher Schriftsteller, u.s.w. über die besten Schätze der Weltlitteratur und über die bevorzugtesten Bücher ihrer eigenen Neigung. Zur Beratung des lesenden Publikums zusammengestellt. Berlin 1889, S. 14, 12, 39). 4 So u.  a. Hartmut Steinecke: Romanpoetik von Goethe bis Thomas Mann. Entwicklungen und Probleme der „demokratischen Kunstform“ in Deutschland. München 1987, S. 164; Sabina Becker: Bürgerlicher Realismus. Literatur und Kultur im bürgerlichen Zeitalter 1848–1900. Tübingen/Basel 2003, S. 179. – Zuvor hatten hierauf bereits hingewiesen und ähnlich formuliert: Peter Heinz Hubrich: Gustav Freytags „Deutsche Ideologie“ in „Soll und Haben“. Kronberg i. Ts. 1974 (phil. Diss. Konstanz), S. 1, 41; Eisele: Realismus und Ideologie, S. 100; Benno Wagner: Verklärte Normalität. Gustav Freytags „Soll und Haben“ und der Ursprung des „Deutschen Sonderwegs“. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30 (2005), H. 2, S. 14–37, hier S. 14; Hans-Joachim Ruckhäberle u. Helmuth Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Realismus. Darstellung und Dokumente. Kronberg i. Ts. 1977, S. 14. – Dass Soll und Haben von der „große[n] Mehrzahl der Zeitgenossen und der Kritiker des weiteren 19. Jahrhunderts […] als realistischer Musterroman“ betrachtet wurde und „in den Begründungen […] formale, stilistische und darstellungstechnische Argumente auf das engste und unlösbar mit weltanschaulich ethischen und mit politischen Gesichtspunkten verbunden“ sind, hat vor allem Steinecke an verschiedenen Stellen herausgearbeitet (Harmut Steinecke: Gustav Freytags „Soll und Haben“ – ein ‚realistischer‘ Roman? In: Jörg Thunecke (Hg.): Formen realistischer Erzählkunst. Festschrift für Charlotte Jolles. Nottingham 1979, S. 108–119, hier S. 116). – Wie sehr diese Bewertung des Romans bereits im 19. Jahrhundert Allgemeingut war, zeigt sich, wenn in Die Gar­ tenlaube 1877 in völlig anderem Zusammenhang von Soll und Haben als dem „deutschen Musterrohttps://doi.org/10.1515/9783110541779-007

288 

 1 Einleitung und Überblick

von der Forschung bis heute als „das realistische Musterbuch“5 gelesen wird.6 Ob nun literaturprogrammatisch-poetologiegeschichtlich als „Programmroman“7 oder gattungshistorisch akzentuiert als „realistischer Bildungsroman“8 bzw. „Bildungsroman neuen Typs“9 betrachtet, stets wird der Konnex zwischen dem Text und einem Realismus-Konzept betont, das als „Grenzboten-Realismus“10 gewissermaßen en bloc mit dem Roman, der namensgebenden Zeitschrift Die Grenzboten  – als dem „Programmorgan“11 bzw. „maßgeblichen Organ des programmatischen Realismus“12 – sowie seinen Herausgebern Gustav Freytag und Julian Schmidt (1818–1886) literaturgeschichtlich kanonisiert wurde.13 Dass sich diese – z. T. bereits von den Zeitgenossen wahrgenommenen – Zusammenhänge und eine derart definierte Position Soll und Habens im „Raum der Werke“ mit Blick auf die Quellen einerseits als Verfahren und Effekte einer Selbstetablierungsund Selbstkanonisierungsstrategie der Grenzboten-Herausgeber sowie andererseits als ‚Projektionen von Kämpfen im Autor-Raum‘ darstellen, soll im Folgenden unter

man“ gesprochen wird. Gustav Kopal: Hamburgs neue Hafenanlagen. In: Die Gartenlaube 1877, Nr. 4, S. 62–64, hier S. 63. 5 Sabina Becker: Erziehung zur Bürgerlichkeit. Eine kulturgeschichtliche Lektüre von Gustav Freytags „Soll und Haben“ im Kontext des Bürgerlichen Realismus. In: Florian Krobb (Hg.): 150 Jahre „Soll und Haben“. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005, S. 29–46, hier S. 29. 6 „Das Werk“, so Hartmut Steinecke, „wurde allgemein an dem Anspruch gemessen, den es erhob: der erste deutsche realistische Roman zu sein“ (Hartmut Steinecke: Romantheorie und Romankritik in Deutschland. Die Entwicklung des Gattungsverständnisses von der Scott-Rezeption bis zum programmatischen Realismus. Bd. 1. Stuttgart 1975, S. 212). 7 Claudia Stockinger: Das 19. Jahrhundert. Zeitalter des Realismus. Berlin 2010, S. 145. 8 Gabriele Büchler-Hausschild: Erzählte Arbeit. Gustav Freytag und die soziale Prosa des Vor- und Nachmärz. Paderborn u. a. 1987, S. 288. 9 Karin Hausen: „Soll und Haben“ und einige Ungereimtheiten in Gustav Freytags Programm für die Bürgerliche Gesellschaft. In: Michaela Fenske (Hg.): Alltag als Politik – Politik als Alltag. Dimensionen des Politischen in Vergangenheit und Gegenwart. Ein Lesebuch für Carola Lipp. Berlin 2010, S. 65–79, hier S. 65. 10 So u.  a.: Steinecke: Romantheorie und Romankritik in Deutschland. Bd. 1, S. 210; Hugo Aust: Realismus. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart/Weimar 2006, S.  68; Jörg Schönert: Berthold Auerbachs „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ der 40er und der 50er Jahre als Beispiel eines ‚literarischen Wandels‘? In: Michael Titzmann (Hg.): Zwischen Goethezeit und Realismus. Wandel und Spezifik in der Phase des Biedermeier. Tübingen 2002, S. 331–346, hier S. 333. 11 Hartmut Steinecke: Romanpoetik in Deutschland. Von Hegel bis Fontane. Tübingen 1984, S. 133. 12 Michael Thormann: Der programmatische Realismus der „Grenzboten“ im Kontext von liberaler Politik, Philosophie und Geschichtsschreibung. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 18 (1993), H. 1, S. 37–68, hier S. 39. 13 So heißt es etwa in Austs Epochenbuch zum Realismus: „Als herausragende Vertreter des programmatischen Realismus gelten insbesondere Julian Schmidt […] und Gustav Freytag […], die als Redakteure der Wochenschrift Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur (Leipzig) in der Zeit von 1847/1848 bis 1861 bzw. 1870 und auch darüber hinaus das neue realistische ‚Ideal‘ in zahlreichen Artikeln propagiert haben“ (Aust: Realismus, S. 66).

1 Einleitung und Überblick 

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teilweisem Rückgriff auf Pierre Bourdieus Theorie und Terminologie des literarischen Feldes skizziert werden.14 Dieser Zugang bietet sich nicht bloß deshalb an, weil Freytag im literarischen Feld der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine für den deutschsprachigen Realismus zentrale Stellung innehatte, so dass er damals gar als „der deutsche Flaubert“15 galt – an Flaubert hatte Bourdieu seine Theorie zur „Genese und Struktur des literarischen Feldes“ in Frankreich exemplifiziert. Freytags Soll und Haben ist neben Positionsanalysen überdies für sozioanalytische Textuntersuchungen16 im Sinne Bourdieus prädestiniert, weil der Text prototypisch für die Verbindung von Bildungs- und Gesellschaftsroman um die Jahrhundertmitte steht und, seiner Anlage als realistischer Zeitroman17 gemäß, zugleich auf eine sich in dieser Phase stark ausdifferenzierende Sozialwelt referiert.18 Dass Freytags Roman dabei auf ‚die feinen Unterschiede‘ zwischen den Klassen großen Wert legt und etwa ausführlich klassenspezifische Habitus-Formen beschreibt, hat 2001 bereits Hugh Ridley angemerkt.19 Darüber hinaus sind kein anderer Roman, keine andere Zeitschrift und keine anderen Personen so unauflöslich mit den sozial und politisch bedingten Veränderungsprozessen des literarischen Feldes nach 1848 verbunden wie Soll und Haben, Die Grenzboten und deren Herausgeber.20 Soll und Haben ist der (nachmärzliche) bürger-

14 Pierre Bourdieu: Satz und Gegensatz. Über die Verantwortung des Intellektuellen. Frankfurt a. M. 1993, S. 26, 27. 15 Wolfgang Kirchbach: Realismus, Idealismus, Naturalismus in den gegenwärtigen europäischen Litteraturen. In: Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes. Wochenschrift der Weltlitteratur 57 (1888), 27. Oktober 1888 (Nr. 44), S. 681–686; 3. November 1888 (Nr. 45), S. 701–704, hier S. 683. 16 Vgl. Köppe/Winko: Neuere Literaturtheorien, S. 195  f. – Einen positionsanalytischen Ansatz im Sinne Bourdieus hat vergleichbar Maria Zens für Raabes Briefkorrespondenz erprobt: Maria Zens: Noblesse oblige – Kommentare zur Position des Autors im literarischen Feld. Ein Beitrag zu Pierre Bourdieus Kulturtheorie und Wilhelm Raabes Korrespondenz. In: Jochen Strobel (Hg.): Vom Verkehr mit Dichtern und Gespenstern: Figuren der Autorschaft in der Briefkultur. Heidelberg 2006, S. 193–217. – Ein Beispiel auf eine Sozioanalyse eines realistischen Romans bietet Markus Jochs Auseinandersetzung mit Fontanes Frau Jenny Treibel: Markus Joch: Auf Sie und Sie mit der dominanten Fraktion. Ein sozioanalytischer Nachtrag zu „Frau Jenny Treibel“. In: Fontane Blätter 71 (2001), S. 50–63. 17 Vgl. dazu grundlegend: Joachim Worthmann: Probleme des Zeitromans. Studien zur Geschichte des deutschen Romans im 19. Jahrhundert. Heidelberg 1974, bes. S. 91–99 (zu Soll und Haben). 18 Darauf hat mit Bezug auf Bourdieu bereits Becker hingewiesen: vgl. Becker: Bürgerlicher Realismus, S. 175. 19 Hugh Ridley: Zwischen Anstand und Ästhetik: Zu sozialen und literarischen Codes in Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Zeitschrift für Germanistik NF 1 (2001), S. 105–116, hier S. 113. 20 Vgl. in diesem Sinne unter Bezug auf Bourdieu: Becker: Erziehung zur Bürgerlichkeit, S. 33. – Zur Bedeutung der Grenzboten und ihrer Herausgeber für den programmatischen Realismus der Jahrhundertmitte und die Epoche des Realismus generell vgl. Helmuth Widhammer: Realismus und klassizistische Tradition. Zur Theorie der Literatur in Deutschland 1848–1860. Tübingen 1972; ders.: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus (1848–1860). Stuttgart 1977; Steinecke: Romantheorie und Romankritik in Deutschland. Bd. 1, S. 204–211; Ruckhäberle/Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Realismus; Hermann Kinder: Poesie als Synthese. Ausbreitung eines deutschen Realis-

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 1 Einleitung und Überblick

liche Roman schlechthin, entstanden aus dem Geiste eines „Literaturprogramms für einen bürgerlichen Staat“,21 erfolgreich vor allem bei einem bürgerlichen Lesepublikum auf einem bürgerlichen Literaturmarkt und rezipiert als Dokument des ‚bürgerlichen Wertehimmels‘.22 Wie Steinecke nachweist, handelt es sich bei Soll und Haben zudem um den „ersten deutschen (ja genaugenommen: ersten europäischen) Roman, der von zahlreichen Romanciers und Literaturkritikern verschiedenster Standorte nicht nur als ‚realistisch‘ empfunden, sondern auch so bezeichnet wurde“.23 Jüngst betonte auch Michler, dass das Werk von den „Programmrealisten der Grenzbotenschule […] zum paradigmatischen Erzähltext der Zeit aufgebaut“ wurde.24 Mit dem Roman setzte sich der von Freytag und Schmidt begründete und auf der vormärzlichen Literaturdiskussion aufbauende programmatische Realismus als dominierendes Paradigma durch. Insofern erweisen sich die Positionierungen und Debatten im Vorfeld wie auch nach Erscheinen des Romans als Diskussion über den ‚realistischen Roman‘ schlechthin.25 Was für den Roman und Die Grenzboten als das „Organ des programmatischen Realismus“ gilt,26 trifft nicht weniger auf deren Herausgeber zu. Sie sind als führende Köpfe und Stichwortgeber des Realismus der Jahrhundertmitte kanonisiert. Die beträchtlichen symbolischen Kapitalgewinne, die Julian Schmidt und Gustav Freytag aus den hier untersuchten Zusammenhängen ziehen konnten, zeigen sich bereits in den knappen Charakterisierungen, mit denen beide in der Forschung belegt werden. Konstatiert etwa Plumpe bezogen auf den literarischen Part der „Dioskuren“

mus-Verständnisses in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.  M. 1973, bes. 139–200; Maria Zens: Literaturkritik in der Zeit des Realismus. In: Thomas Anz u. Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München 2004, S. 79–91; Gerhard Plumpe: Einleitung. In: Edward McInnes u. ders. (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/Wien 1996, S. 7–83, bes. S. 62–79; Aust: Realismus, S. 64–70; Thormann: Der programmatische Realismus der „Grenzboten“; ders.: Realismus als Intermezzo. Bemerkungen zum Ende eines Literatur- und Kunstprogramms. In: Weimarer Beiträge 42 (1996), H. 4, S. 561–587. – Auch nahezu sämtliche neuere Epocheneinführungen und Überblicksdarstellungen zum Realismus gestehen den Grenzboten sowie ihren Herausgebern breiten Raum zu, so vor allem: Stockinger: Das 19. Jahrhundert; Aust: Realismus; ders.: Literatur des Realismus. 3. Aufl. Stuttgart/Weimar 2000; Becker: Bürgerlicher Realismus; Bernd Balzer: Einführung in die Literatur des Bürgerlichen Realismus. Darmstadt 2006. 21 Ulla Schirmeyer-Klein: Realismus. Literaturprogramm für einen bürgerlichen Staat. Der programmatische Realismus in den ‚Grenzboten‘ 1848–1860. [o. O.] 1976 (phil. Diss. München 1974). 22 Manfred Hettling u. Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2000. 23 Steinecke: Romanpoetik von Goethe bis Thomas Mann, S. 19. 24 Werner Michler: Kulturen der Gattung. Poetik im Kontext 1750–1850. Göttingen 2015, S. 457  f. 25 Vgl. dazu auch: Steinecke: Romantheorie und Romankritik in Deutschland. Bd. 1, S. 212. 26 Claudia Monti: Anmerkungen zur Wissenschaftsgeschichte der Romantikkritik In: Hendrik Birus (Hg.): Germanistik und Komparatistik. DFG-Symposion 1993. Stuttgart/Weimar 1995, S.  54–71, hier S. 59.

1 Einleitung und Überblick 

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(Dilthey):27 „Gustav Freytag war vielleicht der repräsentative Schriftsteller seiner Zeit“,28 so nennt Hohendahl Julian Schmidt den „prominenteste[n] Literarhistoriker des Nachmärz“.29 Diese Forschungsurteile entsprechen der Sichtweise der Zeit­ genossen.30 Zusammen nehmen Freytag und Schmidt im literarischen Feld der Nachmärzjahrzehnte – besonders im Dezennium nach der Revolution von 1848 – eine herausragende Position ein und werden dabei schon von den Zeitgenossen stets als Einheit betrachtet; als solche sind sie auch in die Literaturgeschichte eingegangen. Obwohl immer wieder die „Einmütigkeit der Grenzbotenredakteure“31 betont wird oder diese jedenfalls stillschweigend vorausgesetzt wird, wenn die Freytag-Forschung die Texte

27 [Wilhelm Dilthey]: Notizen [Rez. zu Julian Schmidts Literaturgeschichte]. In: Preußische Jahr­ bücher 16 (1865), H. 4, S. 401–403, hier S. 401. 28 Gerhard Plumpe: Roman. In: Edward McInnes u. ders. (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/Wien 1996, S. 529–689, hier S. 542. 29 Peter Uwe Hohendahl: Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus 1830–1870. München 1985, S. 228. 30 Vgl. dazu die späteren Ausführungen, vor allem in Kap. 3 u. 5; vgl. auch Kinder: Poesie als Synthese, S. 140  f. 31 Alex Köster: Julian Schmidt als literarischer Kritiker. Ein Beitrag zur Entwicklung des Realismus im 19. Jahrhundert und zur Geschichte der Kritik. Bochum 1933 (phil. Diss. Münster 1930), S. 53. – So dann wörtlich übernommen bei: Kinder: Poesie als Synthese, S. 55; Aust: Realismus, S. 66. – In seiner Monographie zu den nordeuropäischen Realismen im 19. Jahrhundert nimmt Clifford Bernd eine gegenteilige Position ein. Er sieht in der behaupteten ‚Teamarbeit‘ Freytags und Schmidts ein weit verbreitetes Missverständnis, das infolge von Hermann Marggraffs Polemik gegen das GrenzbotenDuo (s. dazu unten) den Weg in die Literaturgeschichtsschreibung gefunden habe. Nicht Freytag, sondern Otto Ludwig sei der eigentliche poetische Repräsentant der von Schmidt entworfenen Programmatik. Bernd betont eher die Unterschiede zwischen Freytag und Schmidt und leitet aus dem späteren Zerwürfnis der beiden sowie der in der Praxis weitgehend getrennten Herausgeberschaft der Grenzboten weitreichende, z.  T. höchst spekulative und (mindestens indirekt) psychologisierende Schlussfolgerungen ab. Die enormen Übereinstimmungen zwischen Freytag und Schmidt, die gegenseitigen Bezugnahmen, der zeitgenössische Blick auf die sog. ‚Grenzboten-Clique‘ und auch die Tatsache, dass die Freundschaft zwischen beiden weit über die berufliche Trennung im Jahr 1861 Bestand hatte, werden von Bernd hingegen nicht berücksichtigt (vgl. Clifford Albrecht Bernd: Poetic Realism in Scandinavia and Central Europe. 1820–1985. Columbia 1995, S. 134–137). – Dass das Verhältnis zwischen Freytag und Schmidt, deren Zusammenarbeit bei Die Grenzboten 1861 endete, zum Schluss nicht frei von Konflikten war, hat Norbert Otto in einem sehr sorgfältig gearbeiteten und instruktiven Text über die Freundschaft der beiden dagegen sehr differenziert dargestellt: Norbert Otto: Gustav Freytag und Julian Schmidt – eine Lebensfreundschaft. http://www.gustav-freytag. info/index.php/biographisches/64-gustav-freytag-und-julian-schmidt-eine-lebensfreundschaft-vonnorbert-otto?showall=1 sowie: http://www.gustav-freytag.info/index.php/biographisches/67-gustavfreytag-und-julian-schmidt-eine-lebensfreundschaft-die-anmerkungen (zuletzt aufgerufen am 01. 08. 2016). – Zu den politischen Differenzen zwischen Freytag und Schmidt zum Ende der gemeinsamen Herausgeberschaft vgl. Thormann: Der programmatische Realismus der „Grenzboten“, S. 41  f.– Zur Freundschaft mit Julian Schmidt vgl. auch die Ausführungen in der jüngst erschienenen Freytag-Biographie: Bernt Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag. Biographie. Göttingen 2016, S. 102–104 et passim.

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 1 Einleitung und Überblick

des Autors wie selbstverständlich unter Bezug auf Schmidts literaturkritische Texte erläutert, wurde die Zusammenarbeit von Freytag und Schmidt bisher nicht im Konkreten erforscht. Überhaupt hat die Literaturwissenschaft Julian Schmidt selbst angesichts seiner zeitgenössischen Stellung und trotz der Bedeutung, die ihm vor allem seit den 1970er Jahren für die Begründung des poetischen Realismus zugesprochen wird,32 außerordentlich wenig Beachtung geschenkt.33 Im Hinblick auf das hier erstmals umfassend herausgearbeitete Zusammenwirken der Grenzboten-Herausgeber und die polemische Anfangsphase des ‚Grenz­ boten-Realismus‘ erweist sich eine feldstrategische Perspektivierung in Anlehnung an Bourdieu als gewinnbringend. Sie trägt dazu bei, zu verdeutlichen, auf welche Art und Weise Freytag und Schmidt im nachrevolutionären literarischen Feld „die kritische Meinungsführerschaft“34 und insbesondere für den Bereich der Prosa Definitionsmacht erwarben, so dass die ‚Theorie des bürgerlichen Realismus‘ sich in den einschlägigen literaturwissenschaftlichen Anthologien im Wesentlichen als Theorie Gustav Freytags und mehr noch: Julian Schmidts darstellt.35

32 Vgl. Sebastian Susteck: [Art.] ‚Schmidt, Heinrich Julian Aurel‘. In: Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 23. Berlin 2007, S. 198  f., hier S. 198. – Als Ausdruck dieser ihm mit den 1970er Jahren zukommenden Bedeutung können vor allem folgende Arbeiten angeführt werden: Bernd Peschken: Versuch einer germanistischen Ideologiekritik. Goethe, Lessing, Novalis, Tieck, Hölderlin, Heine in Wilhelm Diltheys und Julian Schmidts Vorstellungen. Stuttgart 1972; Schirmeyer-Klein: Realismus. Literaturprogramm für einen bürgerlichen Staat; Widhammer: Realismus und klassizistische Tradition; ders.: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus; Kinder: Poesie als Synthese; Claus Richter: Leiden an der Gesellschaft. Vom literarischen Liberalismus zum poetischen Realismus. Königstein Ts. 1978, bes. S. 140–149. 33 Seit Alex Kösters 1930 eingereichter und noch immer lesenswerter Dissertation gab es keine eigenständige Studie zu Julian Schmidt (vgl. Köster: Julian Schmidt als literarischer Kritiker). Eine grundlegende und umfassende Analyse von Schmidts Literaturkritik und Literaturgeschichtsschreibung hat Kinder vorlegt (vgl. Kinder: Poesie als Synthese, S. 139–200). Vgl. zu Julian Schmidt außerdem die folgenden wichtigen Artikel und Forschungsbeiträge: Susteck: [Art.] ‚Schmidt, Heinrich Julian Aurel‘, S. 198  f.; Constantin Rößler: [Art.] ‚Schmidt, Julian‘. In: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. durch die Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften. Bd. 31: Scheller–Karl Schmidt. Leipzig 1890, S. 751–768; Otto: Gustav Freytag und Julian Schmidt; Ingo Stöckmann: Julian Schmidt – Für eine Rhetorik der Vernichtung. In Diagonal. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule-Siegen 1997, H. 1 (Thema: Einfach Schmidt, hg. von Karl Riha), S. 129–136; Clifford Albrecht Bernd: German Poetic Realism. Boston 1981, S. 17–28; ders.: Poetic Realism, S. 122–137; Aust: Realismus, S. 66–68; Peschken: Versuch einer germanistischen Ideologiekritik, bes. S.  73–116; Gustav Freytag: Julian Schmidt bei den Grenzboten. In: Preußische Jahrbücher 57 (1886), S.  584–592; Rupprecht Leppla: Julian Schmidt (1818–1886). Zu seinem 150. Geburtstag. In: GFB 13 (1968), Nr. 27 der Reihe, S. 11–14. 34 Zens: Literaturkritik in der Zeit des Realismus, S. 81. 35 Hierzu genügt allein ein Blick in die Inhaltsverzeichnisse der einschlägigen Anthologien: Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus, Stuttgart 1997 (siehe hier etwa den Abschnitt IV. zur Literaturprogrammatik); Ruckhäberle/Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Rea­lismus (hier finden sich fast ausnahmslos Texte von Julian Schmidt); vgl. auch den zweiten Band der ‚Manifest und Dokumente‘: RuG II.

1 Einleitung und Überblick 

 293

Die folgenden Überlegungen setzten sich sowohl mit den literaturkritisch-literarhistorischen Schriften in und im Umfeld der Zeitschrift Die Grenzboten auseinander als auch mit zeitgenössischen Rezeptionszeugnissen36 sowie den romanästhetischen Kontexten des Freytag’schen Romans. Diese literaturprogrammatischen oder feldadressierend-polemischen Ko-Texte bilden den Rahmen, innerhalb dessen der im Unterschied zu seiner Positionierung ausgiebig erforschte Roman überblickshaft im Hinblick auf Aspekte seiner (impliziten) Poetik hin befragt wird. Zunächst soll, ausgehend von der romanästhetischen Diskussion über die poetische Qualität des bürgerlichen Lebens, die feldstrategische Positionierung von Soll und Haben in der Gattungsentwicklung und in der romantheoretischen Diskussion der Zeit untersucht werden. Das besonders in der Folge von Goethes Wilhelm Meister wirkmächtig diskutierte Verhältnis zwischen der ‚Poesie‘ und ‚Prosa‘ bürgerlicher Lebensverhältnisse im modernen Roman stellt sich demnach gleichermaßen als Beschreibungsmuster wie als zu überwindender Problemhorizont der Gattung dar – und wird zu einem prototypischen Merkmal dessen, was man schließlich unter dem Begriff des ‚Bildungsromans‘ diskutiert. Auf die an diesem Oppositionspaar festzumachende romanästhetische ‚Problemsituation‘ reagieren Freytag und Schmidt durch deren axiomatische Umwendung. Ihre Literaturprogrammatik erweist sich damit als Ausdruck wie auch Ermöglichungsraum neuer Positionierungen, die zugleich in breiteren epochalen Kontexten stehen: der Neuentdeckung und programmatischen Bedeutung der Dorfgeschichte ebenso wie der neuen Distributions- und Rezeptionsformen des literarischen Massenmarkts (Zeitschriftenliteratur und Leihbibliothek), der Medienkonkurrenz zwischen Buch und Zeitschrift, der Nobilitierung der Prosa im 19. Jahrhundert oder auch der behaupteten Nähe von Roman und Drama. Diese für die Epoche insgesamt relevanten Zusammenhänge holt die folgende Studie in verschiedenen Diskursen ein. Sie sind für das Verständnis der romantheoretischen Positionierung Freytags und der Grenzboten unerlässlich. Entlang der Poesie-Prosa-Debatte lässt sich zeigen, dass und wie die Anerkennung des als ‚prosaisch‘ geltenden bürgerlichen Lebens in der Kunst im 19. Jahrhundert mit der Aufwertung der Prosa als literarischer Form (insbesondere der ‚bürgerlichen‘ Gattung des Romans) eingehergeht (Kap. 2). Sowohl den Zeitgenossen als auch der Realismus-Forschung gilt Freytags Soll und Haben als entscheidender Schritt für die Aufhebung des Poesie-Prosa-Gegensatzes in seiner doppelten Dimen-

36 Für das äußerst großzügige Überlassen und den kollegialen Austausch von zeitgenössischen Rezensionen zu Soll und Haben möchte ich Katja Mellmann sehr herzlich danken. – Eine frühe rezeptionsgeschichtliche Verortung von Freytags Roman findet sich bei Steinecke: Hartmut Steinecke: Gustav Freytag: „Soll und Haben“ (1855). Weltbild und Wirkung eines deutschen Bestsellers. In: Horst Denkler (Hg.): Romane und Erzählungen des Bürgerlichen Realismus. Neue Interpretationen. Stuttgart 1980, S. 138–152; Steinecke: Romanpoetik von Goethe bis Thomas Mann, S. 147–165. – Vgl. dazu auch: Richter: Leiden an der Gesellschaft, S. 209–214.

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 1 Einleitung und Überblick

sion: als Schritt hin zur Poetisierung der gegenwärtigen bürgerlichen Lebenswelt und als Zeugnis eines aufgewerteten Gattungsverständnisses des Prosa-Romans.37 Die im Kontext des Romans literatur- und gattungsgeschichtlich wirksame Etablierung einer ‚realistischen‘ Programmatik verdankt sich dabei nicht zuletzt dem ausgeprägten ‚Geschichts-‘38, ‚Möglichkeits-‘ und „Spielsinn“,39 mit dem die Akteure Freytag und Schmidt dem literarischen Feld der Gegenwart und der literarischen Tradition begegnen. Dabei ist zwischen beiden ein strategisches Wechselspiel zu beobachten, das von den Zeitgenossen auch als ein solches identifiziert wurde und die Wirkmächtigkeit des ‚Grenzboten-Realismus‘ wesentlich mitbedingte (Kap. 3). Die Wirkmächtigkeit der Grenzboten-Programmatik beruht darüber hinaus auf dem feldübergreifenden Sinnangebot, das Soll und Haben als realistischer Bildungsroman gemäß der „Literaturpolitik“40 der Grenzboten formuliert und das den Text attraktiv für eine Sozioanalyse der Figuren im Sinne Bourdieus macht. In Auseinandersetzung mit dem Roman soll skizziert werden, wie das Buch die zuvor stets theoretisch behauptete Poesiefähigkeit bürgerlichen Lebens und Arbeitens tatsächlich poetisch ins Werk setzt und literarisch reflektiert (Kap. 4). Der eindeutige Schwerpunkt der folgenden Kapitel liegt indes auf der Positionsanalyse, d. h. auf der strategischen Platzierung Soll und Habens sowie den agonalen Positionierungen der Grenzboten in den ‚Kämpfen‘ eines sich neu strukturierenden nachrevolutionären literarischen Feldes. Ihren ‚Hauptkampf‘ führen die GrenzbotenHerausgeber gegen den bis dahin enorm etablierten Schriftsteller und Journalisten Karl Gutzkow. An den Auseinandersetzungen, die nach 1848 zwischen den Grenzbo­ ten und Gutzkow geführt werden und an denen bald zahlreiche weitere Akteure des Feldes beteiligt sind, lässt sich das literarische Feld – das sich damals bereits entscheidend über Feindschaften strukturierte – beispielhaft in seinen Verfahren und Mechanismen des Kampfes analysieren (Kap. 5). Freytags ‚realistischer Musterroman‘ Soll und Haben, so möchte ich im Folgenden zeigen, wird ausdrücklich als zeitgemäßer bürgerlicher Entwicklungsroman positioniert. Er fügt sich dabei passgenau in jene Lücke zeitgenössischer Romanästhetik, die von den Grenzboten-Herausgebern in resonanzstrategischer Vorbereitung der eigenen Realismus-Definition und in polemischer Negation konkurrierender Entwürfe 37 Vgl. Lars Korten: Poietischer Realismus. Zur Novelle der Jahre 1848–1888. Stifter, Keller, Meyer, Storm. Tübingen 2009, S. 54. 38 Pierre Bourdieu: Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken. In: ders.: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt a. M. 1985, S. 55–90, hier S. 69. 39 Vgl. Pierre Bourdieu: Rede und Antwort. Frankfurt a. M. 1992, S. 83–84. 40 Mit Schneider: „Realistische Poetik war Literaturpolitik im Sinne einer Politik-durch-Literatur“ (Lothar L. Schneider: Realistische Literaturpolitik und naturalistische Kritik. Über die Situierung der Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Vorgeschichte der Moderne. Tübingen 2005, S. 2). – Von einer „Literaturpolitik“ der Grenzboten spricht 1984 bereits: Peter Uwe Hohendahl: Einleitung. In: ders.: Literaturkritik. Bd. 4: 1848–1870 (Literaturkritik. Eine Textdokumentation zur Geschichte einer literarischen Gattung), hg. von Alfred Estermann. Vaduz 1984, S. 3–78, hier S. 43.

1 Einleitung und Überblick 

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diagnostiziert wurde – und an deren Kanonisierung sie als Konsekrationsinstanz in eigener Sache fortan auch literarhistorisch arbeiteten. Der Grenzboten-Realismus hat so jene Programmatik erst entworfen, als deren Erfüllungsgegenstand er sich dann verstand. Oder mit Bourdieu gesagt: Über ihre literaturprogrammatischen Positionierungen haben Die Grenzboten jenen „Raum des Möglichen“ mitmodelliert, in dem sie dann Position bezogen.41 Weil die Logik des Feldes und möglicher gegenwärtiger Positionierungen sich nach Bourdieu aus seiner Geschichte und vergangenen Positionierungen ergibt, setzt ein entwickelter „Platzierungssinn“,42 wie ihn die Literaturpolitik der Grenzboten im destabilisierten Feld um 1848 nach allen Regeln der Kunst unter Beweis stellt, die Kenntnis der „Tradition“, der „gesamte[n] Geschichte des Feldes“ voraus.43 Bezogen auf das Feld des Romans44 zeigt das Traditionsverhalten Freytags und Schmidts, wie die für die romanästhetischen Kontroversen der Jahrhundertmitte „geltende Problematik“ in ihren „Fragen und Antworten“ durch ihr gattungsgeschichtliches „Erbe“ bestimmt wurde:45 die Debatte um die Poesiefähigkeit eines gegenwartsorientierten bürgerlichen Romans – um die Poesie des Prosaischen.

41 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a.  M. 1999, S. 371. 42 Pierre Bourdieu: Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes. Konstanz 1998, S. 24–25. 43 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 385. 44 Mit Bourdieu verstanden als das „Netz objektiver Beziehungen zwischen Positionen einer Gattung“ (Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 365). 45 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 385.

2 Die Poesie des Prosaischen. Eine neue Position im ‚Raum des Möglichen‘ 2.1 Die Poesie-Prosa-Differenz oder: der „Stand der legitimen Problematik“. Romantheoretische Voraussetzungen Die Strategien aber hängen auch, vermittelt über die Gegenstände, die im Kampf zwischen den Herrschenden und den Anwärtern auf die Herrschaft auf dem Spiel stehen, die Fragen, über die es zum Konflikt kommt, vom Stand der legitimen Problematik ab, das heißt, vom Raum der aus den früheren Kämpfen überkommenen Möglichkeiten, der wiederum den Raum der Positionen bestimmt, die zu beziehen möglich ist, und damit auch die Richtung, in die die Suche nach Lösungen und folglich auch die Entwicklung der Produktion geht.1

Gustav Freytag hat seine eigenen literarischen Vorbilder im englischsprachigen Realismus, insbesondere in Charles Dickens, gefunden.2 Und nicht nur Fontane hat in Soll und Haben eine „Verdeutschung (im vollsten und edelsten Sinne) des neueren englischen Romans“ Dickens’scher Prägung gesehen;3 auch darüber hinaus sind der Einfluss von Dickens auf Freytag und die Bedeutung der englischen Literatur für den Grenzboten-Realismus sowohl von deutscher als auch von englischer Seite vielfach hervorgehoben worden.4 In seinem vergleichsweise wenig beachteten Buch 1 Bourdieu: Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken, S. 65. 2 Vgl. hierzu etwa Freytags Nachruf auf Charles Dickens: Gustav Freytag: Ein Dank für Charles Dickens [1870]. In: GW XVI, 239–244. – Auch Freytags Figur des Konrad „Bolz“ aus seiner Komödie Die Journalisten darf man als Hommage an Dickens lesen, der als Journalist unter dem Pseudonym „Boz“ schrieb (s. dazu auch Kap. II. 3.3.5). 3 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 59; ähnlich in der Erstrezeption auch: N. N.: G. Freytag’s Roman „Soll und Haben“. (Aus einem Briefe). In: Berliner Feuerspritze 3 (1855), 11. Juni 1855 (Nr. 24). – Vgl. in diesem Sinne als stabile Zuschreibung der Wertungsgeschichte auch: Kummer: Deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, S. 390; Borchardt: Rede über Hofmannsthal, S. 53  f. 4 Vgl. dazu: Vera Völk: Charles Dickens’ Einfluß auf Gustav Freytags Roman „Soll und Haben“. In: 4. Jahres-Bericht des Mädchen-Lyzeums in Salzburg über das Schuljahr 1907/1908, erstattet von Johann Krögler. Salzburg 1908, S. 3–15; Roland Freymond: Der Einfluss von Charles Dickens auf Gustav Freytag. Mit besonderer Berücksichtigung der Romane „David Copperfield“ und „Soll und Haben“. Prag 1912; Lawrence Marsden Price: The Attitude of Gustav Freytag und Julian Schmidt toward English Literature (1848–1862). Göttingen 1915; Ellis N. Gummer: Dickens’ Works in Germany 1837–1937. Oxford 1940, bes. S. 36–81; Rudolf Walter Leonhardt: „Soll und Haben“ und „David Copperfield“. Ein Vergleich ihres Aufbaus als Beitrag zur Formfrage des Romans. Phil. Diss. Bonn 1950; John S. Andrews: The Impact on Nineteenth-Century Britain of Freytag’s ‚Soll und Haben‘. In: Proceedings of the Leeds Philosophical and Literary Society 8 (1959), S. 315–331; Norbert Bachleitner: Der englische und französische Sozialroman des 19. Jahrhunderts und seine Rezeption in Deutschland. Amsterdam/Atlanta 1993, S. 235–245; Antje S. Anderson: Ein Kaufmann „von sehr englischem Aussehen“: Die literarische und soziokulturelle Funktion Englands in „Soll und Haben“. In: Florian Krobb (Hg.): 150 Jahre „Soll und Haben“. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005, S. 209–224. – Auch in England wurde Freytags Roman schon in den 1850er Jahren stark wahrgenommen und rezipiert. Und https://doi.org/10.1515/9783110541779-008

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 2 Die Poesie des Prosaischen

über Dickens (Charles Dickens. Eine Charakteristik) hat Julian Schmidt den englischen Autor 1852 als positives Gegenbild zur deutschen Romanliteratur gezeichnet: „Aus dem deutschen Roman“, so Schmidt, „lernt man weiter nichts, als wie verkümmert wir sind.“5 In Dickens dagegen könne man „einen dichterischen Werth finden, der weit über Alles hinausgeht, was unsere poetischen Landsleute in der letzten Zeit geleistet haben.“6 Dickens sei „viel deutscher […], als unsere gesammte romantische Literatur von Tieck und Schlegel herunter bis auf Hebbel und Gutzkow“. Die poetischen Gestalten, welcher der Engländer schaffe, hätten „vor Allem darum dichterischen Werth […], weil in ihnen neben der reichen Fülle individueller Anschauungen, sich jene ursprüngliche Gesundheit entfaltet, die im Leben dasselbe ist, was in der Kunst die Schönheit“.7 Schmidts frühe Dickens-Erörterungen8 enthalten in nuce bereits die entscheidenden Eckpfeiler und Elemente der allgemeinen Argumentationsmuster und -strategien der Grenzboten-Herausgeber auf dem Feld des Romans: die gegenwärtige Mängeldiagnose, die Abwertung der zeitgenössischen Romanproduktion und führender Feldteilnehmer einerseits sowie die Abgrenzung von der literarischen Tradition andererseits, aber auch den positiven Wirklichkeitsbezug, das Lob des Detailrealismus, die Verklärungsidee und damit zusammenhängend: die Aufnahme des vermeintlich ‚Prosaischen‘ in den Bereich des Kunstschönen. Was Freytag sowohl dem eigenen Anspruch als auch den Aussagen seiner Zeitgenossen zufolge auf dem Feld des Romans geleistet hat, klingt nun tatsächlich ähnlich wie die Bilanz, die Stefan Zweig in seinem Buch Drei Meister unter Freytags Vorbild Dickens gezogen hat: „Er hat als erster den Alltag ins Dichterische umgebogen. […] Seine große und unvergeßliche Tat war darum eigentlich nur: die Romantik der Bourgeoisie zu entdecken, die Poesie des Prosaischen.“9 Auf den Begriff gebracht ist auch hier erkannte man das Vorbild Dickens wieder. 1858 etwa hat die Londoner Zeitschrift Westmins­ ter Review Freytags Soll und Haben als bloße Nachahmung der Dicken’schen Romane verurteilt (vgl. hierzu genauer: H[ermann] M[arggraff]: Die „Westminster Review“ über den deutschen realistischen Roman. In: Blätter für literarische Unterhaltung 1858, Bd. II. 2. Dezember 1858 (Nr. 49), S. 902–905, hier S. 903  f.); vgl. in diesem Sinne auch: Gustav Liebert: Freitag’s Erfolge in England. In: Das Jahrhundert. Zeitschrift für Politik und Literatur 3 (1858), Januar bis Juni, S. 142 –144. 5 Julian Schmidt: Charles Dickens. Eine Charakteristik. Leipzig 1852, S. 9. 6 Schmidt: Charles Dickens. Eine Charakteristik, S. 11. 7 Schmidt: Charles Dickens. Eine Charakteristik, S. 11. 8 Zu Schmidts Dickens-Rezeption vgl. außerdem besonders die folgenden Texte: J[ulian] S[chmidt]: Englische Novellisten. I. Charles Dickens. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 161–172; J[ulian] S[chmidt]: Der neueste englische Roman und das Princip des Realismus. In: Die Grenzboten 15 (1856), II. Semester, IV. Band, S. 466–474; Julian Schmidt: Charles Dickens. In: ders.: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit. Bd. 2. Leipzig 1870, S. 1–118. 9 Stefan Zweig: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski, Frankfurt a.  M. 1981, S. 51. – Zweigs gesamter Dickens-Aufsatz ginge über weite Strecken auch als ein Freytag-Porträt durch, so wenn Zweig auf Dickens’ ‚Poesie des Prosaischen‘ hinführt („[E]r [Dickens, P. B.] hat allen diesen schlichten Leuten die Poesie ihres täglichen Lebens entdecken geholfen, […]. Die Poesie des Alltäglichen wollte er alle

2.1 Die Poesie-Prosa-Differenz oder: der „Stand der legitimen Problematik“ 

 299

damit eine für Freytags Literaturprogrammatik wie für sein gesamtes Werk zentrale Denkfigur, die der Autor vor allem mit Soll und Haben wirkungsvoll poetisch ins Werk setzt. Diese erschließt sie sich in ihrer literaturpolitischen, programmatischen und epochengeschichtlichen Bedeutung erst, wenn man sie umfassender historisiert und romantheoretisch kontextualisiert. In seinen Vorlesungen über die Ästhetik benennt Hegel mit der Begriffsopposition zwischen ‚Poesie‘ und ‚Prosa‘ einen Konflikt, der zum einen den zeitgenössischen literarischen Debatten um den Roman – insbesondere um Goethes Wilhelm Meister – pointiert Rechnung trägt, zum anderen jene romanästhetische Konfliktkonstellation markiert, die sich noch für die realistische Romantheorie als eine spezifische „Problemsituation“10 darstellt, wie man mit Bourdieu formulieren könnte.11

die lehren, die in den Alltag gebannt waren“; S. 52), wenn die bürgerliche Leserschaft der Zeit mit ihrem auch für Soll und Haben typischen ‚geregelten Begehren‘ in den Blick genommen wird („In den Büchern wie im Leben wünschen sie nur wohltemperierte Leidenschaften, keine Ekstasen, die aufstürmen, immer nur normale Gefühle, die sittsam promenieren, Glück wird in England damals identisch mit Beschaulichkeit, Ästhetik mit Sittsamkeit und Sinnlichkeit wiederum mit Prüderie, Nationalgefühl mit Loyalität, Liebe mit Ehe“; S. 47) oder auch wenn Zweig über Dickens Humor schreibt, der vielleicht der entscheidende Orientierungspunkt für Freytag war („Dickens unterstreicht immer die Merkzeichen seiner Menschen, er dreht sie aus dem Objektiven hinüber ins Gesteigerte, ins Karikaturistische. […] Dickens übertreibt […] ins Humoristische“; S. 57). 10 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 430. 11 Zur Poesie-Prosa-Thematik im 19. Jahrhundert vgl. allgemein: Wolfram Malte Fues: Poesie der Prosa, Prosa als Poesie. Eine Studie zur Geschichte der Gesellschaftlichkeit bürgerlicher Literatur von der deutschen Klassik bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Heidelberg 1990; Sebastian Susteck: [Art.] ‚Poetisch – Prosaisch‘. In: Metzler Lexikon Ästhetik. Kunst, Medien, Design und Alltag, hg. von Achim Trebeß. Stuttgart/Weimar, 2006, S. 297; Georg Kurscheidt: Engagement und Arrangement. Untersuchungen zur Roman- und Wirklichkeitsauffassung in der Literaturtheorie vom Jungen Deutschland bis zum Poetischen Realismus Otto Ludwigs. Bonn 1980; Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848. Bd. II: Die Formenwelt. Stuttgart 1972, S. 13–26, 820–833; Helmuth Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus (1848–1860). Stuttgart 1977, S. 86–94; Magda Gohar: Das Verhältnis von Poesie und Prosa als literaturphilosophisches Problem. Bonn 1978; Benedikt Jeßing: Das 19. Jahrhundert. In: Heinrich Detering u.  a.: Geschichte des deutschsprachigen Romans. Stuttgart 2013, S. 305–444, bes. S. 305–323, 442–444; Lars Korten: Ist der Roman das moderne Epos? Zur Theorie epischen Erzählens um 1850. In: Astrid Arndt, Christoph Deupmann u. ders. (Hg.): Logik der Prosa. Zur Poetizität ungebundener Rede. Göttingen 2012, S. 51–71; Korten: Poietischer Realismus, bes. S. 44–54; Sebastian Susteck: Kinderlieben. Studien zum Wissen des 19. Jahrhunderts und zum deutschsprachigen Realismus von Stifter, Keller, Storm und anderen. Berlin/New York 2010, S. 164–189; Norbert Otto Eke: „Man muß die Deutschen mit der Novelle fangen“. Theodor Mundt, die Poesie des Lebens und die „Emancipation der Prosa“ im Vormärz. In: Wolfgang Bunzel, ders. u. Florian Vaßen (Hg.): Der nahe Spiegel. Vormärz und Aufklärung. Bielefeld 2008, S. 294–312. – Vgl. in den hier skizzierten Zusammenhängen außerdem: Sabina Becker: Die „bürgerliche Epopöe“ im bürgerlichen Zeitalter. Zur kulturgeschichtlichen Fundierung des Bildungs- und Entwicklungsromans im 19. Jahrhundert. In: Euphorion 101 (2007), S. 61–86; Gerhard Plumpe: Das Reale und die Kunst. Ästhetische Theorie im 19. Jahrhundert. In: Edward McInnes u. ders. (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/Wien 1996, S. 242–307;

300 

 2 Die Poesie des Prosaischen

Nach Hegel hat der Roman als genuin bürgerliche Gattung zwar weiterhin den Anspruch, epische Totalität abzubilden bzw. herzustellen, wird jedoch fundamental durch den Umstand bestimmt, dass die bürgerliche Welt der Gegenwart sich eher prosaisch denn poetisch ausnimmt, mit anderen Worten: entzaubert ist.12 Die moderne bürgerliche Welt in ihrer Ausdifferenzierung und den Abhängigkeiten des Einzelnen habe „in dieser Welt des Alltäglichen und der Prosa“ ein Individuum geschaffen, das „nicht aus seiner eigenen Totalität tätig und nicht aus sich selbst, sondern aus anderem verständlich [ist]“.13 Diese Fremdbestimmung bei gleichzeitiger Vereinzelung in einem ‚zersplitterten‘, nicht mehr zu durchdringenden Ganzen kennzeichne die „Prosa der Welt“.14 Für die „[g]egenwärtige[n] prosaische[n] Zustände“,15 mithin die ausdifferenzierte bürgerliche Gesellschaft, sei das Fehlen des schlechthin Poetischen konstitutiv – das ‚prosaische‘ bürgerliche Leben stehe dem Bereich des Kunstschönen, der Poesie, naturgemäß. Eben hierin liegt Hegel zufolge aber gerade die Voraussetzung für den Roman und seine poetischen Rückgewinnungspotentiale. Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem Roman, der modernen bürgerlichen Epopöe. Hier tritt einerseits der Reichtum und die Vielseitigkeit der Interessen, Zustände, Charaktere, Lebensverhältnisse, der breite Hintergrund einer totalen Welt sowie die epische Darstellung von Begebenheiten vollständig wieder ein. Was jedoch fehlt, ist der ursprünglich poetische Weltzustand, aus welchem das eigentliche Epos hervorgeht. Der Roman im modernen Sinne setzt eine bereits

Plumpe: Roman, S. 529–689; Bruno Hillebrand: Theorie des Romans. Erzählstrategien der Neuzeit. 3., erw. Aufl. Stuttgart/Weimar 1993, S. 192–276; Fritz Martini: Zur Theorie des Romans im deutschen ‚Realismus‘. In: ders.: Literarische Form und Geschichte. Aufsätze zu Gattungstheorie und Gattungsentwicklung vom Sturm und Drang bis zum Erzählen heute. Stuttgart 1984, S. 103–121. Astrid Arndt u. Christoph Deupmann: Poetik der Prosa. Zur Reflexionsgeschichte und Topik des Prosa-Diskurses. In: dies. u. Lars Korten (Hg.): Logik der Prosa. Zur Poetizität ungebundener Rede. Göttingen 2012, S. 19–34, hier S. 26–30. – Wichtige Anregungen verdanken die folgenden Ausführungen außerdem: Edward McInnes: Zwischen „Wilhelm Meister“ und „Die Ritter vom Geist“. Zur Auseinandersetzung zwischen Bildungsroman und Sozialroman im 19. Jahrhundert. In: DVjs 43 (1969), S. 487–514; Kenneth Bruce Beaton: Gustav Freytag, Julian Schmidt und die Romantheorie nach der Revolution von 1848. In: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 17 (1976), S. 7–32; Franz Rhöse: Konflikt und Versöhnung. Untersuchungen zur Theorie des Romans von Hegel bis zum Naturalismus. Stuttgart 1978. – Zu Hegels Ästhetik im Kontext von Soll und Haben und der Litertaturprogrammatik der Grenzboten vgl. allgemein: Christine Achinger: Gespaltene Moderne. Gustav Freytags „Soll und Haben“. Nation, Geschlecht und Judenbild. Würzburg 2007, S. 291–334; Christine Achinger: Prosa der Verhältnisse und Poesie der Ware. Versöhnte Moderne und Realismus in Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Florian Krobb (Hg.): 150 Jahre „Soll und Haben“. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005, S. 67–86, hier S. 76–83. 12 Vgl. dazu auch: Arndt/Deupmann: Poetik der Prosa, S. 27  f. 13 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. In: ders.: Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Bd. 13–15. Bd. 13: Vorlesungen über die Ästhetik I, Redaktion Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel. Frankfurt a. M. 1973, S. 197. 14 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I, S. 199. 15 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I, S. 253.

2.1 Die Poesie-Prosa-Differenz oder: der „Stand der legitimen Problematik“ 

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zur Prosa geordnete Wirklichkeit voraus, auf deren Boden er sodann in seinem Kreise […] der Poesie, soweit es bei dieser Voraussetzung möglich ist, ihr verlorenes Recht wieder erringt.16

Der naheliegende Konflikt des modernen bürgerlichen Romans bestehe daher in einem Widerstreit zwischen den subjektiven Verwirklichungsansprüchen des Helden (der „Poesie des Herzens“) und den bestehenden gesellschaftlichen Zuständen (der „Prosa der Verhältnisse“): Eine der gewöhnlichsten und für den Roman passendsten Kollisionen ist deshalb der Konflikt zwischen der Poesie des Herzens und der entgegenstehenden Prosa der Verhältnisse […]: ein Zwiespalt, der […] seine Erledigung darin findet, daß einerseits die der gewöhnlichen Weltordnung zunächst widerstrebenden Charaktere das Echte und Substantielle in ihr anerkennen lernen, mit ihren Verhältnissen sich aussöhnen und wirksam in dieselben eintreten, andererseits aber von dem, was sie wirken und vollbringen, die prosaische Gestalt abstreifen und dadurch eine der Schönheit und Kunst verwandte und befreundete Wirklichkeit an die Stelle der vorgefundenen Prosa setzen.17

Eine weder komische noch tragische Lösung des zentralen Konflikts könne nur in der Versöhnung von Ich und Welt als Prozess wechselseitiger Veränderung bestehen. Einerseits versöhnt sich demnach der Held mit den ihn umgebenden Verhältnissen, oder jedenfalls ihren idealeren Elementen, andererseits hat er fortan selbst tätig teil an ihrer Verbesserung und ermöglicht somit ihre Idealisierung. Die ‚Helden der neueren Romane‘ durchlaufen einen Prozess, der letztlich auf eine „Kompromissbildung zwischen Individuum und Gesellschaft“18 hinausläuft und sich Hegel zufolge als eine bestimmte Entwicklung darstellt, die dann paradigmatisch für den Bildungs- und Entwicklungsroman wird: Sie stehen als Individuen mit ihren subjektiven Zwecken der Liebe, Ehre, Ehrsucht oder mit ihren Idealen der Weltverbesserung dieser bestehenden Ordnung und Prosa der Wirklichkeit gegenüber, die ihnen von allen Seiten Schwierigkeiten in den Weg legt. […] Besonders sind Jünglinge diese neuen Ritter, die sich durch den Weltlauf, der sich statt ihrer Ideale realisiert, durchschlagen müssen und es nun für ein Unglück halten, daß es überhaupt Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat, Gesetze, Berufsgeschäfte usf. gibt, weil diese substantiellen Lebensbeziehungen sich mit ihren Schranken grausam den Idealen […] des Herzens entgegensetzen. […] Diese Kämpfe nun aber sind in der modernen Welt nichts Weiteres als die Lehrjahre, die Erziehung des Individuums an der vorhandenen Wirklichkeit, und erhalten dadurch ihren wahren Sinn. Denn das Ende solcher Lehrjahre besteht darin, daß sich das Subjekt die Hörner abläuft, mit seinem Wünschen und Meinen sich in die bestehenden Verhältnisse und die Vernünftigkeit derselben hineinbildet, in die Verkettung der Welt eintritt und in ihr sich einen angemessenen Standpunkt erwirbt. Mag einer sich auch noch soviel mit der Welt herumgezankt haben, […] zuletzt bekommt er meistens doch sein Mädchen und irgendeine Stellung, heiratet und wird ein Philister.19

16 Hegel: Werke in 20 Bänden. Bd. 15: Vorlesungen über die Ästhetik III, S. 392–393 (Hervorhebungen im Original). 17 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik III, S. 393. 18 Jeßing: Das 19. Jahrhundert, S. 319. 19 Hegel: Werke in 20 Bänden. Bd. 14: Vorlesungen über die Ästhetik II, S. 219–220.

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 2 Die Poesie des Prosaischen

Hegels bisher zitierte Ausführungen verraten (u.  a. in ihrer Färbung durch die romantische Philisterkritik), dass er sich mehr oder weniger direkt auf Goethes Wilhelm Meister bezieht. Noch ehe sich ein ausgeprägtes bzw. eigentliches Gattungsverständnis vom ‚Bildungsroman‘ entwickelte, nahm Goethes Text eine „prototypische Funktion“20 innerhalb der romanästhetischen Debatten allgemein ein und hielt diese auch in den folgenden Jahrzehnten inne, so dass Theodor Mundt ihm 1833 bekanntlich den Status des „deutschen Normal-Roman[s]“ zuerkannte.21 Das Erzählmuster des Wilhelm Meister wurde im beginnenden 19. Jahrhundert konstitutiv für das Verständnis bzw. die Definition des Romans schlechthin. Auch die konfligierenden Zentralbegriffe ‚Poesie‘ und ‚Prosa‘, wie sie Hegel nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Goethe’schen Bildungsromans erörtert, bestimmen dessen Rezeption bereits von Anfang an und erweisen sich bis hinein in die realistische Romantheorie als prägende Leitbegriffe der Gattungsdiskussion. Innerhalb derselben werden die Schlagwörter ‚Poesie‘ und ‚Prosa‘ seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert immer weniger im Sinne ihrer eigentlichen Wortbedeutung, sondern vielmehr metaphorisch verwendet.22 Über die beiden Begriffe werden die Fragen zur Redeform bzw. zur Gattung stets schon verknüpft mit Fragen ihrer sozialen Lehre, ihres sozialen Zuschnitts, ja mit den grundsätzlichen Fragen nach dem Verhältnis von Poesie und Leben, Individuum und Gesellschaft.23 Nicht selten wird die Poesie dabei mit der Vergangenheit und die Prosa mit der (bürgerlichen) Gegenwart verbunden.24 Während die Poesie für das Außergewöhnliche reserviert, wird die Prosa dem Alltäglichen, Profanen und Bürgerlichen zugeordnet.25 Sich den Termini ‚Poesie‘ und ‚Prosa’ mit Bourdieu zu nähern, liegt demnach schon deshalb nahe, weil diesen Begriffen in den romanästhetischen Debatten seit der kontroversen romantischen Rezeption des Wilhelm Meister immer bereits auch eine soziale Semantik innewohnt. Die Poesie-Prosa-Differenz wird bereits ‚um 1800‘ in den poetologischen Einlassungen von Autoren kaum mehr über formale Kriterien

20 So Voßkamp allgemein über die Rolle des Wilhelm Meister „im Zusammenhang mit der Entstehung und Geschichte des Bildungsromans“: Wilhelm Voßkamp: „Man muß den Roman mehr als einmal lesen.“ Zur Wirkungsgeschichte von Goethes ‚Wilhelm Meisters Lehrjahre[n]‘. In: Henning Krauß (Hg.) in Verbindung mit Louis van Delft, Gert Kaiser u. Edward Reichel: Offene Gefüge. Literatursystem und Lebenswirklichkeit. Festschrift für Fritz Nies zum 60. Geburtstag. Tübingen 1994, S. 199–210, hier S. 199; vgl. dazu auch Rolf Selbmann: Einleitung. In: ders. (Hg.): Zur Geschichte des Bildungsromans. Darmstadt 1988, S. 1–44, hier S. 6–9. 21 Zit. n. Steinecke: Romanpoetik in Deutschland, S. 18. 22 Vgl. Jeßing: Das 19. Jahrhundert, S. 308. 23 Vgl. dazu auch: Jeßing: Das 19. Jahrhundert, S. 308–311. 24 Vgl. dafür exemplarisch: Konrad Feilchenfeldt: Die „Nobilitierung“ der Prosa in Grillparzers „Der arme Spielmann“. In: Wolfgang Bunzel, ders. u. Walter Schmitz (Hg.): Schnittpunkt Romantik. Textund Quellenstudien zur Literatur des 19. Jahrhunderts. Festschrift für Sibylle von Steinsdorff. Tübingen 1997, S. 223–235, hier S. 226  f. 25 Vgl. Susteck: [Art.] ‚Poetisch – Prosaisch‘, S. 297.

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begründet (wie etwa die simple und für die Gattungstheorie des 18. und 19. Jahrhundert leitende Unterscheidung von gebundener und ungebundener Rede),26 sondern aufgeladen mit spezifischen Literaturprogrammatiken sowie geschichtsphilosophischen Deutungen, mit proklamierten ästhetischen Normen, mit Annahmen über die Wirkungsästhetik von Texten, mit sozialen Zuordnungen – oder mit Bourdieu gesagt: mit ‚Geschmacksfragen‘. Entscheidend für die Poesie-Prosa-Diskussion ist indes, dass die Erörterungen über die Möglichkeiten des Romans als Gattung eng verknüpft sind mit der Frage der Poesiefähigkeit des bürgerlichen Lebens – ist doch in der metaphorischen Begriffsverwendung vom ‚Prosaischen‘ stets die bürgerliche Lebenswelt gemeint, die  – so der hier implizierte Gedanke  – nur in der Form des Romans überhaupt dargestellt werden kann.27 Die Geschichte über die Diskussion der Poesiefähigkeit der bürgerlichen Lebensverhältnisse ist demnach untrennbar verknüpft mit der Geschichte der Nobilitierung der Prosa seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Die ‚Emanzipation der Prosa‘ im 19. Jahrhundert gestaltet sich mithin gemäß der doppelten Semantik der Begriffsverwendung: im sozialen und im poetischen Sinne. Die Literaturdiskussion erkennt mit der Erzählprosa zugleich die poetischen Potentiale der bürgerlichen Gegenwart an. Auf den Punkt gebracht: Die Aufwertung des Bürgertums in der Kunst und die Aufwertung des Romans sind aneinander gekoppelt. Dem Roman allgemein steht Schiller im Brief an Goethe vom 20. Oktober 1797 denkbar skeptisch gegenüber und teilt damit die zeitgenössischen intellektuellen Vorbehalte gegenüber der immer mehr gelesenen, aber auf dem Höhenkamm der Aufklärung und Weimarer Klassik insgesamt noch schlecht beleumundeten und als wenig ‚poetisch‘ angesehenen Gattung:28 Zwar sei Goethes Wilhelm Meister vom „echt poetische[n] Geist“ des Autors erfüllt, so Schiller, weil aber „jede Romanform […] schlechterdings nicht poetisch“ sei, schwanke der Text „zwischen einer prosaischen und poetischen Stimmung“, so dass es der Form letztlich an „poetische[r] Kühnheit“ mangele.29 Was sich im Nachhinein beinahe als Mangel liest, stellt sich aus der zeitgenössischen Perspektive als Neuerung dar: Goethes Roman erscheint als Möglichkeit einer ‚poetischen Prosa‘ (wie der Autor selbst sie im Brief an Schiller noch ablehnt)30 26 Vgl. hierzu und im Folgenden (für die Gattungstheorie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) genauer: Sengle: Biedermeierzeit. Bd. II, S. 13–26, 820–829. 27 Vgl. Jeßing: Das 19. Jahrhundert, S. 311. 28 Vgl. Albert Meier (unter Mitarbeit von Katharina Derlin): Goethezeit. In: Heinrich Detering u.  a.: Geschichte des deutschsprachigen Romans. Stuttgart 2013, S. 163–304, hier S. 163  f. 29 Schiller an Goethe, 20. Oktober 1797. In: Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe in den Jahren 1794 bis 1805. Münchner Ausgabe. Bd. 1, hg. von Manfred Beetz. München 2005, S. 439  f. 30 „Alles poetische sollte rhythmisch behandelt werden! das ist meine Überzeugung, und daß man nach und nach eine poetische Prosa einführen konnte, zeigt nur daß man den Unterschied zwischen Prosa und Poesie gänzlich aus den Augen verlor. Es ist nicht besser als wenn sich jemand in seinem Park einen trocknen See bestellte und der Gartenkünstler diese Aufgabe dadurch aufzulösen suchte daß er einen Sumpf anlegte. Diese Mittelgeschlechter sind nur für Liebhaber und Pfuscher, so wie die

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und ebnet einer allmählichen Aufwertung des Romans den Weg.31 Genau so als geradezu kühnes Formexperiment und gleichsam im Sinne einer ‚progressiven Universalpoesie‘, die auch der ungebundenen Rede poetische Qualität zubilligt, liest daher – anfangs noch – Friedrich Schlegel den Roman: Obgleich es also den Anschein haben möchte, als sei das Ganze ebensosehr eine historische Philosophie der Kunst, als ein Kunstwerk oder Gedicht, und als sei alles, was der Dichter mit solcher Liebe ausführt, als wäre es sein letzter Zweck, am Ende doch nur Mittel: so ist doch alles Poesie, reine, hohe Poesie. […] Was fehlt Werners und Wilhelms Lobe des Handels und der Dichtkunst als das Metrum, um von jedermann für erhabne Poesie anerkannt zu werden? Überall werden uns goldene Früchte in silbernen Schalen gereicht. Diese wunderbare Prosa ist Prosa und doch Poesie.32

Wie Schlegel in seinen späteren Distanzierungen betont, bezieht sich sein hymnisches Lob auf die Form, „Gedankenfülle“ und den „Styl“ des Wilhelm Meister, Goethes „Prosa-Gedanken“ dagegen, seine Absicht, die „Poesie unmittelbar an die Gegenwart zu knüpfen“, bewertet er als „irre leitend“.33 Dass es Romantikern im Roman also keineswegs in inhaltlicher Hinsicht um eine Aufhebung des Widerspruchs zwischen der Poesie und „Prosa der Wirklichkeit“34 – es sei denn im Sinne einer diese Kategorien gänzlich nivellierenden ‚Alleinheit‘ – zu tun war, zeigen Novalis’ Notizen zum Wilhelm Meister. Was bei Gustav Freytag später ohne jeden Widerspruch fast zur tautologischen Wendung wird, bedeutet für Novalis einen unüberbrückbaren Gegensatz, wenn er festhält: „Streben nach dem Höchsten und Kaufmannsstand. Das kann nicht so bleiben“.35 Die Kritik am Roman wird von Novalis bezeichnenderweise im Zuge der Beschäftigung mit seinem Gegenentwurf Heinrich von Ofterdingen – und damit wohl nicht zuletzt in zunehmend distinktionsmotivierter ‚Einflussangst‘ – intensiviert und im Hinblick auf die Frage der Poesiefähigkeit gegenwärtigen bürgerlichen Lebens perspektiviert; von Hardenbergs Einwände sind somit im Wesentlichen inhaltliche, die jeden positiven Bezug auf das bürgerliche Leben als Darstellungsgegenstand ablehnen:

Sümpfe für Amphibien“ (Goethe an Schiller, 25. November 1797. In: Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe in den Jahren 1794 bis 1805, S. 452). 31 Vgl. Meier: Goethezeit, S. 164, 232–238. 32 Friedrich Schlegel: Über Goethes Meister. In: ders.: Werke in einem Band, hg. von Wolfdietrich Rasch. Dortmund 1982, S. 452–472, hier S. 458  f. 33 Friedrich Schlegel: Friedrich Schlegel’s Sämmtliche Werke. Zweyter Band: Geschichte der alten und neuen Litteratur. Vorlesungen gehalten zu Wien im Jahre 1812. Zweyter Teil. Zweyte verbesserte und vermehrte Ausgabe. Wien 1822, S. 311–312. 34 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II, S. 219. 35 Novalis: Werke, hg. und kommentiert von Gerhard Schulz. 4. Aufl. München 2001, S. 397.

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‚Wilhelm Meisters Lehrjahre‘ sind gewissermaßen durchaus prosaisch  – und modern. Das Romantische geht darin zu Grunde – auch die Naturpoesie, das Wunderbare – er handelt bloß von gewöhnlichen menschlichen Dingen […]. Es ist eine poetisierte bürgerliche und häusliche Geschichte. Das Wunderbare darin wird ausdrücklich, als Poesie und Schwärmerei, behandelt. Künstlerischer Atheismus ist der Geist des Buchs. Sehr viel Ökonomie – mit prosaischem, wohlfeilem Stoff ein poetischer Effekt erreicht.36

In seiner Vorschule der Ästhetik fasst schließlich Jean Paul die Auseinandersetzung, die ihm als charakteristisch für die ‚deutsche Schule des Romans‘ gilt, polemisch zusammen: Die deutsche Schule [des Romans – nach Jean Paul, P. B.], welcher gemäß Goethens Meister das bürgerliche oder Prose-Leben am reichsten spielen ließ, trug vielleicht dazu bei, daß Novalis, dessen breites poetisches Blätter- und Buschwerk gegen den nackten Palmenwuchs Goethens abstach, den Meisters Lehrjahren Parteilichkeit für prosaisches Leben und wider poetisches zur Last gelegt.37

Damit ist am Beispiel der frühen ‚Meister‘-Rezeption nur der kanonisierte Teil der Vorgeschichte jener ästhetischen ‚Problemsituation‘ skizziert, die sich für die realistische Romantheorie sogar in noch höherem Maße stellt: Bestehen „Problem“ und „Reiz“ einer realistischen Kunst, die das Poetische und das Wirkliche konstitutiv zusammendenkt, nach Niklas Luhmann doch gerade darin, „daß sie trotzdem Kunst ist“.38 Die Herausforderung, die Hegel für den bürgerlichen Roman beschreibt, liegt demnach in dem Problem, „die Prosa des wirklichen Lebens mit in seine Schilderungen hineinzuziehen, ohne dadurch selber im Prosaischen und Alltäglichen stehenzubleiben.“39 Die Frage lautet also: Wie kann der Roman zeitgemäß, also ‚weltreferentiell‘, und trotzdem poetisch sein? Auch den Hegelschüler und einen der wichtigsten Vertreter der realistischen Romanästhetik Friedrich Theodor Vischer treibt die Frage nach der Möglichkeit der „Repoetisierung des bürgerlichen Lebens in einer hochdifferenzierten Gesellschaft“40 um. In seiner Ästhetik konstatiert Vischer 1857, dass das „Reale prosaisch“, die Welt poesielos geworden sei:41

36 Novalis: Werke, S. 544 (Hervorhebungen im Original). 37 Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. In: ders.: Sämtliche Werke. Abt. 1. Bd. 5, hg. von Norbert Miller. Frankfurt a. M. 1996, S. 7–514, hier S. 256 (Hervorhebungen im Original). 38 Niklas Luhmann: Ist Kunst codierbar? In: ders.: Aufsätze und Reden, hg. von Oliver Jahraus. Stuttgart 2001, S. 159–197, hier S. 164. 39 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik III, S. 393. 40 Plumpe: Roman, S. 532. 41 Friederich Theodor Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Theil: Die Kunstlehre. Stuttgart 1857, S. 1308.

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Die Grundlage des modernen Epos, des Romans, ist die erfahrungsmäßig erkannte Wirklichkeit, also die schlechthin nicht mehr mythische, die wunderlose Welt. Gleichzeitig mit dem Wachstum dieser Anschauung hat die Menschheit auch die prosaische Einrichtung der Dinge in die Welt eingeführt […]. Hegel bezeichnet nun mit einfach richtiger Bestimmung das Wesen des Romans, wenn er […] sagt, er erringe der Poesie auf diesem Boden der Prosa ihr verlorenes Recht wieder. Es kann dieß auf verschiedenen Wegen geschehen. Der erste ist der, daß die Handlung in Zeiten zurückverlegt wird, wo die Prosa noch nicht oder nur wenig Meisterinn [!] der Zustände war; […]. Ein zweites Mittel ist die Aufsuchung der grünen Stellen mitten in der eingetretenen Prosa […].42

Vischer aktualisiert den von Hegel beschriebenen Konflikt nicht nur, er diskutiert mögliche Lösungen, indem er unter anderem die Möglichkeit aufzeigt, angesichts „wachsender Vertrocknung“43 nach solchen ‚grünen Stellen in der eingetretenen Prosa‘ zu suchen, „die der idealen Bewegung noch freieren Spielraum geben“44  – nach den ‚noch poetischen‘, nicht von massiver Modernisierung betroffenen und damit weiterhin poesiefähigen Bereichen der Gegenwart also. Bei der Vorstellung von einer durch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen zunehmend unpoetisch werdenden Welt handelt es sich um eine gerade für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts prägende Denkfigur. Obwohl der Held von Immermanns Die Epigo­ nen (1836), Hermann, im letzten Kapitel des Buches den Plan entwirft, die ererbten Fabriken zurück zu Ackerland und damit die Modernisierung wieder rückgängig zu machen,45 hält auch er in einer „pessimistische[n] Gesamtdiagnose“46 den Rückzug auf das verbliebene – gleichsam ‚restpoetische‘ – ‚Grünland‘ für ein auf Dauer vergebliches Unterfangen: Mit Sturmesschnelligkeit eilt die Gegenwart einem trocknen Mechanismus zu; wir können ihren Lauf nicht hemmen, sind aber nicht zu schelten, wenn wir für uns und die Unsrigen ein grünes Plätzchen abzäunen, und diese Insel so lange als möglich gegen den Sturz der vorbeirauschenden industriellen Wogen befestigen.47

Anhand der Veränderungen in solcher ‚Land- und Weidemetaphorik‘ des poetischen Realismus lässt sich nun im Sinne Bourdieus ein geänderter „Stand der legitimen Problematik“, d.  h. des Poesie-Prosa-Konflikts und der hier zu beziehenden ‚mögli42 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen III, S. 1304–1305. 43 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen III, S. 1306. 44 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen III, S. 1303. 45 Zu Immermanns Epigonen vgl. genauer: Josef Jansen (unter Mitarbeit von Jürgen Hein u.  a.): Einführung in die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts. Bd. 1: Restaurationszeit (1815–1848). Opladen 1982, S. 70–76; Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848. Bd. III: Die Dichter. Stuttgart 1980, S. 863–874; Meier: Goethezeit, S. 294–298. 46 Jost Schneider: Das 19. Jahrhundert. In: Benedikt Jeßing, Karin Kress u. ders.: Kleine Geschichte des deutschen Romans. Darmstadt 2012, S. 63–138, hier S. 100. 47 Karl Immermann: Werke in fünf Bänden. Bd. 2: Die Epigonen. Familienmemoiren in 9 Büchern 1823–1835, hg. von Benno von Wiese. Frankfurt a. M./Wiesbaden 1971, S. 650.

2.1 Die Poesie-Prosa-Differenz oder: der „Stand der legitimen Problematik“ 

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chen Positionen‘ sowie der „Suche nach Lösungen“ ablesen.48 In Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848 (1853) artikuliert Theodor Fontane dieses Bedürfnis nach Lösung der feldinternen Problematik in Form der Hinwendung zur zeitgenössischen Wirklichkeit und deren poetische Idealisierung: Was unsere Zeit nach allen Seiten hin charakterisiert, das ist ihr Realismus. […] die Welt ist des Spekulierens müde und verlangt nach jener „frischen grünen Weide“, die so nah lag und doch so fern.49 […] Der Realismus in der Kunst ist so alt als die Kunst selbst, ja noch mehr: er ist die Kunst.50 […] Er ist die Widerspiegelung alles wirklichen Lebens im Elemente der Kunst; […]. Der Realismus will nicht die bloße Sinnenwelt und nichts als diese; er will am allerwenigsten das bloß Handgreifliche, aber er will das Wahre.51

Und in den posthum veröffentlichten Shakespeare-Studien Otto Ludwigs heißt es im Abschnitt „Verhältniß von Poesie und Leben“: Die Dichter haben kein Recht, das Leben, wie es jetzt ist, zu schmähen. Sie trennten die Poesie vom Leben, […] daß das Leben keine Poesie mehr hatte […]. Gerade wo das Leben, brav geführt, arm ist an Interesse, da soll die Poesie mit ihren Bildern es bereichern; sie soll uns nicht wie eine Fata Morgana Sehnsucht erregen wo anders hin, sondern soll ihre Rosen um die Pflicht winden, nicht uns aus den Dürren in ein vorgespiegeltes Paradies locken, sondern das Dürre uns grün machen.52

Diese Beispiele zeigen, dass die in den ästhetischen Programmen der Jahrhundertmitte übergreifend geteilte Forderung, sich auf die gegenwärtige Welt einzulassen, immer bereits deren „poetische Verklärung“53 voraussetzt,54 ohne dass dabei die 48 Bourdieu: Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken, S. 65. 49 Theodor Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe. München 1969, S. 236–260, hier S. 236 (Hervorhebung im Original). 50 Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848, S. 238 (Hervorhebung im Original). 51 Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848, S. 242 (Hervorhebung im Original). 52 Otto Ludwig: Shakespeare-Studien, hg. von Moritz Heydrich. Leipzig 1874, S. 132  f. 53 Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848, S. 237. 54 So etwa bei Otto Ludwig: „Die Kunst soll nicht verarmte Wirklichkeit sein, vielmehr bereicherte“ (Ludwig: Shakespeare-Studien, S. 412); oder in Fortführung der botanischen Metaphorik: „Poesie der Wirklichkeit, die nackten Stellen des Lebens überblumend, […]. […] besonders durch Ausmalung der Stimmungen und Beleuchtung des Gewöhnlichsten im Leben mit dem Lichte der Idee“ (Otto Ludwig: Otto Ludwigs gesammelte Schriften. Bd. 6: Studien. Zweiter Band, hg. von Adolf Stern. Leipzig 1891, S. 75). – Dieser realidealistische Wesenskern, der zugleich eine Abgrenzung gegenüber naturalistischen Tendenzen motiviert, findet sich selbst in den weiter links stehenden Literaturprogrammen, so etwa bei Robert Prutz oder Arnold Ruge: vgl. Arnold Ruge: [Gemeiner und poetischer Realismus] (1858). In: Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Stuttgart 1997, S. 132–134, bes. S. 133; Robert Prutz: [Realismus und Idealismus] (1859). In: Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Stuttgart 1997, S. 130–132.

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Gegenstände realistischer Darstellung jeweils stets schon konkret benannt werden können.55 Breit artikuliert wird die Ablehnung sowohl eines „abstrakte[n] Idealismus“ wie eines „brutale[n] Realismus“; verlangt wird dagegen „die ideale Verklärung des Realen, die Aufnahme und Wiedergeburt der Wirklichkeit in dem ewig unvergänglichen Reiche der Schönheit“.56 Zwar befinden sich u.  a. Ludwig und Fontane bezogen auf das Verhältnis von Idee und Wirklichkeit in Übereinstimmung mit den realidealistischen Positionen Gustav Freytags sowie Julian Schmidts, der erklärte, „die Idee der Dinge ist auch ihre Realität“;57 gegenüber diesen eher absichtsvollen Erörterungen haben die Grenzboten-Herausgeber aber romanpoetologisch ‚Handgreifliches‘ zu bieten, indem sie die Suche nach den ‚grünen Stellen‘, die Poesie-Prosa-Diskussion schlechterdings für beendet erklären und die Poesie der Gegenwart gerade darin zu finden meinen, was bis dahin als Inbegriff für die ‚Prosa der Verhältnisse‘ galt: der bürgerliche Alltag und die bürgerliche Arbeit.58 Überwunden wird im Realidealismus der Grenzboten damit zugleich jene Position, nach der die Prosa als Form der blanken Wirklichkeit und die Poesie im Gegensatz dazu dem Idealismus zugeordnet ist.59

2.2 Zur Bedeutung der Dorfgeschichte für die Poesie-ProsaDebatte und den Grenzboten-Realismus Auf dem Weg zu dieser Position kommt einer spezifischen, vor allem seit Beginn der 1840er Jahre verstärkt diskutierten Erzählform besondere Bedeutung zu: der Dorf­ geschichte. Nicht nur die gegenüber einer negativ bewerteten deutschen Prosa-Landschaft als Positivbeispiele und Orientierungspunkte fungierenden Schriftsteller des englischsprachigen Realismus wie Scott, Thackeray oder Dickens spielen eine zen­ trale Rolle für die von den Grenzboten ausformulierte Prosaprogrammatik. Gleiches gilt für die Dorfgeschichte, die innerhalb der literaturprogrammatischen Debatten ‚um 1850‘ insgesamt eine Schlüsselstellung innehatte.60

55 Gerade Otto Ludwigs realidealistische Programmatik bleibt vielfach im Vagen und in erster Linie theoretisierend-absichtsvoll, so wenn es beispielsweise heißt: „Die wahre Poesie muß sich ganz von der äußeren Gegenwart loslösen, sozusagen von der wirklichen Wirklichkeit. Sie darf blos das festhalten, was dem Menschen zu allen Zeiten eignet, seine wesentliche Natur, und muß dies in individuelle Gestalten kleiden, d.  h. sie muß realistische Ideale schaffen“ (Ludwig: Shakespeare-Studien, S. 21). 56 Prutz: [Realismus und Idealismus], S. 130  f. 57 Julian Schmidt: Schiller und der Idealismus. In: Die Grenzboten 17 (1858), II. Semester, IV. Band, S. 401–410, hier S. 405. 58 Vgl. dazu grundlegend: Bernd Bräutigam: Candide im Comptoir. Zur Bedeutung der Poesie in Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift NF 35 (1985), S. 395–411. 59 Kirchbach: Realismus, Idealismus, Naturalismus, S. 703. 60 Vgl. dazu genauer: Plumpe: Einleitung. In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, S.  71–77.  – Zur allgemeinen ästhetischen und politischen Bedeutung der Dorfgeschichte Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. Werner Hahl: Gesellschaftlicher Konservatismus und literarischer Realismus.

2.2 Zur Bedeutung der Dorfgeschichte für die Poesie-Prosa-Debatte 

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Begeistert davon, dass die Gestalten des ‚einfachen Volks‘, parallel zu den revolutionären politischen Entwicklungen, die „Herrschaft der deutschen Literatur“ erobert hatten, sah etwa der liberale österreichische Schriftsteller Ferdinand Kürnberger im September 1848 mit der Dorfgeschichte das Morgenrot eines neuen poetischen und politischen Zeitalters anbrechen: Wie der französischen Revolution, als bedeutungsvolles Vorzeichen, der Umschwung der Philosophie durch die Enciklopädisten voranging, so war die schöne Literatur, und zwar die Poesie der Dorfgeschichten das Symptom der Revolution in Deutschland. Eigenthümlich und neu war die Erscheinung wie plötzlich ohne Verabredung, ja ohne Bewußtsein und Tendenz eines politischen Zweckes deutsche Schriftsteller anfingen, das schlichte Volk der Wälder, den Bauern bei seinem Pfluge, die Magd bei ihrem Spinnrade, den Knaben in der Dorfschule zur Herrschaft der deutschen Literatur zu berufen. Neu nenn ich diese Erscheinung […]. Ja, diese sanften, freundlichen Dorfgeschichten, die so unschuldig schienen, wie ein Veilchen, so harmlos wie ein Tagfalter, diese friedlich umhegten Dorfgeschichten waren es, welche es mahnend verriethen: der Tag der Volksherrschaft ist in Deutschland angebrochen, und die Poesie, der Herold des Zeitgeistes, verkündet sein Morgenroth.61

Wesentlich nüchterner fasst das Weimarer Sonntagsblatt 1857 die Bedeutung der Dorfgeschichte für die Literaturdiskussion der Jahrhundertmitte aus zeitgenössischer Perspektive zusammen: Die Dorfgeschichte ist eine ihrem Stoffe nach neue epische Dichtungsart. Ihr Eintritt in die Literatur ist herbeigeführt durch die Umbildung unseres Bauernstandes und seine neu gewordene Bedeutung im politischen und socialen Leben. Ihre Stoffe sind an und für sich der epischen Dichtung günstig und gestalten und fordern dabei eine künstlerische Behandlung, welche das Verlangen unserer Zeit nach Realität in würdiger Weise befriedigt.62

Das Modell einer deutschen Sozialverfassung in den Dorfgeschichten. In: RuG I, S. 48–93; Norbert Miller: Dorfgeschichte und Dorfroman. In: Horst Albert Glaser (Hg.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 7: Vom Nachmärz zur Gründerzeit: Realismus 1848–1880. Reinbek b. Hamburg 1982, S. 179–205. – Zur zentralen Bedeutung der Dorfgeschichte für den programmatischen Realismus, insbesondere den der Grenzboten vgl.: Ruckhäberle/Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Realismus, S. 99–114; Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus, S. 72–79; Kinder: Poesie als Synthese, S. 115–139, 157–162; Aust: Realismus, S. 210–213; Edward McInnes: Auerbach’s „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ and the Quest for ‚German Realism‘ in the 1840s. In: Mark G. Ward (Hg.): Perspectives on German Realist Writing. Eight essays. Lewiston 1995, S. 95–111; Schönert: Berthold Auerbachs „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, S. 331–346; Plumpe: Einleitung. In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, S. 72–79. Insgesamt leuchtet es ein, die Dorfgeschichte mit Wild (und ähnlich wie Schönert) als „Experimentierfeld realistischen Schreibens“ zu begreifen (Bettina Wild: Topologie des ländlichen Raums. Berthold Auerbachs „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ und ihre Bedeutung für die Literatur des Realismus. Mit Exkursen zur englischen Literatur. Würzburg 2011, S. 61). – Vgl. hierzu außerdem die zahlreichen Quellen in: RuG II, S. 148–213. 61 Ferd[inand] Kürnberger: Literarische Charaktere. Leopold Kompert (zuerst veröffentlicht in: Literaturblatt. Beilage zu den Sonntagsblättern 2/12, Wien, 10. September 1848). In: RuG II, S. 167  f. 62 W.: Die Dorfgeschichte. Berthold Auerbach und sein neuestes Werk (Barfüßele), [aus:] Weimarer Sonntagsblatt 1857. In: RuG II, S. 182–185, hier S. 185.

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 2 Die Poesie des Prosaischen

Vor allem die 1848 veröffentlichten Geschichten Aus dem Ghetto des böhmisch-jüdischen Schriftstellers Leopold Kompert (1822–1886) sowie die Schwarzwälder Dorfge­ schichten Berthold Auerbachs (1812–1882), aber auch die Texte Jeremias Gotthelfs (1787–1854),63 wurden zeitgenössisch als erzählerisch wegweisend aufgenommen. Sie wurden gerade von Freytag und Schmidt in den Nachmärzjahren in ebendiesem Sinne rezipiert und auf das eigene nachrevolutionäre Literaturprogramm bezogen,64 obwohl die neuere „Epoche der Dorfgeschichten“,65 von der so 1853 die Rede ist, spätestens schon in den frühen 1840er Jahren einsetzt. Insbesondere das Erscheinen des ersten Bandes von Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichten (1843) ist hier als entscheidender Markstein zu nennen.66 Noch in der Rückschau von 1886 hat Freytag den damaligen Stellenwert Auerbachs hervorgehoben: [D]ie beiden ersten Bände der Schwarzwälder Dorfgeschichten waren bei weitem das Wirksamste, was er geschaffen hat, für Deutschland ein literarisches Ereignis. Sie erschienen als eine Erlösung von der öden Salonliteratur, welche französischen Vorbildern ungeschickt nacharbeitete, sie brachten Schilderungen aus dem deutschen Volkstum zu Ehren, Charaktere und Sitten, die auf unserem Boden gewachsen waren. Das wurde überall dankbar empfunden und der frische treuherzige Gesell […] ward, wohin er kam, mit Begeisterung empfangen und als Verkünder einer neuen Gattung von Poesie gefeiert. (GW I, 132)

Fasst man die Äußerungen zur zeitgenössischen Dorfgeschichtenrezeption zusammen, lassen sich zunächst drei Punkte festhalten, warum die Dorfgeschichte (und die damit verbundene Dorfgeschichten-Begeisterung) ‚um 1850‘ als wichtige Station innerhalb der Poesie-Prosa-Debatte und für die Ausformulierung des realistischen Literaturprogramms begriffen werden muss. Erstens: Die Dorfgeschichte zeigt einen ‚poetischen‘ bzw. poesiefähigen Bereich der zeitgenössischen nationalen Wirklichkeit auf. Sie nimmt diesen zweitens in Prosa, d.  h. in erzählerischer  – und damit nach bisher weit verbreiteter Ansicht: unpoetischer – Form, in den Blick; sie ist also sowohl im Hinblick auf ihre Form als auch in Bezug auf ihren Gegenstand innovativ für die Erzählliteratur. Sie erweist sich u.  a. damit – drittens – als wegweisend und zentral für die romantheoretische Debatte, deren entscheidende Programmpunkte schon im 63 Vgl. dazu vor allem: J[ulian] S[chmidt]: Jeremias Gotthelf [Rez. zu dessen Erzählungen und Bilder aus dem Volksleben der Schweiz von 1850]. In: Die Grenzboten 9 (1850) I. Semester, II. Band, S. 489– 494. 64 Vgl. dazu neben den einzelnen Verweisen in diesem Kapitel besonders: Schmidt: Die Reaction in der deutschen Poesie; S[chmidt]: Der neueste englische Roman und das Princip des Realismus; S[chmidt]: Neue Romane [Rez. zu: Berthold Auerbach: Joseph im Schnee. Eine Erzählung]. 65 N. N.: Auerbach und die Epoche der Dorfgeschichten. In: Europa. Chronik der gebildeten Welt, 8. Dezember 1853 (Nr. 100), S. 797–799. 66 Zu diesem Band und seinen Erzählverfahren vgl. Philipp Böttcher u. Peer Trilcke: Konfliktgestaltung und ‚Poetik des ganzen Dorfes‘ in Berthold Auerbachs frühen „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ (1843). In: Christof Hamann u. Michael Scheffel (Hg.): Berthold Auerbach. Ein Autor im Kontext des 19. Jahrhunderts. Trier 2013, S. 99–127. – Zu Auerbachs Schlüsselstellung vgl. auch Hahl: Gesellschaftlicher Konservatismus und literarischer Realismus, S. 50–52.

2.2 Zur Bedeutung der Dorfgeschichte für die Poesie-Prosa-Debatte 

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Zusammenhang mit der Dorfgeschichte diskutiert und von da auf das gesamte Feld der Prosaliteratur bezogen werden. Mit Widhammer auf den Punkt gebracht: „[M]an [d. h. vor allem: Die Grenzboten; P. B.] setzt nach 1848 die Dorfliteratur gezielt als Kampfinstrument für das eigene durch und durch bürgerliche Literaturkonzept ein.“67 Der Dorfgeschichte kommt in der Argumentation der Grenzboten gewissermaßen eine Orientierungs- bzw. Übergangs- oder gar ‚Hebammenfunktion‘ für die realistische Romanliteratur zu.68 Sie interessiert nicht in erster Linie um ihrer selbst wegen, sondern wird von den Prosatheoretikern wie Schmidt oder Freytag von Beginn an auf diese Funktion hin perspektiviert – und später auch bezogen auf diese beschränkte Aufgabe historisiert.69 So befindet Freytag 1862, als die Dorfgeschichte ihren Innovationswert lange verloren und der Grenzboten-Realismus sich endgültig etabliert hat: „Wenn aber die Dorfgeschichten für uns an Werth verloren haben, so dürfen wir doch nicht undankbar sein gegen das Gute, welches sie uns vermittelten.“70 Mit einer ähnlichen Optik prognostiziert Schmidt den Geschichten Gotthelfs schon 1850 zwar keinen großen bzw. dauerhaften Erfolg in Deutschland und spart auch nicht mit Kritik am Schweizer Dichter (der nicht in gleicher Weise als vorbildhaft gilt wie etwa Berthold Auerbach). Nichtsdestotrotz sieht er in dessen Texten ein wegbereitendes Mittel, das er der modernen deutschen Literatur zur ‚Gesundung‘ von romantischer Wirklichkeitsferne und politischem Radikalismus71 verschreibt: [E]ine solche Arzenei ist auch gerade unsern sogenannten Gebildeten nothwendig. Das weiche, süßliche, zerfahrene, skeptische Wesen unserer jungen Literatur soll sich an dieser starken, vollen, sichern Natur wieder kräftigen. Wir sollen aus ihr lernen, das Volk, ehe wir es glücklich zu machen streben, erst zu studiren; das Leben, ehe wir mit ihm grollen, erst zu begreifen.72

In der Dorfgeschichte sehen nicht nur die Grenzboten ein Zeichen und Vehikel für die zeitgenössische Literatur, sich nun „mit der ihr bisher ganz fremd gebliebenen Wirklichkeit zu beschäftigen“.73 Die Frage jedoch, warum die Dorfliteratur besonders in 67 Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus, S. 73. 68 Vgl. dazu auch: Aust: Realismus, S. 210. 69 Vgl. z.  B. [Gustav Freytag]: Deutsche Dorfgeschichten [Rez. zu: Die Haberfeldtreiber. Oberbayrisches Sittenbild von C. Kern]. In: Die Grenzboten 21 (1862), I. Semester, I. Band, S. 251–255, bes. S. 251  f. 70 [Freytag]: Deutsche Dorfgeschichten, S. 252. 71 Vgl. auch [Julian Schmidt]: Vorwort zum neuen Semester. In: Die Grenzboten 11 (1852), II. Semester, III. Band, S. 1–9, hier S. 4. 72 S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 494. – Vgl. ähnlich auch Schmidts spätere Äußerungen zu Auerbach: J[ulian] S[chmidt]: Neue Romane [Rez. zu: Berthold Auerbach: Joseph im Schnee. Eine Erzäh­ lung]. In: Die Grenzboten 19 (1860), II. Semester, IV. Band, S. 481–486, bes. S. 485: „es war ein sehr heilsames, ja ein nothwendiges Correctiv für jene Zeit, in der die Kunst zur Lüge und zur Blasirtheit zu versinken drohte“. 73 S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S.  490.  – Auch für das Weimarer Sonntagsblatt steht die Dorfgeschichte in erster Linie für den neuen literarischen „Hang zum Realismus“ und einen „Idealismus“, der sich nun auf „realeren Grund und Boden“ richtet (W.: Die Dorfgeschichte, S. 184).

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den programmatischen Texten der Grenzboten eine Schlüsselstellung innehatte und was sie für das Konzept Freytags und Schmidts so attraktiv machte, ist bislang nicht eingehender untersucht worden. Die spezifische Bedeutung, die der Dorfgeschichte innerhalb der Poesie-Prosa-Diskussion zukommt sowie die Anknüpfungspunkte, die diese nach Ansicht von Freytag ‚neue Gattung von Poesie‘ dem eigenen Realismuskonzept bietet, lassen sich im Einzelnen anhand der Grenzboten-Aufsätze nachverfolgen. Diese Punkte ermöglichen es nicht nur, Leitüberlegungen Freytags und Schmidts zur zeitgenössischen Prosa, sondern auch allgemeine Kerngehalte und Problemkonstellationen ihrer Programmatik sichtbar zu machen: Die Dorfgeschichten stehen den Grenzboten-Herausgebern zufolge für die Aufhebung des Gegensatzes zwischen prosaischer Realität und kunstschöner Poesie sowie zwischen Realismus und Idealismus.74 Die Dorfgeschichten zeigen demnach die poetischen Potentiale der Gegenwart auf. Sie liefern das vermeintlich Unmögliche, nämlich einen poetischen Raum innerhalb der gegenwärtigen ‚prosaischen‘ Realität, durch den die bestehende Poesie-Prosa-Differenz unterminiert wird. Damit erweist sich ‚das Dorf‘ gewissermaßen als die zuvor gesuchte, poetisch unverfälschte Stelle, als ‚grüne Stelle inmitten der eingetretenen Prosa‘. Wie die Poesie des vermeintlich ‚Prosaischen‘ sich im Konkreten ausnehmen könnte, dafür bietet die Dorfliteratur also ein erstes, als wegbereitend angesehenes Beispiel. Julian Schmidt wertet die Dorfgeschichten entsprechend als „erfreuliches Zeichen der Sehnsucht nach Realität, nach ursprünglichem festen Leben“.75 Diese Formulierung spiegelt in nuce eine charakteristische prosaprogrammatische Konstellation des nachmärzlichen Realismus: Gesucht wird ein poesiefähiger Bereich der deutschen Gegenwart, der nicht erfunden werden soll, sondern bloß gefunden werden muss – so die (etwa dem Motto von Soll und Haben als programmatische Suchanweisung eingeschriebene) Logik von Freytag und Schmidts Realismuskonzept. Das Dorf mit seinen Bauern stelle einen solchen poetischen Raum der Wirklichkeit dar, an dem sich das Ideale des Realen offenbare. Die Dorfgeschichte erweitere das Kunstschöne um Gegenstände der zeitgenössischen Wirklichkeit; sie verleihe den Figuren des realen Lebens „in der Poesie ein Bürgerrecht“.76 Den Prämissen von Schmidts Realismusprogramm folgend handelt es sich um „Gestalten, die, weil sie wirklich existirten, auch poetisch zu existiren berechtigt waren“.77 Sie bilden für Schmidt das – gleichsam ‚naiv-realistische‘ – Gegenbild zu den rein ‚reflexionsgeborenen‘ Charakteren der romantischen oder jungdeutschen Literatur.78

74 Vgl. S[chmidt]: Neue Romane, bes. S. 484–486; S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 489. 75 J[ulian] S[chmidt]: Die Märzpoeten. In: Die Grenzboten 9 (1850), I. Semester, I. Band, S. 5–13, hier S. 10; vgl. ähnlich auch: S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 490. 76 S[chmidt]: Neue Romane, S. 485. 77 S[chmidt]: Neue Romane, S. 485. 78 „Bei den Dorfgeschichten von Berthold Auerbach, Jeremias Gotthelf u.  s. w. gewöhnte man sich wenigstens daran, mit Menschen umzugehen, die noch eine andere Beschäftigung hatten, als die

2.2 Zur Bedeutung der Dorfgeschichte für die Poesie-Prosa-Debatte 

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Der poetische Reiz der Bauern liegt damit nicht zuletzt in ihrem ‚unverstellten‘, ‚ursprünglichen‘ – und damit eben auch: unreflektiert-beschränkten und ‚vormodernen‘ Wesen.79 Es handelt sich um ‚natürlich‘ wirkende, aber „doch bereits künstlerisch idealisirte Menschenbilder“, wie Freytag zugesteht.80 Einerseits wird die Dorfgeschichte mit ihren Figuren von Schmidt und Freytag also als Beispiel für die Poesiefähigkeit der zeitgenössischen Wirklichkeit angeführt. Andererseits beruht der poetische Wallungswert des Erzähluniversums Dorf gerade darauf, dass dieses und seine Charaktere jener modernen Realität, deren Darstellung und Verklärung die Grenzboten-Herausgeber beanspruchen, gerade nicht entsprechen.81 Denn die ‚grüne Stelle‘ Dorf erscheint eher als Ausnahme von der Modernisierung, als eine verbliebenes (und gleichwohl idealisierungsbedürftiges) Grünland der Gegenwart, das die Frage nach einer zeitgemäßen und den modernen Lebensverhältnissen entsprechenden Literatur eher noch drängender aufwirft. Ausgehend von der Dorfgeschichte wird in diesem Widerspruch eine problematische Grundkonstellation des (Grenzboten-) Realismus offenkundig. Nicht nur hat – mit einem Wort Gerhard Plumpes – „der Realismus jene ‚Wirklichkeit‘“ erst erfunden, „als deren ‚Verklärung‘ er sich dann ver-

Lectüre der Modejournale und die Fabrik von Sonetten an Blaustrümpfe; eine festere, concretere Bestimmheit, als die vorübergehende Tendenz einer poetischen Doctrin“ (S[chmidt]: Die Märzpoeten, S. 10  f.). – An anderer Stelle führt Schmidt hierzu aus: „Was führte Auerbach – der in seinem Streben ebenso progressistisch war als die Jungdeutschen – zu den Bauern? – Die Erkenntniß, daß die im Salon der Romantik erzogenen Jungdeutschen, die nichts anderes als über Shakespeare and the musical glasses zu reden wußten, die nichts anderes zu thun wußten als zu reden; daß diese zweiten verwässerten Auflagen früherer Romanfiguren, über die sie räsonnirten, keine wirkliche [!] Gestalten seien, des Lebens fähig und des Lebens werth, sondern hohle, leere Schemen, nichtige Ausgeburten eines durch die widersprechenden Stichwörter des Tags in Verwirrung gesetzten Gehirns.  – Seine Erfahrung lehrte ihn Bauern kennen, die von diesem Molluskenthum gar nichts hatten, die in ihrer Einfachheit sehr fest, in ihren sittlichen Vorurtheilen und Voraussetzungen sehr bestimmt warten“ (S[chmidt]: Neue Romane, S. 485). 79 Vgl. z.  B. S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 490. – Dass zwischen dem poetischen Wesen der Bauern und deren wenig moderner ‚Natürlichkeit‘ oder ‚Ursprünglichkeit‘ ein entscheidender Zusammenhang besteht, das hat z.  B. auch Berthold Auerbach in seinem Buch Schrift und Volk reflektiert: „In den dunkeln Waldesgründen und an Bergeshängen gibt es noch Charaktere wie die wilden Rosen, einblättrig und offen bis in den Herzensgrund, und Weißdornblüthen, die nur in einer Sturmnacht aufbrechen. Hier ist die Herrschaft der halben Zustände, der relativen Hingebung, die sich in der Reflexion einen Hinterhalt wahrt, noch spärlich. Hier ist noch Lachen und Weinen, Jauchzen und Klagen, herzhaft, ohne Zurückhaltung“ (Berthold Auerbach: Schrift und Volk. Grundzüge der volks­ thüm­lichen Literatur, angeschlossen an eine Charakteristik J. P. Hebel’s. Leipzig 1846, S. 131). 80 Gustav Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert. In: VA I, 97–106, hier 101. 81 Schmidt selbst identifiziert diesen problematischen Punkt, wenn er 1850 über Auerbachs Dorfgeschichten schreibt: „In all diesen Dichtungen ist die Natur, wie in der Zeit unserer Sturm-und Drangperiode, das Ideal, nach welchem sich die erschöpfte Cultur, das durch labyrintische Reflexionen bedrängte Herz zurücksehnt“ (S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 491). – Zeitgenössisch wurde die Dorfliteratur deshalb zum Teil als politisch rückständig und reaktionär kritisiert (vgl. zu diesem Aspekt genauer: Ruckhäberle/Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Realismus, S. 103  f.).

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standen hat“.82 Freytags (vor allem in sozialer Hinsicht) stark selektiver literarischer Wirklichkeitszugriff war nie im eigentlichen Sinne zeitaktuell (auf Die Journalisten trifft dieses Attribut am ehesten zu).83 Der unmittelbaren Gegenwart, der modernen Realität mitsamt ihren technischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen hat er sich nicht konsequent gestellt, weder in Soll und Haben und erst recht nicht in den folgenden Werken. Obgleich Soll und Haben ausdrücklich als Roman über die poetischen Qualitäten des Wirklichen entworfen wird, blickt auch dieser Text auf seine poetischen Räume wie auf bedrohtes Grünland, evoziert er poetische Interessantheit mit Nostalgie und vormodernem Schein,84 nimmt er einen Gegenstand in den Blick, der schon fast nicht mehr zeitgemäß ist: „Das Geschäft war ein Warengeschäft, wie sie jetzt immer seltener werden“ (SuH, 51), heißt es zu Anfang über die von der Technisierung und Industrialisierung bedrohte Handlung Schröter. Diese Spannung zwischen der theoretisch geforderten Darstellung der Gegenwart und den praktischen Hindernissen, die eigene programmatische Losung poetisch umsetzen zu können, ließe sich auch für die Analyse weiterer Werke Freytags (Der Gelehrte, Die Fabier, Die Ahnen) fruchtbar machen.

82 Plumpe: Einleitung. In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, S. 83. 83 Schon in der Erstrezeption wurde das Anachronistische von Freytags Wirklichkeitszugriff bemerkt, vgl. R[obert] Giseke: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern von Gustav Freytag. Eine Charakteristik. In: Novellen-Zeitung. Romane, Novellen, Schilderungen. Eine Wochenchronik für Literatur, Kunst, schöne Wissenschaften und Gesellschaft, dritte Folge, 1. Jahrgang (1855), Nr. 20, S.  311–318, hier S. 317  f. Friedrich Hebbel an Emil Kuh, 13. September 1856 [1656]. In: ders.: Briefwechsel 1829–1863. Historisch-kritische Ausgabe in fünf Bänden (Wesselburner Ausgabe), hg. von Otfrid Ehrismann, U. Henry Gerlach, Günter Häntzschel u.  a. München 1999, S. 333–335, hier S. 334. – In der Forschung wurde der anachronistische Zug häufig an der Darstellung des Warenhauses festgemacht, von dem der Text selbst sagt, es sei ein „Warengeschäft, wie sie jetzt immer seltener werden“ (SuH, 51). Der Vorwurf, derart ‚unmoderne‘ Warengeschäfte habe es um 1850 nicht mehr gegeben, ist jedoch angesichts der historischen Realitäten deutlich zu relativieren, vgl. dazu: Rolf Engelsing: Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten. 2., erw. Aufl. Göttingen 1978, S. 57–59. 84 Gleich der erste Satz des Romans nimmt den Leser mit in Anton Wohlfarts Heimatstadt Ostrau, ein „altväterische[r] Ort[]“, von dem es heißt, dass dort die Pfefferkuchen „noch mit einer Fülle von unverfälschtem Honig gebacken werden“ (Gustav Freytag: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern. Mit einem Nachwort von Helmut Winter, Waltrop/Leipzig 2002, S. 5). – Obgleich sowohl die Ausgabe selbst (etwa aufgrund der fehlenden Widmung) als auch der herausgebende Verlag (siehe die entsprechenden Bemerkungen in der Einleitung: Kap. 1) zu kritisieren sind, zitiere ich im Folgenden, sofern nicht anders angegeben, unter Verwendung der Sigle „SuH“ nach dieser Ausgabe des Romans. Denn zum einen handelt es sich hierbei um die einzige Ausgabe, die derzeit auf dem Buchmarkt verfügbar ist; zum anderen greifen die allermeisten der jüngsten Forschungstexte zu Soll und Haben ebenfalls auf diese Ausgabe zurück. Dass hier also nicht, wie sonst, nach den Gesammelten Werken von 1886  ff. zitiert wird, geschieht zwar mit einigem Unbehagen, dient jedoch der Anknüpfung an die jüngere Forschung sowie der leichteren Überprüf- und Nachvollziehbarkeit.

2.2 Zur Bedeutung der Dorfgeschichte für die Poesie-Prosa-Debatte 

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Mit der Dorfgeschichte wurde die moderne zeitgenössische Literatur um einen Themenkreis sowie eine Gattung erweitert,85 die bis dahin vor allem – in quantitativ großem Maße, aber dabei wenig anschlussfähig und zeitgemäß – im volksaufklärerischen Kontext gedieh.86 Die modernen, von liberalistischen Ideen beeinflussten Dorfgeschichten nehmen ausdrücklich ‚das Volk‘ (und nicht etwa bloß die Bauernschaft) in den Blick. In den Fokus rückt damit ein spezifisch deutscher, ein nationaler Gegenstand bzw. ein nationales Interesse, wie es sich später auch im berühmten Motto zu Soll und Haben programmatisch artikuliert.87 Über die demokratische Kategorie ‚Volk‘ soll zudem (im immer auch literaturpolitischen Sinne) die Trennung zwischen Intellektuellen und (klein-)bürgerlich-bäuerlichen Schichten überwunden werden.88 Eine paternalistische Volkspädagogik in aufklärerischer Tradition wird daher ebenso abgelehnt wie die wirklichkeitsfremde Romantisierung des Volkes.89 Bei dem, was nun als ‚Volk‘ gilt, handelt es sich zwar noch immer um ein auf Verklärung und Selektion beruhendes Konstrukt (sichtbar etwa an der Ausgrenzung des Proletariats bei Freytag), das Volk aber wird in den Dorfgeschichten einerseits ernster genommen (die Bauern erscheinen als selbsttätige und selbständig urteilende Subjekte, nicht nur als Objekte der Volksaufklärung); andererseits wird die Betrachtung des Volkes gegenüber der Romantik ‚ernüchtert‘ (was seinen Ausdruck u.  a. in den fehlerbeladenen Charakteren und tragischen Schlussgebungen der Dorfgeschichten findet).90 Die frühen Schwarzwälder Dorfgeschichten Berthold Auerbachs (z.  B. Der Lauterbacher)91 reflektieren diese Abgrenzung insbesondere von der aufklärerischen Dorfliteratur und zielen bereits ihrer Erzählanlage nach auf die Verständigung zwischen bürgerlicher und bäuerlicher, zwischen städtischer und ländlicher Lebenswelt (vorherrschend – auch in den tragischen Geschichten – ist eine auf gesellschaftliche Integration und Verständigung zielende Moral). Dort, wo Auerbach diese Konstellation scheitern lässt, nämlich in seiner Geschichte Die Frau Professorin (1846), wird diese bezeichnenderweise später von Freytag in seinem Roman Die verlorene Hand­

85 So heißt es bei Julian Schmidt: „Auerbach hat in der Poesie ein neues Genre zwar nicht entdeckt, aber durch sein Talent und durch seine Stelle in der Mitte zweier Culturgeschichten den Gebildeten zugänglich gemacht“ ([Julian Schmidt]: Barfüßele, von B. Auerbach und andere neue Romane. In: Die Grenzboten 16 (1857), I. Semester, I. Band, S. 127–134, hier S. 131). 86 Vgl. dazu genauer: Holger Böning u. Reinhart Siegert: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850. Bd. 3, 1–4: Aufklärung im 19. Jahrhundert – „Überwindung“ oder Diffusion? Stuttgart-Bad Cannstatt 2016. 87 Vgl. hierzu: Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 146. 88 Vgl. etwa: S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 489. 89 Vgl. S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 489  f., 492; S[chmidt]: Neue Romane. 90 Vgl. hierzu und im Folgenden genauer: Böttcher/Trilcke: Konfliktgestaltung und ‚Poetik des ganzen Dorfes‘. 91 Vgl. Böttcher/Trilcke: Konfliktgestaltung und ‚Poetik des ganzen Dorfes‘, S. 121–124.

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schrift (1864) wiederaufgegriffen und zu einem harmonischen Ende geführt.92 Freytags Nachmärzwerk knüpft an das sozial integrative sowie sozial harmonisierende Programm der Dorfgeschichte an und verfolgt dieses nicht nur deutlich konsequenter, sondern erweitert es gesamtgesellschaftlich. Die epochale Leistung der Dorfgeschichte bestand für Freytag und Schmidt damit nicht zuletzt darin, auf vielen sozialen Ebenen – vor allem jedoch im Bereich der Literatur – ein neues Interesse an den nationalen Zuständen erweckt und gefördert zu haben.93 Die Dorfgeschichte habe das gebildete Bürgertum nicht nur mit anderen bürgerlichen Schichten vertraut gemacht und einem breiteren bürgerlichen Bewusstsein den Weg geebnet; sie habe die Einstellungen (oder mit Bourdieu: den ‚Geschmack‘) des Bildungsbürgertums nachhaltig verändert: weg von der jungdeutsch-romantischen Salonliteratur94 sowie von französischen Produktionen und hin zu einer modernen deutschen Literatur, die Freytag und Schmidt strategisch auf ihre realistische ‚Poesie der Arbeit‘ hin perspektivieren.95 92 Freytag geht in seinem Roman über die Verbindung der Landfrau Ilse mit dem städtischen Universitätsprofessor Felix Werner einen anderen Weg, als noch Auerbach vor ihm. Letzterer nimmt in seiner Erzählung den Fall der zur Professorengattin erzogenen Elise Egloff (1821–1848) auf und lässt die Beziehung aufgrund der Bildungsunterschiede scheitern. Der Dorfgeschichte, die der Wirtstochter Lorle und dem Kunstprofessor Reinhard noch zwei einander bis zuletzt fremd bleibende Lebenswelten zuordnet, stellt Freytag eine Harmonisierung der verschiedenen bürgerlichen Lebenswelten entgegen. Genau genommen werden hier nicht nur zwei bürgerliche Lebenswelten, sondern sogar mindestens drei zusammengebracht: ländlich, ‚lebensnahes‘ Bürgertum (Ilse und Familie), Bildungsbürgertum (Fritz und Felix) und städtisches Wirtschaftsbürgertum (Familien Hahn und Hummel). Zählt man den Diener Gabriel (vormodernes Kleinbürgertum) dazu, kommt man sogar auf vier. Sowohl in Soll und Haben als auch in Die verlorene Handschrift wird das Kleinbürgertum nämlich ausdrücklich ins idealisierte bürgerliche Arbeitskonzept einbezogen. Die zweifellos bestehenden Unterschiede zwischen den Schichten werden dabei nicht geleugnet, sondern multiperspektivisch ausgeleuchtet. Besonders deutlich wird dies in der Verbindung von Ilse und Felix Werner, dessen Erziehungsbestrebungen seiner Frau gegenüber der Text als Schwäche ausstellt und dem er Ilses Standpunkte als ernstzunehmende gegenüberstellt. Am Ende scheitert hier nicht die Frau aufgrund ihrer fehlenden ‚Bildung‘, sondern wird der männliche Held durch Ilses Lebensklugheit vor einem Fehler bewahrt. Aus der unglücklichen Kollision eines bildungsbürgerlichen Erziehungskonzepts auf Basis hierarchisierter Lebenswelten bei Auerbach wird bei Freytag ein wechselseitiger Lernprozess verschiedener bürgerlicher Lebenswelten, perspektiviert auf eine bürgerliche Gesellschaft. 93 „[D]ieser Zweig der deutschen Literatur hat unzweifelhaft das große Verdienst, ein lebendiges Interesse an den Zuständen des Volkes in weiten Kreisen angeregt zu haben“ ([Freytag]: Deutsche Dorfgeschichten, S. 252). Vgl. dazu genauer: S. 251–253. 94 Dazu, wie Freytag und Schmidt die Dorfgeschichte als Gegenentwurf zur romantischen und jungdeutschen Literatur gelesen haben, vgl. auch: S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 489–491; S[chmidt]: Die Märzpoeten; S[chmidt]: Neue Romane, bes. S. 483–485; GW I, 132. 95 „Denn die Zeit ist vorüber, in welcher deutsche Leser, ermüdet und angewidert durch die bleichen Schatten der sogenannten Salonnovelle und durch die verdorbene Kost französischer Küche in den ersten Dorfgeschichten eine Rückkehr zur Natur und Wahrheit mit inniger Freude begrüßten. Die Auffassung des Lebens, welche gebildeten Menschen eigen ist, hat sich vollständig geändert, und wenn auch der Gegenwart noch das rechte Behagen fehlt, welches dem künstlerischen Schaffen nothwendig

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In hohem Maße anschlussfähig für den Grenzboten-Realismus ist die Dorfgeschichte auch deshalb, weil sie – darin ebenfalls in deutlicher Übereinstimmung mit dem Motto von Soll und Haben96  – einen ganz überwiegend positiven und verklärenden Wirklichkeitsbezug herstellt, wie ihn Schmidt von der realistischen Poesie gefordert hat.97 So führen viele der Erzählungen Auerbachs nicht nur auf tragische, komische, belehrende oder idyllisierende Weise den poetischen Reiz des Erzählraums Dorf vor, sondern vollziehen mitunter selbstreflexiv eine positive Schlussgebung und stellen damit ein verklärend-affirmatives Weltverhältnis her.98 Diese Form der Idealisierung von Wirklichkeit entspricht der Programmatik Auerbachs99 und trifft sich zugleich mit jener der Grenzboten. Mit diesem Aspekt korrespondiert zudem die bereits angesprochene und von Schmidt wie Freytag begrüßte positivere Darstellung der Bauernschaft im Vergleich zur bisherigen Dorfgeschichte. Wie Schmidt zu Recht bemerkt, geht die modernere Dorfgeschichte darüber hinaus mit einer intensiveren Ausarbeitung und Psychologisierung der Charaktere sowie einer genaueren Motivierung des Figurenhandelns einher,100 d.  h. mit einer ‚realistischeren‘ Charakterzeichnung, mit der „Conception ganzer und voller Gestalten“.101 Die Leistung der neuen

ist, so wird doch eine frische Kraft […] überall sichtbar; […]. Dabei hat sich auch das Verhältnis der Gebildeten zu den kleinern Kreisen des deutschen Lebens, dem Landmann, dem Arbeiter, dem kleinen Bürger umgeformt. Während man sich vor zwanzig Jahren noch über die naturwüchsige Kraft dieser Berufsklassen wie staunend freute, so oft unsere Novellisten dieselbe anmuthig vorzuführen wußten, ist man jetzt mitten in der männlicheren Arbeit, die Schranken, welche den kleinen Mann immer noch von der Bildung der Begünstigten trennen, niederzureißen, unsere Bedürfnisse, unser Wissen, unsern Idealismus in sein Leben hineinzutragen“ ([Freytag]: Deutsche Dorfgeschichten, S. 251  f.). 96 Vgl. hierzu: Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 146. 97 „Der Realismus der Poesie wird dann zu erfreulichen Kunstwerken führen, wenn er in der Wirklichkeit zugleich die positive Seite aufsucht, wenn er mit Freude am Leben verknüpft ist“ (S[chmidt]: Der neueste englische Roman und das Princip des Realismus, S. 474). 98 Zwar fehlt es etwa in Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichten auch nicht an tragischen Erzählausgängen, gerade in den Texten des ersten Bandes ist aber ein Primat poetischer Gerechtigkeit erkennbar, für das der Autor sogar Inkonsistenzen in der kausallogischen Motivierung in Kauf nimmt (vgl. dazu genauer: Böttcher/Trilcke: Konfliktgestaltung und ‚Poetik des ganzen Dorfes‘). Die Texte selbst reflektieren diese kompositorische Schlussgebung, die als realistischer Motivierungsmangel auch von Freytag und Schmidt kritisch registriert wurde (vgl. Kinder: Poesie als Synthese, S. 159). 99 In Schrift und Volk rechtfertigt Auerbach dieses poetische Verfahren der verklärenden Wirklichkeitsdarstellung – auch wenn sie zu Lasten der Realitätsnähe oder Wahrscheinlichkeit gehen: „Der Dichter richtet und ordnet auch die auf der Wirklichkeit von ihm erbaute Welt nach höheren Gesichtspunkten, er schaltet frei, er kann und soll abschließen, wo die Wirklichkeit noch bei der Halbheit und Zerrissenheit verharrt“. Dabei räumt Auerbach dem Dichter ausdrücklich die Möglichkeit ein, „Charaktere zu Consequenzen […], die sie vielleicht äußerlich nie gewonnen“, und „Ereignisse zu einem Abschlusse“ zu führen, „den die baare Wirklichkeit noch nicht gibt“ (Auerbach: Schrift und Volk, S. 119). 100 „Man gewöhnte sich daran, die Charactere, die man bisher nur in liederlich genialer Skizze entworfen, in breiter äußerlicher Explication zu verfolgen“ (S[chmidt]: Die Märzpoeten, S. 11). 101 S[chmidt]: Neue Romane, S. 485.

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Dorfgeschichte besteht in den Augen u.  a. Freytags und Schmidts mithin darin, neue Menschentypen in die Literatur geholt und deren Handeln mit einem psychologischen und konsequent kausal-logisch motivierten Realismus beschrieben zu haben. Auch weitere Darstellungsverfahren der Dorfliteratur werden von den Grenzbo­ ten-Herausgebern als vorbildlich angesehen, so ihr Humor,102 ihr weitgehender Verzicht auf subjektive Reflexionen sowie ausdrückliche politische Tendenz103 und nicht zuletzt ihr Detailrealismus.104 Letzteren hat Freytag zum titelgebenden Gegenstand und Ausgangspunkt eines seiner wichtigsten (und in dieser Hinsicht zu wenig beachteten) programmatischen Aufsätze gemacht: „Die Dichter des Details und Leopold Kompert“ (1849). Unabhängig von seiner Schlüsselbedeutung für Freytags Nachmärzrealismus ist der Aufsatz auch deshalb relevant, weil Freytag hier mit Auerbach und Kompert ausdrücklich zwei Vertreter der deutsch-jüdischen Erzählliteratur als Vorbilder ausweist und hierin das Verhältnis zwischen jüdischen Mitbürgen und christlicher Mehrheitsgesellschaft reflektiert. Insbesondere anhand von Komperts Geschichten Aus dem Ghetto (1848) und Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichten formuliert Freytag die Leitpunkte jenes Programms, welche in den literaturkritischen Texten der folgenden Jahre dann immer wieder aufgegriffen werden und die von Soll und Haben dann praktisch umgesetzt werden sollen: Analog zur dramentheoretischen Argumentation (s. Kap. II. 1) wird der größte Mangel der zeitgenössischen Erzählliteratur in deren „feindlicher Opposition zur Gegenwart“,105 im Mangel an zeitgemäßen und nationalen Stoffen gesehen. Vorangegangene literarische Strömungen werden auf dieses Defizit hin gelesen und gedeutet; zugleich wird eine „neue Phase unserer poetischen Literatur“106 angekündigt, im Hinblick auf die Auerbach und Kompert bereits die „Uebergangsperiode“107 signalisieren und einen „Fortschritt“108 markieren: „Die Stoffe werden vaterländische, die Darstellung des Details wird genauer und objectiver, die Sprache wird charakterisirende Prosa“.109 Gefordert wird im Einzelnen: eine unprätentiöse, vom Interesse an der „objective[n] Darstellung“110 geleitete Sprache,111 eine lebensnahe Figurenzeichnung, strenge kausallogische Motivierung,112 ein verklärender Humor,113 vor allem

102 Vgl. S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 493. 103 Widhammer: Realismus und klassizistische Tradition, S. 99. 104 Vgl. S[chmidt]: Neue Romane, S. 485. 105 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 98. 106 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 100. 107 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 101. – Vgl. auch: S. 100. 108 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 101. 109 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 101. 110 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 100. 111 Vgl. Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 100–102 112 Vgl. Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 99. 113 Vgl. Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 100.

2.2 Zur Bedeutung der Dorfgeschichte für die Poesie-Prosa-Debatte 

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aber: ein „Instinkt für das Detail“,114 der die realistische Wirklichkeitsbeschreibung mit einer idealisierenden Wirklichkeitsformung kombiniert.115 Nicht nur auf Ebene solcher Darstellungstechniken, auch auf Ebene der Darstellungsanlage erscheint die Dorfgeschichte mit Widhammer als Schritt hin zur „epischen Objektivität“.116 Betrachtet man die frühen Dorfgeschichten Berthold Auerbachs nämlich ausgehend von den veränderten Romankonzeptionen um die Jahrhundertmitte, dann ergeben sich auch hier aufschlussreiche Korrespondenzen. Denn mit dem Erzähluniversum Dorf kommt Auerbach den zeitgenössischen Forderungen nach einem breiteren gesellschaftlichen Darstellungsanspruch der Erzählliteratur, nach einer Abkehr von egozentrierten Prosakonzepten sowie nach einer Hinwendung zum Gesellschaftsroman einen Schritt entgegen.117 Der erste Band seiner Schwarzwälder Dorfgeschichten wird als ein breites wie vielfältiges dörfliches Gesellschaftspanorama entworfen und weist darüber hinaus eine textübergreifende temporale Struktur auf, so dass der Band als „ein Werk“,118 als „Gesammtdarstellung“119 konzipiert ist, wie Auerbach selbst schreibt – und wie auch der Rezensent der Grenzboten bemerkt.120 Als ‚wichtigstes protorealistisches‘ „Exerzierfeld“121 verweist die Dorfgeschichte mithin auf das Bestreben realistischer Prosa, umfangreichere Wirklichkeitsausschnitte in den Blick zu nehmen  – und zwar möglichst geschlossen bzw. als ‚Einheit‘.122 Das dabei angestrebte Ziel eines umfangreichen erzählerischen Sozialpanoramas konnte die Dorfgeschichte eo ipso nicht leisten.

114 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 100. 115 Entsprechend heißt es über die neue Prosa: „sie braucht Augen, welche scharf und sicher das Charakteristische in allen Formen des Menschenlebens erkennen und einen Geist, welcher über der Verschiedenheit des Details das allgemein Menschliche freudig genießt“ (Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 100). 116 Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus, S. 74. 117 Vgl. hierzu und im Folgenden genauer: Böttcher/Trilcke: Konfliktgestaltung und ‚Poetik des ganzen Dorfes‘. 118 Berthold Auerbach: Brief an die Cotta’sche Buchhandlung vom 25. September 1842, zit. n. Anton Bettelheim: Berthold Auerbach. Der Mann – Sein Werk – Sein Nachlaß. Stuttgart/Berlin 1907, S. 128  f., hier S. 128. – In diesem Brief bekräftigt Auerbach seinen breiten Darstellungsanspruch der Dorfgeschichten und nennt „das ganze häusliche, religiöse, bürgerliche und politische Leben der Bauern“ als deren Thema (128). 119 [Berthold Auerbach]: An J. E. Braun, vom Verfasser der Schwarzwälder Dorfgeschichten [später als Vorwort zu den Dorfgeschichten unter dem Titel „Vorreden spart Nachreden“]. In: Europa. Chronik der gebildeten Welt 9 (1843), Bd. 4, S. 33–36, hier S. 34. – Er habe „versucht, ein ganzes Dorf gewissermaßen vom ersten bis zum letzten Hause zu schildern“, schreibt Auerbach weiter (S. 36). 120 „Das Bild ist groß, verwickelt, und bietet mehr als eine Klippe. Immermann schrieb nur eine Episode; hier haben wir so zu sagen eine ganze Gesellschaft“, urteilt dieser über Auerbachs frühe Dorfgeschichten (René Taillandier: Über Roman und Kritik in Deutschland. In: Die Grenzboten 5 (1846), II. Semester, III. Band, S. 17–33, hier S. 24). 121 Schönert: Berthold Auerbachs „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, S. 331. 122 Vgl. dazu auch: Aust: Realismus, S. 210.

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 2 Die Poesie des Prosaischen

Hierauf bezieht sich auch die Kritik, die die Grenzboten-Herausgeber an dem Genre übten. Bemängelt wurde die „Einseitigkeit“ der Form, bedingt durch deren ‚fragmentarische‘ „Beschränkung auf einen zu engen Kreis“.123 Die „allgemeinen Interessen der Nation“,124 so Schmidt, berühre die Dorfgeschichte zu wenig – denn diese werden nach Ansicht der Grenzboten nicht im „Bauernleben“125 verhandelt, sondern vielmehr in der bürgerlichen Gesellschaft, um deren literarische Darstellung es dem Grenzboten-Realismus von Anfang an und eigentlich geht. Entsprechend sieht auch Freytag aus seiner bürgerlichen Sicht in dem Erzähluniversum Dorf „eine[] kleine[] abgeschlossene[] Welt, welche von dem Strom unseres Lebens und unserer Bildung entfernt liegt“.126 Weil das gesellschaftliche Zentrum und der historische Fortschritt im Bürgertum zu verorten sind, so Freytags Logik, verbleibe die Dorfgeschichte zwangsläufig in der ‚moment- und mosaikhaften‘ „Genremalerei“.127 Diese Überzeugung teilte Freytag u.  a. mit Gottschall, Prutz und Schmidt.128 Ab Mitte der 1850er Jahre galt die Dorfgeschichte daher zunehmend als überholt und unzeitgemäß.129 Die Grenzboten-Herausgeber betrachteten sie ohnehin nie als ein dauerhaftes Phänomen,130 geschweige denn als die Erfüllung der eigenen theoretischen Vorgaben. Sie interessierte in erster Linie als „nothwendiges Correctiv“131 zu vorherigen und konkurrierenden literarischen Strömungen sowie als Vehikel der eigenen Programmatik. Freytag und Schmidt haben die Dorfgeschichte – sowohl in den ihr attestierten Vorzügen als auch ihren Defiziten – auf das eigene Programm hin- und später dann zurückgelesen. Die Diskussion um die realistische Dorfliteratur ist damit ein wesentliches Element der nachmärzlichen Literaturdebatte, besonders der Literaturpolitik der Grenzboten. Als solches gehört sie zur Geschichte der feldstrategischen Positionierung von Freytag und Schmidt – und zur Vorgeschichte von Soll und Haben.

123 S[chmidt]: Neue Romane, S. 485. – Vgl. dazu auch: Ruckhäberle/Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Realismus, S. 105. 124 S[chmidt]: Neue Romane, S. 486. 125 S[chmidt]: Neue Romane, S. 486. 126 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 101. 127 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 101. 128 Vgl. Ruckhäberle/Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Realismus, S. 105  f. 129 Vgl. dazu etwa die Einlassungen Schmidts und Gottschalls nach Erscheinen von Auerbachs Bar­ füßele: [Julian Schmidt]: Barfüßele; Rudolf Gottschall: Eine neue Dorfgeschichte. In: Blätter für literarische Unterhaltung, 26. Februar 1857 (Nr. 9), S. 153–155. 130 Schon 1852 nimmt Schmidt deutlicher Abstand vom Genre, wenn er im „Vorwort zum neuen Semester“ der Grenzboten schreibt: „In dem letzten Jahrzehend [!] sucht man sich aus dem Gewühl des Tages in die enge, aber wenigstens in sich übereinstimmende Welt der Dorfgeschichten zurückzuziehen […]. Man hat damit für den Augenblick große Erfolge erreicht, aber für den Unbefangenen war es schon damals klar, daß diese Wirkung nicht lange aushalten konnte. Sie war eine glückliche Reaction gegen die Phrasenhaftigkeit des herrschenden Liberalismus, aber ihr Inhalt war doch zu dürftig, um die gebildete Welt auf die Dauer zu beschäftigen“ ([Schmidt]: Vorwort zum neuen Semester, S. 4  f.). 131 S[chmidt]: Neue Romane, S. 485.

2.2 Zur Bedeutung der Dorfgeschichte für die Poesie-Prosa-Debatte 

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Man kann es als (naheliegenden, wenngleich inhaltlich unzutreffenden und undifferenzierten) Rezeptionseffekt dieser feldstrategischen Positionierung betrachten, dass in Soll und Haben später eine Übertragung der Dorfliteratur auf einen bürgerlichen Gegenstand gesehen wurde:132 „Freytags Roman wendet Geist und Methode des Dorfgenres auf das überlegene bürgerliche Sujet an und überwindet damit die Dichter des (auch sozialen) ‚Details‘“.133 Wohl auch weil Freytag und Schmidt zum einen  – wie dargestellt  – die Dorfgeschichte auf ihre ‚Poesie der Arbeit‘ perspektivierten und dies zum anderen – wie später gezeigt werden soll (s. Kap. 3 u. 4) – mit Goethes Wilhelm Meister taten, meinte schon Gutzkow in seiner Soll und Haben-Kritik, der Roman habe sich an diesen beiden Stellen für seine Idealisierung der Arbeit und seine Figurendarstellung bedient.134 Die Dorfgeschichte diente Freytag und Schmidt m.  E. insbesondere als programmatisches Profilierungsinstrument, als Gattung an sich wurde ihr aber nur geringer Wert attestiert. „Wir wissen sehr wohl“, so Julian Schmidt später, „daß die Genremalerei der Dorfgeschichten nur eine untergeordnete Stufe der Kunst ist, daß bei einem höhern Aufschwung der Kunst auch die reine poetische Form sich wieder geltend machen wird, aber es handelt sich nicht um eine reine Kunstleistung, sondern um die Vorstudien einer Übergangsperiode.“135 Überhaupt war die Prosaliteratur, war der Roman ‚um 1850‘ noch eine durchaus umstrittene und jedenfalls legitimierungsbedürftige Form.136 Das Ideal der Zeit blieb die klassische Verstragödie. Von diesem Ideal, an dem er sich 1844 mit dem Dramenfragment Der Gelehrte und 1859 mit Die Fabier erprobte, mochte sich auch Freytag nicht verabschieden. Als die der Gegenwart angemessene Form erwies sich für ihn allerdings bald die Prosa bzw. der Roman.137 Es ist daher gattungshistorisch höchst aufschlussreich, wenn Freytag die Dorfgeschichte zum Anlass nimmt, das Zeitalter der ungebundenen Literatur einzuläuten (– erst Recht, wenn man bedenkt, dass etwa

132 Vgl. in dieser Perspektive auch die Deutung Kaisers von Soll und Haben: Nancy A. Kaiser: Social Integration and Narrative Structure. Patterns of Realism in Auerbach, Freytag, Fontane, and Raabe. New York 1986, S. 35–48 (Kap. „Soll und Haben and Auerbachs’s Dorfgeschichte: A Parallel Pattern“). 133 Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus, S. 74. 134 „Man ist auf diese Empfehlung der Arbeit nicht bloß durch die Unwahrheit der idealen WilhelmMeister-Sphäre gekommen, sondern auch wahrscheinlich durch Das [!], was in neuerer Zeit vorzugsweise die ‚Dorfgeschichten‘ für eine tiefere Anlage der Charakterzeichnung getan haben“ (Karl Gutzkow: Der Roman und die Arbeit. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd 3 (1855), Nr. 44, S. 702–703, hier S. 703). 135 Julian Schmidt: [Idee und Wirklichkeit]. In: Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Stuttgart 1997, S. 121–124, hier S. 121. 136 Mit Sengle: „Die grundsätzliche Zweitrangigkeit, die bloße Rationalität, Alltäglichkeit und Zweckhaftigkeit der Prosaliteratur […] war die herrschende Vorstellung, und sie wirkte noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stärker nach, als es uns heute bewußt zu sein pflegt“ (Sengle: Biedermeierzeit. Bd. II, S. 21). – Vgl. dazu auch: Plumpe: Roman, S. 529–531. 137 Vgl. dazu auch: Korten: Poietischer Realismus, S. 50–54.

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 2 Die Poesie des Prosaischen

Gottschall die „Dorfgeschichtenliteratur“ in seiner Poetik von 1858 zum Inbegriff einer unbeseelten, poesiefremden „Prosa“ erklärte)138: „Sollen wir ein neues Reich der poetischen Schönheit schaffen, so kann uns nur eine künstlerisch gut durchgebildete Prosa dazu helfen, wir müssen wahr werden, bevor wir schön sein können, zur Wahrheit aber kommen wir nur durch die Prosa“.139 Dass die Phase der Prosa hier wieder einmal als eine ‚Übergangsstufe‘ deklariert wird (und Freytag der Prosa damit indirekt doch die poetische Schönheit abspricht, die er ihr programmatisch endlich zubilligen will), erklärt sich aus der zeitgenössischen Gattungshierarchie. Bemerkenswert ist zudem, wie Freytag durch das im Kontext seines Aufsatzes doppelt (nämlich: realistisch und idealistisch) codierte Wort ‚wahr‘ die Prosa als literarische Redeform aufwertet und dem eigenen Programm zuschreibt. Bedenkt man, wie wenig selbstverständlich die Prosa in den literaturtheoretischen Debatten der Jahrhundertmitte noch war, dass der poetische Realismus heute aber beinahe ausschließlich als Epoche der Erzählliteratur gilt140 und Freytag etwa bald die größte Anerkennung für ein Werk erhielt, dessen ‚zwielichtige‘ Form er Jahre zuvor noch rechtfertigen musste, dann offenbaren sich die Erkenntnispotentiale einer (bisher nur wenig ausgeschriebenen) Gattungsgeschichte, für die Gustav Freytags Aufwertung des Romans epochal repräsentativ steht.141

138 Rudolph Gottschall: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit. Breslau 1858, S. 58  f. 139 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 102. 140 Vgl. u.  a.: Plumpe: Roman, S. 529 („Die Literatur des bürgerlichen Realismus hat sich in allererster Linie in der Erzählprosa – in Roman und Novelle – manifestiert“); Martin Swales: Epochenbuch Realismus: Romane und Erzählungen. Berlin 1997, S. 9  f.; Christian Begemann: Einleitung. In: ders. (Hg.): Realismus. Epochen – Autoren – Werke. Darmstadt 2007, S. 7–10, hier S. 10; Balzer: Einführung in die Literatur des Bürgerlichen Realismus, S. 47–49. 141 „Ganz gewiss hat der bürgerliche Realismus dazu beigetragen, daß der Roman aus dem Zwielicht seiner ästhetischen Beurteilung herausgerückt wurde und zu einer der wesentlichen Ausdrucksformen der modernen Literatur geworden ist. Denn bis weit ins 19. Jahrhundert hinein galt der Roman ästhetisch noch als fragwürdige Kunstform […]“ (Plumpe: Roman, S. 529).

2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik 

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2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik Der Prosa gehört die Welt.142 Von jeher war der Vers die Sprache der Poesie und Prosa die der Wirklichkeit. Die Poesie aber will sich eben von der Wirklichkeit entfernen, darum soll sie sich auch im Ausdruck von ihr unterscheiden; […]. Poesie in Prosa ist Unsinn; darum mag ich keinen Roman oder nur ausnahmsweise lesen.143

Grillparzers Äußerungen aus dem Dezember 1843 bestreiten noch grundsätzlich die Möglichkeit dessen, wofür Soll und Haben bald (keinesfalls unumstritten) stehen sollte und was Ende des Jahrhunderts kein ernstzunehmender Streitpunkt mehr ist:144 die Verklärung der zeitgenössischen Wirklichkeit in der Form des Romans. Sie machen deutlich, wie sehr der Roman sich noch um die Jahrhundertmitte „gegen den Vorwurf seiner ästhetischen Illegitimität“ behaupten musste.145 Dabei ist relativierend hinzuzufügen, dass nicht nur Grillparzer in der Praxis kaum mehr solchem strengen Verdikt Folge leistete, sondern im Gegenteil etwa mit Der arme Spielmann an der für das 19. Jahrhundert charakteristischen „Nobilitierung der Prosa“ arbeitete.146 Dieser redeten Die Grenzboten schon vor der Ägide Freytags und Schmidts das Wort. So begrüßt ihr Rezensent Moritz Hartmann 1844 in seiner Kritik zum Drama Sampiero des österreichischen Erfolgsschriftstellers Friedrich Halm dessen – damals breiter diskutierten147 – Verzicht auf den Vers als „Fortschritt“; eine „reine[], natürliche[] Prosa“ sieht Hartmann hier indes noch nicht verwirklicht, sondern benennt dies als literarische Herausforderung der Zukunft.148 Die Prosa-Vers-Diskussion lief bereits seit den 1830er Jahren auf eine literarästhetische Aufwertung und Anerkennung der Prosa hinaus, wie sie insbesondere durch den jungdeutschen ‚Prosaenthusiasmus‘ gefördert wurde und wie ihr vor allem Theodor Mundt wirkmächtig in seiner Kunst der deutschen Prosa (1837) theoretisch das Wort redete.149 Mundt postulierte die „Emancipation der Prosa, […] ihre innere Gleichstel-

142 Theodor Fontane: Frau Jenny Treibel oder „Wo sich Herz zum Herzen find’t“ (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk, Bd. 14), hg. von Tobias Witt. Berlin 2005, S. 32. 143 Franz Grillparzer u. Adolf Foglar: Grillparzer’s Ansichten über Litteratur, Bühne und Leben. Aus Unterredungen mit Adolf Foglar. 2., verm. Aufl. Stuttgart 1891, S. 29 („Am 3. December 1843“). 144 Sengle: Biedermeierzeit. Bd. II, S. 25  f. 145 Plumpe: Roman, S. 531. 146 Vgl. dazu genauer: Feilchenfeldt: Die „Nobilitierung“ der Prosa; Korten: Poietischer Realismus, S. 24, 53  f. 147 Vgl. etwa: N. N.: Korrespondenz-Nachrichten [Theaterkritik zu Halms Sampiero u.  a.]. In: Morgenblatt für gebildete Leser 38 (1844), S. 239  f. (9. März), S. 348 (10. April), S. 588 (19. Juni), hier S. 240, 588. 148 M. H. v. Geldern [i.  e. Moritz Hartmann]: Halm’s Sampiero. In: Die Grenzboten 3 (1844), I. Semester, S. 191–196, hier S. 196. 149 Vgl. dazu allgemein: Reinhard Wagner: Die theoretische Vorarbeit für den Aufstieg des deut-

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lung mit der Poesie“150 und rehabilitierte sie, indem er etwa die mit ihr seit der Romantik verbundenen pejorativen Zuschreibungen ins Positive wendete.151 Mundt gab die „Verschmelzung von Poesie und Prosa“152 als Ziel einer künftigen Literatur aus. Seine Argumentation zielte darauf, die „Schranke zwischen Poesie und Prosa“153 niederzureißen und damit einen Gegensatz zu beerdigen, der sich durch die literaturtheoretischen Debatten des gesamtem 19. Jahrhunderts zieht. So fühlte sich der Schriftsteller und Journalist Wolfgang Kirchbach noch 1888 genötigt, jener Ansicht zu widersprechen, wonach die Prosa der „Wirklichkeit“ und dem „Realismus“, die Poesie hingegen dem „Idealismus“ zuzuordnen sei – ein seiner Meinung nach veraltetes Vorurteil, das er u.  a. durch Freytags Werk widerlegt sieht.154 Die Position Mundts u.  a. trug neben den wirklichkeitsorientierten Schreibweisen auch zunehmend den Realitäten des literarischen Marktes Rechnung, wenngleich die Romanproduktion in der ersten Jahrhunderthälfte nicht so kontinuierlich anstieg, wie man wohl annehmen mag.155 Für die Erfolgsgeschichte der Erzählliteratur im 19. Jahrhundert zeichneten vornehmlich zwei Faktoren verantwortlich: die periodische Presse mit ihren Vorabdrucken und spezifischen neuen Textformen (vor allem der Feuilletonroman) sowie die Leihbibliotheken.156 Gerade diese beiden modernen Phänomene eines literarischen Massenmarktes bildeten für Anhänger einer klassi-

schen Romans im 19. Jahrhundert. In: ZfdPh 74 (1955), S. 353–363; Eke: „Man muß die Deutschen mit der Novelle fangen“; Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus, S. 86–94; Sengle: Biedermeierzeit. Bd. II, S. 13–26, 820–829; Korten: Poietischer Realismus, S. 48–51; Peter Hasubek: Der Roman des Jungen Deutschland und des Vormärz. In: Helmut Koopmann (Hg.): Handbuch des deutschen Romans. Düsseldorf 1983, S. 323–341. 150 Theodor Mundt: Die Kunst der deutschen Prosa. Aesthetisch, literargeschichtlich, gesellschaftlich. Berlin 1837, S. 49. 151 Die ‚Kälte‘ und ‚Gewöhnlichkeit‘, die vor allem die Romantiker der Prosa zugeschrieben haben, klingt spät noch bei Eichendorff an, wenn dieser in seiner Geschichte der poetischen Literatur Deutsch­ lands erklärt: „Die Sprache der Phantasie aber ist die geheimnisvolle Musik des Verses, die Sprache des Verstandes die Prosa“ (Joseph von Eichendorff: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands. In: ders.: Werke. Nach den Ausgaben letzter Hand unter Hinzuziehung der Erstdrucke, hg. von Ansgar Hillach. Bd. 3. München 1976, S. 604). Noch Gottschall knüpft in seiner Unterscheidung von Poesie und Prosa an diese Bestimmung an (Gottschall: Poetik, S. 57–67: Kap. „Die Poesie und die Prosa“, bes. S. 57  f.). Mundt nun profiliert die Prosa in diese Richtung, indem er dies aufgreift und als Vorzug ausarbeitet. Die Prosa als Sprache des Verstandes und der Gedanken sei der komplexen Wirklichkeit angemessener und sei gegenüber den festen Formen der Verspoetik (etwa mit deren metrischen Regeln) die freiere und ‚flexiblere‘ Form (vgl. Mundt: Die Kunst der deutschen Prosa, S. 40–48; vgl. dazu auch die Ausführungen bei: Arndt/Deupmann: Poetik der Prosa, S. 28  f.). 152 Mundt: Die Kunst der deutschen Prosa, S. 45, 58. 153 Mundt: Die Kunst der deutschen Prosa, S. 47. 154 Kirchbach: Realismus, Idealismus, Naturalismus, S. 703. 155 Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. 2., durchges. und erw. Aufl. München 1999, S. 219 et passim. 156 Vgl. dazu genauer: Reinhard Wittmann: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880. Tübingen 1982, S. 142–153, 166–173.

2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik 

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schen Ästhetik indes ein Hindernis, sich vorbehaltlos auf die erzählende Prosa einzulassen. Exklusivitätsdenken, Distinktionsbedürfnis und ein idealistisch aufgeladener Literaturbegriff, der von Vorstellungen wie ‚Einheit‘, ‚Abgeschlossenheit‘ und ‚Dauer‘ geprägt war, vertrugen sich auf den ersten Blick nur schwer mit den neuen Distributionswegen, der ‚gestückelten‘ Publikationspraxis und den modernen Rezeptionsgewohnheiten. Als Vertreter eines solchen Literaturbegriffs blickt der Sohn eines preußischen Offiziers, Rudolf Gottschall, 1854 despektierlich auf den Roman wie auf einen unwillkommenen Emporkömmling.157 Er nennt ihn einen „Plebejer von Geburt“ und „seine Prosa […] ein zweifelhaftes Kunstgewand“.158 Am liebsten möchte Gottschall den Romanvertrieb beschränken,159 bediene dieser doch sowohl auf Produktions- als auch auf Rezeptionsseite nur unzureichende Naturen: „Wer nichts anderes schreiben kann, weil ihm die Musen ausgeblieben, der schreibt einen Roman; und wer nichts Anderes lesen will, weil sein Geist auf dem Lotterbette liegt, der liest einen Roman.“160 Gleichwohl muss Gottschall zugestehen, dass sich „neben der Masse von Productionen“ auch ‚Wertvolles‘ findet;161 er beäugt die Gattung zwar skeptisch, lehnt sie aber dennoch nicht grundsätzlich ab: Der Roman als „vielgliederige[r] Organismus“ erscheint ihm in dem Maße gelungen, in dem er „Kunsthöhe“, „Ideal“, „Form“, „Idee“ und insbesondere „Einheit“ aufweist162 – also den Maßstäben der klassischen Ästhetik, wie sie ausgehend vom Drama entwickelt wurden, gerecht wird. Skizziert ist damit ein Rahmen von medienhistorischen Bedingungen sowie gattungstheoretischen und ästhetischen Positionen, in dem sich auch Freytags Positionierung verorten lässt. Freytag (und das heißt auch: Julian Schmidt) reagieren auf die Herausforderung des Romans zwischen ästhetischer Geringschätzung und zukunftsträchtiger wie wirtschaftlicher Bedeutung auf zweifache Weise: Einerseits wird der Roman programmatisch aufgewertet, vor allem indem er in die Nähe des klassischen Dramas gerückt wird (s. Kap. 2.3.1). Andererseits findet eine Abgrenzung vom Roman im Kontext seiner massenhaften (Leihbibliothek) und periodischen (Zeitung und

157 Zu Gottschalls Skepsis dem Roman gegenüber vgl. auch: Rudolph Gottschall: Die deutsche Na­ tio­nalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt. Zweiter Band. Breslau 1855, S. 293–295. 158 Rudolf Gottschall: Der neue deutsche Roman [1854]. In: Ruckhäberle/Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Realismus, S. 183  f., hier S. 183. – Ähnlich despektierlich nennt das Deut­ sche Museum die Romanschreiber 1854 die „Proletarier der Literatur“ (mmr. [i.  e.: Melchior Meyr]: Literatur und Kunst: In: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 4 (1854), Bd. I, Nr. 21 (18. Mai 1854), S. 768–773, hier S. 768). 159 „Es wäre eine sittliche That des deutschen Verlagsbuchhandels, das eigentliche ‚Lesefutter‘ auf immer zu ächten und mit kritischer Sorgfalt nur Gediegenes ans Licht zu fördern“ (Gottschall: Der neue Roman, S. 184). 160 Gottschall: Der neue Roman, S. 184. 161 Gottschall: Der neue Roman, S. 184. 162 Gottschall: Der neue Roman, 183.

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Zeitschrift) Distribution statt. In der Ablehnung des Romans als Massenware und dem – gegen die Zeitschriftenliteratur gerichteten – Beharren auf formaler Geschlossenheit artikuliert sich die für die realistische Poetik charakteristische Orientierung an der klassischen Ästhetik und traditionellen Literaturkonzepten, die sie gegenüber der Moderne zu bewahren und historisch angemessen zu transformieren versucht (Kap. 2.3.2).163

2.3.1 Der ‚Fortschritt in der Poesie des neunzehnten Jahrhunderts‘: Zur Aufwertung des Romans bei Freytag Noch unter dem Eindruck der Revolutionsereignisse sieht Freytag 1849 weder in der Lyrik noch in der „Kraft epischer Ruhe“,164 sondern im Drama (genauer: der Tragödie) die angemessenste Form, um die zeitgenössische Wirklichkeit zu beschreiben (s. auch: Kap. II. 1.3). Ausgehend von einem Dramenverständnis, für das der Kampf der Gegensätze und Ideen, der Wendepunkt des Geschehens, eine ausgleichende Ordnung als Endpunkt sowie die Darstellung und Erfahrbarmachung geschichtlicher Prozesse konstitutiv sind, hält Freytag das Drama für prädestiniert, um die Konflikte der Gegenwart literarisch zu fassen. „[D]ie ganze Zeit“, so der Autor, „drängt […] mächtig zum Drama hin“:165 Das Leben des Volkes ist dramatisch geworden. Denn das Wesen des Dramas ist: Bewegung der Seele darzustellen, welche zu Handlungen treiben und Handlungen, welche auf den Thäter zurückwirken, sein Leben umwandeln und bis zu dem bestimmten Ziele fortführen, wo die Bewegung des Kampfes aufhört, weil der Gegensatz zwischen dem Einzelnen und der Macht der Ereignisse ausgeglichen ist. Unser Volk findet im Drama jetzt ein Spiegelbild seiner eigenen Kämpfe und der Schicksale seiner Helden. […] Daher wird dasjenige Drama am meisten nach dem Herzen der Zeit sein, welches in einfacher Schönheit große Interessen darstellt, die von scharf charakterisirten Personen getragen werden. Unser Volk ist reif geworden für die Tragödie.166

163 Vgl. Schneider: Realistische Literaturpolitik und naturalistische Kritik, S. 20; Kinder: Poesie als Synthese, S. 27; Korten: Poietischer Realismus, S. 49; Edward McInnes: Drama und Theater. In: ders. u. Gerhard Plumpe (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/Wien 1996, S. 343–393, hier S. 344; [Max Bucher]: Drama und Theater. In: RuG I, S. 136–159, hier S. 140–144. – Vgl. hierzu im Einzelnen auch: Manuela Günter: Im Vorhof der Kunst. Mediengeschichten der Literatur im 19. Jahrhundert. Bielefeld 2008, S. 156–177. 164 Gustav Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution [1849]. In: VA I, 1–18, hier 11. 165 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 12. 166 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 12 – Treffend hierzu allerdings die Ergänzung Kinders: „Wenn Freytag dem Drama den Vorzug gibt, so nicht wegen der gängigen ästhetischen Rangordnung allein […], sondern wegen des Verhältnisses, in dem das […] Drama zur geschichtlichen Situation steht“ (Kinder: Poesie als Synthese, S. 189).

2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik 

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Ebenfalls 1849 verkündet Freytag den Lesern der Grenzboten, dass die Herausgeber mit ihrer Leserschaft „die Ueberzeugung theilen, daß unter den Kunstgattungen der Poesie vorzugsweise das Drama berufen sei, in unsrer nächsten Zukunft das ideale Empfinden der Nation darzustellen“.167 Freytags Ausführungen in beiden Aufsätzen basieren auf der „Überzeugung von der literarischen Vorrangstellung des Dramas“,168 die für die Gattungstheorie ‚um 1850‘ charakteristisch ist und breit von den führenden Literaturprogrammatikern geteilt wird.169 Selbst der sonst für opponierende Ansichten bekannte Robert Prutz stellt 1851 fest: „Daß das Drama überhaupt die höchste Kunstform ist, darüber ist die Aesthetik seit Langem einig“.170 Als gültiges Orientierungsmuster erweist sich dabei ganz überwiegend nicht die offene Dramenform vorausgegangener literarischer Strömungen (etwa bei Grabbe oder Büchner), sondern die klassizistische Gattungspoetik, welche man zur Beschreibung der Gegenwart reformieren möchte.171 Zielpunkt dieser Bestrebungen ist mithin die Verstragödie nach klassizistischem Muster. Von diesem eigentlichen Ziel wird sich die realistische Literaturtheorie nur äußerst langsam lösen, weshalb die Hinwendung zur Erzählliteratur von Freytag und Schmidt auch zunächst als „Uebergangsperiode“ (s.  o.) hin zu einer realistischen Klassik (mit Drama und Vers) bezeichnet wird172 und die Zukunft des Romans in den ersten Nachmärzjahren noch eher skeptisch betrachtet wird.173 Zwar dämmert Freytag und Schmidt bereits früh, dass die Zeichen für Verstragödien aristotelischer Form eher schlecht stehen – so dass Freytag schon 1849 in seinem Aufsatz „Die Kunst und Künstler in der Revolution“ zur Produktion von „andern Gattungen des Schauspiels“174 aufruft –, die Loslösung von der Verstragödie sowie die Hinwendung zur Prosa und schließlich zum Roman vollziehen sich in den Nachmärzjahren aber nur schrittweise (und man hat bisweilen den Eindruck: unter Schmerzen). So fordert Schmidt (aus der Einsicht in die Sackgasse der Blankverstragödie) die Dramatiker 1850 zunächst auf: „unsere Tragiker müssen wieder zur Prosa greifen“, fügt

167 Gustav Freytag: Die Technik des Dramas. In: Die Grenzboten 8 (1849), II. Semester, III. Band, S. 11–22, hier S. 11. 168 McInnes: Drama und Theater, S. 344. Vgl. dazu auch: Helmut Schanze: Drama im Bürgerlichen Realismus (1850–1890). Theorie und Praxis. Frankfurt a.  M. 1973, S. 24–30. 169 „Die dramentheoretischen Diskussionen von Mundt, Gottschall, Vischer, Prutz und von anderen in dieser Zeit namenhaften Kritikern werden von den gleichen Gattungsvorstellungen bestimmt“ (McInnes: Drama und Theater, S. 345). 170 Robert Prutz: Das Drama der Gegenwart I. In: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 1 (1851), Bd. II, S. 697–705, hier S. 700. 171 Vgl. McInnes: Drama und Theater, S. 344–348; [Bucher]: Drama und Theater, S. 104–144. 172 Vgl. Eisele: Realismus und Ideologie, S. 47; Korten: Poietischer Realismus, S. 52, Anm. 52. 173 „Der Roman gehört, nach meiner Ansicht, wegen seiner laxen Form und der Willkür, die er verstattet, nicht zu denjenigen Gattungen der Kunst, die als classisch auf die Nachwelt übergehen werden“ (J[ulian] S[chmidt]: Georges Sand. III. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 409–414, hier S. 414). 174 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 13.

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aber beinahe rechtfertigend hinzu: „Ich meine nicht, daß die unrhythmische Form die höchste und letzte des Dramas sein dürfe. Aber als Uebergangsstufe scheint sie mir nothwendig. Erst müssen wir lernen, auch in der Sprache zu individualisieren, ehe wir an Idealität denken.“175 Deutlich spricht sich in diesen Plädoyers für die Prosa noch jene Vorstellung von der eigentlichen Vorrangstellung des Verses aus, die in dieser Form am Anfang des nächsten Jahrzehnts schon nicht mehr besteht: „Das Jahrhundert, in welchem der Roman die herrschende Gattung der Poesie geworden ist, wird den Vers nicht mehr für ein unentbehrliches Element des dichterischen Schaffens halten“ (GW XIV, 278), schreibt Freytag 1863 in seiner Technik des Dramas. Hatten Die Grenzboten sich zuvor ohnehin für die Prosa ausgesprochen, so erkennt Schmidt 1850 bei aller Kritik an der Gattung doch, dass am Roman nicht vorbeizukommen ist: Man mag vom streng ästhetischen Standpunkt darüber unzufrieden sein, daß der Roman überhaupt existirt; denn wenn die neuere Literatur ihm auch manches Vortreffliche verdankt, so ist doch nicht zu leugnen, daß ihm ein großer Theil an der Schuld ihrer Verwilderung zur Last zu legen ist. Denn je laxer die Kunstform, desto üppiger, willkürlicher, desto gestaltloser ergeht sich die Phantasie. Aber zu umgehen ist er nicht.176

Die Einsicht, dass nicht das Drama, sondern vielmehr der Roman die zeitgemäße und der Moderne angemessene Form sei, vollzieht etwa zeitgleich auch Robert Prutz, der 1851 zum „Drama der Gegenwart“ ausführt: Brauchen wir […] noch erst auszuführen, wie wenig unsere gegenwärtige Zeit geeignet, ja, wie wenig sie überhaupt nur fähig ist, ein wahres dramatisches Kunstwerk zu erzeugen? Das Drama ist die am meisten plastische Schöpfung, welche der Poesie überhaupt vergönnt ist; wie wäre es denn möglich, wie läßt es sich nur erwarten, nur fordern, daß eine in sich so zerfahrene, zerflatternde, um ihren eigenen Inhalt noch so ringende Zeit wie die unsrige, sich zu dieser äußersten Plastik des dramatischen Kunstwerks zusammenfassen könnte? […] wir werden vor Allem in der episodischen Form des Romans ein bequemes Gefäß finden für den so vielfach auseinandergehenden, sich so vielfach durchkreuzenden Inhalt unserer Zeit: aber auf das Drama müssen wir verzichten.177

Die komplexe, ausdifferenzierte Wirklichkeit lässt sich für Prutz – der damit direkt an Mundt anknüpft178  – am besten in der offenen bzw. episodisch-flexiblen Form des Romans beschreiben, nicht mittels des ‚starren‘ Dramas. Ganz von diesem ver175 [Julian Schmidt]: Dramaturgische Miscellen. II. In: Die Grenzboten 9 (1850), II. Semester, I. Band, S. 503–509, hier S. 506. 176 J[ulian] S[chmidt]: Neue Romane. In: Die Grenzboten 9 (1850), II. Semester, II. Band, S. 881–888, hier S. 881 (Hervorhebung: P. B.). 177 Prutz: Das Drama der Gegenwart  I, S.  701.  – Zu Prutz’ Romanverständnis vgl. auch Plumpe: Roman, S. 503  f. sowie weiterführend: Korten: Ist der Roman das moderne Epos?, S. 67  f. 178 Schon Mundt stellt die „umfassende und elastische Formengebung“ des Romans sowie dessen Eignung zur Beschreibung komplexerer und breiterer Wirklichkeitsverhältnisse heraus (Mundt: Die Kunst der deutschen Prosa, S. 356).

2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik 

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abschieden mag sich allerdings auch Prutz nicht – analog zur Argumentation im Fall des ‚hohen Lustspiels‘ wird das ‚vollendete Drama‘ in einem späteren historischen Stadium, in einer befriedeten bürgerlichen Gesellschaft verortet (s. Kap. II. 1).179 Dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustand aber entspreche vor allem der Roman. Diese Ansicht findet sich ab Anfang/Mitte der 1850er Jahre vermehrt. Ein realistisches ‚Mimesis-Postulat‘, wonach es zunächst auf eine adäquate Beschreibung der Prosa der Wirklichkeit in der Prosa des Romans ankomme, wird dabei stets vorausgesetzt; dieses mündet aber auch in der Romantheorie in die Forderung nach dichterischer Verklärung, nach Poetisierung des Prosaischen. Repräsentativ dafür steht Moritz Carrieres Abhandlung Das Wesen und die Formen der Poesie (1854). Es müsse zur „Verklärung der Wirklichkeit“,180 so Carriere, der Prosa der Welt auch die Prosa der Sprache sich entsprechend anschmiegen, zumal der Dichter der die Geschöpfe seiner eigenen Phantasie gestaltet, dem poetischen Leben derselben nothwendig den ganz realen Boden der Weltwirklichkeit zur Grundlage geben wird, um darin die Wahrheit seiner Idealgebilde zu bewähren. Die Poesie hat sich ins Gemüth geflüchtet, die Entwickelung der Individualität in einer vielfach widersprechenden prosaischen Welt verlangt nun ihre künstlerische Wiedergeburt, und diese ist der Roman.181

Wie schon bei der Komödie so zeigt sich hier abermals, wie stark die ästhetischen Kontinuitäten zwischen den vor- und den nachmärzlichen Gattungstheorien sind. Ausgehend von seiner Betrachtung des Wilhelm Meister (was für die Argumentation der folgenden Kapitel aufschlussreich ist; s. Kap. 3 u. 4), erklärt bereits Mundt die „bürgerliche Lebensprosa des Romans“182 zu jener Gattung, die für die umfassende Darstellung der zeitgenössischen (sozialen) Wirklichkeit sowie die Aufhebung der Poesie-Prosa-Zuschreibungen am geeignetsten sei.183 Freytag folgt diesen vorherigen

179 „Dieser höchsten und vollendetsten Form aber kann, in nothwendigem Zusammenhange, nur eine Zeit und ein Geschlecht mächtig werden, das zuvor auch seinem eigenen Inhalt mächtig ist; nur dem vollendeten Inhalt gebührt die vollendete Form“ (Prutz: Das Drama der Gegenwart I, S. 700). – Siehe für die weitere Argumentation: ebd. 180 Moritz Carriere: Das Wesen und die Formen der Poesie. Ein Beitrag zur Philosophie des Schönen und der Kunst. Mit literarhistorischen Erläuterungen. Leipzig 1854, S. 180. 181 Carriere: Das Wesen und die Formen der Poesie, S. 181. 182 Mundt: Die Kunst der deutschen Prosa, S. 361. 183 „Der Roman ist diejenige Kunstform, in welcher die Einheit von Poesie und Prosa schon durch die Idee des Kunstwerkes selbst geboten wird, indem die realen und gegebenen Lebensverhältnisse sich darin mit den höheren und allgemeinen Anforderungen der Weltansicht durchdringen“, heißt es bei Mundt. Ebendiese „Aufnahmefähigkeit der prosaischen Sprache für das wirkliche und gesellschaftliche Leben“ qualifiziere den Roman „als poetische Gattung“. Mundt perspektiviert den künftigen Roman – heraus aus seinem Blick auf den Wilhelm Meister – als Zeitroman, als integrierende Gattung: „ein Totalbild der menschlichen Richtungen in jeder Ausdehnung, und die Prosa erscheint in ihm als das vereinende Gesammtorgan aller Zustände, sie mögen poetisch oder prosaisch sein“ (Mundt: Die Kunst der deutschen Prosa, S. 350  f., 356). Vgl. dazu auch: Eke: „Man muß die Deutschen mit der Novelle fangen“, S. 300–302.

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Bestimmungen der Gattung und führt sie konsequent weiter, wenn er den Roman 1856 als „prosaische Darstellung“ selbstverständlich eine „Form der Poesie“ nennt, die für Schilderung des ‚modernen Menschen‘ und des ‚modernen Lebens‘ reserviert sei – seine Ausführungen zur Gattung sind dabei bereits auf das eigene Literaturprogramm und den ein Jahr zuvor erschienenen Roman perspektiviert: Für die kunstmäßige Darstellung solcher Ereignisse aber, welche in unserm Leben wurzeln, oder doch von uns modernen Menschen in ihren innern Motiven und ihrem Zusammenhange am leichtesten verstanden werden können, hat sich im Roman eine neue Form der Poesie entwickelt, welche den Vers ganz entbehrt und welche sich, gemäß unsrer Betrachtung menschlicher Verhältnisse, ähnlich zur Geschichte und Biographie verhält, wie das frühere Heldenepos zur heiligen Sage. Seit diese Gattung epischer Erzählung erfunden, hat die prosaische Darstellung das Recht, überall einzutreten, wo eine längere, reichgegliederte Erzählung mit detaillirter Ausführung verschiedener sich durchkreuzender menschlicher Interessen und eine specielle Schilderung des menschlichen Herzens, seiner Leidenschaften und Verwirrungen wirksam werden soll, d.  h. fast überall, wo ein Stück modernes Lebens aus dem großen Zusammenhange von Ursachen und Wirkungen herausgehoben und für die Kunst verwerthet wird.184

In der ersten Hälfte der 1850er Jahre ist der Roman als poetische Gattung im Grenz­ boten-Realismus nicht bloß rehabilitiert, sondern zum Zentrum der literaturprogrammatischen Auseinandersetzung geworden. Allerdings haben Freytag und Schmidt ihre romanpoetologischen Erörterungen nicht nur in den Anfangsjahren konsequent auf das eigene Programm (sowie die eigene poetische Produktion) bezogen und den Roman ästhetisch aufgewertet. Auch im Nachhinein, als der Roman zunehmend zur bestimmenden Form geworden war, haben sie dieses Programm verfolgt, den eigenen Anteil an der literarischen Entwicklung herausgestellt und wiederum die eigene Entwicklung (und das eigene Werk) im Sinne des literaturgeschichtlichen Fortschritts gelesen. Besonders aufschlussreich in dieser Hinsicht sind Freytags Erinnerungen aus meinem Leben (1886). Wie im zitierten Aufsatz über die „Neue epische Poesie“ deutet Freytag den Roman  – jetzt mit dem Ziel maximal möglicher Nobilitierung  – als moderne Form des Epos (vgl. GW I, 204–206). Den Roman, den er im Entwurf für seine Breslauer Abschiedsvorlesung (wohl 1844), noch unter pessimistischen Vorausdeutungen den ungeliebten und ‚trostlosen‘ „Stiefbruder“ des Epos nennt,185 bezeichnet er nun als die zeitgemäßeste und modernste Form der Poesie. Die Entwicklung der Literatur, die Wandung vom Vers zur Prosa, von der Lyrik und dem Epos zum Roman wird von ihm ausführlich historistisch als Fortentwicklung interpretiert und mit der Nationalentwicklung parallelisiert.186 Wo Freytag und Schmidt die Prosa in 184 Gustav Freytag: Neue epische Poesie. 1. In: Die Grenzboten 15 (1856), I. Semester, I. Band, S. 281– 288, hier S. 284. 185 StB, Nachlass Gustav Freytag, Varia 83: Entwurf zur Abschiedsvorlesung vor Studenten. 186 „Der Roman, viel gescholten und viel begehrt, ist die gebotene Kunstform für epische Behandlung menschlicher Schicksale in einer Zeit, in welcher tausendjährige Denkprozesse die Sprache für

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den Nachmärzjahren noch als Übergang zu einer neuen Verskultur rechtfertigen, gilt ihm die gebundene Rede in seinen Erinnerungen als ‚Mangelsymptom‘ vergangener Literaturepochen, die vor den gegenwärtigen Ansprüchen allesamt nicht bestehen können.187 Demgegenüber bringt er die Vorzüge der modernen Prosa in Anschlag, die er entsprechend zur „Verstärkung des poetischen Schaffens“ erklärt.188 Den Roman nennt er schließlich die Gattung, „in welcher sich die moderne Gestaltungskraft am vollsten und reichsten ausprägt“ (GW I, 208), mithin die fortschrittlichste Gattung. Freytags Hohelied auf den Roman mündet in die Prognose, „daß man in irgend einer Zukunft für den größten und eigentümlichsten Fortschritt in der Poesie des neunzehnten Jahrhunderts gerade den Prosaroman betrachten wird“. Freytags Werkbiographie, so die Logik seiner Erinnerungen, spiegelt diese Fortschrittsgeschichte wider. Den eigenen schriftstellerischen Werdegang beschreibt er nämlich als Weg vom Drama hin zum Roman. Dass er nach dem herausragenden Erfolg der Journalisten nicht ein weiteres Drama verfasst, sondern sich dem Roman die Prosadarstellung gebildet haben. Er ist als Kunstform erst möglich, wenn die Dichtung und das Nationalleben durch zahllose geschichtliche Erlebnisse und durch die Geistes- und Culturarbeit vieler Jahrhunderte mächtig entwickelt sind. Wenn wir aus solcher späten Zeit auf die Vergangenheit eines Volksthums zurücksehen, in welcher jede erhöhte Stimmung in gebundener Rede austönte, so erscheint uns, was damals unter anderen Culturverhältnissen der nothwendige Ausdruck des Erzählenden war, als besonders vornehm und ehrwürdig. In Wahrheit aber ist die Arbeit des modernen epischen Dichters, dessen Sprachmaterial die Prosa ist, genau in demselben Grade reicher und machtvoller geworden, wie die Fähigkeiten seiner Nation, das innere Leben des Menschen durch die Sprache zu schildern. Denn die Geschichte der Poesie ist im höchsten Sinne nichts anderes als die historische Darstellung der Befähigung jeder Zeit, dem, was die Seele kräftig bewegt, Ausdruck durch die Sprache zu geben“ (GW I, 204). – Vgl. zu Freytags Argumentation insgesamt: GW I, 204–208. 187 „[A]uch in unserer deutschen Vergangenheit finden wir, seit der Prosaroman auftritt, in jedem Zeitabschnitt der Vergangenheit, daß die eigene Arbeit des Dichters im Zusammenfügen der Handlung weniger frei und in Schilderung der Charaktere weniger sicher und reich ist, als wir von einem Roman der Gegenwart verlangen. Das gilt für Deutsche selbst noch von Goethe’s Romanen. […] Und die Sprache? Die hohe Schönheit des rhythmischen Klanges bei Homer und den Nibelungen, ja auch noch bei Dante und Ariost, entgeht doch der Erzählung des modernen Dichters. Auch hier gilt der Vergleich, daß die Formen des Kindes eigenartige Schönheit haben, welche der Leib des Erwachsenen nicht besitzt. Dagegen reichlich andere, welche im ganzen bedeutender und mannigfaltiger sind. Jene alten Dichter schufen in Versen, weil es zu ihrer Zeit noch keine Prosa gab, die zu reichem Ausdruck seelischer Stimmungen und zu gehobener Schilderung befähigt war. Was uns als besondere Schönheit der Alten erscheint, ist im letzten Grunde der größte Mangel“ (GW I, 206). 188 „Die behagliche Fülle der Schilderungen, den scharf charakterisierenden Ausdruck das Meiste von seiner guten Laune und dem Humor, mit welchem er menschliches Dasein zu betrachten vermag, das geistreiche Scherzwort, die scharf bestimmte Ausprägung eines Gedankens, nicht zuletzt die Mannigfaltigkeit und Biegsamkeit des sprachlichen Ausdrucks, welcher sich in Prosa bei jedem Charakter, bei jeder Schilderung anders und eigenartig äußern kann. Die ungebundene Rede ist in unserem wirklichen Leben ein wundervoll starkes und reiches Instrument geworden, durch welches die Seele Alles auszutönen vermag, was sie erhebt und bewegt. Deshalb dürfen wir auch ihre Herrschaft in der erzählenden Dichtung nicht für eine Minderung, sondern für eine Verstärkung des poetischen Schaffens halten“ (GW I, 207).

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zugewendet hat, begründet er damit, dass die Dramenform ihm für „die großen geschichtlichen Verhältnisse, in denen ich als Schriftsteller mich tummelte“ und für sein Bedürfnis, sich über sein „Verständniß der Zeit […] mit […] Fülle und Reichlichkeit auszusprechen“, zu klein geworden sei.189 Auf diese Weise wird Soll und Haben in den Erinnerungen einerseits als wegweisender Zeitroman der Nachmärzjahre profiliert. Andererseits wird zwischen Roman und Drama eine Vergleichsebene installiert,190 auf der Freytag schon wenige Seiten später vehement Parallelen konstruiert, die wohl in erster Linie der Aufwertung des Romans als Gattung und insbesondere Soll und Habens dienen: Der Aufbau der Handlung wird in jedem Roman, in welchem der Stoff künstlerisch durchgearbeitet ist, mit dem Bau des Dramas große Aehnlichkeit haben. […] Auch die Theile der Handlung sind in der Hauptsache dieselben wie im Drama: Einleitung, Aufsteigen, Höhepunkt, Umkehr und Katastrophe (GW I, 179).

Freytag erhöht die als unkompositorisch, episodisch-offen und formal defizitär verschriene Form des Romans, indem er eine Analogie zur geschlossenen Handlungskomposition des klassischen Dramas in aristotelischer Tradition herstellt, wie er sie in seiner Technik des Dramas wirkmächtig beschrieben und im berühmten gleichschenkligen Dreieck illustriert hat. Er bedient damit eine für den Realismus charakteristische Argumentationsfigur, die etwa von Friedrich Spielhagen und Theodor Storm mit vergleichbarer Intention ähnlich für die Novelle bemüht wurde.191 Storms kanonisch gewordene Bestimmung der Novelle als „Schwester des Dramas“, die „die tiefsten Probleme des Menschenlebens“ behandle und „die höchsten Forderungen der Kunst“ stelle,192 korrespondiert mit Freytags Bestimmung der Novelle als „kleine Schwester“ des Romans, den er zusammen mit der Novelle in Verwandtschaftsbeziehung zum Drama rückt  – hier im Kontext der Ausführungen zu Freytags zweitem Roman Die verlorene Handschrift:

189 Das Zitat im Ganzen: „So war ich wieder mit einem Erfolg über die Bretter gewandelt und es hätte nahe gelegen, in derselben Dichtungsform fortzufahren. Aber ich selbst war in diesen Jahren ein anderer geworden, die großen geschichtlichen Verhältnisse, in denen ich als Schriftsteller mich tummelte, Manches was ich erlebt und angeschaut hatte, die volle und starke Strömung des Lebens, welche mir jetzt durch die Seele zog, wollte sich in den Rahmen eines Theaterabends, in die knappe Form des Dialogs, und in die kurzen Scenenwirkungen nicht einpassen. Mich überkam der Wunsch, mein Verständniß der Zeit und was ich etwa von guter Laune besaß, mit der Fülle und Reichlichkeit auszusprechen, welche in einer poetischen Erzählung möglich wird. Im Sommer 1853 trat ich darüber mit den kleinen geflügelten Collegen, den Lyrikern meines Gartens in Beratung und begann meinen ersten Roman, welcher mich auch noch im nächsten Jahre beschäftigte“ (GW I, 176). 190 Vgl. dazu auch Schneider: Realistische Literaturpolitik und naturalistische Kritik, S. 65. 191 Vgl. Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 115  f., 121  f. 192 Theodor Storm: Eine zurückgezogene Vorrede aus dem Jahre 1881. In: RuG II, S. 368  f., hier S. 368.

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Nun enthalten auch der moderne Roman und seine kleine Schwester, die Novelle, immer wiederkehrende Situationen, welche allen gemeinsam sind. Denn wie in alter Zeit der Gegensatz und Kampf zweier Helden, so ist in unserem Roman das Verhältnis zweier Liebenden die leitende Idee. Aber die Mittel, dies Gemeinsame durch Farbe und Schilderung immer wieder neu, eigen­ thümlich und fesselnd zu machen, sind unermeßlich größer, als in der Zeit des alten Epos (GW I, 206).

Über die analoge Rede vom „Bau des Dramas“ (179; vgl. auch: 182) und dem „Bau des Romans“,193 die gleichartige Beschreibung beider Gattungen mittels der Begriffe ‚leitende Idee‘, „Gegensatz“ oder „Farbe“ sowohl in den Erinnerungen als auch zuvor in Die Technik des Dramas und Die Grenzboten wird die Ähnlichkeitsbehauptung von Drama und Roman unterstützt.194 In seinem Aufsatz „Für junge Novellendichter“, der 1872 in der Zeitschrift Im neuen Reich erschien, wird Freytag abermals dramenästhetische Kriterien normativ auf den Roman und die Novelle übertragen.195 Als „die drei ersten Erfordernisse einer ausführten [!] Erzählung“ nennt er sogar mit den dramentechnischen Begriffen seiner eigenen Poetik: „klare Exposition, eine fesselnde Verwickelung, welche in ausgeführtem Höhepunkte gipfelt und eine größer angelegte, kräftige Katastrophe“.196 Freytags Ausführungen zur Form der Prosa sind auch hier weiterhin gekoppelt an das inhaltliche Programm einer Aufwertung der bürgerlichen Prosa der Gegenwart und ihrer mittleren Helden („Allerweltsmenschen“).197 Die Nähe von Erzählliteratur und Drama wird andeutungsweise bereits in Freytags Widmung von Soll und Haben evoziert und dadurch nahegelegt, dass er und Schmidt für den Roman und das Drama immer wieder die identischen Maßstäbe anlegen. Die Annahme einer potentiellen Übergängigkeit zwischen den Gattungen sowie die Ausweitung und wechselseitige Perspektivierung der Gattungsbegriffe veranschaulicht 1849 schon Freytags Aufsatz zur Dorfliteratur „Die Dichter des Details und Leopold Kompert“, in dem er einen „Uebergang […] zum Drama“198 mit den ähnlichen poetischen Prinzipien andenkt und den er mit dem Satz beendet: „Wir hoffen, den Dichter in der Zukunft da zu finden, wo die stärksten Kräfte hinwüchsen, bei den dramatischen Stoffen unseres Lebens“.199 Hatte Freytag 1849 in „Die Kunst und Künstler in der Revolution“ noch dem Drama zugeschrieben, dem „Volk“ ein „Spiegelbild“ der nationalen Kämpfe und Zeitfragen zu sein,200 erklärt er 1855 in der Widmung an

193 [Gustav Freytag]: [Rez.] Isegrimm, Roman von Willibald Alexis. In: Die Grenzboten 13 (1854), I. Semester, I. Band, S. 321–328, hier S. 324. 194 Vgl. unter zahlreichen Stellen aus der Technik des Dramas nur beispielhaft: GW XIV, 9, 73, 278. 195 Vgl. G[ustav] F[reytag]: Für junge Novellendichter. In: Im neuen Reich. Wochenschrift für das Leben des deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst 2 (1872), Bd. 1, S. 66–70, hier S. 66  f., 68  f. 196 F[reytag]: Für junge Novellendichter, S. 66. 197 F[reytag]: Für junge Novellendichter, S. 68. 198 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 105. 199 Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert, 106. 200 Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution, 12.

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 2 Die Poesie des Prosaischen

Herzog Ernst II. sein Erzählwerk Soll und Haben zum Zeitroman, der „dem Volke einen Spiegel seiner Tüchtigkeit vorhalten“ solle  – und der (anders als Freytag es vielen Romanen vorgeworfen hat) dennoch die ‚Gesetze der Dichtkunst‘ ebenso erfülle wie ‚die des Lebens‘.201 Der Roman, so die Logik der Zeilen, hat das Drama als Leit- und Zeitgattung abgelöst – ohne dabei an kompositorischer Strenge zu verlieren. Wie sehr es ihm um dieselbe bei der Konzeption von Soll und Haben zu tun war, betont Freytag in seinen Erinnerungen nachdrücklich, sogar sein Vorgehen  – vom ‚Bauplan‘ hin zu den sprechenden Namen  – habe hier jenem beim Entwurf seiner Dramen entsprochen:202 Auch meine Weise der Arbeit war bei dem Roman dieselbe wie bei den Theaterstücken, ich erdachte mit zuerst die ganze Handlung im Kopfe fertig, dabei suchte ich sogleich für alle wichtigeren Gestalten die Namen, welche nach meiner Empfindung zu ihrem Wesen stimmten […], endlich schrieb ich auf ein Blatt den kurzen Inhalt der sechs Bücher und ihrer sämmtlichen Abschnitte (GW I, 180).

Noch einmal unterstreicht Freytag die dramatische Struktur Soll und Habens, indem er das für seine Dramenpoetik konstitutive Prinzip des Gegensatzes („Spiel und Gegenspiel“; GW XIV, 93) in seinen Roman hineinliest und jene Farbmetaphorik bemüht, die er in Die Technik des Dramas eingeführt hat:203 Will man sich aber die Mühe geben, die geschilderten Menschen gegen einander zu stellen, so kann man finden, daß sie unter einem eigenthümlichen Zwange gebildet sind, dem des Gegensatzes: Anton und Fink, der Kaufmann und Rothsattel, Lenore und Sabine, Pix und Specht haben einander veranlaßt. Denn wie in dem menschlichen Auge jede Farbe ihre besondere Ergänzungsfarbe hervorlockt, so treibt auch in dem erfindenden Gemüt ein lieb gewordener Charakter seinen contrastirenden hervor. Auch Charaktere, welche dieselbe Grundfarbe erhalten, wie Ehrenthal und Itzig, werden durch die Zumischung der beiden Gegenfarben voneinander abgehoben. Dieses Schaffen in Gegensätzen geschieht nicht als Folge verständiger Erwägung, sondern mit einer gewissen Naturnotwendigkeit ganz von selbst, es beruht auf dem Bestreben der schöpferischen Kraft, in der nach den Bedürfnissen des menschlichen Gemüthes zugerichteten Begebenheit ein Abbild der gesamten Menschenwelt im Kleinen zu geben (GW I, 182).

Nun leuchtet ein dramatischer Aufbau, wie Freytag ihn für seinen Roman behauptet, allerdings schon auf den ersten Blick wenig ein, wenn man die Einteilung des Romans in sechs Bücher gegen sein drei- oder fünfaktiges Dramenschema hält. Auch diesen Einwand versucht Freytag im Voraus zu parieren, wenn er erläutert: „Bei der Beschaffenheit des Stoffes, welcher eine breite Ausführung der zweiten Hälfte nothwendig machte, nahm der Verfasser sich die Freiheit, die Umkehr in zwei Bücher zu scheiden,

201 Gustav Freytag: Seiner Hoheit Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha [1855]. In: GW IV, 3–4, hier 3, 4. 202 Vgl. dazu auch: Hillebrand: Theorie des Romans, S. 235  f. 203 Zum Begriff der ‚Farbe‘ eines Dramas vgl. GW XIV, 288–292.

2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik 

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dadurch hat die Erzählung sechs Theile erhalten, notwendig wäre nur die Fünfzahl“ (179). Wenngleich diese verschiedenen Aussagen zur dramatischen Komposition von Soll und Haben für Freytags Gattungsverständnis und seine Aufwertung des Romans – auch im epochalen Zusammenhängen – aufschlussreich sind, sollte man diese kritisch hinterfragen. Es handelt sich hier um nachträgliche Selbstdeutungen, wie sie für die Praxis der Selbsthistorisierung204 und Selbstinszenierung in Freytags vielfach ‚geschönter‘ Autobiographie charakteristisch sind205 – zumal Soll und Haben betreffend.206 Die Forschung ist Freytags Selbstdeutung des Romans dennoch immer wieder gefolgt,207 obwohl die Annahme einer dramenähnlichen Struktur für den Roman insgesamt nicht weit trägt208 und Freytag die Hinwendung vom Drama zum Roman

204 Auch wenn Ulrich selbst noch nicht mit kritischer Distanz auf seine Beobachtung reagiert, bemerkt er 1907: „Wer sich wissenschaftlich mit Freytag beschäftigt, wird auf Schritt und Tritt Hinweise des Dichters selbst finden, nach denen er seine Arbeit einrichten kann. Die wichtigste Quelle sind die ‚Erinnerungen‘, die als erster Band der gesammelten Werke des Dichters Lebensarbeit einleiten“ (Paul Ulrich: Gustav Freytags Romantechnik. Marburg 1907, S. 2). Freytags Praxis der nachträglichen Selbstdeutung für eine spätere (zumeist philologische) Leserschaft entspricht einer Praxis der Selbsthistorisierung, wie sie für Autorschaft im 19. Jahrhundert zunehmend charakteristisch wird (vgl. Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 9). 205 Treffend nennt Freytags Biograph seine Erinnerungen aus meinem Leben „ein Gemisch aus Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten“ und wertet sie als „Akt inszenierter Selbstdarstellung“ (Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 10; vgl. dazu auch S. 239  f.). 206 Zur Entstehung, Konzeption und Komposition des Romans vgl. die Ausführungen Köhnkes, der Freytags spätere Selbstaussagen überzeugend in Zweifel zieht: Klaus Christian Köhnke: Ein anti­ semitischer Autor wider Willen. Zu Gustav Freytags Roman „Soll und Haben“. In: Hans Otto Horch u. Horst Denkler (Hg.): Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg. Teil 2. Tübingen 1989, S. 130–147. – Zur Diskussion von Köhnkes Argumentation und Thesen vgl. Benedict Schofield: Private Lives and Collective Destinies. Class, Nation and the Folk in the Works of Gustav Freytag. London 2012, S. 95  f. 207 Vgl. z.  B.: Ulrich: Gustav Freytags Romantechnik, bes. S.  82–121; Freymond: Der Einfluss von Charles Dickens auf Gustav Freytag, S. 83–91; Hans Lindau: Gustav Freytag. Leipzig 1907, S. 165–169; Michael Schneider: Geschichte als Gestalt. Formen der Wirklichkeit und Wirklichkeit der Form in Gustav Freytags Roman „Soll und Haben“. Stuttgart 1980, S. 79  f.; Büchler-Hausschild: Erzählte Arbeit, S. 71–74. 208 Zwar kann diese Diskussion hier nicht im Einzelnen geführt werden, neben den bereits angeführten Punkten wie den widersprüchlichen Aussagen in den Erinnerungen sowie dem, was über die ursprüngliche Konzeption gemutmaßt werden kann (vgl. Köhnke: Ein antisemitischer Autor wider Willen), sollte man jedoch Folgendes bedenken: Soll und Haben weist keine streng lineare einsträngige Handlungsstruktur auf, die sich überzeugend in einem fünfaktigen Schema abbilden ließe. Erst recht ist die von Freytag indirekt unterstellte Tragödienstruktur mit einer „Katastrophe“ (GW I, 179) am Schluss des Buches fragwürdig, weil in dieser Logik eigentlich Veitel Itzig als Protagonist des Textes zu gelten habe (was sich wiederum nicht mit der Gesamtkomposition verträgt). Freytag selbst weist die Verbindung von Anton und Sabine als Schlusspunkt aus, der formal „dürftig“ von ihm ausgeführt worden sei (180). Auch gibt es keinen Höhepunkt in den mittleren Teilen des Buches. Und die zweite Polenepisode läuft einer linearen Handlungsentwicklung insgesamt vollständig entgegen. Das Buch

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doch zuvor gerade als bewussten Schritt in Richtung der Formvorteile der Erzählliteratur beschrieben hat (s.  o.). Dass Freytag die Romanhandlung nicht einfach für in die Dramenstruktur übersetzbar hielt, belegt die Tatsache, dass er der fünfaktigen Bühnenbearbeitung Soll und Habens, die Karl Wexel 1858 vornahm, seine Zustimmung verweigerte.209 Dabei wird er später in seinem Aufsatz „Für junge Novellendichter“ allgemein ausführen, dass das Drama „die erzählenden Kunstformen so mächtig beeinflußt“ habe und „manche Romane oder Novellen […] einem Drama so ähnlich“ seien (vor allem im „Bau“), „daß sie sich mit geringer Kunst in ein wirksames Theaterstück umschreiben lassen“.210 Indem Freytags Selbstaussagen problematisiert und hinterfragt werden, soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass Soll und Haben sich „durch Geschlossenheit sowie durch eine organisierte Komposition“211 auszeichnet – im Gegenteil. Auch liegt schon insofern eine Nähe zwischen dem Entwicklungsroman und dem klassischen Drama vor, als beide eine teleologische Grundstruktur aufweisen,212 die für das ebenso teleologische Geschichtsdenken Freytags attraktiv und anknüpfungsfähig ist (s. auch Kap. II.3.3).

deutet dies selbst an, indem es über diese Zeit sagt, Anton habe damit „die gerade Linie seines Lebens verlassen“ (SuH, 765). Zwar tragen die ersten Kapitel des Buches noch am ehesten (und man mag hinzufügen: ganz naturgemäß) die Züge der Exposition, fokussiert wird aber gerade nicht auf einen Haupthelden und eine Haupthandlung, der sich eine bloße Kontrastfigur als Gegenspieler zugesellt. Stattdessen blendet der Text ausführlich auf verschiedene Figuren (Veitel Itzig, Oscar von Rothsattel, Hirsch Ehrenthal, Sabine Schröter), die ausführlich vorgestellt werden und deren Handeln mit deutlichem Interesse nicht an einer bloß kontrastiven Funktion, sondern an der Soziallogik der Figuren selbst erörtert wird. Besonders die ersten beiden Bücher des Romans sind durchzogen von multiperspektivischen Schauplatz- und Figurenwechseln. Auffällig ist dabei die Parallelstruktur zwischen Anton und Veitel (s. Kap. 4). Die Entwicklung des Helden wird hier gerade nicht dadurch erzählt, dass Anton im Fokus des Interesses steht, sondern dass er als gleichsam ‚leere‘, ja ‚unbeschriebene‘ Normalnatur in die Welt geschickt wird und seine ‚Identität‘ erst im Kontakt mit anderen gesellschaftlichen Repräsentanten entdeckt. Überspitzt gesagt: Zunächst ist Anton die eigentliche Funktionsfigur des Buches, die dessen Anlage als Gesellschaftsroman ermöglicht. Die entscheidenden und für den Text charakteristischen Darstellungselemente trifft die Rede von einer dramatischen Komposition Soll und Habens ebenso wenig wie jene Merkmale, die Freytag zufolge die Errungenschaften der ‚erzählenden Dichtung‘ ausmachen (vgl. 207). Kennzeichnend für das Buch ist weder eine dramatische Struktur noch eine szenische Erzählweise, vielmehr eine Extremform des narrativen Darstellungsmodus, die sich im Einsatz von Erzählkommentaren, in einer ‚olympischen‘ Erzählperspektive (mitsamt vielen variablen internen Fokalisierungen) und vor allem in einem ironischen Erzählton äußert – genuin narrative Elemente also. – Vgl. auch den kritischen Blick auf Freytags Selbstaussagen zur dramenähnlichen Struktur bei: Anderson: Ein Kaufmann „von sehr englischem Aussehen“, S. 220  f.; Schofield: Private Lives and Collective Destinies, S. 94  f. 209 Vgl. Gustav Freytag an Salomon Hirzel, 2. August 1858. In: BrHi II, 149  f., hier 149. 210 F[reytag]: Für junge Novellendichter, S. 68  f. 211 Becker: Erziehung zur Bürgerlichkeit, S. 31. 212 Vgl. Becker: Erziehung zur Bürgerlichkeit, S. 31; Plumpe: Roman, S. 540  f.

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Die Erstrezeption von Soll und Haben liefert ebenfalls Argumente dafür, den vom Autor behaupteten Zusammenhang zwischen Drama und Roman weiterzuverfolgen. Denn in seiner Rezension von 1855 bescheinigt bereits Theodor Fontane dem Text, „die innige Verschmelzung dreier Dramen“213 zu sein: Wir haben zwei Tragödien und ein Schauspiel. Der Mittelpunkt der einen Tragödie ist der Freiherr von Rothsattel, der Held der andern – Veitel Itzig. Beide, so grundverschieden an Gesinnung, wie an Lebensstellung, laden doch […] eine verwandte Schuld auf sich: der eine will conserviren um jeden Preis, der andere um jeden Preis erringen. Die Strafe ereilt beide. Zwischen beiden Tragödien, und den Mittelpunkt des Ganzen bildend, steht ein bürgerliches Schauspiel, das den Titel „Anton Wohlfahrt“ [!] führt. Wir kommen an Krisen, die uns um das Schicksal unseres Helden besorgt machen, aber sein gutes Glück und seine Natur sind die endlichen Ueberwinder. Auch der Deus ex machina des bürgerlichen Schauspiels ist nicht vergessen, er unterscheidet sich indeß von dem üblichen Fürsten, der seinen Surtout aufknöpft und auf den Ordensstern weist, sehr wesentlich dadurch, daß wir von Anfang an seine Bekanntschaft machen und ihn in der Mitte des Romans in der sicheren Hoffnung verschwinden sehen, er werde wiederkommen und endlich alle Dinge zum Besten führen“ [gemeint ist offensichtlich Sabine Schröter; P. B.].214

Fontane argumentiert hier zunächst vor allem inhaltlich – und zwar hoch selektiv und wenig zwingend. Aus der Schuld des Barons von Rothsattel und Veitel Itzig lässt sich noch kein dramatischer Kern ableiten; und Fontanes erläuterungsbedürftige Bestimmung des ‚bürgerlichen Schauspiels‘ bleibt blass. Sodann allerdings kommt der Rezensent auf formale Aspekte des Romans zu sprechen und attestiert Freytag, „dem Drama und seinen strengen Anforderungen und Gesetzen“ […] die Vorschriften für die Behandlung des Romans entnommen“ zu haben.215 Das Werk sei „ernstlich aufgebaut“, d.  h. dieser Text über das ökonomische Gewerbe sei auch in formaler Hinsicht von einer fast kaufmännischen Textökonomie geprägt: „Da wird im ersten Bande kein Nagel eingeschlagen, an dem im dritten Bande nicht irgend etwas […] aufgehängt würde“.216 Überhaupt gebe es „nirgends überflüssige Personen und insgesamt seien insbesondere die „Composition“ des Romans und „die Feinheit seiner Motivierung“ hervorzuheben.217 Gerade die strenge kausallogische Motivierung und ‚Geschlossenheit‘ des Ganzen zeichneten den „Bau des Romans“ in der Nachfolge der „dramatischen Schule“ aus.218 Diese formalen Zuschreibungen bedingen den Vergleich des Romans mit dem Drama. Sie erklären sich vor dem Hintergrund der programmatischen Äußerungen Freytags und Schmidts, die hier zum Teil wörtlich aufgegriffen werden. Bereits im Vorfeld von Soll und Haben forderten Freytag und Schmidt einen Roman, der sich 213 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 60. 214 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 60. 215 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 60. 216 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 60. 217 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 60. 218 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 60.

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am Bau des Dramas orientiere.219 Dessen von den Grenzboten erwünschte Kompositionsprinzipien hat Freytag schon 1849 in seinem Aufsatz zur „Technik des Dramas“ dargelegt. Die Kriterien und Formulierungen haben Freytag und Schmidt von dort aus direkt auf die Romandiskussion übertragen. Für Schmidt ist klar, „daß die Hauptgesetze des Dramas auch im Epos Anwendung finden müssen“,220 ja dass „Komposition“, das „einheitliche Ineinandergreifen von Ursache und Wirkung“ und allen voran das „Gesetz“ der „Einheit“ allumfassend seien, weil sie „sich nicht bloß auf jedes Epos, auf jedes Drama, auf jede poetische Leistung überhaupt erstreck[en], sondern auf jede Rede, auf jedes Gespräch, auf jede Abhandlung, auf jeden mathematischen Beweis“.221 Anschaulich wird die praktische Übersetzung dramentheoretischer Begriffe und Merkmale auf die Erzählliteratur etwa an Freytags kanonisch gewordener Rezension zu Willibald Alexis’ Roman Isegrimm. Die „Geschlossenheit eines einheitlichen Kunstwerkes“222 wird darin 1854 zum zentralen Kriterium guter Kunst erklärt. Weiter heißt es: Wir fordern vom Roman, daß er eine Begebenheit erzähle, welche, in allen ihren Theilen verständlich, durch den inneren Zusammenhang ihrer Theile als eine geschlossene Einheit erscheint223 und deshalb eine bestimmte einheitliche Färbung in Stil, Schilderung und in Charakteristik der darin auftretenden Personen möglich macht. Diese innere Einheit, der Zusammenhang der Begebenheit in dem Roman muss sich entwickeln aus den dargestellten Persönlichkeiten und dem logischen Zwang der ihm zugrunde liegenden Verhältnisse.224 Dadurch entsteht dem Leser das behagliche Gefühl der Sicherheit und Freiheit, er wird in eine kleine freie Welt versetzt, in welcher er den vernünftigen Zusammenhang der Ereignisse vollständig übersieht, an welchem sein Gefühl für Recht und Unrecht nicht verletzt, er zum Vertrauten starker idealer Empfindungen gemacht wird. Wenn nun aber dieser innere Zusammenhang dadurch gestört wird, daß der ganze ungeheure Verlauf des wirklichen Lebens, die ungelösten Gegensätze, die Spiele des Zufalls, welche das Detail der wirklichen Ereignisse und der Geschichte bei fragmentarischer Behandlung darbietet, mit hereingetragen werden in den Bau des Romans, so geht dadurch dem Leser das Gefühl des Vernünftigen und Zweckmäßigen in 219 „Man verlangte einen völlig durchkomponierten Roman, der sich an Baugesetzten des Dramas orientieren sollte, um die ‚lose Kopplung‘ schöner Elemente des wirklichen Lebens im Medium der Poesie ‚dicht‘ zu knüpfen und von allem Nichtdazugehörigen zu befreien“ (Plumpe: Roman, S. 538). 220 Julian Schmidt: Das romantische Epos. In: Die Grenzboten 13 (1854), I. Semester, I. Band, S. 8–19, hier S. 15. 221 Schmidt: Das romantische Epos, S. 15  f. 222 [Freytag]: [Rez.] Isegrimm, S. 322  f. 223 Von der Handlung des Dramas fordert Freytag später in der Technik des Dramas in allererster Linie und typographisch hervorgehoben: „Sie muß eine festgeschlossene Einheit bilden“ (GW XIV, 26; Kursivierung im Original gesperrt). 224 Diese Sätze korrespondieren mit den folgenden aus dem Aufsatz „Die Technik des Dramas“: „Das Drama hat die Aufgabe, unserem Auge und Ohr Personen vorzuführen, welche durch den Antheil an einer Begebenheit, die von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende übersichtlich ist, verbunden sind. Die Begebenheit muß uns durch die Worte und Thaten verschiedener Personen klar werden […]“ (Freytag: Die Technik des Dramas, S. 11).

2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik 

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den Begebenheiten in peinlicher Weise verloren. Und dies Bedürfnis einer künstlerischen Composition, einer einheitlichen, abgeschlossenen Handlung tritt bei jedem Stoffe ein, welcher in romanhafter Weise erzählt wird.225

Das Beharren auf „Einheit“, „strenger Consequenz“ oder „Gesetzen“226 liest sich nicht nur wie die exakte Übertragung der eigenen dramentheoretischen Forderungen auf den Roman;227 die Rezension liest sich ebenso wie die Blaupause jener Besprechung Fontanes von Soll und Haben, in der schließlich genau diese Begriffe von der „Geschlossenheit“, „Composition“ und dem „Bau des Romans“ aufgegriffen werden (s. o.). Fontanes Rezension kann mithin als Ergebnis der erfolgreichen strategischen Etablierung der eigenen Romanpoetik betrachtet werden. In diesem Sinne gehört die Aufwertung des Romans über den Vergleich mit dem Drama nicht nur in die Geschichte der realistischen Romantheorie, sondern ebenso in die Geschichte der Positionierung und strategischen Selbstdeutung Soll und Habens. Nicht von ungefähr wird Fontane später im Brief an Emil Dominik über Freytag schreiben: „er tödtete W. Alexis dessen bester Roman: ‚Isegrimm‘ gleichzeitig mit Soll und Haben erschien“.228 Freytags Alexis-Rezension ist noch in anderer Hinsicht romantheoretisch aufschlussreich. Denn die hier zitierte Stelle verbindet die Überlegungen zu den kompositorischen Anforderungen an einen Roman mit Überlegungen zur Wirkungsästhetik und proklamiert das Gebot von Einheit, Zusammenhang und Geschlossenheit in einer Weise als Maßstab, dass hier zugleich die äußere Geschlossenheit gemeint ist und die ‚fragmentarische‘ Publikationsweise abgelehnt wird. Es spiegelt sich hierin eine nicht nur für Freytag typische Vorstellung von einem bleibenden dichterischen Werk wider, für das der materielle Zusammenhang ebenso konstitutiv ist wie der in den realistischen Literaturprogrammen viel beschworene ‚innere Zusammenhang‘. Dieses kompositorische und materielle Geschlossenheitsgebot stellt das zentrale Element in der romantheoretischen Positionierung der Grenzboten dar. Denn es bildet nicht nur den entscheidenden Nexus, über den die Gleichartigkeit von Roman und Drama hergestellt und so die Prosa nobilitiert wird; markiert wird hiermit zugleich die Differenz zur Masse der Romanliteratur, die solcher Nobilitierung entgegensteht. Die 225 [Freytag]: [Rez.] Isegrimm, S. 323  f. 226 Siehe genauer [Freytag]: [Rez.] Isegrimm, bes. S. 323–325. 227 Die (zum Teil bereits angemerkten) zahlreichen Übereinstimmungen können hier nicht alle aufgeführt werden. Sie sind aber selbst noch in vermeintlichen Nebensächlichkeiten, wie der Besprechung der Einleitung des Romans, nachweisbar. Wird im Aufsatz über „Die Technik des Dramas“ vom Drameneinstieg die Schilderung des „Charakteristische[n] der Zeit“, z.  B. „der Familien, welche dargestellt werden sollen“, gefordert (Freytag: Die Technik des Dramas, S. 13), so heißt es über Ise­ grimm: „Daß die Kämpfe und Leidenschaften einer bestimmten Zeit sich in dem Schicksale der Familie abspiegeln, wäre ebenfalls in der Ordnung“ ([Freytag]: [Rez.] Isegrimm, S. 324). 228 Theodor Fontane an Emil Dominik, 12. Dezember 1883. In: ders.: Werke, Schriften und Briefe. Abteilung IV: Briefe. Bd. 3: 1879–1889, hg. von Otto Drude, Manfred Hellge u. Helmut Nürnberger unter Mitwirkung von Christian Andree. München 1980, S. 293  f., hier S. 294 (Hervorhebung im Original).

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Aufwertung der Prosa erfolgt zwar aus der (nicht zuletzt ökonomisch) gewachsenen Bedeutung der Erzählliteratur, aber eben zugleich in Reaktion auf den literarischen Massenmarkt mit seinen neuen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen insbesondere von Novellen und Romanen. Anders gesagt: Die Formulierung einer ‚hohen‘, dem klassischen Drama entlehnten Poetik des Romans geht einher mit der Abgrenzung von solchen Texten, die den Ansprüchen der Grenzboten und anderer an eine „reine[] Prosa nicht genügen,229 sondern mit Gottschall: höchstens einer „Aesthetik für Leihbibliotheken“.230 Zu Freytags Positionierung auf dem Feld des Romans gehört demnach, dass er sich einerseits programmatisch gegen die neueren Marktbedingungen wie Leihbibliothek und Zeitschriftenliteratur behauptet und die massenhafte Produktion in seinen Augen ungenügender Romane als Herausforderung zur Aufwertung der Form und Distinktion annimmt,231 andererseits aber durchaus von diesen Neuerungen profitiert, an ihnen teilhat und diese ihm mehr als nur Distinktionsgewinne bescheren.

2.3.2 „Ein Unrecht gegen die Kunst“. Freytags Ästhetik des ‚ganzen Buchs‘ und der Beginn einer neuen ‚Volksliteratur‘ Lediglich zwei Werke hat Freytag während seiner Schriftstellerlaufbahn vorab unselbständig veröffentlicht: Sein 1844 entstandenes Dramenfragment Der Gelehrte erschien 1848 in dem von Arnold Ruge (1802–1880) herausgegebenen Taschenbuch Poetische Bilder aus der Zeit und endete medientypisch mit der (nicht eingehaltenen) Ankündigung: „Fortsetzung im nächsten Jahrgange“.232 Darüber hinaus wurde Graf Waldemar 1849 in den Grenzboten abgedruckt, dies allerdings streng aktweise (nur Akt 4 und 5 erschienen zusammen).233 Der unselbständigen Publikation ‚ganzer Werke‘ und vor allem der zeitlich gestaffelten Publikationsweise – zumal in Zeitschriften – stand

229 S[chmidt]: Der neueste englische Roman und das Princip des Realismus, S. 474. 230 Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur, S. 295. 231 „Der Roman ist auch von allen Gattungen der Poesie die, welche sich als Kunstform am spätesten entwickelt, später noch als das Drama; die Würdigung darf uns nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß schwaches und schlechtes Schaffen sich darin in übergroßer Reichlichkeit kund gibt. Welcher Gattung der Poesie hat, wenn sie gerade nach dem Zuge der Zeit obenauf war, die Masse des Schlechten gefehlt? […] Der Umstand, daß der schnell bereitete Bücherdruck und die hochgestiegene Leselust das unberufene Schreiben so sehr begünstigen, ist ein Übelstand, aber ein unvermeidlicher. […] Zur Zeit Shakespeares galt das dramatische Schaffen durchaus nicht für vornehm, kaum für eine ernsthafte Dichterarbeit, ebenso wie in der Gegenwart das Romanschreiben.“ (GW I, 207  f.) 232 Gustav Freitag: Der Gelehrte. Trauerspiel in 1 Akt. In: Arnold Ruge (Hg.): Poetische Bilder aus der Zeit. Ein Taschenbuch. Leipzig 1848 (Bd. II [nach Bd. I von 1847]), S. 3–66, hier S. 66. 233 Gustav Freytag: Graf Waldemar. Schauspiel in fünf Akten. In: Die Grenzboten 8 (1849), I. Semester, I. Band, S. 241–252, 281–295, 321–332, 361–384.

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Freytag bald äußerst ablehnend gegenüber.234 Abgesehen vom eigenen Stück Graf Waldemar wurden in den Grenzboten nach Übernahme des Blatts durch Freytag und Schmidt bald keine literarischen Texte (im engeren Sinne) mehr abgedruckt.235 Gegenüber der Fortsetzungs- und Zeitschriftenliteratur hegte Freytag verschiedene Vorbehalte. Einer betrifft die Verletzung der ‚inneren Einheit‘ und ‚Geschlossenheit‘ durch das Aufbrechen des äußeren Zusammenhangs. Nicht nur werden durch die periodische Publikation ‚einheitliche Komposition‘ und ‚Geschlossenheit‘ als zentrale Kriterien des Grenzboten-Realismus infrage gestellt; unterminiert wird auch das von Freytag verfochtene klassische Autonomiepostulat der Literatur – erst recht, wenn die Komposition eines Werks sich nicht mehr an dem geschlossenen Werk, sondern an den Notwendigkeiten des Publikationsmediums orientiert. Ein weiterer Vorbehalt ergibt sich aus der materiellen Beschaffenheit von Zeitschriftenbänden und den Ko(n) texten, innerhalb derer literarische ‚Werke‘ dort stehen. Freytag steht einer Vermengung von Massenmedien und ‚Literatur‘ auch deshalb negativ gegenüber, weil in den Massenmedien der literarische Charakter des auf Ewigkeit zielenden Werks im Kollektiv der tagesaktuellen Nachrichten nivelliert werde. Überdies bedinge die Konzeption für und der Abdruck in flüchtigen Medien auch eine flüchtige Rezeption. Der periodisch-gestückelten Publikation setzt Freytag eine Ästhetik des ‚ganzen Buchs‘ entgegen. Auch in diesem Kontext ist seine Anbindung der Erzählliteratur ans Drama zu sehen. Freytags Positionierung in diesem Bereich hat insofern Anteil an der für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnenden „Medienkonkurrenz von Buch und [periodischer] Presse“.236 Erstmals deutlich formuliert Freytag seine Ablehnung gegenüber der Zeitschriftenliteratur im Zusammenhang mit jenem Text, der am Anfang der Geschichte des deutschsprachigen Feuilletonromans steht: Friedrich Wilhelm Hackländers Namen­ lose Geschichten, der 1850/1851 in Fortsetzungen im Feuilleton der Kölnischen Zeitung publiziert wurde. Sofort stellt Freytag in seiner Rezension zur Buchausgabe eine Relation zwischen dem ursprünglichen Veröffentlichungstext und den seiner Ansicht nach erheblichen formalen Defiziten des ‚mosaikartigen‘ – also vermeintlich bruchstückhaft aus Zeitungseinzelteilen zusammengesetzten – Werks her: Der Hauptübelstand des Buches endlich ist die schlotterige Form des Ganzen, der vollständige Mangel an Composition. Es ist keine Entschuldigung, daß er der gefährlichen Sitte gefolgt ist, den Roman für das Feuilleton einer großen Zeitung zu schreiben, und daß er versucht hat, schon durch den Titel den Mangel an innerer Einheit anzudeuten. Wenn er eine Geschichte schreibt, in welcher durch drei Bände dieselben Personen beschrieben werden […], so muß er diese

234 Dies betrifft auch Nachlasspublikationen, die Freytag in der Regel als ‚Schnitzelliteratur‘ ablehnte (vgl. dazu die Anmerkungen in Kap. I.1). 235 Vgl. Jan Papiór: Zum politischen Programm der „Grenzboten“ unter G. Freytags und J. Schmidts Redaktion (1847–1870). Mit bibliographischem Anhang der „Polnischen Beiträge“ für die Jahre 1845– 1889. In: Studia Germanica Posnaniensia 20 (1993), S. 31–46, hier S. 41. 236 Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 277.

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Geschichte nach künstlerischen Gesetzen ordnen, oder sie fällt aus einander, und stößt auch den flüchtigen Leser ab, ohne daß er vielleicht zu sagen weiß, weshalb. Im Anfange ausführlich angelegte Verwickelungen werden in der Mitte des Buchs mit wenig Worten gelöst, dann treten neue Personen und neue Spannungen auf, und machen unbegründete Ansprüche an das lebhafte Interesse des Lesenden. Daneben kommen Episoden, die ganz ungehörig sind, […]. Durch all dieses mosaikartige Zusammensetzen verschiedener nicht zusammengehöriger Einzelheiten geht ein nicht wohlthuender Parallelismus einzelner Verhältnisse. […] Die Grenzboten […] richten deshalb an den Verfasser die Bitte, etwas Ordentliches für seine technische Bildung zu thun.237

Wie wichtig Freytag die Frage der zusammenhängenden Publikation war, zeigt sich auch beim Erscheinen seines Romans Die Verlorene Handschrift: Als der dritte Band des Textes aufgrund einer Krankheit des Autors erst einige Wochen nach den beiden ersten Bänden veröffentlicht werden kann, ist Freytag untröstlich und begründet seinen Unmut darüber noch über 20 Jahre später in seinen Erinnerungen: Denn der Roman, welcher den Anspruch erhebt ein Dichterwerk zu sein, soll nur als ein Ganzes das Gemüth des Lesers beschäftigen. Vollends das Zerreißen in kleine Theile, wie es bei einem Abdruck in periodischen Blättern Brauch geworden ist, halte ich für ein Unrecht gegen die Kunst. Die kleinen Wirkungen werden die Hauptsache, und das Größte im Werke, die dichterische Bildung der gesamten Handlung, geht dem Leser fast verloren. Auch neuere Romandichter der Engländer, vor allen Boz [i.  e. Charles Dickens; P. B.], sind durch die bruchstückweise erfolgten Veröffentlichungen ihrer Geschichten zum Schaden ihrer Kunst beeinflußt worden. Was würde man von dem Maler oder dem Musiker denken, welche eine große Komposition in einzelnen Stücken nach und nach dem Publikum zuwenden wollten? (GW I, 202)

Die in der Alexis- sowie der Hackländer-Rezension zum Teil noch implizite Argumentation gegen eine ‚fragmentierte‘ Publikation wird hier in besonderer Weise explizit. Den Zeitgenossen galt Freytag indes schon vorher als Repräsentant einer Literatur, die sich gegen die neuen Marktmechanismen behauptet. Als der Verleger Hermann Haessel mit seinem Autor Conrad Ferdinand Meyer über die Frage der ‚Vorabpublikation‘ von dessen Texten in Konflikt gerät, führt er Freytag als Beispiel für einen erfolgreichen Schriftsteller an, der seine literarischen Texte bewusst nicht vorab in Zeitschriften veröffentliche.238 Auch Meyer, so Haessels Argumentation, liefere nun einmal keine „Volkskost“, sondern schreibe vielmehr für ein „sehr gewähltes Publikum“,239 nicht für

237 [Gustav Freytag]: Deutsche Romane. I. [Rez. zu:] Namenlose Geschichten von F. W. Hackländer. In: Die Grenzboten 10 (1851), II. Semester, IV. Band, S. 264–266, hier S. 265  f. 238 Conrad Ferdinand Meyer: Conrad Ferdinand Meyers Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 4.2: Verlagskorrespondenz. Conrad Ferdinand Meyer, Betsy Meyer – Hermann Haessel mit zugehörigen Briefwechseln und Verlagsdokumenten. Briefe Juli 1874 bis 1879, hg. von Stephan Landshuter u.  a., Göttingen 2014, S. 193. 239 Conrad Ferdinand Meyer: Conrad Ferdinand Meyers Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 4.1: Verlagskorrespondenz. Conrad Ferdinand Meyer, Betsy Meyer – Hermann Haessel mit zugehörigen Briefwechseln und Verlagsdokumenten. Briefe 1855 bis April 1874, hg. von Sandra Fenten u.  a. Göttingen 2014, S. 213.

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„das leichtfertige Lesepublikum einer Revue“.240 Auch wenn Meyer letztlich gegen den Rat seines Verlegers handelte, teilten er und seine als Beraterin fungierende Schwester Betsy Freytags und Haessels Skepsis gegenüber der Publikation in ‚Bruchstücken‘, wie sie in Zeitschriften üblich sei.241 Dass die Prosa des Realismus nicht ohne die neuen medialen Publikations- und Distributionsmöglichkeiten zu denken ist, ist in der Forschung unumstritten und zum Teil bereits früh anschaulich beschrieben worden.242 Der sich durch die entstehende Massenpresse nach 1848 neu organisierende Literatur- und Zeitschriftenmarkt wirkte demnach in zweifacher Hinsicht auf die Autoren und ihre literarischen Texte: als „Bedingung der Möglichkeit“ und als „Einschränkung der Möglichkeit“.243 Entsprechend sind die realistischen Texte laut Gerhart von Graevenitz doppelt codiert: Einerseits sind sie „medienkonform“, anderseits stehen sie gewissermaßen in „ästhetische[r] Opposition“ zu den Medien, innerhalb derer sie veröffentlicht werden.244 Diese Unterscheidung verweist auf die zentrale Differenz, welche die Forschungen zu den Medien des Realismus in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchzieht und allgemein zu den großen Kontroversen der Realismus-Forschung jüngerer Zeit

240 C. F. Meyers Briefwechsel. Bd. 4.2, S. 196. 241 C. F. Meyers Briefwechsel. Bd. 4.1, S. 180, 208. – Vgl. hierzu auch: Philipp Böttcher: [Rez.] Conrad Ferdinand Meyer: Conrad Ferdinand Meyers Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 4.1: Verlagskorrespondenz. Conrad Ferdinand Meyer, Betsy Meyer – Hermann Haessel mit zugehörigen Briefwechseln und Verlagsdokumenten. Briefe 1855 bis April 1874, hg. von Sandra Fenten u.  a. Göttingen 2014; Bd. 4.2: Verlagskorrespondenz. Conrad Ferdinand Meyer, Betsy Meyer – Hermann Haessel mit zugehörigen Briefwechseln und Verlagsdokumenten. Briefe Juli 1874 bis 1879, hg. von Stephan Landshuter u.  a., Göttingen 2014. In: Zeitschrift für Germanistik NF 25 (2015), Heft 3, S. 663–667, hier S. 666  f. 242 Vgl. etwa Eva D. Becker: „Zeitungen sind doch das beste“. Bürgerliche Realisten und der Vorabruck ihrer Werke in der periodischen Presse. In: Helmut Kreuzer (Hg.): Gestaltungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaftliche Studien. Stuttgart 1969, S. 382–408. – Vgl. in diesem Kontext erhellend auch: Hans-Joachim Konieczny: Theodor Fontanes Erzählwerke in Presseorganen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Eine Untersuchung zur Funktion des Vorabdruckes ausgewählter Erzählwerke Fontanes in den Zeitschriften „Nord und Süd“, „Westermanns ill. dt. Monatshefte“, „Deutsche Romanbibliothek zu Über Land und Meer“, „Die Gartenlaube“ und „Deutsche Rundschau“. Paderborn 1978; Manfred Windfuhr: Fontanes Erzählkunst unter den Marktbedingungen ihrer Zeit. In: Jörg Thunecke u. Eda Sagarra (Hg.): Formen realistischer Erzählkunst. Festschrift für Charlotte Jolles. Nottingham 1979, S. 335–346. 243 Rudolf Helmstetter: „Kunst nur für Künstler“ und Literatur fürs Familienblatt. Nietzsche und die poetischen Realisten (Storm, Raabe, Fontane). In: Heinrich Detering u. Gerd Eversberg (Hg.): Kunstautonomie und literarischer Markt. Konstellationen des Poetischen Realismus. Berlin 2003, S. 47–63, hier S. 55. 244 Gerhart von Graevenitz: Memoria und Realismus. Erzählende Literatur in der deutschen „Bildungspresse“ des 19. Jahrhunderts. In: Anselm Haverkamp u. Renate Lachmann (Hg.): Memoria. Vergessen und Erinnern. München 1993, S. 283–304, hier S. 302 (Anm. 20).

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gehört:245 Wurde lange auf die mit den neuen Publikationsmedien einhergehenden Einschränkungen und Zwänge für die Autoren fokussiert, stand also zumeist der Gegensatz zwischen Poeten-Anspruch und Schriftstellerexistenz im Mittelpunkt,246 so denken die einem mediengeschichtlich-systemtheoretischen Ansatz verschriebenen Arbeiten realistische Texte vor allem von ihrem medialen Publikationskontext her.247 In Opposition zu autonomieästhetischen Gedankenfiguren wird Literatur nahezu ausschließlich funktional bestimmt und in autopoietischer Logik als Produkt der literarischen Unterhaltungsindustrie beschrieben: Das Medium schafft sich gewissermaßen seine Texte, die von Literatur auf Unterhaltung umprogrammiert wurden.248 Im Hinblick auf diese wichtige Frage der Realismus-Forschung ist Freytags Positionierung insofern für die Epochengeschichte insgesamt relevant und aufschlussreich, als sie zeigt, dass die Unterscheidung zwischen Kunst und Unterhaltung für die Autoren des 19. Jahrhunderts nicht trotz, sondern wegen der neuen Publikationsmedien weiterhin Bestand hat.249 Freytag steht stellvertretend für jene Autoren, die energisch an jener Differenz zwischen überzeitlichem Kunstwerk und unterhaltendem Tagwerk festhalten, die die neuen Publikationsmedien aufzuheben drohen.250 Für diese Versuche, autonomieästhetische Denkfiguren unter den Bedingungen eines modernen Literaturmarktes zu bewahren, ist die Einheit von kompositorischer und materieller Geschlossenheit entscheidend. Entsprechend wird Freytag am Ende seines Lebens auch als Repräsentant dieser Ästhetik des ‚ganzen Buches‘ gewürdigt:

245 Vgl. dazu auch: Daniela Gretz: Einleitung: „Medien des Realismus“ – „Medien im Realismus“ – „medialer Realismus“. In: dies. (Hg.): Medialer Realismus. Freiburg/Berlin/Wien 2011, S. 7–15, hier S. 7  f. 246 So etwa: Hans-Jürgen Schrader: Autorfedern unter Preß-Autorität. Mitformende Marktfaktoren der realistischen Erzählkunst – an Beispielen Storms, Raabes und Kellers. In: Jahrbuch der Raabe-­ Gesellschaft 2001, S. 1–40; ders.: Im Schraubstock moderner Marktmechanismen. Vom Druck Kellers und Meyers in Rodenbergs „Deutscher Rundschau“. Zürich 1994; Helmstetter: „Kunst nur für Künstler“; ders.: Die Geburt des Realismus aus dem Dunst des Familienblattes. Fontane und die öffentlichkeitsgeschichtlichen Rahmenbedingungen des Poetischen Realismus. München 1998. 247 Vgl. vor allem: Günter: Im Vorhof der Kunst; dies.: Die Medien des Realismus. In: Christian Begemann (Hg.): Realismus. Epochen – Autoren – Werke. Darmstadt 2007, S. 45–61; Günter Butzer: Von der Popularisierung zum Pop. Literarische Massenkommunikation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Gereon Blaseio, Hedwig Pompe u. Jens Ruchatz (Hg.): Popularisierung und Popularität. Köln 2005, S. 115–135. 248 Vgl. dazu kritisch: Stefan Scherer: Dichterinszenierung in der Massenpresse. Autorpraktiken in populären Zeitschriften des Realismus – Storm (C. F. Meyer). In: Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser (Hg.): Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte. Heidelberg 2011, S. 229–249, hier S. 233  f. 249 Vgl. dagegen: Günter: Die Medien des Realismus, S. 60. 250 Vgl. im Kontext dieses Kapitels die instruktiven Überlegungen Günters zur Medientheorie des Realismus und zur Position Freytags: Günter: Im Vorhof der Kunst, S. 156–177.

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Die echt künstlerische Auffassung, die Freytag von seiner Mission [als Schriftsteller, P. B.] hatte, leuchtet schon aus der Thatsache hervor, daß er niemals eine seiner Dichtungen einer Zeitung zur Veröffentlichung überließ. Er wollte sich lieber mit einem erheblich geringen Ertrage seiner schriftstellerischen Arbeit begnügen, als sein Werk theelöffelweise, „in Fortsetzungen“ dem Leser vorzusetzen.251

Zur Abgrenzung vom literarischen Massenmarkt und Profilierung einer ‚wahren‘ Romankunst gehört bei Freytag auch die Abgrenzung von den Rezeptions- und Distributionsformen vermeintlich minderwertiger Erzählliteratur. In dieser Hinsicht interessant ist sein 1852 in den Grenzboten erschienener Aufsatz über „Die Anlage von Hausbibliotheken“.252 Der didaktisch angelegte Artikel beginnt geradezu als Publikumsbeschimpfung, wenn den wohlhabenden Bürgern, „die ihren servirenden Bedienten Glacéhandschuhe über die musculösen Hände ziehen“, eingangs vorgeworfen wird, dass sie „die beschmutzten Bände einer vielgelesenen Leihbibliothek in die eigene weiche Hand […] nehmen“.253 Im Weiteren führt Freytag aus, auf welche Weise die Leihbibliotheken den Literatur- und Zeitschriftenmarkt bestimmen, d.  h. mittelbar auch Inhalt und Form der dort umgesetzten ‚Waren‘. Weil die Leihbibliotheken in erster Linie bedienten, „was dem Geschmack der großen Masse am meisten entspricht“, würde sich „das Mittelmäßige“ durchsetzen, ja, so viel „Schlechtes, Wüstes und Abgeschmacktes producirt werden […], daß einem Gebildeten davor grauen kann.“254 Zudem hätten gerade kleinere, anspruchsvollere Gattungen kaum eine Möglichkeit, sich auf dem Buchmarkt durchzusetzen. Aus diesem Grund fordert er gerade das Bürgertum dazu auf, die deutsche Na­tio­ nalliteratur in ihrer Breite und Qualität zu fördern, indem sie Bücher nicht leihe, sondern kaufe. Den durch die Leihbibliotheken bedingten Fehlentwicklungen des literarischen Massenmarktes müsse das Bürgertum durch den Aufbau von eigenen Hausbibliotheken begegnen. Freytag predigt eine ‚Geschmacksrevolution‘, die von der besitz- und bildungsbürgerlichen Leserschicht ausgehen soll. Selbst da, wo es um die Materialität des Mediums Buch geht, ist seine Argumentation sozial codiert. So wie er despektierlich – gleichsam nach unten – auf die abgegriffene Leihbibliothekslektüre der Massen blickt, so polemisiert er auch gegen eine ungebildete Aristokratie, die „zur Weihnachtszeit255 […] stark vergoldete Bücher“ für den Haushalt der Damen kauft, wo diese dann „ein Jahr lang auf dem Toilettentisch […] liegen“, während die Leihinstitute weiterhin die geringen literarischen Bedürfnisse befriedigen.256 Von einer bürgerlichen Bibliothek und dem Einband eines Buches verlangt er nichts anderes als von 251 Max Schoenau: Gustav Freytag. In: Mährisches Tagblatt 16 (1895), 3. Mai 1895 (Nr. 102). 252 Gustav Freytag: Die Anlage von Hausbibliotheken [1852]. In: VA I, 469–479. 253 Freytag: Die Anlage von Hausbibliotheken, 470. 254 Freytag: Die Anlage von Hausbibliotheken, 472. 255 Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die einzelnen Bände von Die Ahnen jeweils im Dezember erschienen – also gerade rechtzeitig für das Weihnachtsgeschäft. 256 Freytag: Die Anlage von Hausbibliotheken, S. 470  f.

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dessen Gestalt und innerer Komposition: ‚nicht von Zierrat überladen‘, ‚gleichförmig gebunden‘, ‚zweckmäßig‘, ‚anständig‘, ‚schlicht‘, ‚gediegen‘ und ‚solide‘ sollen sie sein.257 Selbst die äußere Form des Buches und der Bibliothek werden hier mit jenen Attributen einer sozialen Logik des Mittleren (Bürgertums) überschrieben. Auf die Zusammenhänge zwischen sozialer Entwicklung und Gattungsentwicklung, zwischen gesellschaftlicher und poetischer Hierarchie, zwischen Ansehen der Konsumenten und Ansehen des Produkts, wie sie an allen bisher beschriebenen Entwicklungen ablesbar sind, hat Pierre Bourdieu treffend hingewiesen: Wie alle gesellschaftlichen Bewertungssysteme wurzeln auch die Rangfolgen zwischen den Gattungen in den sozialen Strukturen, die sie als legitim absegnen und bestätigen. Auf der einen Seite – und darin kommt eine literatursoziologische Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck – wird eine Gattung in starkem Maße durch die soziale Beschaffenheit ihres Publikums bestimmt: Die Stellung einer Gattung im Produktionsfeld deckt sich in hohem Maße mit der Stellung ihrer Konsumentenschicht im sozialen Raum.258

In Soll und Haben wird Freytag die im Grenzboten-Aufsatz thematisierten sozialen Lektüregewohnheiten wieder aufgreifen – etwa am Beispiel des Adligen Fritz von Fink, der einen repräsentativen Bücherschrank mit Prachtausgaben besitzt, aber nicht liest (SuH, 96). Und seine Forderung, dass ein Bürger sein Bildungsstreben durch eine stetig wachsende Hausbibliothek repräsentieren müsse, wird sich in Soll und Haben dadurch wiederfinden, dass der bürgerliche Aufstieg des kleinbürgerlichen Karl mit einem wachsenden Bücherregal einhergeht (s. Kap. 4). Der despektierliche Blick auf die Leihbibliotheken bei Freytag erfolgt demnach aus einer Perspektive des mittleren Bürgertums, galten diese doch zunächst als Einrichtungen vorwiegend für das kleinbürgerliche Lesepublikum.259 Von da aus begründet sich die Argumentationsfigur, konkurrierende oder wenig geschätzte Texte mit dem Ausdruck ‚Leihbibliotheksliteratur‘ massenorientiert sowie ästhetisch minderwertig und illegitim zu zeihen. Freytag selbst sieht sich im Fall von Soll und Haben diesem Vorwurf ausgesetzt, wenn Adalbert Stifter den Roman als „Leihbibliothekfutter“ verdammt.260 Bemerkenswerterweise finden sich auch in der Rezeption von Soll und Haben Entsprechungen zu Freytags Denkmustern. So werden die bürgerlichen Leser des Romans daran erinnert, dass es sich „nicht schickt, mit armen Studenten und Nähterinnen aus einer Quelle zu trinken“, Freytags Text also ebenfalls aus der Leihbibliothek zu beziehen.261

257 Freytag: Die Anlage von Hausbibliotheken, S. 476, 473  f., 478. 258 Pierre Bourdieu: Science-Fiction. In: ders.: Satz und Gegensatz. Über die Verantwortung des Intellektuellen. Berlin 1989, S. 59–66, hier S. 60. 259 Vgl. Jost Schneider: Sozialgeschichte des Lesens. Zur historischen Entwicklung und sozialen Differenzierung der literarischen Kommunikation in Deutschland. Berlin/New York 2004, S. 180  f. 260 Adalbert Stifter an Gustav Heckenast, 7. Februar 1856. In: ders.: Sämtliche Werke. Bd. 18: Briefwechsel. Bd. 2, hg. von Gustav Wilhelm 2., neubearb. Aufl. Reichenberg 1941, S. 299–304, hier S. 303. 261 N. N.: G. Freytag’s Roman „Soll und Haben“. (Aus einem Briefe).

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Die Polemik gegen die Leihbibliothek bei Freytag ist darüber hinaus einerseits im Kontext seines schriftstellerischen Selbstverständnisses interessant, andererseits vor dem Hintergrund der für den Nachmärz-Realismus charakteristischen Denkfigur einer neuen ‚Volksliteratur‘. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass Freytag tatsächlich wie kaum ein anderer Schriftsteller des Jahrhunderts vom Leihbibliothekswesen profitiert hat262 und diese Institute auch zu den Hauptabnehmern von Zeitschriften (wie etwa den Grenzboten) gehörten.263 Wirtschaftlicher Erfolg und schriftstellerische Anerkennung schlossen sich im 19. Jahrhundert allerdings nicht notwendigerweise aus. Der erfolgreiche wie geachtete Verfasser historischer Romane Georg Ebers (1837–1898) konnte zum Beispiel stolz verkünden: „Ein gewöhnlicher Roman pflegt in Deutschland in Auflagen zu 1.500–1.600 Exemplaren gedruckt zu werden. Freytag und ich kommen damit, Gott Lob, nicht aus.“264 Freytag gehörte zu den bestverdienenden Autoren seiner Zeit.265

262 Die Auswertung der Bestände und Leihscheine des ‚Fritz Borstell’schen Lesezirkels‘ aus dem Jahre 1898 belegt dies eindrucksvoll. Die 1864 gegründete Berliner Leihbibliothek „Borstell und Reimarus“ wuchs binnen kurzer Zeit zur größten und bedeutendsten deutschen Leihanstalt heran. Ende des Jahrhunderts umfasste sie ca. 600.000 Bände, 190 regelmäßig bezogene Zeitschriften und beschäftigte 74 Angestellte (vgl. dazu und im Folgenden: Georg Jäger: Die deutsche Leihbibliothek im 19. Jahrhundert. Verbreitung – Organisation – Verfall. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 2 (1977), S. 96–133, hier S. 112  f.). Zwischen 1864 und 1898 wurden allein 2.316 Exemplare von Soll und Haben angeschafft und 1.584 Exemplare von Die verlorene Handschrift. In der Auswertung des genannten Zeitraums belegt Freytag demnach in der Kategorie ‚Belletristik‘ sowohl mit weitem Abstand den ersten als auch den dritten Platz (Platz 2: Felix Dahn: Kampf um Rom, 1.688 Exemplare). Im Bereich der Sachliteratur gestalten sich die Befunde ähnlich: Auch hier ist Freytag mit den Bildern aus der deutschen Vergangenheit Spitzenreiter. Vom Erscheinungsjahr (1859–1866/1867) des mehrbändigen Werkes bis 1898 kamen allein 923 Einzelstücke der ‚Bilder‘ in die Zirkulation. Bei den Volksbibliotheken mit überwiegend kleinbürgerlicher Kundschaft sah es nicht wesentlich anders aus als bei den vornehmeren Leihbibliotheken (vgl. Alberto Martino: Publikumsschichten und Leihbibliotheken. In: Horst Albert Glaser (Hg.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 7: Vom Nachmärz zur Gründerzeit. Realismus 1848–1880. Reinbek b. Hamburg 1982, S. 59–69, hier S. 62  f.). Die öffentliche Bücherhalle an den Kohlhöfen in Hamburg etwa wurde 1899 gegründet und avancierte sofort zur größten Hamburger Volksbibliothek. Binnen nicht einmal ganz fünf Jahren, also bis 1904, wurden die 36 Exemplare der zweibändigen Soll und Haben-Ausgabe 745-mal, der erste Band des mehrbändigen Romanzyklus Die Ahnen, Ingo und Ingraban, 540-mal (bei 12 Exemplaren) und die Nachfolgebände etwa jeweils halb so oft ausgeliehen. Es muss folglich eine beständige Nachfrage nach den Werken Freytags geherrscht haben (vgl. Georg Jäger u. Valeska Rudek: Die deutschen Leihbibliotheken zwischen 1860 und 1914/18. Analyse der Funktionskrise und Statistik der Bestände. In: Monika Dimpfl u. Georg Jäger (Hg.) im Auftrag der Münchener Forschergruppe „Sozialgeschichte der deutschen Literatur 1770–1900“: Zur Sozialgeschichte der deutschen Literatur im 19. Jahrhundert. Einzelstudien. Teil II. Tübingen 1990, S. 198–295, hier S. 232  f.). – Vgl. auch die Zahlen bei Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 277. 263 Freytag selbst weist daraufhin: Freytag: Die Anlage von Hausbibliotheken, S. 472. Vgl. auch: Sibylle Obenaus: Literarische und politische Zeitschriften 1848–1880. Stuttgart 1987, S. 38. 264 Zit. n. Wittmann: Buchmarkt und Lektüre, S. 147. 265 Vgl. Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, 209  f.; Wittmann: Buchmarkt und Lektüre, S. 147, 169, 239.

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Wie sich u.  a. in seinem Grenzboten-Aufsatz „Fürst und Künstler“ (1866) zeigt, focht ökonomischer Erfolg auf dem literarischen Massenmarkt Freytags schriftstellerische Selbstinszenierung nicht an.266 Darin entwirft er das Bild vom modernen bürgerlichen Dichter, der sich als ‚Schützling des lesenden Volkes‘, als „Client der Vornehmen“ eine „unabhängige Stellung“ bewahre.267 Der Freund des Reformherzogs Ernst II. baut hier den Adel als Popanz auf, als Gegner der ökonomischen und geistigen Unabhängigkeit des Bürgertums, während die Schriftsteller sich 1866 doch in erster Linie zunehmend einem anonymen Massenpublikum gegenübersahen. Als Erfolgsschriftsteller, der Freytag inzwischen ist, verklärt er die Marktmechanismen, gegen die er früher polemisiert hat. Die Verklärung funktioniert dabei analog zum literarischen Verfahren: Durch Verlagerung gegenwärtiger Konflikte der Schriftstellerexistenz in ein geradezu höfisch anmutendes Zeitalter werden die modernen Bedingungsverhältnisse unter Ausblendung des Dissonanten und ‚Hässlichen‘ – also ganz einer realistischen Ästhetik verpflichtet – idealisiert. Man kann dies als Akt der Selbstnobilitierung, als verklärende Rechtfertigung des eigenen Markterfolgs sowie als Erhöhung der eigenen Leserschaft verstehen. Im selben Jahr rezensiert Freytag die fünfte Auflage von Julian Schmidts Literaturgeschichte (genauer: den Band zum ‚classischen Zeitalter‘).268 Nachträglich macht er darauf aufmerksam, dass die Kritik Schmidts und der Grenzboten sich zu stark gegen die Romantik als ohnedies temporäre Erscheinung gerichtet habe. Zu wenig habe Schmidt sich stattdessen mit jener populären „Classe von Schriftstellern“ auseinandergesetzt, die „fast fünfzig Jahre […] die Leihbibliotheken beherrscht“ habe und „das Lesebedürfniß des großen Publikums befriedigte: Wächter, Cramer, Vulpius, Lafontaine, C. Pichler, van der Velde, Tromlitz“.269 Als Vertreter der „volksthümliche[n] Literatur“ hätten sie den „romantischen Spuk“ in die „Seelen“ von „Hundertausenden“ getragen, hätten „den Gegensatz zwischen volksthümlicher und gelehrter Dichtung“ aufrechterhalten und zeichneten für jede politische Fehlentwicklung verantwortlich.270 Nicht die gelehrten Klassiker und Romantiker, sondern die Massenschriftsteller Lafontaine, Iffland und Vulpius hätten auf das Volk gewirkt und damit „die politische Katastrophe von 1806“ ebenso herbeigeführt wie „die Gemühtswärme, welche 1813 zu 266 Freytag gehörte zu jenen Dichtern, die feldbeherrschende Stellung, ökonomischen Erfolg und anti-ökonomische Inszenierung miteinander verbanden, ja denen ihr daraus resultierendes symbolisches Kapital wiederum wirtschaftlich nutzte, vgl. Wittmann: Buchmarkt und Lektüre, S. 159. 267 [Gustav Freytag]: Fürst und Künstler. In: Die Grenzboten 25 (1866), I. Semester, I. Band, S. 34–36, hier S. 36. 268 [Gustav Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt. In: Die Grenzboten 25 (1866), I. Semester, I. Band, S. 241–247. – Vgl. zu diesem Text und der folgenden Argumentation auch: Helmut Schanze: Probleme der Trivialisierung der dramatischen Produktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Helga de la Motte-Haber (Hg.): Das Triviale in Literatur, Musik und Bildender Kunst. Frankfurt a.  M. 1972, S.–78–88, hier bes. S. 79–81. 269 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt, S. 245. 270 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt, S. 245.

2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik 

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hellen Flammen aufschlug“, oder die Barrikadenkämpfe 1830 und 1848.271 Freytags Ausführungen münden in die Behauptung, dass die Lücke zwischen einer „Literatur der Hochgebildeten“ und der „Literatur der anspruchslosen Menge“ erst in der Folge von 1848,272 also im Zuge der Durchsetzung der eigenen Literaturprogrammatik geschlossen worden sei. Überhaupt sei der Geschmack gegenwärtig ein ganz anderer als in der inzwischen fremd erscheinenden „Zeit vor 1848“.273 Inzwischen finde in Romanen und Novellen […] jedermann solche Helden erbärmlich, welche von Dichtern mit den höchsten Ansprüchen ausstaffirt werden und sich als Tröpfe oder Lumpe benehmen, sobald sie in dem Gedicht etwas zu thun genöthigt sind. […] Tieck, Eichendorff, Uhland sind todt, das Geschlecht der Jungdeutschen hat sich zurückgezogen oder wandelt in andern Richtungen, der übermäßige Einfluß der Franzosen und Engländer hat aufgehört – Dagegen hat sich allgemeine, zuweilen leidenschaftliche Theilnahme der großen Literaturperiode Goethes und Schillers zugewendet. Lessing, Schiller, Goethe sind seit dem Erwachen nationalen Selbstgefühls Helden der Nation geworden, […].274

Diese jüngeren Entwicklungen der Literatur und literarischen Kultur, so Freytag stellvertretend für Die Grenzboten, „erkennen wir, wenn wir mit berechtigtem Selbstgefühl unsern Fortschritt betrachten“.275 Die Veränderungen des literarischen Feldes, die Fontane später als von Soll und Haben ausgehende Geschmackswandlung beschreiben wird (s. Kap. 2.4), rechnet Freytag sich und Schmidt hier selbst an. Er tut dies gleichsam vom Standpunkt einer ‚neuen Klassik‘ aus.276 Mehrerlei ist hieran im Kontext der romanästhetischen Positionierung bemerkenswert: Zum einen sieht Freytag 1866 offenbar zum Teil eingelöst, worauf die Literaturprogrammatik der Grenzboten nach 1848 zielte und was auch den Rahmen für die Nobilitierung der Prosa und des Romans bildete: die Durchsetzung des eigenen Kunstprogramms und die Begründung einer neuen, an klassischen Mustern orientierten Poetik. Zum anderen sieht er den Gegensatz zwischen einer ästhetisch minderwertigen Massenliteratur und einer Literatur der Gebildeten aufgehoben. Letzteres ist nicht bloß im Kontext der Inszenierungsstrategien eines Dichters zu sehen, der selbst inzwischen zum Massenschriftsteller und zum ‚Dauerbrenner‘ der Leihbibliotheken geworden ist. Bei dem Abbau der Dichotomie zwischen ‚gelehrter‘ und ‚populärer‘ Literatur handelt es sich um ein zentrales Projekt der Realisten der Jahrhundertmitte.277 Bereits 1845 beklagt Robert Prutz das Dilemma: „[W]as gut ist 271 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt, S. 246. 272 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt, S. 246. 273 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt, S. 243. 274 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt, S. 243. 275 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt, S. 234  f. 276 Vgl. auch: Schanze: Probleme der Trivialisierung, S. 85. 277 Uwe Baur: Das Deutsche Volksschriftenwesen und die Ästhetik der oppositionellen Literatur des Vormärz. In: Franz A. Wienert u. Karl-Heinz Weimann (Hg.): Bibliothek und Buchbestand im Wandel

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in der deutschen Literatur, das ist langweilig und das Kurzweilige ist schlecht, was die Ästhetik billigt, das degoutirt das Publikum, und umgekehrt, was dem Publikum behagt, davor bekreuzt sich die Ästhetik.“278 Am Ende seines Aufsatzes „Über die Unterhaltungsliteratur der Deutschen“ fordert er die deutschen Dichter auf, „zu schaffen, was wir nicht haben: Volksromane“.279 Auch wenn Prutz Freytags Soll und Haben diesen Status später nur polemisch zugesteht,280 so ist Freytags allein in den ersten dreieinhalb Jahren (trotz eines ansonsten nicht weiter steigenden Buchabsatzes) etwa 22.000-mal verkaufter Text schnell zum ‚Volksroman‘ geworden,281 was ihm etwa Die Gartenlaube früh bescheinigt,282 und war von Freytag auch ganz in diesem Sinne gedacht. Ursprünglich war sogar geplant, Soll und Haben im Rahmen der Aktivitäten des ‚Literarisch-Politischen Vereins‘ (s. auch Kap. II.4.4) massenhaft und zu geringem Preis als ‚Volksbuch‘ zu verbreiten.283 Ein solches ‚Volksbuch‘, wie es der liberale Verein in einer geheimen Denkschrift anstrebte, sollte die „Ideale und praktischen Zwecke“ der liberalen Partei einer der Zeit. Bibliotheksgeschichtliche Studien. Wiesbaden 1984, S. 103–126, hier bes. S. 104–106; Silvia Serena Tschopp: Kunst und Volk. Robert Eduard Prutz’ und Gottfried Kellers Konzept einer zugleich ästhetischen und populären Literatur. In: Heinrich Detering u. Gerd Eversberg (Hg.): Kunstautonomie und literarischer Markt. Konstellationen des Poetischen Realismus. Berlin 2003, S. 13–30; Christof Hamann: Verklärung und Unterhaltung. Zur Literaturvermittlung in Familienjournalen. In: Stefan Neuhaus u. Oliver Ruf (Hg.): Perspektiven der Literaturvermittlung. Innsbruck 2011, S. 63–76. 278 Robert Prutz: Über die Unterhaltungsliteratur der Deutschen. In: Literarhistorisches Taschenbuch 3 (1845), S. 423–454, hier S. 444  f. 279 Prutz: Über die Unterhaltungsliteratur der Deutschen, S. 454 (Kursivierung im Original gesperrt). 280 Vgl. Robert Prutz: Gustav Freytag. Eine literarhistorische Skizze. In: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 8 (1858), 23. September 1858 (Nr. 39), S. 441–458, hier S. 455. 281 Vgl. B. R.: Blätter und Blüthen. In: Die Gartenlaube 1859, Nr. 11, S. 160. – Die Gartenlaube gibt 1859 eine genaue Übersicht über den Absatz, die Auflagen und Preise des Buches seit seinem Erscheinen Ende April 1855. – Zum Absatz und zu den Auflagen von Soll und Haben bis hinein ins 20. Jahrhundert vgl. außerdem: Büchler-Hausschild: Erzählte Arbeit, S. 28; [Gustav Willibald Freytag]: Gustav-FreytagChronik. Auflagenziffern der Werke. In: GFB 5 (März 1958), Heft 1 (Nr. 8. der Reihe), S. 29–32; T. E. Carter: Freytag’s „Soll und Haben“. A Liberal National Manifesto as a Best-Seller. In: German Life and Letters 21 (1967/68), S. 320–329; Michael Kienzle: Der deutsche Erfolgsroman. Zur Kritik seiner poetischen Ökonomie bei Gustav Freytag und Eugenie Marlitt. Stuttgart 1975, S. 46–48. 282 „Seit Jahrzehnten hat in Deutschland kein belletristisches Werk einen solchen Erfolg gehabt, als Freytag’s ‚Soll und Haben‘“, befindet das Familienblatt. Darin sieht Die Gartenlaube den Beweis, dass der Roman „mit seiner Sprache den Geschmack und mit den in ihm verkörperten Gedanken und Bestrebungen die Gedanken und Bestrebungen eines sehr großen Theils unserer Nation, und zwar nicht blos der Vornehmen und Reichen, getroffen hat“ (B. R.: Blätter und Blüthen, S. 160). 283 Vgl. dazu genauer: Köhnke: Ein antisemitischer Autor wider Willen, S.  134–138; Karl-Ludwig Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter. Eine geistesgeschichtliche Untersuchung zur Entwicklung der politischen Strukturen des Reaktionsjahrzehnts 1850–1860. Phil. Diss. Erlangen 1970, S.  198, 218; Renate Herrmann: Gustav Freytag. Bürgerliches Selbstverständnis und preußisch-deutsches Nationalbewusstsein. Ein Beitrag zur Geschichte des national-liberalen Bürgertums der Reichsgründungszeit. Würzburg 1974, S. 192.

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„großen Zahl naiver Leser durch Unterhaltung- und belehrende Lectüre verständlich und lieb […] machen“.284 Die Verbindung von Belehrung und Unterhaltung (im klassischen Sinne des prodesse et delectare) ist also hier bereits angelegt. Die Rede vom ‚Volksbuch‘ reicht jedoch noch tiefer. Nicht ohne Bedeutung ordnet Freytag Soll und Haben in die (Literatur-)Geschichte der deutschen Volksbücher ein.285 In der Bezeichnung treffen sich verschiedene Wirkungsabsichten des Autors: zum einen das Ziel der großen Verbreitung, zum anderen der Anspruch, Nationalliteratur zu werden, wie sie schon Joseph Görres in seiner Bestimmung der „teutschen Volksbücher“ anvisierte.286 Berücksichtigt man überdies die von Freytag im Rahmen des liberalen Vereins um Ernst II. abgefasste Denkschrift über deutsche Volksliteratur, wird zudem die eindeutig didaktische Wirkungsabsicht, der volkspädagogische Anspruch des Autors erkennbar – und zwar im doppelten Bemühen: einerseits zur „Ermutigung des deutschen Bürgertums“ und zur „Belebung des Nationalgefühls“, also in politischer Hinsicht; andererseits zur „allmälige[n], aber dauerhafte[n] Einwirkung auf das Gemüthsleben und das Urtheil der Leser“, d.  h. in literaturprogrammatischer oder auch, zusammengedacht, in literaturpolitischer Hinsicht.287 Die Bezeichnung ‚Volksbuch‘ und die damit aufgerufenen literarischen Konzepte von Volksdichtung und Volkspoesie verweisen auf die verschiedenen Bedeutungsdimensionen des Romans selbst,288 der an die pädagogische Intention aufklärerischer Volksliteratur ebenso anknüpft wie er romantische Volkspoesie-Konzepte überschreitet und die programmatisch zum Ausgangspunkt genommene frührealistische Dorfgeschichte weiterentwickelt (s. Kap. 2.2). Denn Soll und Haben als Volksliteratur im

284 Zit. n. Köhnke: Ein antisemitischer Autor wider Willen, S. 136. 285 „Lebhaft wünsche ich, daß Ew. Hoheit Huld auch das dicke Buch, das ich geschrieben, für keinen unwürdigen Beitrag zu der Literatur deutscher Volksbücher halten mögen“, schreibt er am 26. November 1854 an den Herzog (BrHerz, 36). 286 Für Görres muss „Volksdichtung“ die „ganze, eigentliche Masse des Volkes in ihrem Wirkungskreis“ adressieren und zeitenüberdauernd sein: „[D]iese Bücher leben ein unsterblich, unverwüstlich Leben; viele Jahrhunderte hindurch haben sie Hunderttausende, ein ungemessenes Publikum, beschäftigt; nie veraltend sind sie tausend- und tausendmal wiederkehrend, stets willkommen; unermüdlich durch alle Stände durchpulsierend und von unzählbaren Geistern aufgenommen und angeeignet, sind sie immer gleich belustigend, gleich erquicklich, gleich belehrend geblieben“ (Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher. In: Hans-Jürgen Schmitt (Hg.): Die deutsche Literatur in Text und Darstellung. Romantik I. Stuttgart 2005, S. 116–134, hier S. 118). 287 Zit. n. Köhnke: Ein antisemitischer Autor wider Willen, S. 136  f. 288 Für Soll und Haben bietet Freytag selbst verschiedene Lesarten an. Bereits in der Widmung ist eine Spannung erkennbar zwischen einem Buch mit politischer Wirkungsabsicht auf der einen Seite und einem poetisch gestalteten Kunstwerk, das sich gerade nicht mit der bloßen Abbildung von Wirklichkeit begnügen will, auf der anderen Seite. Konkret sind folgende Lesarten möglich, die einander nicht ausschließen, sondern ergänzen: als Umsetzung des Literaturprogramms der Grenzboten, als realistischer Bildungsroman, als sozialethische Handlungsanweisung, als humorvoller Unterhaltungsroman, als konstruierter Handlungsroman von dramatischen Bauprinzipien, als bürgerlichnationales ‚Volksbuch‘ (vgl. auch: Büchler-Hausschild: Erzählte Arbeit, S. 287  f.).

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 2 Die Poesie des Prosaischen

‚realistischen Sinne‘ Freytags adressiert das ‚Volk‘ als Leserschaft und (angekündigt im Motto) als Gegenstand der Poesie. Formuliert wird dabei zudem ein Gegensatz zur ‚überspannten‘ romantischen Kunst- bzw. ‚Reflexionspoesie‘, wie sie in den literaturprogrammatischen Aufsätzen Freytags und Schmidts immer wieder kritisiert wird. Denn der Autor nimmt die Romantik nicht nur in Bezug auf das ‚Nation-BuildingProject‘ der Literatur beim Wort. Die moderne Volksliteratur soll nicht nur so aussehen, als sei sie einfach gemacht, sie soll tatsächlich den realistischen Grundsätzen der Verständlichkeit sowie der formalen und inneren Abgeschlossenheit entsprechen. Sie soll die Poesie dabei dort suchen, wo in Freytags Verständnis der Kern des Volkes beheimatet sei und wo die Poesie bisher eine blinde Stelle habe: im vermeintlich prosaischen Leben der mittleren Schichten.

2.3.3 Zusammenfassung Hiermit ist noch einmal der Bogen gespannt zur Ausgangsituation der realistischen Romantheorie, die antrat, die Abwertung der Prosa sowohl als Form als auch als Inhalt (‚die Prosa des bürgerlichen Lebens‘) zu revidieren (s. Kap. 2.1). Freytags Positionierung in diesem Feld, so sollte gezeigt werden, ist nur unter Berücksichtigung der breiten Kontexte realistischer Prosatheorie sowie vor dem Hintergrund der neuen medialen und distributionalen Bedingungen von Literatur zu verstehen. Sie funktioniert auf inhaltlicher Ebene zunächst über die Anknüpfung an die programmatisch für den Grenzboten-Realismus attraktive Dorfgeschichtenliteratur, wie sie seit Anfang der 1840er Jahre als literarische Neuerung breit diskutiert wird. Über die Dorfgeschichte als Vehikel und programmatischer Gesprächsanlass formulieren Freytag und Schmidt nicht nur ihr Programm einer Poetisierung der als ‚prosaisch‘ geltenden bürgerlichen Lebenswelten, im Hinblick auf das schon die Zeitgenossen die Dorfliteratur bloß noch als Entwicklungsschritt hin zum ‚wahrhaft modernen‘ Werk Gustav Freytags sehen.289 Sie unternehmen von hier aus auch eine Aufwertung der literarischen Form der Prosa – besonders jener Gattung des Romans, die in der Folge des Wilhelm Meister und Hegels Ästhetik als bürgerliche und, dem Inhalt wie der Form nach, schlechthin ‚prosaische‘ Gattung angesehen wurde. Die 289 So schreibt die Leipziger Illustrirte Zeitung 1856: „Auerbach’s Dorfgeschichten wirkten wie ein frischer Morgenwind auf die Lesewelt. Andere von gleicher Art folgten […]. Wir erfuhren, daß es in Deutschland noch eine gute Menge von Leuten gab, die ihre Lebensaufgabe in etwas Anderm fanden, als in blasirten Unterhaltungen über Völkerglück und Frauenemanzipation, Klassiker und Romantiker. Der große Umbildungsprozeß des modernen Lebens war aber in diesen Schriften nur nebenbei berührt. Es mußte ein Dichter auftreten, der uns zeigte, wie die Tendenz unseres modernen Lebens auf den Untergang der exklusiven Klassen durch das Aufstreben der bürgerlichen Thätigkeit gerichtet […] Diesen Dichter begrüßen wir in dem Verfasser von ‚Soll und Haben‘. Er brachte zu der Aufgabe, die er sich gestellt, in der vollsten Kenntniß der Mittel die vollste Berechtigung mit.“ N. N.: Der Verfasser von „Soll und Haben“. In: Illustrirte Zeitung [Leipzig], 19. April 1856 (Nr. 668), S. 275.

2.3 Die ‚Nobilitierung der Prosa‘ und die Behauptung einer ­klassischen Ästhetik 

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lange Zeit ohnehin schlecht beleumundete Erzählliteratur geriet als zunehmend beliebte Form des sich entwickelnden literarischen Massenmarktes zusätzlich in ästhetisches Zwielicht. Freytag, der den Roman als geeignetste Gattung zur von ihm angestrebten Verklärung der modernen bürgerlichen Lebenswelt erkennt, reagiert auf diese Konstellation in zweierlei Weise: Auf der einen Seite wird der Roman in Fortführung vormärzlicher Versuche als Gattung aufgewertet. Dies allerdings geschieht bei Freytag (im Unterschied zu den meisten jungdeutschen Romanpoetiken, die vom episodisch-offenen Charakter der Gattung ausgehen)290 durch Anbindung an eine klassizistische Poetik, vor allem an die Form des ‚geschlossenen Dramas‘ aristotelischer Tradition.291 Deren Maßstäbe bilden auf der anderen Seite die Instrumente, mit denen Freytag sich gegenüber der ästhetisch unzulänglichen, massenhaft produzierten Erzählliteratur der Zeit abgrenzt. Die Kritik richtet sich dabei gleichermaßen gegen jene Marktmechanismen, die diese Produktion und eine ‚fragmentierte‘ Literatur begünstigen (Zeitschriftenliteratur und Leihbibliothek). Dagegen setzt Freytag eine Ästhetik des ganzen Buchs und ein Konzept von ‚Volksliteratur‘, das es ermöglicht, die Ansprüche – oder zumindest: den Anschein – einer klassischen Ästhetik mit Massenabsatz und ökonomischen Erfolg zu verbinden, mit Bourdieu gesagt: die Verbindung von ökonomischem und symbolischem Kapital. In diesen Kontexten ist die Positionierung des bald durchaus als ‚Volksroman‘ etablierten Textes Soll und Haben zu betrachten, der zeitgenössisch tatsächlich als gelungenes Beispiel der wachsenden Bedeutung des Romans gegenüber dem Drama gelesen wird.292 Der Umstand, dass Freytag das Werk zunächst als ‚Volksbuch‘ im liberalen Geiste plante, ist zudem in Bezug auf den volkspädagogischen Anspruch des Autors und die Literaturpolitik der Grenzboten aufschlussreich – v.  a. wenn man bedenkt, dass es diesem Gedanken durch seine schnelle Verbreitung und die Popularisierung liberalistischer Grundsätze (s. Kap. 4) gerecht wurde. Dass der Roman nicht zuerst in einer Zeitschrift, sondern lediglich in Buchform erschien und damit sein Charakter als Programmroman unterstrichen wurde, darf als „symbolischer Akt“293 gewertet werden, durch den der Anspruch der Vorreiterstellung ebenso wie die autonomieästhetische Positionierung untermauert wurden.294

290 Vgl. Hasubek: Der Roman des Jungen Deutschland und des Vormärz. 291 Hillebrand nennt Freytags Ähnlichkeitsbehauptung zwischen Roman und Drama dessen „romantheoretische[s] Manifest“ (Hillebrand: Theorie des Romans, S. 235). 292 Vgl. R[obert] H[eller]: Ein deutscher Roman. In: Hamburger Nachrichten, 25. Juni 1855 (Nr. 149), S. 1. 293 Günter: Im Vorhof der Kunst, S. 172. 294 So auch: Eva D. Becker: Literaturverbreitung. In: Edward McInnes u. Gerhard Plumpe (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/Wien 1996, S. 108–143, hier S. 135; Günter: Im Vorhof der Kunst, S. 171  f.

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 2 Die Poesie des Prosaischen

Entsprechend greift Freytag die Debatte über die Poesie und Prosa des bürger­ lichen Lebens nicht nur im Kontext des Romans, sondern auch im Roman selbst wieder auf. Gleiches gilt für die Lektüregewohnheiten der verschiedenen sozialen Klassen (s. Kap. 4).295 Freytags Polemik gegen die zeitgenössischen Massenmedien, seine sowohl medienästhetische als auch romanpoetische Abgrenzung von jenen Schriftstellern, die „flüchtig, zerstreut, ohne rechten Drang, ohne Studien, und ohne Kritik, als Tagelöhner für den Tag“296 schreiben, hängt nicht bloß argumentativ mit seiner literaturprogrammatischen Positionierung zusammen; sie findet auch in exakt denselben Texten statt, in denen literarische Vorgänger und Konkurrenten abgewertet, die Verklärung des Wirklichen gefordert, eine Poesie der Arbeit entworfen und die Platzierung Soll und Habens vorbereitet werden. In diesem Sinne gehört die prosatheoretische Programmatik der Grenzboten zur Positionierungsgeschichte von Soll und Haben. Die Positionierung des Romans möchte ich im Folgenden unter einer strengen feldtheoretischen Perspektive in ihrer historischen und strategischen Dimension beschreiben.

2.4 Die Grenzboten-Position und Soll und Haben als „Lösung eines der Kunst wesentlich angehörigen Problems“ Geht man nun zurück zur inhaltlichen Debatte der Poesie-Prosa-Diskussion über die Poesiefähigkeit des bürgerlichen Lebens (s. Kap. 2.1) und fasst die bisherigen Ausführungen zusammen, so besteht die spezifische Differenz der Positionierung Freytags und Schmidts gegenüber anderen bzw. früheren Positionen des Feldes darin, dass sie weder den hier dargestellten Konflikt zwischen der „Poesie des Herzens“ und der „Prosa der Verhältnisse“ noch die Prämisse eines zunehmenden ‚Verlusts des poetischen Weltzustands‘ als romanästhetische Problemkonstellation akzeptieren. Vielmehr negieren sie ebendiese schlichtweg bzw. wenden sie axiomatisch (halten sie aber durch die Negation als Fortschritt des eigenen Programms präsent). Das Problem ist nun nicht mehr, dem bürgerlichen Leben Poesiefähiges abzugewinnen; ein Problem hat nach Freytag und Schmidt derjenige, der die Poesie der bürgerlichen Gegenwart, die Poesie des nur vermeintlich ‚Prosaischen‘ nicht erkennt. Wo Rudolph Gottschall noch 1858 in seiner Poetik apodiktisch verkündet: „Dichtwerke, welche den Standpunkt des gewöhnlichen Lebens zu dem ihrigen machen, fallen […] aus der Poesie heraus“ und befänden sich daher „mitten in der Prosa“,297 erklären Freytag und Schmidt die Berücksichtigung dieses Standpunkts zur Bedin295 Vgl. Plumpe: Roman, S. 552  f.; Günter: Im Vorhof der Kunst, S. 172. 296 [Gustav Freytag]: Neue deutsche Romane. In: Die Grenzboten 12 (1853), I. Semester, II. Band, S. 121–128, hier S. 128. 297 Gottschall: Poetik, S. 58.

2.4 Die Grenzboten-Position 

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gung der modernen Poesie. Am besten habe man sich diese vermeintlich ‚gewöhnliche Perspektive‘ durch ein bürgerliches Leben und eine bürgerliche Anstellung zu erwerben. Entsprechend urteilt Freytag 1853 in Die Grenzboten über die „Deutsche[n] Romane“: Die meisten unsrer deutschen Dichter nehmen sich die Freiheit, das Treiben der Gegenwart zu schildern, ohne die Thätigkeit der Menschen, welche sie darstellen wollen und den Einfluß, welchen diese Thätigkeit auf Gemüth und Anschauungen hat, hinreichend zu kennen. […] Und deshalb sollte Jeder, welcher Romane schreiben will, sich zuerst doch die kleine Mühe geben, selbst ein tüchtiger Mann zu werden, das heißt, in irgend einem Kreise menschlicher Interessen heimisch, durch eine ausdauernde und männliche Thätigkeit in die große Kette der kräftigen Menschen als ein nützliches Glied eingefügt. […] Unsere Romanschriftsteller pflegen […] sich sehr früh zu dem Stande der Literaten zu zählen, und ihren Lebensberuf im Romanschreiben zu suchen, bevor sie tüchtig geworden sind, irgend einen andern zu finden. […] Das Geplauder am Theetisch, kleine Gefühlabenteuer mit Mädchen […] und eine studentische Verachtung der spießbürgerlichen Prosa sind die Eindrücke, welche sie in ihren Romanen verarbeiten. […] [D]aß unsre Romanschriftstellerei – immer im Ganzen betrachtet – schlechter als mittelmäßig ist, daran tragen die Schaffenden allein die Schuld, und vergebens suchen sie diese auf ungünstige Verhältnisse des Vaterlandes, auf die Prosa des Lebens […] zu wälzen.298

Die „unendliche Kluft zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen“, die Julian Schmidt 1851 als ‚krankhaftes‘ Symptom der deutschen Literatur verdammt,299 wird von den Grenzboten-Herausgebern eingeebnet, das Ideale nicht mehr abseits bürgerlicher Prosa gesucht, sondern darin gefunden. Die ‚Poesie des Herzens‘ liegt demnach nun in der ‚Prosa der Verhältnisse‘ – oder realidealistisch gesprochen: dahinter. Diese neue axiomatische Position, die die poetischen Qualitäten des Wirklichen, die Poesie des Prosaischen behauptet, wird für Freytag und Schmidt zur feldstrukturierenden Maxime, die sie „den Lesern der Grenzboten“ gleich mit Übernahme ihrer Herausgeberschaft der Zeitschrift 1848 verkünden: „Die Literatur hat nur noch in so weit Berechtigung, als sie sich in das Leben versenkt“,300 heißt es dort programmatisch; und nicht weniger apodiktisch proklamiert Julian Schmidt 1850: „Diese Ausbreitung und Vertiefung der sittlichen Ideen in das Detail des wirklichen Lebens ist die nothwendige, die einzige Grundlage einer rechten und großen Poesie.“301 Noch in seinen Erinnerungen (1886) gab Freytag als Überzeugung und „letzte[s] Bekenntnis

298 [Gustav Freytag]: Literatur. Deutsche Romane. I. In: Die Grenzboten 12 (1853), I. Semester, I. Band, S. 77–80, hier S. 78  f. 299 „So lange man eine unendliche Kluft zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen zu finden glaubt, und in das Mögliche das Ideal legt, ist die Kunst krank“ (Julian Schmidt: Die Reaction in der deutschen Poesie. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 17–25, hier S. 24). 300 Julian Schmidt u. Gustav Freitag: Den Lesern der Grenzboten. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, III. Band, S. 1–4, hier S. 2. 301 S[chmidt]: Die Märzpoeten, S. 11  f.

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 2 Die Poesie des Prosaischen

welches ich abzulegen habe“ zu Protokoll, „daß das reichste und in vielem Sinne das heilsamste Quellgebiet poetischer Stoffe in der Gegenwart liege.“ (GW I, 255) Wo der Protagonist aus Immermanns Die Epigonen auf Dauer kein Land mehr sieht (s. Kap. 2.1), erklären Schmidt und Freytag das bürgerlich-prosaische Leben der Gegenwart zur ‚grünen Aue der Poesie‘. Die bürgerlichen Lebensverhältnisse darzustellen, ist nicht mehr die Bürde, sondern der Erfüllungsgegenstand des zeitgemäßen Romans. Demgemäß urteilt auch Bernd Bräutigam: „Wo die klassische Ästhetik prosaische Verhältnisse und in ihnen die Depravation des Menschen diagnostizierte, entdeckt das Grenzboten-Duo Freytag/Schmidt die Morgenröte eines neuen poetischen Weltzustands.“302 Und weiter: „Novum und auszeichnendes Kriterium des GrenzbotenRealismus in dieser nachmärzlichen Debatte unter den Programmatikern ist, daß er ein Literaturmodell propagiert, das nicht mehr von der Poesie-Prosa-Diskrepanz lebt“.303 Betrachtet man diese Konstellation mit Bourdieu, ist die veränderte Axiomatik Freytags und Schmidts einerseits selbst Ausdruck eines sich wandelnden nachrevolutionären literarischen Feldes; andererseits eröffnet die neue Positionierung gegenüber einem alten Problem – als dessen „spezifische Lösung“304 – auch neue Optionen im „Raum des Möglichen“.305 Nicht nur mit Bourdieus problemgeschichtlichem Zugriff gestaltet sich die Positionierung der Grenzboten-Herausgeber wie die „Begegnung einer ‚Problemsituation‘ […] und eines Akteurs, der dazu disponiert ist, dieses Problem zu erkennen und zu seinem eigenen zu machen,“306 auch Julian Schmidt nimmt 1856 eine gleichsam proto-problemgeschichtliche Perspektive ein, wenn er Soll und Haben – bezogen auf die „Aufgabe“ der Kunst, „die eine Vertiefung in die sittlichen Mächte der Wirklichkeit verlang[e]“ – „die harmonische Lösung eines der Kunst wesentlich angehörigen Problems“ und damit einen „wichtige[n] Fortschritt innerhalb der nationalen Entwickelung“ nennt.307 Dass die Grenzboten-Herausgeber das Problem, das sie zu lösen beanspruchten, erst auch energisch zu einem solchen erklärten, wirft dabei ein erhellendes Licht auf die arbeitsteiligen Begründungszusammenhänge ihrer Programmatik und Verfahren. Freytag und Schmidt zeigen mit ihrer strategischen Positionierung folglich einen ausgeprägten Platzierungs- und Möglichkeitssinn gegenüber dem ‚Stand der feldinternen Problematik‘, der damit verbundenen „Suche nach Lösungen“308 sowie solchen Positionen, wie sie der Raum des Möglichen für sie offenhielt – und wie sie das Feld in seiner Entwicklung geradezu zu verlangen schien.

302 Bräutigam: Candide im Comptoir, S. 402. 303 Bräutigam: Candide im Comptoir, S. 408. 304 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 430. 305 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 371. 306 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 430. 307 Julian Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Dritter Band: Die Gegenwart. Dritte, wesentlich verbesserte Auflage. Leipzig 1856, S. 298. 308 Bourdieu: Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken, S. 65.

2.4 Die Grenzboten-Position 

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Hatte E.T.A. Hoffmann das „Anstoßen der poetischen Welt mit der prosaischen“ am 4. Januar 1812 in seinem Tagebuch noch im Zusammenhang „bittere[r] Erfahrungen“ notiert,309 entsprach die Aufhebung dieses Gegensatzes einem gemeinsamen Bedürfnis der Romantheoretiker der Jahrhundertmitte, auch wenn sie wie Rudolf Gottschall oder Robert Prutz gerade beileibe keine ausgewiesene Nähe zum Grenz­ boten-Realismus aufweisen konnten. So fordert Gottschall im Vorwort seiner Darstellung Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts (1855) von der „moderne[n] Poesie“, sie solle „im Geiste ihres Jahrhunderts dichten“, das bedeutete auch für ihn, „die Poesie überall im Leben zu suchen“ und das Ideale des gegenwärtigen Lebens „ohne transcendente Beleuchtung“ zu beschreiben, da für die zeitgenössische Poesie nur gelten könne: „Das nächste Leben der Gegenwart zu schildern, entadelt nicht mehr die Kunst; sie gipfelt in ihrem Geiste.“310 Dass „wahrlich eine große Quantität Poesie auch in dem wirklichen Leben unsrer Zeit“ liegt,311 diese Überzeugung formulierte programmatisch ebenso Otto Ludwig. Den Grenzboten-Herausgebern ging es aber ganz konkret – und im Unterschied zu den Vorbehalten, die Gottschall im Einzelnen dann doch hatte – darum, den Gegenstandsbereich der Poesie auf den gegenwärtigen bürgerlichen Alltag der ‚Normalnaturen‘ und mittleren Helden zu erweitern. Auch Robert Prutz will 1854 in der Entwicklung zur bürgerlichen Gesellschaft nicht eine der Poesie entgegensetzte Lebenswelt sehen, sondern eine solche, die zu neuer Poesie Anlass geben wird, ja bei der Poesie- und Gewerbeentwicklung miteinander verknüpft sind – er überantwortet diese Literatur aber noch einer unbestimmten Zukunft: Das praktische Leben verdrängt das ästhetische; nicht mehr die Literatur, sondern der Staat und die bürgerliche Gesellschaft mit ihren unentbehrlichen praktischen Voraussetzungen, mit Handel, Gewerbe ec. bildet die wahre historische Aufgabe unserer Zeit. Auch diese Epoche, wir zweifeln nicht, wird dereinst ebenfalls ihre poetische Verklärung finden und eine neue classische Poesie erzeugen, eine Poesie der Wirklichkeit, des Kampfes, der Arbeit […]. […] und es wird darauf ankommen, daß Deutschland frei und mächtig, der deutsche Handel reich und blühend, das deutsche Gewerbeleben fruchtbar und glücklich wird, um auch diese Poesie der Wirklichkeit einer neuen und classischen Epoche entgegenzuführen.312

Wenn man nun Fontanes Rückschau von 1884 folgt, erscheint Freytags „Schreibweise“ vor dem skizzierten Bedürfnishintergrund – feldtheoretisch formuliert – „als

309 E.T.A. Hoffmann: Sämtliche Werke. Bd. 1: Frühe Prosa, Briefe, Tagebücher, Libretti, Juristische Schrift. Werke 1794–1813, hg. von Gerhard Allroggen u. a. Frankfurt a. M. 2003, S. 390. 310 Rudolf Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt. Bd. 1, Breslau 1855, S. 7–8. 311 Otto Ludwig: Romanstudien. In: ders.: Romane und Romanstudien, hg. von William J. Lillyman. München u.  a. 1977, S. 533–672, hier S. 646. 312 Robert Prutz: Die deutsche Einheit sonst und jetzt. II. In: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 4 (1854), S. 170–183, hier S. 177–178.

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 2 Die Poesie des Prosaischen

ein Mögliches, das mehr oder weniger heftig ‚zur Existenz drängt‘“.313 Seinen Roman Soll und Haben versteht er nicht bloß im Schmidt’schen Sinne als Antwort auf ein Problem, sondern als Motor und Ausdruck dessen, was programmatisch in den Jahren zuvor proklamiert wurde (‚Prosa‘, ‚Wirklichkeit‘, ‚Gegenwartsnähe‘, ‚realistische‘ Darstellung), als Markstein einer epochalen literarischen Erneuerung:314 Über all dies hinaus aber begann eine große, tiefgreifende Geschmackswandlung in ganz Deutschland sich vorzubereiten, und mit dem Erscheinen von Freytags „Soll und Haben“, welcher Roman so recht eigentlich den „Griff ins volle Menschenleben“ für uns bedeutete, war der entscheidende Schritt getan. Man wollte Gegenwart, nicht Vergangenheit; Wirklichkeit, nicht Schein; Prosa, nicht Vers. Am wenigsten aber wollte man Rhetorik. […] Mit anderen Worten, es vollzog sich der große Umschwung, der dem Realismus zum Siege verhalf.315

So gesehen zeugt Freytags und Schmidts Positionierung in der Terminologie Bour­ dieus von einem ausgeprägten „Geschichts-Sinn“, der gleichsam aus dem „Raum der aus den früheren Kämpfen überkommenen Möglichkeiten“ die etwa bei Hegel formulierten „Grundlagen der Gattung selbst in Frage“ stellt.316 Freytag und Schmidt haben die dem Feld innewohnende „geltende Problematik“ erkannt, ehe sie anfingen, es zu ‚beherrschen‘: Dergestalt wohnt die gesamte Geschichte des Feldes diesem jederzeit inne, und wer als Produzent, aber auch als Konsument auf der Höhe seiner objektiven Anforderungen sein will, muß diese Geschichte und den Raum des Möglichen, in dem sie sich selbst überdauert, praktisch und theoretisch beherrschen. Die Zulassungsgebühren, die jeder Neuling zu entrichten hat, bestehen in nichts anderem als der Beherrschung der Gesamtheit der Errungenschaften, auf der die gel­ tende Problematik aufbaut.317

Im Bewusstsein für die „Geschichte des Feldes“ erfolgt die romanästhetische Positionierung der Grenzboten-Herausgeber in strategischer Distinktion gegenüber dem

313 Bourdieu: Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken, S. 66. 314 Sogar der Freytag gegenüber eher kritisch eingestellte Samuel Lublinski würdigt Soll und Haben als „den bürgerlichen Gesellschaftsroman“ der Epoche: „‚Soll und Haben‘ hat vom Standpunkt der künstlerisch-realistischen Technik keinen, aber auch gar keinen Fehler aufzuweisen. Alles ist tadellos, schlechterdings vollkommen, so daß nicht einmal das Tüpfelchen auf dem i abhanden gekommen scheint; dabei aber doch nicht ängstlich, sondern frei und voller Behagen. Und auch an Poesie fehlt es nicht, an jener Poesie, welche immer entsteht, wenn Inhalt und Form sich restlos decken. Was der bürgerlichen Tüchtigkeit, der bürgerlichen Weltanschauung und gemütvollen bürgerlichen Häuslichkeit an anheimelnden Stimmungen abzugewinnen war, das alles hat Freytag vollkommen ausgeschöpft“ (Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 85  f.). 315 Theodor Fontane: Christian Friedrich Scherenberg. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe. München 1969, S. 579–733, hier S. 705 (Hervorhebungen: P. B.; Kursivierungen im Original). 316 Bourdieu: Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken, S. 69, 65. 317 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 385 (Hervorhebungen im Original).

2.4 Die Grenzboten-Position 

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gattungs- und problemprägenden Vorbild Wilhelm Meister einerseits und gegenüber der zeitgenössischen Romanproduktion andererseits, was im Folgenden anhand der konkreten textuellen Positionierungen in und im Kontext von Soll und Haben verdeutlicht werden soll.

3 Die Grenzboten und die feldstrategische ­Platzierung von Soll und Haben Psaphon, ein junger lydischer Hirte, hatte Vögel dazu abgerichtet, ihm nachzusprechen: „Psaphon ist ein Gott“. Als Psaphons Mitbürger die Vögel so schwätzen hörten, feierten sie ihn als einen Gott.1

Im Sinne Bourdieus nehmen Freytag und Schmidt zunächst eine Vermessung des Möglichkeitsraums sowie eine Strukturierung bzw. Taxierung des nach 1848 nach neuen Orientierungen verlangenden Feldes vor. Als Herausgeber von Die Grenzboten entwickeln sie einen festen Normenkatalog, den sie an Werke der Literaturgeschichte und an solche der unmittelbaren Gegenwart herantragen. Mit ihrer Übernahme der Herausgebertätigkeit 1848 verkünden Schmidt und Freytag in einer programmatischen Leseransprache offensiv die Einnahme einer – sowohl in politischer als auch literarischer Hinsicht – neuen Position im Feld („eine neue Phase des Blattes“); zugleich sprechen sie anderen Positionen des Feldes jegliche Legitimation ab und erklären sie zu Positionen der Vergangenheit („Diese Zeit ist vorüber“).2 Ihre Positionsnahme besteht in einer das literarische wie das politische Feld gleichermaßen adressierenden, doppelten Distinktion gegenüber der politischen Vormärzliteratur einerseits wie einer weltabgewandten ‚romantischen‘ Literatur andererseits – oder mit den Worten der neuen Grenzboten-Herausgeber bezogen auf die Politik formuliert: „Sie [Die ‚neuen‘ Grenzboten, P. B.] werden den Regierungen gegenüber entschiedene Demokraten sein, gegen die Launen und den Unverstand der Waffe die Aristokratie der Bildung und des Rechts vertreten.“3 Die Formulierung macht zugleich deutlich, dass die von Freytag und Schmidt beanspruchte Position der Mittelpartei der Soziallogik des mittleren Bürgertums entspricht und sie diese ‚Mittelstellung‘ ebenso auf die Politik wie auf die Literatur übertragen. Dass das Organ bei der Durchsetzung seines Programms „axiomatisch und normativ“4 vorgehen wird, wie Hohendahl Schmidts Kritikertätigkeit charakterisiert, deutet sich hier außerdem bereits an, wenn die Herausgeber ihre Positionierung zu einem „Glaubensbekenntniß“ erklären.5 Die „kritische Meinungsführerschaft“,6 welche die Grenzboten-Herausgeber hier beanspruchen und die ihnen die Forschung später für die Nachmärzperiode mit vielen

1 Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 102. 2 Schmidt/Freitag: Den Lesern der Grenzboten, S. 2. 3 Schmidt/Freitag: Den Lesern der Grenzboten, S. 3. 4 Hohendahl: Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus, S. 152. 5 Schmidt/Freitag: Den Lesern der Grenzboten, S. 3. 6 Zens: Literaturkritik in der Zeit des Realismus, S. 81. https://doi.org/10.1515/9783110541779-009

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 3 Die Grenzboten und die feldstrategische ­Platzierung von Soll und Haben

Superlativen und in breiter Übereinstimmung zugestehen wird,7 hatten die beiden zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht inne. Lag die Auflage Anfang 1848 unter der Herausgeberschaft Ignaz Kurandas (1811–1884) noch bei 8.000 Exemplaren,8 sank sie von 4.000 bei Übernahme der Herausgebertätigkeit durch Freytag und Schmidt9 zunächst auf 800 Exemplare Ende 184810 und pendelte sich im Zeitraum zwischen 1853 und 1867 bei etwa 1.000 Exemplaren ein.11 Nur zum Vergleich: Die Anfang 1853 erstmals publizierte Gartenlaube, die in Konzeption, Aufmachung und Zielgruppe freilich völlig unterschiedlich war, konnte ihre Auflage dagegen in den Jahren von 1861 bis 1867 verdoppeln (1861: 100.000; 1867: 200.000). Beide Organe erschienen zunächst wöchentlich; während Die Grenzboten im Jahresabonnement jedoch zehn Taler kosteten und damit relativ teuer waren, war Die Gartenlaube bereits für zwei Taler jährlich zu beziehen.12 Die Anfang 1848 hohe Auflagenzahl und ihr massiver Rückgang bei Übernahme des Blatts durch Freytag und Schmidt haben zum einen mit den allgemein hohen Auflagenzahlen im Zuge der durch die Revolution entstehenden politischen Öffentlichkeit zu tun, zum anderen mit der von Freytag und Schmidt betriebenen politischen Umorientierung der Grenz­ boten von einem großdeutschen auf ein streng kleindeutsches Organ.13 Preis und Auflage spiegeln dennoch die Leserschaft und das Selbstverständnis der Grenzboten14 wider. Im Gegensatz etwa zu den Familienblättern, die das Massenpublikum direkt ansprechen, beanspruchen Die Grenzboten das bildungsbürgerliche Publikum zu repräsentieren. Die potentielle Leserschaft, welche die Zeitschrift im Blick hatte, lag in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei maximal fünf Prozent der

7 Die Grenzboten gelten da z.  B. als „das realistische Organ schlechthin“ (Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus, S. 8), als „maßgebende[] Zeitschrift der bürgerlichen Bildungsschicht“ und das „führende liberale Organ mit kleindeutsch-preußischer Tendenz nach der Revolution“ (Fritz Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848–1898. 2. Aufl. Stuttgart 1964, S. 421, 93). Zur Bedeutung der Grenzboten und ihrer Herausgeber vgl. auch: Steinecke: Romantheorie und Romankritik in Deutschland. Bd. 1, S. 210  f., 212–225; Plumpe: Einleitung. In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, S. 62  f. 8 Herrmann: Gustav Freytag, S. 174. 9 Widhammer: Die Literaturtheorie des deutschen Realismus, S. 8. 10 Herrmann: Gustav Freytag, S. 174. 11 Obenaus: Literarische und politische Zeitschriften 1848–1880, S.  41.  – Dass Wehler in diesem Zeitraum von Auflagenhöhen von bis zu 10.000 Exemplaren spricht, ist wohl auf einen Druckfehler zurückzuführen: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. 1849–1914. München 1995, S. 436. 12 Vgl. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3, S. 435; Wittmann: Buchmarkt und Lektüre, S. 152. 13 Zum Profil und der Geschichte der Grenzboten vgl. Eberhard Naujoks: Die Grenzboten (1841–1922). In: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.): Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts. Pullach 1973, S. 155–166. 14 Vgl. dazu: Herrmann: Gustav Freytag, S. 174–177.

3 Die Grenzboten und die feldstrategische ­Platzierung von Soll und Haben 

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Gesamtbevölkerung.15 Unter den politisch-kulturellen Rundschauzeitschriften, die dieses Publikum einer sehr kleinen Bildungsschicht adressierten, gehörten Die Grenz­ boten nach 1848 trotz des Auflagenrückgangs zu den erfolgreichsten, vergleichbar mit Periodika wie dem vom Robert Prutz herausgegebenen Deutschen Museum oder den seit 1858 publizierten Preußischen Jahrbüchern.16 Parteipolitische Wochenblätter wie das nachmärzliche Preußische Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen (1852: 1.580 Abonnenten) und politische Satirezeitschriften wie die bereits 1844 erstmals erschienenen Fliegenden Blätter (1862: Auflage von 10.000 Exemplaren) konnten jedoch eine höhere und breitere Käuferschicht aufweisen.17 Dass Die Grenzboten dennoch schon Anfang des 20. Jahrhunderts als „gelesenste politische Zeitschrift Deutschlands“18 gelten und vor allem ihre literaturprogrammatische Bedeutung seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sowohl von den Zeitgenossen als auch der Forschung ungleich höher bewertet wird als die der genannten Journale, zeigt im Sinne Bourdieus, dass die Logik symbolischer Anerkennung anderen als nur zählbaren Werten folgt. Der Blick auf die Grenzboten mit Bourdieu zeigt darüber hinaus, dass gerade der ‚Raum der kulturellen Produktion und Bewertung‘ ein politischer und sozialer Raum ist, in welchem dem Bildungsbürgertum und der politischen Richtung, wie sie Freytag und Schmidt repräsentierten, nach 1848 eine wachsende Benennungsmacht zukam. Auch wenn es angesichts der „Grenzbotennüchternheit“ (Nietzsche)19 – der betont gesetzten und fast philiströs anmutenden Bürgerlichkeit Freytags und Schmidts – aus heutiger Sicht nicht unbedingt passend erscheint: Denkt man diese Geschichte von Anfang an, so übernehmen die beiden neuen Herausgeber nach der Revolution in der Bourdieu’schen Terminologie zunächst die Rolle der ‚Häretiker‘ im literarischen Feld (s. Kap. 5):20 Sie stellen die etablierte Ordnung infrage und streben nun ihrerseits nach der herrschenden Position, d.  h. dem „Monopol literarischer Legitimität“ sowie

15 Jürgen Kocka: Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Europäische Entwicklungen und deutsche Eigenarten. In: ders. (Hg.) unter Mitarbeit von Ute Frevert: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Bd. 1. München 1988, S. 11–76, hier S. 12. 16 Vgl. Dieter Barth: Zeitschriften, Buchmarkt und Verlagswesen. In: Horst Albert Glaser (Hg.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 7: Vom Nachmärz zur Gründerzeit. Realismus 1848–1880. Reinbek b. Hamburg 1982, S. 70–88, hier S. 70  ff.; Obenaus: Literarische und politische Zeitschriften 1848–1880, S. 37  f. 17 Vgl. im Einzelnen die Daten und Angaben in: Barth: Zeitschriften, Buchmarkt und Verlagswesen sowie Obenaus: Literarische und politische Zeitschriften 1848–1880. 18 So ein Jubiläumsartikel zum 100. Geburtstag von Julian Schmidt, zit. n. Kinder: Poesie als Synthese, S. 141. 19 So Nietzsche in einem Brief an Erwin Rohde vom 20. November 1868. In: Friedrich Nietzsche: Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden. Bd. 2: September 1864–April 1869, hg. von Giogio Colli u. Mazzino Montinari. 2. Aufl. Berlin/New York 2003, S. 344–345, hier S. 345. 20 Vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 329.

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dem „Monopol auf die Konsekration von Produzenten oder Produkten“.21 Unter der Redaktion Freytags und Schmidts werden Die Grenzboten zum „Organ der neuen Richtung“, zur „Plattform eines gemäßigten Liberalismus“ und zum „Sprachrohr ihres agitatorischen Realismusprogramms“.22 Mit dem Anspruch, dem Rückstand des deutschen Romans mit einem zeitgemäßen Poesiekonzept zu begegnen, proklamieren sie die Benennungsmacht darüber, was „echte Poesie“23 gegenwärtig zu bedeuten habe – nach Bourdieu eine der beliebtesten und effektivsten Grenzziehungen in den „Definitionskämpfen“24 des literarischen Feldes: Jeder versucht, die Grenzen des Feldes so abzustecken, daß ihr Verlauf den eigenen Interessen entgegenkommt, oder […] seine Definition der wahren Zugehörigkeit zum Feld (oder der Zulassungsvoraussetzungen für den Status eines Schriftstellers, Künstlers oder Gelehrten) durchzusetzen – die Definition also, die am geeignetsten ist, ihm selbst das Recht zu verleihen, so zu sein, wie er ist. Wenn demnach die Vertreter der „reinsten“, strengsten und engsten Definition der Zugehörigkeit von einer gewissen Anzahl von Künstlern (usw.) behaupten, daß sie nicht wirklich Künstler oder keine wahren Künstler sind, sprechen sie ihnen die Existenz als Künstler ab, wobei sie von einer Sichtweise ausgehen, die sie, die „echten“ Künstler, als die legitime Sichtweise des Feldes durchsetzen wollen.25

Der ‚doppelte Ursprung‘ des Grenzboten-Realismus aus der strategischen Partnerschaft von Poesie und Kritik bzw. Literaturgeschichtsschreibung gestaltet sich hierbei zeitlich etwas versetzt. Die Grenzboten rezensieren gewissermaßen auf Soll und Haben als Musterroman der eigenen Programmatik hin – so etwa, wenn Freytag 1853, zwei Jahre vor Erscheinen von Soll und Haben, aber schon in Vorbereitung des Romans, zu einer Generalkritik der zeitgenössischen Romanschriftsteller ansetzt: Sie [„Die meisten unsrer deutschen Dichter“, P. B.] suchen das Poetische immer noch im Gegensatz zu der Wirklichkeit, gerade als wenn unser wirkliches Leben der Poesie und Schönheit bar wäre, und doch ist in dem Leben jedes praktischen Landwirths, jedes Geschäftsmannes, jedes thätigen Menschen, welcher bestimmte Interessen mit Ernst und Ausdauer verfolgt, mit der Ausübung seiner Thätigkeit viel mehr poetisches Gefühl verbunden, als in den Romanen zu Tage kommt, in welchen unsere Dichter schattenhafte Helden in den allerunwahrscheinlichsten Situationen dem wirklichen Leben wie ein Gegenbild gegenüberstellen.26

Der deutsche Roman leide demnach nicht an einem ästhetischen Dilemma, ‚an der prosaischen Einrichtung der Dinge‘ (Vischer),27 sondern an den Fähigkeiten und fal21 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 354. 22 Monti: Anmerkungen zur Wissenschaftsgeschichte, S. 62. 23 [Julian Schmidt]: [Rez.] Literaturgeschichte. In: Die Grenzboten 15 (1856), I. Semester, II. Band, S. 201–210, hier S. 208. 24 Vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 353. 25 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 353–354 (Hervorhebungen im Original). 26 [Freytag]: Literatur. Deutsche Romane. I. (1853), S. 78. 27 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, S. 1308.

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schen Überzeugungen seiner Produzenten: „Gerade heraus, was uns fehlt, sind nicht die Bilder des Lebens, welche der Dichter zu verarbeiten hat, sondern die Dichterkraft, Augen, welche das Leben anzusehen wissen“.28 Im ersehnlichen Ton erschreibt Freytag jene Lücke, die er zwei Jahre später mit Soll und Haben selbst besetzt:29 Wenn doch nur einer von all den Romanen, welche im letzten Jahr in Deutschland geschrieben sind, uns das tüchtige, gesunde, starke Leben eines gebildeten Menschen, seine Kämpfe, seine Schmerzen, seinen Sieg so darzustellen wüßte, daß wir eine heitere Freude daran haben könnten. Wir haben doch in der Wirklichkeit eine große Anzahl tüchtiger Charaktere unter unsren Landwirthen, Kaufleuten, Fabrikanten u.s.w., deren Lebenslauf und Verhältnisse dem, der sie kennen lernt, das höchste menschliche Interesse einflößen; warum haben wir keinen Dichter, der Analoges für ein Kunstwerk verarbeitete?30

Diese auf einem gezielten Zusammenspiel basierende Positionierung lässt sich bis in einzelne textuelle Bezüge hinein nachvollziehen. Fragt Freytag etwa am Anfang seiner Sammelrezension Deutsche Romane: „Ist denn in der That das Leben um uns herum so arm an interessanten Gestalten, an erschütternden Begebenheiten, ja auch an großartigen Leidenschaften?“31 So ließe sich mit Soll und Haben antworten: „Man sage nicht, daß unser Leben arm sei an poetischen Stimmungen“ (SuH, 8). Behauptet Freytag literaturkritisch: Ueberall, – in fast jedem Kreise menschlicher Thätigkeit, in jeder Gegend des Vaterlandes, strömt trotz Allem und Allem das Leben doch immer so reichlich und so energisch, daß es einem Menschen, der Darstellungstalent hat und sich die Mühe nehmen will, das Leben selbst kennen zu lernen, nie und nirgend an den interessantesten Anregungen, Eindrücken und Motiven fehlen kann[,]32

so sekundiert in Soll und Haben die Figur Fritz von Fink: Wie kann man in unserer Zeit Gedichte lesen oder gar machen, wenn man alle Tage selbst welche erlebt. Seit ich wieder in diesem alten Lande bin, vergeht kaum eine Stunde, wo ich nicht etwas sehe oder höre, woran sich in hundert Jahren die Herren von der Feder berauschen werden. Gloriose Stoffe für jede Art Kunstgeschäft. (SuH, 646)

Nicht nur an diesen Stellen setzt der Roman jene romanästhetischen Debatten ins Werk, die zuvor in Die Grenzboten erörtert wurden – und als deren produktive Umset-

28 [Freytag]: Literatur. Deutsche Romane. I., S. 77. 29 Treffend spricht auch Rhöse hier von „einer verdeckten Selbstankündigung“ (Rhöse: Konflikt und Versöhnung, S. 136). 30 [Freytag]: Literatur. Deutsche Romane. I., S. 77  f. 31 [Freytag]: Literatur. Deutsche Romane. I., S. 77. 32 [Freytag]: Literatur. Deutsche Romane. I., S. 77.

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zung bzw. ‚Lösung‘ Soll und Haben am Ende des Jahrhunderts kanonisiert ist.33 Wie die strategische Aufmerksamkeitslenkung auf die eigene poetische Produktion und zur Profilierung des eigenen Roman- und Realismuskonzepts nun auch in Interaktion mit Julian Schmidts literarhistorischer Tätigkeit funktioniert, zeigt etwa eine Passage aus einer weiteren Sammelrezension Gustav Freytags mit dem Titel Neue deutsche Romane (1853): Wer uns schildern will, muß uns aufsuchen in unserer Stube, in unserem Comptoir, unserem Feld, nicht nur in unserer Familie. Der Deutsche ist am größten und schönsten, wenn er arbeitet. Die deutschen Romanschriftsteller sollen sich deshalb um die Arbeit der Deutschen kümmern. So lange sie das nicht thun, werden sie keine guten Romane schreiben.34

Freytags Forderungen wenden programmatisch ins Positive, was Julian Schmidt im gleichen Jahr in seiner Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert an den zeitgenössischen Romanschriftstellern beklagt und worin das vielzitierte Motto Soll und Habens seinen Ursprung hat: „[S]ie halten sich nur an die Oberfläche der Erscheinungen; da, wo das deutsche Volk in seiner Tüchtigkeit zu finden wäre, nämlich bei seiner Arbeit, suchen sie es nicht auf“.35 1855 schließlich stellt Freytag seinem Roman eine pointierte Reformulierung dieser dadurch berühmt gewordenen Worte Julian Schmidts als Motto voran; der Roman wird damit erneut paratextuell zur eigenen literaturkritisch-literarhistorischen Programmatik in Beziehung gesetzt: „Der Roman soll das deutsche Volk da suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit.“36 Indem Soll und Haben mit einem 33 So heißt es 1895 bei Ludwig Speidel: „Wir begrüßen den Roman ‚Soll und Haben‘ als eine Erscheinung, die uns die frohe Botschaft verkündigt, daß in unserem Leben, ganz so wie es ist, noch nicht alle Schönheit und Tüchtigkeit erstorben, und daß es noch poetische Gemüter gibt, welche diese Tüchtigkeit und Schönheit zu finden und künstlerisch zu gestalten vermögen“ (Speidel: Gustav Freytag, S. 345  f.). 34 [Freytag]: Neue deutsche Romane, S. 128. 35 Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. Zweiter Band. Leipzig 1853, S. 370. Wie unter anderem Werner Telesko jüngst noch einmal bemerkt hat, wird die genaue Quelle dieses berühmten Zitats Julian Schmidts kaum jemals angegeben (Werner Telesko: Das 19. Jahrhundert. Eine Epoche und ihre Medien. Köln 2010, S. 37, Anm. 4). 36 GW IV, 1. – Die programmatische Dimension dieses Mottos erläutert Stockinger: „Erstens bezieht es sich auf das gesamte „deutsche Volk‘, formuliert also ein allgemein nationales Interesse. Zweitens soll der Roman seinen Gegenstand nicht erfinden, weil dieser als Realität bereits existiert; das ‚deutsche Volk‘ ist lediglich zu ‚suchen‘ und abzubilden. Der Roman ist drittens grundsätzlich pragmatisch ausgerichtet: Er orientiert sich an der auf das Merkmal ‚Arbeit‘ verdichteten Lebenspraxis der Menschen; alle anderen Elemente des Lebens werden darauf ausgerichtet bzw. danach beurteilt; und viertens enthält der Roman durchaus utopisches Potenzial. Indem er nicht die Schwächen der Menschen in den Mittelpunkt stellt, sondern ihre ‚Tüchtigkeit‘, macht er einen idealtypischen Vorschlag für die Wirklichkeitsabbildung. Folgerichtig erkannte Theodor Fontane 1855 als leitende Idee des Romans: ‚Soll und Haben ist eine Verherrlichung des […] deutschen Bürgerthums‘, des nicht mehr politischen, sondern tätigen Menschen“ (Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 146).

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Zitat Julian Schmidts beginnt, gibt sich der Roman als Buch in programmatischer Absicht, als intendierter Programmroman zu erkennen, der sich auf die Programmatik Schmidts und der Grenzboten verpflichtet und diese Nähe bewusst betont. Julian Schmidt widmet darüber hinaus den Band seiner Literaturgeschichte, der sich mit der Literatur der Gegenwart befasst, in stets erweiterten programmatischen Vorworten Gustav Freytag, den er dort auch ausführlich bespricht und dessen Soll und Haben er sogar direkt nach Erscheinen an anderer Stelle rezensiert.37 Fünf Jahre nach Schmidts Ausscheiden bei den Grenzboten hat Freytag wiederum die Neuauflage von dessen Literaturgeschichte rezensiert und dabei Literaturgeschichte in eigener Sache betrieben, indem er seine und Schmidts Leistung im literarischen Feld der vergangenen Jahrzehnte herausgestellt und historisiert hat.38 Solch strategisch-kooperatives Wechselspiel zwischen Literaturkritik, Literaturgeschichtsschreibung und letztlich der Literatur selbst blieb auch den Zeitgenossen nicht verborgen, etwa dem Journalisten und Schriftsteller Hermann Marggraff, der in seiner Rezension zu Soll und Haben die arbeitsteilige Anlage der Grenzboten polemisch auf den Punkt brachte: Von Lessing’s dramatischen Producten hat man wol gesagt, daß sie gewissermaßen nur als die Proben zu betrachten seien, die er gemacht habe, um die Richtigkeit seiner kritischen Rechen­ exempel zu prüfen. Aehnliches kann man von dem Redactionspersonal der bekannten kritischen grünen Blätter in Leipzig behaupten, nur daß die kritischen und productiven Fähigkeiten hier nicht an ein, sondern an zwei Individuen vertheilt sind. Das kritische Redactionsmitglied stellt einen theoretischen Satz auf und das productive führt ihn in einem Dichtwerk durch.39

Der Zusammenhang zwischen Grenzboten-Kritik bzw. literarhistorischer Tätigkeit Schmidts und Freytags Roman erschien nicht nur Marggraff als konzertiertes Handeln. Rudolf Gottschall etwa urteilte über den Roman: „Er ist nach der kritischen Anleitung Julian Schmidt’s abgefaßt“.40 Und Friedrich Hebbel hat den Bezug zwischen Freytags Buch und der „Theorie seines Freundes und Mit-Redacteurs Julian Schmidt“ gleich nach der Erstlektüre polemisch als „Appell vom Schwert an die Elle“ kommentiert.41

37 Vgl. [Julian Schmidt]: Dichtkunst [Rez. zu Soll und Haben]. In: Literarisches Centralblatt für Deutschland, 16. Juni 1855 (Nr. 24), Sp. 384–386. 38 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt. 39 Hermann Marggraff: Ein Roman, „der das deutsche Volk bei seiner Arbeit sucht“. In: Blätter für literarische Unterhaltung 1855, Bd. I. 21. Juni 1855 (Nr. 25), S. 445–452, hier S. 445. 40 Rudolf Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt. Dritter Band. Zweite vermehrte und verbesserte Aufl. Breslau 1860, S. 580. 41 Friedrich Hebbel an Emil Kuh, 18. August 1855. In: Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. Historischkritische Ausgabe. Besorgt von Richard Maria Werner. Dritte Abteilung: Briefe. Bd. 5: 1852–1856. Berlin 1906, S. 262–264, hier S. 263  f. [Nr. 515].

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Einige Monate später macht der von Schmidt über Jahre schwer attackierte Hebbel42 seinem Unmut über den „kritischen Attila, der in Leipzig sein Wesen treibt“,43 ein weiteres Mal Luft. Hebbel polemisiert nicht nur gegen die seiner Ansicht nach völlig unpoetischen Poetisierungsversuche des gemeinen ‚Philisters‘ in Soll und Haben, in erster Linie stört ihn das cliquenhafte Zusammenspiel Freytags und Schmidts: Hätte er [Julian Schmidt; P. B.] sich enthalten, seinen Freund und Consorten über alles Maaß anzupreisen, so würde er sich trotz des Defects seiner Natur noch meine volle Achtung erobert haben; doch mit so viel Scharfsinn für die wirklichen oder scheinbaren Schwächen der Gegner kann sich so viel Blindheit für die Mängel des Genossen unmöglich vereinigen […] und so stoßen wir denn bei unserem Nicolai redivivus […] doch zuletzt auf das, was er so grimmig haßt und so blutig bekämpft, nämlich auf die Clique. […] Uebrigens ist es bei den Herren Schmidt und Freitag […] interessant, zu beobachten, wie sie sich kritisirend und producirend in die Hände arbeiten. Der Eine setzt dem Philister aus einander, daß er viele falsche Götter angebetet hat […]. Der Andere geht noch einen Schritt weiter, er ruft ihm zu: Du brauchst Niemand anzubeten, als Dich selbst! Und portraitirt ihn.44

Was Hebbel hier in seiner von vielen Verletzungen zeugenden Brachial-Polemik auf den Punkt bringt, darüber haben die Zeitgenossen sich bereits mokiert, ehe Freytag seinen Roman veröffentlichte und das Zusammenwirken der beiden GrenzbotenRedakteure noch dem Letzten offenkundig wurde. Schon am 29. September 1853 erscheint in der von Ferdinand Gustav Kühne herausgegebenen Zeitschrift Europa innerhalb von Herbert Königs45 Karikaturen-Reihe „Eine Gallerie von Zeitgenossen“ eine Zeichnung „Die literarischen Grenzjäger“ (Abb. 13)46, die die Rollenaufteilung zwischen Freytag und Schmidt treffend illustriert und karikiert:

42 Zur Auseinandersetzung Hebbels mit den Grenzboten, insbesondere mit Julian Schmidt vgl. die Dokumente und Anmerkungen bei: Hans Wütschke (Hg.): Hebbel in der zeitgenössischen Kritik. Berlin 1910 (Reprint: Nendeln 1968), S. 61–121. – Vgl. in diesem Kontext auch: Hargen Thomsen: Hebbel und der Realismus. In: Hebbel-Jahrbuch 50 (1995), S. 115–153. 43 Friedrich Hebbel: Tagebücher  II. Eintrag vom 14. August 1854 [5338]. In: ders.: Werke, hg. von Gerhard Fricke, Werner Keller u. Karl Pörnbacher. Bd. 5. Darmstadt 1967, S. 179. 44 Friedrich Hebbel an Friedrich von Uechtritz, 3. Januar 1856 [1595]. In: ders.: Briefwechsel 1829– 1863. Historisch-kritische Ausgabe in fünf Bänden (Wesselburner Ausgabe), hg. von Otfrid Ehrismann, U. Henry Gerlach, Günter Häntzschel u.  a. München 1999, S. 262–264, hier S. 263. 45 Das Kürzel ‚Herbert K.‘ wurde irrtümlich Herbert Knilling zugeordnet, tatsächlich handelt es sich bei dem Künstler jedoch um Herbert (auch: Heribert) König, vgl. Wolfgang Rasch: „Die Freiheit der Zerrbilder“ – Karl Gutzkow in der zeitgenössischen Karikatur. In: Hubertus Fischer u. Florian Vaßen (Hg.): Politik, Porträt, Physiologie. Facetten der europäischen Karikatur im Vor- und Nachmärz. Biele­ feld 2010, S. 105–134, hier S. 125. 46 Herbert K[önig]: Eine Gallerie von Zeitgenossen: Die literarischen Grenzjäger. In: Europa. Chronik der gebildeten Welt, 29. September 1853 (No. 79), S. 632. Die Karikatur ist außerdem abgedruckt in: Eine Gallerie von Zeitgenossen (1853). [Den Mitgliedern des Berliner Bibliophilen-Abends aus Anlaß der Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens am 15. März 1930 gewidmet], Berlin 1930, S. 11. Sie findet sich darüber hinaus in folgender Mappe des Weimarer GSA: GSA 19/423.

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Abb. 13: Das ‚Grenzboten-Duo‘ Freytag und Schmidt in der zeitgenössischen Karikatur Herbert Königs: „Die literarischen Grenzjäger“ (1853)

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Unter der Zeichnung ist der folgende Text zu lesen: Julian.

Kommt mir nur in mein Gehege! Gebt mir Futter, immer mehr!

Gustav.

Artig, artig, mein College! Freund, es scheint, Du wüthest sehr!

Publicum.

Ha, „bis zum Erschrecken nüchtern!“ Aber laßt Euch nicht verschüchtern! Jeder thue was er muß. Grazie und Cerberus.

Die Karikatur setzt Julian Schmidt als Gustav Freytags47 Kettenhund in Szene. Neben sich hat Schmidt einen großen Tintentopf mit „Recensenden Galle“ stehen, mit dem er sich über sein „Futter“, nämlich die ihm „zu gütigen Besprechung übersendet[en]“ Bücher hermacht. Dass die Tinte auf einem Band mit der Aufschrift „Literaturgeschichte“ abgestellt ist, verweist nicht bloß auf deren gleichfalls kritisch-polemischen Charakter; angedeutet ist damit Schmidts – gleichermaßen für Rudolf Gottschall oder Robert Prutz typische – Praxis, seine Literaturkritiken später in großen Teilen in die eigene Literaturgeschichte zu übernehmen. Das Publikum ist hier zugleich schreckerfüllt und bestens unterhalten von Schmidts fast immer polemischen Verdammungsurteilen, auf die wohl mit der Wendung „bis zum Erschrecken nüchtern“ angespielt wird.48 Wegen des „polemologischen Zug[s] seiner Lektüren“ und der „Rigorosität“ seiner Besprechungen hat Ingo Stöckmann bei Schmidt „eine Rhetorik der Vernichtung“ am Werk gesehen.49 Der polemische Ursprung des Grenzboten-Realismus wurde zeitgenössisch schon kritisch registriert, ehe Freytag mit seinem Programmroman Erfolge feiern konnte. Selbst in der auf den ersten Blick einigermaßen fachfremden Neuen Zeitschrift für Musik findet sich 1854 eine Generalabrechnung mit den dort detailliert beschriebenen Defizit-Diagnosen des Leipziger „Kuckucksjournals“ – der Wutausbruch der ‚Fachzeitschrift‘ ist dabei (vor dem Hintergrund einer funktionalen Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche und Öffentlichkeiten) zugleich lesbar als Einspruch gegen

47 Hier dargestellt mit seiner ‚Valentine‘. 48 In seiner Literaturgeschichte von 1853 finden sich ganz ähnliche Formulierungen. Über Karl Immermanns ‚nüchterne Gedichte‘ heißt es darin etwa, sie seien „nackte Prosa, bis zum Erschrecken unschön in der Form und dürftig im Inhalt“; Charlotte Birch-Pfeiffer ist für Schmidt „zum Erschrecken arm“ und Ludwig Börne „zum Erschrecken dürftig“ (Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. Leipzig 1853, Bd. 1, S. 438, 198; Bd. 2, S. 160). 49 Stöckmann: Julian Schmidt, S. 136, 129. – Samuel Lublinski spricht 1900 ähnlich von Schmidts „Grausamkeit“, „Hinterlist“, „Gehässigkeit“ und „Unehrlichkeit“ (Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 72, 85, 89).

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die von den Grenzboten proklamierte Gesamtreflexion aller wichtigen „politischen, socialen und künstlerischen Erscheinungen“:50 Bedenkt doch nur Eure Methode! Generalisirt Ihr nicht Alles, tretet Ihr nicht Alles breit, löst Ihr nicht jede prägnante Erscheinung in etwas Rauch und Asche auf; schneidet Ihr nicht jedem Schaffenden wie dem Polypen die Bauchlänge auf, dreht ihn um und sagt: „Da ist wieder nichts und immer nichts und ewig nichts! […] Wo ist ein Autor, den ihr […] treut und immer liebevoll vermitteltet?51

Ein solcher Autor sollte sich bald in den eigenen Reihen des Blatts finden. Zunächst allerdings unterzog Schmidt in seinen literaturkritischen und literaturhistorischen Arbeiten unterzog die gesamte Literaturgeschichte sowie das gesamte literarische Feld der Gegenwart einer kritischen Revision.52 Vor allem auf die Romantiker und die Dichter des Jungen Deutschland hatte Schmidt es abgesehen. „Julian spießt mit seiner Feder allwöchentlich einen Jungdeutschen auf, am Liebsten Gutzkow“, wird Theophil Zolling Schmidts literaturkritische Tätigkeit für Die Grenzboten aus der Rückschau des Jahres 1889 zusammenfassen (s. Kap. 5).53 Gutzkow selbst nannte den Literaturkritik-Teil der Grenzboten (wegen des grünen Umschlags auch genannt: ‚Grüne Blätter‘) jene „vorzugsweise der ästhetischen Jagd gewidmeten Spalten des leipziger Journals, an welchem bekanntlich nichts grün ist als sein Umschlag“.54 Für die zeitgenössische Feldpolitik der Grenzboten-Redakteure findet die Karikatur hier ganz ähnlich das Bild von den ‚literarischen Grenzjägern‘ – von Aufsichtsbeamten in den Gefilden der Literatur also. So wie ‚Grenzjäger‘ im zeitgenössischen Verständnis die Grenzen kontrollieren und einen widerrechtlichen Wareneingang unterbinden,55 beanspruchen Freytag und Schmidt, Grenzziehungen und -kontrollen im literarischen 50 Schmidt/Freitag: Den Lesern der Grenzboten, S. 2. 51 N. N.: Die Grenzboten als neueste Zeitschrift für Musik. Eine psychologische Studie. In: Neue Zeitschrift für Musik 40 (1854), 24. Februar 1854 (No. 9), S. 85–92, hier S. 86. 52 „So stellte er als Grundzug der zeitgenössischen deutschen Dichter, deren er einen nach dem andern zerriß, einen kränklichen und weichlichen Idealismus hin, der seine Ahnen in unserer großen Dichtung habe. Er erklärte diesen Idealismus für unsere Nationalkrankheit, die auch die politischen Schiffbrüche verschuldet habe. Damit wollte er die ungeberdige Heftigkeit seiner kritischen Angriffe rechtfertigen. Die Wirksamkeit von Dichtern wie Gutzkow, Hebbel u.  s. w. erklärte er für höchst verderblich“ (Rößler: [Art.] ‚Schmidt, Julian‘, S. 762). 53 Theophil Zolling: Gustav Freytag als Journalist. In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 35 (1889), 23. Februar 1889 (Nr. 8), S. 119–122., hier S. 120. 54 Karl Gutzkow: Ein neuer Roman. I. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd 3 (1855), Nr. 35, S. 558– 560, hier S. 558. 55 Unter ‚Grenzjäger‘ werden damals allgemein ein „Grenzförster“ verstanden sowie genauer: ein „militärisch bewaffneter Beamter, der an den Grenzen eines Landes die Aufsicht hat, daß nicht verbotene, od. mit Zoll belegte Waaren heimlich eingeführt werden“. N. N.: [Art.] ‚Grenzjäger‘. In: Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe (1857–1865, 19 Bde.). Vierte, umgearbeitete und stark vermehrte Aufl. Bd. 7: Gascognisches Meer–Hannok. Altenburg 1859, S. 585.

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Feld vornehmen zu können, oder mit Bourdieu gesagt: Sie beanspruchen das Legitimitätsmonopol, die Konsekration von literarischen Produkten und Produzenten.56 Als Literaturkritiker und ‚Literaturhistoriker‘ vertritt Julian Schmidt einen normativen Ansatz. Er versteht sich als Kunstwächter und begreift neben seinen literaturkritischen Aufsätzen auch seine Literaturgeschichtsschreibung als eine Art ‚Kampfinstrument‘, das primär auf die Auseinandersetzungen im literarischen Feld der Gegenwart gerichtet ist, das den ‚Geschmack‘ des lesenden Publikum beeinflussen soll und für das ein scharfer Ton unerlässlich ist.57 In der Einleitung seiner Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert von 1853 heißt es entsprechend: Die Fiction, außerhalb der streitenden Gegensätze zu stehen, wäre die schlechteste Voraussetzung für einen Geschichtsschreiber der Gegenwart: wir müssen mit unserer Darstellung zunächst an unsere Zeitgenossen denken, erst in zweiter Linie an die Nachwelt oder an die leidenschaftlose Wissenschaft. Ein literarhistorisches Werk, das für unsere Zeit Nutzen stiften will, muß vor Allem eine strenge, unerbittliche Kritik ausüben.58

Gerade Schmidts explizit ‚unwissenschaftlicher‘ Ansatz wird dazu führen, dass mit der Entstehung einer sich professionalisierenden (Gegenwarts-)Literaturwissenschaft zunehmend an Anerkennung verliert, auch wenn in Person von Wilhelm Scherer einer der Begründer des Fachs die Orientierungsfunktion von Schmidts Arbeiten für die jüngere Generation später bestätigen wird.59 Als sich das literarische Feld spätestens im Übergang von den 1850er zu den 1860er konsolidiert hatte, erschien Schmidts Tonlage jedoch kaum mehr zeitgemäß. Freytags Aufgabe besteht in der Karikatur darin, seinen Kollegen zu mäßigen: „moderato!!!“ ist auf der Hundeleine zu lesen. Freytag stand Schmidts radikaler Polemik mindestens kurz vor Ende der Zusammenarbeit 1861 wohl etwas kritischer gegenüber60 und fand auch politisch kaum mehr zu einer gemeinsamen Linie mit ihm.61 Die Freundschaft der beiden hat daran keinen Schaden genommen und es gibt in den Quellen keine Hinweise darauf, dass Freytag

56 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 353  f. 57 Ludwig Speidel fasste dies 1895 in entsprechender Metaphorik zusammen: „Der einzige Julian Schmidt wirkte […] wie ein ganzes Heer; das kleine Gefecht führte er in den ‚Grenzboten‘, in geschlossener Phalanx rückte er in seiner Literaturgeschichte vor“ (Speidel: Gustav Freytag, S. 340). 58 Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1. 1853, S. 1. 59 „Julian Schmidt gab mir nicht nur einen vorläufigen Standpunct in allen literarischen und ästhetischen Fragen, der mir half, mich in dem Labyrinthe der deutschen Dichtungsgeschichte zurechtzufinden. Er war auch der erste, bei dem mir die politische Richtung nahetrat und mich überzeugend ergriff, die mir bis heute geblieben ist“ (Wilhelm Scherer: An Gustav Freytag [Deutsche Zeitung, Nr. 5219, 13. Juli 1886]. In: ders.: Kleine Schriften. Bd. 2: Kleine Schriften zur neueren Litteratur, Kunst und Zeitgeschichte, hg. von Konrad Burdach u. Erich Schmidt. Berlin 1893, S. 36–39, hier S. 38). 60 Vgl. Susteck: [Art.] ‚Schmidt, Heinrich Julian Aurel‘; Otto: Gustav Freytag und Julian Schmidt. 61 Thormann: Der programmatische Realismus der „Grenzboten“, S. 41  f.

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in der wichtigsten Schaffensphase der Grenzboten – dem nachrevolutionären Jahrzehnt – nicht vollkommen mit dem Inhalt und der Form von Schmidts Kritiken im Einverständnis war. Noch 1866 wird Freytag zwar andeuten, dass Julian Schmidts Kritik an der Literatur der Klassik im Nachhinein übertrieben erscheint und der Einfluss der trivialen Massenliteratur dagegen zu wenig beachtet wurde (s. Kap. 2.3.2), insgesamt verteidigt und würdigt er dessen Wirken aber auch aus dem Abstand von einigen Jahren. Ausdrücklich bejaht Freytag dabei öffentlich die Art und Weise, in der Schmidt im literarischen Feld der Zeit ‚gründlich aufgeräumt‘ habe: Julian Schmidt war es, der in diesem Blatt, entschiedener und geistvoller als einer der Zeitgenossen, die Pflicht des Kritikers gegen das Unhaltbare in unserer Kunst und Poesie übte. Nach allen Seiten fielen seine Streiche, keine Autorität, kein ängstlich geförderter Ruf kümmerte ihn, als ein ehrlicher und sittenstrenger Mann legte er den Maßstab des ethischen und künstlerischen Bedürfnisses einer neuen Zeit an das Vorhandene. Uns vor allen ziemt daran zu erinnern, wie nothwendig und segensreich diese Thätigkeit war, die alte Gefühlsseligkeit, die frivole Opposition, in welche kraftloses Schaffen zu deutscher Zucht und Sitte getreten war, forderten einen eifrigen und strengen Richter. Oft hat er die behagliche Eitelkeit der Schriftsteller gekränkt, Vielen war die radicale Behandlung liebgewordener Autoritäten unbequem, die Einen zürnten, daß er Lob und Tadel ungleich temperire, Andere, daß er auch grünes Reis mit dem welken Gestrüpp niederschlage. Alle diese Beschwerden hatten damals wenig zu bedeuten; denn es galt in der That, gründlich aufzuräumen mit schlechten literarischen Richtungen und streng zu sein gegen die selbstgefällige Schwäche eines jüngeren Geschlechts, welches in Patronage und Cliquenwesen unserer kleinen Blätter ganz verlernt hatte, ein mannhaftes Urtheil zu hören und an die eigene Arbeit einen großen Maßstab zu legen.62

Schmidts ‚Feldzüge‘ wurden nicht allein von Freytag, sondern auch von anderen Akteuren des Feldes begrüßt. So schreibt der Redakteur Friedrich Pletzer 1855: Es thut der Literatur unserer Zeit noth, daß ein Blitz in die „Stickluft“, ein Schwert unter das „scrophulöse Gesindel“ fahre, oder um ein anderes Bild zu gebrauchen, daß eine unbeugsame und unwiderstehliche Kraft aufräume in dem von Unkraut und Schmarotzerpflanzen überwucherten Garten der Poesie. Wer dies Geschäft der Reinigung übernimmt, der wird von mancher Nessel gestochen werden, aber er erwirbt sich ein Verdienst und vergißt leicht die Schmerzen, welche der Stich verursacht.63

Weil nur die wenigsten Autoren und Werke vor Schmidts angriffslustigen Urteilen bestehen konnten, entwickelte er sich zum profiliertesten, aber auch zum meistgefürchteten Literaturkritiker der Nachmärzjahre. Friedrich Spielhagen bezeichnete den heute als „eigentliche[r] Wortführers des ‚programmatischen Realismus‘“64 geltenden Schmidt in seinen Erinnerungen als den „damals weitaus einflußreichsten aller deut-

62 [Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt, S. 241  f. 63 Friedrich Pletzer: Gustav Freytag als Romandichter. In: Bremer Sonntagsblatt 3 (1855), Nr. 31, S. 244–246, hier S. 245. 64 Plumpe: Einleitung. In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, S. 62.

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schen Journalisten“.65 Tatsächlich war Schmidt vor allem in der Nachmärzperiode außerordentlich wirkmächtig und breitenwirksam. Seine 1853 erstmals erschienene und dann ständig erweiterte Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehn­ ten Jahrhundert erreichte bereits 1856 die dritte Auflage. Der Erfolg und insbesondere die Mittel, mit denen Schmidt diesen erworben hatte, machten ihn auch zu einem der meistgehassten Publizisten des kulturellen Feldes.66 Er sah sich seinerseits heftigen Angriffen gegenüber, deren Höhepunkt wohl Ferdinand Lassalles Streitschrift bzw. Abrechnung Herr Julian Schmidt der Literarhistoriker aus dem Jahr 1862 darstellt. Darin führt Lassalle Schmidt im nicht mehr steigerungsfähigen polemischen Furor anhand von dessen literarhistorischen Urteilen vor. Er beschimpft Schmidt als „Ignorantenkaiser, als „gedankenlose Schmeißfliege“, die die „Culturheiligthümer der Nation“ beschmutze und „[w]ie ein Hund vorzugsweis gern große Monumente bepißt“, nämlich die „monumentalsten Gestalten“ der deutschen Literaturgeschichte.67 Lassalles Invektiven sind über die Stellung Schmidts im literarischen Feld der Zeit hinaus aufschlussreich; sie verweisen nämlich auf sein Traditionsverhalten und die Positionierung der Grenzboten bzw. Soll und Habens gegenüber vorangegangen Romanen. Denn die hier bereits beschriebenen Verfahren der Distinktion, der resonanzstrategischen Positionierung und Selbstetablierung der eigenen Programmatik im literarischen Feld der Zeit gleichen den Verfahren der gattungshistorischen Positionierung. Die Karikatur, die das arbeitsteilige Rollenmodell Freytags und Schmidts auf die Formel „Grazie und Cerberus“ bringt, macht durch die Abbildung sowohl von Schmidts Literaturgeschichte als auch seiner Rezension schon auf diese doppelte Distinktion gegenüber dem literarischen Feld der Zeit einerseits und der Literaturgeschichte andererseits aufmerksam. Tatsächlich wertet Schmidt im Vorfeld von Soll und Haben nicht nur konkurrierende Romanentwürfe ab, sondern liest auch die ‚Klassiker‘ auf die eigene Programmatik hin. So veröffentlicht Julian Schmidt nur wenige Wochen vor dem Erscheinen von Soll und Haben in Die Grenzboten unter der Überschrift „Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit“68 eine ausführliche Auseinandersetzung mit Goethes Bildungsroman, 65 Friedrich Spielhagen: Erinnerungen aus meinem Leben. Durchgesehene Auswahl aus „Finder und Erfinder“, mit Einleitung und Anmerkungen hg. von Hans Henning. Leipzig 1911, S. 377. 66 So kritisierte beispielsweise auch Paul Lindau in einem offenen Brief an Schmidt u.  a. dessen „feuilletonisirende Wissenschaftlichkeit“, sein „geistreichelnde[s] Halsumdrehen“, sein „Gemisch von Grazie und Brutalität, Kenntnissen und Thorheiten“ (Paul Lindau: Deutsche Gründlichkeit und französische Windbeutelei. Offener Brief an den Literarhistoriker Herrn. Dr. Julian Schmidt. In: ders.: Literarische Rücksichtslosigkeiten. Feuilletonistische und Polemische Aufsätze. Leipzig 1871, S. 145– 157, hier S. 147). – Zur vielfachen Kritik an Schmidt vgl. auch die Ausführungen bei: Köster: Julian Schmidt als literarischer Kritiker; Stöckmann: Julian Schmidt. 67 Ferdinand Lassalle: Herr Julian Schmidt der Literarhistoriker. Berlin 1862, S. 52, 110. 68 [Julian Schmidt]: Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit. In: Die Grenzboten 14 (1855), I. Semester, II. Band, S. 441–455.

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die im Wesentlichen mit den fast zeitgleich erscheinenden Ausführungen in seiner Literaturgeschichte übereinstimmt.69 Bei aller Kritik, die Julian Schmidt hier und an anderer Stelle an Goethe und seinem Roman übt, stellt er deren kanonische Geltung nicht infrage. Das Werk wird von Schmidt zunächst als gattungsprägender Maßstab anerkannt („hier wird niemals genug zum Lobe des Wilhelm Meister gesagt werden können. Es giebt in Deutschland kein Werk, das ihm an äußerer Schönheit an die Seite zu stellen wäre“) und als strategisches Vehikel seiner Argumentation funktionalisiert, nach der es keinen gleichwertigen, der gegenwärtigen historischen Situation angemessenen Roman gebe: „Der spätere deutsche Roman ist keinen Schritt über ihn hinaus gegangen; er hat sich damit begnügt, ihm nachzustammeln.“70 Sodann erörtert Schmidt jene Kernpunkte der eigenen Literaturprogrammatik, die den ‚Meister‘ als nicht mehr zeitgemäß erweisen und zugleich zeigen sollen, wie der Roman der Gegenwart tatsächlich über diesen hinausgehen könne. Selbstverständlich kann Schmidt das Werk, das die Romantheorien von Hegel bis Vischer ebenso maßgeblich bestimmt hat wie die poetologischen Debatten seiner Zeit, nicht in gleicher Weise herabwürdigen, wie er dies teilweise mit konkurrierenden Entwürfen tut. Zudem folgt seine Abgrenzung der Distinktionslogik: Je größer der ‚Meister‘, desto (noch) größer diejenigen, die ihn überwinden. Die Grenzboten stehen überdies vor der Herausforderung einer doppelten Distinktion gegenüber der romantisch-klassischen Literatur einerseits und den jungdeutschen ‚Märzpoeten‘ andererseits, gegenüber der klassischen ‚Kunstperiode‘ und der bereits erfolgten Ausrufung ihres Endes. Schmidts Traditionsverhalten changiert insofern strategisch  – und in einer für die realistische Poetik „charakteristischen Doppelung“71 – zwischen einer mit Ähnlichkeitsbehauptungen operierenden Bestätigungsstrategie der eigenen Programmatik und einem aus der Gegenwartsperspektive Defizite diagnostizierenden Überbietungsanspruch. Dies zeigt sich etwa, wenn Schmidt direkt vor der Erörterung

69 Julian Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Erster Band: Weimar und Jena in den Jahren 1794 bis 1806. Zweite, durchaus umgearbeitete, um einen Band vermehrte Aufl. Leipzig 1855. 70 Beide Zitate: Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1. ²1855, S. 227. 71 So Schneider: „Die realistische Poetik der zweiten Jahrhunderthälfte lebt mit einer charakteristischen Doppelung: Einerseits behauptet sie das Ideal antiker Klassik und dessen Doppelung im Werk Goethes, andererseits entwickelt sie eine pragmatische Theorie der Literatur, die der eigenen historischen Situation angemessen sein will“ (Schneider: Realistische Literaturpolitik und naturalistische Kritik, S. 20). Erhellend in diesem Zusammenhang auch die Bemerkung Kinders: „Eben dies jedoch ist der eventuell interessanteste Aspekt an dem angesprochenen Verständnis von Realismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland: die Bedenken, das Unbehagen gegen die Vorstellungen von Kunst, die man von der ‚Kunstperiode‘ übernahm und von der man sich nicht loslösen konnte. Das Unbehagen gegenüber einer klassisch, idealistischen Kunstkonzeption, die ständig von der Wirklichkeit kompromittiert wurde“ (Kinder: Poesie als Synthese, S. 27).

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seines zentralen Kritikpunkts den Wilhelm Meister zugleich im Hinblick auf das eigene Programm (‚Allseitigkeit der Darstellung‘ und ‚Poesie des wirklichen Lebens‘) deutet: Der Roman strebt in seiner Darstellung der deutschen Gesellschaft nach einer gewissen Allseitigkeit. Von den späteren Versuchen der Romantiker unterscheidet er sich dadurch, daß er nicht ins Reich der Chimären flüchtet, sondern das wirkliche Leben poetisirt. Nun vermissen wir aber unter den Classen, die er darstellt, zunächst das wichtigste Moment des deutschen Volkslebens, das Bürgerthum. Werner, der Repräsentant desselben ist ein armseliges Zerrbild. Die Arbeit, die sich einem bestimmten Zweck hingibt, und diesem Zweck alle Kräfte opfert, erscheint als ein Widerspruch gegen das Ideal, weil sie ein Widerspruch gegen die Freiheit und die Allseitigkeit des Bildungstriebes ist. Nur der Adel, nur die Classe der Genießenden, die ihre Freiheit an keinen bestimmten Beruf verpfändet, hat Theil an der Poesie des Lebens.72

Hatte Novalis Goethe noch vorgeworfen, mit dem Wilhelm Meister ein „Evangelium der Oeconomie“73 geschaffen zu haben, sieht Julian Schmidt in Goethes Roman das bürgerliche ökonomische Gewerbe diskreditiert. Seine Kritik gibt gewissermaßen die Losung ‚Gerechtigkeit für Werner‘ – also für den Bürger und Handelsvertreter – aus. Schmidt beklagt damals in „Weimar und Jena“ gleichermaßen dominanten „Glaube[n] alle Gebildeten, daß die einzig würdige Thätigkeit des Menschen, der mit sich selbst übereinstimmen wolle, die Kunst sei, und daß nur der Künstler die wahre Bestimmung des Menschen erfülle. Das ist das Evangelium, welches der Wilhelm Meister zu verkünden unternimmt.“74 Die Figur des Werner ist nicht nur als Handelsmann, sondern unter anderem auch deshalb ein geeigneter Anknüpfungspunkt für Schmidt, weil schon er an Wilhelm diesen Zug kritisiert, „auf das Unreellste von der Welt einen so großen Wert und das Gewicht seiner ganzen Seele“ zu legen.75 Jenem von Werner verkörperten ‚praktischen‘ „Stand, welcher die feste Grundlage der Gesellschaft bilden muß“,76 nämlich dem Bürgertum, sei – so Schmidt – in der Darstellung von Goethes Roman Unrecht geschehen; zudem habe Goethe es versäumt, die ‚Arbeit‘ und das ‚wirkliche Leben‘ zu poetisieren.77 Resonanzstrategisch günstig  – nämlich direkt vor seinen Ausführungen zu Gustav Freytag platziert – weist Schmidt auch in der dritten Auflage seiner Literaturgeschichte von 1856 im Abschnitt zum Verhältnis von Roman und bürgerlicher Gesell-

72 [Schmidt]: Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit, S. 448  f. 73 Novalis: Fragmente und Studien. In: ders.: Schriften. Bd. 3: Das philosophische Werk, hg. von Richard Samuel. Darmstadt 1968, S. 647. 74 [Schmidt]: Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit, S. 443. 75 Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre. In: ders.: Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 7: Romane und Novellen II, hg. von Erich Trunz. München 1998, S. 39. – Zur Konzeption von Wilhelm und Werner in Goethes Wilhelm Meister vgl. allgemein: Heinrich Macher: Wilhelm und Werner. Zur Persönlichkeitskonzeption in Goethes „Wilhelm Meister“. In: Helmut Brandt u. Manfred Beyer (Hg.): Ansichten der deutschen Klassik. Berlin/Weimar 1981, S. 209–232. 76 [Schmidt]: Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit, S. 449. 77 Vgl. [Schmidt]: Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit, S. 453  f.

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schaft noch einmal auf diesen seiner Ansicht nach entscheidenden Makel hin, der Goethes Roman als nicht zeitgemäß definiere: Im Wilhelm Meister unternahm der Dichter die Verherrlichung des Adels und der Künstler im Gegensatz gegen die Verkümmerung des Bürgerthums. Das Ideal seines Lebens war harmonische Ausbildung aller Kräfte; und diese war nur den bevorzugten Ständen oder den Vagabunden möglich, denn der Bürger ging in einseitiger Tätigkeit unter und hatte innerhalb der Gesellschaft keine Ehre.78

Dass eine solche soziale Verortung der „Poesie des Lebens“, wie sie Goethe mit seiner „Wallfahrt nach dem Adelsdiplom“ (Novalis)79 Schmidt zufolge vornimmt, gegenüber der Poesie bürgerlichen Lebens, wie sie Die Grenzboten proklamieren, allenfalls noch insofern berechtigt ist, als die eine als Entwicklungsschritt hin zur anderen zu verstehen ist, stellt das realistische Programmorgan bereits 1849 klar: Jene Periode war nicht eine klassische; der Eine hat es dem Andern so oft vorgesagt, daß es zuletzt zu einer Art Glaubensartikel geworden ist; sie war die nothwendige, aber krankhafte Uebergangsphase zu einer neuen Bildungsform, und ihre Productionen sind in diesem Sinn, und nur in diesem, vollkommen berechtigt.80

Die „Jubelfeier“ zum hundertsten Geburtstag Goethes nehmen Die Grenzboten zum Anlass für dessen Denkmalsturz. Goethe wird hier argumentationslogisch zum literarhistorischen Absatz jener Treppe degradiert, die zum Grenzboten-Realismus führt. Zwar bemüht sich auch dieser Text anfänglich um Abgrenzung von der jungdeutschen Goethe-Kritik, konsequent wird hier jedoch die ‚Überwindung der naiven Verehrung eines Dichters‘ gefordert,81 der nach den politischen wie literarästhetischen Kriterien der Grenzboten den Anforderungen des nachrevolutionären bürgerlichen Zeitalters nicht (mehr) entspricht: Wir müssen erst zu der Erkenntnis kommen, daß der Faust von Anfang bis zu Ende ein schlechtes Stück ist, ehe wir berechtigt sind, an seinen wunderbaren Schönheiten uns zu erfreuen. Noch steht der Genius, der in Goethe seinen vollkommensten Ausdruck gefunden hat, unserem Leben in zu feindlicher Nähe, als daß wir uns ihm unbefangen hingeben dürfen; wir müssen ihn erst vollständig überwunden haben, ehe wir ihn lieben dürfen.82

78 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ³1856, S. 296. 79 Novalis: Werke, S. 546. 80 [Julian Schmidt]: Zu Goethe’s Jubelfeier. In: Die Grenzboten 8 (1849), II. Semester, III. Band, S. 201– 211, hier S. 204. 81 [Schmidt]: Zu Goethe’s Jubelfeier, S. 203. 82 [Schmidt]: Zu Goethe’s Jubelfeier, S. 203.

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Das Problem der Dichtung, wie sie Goethe verkörpere, bestehe darin, dass sie sich im „Gegensatz zur Welt empfinde[t]“;83 die geballte Kritik des Organs richtet sich daher gegen Gestalten […] wie Faust, wie Werther, wie Tasso, wie Wilhelm Meister, denen die Alltäglichkeit des bürgerlichen Mechanismus eine Quaal [!] war. […] Heute dagegen, wo in jedem Ladendiener […] ein kleiner Werther, ein kleiner Faust, ein kleiner Wilhelm Meister steckt, heute ist die Poesie, welche die Sehnsucht ins Blaue feiert, vom Uebel.84

Wie zuvor im Hinblick auf die zeitgenössische Romanproduktion, so beschreiben und entwerfen die Herausgeber der Grenzboten auch mit Blick auf die Literaturgeschichte jene leere Position, die nach eigener Betrachtung nur sie selbst zu diagnostizieren und zu besetzen in der Lage sind. Etwa ein Jahr vor dem Erscheinen von Soll und Haben macht Julian Schmidt deshalb auf dem Feld des Romans „Tabula rasa“.85 Konnte ihm zuvor bereits Kellers Der grüne Heinrich lediglich verhaltenes Lob abringen,86 so verbindet Schmidt unter dem Titel Der sociale Roman in Deutschland seine Kritik an Goethes Bildungsroman mit der Kritik zweier zeitgenössisch konkurrierender Gegenentwürfe, die ihrerseits Feldhoheit beanspruchten und von ihren Verfassern ihrerseits als ‚Anti-Wilhelm Meister‘ positioniert wurden: Karl Immermanns Die Epigonen87 sowie Karl Gutzkows Die Ritter vom Geiste.88 In dieser Vorarbeit zur umfangreicheren ‚Meister-Kritik‘ von 1855 übernimmt Schmidt Novalis’ ‚Meister-Kritik‘, dieser sei „ein Candide, gegen die Poesie“89 – allerdings vom Standpunkt seines Poesiebegriffs bürgerlichen Lebens:90 83 Ähnlich heißt es später in Schmidts Literaturgeschichte: „Die Künstler und Schriftsteller der goldenen Zeit von Weimar […] haben die Künstler daran gewöhnt, das wirkliche Leben zu verachten und sich ihm zu entfremden“ (Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1. ²1855, S. 343). 84 [Schmidt]: Zu Goethe’s Jubelfeier, S. 204. 85 So in Anlehnung an Rosenberg, der über Schmidts Literaturgeschichte schreibt: „Fazit von Julian Schmidts Literaturgeschichte von 1853 war, was die Vorbilder für das Leben und die Literatur des nachmärzlichen deutschen Bürgertums anbetraf, somit letzten Endes eine Tabula rasa“ (Rainer Rosenberg: Zehn Kapitel zur Geschichte der Germanistik. Literaturgeschichtsschreibung. Berlin 1981, S. 94). 86 Vgl. [Julian Schmidt]: Neue Romane. Der grüne Heinrich, Roman von Gottfried Keller. In: Die Grenzboten 13 (1854), I. Semester, I. Band, S. 401–405. – Auch hier spricht Schmidt gleich im dritten Satz von den „Fehler[n], die wir in demselben nachzuweisen haben“ (S. 401) und disqualifiziert den Autor, indem er ihm romantische Irrwege unterstellt. 87 Vgl. dazu: Meier: Goethezeit, S. 294–298. 88 So meinte Theodor Mundt über Immermann, dieser habe mit seinem Roman „einen Wilhelm Meister der modernen Verhältnisse schreiben wollen“ [Theodor Mundt: Immermann und die Epigonen (Fortsetzung). In: Zeitung für die elegante Welt 36 (1836), 2. August 1836 (Nr. 150), S. 398–399, hier S. 398]. – Zu Gutzkows Anspruch einen „politischen Wilhelm Meister“ verfasst zu haben, siehe auch Kap. 5. 89 Novalis: Werke, S. 546. 90 Vgl. [Julian Schmidt]: Der sociale Roman in Deutschland. In: Die Grenzboten 13 (1854), I. Semester, II. Band, S. 41–47, hier S. 43.

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„Die Ahnung einer tiefern Poesie des Lebens dämmert […] wenn auch nur räthselhaft und unbefriedigend in diese Welt des Scheins“.91 Schmidt kritisiert im Kern, dass „der Bürgerstand […] in sich selbst keinen Inhalt“ fände; „[d]er Versuch, das bürgerliche Leben selbst zu idealisiren, war einem späteren Zeitalter vorbehalten“92 – Gutzkow und seiner „Generation“ sei dies nicht gelungen, sie sei vielmehr „in die widerwärtigsten Mißgriffe verfallen“.93 So wie Bourdieu Robbe-Grillet nachsagt, dieser habe die Selbstdeutung seiner alten Werke im Zuge der ästhetischen Veränderung „auf die neue Perspektive“94 ausgerichtet, so positionieren sich – positiv wie auch negativ – Die Grenzboten gegenüber der Gattungstradition. Julian Schmidts literarhistorische sowie literaturkritische Aufsätze und Arbeiten stellen sich in diesem Sinne als eine auf das eigene Programm perspektivierte Literaturkritik bzw. Literaturgeschichtsschreibung des Defizits dar.95 Schmidt bleibt dieser Linie auch der Veröffentlichung von Soll und Haben treu und bemängelt etwa 1858 an einem konkurrierenden Romanentwurf wie Stifters Der Nachsommer u.  a. die „ungebührliche[] Verehrung der socialen Aristokratie“.96 Nun nimmt Freytag in einer Passage von Soll und Haben, in der sein Held Anton Wohlfart das Poesiekonzept des Romans erläutert, ausgerechnet bei jener Figur Anleihen, der nach Schmidt im Wilhelm Meister im Unterschied zum Adel Ungerechtigkeit widerfahren sei: an dem Kaufmann Werner, der gleich im ersten Gespräch mit Wilhelm die doppelte Buchführung, das ‚Soll und Haben‘, lobt: Welchen Überblick verschafft uns nicht die Ordnung, in der wir unsere Geschäfte führen! Sie läßt uns jederzeit das Ganze überschauen, ohne daß wir nötig hätten, uns durch das Einzelne verwirren zu lassen. Welche Vorteile gewährt die doppelte Buchhaltung dem Kaufmanne! Es ist eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes, und ein jeder gute Haushalter sollte sie in seiner Wirtschaft einführen.97

91 [Schmidt]: Der sociale Roman in Deutschland, S. 42. 92 [Schmidt]: Der sociale Roman in Deutschland, S. 42. 93 [Schmidt]: Der sociale Roman in Deutschland, S. 43. 94 Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 93. 95 Auch dies ist für die Epoche durchaus nicht untypisch. Ähnlich perspektiviert Prutz seine literarhistorischen Arbeiten nicht auf eine ‚gerechte Würdigung‘ der Vergangenheit, sondern primär auf das literarische und politische Feld der Gegenwart: „Daher ist auch der Ziel- und Augenpunkt der gegenwärtigen Literaturgeschichte nicht die Vergangenheit und deren ästhetische Verherrlichung: sondern auf die Gegenwart zielt sie, die sie über sich selbst aufklären, zu neuen Schöpfungen, ja zu neuen Thaten anregen […] will“ (Robert Eduard Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus. Zum ersten male vollständig aus den Quellen gearbeitet. Erster Theil. Hannover 1845, S. 6). Vgl. dazu auch: Claude D. Conter: Kommunikationsgeschichte als Literaturgeschichte. Robert Eduard Prutz’s „Geschichte des deutschen Journalismus“ (1845) als Vorläufer einer historischen Kommunikationswissenschaft. In: Bernd Blöbaum u. Stefan Neuhaus (Hg.): Literatur und Journalismus. Theorie, Kontexte, Fallstudien. Wiesbaden 2003, S. 137–158, hier S. 144  f. 96 J[ulian] S[chmidt]: Adalbert Stifter. [Rez. zu:] Der Nachsommer. In: Die Grenzboten 17 (1858), I. Semester, I. Band, S. 161–172, hier S. 170. 97 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 37.

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Wird die „italienische Buchführung“ 1860 in Theodor Storms Späte Rosen als „scharfes Pulver gegen die Poesie“ bezeichnet,98 so bildet sie bei Freytags Roman die ‚poetische Headline‘99 bzw. Leitmetapher und ihr einst glühender Anhänger Werner den Anknüpfungspunkt für Freytags ‚Poesie des Geschäfts‘. Eigentlich aber hatte Freytag die metaphorische Gleichsetzung des „Soll und Haben“ mit der Buchhaltung bzw. dem Buch des Lebens – ebenso wie zentrale Elemente seiner Poetisierung des Handels in der Fortfolge Werners  – aus Friedrich Hackländers Roman Handel und Wandel. Meine Lehr- und Wanderjahre (1850) übernommen.100 Diesen Text hatte Schmidt nach Erscheinen zwar kurz, aber dafür einmal uneingeschränkt gelobt (was er selbst als Besonderheit auswies).101 Schon bei Hackländer wird die Möglichkeit einer Poetisierung des ‚prosaischen Handels‘ reflektiert, wird das Bild von einem weltumspannenden Handelsnetz entworfen, findet eine „Umdeutung des Prosaischen ins Poetische“ statt, indem das Kaufmännische „zu einer quasi-künstlerischen Tätigkeit“ erhöht wird.102 Nun sind einige dieser Elemente jedoch bereits im Wilhelm Meister angedeutet, so Wilhelm langsames Interesse für „das tägliche Leben der wirklichen Welt“ oder die für ihn ‚ergötzliche‘ Idee von der „lebhafte[n] Handelsstadt“ als einem „großen Mittelpunkt[], woher alles ausfließt und wohin alles zurückkehrt“ – sie bewirkt bei Wilhelm eine gewisse Faszination für die alltägliche „Tätigkeit“.103 Der Gedanke einer potentiellen dichterischen Idealisierung des Handels (bis hin zur Quasi-Kunst) wird m.  E. 98 Theodor Storm: Späte Rosen. In: ders. Sämtliche Werke in vier Bänden, hg. von Karl Ernst Laage u. Dieter Lohmeier. Bd. 1. Darmstadt 1998, S. 427–438, hier S. 428. 99 Bemerkenswerterweise hatten 1851 bereits die Blätter für literarische Unterhaltung die Verbindung von „Prosa und Poesie“, wie sie das Leben im Gegensatz zu den Literaturgeschichten aufweise, in das Bild „des Soll und Habens“ gekleidet (N. N.: Mancherlei. In: Blätter für literarische Unterhaltung 1851, Bd. 1: Januar–Juni, 1. Februar 1851 (Nr. 28), S. 112). 100 Vgl. Christian Stadler: Darwinistische Konkurrenz und ökonomisches Kalkül. Wilhelm Raabes Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Gesellschaft. Würzburg 2012, S.  203–209, bes. S.  205  f.; Christian Stadler: Unterdrückte Poesie. Der kranke Bürger in Wilhelm Raabes Erzählung „Deutscher Mondschein“. In: Dirk Göttsche u. Ulf-Michael Schneider (Hg.): Signaturen realistischen Erzählens im Werk Wilhelm Raabes. Anlässlich des 100. Todestages. Würzburg 2010, S. 125–135, hier S. 127  f. Christian Rakow: Die Ökonomien des Realismus. Kulturpoetische Untersuchungen zur Literatur und Volkswirtschaftslehre 1850–1900. Berlin/Boston 2013, S. 231–257, hier bes. S. 233 (Rakow betont zu Recht, dass Hackländers Roman Freytag „in vielem als Vorläufer dient“). – Vgl. in diesem Kontext auch: Helmut Schwitzgebel: Gustav Freytags „Soll und Haben“ in der Tradition des deutschen Kaufmannsromans. In: GFB 24 (1980), Nr. 41, S. 3–12; GFB 25 (1981), Nr. 42, S. 3–11; GFB 26 (1982), Nr. 43, S. 3–14, bes. Nr. 41, S. 7  f. – Hackländer wiederum spielte auf die nun mit Freytag verbundene Rede vom „Soll und Haben“ später in seinem Feuilletonroman Die Kainszeichen an (Kölnische Zeitung Nr. 14, 1. Blatt, 14. 01. 1873, S. 2). 101 Vgl. [Julian Schmidt]: Neue Romane. 2. [Rez. zu:] Handel und Wandel. In: Die Grenzboten 9 (1850), II. Semester, II. Band, S. 953. 102 Stadler: Unterdrückte Poesie, S. 127. – Zu Handel und Wandel im Kontext einer ‚Poesie der Ökonomie‘ vgl. genauer auch: Rakow: Die Ökonomien des Realismus, S. 231–240. 103 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 276.

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ebenfalls schon im Wilhelm Meister formuliert und zugleich vorgeführt, wenn Werner im Gespräch mit Wilhelm sagt: „‚[I]ch kann dir versichern, wenn du nur deine dichterische Einbildungskraft anwenden wolltest, so könntest du meine Göttin [den Handel; P. B.] als eine unüberwindliche Siegerin der deinigen kühn entgegenstellen“,104 und sodann in seinem insgesamt geradezu rauschhaften Monolog über den Handel selbst zur Allegorisierung ansetzt: Sie führt freilich lieber den Ölzweig als das Schwert; Dolch und Ketten kennt sie gar nicht; aber Kronen teilet sie auch ihren Lieblingen aus, die, es sei ohne Verachtung jener gesagt, von echtem, aus der Quelle geschöpftem Golde und von Perlen glänzen, die sie aus der Tiefe des Meeres durch ihre immer geschäftigen Diener geholt hat.105

In der Figur des Werner erkannte auch Schiller eine „apologie [!] des Handels“ sowie den ‚realistischen‘ Zug des Romanganzen, ja eine Tendenz zur Poetisierung des ‚Realen‘ – an Goethe schreibt er: „Diese Figur ist auch deswegen so wohltätig für das Ganze, weil sie den Realism zu welchem Sie den Helden des Romans zurückführen erklärt und veredelt.“106 Die Geburt Antons aus Werner im Geiste des Handels wird offenkundig, wenn man Werners Monolog gegenüber Wilhelm mit jenem vergleicht, zu dem Anton im ‚Poesiegespräch‘ mit Bernhard Ehrenthal ansetzt: [Werner]: „[I]ch wüßte nicht, wessen Geist ausgebreiteter wäre, ausgebreiteter sein müßte als der Geist eines echten Handelsmannes. […] Glaube mir, es fehlt dir nur der Anblick einer großen Tätigkeit, um dich auf immer zu dem Unsern zu machen; und wenn du zurückkommst, wirst du dich gern zu denen gesellen, die durch alle Arten von Spedition und Spekulation einen Teil des Geldes und Wohlbefindens, das in der Welt seinen notwendigen Kreislauf führt, an sich zu reißen wissen. Wirf einen Blick auf die natürlichen und künstlichen Produkte aller Weltteile, betrachte, wie sie wechselweise zur Notdurft geworden sind! Welch eine angenehme, geistreiche Sorgfalt ist es, alles, was in dem Augenblicke am meisten gesucht wird und doch bald fehlt, bald schwer zu haben ist, zu kennen, jedem, was er verlangt, leicht und schnell zu verschaffen, sich vorsichtig in Vorrat zu setzen und den Vorteil jedes Augenblickes dieser großen Zirkulation zu genießen! Dies ist, dünkt mich, was jedem, der Kopf hat, eine große Freude machen wird. […] Wenn du siehst, wie viele Menschen beschäftiget sind; wenn du siehst, wo so manches herkommt, wo es hingeht, so wirst du es gewiß auch mit Vergnügen durch deine Hände gehen sehen. Die geringste Ware siehst du im Zusammenhange mit dem ganzen Handel, und eben darum hältst du nichts für gering, weil alles die Zirkulation vermehrt, von welcher dein Leben seine Nahrung zieht.“107

Was Werner gegenüber Wilhelm bezeichnenderweise nur abstrakt und aus eher egoistisch-vernünftiger Perspektive in Worte fassen kann (und sich d ­ ementsprechend 104 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 39. 105 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 39. 106 Schiller an Goethe, 9. Dezember 1794 und 3. Juli 1796. In: Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, S. 47, 194. 107 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 37–38.

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„jedem, der Kopf hat“, erschließen soll), illustriert und ‚romantisiert‘108 bzw. überhöht Anton  – beseelt vom ‚anziehenden‘ „Gefühl“  – emotional und lebensnah am ganzen „bunten Gewebe“. Der Warenhandel wird vom ihm als metonymisches zwischenmenschliches Beziehungsgeflecht beschrieben; er wird bei Anton gegenüber Werners Monolog nicht nur weiter poetisiert und emotionalisiert, sondern vom Menschen her gedacht (was an anderer Stelle allerdings auch bei Werner schon angedeutet ist).109 Im Unterschied zu Hackländers Handel und Wandel gestaltet sich der ‚Ausgleich zwischen Poesie und Prosa‘ im Kaufmannsberuf nicht als „problematischer Eingliederungsprozess“,110 Anton ist von der Poesie des Kaufmannsberufs seit Kindheitstagen an ergriffen. Für seinen Blick auf die „Poesie des Geschäftes“ (SuH, 327)111 ist entscheidend, dass der Warenverkehr der Verbindung von Menschen dient (vgl. auch: 60  f.), hat er „die Poesie dieser gemütlichen Beziehung“ (7) zwischen der Firma Schröter und seinem Vater doch schon als Kind in Form der Warensendungen und ihres „poetische[n]“ Kaffeeduftserfahren (7). Antons Vater wiederum nahm durch das genaue Verfolgen der Kaffeepreise Anteil am Schicksal des Kaufmanns Schröter (vgl. 8). So entstand „ein unscheinbares, leichtes Band, welches den Haushalt des Kalkulators mit dem geschäftlichen Treiben der großen Welt verknüpfte“ und für Anton zu einem „Leitseil“ wurde, „wodurch sein ganzes Leben Richtung erhielt“ (8). Der den Kaffeesendungen hier zugeschriebene Einfluss und die folgende Textstelle, in der sich der intertextuelle Bezug zwischen Anton und Werner am deutlichsten zeigt, waren wohl ein wesentlicher Grund, warum die Firma ‚Jacobs Kaffee‘ auf die Idee kam, Freytags Roman in den 1960er Jahren zu Werbezwecken zu verschenken112: [Anton]: „[I]ch weiß mir gar nichts, was so interessant ist als das Geschäft. Wir leben mitten unter einem bunten Gewebe von zahllosen Fäden, die sich von einem Menschen zu dem anderen, über Land und Meer, aus einem Weltteil in den anderen spinnen. Sie hängen sich an jeden einzel-

108 In Novalis’ Heinrich von Ofterdingen findet die romantische Bewusstseinswerdung des Helden ihren Abschluss darin, dass Heinrich alles in der Welt als Symbol einer auch Raum und Zeit entgrenzenden Alleinheit auffasst. In Soll und Haben, so könnte man sagen, funktioniert die ‚Romantisierung‘ des Handels, indem dieser zum Stifter einer realen Allverbindung und -verwobenheit verklärt wird. 109 So führt Werner im Gespräch mit Wilhelm weiter aus: „Nicht in Zahlen allein, mein Freund, erscheint uns der Gewinn; das Glück ist die Göttin der lebendigen Menschen, und um ihre Gunst wahrhaft zu empfinden, muß man leben und Menschen sehen, die sich recht lebendig bemühen und recht sinnlich genießen“ (Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 40). 110 Stadler: Unterdrückte Poesie, S. 127. 111 Zur ‚Poesie der Ökonomie‘ in Soll und Haben und zum Roman im Kontext einer realistischen ‚Wirtschaftspoetik‘ vgl. Rakow: Die Ökonomien des Realismus, S.  240–257, 455–457 et passim; vgl. hierzu außerdem Manuel Bauer: Ökonomische Menschen. Literarische Wirtschaftsanthropologie des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2016, bes. S. 106–170. 112 Vgl. Hans-Wolf Jäger: Gustav Freytag und der Journalismus. In: Astrid Blome u. Holger Böning (Hg.): Presse und Geschichte. Leistungen und Perspektiven der historischen Presseforschung. Bremen 2008, S. 241–258, hier S. 241.

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nen und verbinden ihn mit der ganzen Welt. Alles, was wir am Leibe tragen, und alles, was uns umgibt, führt uns die merkwürdigsten Begebenheiten aller fremden Länder und jede menschliche Tätigkeit vor die Augen; dadurch wird alles anziehend. Und da ich das Gefühl habe, daß auch ich mithelfe und, sowenig ich auch vermag, doch dazu beitrage, daß jeder Mensch mit jedem andern Menschen in fortwährender Verbindung erhalten wird, so kann ich wohl vergnügt über meine Tätigkeit sein. Wenn ich einen Sack mit Kaffee auf die Waage setze, so knüpfe ich einen unsichtbaren Faden zwischen der Kolonistentochter in Brasilien, welche die Bohnen abgepflückt hat, und dem jungen Bauernburschen, der sie zum Frühstück trinkt, und wenn ich einen Zimtstengel in die Hand nehme, so sehe ich auf der einen Seite den Malaien kauern, der ihn zubereitet und einpackt, und auf der anderen Seite ein altes Mütterlein aus unserer Vorstadt, das ihn über den Reisbrei reibt.“ (SuH, 239  f.)113

Literaturkritisch durch Julian Schmidt sensibilisiert, sind den Zeitgenossen diese intertextuellen Bezugnahmen natürlich nicht entgangen. So notiert etwa Karl August Varnhagen von Ense am 6. Mai 1856 in seinem Tagebuch: „[E]s ist, als hätte man aus dem Gewebe des ‚Wilhelm Meister‘ einen der dünneren Fäden herausgezogen und daraus – aus dem Werner – einen neuen Roman gemacht.“114 Dagegen völlig unpolemisch, vielmehr ganz im Sinne der Grenzboten, bezeichnet der Rezensent der Hamburger Nachrichten Freytags Roman als „moderne[n] Wilhelm Meister“ und übernimmt in seiner Rezension die paratextuell von Schmidt vor­buch­ stabierte und textuell von Freytag deutlich nahegelegte Argumentationslogik, nach der Soll und Haben als verbürgerlichter Wilhelm Meister, als die zeitgemäße bürger­ liche Entwicklungsgeschichte erscheint: Darin also besteht die Aehnlichkeit zwischen „Soll und Haben“ und „Wilhelm Meister“, daß ein Roman wie der andere darnach trachtet, die Stelle aufzusuchen, welche der Mensch inmitten der Gesellschaft, inmitten seiner Nation und den Richtungen seiner Zeit einzunehmen habe. Die Verschiedenheit beider Werke aber ist dennoch eine radicale. Wenn nämlich Göthe, damit sich die Bestimmung seines Helden erfülle, demselben eine phantastische Welt erschafft, so taucht Hr. Freytag den seinigen in die pure Prosa des Alltagslebens; aber er lehrt ihn die Poesie dessel-

113 Auf einige dieser textuellen Bezüge hat ausführlicher bereits Wirschem hingewiesen: Karin Wirschem: Die Suche des bürgerlichen Individuums nach seiner Bestimmung. Analyse und Begriff des Bildungsromans, erarbeitet am Beispiel von Wilhelm Raabes „Hungerpastor“ und Gustav Freytags „Soll und Haben“. Frankfurt a. M./Bern/New York 1986, S. 84–88; Ludwig Stockinger: Realpolitik, Realismus und das Ende des bürgerlichen Wahrheitsanspruchs. Überlegungen zur Funktion des programmatischen Realismus am Beispiel von Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Klaus-Detlef Müller (Hg.): Bürgerlicher Realismus. Grundlagen und Interpretationen. Königstein 1981, S.  174–202, hier S. 194. – Zu Soll und Haben im weiteren Kontext des Wilhelm Meister vgl. auch Florian Krobb: Einleitung: „Soll und Haben“ nach 150 Jahren. In: ders. (Hg.): 150 Jahre „Soll und Haben“. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005, S. 9–28, hier S. 24  f. – Dass Soll und Haben als eine Art neuer Wilhelm Meister gelesen wurde, zeigt sich auch an einer im 20. Jahrhundert vielfach aufgelegten Ausgabe, die Auszüge aus Freytags Roman unter dem Titel Anton Wohlfahrts [!] Lehrjahre versammelt (Gustav Freytag: Aus dem Roman Soll und Haben. Anton Wohlfahrts Lehrjahre. 9. Aufl. Berlin 1920). 114 Karl August Varnhagen von Ense: Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense. Aus dem Nachlass Varnhagen’s von Ense. Bd. 13. Hamburg 1870, S. 5 (6. Mai 1856).

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ben verstehen und nöthigt ihn, sich an der Bewältigung der nüchternsten Arbeiten den männlichen Sinn und die rechtschaffene Fähigkeit für ein wohlgeordnetes bürgerliches Dasein zu erkämpfen.115

Ähnlich hatte einige Monate später Berthold Auerbach in seiner Rezension einerseits auf die „Parallele“ zu Goethes Roman hingewiesen, Soll und Haben andererseits als ein ‚aus der neuen Zeit hervorgegangenes Werk‘ charakterisiert.116 Auffällig ist, dass auch solche Rezensionen, die dem Roman Soll und Haben rein gar nichts abgewinnen können, weil sie die politische Tendenz oder den Poesiebegriff des Grenzboten-Realismus nicht teilen, unweigerlich dessen intendierter Kanonisierung Vorschub leisten, indem auch sie in der Regel sowohl die Verbindung zur realistischen Literaturprogrammatik der Grenzboten als auch den Bezug zum Wilhelm Meister betonen. Noch dort, wo die Zeitgenossen sich negativ oder ablehnend auf Soll und Haben beziehen, bewegen sie sich damit in den von den Grenzboten resonanzstrategisch geebneten Bahnen; noch der kritische Blick auf den Roman folgt somit einer voreingestellten Optik. So warnte etwa Gottschall vor der Empfehlung der „kritischen Firma“ – gemeint waren Die Grenzboten –, „das Werk als eine verbesserte Auflage des ‚Wilhelm Meister‘ zu verherrlichen“.117 Und in der Absicht, eigentlich den Qualitätsunterschied zwischen Goethe und Freytag zu markieren, erklärt beispielsweise der Rezensent von Das Jahr­ hundert die „Apotheose der Arbeit“ zu einem – Freytag weit übertreffenden – Anliegen von Goethes Spätwerk, wodurch allerdings unintendiert die Grenzboten-Perspektive einer ‚Poesie der Arbeit‘ auf Goethe bestätigt wird.118 Da mag der Literaturkritiker auch noch so sehr betonen, die strategische Platzierung des Romans durchschaut zu

115 H[eller]: Ein deutscher Roman, S. 1. 116 Berthold Auerbach: Soll und Haben, Roman in 6 Büchern von Gustav Freytag. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 7. September 1855 (Nr. 250), S. 3994–3996, hier S. 3994; einen Bezug zum Wilhelm Meister stellt auch Stahr her: Adolf Stahr: Gustav Freytag’s „Soll und Haben“. In: Kölnische Zeitung, 11. Juni 1855 (Nr. 160), S. 1–3, hier S. 2. 117 Rudolf Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt. Vierter Band. Vierte vermehrte und verbesserte Aufl. Breslau 1875, S. 252. – Letztlich lässt sich diese spezifische Negativ-Kanonisierung in den von Freytag und Schmidt geebneten Bahnen bis hinein in die aktuellere Forschung nachverfolgen. So belächelt etwa Michael Vogt den Roman als „Kommerzversion des Wilhelm Meister“, als „Entelechie einer schönen Krämerseele“. Noch ein solches Negativurteil lässt sich in diesem Sinne als Zeugnis einer gelungenen Positionierung lesen, denn der Anspruch, einen neuen Wilhelm Meister des ökonomischen Menschen geschaffen zu haben, hat sich den Lesern in der Breite und stabil über einen langen Zeitraum übermittelt. Michael Vogt: Realismus avant la lettre: Georg Weerths Romanfragment. In: ders. (Hg.) im Auftrag der Grabbe-Gesellschaft e.V., in Verbindung mit Werner Broer und Detlev Kopp: Georg Weerth (1822–1856). Referate des I. Internationalen Georg-Weerth-Colloquiums 1992. Bielefeld 1993, S. 274–291, hier S. 274. 118 N. N.: Zwei deutsche Romane. „Soll und Haben.“ Von Gustav Freytag. – „Zwischen Himmel und Erde.“ Von Otto Ludwig. In: Das Jahrhundert. Zeitschrift für Politik und Literatur 3 (1858), II. Band, Nr. 33, S. 521–525, hier S. 522.

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haben: „Das Rezept zu ‚Soll und Haben‘ findet sich in Hrn. Jul. Schmidt’s literaturgeschichtlichen Exerzitien.“119 Tatsächlich hat Schmidt nicht nur seine ‚Meister-Kritik‘ – wie viele andere seiner Rezensionen – in großen Teilen für seine literaturgeschichtlichen Arbeiten übernommen; mit dem Jahr des Erscheinens von Soll und Haben wird der Roman bei Schmidt unmittelbar nach der Veröffentlichung bereits Bestandteil der Literaturgeschichte. Denn ab 1855 stellt dieser hier und in den weiteren Auflagen seiner Literaturgeschichte zum 19. Jahrhundert den Defiziten Goethes die Leistungen Freytags gegenüber und erklärt Soll und Haben sogleich nach Erscheinen zum Wendepunkt der jüngeren Literaturgeschichte und zum Begründungstext „der neuen Aera unserer Dichtung“.120 Am treffendsten hat ein Redakteur der Neuen Münchener Zeitung den strategischen Zusammenhang zwischen Freytags Roman und Schmidts literaturgeschichtlichen Verfahren auf den Punkt gebracht, wenn er polemisch über Schmidt bemerkt: Derselbe berühmte Kritiker hat natürlich nicht verfehlt, dies Buch als die Erfüllung seiner Forderungen, als den plastischen Aufbau seiner kritischen Projectionen zum Range eines Tendenzromans und zum Musterbuche zu erheben. Er fand die productive That zum ersten Mal mit seinem kritischen Schema congruent, nachdem er von den Meisterwerken Goethes und Schillers so oft unbefriedigt geschieden war […]. Kein Wunder, wenn sie dann einem so geistreichen Kopfe schief erschienen, so daß er ihrem individuellen Wesen mehrfach ungerecht werden mußte; ging es ihm nicht anders wie dem Prokrustes, dessen Betten den Gästen entweder zu lang oder zu kurz waren, so daß er ihnen die Füße abhieb oder sie gewaltsam ausreckte, wobei sie freilich auch den Geist aufgaben. G. Freytag ist glücklicher weggekommen, denn er paßte – nicht zu lang und nicht zu kurz – vollkommen in die kritischen Spinde seines Beurtheilers.121

Für den Naturalisten Carl Bleibtreu waren diese Zusammenhänge des GrenzbotenRealismus so dominant, dass er sich in seiner Geschichte der deutschen National-Lite­ ratur seinerseits einer objektiven Darstellung enthielt und mit spöttischer Verachtung darauf hinwies, dass die „eigene Aesthetik“ der Grenzboten vor allem darauf hinauslief, daß zwar Schiller und Platen falsche Götzen, Heine und alle freiheitlichen Dichter unwürdige Poesiebesudeler seien, aber in Gustav Freytag uns der wahre Erbe als neuer Klassiker schon bei Lebzeiten dieses großen Mannes erstanden sei. Sein Herold und Prophet Julian Schmidt,122 den seine Verunglimpfer unehrerbietig Schmulian Jüd nannten, übte lange eine wunderliche Tyrannis aus.123 119 N. N.: Zwei deutsche Romane, S. 521. 120 Julian Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Dritter Band: Die Gegenwart. Zweite, durchaus umgearbeitete, um einen Band vermehrte Auflage. Leipzig 1855, S. 378. 121 N. N.: Drei deutsche Romane. In: Abendblatt zur Neuen Münchener Zeitung, 2. Mai 1857 (Nr. 105), S. 417–418, hier S. 417. 122 Auch für Friedrich Spielhagen war Julian Schmidt der „Prophet“, der „in Gustav Freytag den Meister verehrte“ (Spielhagen: Erinnerungen aus meinem Leben, S. 349). 123 Carl Bleibtreu: Geschichte der deutschen National-Literatur von Goethes Tode bis zur Gegenwart. Berlin 1912, S. 150.

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In seinem Aufsatz „Literatur und Literaturgeschichte in ihren Beziehungen zur Gegenwart“ (1858), der zugleich die programmatische Vorrede seines literarhistorischen Werks Die deutsche Literatur der Gegenwart darstellt, rekonstruiert Robert Prutz die Argumentationsverfahren und -strategien, mit denen allen voran Die Grenzboten nach 1848 einen literarischen Epochenwechsel verkündeten. Mittels distanziert-ironischer Überspitzung und – wie er selbst eingesteht – der dazugehörigen Übertreibung widmet er sich ausführlich den seiner Ansicht nach als bereits weitgehend etabliert geltenden „Grundgedanken“ jener somit als diskursbestimmend anerkannten „Stimmführer der neuen realistischen Richtung“. Seine Wiedergabe ihrer Argumentationsmuster bezogen auf die vergangene und gegenwärtige Literatur erweist sich als äußerst treffsicher, sie illustriert und bekräftigt die in diesem Kapitel erörterten Zusammenhänge noch einmal in zahlreichen Punkten: Wie schon einmal im Laufe der dreißiger Jahre, so mußte die Literatur auch jetzt wieder den Prügeljungen abgeben für alles, was die Nation verschuldet: mit dem allerdings sehr wesentlichen Unterschiede, daß man damals doch nur gewisse einzelne Richtungen, gewisse bestimmte Epochen unserer Literatur für schuldig erklärt hatte, während man jetzt nicht übel Lust bezeigte, unsere gesammte Literatur in Bausch und Bogen für eine Verirrung – ja was sage ich? eine Verirrung? für einen Landesverrath, für den eigentlichen Giftbecher zu erklären, der die gesunden Säfte unsers Volks verdorben und es zu großen und glücklichen Thaten unfähig gemacht hatte. […] [H]ätten wenigstens die Dichter selbst dem Volke eine gesundere und kräftigere Nahrung dargeboten; wären wenigstens die Stoffe, welche sie behandelt, von anderm, männlicherm Schlage gewesen! […] Unsere Dichter, auch die sogenannten classischen nicht ausgeschlossen […] haben immer nur in Phantasien gelebt, sie sind immer nur einem Traumbild von Schönheit nachgelaufen, das ihren persönlichen Neigungen und Bedürfnissen schmeichelte, für die Nation und ihre geschichtliche Aufgabe aber vollkommen unfruchtbar und also verderblich war. […] Statt sich unter das Volk zu mischen und in ihren Dichtungen abzuspiegeln und solchergestalt dem Volk ein Bildnis seiner selbst aufzurichten, haben sie sie immer nur in die kleinen Leiden und Freuden ihres eigenen Ich eingesponnen; statt sich in die Tiefen des Volkslebens zu versenken und hier den Stoff zu einer neuen selbständigen nationalen Form zu finden, sind sie immer nur bei den Fremden in die Schule gegangen […]. Hinweg denn mit der thörichten Tradition, als ob wir jemals eine große classische Literatur besessen hätten! […] [H]inweg mit den Poeten, den volksverderberischen! Oder wenn ihr die Tinte einmal mit Gewalt nicht halten könnt, nun gut, so verschon uns wenigstens mit euern idealistischen Traumbildern und beschreibt uns […] die Wirklichkeit der Dinge und zwar in ihrer allerwirklichsten Gestalt; zeigt uns den Bauer, wie er seinen Mist fährt, den Schuster, wie er seinen Pechdraht zieht, den Kaufmann, wie er seinen Kaffee und Zucker abwägt – ihr schwankt? ihr zaudert? ihr rümpft wol gar die Nase und meint, Mistfahren und Pechdrahtziehen seien zwar recht nützliche und ehrbare Beschäftigungen, aber doch nicht im mindesten poetisch? Ah ertappt, Verräther! So gehört ihr auch noch der alten volksverderberischen Schule der Idealisten an und seid nicht werth, für das aufgeklärte praktische Geschlecht aus der Mitte des 19. Jahrhunderts die Feder zu führen! … Sprachen die Stimmführer der neuen  – wie sie sich selbst nannten  – realistischen Richtung sich nun auch nicht ganz so unumwunden und nachdrücklich aus, so wird doch niemand, der das Treiben derselben während der letzten Jahre mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet hat, in Abrede stellen mögen, daß wir den Grundgedanken […] ziemlich richtig gezeichnet haben. Daher dies vornehme Achselzucken, mit dem sie von der Vergangenheit unserer Literatur sprechen;

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daher dieser blutdürstige Grimm, mit der sie den schriftstellerischen Productionen der Gegenwart entgegentreten […]. Daher endlich dieser für den unbetheiligten Zuschauer fast komische Eifer, mit welchem sie, im Gegensatz zu dem allgemeinen Verdammungsurtheil, das sie übrigens über die Literatur der Gegenwart fällen, gewisse einzelne Autoren und einzelne Bücher auf den Schild heben, von denen sie sich eine besondere praktische Unterstützung ihres Systems versprechen – oder richtiger zu sagen: in denen sie, zum Theil sehr ohne Grund, eine Beschäftigung und Ausführung ihrer Principien erblicken.124

Auch wenn Gustav Freytag und allen voran Julian Schmidt in diesen Kontexten die Hauptakteure darstellten – was auch von den Zeitgenossen so wahrgenommen wurde –, so blieb die Selbstkanonisierungspraxis des Grenzboten-Realismus nicht auf die beiden leitenden Redakteure beschränkt. Die zeitgenössischen Gegner erklärten Schmidt zwar zum Kopf der Grenzboten-Theorie, bezogen ihre Kritik jedoch auf das ganze Blatt und dessen Verbündete im literarischen Feld, ja sahen eine ganze „Coterie“ am Werk125 (s. auch Kap. 5). Nicht ganz zu Unrecht: Schon 1860 veröffentlichte der Mitarbeiter des Blatts und Freytag-Freund Constantin Rößler (1820–1896) ein Buch über Gustav Freytag und die deutsche Dichtung der Gegenwart, in dem er noch einmal ausführlich das Verhältnis von Soll und Haben und Goethes Wilhelm Meister darlegt. Rößler, der Freytags Roman nicht anders zu nennen weiß als immer wieder „goethisch“, betont, dass „kein poetisches Werk der goethischen Idealität so nahe steht“ und „darum keine Dichtung seit Goethe’s Tod den poetischen Sinn der Deutschen so angesprochen [habe] wie ‚Soll und Haben‘“.126 Schon die „Grundidee“ sei „ganz dieselbe“, Freytags Roman „als Typus der realistischen Dichtungsart“ aber ein „viel realistischeres Buch“ und damit ungleich zeitgemäßer.127 Die Selbstkanonisierungsverfahren im Kontext der Grenzboten sind darüber hinaus noch in anderer Hinsicht interessant. Die programmatischen Texte Freytags und Schmidt nehmen eine (auch von Rößler mitgeschriebene) literaturgeschichtliche Selbstverortung und Kategorienbildung vor. Dazu gehört nicht zuletzt, dass der ‚Grenzboten-Realismus‘ sich früh selbst als ‚Schule‘ entwirft – so auch sowohl von

124 Robert Prutz: Literatur und Literaturgeschichte in ihren Beziehungen zur Gegenwart [zugleich Vorrede von Prutz’ Werk Die deutsche Literatur der Gegenwart. 1848 bis 1858 aus dem Jahr 1859]. In: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 8 (1858), Bd. 2, 9. Dezember 1858 (Nr. 50), S. 865–883, hier S. 874–876. 125 Vgl. genauer: Rudolf Gottschall: Karl Gutzkow’s „Zauberer von Rom“. In: Blätter für literarische Unterhaltung, 16. Dezember 1858 (Nr. 51), S. 925–933, hier S. 927. 126 Constantin Rössler: Gustav Freytag und die deutsche Dichtung der Gegenwart. Berlin 1860, S. 43, 49. 127 Rössler: Gustav Freytag und die deutsche Dichtung der Gegenwart, S. 50  f. – Auch im Fall von Rößler haben die Zeitgenossen die Selbstnobilitierungs- und Selbstkanonisierungsverfahren bemerkt und kritisiert: vgl. N. N.: Notizen. Der Verfasser von „Soll und Haben“. In: Blätter für literarische Unterhaltung, 23. August 1860 (Nr. 34), S. 630.

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den Gegnern polemisch anerkannt128 als von der beginnenden Forschung kanonisiert wird129 – und für sich das epochemachende Wort vom „Realismus“ reklamiert (Freytag spricht wörtlich von der „Schule der Realisten“130 und bei Schmidt heißt es etwa: „In diesem Sinn nennen wir uns Realisten“).131 Auch wenn die Rede vom ‚Realen‘ bzw. ‚Realismus‘ eigentlich nicht spezifisch für Die Grenzboten ist, auch wenn diese mit den konkurrierenden Literaturprogrammen der Jahrhundertmitte (etwa Gutzkow, Prutz und Gottschall) deutlich mehr verbindet als trennt, so stellt sich deren Selbstentwurf mit Bourdieu als distinktionslogisch vielversprechend heraus: [F]ordert nicht […] die Gruppe in dem Maße, wie sich selbst als Schule erscheint und sich in dieser Rolle klarer bestätigt, das Publikum und die Kritiker dazu auf, den Zeichen dessen nachzuforschen, was die Mitglieder der Schule einigt und sie von anderen Schulen trennt? Legt sie nicht nahe, Unterschiede zu suchen, wo es sich um Verwandtschaft handeln könnte […]?132

Stilbildend sind diese Verfahren auch bezogen auf die literaturgeschichtliche Kanonisierung, denn im Sinne der von Claudia Stockinger diagnostizierten Tendenz zur Selbsthistorisierung bei den Autoren des 19. Jahrhunderts erweisen sich die literaturkritischen Aufsätze Freytags und Schmidts als „literaturhistoriografisch brauchbar[e]“133 Texte, die „der Literaturgeschichtsschreibung die zentralen Stichwörter für eine (in ihrem Sinne) angemessene Archivierung, Deutung und Tradierung der eigenen Literatur und Epoche vor[geben]“.134 Anders gesagt: Für eine Literaturgeschichtsschreibung, die auf kategoriale Vereinfachung und polemische Konstellationen angewiesen ist, stellen Freytag und Schmidt geeignete Texte bereit. Dass Freytag der Wissenschaft dabei auf „Schritt und Tritt Hinweise“ gibt, „nach denen [sie die] Arbeit einrichten kann“, hat Paul Ulrich schon 1907 bemerkt.135 Die promovierten Philologen Gustav Freytag und Julian Schmidt haben also die eigene Erforschung bereits im Blick – wie resonanzträchtig die hier beschriebenen Verfahren waren, belegen u. a. die einschlägigen Literaturgeschichten sowie Epochen- und Gattungsanthologien. Und schon anhand der frühen philologischen Arbeiten und Äußerungen zu Freytag (z.  B. bei Erich Schmidt oder in Hans Lindaus Monographie von 1907) ließe sich nach-

128 1858 wird Gottschall polemisieren, Julian Schmidt habe „eine Schule, eine Coterie […] hinter sich: seichte Köpfe, ohne die Bildung und den Scharfsinn ihres Meisters, aber ihre Orakel mit unfehlbarer Sicherheit verkündend“ (Gottschall: Karl Gutzkow’s „Zauberer von Rom“, S. 927). 129 1885 bezeichnet Adolf Stern Freytag als den Hauptvertreter der „neuen ‚realistischen‘ Schule“ (Adolf Stern: Geschichte der neuern Litteratur. Bd. 7: Realismus und Pessimismus. Leipzig 1885, S. 95). 130 [Gustav Freytag]: [Rez.] Zwischen Himmel und Erde. Erzählung von Otto Ludwig. In: Die Grenzboten 16 (1856), II. Semester, IV. Band, S. 121–126, hier S. 121. 131 [Schmidt]: [Rez.] Literaturgeschichte, S. 209. 132 Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 99. 133 Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 10. 134 Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 9. 135 Ulrich: Gustav Freytags Romantechnik, S. 2.

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zeichnen, wie etwa die Selbstpositionierung Freytags gegenüber Goethes Wilhelm Meister fortgeschrieben wurde.136 Ganz gleich, ob man nun Schmidts Literaturgeschichtsschreibung, die angesprochenen Rezensionen und Rezeptionszeugnisse oder die Romantheorien von Hegel bis Vischer heranzieht: Aus dem Vorangegangenen zeigt sich jeweils deutlich, dass zwar bezogen auf eine Gattung ‚Bildungsroman‘ kein eigenes ausgeprägtes Gattungsverständnis vorhanden ist, wohl aber gilt für die romanästhetischen Diskussionen insgesamt, dass sich Goethes Wilhelm Meister und ein aus diesem abgeleitetes Erzählmuster – eines krisenhaften und gerade dadurch bildenden Entwicklungsgangs hin zur harmonischen und tätigen Versöhnung zwischen Individuum und breit entfalteter Welt  – als normenbildend für den modernen bürgerlichen Roman erweist. Anders gesagt: Auch und gerade dort, wo die realistischen Programme eine Loslösung vom rein egozentrierten Roman fordern, beziehen sie sich auf das Vorbild Goethes, dessen gattungsprägenden Status sie somit anerkennen. Die Geschichte des realistischen und frührealistischen Zeitromans ist in diesem Sinne auch eine Reihe von ‚Anti-­ Wilhelm-Meistern‘ – eine Geschichte der Wilhelm Meister-Rezeption, gegenüber dem sich auch um die Jahrhundertmitte verhalten muss, wer auf dem Feld des Romans eine dominierende Position beansprucht. Franz Rhöse bewertet Soll und Haben vor diesem Hintergrund als entschiedenen Versuch eines inszenierten bewußtseinsgeschichtlichen Paradigmawechsels. […] Konfliktdarstellung, Konfliktverarbeitung und Konfliktlösung im exemplarischen Lebenslauf eines bürgerlichen Helden werden hier zum ersten Mal in bewußter Antithese zum klassischen deutschen Bildungsroman, zum Wilhelm Meister entworfen.137

Dass das hier vorausgesetzte Erzählschema für die Romandiskussionen der Zeit eine bestimmende Orientierung ist, wird z.  B. an Felix Dahns etwas spöttischer, aber treffender Zusammenfassung von Soll und Haben deutlich, der das Buch ebenfalls ein „Gegenbild des Götheschen Wilhelm Meister“ nennt. Nach Dahn geht es in dem Roman um die Entwicklungskämpfe eines jungen Mannes, welcher nach Geburt und Sinnesart dem Bürgerstand angehörig, von dem Zauberschimmer aristokratischen Lebens aus seinen Sphären gelockt, aber 136 So profiliert Erich Schmidt den Roman als Gegenentwurf zu Goethes Bildungsroman und Hans Lindau meint – getreu genau der doppelten Positionierung der Grenzboten –, dass Soll und Haben zu Goethes Buch „sowohl im Gegensatze wie in einem Verhältnisse der Weiterführung“ stehe (vgl. dazu Erich Schmidt: Dem Andenken Gustav Freytag’s. In: Deutsche Rundschau, Bd. 83 (April–Juni 1895), S. 453–464 [Rede zur Gedächtnisfeier des Vereins Berliner Presse am 19. Mai 1895 im Rathaus Berlin], hier S. 461; Lindau: Gustav Freytag, S. 163). 137 Rhöse: Konflikt und Versöhnung, S.  129.  – Auch nach McInnes kann man „[e]rst in der ‚Grenzboten‘-Bewegung […] von einer mehr oder weniger systematischen Polemik gegen den Bildungsroman Goethescher und Jean-Paulscher Prägung reden“ (McInnes: Zwischen „Wilhelm Meister“ und „Die Ritter vom Geist“, S. 499).

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endlich dadurch, daß er jenen aristokratischen Glanz in der Nähe betrachtet, von dieser gefährlichen Neigung geheilt und von der Wahrheit überzeugt wird, daß das arbeittreue, glanzlose aber kraftvolle Bürgerthum mit seinem Fleiß und seiner sittlichen Gediegenheit die höchste und edelste Macht unserer heutigen Culturwelt ist.138

Dahn verweist hier auf die entscheidende Konstellation des Romans, nämlich darauf, dass der Bildungsgang des Helden mit seinen Krisen und Verirrungen (durch den „Zauberschimmer aristokratischen Lebens“) zum einen von Beginn an als Suche nach der richtigen ‚Poesie des Lebens‘ gestaltet wird und dass die Poesiekonzepte, die der Roman verhandelt, zum anderen an die sozialen Klassen gekoppelt sind, die er darstellt.

138 Felix Dahn: Moderne Literatur. Soll und Haben, Roman von Gustav Freitag. In: Beilage zu Nr. 266 der Neuen Münchener Zeitung, 7. November 1855, S. 2731.

4 Die Poesie des Prosaischen in Soll und Haben Die Struktur des Werks […] erweist sich auch als Struktur des sozialen Raums, in dem der Autor des Werks selbst situiert war.1

Ganz im Sinne von Freytags Konzept einer ‚Poesie des Prosaischen‘ wird im Erzähl­ eingang von Soll und Haben zwar festgestellt: „[N]och beherrscht die Zauberin Poesie überall das Treiben der Erdgebornen.“ Jedoch wird sogleich gewarnt: „Aber ein jeder achte wohl darauf, welche Träume er im heimlichsten Winkel seiner Seele hegt, denn wenn sie erst groß gewachsen sind, werden sie leicht seine Herren, strenge Herren!“ (SuH, 8) Auf das Wort „welche“ kommt es hier an. Zwar träumt die Hauptfigur Anton Wohlfart im Unterschied zu Wilhelm Meister von Beginn an von dem, was der Text als recht, real und ‚poetisch‘ behauptet (vgl. z.  B. 7  f., 60), nämlich davon, bürgerlicher Kaufmann zu werden. Im Laufe seines Werdegangs wird er jedoch mit anderen sozia­ len Gruppen und deren Poesieauffassungen konfrontiert, denen gegenüber sich die bürgerliche ‚Poesie des Prosaischen‘ schließlich als überlegen erweist.2 Der Clou des Romans besteht nicht zuletzt darin, vor dem Hintergrund der und in Reaktion auf die romanästhetischen Debatten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert mit Anton einen Helden geschaffen zu haben, der auf den ersten Blick weder besonders interessant noch besonders bedeutend erscheint und dessen Ansprüche an das Leben dies ebenfalls nicht sind.3 An diesem Umstand hängt dabei sowohl die Konstruktion des Textes als Gesellschafts- und Zeitroman als auch dessen Sinnangebot einer Verklärung des ‚bürgerlichen Normallebens‘ (s. dazu ebenfalls Kap. I) sowie die metapoetische Anlage des Romans. Nicht, wie im Wilhelm Meister, das Verführungspotential der Poesie generell, sondern das des adligen Lebens stellt sich als Gefährdung des Helden dar. Gegen sein schwärmerisches Empfinden für den ‚romantischen‘ „Zauber“ (765) des Adels setzt sich bei Anton schließlich das sich entwickelnde bürgerliche (Selbst-)Bewusstsein durch.4 Der Roman hat in diesem Sinne eine offenkundig metapoetische und

1 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 19. 2 Mit Claudia Stockinger: „Die phantasmatische Poesie (Antons Sehnsucht nach der adligen Lenore) ist der prosaischen Poesie (der Poesie der Arbeit) ebenso unterlegen wie die Poesie der Gelehrsamkeit. Für letztere steht im Roman der jüdische Gelehrte Bernhard Ehrenthal“ (Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 153). – Vgl. zu diesem Aspekt und im Sinne der hier vorgestellten Lesart die aufschlussreichen Ausführungen von Eicher: Thomas Eicher: Poesie, Poetisierung und Poetizität in Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Wirkendes Wort 45 (1995), S. 64–81. – Vgl. außerdem Plumpe: Roman, S. 542–569. 3 Vgl. in diesem Sinne auch: Speidel: Gustav Freytag, S. 341. 4 Vgl. im Sinne dieser Lesart auch: Mark Grunert: Lenore oder die Versuchung des Bürgers: Romantischer „Zauber“ und realistische Ideologie in Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Monatshefte für den deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur 85 (1993), S. 134–152. https://doi.org/10.1515/9783110541779-010

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zugleich sozial sinnbildende Dimension,5 so wenn Anton in dem bereits angesprochenen ‚Poesiegespräch‘ mit Bernhard Ehrenthal die bürgerliche „Poesie des Geschäftes“ (327) gegen solche ästhetischen Positionen verteidigt, wie sie aus den romantheoretischen Debatten um die ‚Poesie‘ und ‚Prosa‘ bürgerlichen Lebens und nicht zuletzt aus den Grenzboten-Aufsätzen bekannt sind: „Bei uns“, erwiderte Bernhard, „ist das Leben sehr nüchtern“; […]. „Ich denke, es ist nicht so“, erwiderte Anton eifrig; „ich kenne noch wenig vom Leben, aber ich sehe doch, auch wir haben Sonnenschein und Rosen, die Freude am Dasein, große Leidenschaften und merkwürdige Schicksale, welche von den Dichtern besungen werden.“ „Unsere Gegenwart“, wiederholte Bernhard weise, „ist zu kalt und einförmig.“ „Ich habe das schon einige Male in Büchern gelesen, aber ich kann nicht verstehen, warum, und ich glaube es auch gar nicht.“ […] „Wie arm an großen Eindrücken unser zivilisiertes Treiben ist“, entgegnete Bernhard, „das müssen Sie selbst in Ihrem Geschäft manchmal empfinden, es ist so prosaisch, was Sie tun müssen.“ „Da widerspreche ich“, erwiderte Anton eifrig, „ich weiß mir gar nichts, was so interessant ist, als das Geschäft.“ (239)

Wenn die Erzählinstanz bei Antons Rückkehr ins bürgerliche Gewerbe, also am Ende seines geglückten Bildungswegs, befindet: Die poetischen Träume, welche der Knabe Anton in seinem Vaterhause unter den Segenswünschen guter Eltern gehegt hat, sind ehrliche Träume gewesen. Ihnen wurde Erfüllung, und ihr Zauber wird fortan sein Leben weihen. Was ihn verlockte und störte und im Leben umherwarf, das hat er mit männlichem Gemüt überwunden[,] (851)

erklärt der Text das Erlernen des Blicks für die wahre Poesie zur zentralen Bildungsaufgabe des bürgerlichen Entwicklungsromans und bestätigt jene Engführung von Poesie- und Klassenbewusstsein, die den Roman insgesamt durchdringt. Wie auch im vorangegangenen Zitat, so spielt der Roman immer wieder selbstreferentiell auf das Erzählmuster eines Bildungsromans an, etwa wenn gleich zu Beginn Antons Vater „so eilig als möglich“ stirbt, damit Anton „im Anfange eines neuen Lebens“ dargestellt werden kann (11) – oder als Held und Roman ‚die bürgerliche Handlung‘ (im doppelten Sinn) verlassen, um schließlich geläutert zu ihr zurückzukehren: „Und mein Los wird sein, von heute ab für mich allein den Weg zu suchen, auf dem ich gehen muß.“ (488) Ehe der Protagonist des realistischen Bildungsromans zurück auf dem rechten Weg, abermals selbstreferentiell, ausrufen darf: „mein Weg ist jetzt klar“ (765), zeigt der Text ihn auf diesem Weg von jenen falschen Träumen bedroht, vor denen der Erzähler zu Beginn des Buches warnt – worin Freytag selbst im Rückblick die „poe-

5 So attestiert auch Claudia Stockinger dem Roman, er handle „in verschiedenen Erzählsträngen“ das „Verhältnis von Poesie und Prosa“ aus (Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 153).

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tische Idee“ des Romans ausgesprochen sah.6 Wird Anton – auf dem Weg ins Handelshaus buchstäblich vom Weg abgekommen – von der vermeintlich poetischeren Lebenssphäre der adligen Familie Rothsattel zunächst in „träumerisches Entzücken“ versetzt, wird diese „jugendliche Schwärmerei“ später als „Schwäche“ von ihm „verurteilt[]“ (13, 747, 718). Beim Abschied von der aristokratischen Familie Rothsattel lässt Anton seine Zeit dort Revue passieren und erkennt schließlich seinen Irrtum, der falschen Muse gehorcht zu haben: [A]lle diese Zeiten sah er vor sich und deutlich erkannte er den Zauber, den sie um ihn gelegt hatten; alles, was seine Phantasie gefesselt hatte, sein Urteil bestochen, seinem Selbstgefühl geschmeichelt, das erschien ihm jetzt als eine Täuschung. Ein Irrtum war’s seiner kindischen Seele, den die Eitelkeit großgezogen hatte. (717)

Ähnlich deutet und rügt auch der prinzipientreue Kaufmann Schröter bei Antons Rückkehr dessen Abkehr vom bürgerlichen Lebenspfad: „Ein ungeregeltes Begehren hat Sie in Verhältnisse gelockt, welche nach allem, was ich davon weiß, ungesund sein müssen für jeden, der darin lebt“ (773). Anton, so der Erzähler, „hatte die gerade Linie seines Lebens verlassen“ (765). Dass er zu ihr zurückfinden, d.  h. in die Firma Schröter zurückkehren wird, steht von Anfang an fest. Schon die erste Begegnung mit Lenore wird vom Erzähler als bloß flüchtiger Traum der Jugend markiert (vgl. 17); dagegen heißt es bei Antons Eintritt ins Kontor: „sein Schicksal war entschieden“ (37). Mag Anton mit seinem „empfänglichen Sinn“ (60) zwar zeitweilig den falschen Träumen nachgegangen sein, gegenüber einer ‚poetisch‘ völlig unempfänglichen, starren Tugendhaftigkeit geht der Erzähler jedoch auch auf ironische Distanz, wenn er Sabine in ihrer Freude über Antons Ankunft im Sinne der mitunter allzu prosaischen Hausordnung maßregelt: „Dies Haus ist ein gutes Haus, aber es ist keins, wo man poetisch fühlt […]. Es ist ein nüchternes, prosaisches Haus!“ (771) Es gehört zur erzählerischen Komplexität des Romans, dass die Kaufmannstätigkeit weder einsinnig zur offenkundigen poetischen Offenbarung verklärt wird noch der Text die Phantasie schlechthin abwertet. Die ganze Konzeption des Heldenwegs beruht darauf, dass dieser von Beginn an als phantasie- und kunstbegabt entworfen wird. Nur so erhält Antons Erkenntnis der „eigentümlichen“ Poesie des Bürgerlebens Gewicht (59). Schon an dem Heranwachsenden wird daher dessen sprühende Einbildungskraft hervorgehoben und dem Vater sogar geraten, Anton Maler werden zu lassen (vgl. 6). Das Zeichnen gibt Anton auch nach dem Eintritt in den Kaufmannsberuf nicht auf (vgl. 50) und seine Phantasie geht ihm ebenfalls nicht verloren, wovon u.  a. die simple Tatsache zeugt, dass Anton ausgiebig träumt (vgl. z.  B. 50, 61).

6 GW I, 179. – In Freytags Erinnerungen aus meinem Leben heißt es weiter: „Für ‚Soll und Haben‘ ist diese Idee in dem leitenden Kapitel auf Seite 9 in Worte gefaßt, der Mensch soll sich hüten, daß Gedanken und Wünsche, welche durch die Phantasie in ihm aufgeregt werden, nicht allzu große Herrschaft über sein Leben erhalten.“

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Zwar entzünden sich Antons Begeisterungsfähigkeit und Einbildungskraft im „Zauberkreise der großen Waage“ (382) u.  a. an der ‚Poesie der Ware‘ (vgl. vor allem: 60  f.), der Text verschweigt indes nicht, dass die Arbeit vielfach „einförmig“ (57), „langweilig[] und ‚gleichförmig‘ ist (60) – eine Gleichförmigkeit, die Anton durch die Lektüre von Büchern und durch seine Vorstellungskraft kompensiert.7 Antons Kollegen und Hausgenossen erscheinen ihm in Folge der ewig gleichen Alltäglichkeit bereits abgestumpft gegenüber den besonderen Ereignissen und Empfindungen des Lebens: Es schien, als wenn die ernste und emsige Tätigkeit des Geschäftes jedes ungewöhnliche Familienereignis, jede Leidenschaft, jede schnelle Veränderung fernhielte von dem Leben der Hausgenossen. Verstimmung und Hader, Genuß und Schwärmerei, alles wurde niedergehalten durch den unablässigen gleichmäßigen Fluß der Arbeit (134).

Der adlige Fritz von Fink beschreibt die Mitarbeiter der Firma gar als Räder in einer „Maschine, und es wird von Ihnen erwartet, daß Sie das ganze Jahr regelmäßig abschnurren“ (59). Die Arbeit ist für ihn ein „traurige[s] Mühlwerk, wo jeder zuletzt voll Staub und Resignation wird“ (97). Anton lässt sich davon zunächst nicht beirren, aber der Text integriert damit eine Gegenposition zur eigenen Programmatik. Denn am Wilhelm Meister hat Schmidt mit ähnlichen Formulierungen u.  a. kritisiert, dass darin das „wirkliche Leben“ als „Massenbewegung“ geschildert wird, „in deren Triebrad der einzelne untergeht“,8 und die „Arbeit erscheint […] wie ein Triebrad, das die Individualitäten zu bloßen Theilen herabsetzt. Das wahrhaft Menschliche, das individuelle Leben ist verloren gegangen. Der Einzelne macht nicht […] seine eigene Persönlichkeit geltend, sondern er gibt sie um der Arbeit willen auf, er betrachtet sich als einen Entsagenden“.9 Die ‚Poesie der Arbeit‘ in Soll und Haben ist vielfach von der Forschung in den Blick genommen und dabei häufig vor allem unter ideologischen Gesichtspunkten thematisiert worden.10 Auch die in der unmittelbaren Erstrezeption tobende Debatte

7 Vgl. SuH, 62; – vgl. dazu: Lothar L. Schneider: „Das Gurgeln des Brüllfrosches“. Zur Regelung des Begehrens in Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Anne Fuchs u. Sabine Strümper-Krobb (Hg.): Sentimente, Gefühle, Empfindungen. Zur Geschichte und Literatur des Affektiven von 1770 bis heute. Würzburg 2003, S. 121–134. 8 [Schmidt]: Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit, S. 454. 9 [Schmidt]: Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit, S. 453. 10 Vgl. dazu vor allem: Büchler-Hausschild: Erzählte Arbeit; Christine Achinger: Antisemitismus und „Deutsche Arbeit“. Zur Selbstzerstörung des Liberalismus bei Gustav Freytag. In: Nicolas Berg (Hg.): Kapitalismusdebatten um 1900. Über antisemitisierende Semantiken des Jüdischen. Leipzig 2011, S. 361–388.; Achinger: Gespaltene Moderne; Achinger: Prosa der Verhältnisse und Poesie der Ware; Petra Weser-Bissé: Arbeitscredo und Bürgersinn. Das Motiv der Lebensarbeit in Werken von Gustav Freytag, Otto Ludwig, Gottfried Keller und Theodor Storm. Würzburg 2007; Jörg Schönert: „Arbeit in der deutschen Weise“ als nationales Erziehungsprogramm im Nachmärz. Zur Wirkungsweise literarischer Wertkonstitution. In: ders. u. Harro Segeberg (Hg.): Polyperspektivik in der literarischen Moderne. Studien zur Theorie, Geschichte und Wirkung der Literatur. Karl Robert Mandelkow gewidmet. Frankfurt

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um die poetische Qualität des Romans wurde immer wieder aufgegriffen. Gerade diese Diskussion erweist sich inhaltlich als wenig ergiebig, da sie ziemlich eindeutig entlang der konkurrierenden Akteure und Gruppen im literarischen Feld der Zeit verläuft und diese sich überwiegend rein axiomatisch äußern. Der Poesiebegriff der Grenzboten (‚Poesie der Arbeit‘ resp. ‚Poesie des Geschäftes‘) wurde entweder geteilt oder verneint, die von Freytag in Soll und Haben behauptete Poetisierung des ‚wirklichen Lebens‘ entweder als gelungen bestätigt oder als gescheitert bestritten. Karl Gutzkow vertrat in seiner Rezension zu Soll und Haben z.  B. die Ansicht, der Roman dürfe grundsätzlich nicht „die Wochentagexistenz des Menschen“ beschreiben, sondern nur dessen „Sonntag“.11 Darunter verstand er die „Offenbarung seiner poetischen Natur“, seine Gefühle, Träume, Ideale, wie sie sich u.  a. auch im Zusammenhang mit seiner Arbeit und ‚äußeren Existenz‘ zeigen könnten, nicht aber die Arbeit selbst und das alltägliche bürgerliche Leben.12 Dagegen wird Julian Schmidt später axiomatisch einwenden: „Auch das bürgerliche Leben hat seinen Sonntag“,13 man solle aber nicht nur diesen beschreiben.14 Und Hebbel wiederum fand nach seiner Lektüre des Romans, „daß dieser Freitag so langweilig ist, wie ein Sonnabend“.15 Es sind ‚Geschmacksurteile‘ und Glaubenssätze, die hier aufeinander prallen, wie Grillparzers Gedicht „Soll und Haben“ anschaulich illustriert: Soll und Haben Daß die Poesie Arbeit, Ist leider eine Wahrheit, Doch daß die Arbeit Poesie Glaub ich nun und nie.16

a.  M. 1988, S. 338–352; Jochen Weiß: Die protestantische Ethik und der Geist der Buchführung. Bürgerliche Lebensbilanz in „Soll und Haben“. In: Florian Krobb (Hg.): 150 Jahre „Soll und Haben“. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005, S. 87–101; vgl. auch die jüngsten Aufsätze zu diesem Thema: Anja Lemke: Waren- und Kapitalzirkulation. Poetisierung der Arbeit als Bildung des Nationenkörpers in Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: dies. u. Alexander Weinstock (Hg.): Kunst und Arbeit. Zum Verhältnis von Ästhetik und Arbeitsanthropologie vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn 2014, S. 257–271; Dirk Oschmann: Der Streit um die Arbeit. Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Hans-Werner Hahn u. ders. (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 127–149; Katja Mellmann: Die Sinnmaxime ‚Arbeit‘ im realistischen Roman und seiner Rezeption. Gustav Freytags „Soll und Haben“, Berthold Auerbachs „Auf der Höhe“ und Wilhelm Raabes „Der Hungerpastor“. In: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 2016, S. 23–46. 11 Gutzkow: Der Roman und die Arbeit, S. 702. 12 Vgl. Gutzkow: Der Roman und die Arbeit, S. 702  f. 13 Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod. Vierte, durchweg umgearbeitete und vermehrte Auflage. Dritter Band. Leipzig 1858, S. 340. 14 So kritisiert Schmidt 1858 an Stifters Nachsommer u.  a., dass dieser „[s]elbst in dem bürgerlichen Kaufmannshaus, in das wir zu Anfang eingeführt werden, […] nur den Sonntag“ zeige, „nur die Erziehung der Kinder und die ernsten Liebhabereien des Vaters“ (S[chmidt]: Adalbert Stifter, S. 171). 15 Friedrich Hebbel an Emil Kuh, 24. August 1855 [1558]. In: ders.: Briefwechsel 1829–1863, S. 224. 16 Franz Grillparzer: Soll und Haben. In: ders.: Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe, Gespräche, Be-

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Ob dieser Debatten ist bisher nicht beachtet worden, dass und wie der Text die bürgerliche Arbeit über Seiten konkret darstellt, um die es den Grenzboten doch eigentlich programmatisch ging. Zwar war Freytag sich nicht zu schade, auch den Kampf und die Kulturmission im Osten zur ‚Arbeit‘ zu verklären (vgl. 633  f., 705  f.), im Zentrum aller programmatischen Äußerungen und Debatten im Kontext des Grenzboten-Realismus steht jedoch die Diskussion um die Poesie des Prosaischen, also die Poesiefähigkeit des bürgerlichen (Arbeits-)Alltags, für die sich Freytag wiederholt auf den Kaufmann als Kronzeugen und Gegenstand beruft. Um seinen theoretischen Ansprüchen in der Praxis gerecht zu werden, musste Freytag – verkürzt gesagt – die Kaufmannstätigkeit sowohl anschaulich als auch unterhaltend beschreiben. Zur Unterhaltung des Lesers dienen gerade jene Kaufmannskollegen, die in ihren Eigenheiten bei der Arbeit karikiert werden und schon dem Namen nach ihr komisches Potential andeuten. Da ist z.  B. der Kassierer Herr Purzel, der „seine Amtstätigkeit“ jeden Morgen damit beginnt, „daß er die Kreide ergriff und einen weißen Punkt auf den Tisch malte, um der Kreide selbst die Stelle zu bezeichnen, wo sie sich den Tag über aufzuhalten habe“ (75). Solche Ausführungen machen einen nicht unbeträchtlichen Teil des ersten Buches aus. Sie knüpfen erzählerisch – zum Teil mit nachweisbaren intertextuellen Bezügen  – an Georg Weerths Humoristische Skizzen aus dem Deutschen Handelsleben von 1847/48 an.17 Freytags Beschreibungen sind allerdings weniger im Sinne einer bloß humoristisch funktionalisierten Karikatur zu lesen denn vielmehr als ‚liebenswürdige‘ „Vertiefung“ ins „Detail des wirklichen Lebens“.18 „Das Wesen der humoristischen Darstellung“, so Julian Schmidt, „besteht einmal darin, daß sie sich ins Detail vertieft“; denn: „[d]er Humor überrascht durch unser eigenes Interesse, das wir an Dingen nehmen, die uns sonst der Beachtung nicht werth scheinen“.19 Der Humor sei Ausdruck des „lebendigen Interesse[s] für alles Lebendige“, so klein und unscheinbar es auch sein mag“.20 In diesem Sinne eignet sich der von Schmidt und Freytag in Auseinandersetzung mit dem englischsprachigen

richte, hg. von Peter Frank u. Karl Pörnbacher. Bd. 1: Gedichte, Epigramme, Dramen. München 1960, S. 535. – Siehe hierzu auch Grillparzers weiteres Gedicht „Poesie der Arbeit“: „Die Arbeit ist etwa auch poetisch, / Wir wollen da nicht streiten lang; / Doch ist die Wahrheit antithetisch, Denn poetischer noch ist der Müßiggang“ (S. 541). 17 Vgl. dazu die entsprechenden Auszüge aus Soll und Haben, die der folgenden Ausgabe von Weerths ‚Skizzen‘ beigegeben wurden: Georg Weerth: Humoristische Skizzen aus dem Deutschen Handelsleben. Mit ergänzenden Materialien zum Vormärz und zur Revolution von 1848 sowie Auszügen aus Gustav Freytags Roman „Soll und Haben“, hg. von Jürgen-Wolfgang Goette. Frankfurt a.  M. u.  a. 1978; vgl. dazu außerdem die Übereinstimmungen, auf die Balzer und Vogt hinweisen: Balzer: Die meisten Schwellen tragen Schienen. Anmerkungen zu Georg Weerth, Gustav Freytag und zur „Epochenschwelle“ von 1848; Vogt: Realismus avant la lettre. 18 S[chmidt]: Die Märzpoeten, S. 11  f. 19 [Schmidt]: Englische Novellisten, S. 164. 20 [Schmidt]: Englische Novellisten, S. 165.

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Realismus (vor allem: Dickens) entwickelte Humor für die Darstellung der Poesie des Prosaischen,21 des erst auf den zweiten Blick Interessanten. Diese Thesen werden durch die Erstrezeption bestätigt. So lobt die NationalZeitung ausdrücklich die „Beschreibung des ganzen Schröter‘schen Geschäftspersonals“, diese erfolge nach den „Boz’schen Mustern“ (also in der Nachfolge von Dickens) und zeichne sich „durch Naturwahrheit, humoristische Frische sowie Reichthum und Fülle des Details“ aus“: „Wir glauben ihnen Allen schon einmal im Leben begegnet zu sein“ – nicht zuletzt Herrn Purzel, dessen Kreide-Marotte und sonstige Eigenheiten die Rezension ausführlich wiedergibt.22 Und selbst Stifter musste zugestehen: „Das Comptoirleben ist sehr hübsch“.23 Freytag idealisiert den Handel in Soll und Haben darüber hinaus, indem er die bürgerliche Tätigkeit – worauf ich noch zurückkommen werde – geschichtsphilosophisch grundiert. Er versucht sich zudem an einer realistisch-lebensnahen Darstellungsweise der Arbeit im Kontor. Zwei Textauszüge, aus der Beschreibung von Antons ersten Beobachtungen im Kontor sowie seines ersten Arbeitstags, machen dies deutlich: Sein Eintritt machte wenig Aufsehen. Ein halbes Dutzend Schreiber fuhr hastig mit den Federn über die blauen Briefbogen, um noch die letzten Züge vor dem Schluß des Comtoirs und der Post zu tun. […] Einen Augenblick hörten die sechs Federn auf zu rennen, und ihre Lenker sahen im Tempo nach Anton hin; der Chef aber fuhr zu Anton gewandt fort: „Sie werden müde sein, Herr Jordan wird Ihnen Ihr Zimmer anweisen, ruhen Sie heut aus, morgen das Weitere.“ Nach diesen Worten wandte er sich mit leichtem Kopfnicken ab und ging zu seinem Sitz im zweiten Comtoir zurück, wo ebenfalls sechs Federn über das blaue Papier fuhren und jetzt mit solcher Schnelligkeit, daß sich der Federbart vor Entsetzen sträubte, denn die alte Wanduhr hatte zum Schlage bereits ausgehoben. (36  f.) Eben war Herr Braun eingetreten, der Agent eines befreundeten Hauses in Hamburg, und hatte aus seiner Tasche eine Anzahl Kaffeeproben hervorgeholt. Während diese vom Prinzipal besich-

21 Freytag knüpft damit vor allem an sein erklärtes Vorbild Charles Dickens an, an dessen Beispiel Schmidt seinen Humorbegriff hier in erster Linie darlegt. Die Übereinstimmung zwischen Freytags und Dickens wird deutlich, wenn man sie noch einmal mit Abstand aus einer anderen Perspektive beleuchtet: In seinem Aufsatz über Charles Dickens und dessen „Poesie des Prosaischen“ beschreibt Zweig, wie Dickens „den schlichten Leuten die Poesie ihres täglichen Lebens“ gezeigt hat. Er habe dies u.  a. über seinen Humor getan, indem er die „Merkzeichen seiner Menschen“ ins „Karikaturistische“, „ins Humoristische“ übertrieben habe (Zweig: Drei Meister: S. 51, 47, 57). In dieser Art und Weise verfährt auch Freytag in Soll und Haben mit seinen Figuren, besonders mit Antons Kollegen und Hausgenossen. 22 N. N.: G. Freitag’s „Soll und Haben“. In: National-Zeitung 8 (1855), 12. Juni 1855 (Nr. 267), MorgenAusgabe, S. 1  f., hier S. 2. – Ganz ähnlich befindet der Rezensent Robert Heller: „Meisterhaft ist die Genossenschaft der zahlreichen Commis gezeichnet, in welche Anton in dem Kaufmannshause aufgenommen wird“. Weiter heißt es „Die Charaktere, Verhältnisse und Zustände, mit denen uns der Dichter in der Colonialwaarenhandlung von T. O. Schröter […] bekannt macht, sind die gesundesten, fertigsten und plastisch greifbarsten des Werkes“ (H[eller]: Ein deutscher Roman, S. 1). 23 Stifter an Gustav Heckenast, S. 303.

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tigt wurden, gestikulierte der kleine behende Agent mit seinem goldenen Stockknopf in der Nähe von Antons Augen umher und berichtete von einem Seesturme und dem Schaden, den er angerichtet haben sollte. Da knarrte die Tür, und eine ärmlich gekleidete Frau trat herein. Herr Specht erhob sich und fragte: „Was wollen Sie?“ Man hörte klägliche Töne, welche mit dem Gepiep eines kranken Huhns Ähnlichkeit hatten, der Kaufmann griff schnell in die Tasche, und das Piepen verwandelte sich in ein behagliches Glucksen. „Haushohe Wellen“, ruft der Agent. – „Gott vergelt es tausendmal“, gluckst die Frau. – „Macht 550 Mark, zehn Schilling“, sagt Herr Baumann zum Prinzipal. Jetzt wird die Tür heftig aufgerissen, ein starker Mann, mit einem Geldsacke unterm Arm, tritt ein, er setzt den Geldsack triumphierend auf den Marmortisch und ruft mit dem Ausdruck eines Mannes, der eine gute Tat vollbringt: „Hier bin ich, und hier ist Geld!“ Sogleich erhebt sich Herr Jordan und sagt vertraulich: „Guten Morgen, Herr Stephan, wie geht’s in Wolfsburg?“  – „Ein furchtbares Loch“, klagt Herr Braun. – „Wo?“ fragt Fink. – „Es ist keine schlechte Stadt, aber wenig Nahrung“, sagt Herr Stephan.  – „Natürlich im Rumpfe des Schiffes“, antwortet Herr Braun. – „Fünfundsiebzig Sack Kuba“, bemerkt der Prinzipal als Antwort auf die Frage eines Kommis. Während nun Herr Stephan die Neuigkeiten seiner Stadt erzählt, darunter die traurige Geschichte eines Lehrjungen, der sich mit Hilfe einer Schlüsselbüchse erschossen hat, und während Jordan diese notwendige Einleitung zu dem bevorstehenden Einkauf geduldig durchmacht, öffnet sich wieder die Tür, ein Bedienter tritt ein und ein Jude aus Brody. Der Diener bringt dem Kaufmann die Einladung zu einem Diner, und der Jude schleicht an die Ecke, wo Fink sitzt. „Wozu kommt Ihr wieder, Schmeie Tinkeles?“ frägt Fink kalt, „ich habe Euch schon gesagt, daß wir kein Geschäft mit Euch machen wollen.“ „Kein Geschäft?“ ruft der unglückliche Tinkeles […]. „Wie hoch der Zentner?“ fragt Fink schreibend, ohne den Juden anzusehen. „Was ich doch habe gesagt“, antwortet der Jude. „Ihr seid ein Narr“, sagt Fink, „fort mit Euch.“ „Kein Lotse kann ihm helfen“, sagt Herr Braun. „Meine Empfehlung an Herrn Kommerzienrat“, sagt der Kaufmann. „Mit einem Schwefelhölzchen hat er den Schlüssel angezündet“, ruft Herr Stephan zum Himmel blickend. „Wai!“ schreit der Mann im Kaftan. „Was ist das: Fort mit Euch? Mit Fort kann man machen keine Geschäfte.“ (52–54)

In erzählerischer Hinsicht kann man die Art und Weise der Darstellung nicht anders als ‚modern‘ nennen. Der Text versucht, Antons überforderte Wahrnehmung der modernen Arbeitswelt abzubilden. Bemerkenswert am ersten Beispiel ist u.  a. die me­to­ny­mische Beschreibung der Kaufleute über ihre Federn. In dem Maße, in dem sie der hektische Arbeitsalltag zur Eile zwingt, steht zunehmend allein die Feder für die entpersonalisierten sechs Schreiber, gewinnt die Schreibfeder die Überhand über den Menschen. Schon bei der zweiten Erwähnung der Federn führt deren Personifikation dazu, dass die erst nach diesen genannten Schreiber zwar als „ihre Lenker“ bezeichnet werden, die Art und Weise der Darstellung aber genau dies infrage stellt. Die Federn scheinen die Schreiber zu führen – nicht andersherum. Im letzten Satz ist von den Schreibern dann auch gar nicht mehr die Rede; die Federn wiederum sind selbst fremdbestimmt, „mit Entsetzen“ folgen sie dem Schlag der Uhr, die zu mehr Tempo mahnt und an der sie in diesen ‚modernen Zeiten‘ mit ihren Schreibern hängen.

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In Antons selektiver Perzeption drückt sich zugleich eine Wahrnehmungsüberforderung aus, für deren poetische Abbildung der zweite Textauszug in noch höherem Maße steht. Schildert Johann Peter Hebel in seiner Geschichte Teures Späßlein (1811) zwei Geschehensabläufe gleichzeitig,24 so sind es hier vier Gespräche, die zeitgleich ablaufen und die der Text simultan darstellt. Mit erzählerischen Mitteln, die noch Jahrzehnte später als ‚modern‘ gelten werden, wird hier der Versuch unternommen, die zeitgenössische Arbeitswirklichkeit und ihre Herausforderungen poetisch ins Werk zu setzen. Es kommt einem bei Freytag nur schwer über die Lippen, aber rein erzähltechnisch betrachtet wird an diesen Stellen ein Weg beschritten, der auf die Darstellungsmodi des 20. Jahrhunderts verweist. In jedem Fall wirkt die vergleichsweise innovative Art und Weise, den bürgerlichen Arbeitsalltag zu beschreiben – sei es nun humorvoll-ironisch oder ambitioniert-mimetisch – auch auf das Beschriebene; die Form poetisiert den Inhalt, auf den ein neuer Blick ermöglicht und dessen Poesiefähigkeit so belegt wird. Man sollte demnach auch die erzähltechnische Dimension des Romans berücksichtigen, wenn man dessen ‚Poesie der Arbeit‘ oder ‚Poesie des Prosaischen‘ analysiert. Oder einmal anders akzentuiert: Der Roman setzt an einzelnen Stellen auch formal um, was er programmatisch und inhaltlich behauptet: den Reiz des bürgerlichen Alltags. Diesen scheinen die frühen Leser des Romans durchaus empfunden zu haben – und nimmt man abseits ideologiegeschichtlicher Deutungen einmal an, dass der über mehr als ein Jahrhundert währende Erfolg des Romans sich nicht bloß dessen politischer Weltanschauung verdankt, mag man hinzusetzen: wohl auch die späteren. So heißt es in einer zeitgenössischen Rezension, das Kaufmannsleben werde „unter Freytags künstlerischer Darstellung, wie von selbst zu einem anziehenden Leben erweckt“, das „trotz seiner soliden Bürgerlichkeit nicht einmal allen Reiz der Romantik vermissen läßt“.25 Wenn Bourdieu über Flauberts L’Éducation sentimentale schreibt, „Frédérics Erziehung des Herzens ist das fortschreitende Erlernen der Unvereinbarkeit der beiden Welten: Kunst und Geld“,26 so könnte man, nach den bisherigen Erläuterungen zur metapoetischen und erzähltechnischen Dimension des Romans, bezogen auf Soll und Haben konstatieren: Antons Bildungsgang ist das fortschreitende Erlernen einer gelingenden Vereinbarkeit zwischen der ‚Poesie des Herzens‘ und der ‚Prosa des bürgerlichen Alltags‘, zwischen den Verwirklichungsansprüchen des Individuums und den bestehenden Verhältnissen. In diesem Sinne trägt der Text die Signatur eines real­ idealistischen Resignationsprogramms (s. dazu genauer Kap. II.3.4).

24 Johann Peter Hebel: „Teures Späßlein“. In: ders.: Werke. Bd. 1: Erzählungen des Rheinländischen Hausfreundes. Vermischte Schriften, hg. von Eberhard Meckel, eingeleitet von Robert Minder. Frankfurt a.  M. 1982, S. 208  f. 25 H[eller]: Ein deutscher Roman, S. 1. 26 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 47.

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Geht Hegel in der Folge des Wilhelm Meister noch von einem Romanmodell aus, nach dem sich der Held unter Aufgabe bzw. partieller Entsagung seiner ursprünglichen Ideale mit den gesellschaftlichen Verhältnissen arrangieren muss, denen er zunächst scheinbar unvereinbar gegenübersteht,27 so gilt dies für Freytags Protagonisten Anton Wohlfart nicht mehr. Jenen Prozess des resignativen Sich-Fügens ins objektiv Realisierbare und zur Verfügung Stehende, den Bourdieu in Die feinen Unter­ schiede als „soziales Altern“ bezeichnet,28 erlebt der von Anfang an leicht frühvergreist daherkommende Anton nicht als vergleichbar krisen- und konflikthaft. Er muss sich nicht erst schmerzhaft mit der ihn umgebenden Wirklichkeit befreunden. Denn zwischen den anfänglichen Träumen des jugendlichen Helden vom poetischen Duft der Handelswaren und dem Endpunkt seiner Entwicklung besteht hier keine Kluft. Anton muss nicht erst mit seiner ‚Klasse‘ versöhnt werden; er muss über je repräsentative Vertreter anderer Lebenskreise zunächst die Gesellschaft als Ganze kennenlernen, um dadurch zu seiner sozialen Identität als Bürger zu gelangen. In dieser Konstruktion liegt die Verbindung von Individual- und Gesellschaftsroman, von Bildungs- und Zeitroman, die Freytags realistisches Romanmodell kennzeichnet. Zunächst mit poetologischem Fokus gelesen, sind den sozialen Räumen und Handlungsträgern, denen der Held in Soll und Haben begegnet, also verschiedene Werte und ‚Poesien des Herzens‘, d.  h. verschiedene Entwürfe zugeordnet, ebendiese zu finden. Erst im Kontakt mit und im Gefühl der Differenz gegenüber diesen Entwürfen erkennt Anton die Überlegenheit jener Poesie bürgerlichen Lebens, die der Roman zwar bereits zu Beginn behauptet, deren romanpoetologisches Wesen aber genau darin liegt, dass sie nicht vordergründig zu entdecken ist: die Poesie des Prosaischen. Das Ende des Romans entspricht damit einer ästhetischen Herausforderung, wie sie Friedrich Theodor Vischer in der Verlagerung von der Entsagung hin zur Einsicht des Helden verwirklicht sehen wollte: Die Aufgabe der neuen Welt ist die Verwirklichung der wahren Freiheit aus der Einsicht. Darin ist enthalten, daß die Subjektivität wahrhaft in sich zurück und wahrhaft in die Objektivität eingeführt, und ebenso, daß die Individualität als lebendiges Glied eines vernünftigen und verbürgten Organismus gesetzt werden soll. Beides ist bis jetzt unvollkommen geleistet.29

27 Siehe hierzu die Zitate und Ausführungen zu Hegel in Kap. 2.1. 28 „Soziales Altern stellt nichts anderes dar als diese langwährende Trauerarbeit, oder, wenn man mag, die (gesellschaftlich unterstützte und ermutigte) Verzichtleistung, welche die Individuen dazu bringt, ihre Wünsche und Erwartungen den jeweils objektiven Chancen anzugleichen und sich in ihre Lage zu fügen: zu werden, was sie sind, sich mit dem zu bescheiden, was sie haben, und wäre es auch nur dadurch, dass sie (in stillem Einverständnis mit dem Kollektiv) hart daran arbeiten müßten, um sich selbst darüber zu täuschen, was sie sind und was sie haben, um all die nach und nach zurückgelassenen sonstigen Möglichkeiten und alle als nicht realisierbar hingenommenen, weil unrealisiert gebliebenen Hoffnungen zu begraben“ (Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M. 1987, S. 189  f. [Hervorhebungen im Original]). 29 Zit. n. Rhöse: Konflikt und Versöhnung, S. 41.

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Hatte Vischer gerade in der „Stetigkeit des Prosaischen“ ein Problem des Romans gesehen, weil das Stetige poetisch nicht darstellbar sei und so auch einmal ‚gewonnene Idealität‘ „in zugestandene Prosa“ auszulaufen drohe,30 wird ebendiese Stetigkeit im Grenzboten-Realismus geschichtsphilosophisch idealisiert. Ganz im Sinne von Vischers früher Forderung bezeichnen Die Grenzboten als „den wesentlichen Inhalt unsers Glaubens […], daß […] der Mensch seinen vollen Werth erst als Bürger hat, als integrierendes Glied einer sittlichen Gemeinschaft, deren Inhalt er in sich weiß und fühlt“.31 Dies geht einher mit der Logik von Freytags Roman, in dem der Kaufmann Schröter das „arbeitsame Bürgertum zum ersten Stande des Staates“ (332) erklärt – eine Ansicht, die im Textverlauf plausibilisiert und bestätigt wird. Gemäß den Anforderungen an den Bildungsroman nach „bewusstseinsbildender Sinnstiftung im deutschen Bürgertum“32 stellt das ästhetische Programm des Romans zugleich ein realpolitisches ‚Wohlfahrtsversprechen‘ für das deutsche Bürgertum bereit – das Versprechen nämlich, dass das Bürgertum mit seinen Idealen sich auf Dauer im Realen durchsetzen wird. In diesem Sinne prognostiziert Julian Schmidt in den Grenzboten die gesellschaftlich-politische Wachablösung durch ein Bürgertum, das mit seiner soliden, sicher vorwärtsschreitenden Arbeit, das unaufhaltsam in die Lücken des alten, immer morscher werdenden Staatslebens eindringt, das nicht blos nach jedem Sieg, sondern nach jeder Niederlage einen Fuß breit Landes weiter gewinnt, und darum mit Nothwendigkeit das Werk der Geschichte vollführt […].33

Freytags ‚Poesie des Prosaischen‘ macht ein historisch fundiertes und politisch gemeintes Sinnangebot an das deutsche Bürgertum, das nach der gescheiterten Revolution die gegenwärtigen Zustände als prosaisch-ernüchternd empfindet. Die poetischen Qualitäten des Wirklichen herauszustellen, heißt auch, die Gegenwart zu verklären und zu idealisieren, indem man sie historisiert. Bürgerliche Arbeit ist vor diesem Hin-

30 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, S. 1310. 31 [Schmidt]: Zu Goethe’s Jubelfeier, S. 208. 32 Wilhelm Voßkamp: Der Bildungsroman als literarisch-soziale Institution: Begriffs- und funk­ tions­geschichtliche Überlegungen zum deutschen Bildungsroman am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Christian Wagenknecht (Hg.): Zur Terminologie der Literaturwissenschaft. Stuttgart 1989, S. 337–352, hier S. 349. 33 [Julian Schmidt]: Der Zauberer von Rom. In. Die Grenzboten 20 (1861), II. Semester, IV. Band, S.  241–248, hier S.  243.  – Ähnlich konstatiert Rochau in seiner epochalen Schrift zur ‚Realpolitik‘: „Vermöge seiner Bildung, seines Wohlstandes, seines Unternehmungsgeistes, seiner Arbeitslust und Arbeitskraft ist der Mittelstand in der Neuzeit der eigentliche Träger der gesellschaftlichen Kultur, des wirtschaftlichen Gedeihens und des politischen Fortschritts geworden“ (Ludwig August [!] von Rochau: [Der politische Idealismus und die Wirklichkeit]. In: Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Stuttgart 1997, S. 60–67, hier S. 65).

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tergrund verstetigter bürgerlicher Fortschritt, ist „Arbeit an der Geschichte“34 (s. auch Kap. II.3.4). Das Ideale innerhalb des Realen zu suchen und sich von schwärmerischen Illusionen zu befreien, das ist bei Freytag und Schmidt von Beginn an eine feldübergreifende und mit „Scharnierbegriffen“35 (‚romantisch‘ vs. ‚realistisch‘) operierende Maxime,36 nach der ‚die Bestimmung‘ des Bürgertums weder politisch noch poetisch in ‚romantischen Illusionen‘ zu suchen, sondern über die Verstetigung der bürgerlichen Ideale in Form von ‚Arbeit‘ und ‚Bildung‘ – als den historischen Triebkräften einer nach Julian Schmidt „immanente[n] Vernunft der Dinge“37  – zu erreichen sei. Die ‚realistische Wende‘ des nachmärzlichen Liberalismus bestand nicht zuletzt darin, die eigenen Ideen in der Wirklichkeit aufzusuchen statt die Wirklichkeit um jeden Preis nach den eigenen Ideen zu bilden.38 Seine, inzwischen dreibändige, Literaturgeschichte beendet Julian Schmidt 1855 entsprechend mit diesem gegenwartsbezogenen Sinnangebot: Wir haben in frühester Zeit unser Herz zu sehr an unbestimmte Ideale geknüpft, unserer Phantasie zu sehr an Bildern aus der Fremde geweidet; jetzt sind wir mitten unser deutsches Leben versetzt, tief in Sorge, Noth und Leidenschaft getaucht, aber aus dem Boden, auf welchem wir stehen, erwächst uns auch immer neue Kraft, und in ernster, folgerichtiger Arbeit werden wir erkennen, daß das wahrhaft Ideale auch das Wirkliche ist.39

34 Kinder: Poesie als Synthese, S. 53. 35 Zum Terminus des „Scharnierbegriffs“ in feldanalytischer Perspektive vgl. erhellend: Gerhard Kaiser: Grenzverwirrungen. Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus. Berlin 2008, S. 29  f. 36 Wie u.  a. Peter Stemmler instruktiv beschrieben hat, sind die Begriffe ‚Realismus‘ bzw. ‚realistisch‘, ‚romantisch‘ oder ‚idealistisch‘ mehrfach codiert und weisen als feldübergreifende Termini, die im politischen wie im literarischen Diskurs gleichermaßen Verwendung finden, eine breite Semantik auf: vgl. Peter Stemmler: „Realismus“ im politischen Diskurs nach 1848. Zur politischen Semantik des nachrevolutionären Liberalismus. In: Edward McInnes u. Gerhard Plumpe (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München/Wien 1996, S. 84–107, hier bes. S. 95–99. – Was für Die Grenzboten in besonderer Weise charakteristisch ist, weil sie von einer parallelen Entwicklung von Literatur und Politik sowie von einem Einfluss- und Bedingungsgefüge zwischen beiden Bereichen ausgehen, findet sich ähnlich auch bei anderen Publizisten. So sah etwa mit von Rochau der führende Kopf ‚realpolitischer‘ Grundsätze die Gefahr utopischer ‚romantischer Forderungen‘ darin, dass sie das Bürgertum schwächen und die Reaktion bestärken würden: „Durch seine Vorspiegelungen aus dem lustigen Reich der Phantasie entfremdet der Radikalismus einen Teil des Volkes der politischen Arbeit in der wirklichen Welt“ (August Ludwig von Rochau: Grundsätze der Realpolitik. Angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands. Zweiter Theil. Heidelberg 1869, S. 66). 37 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1. ²1855, S. IX. 38 Vgl. dazu genauer Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1998, S.  718–722; Reinhard Rürup: Deutschland im 19. Jahrhundert. 1815–1871. In: ders., Hans-Ulrich Wehler u. Gerhard Schulz: Deutsche Geschichte. Bd. 3: 19. und 20. Jahrhundert. 1815–1945. Göttingen 1985, S. 183. 39 Julian Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neuhnzehnten Jahrhundert. Dritter Band: Die Gegenwart. Zweite, durchaus umgearbeitete, um einen Band vermehrte Aufl. Leipzig 1855, S. 516.

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An diese Suchanweisungen und Erbauungsformeln knüpft Soll und Haben im selben Jahr schon mit den Paratexten (Motto und Widmung) an. Wie sich ausführlicher mit Blick auf die politische Positionierung der Grenzboten zeigen ließe, die sich im Untertitel explizit feldverbindend als „Zeitschrift für Politik und Literatur“ verstehen, wird Soll und Haben ausdrücklich als bürgerlicher Bildungsroman für ein bürgerliches Lesepublikum entworfen, der diesem nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848 ein Sinnangebot offeriert, das die Lehre des Textes zur Lehre des Sozialzusammenhangs macht.40 Eine solche, beide Felder gleichermaßen adressierende Doktrin geht insofern ganz in der Programmatik der Grenzboten auf, als für das historistische Verständnis der Zeitschrift die Annahme homologer Feldentwicklungen konstitutiv ist: „[D]ie Literaturgeschichte ist ein integrirender Theil der allgemeinen Geschichte, die durch die beiden andern Gebiete der politischen und Culturgeschichte im engern Sinn ergänzt wird und mit ihnen in beständiger Wechselwirkung steht.“41 Diese Verknüpfung ist über die hier angenommene Homologie hinaus für einen feldtheoretischen Zugriff nach Bourdieu interessant, weil dieser den „Raum des Möglichen“ und damit die Bedingungen der Möglichkeit einer Position ebenfalls feldübergreifend denkt.42 Durch die Widmung an den liberalen Reformherzog Ernst II. (von Sachsen-Coburg und Gotha) wird in Soll und Haben deutlich der Anschluss an eine externe Autorität auf dem „Feld der Macht“ und dessen politische Position hergestellt (vgl. GW IV, 3  f.). In der Widmung entwirft Freytag das Buch als liberale Erbauungsliteratur, das die ‚Mutlosigkeit‘ und resignativen Tendenzen der Nachmärzjahre in Optimismus wandeln soll (s. dazu auch Kap. II.3.4).43 Bei den Grenzboten und ihrer sich fundamental auch politisch verstehenden Literaturprogrammatik bedingen politische und literarische Positionierung einander. Entsprechend könnte man zeigen, dass in Soll und Haben nicht nur – wie dargelegt – die literarästhetischen Diskussionen aus den Grenzboten aufgenommen werden; auch knüpft der Roman poetisch an politische Debatten an, wie sie dort zuvor journalis-

40 Bezogen auf Freytags realidealistisches Sinnangebot fasst Eda Sagarra nicht unzutreffend zusammen: „Freytag […] verknüpfte den Geist von 1848 mit dem von 1871, das heißt, er verschmolz den abstrakten Idealismus der Liberalen mit der preußischen Realpolitik“ (Sagarra: Tradition und Revolution, S. 285). – Zur Deutung des Romans als bürgerliches Sinnangebot nach der gescheiterten Revolution vgl. ausführlich Stockinger: Realpolitik. 41 Julian Schmidt: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit [Bd. 1]. Leipzig 1870, S. 44. 42 Als „System (sozialer) Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien […], gesellschaftlicher Bedingungen der Möglichkeit und Legitimität, das (wie Gattungen, Schulen, Techniken, Formen) das Universum des Denkbaren wie des Undenkbaren definiert und begrenzt“ (Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 373). 43 Zu diesem diesseitsorientieren, aus der der Geschichte und der Wirklichkeit abgeleiteten Optimismus vgl. auch: S[chmidt]: Jeremias Gotthelf, S. 493.

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tisch abgehandelt wurden.44 Die Anbindung des Romans an die Zeitschrift zeitigt dabei einerseits einen spezifischen Effekt von Realität,45 andererseits offenbart sie die politische ‚Tendenz‘ des Textes, die Freytag im Brief an Heinrich Geffcken 1856 bestätigt: „[I]m Grunde lag mir während der Arbeit am meisten an der Tendenz und zwar an der politischen.“46 Durch die einsinnige Deutung Soll und Habens als ‚Tendenzroman‘ ist die durchaus komplexe erzählerische Anlage des Textes vielfach unbeachtet geblieben (ja sogar vehement bestritten worden);47 übersehen wird dabei etwa, dass das Werk zwar eindeutig Partei für das Bürgertum ergreift, die Romanhandlung in der Darstellung des Verhaltens anderer sozialer Gruppen jedoch multiperspektivisch-mehrsinnig (z.  B. mittels wechselnder interner Fokalisierungen) motiviert wird, ohne dass diese Gruppen oder Figuren sofort diskreditiert werden bzw. rein als Kontrastfiguren48 fungieren. Stellvertretend sei hier folgende Stelle zitiert: Veitel merkte, daß er bei einem wichtigen Punkt seines Lebens angelangt sei, er fuhr mit der Hand in die Jacke nach seiner alten Brieftasche und hielt sie einen Augenblick in der bebenden Hand. Was in diesem Moment durch seine arme Seele fuhr, – und es war nur ein Moment – das waren wilde und schmerzhafte Empfindungen. Schnell wie Blitze zuckten sie durcheinander. Er dachte in diesem Augenblick an seine alte Mutter in Ostrau, ein ehrliches Weib, wie sie ihre goldene Kette verkauft hatte, um ihm die sechs Dukaten in die Ledertasche zu nähen; er sah sie vor sich, wie sie ihn beim Abschiede mit Tränen gebenscht hatte und zu ihm gesagt: „Veitel, es ist eine arge Welt, verdiene dir ehrlich dein Brot, Veitel!“ – Er sah seinen grauen Vater vor sich auf dem Totenbett liegen, wie ihm der weiße Bart herunterhing über den magern Leib – und tief holte

44 Einschlägig in dieser Hinsicht sind etwa die Übereinstimmungen zwischen Soll und Haben und Freytags Aufsatz „Die Juden in Breslau“ (1849); vgl. Gustav Freytag: Die Juden in Breslau. In: VA II, S. 339–347, hier S. 340  f. und SuH, 49, 102. 45 In Anlehnung an Roland Barthes’ ‚Realismus-‘ bzw. ‚Wirklichkeitseffekt‘: Roland Barthes: L’Effet de Réel [1968]. In: ders.: Œuvres complètes. Tome II: 1966–1973. Paris 1994, S. 479–484. 46 Gustav Freytag an Heinrich Geffcken, 23. August 1856. In: Carl Hinrichs: Unveröffentlichte Briefe Gustav Freytags an Heinrich Geffcken aus der Zeit der Reichsgründung. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 3 (1954), S. 65–117, hier S. 76. 47 Die problematischen ideologischen Implikationen galten der Literaturwissenschaft vielfach als Freifahrtschein, den Roman polemisch abzuwerten, ja ihm gar den literarischen Charakter gänzlich abzusprechen, ohne dieses Werturteil näher begründen zu müssen. Beispielhaft sei hier nur auf die Aussagen von Martin Swales verwiesen: ‚Fontane hat sich in seiner Bewertung geirrt‘; „von kaum zu überbietender Banalität“, „Poesie […] unter dem Einkaufspreis“, „gravierende künstlerische Mängel“ (Swales: Epochenbuch Realismus, S.  90, 95, 97). Vgl. jüngst ähnlich auch: Jan Süselbeck: Tertium non datur. Gustav Freytags „Soll und Haben“, Wilhelm Raabes „Hungerpastor“ und das Problem des Literarischen Antisemitismus – eine Diskussion im Wandel. In: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 54 (2013), S. 51–72, hier S. 69  f. 48 Vgl. dagegen die Deutung von Kafitz, der selbst einschlägige Stellen präsentiert, sie aber für die Grundanglage des Textes und seiner Figuren als ‚folgenlos‘ bewertet: Dieter Kafitz: Figurenkonstellation als Mittel der Wirklichkeitserfassung. Dargestellt an Romanen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert (Freytag, Spielhagen, Fontane, Raabe). Kronberg i. Ts. 1978, bes. S. 65–84.

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er Atem. Auch an die fünfzig Taler dachte er, wieviel Mühe ihm [!] gekostet hatte, sie im Schacher zu erwerben, wie oft er darum gelaufen war, wie oft man ihn geschmäht, ja als Überlästigen mit Schlägen bedroht hatte. (SuH, 111)

Der nullfokalisierte Erzähler des Romans blendet hier, wie so oft, auf das Innere einer der Figuren.49 Er vertieft sich so sehr in Veitels Gedankengänge, dass er sogar Veitels Sprache annimmt. Deutlich wird dies an dem jiddischen Wort „gebenscht“ (für ‚gesegnet‘). Der gängigen Deutung des Romans entgegen wird die vermeintlich bloße Negativ- und Kontrastfigur Veitel Itzig an dieser Stelle nicht lächerlich gemacht oder in seinen unlauteren Absichten vorgeführt. Vielmehr werden Veitels Handeln und Denken individuell und sozial plausibilisiert – so wie an verschiedenen weiteren Stellen (vgl. z.  B. 18  f., 41–43, 101–106, 110–112). Auch wird das Jiddische in diesem Textauszug nicht dem Gespött preisgegeben, sondern zur realistischen Figurenzeichnung eingesetzt. Es waren u.  a. jüdische Leser, die dies erkannten und Freytag aufgrund der mehrsinnigen Charakterzeichnung seiner Figuren zeitgenössisch in Schutz genommen haben.50 Adalbert Stifter wiederum übte gerade an der ambivalenten Figurenkonzeption im Fall von Veitel deutliche Kritik. Dass dieser sowohl als Antons böser und schließlich mörderischer Gegenspieler entworfen als auch auf einem Weg von „Dulden und Leiden“ begleitet wird – der bei einigen Lesern „Mitleid“ hervorrief51 – erschien Stifter zu uneindeutig und inkonsequent.52 Fassbinder wiederum wollte bei seiner geplanten Verfilmung des Romans offenbar genau jene Stellen weiterschreiben, in denen Veitels Handeln aus einer Leidensgeschichte heraus motiviert wird.53 Nun betrifft die mehrsinnige Form der Darstellung nicht allein die jüdischen Charaktere. Selbst negative Nebenfiguren wie der Rechtsanwalt Hippus werden von Freytag mitsamt ihrer Vorgeschichte eingeführt und mit intern fokalisierter Anteilnahme (etwa für die Vater-Sohn-Beziehung von Veitel und Hippus) begleitet, so dass ihr Verhalten motiviert, d.  h. in einen Erklärungszusammenhang gestellt wird (vgl. 114–117). Freytag, dessen Roman auch in dieser Studie als Programmroman gelesen wird, verfährt in dieser Hinsicht anti-programmatisch. Noch 1853 warnt er davor, in 49 Becker mag vielleicht dadurch dazu veranlasst worden sein, bei Soll und Haben unzutreffend von einem „personalen Erzähler“ zu sprechen (Becker: Die „bürgerliche Epopöe“ im bürgerlichen Zeitalter, S. 67). – Zur komplexen Erzählperspektive vgl. dagegen das Beispiel und die Ausführungen bei: Nathali Jückstock-Kießling: Ich-Erzählen. Anmerkungen zu Wilhelm Raabes Realismus. Göttingen 2004, S. 133  f. 50 Vgl. G[otthard] Deutsch: Die Juden in Gustav Freytag’s Dichtungen. Zu seinem 70. Geburtstage. In: Allgemeine Zeitung des Judenthums 50 (1886), 24. August 1886 (Nr. 35), S. 547–550. 51 So Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 87; siehe auch weitere Belege in diesem Kapitel. 52 Adalbert Stifter an Gustav Heckenast, 7. Februar 1856, S. 302. 53 Vgl. dazu Knopp: Salomon Itzig. Aus dem Drehbuch zur „Soll und Haben“-Verfilmung; ders.: Vom schwierigen Umgang mit Geschichte.

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der Kunst so mit den Menschen zu verfahren wie im „wirklichen Leben“, wo man die Verpflichtung habe, die Verirrungen und falschen Schritte eines Menschen schonend und wohlwollend zu beurteilen, ja wir werden kaum zu tadeln sein, wenn wir für das Unrecht, welches ein uns theurer Mensch begangen hat, alle Entschuldigungsgründe mit Sorgfalt so hervorheben, daß sein Unrecht möglichst gering erscheint; aber in dem Reiche der Kunst, der Freiheit und Schönheit müssen die ewigen Gesetze der Sitte und des Rechtes stets klar und allmächtig heraustreten, denn die einzige Grundlage wahrer Schönheit ist der sichere Fond von ethischen Empfindungen, welche der Dichter und seine Zeit haben. Wo dieser Grund wankt oder verloren gegangen ist, da wird das Schöne häßlich und die edelsten Intentionen des Schreibenden verwandeln sich in seiner Feder zur gemeinen Caricatur.54

Bei allem, was man dem Roman in ideologischer Hinsicht zur Last legen kann, gehört es zu dessen erzählerischen Vorzügen, dass Freytag hier vom Programm einer kon­ tras­tiven Darstellung abweicht und – in Umwendung der Worte des Autors – das vermeintlich ‚Häßliche‘ ein Stück dadurch verschönert, dass er „die ungeheure, furchtbare, unverständliche Welt ins Menschliche um[]deutet,“ wie Freytag später über Charles Dickens sagen wird.55 „[D]ie liebevolle Hingabe an das Individuelle“ (GW XIV, 222), wie es in Die Technik des Dramas heißt, unterläuft zum Teil erzählerisch die auf Vereindeutigung zielende ideologische Tendenz des Textes – das erzählerische Programm des Romans ist in gewisser Weise klüger und weiter als der Inhalt der wertenden Erzählerkommentare.56 Bourdieus auf Flaubert bezogene These, dass die Struktur des Werkes mit der sozialen Welt korreliert, die es darstellt und in der es situiert ist (‚Homologie‘), ließe 54 [Freytag]: Neue deutsche Romane, S. 127. – Vgl. ähnlich auch die Ausführungen Julian Schmidts: S[chmidt]: Der neueste englische Roman und das Princip des Realismus, S. 472. 55 Freytag: Ein Dank für Charles Dickens, S. 244. 56 Vgl. in diesem Sinne auch die hellsichtigen Bemerkungen Rainer Werner Fassbinders anlässlich der Debatte um die von ihm geplante Verfilmung Soll und Habens: „[G]egen den Ideologen Freytag [setzt] sich immer wieder der Journalist Freytag durch[], der Erlebtes und Interpretiertes voneinander trennt, seine eigene Ideologie in kommentierende Passagen verlagert […]. Ohne sie entdeckt man bei Freytag plötzlich die Beschreibung von denkbarer Wirklichkeit, zum großen Teil Beschreibungen von, und ich scheue mich nicht, das zu sagen, genau beobachteter Wahrheit. […] Ein Judenviertel in seiner verordneten Enge, seiner Trostlosigkeit, seiner Hoffnungslosigkeit beispielsweise wird genau beschrieben; in den folgenden ideologisierenden Passagen wird dann freilich ungeniert behauptet, diese Viertel seien so, weil deren Bewohner sie gar nicht anders wollten. […] Der Journalist Freytag und die Juden: […] Kappt man, was er uns in seinem Bewertungsschema beibringen will, beschreibt selbst er sie schon als ausgestoßene Gruppe, die deshalb nicht anders kann, weil sie nicht anders darf, deren Verhaltensweisen geprägt werden durch mindere Rechte innerhalb des Staatsgefüges, in dem sie leben. Ganz klar wird auch bei Freytag schon […], daß es eben andererseits genau jene besonderen Rechte, […] die allein ihnen das Bürgertum zugestand, […], nämlich in erster Linie das Verleihen von Geld, das Geschäftemachen mit Geld, daß es diese ‚Rechte‘ waren, die die Juden wiederum verhaßt machen.“ (Rainer Werner Fassbinder: Gehabtes Sollen – gesolltes Haben. In: Die Zeit, 11. März 1977 (Nr. 12), S. 7  f., hier S. 8)

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sich, hieran anschließend, auch für Soll und Haben nachgehen. Den Forderungen der zeitgenössischen Romanästhetik nach einer Abkehr vom allein egozentrierten Individualroman hin zum bürgerlichen Zeit- bzw. Gesellschaftsroman begegnet Freytag, anders als Gutzkow, nicht mit einem figurenreichen panoramatischen Erzählkonzept, sondern indem er über wenige sozial repräsentative Figuren eine am Drama orientierte Geschlossenheit herstellt. In Erinnerung gerufen sei in diesem Zusammenhang noch einmal Freytags Kritik an Willibald Alexis und dessen Roman Isegrimm. In dieser verlangt er vom Roman die Darstellung einer für den Leser sofort überschaubaren, streng geordneten und als sinnhaft erkennbaren Welt (s. Kap. 2.3).57 Auch Schmidts Überlegungen gehen eindeutig in diese Richtung. An Hackländers Handel und Wandel hebt er etwa ausdrücklich die Beschränkung auf wenige Figuren sowie auf einen kleinen Darstellungskreis, der dafür umfassend ausgemalt werde, lobend hervor.58 Romanprojekten in der Art des ‚Roman des Nebeneinander‘ oder ‚Vielheitsroman‘ wird damit zugleich eine Absage erteilt. Ludwig Löffler hat Freytags spezifisches Erzählkonzept in seiner Zeichnung für die Leipziger Illustrirte Zeitung 1856 kongenial abgebildet (Abb. 14)59: In der Bildmitte findet sich nicht etwa Anton Wohlfart, den die Forschung zur ‚Modellfigur‘ und zum „ideologischen Sprachrohr“ erklärt hat,60 sondern der Autor (damals wohl gleichgesetzt mit dem Erzähler) als textorganisierendes Zentrum.61 Man könnte dies als Hinweis auf die narrative Beschaffenheit des Textes deuten, dessen nullfokalisierter Erzähler in einer für die Erzählverfahren der Epoche charakteristischen Weise über den Figuren steht62 und dessen Überlegenheit und (vielfach multiperspektivisch agierende) Übersicht sich in einer häufig humorvoll-ironischen Erzählhaltung artikuliert, die auch vor dem bevorzugten bürgerlichen Lebensentwurf nicht haltmacht (und in der Erstrezeption zum Teil – analog zur Ironie in Die Journalisten, s. Kap. II.4.2 – mit Kritik bedacht wurde).63 Beispielhaft sei hier nur auf den Beginn des 57 [Freytag]: [Rez.] Isegrimm, S. 323  f. 58 Vgl. [Schmidt]: Neue Romane. 2., S. 953. – Dass Freytag dem Anspruch der Grenzboten mit Soll und Haben in dieser Hinsicht gerecht wird, bestätigt sich noch in der späteren Kritik von Stern, der hervorhebt, dass der Text um der „Lebenswahrheit“ und „Darstellung des Wirklichen“ willen eine gewissen „Enge“ herstelle (Stern: Geschichte der neuern Litteratur. Bd. 7, S. 99). 59 [Radierung von Ludwig Löffler zu Freytags Soll und Haben]. In: [Leipziger] Illustrirte Zeitung, 19. April 1856 (Nr. 668), S. 273. – Das obere Bilddrittel zeigt „T. O. Schroeter, Pix, Sturm, Sabine“. Auf rechten Seite finden sich: „Wohlfart, Pinkus“, links: „V. Itzig, Hippus“, in der unteren Reihe: „Familie v. Rothsattel, v. Fink, Familie Ehrenthal“. 60 Grunert: Lenore oder die Versuchung des Bürgers, S. 27. 61 Vgl. vor diesem Hintergrund die Ausführungen Petersens zu Soll und Haben, der u.  a. darauf aufmerksam macht, dass der Roman mit der bisherigen Tendenz bricht, den Titel nach dem Protagonisten zu wählen: Jürgen H. Petersen: Formgeschichte der deutschen Erzählkunst. Von 1500 bis zur Gegenwart. Berlin 2014, S. 242–245. 62 Vgl. Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 15. 63 Vgl. nur beispielhaft: Auerbach: Soll und Haben, Roman in 6 Büchern von Gustav Freytag, S. 3995; Marggraff: Ein Roman, „der das deutsche Volk bei seiner Arbeit sucht“, S. 447  f.

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Abb. 14: Zeichnung Ludwig Löfflers zu Freytags Soll und Haben von 1856 aus der Leipziger Illustrirten Zeitung

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Buches verwiesen, der die bürgerliche Lebenswelt des 19. Jahrhundert stellenweise karikierend in den Blick nimmt. Ironisch macht der Erzähler etwa auf die Bedeutung aufmerksam, welche untadlige Wäsche und weiße Gardinen als (nach außen gerichtetes) standesspezifisches Attribut für das Bürgertum haben. Sie verbinden nicht nur das Haus Wohlfart mit dem Haus Schröter (5, 11, 38); an ihnen messen sich auch die bürgerlichen Werte von Sauberkeit, Sittsamkeit und Ordnung, die der Text zum einen programmatisch propagiert, die er allerdings zum anderen auch karikaturesk beleuchtet, wenn die Ordnungsliebe etwa mit eindeutigen Ironiesignalen als Pedanterie geschildert wird oder wenn die Bedeutung der rechtzeitig geöffneten Fensterläden einen Eindruck (vgl. 11) von dem strengen und normativen Beobachtungssystem der bürgerlichen Gesellschaft vermittelt. Diese Erzählerkonzeption entspricht dem Humorbegriff, wie ihn sowohl Freytag als auch Schmidt erörtert haben. Befindet Freytag in seiner Technik des Dramas: „Grundlage des Humors ist die unbeschränkte Freiheit eines reichen Gemüthes, welches seine überlegene Kraft an den Gestalten seiner Umgebung mit spielender Laune erweist“ (GW XIV, 268), so heißt es bei Schmidt über die Erzählhaltung Walter Scotts, dieser „deute[] überall durch ganz zarte ironische Winke, trotz der Wärme, mit der er sich in die Anschauungsweise seiner Helden vertieft, die Freiheit von ihren Voraussetzungen an.“64 Zur zentralen Herausforderung für den Romancier hat Freytag schon 1851 im Zusammenhang mit seiner Rezension zu Hackländers Namenlose Geschichten erklärt, ob es dem Dichter gelingt, sehr verschiedenartige Persönlichkeiten in solcher Weise zu schauen, und das Ganze der menschlichen Gesellschaft mit innerer Freiheit und liebevoller Zuneigung zu verstehen; oder wenigstens einen gewissen größeren Kreis von Personen und Schicksalen mit ausgezeichnetem Humor zu empfinden.65

Gesamtgesellschaftlicher Darstellungsanspruch, multiperspektivische Erzählanlage und ironisch-humorvolle Erzählhaltung66 sind hier bereits als Programm formuliert.67 64 [Schmidt]: Englische Novellisten, S. 166. 65 [Freytag]: Deutsche Romane. I. [Rez.] Namenlose Geschichten, S. 264. 66 Bereits im Entwurf zu seiner Breslauer Abschiedsvorlesung (wohl 1844) spricht Freytag von der Notwendigkeit der Ironie in der Dichtung. Über diese heißt es da wie folgt: „Das ruhige klar Ueberstehen über den Verhältnissen, über den Leiden u. Freuden, den Hoffnungen u. Wagnissen seiner Zeit, ja über dem Schmerzen u. Entzücken des eigenen Herzens, das bedingt den grossen Dichter“ (StB, Nachlass Gustav Freytag, Varia 83: Entwurf zur Abschiedsvorlesung vor Studenten). 67 Es erscheint mir lohnenswert, den Zusammenhang zwischen Multiperspektivität, Ironie, olympischem Erzählen und Ideologie einmal näher ausgehend von Soll und Haben für Freytag zu analysieren. Anknüpfen könnte man dabei an die Studie von Jens Ewen, der Thomas Manns ironisches Erzählen als Form des Wahrheitspluralismus deutet: Jens Ewen: Ein Spiel zwischen Geist und Leben. Thomas Manns Ironie als Sprache der Moderne. Saarbrücken 2011 (http://scidok.sulb.uni-saarland.de/volltexte/2015/6191/); erscheint augenscheinlich überarbeitet und in Buchform unter dem Titel: „Erzählter Pluralismus. Thomas Manns Ironie als Sprache der Moderne“.

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Eine streng kontrastive Struktur von zahlreichen Gegenspielern, wie sie Freytag später für den Roman behauptet hat (s. Kap. 2.3.1), lässt sich aus der Zeichnung nicht ablesen. Wohl aber sind Anton und Veitel als Parallelfiguren dargestellt. Interessant ist auch, dass die Illustration mit den Arbeitern bzw. der Arbeit und Fink Figuren und Aspekte in die Mitte rückt, die im Text zentral sind bzw. zentral sein sollen. Dass der Adel (hier im standestypischen Habitus gezeichnet) in der Hierarchie des Romans nicht etwa oben, sondern unten steht, setzt die Abbildung ebenfalls bemerkenswert um. Die hier illustrierte Erzählwelt entspricht der vom Roman entworfenen Sozialwelt, der in Text und Bild je repräsentative Vertreter zugeordnet sind. Hier hat mit einem Wort Julian Schmidts „jeder Stand seine Stelle im Reich der Poesie“ – die selektive soziale Wirklichkeitsbetrachtung der Grenzboten dabei immer vorausgesetzt;68 denn die unterste Ebene der Angestellten im Hause Schröter, die Auflader, erreichen ihren Platz im ‚Reich der Poesie‘ nur dadurch, dass der Text ihr Leben verklärt (dies geschieht erstens dadurch, dass ihre soziale Wirklichkeit euphemistisch beschönigt wird – die Arbeiterschaft wird zum einen bescheidenen Wohlstand erwerbenden Kleinbürgertum – und dass diese zweitens darstellungstechnisch als märchenhafte ‚Riesen‘ idealisiert werden); Aspekte der Sozialen Frage schließt der realistische Programmtext epochentypisch aus bzw. verklärt sie aus einer ‚olympischen Perspektive‘.69 Auch hierin ganz auf die literaturprogrammatischen Anforderungen der Zeit verweisend, konnte der Zeichner Ludwig Löffler alle wichtigen Figuren aus Freytags Roman in ein geordnetes Bild fassen. Bei Gutzkows ‚Roman des Nebeneinander‘ wäre dies nicht möglich gewesen.70 Freytag dagegen, so Robert Giseke in seiner Rezension zu Soll und Haben, erstrebe im Unterschied zum Konkurrenzmodell Gutzkows keine „Totalität einer Weltanschauung“, sondern einen genau durchdrungenen „Abschnitt des Lebens“, ein „abgeschlossenes, mustergültiges Bild gesellschaftlicher Verhältnisse“.71 Diese „Selbstbeschränkung“ wird in der Erstrezeption – in expliziter Abgrenzung vom Modell Gutzkows – als besondere ästhetische Leistung des Werks

68 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. 31856, S. 296. 69 Diese Erzählhaltung, die sozial selektiv vorgeht und der sozialen Wirklichkeit unterhalb des mittleren Bürgertums nur ironisch euphemisierend bzw. herablassend begegnen kann, hat Hans Christian Andersen in seinem Text „Herzenskummer“ kongenial reflektiert. Dieser erscheint geradezu wie auf die ‚olympischen Erzähler‘ des deutschsprachigen Realismus gemünzt – und gerade der Schlussakkord des Textes lässt sich gegen jene lesen, die poetisch Aktien auf die bürgerliche Ökonomie gezeichnet haben, also auch gegen Freytag. – Hans Christian Andersen: Herzenskummer. In: ders.: Schräge Märchen. Ausgesucht und aus dem Dänischen übertragen von Heinrich Detering. Mit einem Essay von Michael Maar. München 2003, S. 204–206. 70 Zum ‚Roman des Nebeneinander‘ vgl. grundlegend: Gustav Frank: Krise und Experiment. Komplexe Erzähltexte im literarischen Umbruch des 19. Jahrhunderts. Wiesbaden 1998, für Gutzkow vgl. bes. S. 113–266. 71 Giseke: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern von Gustav Freytag. Eine Charakteristik, S. 313, 317.

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gewürdigt.72 Gisekes Beschreibung von Freytags Romanmodell als „Gesellschaftsorganismus im Kleinen“73 entspricht dabei dem Selbstanspruch des Dichters, das „Abbild der gesamten Menschenwelt im Kleinen zu geben“ (GW I, 182). Tatsächlich sind die meisten Figuren in Soll und Haben sozial-repräsentative Vertreter. Darin liegt die Verbindung von Individual- und Gesellschaftsroman begründet, die das Werk ausmacht. Diese Figuren weisen „das Gepräge des Typischen“ auf, wie Schmidt über die Charaktere Walter Scotts sagt.74 Sie sind mit einem Wort Theodor Fontanes – und damit den realistischen Romanvorgaben entsprechend – „nicht bloß Typ und nicht bloß Individuum“.75 Seine Figuren präsentiert der Roman in ihren jeweiligen sozialen bzw. habituellen Handlungslogiken und Wertesystemen.76 Umfangreich wird z.  B. gleich im dritten Kapitel das Verhalten des Freiherrn von Rothsattel aus seiner Familiengeschichte und seinem – wenngleich falschen und nicht mehr zeitgemäßen – Standesdenken hergeleitet: Er war ein durchaus ehrlicher Mann, […]. Kurz, er war das Musterbild eines adligen Rittergutsbesitzers. […] Wie alle Menschen, welchen das Schicksal Familienerinnerungen aus alter Zeit auf einen Schild gemalt und an die Wiege gebunden hat, war auch unser Freiherr geneigt, viel an die Vergangenheit und Zukunft seiner Familie zu denken. […] Er hätte deshalb gern sein Haus für alle Zukunft vor dem Herunterkommen gesichert […]. Und er empfand mit Schmerz, daß sein altes Geschlecht in der nächsten Generation in dieselbe Lage kommen werde, in der die Kinder eines Beamten oder eines Krämers sind, in die unbequeme Lage, sich durch eigene Anstrengung eine mäßige Existenz schaffen zu müssen. (SuH, 23  f.)

Das Handeln Oscar von Rothsattels wird von seinem ständischen Denken und adligen Wertesystem, von einer dynastisch-adligen Soziallogik bestimmt, die der Text kohärent und aus Figurensicht plausibel entfaltet – und die durch Veitels Außenperspektive bestätigt wird: „‚Wenn du diesem Baron aufzählst hunderttausend Talerstücke, wird er dir doch nicht geben sein Gut, was er hat geerbt von seinem Vater.‘“ (18) Aus diesem (im Folgenden abermals mittels interner Fokalisierung präsentierten) Denken heraus beginnt der Freiherr mit dem letztlich verheerenden Bau der Fabrik:

72 Stahr: Gustav Freytag’s „Soll und Haben“, S. 2. 73 Giseke: Soll und Haben, S. 315. 74 Schmidt: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit. [Bd. 1]. 1870, S. 207. 75 Zit. n. Katharina Grätz: Alles kommt auf die Beleuchtung an. Theodor Fontane – Leben und Werk. Stuttgart 2015, S. 62. – Dieses Figurenverständnis steht durchaus dem Verhältnis von Individuum und Klasse bei Bourdieu nahe (vgl. Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt a.  M. 1976, S. 187–189). 76 Eine Wertanalyse (nach Simone Winko: Wertungen und Werte in Texten. Axiologische Grundlagen und literaturwissenschaftliches Rekonstruktionsverfahren. Braunschweig/Wiesbaden 1991) von Freytags Text nimmt Söhnke Grothusen im Rahmen seines Dissertationsprojekts zur ‚Generationenproblematik in deutschen und russischen Entwicklungsromanen des 19. Jahrhunderts‘ vor. Sie könnte die hier aus sozioanalytisch-sozialgeschichtlicher Perspektive vorgestellten Thesen ergänzen und bestätigen.

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Wenn ich es doch wage, so geschieht es nicht um unsertwillen, sondern für die Kinder, für die Familie. Ich will das Gut befestigen bei unserem Hause, ich will seine Einkünfte so vermehren, daß der Herr dieses Schlosses in der Lage ist, auch für die Zukunft der Lieben zu sorgen, denen er nach dem alten Recht der Erstgeburt und der männlichen Nachfolge das Gut nicht überlassen kann. (295  f.)

Was der Roman hier vorführt, ist demnach nichts anderes als das, was Bourdieu mit dem Begriff des ‚Habitus‘ eigentlich meint: in schichtspezifischer Sozialisation erworbene Denk- und Handlungsmuster.77 Im Textverlauf erweist sich das Denken des Freiherrn freilich als überkommen, als konträr zur Logik der Geschichte, die Freytag und dem Roman nach auf das Bürgertum als dominierende Klasse zuläuft.78 Gegen dieses adlige Denkens Rothsattels, das noch an nicht mehr zeitgemäßen Einrichtungen wie dem Majorat hängt (vgl. 24) – und für das Fontane wohl wegen dessen konsequenter erzählerischer Entfaltung sowie der grundsätzlichen Annahme einer erhöhten Poesiefähigkeit des Standes einige Sympathien hegt79 – hat sich Freytag 1868 in dem Grenzboten-Aufsatz „Die Ertheilung des Adels an Bürgerliche“ positioniert. Alles Leben und Gedeihen des modernen Staates beruht darauf, daß neue Familienkraft reichlich und unablässig aus den kleinen Kreisen menschlicher Thätigkeit emporringt und ohne jedes Hinderniß für jeden Zweck des Staates nutzbar gemacht wird. Der Staat als solcher darf nichts dazu tun, um träge, schwache und untüchtige Familien in anspruchsvoller und geschützter Stellung zu erhalten und dadurch frischer Menschenkraft Raum und Luft zu verengen. Wenn eine Familie der naturgemäßen Neigung folgt, ihre Angehörigen durch gesetzliche Mittel des Privatrechts, in Besitz von Land oder Vermögen auf mehrere Geschlechter zu erhalten, so ist das ihre Sache […].80

Ebendiese Position lässt der Autor – in eindeutigem Bezug auf Rothsattel und dessen „Familienerinnerungen“ – seinen Kaufmann Schröter im Gespräch mit Anton aus der entgegengesetzten bürgerlichen Perspektive formulieren:

77 Vgl. Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 277–286; vgl. Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 150. 78 Zur Adelskritik in Soll und Haben vgl. Jochen Strobel: Der Adel und die Revolution im Nachmärzroman. Zu Karl von Holteis „Christian Lammfell“ (1852) und Gustav Freytags „Soll und Haben“ (1855). In: Christian Andree u. Jürgen Hein (Hg.) unter Mitarbeit von Claudia Meyer: Karl von Holtei (1798– 1880). Ein schlesischer Dichter zwischen Biedermeier und Realismus. Würzburg 2005, S. 161–176, hier S. 171–176. 79 Vgl. Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S.  63.  – Fontanes damalige Überzeugung: „Wer den Adel abschaffen wollte, schaffte den letzten Rest von Poesie aus der Welt“, kann man seiner Kritik an der Adelsdarstellung in Soll und Haben ablesen (zit. n. Helmuth Nürnberger: Fontanes Welt. München 1997, S. 202). Er hat seine Ansicht später revidiert: vgl. Christian Grawe: Theodor Fontane. In: Gunter E. Grimm u. Frank Rainer Max (Hg.): Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Bd. 6: Realismus, Naturalismus und Jugendstil. Stuttgart 1989, S. 126–151, hier S. 136. 80 G[ustav] F[reytag]: Die Ertheilung des Adels an Bürgerliche. In: Die Grenzboten 27 (1868), I. Semester, I. Band, S. 1–8, hier S. 6.

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Glauben Sie mir, einem großen Teil dieser Herren, welche an ihren alten Familienerinnerungen leiden, ist nicht zu helfen. […] Wer von Haus aus den Anspruch an das Leben macht, zu genießen und seiner Vorfahren wegen eine bevorzugte Stellung einzunehmen, der wird sehr häufig nicht die volle Kraft behalten, sich eine solche Stellung zu verdienen. Sehr viele unserer alten angesessenen Familien sind dem Untergange verfallen, und es wird kein Unglück für den Staat sein, wenn sie untergehen. Ihre Familienerinnerungen machen sie hochmütig ohne Berechtigung, beschränken ihren Gesichtskreis, verwirren ihr Urteil. […] Der Freiherr soll dahin gearbeitet haben, sein Eigentum aus der großen Flut der Kapitalien und Menschenkraft dadurch zu isolieren, daß er es auf ewige Zeit seiner Familie verschrieb. Auf ewige Zeit! Sie als Kaufmann wissen, was von solchem Streben zu halten ist. […] Wo die Kraft aufhört in der Familie oder im einzelnen, da soll auch das Vermögen aufhören, das Geld soll frei dahinrollen in andere Hände, und die Pflugschar soll übergehn in eine andere Hand, welche sie besser zu führen weiß. Und die Familie, welche im Genusse erschlafft, soll wieder heruntersinken auf den Grund des Volkslebens, um frisch aufsteigender Kraft Raum zu machen. Jeden, der auf Kosten der freien Bewegung anderer für sich und seine Nachkommen ein ewiges Privilegium sucht, betrachte ich als einen Gegner der gesunden Entwicklung des Staats. Und wenn ein solcher Mann in diesem Bestreben sich zugrunde richtet, so werde ich ihm ohne Schadenfreude zusehn, aber ich werde sagen, daß ihm sein Recht geschehen, weil er gegen einen großen Grundsatz unsers Lebens gesündigt hat. Und für ein doppeltes Unrecht werde ich eine Unterstützung dieses Mannes halten, solange ich befürchten muß, daß meine Hilfe dazu verwandt wird, eine ungesunde Familienpolitik zu unterstützen. (485  f.)

Entsprechend ist die Familie Rothsattel auch nur noch an einem Ort überlebensfähig, der dem Text zufolge hinter der historischen Entwicklung zur bürgerlichen Gesellschaft zurückgeblieben ist (vgl. 332): im polnischen Grenzland. Zwar erweisen sich die ‚auf dem Grunde der ständigen geschichtlichen Bewegung‘81 gezeichneten gesellschaftlichen Verhältnisse mit den jeweiligen individuellen Verwirklichungsansprüchen einzig im Rahmen der bürgerlichen Sozialethik als mustergültig vereinbar; auch die Wünsche, Werte und Werdegänge anderer Figuren – etwa die Weltabgewandtheit Bernhard Ehrenthals oder Veitel Itzigs schrittweiser Untergang – werden im Roman jedoch dargelegt und zum Teil sozial plausibilisiert.82 So wird Bernhard Ehrenthals Existenz als Stubengelehrter und Anhänger eines ‚exotischen‘ Poesiekonzepts im Text nicht zuletzt dadurch begründet, dass Bernhard als Jude sozial diskriminiert wird,83 obwohl der Text ihn als gebildeten, sprachlich versierten und moralisch integren Charakter zeichnet: „ich habe studiert, und da einem jungen Mann von meiner Konfession die Anstellung im Staate nicht leicht wird und ich in meiner Familie leben kann, so beschäftigte ich mich mit diesen Büchern“

81 In Anlehnung an den Realismus-Begriff von: Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. 2., verb. und erw. Aufl. Bern 1959, S. 480. 82 Dies legen auch die späteren Äußerungen Freytags in seinen Erinnerungen nahe, in denen er die „poetische Idee“ seines Romans ausdrücklich zugleich auf andere Figuren bezieht (vgl. GW I, 179). 83 Vgl. dagegen mit umgekehrter Argumentation: Marc H. Gelber: An alternate reading of the role of the jewish scholar in Gustav Freytag’s „Soll und Haben“. In: The Germanic Review 58 (1983), S. 83–88, hier S. 84–86; Gubser: Literarischer Antisemitismus, S. 224; Achinger: Gespaltene Moderne, S. 236  f.

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(237). Tatsächlich gab es zeitgenössisch nicht nur massive Erschwernisse, als Jude in akademische Berufe einzutreten,84 die intensive Auseinandersetzung jüdischer Gelehrter mit dem Orient, wie sie auch Bernhard betreibt, lässt sich zudem als Reaktion auf die durch die Forderungen und Vorbehalte der Mehrheitsgesellschaft gebrochene jüdische Identität begreifen85 – eine Situation, für die Freytag durchaus Antennen hatte.86 Deutlich legt der Text nahe, dass ein entscheidender Faktor für Bernhards Schicksal in der „Macht der Verhältnisse“ (442) liegt – und gerät damit in Widerspruch zu seinem eigenen Programm und Realismuskonzept. Zwar nimmt der Text wiederholt auf erzähltechnisch bemerkenswerte Weise Anteil an Bernhards schwieriger Situation (v. a. in seiner Familie),87 bedenkt den Charakter immer wieder

84 Vgl. Monika Richarz: Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Jüdische Studenten und Akademiker in Deutschland 1678–1848. Tübingen 1974, bes. 197–217. 85 Vgl. dazu Achim Rohde: Der Innere Orient. Orientalismus, Antisemitismus und Geschlecht im Deutschland des 18. bis 20. Jahrhunderts. In: Die Welt des Islams 45 (2005), H. 3, S 370–411, hier S. 401. – Für den Hinweis auf diese Publikation danke ich Antonia Roedszus herzlich. 86 So spricht Freytag in seinem von einem menschenverachtenden antisemitischen Vokabular durchzogenen Aufsatz „Die Juden in Breslau“ auch von der schwierigen Situation gebildeter assimilierter Juden. Die Nähe zu den Leiden Bernhards innerhalb seiner nicht assimilierten Familie und an seiner Umwelt spiegelt sich in dem Text, so wenn es heißt: „den kleinen Widrigkeiten des Lebens großen Sinn entgegenzusetzen, das ist sehr schwer, und den Juden schwerer, als jedem andern; denn durch das beständige Reiben mit der Welt, dem er ausgesetzt ist, entwickelt sich in ihm eine Empfindlichkeit, welche ein kräftiges festes Selbstgefühl sehr selten aufkommen läßt; der Stärkere wird leicht arrogant, der Weiche sentimental“ (Freytag: Die Juden in Breslau, 347). – Mellmann hat am Beispiel des österreichischen Philologen und Philosophen Theodor Gomperz darauf hingewiesen, dass Bernhards im Roman entfaltete Unsicherheit sich mit den sozialen Erfahrungen junger jüdischer Intellektueller durchaus traf und die Figur somit sogar identifikatorisch gelesen wurde, vgl. Mellmann: „Detoured Reading“, S. 306, 323. 87 In besonderer Weise hervorzuheben ist eine der für den Charakter aufschlussreichsten und darstellungstechnisch außergewöhnlichsten Stellen des Romans, die den nach dem ersten Besuch von Anton ‚vergnügten‘ (SuH, 241) Bernhard beim Eintritt in die Familienrunde begleitet. Zwar freuen sich die Familienmitglieder über Bernhards aufgeklarte Stimmung, schnell wird aber deutlich, dass der Geistesmensch innerhalb seiner Familie isoliert ist und seine Interessen nicht mit denen der anderen übereinstimmen. In einer Aneinanderreihung von unbeantwortet bleibenden Fragen, die vordergründig der bisher eindeutig nullfokalisierten Erzählweise widersprechen, beschreibt der Text Bernhards Stimmungswechsel auf erzählerisch wie inhaltlich komplexe Art und Weise, die die Liebe der Eltern ebenso schildert wie Bernhards familiäre und gesellschaftliche Isolation: „Wie kam es doch, daß Bernhard seiner Familie nicht den Inhalt des Gesprächs mitteilte, welches ihm den neuen Bekannten so lieb gemacht hatte? Wie kam es doch, daß er kurz darauf wieder in tiefes Schweigen verfiel und in sein Arbeitszimmer zurückging? Daß er dort seinen Kopf über eine alte Handschrift lehnte und lange auf die krausen Züge hinstarrte, bis ihm große Tränen herabfielen, welche die Tusche der Buchstaben, auf die er so viel hielt, auflösten und verdarben, ohne daß er’s merkte? Wie kam es doch, daß der junge Mann, auf den die Mutter so gern stolz sein wollte und den der Vater so sehr verehrte, allein in seiner Stube saß und die bittersten Tränen vergoß, die ein guter Mensch weinen kann? Und woher kam es, daß er endlich mit rotgeweinten Augen am späten Abend sich zusammenfaßte und eifrig den Kopf in seine Bücher senkte, während seine schöne Schwester in der anderen Ecke der Wohnung noch immer

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mit solchen Formulierungen der Anteilnahme88 und verklärt schließlich Bernhards Tod – am Ende einer Kette feingesponnener Verweise (298, 461, 464) – als Auffahrt zur Sonne (471),89 aber mit der eigenen Erzähllogik und Leitmetapher ist dieser Tod nur schwer zu vereinbaren. Denn in einem Text, der die bestehende Wirklichkeit als von sittlichen Prinzipien durchdrungen beschreibt, in dem – der Buchführung des Lebens, dem ‚Soll und Haben‘ gemäß  – jeder am Ende bekommt, was er verdient, und das Bestehende spätesten zum Schluss zugleich das Wahre repräsentiert, bleibt Bernhards Tod ungerechtfertigt und poetisch ungerecht.90 Einerseits findet Freytags Haltung gegenüber den in den deutschen Territorien lebenden Juden bloß in der Vorstellung vom assimilierten jüdischen Bildungsbürger eine akzeptierte Sozialfigur (und zugleich gern herangezogene Argumentationsfigur);91 andererseits lässt Freytag genau jene Figur sterben, die dieser Vorstellung am ehesten entspricht. Selbst wenn man also zugesteht, dass der Roman die Situation und das Verhalten auch der jüdischen Figuren zum Teil sozial plausibilisiert, stellt der Text – ähnlich wie bei Schmock in Die Journalisten (s. Kap. II.4.5) –, stellt die in ihm entworfene verklärte Welt am Ende keine Lösung, keinen lebbaren positiven Ausgang bereit. Dies zeigt sich bei Bernhard besonders deutlich, und dies muss man dem Roman – gerade wegen und vor dem Hintergrund seiner strengen literaturästhetischen Vorgaben – auch vorwerfen. Dennoch: Über die Verortung des zentralen Helden innerhalb seiner gesellschaftlichen Konstellationen hinaus zeigt der Text gleichwohl selbst in den Nebenfiguren ein breites und überindividuelles gesellschaftliches Darstellungsinteresse, oder auch: einen soziale Repräsentativität behauptenden Darstellungsanspruch. Freytags Roman und dessen implizite Soziopoetik empfehlen sich nicht nur aus diesem Grund einer Sozioanalyse nach Bourdieu, die Korrespondenzen zwischen textimmanenter und historisch-realer Sozialwelt nachgeht; auch dass der Text z.  B. Sozialisations-

mit ihren runden Fingern über die Tasten fuhr und das schwere Stück einübte, welches bestimmt war, bei der nächsten Soiree zu wirken? (SuH, 244)“. Der Text weckt an dieser Stelle Interesse für den fast existentiell traurigen Bernhard und der allwissende Erzähler, dessen Fragen zunächst bloß wie rhetorische wirken, kapituliert schließlich vor deren einfacher Beantwortung. 88 Mitunter, so wenn es beim Erzähler heißt: „Mein armer Bernhard kannte nicht viele junge Damen, weder aus diesem noch aus einem andern Stande“ (299), wirken diese Formulierungen beinahe zynisch, selbst wenn dies nicht intendiert gewesen sein mag. 89 Dass Freytag Bernhard in der Manier des „Nazi-KZ“ nach dem Motto „der einzige gute Jude ist ein toter Jude“ „schnell verschwinden“ lässt, wie Jean Améry meinte, lässt sich wirklich nicht belegen. Jean Améry: Schlecht klingt das Lied vom braven Mann. Anläßlich der Neuauflage von Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Neue Rundschau 89 (1978), S. 84–93, hier S. 90. 90 Auch in der Erstrezeption wird der Umgang mit der Figur zum Teil sehr kritisch gesehen, so etwa bei Fontane und Marggraff: Ein Roman, „der das deutsche Volk bei seiner Arbeit sucht“, S. 449; Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 62  f. 91 Vgl. als entsprechende Quelle: Freytag: Die Juden in Breslau; vgl. zum Kontext: Salecker: Der Liberalismus und die Erfahrung der Differenz, S. 166–168.

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prozesse veranschaulicht und stellenweise reflektiert, macht ihn in dieser Hinsicht als Gesellschaftsdarstellung interessant. So wird etwa die Kaufmannswirtschaft als Antons Sozialisationsinstanz markiert, wenn Herr Pix über Anton sagt, er sei dort „gewissermaßen als ein Säugling“ hineingekommen „und wie mit Hilfe der großen Waage, die als seine Wiege betrachtet werden müsse“, sei damit schließlich ein „auffallendes Wachstum des Unmündigen hervorgebracht worden“ (140). Das Kontor wird auch in poetologischer Hinsicht zur Sozialisationsinstanz des angehenden Kaufmanns.92 Schon die besondere Diktion („Kunstausdrücken“) im folgenden Auszug deutet sofort darauf hin, dass die Einführung in die Warenkunde sich für Anton zugleich als ‚poetische Ausbildung‘ darstellt: Herr Jordan gab sich redlich Mühe, den Lehrling in die Geheimnisse der Warenkunde einzuweihen, und die Stunde, in welcher Anton zuerst in das Magazin des Hauses trat und hundert verschiedene Stoffe und merkwürdige Bildungen persönlich mit allen Kunstausdrücken kennenlernte, wurde für seinen empfänglichen Sinn die Quelle einer eigentümlichen Poesie, die wenigstens ebensoviel wert war als manche andere poetische Empfindung, welche auf dem märchenhaften Reiz beruht, den das Seltsame und Fremde in der Seele des Menschen hervorbringt. (59  f.)

Der Erzähler weiß am Ende des Buches zu ergänzen, dass Anton seit frühester Jugend an dieser Poesie teilhatte, dass er „schon ein Kind der Handlung war, als ihn sein alter Vater mit dem Samtkäppchen noch auf dem Knie hielt“ (766) – nämlich als, wie es am Anfang des Romans heißt, „ein unscheinbares, leichtes Band […] den Haushalt des Kalkulators mit dem geschäftlichen Treiben der großen Welt verknüpfte; und doch wurde es für Anton ein Leitseil, wodurch sein ganzes Leben Richtung erhielt“ (7). Ein solches „Leitseil“ fehlt Veitel Itzig mit seiner „Vorliebe für krumme Seitengassen und schmale Trottoirs“ (34). Der Roman begleitet aber auch diese Figur in ihren anfänglichen Verwirklichungsansprüchen („ich will machen mein Glück“; 19), den Demütigungen, die sie ertragen muss (vgl. z.  B. 18  f., 42  f., 111) sowie in ihrem Sozialisationsprozess. Dieser wird auffällig bis in die einzelnen Schritte hinein mit dem Antons parallelisiert: vom sehnsüchtigen Blick auf das adlige Gut und dem gemeinsamen Weg zur Stadt über die Ankunft von Waise und Halbwaise – beide mit Empfehlungsschreiben ausgestattet – bei ihren neuen Mentoren bis hin zur jeweiligen Schilderung der ersten Nacht im neuen Haus; und sogar die poetischen Initiationserlebnisse in den jeweiligen Warenlagern lassen sich kontrastierend aufeinander beziehen. Was für Anton das Warenlager der Firma, das ist für Veitel die Höhle mit Schmuggelware in der Herberge des Löbel Pinkus: „Als Aladin den ersten Schritt in die Zauberhöhle tat, geriet er schwerlich in so große Aufregung als Junker Itzig bei seiner Entdeckung“ (104).

92 Auch Heller nennt es daher in seiner Rezension Antons „Schule des Lebens“ (H[eller]: Ein deutscher Roman, S. 1).

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Der Text führt hier zwei Bildungsgänge parallel,93 einen Bildungs- und einen Anti-Bildungsroman. Mit Veitel erzählt er von einer Negativ-Sozialisation, einem scheiternden Gegenentwurf, der die Lehre aus Antons Lebensweg nur umso mehr bestätigt. In diese Deutung fügt sich eine neuerliche Betrachtung beider Figuren vor dem Hintergrund des Wilhelm Meister. Während man Anton, wie beschrieben, als realistisch-idealisierten Wiedergänger Werners lesen kann,94 werden in Veitel als Kontrastfigur gewissermaßen die schlechten Eigenschaften des späten Werner ausgelagert und übersteigert: Ist aus Antons Blaupause Werner im Wilhelm Meister später durch die Arbeit ein „magerer“, „arbeitsamer Hypochondrist“ mit „farblosen Wangen“ geworden,95 so ist Veitel von Beginn an „hager“ und „bleich“, insgesamt „keine auffallend schöne Erscheinung“ (18). Der rein egoistisch-materialistisch orientierten „Spekulation“, die der Text als ‚Grundsatz‘ Veitels beschreibt (vgl. 276  f.), droht bereits Werner zu verfallen, etwa wenn Wilhelm ihm vorwirft: „Kaum findest du nach langer Zeit deinen Freund wieder, so siehst du ihn schon als eine Ware, als einen Gegenstand deiner Spekulation an, mit dem sich etwas gewinnen läßt.“96 Oder wenn Werner die egoistische Motivation seines Handelns offenbart: „Das ist also mein lustiges Glaubensbekenntnis: seine Geschäfte verrichtet, Geld geschafft, sich mit den

93 Soll und Haben wurde 1924 unter der Regie von Carl Wilhelm verfilmt. Von dem Stummfilm sind lediglich nur einzelne Rezeptionszeugnisse und Programmhefte erhalten. Die Inhaltsangabe in einem dieser Programmhefte macht genau auf diese Parallelisierung der Bildungsgänge von Anton und Veitel aufmerksam. Sie verrät Mitleid mit der Figur des Veitel Itzig und führt dessen Schicksal auf seine von Beginn an traurige Ausgangslage zurück: „Als Anton Wohlfahrts [!] Eltern gestorben waren, schnürte er sein Ränzel, verschloß das kleine Haus im Heimatdorf – noch einen letzten Blick von der Anhöhe auf das liebe Nest – und fort ging’s, die staubige Landstraße entlang, der Stadt zu – nach T.O. Schröter, dem mächtigen Kaufmann, dem Freunde und Gönner seines gottseligen Vaters. Wenige hundert Schritte hinter ihm zog sein Schulfreund Veitel Itzig, der kleine, häßliche Sproß armer Ostjuden, – ebenfalls nach der großen Stadt. – Nicht einem sicheren Ziel entgegen, wie Anton, – zu Löbel Pinkus ging’s, dem Wirt der Herberge, allwo die Elenden und Ausgestoßenen Quartier suchen und finden. Beneidenswerter Anton! Du blonder Sohn des Glücks! Armer Veitel! Du Kind der Finsternis! Wie wird es euch ergehen! […] Wie zwei Planeten, die zuerst dieselbe Bahn ziehen, sich dann trennen und zu kreisen beginnen, so vollzieht sich hier das Geschick der beiden Schulfreunde. Um sie rankt sich das übrige Gestirn der fabelhaft echt und menschlich gezeichneten Figuren. […] Grandios wirkt die Schilderung der leidzerwühlten Familie des reichen Maklers Hirsch Ehrenthal, in deren Schoß Veitel Itzigs Aufstieg beginnt. – Unvergleichlich der Kontrast der Familien des Barons und des Maklers. Aus der Fülle der Gestalten ragt Hippus, der verkommene, zum Trunkenbold herabgesunkene Advokat – ein unheimlicher Dämon, Veitel Itzigs Lehrmeister und Henker.“ („Filmprogrammheft des Lichtspielhauses Primus Palast Potsdamerstrasse 19 ‚Soll und Haben.‘ Sieben Akte nach dem Roman von Gustav Freytag. Regie: Carl Wilhelm / Anton: Hans Brausewetter; Veitel: Paul Graetz; Bernhard: Ernst Deutsch“, GSA 19/50). 94 Ludwig Stockinger bemerkte schon 1981: „In gewisser Weise ist Anton Wohlfart als ein neuer Werner konzipiert, den allerdings die Arbeit nicht wie diesen bleich und kahlköpfig macht, sondern […] ‚hübsch und stattlich‘“ (Stockinger: Realpolitik, S. 194). 95 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 498  f. 96 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, 499.

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Seinigen lustig gemacht und um die übrige Welt sich nicht mehr bekümmert, als insofern man sie nutzen kann.“97 Bei Bourdieu wird der ‚soziale Raum‘, vermittelt über den Habitus, durch den ‚Raum der sozialen Positionen‘ und den ‚Raum der Lebensstile‘ gebildet. Auch Freytags Figurendarstellung zeigt solche Relationen zwischen sozialen Klassen und Geschmacksklassen, zwischen Klassenzugehörigkeit und Klassenhabitus – nur dass sein sozialer Raum in der hier behaupteten Engführung von Poesie- und Klassenbewusstsein immer auch ein Raum poetischer Positionen ist. Diese Logik durchdringt den Roman bis hinein in die Lektüregewohnheiten der Figuren.98 Während der bürgerliche Held des Romans die von den Grenzboten als vorbildlich ausgerufenen Romane des englischsprachigen Realismus (Cooper, Scott) liest, verliert sich der eine weltabgewandte, romantische Poesie vertretende Bernhard Ehrenthal etwa in Lord Byron oder persischen Gedichten (142, 238, 244). Die adlige Familie dagegen schwärmt für Chateaubriand, dessen Atala Julian Schmidt 1850 in Die Grenzboten unter positiver Bezugnahme auf Cooper verurteilte,99 sowie für Journale, „Tagesliteratur“, „Modenovellen“ und „die Romane blasierter Damen“, die von der Frau Baronin hier bezeichnenderweise auch noch in einer Gartenlaube gelesen werden (31, 546). Veitels Spekulations- und Unternehmergeist wiederum entzündet sich an Abenteuergeschichten, die er für seinen Mentor Hippus aus Leihbibliotheken holt (vgl. 117)100 – Einrichtungen, gegen die Freytag, wie dargestellt (Kap. 2.3.2), bereits 1852 in Die Grenzboten polemisierte. Soll und Haben verhandelt also (etwa im Poesiegespräch zwischen Anton und Werner) nicht nur die Poesie des als prosaisch geltenden bürgerlichen Lebens; der Text setzt in der Darstellung der Lektüregewohnheiten der Figuren zugleich die Aufwertung der Gattung Roman und die programmatische Abgrenzung von Leihbibliothek und Zeitschriftenliteratur ins Werk. Auch in diesem Punkt lassen sich demnach eindeutige Überschneidungen zwischen ‚Programmorgan‘ und ‚Programmroman‘ feststellen. Bezogen auf das Leseverhalten der Kleinbürger bzw. der aufstiegsorientierten Arbeiter stimmt die Textwelt des Romans mit Bourdieus soziologischen Analysen der Sozialwelt in einem besonders schönen Beispiel überein. Schreibt Bourdieu dieser Gruppe im Erwerb von objektiviertem kulturellen Kapital wie Büchern eine vor allem an Quantität interessierte Imitation der mittelständisch-bürgerlichen Kultur zu, reagiert der Aufladersohn Karl in Soll und Haben auf ein Buchgeschenk Antons wie folgt: „Ich danke Ihnen, Herr Wohlfart, ich habe schon fünfundsechzig Bücher. Jetzt wird die zweite Reihe voll“ (229).

97 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 287. 98 Vgl. dazu Mark H. Gelber: Die literarische Umwelt zu Gustav Freytags „Soll und Haben“ und die Realismustheorie der „Grenzboten“. In: Orbis Litterarum 39 (1984), S. 39–53, hier S. 40–43. 99 Vgl. dazu Plumpe: Roman, S. 552  f. 100 Zur Leihbibliothek in Soll und Haben vgl. auch SuH, 544.

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Wie sehr darüber hinaus bei Anton poetische und soziale Selbstfindung miteinander verknüpft sind, offenbart sich darin, dass seine Loslösung von der ‚falschen Schwärmerei‘ einhergeht mit einem ‚realistischeren‘ Blick hinter die adlige Fassade und ihre Habitusformen, die der Roman in allen Ausprägungen und auf verschiedensten Ebenen beschreibt. So kann sich die adlige Familie ungeachtet ihrer prekären finanziellen Lage auch nach bitteren Erfahrungen nicht von bestimmten Repräsentations- und Statussymbolen lösen; im Fokus stehen nicht die vordringlichen Aufgaben der Zukunft, vielmehr wird der Freiherr „seit Jahren“ von Gedanken wie denen über die richtige „Pferdefarbe“ beschäftigt, auf deren Unbedeutendheit und Überkommenheit der Erzähler deutlich hinweist, die aber wiederum aus dem klassenspezifischen dynastischen Denkmustern hergeleitet werden (vgl. 547  f.). Dies alles kann Anton während seiner Zeit bei den Rothsattels beobachten – dass sie einer vergangen Zeit angehören, stellt der Roman anhand der Beschreibung ihres Auftretens, das Anton in Kleidung und Frisur an „alte Rokokobilder[]“ erinnert, gleich zu Beginn aus (14). Wie wichtig die Oberfläche für die adlige Selbstdarstellung ist und dass es dahinter an Substanz fehlt, verdeutlicht der Text ebenfalls sehr früh im Gespräch des Ehepaars von Rothsattel: „Du gehörst mir, die Kinder, das Schloß, unsere silbernen Armleuchter.“ „Die neuen sind nur Komposition“, warf der Freiherr ein. „Das sieht niemand“, erwiderte seine Gemahlin fröhlich.“ (26)

Der Adel im Roman scheitert letztlich an den sozialen Zwängen und Defiziten seines Habitus, während Anton seine soziale Identität als Bürger erst finden muss und in der Begegnung mit anderen sozialen Gruppen überhaupt erst erfährt. Dass dies eine für die sich entwickelnde bürgerliche Gesellschaft typische Erfahrung darstellt, hat Kaschuba unter Rückgriff auf Bourdieu gezeigt.101 Anfangs ist Anton im Kontakt mit dem Adel eingeschüchtert und fühlt sich unterlegen bzw. verunsichert; er selbst zeigt jedoch die Fähigkeit zur genauen Sozioanalyse, wenn er nach der Tanzstunde feststellt: „[W]as sie sagen, erscheint mir oft gewöhnlich, aber sie haben Selbstvertrauen und eine sichere Haltung, die sie auch dann nicht verlieren, wenn sie sich gehnlassen“ (183). Ähnlich wird Bourdieu in Die feinen Unter­ schiede über die Begegnung des Klassenniedrigeren mit der Elite schreiben: [E]r dürfte ihnen […] überall dort als zutiefst unterlegen vorkommen, wo es auf Selbstsicherheit oder Fingerspitzengefühl, ja selbst noch auf den Wissenslücken kaschierenden Bluff ankommt statt auf Vorsicht, Diskretion und Einsicht in die Grenzen des eigenen Wissens […]. [M]an kann die Philosophie mit Saint-Exupéry […] gleichsetzen und sich gleichwohl auf der Höhe der aktuell höchstnotierten Märkte behaupten, den Empfängen […] und was sonst noch alles. Vorausge-

101 Vgl. Wolfgang Kaschuba: Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800. Kultur als symbolische Praxis. In: Jürgen Kocka (Hg.) unter Mitarbeit von Ute Frevert: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Bd. 3. München 1988, S. 9–44.

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setzt nur, man besitzt die entsprechenden distinktiven Merkmale: Statur, Haltung, […] Auftreten, Diktion und Aussprache, Umgangsform und Lebensart.102

War Anton zunächst von einer starken „Sehnsucht nach dem […] schmuckvollen Leben der Vornehmen“ erfüllt und hatte er „einen tiefen Respekt vor dem gewandten Ton, der leichten Unterhaltung und den geschliffenen Formen des Umgangs“ (144, 546), so bewertet er die ‚feinen Unterschiede‘ zwischen sich und der Familie von Rothsattel schließlich nicht mehr aus der Perspektive des habituell Unterlegenen, sondern im Gegenteil aus einem Gefühl überlegener und gebildeterer bürgerlicher Differenz: Wenn er nach einem wortkargen Abend in sein Zimmer zurückkehrte, beklagte er oft, daß sie an vielem, was ihm geläufig war, keinen Anteil nahmen, ja, daß sie eine völlig andere Bildung besaßen als er. Und bald nahm er sich die Freiheit, zu behaupten, daß ihre Bildung nicht die bessere war. Das meiste, was er gelesen, war der Familie fremd; beim Besprechen der Zeitung, dem gewöhnlichen Unterhaltungstoff, verwunderte ihn das geringe Verständnis fremder politischer Zustände. Die Tiefen der Geschichte waren dem Freiherrn kein angenehmer Aufenthalt, und wenn er das englische Staatsleben verurteilte, so konnte er seinen Standpunkt mit einigem Recht unbefangen nennen, denn es war ihm ganz fremd. […]. Bald erkannte er, daß seine Hausgenossen alles, was die Welt ihnen entgegentrug, von einem Standpunkte betrachteten, den er nicht hatte. Überall maßen sie, ohne es selbst zu wissen, nach den Interessen ihres Standes. Was diesen schmeichelte, fand Gnade, auch wenn es für andere Menschen unerträglich war […] (546  f.).

Auf diese Weise „war der glänzende Schein zerronnen, der dem armen Sohn des Kalkulators das Leben der Ritterfamilie stark, edel, begehrungswert gezeigt hatte“ (717). Anders gesagt: Im Prozess der bürgerlichen Selbstfindung verzieht sich der falsche Reiz adliger Poesie. Anton erlangt ein bürgerliches Selbstbewusstsein, wie es auch Bernhard Georg König im Ahnen-Roman Die Geschwister formuliert: [I]ch habe niemals den Trieb gehabt meinen bürgerlichen Stand mit einem anderen zu vertauschen, welcher in der Welt für vornehmer gilt. Ich wünsche auch, daß meine Söhne sich dieselbe Bescheidenheit bewahren. Denn obwohl den Adeligen Vieles in der Welt leichter gemacht wird, so habe ich doch nicht gefunden, daß sie dadurch größere Redlichkeit und Tüchtigkeit erwerben als Andere. (GW XXII, 200  f.)

Den Bildungsgang des mittleren Helden Anton Wohlfart wird Freytag später in seinen Ahnen und als organischen Bildungsprozess des deutschen Volkes hin zu den bürgerlichen mittleren Schichten der Jahrhundertmitte erzählen – als Bildungsroman einer Familie, stellvertretend für die ganze Nation. Die literaturprogrammatischen Debatten über die Poesiefähigkeit der ‚Prosa‘ auf Inhalts- und auf Formebene sind da bereits ausgefochten.

102 Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 159.

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Die im Rahmen dieser Studie insgesamt vorgestellten unterschiedlichen Bewertungen der sozialen Semantik des Romans als Gattung  – von einer kategorischen Ablehnung der Darstellung bürgerlicher Lebensverhältnisse hin zu deren „Verherrlichung“ als leitender „Idee“ (so Fontane über Soll und Haben103) – bestätigen Werner Michlers Beobachtung zum Zusammenhang zwischen Gattungsklassifikation und Sozialklassifikation, nach denen Gattungen „das Ergebnis einer Reihe von Positionierungen durch Gattungswahl [sind], die die sozialen Semantiken der Gattung differentiell aktualisieren.“104 Geht man mit Michler weiter davon aus, dass gerade „[i]n Phasen der Instabilität des Feldes […] Gattungen zum Kampfeinsatz literarischer Bewegungen“105 werden und diese internen Kämpfe, wie wiederum Bourdieu ausführt, nicht nur durch externe Veränderungen begünstigt, sondern entschieden werden,106 so muss in der bürgerlich-nationalliberalen Positionierung der Grenzboten ab 1848 – einem Jahr, in dem die Kritik als interne Konsekrationsinstanz „nach einer neuen Ordnung für die Literatur sucht“107 – ein Grund für deren Erfolg gegenüber konkurrierenden Prosakonzeptionen und Literaturprogrammatiken gesehen werden. So sind Schmidts und Freytags Argumente gegen ihren größten Konkurrenten um die Deutungshoheit auf dem Feld zeitgenössischer Romanästhetik, Karl Gutzkow, auch nicht allein ästhetischer, sondern politischer oder persönlicher Natur. Wie sich die Auseinandersetzung zwischen den Grenzboten-Herausgebern und Gutzkow, die als ‚Grenzbotenstreit‘ in die Literaturgeschichte eingegangen ist, feldtheoretisch betrachten lässt, möchte ich zuletzt mit einigen feldtheoretisch fundierten Beobachtungen darlegen.

103 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 61. 104 Werner Michler: Möglichkeiten literarischer Gattungspoetik nach Bourdieu. Mit einer Skizze zur „modernen Versepik“. In: Markus Joch u. Norbert C. Wolf (Hg.): Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Tübingen 2005, S. 189–206, hier S. 191. 105 Michler: Möglichkeiten literarischer Gattungspoetik nach Bourdieu, S. 192. 106 Vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 400  f. 107 Hohendahl: Einleitung, S. 44.

5 Der ‚Grenzboten-Streit‘ in feldtheoretischer Perspektive Anders gesagt, ist das generierende und vereinheitlichende Prinzip dieses „Systems“ von Gegensätzen – und Widersprüchen – der Kampf selbst, sodass man die Tatsache, an dem Kampf beteiligt und Gegenstand oder Anlass von Kämpfen, Angriffen, Polemiken, Kritiken, Einverleibungen usw. zu sein, als das zentrale Kriterium der Zugehörigkeit eines Werkes zum Feld der Positionierungen und der Zugehörigkeit seines Autors zum Feld der Positionen erachten kann.1

Was Joseph Jurt mit Bourdieu über literarische Gruppen allgemein ausführt, trifft gleichermaßen auf die kleine Kooperation von Freytag und Schmidt zu: „Die Gruppe konstituiert sich als eine strategische Vereinigung, die sich zum Ziel setzt, die Position symbolischer Macht zu erreichen, um so die literarische Legitimität innerhalb des Feldes zu bestimmen.“2 Dabei hat sich anhand des hier untersuchten Feldes gezeigt: Wer in den Definitionskämpfen um eine zeitgemäße Romankonzeption den Anspruch auf eine dominierende Feldposition anmeldet, muss sich gegenüber dem gattungsbestimmenden Vorbild Goethes sowie den infolge des Wilhelm Meister geführten ästhetischen Debatten um die poetischen Potentiale des gegenwartsorientierten bürgerlichen Romans positionieren. Weil dies nicht nur Freytag und Schmidt erkannten, sahen sie sich mit konkurrierenden Entwürfen konfrontiert, gegen die sich ihr strategisch polemisches und kompetitives Distinktionsstreben zum Teil noch in viel schärferem Maße richtete als gegen die Gattungstradition. Insbesondere Karl Gutzkow, mit dem Freytag schon zuvor eine Geschichte gegenseitiger Abneigung verband3 und dem

1 Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. In: ders.: Kunst und Kultur. Kunst und künstlerisches Feld. Schriften zur Kultursoziologie 4, hg. von Franz Schultheis u. Stephan Egger. Konstanz 2011, S. 309– 447, hier S. 316. – Vgl. dazu auch: Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 368. 2 Joseph Jurt: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis. Darmstadt 1995, S. 161  f. 3 Vgl. zur Vorgeschichte und zum ‚Grenzbotenstreit‘ genauer: Rupprecht Leppla: Freytag und Gutzkow. In: GFB 24 (1980), Nr. 41, S. 12–19; Heinr[ich] Hub[ert] Houben: Aus Gutzkows Theatererinnerungen. Mit Briefen von Gustav Freytag, K. von Lüttichau, Theodor Döring und Zerline Gabillon. [Teil I]. In: Bühne und Welt. Zeitschrift für Theaterwesen, Litteratur und Musik. Amtliches Blatt des Deutschen Bühnen-Vereins 3 (1900), S. 179–186; Benedict Schofield: Evolution or Revolution? The Literary Exchange of Karl Gutzkow and Gustav Freytag Across the „Vor- und Nachmärz“. In: Gert Vonhoff (Hg.) in Zusammenarbeit mit Beke Sinjen u. Sabrina Stolfa: Karl Gutzkow and His Contemporaries. Karl Gutzkow und seine Zeitgenossen. Beiträge zur Internationalen Konferenz des Editionsprojektes Karl Gutzkow vom 7. bis 9. September 2010 in Exeter. Bielefeld 2011, S. 169–182; Otto Mayrhofer: Gustav Freytag und das Junge Deutschland. Marburg 1907, S. 53–56; Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 74–77. – Bereits Freytags Entwurf seiner Breslauer Abschiedsvorlesung kann man als Zeugnis seiner Abneigung gegenüber Gutzkow lesen. Schon darin bemerkt er über die deutsche Literatur: „ein grosses Talent ist es, was uns noththut“, um hinzuzufügen: „Gutzkow ist es nicht“ (StB, Nachlass Gustav Freytag, Varia 83). https://doi.org/10.1515/9783110541779-011

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Die Grenzboten 1852 erklärten, er habe es „verdient, bis zur Vernichtung verfolgt zu werden“,4 sollte dies zu spüren bekommen. Im Zentrum der romanpoetischen Diskussionen der Zeit steht die Suche nach einer zeitgemäßen Romanform, die sich vom Modell der egozentrierten Mitsicht des Individualromans löst und stattdessen aus ‚olympischer Perspektive‘ die Gesellschaft in ihrer ‚Allseitigkeit‘ – jedoch unter Ausblendung ihrer ‚hässlichen‘ Seiten – in den Blick nimmt.5 In Gutzkow finden Freytag und Schmidt nun einen bereits im Feld etablierten Gegenspieler, der seinerseits für sich beansprucht, den „Zwiespalt“ des „neueren Romans“ zwischen den „Interessen der Welt und des Herzens“6 aufzulösen und damit eben das, was Hegel als „Konflikt zwischen der Poesie des Herzens und der entgegenstehenden Prosa der Verhältnisse“7 benannte. Gutzkow bedient sich dabei ähnlicher Argumentationsfiguren wie Freytag und Schmidt, wenn er auf dem zeitgenössischen Feld des Romans die von Goethe hinterlassene Lücke beklagt und indirekt dessen Nachfolge bzw. Überbietung beansprucht;8 oder wenn er Die Ritter vom Geiste als Gegenentwurf zu Goethe, als einen „politischen Wilhelm Meister“9 und Gesellschaftsroman der Gegenwart positioniert. Mit diesem Werk behauptet Gutzkow zudem die Entwicklung eines ausdrücklich „neuen“ Romantypus, den er in Abgrenzung zur individualzentrierten Struktur des Nacheinander als „Roman des Nebeneinanders“ bezeichnet.10 4 [Gustav Freytag u. Julian Schmidt]: Für Hrn. Dr. Gutzkow und für Hrn. Heinrich Brockhaus, Redacteur der Deutschen Allgem. Zeitung. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, I. Band, S. 358–360, hier S. 359. 5 Zur Auseinandersetzung mit Gutzkow auf dem Feld des Romans vgl. grundlegend: McInnes: Zwischen „Wilhelm Meister“ und „Die Ritter vom Geist“. – Zu den verschiedenen Modellen vgl. Gert Vonhoff: Positionen des Romans im Nachmärz  – erzählgeschichtlich betrachtet. Gutzkows „Die Ritter vom Geiste“, Raabes „Die Chronik der Sperlingsgasse“ und Freytags „Soll und Haben“. In Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 2010, S. 29–51; Beaton: Gustav Freytag, Julian Schmidt und die Romantheorie; Worthmann: Probleme des Zeitromans, S. 79–99; Herbert Kaiser: Studien zum deutschen Roman nach 1848. Karl Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. Gustav Freytag: Soll und Haben. Adalbert Stifter: Der Nachsommer. Duisburg 1977, S. 57–106. 6 Karl Gutzkow: Der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 9: Säkularbilder I. Vollständig umgearbeitete Ausgabe. Frankfurt a. M. 1846, S. 15–66, hier S. 54. 7 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik III, S. 393. 8 „Unsere classische Literatur hat die vollsten Kränze, die sich noch von Spätlingen erwerben ließen, fast allen Dichtgattungen vorweggenommen. Nur im Roman ließ sie noch mannigfach Gelegenheit zurück, ihr gleichzukommen, wenn nicht sie zu übertreffen. Goethe ist allenfalls der Einzige, der im Roman auch für spätere Zeiten in gewissem Betracht mustergültig geblieben ist“ (Karl Gutzkow: Vom deutschen Parnaß. III. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd 2 (1854), Nr. 18, S. 286–288, hier S. 286). 9 So Gutzkow im Brief an Levin Schücking vom 5. August 1850. In: Der Briefwechsel zwischen Karl Gutzkow und Levin Schücking. 1838–1876, hg., eingeleitet und kommentiert von Wolfgang Rasch. Bielefeld 1998, S. 91–93, hier S. 92. 10 „Der neue Roman ist der Roman des Nebeneinanders“ (Karl Gutzkow: Vorwort. In: ders.: Die Ritter vom Geiste. Roman in neun Büchern. Bd. 1. Leipzig 1850, S. 1–10, hier S. 7).



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Im Vorwort seines neunbändigen Werks Die Ritter vom Geiste (1850/1851) erörtert Gutzkow sein Bestreben, die widerspruchsvolle und heterogene Welt der Gegenwart in einer Kunst des Nebeneinander zu erfassen. Im Unterschied zu jenen Dichtern, „die mit einem Wassertropfen die Welt abspiegeln“, habe er „jenen einzigen Wassertropfen, der jetzt die ganze Welt abspiegelte, nicht […] finden können.“11 Der Roman als „Nacheinander kunstvoll verschlungener Begebenheiten“ habe sich überholt, sei ‚unglaubwürdig‘ geworden und eigne sich weder in seiner egozentrierten HeldenStruktur des Nacheinander noch in seiner Fixierung auf Harmnisierung, Versöhnung und Geschlossenheit, den zeitgenössischen Gesellschaftszustand, der gerade keine widerspruchsfreie Einheit darstelle, in seiner Breite wie seinen widerstreitenden Elementen – mithin als panoramatisches Gesamtgemälde – abzubilden.12 Für Gutzkow stellt sich romanästhetisch weniger die Frage, ob und wo die gegenwärtige Gesellschaft noch poetisch ist. Er fragt vielmehr, wie sie überhaupt noch in ihrer buchstäblich epischen Breite zu erfassen ist. Gegenüber einer hierarchisiertkontrastiven Darstellung mit eindeutiger Haupthandlung, die – als Individualroman bzw. Bildungsroman konzipiert – einen Ausschnitt der Wirklichkeit als Ganzes entwirft, zielt Gutzkows Entwurf auf eine mehrsträngige, synchronistische Darstellung, die sich der epischen Totalität über ein panoramatisches Gesellschaftsbild nähert. Zudem versteht Gutzkow seinen Roman in der jungdeutschen Tradition13 als ‚socialen Roman‘ – durchaus auch im linksliberalen politischen Sinn. Bei diesen Unterschieden sollte man jedoch nicht vergessen, dass Freytags und Gutzkows Romankonzeptionen über eine spezifisch ‚realistische‘ Schnittmenge verfügen, die letztlich schwerer wiegt als die Differenzen.14

11 Gutzkow: Vorwort. S. 4. 12 Gutzkow: Vorwort. S. 6. 13 Vgl. Hasubek: Der Roman des Jungen Deutschland und des Vormärz. 14 Dass Freytag und Gutzkow mit etwas Abstand besehen durchaus auf das gleiche poetische Projekt verpflichtet werden können, beweist Conrad Albertis Würdigung zu Freytags 70. Geburtstag: „Die Poesie im Leben des schlichten Bürger- und Arbeiterstandes, die Poesie im Dampf der Fabriken, im Surren der Maschinen, im Verhältniß des Einzelnen zu seinem Volke und dessen geschichtlicher Entwicklung – […] sie sind es, in denen der Fortschritt der modernen Literatur vor der classischen besteht. Und das Verdienst, den Weg begriffen zu haben, auf dem allein die moderne Literatur sich fortentwickeln und über die classische erheben kann, […] – dieses Verdienst gebührt zwei Männern, welche hoch über den meisten ihrer Zeitgenossen […] doch immer zusammen genannt werden müssen, wenn von der gesunden Fortentwicklung der deutschen Literatur die Rede ist: Carl Gutzkow und Gustav Freytag“ (Conrad Alberti: Gustav Freytag: Zur siebzigsten Wiederkehr seines Geburtstages (13. Juli 1816). In: Prager Tagblatt, 9. Juli 1886 (Nr. 188), S. 1–3). – Dass Freytag hier in einem Atemzug mit seinem Gegner genannt wird, hat ihm vermutlich so wenig gepasst wie es Gutzkow gepasst hätte. Letztlich besteht eine kanonisierungsgeschichtliche Pointe des ‚Grenzboten-Streits‘ aber gerade darin, dass durch diesen Akteure auf Dauer gemeinsam betrachtet werden, die einander eigentlich tilgen wollten.

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Für beide Prosakonzepte ist ein olympischer Erzähler konstitutiv;15 beide entwerfen ihren realistischen Kunstanspruch in Ablehnung eines planen Mimesis-Konzepts, und beiden geht es nicht um die bloße Abbildung von Wirklichkeit, sondern um die Profilierung einer bevorzugten Weltanschauung im Medium der Kunst. In beiden Entwürfen verbindet sich die Idealisierungspoesie mit dem gesamtgesellschaftlichen Darstellungsanspruch, der Hinwendung zum Zeitroman. Dass Bildungsroman und Zeitroman immer große Gemeinsamkeiten aufweisen, darauf hat Fues hingewiesen, in leichter Abwandlung seiner Ausführungen ließe sich formulieren: Der Bildungsroman kann die Geschichte seines Individuums nicht erzählen, ohne die Wirklichkeit zu beschreiben, durch die es existiert und mit der es sich auseinandersetzt; der Zeitroman dagegen kann die Geschichte seiner Wirklichkeit nicht erzählen, ohne eine Individualität heranzuziehen, in der sie sich konkretisiert.16 Berücksichtigt man vor diesen Hintergründen mit Bourdieu Gutzkows ‚Kapitalvolumen‘, seine fest im literarischen Feld der Zeit verankerte, ja mitdominierende und Benennungsmacht beanspruchende Stellung, wird ersichtlich: Wer sich Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Feld des Romans positionieren wollte, musste sich auch gegenüber Gutzkow positionieren. Denn „Gutzkow stand in den fünfziger Jahren im Zenit seines Ruhms“.17 Gutzkow gilt den Zeitgenossen noch 1852 als Inbegriff des modernen Schriftstellers.18 Über ihn heißt es, er habe „die Witterung des Jahrhunderts“, er sei der „Hauptrepräsentant dieser ganzen Übergangsepoche“ und „die Avantgarde aller Richtungen“.19 Seine Stellung um 1850 verdeutlicht anschaulich eine Karikatur (Abb. 15)20, die derselben Reihe „Eine Gallerie von Zeitgenossen“ entstammt wie die schon besprochene Karikatur zu den Grenzboten-Redakteuren (s. Kap. 3):

15 Dieser findet sich bei Gutzkow in der Formulierung von „der Perspective des in den Lüften schwebenden Adlers“ (Gutzkow: Vorwort. S.  8) wieder, während Freytag seine erhöhte Erzählerposition gerne unter Verweis auf Freiligrath begründet haben soll: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte / Als auf den Zinnen der Partei“ (vgl. Ping: Gustav Freytag and the Prussian Gospel, S. 59). 16 Formuliert in Abwandlung von: Fues: Poesie der Prosa, Prosa als Poesie, S. 113. 17 Rasch: „Die Freiheit der Zerrbilder“, S. 125. 18 Vgl. N. N.: Das neue deutsche Drama. In: Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände. Bd. 17. Leipzig 1852, S. 1–45, hier S. 5. – Ähnlich beschreibt ihn Christine Haug aus Sicht der Forschung: „Gutzkow gehörte zu den herausragenden Knotenpunkten dieses transnationalen Kommunikationsnetzes und galt als Repräsentant eines neuen Autorentypus, der sich im frühen 19. Jahrhundert herauszubilden begann – der Typus des modernen Berufsschriftstellers, der den Literaturbetrieb, die literarischen Strömungen und modischen Trends […] aufmerksam verfolgte. […] Mit dem Selbstverständnis eines Berufsschriftstellers bediente Gutzkow praktisch alle literarischen Genres, Gattungen sowie Programmsparten des Buchmarkts und orientierte sich an neuen Publikations- und Vertriebsformen, die sich im Kontext der Industrialisierung herausbildeten“. Christine Haug: Karl Ferdinand Gutzkow (1811–1878) und das literarische Leben des 19. Jahrhunderts. Ein Forschungsbericht anlässlich des 200. Geburtstags. In: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 2012, S. 127–144, hier S. 128. 19 N. N.: Das neue deutsche Drama, S. 5. 20 [Herbert König]: Ritter vom Geist. In: Europa. Chronik der gebildeten Welt, 2. Juni 1853 (No. 45),



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Abb. 15: Karl Gutzkow als literarischer Napoleon am Herd, Karikatur „Ritter vom Geist“ (1853) von Herbert König

Die im Juni 1853 in der Zeitschrift Europa abgedruckte Zeichnung entwirft Gutzkow als Napoleon am Herd21 – ein gekalauerter Hinweis auf die 1852 von ihm gegründete Zeitschrift Unterhaltungen am häuslichen Herd.22 Noch die humoristisch-spöttelnde Darstellung als literarischer Küchenchef verrät hier „die ungebrochene Machtstellung Gutzkows“ als Schriftsteller und Kritiker im literarischen Feld der Zeit.23 Was dies konkret für die strategische Positionierung der Grenzboten bedeutete, deren Ziel nach Ansicht des Gutzkow-Freundes Feodor Wehl darin bestand, Freytag zum „mustergültige[n] Haupt“ realistischer Schreibweisen auszurufen, fasst Wehl S. 360. Die Karikatur ist außerdem abgedruckt in: Eine Gallerie von Zeitgenossen (1853), S. 1. – Unter der Karikatur finden sich nach der Überschrift „Ritter vom Geist“ die folgenden Verse: „Der Ritter der mit seines Geistes Lanze / Die ganze Welt von Wahn und Trug befreite, / Fügt‘ einen Löffel zu dem Lorbeerkranze, / Seit häuslich er dem Kochheerddienst sich weihte.“ Darunter dann: „Chor der Unsterblichen: Brutus, Du kochst! Erwache!“ 21 Die Pose ähnelt der Darstellung Freytags in Abb. 14 – ein Hinweis darauf, dass beide Autoren jeder für sich Feldhoheit beanspruchten. 22 Zur Karikatur vgl. ausführlicher die instruktiven Erläuterungen bei: Rasch: „Die Freiheit der Zerrbilder“, S. 125  f. 23 Rasch: „Die Freiheit der Zerrbilder“, S. 126.

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wie folgt zusammen: „Damit Freytag glänzen konnte, mußte Gutzkow verschwärzt werden. Und diese Verschwärzung wurde geradezu systematisch betrieben.“24 Die Systematik des von Wehl behaupteten Vorgehens bestätigt und konkretisiert sich beim Blick auf die Quellen darin, dass insbesondere Julian Schmidt in Die Grenzbo­ ten sowie in seiner regelmäßig überarbeiteten Literaturgeschichte jede Positionierung oder Neuveröffentlichung Gutzkows zum Anlass nimmt, diesem das dichterische Existenzrecht abzusprechen. Interessant hieran ist nicht in erster Linie die Tatsache an sich, sondern sind vielmehr die Verfahren, derer er sich dabei bedient. Über den Eintritt neuer Gruppen in das literarische Feld schreibt Bourdieu in Die Regeln der Kunst: „Erlangen sie das Recht auf Existenz, das heißt auf Differenz, dann verändert sich das Universum möglicher Optionen, und bis dahin dominierende Produktionen können beispielsweise deklassiert oder auf den Status von Klassikern verwiesen werden.“25 Die Deklassierung und das Zurückstufen auf den Status des Klassikers – das sind die bestimmenden Strategien der Grenzboten, vornehmlich Julian Schmidts, gegenüber Gutzkow. Ehe der sog. ‚Grenzbotenstreit‘ 1852 mit der Besprechung von Gutzkows Vergangene Tage (Neuausgabe von Wally, die Zweiflerin) richtig beginnt und sogleich eskaliert,26 führen die Grenzboten immer wieder vereinzelte Angriffe gegen den jungdeutschen Dichter. So erklärt Julian Schmidt ihn etwa 1850, dem Jahr des Erscheinens der Ritter vom Geiste, bereits zu Lebzeiten zu einem Vergangenen, zum antiquierten Vertreter einer ‚untergegangen‘ und ‚kranken‘ jungdeutschromantischen Literaturepoche.27 Diese Argumentationsfigur lässt sich beispielhaft auch an Schmidts Literaturgeschichtsschreibung der Gegenwart veranschaulichen. In den verschiedenen Auflagen werden Gutzkows Texte, Werk für Werk, von Julian Schmidt aufs Ausführlichste seziert und verrissen. Die polemische Abwertung Gutzkows nimmt bald den Umfang einer eigenen Monographie ein. Darin drückt sich neben der Ernsthaftigkeit von Schmidts Kritik auch die Anerkennung von Gutzkows Bedeutung aus. Schon in der Auflage von 1853 wird Gutzkow im Text vehement und raumgreifend angegangen und demgegenüber Freytag in der Widmung als „ächte[ ] Dichterseele“ auf dem Feld der ansonsten ‚armen‘ Gegenwartsliteratur profiliert.28 In der Auflage von 1855 dagegen – dem Jahr des Erscheinens von Soll und Haben – wird Gutzkow, prominent platziert in der erweiterten Widmung, als Figur eines verabschiedeten Kunstprogramms dargestellt und in einer Reihe einst „gefeierte[r] Größen“ genannt, deren Produkt Schmidt

24 Feodor Wehl. In: Gutzkow, 280. 25 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 370; vgl. auch: S. 249. 26 [Julian Schmidt]: Vergangene Tage, von Karl Gutzkow. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, I. Band, S. 216–219. 27 Vgl. S[chmidt]: Die Märzpoeten, S. 5–13, bes. S. 8–9. 28 Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2. 1853, S. V. – Das gesamte zweite Kapitel zur jungdeutschen Literatur ist nahezu ausschließlich eine Abrechnung mit Gutzkow; vgl. S. 63–82, S. 88–144.



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als ‚krankhaft‘ ausweist.29 „Ich bekenne“, so Schmidt 1855 über einen etablierten Schriftstellerkollegen im Alter von 44 Jahren, „daß mir die Periode unserer Dichtung, in der Gutzkow eine gefeierte Größe war, fast in dem Licht erscheint, wie die Periode Hoffmannswaldau’s und Lohenstein’s, und daß ich die feste Ueberzeugung habe, noch vor Ablauf eines Menschenalters werde dies Urtheil das allgemeine sein.“30 Schmidt jedenfalls arbeitete weiter an der Selbsterfüllung seiner Prophezeiung. Ein Jahr später, in der nun dritten Auflage seiner Literaturgeschichte, stellt er fest, Gutzkow sei kein „gefährliche[r] Gegner“ mehr, er sei „überwunden, d.  h. an den Platz zurückgedrängt, der ihm zukommt.“31 In der überarbeiteten, fünften Auflage seiner Literaturgeschichte von 1867 schließlich sind die gegenwartsbezogenen Elemente der Vorrede wie die Invektiven gegen Gutzkow und die Widmung an Freytag getilgt; dafür wird der Titel von Gutzkows Programmroman Die Ritter vom Geiste hier zur Kapitelüberschrift für eine in der Darstellung Schmidts ‚kranke‘ Literaturepoche, auf die direkt eine realistische Phase der Genesung folgt, die Schmidt mit Soll und Haben überschreibt.32 Diese generalisierende Logik spiegelt sich schon in den ersten größeren Angriffen der Grenzboten. ‚Gutzkow‘ wird darin – dem subsumtiven Angriffsverhalten Freytags und Schmidts gemäß – zum Schlagwort, zum pars pro toto für alle literarischen und politischen Fehlentwicklungen, der Kampf gegen ihn gleichsam zum Dienst an der ganzen Nation, bei dem keine falschen Rücksichten gelten können. Als „die Aufgabe, welche wir uns gestellt haben“, beschreiben Die Grenzboten-Herausgeber 1852 entsprechend: Ehrlichkeit und Wahrheit in der Kunst und im Leben zu verfechten gegen die zahlreichen kleinen und großen Gutzkow’s, welche unser Vaterland füllen, […] gegen all den egoistischen, hohlen, miserablen Kram in unsrer Literatur und unsrem Staatsleben. Wir Deutsche sind jetzt in einer Periode unsrer Entwicklung, wo der Einzelne nur wenig gelten darf, und kein Einzelner Ansprüche hat, von seinen Zeitgenossen nachsichtig und zart behandelt zu werden.33

Für die feldübergreifenden  – also politischen und zugleich literaturprogrammatischen – Argumentationslogiken der Grenzboten war Gutzkow insofern ein geeigneter Adressat, als er nicht bloß literarisch, sondern als profilierter linksliberaler Autor auch politisch vom Programm der ‚Grünen Blätter‘ abwich. Gutzkow hielt ästhetisch wie politisch die Vormärzzeit präsent, die Schmidt und Freytag am liebsten tilgen

29 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ²1855, S. X. 30 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ²1855, S. XII. 31 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. 31856, S. XIII. 32 Vgl. Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod. Fünfte, durchweg umgearbeitete und vermehrte Auflage. Dritter Band: Die Gegenwart. 1814–1867. Leipzig 1867, S. 401–564. 33 [Julian Schmidt u. Gustav Freytag]: Für Herrn Dr. Gutzkow und Herrn Heinrich Brockhaus. 2. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, I. Band, S. 437–440, hier S. 439  f.

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wollten.34 Der ‚Grenzbotenstreit‘ war demnach nicht weniger als ein fundamentaler programmatischer und literaturpolitischer Grundsatzkonflikt um die Ausrichtung der nachmärzlichen Literatur.35 1870 endlich erklärt Schmidt seine Angriffe gegen Gutzkow für beendet, nicht aber aus Reue oder Mitleid mit einem, den es 1865 tatsächlich fast in die (Selbst-) ‚Vernichtung‘ trieb – wofür Feodor Wehl nicht zuletzt Die Grenzboten verantwortlich machte36 –, sondern weil er sich als endgültiger Sieger begreift: „Gutzkow schreibt zwar noch ziemlich viel und ist außerdem als berühmter Schriftsteller der Vergangenheit anerkannt, aber die lebendigen Interessen des Tages werden durch seine Thätigkeit nicht mehr berührt, nicht mehr gefährdet.“37 In den Stufen der Bewertung Gutzkows spiegelt sich nicht nur Schmidts Strategie der Selbstetablierung, sondern auch die tatsächliche Veränderung der Kräfteverhältnisse im literarischen Feld sowie die Durchsetzung des Grenzboten-Realismus. Rudolf Gottschall bestätigt diese Machtposition der Grenzboten, wenn er 1858 klagt: „Man kann dreist sagen, es gibt in ganz Deutschland nur noch eine Coterie: die Coterie der ‚Grenzboten‘! Sie hat alle andern vertilgt und sich an ihre Stelle gesetzt; aber auch ihre Stunde dürfte geschlagen haben.“38 Die Monopolstellung der Zeitschrift hält Gottschall im Hinblick auf die vergangenen und künftigen Jahre der Literaturgeschichte für verheerend. Die Zeitschrift, die er vornehmlich durch Schmidt verkörpert sieht, sei „eine Geißel für unsere Literatur“, denn: „In dieser Epoche schweigen die ‚Grenzboten‘ die neue Poesie zu Tode. […] Der Schaden, den die ‚Grenzboten‘ unserer literarischen Entwicklung zugefügt, ist bedeutender als der Nutzen, den sie durch Bekämpfung verderblicher Richtungen geschaffen.“39 Die Zeitgenossen haben das Vorgehen Schmidts, das zu seiner herausgehobenen Position geführt hat, also durchaus analysiert und polemisch kommentiert. So schreibt etwa Fontane 1871 anlässlich einer Theaterkritik von Gutzkows Der Gefangene von Metz, Julian Schmidts Literaturgeschichte erzeuge beinahe den Eindruck, „als sei sie

34 Darauf weist Samuel Lublinski im Zusammenhang mit Gutzkows Die Ritter vom Geiste hin: „Ganz besonders mußte Julian Schmidt ob dieser neuen Freimaurerloge aus dem Häuschen geraten. Also diese Schwarmgeister und Schwätzer maßten sich immer noch die Führung des soliden Bürgertums und des deutschen Volkes an! Und sie träumten in ihrer Vermessenheit sogar von Organisationen und Bündnissen! Das durfte nicht geduldet werden, und so begann Julian Schmidt seine kritischen Feldzüge gegen Gutzkow mit der ihm eigenen Zähigkeit und leider auch mit einer verbissenen Hinterlist“ (Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 85). 35 Vgl. in diesem Sinne auch: Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 80 et passim. 36 Vgl. Houben: Aus Gutzkows Theatererinnerungen [Teil I]. S. 184  f. – Auch Lublinski spricht daher beim ‚Grenzbotenstreit‘ von einem „Kampf auf Leben und Tod“ (Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 80). 37 Julian Schmidt: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit. Neue Folge. Leipzig 1871, S. 422. 38 Gottschall: Karl Gutzkow’s „Zauberer von Rom“, S. 927. 39 Gottschall: Karl Gutzkow’s „Zauberer von Rom“, S. 927.



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um der Bekämpfung Gutzkow’s willen geschrieben worden“40; und Wilhelm Dilthey nennt das Werk „ein durch und durch polemisches Buch“.41 Erst als alle Schlachten geschlagen und mit Schmidt und Gutzkow die Hauptkontrahenten schon nicht mehr sind, meldet sich Friedrich Spielhagen 1890 rückblickend zu Wort und macht Freytag ebenso dafür verantwortlich, dass mit Gutzkow als dessen einzigem gleichrangingen Konkurrenten im Feld des Romans nicht „fair play“ gespielt worden sei. Zwar habe Julian Schmidt jene Maßlosigkeiten geschrieben; aber in diesem Falle galt mir Gustav Freytag als der moralisch Mitschuldige. […] Ich meinte, er hätte hier, wo es sich um den Einzigen handelte, der ihm in der Gunst des Publicums auf dem Gebiete des Romans – und nicht auf dem allein – Konkurrenz machen konnte, seinem Propheten den Mund verbieten müssen. Ich meinte, in dieser Weise gegen einen Gegner vorzugehen, sei nicht fair play. Ich meinte, daß heiße nicht mit den Waffen kämpfen, mit denen ein solcher Wettstreit einzig und allein ausgefochten werden dürfe, ebenso wenig, wie man einen Mitbewerber auf der Rennbahn, anstatt ihn durch bessere Reitkunst und die größere Schnelligkeit seines Pferdes zu besiegen, dadurch unschädlich zu machen suche, daß man ihn gewaltsam aus dem Sattel stieße.42

Mögen die Zeitgenossen das Spiel auch durchschaut (und als ‚grausam‘ empfunden) haben, sie haben sich mitunter nicht gescheut, die Deutung einer Partei zu übernehmen – so wie etwa Wilhelm Dilthey in seiner Rezension zu Schmidts Literaturgeschichte, 1865 veröffentlicht in den Preußischen Jahrbüchern: Unsere älteren Leser erinnern sich der Wirkung, welche vor etwa zwanzig Jahren die Grenzboten von Gustav Freytag und Julian Schmidt übten. Sie kämpften im Vordertreffen einer wichtigen Wendung des deutschen Geistes. Wie sie die neu gefundenen Grundsätze handhabten, verbreiteten sie einen panischen Schrecken in den Kreisen der jungdeutschen Schule und unter den letzten Ausläufern der Romantik. Die Analyse war grausam […]. Aber nothwendig war, daß das geschah.43

Ähnlich bewertet ein sich selbst historisch gewordener Gustav Freytag diesen ‚Kampf‘ 1886 in seinen Erinnerungen aus meinem Leben: Als die Politik nicht mehr das ganze Interesse der Leser in Anspruch nahm, begann Schmidt literarische Artikel gegen die Jungdeutschen und Romantiker. Seine energische Thätigkeit nach dieser Richtung schuf ihm und dem Blatt viele Gegner, unter denen Gutzkow der erbittertste war, aber sie ist wohl werth, daß man mit Anerkennung daran zurück denke. Es war damals die Zeit, wo alle Gegensätze scharf gegeneinander schlugen und Schmidt war nicht der Mann, in seinem Feuereifer jedes Wort vorsichtig abzuwägen. Doch der letzte Grund seines Unwillens war immer ehrenwert, es war der Haß gegen das Gemachte und Gleißende, gegen ungesunde Weichlichkeit und gegen eine anspruchsvolle Schönseligkeit, welche an den Grundlagen unseres natio-

40 Th[eodor] F[ontane]: Königliche Schauspiele. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 12. Januar 1871 (Nr. 12), 1. Beilage, S. 4  f. 41 [Dilthey]: Notizen [Rez. zu Julian Schmidts Literaturgeschichte], S. 401. 42 Spielhagen: Erinnerungen aus meinem Leben, S. 349. 43 [Dilthey]: Notizen [Rez. zu Julian Schmidts Literaturgeschichte], S. 401.

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nalen Gedeihens, an Zucht und Sitte und deutschem Pflichtgefühl rüttelte mit einem Hochmuth, dessen letzte Ursache Schwäche des Talents oder gar des Charakters war. Jetzt wo diese Schwächen und Fehler überwunden oder mit anderen vertauscht sind, wird uns eine unbefangene Beurtheilung leichter. Damals galt es, das anspruchsvolle, noch mächtige Schädliche zu beseitigen. Es ist auch nicht richtig, daß durch die Bewegung des Jahres 1848 und deren Folgen bereits eine Besserung bewirkt war, und daß es absterbende Richtungen waren, welchen die Grenzboten den Krieg erklärten. Denn indem Schmidt verurteilte, was in unserer Literatur krank war, wies er auch unablässig auf die Heilmittel hin und wurde dadurch in Wahrheit ein guter Lehrer für die Jüngeren, welche falschen Vorbildern, die in unbekämpftem Ansehen stehen, zu folgen bereit sind. Ihn selbst haben die Gegenangriffe der Gekränkten, an denen es nicht fehlte, vielleicht einmal geärgert, nie beirrt. Und doch, obgleich er als Kritiker dafür galt, daß ihm Anerkennung schwer wurde, stand er nichts weniger als kalt dem geschaffenen Dichterwerke gegenüber. Er hatte an allem wohl Gelungenen eine tief innige Freude und behielt vor echter Poesie die Wärme und Begeisterung eines Jünglings bis in sein höheres Alter. (GW I, 162  f.)

Was sich hier geradezu so liest, als sei der von Schmidt zum ‚Vorbild‘ ausgerufene Freytag völlig unbeteiligt an den Vorstößen seines Mitherausgebers gewesen, führt letztlich nur die arbeitsteilige Anlage der Grenzboten in Form des beschriebenen Wechselspiels von Dichtung und Kritik sowie wechselseitiger Selbstkonsekration44 fort. Die Argumentationsfiguren, die hierbei von Freytag und Schmidt bemüht werden, sind nach Bourdieu für das Feld der Wissenschaft und der Kultur charakteristische. Für diese Felder, deren Logik in Abgrenzung zum Feld der Ökonomie und seiner Ordnungslogik funktioniert, ist die „illusio“ einer „antiökonomischen Ökonomie[]“ kon­ stitutiv45 – ein Gestus, der vorgibt, ausschließlich im Dienste einer höheren Wahrheit zu stehen, auch dann, wenn es um das Erringen von Kapitalien geht. Nun kann man diese ‚illusio‘ zwar durchschauen und dennoch an sie glauben, bei Schmidt allerdings wird das Argumentationsprinzip eines ‚Interesses nur an der Interesselosigkeit‘,46 einer vermeintlich uneigennützigen Verpflichtung auf die Wahrheit so inflationär benutzt, dass jedenfalls die Opfer seiner Kritik nicht mehr

44 Julian Schmidt beginnt mit dieser wechselseitigen Selbstidealisierung bereits 1853 in der Widmung seiner Literaturgeschichte an Gustav Freytag. Die Selbsterhöhung ist somit zugleich als eine Form der Selbsthistorisierung zu sehen: „Denke ich an unsere gemeinsame Thätigkeit zurück, so glaube ich, daß, so oft uns auch ein Irrthum begegnet sein mag, wir uns keine ernstlichen Vorwürfe zu machen haben. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen Gerechtigkeit ausgeübt; wir haben niemals eine persönliche Rücksicht walten lassen, nie die Sache aus den Augen gesetzt; keine Menschenfurcht hat uns berührt; wir haben die Gefühlsströmungen der Massen so wenig geachtet, als die Empfindlichkeit der Einzelnen, die in ihren Glauben an sich selbst stören mußten: wir haben es treu und ehrlich mit dem Vaterlande gemeint, und am meisten da wo wir seine Neigungen bekämpften“. (Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1. 1853, S. VI). 45 Bourdieu: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S.  27; vgl. auch: Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 360–365. 46 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 342. Siehe dazu auch: Bourdieu: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 27.



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daran glauben mochten. Auf den Vorwurf seiner Kritiker, Gutzkow aus einer politischen Parteiposition heraus verrissen zu haben, antwortet Schmidt, weil seine Partei durch „eine Idee getragen“ werde und seine „sittlichen, ästhetischen und politischen Überzeugungen aus demselben Princip entspringen“, sei er „den Personen gegenüber völlig unbefangen“ und überhaupt seien „[d]as Schöne, das Gute, das Wahre“ bei ihm „nicht von einander zu trennen.“47 In ähnlicher Form – mit Bourdieu: im „Schein von positivistischer Unschuld“48 – reagiert Schmidt, der im Fall von Gutzkows Der Zauberer von Rom auch vor einer bewusst verfälschenden ‚Inhaltsangabe‘ nicht zurückschreckt,49 auf einen Gegenangriff („Abfertigung eines ästhetischen Kannegießers“) des vielfach von ihm angegangenen Friedrich Hebbel. Diesem setzt er auseinander, er vertrete nur die Werte und Interessen des Publikums, das durch seine Darstellung der wesentlichen Merkmale eines Werks zu eigenen Urteilen befähigt werde.50 Dazu merkt Hohendahl an: „Praktisch jedoch spielt das Publikum kaum noch eine Rolle. Am Gespräch der Zeitungen und Zeitschriften ist es nur passiv beteiligt. So muß der Konsensus, den Schmidt stillschweigend als Kriterium der Wahrheit unterstellt, durch die Autorität des Rezensenten ersetzt werden.“51 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Gutzkow z.  B. in einer Besprechung von Soll und Haben ganz ähnlich argumentiert: Unsere Leser, die wir mit kritischem Hader sonst verschonen, können verlangen, daß bei einer solchen Gelegenheit die Merkmale Dessen, was sich so bewußt als das im Roman einzig ästhetisch Richtige angibt, genannt und geprüft werden, und das nicht etwa um unsert- oder um des Herrn Freytag willen, sondern um einer festzustellenden Wahrheit willen.52

Hinter den Kulissen zeigt sich jedoch bisweilen die agonale Logik, das andere Gesicht des „doppelgesichtig[en]“ Positionskampfes in den Feldern von Kultur und Wissenschaft.53 Am 31. Mai 1855 z.  B. registriert Freytag im Brief an seinen Verleger Salomon Hirzel Gutzkows erste Reaktion auf Soll und Haben als „den ersten Racheschrei Gutzkow’s“, lässt dessen Äußerung von seinem Verleger an einen Redakteur der National-Zeitung weiterleiten (die Mitte Juni eine sehr positive Besprechung von Frey-

47 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. 31856, S. XIV. 48 Pierre Bourdieu: Die historische Genese einer reinen Ästhetik. In: ders.: Kunst und Kultur. Kunst und künstlerisches Feld. Schriften zur Kultursoziologie 4, hg. von Franz Schultheis u. Stephan Egger. Konstanz 2011, S. 289–307, hier S. 301. 49 Vgl. Gutzkow, 559; vgl. dazu auch Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 89. 50 Vgl. Julian Schmidt: Julia. Trauerspiel von Hebbel. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 493–504. – Vgl. dazu auch: Hohendahl: Einleitung, S. 34–37. 51 Hohendahl: Einleitung, S. 37. 52 Gutzkow: Ein neuer Roman. I., S. 558 (Hervorhebung im Original). 53 Bourdieu: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 27.

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tags Roman veröffentlicht),54 taxiert aber zugleich: „Diese Kritik schadet uns nichts“ (BrHi I, 68  f.). Am 30. August 1855, als der erst Ende April herausgekommene Roman bereits kurz vor der dritten Auflage steht,55 befindet der Autor nach der Durchsicht der Rezensionen zu seinem Roman sogar überheblich: „Es ist ein recht großes Unglück für uns, daß wir so schwache Gegner haben“ (79). Als Freytag dann im Oktober 1858 von seinem Verleger Salomon Hirzel erfährt, dass Robert Prutz in seiner Zeitschrift Deutsches Museum ein Porträt über ihn veröffentlicht hat, vermutet er dahinter – ohne den Text gelesen zu haben – eine von Gutzkow diktierte Polemik („Wette der Artikel ist von Gutzkow“) und fordert seinen Verleger sogleich auf: „Da jetzt der Gutzkowsche Roman erscheint, so muß ein Niederschmettern friedlicher Gewalten statt finden.“56 In welcher Weise der Text von Prutz nun genau argumentiert, spielt für die agonale Logik der Akteure dabei ebenso wenig eine Rolle wie die schlichte Tatsache, dass Freytags und Gutzkows Romankonzepte sowie ästhetische Überzeugungen letztlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen (s. o.): Die Logik des Kampfs und der Spaltung in antagonistische Lager, die sich über die objektiv gebotenen Möglichkeiten entzweien – so sehr, dass jedes Lager nur einen kleinen Bruchteil dieser Möglichkeiten sieht oder sehen will – kann Optionen, die logisch mitunter überhaupt keinen Gegensatz bilden, als unvereinbar erscheinen lassen. Da jedes Lager sich selbst als Lager durch die Behauptung eines Gegensatzes setzt, kann es die Grenzen, die es sich mit eben diesem Setzungsakt auferlegt, nicht wahrnehmen.57

In diesem Sinne veranlassen der ‚Grenzbotenstreit‘ und das Erscheinen von Soll und Haben das literarische Feld der Jahrhundertmitte zu neuen Grenzziehungen und Positionierungen. Friedrich Hebbel wird den englischen Lesern des „Spectator“ dieses Feld 1863 als ‚Cliquen-Kollision‘ zwischen Gutzkows ‚Streitmächten‘ auf der einen und Freytags auf der anderen erklären.58 Die Feldkämpfe um den zeitgemäßen bürgerlichen Roman erweisen sich mithin als romanästhetisches Schibboleth. Weil ästhetische Schulen und Normen Akkumulationsorte symbolischen, ökonomischen und sozialen Kapitals sind, werden deren Richtungskämpfe zu „Brennpunkte[n] der polemischen 54 Vgl. N. N.: G. Freitag’s „Soll und Haben“. 55 B. R.: Blätter und Blüthen, S. 160. 56 Freytag an Salomon Hirzel am 7. Oktober 1858. In: BrHi I, 158–159, hier 159. – Die genaue Beobachtung des Gegenspielers, wie sie nicht nur für literarische Feindschaften charakteristisch ist, ließe sich anhand von Freytags Briefen genauer nachvollziehen. Schon am 13. April 1853 schreibt er etwa an Eduard Devrient in der Erwartung von Gutzkows Philipp und Perez: „Auf Gutzkows P. und P. bin ich so neugierig, als einem Gegner nur irgend erlaubt ist. Ich wünsche mehr etwas Löbliches, als daß ich es hoffe“ (Hans Devrient [Hg.]: Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient. In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Jg. 46, Bd. 91, 1901/02, S. 127–139, S. 199–211, S. 343–355, S. 505–551, hier S. 135). 57 Bourdieu: Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken, S. 63; vgl. auch: Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 99. 58 Vgl. Friedrich Hebbel an James Marshall, 23. Januar 1863. In: ders.: Briefwechsel 1829–1863, S. 567  f., hier S. 568.



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Auseinandersetzung“.59 „Das Gespräch über Soll und Haben ist das Gegenstück zu der Debatte über Die Ritter vom Geiste.60 Wer Gutzkows Roman verurteilte, lobt das Freytagsche Werk, wer für den Gesellschaftsroman des Nebeneinander eintrat, findet sich unter den Kritikern Freytags.“61 Bereits Theodor Fontane sagte in seiner Rezension von Freytags Roman vorher, dass dieser „von kommenden Geschlechtern als ein Spiegel unsrer Zeit und ihrer Kämpfe“ betrachtet werden würde.62 Aus feldtheoretischer Perspektive ist das in mehrfacher Hinsicht interessant. Geht man von Bourdieus Beschreibung des Feldes als „Kraftfeld“ oder „Kampffeld“ aus,63 so erscheinen die genannten Debatten nicht nur in der Tat wie Ereignisse, die das ganze Feld in Bewegung bringen und damit die Feldteilnehmer wie in Schwingung versetzte Teilchen zur Neuausrichtung, d. h. Positionierung, veranlassen. Das Verhalten vor allem Julian Schmidts führt zu einer Dynamisierung und Dichotomisierung des Feldes, die sich unter anderem an der veränderten Vorrede in der zweiten Auflage von Gottschalls Literaturgeschichte (1860) ablesen lässt. Gegenüber der vergleichsweise ‚vornehmen‘ Vorrede zur ersten Auflage ist dem neuen Paratext die agonale Positionslogik des literarischen Felds der Gegenwart eingeschrieben. Sofort zu Beginn seines Textes nimmt Gottschall auf Schmidt Bezug und wird auf den folgenden 15 Seiten gar nicht mehr von ihm ablassen. Dass Schmidt in der Neuauflage seiner Literaturgeschichte „triumphierend auf den Sieg seiner Ueberzeugungen hinweist“, fordert Gottschall heraus.64 Zwar betont er, „nicht in den gleichen Fehler verfallen“ zu wollen wie Schmidt, nicht wie dieser aus ‚Polemik‘ und ‚Laune‘ heraus zu urteilen; auch bestreitet er, mit seinem Buch „eine Gegenschrift gegen das Werk Julian Schmidt’s“ zu liefern – nur um sein Werk dann im Folgenden aber genau so zu positionieren.65 Grundsätzlich stellt Gottschall die Maßstäbe und Kriterien von Schmidt infrage, u.  a. dessen sozialethisches Literaturverständnis.66 Schmidt gelinge es nicht, „von vorgefaßten Meinungen abzugehn“ und selbst wo er im Recht sei,

59 Hohendahl: Einleitung, S. 59. 60 Zur zeitgenössischen Debatte um Die Ritter vom Geiste siehe die umfassende Einordnung und Materialzusammenstellung von Adrian Hummel und Thomas Neumann: Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. Materialien, hg. von Adrian Hummel u. Thomas Neumann. Frankfurt a.  M. 1998. 61 Hohendahl: Einleitung, S. 68. – Vgl. in diesem Sinne auch: Steinecke: Romantheorie und Romankritik in Deutschland. Bd. 1, S. 212. 62 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 63. 63 „Die sozialen Felder bilden Kraftfelder, aber auch Kampffelder, auf denen um die Wahrung oder Veränderung der Kräfteverhältnisse gerungen wird“ (Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und ‚Klassen‘. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1985, S. 74). 64 Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XVII. 65 Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XVIIf. 66 „Die Maßstäbe, die Julian Schmidt bei der Beurtheilung der Dichter anlegt, sind selten ‚ästhetischer’ Art, sondern meistens aus der Rüstkammer sittlicher Überzeugungen genommen“ (Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XVIIIf.); „Das Anlegen eines blos sittlichen Maßstabes führt aber nothwendig dazu, Goethe und Kotzebue durchweg in eine Linie zu stellen“ (S. XXI).

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verliere er „das rechte Maß“.67 Für Schmidts fehlgeleitete Kritik stehe insbesondere „seine ungerechte und verkehrte Beurtheilung Gutzkow’s“68 – erst recht, wenn man bedenke, dass er Freytags Soll und Haben „mit einer Ueberschwänglichkeit zu den Wolken erhebt, die mit seiner scharfen und zum Theil geringschätzigen Kritik anderer Dichtwerke […] in einem auffallenden Widerspruch steht.“69 Letztlich fordere und fördere Schmidt eine Poesie, die „nirgends den Gesichtskreis der Kritik überschreitet, an die Phantasie des Kritikers keine ungewohnten Zumuthungen stellt“ und das allzu Prosaische „in ein dichterisches Gewand kleidet“.70 „Gegenüber der realistischen und akademischen Richtung, deren Vorkämpfer Julian Schmidt ist“, so Gottschall weiter, „halten wir an der idealistischen Poesie fest“.71 Damit ergibt sich für Gottschall geradezu automatisch die Sichtweise, als Korrektiv zu Schmidt die von ihm gelobten Werke herabzusetzen und die von ihm verrissenen zu erhöhen.72 „Die Logik des Kampfs und der Spaltung in antagonistische Lager“, von der Bourdieu spricht, lässt sich hier beobachten. Gottschall ist die Literaturgeschichte also ebenfalls zum ‚Kampfinstrument‘ im literarischen Feld geworden. Auffällig ist, dass die Kriegs- und Kampfmetaphorik, wie sie Bourdieu gern verwendet (und wie sie hier fortgeschrieben wird), außerordentlich häufig auch auf Quellenebene zu finden ist. Nicht allein Freytag sprach in seinen Erinnerungen von einem „Krieg“ (GW I, 163), der mit beiden Kontrahenten bekannte Eduard Devrient notiert am 2. März 1852 in seinem Tagebuch: 67 Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XXI. 68 Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XXI. 69 Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XXVII. 70 Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XXVI. 71 Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XXVII 72 „Dennoch habe ich, besonders in den Zusätzen der neuen Ausgabe, mich vielen Erscheinungen gegenüber minder anerkennend und mehr ablehnend verhalten, während umgekehrt Julian Schmidt hier und dort wärmer, anerkennender, ja selbst begeistert auftritt. So könnte es scheinen, als müßten wir uns auf halbem Wege begegnen, und der Gegensatz unserer Auffassung mehr und mehr verlöschen. Dieser Schein ist aber trüglich; denn gerade hierin tritt ein neuer Differenzpunkt hervor. Die Werke, welche die Bewunderung jenes kalten Kritikers erweckten, in denen er einen Fortschritt zum Bessern, ja die Keime einer gesunden Zukunft begrüßt, gegenüber allen Poesieen, die er auf immerdar in das Reich der Schatten hinabgeschickt zu haben glaubt, gegenüber all’den Ungethümen des verwilderten Parnasses, die seine kritische Herkuleskeule erlegt hat, scheinen uns weder an ursprünglicher Dichterkraft, noch in Bezug auf ihre ganze Richtung manchen, vielleicht minder erfolglosen Schöpfungen der vorigen Jahrzehnte ebenbürtig zu sein. Wir können daher in das εύρηκα [Heureka; P. B.] jenes Kritikers nicht mit einstimmen, der vor dem Entdecker Pythagoras noch das voraus hat, daß er den himmlischen Mächten keine Hekatomben mehr zu schlachten braucht, da er schon vorher diese blutige Arbeit unter dem poetischen Opfervieh der Deutschen hinlänglich verrichtet hat. Alle diese gepriesenen Werke gehören einer Richtung an, die man mit dem Stichworte „realistisch“ bezeichnet. […] Die Romane von Freytag und Ludwig enthalten die vortrefflichsten Genrebilder, aber auch nicht viel mehr als dies; und die Kritik der Grenzboten, welche in ihnen poetische Musterschöpfungen findet, ist trotz aller weithergeholten Principienweisheit nur eine Verherrlichung der poetischen Genremalerei!“ (Gottschall: Die deutsche Nationalliteratur. Bd. 1. 2. Aufl. 1860, S. XXIVf.)



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Auf dem Zeitungsmuseum die Fehde zwischen den „Grenzboten“ und Gutzkow verfolgt. Ein interessanter Kampf. Gutzkow mit seiner blitzenden Stichwaffe immer um den Gegner herumspringend, hie und da eine schwache Seite erlistend und ihm die Haut ritzend, jener, fest stehend, eine Keule in der Hand, wovon jeder Schlag eines seiner Glieder bricht.73

Was dem vergleichsweise unbeteiligten Devrient noch wie ein unterhaltsames Schauspiel erscheint, bedeutet für einige der beteiligten Dichter und Kritiker tatsächlich nichts anderes als ‚Krieg‘ – ein Krieg allerdings, der die ‚Schlachtordnungen‘, Abhängigkeiten und Mechanismen des literarischen Feldes dabei selbst schon zum Thema macht.74 In Reaktion auf verschiedene zeitgenössische Rezensionen zu Soll und Haben fühlt sich etwa Friedrich Pletzer gezwungen, ein Wort an die Kritik zu richten. Er deutet das „Erscheinen eines Buches von Gustav Freytag oder Julian Schmidt“ als „ein Signal zum Waffenangriff auf die stolze Feste, welche allwöchentlich ihre mörderischen Geschosse entsendet“ und beklagt den „grimmen Rachechor“ der Soll und HabenRezensenten.75 Dass diese Kämpfe jedoch vorhersehbar waren und insgesamt weniger das Buch selbst interessiert als die Feldkommunikation aus Anlass des Buches, das gesteht er allerdings offen ein – und verrät dabei indirekt zugleich, das eigene Agieren hiervon abhängig machen zu wollen: „Wenn wir bis jetzt mit der Besprechung von ‚Soll und Haben‘ zurückhielten, so geschah es, offen gestanden, weil wir als unparteiischer Beobachter dies Kriegsschauspiel uns vorher ansehen wollten.“76 Er sieht sich nun veranlasst, dem Leser einen „Blick auf das Schlachtfeld [zu] eröffnen“ und stellt – in vermeintlich „ruhige[r] Würdigung“ des Buches fest: „Die heutige Kritik ist durch Parteiungen und Coterien, durch Haß und Neid so zerrissen und zerklüftet, daß sie den Mann weit mehr in’s Auge faßt als das Buch“.77 Durch Pletzers Artikel sieht sich wiederum u. a. Robert Giseke zu einer Reaktion gezwungen, wodurch sich das Kampffeld in einer für den modernen Literaturstreit typischen Weise verlagert bzw. vergrößert. Giseke erinnert ihn an die „moralische[] Todtschlägerei, mit der die Grenzboten gegen Gutzkow verfuhren und ihm nicht nur Bildung, Talent und grammatikalische Satzbildung, nein auch, Anstand, Charakter und Ehre absprachen“.78 Zwar nicht in den konkret von Pletzer angesprochenen Beispielen, doch grundsätzlich teilt er dessen Diagnose einer zunehmenden Parteilichkeit der Kritik, fragt aber: 73 Eduard Devrient. In: Gutzkow, 275. 74 Vgl. hierzu und im Folgenden auch: Hohendahl: Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus, S. 142  f. 75 Pletzer: Gustav Freytag als Romandichter, S. 244  f. 76 Pletzer: Gustav Freytag als Romandichter, S. 245. 77 Pletzer: Gustav Freytag als Romandichter, S. 245. 78 Robert Giseke: An Herrn Dr. Friedrich Pletzer, Redacteur des Bremer Sonntagsblattes. Ein offener Brief. In: Novellen-Zeitung. Eine Wochenchronik für Literatur, Kunst, schöne Wissenschaften und Gesellschaft, dritte Folge, 1. Jahrgang (1855) Nr. 35 (29. August 1855), S. 143–144, hier S. 143.

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Wer [hat] den Haß zuerst angeschürt? Wer besitzt im Augenblick die einzige, geschlossene, organisirte Coterie, deren Glaubensbekenntniß ist, daß alle deutschen Schriftsteller Lumpen sind, Gutzkow noch etwas Schlimmeres, und daß ihre Mitglieder immer allein Recht haben?79

Schließlich wirft Giseke Pletzer vor, selbst im „Heerlager der Grenzboten“ zu stehen und wendet dessen Parteilichkeitsvorwurf gegen ihn, indem er rhetorisch nach den Gründen fragt: [K]önnte man dann nicht Ihr eignes, merkwürdiges, Sie offenbar zu Unbesonnenheiten verleitendes Feuer für „Soll und Haben“ als eine unbewußte Folge jenes Lobes ansehen, das die Grenzboten Ihnen einst gespendet haben sollen? Ja, könnte man nicht selbst dieses Ihnen gespendete Lob als Beabsichtigung dieses Ihres Feuers auslegen?80

Dieser Schlagabtausch ist repräsentativ für die zahlreichen Debattenbeiträge zu Gutzkows und Freytags Romanen insgesamt. Er ist dies einerseits, weil er den Blick freigibt auf ein ausdifferenziertes, sich professionalisierendes literarisches Feld, in dem man sich in ausgeprägter Binnenkommunikation kontinuierlich auf sich selbst und andere Feldteilnehmer bezieht. Er ist es andererseits, weil die Feldteilnehmer sich in diesen Debatten beständig gegenseitig die Professionalität und Autonomie des Urteils absprechen. Als charakteristisch für den modernen Literaturbetrieb erweist sich der Streit auch insofern, als jeder Skandal irgendwann in die literaturbetriebliche Selbstreflexion und -historisierung übergeht. Diesen Part übernimmt Adolph Kolatschek, der Herausgeber der Monatsschrift Stimmen der Zeit. Das über die Jahre zu beobachtende Wechselspiel von Angriff und Gegenangriff, von Rezension und Gegenrezension veranlasst ihn, 1859 in dem Aufsatz „Literarische Koterien“ dazu, die Parteilinien des Feldes genau zu analysieren und dabei auch eine Gruppe einzubeziehen, die scheinbar gar nicht beteiligt ist: [E]in beständiges Werben und Wühlen hinüber und herüber, beide Parteien haben ihre Journale, die Schriftsteller, die von ihnen abhängen […]. Fern von dem Getümmel hält sich die Genossenschaft der absoluten Idealisten, deren Hauptquartier in München [gemeint ist der Münchner Dichterkreis um Geibel und Heyse, P. B.]. So still sie scheint, so thätig wirbt sie Anhänger in jenen vornehmen, ausschließlichen Kreisen, deren Bedürfnis […] sie erfüllt, ja aus dem sie entstanden. Auch sie versuchen sich in kritischen Excursen, […] aber zumeist ist es ihnen um die Bewunde-

79 Giseke: An Herrn Dr. Friedrich Pletzer, S. 144. – Auch der von Pletzer wegen seiner Kritik direkt angesprochene Hermann Marggraff (vgl. Marggraff: Ein Roman, „der das deutsche Volk bei seiner Arbeit sucht“) wehrt sich ausführlich und erwidert u.  a. „daß wir während einer langen literarischen Thätigkeit, die von etwas älterm Datum ist als die Existenz des jetzigen Freytag’schen Organs, nicht soviel kritisches „Drachengift“ verspritzt haben als dieses Recensirinstitut unter seiner jetzigen Redaction“ (Hermann Marggraff: Die Kritik und „Soll und Haben“. In: Blätter für literarische Unterhaltung 1855, 6. September 1855 (Nr. 36), S. 662–664, hier S. 663). 80 Giseke: An Herrn Dr. Friedrich Pletzer, S. 144.



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rung ihrer königlichen und fürstlichen Freunde, die Neigung der Frauen und Akademiker zu thun. In ihnen gipfelt sich die Koterie, sie sind allein für sich […].81

Tatsächlich hatte Paul Heyse als Vertreter der ‚Münchner‘ es vorgezogen, sich in an Auseinandersetzungen des literarischen Feldes nicht zu beteiligen und den Grenzbo­ ten das Kriegsfeld zu überlassen, wie er 1854 nebenbei in einem Aufsatz über Theodor Storm bemerkt: Den Grenzboten, deren vorwiegendes Verdienst es ist, die großen Strömungen der Bildung und der herrschenden Gedanken umsichtig zu verfolgen, überlassen wir die Abfertigung derer, die den Markt überschreien, und deren Werke im Grunde nur Experimente sind, durch die sie ihre verschiedenen Doctrinen zu beweisen denken.82

Wenn Kolatschek analysiert, dass auch die vermeintliche Nichtpositionierung eine Positionierung bedeutet, dass das hier zu beobachtende Verhalten, der Exklusivitätsanspruch der ‚Münchner‘, sich aus einem elitären Habitus erklären lässt, der wiederum durch eine bestimmte soziale Schicht von Unterstützern und durch ein spezifisches Publikum bedingt ist, dann sind das alles Beobachtungen einer Feldanalyse avant la lettre. Ganz in einem proto-feldsoziologischen Sinne führt Kolatschek als Ursache für die Zunahme von sowie das erhöhte Interesse an „Streitigkeiten der Literaten“ den Prozess der Verbürgerlichung der Literatur und des literarischen Marktes an, also die Entstehung eines allgemeinen Feldes der Literatur.83 Diese Entwicklung gehe mit dem Verlust einer „Wahrheit“, dadurch aber zugleich mit einer größeren Vielfalt sowie Erweiterung der ästhetischen Formen und Ansichten einher; daraus wiederum ließen sich die „Hetairien“ und „Koterien“ erklären.84 Die Parteibildungen auf dem Feld und ihre Mechanismen, nach denen z.  B. „ein mittelmäßiges Buch eines streitbaren Klopffechters gepriesen, der Aufsatz eines Andern für das Parteiorgan angenommen, […] Journalisten […] zum Kampf eingeladen werden“, führt Kolatschek auf einen letzten Grund zurück, den er als die „Lorbeeren des Miltiades“ bezeichnet:85 „Darum muß geworben, geschrieben, die ganze Schaar der Leichtbewaffneten um jeden Preis vorwärts getrieben werden, […] nur um Marathon ein Salamis gegenüberstellen zu können.“86 Es geht also mit Bourdieu um symbolisches Kapital und den Versuch, ‚Geschichte‘ bzw. ‚Epoche zu machen‘87 – ein 81 Adolph Kolatschek: Literarische Koterien. In: Stimmen der Zeit. Monatsschrift für Politik und Literatur 1 (1859), Band I, S. 54–60, hier S. 58  f. 82 [Paul Heyse]: Theodor Storm. In: Literatur-Blatt des Deutschen Kunstblattes 1 (1854), 28. Dezember 1854 (Nr. 26), S. 103–104, hier S. 103. 83 Vgl. Kolatschek: Literarische Koterien, S. 54. 84 Kolatschek: Literarische Koterien, S. 54–55. 85 Kolatschek: Literarische Koterien, S. 58. 86 Kolatschek: Literarische Koterien, S. 58. 87 Bourdieu: Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken, S.  70; Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 249.

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Ziel, das in der hier vertretenen Logik nur über Kampf und Distinktion erreicht werden kann. Die Spieler sind im Spiel befangen, sie spielen, wie brutal auch immer, nur deshalb gegeneinander, weil sie alle den Glauben (doxa) an das Spiel und den entsprechenden Einsatz, die nicht weiter zu hinterfragende Anerkennung teilen, […] und dieses heimliche Einverständnis ist der Ursprung ihrer Konkurrenz und ihrer Konflikte.88

In allzu feldbestimmender Feindschaft und Parteinahme, kurz: einer zunehmend heteronomen oder zumindest heteronom scheinenden Kritik, sieht Kolatschek letztlich eine Gefahr hin zur „Entwürdigung unserer Literatur“.89 Er spricht damit eine Warnung aus, die sich in zahlreichen Debattenbeiträgen jener Jahre so oder so ähnlich findet und die z.  B. bei Robert Giseke dazu führt, dass er dem öffentlich adressierten Friedrich Pletzer am Ende die Hand zur Versöhnung reicht, ja dazu aufruft, „[d]en öffentlichen Anstand in unseren literarischen Verhältnissen aufrecht zu erhalten“ und „an die Literatur, an die Unpersönlichkeit der Kritik zu glauben.“90 Was demnach hier auf dem Spiel steht, ist nichts Geringeres als das Spiel selbst bzw. jene feldkonstitutive „illusio“, die „Voraussetzung für das Funktionieren eines Spiels und zugleich […] auch sein Ergebnis“ ist.91 Diese „Sichtweise, […] auf der die Existenz des Feldes beruht“, besteht darin, „das Spiel der Kunst als Kunst zu spielen, das sich von der gewöhnlichen Sichtweise und von den merkantilen Zwecken und der Käuflichkeit der ihr Dienstbaren absetzt“.92 Weil alle das Interesse teilen, dass das Feld funktioniert, gerät die Auseinandersetzung der Kritik so zum Teil zur Auseinandersetzung über die Kritik, die metakritisch ihre Prinzipien und den Grad ihrer Autonomie reflektiert.93 Was der österreichische Publizist Kolatschek 1859 aus der Fernsicht präzise, aber selbst nicht unpolemisch analysiert hat, stellt sich für die unmittelbar involvierten Akteure des Feldes in der Nahsicht als Kampf der Positionierungen dar, der das Feld strukturiert und zu dem sich verhalten muss, wer als zum Feld zugehörig gelten will. Erst die simple Tatsache, Teil des Kampfes zu sein, anzugreifen oder bekämpft zu werden, bedeutet, als Feldteilnehmer anerkannt zu werden.94 In einer solchen Phase der Positionsfindung kann man Fontane während seiner Arbeit an der Soll und Haben-Rezension beobachten. Theodor Storm, der sich darüber ärgert, von den Grenzboten nicht wahrgenommen zu werden, macht diesen brieflich 88 Pierre Bourdieu u. Loı̈c Wacquant: Reflexive Anthropologie. Frankfurt a. M. 1996, S. 128 (Hervorhebungen im Original). 89 Kolatschek: Literarische Koterien, S. 58. 90 Giseke: An Herrn Dr. Friedrich Pletzer, S. 144. 91 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 360. 92 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 354. 93 So auch Hohendahl: Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus, S. 142–143. 94 Vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 357.



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auf Gutzkows Verriss des Romans aufmerksam und bekundet dabei eindeutig Sympathie für Gutzkows Position,95 was er wenig später zugunsten Freytags und seines Programmromans korrigierte.96 Auch Friedrich Eggers informiert Fontane, den er „schon tief in dem Artikel über ‚Soll und Haben‘ wähn[t]“, über Gutzkows Besprechung und fragt ihn sogleich, „ob dahin nicht ein Hiebchen zu führen sei“.97 Was Eggers hier offensichtlich im Sinn hat, ist ein Revancheakt gegen Gutzkow, der das von Fontane mitherausgegebene Jahrbuch Argo im Dezember 1853 heftig kritisierte.98 Und wirklich schlägt Fontane mit seiner Besprechung von Freytags Roman direkt in Richtung Gutzkows, wenn es dort heißt: „Wir halten uns nicht auf mit einer mißgünstigen Kritik, die diesem Roman alle Tendenz (im guten Sinne des Wortes) abgesprochen hat.“99 Im Briefwechsel mit Storm kritisiert Fontane in erster Linie die Form von Gutzkows Kritik, so unter Berufung auf Franz Kugler: „Gutzkow habe im Wesentlichen […] recht, aber die Art, wie er dies sein Recht ausspricht, bringe ihn um das letzte Jota desselben.“100 Tatsächlich zeugt Gutzkows Polemik von den Verletzungen, die ihm Die Grenzbo­ ten zuvor zugefügt hatten. Dabei treibt Gutzkow in seinen Besprechungen eine argumentative Strategie auf die Spitze, mit der schon Die Grenzboten gegen ihn Position bezogen. Warfen diese Gutzkow ausgerechnet anlässlich seines realistischen Programmromans Die Ritter vom Geiste vor, „einen der Wirklichkeit widersprechenden Roman“ verfasst zu haben,101 wendet nun Gutzkow den Markenkern der Grenzboten gegen dieselben, wenn er Soll und Haben als nicht im eigentlichen Sinne „realistisch“ bewertet, wenn er Freytag die „Verirrung zu einem alten romantischen Zopf“ vorhält oder wenn er ihm mit dem Vorwurf, „Daguerreotypen einer alltäglichen Wirklichkeit“ produziert zu haben, die Fähigkeit zur Poetisierung grundsätzlich abspricht.102 Abgesehen davon, dass Fontane deutlich stärker mit dem Realismus-Konzept der Grenzboten als mit dem Gutzkows übereinstimmte, schien „die Doppelration Gutzkowscher Gereiztheit“103 für seine ‚Vision‘ des Feldes offenbar schon der Form nach 95 Vgl. Theodor Storm an Theodor Fontane am 14. Juni 1855. In: Gutzkow, 304. 96 Storm sah schließlich nicht Gutzkow, sondern Freytag im Recht und schrieb am 24. Januar 1856 in die Heimat: „Der Freytagsche Roman ist ein gutes Buch, und die feindliche Kritik – sie ist von Gutzkow – beruht auf persönlicher Abneigung; den großen Erfolg verdankt das Buch wohl dem Umstand, daß es der Gegenwart seinen Stoff entnimmt und so recht eine Verherrlichung des deutschen Bürgertums ist“ (zit. n. Theodor Storm – Erich Schmidt. Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Erster Band: 1877– 1880. In Verbindung mit der Theodor-Storm Gesellschaft hg. von Karl Ernst Laage. Berlin 1972, S. 134). 97 Friedrich Eggers an Theodor Fontane am 20. Juni 1855. In: Gutzkow, 305. 98 Vgl. Karl Gutzkow: Vom deutschen Parnaß. I. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd 2 (1853), 10. Dezember (Nr. 11), S. 174–176. 99 Fontane: [Rez.] Soll und Haben, S. 62. 100 Theodor Fontane an Theodor Storm am 22. Juli 1855. In: Gutzkow, 305. 101 [Julian Schmidt]: Die Ritter vom Geist. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, II. Band, S. 41–63, hier S. 45. 102 Karl Gutzkow: Ein neuer Roman. II. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd 3 (1855), Nr. 36, S. 572–576, hier S. 573  f.; Gutzkow: Der Roman und die Arbeit, S. 703. 103 Theodor Fontane an Theodor Storm am 22. Juli 1855. In: Gutzkow, 305.

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nicht anschlussfähig zu sein. Möglicherweise zeigt sich hierin das, was Bourdieu als „Spielsinn“ bezeichnet. Demnach beobachtet Fontane das Feld „[w]ie ein Rugbyspieler“, der „weiß, wohin der Ball fliegen wird und sich bereits dort befindet, wenn er zu Boden fällt“104 – der vielleicht schon absehen kann, dass, wer hier auf Gutzkow setzte, sich kaum zur Gewinnerseite würde zählen können. Dass Fontane die Mechanismen der zeitgenössischen literarischen Feldkämpfe bereits im Vorfeld des Erscheinens von Soll und Haben genau durchschaute und mit der kennzeichnenden polemischen Abwertung nicht unbedingt einverstanden war, zeigt ein Gelegenheitsgedicht, das er 1854 an Richard Lucae sandte: Was Julian Schmidt Mit Füßen tritt. Was Robert Prutz Bewirft mit Schmutz, – Das ist, mit freundlichen Augen gelesen, Doch vielleicht – zum Lesen gewesen.105

Tatsächlich ist Fontanes Rezension von Soll und Haben vergleichbar sachlich bzw. sachorientiert und unpolemisch zu nennen. Und seine Parteinahme für Freytags Roman hat ihm am Ende nicht geschadet und er bereute sie wohl auch nicht.106 Julian Schmidt hat Formulierungen aus Fontanes Rezension indirekt in seiner Literaturgeschichte zitiert;107 und wie u. a. der Beginn dieser Studie belegt, wurde diese Besprechung, die sich heute in jeder Anthologie zur Romantheorie findet, gewissermaßen zusammen mit dem Roman kanonisiert. Mag Gutzkow sowohl nach dem „Prinzip der externen Hierarchisierung“ als auch nach dem „Prinzip der internen Hierarchisie104 Bourdieu: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 24. 105 Theodor Fontane: An Richard Lucae [Widmungsgedicht in einem Exemplar von „Ein Sommer in London“, 1854]. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. I]: Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes. Bd. 6, hg. von Walter Keitel u. Helmuth Nürnberger. München 1964, S. 449 (Kursivierung im Original). 106 Etwa zwei Monate nach dem Tod Gutzkows äußerst sich Fontane im Brief an Wilhelm Hertz mit ungezügelter Verachtung über den einstigen Gegner: „Er hat die deutsche Nation dupirt; in andern Ländern, die mehr natürlichen Sinn für die Künste haben und durch Bildungs-Drill weniger verdummt sind, hätte er 40 Jahre lang eine solche Rolle gar nicht spielen können. Er war ein Hochstelzler, was ein bischen an Hochstapler erinnert und auch soll, denn alles ist Schein, falsch, unächt. Es ist ein wirkliches Verdienst Julian Schmidts auf die vollkommene Hohlheit dieser merkwürdigen Erscheinung in unsrer Literatur hingewiesen zu haben. Sein Name wird bleiben, aber von seinen Werken nichts […]. Ich kann des Mannes nicht ohne tiefe Theilnahme gedenken, denn ich kenne kein ähnliches Beispiel von einer in gewissem Sinne glänzenden und bedeutenden, und zugleich doch ganz nutzlosen und schon bei Lebzeiten bei Seite geworfenen Existenz.“ (Theodor Fontane an Wilhelm Hertz, 4. Februar 1879. In: ders.: Werke, Schriften und Briefe. Abteilung IV: Briefe. Bd. 3: 1879–1889, hg. von Otto Drude, Manfred Hellge u. Helmuth Nürnberger unter Mitwirkung von Christian Andree. München 1980, S. 10  f., hier S. 11; Hervorhebung im Original). 107 Vgl. Schmidt: Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod. Bd. 3. 41858, S. 414.



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rung“, wie sie Bourdieu für das literarische Feld unterscheidet,108 zeitgenössisch als Verlierer aus der Auseinandersetzung mit Freytag und Schmidt hervorgegangen sein, so hat sich damit doch eine neue Position für ihn ergeben, die möglicherweise auf Dauer sogar höhere Kapitalgewinne verspricht. Nicht zuletzt nämlich durch die massiven Kritiken der Grenzboten-Herausgeber sowie Gutzkows eigene Klagen, mit seinem innovativen Romankonzept „nur von wenigen kritischen Berichterstattern verstanden“109 worden zu sein und gegenüber der „epidemisch geworden[en]“ Kritik Schmidts „allein“ zu stehen,110 konnte Gutzkow als Märtyrer und verkannter Solitär, als „artiste maudit“ eine Position beziehen, die nach Bourdieu zeigt, dass der Geächtete nicht zwangsläufig ein Gescheiterter sein muss.111 Seine Position unterscheidet sich jedenfalls deutlich von der Freytags als Inbegriff des bürgerlichen Erfolgsschriftstellers. Rief dieser Gutzkow und den Romanschriftstellern 1853 zu: „Wer uns schildern will, muss uns aufsuchen in unserer Stube, in unserem Comptoir“, so rief der österreichische Schriftsteller Hieronymus Lorm Gutzkow einen Satz nach, der auch auf Dauer maximale Distinktion gegenüber dem Gegenspieler garantierte: „Die Literatur“, so heißt es dort, „war ihm eine Kirche und nicht ein Comptoir.“112 Solcher Unterscheidung folgend sieht der Naturalist Carl Bleibtreu 1912 in Freytag nur noch einen „schmucken Vollblutrenner“, der zwar auf der „irdischen Erfolgrennbahn“ alle Rekorde gebrochen habe, aber letztlich ein ‚Ross ohne Flügel‘ sei und es daher, so legt Bleibtreu nahe, nicht in den ‚Dichterolymp‘ schaffen werde. Gutzkows „Andenken“ dagegen bleibe „für immer bestehen.“113 Wenngleich sich die Kanonisierungsverhältnisse im ‚Werk- und Autor-Raum‘ heute nicht ganz so eindeutig präsentieren, so hat dieser sich doch gegenüber dem Ende des 19. Jahrhunderts in Bezug auf die Antagonisten Freytag und Gutzkow deutlich verändert – so wie er sich etwa auch im Bereich der Komödie ab Mitte des 20. Jahrhunderts ganz anders darstellte (s. Kap. II). Während in der Beschäftigung mit Gustav Freytag und seinem Werk seit Jahrzehnten die Antisemitismus-Debatte um Soll und Haben dominant ist, andere seiner Werke kaum berücksichtigt wurden, der Kaufmannsroman jedoch einige Jahre gar nicht im Buchhandel erhältlich war und inzwi108 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 345. 109 Gutzkow: Vom deutschen Parnaß. III, S. 288. 110 So nach Bericht von Alfred Meissner. In: Gutzkow, 319–320. 111 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 347. 112 Hieronymus Lorm. In: Gutzkow, 441. 113 Bleibtreu: Geschichte der deutschen National-Literatur, S. 155, 64. – Schon 1869 sieht ein Kritiker des Magazins für die Literatur des Auslandes Anzeichen dafür, dass sich das Blatt zwischen Gutzkow und den Grenzboten wieder gewendet hat: „Julian Schmidt und Gustav Freytag hätten vor etwa zwanzig Jahren, da sie Gutzkow als einen zweiten Kotzebue zu schildern suchten, wohl nicht daran gedacht, daß dieser Autor dereinst die nachhaltigsten Erfolge erringen und sichern würde“ (rm: Kleine literarische Revue. „Die schöneren Stunden“. In: Magazin für die Literatur des Auslandes 75 (1869), Nr. 23, S. 339).

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schen allenfalls zum ‚Negativ-Kanon‘ zählt,114 ist zu Gutzkow etwa eine umfangreiche wissenschaftliche Bibliographie entstanden115 und wird bereits seit 2001 an einer aufwendigen kommentierten Ausgabe seiner Werke und Briefe gearbeitet.116 Zwar zieht Gutzkow vielleicht noch weniger als Freytag das umfassende Interesse der Germanistik auf sich, allerdings gibt es einen beständigen Kreis von Kennern, der sich regelmäßig über sein Werk beugt und würdigt, was Freytag und Schmidt getilgt sehen wollten. Möglicherweise besteht das eigentlich Spannende von Bourdieus Ansatz damit gerade in jenem sich ändernden Blick auf den Raum der Werke, der sich allein mit dem Paradigma von Kampf und Autorstrategie nicht restlos erklären lässt. Was demnach das Feld der Kultur so faszinierend macht, ist eine Logik, die jederzeit die Möglichkeit zur Umkehr ihrer bisherigen Hierarchisierungsprinzipien offenhält – und nach der schließlich auch der Verlierer zum eigentlichen Gewinner werden kann.117

114 Vgl. dazu Andrea Geier: Wer soll Gustav Freytags „Soll und Haben“ lesen? Zu den kanonischen Qualitäten eines antisemitischen Bestsellers. In: Herbert Uerlings u. Iulia-Karin Patrut (Hg.): Post­ kolonialismus und Kanon. Bielefeld 2012, S. 237–260, hier S. 237  f. 260; Stefan Neuhaus: Literaturkritik. In: Rüdiger Zymner (Hg.): Handbuch Literarische Rhetorik. Berlin u.  a. 2015, S. 193–220, hier S. 216  f. 115 Wolfgang Rasch: Bibliographie Karl Gutzkow. 2 Bände. Bielefeld 1998. 116 Gutzkows Werke und Briefe. Kommentierte digitale Gesamtausgabe, hg. vom Editionsprojekt Karl Gutzkow. Münster 2001  ff. 117 So in Anlehnung an: Bourdieu: Das literarische Feld, S. 327.

Teil IV: Schluss

1 Zusammenfassung Zu den nunmehr seit Jahrzehnten meisterforschten und meistgeschätzten Autoren des poetischen Realismus zählen insbesondere jene beiden Schriftsteller, die sich zu ihrer Zeit vom diskursbestimmenden Grenzboten-Realismus missachtet fühlten: Theodor Storm und Wilhelm Raabe. Beschwerte sich Storm z.  B. am 14. Juni 1855 in einem Brief an Theodor Fontane darüber, dass das Leipziger Organ ihn nicht von Gustav Heinrich Gans zu Putlitz unterscheiden könne,1 klagte Raabe in der Rückschau vom 29. Juni 1909 darüber, von den Leitblättern seiner Zeit „todtgeschwiegen“ worden zu sein: Nehmen Sie zum Exempel die „Grenzboten“, das Leib- und Herzblatt der gebildeten deutschen liberalen Bourgeoisie. Die redigirte bis 1870 Herr Gustav Freytag. Für Alles hat er ein Wort und seine Schreiber gehabt. Doch von der Chronik bis zum Schüdderump, von 1856 bis 1870, ist mein Name nicht ein einziges Mal in dem Blatt genannt worden.2

Raabes Brief ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich: Noch im Abstand mehrerer Jahrzehnte hebt der Braunschweiger Solitär die feldbeherrschende Stellung Freytags und des von ihm mitherausgegebenen Journals um die Jahrhundertmitte hervor. Darüber hinaus deutet er nicht nur den Anspruch des Leipziger Journals auf Gesamt­ reflexion der Gegenwart an, sondern verweist auch auf die Verfahren, über die sich Freytags Zeitschrift Feldhoheit sicherte – zum einen hatte er ‚seine Schreiber‘, zum anderen wurden konkurrierende Autoren und Programme vernichtet, oder noch schlimmer: einfach ignoriert. Welche Bedeutung Freytag in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Unterschied zu Raabe zugesprochen wurde, inwiefern er „vorher genau berechnete, ja abgezirkelte Wege“ ging (wie Friedrich Spielhagen in seinen Erinnerungen bemerkte),3 welche Rolle ‚Freytags Schreiber‘ Julian Schmidt dabei spielte und worin genau das literaturpolitische Programm der Grenzboten bestand, beschreibt die vorliegende Studie ausgehend von Freytags Erfolgswerken der Jahrhundertmitte Soll und Haben sowie Die Journalisten. Die Arbeit stellt den Versuch dar, von dem ‚Hauptwerk‘ des Autors aus einerseits Bezüge zu seinem umfangreichen und vielgestaltigen (literarischen, publizistischen, paratextuellen, philologisch-populärwissenschaftlichen) Gesamtwerk zu knüpfen, zum anderen epochal charakteristische Kontexte und Konstellationen des Realismus, vor allem seiner nachmärzlichen ‚Programmphase‘, in den Blick zu nehmen. Indem die Studie Freytag als Schlüsselgestalt für die Etablierung und Ausdifferenzierung des 1 Vgl. Theodor Storm an Theodor Fontane, 14. Juni 1855. In: Theodor Storm – Theodor Fontane. Briefwechsel. Kritische Ausgabe, hg. von Gabriele Radecke. Berlin 2011, S. 99. 2 Wilhelm Raabe an Karl Geiger, 29. Juni 1909. In: ders.: Sämtliche Werke, Ergänzungsband 2: Briefe, bearb. von Karl Hoppe unter Mitarbeit von Hans-Werner Peter. Freiburg 1975, S. 489–491, hier S. 490. – Vgl. zu Raabe und den Grenzboten auch Dirk Göttsche: [Art.] Realismus. In: ders., Florian Krobb u. Rolf Parr (Hg.): Raabe Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2016, S. 357–365, hier S. 361  f. 3 Spielhagen: Erinnerungen aus meinem Leben, S. 350. https://doi.org/10.1515/9783110541779-012

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 1 Zusammenfassung

literarischen Realismus nach 1848 profiliert und seine Texte umfassend (u.  a. werkbiographisch, sozial-, poetologie-, kultur- und rezeptionsgeschichtlich) kontextualisiert, fasst sie die Autor- und Werkmonographie zugleich als Epochenmonographie. Die Arbeit verfolgt einen streng historisierenden und quellenzentrierten Ansatz, der politik-, sozial- oder auch presse- und gattungshistorische Interessen mit kanonisierungs- bzw. rezeptionsgeschichtlichen sowie feldtheoretischen Zugängen verknüpft. Der multiparadigmatische Zugriff ergibt sich hierbei aus den Problemkon­ stellationen, Fragen und Kontexten, die von den literarischen und programmatischen Texten selbst gestellt und nahegelegt werden. Indem die Texte auf die Geschichte ihrer Wertung hin kontextualisiert werden, eröffnen sich epochal charakteristische historische Konstellationen und werden die konstellativen poetologischen und gattungssystematischen Begründungszusammenhänge des Realismus der Jahrhundertmitte sichtbar. Die – historisierende, nicht wiederum qualifizierende – Rekonstruktion und Analyse von Aushandlungs- und Zuschreibungsprozessen führt in diesem Sinne nicht nur in die Kontexte, sondern zurück in die Untersuchung der Primärtexte selbst. So wird der Blickwinkel der Freytag-Forschung, der sich in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend auf die Diskussion auf die antisemitische und polonophobe Dimension von Soll und Haben fokussierte, hier erweitert und die Beschäftigung mit dem Werk des Autors an – neuere (z.  B. medien- und gattungshistorische) sowie bisher vernachlässigte (v. a. komödientheoretische)  – Perspektiven der Realismus-Forschung rückgebunden. Sowohl zum Autor als auch zur Epoche erschließt die Arbeit neue Quellenbestände. Gerade bei der realistischen Komödiendiskussion, wie sie hier erstmals ausführlicher umrissen wird, handelt es sich um ein Forschungsdesiderat. Dass sich die kritische Auseinandersetzung mit den antisemitischen Gehalten von Freytags Texten allerdings keinesfalls erübrigt, führt die Studie vor allem in Auseinandersetzung mit der der sprichwörtlich gewordenen Figur „Schmock“ aus Die Journalisten vor – u.  a. indem dafür die tatsächlichen Bezugstexte Freytags analysiert und Semantik wie Etymologie des fälschlicherweise fälschlicherweise Freytags Urheberschaft zugeordneten Ausdrucks erläutert werden. Nicht nur bezogen auf das Verhaftetsein im antijüdischen Klischee, sondern auch im Hinblick auf das literarische Programm einer ‚Poesie der Arbeit‘ wird Freytags erstes Nachmärzwerk als Schlüsseltext eines neuen Realismus beschrieben, der dem bislang damit verbundenen Roman Soll und Haben in zentralen Punkten vorgreift und die Leerstellen der Freytag’schen Vormärz-Dramen überwindet. Deren defizitorientierte Wirklichkeitsauffassung wendet die Komödie ins Positive und widmet sich einem solchen bürgerlichen Tätigkeitsfeld der Gegenwart, wie es im dramatischen Frühwerk noch gesucht wird. Schon an seinem Lustspiel lassen sich die für Freytag und den Grenzboten-Realismus charakteristischen Denkfiguren, Argumentationsmuster und literaturprogrammatischen Merkmale nachweisen. Bereits in den nachmärzlichen Literaturdebatten um das zeitgenössische Drama zeigt sich, wie Freytag in Aushandlung mit anderen Feldakteuren an einer explizit antiromantischen ‚realistischen‘ Komödiendiskussion mitwirkt, als deren Erfüllung das eigene Produkt dann verstanden wurde.

1 Zusammenfassung 

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In Rekonstruktion der Aufführungs-, Rezeptions- und Kanonisierungsgeschichte wird so nachgewiesen, wie dem Lustspiel direkt nach Erscheinen der Rang einer „Musterkomödie“ zugesprochen wurde, welche die gattungstheoretischen Vorgaben, in deren Kontext sie entstand und auf deren Grundlage sie bewertet wurde, in den Augen vieler Zeitgenossen ‚mustergültig‘ einlöste. Defizitdiagnosen gegenüber der literarischen Tradition einerseits und der konkurrierenden Textproduktion andererseits bilden dafür ebenso die Voraussetzung wie die positive Bestimmung und ästhetische Rehabilitierung der Komödie als gegenwartsnahes ‚realistisches Zeitdrama‘. Der sich über mehr als ein ganzes Jahrhundert fortsetzende Ausnahmeerfolg des Dramas wurde durch seine realidealistische Anlage wesentlich begünstigt. Diese bedingte allerdings auch, dass die zeitpolitische Bedeutungsdimension des Textes, der Fritz Mauthner noch als „die Meisterkomödie des bürgerlichen Liberalismus“ galt, zunehmend verschliffen wurde. Die kontextualisierende Analyse arbeitet die besonderen zeitpolitischen Qualitäten des Dramas heraus – u.  a. im Vergleich mit der wiederentdeckten frühen Bühnenfassung und indem der Text etwa zum Wahlrecht wie zur Pressekritik um 1850, zum Verhältnis von Journalismus und Politik oder zum liberalen journalistischen Selbstverständnis des Autors (das sich durch sein Gesamtwerk zieht) ins Verhältnis gesetzt wird. Die enge Verknüpfung von Literatur und Politik erweist sich überdies in der Ausdeutung des realistischen Verständnisses von ‚Resignation‘ – als optimistisch-evolutionär konzeptualisiertes Sinnversprechen sowohl ein für die Jahrhundertmitte kennzeichnender als auch ein für die Analyse der Komödie erhellender Epochenbegriff. Aus solch vielfältigen Perspektiven und in der Optik der hier dargelegten Kontextualisierungsangebote betrachtet, wird das Profil des Lustspiels als Schlüsseltext des (Nachmärz-)Realismus erkennbar. Das inzwischen von der Literaturgeschichtsschreibung vergessene Lustspiel,4 das über etwa ein Jahrhundert zu den wenigen kanonischen Komödien der deutschen Literatur sowie den erfolgreichsten Dramen insgesamt zählte, wird hier als Zeitgemälde der Nachrevolutionsjahre und frühes Presse-Stück wiederentdeckt. Zudem zeigt sich, dass die gängige These von der ‚Krise des Dramas‘ im Realismus und der epochentypischen „Spaltung zwischen tatsächlichen Bedürfnissen der Zeit und poetologischen Postulaten“5 mit Blick auf das Lustspiel differenziert werden muss. Zwischen Kleists Der zerbrochne Krug und Hauptmanns Der Biberpelz lohnt sich damit sehr wohl ein Blick auf die Komödientheorie und -praxis der Jahrhundertmitte. Als Gegenstück im Bereich der Epik widmet sich die Studie dem ‚realistischen Musterroman‘ Soll und Haben. Unter Rückgriff auf die Beschreibungs- und Erklärungsmodelle Pierre Bourdieus, deren Anwendung für den deutschsprachigen Realismus 4 In jüngeren Literaturgeschichten, auch größeren Umfangs, kommt der Text trotz seiner über viele Jahrzehnte kanonischen Bedeutung nicht vor, so etwa in: Peter Nusser: Deutsche Literatur. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2 Bde. Darmstadt 2012. 5 Schönert: Zur Diskussion über das „moderne Drama“ im Nachmärz, S. 694.

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 1 Zusammenfassung

sie exemplarisch erprobt, erörtert sie, wie und auf welchen gattungssystematischen bzw. romanpoetologischen Grundlagen sich die bis heute wirksame Feldpositionierung des Textes etablierte. Dass sich das stabile Urteil über den Text nicht zuletzt den Selbstkanonisierungsstrategien der Grenzboten-Herausgeber, ihrem – erstmals näher beleuchteten – strategischen Zusammenspiel (zwischen Literaturkritik, Poesie und Literaturgeschichtsschreibung) und ‚Kampfverhalten‘ (z.  B. im sog. ‚GrenzbotenStreit‘) verdankt, weist die Arbeit mit einem breiten Blick auf das literarische Feld um die Jahrhundertmitte im Allgemeinen und das ‚Feld des Romans‘ im Besonderen nach. Die gattungsgeschichtliche und feldstrategische Positionierung des realistischen Bildungs- und Zeitromans wird in die Feldkämpfe sowie Veränderungen des Nachmärzjahrzehnts eingeordnet und anhand der dafür aufschlussreichen, miteinander verbundenen literaturprogrammatisch-gattungshistorischen Einzelkonstellationen sowie poetologischen Begründungszusammenhänge nachverfolgt – hierzu zählen u.  a.: die programmatische Bedeutung der Dorfgeschichte für den Grenz­botenRealismus, die Diskussion um die Poesiefähigkeit des bürgerlichen Lebens in der Romantheorie des 19. Jahrhunderts, die Nobilitierung der Prosa durch Anbindung an das klassische Drama und unter Rückgriff auf autonomieästhetische Denkfiguren, die Absage an moderne Publikationsmedien und -bedingungen des literarischen Massenmarktes zugunsten einer Ästhetik des ‚ganzen Buchs‘ sowie die Überschreibung des Prototyps der Gattung, Goethes Wilhelm Meister. Freytags Roman, so zeigt sich, fußt auf der Aufwertung der Prosa im Gattungssystem sowie der damit einhergehenden Behauptung der Poesiefähigkeit des bürgerlichen Alltags (‚der Prosa der Verhältnisse‘). In der Dorfgeschichte und der hohen Tragödie finden Die Grenzboten Vehikel, um ihre romanästhetische Programmatik (mit Fokus u.  a. auf Detailrealismus und ‚Geschlossenheit‘) abzubilden und voranzutreiben. Dies geschieht im Rückgriff auf zurückliegende Autonomie- und Volks­ poesie-Konzepte bei gleichzeitiger vordergründiger Ablehnung des zeitgenössischen literarischen Massenmarkts. Der periodischen Zeitschriftenpublikation etwa wird eine Einheit und Ganzheit beanspruchende Ästhetik entgegengesetzt; und gegen die Leihbibliothek bringt ausgerechnet der marktgängige Erfolgsschriftsteller Freytag eine bürgerliche Lesekultur in Anschlag, die – mit offenkundigen Parallelstellen in Soll und Haben – deutlich werden lässt, wie der Autor seinen ,Kampf‘ für das mittlere Bürgertum bis hinein in die Alltagskultur ausweitet und dabei Poesie und Politik konsequent engführt. Die Aspekte der Positionsanalyse leiten schließlich in die Untersuchung des Romans, in eine textimmanente Sozioanalyse über, welche die für Freytags Realismus charakteristische Homologie zwischen Sozial- und Symbolsystem darstellt, zugleich aber auf die durchaus komplexe poetische Faktur des Erzähltextes hinweist. Die Prämisse und ein Ergebnis dieser Arbeit stimmen in einer wichtigen Erkenntnis überein: Gustav Freytags Werke unter Berücksichtigung ihrer Wertungsgeschichte und Kontexte zu erzählen, heißt gleichsam automatisch, die Epoche des Realismus mitzuerzählen. Freytags literaturgeschichtliche Bedeutung ergibt sich nicht aus der

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ästhetischen Qualität seines Werks, das überwiegend von eher mittlerem Wallungswert ist; sie ergibt sich vielmehr aus den Kontexten, auf die dieses in Ausprägung und Spek­trum ungewöhnlich breite Werk verweist, sowie aus dem, was sich an Epochencharakteristika – auch an degoutanten – darin spiegelt. Das in Anlage und Qualität Mittelmäßige (und eben darum vielleicht so typische) mit Fokus auf das epochal Relevante nicht sogleich zu qualifizieren, sondern zu historisieren, ermöglicht es, Aktuelles im Verblichenen, Interessantes im Verschmähten, komplexe Zusammenhänge im Oberflächlichen zu entdecken. Diese Erfahrungen möchte die vorliegende Studie mit ihren Lesern teilen.

2 Ausblicke Die dieser Studie zugrundeliegende Annahme, dass eine das Werk Gustav Freytags literarhistorisch, sozial- und kulturgeschichtlich kontextualisierende Betrachtung ein lohnendes Forschungsfeld wäre, ließe sich mit Blick auf andere Konstellationen der Epoche weiterschreiben. Denn wie Erich Schmidt in seiner Gedenkrede betonte, wurde Freytag zeitgenössisch nicht nur im „vordersten Rang der deutschen Prosaiker“, sondern auch in der „erste[n] Reihe unserer Germanisten und Geschichtsschreiber“ verortet.1 Immerhin hat Freytag etwa mit den fünfbändigen Bildern aus der deutschen Vergangenheit (1859–1867) eines der populärsten und ökonomisch erfolgreichsten Sachbücher der zweiten Hälfte des 19. sowie des frühen 20. Jahrhunderts verfasst2 – ein Werk, das unter Intellektuellen von Egon Friedell über Leo Löwenthal bis Horst Fuhrmann weithin geschätzt wurde.3 Dass Freytag in Person und Werk ein offenes Verhältnis zur Wissenschaft, insbesondere zur Philologie und Historiographie seiner Zeit pflegte, ja dass Geschichtsdenken, Poetologie, Publizistik und Politik beim Autor strenggenommen nicht zu trennen sind, darauf haben jüngst aus unterschiedlichen Perspektiven Michael Maurer und Daniel Fulda hingewiesen.4 Genau diese übergängigen Zusammenhänge wären weiter zu untersuchen und entlang von Freytags Texten aufeinander zu perspektiveren, wie ich im Folgenden schlaglichtartig umreißen möchte.

1 Schmidt: Dem Andenken Gustav Freytag’s, S. 462. 2 Vom Autor als „Hausbuch gebildeter Familien“ (GW I, 189) geplant, wurde die aktualisierte Neuauflage von 1867 gleich mit einer Auflagenhöhe (5.000 Exemplare) veröffentlicht, die nur geringfügig unter der von Freytags Romanen lag. Bis 1909 erreichte die Neuauflage zwischen 27 und 32 weitere Auflagen und wurde so zum erfolgreichsten historischen Sachbuch im ‚langen 19. Jahrhundert‘. Vgl. dazu genauer: Martin Nissen: Populäre Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert. Gustav Freytag und seine „Bilder aus deutscher Vergangenheit“. In: Archiv für Kulturgeschichte 89 (2007), H. 2, S. 395– 426; ders.: Populäre Geschichtsschreibung, hier S. 113, 287. 3 So urteilte Löwenthal 1965: „Dieses Buch ist die erste ins Breite wirkende, große, unromantische, auf die Gestaltung der Gegenwart bezogene, an der Gegenwart interessierte und um der Gegenwart willen die Vergangenheit durchmusternde geschichtsphilosophische Geschichtsschreibung.“ Leo Löwenthal: Gustav Freytag. In: Frank Benseler (Hg.): Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Georg Lukács. Berlin 1965, S. 392–401, hier. S. 395. Vgl. außerdem Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit, S. 812; Horst Fuhrmann: Menschen & Meriten. Eine persönliche Porträtgalerie. München 2001, S. 123– 148. 4 Vgl. Michael Maurer: Gustav Freytag und die Kulturgeschichte. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat  – Publizist  – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 85–101; Daniel Fulda: Herkunft im Dienst der Zukunft. Gustav Freytag als Poetologe einer Geschichtsschreibung und -erzählung, die zur deutschen Einheit führen soll. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/ Wien 2016, S. 103–125. https://doi.org/10.1515/9783110541779-013

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So legt Freytag an die historiographischen Werke seiner Zeit den gleichen Kriterienkatalog an wie an die literarischen, wenn er z.  B. 1856 in den Grenzboten Heinrich von Sybel gegen das seiner Ansicht nach falsche Objektivitätsideal Leopold von Rankes in Stellung bringt: Sybel hat nicht die kalte Glätte Rankes, welche den Leser empören kann, wenn eine kunstvolle Phrase da eintritt, wo wir den warmen Ausdruck von Liebe und Haß erwarten, er ist nie ohne Gesinnung, im Gegentheil, er fällt auf jeder Seite ein sicheres und rücksichtsloses Urtheil. Der Leser glaubt an seinen Charakter, aber er sucht sein Gefühl, er empfindet einen hohen Geist und eine starke Ueberzeugung, aber es fehlt ein wenig das Behagen.5

Die Stichworte und Normen, dies kann man dem ganzen Text ablesen, sind dieselben wie in Freytags Besprechungen literarischer Texte; ähnlich klingt es auch, wenn Freytag Anfang Februar 1877 an den preußischen Diplomaten Karl von Normann schreibt, Ranke vermöge es nicht, „seine Helden als Menschen lieb zu machen“.6 Tatsächlich lassen sich zwischen der realistischen Literaturprogrammatik und der Historiographiepoetik der Zeit deutliche Überschneidungen in den Erzählverfahren und Programmen erkennen – entspringen doch beide der idealistischen Ästhetik, wie Fulda grundlegend herausgearbeitet hat.7 Was Julian Schmidt für den Realismus auf die Formel gebracht hat, „die Idee der Dinge ist auch ihre Realität“,8 liest sich bei Droysen dann z.  B. so: Die Kunst des Historikers […] erfüllt seine Phantasie [des Lesers, P. B.] mit Vorstellungen und Anschauungen, die von der breiten, harten, zäh langsamen Wirklichkeit nur die glänzend beleuchteten Spitzen zusammenfassen; sie überzeugt ihn, daß diese die Summe der Einzelheiten und das Wahre der Wirklichkeiten sind.9

Der Historiker verhält sich zum nackten Material wie der realidealistische Schriftsteller zur ungeordneten Wirklichkeit. Die Ideen und Zusammenhänge werden nicht vorgefunden, sondern im Akt des Erzählens gestiftet. Erst durch Auswahl und Verknüpfung, so der studierte Philologe Droysen in seinen Vorlesungen zur Historik, werde aus den an sich ungeordneten Geschehnissen, den ‚Geschäften‘, wie es bei ihm heißt, ‚eine Geschichte‘.10 Oder in der Diktion des poetischen Realismus gesprochen: Einzig

5 [Gustav Freytag]: Deutsche Geschichtschreiber. Heinrich v. Sybel. Geschichte der Revolutionszeit von 1789–1795. In: Die Grenzboten 15 (1856), I. Semester, I. Band, S. 241–254, hier S. 247. 6 StB, Mappe: Karl Normann. 7 Daniel Fulda: Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen Geschichtsschreibung. 1760– 1860. Berlin 1996. 8 Schmidt: Schiller und der Idealismus, S. 405. 9 [Johann Gustav] Droysen: „Kunst und Methode“ (1868/1882). In: Fritz Stern u. Jürgen Osterhammel (Hg.): Moderne Historiker. Klassische Texte von Voltaire bis zur Gegenwart. München 2011, S. 190–198, hier S. 192. 10 [Johann Gustav] Droysen: Paragraphen aus „Grundriß der Historik“ (letzte Druckfassung von

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die dichterische Einbildungskraft vermag gegenüber der Prosa der Verhältnisse die poetischen Qualitäten des Wirklichen zu behaupten, die Poesie des Prosaischen. Die Idee der Dinge ist damit nicht den Quellen unmittelbar ablesbar, sondern bedarf des dichterischen Vermögens. Die Historiker der Zeit sind in diesem Sinne ‚olympische Erzähler‘, für die die subjektive Auswahl, Kürzung und Deutung der Quellen keinen Verstoß gegen objektive wissenschaftliche Wahrheitsansprüche darstellt, sondern erst das nötige Instrumentarium liefert, um überhaupt zu ‚wahrer‘ historischer Erkenntnis zu gelangen. Anders ausgedrückt: Der subjektive Zugriff ist in ihren Augen nicht das Gegenteil von Wahrheit, sondern deren Voraussetzung.11 Eine solche Herangehensweise verlangt Freytag in seiner Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Geschichtsschreibung auch immer wieder. Sein poetisches Programm deckt sich mit der von ihm verfochtenen teleologischen Geschichtstheorie. Im Zentrum steht ein gesundes, arbeitendes Bürgertum, dessen ‚Arbeit‘ zur eigentlichen geschichtlichen Triebkraft (v)erklärt wird; für die ‚hässlichen‘ Seiten der Geschichte und Gegenwart ist wenig Platz. Der Historiker idealisiert die Geschichte ähnlich wie der Romancier: Er bereinigt sie von allem Dissonanten, um die ihr innewohnende Idee herauszuarbeiten. Geschichte erscheint als geschlossener Zusammenhang vernünftiger Gegebenheiten, innerhalb dessen jede ‚Zufälligkeit‘ oder ‚Willkürlichkeit‘ getilgt ist. Freytag selbst schreibt mit seinen ‚Bildern‘ im Gegensatz zum wissenschaftlichen Historismus seiner Zeit nicht die ‚Geschichte großer Männer‘, sondern eine Alltags- und Kulturgeschichte der mittleren Schichten. Dementsprechend kritisiert er an Theodor Mommsen und Heinrich von Treitschke deren „Herrenkultus“.12 Dies entspricht dem literaturpolitischen Programm der Grenzboten, die dem Goethejahr 1849 mit den Worten trotzen: „Wir wollen keinen Göthe mehr, wir wollen keinen Napoleon.“13 Interessant an der Freytag’schen Konstellation ‚Poesie und Geschichtsschreibung im Realismus‘ sind indes nicht nur die Überschneidungen auf programmatisch-poetologischer Ebene, sondern wären vertiefende Textanalysen. Zu vergleichen wären etwa mögliche Übereinstimmungen und Transformationen (von der historischen Quelle zur Poesie) zwischen den gegenstandähnlichen Werken Die Ahnen und Bilder aus der deutschen Vergangenheit.14 Zu fragen wäre dabei zudem nach der Konzeption des 1882). In: Fritz Stern u. Jürgen Osterhammel (Hg.): Moderne Historiker. Klassische Texte von Voltaire bis zur Gegenwart. München 2011, S. 199–200, hier S. 199  f. 11 Vgl. dazu genauer Franziska Metzger: Geschichtsschreibung und Geschichtsdenken im 19. und 20. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar 2011, S. 124–132. 12 Gustav Freytag am 30. Januar 1890 an Carl Ludwig, zit. n. Surynt: Das „ferne“, „unheimliche“ Land, S. 146. 13 [Gustav Freytag]: Tod und Leben beim Jahreswechsel. In: Die Grenzboten 8 (1849), I. Semester. I. Band, S. 46–48, hier S. 48. 14 Freytag selbst betont in der Widmung der Ahnen den Unterschied zu den ‚Bildern‘: „Das Buch will Poesie enthalten, und gar nicht Culturgeschichte“ (GW VIII, [VII]).

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Erzählers als Historiker einerseits sowie nach der des Historikers als Erzähler andererseits. Auf hierfür aufschlussreiche Textstellen hat Fulda zum Teil ebenfalls hingewiesen, so etwa auf jene Passage im Romanzyklus Die Ahnen, in welcher der Kuss zweier Liebender von der Erzählinstanz in der Rolle des erklärenden Historikers kommentiert wird: „Nun war zu seiner Zeit ein Kuß noch kein Beweis von Liebe“15 (GW X III, 42) – eine letztlich widersinnige Anmerkung, wenn man bedenkt, dass die Romanreihe durchgehend anachronistisch mit einem modernen bürgerlichen Liebeskonzept operiert. Umgekehrt präsentiert sich die Erzählinstanz in den ‚Bildern‘ als olympischer Narrator, der über den Quellen und an mancher Stelle sogar erkennbar „über den Parteien“ schwebt – ganz wie es Otto Ludwig und ähnlich auch Gustav Freytag programmatisch forderten.16 Auf besondere Art und Weise deutlich wird dies an einer einzelnen Stelle, welche die bei Freytag dominante Dreieinigkeit von Liberalismus, Preußentum und Protestantismus ein Stück weit unterläuft, im Umgang nämlich mit der autobiographischen Quelle des Schriftstellers Ulrich Bräker. Den Bericht des ‚armen Mannes aus dem Toggenburg‘ von 1789 hat Freytag durch die Aufnahme in seine ‚Bilder‘ erst wirklich bekannt gemacht. Im Kern geht es um einen Schweizer Hirtenjungen, den man durch Betrug dazu zwingt, preußischer Grenadier zu werden. Während der verlustreichen Schlacht bei Lobositz am 1. Oktober 1756 im Siebenjährigen Krieg schafft es der junge Mann schließlich, zusammen mit 200 anderen Söldnern zu der kaiserlichen österreichischen Armee zu desertieren. Auf die Präsentation dieser Quelle folgt, beinahe im Stile Johann Peter Hebels, zunächst eine kurze Zusammenfassung dessen, was alles in der Heimat Bräkers passiert ist, ehe es zum ‚unverhofften Wiedersehen‘ mit der Mutter kommt. Anschließend nimmt der Erzähler, dem man sonst beileibe keine Preußenfeindlichkeit unterstellen kann, eine denkbar gegensätzliche Perspektive in den Blick: Friedrich II. aber schrieb nach der Schlacht bei Lowositz an Schwerin: „Nie haben meine Truppen solche Wunder der Tapferkeit getan, seit ich die Ehre habe, sie zu kommandieren.“ Der hier erzählt hat, war auch einer davon. (GW XXI, 219)

Mithin finden sich ebenso wie in Freytags literarischen Texten auch in Freytags Geschichtswerk vereinzelt Ansätze von Multiperspektivität, die einsinnigen Weltdeutungen widersprechen. Gleichwohl vertritt Freytag in Poesie, Publizistik und Historio­ graphie ein Programm, das sich von der Kontingenz und Komplexität historischer

15 Vgl. Daniel Fulda: Telling German History. Forms and Functions of the Historical Narrative Against the Background of the National Unifications. In: Walter Pape (Hg.): 1870/71–1989/90. German Unifications and the Change of Literary Discourse. Berlin/New York 1993, S. 195–230, hier S. 199. 16 Otto Ludwig: Romanstudien. In: ders.: Romane und Romanstudien, hg. von William J. Lillyman. München u.  a. 1977, S.  533–672, hier S.  547; zu Freytag vgl. Ping: Gustav Freytag and the Prussian Gospel, S. 59  f.

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Prozesse an seine Grenzen gebracht sieht, weil es diesen weiter mit dem Glauben an die der Geschichte innewohnende Vernünftigkeit sowie einem realistischen Verklärungspostulat begegnen muss. Ablesbar wird dieses Dilemma beispielsweise während Freytags  – ebenfalls nur wenig erforschter  – Tätigkeit als Kriegsbericht­erstatter während des Deutsch-Französischen Kriegs im Gefolge von Friedrich  III. Sprengel hat nachgewiesen, wie Freytags Notizen  – etwa zur Erstürmung des Gaisbergs bei Wörth am 4. August 1870 – einen mehrfachen Medienwechsel durchmachten – vom privaten Brief an Karl von Normann über den journalistischen Kriegsbericht hin zur historisierenden Rückschau in Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone (1889).17 Die Überarbeitungsstufen gehen einher mit jeweils textgattungsspezifischen Neuakzentuierungen und zugleich mit zunehmenden Verklärungsschritten, die das Hässliche und Grausame plötzlich ausblenden und bald nicht mehr von „Schrecken des Krieges“ sprechen, sondern nur noch von der „furchtbaren Poesie der Schlacht“. Der Abgleich der Texte, der einmal im vollen Umfang vorgenommen werden müsste, zeigt, wie Freytag dort, wo er öffentlich schreibt, immer im normativen Korsett realistischer Wirklichkeitsauffassung steckt, wie die historischen Tatsachen bei ihm mit dem Zwang kollidieren, sich als Liberaler einen Reim auf die unübersichtlicher und unangenehmer werdende Geschichte zu machen. Diese hat Freytags differenzierte liberale Position in den Jahrzehnten zwischen 1848 und 1871 zunehmend verschliffen. Dafür steht gerade seine Tätigkeit als Kriegsberichterstatter symptomatisch. Mag Freytag diese Funktion als vorgeblich Distanz wahrender Beobachter im Gefolge eines Thronfolgers unternommen haben, von dem er sich Erneuerung im liberalen Geiste versprach, so fand der in seinen Briefen durchaus kriegsskeptisch auftretende18 Freytag sich letztlich in einem Historiengemälde wieder, das den Krieg im Dienste der Hohenzollern verklärte (Abb. 16)19 und den Berichterstatter zum beteiligten Nebenakteur machte. Auch wenn man genau hingucken muss, um Freytag am rechten Bildrand zu erkennen (Abb. 17), so trifft die Darstellung den Kern seines späten politischen

17 Vgl. dazu Sprengel: Der Liberalismus auf dem Weg ins ‚Neue Reich‘. – Zu Freytags als Kriegsberichterstatter vgl. auch: Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 201–206. 18 Vgl. dazu die Auszüge aus Freytag Briefen an Albrecht von Stosch mitsamt der zugehörigen Anmerkungen in den GFB 1974–1976 u. 1979. – Auch Freytags Geschichtsverständnis stellt nicht den Krieg, sondern eine organische historische Entwicklung in den Mittelpunkt. 19 Kronprinz Friedrich Wilhelm mit dem Hauptquartier der Dritten Armee auf der Höhe von Donchery während der Schlacht bei Sedan, 1. September 1870. Gemälde von Georg Bleibtreu [1874]. Abgedruckt in: Hermann Müller-Bohn: Kaiser Friedrich der Gütige. Vaterländisches Ehrenbuch, hg. von Paul Kittel, Berlin 1900, S. 366  f. – Das Bild befindet sich seit Jahrzehnten als Dauerleihgabe des Prinzen Louis Ferdinand aus der Hohenzollernburg Hechingen im Gustav Freytag-Museum in Wangen im Allgäu und wurde dort vom Verfasser mit Zustimmung des Museums aufgenommen. Für die professionelle Bearbeitung des Bildes danke ich Michael Huick herzlich. – Zum Bild vgl. GFB 20 (1976), Nr. 36/37 (Dezember 1976), S. 1  f. – Zur Entstehung vgl. außerdem Gerhard Pachnicke: Der Maler und der Dichter. Georg Bleibtreu und seine Briefe an Gustav Freytag. In: GFB 24 (1980), Nr. 41 (Januar 1980), S. 29–36.

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Abb. 16: Kronprinz Friedrich Wilhelm mit dem Hauptquartier der Dritten Armee auf der Höhe von Donchery während der Schlacht bei Sedan, 1. September 1870. Gemälde von Georg Bleibtreu

Abb. 17: Bildauschnitt (rechts) aus dem Gemälde Georg Bleibtreus. Gustav Freytag als ‚Kriegsberichterstatter‘

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Dilemmas und seiner schriftstellerischen Selbstinszenierung. Denn aus der Nähe betrachtet, ‚posierte‘ Freytag tatsächlich mit der Reichseinigung, verklärte den Krieg öffentlich und behauptete gar, erst durch die Erlebnisse im Feldlager den Plan zu Die Ahnen gefasst zu haben (vgl. GW I, 237), obwohl dieser bereits deutlich weiter zurückreichte.20 In der Totale fügt er sich damit in die unterschiedslose Phalanx preußischer Nationalliberaler, in deren Gesellschaft er schließlich auch kanonsiert wurde und deren Politik er letztlich immer wieder publizistisch oder gar poetisch rechtfertigte oder unterstützte. Dafür, wie sich Freytags ‚Literatur-Politik‘ im Kaiserreich gestaltet, wie dabei weiterhin beide Bereiche ineinander übergehen und aufeinander bezogen sind, lassen sich noch andere wichtige Kontexte und Textbeispiele finden. Gerade eine ideologiegeschichtliche Beschäftigung mit dem Autor sollte noch stärker die textuellen Verfahren in den Blick nehmen, mit denen Freytag etwa einer kulturmissionarisch-imperialistischen Polenpolitik das Wort redet. Aussagekräftig hierfür ist eine in wesentlichen Punkten übereinstimmende Beschreibung von Freytags Geburtsstadt Kreuzburg in seinen Erinnerungen sowie der Darstellung der Kreisstadt Rosmin in Soll und Haben: Kreuzburg: Die beiden Tore der Stadt, das deutsche und polnische, standen noch mit ihren engen Gewölben, die Torflügel wurden jede Nacht geschlossen und durch Wächter behütet, aber sie öffneten sich bereitwillig dem verspäteten Reisenden. Während meiner Kinderzeit wurden sie niedergelegt und der breitere Zugang mit einem Gattertor versehen. In der Mitte der Stadt lag der große Ring, ein viereckiger Markt, in den die vier Hauptstraßen mündeten. In des Ringes Mitte stand das alte Rathaus und das Viereck der zwölf Häuser, welche in alter Zeit das Verkaufsrecht gehabt hatten. Abseits vom Markte war der Kirchhof mit der evangelischen Kirche. […] Die niedri­ gen Häuser auf dem Markt und in den Hauptstraßen waren von Ziegeln und sorgfältig getüncht, auch vor den Toren mehrte sich die Zahl der sauberen Steinhäuser mit rotem Dach. Zweimal in der Woche füllte sich der Markt mit den Wagen der Landleute, dann sah man ein Gewühl geschäftiger Menschen, kleine struppige Pferde, zahllose Getreidesäcke, die Bauerfrauen der nahen polnischen Dörfer in ihrer auffallenden Tracht, jüdische Händler, die sich gleich Aalen zwischen den Wagen hindurchwanden, und die Ratsdiener, wie sie im Amtseifer die Stöcke schwangen, um Ordnung zu erhalten. (GW I, 24  f.) Rosmin: Es war Wochenmarkt in der kleinen Kreisstadt Rosmin. Seit uralter Zeit war der Markttag für die Landleute der Umgegend ein Fest von besonderer Bedeutung. Fünf Tage der Woche mußte der Bauer seinen Kohl bauen oder dem gestrengen Herrn fronen, am Sonntage war sein Herz geteilt zwischen der Jungfrau Maria, seiner Familie und der Schenke, der Markttag trieb ihn über die Strenge seiner Feldmark hinein in die große Welt. […] Nicht lange, so schlug neben dem Kaufmann auch der Handwerker seine Werkstatt auf, der deutsche Schuster kam, und der Knopfmacher, der Blechschmied und der Gürtler, die Zelte und Hütten verwandelten sich allmählich in feste Häuser, die im Viereck um den großen Marktplatz aufstiegen, auf dem viele hundert beladene Polenwagen Raum haben mußten. Fest schlossen sich die fremden Ansiedler zusammen, sie kauften den Grund, sie kauften ein Stadtrecht von

20 Vgl. Eggert: Studien zur Wirkungsgeschichte des deutschen historischen Romans, S. 77; Sprengel: Der Liberalismus auf dem Weg ins ‚Neue Reich‘, S. 172  f.

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dem slawischen Grundherrn, sie gaben sich ein Statut nach dem Muster deutscher Städte. Die neuen Bürger bauten ihr Rathaus in die Mitte des großen Vierecks und daran ein Dutzend Häuser für Kaufleute und Schenken, und der Marktring war geschlossen. Um die Hofräume, die Hintergebäude und Gassen wurde die Stadtmauer gezogen, und über die beiden gewölbten Tore nach dem Brauch der Heimat wohl auch die Wachttürme gesetzt, unten hauste der Zöllner, oben der Wächter. (SuH, 592–594)

Durch die derart deckungsgleich gezeichnete Schilderung in einer Autobiographie, die sich als faktualer Text ausgibt und auch so rezipiert wird, werden nicht nur die Textstellen in Soll und Haben über das polnische Grenzland gleichsam durch den Autor selbst beglaubigt; dem zeitgenössischen Leser wird vielmehr zusätzlich eine Botschaft vermittelt, die sich gleichermaßen aus dem Zusammenhang der beiden Zitate sowie dem damaligen Weltwissen ergibt. 1741 nämlich fiel die Stadt Kreuzburg an Preußen; diese wird von dem 1816 geborenen Gustav Freytag in seinen Erinnerungen als ein Beispiel für eine zwar umkämpfte, aber gelungene Integration in das preußische Staats- und Kulturgebiet beschrieben. In Kreuzburg, so die sich in der Zusammenschau beider Texte nahegelegte Deutung, ist mithin das vollzogen worden, was der Posener Stadt Rosmin noch bevorsteht, was in Soll und Haben quasi vorbereitet wird und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Erinnerungen zu den meist diskutierten Fragen des politischen Diskurses im Kaiserreich gehört: die Frage nämlich nach der deutschen Polenpolitik, also insbesondere nach der Kolonisation der Gebiete an Preußens Rändern und der ‚Germanisierung‘ der dortigen Bevölkerung – eine Frage, die Freytag ideologisch bis auf die schlesischen Siedlungen im Mittelalter ausdehnt. Indem der Autor diese Kontroversen in seinen Erinnerungen auf solche Weise aufruft, wird sein Roman Soll und Haben von 1855 zudem gleichsam reaktualisiert, der realistische Anspruch auf Gegenwärtigkeit des Romans abermals bestätigt. Wie wichtig Freytag die genaue Darstellung dieses spezifischen Stadtmusters ist – das tatsächlich dem von Kreuzburg entspricht –,21 belegt überdies eine mit den Beschreibungen übereinstimmende Zeichnung, die der Autor angefertigt hat und die man im Weimarer GSA entdecken kann.22 U.  a. solche historischen Konstellationen und Kontexte eröffnen sich beim Blick in die Texte. Die bereits angesprochenen Medienwechsel sowie das Wechselspiel der Formate verweisen auf einen für den Autor und die Epoche typischen Zusammenhang, nämlich den Übergang von Fakten in Fiktion, von Nachricht in Narration.23 Was die vorliegende Studie in vergleichender Lektüre von Soll und Haben und den literaturprogrammatischen Texten der Grenzboten dargelegt hat, müsste weiter in intensiver

21 Erkennbar ist dies an Grundrissen und Stadtplänen, wie man sie zum Beispiel im Gustav-FreytagArchiv in Wangen einsehen kann. 22 GSA 19/49,1. 23 Für grundsätzliche Überlegungen zu diesem Aspekt im Zeitalter des Realismus vgl. Günter: Im Vorhof der Kunst, S. 207  f.

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Parallellektüre von Roman und politisch-historischen Revue-Artikeln erprobt werden. Denn wie bereits vereinzelt herausgearbeitet wurde, stützt sich Freytag in seinem Roman (und auch in späteren Werken) auf Texte, die zuvor in den Grenzboten veröffentlicht wurden.24 Indem der Dichter vermeintliche Fakten, die der Leser womöglich ebenfalls aus den Grenzboten kennt, in einen fiktionalen Kontext überführt, indem die Nachricht zur Narration wird, erfüllt Freytag eine zentrale Forderung des programmatischen Realismus: Er liefert – mit dem Wort aus Fontanes Ahnen-Rezension – „eine Geschichte […], an die wir glauben“.25 Der Rückgriff auf faktuale Texte, die scheinbar objektiv Wirklichkeit beschreiben, steht demnach im Dienste einer fiktional erzeugten Wirklichkeitsnähe und bewirkt spezifische Realitätseffekte.26 Aus epochal interessierter Perspektive betrachtet spiegelt sich darin ein realistischer Literaturbegriff, der in Konkurrenz und Auseinandersetzung mit dem Journalismus entstanden ist.27 Dass Freytags Werk nicht nur im Hinblick auf die enge Verzahnung von Literatur und Journalismus sowie Literatur und Geschichtsschreibung ein ergiebiges Forschungsfeld darstellt, sondern ebenso mit Blick auf das Verhältnis von Literatur und Philologie oder auch Wissenschaft und Religion, haben Studien ausgehend von Freytags Professorenroman Die verlorene Handschrift zeigen können.28 Daran könnte

24 Vgl. dazu u.  a.: Köhnke: Ein antisemitischer Autor wider Willen, S. 133; Hendrik Feindt: Dreißig, sechsundvierzig, achtundvierzig, dreiundsechzig. Polnische Aufstände in drei Romanen von Freytag, Raabe und Schweichel. In: ders. (Hg.): Studien zur Kulturgeschichte des deutschen Polenbildes. Wiesbaden 1995, S. 15–40, hier S. 25  ff. Stronciwilk: Das Polenbild in Gustav Freytags „Grenzboten“. 25 Theodor Fontane: Die Ahnen. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe. München 1969, S. 308–325, hier S. 316 (Hervorhebung im Original). 26 So in Anlehnung an: Roland Barthes: L’Effet de Réel [1968]. In: ders.: Œuvres complètes. Tome II: 1966–1973. Paris 1994, S.  479–484; vgl. dazu für Freytag und Raabe auch: Jückstock-Kießling: IchErzählen, S. 142–153. 27 Wie Freytag später den angehenden Novellendichtern hinter die Ohren schreibt, müssen sowohl Schriftsteller als auch Redakteure eine Begebenheit ins Zentrum ihrer Erzählung stellen, „deren Inhalt werth ist, daß sich die Leser dafür interessiren“ (F[reytag]: Für junge Novellendichter, S. 66). Oder mit Reinhart Meyer: „Der Novellist fahndet nach Stoffen und Begebenheiten wie der Journalist, denn beide haben eingesehen, daß mit den tatsächlich geschehenen Ereignissen keine Phantasie wetteifern kann. Die Wirklichkeitssuche des Erzählers und sein Bemühen, der historischen Wahrheit nahe zu bleiben, hat mit der des Journalismus einerlei Voraussetzung; sie ist nicht poetisches Unvermögen, sondern Konsequenz einer gerade durch das Journal bewirkten, bis vor kurzem noch unvorstellbar erweiterten Information, die als Realität zuträgt, was bis dahin die ausschweifendste Phantasie nicht erfinden konnte“ (Reinhart Meyer: Novelle und Journal. Bd. 1: Titel und Normen. Untersuchungen zur Terminologie der Journalprosa, zu ihren Tendenzen, Verhältnissen und Bedingungen. Stuttgart 1987, S. 85). 28 Vgl. Steffen Martus: Liebe zwischen Kunst und Wissenschaft. Zu Gustav Freytags „Die verlorene Handschrift“. In: Oliver Huck, Christian Scholl u. Sandra Pott (Hg.): Konzert und Konkurrenz. Die Künste und ihre Wissenschaften im 19. Jahrhundert. Göttingen 2010, S. 179–200; Claudia Stockinger: Poesie und Wissenschaft als Religion. Kunstreligiöse Konzepte im 19. Jahrhundert. In: Albert Meier, Alessandro Costazza u. Gérard Laudin (Hg.): Kunstreligion (Henry James, Theodor Storm). Ein ästheti-

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eine an Freytags Wissenschaftstexten interessierte Untersuchung mit Fokus auf Freytags Geschichtswerk anknüpfen und sein Wissenschaftsverständnis ebenso wie sein Geschichtsdenken genauer beleuchten, wie es sich etwa in der Vorrede der Bilder aus der deutschen Vergangenheit ausdrückt. Darin erklärt Freytag den besonderen Reiz, „wenn wir in der Urzeit genau denselben Herzschlag erkennen, der noch uns die wechselnden Gedanken der Stunde regelt“ (GW XVII, [X]) – eine Idee, deren Spuren bis in Die verlorene Handschrift zu verfolgen sind, wo Ilse als Vergangenheit und Gegenwart der ‚Volksseele‘ gleichermaßen in sich tragende, germanische Frauenfigur gezeichnet wird. Damit korrespondierend basieren die ‚Bilder‘ auf dem Gedanken, dass die Geschichte einer Nation zwar äußerlich durch den Historiker in Abschnitte und Epochen unterteilt werden könne, innerlich wie ursächlich jedoch über eine je charakteristische ‚Volksseele‘ zusammenhänge: „[D]as unbewußte und bewußte Zusammenwirken von Millionen schafft einen geistigen Inhalt, bei welchem der Antheil des Einzelnen oft für unser Auge verschwindet, bei welchem uns zuweilen die Seele des ganzen Volkes zur selbstschöpferischen lebendigen Einheit wird“ (GW XVII, 23). Derartige Denkfiguren hat der Historiker und Philologe Freytag aus der Auseinandersetzung mit Friedrich August Wolfs und Karl Lachmanns Theorien von der kollektiven Autorschaft (z.  B. der homerischen Epen oder des Nibelungenlieds) gewonnen.29 Sie lassen sich also bis hinein in seine eigene wissenschaftliche Sozialisation und akademische Tätigkeit zurückverfolgen. Schon um 1840, in seiner Zeit als Breslauer Privatdozent, plant Freytag etwa eine Schrift mit dem Titel Die Formen der deutschen Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung aus der Volksseele.30 Gerade Freytags akademischer Lebensabschnitt offenbart mit seiner Vielzahl an mehr angedachten als ausgeführten Projekten (darunter die Idee zu einer Universalgeschichte der Menschheit) sowie mit den im Nachlass befindlichen Resten von Vorlesungsmanuskripten, wie sehr sein Geschichtsverständnis synkretistisch Vorstellungen der Aufklärung und Romantik mit denen des Historismus verbindet.31 Abermals nicht unrepräsentativ verweist es somit auf den Strukturwandel des geschichtlichen Denkens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, für den die Forschung den Begriff der ‚Schwellenzeit‘ geprägt hat.32 Dies wäre noch genauer darzustellen.

sches Konzept der Moderne in seiner historischen Entfaltung. Bd. 2: Die Radikalisierung des Konzepts nach 1850. Berlin/New York 2011, S. 11–39. 29 Vgl. dazu grundlegend Bußmann: Gustav Freytag. Maßstäbe seiner Zeitkritik. 30 Vgl. Schridde: Gustav Freytags Kultur- und Geschichtspsychologie, S. 27; Lindau: Gustav Freytag, S. 375; Franke: Die Flugschriftensammlung Gustav Freytags, S. 6. 31 Vgl. dazu weiterführend Surynt: Das „ferne“, „unheimliche“ Land, bes. Kap. III. 32 Stefan Jordan: Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Schwellenzeit zwischen Pragmatismus und klassischem Historismus. Frankfurt a.  M. 1999.

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Freytag begreift die Geschichte als quasi-religiöses Offenbarungsmedium33 und den Historiker bzw. Wissenschaftler als „Apostel[]“ dieser „neuen Weltlehre“, die an die Stelle der alten Religion getreten sei.34 Der Autor sakralisiert die Wissenschaft – so auch in der Verlorenen Handschrift, wo etwa von deren „Priesteramt“ die Rede ist (G  VII, 423). Freytag geht demnach nicht nur von einer Funktionsverschiebung zwischen Wissenschaft und Religion aus, sondern begreift die Wissenschaft als eine höhere Entwicklungsstufe der Religion. Wissenschaft wird als ein der Religion gegenüber analoges und sie letztlich ersetzendes bzw. ihr überlegenes Weltdeutungsmodell entworfen. Der Wissenschaftler übernimmt gewissermaßen die Funktion des Apostels in einem höheren geschichtlichen Aggregatzustand – ein Gedanke, der wiederum an Freytags Konzept der ‚Völkerseelen‘ gekoppelt ist.35 Freytags Bestimmung der Wissenschaft als Deuterin und ‚Erklärerin der Gegenwart‘36 geht einher mit einer Verpflichtung der Wissenschaft auf ihren öffentlichen Vermittlungsauftrag einerseits sowie auf gegenwärtige Fragen und Gegenstände andererseits. Die verlorene Handschrift endet in diesem Sinne mit der Metapointe, die klassische Philologie an die zeitgenössische Literatur der Gegenwart heranzuführen.37 Bereits die wissenschaftliche Lehrtätigkeit des mit ‚rite‘ promovierten Philologen und frühen Quellengebers für den Ausdruck „Germanist“38 steht im Zeichen derartiger Bemühungen.39 Und auch dem lyrischen Frühwerk sind die Denkfiguren einer 33 So äußert er in einem Brief an Albrecht von Stosch die Überzeugung, „dass Gott sich in Geschichte und Natur für uns reicher, höher, größer offenbart als in irgendeinem konfessionellen Dogma“. Gustav Freytag an Albrecht von Stosch, 25. October 1865. In: Gustav Freytags Briefe an Albrecht von Stosch, S. 6  f., hier S. 6. 34 Gustav Freytag: [Rez. 1856]: Das Leben Wilhelms von Humboldt, von R. Haym. In: VA II, 179–199, hier 196; vgl. auch [Freytag]: Deutsche Geschichtschreiber, S. 242. 35 Die Wissenschaft, so Freytags Argumentation, übernehme die Vermittlungsfunktion zwischen höherer, quasi-göttlicher Erkenntnis und dem Volk; sie sei dabei von abstrakten, aber „geschlossenen Persönlichkeiten“ ähnelnden „höheren Individualitäten“ beseelt, von nationalen „Völkerseelen“: „Wie die Engel dem alten Kirchenglauben eine Zwischenstufe der Individualitäten zwischen dem Mensch und Gott darstellen, ähnlich schweben in der Wissenschaft die Seelen der Völker als eine höhere Ordnung geistiger Gebilde.“ Freytag: Das Leben Wilhelms von Humboldt, 196  f. 36 Vgl. Herrmann: Gustav Freytag, S. 107; vgl. auch [Freytag]: Deutsche Geschichtschreiber, S. 242. 37 Vgl. Martus: Liebe zwischen Kunst und Wissenschaft, S. 200. 38 Von Freytag soll die früheste schriftliche Überlieferung des Wortes „Germanist“ stammen: vgl. Uwe Meves: Über den Namen der Germanisten. Oldenburg 1989. 39 Freytag las nach Erlangung der venia legendi tatsächlich nicht nur über mittelhochdeutsche Literatur, sondern auch über die deutsche Dichtung seit Goethe und Schiller (vgl. Scheible: Gustav Freytag als Germanist, S. 246). Die Studenten reagierten auf diese und ähnliche Bemühungen allerdings mit verhaltenem Zulauf, wie ein Brief Freytags vom 15. Januar 1840 an das preußische Kultusministerium offenbart. Darin schreibt der damals 23-jährige Dozent: „Seit Ostern vorigen Jahres bin ich als Docent für deutsche Sprache, Literatur- u. Kulturgeschichte an der Universität Breslau habilitiert, nachdem ich unter Schneider und H[offmann], später in Berlin unter Böckh, Bopp und Lachmann meine Studienjahre verlebt hatte. Ich lese gegenwärtig im zweiten Semester meiner academischen Thätigkeit vor einem freilich nicht großen Kreise von Zuhörern, und sehe mit herzlicher Freude, dass es mir gelingt,

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 2 Ausblicke

Verbindung von Kunst und Wissenschaft sowie ihrer Sakralisierung abzulesen.40 Sowohl eine an dem Verhältnis von Kunst/Wissenschaft und Religion interessierte als auch eine fachgeschichtlich orientierte Literaturwissenschaft können hier ergiebige Quellen finden. Ein großes Desiderat der Freytag- und Realismus-Forschung stellt die mangelnde Beschäftigung mit Die Technik des Dramas dar,41 zumal wenn man die Wirkmächtigkeit dieser normativen Dramenpoetik als Beschreibungsmodell klassischer Dramen und darüber hinaus (s. Kap. I.1) bedenkt. Die im Rahmen der vorliegenden Studie unternommenen Versuche, die ‚Technik‘ auf Freytags Werke sowie literaturprogrammatische Debatten der Epoche zu perspektivieren, wäre auf die wenig erforschte realistische Tragödiendiskussion und -praxis auszuweiten.42 Überhaupt ist Freytags bisher kaum beachtetes Dramenwerk geeignet, die Epoche von ihrem Beginn bis zu ihrem Ende zu erzählen. Deutlich wird dies bereits an jenen Briefpartnern, mit denen Freytag an den Rändern seiner Schriftstellerbiographie korrespondiert. In Ludwig Tieck nämlich findet der junge Dramatiker ein Vorbild,43 dessen Werkbiographie sich selbst wiederum von der Spätaufklärung bis zum Frührealismus nachzeichnen ließe.

ihnen Interesse an meinen Studien einzuflößen. Freilich wird bei der Armuth unserer Studentenwelt das Studium der deutschen Sprache und Literatur immer nur die Lieblingsbeschäftigung Weniger, Wohlhabender bleiben, da es außerhalb des Kreises der Brodwissenschaften liegt. Auch ist die deutsche Philologie, ehrlich gesagt bis jetzt noch eine sehr aristokratische Frau, die den Zugang zu sich vielfach erschwert und dadurch manchen schüchternen Musensohn abschreckt; und deshalb steht es hier in Breslau allerdings noch so, dass wir armen Germanisten aus unseren Büchern u. Heften einen Trichter bauen und wie Ameisenlöwen lauern müssen, bis irgend ein Zuhörer in unsern Kreis hineinfällt. Dafür aber halten wir ihn auch fest“ (zit. n. Uwe Meves: „Wir armen Germanisten …“ Das Fach deutsche Sprache und Literatur auf dem Weg zur Brotwissenschaft. In: Jürgen Fohrmann u. Wilhelm Voßkamp (Hg.): Wissenschaft und Nation. Zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. München 1991, S. 165–193; hier S. 193). – Und als er sich 1843 um den freigewordenen Lehrstuhl für deutsche Literatur in Breslau bewarb, bekundete er in seiner Bewerbung die Absicht, „unsere Literatur nicht nur zu lehren, sondern durch eigenes Schaffen fortbilden zu helfen“ (zit. n. Franke: Die Flugschriftensammlung Gustav Freytags, S. 6). – Zu Freytag Studenten- und Dozentenzeit vgl. die Angaben zur Forschung in der Einleitung Kap. I. 1. 40 So vor allem in dem gleichnamigen Gedicht „Kunst und Wissenschaft“: Gustav Freytag: In Breslau. Gedichte. Breslau 1845, S. 89  f. 41 Zu den wenigen Arbeiten, die sich ausführlicher mit dem Text beschäftigen, gehören etwa: Margret Dietrich: Europäische Dramaturgie im 19. Jahrhundert. Graz u.  a. 1961, S. 383–400 sowie (allerdings bis zur Unlesbarkeit ideologisch eingefärbt) Franz Feest: Gustav Freytags „Technik des Dramas“. Ein Beitrag zur Problematik des Verhältnisses von Kunst und Wirklichkeit in der bürgerlichen Ästhetik. Phil. Diss. Erfurt 1965; vgl. außerdem: Jeziorkowski: Nachwort. 42 Ein Aufsatz des Verfassers, der Freytags Tragödie Die Fabier vor dem Hintergrund der epochalen Tragödienproblematik liest, befindet sich in Vorbereitung. 43 Die Ausgabe von Graf Waldemar hat Freytag mit der Widmung „Herrn Ludwig Tieck“ versehen lassen: Gustav Freytag: Graf Waldemar. Schauspiel in fünf Akten. Breslau 1850. – In der späteren Ausgabe der Gesammelten Werke ist diese Widmung getilgt. – Zur Bekanntschaft Freytags mit Tieck vgl. auch die entsprechenden Stellen bei Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag.

2 Ausblicke 

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Ihn adressiert Freytag in einer ‚Findungsphase‘, die von einer Auseinandersetzung mit der späten Romantik ebenso zeugt wie von einem ambivalenten Verhältnis zum Jungen Deutschland.44 Am Ende seines Lebens tritt Freytag seinerseits mit einem jungen Schriftsteller in Kontakt, den man ihm intuitiv so wenig zugeordnet hätte, wie man das mit Freytag bei Tieck getan hätte: Gerhart Hauptmann.45 Mit diesem engagierte sich Freytag, der 1844 für die schlesischen Weber Partei ergriff,46 nicht nur 1895 gegen die Umsturzvorlage; in einer seiner seltenen öffentlichen Stellungnahmen nach Abschluss der Ahnen rezensierte er außerdem Hauptmanns Stück Hanneles Himmelfahrt 1894 äußerst wohlwollend in der Deutschen Revue.47 Dass Freytag ausgerechnet an jener ‚Traumdichtung‘ Gefallen fand, die wie kein anderes von Hauptmanns Dramen von Verklärungselementen durchzogen ist, verwundert schon auf den zweiten Blick nicht mehr. Lediglich im Verklärungsmodus war Freytag in der Lage, sich mit den brennenden politischen und sozialen Fragen der Gegenwart auseinanderzusetzen. Darauf hat Maximilian Harden in seinem Nachruf auf den Dichter hingewiesen. Beinahe nur er allein traute sich, jene Tränen, die Feuilleton und Wissenschaft über Freytag ausgossen, ein wenig zu verdünnen. Zwar attestierte auch Harden dem verstorbenen Schriftsteller, den prototypischen Dichter des bürgerlichen Jahrhunderts verkörpert zu haben; für Harden allerdings lag Freytags Repräsentativität zuletzt jedoch gerade in seiner Unzeitgemäßheit, in seiner Überholtheit. Er nennt ihn einen „bürgergemächlichen Attinghausen, der insgeheim klagen mochte: unter der Erde längst ruht meine Zeit“.48 Freytag, so heißt es weiter, „war in einer gewandelten Zeit ein Fremdling geworden; die Entwickelung war auf Pfaden vorwärtsgeschritten, die er nicht kannte, nicht fühlte, sogar nicht verstand.“49 Tatsächlich zwangen ihn seine literarisch-politischen Axiome in eine Diskrepanz zur zeitgenössischen Realität, die er literarisch immer weniger einzuholen vermochte und die dem eigenen programmatischen Anspruch zuwiderlief. Zwar gab Freytag 1886 als „letzte[s] Bekenntnis welches ich abzulegen habe“ zu Protokoll, „daß das reichste und in vielem Sinne das heilsamste Quellgebiet poetischer Stoffe in der Gegenwart liege“ (GW I, 255), indes ist Freytag nach Die Journalisten und Soll und Haben in seinen Werken nie wieder bis in seine Gegenwart vorgedrungen. Sie war dem Liberalen zunehmend literarisch und politisch entglitten. 44 Siehe dazu Freytags Briefe an Tieck: Kohut: Ungedruckte Briefe Gustav Freytags. 45 Siehe dazu: Felix A. Voigt: Gustav Freytag und Gerhart Hauptmann in ihren gegenseitigen Beziehungen. Mit unveröffentlichten Briefen Gerhart Hauptmanns. In: ders. (Hg.): Hauptmann-Studien. Bd. 1. Breslau 1936, S. 91–99; H. D. Tschörtner: Gustav Freytag und Gerhart Hauptmann. In: ders.: Beiträge zu Werk und Wirkung. Dresden 2009, S. 123–130. 46 Vgl. Ture von zur Mühlen: Gustav Freytag, S. 65  f. 47 Gustav Freytag: [Rez.] Hannele. In: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart 19 (1894), Bd. 2, S. 124–129. 48 Harden: Gustav Freytag, S. 245. 49 Harden: Gustav Freytag, S. 244.

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 2 Ausblicke

Ergaben sich das Verklärungsprogramm und das Geschichtsbild des programmatischen Realismus ohnehin fundamental aus der Erfahrung der Niederlage von 1848, so sprachen die folgenden politischen Entwicklungen den nach 1848 poetisch in Aussicht gestellten liberalen Ideen vielfach Hohn (s. Kap. IV.3). Freytag wusste darauf keine Antwort mehr zu geben und Maximilian Harden war vielleicht gar nicht bewusst, wie treffend in diesem Zusammenhang sein zitiertes Bild vom isoliert klagenden Attinghausen war. Spricht dieser nämlich in Schillers Wilhelm Tell vor seinem Tod noch hoffnungsfroh die mahnenden Worte „Seid einig – einig – einig“,50 ist der sich zunehmend von der Öffentlichkeit abschottende Freytag die angekündigte Reichseinigungserzählung streng genommen schuldig geblieben. Zwar lassen sich Die Ahnen – und anachronistisch gedacht auch die Bilder aus der deutschen Vergangenheit – als alternatives bürgerlich-liberales Narrativ zur Reichsgründung lesen. Demnach wurde diese nicht ‚von oben‘ durch Bismarcks Kriegspolitik, sondern von unten durch die unaufhörlich-stillwachsende Arbeit der mittleren Schichten ermöglicht. Allerdings lieferte Freytag weder in Die Ahnen noch andernorts eine literarische Schilderung der Vor- oder Nach-Gründerjahre – nicht zuletzt wohl deshalb, weil die Wirklichkeit jener Jahre sich für die eigenen Ideen kaum mehr als beschreibbar erwies.51 Analog zu den Bildern aus der deutschen Vergangenheit enden Die Ahnen mit den ersten Nachmärz­tagen – mit jener Periode also, über die Freytag im Grunde programmatisch nie hi­nausgegangen ist und von der aus sich insofern tatsächlich das – bisher nur in Ansätzen erkundete – Gesamtwerk des Autors erzählen lässt.

50 Friedrich Schiller: Wilhelm Tell. In: ders.: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Bd. 2: Dramen 2, hg. von Peter André Alt. München/Wien 2004, S. 913–1029; hier S. 999. 51 Zum Versuch, die Entwicklungen der neueren Zeit in den ‚Bildern‘ zu deuten, vgl. GW XXI, 489– 489.

3 Die ‚Poesie des Prosaischen‘ und ein Ende – ‚Deutscher Mondschein‘ Gustav Freytags ‚Poesie des Prosaischen‘ – seine Idealisierung der bürgerlichen Alltagstätigkeit –, die mit der Poetisierung des Journalismus im Lustspiel beginnt und im Kaufmannsroman Soll und Haben ihre Fortsetzung findet, ließe sich für seinen zweiten Roman Die verlorene Handschrift (1864)1 und die dort betriebene Verherrlichung der Wissenschaft ähnlich forterzählen. Gerade die Romane gleichen sich in der Konzeption auffällig: Beide entwerfen einen Gesellschaftskosmos mit unterschiedlichen sozialen Klassen, beide führen dabei die Lebenswelten des Bürgertums, der Aristokratie sowie des Gelehrtentums zusammen und in beiden Prosa-Texten werden mittels negativer Projektionen auf andere soziale Gruppen bürgerliche Werte (Arbeit und Bildung) poetisiert. Der Autor selbst hat in seinen Erinnerungen auf die „große Aehnlichkeit“ in der Grundidee der Erzählwerke hingewiesen (GW I, 203). Die Handlung seines Gelehrtenromans fasst er wie folgt zusammen: In die unsträfliche Seele eines deutschen Gelehrten werden durch den Wunsch, Wertvolles für die Wissenschaft zu entdecken, gaukelnde Schatten geworfen, welche ihm, ähnlich wie Mondlicht die Formen in der Landschaft verzieht, die Ordnung seines Lebens stören, zuletzt durch schmerzliche Erfahrungen überwunden werden. (GW I, 203)

Aus dem Zitat wird schnell ersichtlich: Auch Die verlorene Handschrift handelt metapoetisch das Verhältnis von Poesie und Prosa aus. Das ‚falsche‘ Poesie-Konzept wird im Roman vom Mond symbolisiert und – wie in Soll und Haben – dem Adel zugeordnet. Gleich am Anfang des Textes steht ein ‚Gespräch‘ des Erzählers mit dem Himmelskörper. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine klassische invocatio; der Mond als

1 Die verlorene Handschrift wurde bei weitem nicht so intensiv erforscht wie Soll und Haben, allerdings haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder einzelne Beiträge mit Freytags Wissenschaftsroman beschäftigt, so vor allem die folgenden: Volker C. Dörr: Idealistische Wissenschaft. Der (bürgerliche) Realismus und Gustav Freytags Roman „Die verlorene Handschrift“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 120 (2001), Sonderheft, S.  3–33; Bernhard J. Dotzler: Litteratum secreta – fraus litteraria. Über Gustav Freytag: „Die verlorene Handschrift“. In: Hartmut Kircher u. Maria Kłańska (Hg.): Literatur und Politik in der Heine-Zeit. Die 48er Revolution in Texten zwischen Vormärz und Nachmärz. Köln/Weimar/Wien 1998, S. 235–250; Martus: Liebe zwischen Kunst und Wissenschaft; Alyssa A. Lonner: History’s Attic. Artifacts, Museums, and Historical Rupture in Gustav Freytag’s ‚Die verlorene Handschrift‘. In: The Germanic Review 82 (2007), H. 4, S. 321–342; Stockinger: Poesie und Wissenschaft als Religion; Martin Baisch u. Roger Lüdeke: Das Alte ist das Neue – Zum Status des historisch-kritischen Wissens in G. Freytags „Die verlorene Handschrift“ und A. S. Byatts „Possession“. In: Christiane Henkes u. Harald Saller (Hg.) mit Thomas Richter: Text und Autor. Tübingen 2000, S. 223–251; Behrs: Der Dichter und sein Denker, S. 40–44. https://doi.org/10.1515/9783110541779-014

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 3 Die ‚Poesie des Prosaischen‘ und ein Ende – ‚Deutscher Mondschein‘

Symbol eines romantischen Poesiekonzepts wird vom Erzähler stattdessen als „Phantast“, als „Lügner“ und „Gaukler“ beschimpft (GW VI, 3  f.). Auf diese Bedeutungen ist der Mond bei Freytag eindeutig festgelegt. Auch das im Nachlass zu findende (undatierte) Gedicht „Gedanken beim Mondenschein“ entwirft den Mond als irrationale Gegenmacht zur rationalen und bedrohten Sprecherinstanz: […] Seh ich nichts als lauter Truggestalten Und Du leuchtest sanfter Mond so schön? Doch es wird sich alles mir entfalten Werd ich erst den Morgen wiedersehen, Nur im Mondlicht stellt das hohe schöne Sich verworren meinem Auge dar Tagt es erst, dann wird die dunkle Sonne Und das Räthsel der Gestalt mir klar, […].2

In Die verlorene Handschrift nun ruft der Erzähler in seiner Eingangsrede scheinbar beiläufig entscheidende Konflikte und Nebenfiguren des Romans auf, ohne dass dies im unterhaltsamen Monolog gegen den Mond besonders auffiele. Der ‚Seleniten-Poesie‘ der Romantik setzt die Erzählinstanz schließlich die prosaische Welt des Bürgers entgegen: Als der Mond bei dem Ausruf „Hier wohnen Menschen, Steuerzahler, rührig Schaffende“ (5) noch immer nicht verschwindet, werden schwerere Geschütze aufgefahren: „[I]hn, der dort wohnt, sollst du mit deinen Possen nicht kränken, er ist ein Kind der Sonne und ein Held dieser Geschichte. Es ist der Professor Felix Werner, ein gelehrter Philolog, noch ein junger Herr, aber von wohlverdientem Ruf“ (5). Die Sonne als Symbol göttlicher Erkenntnis passt gerade recht auf einen bürgerlichen deutschen Philologen. Wen wundert es da noch, dass die adlige Gesellschaft, deren ‚falsche Poesie‘ eine Bedrohung für den Professor und seine Gattin darstellt, im Roman indirekt den „Mondkälber[n]“ zugerechnet wird (GW VII, 193). Nachdem die besagte Gattin Ilse, sich auf einem adligen Anwesen befindend, die Gefahr erkannt hat, die von dem adligen Landesherrn ausgeht, erscheint ihr „die behagliche Prosa der Parkstraße“, wo sie und die anderen Steuerzahler eigentlich wohnen, als das tatsächlich zu erstrebende Ziel (366). Dass die bürgerliche Parkstraße zu Beginn des Romans noch Thalgasse heißt, ist übrigens nur ein weiterer Indikator für den sich abzeichnenden Aufstieg des Bürgertums auf dem Weg zur Schlossallee. Neben den Hauptpersonen Felix und Ilse gibt es eine weitere Figur, die der Text mit Anteilnahme in seiner Entwicklung begleitet: Der junge Fritz Hahn durchläuft innerhalb des Buches seinen eigenen kleinen ‚Bildungsroman‘. Fritz ist genauso von einer falschen „Phantasie“ bedroht wie Felix, der gleichzeitig von einer intriganten Frau bezirzt, einer unredlichen ‚Hilfskraft‘ betrogen und von einer unvollständigen 2 „Gedanken beim Mondenschein“ (GSA 19/13).

3 Die ‚Poesie des Prosaischen‘ und ein Ende – ‚Deutscher Mondschein‘ 

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Handschrift benebelt wird (GW VI, 40). Anfangs wird Fritz als eine Art protestantische Variante von Bernhard Ehrenthal entworfen. Zum Ärger des Professors beschäftigt er sich den ganzen Tag mit exotischer Poesie oder alten Volksliedern, d.  h. einer romantisch-irrationalen Wissenschaft. Dagegen hat Felix Werner gewichtige Gründe ins Feld zu führen: „‚Sieh, Fritz, und deshalb sind mir dein Sanskrit und deine Inder nicht recht, ihnen fehlen die Männer. […] Wer sich nur damit beschäftigt‘, versetzte der Professor eifrig, ‚der wird leicht phantastisch und weich‘“ (17). Am Ende kann jedoch sowohl Fritz’ als auch Felix’ Phantasie dauerhaft gebändigt werden. Beide finden im Verlaufe des Textes zwar keine Handschrift, aber eine Frau. Der Schluss des Romans, der mit der Verlobung von Fritz und der ‚prosaischen‘ Nachbarstocher endet, leistet das, was Friedrich Theodor Vischer programmatisch von der Gattung gefordert hat: „die Beruhigung der Liebe in der Ehe“.3 Soll und Haben und der – auch zu den Journalisten strukturelle Ähnlichkeiten aufweisende4 – Roman Die verlorene Handschrift funktionieren handlungspoetologisch nach dem gleichen Muster. Auf syntagmatischer Ebene kann die Struktur als Dreischritt von falscher ‚Verführung‘, ‚Bewährung‘ und ‚bürgerlicher Apotheose‘ beschrieben werden. Auf paradigmatischer Ebene ergibt sich durch die verschiedenen Episoden, die von den bürgerlichen Protagonisten durchlaufen werden, die wiederholte Botschaft einer Überlegenheit bürgerlicher Lebensweisen.5 Zur Bewahrung der bürgerlichen Ordnung trägt sowohl in Soll und Haben als auch in Die verlorene Handschrift die scheinbar ‚magische‘ Tierwelt einen beträchtlichen Teil bei.6 Es ist gerade deshalb nicht ganz unberechtigt, wenn Friedrich Hebbel sich am 13. September 1856 gegenüber Emil Kuh brieflich über die „Unverschämtheit“ echauffiert, „mit welcher der Christus des Leipziger Grenzboten-Johannes [Gustav Freytag, P. B.] auf die Märchen- und Sagenwelt bei jeglichem Anlasse, der ihm in der ‚Geschäftswelt‘ geboten wird, herabblickt.“7 Denn die Tier- und Sagenwelt in den 3 Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, S. 1310. 4 Die Idealisierung des bürgerlichen Arbeitsfeldes der Wissenschaft funktioniert dort vergleichbar wie die Idealisierung des Journalistenberufes in Die Journalisten. Auch hier werden zunächst oberflächlich-komödiantisch alle Vorurteile gegenüber dem Berufsstand, also gegenüber einer weltfremd-lebensfernen Wissenschaft aufgerufen. Besonders deutlich wird dies an der Figur des Professor Raschke, der vor lauter Zerstreuung auch mal im Schlafrock auf die Straße geht oder sich in der Stadt, in der er seit Jahrzehnten lehrt, regelmäßig verirrt. Wie aber in dem Lustspiel setzt sich die Wissenschaft im Textverlauf als ein überlegenes Arbeitsfeld (z.  B. gegenüber allen aristokratischen Unternehmungen) durch. Ausgerechnet der ohne seine Frau fast lebensunfähige Raschke hat dabei durch unvermutet entschlossenes Handeln Anteil an einem glücklichen Ausgang der Handlung. 5 Auch die Adelskritik steht in der Tradition von Soll und Haben. Sie ist nicht zuletzt an die Figur des Prinzen Victor geknüpft. Er ist ein Wiedergänger Finks, der weißt, dass es mit dem Adel abseits des Militärs zu Ende geht und seinen Stand daher selbst nicht ernst nimmt. 6 Vgl. dazu genauer: Alyssa A. Lonner: Ein Inventar der Phantasie: Zur Bedeutung des „magischen Comptoirs“ in „Soll und Haben“. In: Florian Krobb (Hg.): 150 Jahre „Soll und Haben“. Studien zu Gustav Freytags kontroversem Roman. Würzburg 2005, S. 121–136; dies.: History’s Attic. 7 Friedrich Hebbel an Emil Kuh, 13. September 1856 [Brief 1656], S. 334.

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Romanen ist Bestandteil der bürgerlichen Welt, nicht ihr Gegenteil. Freytag gibt sich mit der – erzählerisch anspruchsvollen – Motivierung und Kommentierung der Romanhandlungen durch eine Gipskatze, Waldtiere, Laren oder zwei mutmaßlich direkt aus der Hölle kommende Hunde nicht „phantastische[n] Schrullen“ hin, wie Kern meint.8 Die realistische Volkspoesie seiner Romane hat die Geister der Schauerromantik stattdessen buchstäblich domestiziert. Aus der rätselhaften und gefährlichen Natur der Romantik ist hier eine Romantik im Dienst der bürgerlichen Gesellschaft geworden. Die Gipskatze im Zimmer Anton Wohlfarts folgt ihrem Schützling zwar nicht mehr gestiefelt auf Schritt und Tritt, begleitet seine Entwicklung jedoch zustimmend, missbilligend oder behütend9 – als Spiegel von Antons Innenleben (und erzählerisches Mittel der Kommentierung, des Vorverweises und der Selbstreflexion des Geschehens) tritt sie bezeichnenderweise vorzugsweise dann auf, wenn Anton träumt oder „schlaftrunken“ ist (SuH, 50). Eingeführt als konkreter realer Gegenstand (38), wird sie nicht als tatsächliches phantastisches Wesen dargestellt, sondern wird nur „gleich einem lebenden Geschöpf“ (424) vom Erzähler inszeniert und vereinzelt von Anton so behandelt. Indem die Erzählinstanz angesichts ihrer zahlreichen Märchen-Allusionen deren Differenz zur Realität oder den bloß ‚märchenhaften‘ Erzählcharakter wiederholt benennt (527, 553), legt sie die Funktion dieser eben nur vermeintlich10 ‚romantisch-phantastischen‘ Elemente als Instrumente zur Poetisierung des Realen offen.11 Das Herumgeistern von Gipskatzen, Laren und Märchen-Vergleichen im Text stützt dessen romanästhetisches Programm von der Poesie des Prosaischen. Erwiesen wird nicht im romantischen Sinne „die Realität des Wunderbaren“, sondern dem realistischen Anspruch gemäß „das Wunderbare des Realen“.12 Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass in Soll und Haben die Tiere des Waldes so beschrieben werden, als agierten sie in bürgerlicher Absicht, wenn sie etwa die körperliche Annäherung zwischen Anton und Lenore unterbinden, indem ein Hase „drohend mit seinen Ohren“ winkt oder Krähen „schimpfend über Antons Kopf“ fliegen (552). Es scheint, als werde Antons Lebensweg „von außer ihm liegenden geheimnisvollen Ordnungsmächten dirigiert“.13 Der Aufstieg des Bürgertums wird auf diese Weise zum ‚natürlichen Gang der Dinge‘ stilisiert. Friedrich Christian Delius hat in seiner Dissertation Der Held und sein Wetter herausgearbeitet, dass auch das

8 Berthold Kern: Gustav Freytag. Ein Publizist. Karlsruhe 1933 (phil. Diss. Heidelberg), S. 54. 9 Vgl. Eicher: Poesie, Poetisierung und Poetizität, S. 74. 10 Vgl. dagegen Hnilica: Im Zauberkreis der großen Waage, S. 131  f. 11 Im Fall der Auflader in der Firma Schröter hat deren märchenhafte Stilisierung als „Riesen“ zugleich die Funktion, ihre eigentlich prekäre – und im realistischen Sinne: ‚hässliche‘ – soziale Situation zu verklären, ja zu beschönigen. 12 Stockinger: Das 19. Jahrhundert, S. 48. 13 Jürgen Jacobs: Wilhelm Meister und seine Brüder. Untersuchungen zum deutschen Bildungs­ roman. München 1972, S. 180.

3 Die ‚Poesie des Prosaischen‘ und ein Ende – ‚Deutscher Mondschein‘ 

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Wetter im Roman im Dienste der bürgerlichen Ethik steht. Die einst als dunkel und unberechenbar geltende Natur hat sich in Soll und Haben und Die verlorene Handschrift freiwillig in die bürgerliche Ordnung gefügt.14 Freytags Romane inszenieren die realistische Überschreitung und Funktionalisierung romantischer Darstellungsmuster und stellen dies metapoetisch aus. Die Poesie des Prosaischen präsentiert sich dabei als eine Losung von immer sowohl ästhetischer wie auch politischer Dimension. 1873 wird Wilhelm Raabe eine kurze Erzählung veröffentlichen, die man als fulminanten Metakommentar zur Metapoesie des Grenzboten-Realismus15 und als satirische Entlarvung realistischer Wirklichkeitsbetrachtung lesen kann: „Deutscher Mondschein“.16 Der Erzähler, ein Jurist und nach eigener Aussage „selbst für Deutschland außergewöhnlich nüchterner Mensch“, ja ein „Mann der Prosa“,17 trifft während seines Sylt-Urlaubs bei einem abendlichen Spaziergang auf einen Kollegen, den Kreisrichter Löhnefinke. Dieser scheint offensichtlich nicht bei Sinnen zu sein und kann sich, nach seinem Zustand gefragt, dem prosaischen Erzähler zunächst kaum verständlich machen. Sodann wird aber ersichtlich: Löhnefinke glaubt sich vom Mond verfolgt. „Ich hasse den Mond; er ist mein Todfeind, und ich ziehe den kürzern gegen ihn, wie er gegen die Lampe da über uns“, so der Kreisrichter.18 Vom Erzähler, mit dem Löhnefinke einst Gerichtsakten ausgetauscht hatte – was denselben in den Augen des urlaubenden Juristen gleich etwas zurechnungsfähiger erscheinen lässt –, wird er nach dem Hintergrund dieser ‚Todfeindschaft‘ befragt. „Ich bin nur zu solide gewesen und bereue es heute […]. Kollega, Kollega, unterdrückte Poesie ist es, welche mich verrückt macht […]. Der deutsche Mondschein rächt sich an mir“,19 erklärt Löhnefinke und führt weiter aus, wie ihm im „Jahr achtundvierzig“ der Mond aufgegangen sei, zu dem er als „Altliberaler“ bis zum „folgenden Jahre neunundvierzig“ zunächst noch eine unproblematische Beziehung geführt hatte.20 14 Vgl. Friedrich Christian Delius: Der Held und sein Wetter. Ein Kunstmittel und sein ideologischer Gebrauch im Roman des bürgerlichen Realismus. München 1971, S. 73. 15 Für Raabes Verhältnis zum Grenzboten-Realismus vgl. Göttsche: [Art.] Realismus, S. 361  f. 16 Wilhelm Raabe: Deutscher Mondschein. In: ders.: Sämtliche Werke. Bd. 9. Teil 2: Erzählungen. Sankt Thomas. Die Gänse von Bützow. Theklas Erbschaft. Gedelöcke. Im Siegeskranze. Der Marsch nach Hause. Des Reiches Krone. Deutscher Mondschein, bearb. von Karl Hoppe u.  a. Göttingen 1976, S. 379–402. – Vgl. dazu die folgenden jüngeren Forschungsbeiträge: Olaf Schwarz: „… das Entsetz­ liche im ganzen und vollen“. Zur „Modernität“ von Raabes „Deutscher Mondschein“. In: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 1998, S.  32–49; Stadler: Darwinistische Konkurrenz und ökonomisches Kalkül, S. 209–225; ders.: Unterdrückte Poesie; Florian Krobb: [Art.] Deutscher Mondschein. In: Dirk Göttsche, ders. u. Rolf Parr (Hg.): Raabe Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2016, S. 136–138; Peter Goldammer: Halligfahrt und Mondschein. Storms und Raabes Reaktionen auf die Gründung des Deutschen Reiches. In: Heinrich Detering u. Gerd Eversberg (Hg.): Kunstautonomie und literarischer Markt. Konstellationen des Poetischen Realismus. Berlin 2003, S. 137–144. 17 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 381, 382. 18 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 389. 19 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 391. 20 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 392.

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 3 Die ‚Poesie des Prosaischen‘ und ein Ende – ‚Deutscher Mondschein‘

Mit der Übernahme einer prosaischen Beamtentätigkeit habe es immer wieder ‚Durchbrüche der Poesie‘21 gegeben, verbunden nämlich mit der Wiederkehr alter „Träume“ und „Illusionen“ sowie einem Unbehagen an der Gegenwart.22 Je mehr allerdings Löhnefinke seine poetischen Neigungen und liberalen Ideale aus der Revolutionszeit verraten habe, umso stärker habe ihn das „hämische Gestirn“23 verfolgt. So ist der Altliberale während der Zeit des preußischen Heereskonflikts  – dem vielleicht entscheidendsten Rückschlag für die liberale Sache im 19. Jahrhundert – als Landtagsabgeordneter aktiv gewesen. Als solcher stimmte er nicht nur für die Indemnitätsvorlage, sondern setzte die unterdrückte Poesie nun sogar gegen die ehemaligen Überzeugungen ein, indem er sich nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg und dem Ende des Verfassungskonflikts dazu hinreißen ließ, für die rechtsliberale National-Zeitung ein „Lobsonett“24 auf Bismarck zu verfassen – auf den Spalter und Totengräber des ‚Altliberalismus‘, wenn man so will. Seitdem nun räche sich der Mond mit seiner Poesie beständig am ihm, dem „Erbe[n] so unendlicher Prosa“25, und er werde ihn nicht wieder los, schildert Löhnefinke sein Schicksal, ehe der entlaufene und von der eigenen Familie nicht für voll genommene Richter in die Obhut selbiger zurückkehren muss. Konsequent schreibt Wilhelm Raabe die doppelte  – sowohl poetologische als auch politische – Dimension der Poesie-Prosa-Diskussion, wie sie von den Grenzboten als feldübergreifendes Sinnangebot formuliert wird, in dieser weithin unbeachteten wie unterschätzen Erzählung weiter. Raabe führt vor, wohin man mit jenem Axiom gelangt, das die Die Grenzboten nach der gescheiterten Revolution zum Kern ihres optimistischen Sinnangebots gemacht haben: die „Identität von Ideal und Wirklichkeit“,26 die Vorstellung von Geschichte als einem „Zusammenhang vernünftiger Gegebenheiten“,27 die Überzeugung, dass vernünftig ist, was wirklich ist,28 „daß das wahrhaft Ideale auch das Wirkliche ist“.29 Verbarg sich hinter der nachrevolutionären Rede von der ‚Poesie des Prosaischen‘ zunächst noch der Versuch, sich mit den bestehenden Verhältnissen zu befreunden und dabei die eigenen Ideale und den Glauben an die Geschichte gegen die Niederlage von 1848 und inmitten einer „Ära der Reaktion“30 zu bewahren, geriet diese Denkfigur schließlich zu Beschönigung und Verklärung aller weiteren liberalen Enttäuschungserfahrungen. 21 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 393. 22 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 383  f. 23 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 395. 24 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 395. 25 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 398. 26 Plumpe: Einleitung. In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, S. 76. 27 Walter Bußmann: Gustav Freytag. Maßstäbe seiner Zeitkritik. In: Archiv für Kulturgeschichte 34 (1951/52), S. 261–287, hier S. 286. 28 Vgl. Lublinski: Litteratur und Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert. Bd. IV, S. 73  f. 29 Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3. ²1855, S. 516. 30 Sagarra: Tradition und Revolution, S. 253.

3 Die ‚Poesie des Prosaischen‘ und ein Ende – ‚Deutscher Mondschein‘ 

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Wer solche Grundsätze befolgt, wer jede Niederlage zur Notwendigkeit umdeutet (s. Kap. II.3.4 u. III.4), der schreibt als Altliberaler irgendwann Lobgedichte auf preußische Ministerpräsidenten, der arrangiert sich, wie Die Grenzboten, aus „Einsicht in die Nothwendigkeit“ auch mit dem Ausgang des preußischen Verfassungskonflikts31 – oder verklärt, wie der entschiedene Bismarck-Gegner Freytag, nicht nur die liberale Niederlage der Revolution von 1848, sondern als Berichterstatter im Deutsch-Französischen-Krieg32 auch eine Form der Nationswerdung, die der eigenen Vorstellung vom friedlich-stetigen Wirken der mittleren Schichten gar nicht entsprach.33 Was als ‚Zwangspoetisierung des Prosaischen‘ bei Freytag gen Ende seines Lebens schließlich in Form der Streitschrift Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone (1889) in das Zeugnis eines von den eigenen Versprechungen enttäuschten Liberalen mündet,34 gestaltet sich bei Raabe als ‚Wiederkehr des Verdrängten‘  – und zwar nicht nur in politischer,35 sondern auch in poetischer Hinsicht: Unter dem Eindruck der Begegnung mit Löhnefinke entscheidet sich der Ich-Erzähler, bis dahin überzeugter ‚ProsaMann‘, seinem in Göttingen studierenden Sohn eine Jean Paul-Ausgabe zu schenken.36 – Wer sich länger mit Freytags Werk beschäftigt hat, wird diesen Entschluss nachvollziehen können.

31 „Man sieht wie es dem Verfasser keinen leichten Kampf gekostet hat, seine alten demokratischen Grundsätze zu vereinigen mit der Einsicht in die Nothwendigkeit der Dinge von 1866. Aber nachdem er sich zu dieser Ueberzeugung einmal durchgerungen, bekennt er sich auch offen zu ihr und weiß sie nach allen Seiten trefflich zu begründen“, heißt es 1869 in den Grenzboten (N. N.: Literatur. [Rez.] Ueber die Stellung und Aufgabe der Nationaldemokratie, S. 40). – Vgl. dazu auch: Renate Herrmann: Gustav Freytag politischer Kampf im Konfliktjahr 1862/63. In: GFB 20 (1976), Nr. 36/37 (Dezember 1976), S. 31–39. 32 Vgl. dazu Sprengel: Der Liberalismus auf dem Weg ins ‚Neue Reich‘. 33 Vgl. Bußmann: Gustav Freytag. Maßstäbe seiner Zeitkritik, S. 275  f.; vgl. zu den Aussagen hier insgesamt: Hahn: Gustav Freytag und der deutsche Liberalismus der Reichsgründungszeit. 34 Vgl. dazu genauer: Hans-Christof Kraus: Gustav Freytag und die „Kronprinzenpartei“ im Kaiserreich. In: Hans-Werner Hahn u. Dirk Oschmann (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 67–83; Hahn: Gustav Freytag und der deutsche Liberalismus der Reichsgründungszeit, S. 65  f. 35 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 398. 36 Raabe: Deutscher Mondschein, S. 402.

Literaturverzeichnis Die Trennung zwischen Quellen und Forschungsliteratur kann hier nicht immer trennscharf erfolgen. Zum einen, weil gerade die publizistischen sowie protowissenschaftlichen literarhistorischen Studien und Aufsätze zu Gustav Freytag aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert sich einer eindeutigen Zuordenbarkeit grundsätzlich entziehen. Gleiches gilt für übergreifende frühe literaturhistorische Arbeiten (wie beispielsweise Emil Kneschkes Das deutsche Lustspiel in Vergangenheit und Gegenwart von 1861). Diese nicht selten auf literaturkritische Beiträge zurückgehenden Texte changieren stark zwischen deutlich normativer Würdigung bzw. Abwertung und informierender Darstellung. Eine klare Unterscheidung gestaltet sich zum anderen deshalb schwierig, weil einige der Texte in dieser rezeptionshistorisch akzentuierten Studie sowohl als Objekte der Analyse, d.  h. als Quellen, als auch als interpretierende Untersuchungen und informierende Darstellungen herangezogen werden. Die Einordnung erfolgt daher erstens nach dem dominanten Umgang mit bzw. nach dem vorwiegenden methodischen Zugriff auf diese Texte. Sie berücksichtigt zweitens deren spezifischen Charakter bzw. deren vorherrschende Prägung. Weil etwa die genannte Studie Kneschkes zum deutschen Lustspiel in erster Linie auf das zeitgenössische Komödienverständnis, die damalige Bewertung einzelner Autoren und Werke sowie die Rezeption der Journalisten hin befragt wird, wird diese unter den ‚Quellen‘ verzeichnet. Auch andere literatur- oder theatergeschichtliche Gesamtdarstellungen, die vor allem als rezeptions- und kanonisierungsgeschichtliche Quellen dienen, werden entsprechend eingeordnet, denn sie interessieren hier hauptsächlich als Objekte der Untersuchung, als Zeichen eines spezifischen Status von Kanonizität, als Ausdruck bestimmter Wertungen und Zuschreibungen. Rezensionen, primär würdigende und vor allem als Quelle befragte Jubiläumsartikel, Erinnerungsbilder, Theaterkritiken oder essayistische Porträts zu Freytag werden aus diesen Gründen in der Regel ebenfalls den Quellen zugeordnet.1 Zumeist ist diese Einordnung vorrangig. Ältere Monographien zu Freytags Leben und Werk, wie sie zum Teil bereits zu Lebzeiten des Autors publiziert wurden, werden dagegen generell unter ‚Forschungsliteratur‘ geführt, auch wenn sie in dieser Arbeit zugleich als rezeptionshistorische Quellen betrachtet werden (und den Ansprüchen einer professionalisierten Wissenschaft schon zeitgenössisch bald meist nicht mehr genügen konnten). Dasselbe gilt für die frühen (wissenschaftlichen) Aufsätze zu Freytag nur dann, sofern diese einen umfassenderen bzw. systematisierenden Darstellungsanspruch oder eine eindeutige wissenschaftliche Fragestellung aufweisen und/oder vor allem als Forschungstexte

1 Vgl. dazu auch die entsprechende Unterscheidung von Quellen und Forschungsliteratur nach: Burkhard Moennighoff u. Eckhardt Meyer-Krendler: Arbeitstechniken Literaturwissenschaft. 10., korr. und akt. Aufl. München 2003, S. 118. https://doi.org/10.1515/9783110541779-015

476 

 Literaturverzeichnis

herangezogen werden. Gerade jedoch weil die Texte einerseits in dieser Weise genutzt, andererseits als Quellen befragt und bemüht werden, gerät die übliche Unterscheidung von Quellen und Darstellungen in dieser Arbeit letztlich an ihre Grenze. Eine solche wird hier dennoch gezogen, weil es dieser quellenzentrierten Studie nicht zuletzt darum geht, den spezifischen Quellenwert und -charakter der recherchierten Dokumente sichtbar zu machen und zu reflektieren. Mehrere Texte desselben Verfassers oder Texte, die dem gleichen Kürzel zugeordnet werden, sind chronologisch aufgelistet. Anonym veröffentlichte Texte bzw. Texte, deren Autor nicht eindeutig identifiziert werden konnte, werden unter „N. N.“ verzeichnet. Mit Initialen gekennzeichnete Texte sind alphabetisch nach der letzten Initiale eingeordnet, sofern diese nicht aufgelöst und nach dem vollständigen Verfassernamen gelistet werden konnte. Um die zum Teil unterschiedlichen oder fehlenden Verfasserkennzeichnungen zu berücksichtigen und korrekt abzubilden sowie aus Gründen der Einheitlichkeit werden im Folgenden nicht nur bei Gustav Freytag und Julian Schmidt, sondern im gesamten Literaturverzeichnis bei mehreren Texten eines Verfassers stets Nachname und Vorname angegeben. Bei den nicht namentlich gekennzeichneten Grenzboten-Aufsätzen wurde die Verfasser-Zuordnung aufgrund eindeutiger Überschneidungen mit anderen Werken oder, im Fall von Freytag, auf Basis seiner selbst erstellten Liste veröffentlichter Aufsätze2 vorgenommen. Quellen und Darstellungen, für die Siglen gebildet wurden, werden im Literaturverzeichnis nicht mehr eigens aufgeführt; bei unselbständigen Schriften finden die Siglen zu Abkürzungszwecken auch im Literaturverzeichnis Verwendung. Die verwendeten Archivquellen werden im Folgenden nicht mehr einzeln aufgeführt.

1 Siglen Gustav Freytags Werke Gustav Freytags Werke werden, sofern nicht anders angegeben, nach der noch zu Lebzeiten des Autors veröffentlichten und von diesem konzipierten Ausgabe seiner Gesammelten Werke (Gustav Freytag: Gesammelte Werke. 22 Bde. Leipzig 1886–1888) unter Verwendung der Sigle ‚GW‘ und nach dem Muster ‚Sigle, Bandangabe, Seitenzahl‘ zitiert. Lediglich bei den einst unselbständig erschienenen Texten, d.  h. Freytags 2 Das Verzeichnis findet sich im Goethe-Schiller-Archiv Weimar: Gustav Freytag: Verzeichnis der veröffentlichten Aufsätze Freytags in: „Die Grenzboten“, Leipzig, 1848–70 und „Im neuen Reich“, Leipzig, 1871–80. In: GSA 19/155. Elster hat eine Abschrift vorgenommen, die von Thiele überarbeitet wurde, siehe: VA II, 422–454; Adolf Thiele: Gustav Freytag, der Grenzbotenjournalist. Phil. Diss. Münster [1924], S. 216–260.

1 Siglen 

 477

literaturkritischen bzw. -programmatischen, seinen politischen, historischen oder feuilletonistischen Aufsätzen (aus GW XV u. GW VI) werden zusätzlich zur Sigle die Titel bzw. Kurztitel angegeben. GW I Erinnerungen aus meinem Leben. Gedichte. GW II Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen. Lustspiel in fünf Acten. Der Gelehrte. Trauerspiel in einem Act. Die Valentine. Schauspiel in fünf Acten. Graf Waldemar. Schauspiel in fünf Acten. GW III

Die Journalisten. Lustspiel in vier Acten. Die Fabier. Trauerspiel in fünf Acten.

GW IV-V

Soll und Haben. Roman in sechs Büchern.

GW VI-VII

Die verlorene Handschrift. Roman in fünf Büchern.

GW VIII-XIII Die Ahnen: Ingo und Ingraban (GW VIII), Das Nest der Zaunkönige (GW IX), Die Brüder vom deutschen Hause (GW X), Marcus König (GW XI), Die Geschwister (GW XII), Aus einer kleinen Stadt (GW XIII). GW XIV

Die Technik des Dramas.

GW XV

Politische Aufsätze.

GW XVI

Aufsätze zur Geschichte, Literatur und Kunst.

GW XVII-XXI Bilder aus der deutschen Vergangenheit: Aus dem Mittelalter (GWXVII), Vom Mittelalter zur Neuzeit (GW XVIII), Aus dem Jahrhundert der Reformation (1500–1600) (GW XIX), Aus dem Jahrhundert des großen Krieges (1600–1700) (GW XX), Aus neuer Zeit (1700–1848) (GW XXI). GW XXII

Karl Mathy.

Sonstige Siglen BrHerz Gustav Freytag und Herzog Ernst von Coburg im Briefwechsel. 1853 bis 1893, hg. von Eduard Tempeltey. Leipzig 1904. BrHi I–III Gustav Freytags Briefe an die Verlegerfamilie Hirzel, hg. im Auftrag der Stiftung Haus Oberschlesien von Margret Galler u. Jürgen Matoni. Teil 1:

478 

 Literaturverzeichnis

1853–1864. Berlin 1994; Teil 2: 1865–1877. Berlin 1995; Teil 3: 1877–1895. Heidelberg 2000. BümaJour Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in 4 Akten. Bühnenmanuscript [dagegen auf dem Einband: „Lustspiel in fünf Aufzügen von Gustav Freytag“]. Leipzig: Elbert [1852]. GFB Gustav-Freytag-Blätter. Mitteilungen der Gustav-Freytag-Gesellschaft e.  V. (zuvor: Organ der deutschen Gustav-Freytag-Gesellschaft), 1954  ff. GSA

Goethe-Schiller-Archiv in Weimar (Nachlass Freytag: GSA 19).

Gutzkow Wolfgang Rasch (Hg.): Karl Gutzkow. Erinnerungen, Berichte und Urteile seiner Zeitgenossen. Eine Dokumentation. Berlin/New York 2011. RuG I u.II Max Bucher, Werner Hahl, Georg Jäger u. Reinhard Wittmann (Hg.): Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848–1880. Mit einer Einführung in den Problemkreis und einer Quellenbibliographie. Bd. 1: Einführung in den Problemkreis, Abbildungen, Kurzbiographien, annotierte Quellenbibliographie und Register. Stuttgart 1976/1981; Bd. 2: Manifeste und Dokumente. Stuttgart 1975/1981. StB Staatsbibliothek zu Berlin. Handschriftenabteilung (Nachlass Gustav Freytag). SuH Gustav Freytag: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern. Mit einem Nachwort von Helmut Winter. Waltrop/Leipzig 2002. VA I u. II Gustav Freytag: Vermischte Aufsätze aus den Jahren 1848 bis 1894, hg. von Ernst Elster. Bd. 1: Aufsätze zur Kunst und Litteratur, Philologie und Alterthumskunde. Leipzig 1901; Bd. 2: Aufsätze zur Geschichte und Kulturgeschichte [mit einem Verzeichnis der Aufsätze Gustav Freytags]. Leipzig 1903.

2 Quellen und Werke 

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2 Quellen und Werke Die zitierten Texte Gustav Freytags und Julian Schmidts sind streng chronologisch geordnet und bei Freytag zusätzlich nach Textsorten gruppiert. Für Aufsätze, die aus Sammelwerken oder Anthologien zitiert werden, ist das Erstveröffentlichungsdatum entscheidend.

2.1 Gustav Freytag Aufsätze

G[ustav] F[reytag]: Aus Berlin: In: Die Grenzboten 7 (1848), I. Semester, II. Band, S. 361–362. Gustav Freitag: Der Gelehrte. Trauerspiel in 1 Akt. In: Arnold Ruge (Hg.): Poetische Bilder aus der Zeit. Ein Taschenbuch. Leipzig 1848 (Bd. II [nach Bd. I von 1847]), S. 3–66. [Gustav Freytag]: Die freie Organisation der Gemeinden. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, IV. Band, S. 57–72, 87–96. Motte [i.  e. Gustav Freytag]: Die Kunst, ein dauerhafter Minister zu werden. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, III. Band, S. 141–154. [Gustav Freytag]: Liebesbriefe eines Fähnrichs. I. An den Bauer Michael Mroß, erwählten Deputirten des Kreises Strehlitz in Schlesien für die constituirende Versammlung in Berlin. In: Die Grenzboten 7 (1848), I. Semester, II. Band, S. 345–350. Gustav Freytag: Vorwort. In: ders.: Dramatische Werke. Bd. 2: Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen. Lustspiel in fünf Akten. Leipzig 1848, S. IX-XII. Gustav Freytag: Die Dichter des Details und Leopold Kompert [1849]. In: VA I, 97–106. Gustav Freytag: Die Juden in Breslau [1849]. In: VA II, 339–347. Gustav Freytag: Die Kunst und Künstler in der Revolution [1849]. In: VA I, 1–18. Gustav Freytag. Die Physiognomie von Breslau [1849]. In: VA II, 332–339. Gustav Freytag: Die Technik des Dramas. In: Die Grenzboten 8 (1849), II. Semester, III. Band, S. 11– 22. Gustav Freytag: Graf Waldemar. Schauspiel in fünf Akten. In: Die Grenzboten 8 (1849), I. Semester, I. Band, S. 241–252, 281–295, 321–332, 361–384. Gustav Freytag: Preußen und Deutschland. Betrachtungen eines Stockpreußen [1849]. In: GW XV, 77–87. Gustav Freytag: Theater. Vergangenheit und Zukunft unsrer dramatischen Kunst [1849]. In: VA I, 274–282. [Gustav Freytag]: Tod und Leben beim Jahreswechsel. In: Die Grenzboten 8 (1849), I. Semester. I. Band, S. 46–48. Gustav Freytag: Deutsche Dramatiker: Karl Malß [1850]. In: VA I, 70–78. [Gustav Freytag]: Deutsche Romane. I. [Rez. zu:] Namenlose Geschichten von F. W. Hackländer. In: Die Grenzboten 10 (1851), II. Semester, IV. Band, S. 264–266. Gustav Freytag: Die Einrichtung von Hausgärten [1851]. In: VA I, 405–422. Gustav Freytag: Die Anlage von Hausbibliotheken [1852]. In: VA I, 469–479. [Gustav Freytag u. Julian Schmidt]: Für Hrn. Dr. Gutzkow und für Hrn. Heinrich Brockhaus, Redacteur der Deutschen Allgem. Zeitung. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, I. Band, S. 358–360. [Gustav Freytag]: Literatur. Deutsche Romane. I. In: Die Grenzboten 12 (1853), I. Semester, I. Band, S. 77–80. [Gustav Freytag]: Neue deutsche Romane. In: Die Grenzboten 12 (1853), I. Semester, II. Band, S. 121– 128.

480 

 Literaturverzeichnis

[Gustav Freytag]: Luxus und Schönheit im modernen Leben. Die Mode in den Blumen. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, I. Band, S. 460–470. [Gustav Freytag]: [Rez.] Isegrimm, Roman von Willibald Alexis. In: Die Grenzboten 13 (1854), I. Semester, I. Band, S. 321–328. Gustav Freytag: Seiner Hoheit Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha [1855]. In: GW IV, 3–4. Gustav Freytag: [Rez. 1856]: Das Leben Wilhelms von Humboldt, von R. Haym. In: VA II, 179–199. [Gustav Freytag]: Deutsche Geschichtschreiber. Heinrich v. Sybel. Geschichte der Revolutionszeit von 1789–1795. In: Die Grenzboten 15 (1856), I. Semester, I. Band, S. 241–254 Gustav Freytag: Heinrich v. Sybel [1856]. In: VA II, 222–247. Gustav Freytag: Neue epische Poesie. 1. In: Die Grenzboten 15 (1856), I. Semester, I. Band, S. 281– 288. [Gustav Freytag]: [Rez.] Zwischen Himmel und Erde. Erzählung von Otto Ludwig. In: Die Grenzboten 16 (1856), II. Semester, IV. Band, S. 121–126. [Gustav Freytag]: Deutsche Dorfgeschichten [Rez. zu: Die Haberfeldtreiber. Oberbayrisches Sittenbild von C. Kern]. In: Die Grenzboten 21 (1862), I. Semester, I. Band, S. 251–255. [Gustav Freytag]: Die Fortschritte des inneren Kampfes in Preußen. In: Die Grenzboten 22 (1863), I. Semester, II. Band, S. 472–476. Gustav Freytag: Uebersetzungen. Molière übersetzt durch Graf Baudissin [1865]. In: VA I, 229–252. Gustav Freytag: „Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei“ [1866]. In: GW XV, 262–279. [Gustav Freytag]: Fürst und Künstler. In: Die Grenzboten 25 (1866), I. Semester, I. Band, S. 34–36. [Gustav Freytag]: Geschichte der deutschen Literatur von Julian Schmidt. In: Die Grenzboten 25 (1866), I. Semester, I. Band, S. 241–247. [Anmerkung Gustav Freytags, in:] B. E.: Kleine Chronik vom Reichstage. In: Die Grenzboten 26 (1867), I. Semester, I. Band, S. 441–444. G[ustav] F[reytag]: Die Ertheilung des Adels an Bürgerliche. In: Die Grenzboten 27 (1868), I. Semester, I. Band, S. 1–8. Gustav Freytag: Der dramatische Dichter und die Politik [1869]. In: VA I, 66–69. G[ustav] F[reytag]: Der Streit über das Judenthum in der Musik. In: Die Grenzboten 28 (1869), I. Semester, II. Band, S. 333–336. Gustav Freytag: Ein Dank für Charles Dickens [1870]. In: GW XVI, 239–244. P[hilipp] P[iepenbrink] [i.  e. Gustav Freytag]: Während des Krieges. 1. Brief an die Grenzboten [1870]. In: GW XV, 362–370. Gustav Freytag: Jacob Kaufmann [1871]. In: GW XVI, 9–20. G[ustav] F[reytag]: Für junge Novellendichter. In: Im neuen Reich. Wochenschrift für das Leben des deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst 2 (1872), Bd. 1, S. 66–70. Gustav Freytag: Julian Schmidt bei den Grenzboten. In: Preußische Jahrbücher 57 (1886), S. 584– 592. Gustav Freytag: Eine Pfingsbetrachtung [1893]. In: VA II, 311–319. Gustav Freytag: [Rez.] Hannele. In: Deutsche Revue über gesamte nationale Leben der Gegenwart 19 (1894), Bd. 2, S. 124–129.

Briefe

Freytag an Ludwig Tieck, 1. Februar 1848. In: Karl von Holtei (Hg.): Briefe an Ludwig Tieck. Bd. 1. Breslau 1864, S. 216–219. [Gustav Freytag an Ludwig Tieck, 12. Dezember 1852, Faksimile des handschriftlichen Briefes]. In: Robert Koenig: Zur Erinnerung an Gustav Freytag. In: Daheim. Ein deutsches Familienblatt mit Illustrationen 31 (1895), S. 554–558, hier S. 555. – Außerdem veröffentlicht in: Robert Koenig:

2 Quellen und Werke 

 481

Deutsche Literaturgeschichte, hg., bearbeitet und bis auf die Gegenwart fortgeführt von Professor Dr. Kinzel. Bd. 2. Bielefeld/Leipzig 1920, S. 336–337. Gustav Freytag an die Kölnische Zeitung, 14. Mai 1886 [dort veröffentlicht am 20. Mai 1886]. In: Gustav Freytag: Briefe an seine Gattin, von Hermance Strakosch-Freytag und Curt L. Walter-van der Bleek. [Mit einem Nachwort von Arthur Eloesser]. Berlin [1912], S. 49–52. Hans Devrient [Hg.]: Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient. In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Jg. 46, Bd. 91, 1901/02, S. 127–139, S. 199–211, S. 343–355, S. 505–551. Gustav Freytag: Briefe an seine Gattin, von Hermance Strakosch-Freytag und Curt L. Walter-van der Bleek. [Mit einem Nachwort von Arthur Eloesser]. Berlin [1912]. Gustav Freytag an Salomon Hirzel und die Seinen, hg. von Alfred Dove. Leipzig 1902. Gustav Freytags Briefe an Albrecht von Stosch, hg. und erläutert von Hans F. Helmolt. Stuttgart 1913. Gustav Freytag und Heinrich von Treitschke im Briefwechsel, hg. von Alfred Dove. Leipzig 1900. Adolph Kohut: Ungedruckte Briefe Gustav Freytags. In: Kölnische Zeitung, 11. Juli 1916 (Nr. 693), 13. Juli 1916 (Nr. 703), 20. Juli 1916 (Nr. 729), 27. Juli 1916 (Nr. 754). Georg Droescher: Gustav Freytags Schriftwechsel mit der Generalintendanz der Königlichen Schauspiele zu Berlin. In: Deutsche Rundschau, Bd. 177 (Oktober–Dezember 1918), S. 129–146. [Gustav Freytags Briefe an Max Jordan]. In: Johannes Hofmann: Gustav Freytag als Politiker, Journalist und Mensch. Mit unveröffentlichten Briefen von Freytag und Max Jordan. Leipzig 1922, S. 23–63. Carl Hinrichs: Unveröffentlichte Briefe Gustav Freytags an Heinrich Geffcken aus der Zeit der Reichsgründung. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 3 (1954), S. 65–117. Gustav Freytag [an Johannes Landau]. Brief mit eigenhändiger Nachschrift, Wiesbaden, 17. November 1882. In: Hedwig Gunnemann (Hg.): „… einem wohllöblichen Publico zu Ehren …“. Briefe von Schauspielern, Theaterleitern und Dramatikern aus der Handschriftensammlung. Dortmund 1965 (Mitteilungen der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund NF 7), S. 129–130. – Außerdem veröffentlicht in: J[ohannes] Landau: Botho von Hülsen und Gustav Freytag. In: Die Deutsche Bühne 5 (1913), S. 3–4. Gustav Freytag: „Mein theurer Theodor“. Gustav Freytags Briefe an Theodor Molinari 1847–1867. Nach den Handschriften hg. und kommentiert von Izabela Surynt und Marek Zybura. Dresden 2006.

Weitere Quellen

Gustav Freytag: In Breslau. Gedichte. Breslau 1845. Gustav Freytag: Graf Waldemar. Schauspiel in fünf Akten. Breslau 1850. Gustav Freytag: Ueber den Antisemitismus. Eine Pfingstbetrachtung. Berlin 1893. Gustav Freytag: [Preßmemoire für den Literarisch-Politischen Verein, verfasst Ende Mai/Anfang Juni 1853]. Abgedruckt in: Karl-Ludwig Ostertag-Henning: Staat und Publizistik im bürgerlichen Zeitalter. Eine geistesgeschichtliche Untersuchung zur Entwicklung der politischen Strukturen des Reaktionsjahrzehnts 1850–1860. Phil. Diss. Erlangen 1970, S. 263–273. Wilhelm Rudeck (Hg.): Erzählungen und Geschichten aus schwerer Zeit. Bilder und Dichtungen von Gustav Freytag (Gustav Freytag-Auswahl in sechs Bänden. [Bd. 1]). Leipzig [1911]. Gustav Freytag: Aus dem Roman Soll und Haben. Anton Wohlfahrts Lehrjahre. 9. Aufl. Berlin 1920. Emil Claar: Ein Zwischenaktgespräch mit Gustav Freytag. In: GFB 1 (1954), H. 2, S. 29–31. „Die Journalisten“ [nach Gustav Freytag]. Fernsehfilm. Reg. Fritz Umgelter. Produktion des Bayerischen Rundfunks 1961. Erstsendung (ARD): Samstag, 09. 09. 1961, 20:20–22:45 Uhr. Gustav Freytag: Die Technik des Dramas, hg. von Manfred Plinke. Berlin 2003.

482 

 Literaturverzeichnis

Textausgaben der Journalisten

Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in 4 Akten. Zum Uebersetzen aus dem Deutschen in das Englische bearbeitet von J. Morris, Lehrer der englischen Sprache in Magdeburg. Hannover 1856 (Sammlung deutscher Lust- und Schauspiele zum Uebersetzen in das Englische bearbeitet, No. 1). Dass. Zweite Aufl. Mit einer Vignette von Ludwig Richter. Leipzig 1862. Dass. With an introduction and notes by Richard Hochdörfer. Boston, Mass. [1888]. Dass. Edited with an English commentary by Walter D. Toy. Boston, Mass. 1889. Dass. With introduction and notes by Calvin Thomas. New York/Boston [1889]. Dass. Mit Anmerkungen und Fragen versehen von Jonathan Hildner und Tobias Diekhoff, University of Michigan. Ann Arbor, Mich. [1901]. Dass. Edited with Introduction and Notes by Charles Bundy Wilson, Professor of German Language and Literature in the State University of Iowa. Chicago 1906. Dass. Mit einem Anhang „Erste Bühnenausgabe der Journalisten“ von Friedrich Rosenthal, einem Nachwort von Georg Richard Kruse und einer Notenbeigabe. Leipzig o.  J. [1926] (Reclam). Dass. Paderborn [1926] (Schöninghs Textausgaben 81). Dass. Hg. v. Professor Dr. J. Wychgram. Bielefeld/Leipzig 1926 (Velhagen & Klasings Sammlung deutscher Ausgaben 208). Dass. Breslau [1929] (Hirts deutsche Sammlung. Literarische Abteilung 7). Dass. Mit einem Nachwort von Horst Kreißig (Faksimiledruck nach der Ausgabe innerhalb der Gesammelten Werke von 1887). Göttingen 1966. Dass. Mit einem Nachwort von Bernd Goldmann. Stuttgart 1977.

Weitere Werkausgaben

Gustav Freytag: Gesammelte Werke. Neue wohlfeile Ausgabe, zwei Serien à acht Bänden. Leipzig/ Berlin [1920–1923]. Gustav Freytags Werke. Eingeleitet von Johannes Lemcke und Hans Schimank. 24 in 12 Bänden. Hamburg [1927–1928].

2.2 Julian Schmidt Julian Schmidt: Friedrich Hebbel. In: Die Grenzboten 6 [1847], I. Semester, II. Band, S. 501–513. Julian Schmidt u. Gustav Freitag: Den Lesern der Grenzboten. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, III. Band, S. 1–4. Julian Schmidt: Geschichte der Romantik in dem Zeitalter der Reformation und der Revolution. Studien zur Philosophie der Geschichte. 2 Bde. Leipzig 1848. J[ulian] S[chmidt]: Theater-Juden. In: Die Grenzboten 7 (1848), II. Semester, IV. Band, S. 15–25. [Julian Schmidt]: Zu Goethe’s Jubelfeier. In: Die Grenzboten 8 (1849), II. Semester, III. Band, S. 201– 211. J[ulian] S[chmidt]: Die Märzpoeten. In: Die Grenzboten 9 (1850), I. Semester, I. Band, S. 5–13. [Julian Schmidt]: Dramaturgische Miscellen. II. In: Die Grenzboten 9 (1850), II. Semester, I. Band, S. 503–509. J[ulian] S[chmidt]: Jeremias Gotthelf [Rez. zu dessen Erzählungen und Bilder aus dem Volksleben der Schweiz von 1850]. In: Die Grenzboten 9 (1850) I. Semester, II. Band, S. 489–494. J[ulian] S[chmidt]: Neue Romane. In: Die Grenzboten 9 (1850), II. Semester, II. Band, S. 881–888. [Julian Schmidt]: Neue Romane. 2. [Rez. zu:] Handel und Wandel. In: Die Grenzboten 9 (1850), II. Semester, II. Band, S. 953.

2 Quellen und Werke 

 483

Julian Schmidt: Die Reaction in der deutschen Poesie. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 17–25. J[ulian] S[chmidt]: Englische Novellisten. I. Charles Dickens. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 161–172. Julian Schmidt: [Rez.] Eugen Scribe. Die Mährchen der Königin von Navarra. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, II. Band, S. 1–9. J[ulian] S[chmidt]: Georges Sand. III. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 409– 414. [Julian Schmidt u. Gustav Freytag]: Für Herrn Dr. Gutzkow und Herrn Heinrich Brockhaus. 2. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, I. Band, S. 437–440. Julian Schmidt: Julia. Trauerspiel von Hebbel. In: Die Grenzboten 10 (1851), I. Semester, I. Band, S. 493–504. Julian Schmidt: Charles Dickens. Eine Charakteristik. Leipzig 1852. [Julian Schmidt]: Die Ritter vom Geist. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, II. Band, S. 41–63. [Julian Schmidt]: Vergangene Tage, von Karl Gutzkow. In: Die Grenzboten 11 (1852), I. Semester, I. Band, S. 216–219. [Julian Schmidt]: Vorwort zum neuen Semester. In: Die Grenzboten 11 (1852), II. Semester, III. Band, S. 1–9. Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. 2 Bde. Leipzig 1853. Julian Schmidt: Das romantische Epos. In: Die Grenzboten 13 (1854), I. Semester, I. Band, S. 8–19. [Julian Schmidt]: Der sociale Roman in Deutschland. In: Die Grenzboten 13 (1854), I. Semester, II. Band, S. 41–47. [Julian Schmidt]: Neue Romane. Der grüne Heinrich, Roman von Gottfried Keller. In: Die Grenzboten 13 (1854), I. Semester, I. Band, S. 401–405. [Julian Schmidt]: Dichtkunst [Rez. zu Soll und Haben]. In: Literarisches Centralblatt für Deutschland, 16. Juni 1855 (Nr. 24), Sp. 384–386. Julian Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Erster Band: Weimar und Jena in den Jahren 1794 bis 1806; Zweiter Band: Das Zeitalter der Restauration; Dritter Band: Die Gegenwart. Zweite, durchaus umgearbeitete, um einen Band vermehrte Aufl. Leipzig 1855. [Julian Schmidt]: Wilhelm Meister im Verhältniß zu unsrer Zeit. In: Die Grenzboten 14 (1855), I. Semester, II. Band, S. 441–455. J[ulian] S[chmidt]: Der neueste englische Roman und das Princip des Realismus. In: Die Grenzboten 15 (1856), II. Semester, IV. Band, S. 466–474. Julian Schmidt: Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert. Dritter Band: Die Gegenwart. Dritte, wesentlich verbesserte Aufl. Leipzig 1856. [Julian Schmidt]: [Rez.] Literaturgeschichte. In: Die Grenzboten 15 (1856), I. Semester, II. Band, S. 201–210. [Julian Schmidt]: Barfüßele, von B. Auerbach und andere neue Romane. In: Die Grenzboten 16 (1857), I. Semester, I. Band, S. 127–134. J[ulian] S[chmidt]: Adalbert Stifter. [Rez. zu:] Der Nachsommer. In: Die Grenzboten 17 (1858), I. Semester, I. Band, S. 161–172. Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod. Vierte, durchweg umgearbeitete und vermehrte Auflage. Dritter Band. Leipzig 1858. Julian Schmidt: Schiller und der Idealismus. In: Die Grenzboten 17 (1858), II. Semester, IV. Band, S. 401–410. J[ulian] S[chmidt]: Neue Romane [Rez. zu: Berthold Auerbach: Joseph im Schnee. Eine Erzählung]. In: Die Grenzboten 19 (1860), II. Semester, IV. Band, S. 481–486.

484 

 Literaturverzeichnis

[Julian Schmidt]: Der Zauberer von Rom. In. Die Grenzboten 20 (1861), II. Semester, IV. Band, S. 241– 248. Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod. Fünfte, durchweg umgearbeitete und vermehrte Auflage. Dritter Band: Die Gegenwart. 1814–1867. Leipzig 1867. Julian Schmidt: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit. [Bd. 1]. Leipzig 1870. Julian Schmidt: Charles Dickens. In: ders.: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit. Bd. 2. Leipzig 1870, S. 1–118. Julian Schmidt: Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit. Neue Folge. Leipzig 1871. Julian Schmidt: Jacob Kaufmann. In: ders.: Neue Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit (Bd. 3 der Reihe). Leipzig 1873, S. 397–402. Julian Schmidt: Gustav Freytag’s Ahnen. In: Preußische Jahrbücher 47 (1881), H. 1, S. 65–98. Julian Schmidt: [Idee und Wirklichkeit]. In: Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Stuttgart 1997, S. 121–124.

2.3 Weitere Quellen und Werke Adorno, Theodor W.: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute. In: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 20,1: Vermischte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.  M. 1986, S. 360– 383. Alberti, C[onrad]: Gustav Freytag. In: Die Gartenlaube 1886, Nr. 29, S. 514. Alberti, Conrad: Gustav Freytag (geb. den 13. Juli 1816). Ein Festblatt zur Feier seines siebzigsten Geburtstages. Leipzig 1886. Alberti, Conrad: Gustav Freytag: Zur siebzigsten Wiederkehr seines Geburtstages (13. Juli 1816). In: Prager Tagblatt, 9. Juli 1886 (Nr. 188), S. 1–3. Améry, Jean: Schlecht klingt das Lied vom braven Mann. Anläßlich der Neuauflage von Gustav Freytags „Soll und Haben“. In: Neue Rundschau 89 (1978), S. 84–93. Andersen, Hans Christian: Herzenskummer. In: ders.: Schräge Märchen. Ausgesucht und aus dem Dänischen übertragen von Heinrich Detering. Mit einem Essay von Michael Maar. München 2003, S. 204–206. Arpe, Verner: Knaurs Schauspielführer. Eine Geschichte des Dramas. München 1976. [Auerbach, Berthold]: An J. E. Braun, vom Verfasser der Schwarzwälder Dorfgeschichten [später als Vorwort zu den Dorfgeschichten unter dem Titel „Vorreden spart Nachreden“]. In: Europa. Chronik der gebildeten Welt 9 (1843), Bd. 4, S. 33–36. Auerbach, Berthold: Schrift und Volk. Grundzüge der volksthümlichen Literatur, angeschlossen an eine Charakteristik J. P. Hebel’s. Leipzig 1846. Auerbach, Berthold: Soll und Haben, Roman in 6 Büchern von Gustav Freytag. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 7. September 1855 (Nr. 250), S. 3994–3996. Auerbach, Berthold: Freytags „Journalisten“. In: ders.: Dramatische Eindrücke. Aus dem Nachlasse. Stuttgart 1893, S. 33–35. Auerbach, Berthold: Brief an die Cotta’sche Buchhandlung vom 25. September 1842, zitiert nach: Anton Bettelheim: Berthold Auerbach. Der Mann – Sein Werk – Sein Nachlaß. Stuttgart/Berlin 1907, S. 128  f. Auerbach, Berthold: Briefe an seinen Freund Jakob Auerbach. Neuedition der Ausgabe von 1884 mit Kommentaren und Indices, hg. von Hans Otto Horch. Teilbd. 2: Briefe 1870–1882. Berlin/München/Boston 2015. Bartels, Adolf: Die Deutsche Dichtung der Gegenwart. Die Alten und die Jungen. Eine litteraturgeschichtliche Studie. Leipzig 1897.

2 Quellen und Werke 

 485

Bayer, Josef: Zur Technik der Dichtkunst. In: Deutsche Dichtung 1 (1886), H. 1 (1. Oktober 1886), S. 26–28. Becher, Johannes R.: Tyrannen-Schmach. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 15: Publizistik I. 1912– 1938, hg. von Ilse Siebert u.  a. Berlin/Weimar 1977, S. 585–590. Benn, Gottfried: Sehr geehrter Herr Senatsrat! (1956). In: ders.: Prosa und Autobiographie in der Fassung der Erstdrucke. Mit einer Einführung hg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt a.  M. 2006, S. 491–493. Beyer, Konrad: Einführung in die Geschichte der deutschen Literatur unter besonderer Berücksichtigung der neuesten Zeit. Langensalza 1905. Biberfeld, Carl: Gustav Freytag. In: Der Osten. Literarische Monatsschrift 33 (1907), H. 7/8, S. 107–114. Biese, Alfred: Deutsche Literaturgeschichte. Bd. 3: Von Hebbel bis zur Gegenwart. 13. Aufl. München 1918. Bleibtreu, Carl: Geschichte der deutschen National-Literatur von Goethes Tode bis zur Gegenwart. Berlin 1912. Bohtz, August Wilhelm: Die Idee des Tragischen. Eine philosophische Abhandlung. Göttingen 1836. Bohtz, August Wilhelm: Ueber das Komische und die Komödie. Ein Beitrag zur Philosophie des Schönen. Göttingen 1844. Borchardt, Rudolf: Rede über Hofmannsthal. In: ders.: Reden, hg. von Marie Luise Borchardt unter Mitarbeit von R. A. Schröder u.  S. Rizzi. Stuttgart 1955, S. 45–103. Brahm, Otto: „Die Journalisten“ von Gustav Freytag [06. 02. 1884]. In: ders.: Theater, Dramatiker, Schauspieler. Berlin 1961, S. 245–246. Brahm, Otto: Gustav Freytag [Deutsche Illustrirte Zeitung, 10. Juli 1886]. In: ders.: Kritische Schriften. Bd. 2: Literarische Persönlichkeiten aus dem neunzehnten Jahrhundert, hg. von Paul Schlenther. Berlin 1915, S. 52–60. Brahm, Otto: Deutsche Lustspieldichter. In: Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirthschaft und Litteratur 6 (1888), 10. November 1888 (Nr. 6), S. 89–90. Brahm, Otto: Theater. In: Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirthschaft und Litteratur 9 (1892), 30. April 1892 (Nr. 31), S. 477–478. [Braun, Karl]: Das allgemeine und geheime Stimmrecht vor dem Reichstage. In: Die Grenzboten 26 (1867), I. Semester, I. Band, S. 445–456. Britting, Georg: Die Journalisten. Lustspiel in vier Akten von Gustav Freytag [1912]. In: ders.: Frühe Werke. Prosa – Dramen – Gedichte. 1920 bis 1930, hg. von Walter Schmitz in Zusammenarbeit mit Hans Ziegler. München 1987, S. 40  f. Busse, Karl: Gustav Freytag zu seinem hundertsten Geburtstag. In: Neue Freie Presse, 14. Juli 1916 (Nr. 18640). Carriere, Moritz: Das Wesen und die Formen der Poesie. Ein Beitrag zur Philosophie des Schönen und der Kunst. Mit literarhistorischen Erläuterungen. Leipzig 1854. Dahn, Felix: Moderne Literatur. Soll und Haben, Roman von Gustav Freitag. In: Beilage zu Nr. 266 der Neuen Münchener Zeitung, 7. November 1855, S. 2731. Deutsch, G[otthard]: Die Juden in Gustav Freytag’s Dichtungen. Zu seinem 70. Geburtstage. In: Allgemeine Zeitung des Judenthums 50 (1886), 24. August 1886 (Nr. 35), S. 547–550. Deutscher Bühnen-Almanach. Deutscher Bühnenspielplan. Mit Unterstützung des Deutschen Bühnenvereins. 1896–1944. Devrient, Eduard: Aus seinen Tagebüchern. Karlsruhe 1852–1870, hg. von Rolf Kabel. Weimar 1964. Die Einführung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen. In: Walter Grab (Hg.): Die Revolution von 1848/49. Eine Dokumentation. Stuttgart 1999, S. 212–218.

486 

 Literaturverzeichnis

[Dilthey, Wilhelm]: Notizen [Rez. zu Julian Schmidts Literaturgeschichte]. In: Preußische Jahrbücher 16 (1865), H. 4, S. 401–403. Dove, Alfred: Ein Bild aus der deutschen Gegenwart. In: Die Gartenlaube 1871, Nr. 25, S. 410–412. Dove, A[lfred]: Gustav Freytag. In: Nord und Süd. Eine deutsche Monatsschrift 10 (1879), S. 260–278. Droysen, [Johann Gustav]: „Kunst und Methode“ (1868/1882). In: Fritz Stern u. Jürgen Osterhammel (Hg.): Moderne Historiker. Klassische Texte von Voltaire bis zur Gegenwart. München 2011, S. 190–198. Droysen, [Johann Gustav]: Paragraphen aus „Grundriß der Historik“ (letzte Druckfassung von 1882). In: Fritz Stern u. Jürgen Osterhammel (Hg.): Moderne Historiker. Klassische Texte von Voltaire bis zur Gegenwart. München 2011, S. 199–200. Eckardt, Julius von: Lebenserinnerungen. 2 Bde. Leipzig 1910. Eichendorff, Joseph von: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands. In: ders.: Werke. Nach den Ausgaben letzter Hand unter Hinzuziehung der Erstdrucke, hg. von Ansgar Hillach. Bd. 3. München 1976. Engel, Eduard: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis in die Gegenwart. Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und die Gegenwart. 4. Aufl. Leipzig 1908. Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg Gotha: Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. 3 Bde. 6. Aufl. Berlin 1889. Ethé, Hermann: Das deutsche Lustspiel der Gegenwart. In: Deutsche Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart 1 (1871), S. 449–460. Fassbinder, Rainer Werner: Gehabtes Sollen – gesolltes Haben. In: Die Zeit, 11. März 1977 (Nr. 12), S. 7  f. Fiedler, Friedrich: Aus der Literatenwelt. Charakterzüge und Urteile. Tagebuch, hg. von Konstantin Asadowski. Göttingen 1996. Fontane, Emilie u. Theodor: Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles. Der Ehebriefwechsel. Bd. 3: 1873– 1898 (Große Brandenburger Ausgabe, 12), hg. von Gotthard Erler unter Mitarbeit von Therese Erler. Berlin 1998. Fontane, Theodor: An Richard Lucae [Widmungsgedicht in einem Exemplar von „Ein Sommer in London“, 1854]. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. I]: Sämtliche Romane, Erzählungen, G ­ edichte, Nachgelassenes. Bd. 6, hg. von Walter Keitel u. Helmuth Nürnberger. München 1964, S. 449. Fontane, Theodor: [Rez.] Soll und Haben. Ein Roman in drei Bänden von Gustav Freytag. In: LiteraturBlatt des Deutschen Kunstblattes 2 (1855), 26. Juli 1855 (Nr. 15), S. 59–63. F[ontane], Th[eodor]: Königliche Schauspiele. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 12. Januar 1871 (Nr. 12), 1. Beilage, S. 4  f. F[ontane], Th[eodor]: Königliche Schauspiele. Sonnabend, den 17. Januar: In Charlottenburg, historisches Schauspiel in 4 Akten von Max Ring. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 20. Januar 1874 (Nr. 16), 2. Beilage. F[ontane], Th[eodor]: [Gustav Freytag: Die Journalisten]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 23. Mai 1886 (Nr. 237), Morgenausgabe, 1. Beilage. F[ontane], Th[eodor]: Residenz-Theater [Theaterkritik zu Henrik Ibsen: Die Wildente. Aufführung vom 21. Oktober 1888 im Residenztheater]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staatsund gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 22. Oktober 1888, Abendausgabe (Nr. 501). F[ontane], Th[eodor]: [Gustav Freytag: Die Journalisten]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 04. November 1888, Morgenausgabe (Nr. 523). F[ontane], Th[eodor]: [Gustav Freytag: Die Journalisten]. In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen [Vossische Zeitung], 13. Oktober 1889, Morgenausgabe (Nr. 479).

2 Quellen und Werke 

 487

Fontane, Theodor: Christian Friedrich Scherenberg. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe. München 1969, S. 579–733. Fontane, Theodor: Die Ahnen. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe. München 1969, S. 308–325. Fontane, Theodor: Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe. München 1969, S. 573–577. Fontane, Theodor: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848. In: ders.: Sämtliche Werke. [Abt. 3]: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen, hg. von Jürgen Kolbe. München 1969, S. 236–260. Fontane, Theodor: Werke, Schriften und Briefe. Abteilung IV: Briefe. Bd. 1: 1833–1860, hg. von Otto Drude u. Helmuth Nürnberger. München 1976. Fontane, Theodor: Werke, Schriften und Briefe. Abteilung IV: Briefe. Bd. 3: 1879–1889, hg. von Otto Drude, Manfred Hellge u. Helmuth Nürnberger unter Mitwirkung von Christian Andree. München 1980. Fontane, Theodor: [Eintrag vom] 27. Februar, Sonntag. In: ders.: Werke, Schriften und Briefe. Abteilung III: Erinnerungen. Ausgewählte Schriften und Kritiken. Bd. 3,2: Tagebücher, hg. von Helmuth Nürnberger. München 1997, S. 1135  f. Fontane, Theodor: Frau Jenny Treibel oder „Wo sich Herz zum Herzen find’t“. (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk, Bd. 14), hg. von Tobias Witt. Berlin 2005. Freytag, Gustav Willibald: Erinnerungen an meinen Vater Gustav Freytag. In: „Aus der Heimat“. Beilage der Kreuzburger Nachrichten, August 1932, S. 153–159. Friedell, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit. Frankfurt a.  M. 2009. Fulda, Ludwig: Gustav Freytag als Dramatiker. In: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart 21 (Januar–März 1896), Bd. 1, S. 69–79. Fulda, Ludwig: Briefwechsel. 1882–1939. Zeugnisse des literarischen Lebens in Deutschland. Teil 1, hg. von Bernhard Gajek u. Wolfgang v. Ungern-Sternberg. Frankfurt a.  M. u.  a. 1988. Geiger, Ludwig: Aus Anlaß eines Nachlaßbandes von Gustav Freytag. In: Allgemeine Zeitung des Judentums 68 (1904), 11. März 1904 (Nr. 11), S. 127  f. M. H. v. Geldern [i.  e. Moritz Hartmann]: Halm’s Sampiero. In: Die Grenzboten 3 (1844), I. Semester, S. 191–196. George, Rich[ard] Jul[ius]: Gustav Freytag. Ein litterarisches Porträt. In: Deutsche Buchhändler-Akademie. Organ für die Gesamt-Interessen des Buchhandels und der ihm verwandten Gewerbe 4 (1887), S. 8–15. [Giseke, Robert]: Bilder aus der neuesten Literatur. Die Journalisten (Lustspiel in vier Acten von Gustav Freytag). In: Novellen-Zeitung 2 (1853), 30. März 1853 (Nr. 13, Nr. 481 der ganzen Reihe), S. 196–201. Giseke, Robert: Carrière. Ein Miniaturbild aus der Gegenwart. Bd. 1. Leipzig 1853. [Giseke, Robert]: Gustav Freitag und „Die Journalisten“. In: Illustrirte Zeitung [Leipzig], Bd. 20, 21. Mai 1853 (Nr. 516), S. 329–330. Giseke, R[obert]: Literaturbericht. „Die Journalisten“. In: Novellen-Zeitung 3 (1854), 7. Juni 1854 (Nr. 23, Nr. 543 der ganzen Reihe), 14. Juni (Nr. 24, Nr. 544 der ganzen Reihe), S. 367, S. 383  f. Giseke, Robert: An Herrn Dr. Friedrich Pletzer, Redacteur des Bremer Sonntagsblattes. Ein offener Brief. In: Novellen-Zeitung. Eine Wochenchronik für Literatur, Kunst, schöne Wissenschaften und Gesellschaft, dritte Folge, 1. Jahrgang (1855) Nr. 35 (29. August 1855), S. 143–144. Giseke, R[obert]: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern von Gustav Freytag. Eine Charakteristik. In: Novellen-Zeitung. Romane, Novellen, Schilderungen. Eine Wochenchronik für Literatur, Kunst, schöne Wissenschaften und Gesellschaft, dritte Folge, 1. Jahrgang (1855), Nr. 20, S. 311–318.

488 

 Literaturverzeichnis

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. In: ders.: Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 9: Autobiographische Schriften I. Textkritisch durchgesehen von Liselotte Blumenthal. Kommentiert von Erich Trunz. 12. Aufl. München 1994. Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. In: ders.: Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 7: Romane und Novellen II, hg. von Erich Trunz. München 1998. Goethe, Johann Wolfgang von; Schiller, Friedrich: Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe in den Jahren 1794 bis 1805. Münchner Ausgabe. Bd. 1, hg. von Manfred Beetz. München 2005. Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. In: Hans-Jürgen Schmitt (Hg.): Die deutsche Literatur in Text und Darstellung. Romantik I. Stuttgart 2005, S. 116–134. Gottschall, Rudolf: Der neue deutsche Roman [1854]. In: Hans-Joachim Ruckhäberle u. Helmuth Widhammer: Roman und Romantheorie des deutschen Realismus. Darstellung und Dokumente. Kronberg i. Ts. 1977, S. 183  f. Gottschall, Rudolph: Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt. 2 Bde. Breslau 1855. Gottschall, Rudolf: Eine neue Dorfgeschichte. In: Blätter für literarische Unterhaltung, 26. Februar 1857 (Nr. 9), S. 153–155. Gottschall, Rudolf: Karl Gutzkow’s „Zauberer von Rom“. In: Blätter für literarische Unterhaltung, 16. Dezember 1858 (Nr. 51), S. 925–933. Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit. Breslau 1858. Gottschall, Rudolf: Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt. 3 Bde. Zweite vermehrte und verbesserte Aufl. Breslau 1860. Gottschall, Rudolf: Das deutsche Theater seit dem Jahre 1850. Die dramatische Dichtung: Lustspiel, Posse und Oper. In: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart. Monatsschrift zum Conversations-Lexikon. Neue Folge, H. 13 (1. Juli 1869), S. 67–76. Gottschall, Rudolf: Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt. Vierter Band. Vierte vermehrte und verbesserte Aufl. Breslau 1875. Gottschall, Rudolf von: Leipziger Stadttheater. In: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung, 12. September 1880 (Nr. 74), S. 441–443. Gottschall, Rudolf von: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit. Band 1. Fünfte durchgesehene und verbesserte Aufl. Breslau 1882. Gottschall, Rudolf von: Die deutsche Nationallitteratur des neunzehnten Jahrhunderts. Litterarhistorisch und kritisch dargestellt. Bd. 4. Sechste vermehrte und verbesserte Aufl. Breslau 1892. Gottschall, Rudolf: Gustav Freytag. In: Die Gartenlaube 1895, Nr. 20, S. 330–334. Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. In: ders.: Schriften zur Literatur, hg. von Horst Steinmetz. Stuttgart 1972, S. 12–196. Gregor, Joseph; Dietrich, Margret; Greisenegger, Wolfgang: Der Schauspielführer. Bd. 1: Das deutsche Schauspiel vom Mittelalter bis zum Expressionismus. Stuttgart 1953. Grillparzer, Franz: Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte, hg. von Peter Frank u. Karl Pörnbacher. Bd. 1: Gedichte, Epigramme, Dramen. München 1960. Grillparzer, Franz; Adolf Foglar: Grillparzer’s Ansichten über Litteratur, Bühne und Leben. Aus Unterredungen mit Adolf Foglar. 2., verm. Aufl. Stuttgart 1891. Gutzkow, Karl: Blasedow und seine Söhne. Komischer Roman. 3 Theile. Stuttgart 1838. Gutzkow, Karl: Der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 9: Säkularbilder I. Vollständig umgearbeitete Ausgabe. Frankfurt a.  M. 1846, S. 15–66. Gutzkow, Karl: Vorrede zu „Wullenweber“ [1848]. In: RuG II, S. 470–471.

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3 Forschungsliteratur 

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Wirschem, Karin: Die Suche des bürgerlichen Individuums nach seiner Bestimmung. Analyse und Begriff des Bildungsromans, erarbeitet am Beispiel von Wilhelm Raabes „Hungerpastor“ und Gustav Freytags „Soll und Haben“. Frankfurt a.  M./Bern/New York 1986. Witkowski, Georg: Das deutsche Drama des neunzehnten Jahrhunderts in seiner Entwicklung dargestellt. 2. Aufl. Leipzig 1906. Wittmann, Reinhard: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880. Tübingen 1982. Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels. 2., durchges.und erw. Aufl. München 1999. Wolf, Siegmund A.: Jiddisches Wörterbuch. Wortschatz des deutschen Grundbestandes der jiddischen (jüdischdeutschen) Sprache mit Leseproben. Hamburg 1993. Worthmann, Joachim: Probleme des Zeitromans. Studien zur Geschichte des deutschen Romans im 19. Jahrhundert. Heidelberg 1974. Wütschke, Hans (Hg.): Hebbel in der zeitgenössischen Kritik. Berlin 1910 (Reprint: Nendeln 1968). Wyrwa, Ulrich: [Art.] ‚Freytag, Gustav‘. In: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, hg. von Wolfgang Benz. Bd. 2/1: Personen: A–K. Berlin/New York 2008, S. 253–255. Zens, Maria: Literaturkritik in der Zeit des Realismus. In: Thomas Anz u. Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München 2004, S. 79–91. Zens, Maria: Noblesse oblige – Kommentare zur Position des Autors im literarischen Feld. Ein Beitrag zu Pierre Bourdieus Kulturtheorie und Wilhelm Raabes Korrespondenz. In: Jochen Strobel (Hg.): Vom Verkehr mit Dichtern und Gespenstern: Figuren der Autorschaft in der Briefkultur. Heidelberg 2006, S. 193–217. Zimmermann, Moshe: Eintritt in die Bürgerlichkeit. Vom Selbstvergleich deutscher mit außereuropäischen Juden im Vormärz. In: Jürgen Kocka (Hg.) unter Mitarbeit von Ute Frevert: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Bd. 2. München 1988, S. 372–391. Zimmermann, Moshe: Das Auswärtige Amt und der Holocaust: In: Johannes Hürter u. Michael Mayer (Hg.): Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur. Berlin u.  a. 2014, S. 165–176. Zuchhold, Hans: Gustav Freytag. Ein Buch von deutschem Leben und Wirken. Breslau 1926.

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Die Technik des Dramas (1863)

Gustav Freytag: Die Technik des Dramas (GW I, 102)

Abb. 2: Gustav Freytag in Die Gartenlaube (1886)

Die Gartenlaube 1886, Nr. 29, S. 501. – Illustration zum Artikel von C[onrad] Alberti: Gustav Freytag. In: ebd., S. 514.

Abb. 3: Gedenkblatt für Gustav Freytag. In: Die Gartenlaube (1895)

Ein Gedenkblatt für Gustav Freytag. Für die „Gartenlaube“ gezeichnet von A[lexander] Zick. In: Die Gartenlaube 1895, Nr. 20, S. 328  f.

Abb. 4: „Gustav Freytags poetische Gestalten huldigen dem Dichter zu seinem siebzigsten Geburtstag. Originalzeichnung von Fritz Gehrke“ (1886)

Schorers Familienblatt. Eine illustrirte Zeitschrift. Salon Ausgabe 1 (1886), H. 12, S. 715.

Abb. 5 u. 6: Theaterzettel der ‚beiden Uraufführungen‘ von Freytags Die Journalisten in Breslau und Karlsruhe

Paul Legband: Gustav Freytags „Journalisten“. Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum. In: Bühne und Welt. Zeitschrift für Theaterwesen, Litteratur und Musik. Amtliches Blatt des „Deutschen Bühnen-Vereins“ 5 (Oktober 1902–März 1903), S. 221–228, hier S. 226 (Breslau), S. 227 (Karlsruhe).

Abb. 7: Theaterzettel der Lagerbühne in Wakefield (Yorkshire), März 1917

http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN749786477 (zuletzt aufgerufen am 01. 03. 2016).

Abb. 8: Zeichnung der Schlüsselszene in der Leipziger Illustrirten Zeitung vom 21. Mai 1853

Illustrirte Zeitung [Leipzig], Bd. 20, 21. Mai 1853 (Nr. 516), S. 329.

Abb. 9: Titelvignette Ludwig Richters zur Ausgabe von 1862

Gustav Freytag: Die Journalisten. Lustspiel in vier Akten. Zweite Aufl. Mit einer Vignette von Ludwig Richter. Leipzig 1862.

Abb. 10: Die Szene II/2 als Illustration zum Drama in der Gustav Freytag-Galerie (1882)

Johann Herterich: Bolz und Piepenbrink [Illustration]. In: Johannes Proelß u. Julius Kiffert (Hg.): Gustav Freytag-Galerie. Nach den Originalgemälden und Cartons der ersten Meister der Neuzeit photographiert in 30 Blättern von Fr. Bruckmann in München. Mit begleitenden Texten von dens. Leipzig 1882, S. 46  f.

Abb. 11: Freytags Die Journalisten als Liebig-Sammelbild von 1897

G. Freytag – Die Journalisten (1897, Serie 357: Deutsche Bühnendichter, Bild 6, Atlasnummer: 01/2219). In: Liebig’s Sammelbilder. Vollständige Ausgabe der Serien 1 bis 1138. Eine Publikation des Max-Planck-Instituts für Geschichte, hg. von Bernhard Jussen auf der Grundlage der Sammlung Hartmut Köberich, Berlin 2002 [2 CD-ROMs].

Abb. 12: Zeitgenössische Karikatur „Die Zeitungs-Politiker“ (1849)

Lithographie, G. Pönicke. Leipzig, 1849. „Die Zeitungs-Politiker“, Bildunterschriften: „Der Ra-

530 

 Abbildungsverzeichnis

dikale / Republikaner“. „Der Liberale / Constitutioneller“. „Der Conservative / Absolut. Monarchist“: ­https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bilderrevolution0159.jpg (zuletzt aufgerufen am 01. 08. 2016). – Ebenfalls zu finden im „Virtuellen Kupferstichkabinett“ der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de?grafik=graph-c-215 (zuletzt aufgerufen am 01. 08. 2016). Abb. 13: Das ‚Grenzboten-Duo‘ Freytag und Schmidt in der zeitgenössischen Karikatur Herbert Königs: „Die literarischen Grenzjäger“ (1853)

Herbert K[önig]: Eine Gallerie von Zeitgenossen: Die literarischen Grenzjäger. In: Europa. Chronik der gebildeten Welt, 29. September 1853 (No. 79), S. 632. – Die Karikatur ist außerdem abgedruckt in: [Herbert König]: Eine Gallerie von Zeitgenossen (1853). [Den Mitgliedern des Berliner Bibliophilen-Abends aus Anlaß der Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens am 15. März 1930 gewidmet]. Berlin 1930, S. 11.

Abb. 14: Zeichnung Ludwig Löfflers zu Freytags Soll und Haben von 1856 aus der Leipziger Illustrirten Zeitung

[Radierung von Ludwig Löffler zu Freytags Soll und Haben]. In: [Leipziger] Illustrirte Zeitung, 19. April 1856 (Nr. 668), S. 273.

Abb. 15: Karl Gutzkow als literarischer Napoleon am Herd, Karikatur „Ritter vom Geist“ (1853) von Herbert König

[Herbert König]: Ritter vom Geist. In: Europa. Chronik der gebildeten Welt, 2. Juni 1853 (No. 45), S. 360. – Die Karikatur ist außerdem abgedruckt in: [Herbert König]: Eine Gallerie von Zeitgenossen (1853). [Den Mitgliedern des Berliner Bibliophilen-Abends aus Anlaß der Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens am 15. März 1930 gewidmet]. Berlin 1930, S. 1.

Abb. 16: Kronprinz Friedrich Wilhelm mit dem Hauptquartier der Dritten Armee auf der Höhe von Donchery während der Schlacht bei Sedan, 1. September 1870. Gemälde von Georg Bleibtreu [1874]

Kronprinz Friedrich Wilhelm mit dem Hauptquartier der Dritten Armee auf der Höhe von Donchery während der Schlacht bei Sedan, 1. September 1870. Gemälde von Georg Bleibtreu [1874]. Abgedruckt in: Hermann Müller-Bohn: Kaiser Friedrich der Gütige. Vaterländisches Ehrenbuch, hg. von Paul Kittel, Berlin 1900, S. 366  f. – Das Bild befindet sich seit Jahrzehnten als Dauerleihgabe des Prinzen Louis Ferdinand aus der Hohenzollernburg Hechingen im Gustav Freytag-Museum in Wangen im Allgäu und wurde dort vom Verfasser mit Zustimmung des Museums aufgenommen. – Zum Bild vgl. GFB 20 (1976), Nr. 36/37 (Dezember 1976), S. 1  f. – Zur Entstehung vgl. außerdem Gerhard Pachnicke: Der Maler und der Dichter. Georg Bleibtreu und seine Briefe an Gustav Freytag. In: GFB 24 (1980), Nr. 41 (Januar 1980), S. 29–36.

Abb. 17: Bildauschnitt (rechts) aus dem Gemälde Georg Bleibtreus. Gustav Freytag als ‚Kriegsberichterstatter‘ Ebd.

Register Achinger, Christine 17, 26, 34, 269, 300, 394, 413 Adorno, Theodor W. 24–25 Alberti, Conrad 4, 8–10, 12, 34, 130, 135, 218, 268–269, 425 Albertsen, Leif Ludwig 275 Alexis, Willibald 333, 338–339, 342, 407 Alker, Ernst 268 Altenhofer, Norbert 46, 48, 62, 68–69 Althaus, Hans Peter 274 Aly, Götz 25 Améry, Jean 415 Andersen, Hans Christian 410 Anderson, Antje S. 297, 336 Andrews, John S. 297 Aner, Kirsten 189 Ariès, Philippe 137 Aristophanes 53–55, 62, 68–70, 73 Aristoteles 45, 327, 332, 353 Arndt, Astrid 300, 324 Arnold, Robert Franz 213, 263 Arntzen, Helmut 48, 57, 110, 126 Arpe, Verner 116 Auerbach, Berthold 23, 90–91, 108, 123–124, 158, 190, 228–230, 232–233, 277, 280, 310–313, 315–320, 384, 407 Auerbach, Erich 413 Auerbach, Jakob 108, 280 Aust, Hugo 49, 52, 67, 81, 92, 97, 288, 290–292, 309, 311, 319 Bachleitner, Norbert 297 Baisch, Martin 467 Balzer, Bernd 38–39, 196, 290, 322, 396 Bardeli, Walter 46, 48, 53, 113 Barkhoff, Jürgen 3 Bartels, Adolf 21, 114, 116–117 Barth, Christa 78, 87, 106, 127, 148, 153–155, 158, 162, 177, 208, 210, 219, 226, 241 Barth, Dieter 363 Barthes, Roland 404, 461 Bartl, Andrea 45 Baßler, Moritz 193, 198 Baudissin, Wolf von 56 Bauerfeind, Günter 146 Bauer, Manuel 21, 382 Bauernfeld, Eduard von 52, 91, 207

Baur, Uwe 349 Bayer, Josef 7 Bayerdörfer, Hans-Peter 46–48, 74, 262, 275 Beaton, Kenneth Bruce 126–127, 160–161, 163, 167, 203, 300, 424 Becher, Johannes R. 25 Becker, Eva D. 343, 353 Becker, Sabina 191, 193, 287–290, 299, 336, 405 Begemann, Christian 322 Behrs, Jan 28, 467 Benckiser, Nikolas 253, 265 Benedix, Roderich 72, 76, 207 Benn, Gottfried 6 Berghaus, Sabine 186 Bernd, Clifford Albrecht 291–292 Bertsch, Johanna 262, 269 Bettelheim, Anton 319 Beutin, Wolfgang 70 Beyer, Konrad 113 Białek, Edward 21–22 Biberfeld, Carl 86 Biese, Alfred 117, 199 Birch-Pfeiffer, Charlotte 370 Biskup, Rafał 7, 21–22, 28–29 Bismarck, Otto von 145, 147, 235, 466, 473 Bleibtreu, Carl 385, 443 Bleibtreu, Georg 457–458 Bliembach, Eva 243 Bloch, Ernst 262 Blühm, Elger 262 Bohtz, August Wilhelm 64–65, 69 Böning, Holger 315 Borchardt, Rudolf 15, 297 Borchmeyer, Dieter 27 Börne, Ludwig 70, 370 Bourdieu, Pierre 36, 40, 287, 289, 292, 294–295, 297, 299, 302–303, 306–307, 316, 346, 353, 356, 358, 361, 363–364, 372, 379, 388, 391, 399–400, 403, 406, 411–412, 415, 418–421, 423, 426, 428, 432–436, 439–440, 442–444, 449 Brahm, Otto 38, 110–111, 117–119, 121, 155, 172, 203 Bräker, Ulrich 456 Brandes, Helga 245 Braun, Karl 143, 149–150

532 

 Register

Bräutigam, Bernd 308, 356 Bräutigam, Kurt 49, 77, 356 Breithaupt, Fritz 20 Britting, Georg 32, 114, 120, 268, 272 Brockhaus, Heinrich 424, 429 Brückner, Annemarie 259 Bucher, Max 75–76, 230, 326 Büchler-Hausschild, Gabriele 18, 288, 335, 350–351, 394 Büchner, Georg 45, 327 Budde, Gunilla 137–138, 145, 152, 189 Burdekin, Hannah 27 Burger, Susan 149 Busse, Karl 11 Bußmann, Walter 19, 143, 199, 462, 472–473 Butzer, Günter 344 Byron, George Gordon (Lord Byron) 418

Dithmar, Otto-Reinhard 46, 60–61, 68 Dohn, Walter 126 Dominik, Emil 339 Dörr, Volker C. 467 Dotzler, Bernhard J. 467 Dove, Alfred 8, 28, 31, 34, 37–38, 121–122, 168, 200 Drewniak, Bogusław 104 Droescher, Georg 19, 45, 78, 96, 100, 129–130, 155, 162, 177, 179, 208–209, 214, 226–227, 267, 269, 276 Droysen, Johann Gustav 253, 454 Duby, Georges 137 Duncker, Max 253 Dyhrn, Alexander Graf 187 Dyhrn, Emilie Gräfin (später Emilie Freytag) 187 Dziedzic, Gabriela 22

Carriere, Moritz 329 Catholy, Eckehard 47, 54, 63 Chateaubriand, François-René Vicomte de 418 Claar, Emil 77, 221 Clark, Christopher 168, 241 Classe, Kurt 19, 141, 158–159 Conter, Claude D. 249, 260, 379 Cooper, James Fenimore 418 Coriolanus, Gnaeus Marcius 160 Cowen, Roy C. 46, 67 Cramer, Carl Gottlob 348

Ebers, Georg 347 Eckardt, Julius von 7, 180, 196, 253 Eckstein, Ernst 120 Eder, Walter 160 Eggers, Friedrich 441 Eggert, Hartmut 19, 459 Egloff, Elise 316 Eichendorff, Joseph von 324, 349 Eicher, Thomas 104–105, 391, 470 Eisele, Ulf 191, 287, 327 Eke, Norbert Otto 39, 70–71, 299, 324, 329 Elsaesser, Thomas 18 Elster, Ernst 264 Engel, Eduard 114 Engelsing, Rolf 234, 262, 314 Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 9–10, 13, 145–147, 199, 253–256, 334, 348, 351, 403 Essen, Gesa von 19 Ester, Karl d’ 115, 207–208, 210, 217, 252, 258, 262, 267 Estermann, Monika 259 Ethé, Hermann 89–90 Ewen, Jens 409

Dahn, Felix 389–390 Dammann, Oswald 8, 19, 142 Danek, Anton 20 Daunicht, Richard 49–50, 127 Delius, Friedrich Christian 470–471 Denkler, Horst 70–71, 275 Deppe, Franz 19 Derlin, Katharina 303 Deupmann, Christoph 300, 324 Deutsch, Gotthard 23, 405 Devrient, Eduard 78, 85, 94, 97, 129, 162, 176, 178, 214, 434, 436–437 Devrient, Hans 129 Dickens, Charles 135, 188, 297–298, 308, 342, 396–397, 406, 409 Dieter, Horst 160 Dietrich, Margret 115, 464 Dietrich, Marie Kunigunde 12 Dilthey, Wilhelm 291, 431

Fassbinder, Rainer Werner 17–18, 405–406 Feest, Franz 464 Feilchenfeldt, Konrad 302, 323 Feindt, Hendrik 17, 461 Fiedler, Friedrich 114 Fischer, Jens Malte 262

Register 

Flaubert, Gustave 289, 399, 406 Fleischer, Karl 22, 87, 251 Fleischer-Mucha, Margret 22, 251 Flügel, Axel 187 Foglar, Adolf 323 Fontane, Emilie 192 Fontane, Theodor 3, 8, 31, 38–39, 60, 120, 135, 192, 197–198, 219–220, 232, 239–240, 245, 267, 287, 289, 297, 307–308, 323, 337, 339, 349, 357–358, 411–412, 415, 421, 430–431, 435, 440–442, 447, 461 Frank, Gustav 410 Franke, Peter Robert 259, 462, 464, 506 Franzos, Karl Emil 15 Frei, Guido 101 Freiligrath, Ferdinand 426 Frenzel, Karl 75 Freud, Sigmund 262 Freund, Winfried 57 Frevert, Ute 140, 186 Freymond, Roland 19, 297, 335 Freytag, Gustav Willibald 12, 17, 21–22, 94, 162, 350 Freytag-Loringhoven, Mathilde Freiin von 104 Friedell, Egon 262, 453 Friedmann, Alfred 120 Friedrich II. (Friedrich der Große), König von Preußen 251, 456 Friedrich III., Deutscher Kaiser 457–458 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 157 Fues, Wolfram Malte 299, 426 Fuhrmann, Horst 453 Fulda, Daniel 453–454, 456 Fulda, Ludwig 112, 114, 120–122, 125–126, 154, 161, 168, 172, 190, 200–201, 232 Gagel, Walter 140, 142–145, 147 Gagern, Friedrich von 257 Galler, Margarete 20 Gall, Lothar 143, 186, 204 Gamper, Michael 69 Gans zu Putlitz, Gustav Heinrich 447 Gebhardt, Walther 13 Geffcken, Heinrich 252, 404 Geibel, Emanuel 438 Geier, Andrea 444 Geiger, Karl 447 Geiger, Ludwig 24 Gelber, Mark H. 274, 413, 418

 533

George, Richard Julius 113–114, 151, 157, 210 George, Stefan 22 Gerecke, Anneliese 269 Gerhard, Ute 186 Giseke, Robert 33, 130, 170, 172–174, 184, 203, 205, 209, 221, 224, 226, 233, 239, 314, 410–411, 437–438, 440 Glücksmann, Heinrich 94, 114, 117, 177, 208 Göbel, Christian 237 Goethe, Johann Wolfgang von 7, 10, 96, 115, 170, 182, 194, 293, 299, 302–305, 321, 329, 349, 352, 359, 374–385, 387, 389, 391, 394, 401, 417–418, 423–424, 450, 455 Gohar, Magda 299 Gold, David L. 261–262, 264 Goldammer, Peter 471 Goldbaum, Wilhelm 210, 219, 236 Goldmann, Bernd 273–274, 281 Gomperz, Theodor 414 Görres, Joseph 351 Gotthelf, Jeremias 310–313, 315–316, 318, 403 Gottschall, Rudolf 4, 13–15, 31, 65–66, 85–86, 92, 122–124, 126, 128, 135, 159, 220, 230–231, 233, 320, 322, 324–325, 327, 340, 354, 357, 367, 370, 384, 387–388, 430, 435–436 Göttsche, Dirk 447, 471 Gottsched, Johann Christoph 47 Götze, Dieter 97 Grab, Walter 140 Grabbe, Christian Dietrich 45, 327 Graevenitz, Gerhart von 343 Grätz, Katharina 411 Grawe, Christian 412 Gregor, Joseph 115 Greiner, Bernhard 45 Greisenegger, Wolfgang 115 Gresky, Wolfgang 146 Gretz, Daniela 344 Grillparzer, Franz 102, 323, 395 Grimm, Herman 7 Grimm, Jacob 6 Grimm, Wilhelm 28 Grothusen, Söhnke 411 Grunert, Mark 391, 407 Grünthal, Günther 147–149, 151–152, 163 Gubser, Martin 19, 263–264, 267, 269, 272, 274, 413 Gummer, Ellis N. 297

534 

 Register

Günter, Manuela 38, 326, 344, 353–354, 460 Gutknecht, Christoph 261–262 Gutzkow, Karl 35, 52–53, 59, 211–212, 226, 230–232, 235, 237, 277, 283, 294, 298, 321, 371, 378–379, 388, 395, 407, 410, 421, 423–431, 433–438, 441–444 Habermas, Jürgen 164, 241, 243 Hackländer, Friedrich Wilhelm 341–342, 380, 382, 407, 409 Hadamczik, Dieter 105 Haessel, Hermann 342–343 Hahl, Werner 308, 310 Hahn, Hans-Werner 27, 146–147, 175, 254, 473 Halm, Friedrich 323 Hamann, Christof 350 Hambrecht, Rainer 254 Hamel, Richard 110, 117, 119, 138, 192, 210, 221, 239 Hammer, Klaus 62 Hammerschmidt, Peter 189 Handrock, Ariane 97 Harden, Maximilian 9, 108, 465–466 Harsdörffer, Georg Philipp 64 Hart, Heinrich 111, 231 Hartmann, Moritz 323 Hartmann, Petra 53 Hasubek, Peter 353, 425 Haug, Christine 426 Hauptmann, Gerhart 45, 449, 465 Hausen, Karin 288 Haym, Rudolf 195–196, 253, 463 Hebbel, Friedrich 45, 67–68, 298, 314, 367–368, 395, 433–434, 469 Hebel, Johann Peter 399, 456 Heckenast, Gustav 346, 397, 405 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 299–302, 304–306, 352, 358, 375, 389, 400, 424 Heilborn, Ernst 32, 38, 219, 232 Hein, Jürgen 47, 62, 191, 306 Heine, Anselma 11 Heine, Heinrich 93, 228, 245, 279, 385 Heinz, Andrea 101 Heller, Robert 353, 384, 397, 399, 416 Helmstetter, Rudolf 36, 343–344 Henkel, Anne-Katrin 243–244 Hensel, Georg 106 Herrmann, Otto 20

Herrmann, Renate 19, 21–22, 142, 144, 185, 197, 225, 247, 249, 252, 254, 257, 350, 362, 463, 473 Herterich, Johann 132 Hertz, Wilhelm 442 Herzmann, Herbert 47, 63 Hettling, Manfred 290 Hettner, Hermann 46, 48, 51–55, 59–64, 66–70, 85, 113 Heuss, Theodor 12 Heynen, Walter 208 Heyse, Paul 112, 438–439 Hillebrand, Bruno 300, 334, 353 Hinck, Walter 56–57 Hinrichs, Carl 252, 404 Hinrichsen, Adolf 31 Hirsch, Franz 7, 9, 15, 84, 110, 119 Hirsch, Moritz Alfred 279 Hirzel, Salomon 13, 15, 20, 101, 116, 208, 256, 336, 433–434 Hitler, Adolf 27 Hnilica, Irmtraud 3, 20, 470 Hoffmann, E.T.A. 357 Hoffmann, Stefan-Ludwig 290 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian  429 Hofmann, Johannes 19, 146 Hohendahl, Peter Uwe 20, 36, 225, 291, 294, 361, 421, 433, 435, 437, 440 Hohenemser, Paul 259 Holl, Karl 79, 95, 116, 172, 199–200, 219 Hölscher, Lucian 243, 249 Holtei, Karl von 73 Holtermann, Martin 47, 53, 58, 68–69 Holz, Claus 19 Hopp, Andrea 263 Hoppe, Marianne 104 Horch, Hans Otto 23, 25, 266, 281 Horkheimer, Max 25 Houben, Heinrich Hubert 135, 155, 423, 430 Hubrich, Peter Heinz 17, 26, 287 Hülsen, Botho von 155–158, 166–167, 178 Hummel, Adrian 435 Hüther, Konrad 3 Ibsen, Henrik 192 Iffland, August Wilhelm 120, 348 Immermann, Karl 306, 319, 356, 370, 378

Register 

Jacobi, Jutta 262 Jacobs, Jürgen 470 Jacobsohn, Siegfried 262 Jaek, Sönke 26 Jäger, Georg 347 Jäger, Hans-Wolf 176, 185, 382 Jammerthal, Peter 104 Jansen, Josef 191, 306 Japp, Uwe 45, 47 Jensen, Uffa 280 Jeßing, Benedikt 299, 301–303 Jeziorkowski, Klaus 4, 464 Joch, Markus 289 Jordan, Max 151 Jordan, Stefan 462 Jückstock-Kießling, Nathali 405, 461 Jurt, Joseph 423 Kafitz, Dieter 127, 404 Kafka, Franz 228 Kaiser, Gerhard 402 Kaiser, Herbert 424 Kaiser, Nancy A. 321 Kämpf, Fritz 20 Kampmann, Elisabeth 110 Kant, Immanuel 194 Kappler, Wilhelm 97 Karlauf, Thomas 22 Karpeles, Gustav 24 Kaschuba, Wolfgang 419 Katzenberger, Paul 107 Kaube, Jürgen 12 Kaufmann, Jacob 252, 263–266, 270–272, 276–277, 280 Kaulfuß, Walter 120, 209 Keller, Gottfried 52, 61–64, 69, 378 Keller, Leo 219 Keppler-Tasaki, Stefan 19, 259 Kern, Berthold 20, 171, 246, 249, 470 Kern, Carl 311, 316–317 Kienzle, Michael 17, 350 Kiffert, Julius 134–135, 141, 181, 204, 236 Kinder, Hermann 20, 38, 175, 289, 291–292, 309, 317, 326, 363, 375, 402 Kindermann, Heinz 91, 105, 115, 126–127 Kipper, Rainer 19 Kirchbach, Wolfgang 289, 308, 324 Kittstein, Ulrich 61 Klaar, Alfred 112

 535

Klages, Ludwig 22 Klein, Julius Leopold 4 Kleinberg, Alfred 9, 11, 113 Kleist, Heinrich von 32, 45, 107, 109–110, 113, 115, 449 Klotz, Volker 63, 74 Kluckohn, Paul 192 Kluge, Friedrich 276 Kneschke, Emil 55, 59, 67, 83, 113, 119, 210, 216, 223, 232, 272, 277 Knopp, Herbert 17–18, 405 Kocka, Jürgen 140, 186, 188, 363 Koebner, Richard 227 Koenig, Robert 101, 122, 168, 174, 181 Kohlschmidt, Werner 49–50, 127 Köhnke, Klaus Christian 335, 350–351, 461 Kohut, Adolph 6, 19, 23, 74, 111, 117, 119–120, 125, 146, 209, 219, 465 Kolatschek, Adolph 438–440 Kolb, Gustav 245 Kompert, Leopold 264–265, 274, 310, 313, 318–320, 322, 333 Konieczny, Hans-Joachim 343 König, Herbert 368–369, 426 Koning, Henk J. 166, 182, 209 Konitzer, Ulrich 26 Kopal, Gustav 288 Kopp, Kristin 17 Köppe, Tilmann 36, 289 Korten, Lars 294, 299, 321, 323–324, 326–328 Kortländer, Bernd 52, 59 Köster, Alex 291–292, 374 Köster, Rudolf 276 Koszyk, Kurt 210, 234–235, 242–243, 245–247, 280 Kotzebue, August von 63, 91 Kowa, Viktor de 104 Kraus, Hans-Christof 473 Kraus, Karl 262 Kraut, Philip 28 Kreißig, Horst 78, 100, 119, 177, 206, 208, 214 Kreyssig, Friedrich 110 Krings, Dorothee 239 Krobb, Florian 383, 471 Kruse, Georg Richard 94–95, 114 Kugler, Franz 441 Kuh, Emil 314, 367, 395, 469 Kühne, Ferdinand Gustav 368 Kühne, Thomas 140, 148

536 

 Register

Kummer, Friedrich 114, 124, 297 Kunkel, Franz 19 Kuranda, Ignaz 362 Kürnberger, Ferdinand 309 Kurnik, Max 87 Kurscheidt, Georg 299 Kurz, Heinrich 119, 218, 234 Laaths, Erwin 20 Lachmann, Karl 462 Lafontaine, August 348 Landau, Johannes 157–158, 168, 214 Lange, Carl Albert 102, 114–115, 133 Lassalle, Ferdinand 374 Laube, Heinrich 52, 58, 85–88, 100, 102, 146, 154–155 Legband, Paul 97, 117–118 Lemcke, Carl 8 Lemcke, Johannes 10 Lemke, Anja 395 Leonhardt, Rudolf Walter 297 Lepel, Bernhard von 239 Lepp, Edwin 12 Leppla, Rupprecht 97, 146, 292, 423 Lessing, Gotthold Ephraim 24, 32, 61, 107, 109, 113–116, 121, 183, 194, 349, 367 Lessing, Theodor 114 Liebert, Gustav 298 Lindau, Hans 12, 73–74, 78–79, 87, 111, 116–117, 146, 208, 233, 254, 256, 263, 268, 335, 388–389, 462 Lindau, Paul 96, 120, 374 Löffler, Ludwig 407, 410 Lohenstein, Daniel Casper von 429 Lohrmann, Heinrich-Friedrich 169, 172, 193 Lonner, Alyssa A. 21, 29, 467, 469 Lorenz, Dagmar 242 Lorm, Hieronymus 443 Low, Alfred D. 280 Löwenthal, Leo 453 Lublinski, Samuel 8, 33, 358, 370, 405, 430, 433, 472 Lucae, Richard 442 Lüdeke, Roger 467 Ludwig, Carl 455 Ludwig, Otto 38, 291, 307–308, 357, 388, 456 Luhmann, Niklas 305 Lukács, Georg 35 Lukas, Wolfgang 193

Lundgreen, Peter 187 Luther, Martin 27 Macher, Heinrich 376 Mahler, Andreas 47 Malß, Karl 51, 73–75, 77, 174 Malthan, Paul 47–48, 52–53, 58–59, 70, 85 Mann, Erika 4 Mann, Klaus 4 Mann, Otto 117 Mann, Thomas 3–4 Manteuffel, Otto 241 Marggraff, Hermann 291, 298, 367, 407, 415, 438 Marshall, James 434 Martersteig, Max 113, 119, 181, 191, 217, 269 Martin-Fugier, Anne 137 Martini, Fritz 49, 61, 109, 127, 171, 181, 183, 191, 195, 230, 300, 362 Martino, Alberto 347 Martus, Steffen 461, 463, 467 Massey, Iriving 23 Mathy, Karl 200, 205, 251, 255 Matoni, Jürgen 20, 266–269, 274 Maurer, Michael 453 Mauthner, Fritz 126, 262, 449 Mayer, Hans 18 Mayer, Philipp 47, 57 Mayrhofer, Otto 169, 423 McInnes, Edward 46, 191, 201, 203, 300, 309, 326–327, 389, 424 Mehring, Franz 15, 108, 267–268 Meier, Albert 303–304, 306, 378 Meissner, Alfred 240, 443 Mell, Max 220, 273 Mellmann, Katja 25, 40, 293, 395, 414 Menzel, Wolfgang 237, 247 Merseburger, Peter 12 Metzger, Franziska 455 Meves, Uwe 28, 463–464 Meyer, Betsy 343 Meyer, Conrad Ferdinand 38, 342–343 Meyer, Reinhart 461 Meyer, Richard M. 125 Meyr, Melchior 325 Michler, Werner 290, 421 Miller, Norbert 309 Mitterwurzer, Friedrich 220 Mitzka, Walther 276

Register 

Mohr, Wolfgang 49–50, 127 Molière 60–61, 72 Molinari, Theodor 214 Mommsen, Theodor 455 Monti, Claudia 290, 364 Mörike, Eduard 8 Moser, Gustav von 120 Müller, Frank Lorenz 138, 243 Müller, Gerhard 97 Müller, Hans-Harald 7 Müller, Leonhard 215, 241 Müller-Samswegen, Emil 76 Müller-Wille, Klaus 66 Müllner, Adolf 12 Mundt, Theodor 302, 323–324, 327–329, 378 Nadler, Josef 21 Nagel, Siegfried Robert 89, 112, 114, 269 Naujoks, Eberhard 362 Nestroy, Johann 76, 207 Neubauer, Hans-Joachim 207, 275 Neugebauer, Ernst Gottlieb 24 Neuhaus, Stefan 444 Neuhuber, Christian 57 Neumann, Thomas 435 Nietzsche, Friedrich 363 Nipperdey, Thomas 24–25, 139, 143–145, 148, 152, 160, 163, 187–188, 197, 200, 211, 224, 234, 242, 251, 402 Nissen, Martin 27, 453 Nordmann, Richard 114, 125 Normann, Karl von 454, 457 Nottscheid, Mirko 7 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 304–305, 376–378, 382 Nürnberger, Helmuth 239, 412 Nusser, Peter 449 Obenaus, Sibylle 347, 362–363 Oesterhelt, Anja 5, 19, 258 Orlowski, Hubert 142 Ort, Claus-Michael 38 Oschmann, Dirk 395 Ossietzky, Carl von 262 Osterhammel, Jürgen 239 Ostertag-Henning, Karl-Ludwig 225, 238, 241, 245, 249–250, 254, 256–257, 350 Ostwald, Paul 20, 142, 146, 254 Otto, Norbert 291–292

 537

Panse, Barbara 104–105 Papiór, Jan 341 Parr, Rolf 223, 234, 237 Paul, Jean (Johann Paul Friedrich Richter) 305, 473 Pazi, Margarita 263, 280 Peist, Hermann 113 Peschken, Bernd 292 Petersen, Jürgen H. 35, 407 Pichler, Caroline 348 Ping, Larry L. 29, 426, 456 Platen, August von 69, 385 Pletzer, Friedrich 373, 437–438, 440 Plötz, Johann von 207 Plumpe, Gerhard 8, 52, 144, 184, 191, 198, 205, 290–292, 299–300, 305, 308–309, 313–314, 321–323, 328, 338, 354, 362, 373, 391, 418, 472 Pluta, Ekkehard 59 Ponick, Reinhard 146 Pönicke, Gustav Adolf 244 Pörzgen, Hermann 102 Posern, Armin 19 Prang, Helmut 51 Preisendanz, Wolfgang 183, 195, 230 Preuß, Helmut 15 Price, Lawrence Marsden 297 Proelß, Johannes 134–135, 141, 181, 204, 236 Prölß, Robert 125, 181, 221, 226 Profitlich, Ulrich 45, 47, 62 Prutz, Robert 39, 52, 54–55, 68–70, 88, 120, 124, 166–167, 169, 186, 211–212, 214–215, 226, 247–250, 252, 260–261, 307–308, 320, 327–329, 349–350, 357, 363, 370, 379, 386–388, 434 Putlitz, Gustav Heinrich Gans zu 79 Raabe, Wilhelm 8, 38, 211, 213, 281, 289, 447, 471–473 Räder, Alwill 83 Rakow, Christian 21, 380, 382 Ranke, Leopold von 234, 454 Rasch, Wolfgang 368, 426–427, 444 Raupach, Ernst 76 Redern, Friedrich Wilhelm von 79 Requate, Jörg 211, 215, 225, 234–235, 237, 240, 242, 247 Rhöse, Franz 300, 365, 389, 400 Richarz, Monika 414

538 

 Register

Richter, Claus 17, 35, 292–293 Richter, Karl 192–193 Richter, Ludwig 132 Richter, Matthias 17, 267, 274–275, 279 Ridley, Hugh 289 Riehl, Wilhelm Heinrich 223, 237 Rischbieter, Henning 104–105 Robbe-Grillet, Alain 379 Robertson, John G. 111 Rochau, August Ludwig von 144, 204–205, 401–402 Rodenberg, Julius 61 Roedder, Alma 19, 130 Rogge, Alma 128, 131, 239 Rohde, Achim 414 Rohde, Erwin 363 Römer, Ludwig 130, 141 Rommel, Marianne 113 Rosen, Julius 120 Rosenberg, Rainer 378 Rosenthal, Friedrich 94–95, 135, 162, 177, 179 Rößler, Constantin 12, 123, 190, 292, 371, 387 Roth, Karl Ludwig 114 Rothfuchs, Eduard 20, 78, 130–131, 134 Rötscher, Heinrich Theodor 57, 60 Ruckhäberle, Hans-Joachim 287, 289, 292, 309, 313, 320 Rudek, Valeska 347 Ruf, Oliver 126, 213, 219 Ruge, Arnold 52, 86, 153, 249, 307, 340 Ruprecht, Hans-George 60 Rürup, Reinhard 187, 197, 402 Rüsing, Hans-Peter 38 Sagarra, Eda 15, 403, 472 Saint-Exupéry, Antoine de 419 Salecker, Hans-Joachim 27, 415 Salomon, Ludwig 6, 39, 83–84, 110, 116, 141, 163–164, 169–170, 181, 203 Sand, George 327 Schäfer, Michael 139, 143–144, 152, 248 Schanze, Helmut 45–46, 48, 70, 96, 100–101, 117, 189, 327, 348–349 Scheible, Hartmut 28, 136, 222–223, 240, 266–267, 269–270, 272, 274, 281, 463 Scheit, Gerhart 273–274 Schelling, Friedrich Wilhelm 146 Schenkel, Joseph 19 Scherer, Stefan 65, 344

Scherer, Wilhelm 6–7, 12, 35, 172, 259, 372 Scherr, Johannes 52 Schiller, Friedrich 10, 102, 110, 120, 140, 194, 229, 303–304, 308, 349, 381, 385, 466 Schimank, Hans 10 Schirmeyer-Klein, Ulla 20, 184–185, 290, 292 Schlegel, Friedrich 298, 304 Schleichl, Sigurd Paul 262 Schlink, Bernhard 25 Schmidt, Arno 4 Schmidt, Erich 11–12, 115, 118, 122, 183, 388–389, 441, 453 Schmidt, Jochen 105 Schmidt, Julian 20, 33, 35–37, 39, 51–52, 56, 60–61, 64, 67–68, 76, 86–87, 90, 93, 100, 117, 123, 135–136, 141, 170–172, 184–185, 191, 194–195, 216, 220, 222, 225–226, 228, 245, 257, 262–263, 269, 272, 275–278, 288, 290–295, 298, 308, 310–313, 315–318, 320–321, 323, 325, 327–328, 330, 333, 337–338, 340–341, 348–349, 352, 354–356, 358, 361–364, 366–368, 370–380, 383–385, 387–389, 394–396, 401–403, 406–407, 409–411, 418, 421, 423–424, 428–433, 435–437, 441–444, 447, 454, 472 Schmidt, Jürgen W. 254 Schmidt, Michael 94 Schmuhl, Hans-Walter 163 Schneider, Franz 211, 243, 249, 259 Schneider, Jost 306, 346 Schneider, Lothar L. 20, 294, 326, 332, 375, 394 Schneider, Michael 18, 21–22, 335 Schneidewin, Max 287 Schnitzler, Arthur 207, 262 Schoenau, Max 32, 113, 345 Schofield, Benedict 29, 78, 126, 143, 169, 187, 335–336, 423 Scholem, Gershom 25 Scholtis, August 106, 119 Scholz, Emilie (i.e. Emilie Gräfin Dyhrn / Emilie Freytag) 187 Schönbach, Anton E. 231 Schöne, Alfred 13 Schönert, Jörg 52, 76, 84, 176, 223, 234, 237, 288, 309, 319, 394, 449 Schönwald, Alfred 113 Schrader, Hans-Jürgen 344

Register 

Schridde, Georg 19, 462 Schrimpf, Hans Joachim 47 Schücking, Levin 424 Schuler, Alfred 22 Schultes, Carl 219 Schültke, Bettina 101, 104–105 Schultze, Johannes 254 Schulz, Andreas 139–140, 188, 279 Schulz, Georg-Michel 47–48, 50 Schulz, Günter 86 Schulze-Reimpell, Werner 105 Schuster, Julius 96 Schütze, Johann Stephan 208 Schwarz, Olaf 471 Schwitzgebel, Helmut 22, 380 Scott, Walter 308, 409, 411, 418 Scribe, Eugène 60–61 Segeberg, Harro 35 Seiler, Friedrich 12, 114, 125, 135, 146, 218, 237 Selbmann, Rolf 302 Sengle, Friedrich 63, 230, 299, 303, 306, 321, 323–324 Shakespeare, William 59, 102, 140 Siegert, Reinhart 315 Siemann, Wolfram 187 Simon, Heinrich 153 Simon, Ralf 227 Sittenfeld, Ludwig 87, 114 Sohns, Jan-Arne 19 Sommer, Paul 95, 267, 269 Speidel, Ludwig 11, 199, 228, 366, 372, 391 Spieldiener, Anette 275 Spielhagen, Friedrich 332, 373–374, 385, 431, 447 Spinoza, Baruch de 194 Sprengel, Peter 27, 457, 459, 473 Stadler, Christian 380, 382, 471 Stahr, Adolf 88, 384, 411 Stauch-von Quitzow, Wolfgang 106–107, 128, 183 Stauffer-Bern, Karl 8 Steiger, Edgar 11 Steinecke, Hartmut 20, 35, 287–290, 293, 302, 362, 435 Steiner, Rudolf 112 Stemmler, Peter 402 Stenzel, Burkhard 21 Stern, Adolf 83, 113, 388, 407 Stifter, Adalbert 38, 346, 379, 395, 397, 405

 539

Stockhorst, Stefanie 61 Stockinger, Claudia 13, 20, 38–39, 84, 108, 114–117, 125, 136, 140, 167, 181–182, 209, 213, 230, 232, 288, 290, 315, 317, 332, 335, 366, 388, 391–392, 407, 461, 467, 470 Stockinger, Ludwig 17, 383, 403, 417 Stöckmann, Ingo 292, 370, 374 Stoffers, Joannes Wilhelmus Henricus 271 Storm, Theodor 8, 38, 332, 380, 439–441, 447 Stosch, Albrecht von 13, 145, 253, 457, 463 Strakosch, Anna 12–13, 23, 253 Streicher, Julius 18 Strobel, Jochen 27, 412 Stronciwilk, Piotr 26, 461 Stucke, Frank 45, 47 Studnitz, Cecilia von 262 Stümcke, Heinrich 97, 108–109, 116, 118, 125, 128, 135, 161, 207, 209–210, 215, 218, 269, 275 Surynt, Izabela 17, 26, 28–29, 252, 455, 462 Süselbeck, Jan 25, 404 Susteck, Sebastian 292, 299, 302, 372 Swales, Martin 322, 404 Sybel, Heinrich von 247, 454 Taillandier, René 319 Tatlock, Lynne 27 Telesko, Werner 366 Teßmer, Hans 207, 209, 239, 245, 262 Tetzlaff, Stefan 193 Thackeray, William Makepeace 308 Theel, Robert 126, 150–151, 247, 250 Thiele, Adolf 19, 264 Thomsen, Hargen 368 Thormann, Michael 185, 288, 290–291, 372 Tichoff, Michael 19 Tieck, Ludwig 67, 73–74, 78, 174–175, 298, 349, 464–465 Treichel, Eckhardt 27 Treitschke, Heinrich von 13, 196, 235, 455 Trilcke, Peer 310, 315, 317, 319 Tromlitz, A. von (August von Witzleben) 348 Tschopp, Silvia Serena 69, 350 Ture von zur Mühlen, Bernt 28–29, 78, 80, 146–147, 153, 187, 211, 254, 269, 291, 335, 347, 457, 464–465 Tute, Hannelore 3

540 

 Register

Uechtritz, Friedrich von 368 Uhde-Bernays, Hermann 12 Uhland, Ludwig 349 Ullmann, Hermann 183 Ulrich, Paul 335, 388 Umgelter, Fritz 106 Varnhagen von Ense, Karl August 383 Velde, Carl Franz van der 348 Victor, Walther 117 Vischer, Friedrich Theodor 52–54, 57, 65–66, 69–70, 169, 305–306, 327, 364, 375, 389, 400–401, 469 Vogel, Ursula 186 Vogt, Michael 384, 396 Voigt, Felix A. 465 Völk, Vera 297 Volkov, Shulamit 279 Vonhoff, Gert 424 Vorberg, Max 111, 181 Voßkamp, Wilhelm 302, 401 Vossler, Frank 102 Vulpius, Christian August 348 Wächter, Leonhard 348 Wacquant, Loı̈c 440 Wagner, Benno 26, 287 Wagner, Meike 53 Wagner, Reinhard 323 Wagner, Richard 23 Walther, Gerhard 155–156 Walzel, Oskar 3, 170 Wartenburg, Karl 120 Weber, Max 12 Weber, Wilhelm Ernst 47 Wedekind, Frank 45 Weerth, Georg 71, 396 Wehler, Hans-Ulrich 25, 201, 211, 234–235, 237–240, 242, 362 Wehl, Feodor 427–428, 430 Weigel, Sigrid 40

Weinhold, Karl 7 Weischenberg, Siegfried 260 Weiß, Jochen 395 Weisstein, Gotthilf 10 Werber, Niels 26 Weser-Bissé, Petra 394 Wexel, Karl 336 Widhammer, Helmuth 20, 76, 230, 287, 289, 292, 299, 309, 311, 313, 318–321, 324, 362 Wild, Bettina 309 Wildhagen, Heinz 114 Wilhelm, Carl 417 Wilhelm I. (Friedrich Wilhelm Ludwig von Preußen), Kaiser von Deutschland/König von Preußen 168, 255 Wilke, Jürgen 234–235, 237–238, 242 Willand, Marcus 40 Windfuhr, Manfred 343 Winko, Simone 36, 289, 411 Wirschem, Karin 18, 383 Witkowski, Georg 210 Witte, Friedrich 245 Wittmann, Reinhard 234, 324, 341, 347–348, 362 Wolf, Friedrich August 462 Wolf, Sigmund A. 276 Wolkenstein, Robert von 107 Wolzogen, Ernst von 112 Worthmann, Joachim 289, 424 Wütschke, Hans 368 Wyrwa, Ulrich 17 Zens, Maria 36, 225, 289–290, 292, 361 Zick, Alexander 13 Zimmermann, Gustav Adolf 88–89 Zimmermann, Moshe 25, 280 Zolling, Theophil 213, 219, 238–239, 251, 371 Zuchhold, Hans 19 Zweig, Stefan 298, 397 Zybura, Marek 28, 252

Dank Die vorliegende Arbeit wurde im Februar 2017 von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen und für den Druck lediglich geringfügig überarbeitet. Mein herzlicher Dank gilt Claudia Stockinger, die dieses Buch von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung betreut, mitgedacht und unterstützt hat. Ihr danke ich zudem für die Förderung, die ich seit Anfang 2007 erfahren habe. Für die Übernahme des Zweitgutachtens und dafür, dass er dieses Projekt beharrlich ermunternd und vertrauensvoll ermutigend begleitet hat, danke ich Heinrich Detering. Den TeilnehmerInnen der Forschungskolloquien von Heinrich Detering und insbesondere von Claudia Stockinger und Simone Winko verdanke ich konstruktiv-kritische Anregungen sowie lehrreiche Diskussionszusammenhänge. Bedanken möchte ich mich überdies bei den Göttinger KollegInnen, Studierenden und InstitutsmitarbeiterInnen, die meinen akademischen Weg in den vergangenen Jahren begleitet und nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht bereichert haben, allen voran bei Karin Peschke und Nele Hoffmann. Denjenigen gegenüber, die das Manuskript vollständig oder teilweise gelesen, mich bei der Suche nach entlegenen Quellen unterstützt oder einfach wertvolle Impulse – und sei es nur in Form weitergeleiteter Scans – geliefert haben, bin ich sehr von Dank erfüllt: Frederik Böttcher, Lea Fricke, Janna Kroh, Katja Mellmann, Nikola Müller, Anja Oesterhelt, Hannah Rieger, Hedda Schoof, Laura Schröder, Peer Trilcke. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Mareike Timm, Debora Helmer, Sandra Wenk und – vor allem für die große Hilfe bei der Vorbereitung der Drucklegung – Susanne Müller. Zu großem Dank verpflichtet bin ich darüber hinaus den Bibliotheken und Archiven, deren Dienste ich für das Dissertationsprojekt in Anspruch genommen habe: dem Goethe- und Schiller-Archiv (Weimar), dem Gustav-Freytag-Museum und -Archiv (Wangen), der Jagiellonischen Bibliothek (Krakau), der Staatsbibliothek zu Berlin, der Landesbibliothek Coburg, der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek sowie der Bibliothek des Seminars für Deutsche Philologie (Göttingen). Die Studienstiftung des deutschen Volkes e.  V. hat mich in wichtigen Phasen meines Studiums sowie während meiner Promotionszeit finanziell und ideell gefördert und mir dadurch zuvor nicht denkbare Ermöglichungsräume geschaffen; dafür bin ich – trotz der in sozialer und struktureller Hinsicht diskussionswürdigen Förderpolitik – sehr dankbar. In Dank verbunden bin ich auch meinen Eltern und Geschwistern, die dieses Projekt mit der gebotenen Distanz und wohlwollender Unterstützung verfolgt haben. Ina Porath gilt mein besonderer Dank.

https://doi.org/10.1515/9783110541779-201