Grundlagen universaler Wissensordnung: Probleme und Möglichkeiten eines universalen Klassifikationssystems des Wissens [Reprint 2010 ed.] 9783111412672, 9783794036233

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Grundlagen universaler Wissensordnung: Probleme und Möglichkeiten eines universalen Klassifikationssystems des Wissens [Reprint 2010 ed.]
 9783111412672, 9783794036233

Table of contents :
Geleitwort
Vorwort
Inhaltsübersicht
English Summary
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Tafeln
1. Allgemeines zur Einführung in den Problemkreis
1.1 Wissensordnung und Weltmodell
1.2 Bedeutung einer allgemeinen Wissensordnung
1.3 Problematik der unternommenen Aufgabe
1.4 Begriffserläuterungen
2. Verwendungsgebiete von Klassifikationssystemen
2.0 Vorbemerkung
2.1 Philosophische Klassifikationen
2.2 Pädagogisch-didaktische Klassifikationen
2.3 Enzyklopädische Klassifikationen
2.4 Wörterklassifikationen und linguistische Thesauri
2.5 Bibliothekarisch-bibliographische Klassifikationen
2.6 Dokumentarisch-informemologische Klassifikationen
2.7 Wissenschafts-, wirtschafts- und verwaltungspolitisch-orientierte Klassifikationen
2.8 Informationssystemorientierte Klassifikationen
3. Ontologische und klassifikationstheoretische Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems
3.0 Vorbemerkungen zum Kapitelinhalt
3.1 Die begriffliche Ebene
3.2 Die Ebene der Sprache
3.3 Die Ebene der Notation
3.4 Inhalte und Strukturformen existierender Universalklassifikationen
3.5 Universalklassifikationen im Vergleich
3.6 Unzulänglichkeiten bestehender Universalklassifikationen
3.7 Aufbau postulate für ein universales Klassifikationssystem
4. Wissenschaftstheoretische Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems
4.0 Vorbemerkungen
4.1 Entwicklung einer Theorie der Wissensgebiete
4.2 Kriterien für die Ermittlung von Wissensgebieten
4.3 Zur Bildung von Wissensgebieten
4.4 Zur Ordnung von Wissensgebieten
5. Informationswissenschaftliche Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems
5.0 Vorbemerkungen zum Kapitelinhalt
5.1 Theoretische Grundlagen informatorischer Aussagen
5.2 Paradigmatische Organisation von Begriffen
5.3 Syntagmatische Organisation von Begriffen zu Aussagen
5.4 Die Darstellung klassifikatorischer Informeme
5.5 Das Klassifikationssystem in der Informem-Vermittlung
6. Vorschläge zum Aufbau eines universalen Klassifikationssystems
6.0 Vorbemerkungen
6.1 Die Superstruktur der fünf Fundamentalkategorien
6.2 Die Klassifizierung der Begriffe der Fundamentalkategorien
6.3 Zur Frage der Begriffsnotation
6.4 Zusammenfassung
7. Ausarbeitungs- und Verwendungsmöglichkeiten des vorgeschlagenen universalen Klassifikationssystems
7.1 Universalität versus anwendungsbezogene Brauchbarkeit
7.2 Darstellungsweise eines universalen Klassifikationssystems
7.3 Das universale Klassifikationssystem im Systemverbund der Informationsbanken
7.4 Mögliche allgemeine Bedeutung eines universalen Klassifikationssystems
7.5 Ergebnisse der Untersuchung
Anhang
Taf. A1–A27
Literaturverzeichnis
Sach- und Namenregister

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IWM

DGD-Schriftenreihe Band 3 Ingetraut Dahlberg

Grundlagen universaler Wissensordnung Probleme und Möglichkeiten eines universalen Klassifikationssystems des Wissens Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation e.V. (DGD) Frankfurt/Main

Verlag Dokumentation Pullach bei München 1974

DK 025.4 DAHLBERG, Ingetraut: Grundlagen universaler Wissensordnung Probleme und Möglichkeiten eines universalen Klassifikationssystems des Wissens Pullach bei München: Verlag Dokumentation 1974. XVIII, 366 S.,

44Taf.,585Qu., DM48,-. = DGD-Schriftenreihe Band 3 Untersuchung über den Gesamtbereich der Klassifikation. Erörterung seiner begrifflichen Grundlagen. Darstellung von acht Verwendungsbereichen von universalen Klassifikationssystemen unter diachronischem Aspekt. Eruierung der ontologischen, wissenschaftstheoretischen und infoimationswissenschaftlichen Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems, dabei klassifikationstheoretische Ergebnisse aus Strukturanalysen der DDC, UDC, LCC, BC, CC und BBK. Empfehlungen zur Anlage und Struktur eines möglichen neuen universalen Systems. (Autor)

Gedruckt mit Genehmigung der Philosophischen Fakultät der Universität Düssseldorf (D 61) ) 1974 by Verlag Dokumentation Säur KG, Pullach bei München Druck/Binden: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in West Germany ISBN 3-7940-3623-9

Geleitwort Kaum ein Bereich hat in Informations- und Dokumentationswissenschaft eine gleich wichtige Funktion, wie der sich auf Begriffe und ihre Relationen in Klassifikationssystemen und Thesauri beziehende Bereich der Ordnung von Sachverhalten, von Wissen. Die Deutsche Gesellschaft für Dokumentation legt daher mit dieser zweiten Monographie (neben D. Soergel: Klassifikationssysteme und Thesauri. 1969) zu Problemen der Klassifikation ein Werk vor, das nicht, wie das vorgenannte, im Sinne von Richtlinien zur Erstellung von Klassifikationssystemen zu verstehen ist, sondern das theoretisierend, beschreibend, analysierend und evaluierend den Gesamtbereich der Klassifikation zu erfassen versucht und dabei in vieler Hinsicht auch in Neuland einbricht. Wenn dabei abschließend Empfehlungen zur Anlage und Struktur eines neuen, universalen Klassifikationssystems vorgelegt werden, das vielerlei Zwecken, vor allem aber auch einer evtl. neuen einheitlichen Klassifikation in Dokumentation und Bibliothekswesen dienen könnte, so hoffen wir, daß darin eine Diskussionsgrundlage für alle interessierten Kreise gesehen wird und daß daraus Anregungen für eine neue Übersicht und Darstellung vorhandener Wissensgebiete gewonnen werden können; denn in allen Bereichen — sei es in Wissenschaft, Wirtschaft oder Verwaltung, sei es in Statistik, Patentwesen und Recht oder sei es in der Forschungs- und Wissenschaftsorganisation — überall wird heute der Ruf nach einer neuen Basis für eine umfassende Ordnung der Wissensgebiete hörbar. Insofern erscheint es uns, als sollte das vorliegende Werk gerade zu diesem Zeitpunkt sicher einen großen Leserkreis finden. Wir möchten daher wünschen, daß dieser Band nicht nur das Verständnis für die anstehenden Probleme der Begriffsordnung vertiefen, sondern auch Initiativen zur Beantwortung der vielfach noch offenen Fragen auslösen möge.

Bonn, im Herbst 1973

^ (Emst Lutterbeck) Präsident der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation

"Wir halten dafür, . . . daß der Systematisierung von Wissen der gleiche wissenschaftliche Rang gebührt, wie der originären Forschung." D. Soergel

Vorwort In den letzten Jahrzehnten hat sich in zunehmendem Maße allgemein ein Unbehagen eingestellt, wenn von „Klassifikation" die Rede war und umso mehr, wenn von „Universalklassifikation" gesprochen wurde; denn eine fortschreitend bessere Einsicht in begriffliche Relationen schuf allenthalben eine kritische Einstellung gegenüber den allzu oft rein pragmatisch festgelegten Klassenordnungen bekannter universaler Klassifikationssysteme. Daneben wurde aber auch erkannt, daß die Aspektvielfalt moderner Wissenschaftsbetrachtung eine Monohierarchisierung und ein Einfügen von Wissenselementen in starre Begriffsordnungen ausschließt. Sollte damit aber „Klassifikation" zu einer unzeitgemäßen Methode degradiert worden sein? Sollte ihr Zweck — Ordnung von Elementen nach gemeinsamen Merkmalen — in der heutigen Zeit nicht mehr gefragt sein? Sollte man heute stattdessen Gegenstände nur noch in ihrer Vereinzelung und in ihren Beziehungen zueinander sehen und ausschließen, daß es darüberhinaus Aspekte gibt, die ihre Zusammenfassung zum Zwecke besserer Übersicht rechtfertigen? Je komplexer sich unsere Welt entwickelt, je mehr sie an Informationen enthält, umso mehr gewinnt die Forderung nach Realisierung von Ordnung an Bedeutung. Eine solche muß jedoch keineswegs eine dynamische Entwicklung ausschließen. Wenn sich nun diese Forderungen nicht widersprechen sollen, dann muß z.B. in jedem Begriffssystem eine Möglichkeit vorgesehen werden, ein heuristisches Prinzip vorhanden sein, das der ständigen Weiterentwicklung des Wissens gerecht wird. Das System muß immer ein offenes sein, wenn es ein lebendiges sein soll. Auch muß es generativ die Bildung immer wieder neuer Subsysteme gestatten und aus diesen die sich im Wandel bewährenden Begriffe in seine eigene Ordnung hereinnehmen können. In der vorliegenden Arbeit wurde gegen die heute herrschende negative Auffassung über klassifikatorische Wissensordnung ein universales Klassifikationssystem des Wissens postuliert und versucht, seine notwendigen Grundlagen zu eruieren. Dies geschah 1. hinsichtlich der Möglichkeit einer begrifflichen Repräsentanz von Wirklichkeit in ihren materialen und formalen Kategorien und unter Berücksichtigung polyhierarchischer Darstellungsweise, 2. mit Bezug auf wissenschaftstheoretische Fragestellungen hinsichtlich der theoretischen Fundierung, Bildung, Abgrenzung und Ordnung von Wissensgebieten, 3. im Hinblick auf die Notwendigkeit und Möglichkeit, die Elemente von Klassifikationssystemen zur Darstellung von Informationen in Aussagen über Sachverhalte verwenden zu können. VI

Es wurde davon ausgegangen, daß der Begriff der Universalität relativ — auf bestimmte Wissensebenen bezogen — verstanden werden kann; denn wir orientieren uns ja auch in Universalenzyklopädien und benutzen Universalbibliographien, ohne dabei vorauszusetzen, daß sie alles enthalten, was es an Einzelheiten gibt. Des weiteren wurde davon ausgegangen, daß sich „Wissen" durch Begriffe darstellen läßt, die in sprachlichen Formen ausgedrückt werden können, wobei auch schon die Kenntnis des Inhalts eines Begriffs - also die Kenntnis seiner Merkmale — „Wissen" bedeutet (Wissen hier im Sinne von „Haben-von-Gewußtem"). Begriffe können demnach als Bausteine oder Elemente von Wissensordnungen angesehen werden. Ihre strukturierte Darstellung fuhrt zu Begriffssystemen; durch ihre Zusammenfassung nach gemeinsamen Merkmalen entstehen darüberhinaus Klassifikationssysteme. Mit der Aufgabe der Grundlageneruierung erfolgte gleichzeitig ein Abstecken des Begriffsbereichs „Klassifikation" und damit ging es auch um eine Grundlegung des darin enthaltenen Wissensgebietes, dessen Grundphänomen der Begriff ist mit seinen Merkmalen sowie deren vielfältigen Beziehungsmöglichkeiten und dessen Methoden im Auffinden von Prinzipien zur systematischen Anordnung von Begriffen/Elementen und im Bestimmen der klassenbildenden Merkmale einer je gegebenen Menge von Begriffen bestehen mit dem Zweck der Herstellung von Begriffsordnungen. Als Anwendungsaufgabe dieses Wissensgebietes kann dann die adäquate Zuordnung von Elementen aller Art zu angelegten Begriffsordnungen bezeichnet werden. Mit dem vorangestellten Soergel-Zitat aus dem Vorwort zu seinem Werk „Dokumentation und Organisation des Wissens" (473) wird an eine Arbeit angeknüpft, die der meinen unmittelbar vorausging. Ihr Anliegen, eine umfassende Rationalisierung geistiger Arbeit zu erreichen mit der besonderen Intention der Erfassung und Verfügbarmachung neuen Wissens als Aufgabe der Dokumentation, kann auch als das Anliegen dieser Untersuchung bezeichnet werden, wenn es hier auch mehr um die Systematisierbarkeit und Systematisierung von Begriffen geht. Rationalisierung im Bereich des Geistigen erscheint uns umso dringlicher als sie uns zu neuen Methoden verhelfen soll, um die Vielfalt der tatsächlichen und möglichen Informationen unserer immer komplizierter werdenden Welt in den Griff zu bekommen. Derzeitig ist nun aber zu beobachten, daß allenthalben, auch in vielen anderen Ländern, Informationssysteme entstehen, die häufig ab ovo mit der Entwicklung ihrer Begriffssysteme beginnen und sich kaum am Vorhandenen orientieren. Es werden in wachsendem Maße speicherbezogene Thesauri entwikkelt und jede Stelle versucht auf andere Weise Informationen aus Publikationen herauszuholen. Die so entstehenden Begriffssysteme sind weder formal noch inhaltlich kompatibel und so können auch die mit ihren Elementen darzustellenden Informationen nicht austauschbar gehandhabt werden. Gleiches gilt auch für den Bereich des Bibliothekswesens. Hier hat z.B. in Deutschland fast jede Bibliothek ein anderes Klassifikationssystem, obwohl es sich doch vielfach um die gleichen Bücher handelt, die dann überall anders geordnet stehen. Die Liste läßt sich beliebig fortsetzen. VII

Die vorliegende Arbeit postuliert daher nicht nur ein mögliches universales Begriffssystem sondern legt auch Empfehlungen für seine mögliche Anlage und Struktur vor. Je objektiver es gesehen werden kann, umso größer wird die Zahl derer sein, die auf der Grundlage dieses Systems ihre anwendungsbezogenen Subsysteme aufbauen werden. Bekanntermaßen partizipiert ja jedes Wissensgebiet am begrifflichen Inhalt anderer Gebiete, seinen häufig so benannten „Rand"oder „Anwendungsgebieten" udgl. Jedes spezielle Begriffssystem muß also auch an einem potentiellen universalen .Begriffssystem partizipieren. Es leuchtet ein, daß entsprechende spezielle Klassifikationssysteme und Thesauri umso kompatibler in ihren Begriffen und Begriffsbeziehungen sein können, je mehr sie selbst Subsysteme eines allgemeinen Systems sind. Es ging daher bei dieser Untersuchung auch um eine Grundlageneruierung einer rationalisierten Erarbeitung begrifflicher Beziehungen, die in einem universalen System objektiver erfaßt werden können und weniger der Pragmatik eines speziellen Systems „zum Opfer fallen". Dies schließt natürlich nicht aus, daß in speziellen Systemen Begriffe aus einem universalen System auch unter den speziellen Gesichtspunkten eines Anwendungsgebietes hierarchisiert werden können. Bei der Weite des Themas dieser Arbeit, das als Ganzes zusammengehalten werden sollte, konnte auf Einzelfragen häufig nicht mit der Ausführlichkeit eingegangen werden, die an sich zu fordern gewesen wäre. Dafür können aber eine Fülle von Ansätzen zu neuen Forschungsarbeiten aufgefunden werden. Die Klassifikationstheorie, vielleicht kann man aber auch sagen, das , junge" Gebiet der Klassifikationswissenschaft, ist noch reich an „unbeackertem Land". Es bedarf dringend systematischer Bearbeitung; denn über die Ansätze hinaus, die hier aufgezeigt wurden, sollte es nun darum gehen, alle relevanten Prinzipien zu identifizieren, sie in Regeln umzusetzen und entsprechende Methoden und Verfahren zu erarbeiten, um Wissen, das sich in Begriffe fassen läßt, adäquat ordnen und zuordnen zu können. Zu danken habe ich für die Überlassung des Themas und für die vielen hilfreichen Diskussionen und Anregungen ganz besonders Herrn Prof. Dr.Dr. A. Diemer, Düsseldorf. Auch danke ich Herrn Prof. Dr. L. Geldsetzer, Düsseldorf, für die .gewährten zahlreichen Hinweise und die so nützliche Kritik. Obwohl nun die Arbeit im letzten Jahr erst entstanden ist, spiegelt sie doch auch Wissen wider, das ich im Laufe von zehn Jahren praktischer und theoretischer Arbeit an Klassifikationsaufgaben erworben habe. So möchte ich auf diesem Wege auch meinen Lehrern aus dieser Zeit danken: Herrn Prof. Dr. Dr. E. Pietsch, Bad Homburg und Herrn Prof. Dr. Dr. R. Pepinsky, Boca Raton, Florida; daneben aber auch den „Mitstreitern", Herrn Prof. J.M. Perreault, Huntsville, Ala., Herrn Prof. Dr. D. Soergel, College Park, Md., Herrn Dr. R. Fugmann, Frankfurt-Hoechst und den Mitarbeitern in den FID-Klassifikationsgremien und dem DGD-Komitee für Klassifikations- und Thesaurusforschung. Schließlich gilt auch noch mein besonderer Dank meinen lieben Eltern und meinem Sohn Wolfgang; ohne ihr Verständnis, das mir Kraft und Ruhe gab, wäre diese Arbeit niemals entstanden. Frankfurt, im Herbst 1973 Ingetraut Dahlberg VIII

Inhaltsübersicht 1. Allgemeines zur Einführung in den Problemkreis

"Wissensordnung und Weltmodell". Bedeutung einer allgemeinen Wissensordnung. Problematik der Aufgabe, Begriffserläuterungen 2. Verwendungsgebiete von Klassifikationssystemen

Jeweils diachronische Darstellung von Klassifikationen aus philosophischer, pädagogisch-didaktischer und enzyklopädie-bezogener Sicht, Wörterklassifikationen und linguistische Thesauri, Klassifikationen für Bibliothekswesen und Dokumentation, für wissenschafts-, wirtschafts- und verwaltungspolitische sowie informationssystemorientierte Übersichten 3. Ontologische und klassifikationstheoretische Grundlagen

Begriffliche Repräsentanz der realen Welt auf konzeptioneller, sprachlicher und notationeller Ebene. Betrachtung und kritische Analyse von Inhalt und Form der sechs Universalklassifikationen DDC, UDC, LCC, BC, CC, BBK. Vergleiche. Unzulänglichkeiten. Aufbaupostulate 4. Wissenschaftstheoretische Grundlagen

Theorie der Wissensgebiete. Ermittlung, Bildung und Ordnung von Wissensgebieten. Vorarbeiten für ein Ordnungssystem der Wissensgebiete durch Sammlung von Benennungen von Wissensgebieten 5. Informationswissenschaftliche Grundlagen

Das Wesen informatorischer und klassifikatorischer Aussagen. Zur paradigmatischen und syntagmatischen Organisation von Begriffen. Klassifikatorische Informeme in der Darstellung. Konkretisierungsgrade und Geltungsmodi von Aussagen 6. Vorschläge zum Aufbau eines universalen Klassifikationssystems

Die "SuperStruktur" der fünf Fundamentalkategorien. Spezifizierungen der Begriffe von Fundamentalkategorien. Vorschläge hinsichtlich einer Begriffsnotation 7. Ausarbeitungs- und Verwendungsmöglichkeiten des vorgeschlagenen universalen Klassifikationssystems

Die "Zwei-Systeme-Theorie der Klassifikation". Teile und Ausgaben des Systems. Seine Verwendung im Systemverbund der Informationsbanken. Seine allgemeine Bedeutung als Orientierungs- und Kommunikationsmittel

English Summary of Fundamentals of universal organization of knowledge.

Problems of and possibilities for a universal classification system of knowledge. The whole area of classification has been comprised in this treatise which also aims at elaborating a foundation of classification as a science, the object of which being the concept and its relations to other concepts and the methods of which consist in the determination of class characteristics of such concepts and in the structuring of them in order to form a system. Chap. 1 contains a discussion of the problems involved in universal classification and an introduction into the main concepts of the treatise with proposals for a new approach to

IX

the meaning of the terms, e.g. "concept", "characteristics", "category"; "class", "classification", "classification system"; "knowledge", "knowledge element", "knowledge field". Their respective definitions are given. Chap. 2 summarizes the history of classification in the following areas: philosophy, education/didactics, encyclopedia-ordering, bibliography and library-science, documentation and information, administration (of research and science, of economy, of civil service, etc.) The need for a (new) universal classification system in each of these areas could be stated. In Chap. 3 it is shown how the formation of concepts can be traced back to Aristotle's "levels of being" (Seinsschichten) and "determination of being" (Seinsbestimmungen). A concept always consists of one or more characteristics (Merkmale); possession of certain characteristics and their combinations renders feasible (ermöglicht) the categorization of concepts. Common possession of characteristics between different concepts enables recognition of relations between them. - Since knowledge on concepts can only be communicated by language, the conversion of conceptual knowledge into communicable knowledge, e.g. into a special terminology, becomes a peat problem. It is facilitated in part by the systematic presentation of terms in a classification system since here most of the characteristics of concepts can be traced or detected, either implicitly by the hierarchy used or explicitly by indication of "characteristics of division". Hence the importance of a notation which mirrors the background conceptual system. The arrangement and structure of six universal classification systems (DDC, UDC, LCC, CC, BC, BBK) have been scrutinized in Chap. 3 also and their respective inadequacies determined. As a result of these insights a number of construction postulates for a new system are formulated. Chap. 4 discusses the science-philosophy (wissenschaftstheoretische) problems involved in determining the criteria for disciplines (Diemer), for knowledge fields and for the conditions for the possible integration of new knowledge into existing knowledge (Storer/Parsons). It is shown that rather formal approaches have been used so far in philosophy for the ordering of knowledge areas and fields (Rochhausen, Weingartner, Feibleman); their value with regard to the arrangement and structure of a new classification system is stressed. In Chap. 5 it is outlined, how a possible new system should be constructed if its elements are to be used to compose informative assertions. Starting from the premise that 'information' takes place only when sentences (assertions, statements, propositions) are involved (the information-contents of a sentence being called its "informem") and not if just single terms without any context-indication are listed, it is concluded that the concepts of a future classification system should be possible elements of sentences and thus be able to function as subject clauses, predicates or categories of the predicate supplements and their respective attributes. In this way proper combinations for the description of document contents or any other application of classification systems can be built up in a formalized way and at the same time such concepts can be treated separately from their combinations and can also be used for information retrieval and similar applications. According to the findings of the preceding chapters, Chap. 6 contains a proposal for the structure and arrangement of a new universal classification system; its application in classing the contents of monographs is shown. Chap. 7 discusses its implications and possible use in various areas and for various needs, especially also as a communication tool between the knowledge of different countries. In conclusion the new findings are summarized in 30 statements. In the Appendix 27 classification tables, having served as examples, are presented. Altogether 581 titles have been cited from the literature.

X

Inhaltsverzeichnis Geleitwort Vorwort Inhaltsübersicht English Summary Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Tafeln 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5 1.4.6 1.4.7

Allgemeines zur Einführung in den Problemkreis Wissensordnung und Weltmodell Bedeutung einer allgemeinen Wissensordnung Problematik der unternommenen Aufgabe Begriffserläuterungen "Merkmale", "Begriffe", "Kategorien" . . . . "Wissen", "Wissenselemente", "Wissensordnung", "Wissensgebiete" "Ordnung" , "Klasse", "Klassifikation" "Relation", "Struktur", "System" "Klassifikationssystem" "Universalität"

2. 2.0 2.1 2.1.0 2.1.1

Verwendungsgebiete von Klassifikationssystemen Vorbemerkung Philosophische Klassifikationen Vorbemerkung Tomierungen philosophischer Klassifikationen a) Dichotomie b) Trichotomie c) Polytomie Gruppierungen von Disziplinen Einteilungsgesichtspunkte Schlußbemerkung Pädagogisch-didaktische Klassifikationen Vorbemerkung Platon's Einfluß auf die "Septem Artes" Enzyklopädien als Lehrstoff-Sammlungen Akademische Lehrgebiete der Neuzeit Enzyklopädische Klassifikationen Vorbemerkung Frühe Sachgliederungen Gliederungen in Mittelalter und Renaissance Gliederungen in Neuzeit und Gegenwart Besonderheiten enzyklopädischer Klassifikationen Wörterklassifikationen und linguistische Thesauri Vorbemerkung Die "Ars Magna" des Raimundus Lullus John Wilkins' System für eine "philosophische Sprache" Roget's Thesaurus und die Fachsprachen Bibliothekarisch-bibliographische Klassifikationen Vorbemerkung Erste Einteilungen nach formalen Gesichtspunkten Einteilungen nach Disziplinen

2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.0 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.0 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4 2.4.0 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5 2.5.0 2.5.1 2.5.2

V VI IX IX XI XVII ·

....

l 3 4 7 10 14 15 21 27 28 30 32 33 34 35 36 37 38 40 40 41 42 43 47 48 49 50 52

.

53 54 57 60 64 65 67

XI

2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.6 2.6.0 2.6.1 2.6.2 2.6.3

2.6.4

2.6.5 2.7 2.7.0 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.7.4 2.8 2.8.0 2.8.1 2.8.2 2.8.3 2.8.4 3. 3.0 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.0 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.0 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4

XII

Präkombinationen und "Standard-Unterteilungen" Buchsignaturen und Notation Zum Umfang von bibliothekarischen Klassifikationen Dokumentarisch-informemologische Klassifikationen Terminologische Vorbemerkung Aufgaben dokumentarisch-inforrnemologischer Klassifikationssysteme . . . . Die "Dokumentationsklassifikation" Dokumentationsthesauri a) Geschichte b) Zwei neuere Modelle: TEST und Thesaurofacet c) Entwicklung zur Dokumentationssprache? Stichwörter/Wortfeld-Methoden a) Der "Permuterm Subject Index" von ISI b) Das Wortfeldverfahren der Düsseldorfer Philosophischen Dokumentation Datenklassifikation Wissenschafts-, wirtschafts- und venvaltungspolitisch-orientierte Klassifikationen Vorbemerkung Zur Entwicklung wissenschaftsorganisatorisch-orientierter Klassifikationen Wirtschaftsorganisatorisch-orientierte Klassifikationen Klassifikationen für die Verwaltung Schlußbemerkung Informationssystemorientierte Klassifikationen Vorbemerkung Formale Einteilungen von Informationssystemen Sachliche Verweisungs-Systeme Organisatorisch-thematische Einteilungen Zusammenfassung Ontologische und klassifikationstheoretische Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems Vorbemerkungen zum Kapitelinhalt Die begriffliche Ebene Ontische Gegebenheiten als materiale Bezugselemente von Klassifikationssystemen Merkmale von Begriffen Beziehungen zwischen Sachbegriffen und Formbegriffen Strukturelemente von Klassifikationssystemen Zusammenfassung der Aussagen zur Begriffsfundierung Die Ebene der Sprache Vorbemerkung Zur Problematik der Benennungen von Sachbegriffen Benennungen von Formbegriffen Übersetzbarkeit von Benennungen Die Ebene der Notation Vorbemerkung Bedeutung der Notation Arten von Notationen Aufgaben der Notation Zusammenfassung

69 71 72 73 74 74 76 76 78 80 83 83 84 85 87 88 91 93 95 96 96 97 98 98

100 101 102 103 105 109 109 111 112 113 115 116 116 117 117

3.4 Inhalte und Strukturformen existierender Universalklassifikationen 3.4.0 Vorbemerkung 3.4.1 Dewey Decimal Classification (DDC) a) Geschichte und Verbreitung b) Struktur, "Hauptklassen" c) Unterteilungen der Hauptklassen d) Die "Hilfsklassen" e) Klassierung von Sachverhalten mit der DDC f) Das Register, "The Relative Index" ' g) Zusammenfassung 3.4.2 Universal Decimal Classification (UDQ a) Geschichte und Verbreitung b) Zur Struktur der UDC, der Ausbau der Hilfsklassen c) Klassieren und Recherchieren mit der UDC d) Neuere Reformbestrebungen e) Die grundsätzlichen Mängel der UDC 0 Schlußbemerkung 3.4.3 Library of Conpess Classification (LCC) a) Geschichte und Verbreitung b) Struktur. Hauptklassen c) Struktur. Unterteilung der Hauptklassen d) Klassieren mit der LCC e) Schlußbemerkung 3.4.4 Bibliographie Classification (Bliss) (BC) a) Geschichte und Verbreitung b) Theoretische Fundierung c) Inhalt und Struktur d) Verwendung zum Klassieren e) Zukünftige Entwicklung f) Zusammenfassung 3.4.5 Colon Classification (CC) a) Theoretische Grundlagen b) Inhalt und Struktur c) Klassieren mit der CC d) Verbreitung und zukünftige Entwicklung der CC 3.4.6 Bibliothekarisch-bibliographische Klassifikation (BBK) a) Geschichte, Entwicklung b) Prinzipien c) Inhalt und Struktur d) Verbreitung und Weiterentwicklung 3.5 Universalklassifikationen im Vergleich 3.5.0 Vorbemerkung .· 3.5.1 Begriffliche Repräsentanz der Klassen a) Hauptklassen b) Unterklassen c) Hüfsklassen d) Zusammenfassung 3.5.2 Anzahl und Art der verwendeten Hauptklassen 3.5.3 Anordnung und Inhalt der Hauptklassen 3.5.4 Verwendete HUfsklassen 3.5.5 Verwendete Zeichen für die Notation 3.5.6 Verwendete Zeichen zur Darstellung von Aussagen 3.5.7 Formale Vergleichbarkeit 3.5.8 Konkordanzen oder Korrelation?

118 119 119 120 124 125 127 128 129 129 129 130 131 132 133 139 140 140 142 144 146 147 148 148 148 150 154 154 155 156 156 160 163 167 168 168 168 170 172 173 174 174 176 177 178 178 179 182 183 184 184 186

XIII

3.6 3.6.0 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.7 3.7.0 3.7.1 3.7.2 3.7.3

Unzulänglichkeiten bestehender Universalklassifikationen Vorbemerkung Mangelnde theoretische Fundierung Unzulänglichkeiten in Inhalt und Form Folgen aus den Unzulänglichkeiten Aufbau postulate für ein universales Klassifikationssystem Vorbemerkung Sachadäquatheit Formadäquatheit Universalität a) Betrachtung von universalem Standpunkt . . . b) Bezug auf alle Wissensgebiete c) Verwendung durch alle Menschen d) Verwendbar in allen Anwendungsbereichen e) Universale Anerkennung 3.7.4 Flexibilität 3.7.5 Kompatibilität 3.7.6 Computerisierbarkeit

4. 4.0 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.2 4.2.0 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.0 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.3.7 4.3.8 4.4 4.4.0 4.4.1 4.4.2 4.4.3 5. 5.0

XIV

187 188 190 191 193 193 194 194 195 195 195 196 196 197 197 198

Wissenschaftstheoretische Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems Vorbemerkungen Entwicklung einer Theorie der Wissensgebiete Ausgangsüberlegungen Wissenschaft als Gesamt von Aussagen Die Gleichgewichtstheorie von Storer/Parsons Eine allgemeine Theorie für einzelne Wissensgebiete Eine allgemeine Theorie für das Gesamt der Wissensgebiete ........ Kriterien für die Ermittlung von Wissensgebieten Vorbemerkung Kriterien sprachlicher Art Kriterien formal-inhaltlicher Art Wissensgebiete und Wissensvermittlung Soziologische Abgrenzungen von Wissensgebieten Zur Bildung von Wissensgebieten Vorbemerkung Geschichtliches Entstehen von Wissensgebieten Gebietsbildungen nach Ranganathan/Neelameghan Die Ergebnisse des Heller-Reports Zur theoretischen Fundierung von Wissensgebieten Zur Bildung von objektbezogenen Wissensgebieten Zur Bildung von prozeßderivierten Wissensgebieten Zur Bildung von phänomenbezogenen Wissensgebieten Eine Sammlung der Benennungen von Wissensgebieten Zur Ordnung von Wissensgebieten Vorbemerkung Die "Einteilung der Wissenschaften" nach Weingartner Beiträge Rochhausens zur Ordnungsproblematik Die Integrationsstufen von Feibleman und die Arbeiten von D. Austin . .

222 222 225 228

Informationswissenschaftliche Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems Vorbemerkungen zum Kapitelinhalt

234

199 200 202 204 205 207 208 208 210 210 211 212 213 214 216 217 218 219 220 220

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.4 5.4.0 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.5

Theoretische Grundlagen informatorischer Aussagen Zur Theorie des Informems Die Besonderheit klassifikatorischer Aussagen Zur begrifflichen Grundlage klassifikatorischer Aussagen Paradigmatische Organisation von Begriffen Die Bedeutung eines eindeutigen Begriffs-Paradigmas Die allgemeine Strukturierung des Systems, seine 'SuperStruktur' Spezielle Strukturierung: Facettierung Thesaurusmethode in der paradigmatischen Organisation Syntagmatische Organisation von Begriffen zu Aussagen Bisherige Methoden des Klassierern 'Links and roles', Operatoren und Relatoren Linguistische Ansätze bei "der Aussagenbildung durch Begriffe "Syntagmatische Relationen" Die Darstellung klassifikatorischer Informeme Vorbemerkung Materiale Metainformeme Formale Metainformeme Konkretisierungsgrade von Informemen Geltungsmodus von Informemen Das Klassifikationssystem in der Informem-Vermittlung

6. 6.0 6.1 6.1.0 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.2 6.2.0 6.2.1

Vorschläge zum Aufbau eines universalen Klassifikationssystems Vorbemerkungen Die Superstruktur der fünf Fundamentalkategorien Ausgangsüberlegungen Die Kategorie der allgemeinen Objektbegriffe Die Kategorie der allgemeinen Formbegriffe Die Kategorien der räum- und zeitbezogenen Begriffe Die Kategorie der GebietsbegriffeDie Klassifizierung der Begriffe der Fundamentalkategorien Vorbemerkung Die Klassifizierung der Gebietsbegriffe

267 267

234 . 235 235 237 237 238 239 241 241 246 248 251 252 252 253 254 255 258 258 259 262 264 264

6.2.2

Die Klassifizierung der Begriffe der Objektbereiche

269

6.3 6.3.0 6.3.1 6.3.2 6.4

Zur Frage der Begriffsnotation Vorbemerkung Eine mögliche Notation für die vorgeschlagene Struktur Kombination von Notationszeichen Zusammenfassung

270 270 271 273

7.

Ausarbeitungs- und Verwendungsmöglichkeiten des vorgeschlagenen universalen Klassifikationssystems Universalität versus anwendungsbezogene Brauchbarkeit Keine "universalen Benutzer"? Temporal-begrenzte Wirklichkeitsrepräsentanz? Die "Zwei-Systeme-Theorie der Klassifikation" Darstellungsweise eines universalen Klassifikationssystems Was geschieht mit den Kombinationsbegriffen? Die Teile eines universalen Klassifikationssystems Die Ausgaben eines universalen Klassifikationssystems

7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3

274 274 275 277 278 279

XV

7.3 7.3.0 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4 7.4.0 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.5 7.5.0 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5 7.5.6

Das universale Klassifikationssystem im Systemverbund der Informatio nsbanken Vorbemerkungen Das universale Klassifikationssystem als Referenzsystem in der maschinellen Informationsvermittlung zwischen zentralen Stellen und Bearbeitungsstellen — - - in der Informationsvermittlung zwischen Bearbeitungs- und zentralen Stellen Mögliche allgemeine Bedeutung eines universalen Klassifikationssystems Vorbemerkungen Allgemeines Orientierungsmittel Allgemeines Kommunikationsmittel Internationale Norm Ergebnisse der Untersuchung Vorbemerkung Ausgangsthesen Thesen zur begrifflichen Fundierung Thesen zur Wissensordnung Thesen zur klassifikatorischen Wissensordnung Thesen zur klassifikatorischen Aussage Thesen zur Funktion eines universalen Klassifikationssystems

279 280 280 281 282 282 285 286 286 287 288 288 288 289 289

Anhang Taf. A1-A27

294

Literaturverzeichnis

325

Sach- und Namenregister

351

XVI

Verzeichnis der Tafeln Tafeln im Text Taf. l Die Ausgangseinteilung der Dewey Decimal Classification (DDC), 1894, 1965 120 Taf. 2 Gegenüberstellung der Einteilung von F. Bacon, W.T. Harris und M. Dewey 12! Taf. 3 DDC, 17. Aufl.; Übersicht über die Einteüungen der 1. und 2. Dezimalen 122 Taf. 4 DDC, 17. Aufl.; Übersicht über die Unterteilungen der Hauptklasse 100 123 Taf. 5 Übersicht über die Erscheinungsdaten der einzelnen Bände der Library of Congress Classification 141 Taf. 6 Die Hauptklassen der LCC 142 Taf. 7 Die Anzahl der Unterklassen pro Hauptklasse LCC 143 Taf. 8 Anzahl der einzelnen Titel in den Beständen der LC nach Hauptklassen (Zählung von Juni 1959) 144 Taf. 9 Synopse der horizontalen Konkretisierung und der vertikalen Entwicklung von Wissensgebieten in der Bibliographie Classification von Bliss (BC) 151 Taf. 10 Abfolge der Hauptklassen der BC 152 Taf. 11 Unterteilungen im Bereich der Geschichte der Philosophie innerhalb der Klasse A der BC 153 Taf. 12 Übersicht über die "Main Classes" der CC 160 Taf. 13 Hauptklasse Geographie in der CC 162 Taf. 14 Erläuterung und Klassierungsbeispiele zur "Main Class" U - Geography, aus Teü l der CC 164 Taf. 15 Die Hauptklassen der BBK 171 Taf. 16 Übersicht A über Reihenfolge und Anzahl der Ausgangsklassen der betrachteten Universalklassifikationen 180 Übersicht B über Art und Anzahl ihrer allgemeinen Hilfskiassen . . . . 181 Taf. 17 Übersicht über einige Formalia der betrachteten Universalklassifikationen 185 Tafeln im Anhang Taf. AI "Enzyklopädie" des Amenemope (1250 v.Chr.) 294 Taf. A2 Gliederung aus "Das Buch des Wissens" von Avicenna (980-1037) . . 295 Taf. A3 Gliederung der Enzyklopädie "Eruditio didascalorum" des Hugo v. St. Victor, 1120 296 Taf. A4 Gliederung der Enzyklopädie des Vincent von Beauvais (1190-1264) 297 Taf. A5 Enzyklopädie "De proprietatibus rerum" des Bartholomäus Anglicus (um 1260), Gliederung 298 Taf. A6 Enzyklopädie "Li livres dou tresor" von Brunetto Latini (1230-1294), Güederung 299 Taf. A7 Erste rein theoretische Gliederung des Wissens im "Panepistemon" des Angelo Poliziano (1491) 300 Taf. A8 Schema zur Unterteilung der Philosophie von Mario Nizolio, in "Ar.tibarbarus philosophicus" 301 Taf. A9 Schema des Juan Huarte (1535-1592) 302 Taf. A10 Einteilung der Wissenschaften von Francis Bacon, 1605 303 Taf. All Güederung der Enzyklopädie des Joh. Heinr. Alsted, Herborn, 1630. . 304

XVII

Taf. A12 Einteilung der "Encyclopaedia pro Didactica Ratichii" (1619) des Wolfgang Ratke Taf. AI 3 Einteüung der Lehrgebiete des Job. Valentin Andreae, 1610 Taf. A14 Einteilung des Wissens im "General Scheme" des Bishop Wilkins, 1668 Taf. AI5 Systematik der "Encyclopedic . . ." von Denis Diderot und Jean d'Alembert, 1751, Paris Taf. AI6 Einteilung der Wissenschaften von W.T. Krug, 1796/97 Taf. A17 Einteilung der Wissenschaften von G.W.F. Hegel, 1817 Taf. A18 Einteilung der Wissenschaften von A. Comte, (1798-1857) Taf. A19 Klassifikation der Wissenschaften von A.-M. Ampfcre, 1834-1843. . . . Taf. A20 Einteilung der Wissenschaften von I.G. de Saint-HUaire (1805-1861). . Taf. A21 Klassifikation der Wissenschaften von H. Spencer (1820-1903) . . . . Taf. A22 Einteilung der Studiengebiete von H. Aiimond, 1963 Taf. A23 Übersicht über die "Relatoren" von J.M. Perreault Taf. A24 Einteilung des Literaturverzeichnisses zum Bertelsmann-Lex ikon in sieben Bänden, Gütersloh, 1966 Taf. A25 System-Raster von A. Diemer, 1971 Taf. A26 Universaler Gesamtverbund eines Informationssystems, A. Diemer, 1971 Taf. A27 Überbück über die Hauptunterteilungen: Dokumentenarten, Dokumentenkunde (I. Dahlberg, 1970)

XVIII

305 306

307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 318 319 322 323

"Ich glaube jedoch, daß es zumindest ein philosophisches Problem gibt, das alle denkenden Menschen interessiert. Es ist das Problem der Kosmologie: das Problem, die Welt zu verstehen - auch uns selbst, die wir ja zu dieser Welt gehören, und unser Wissen." Sir Karl Popper (400, S. XIV)

1.

ALLGEMEINES ZUR EINFÜHRUNG IN DEN PROBLEMKREIS

1.1

Wissensordnung und Weltmodell

Das Problem, die "Welt", also die Gesamtheit der Wirklichkeit in ihrer aktuellen Breite und geschichtlichen Tiefe geistig in den Griff zu bekommen, d.h., ein Gesamtwissen darüber zu erwerben und besitzen zu können, ist ein Anliegen des Menschen seit eh und je gewesen und wird es auch immer bleiben. In vielerlei Zeugnissen läßt sich nachweisen, daß seit den Zeiten, da der Mensch damit begann, über sich zu reflektieren und seine Umgebung bewußt zu gestalten, er dies nach gewissen Ordnungsvorstellungen vornahm. Betrachten wir jedoch, wie jeweils im Verlauf der bekannten Geschichte menschliches Wissen explizit gemacht und geordnet dargestellt worden ist — dies wird in Kap. 2 näher behandelt — so finden sich zwar zahlreiche, deutlich unterscheidbare Ordnungsansätze, zugleich aber die gleichen Inhalte, die sich lediglich im Lauf der Entwicklung stärker differenzieren und durch hinzukommende Wissenselemente vermehren. Aber immer wieder wurde versucht, aufgrund eines neuen Ansatzes durch Ordnung die Vielfalt der Wissenselemente zu bewältigen. Seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. haben es große Denker als ihre Aufgabe angesehen, das Wissen ihrer Zeit geordnet darzustellen oder Wissensordnungen zu entwickeln. Und noch um unsere Jahrhundertwende und später haben Philosophen, wie beispielsweise Vf. Wundt und Vf. Ostwald, P. Oppenheim und P. Tälich sich damit befaßt, sinnvolle Ordnungen und Einteilungen menschlichen Wissens zu finden. Im gegenwärtigen Augenblick wird dagegen vielenorts beklagt, daß der Mensch den Überblick über sein Wissen verloren habe l, daß allenfalls Einzelbereiche noch überschaubar seien und es wird vermutet, daß wegen der vielfachen Überlappung der Wissensbereiche und des zunehmenden Aufkommens von inter- und transdisziplinären Gebieten, eine allgemeine Wissensordnung eine Utopie darstelle. So ist R. Rochhausen2 der Auffassung, daß es "eine Tabelle nicht geben kann". ... "die etwa dem gegenwärtigen Stand der Klassifikationsversuche der Wissenschaften entspricht" (S. 7). Auch implizieren 1 2

So z.B. G. Picht in seinem Vertrag "Enzyklopädie und Bildung", Mannheim 1971. Siehe R. Rochhausen (Hrsg.): Die Klassifikation der Wissenschaften als philosophisches Problem. Berlin 1968.

die kürzlich von St. Kömer veröffentlichten "Categorial Frameworks", daß die Vielzahl der Rahmen oder Gesichtspunkte, unter denen Dinge gesehen werden können, eine intersubjektiv anerkannte, allgemeine Wissensordnung ausschließen müßte3. Schließlich könnte auch noch auf die heutige Überfülle wissenschaftlichen Wissens hingewiesen werden, was allein auf die Tatsache zuriickzuführen ist, daß gegenwärtig mehr als 2 Millionen Menschen in der Forschung tätig sind. Dies aber bedeutet, daß 90% aller Wissenschaftler und Ingenieure, die je gelebt haben, in unserer Zeit leben**. Die durch ihre Publikationstätigkeit hervorgerufene "Informationslawine" durch eine Wissensordnung beherrschen zu wollen, erscheint als eine Unmöglichkeit. Wenn in der vorliegenden Untersuchung der Versuch unternommen wird, die aus der Geschichte übermittelten Erfahrungen zusammenzufassen und die aus den neuesten Ergebnissen begriffs- und klassifikationstheoretischer Forschungsarbeiten sich ergebenden Lehren dahingehend zu konkretisieren, daß Prinzipien für eine mögliche neue Wissensordnung einschließlich eines Entwurfs für die Struktur einer solchen angeboten werden, so geschieht dies mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß jede Anwendung dieser Prinzipien nur zur Verwirklichung eines Modells führen kann, das als hypothetisches System keinen Anspruch auf absolute Gültigkeit erheben soll. Zu der heutigen Weltsicht von der Interdependenz allen Geschehens — und an sie ist unser Denken gebunden — gehört zweifellos auch die Einsicht, daß ein Weltmodell mit Absolutheits- und Allgemeingültigkeitsanspruch nicht existieren kann. Aber da nun einmal ein mögliches polyhierarchisches und polydimensionales Ordnungssystem, das A. Diemer mit einem "facettierten Diamanten oder besser Brillanten" verglich^, zur Darstellung lediglich die Ausmaße des zweidimensionalen Raums zur Verfügung hat, muß über die allgemeine Theorie hinaus, die zur Konzeption eines universalen Ordnungssystems erforderlich ist, eine Darstellung auf solchen Raumgegebenheiten auch Entscheidungen über Vorzugshierarchien, also Fragen der Wertigkeit und des Ranges von Wissensbereichen und -Strukturen einbeziehen. In Entscheidungen dieser Art wird jedoch unweigerlich ein Weltmodell eingehen; dieses Weltmodell aber ist notwendigerweise zeit- und damit entwicklungsbedingt. St. Körner hat dies selbst in seinem Buch nicht gesagt; er erläutert selbst nicht einmal, was er explizit unter "Categorial framework" verstanden haben will. Es ist dies aber der Buchbesprechung von J.W.N.Watkins (543) zu entnehmen, der wie folgt erläutert: "A CF is a psychological structure, a set of underlying intellectual habits and beliefs, which may be investigated, not only by philosophers, linguists and historians of ideas. Of course, an individual need not be explicitly aware of the CF that is silently shaping his explicit thinking." Siehe P. Auger: (Moderne Tendenzen in der wissenschaftlichen Forschung. 1963) Zitiert nach Michajlov/Cemyj/Giljarevskij: Osnovy informatiki. Grundlagen der wissenschaftlichen Dokumentation und Information. Köln 1970. Bd. I, S. 20 Siehe A. Diemer: Klassifikation, Thesaurus und was dann? 1972. (133, S. 57)

Mit dieser Feststellung befinden wir uns in einem Zirkel. Aber sollte wirklich die Einsicht in die Zeitbedingtheit einer Sache ein Hinderungsgrund sein für ihre Ausführung? Sollte man keine Straßen mehr bauen, weil man ja jetzt schon weiß, daß sie in wenigen Jahren nicht mehr ausreichen, erweitert und erneuert werden müssen? Wir möchten uns hier an G. Frege^ halten, der ein gutes Argument dafür lieferte, daß man vor seiner Einsicht in die Vergänglichkeit alles Seienden nicht kapitulieren darf, weil man sonst das überhaupt in dieser Welt zu Verwirklichende, auf dem ja auch zukünftige Geschlechter bauen sollen, nie zur Realisierung bringt: "Man macht sich leicht unnötige Sorgen über die Ausführbarkeit der Sache. Unmöglich, sagt man, kann durch eine Begriffsschrift die Wissenschaft gefördert werden; denn die Erfindung der ersteren setzt die Vollendung der letzteren schon voraus. Ganz dieselbe Scheinschwierigkeit erhebt sich schon bei der Sprache. Diese soll die Entwicklung der Vernunft möglich gemacht haben; aber wie konnte der Mensch die Sprache schaffen ohne Vernunft? Zur Erforschung der Naturgesetze dienen die physikalischen Apparate; diese können nur durch eine fortgeschrittene Technik hervorgebracht werden, welche wieder auf der Kenntnis der Naturgesetze fußt. Der Kreis löst sich in allen Fällen auf dieselbe Weise. Ein Fortschritt in der Physik hat einen solchen in der Technik zur Folge, und dieser macht es möglich, neue Apparate zu bauen, mittels deren wieder die Physik gefördert wird. Die Anwendung auf unseren Fall ergibt sich von selbst."

Wir müssen uns also zu einem Weltmodell bekennen, um überhaupt eine Ausgangsbasis zu finden. Dieses kann nur unserer heutigen Weltsicht entspringen.

1.2

Bedeutung einer allgemeinen Wissensordnung

Viele Wissenschaftler arbeiten heute noch in abgegrenzen Wissensbereichen, die relativ autonom bestehen, wie z.B. Chemie oder Medizin. Wem es nicht darum geht, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Seins- und Wissensbereichen verstehen zu können, wird daher vielleicht fragen, wozu eine allgemeine Wissensordnung, die dazu noch auf unsicheren theoretischen Stützen stehen mag, heute erforderlich wäre. Es läßt sich in der Tat nicht leugnen, daß wissenschaftliches Arbeiten und Forschen auch ohne eine allgemein anerkannte Konzeption von der Ordnung des Wissens möglich ist. Mit dieser Einräumung soll aber einerseits nicht begründet werden, daß ohne Ordnungssystem auch eine bessere geistige Allgemeinorientierung möglich sei; andererseits kann aber die enge Konzeption eines Fachwissenschaftlers in der heutigen Situation eines wachsenden Wissenschaftspluralismus mit fast nicht mehr auszumachenden vielfältigen Verflechtungen nicht als maßgebliche Auffassung angesehen werden. Eine explizite Darstellung aller Wissenselemente in einem verständlichen und einsichtigen System könnte m.E. außer der wesentlichen philosophischen und informativen Aufgabe einer allgemeinen Orientierungsmöglichkeit über vorhandene Siehe G. Frege: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. - Hier: Über die wissenschaftliche Berechtigung einer Begriffsschrift. (185 , S. 97)

und der Bildungsmöglichkeit neuer Wissenselemente vor allem auch vielen praktischen Zwecken nutzbar gemacht werden. Es gibt z.B. derzeitig - keine allgemeine Ordnung der existierenden wissenschaftlichen und sonstigen Lehrgebiete und ihrer Zusammenhänge, - kein allgemein akzeptiertes System für die Ordnung der Wissensgebiete des Inhalts von — Enzyklopädien — Wörterbüchern — Referateorganen - Bibliographien — keine allgemein anerkannten Einteilungen für Verzeichnisse von - Bibliotheken (Spezialbibliotheken, Archive) — Dokumentations- und Informationsstellen — Personen und Gesellschaften - Forschungsinstitute — Materialien, Produkte, Waren, etc. Auch genügen die bestehenden Klassifikationssysteme in Bibliothekswesen und Dokumentation zur Indexierung der Inhalte von Dokumenten schon lange nicht mehr den Anforderungen moderner Informationssysteme (wie in Abschn. 3.4 gezeigt werden wird); entsprechende Ersatzlösungen werden gesucht, aber es sind auch Reformprogramme und -Überlegungen im Gange; neue Konzeptionen liegen jedoch noch nicht vor. Die tatsächliche Bedeutung, die ein allgemein akzeptables Ordnungssystem des Wissens für die moderne Wissenschaftsorganisation und ihre informationswissenschaftlichen Belange haben könnte, wird aus den gegenwärtigen Planungsvorhaben in nationalen Bereichen und im internationalen Geschehen (Unesco, OECD) erkennbar. Der Überblick darüber, wer wo was forscht und lehrt; wer, über welche Fachbereiche öffentlich interessierende Informationssysteme betreibt etc. ist durch die Vielzahl der gegenwärtigen Aktivitäten verloren gegangen und ohne ein allgemeines sachliches Ordnungssystem auch wohl nicht mehr herzustellen. Seine Wünschbarkeit steht daher ebenso außer Zweifel wie sein mutmaßlicher Rationalisierungseffekt. Es muß daher im Interesse einer anwendungsorientierten Wissenschaftswissenschaft liegen, die Wissenschafts- und klassifikationstheoretischen Grundlagen für die Bewältigung dieser Aufgabe zu schaffen.

l .3

Problematik der unternommenen Aufgabe

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht zunächst in der Offenlegung der Fakten, auf denen die Unzulänglichkeiten bisheriger universaler Klassifikationssysteme beruhen, und weiterhin in der Suche nach und Darstellung einer Konzeption für ein neues mögliches universales System, das die bisherigen Schwierigkeiten im

Hinblick auf Begriff und Realisierungsmöglichkeit einer Universalklassifikation überwinden könnte. Zu diesem Zweck wurden die bisherigen Verwendungsmöglichkeiten von Universalklassifikationen in verschiedenen Bereichen diachronisch und synchronisch untersucht und die Ansätze bisheriger Lösungsversuche kritisch bewertet. Mit den so gewonnenen Ergebnissen und einigen neuen Überlegungen im Hinblick auf die ontologischen, wissenschaftstheoretischen und informationswissenschaftlichen Grundlagen wurden Vorschläge für die Planung und den Aufbau eines universalen Klassifikationssystems vorgelegt. Es war unmöglich, die gesamte Literatur zu berücksichtigen, die für die Untersuchung Relevanz besessen hätte; denn neben der an sich schon umfangreichen Philosophie- und begriffsgeschichtlichen Literatur hätten auch fast alle wissenschaftstheoretischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte und die fast nicht mehr übersehbare Menge an linguistischen Publikationen zur Semantik durchgesehen werden müssen. Dagegen wurden die klassifikationstheoretischen Publikationen im Bibliotheks- und Dokumentationsbereich insoweit nach Möglichkeit vollständig einbezogen, als sie für die Zielsetzung wesentlich erschienen. Die somit zum Ausdruck kommende Perspektivität der Literaturselektion war daher durch die Thematik der Arbeit selbst bedingt. Liegt somit einerseits eine Problematik in der subjektiven Behandlung des Themas im Hinblick auf das gestellte Ziel vor, so muß andererseits auch ein Problem in der Aufgabenstellung selbst gesehen werden; es ist mit dem Attribut "universal" verknüpft. In irgendeiner Form in der heutigen übervollen Welt der Ereignisse und des Wissens Universalität anzustreben, muß jedem Einsichtigen sofort als eine Torheit erscheinen. Und doch möchten wir uns in Universal-Enzyklopädie n informieren, möchten in Universal-Biblbiographien nachschlagen, etc. Inwiefern kann der Begriff der Universalität im Hinblick auf eine Wissensordnung aufrecht erhalten werden, ohne daß er sich in eine implizite Kontradiktion verkehrt? Wie muß er eingeschränkt werden, um in unserem Zusammenhang noch sinnvoll verwendet werden zu können? Ist der Zeitverlust zwischen Erstellung und Verwendung einer universalen Wissensordnung überhaupt tragbar oder macht er das ganze Unternehmen sinnlos, wie Fairthorne befürchtet?? Auch ein Lexikon wird dann noch universal genannt, wenn es z.B. die Städte unterhalb einer bestimmten Einwohnergrenzzahl nicht mehr verzeichnet, weil deren Anzahl den Rahmen des Werkes sprengen würde. In einem Klassifikationssystem sind ähnliche Entscheidungen erforderlich. Die inzwischen nun wohl schon zwei Millionen chemischen Verbindungen, die zigtausende von Insektenarten, Vogelarten, Warenarten, sie würden das System "sprengen", wollte man sie aUe aufnehmen. Daneben muß noch ein weiteres Problem gesehen werden: die in der Hierarchie jeweils recht "tiefen" Begriffe, die die meisten Merkmale besitzen, Wir werden in Abschn. 7.1.2 hierauf nochmals zurückkommen und dabei sehen, daß Fairthorne in (159) Wissen als in Sätzen thematisiertes Wissen auffaßt, was natürlicherweise rascher veraltet, als die Begriffe, die ihre Bestandteile bilden.

stehen aufgrund dieses Merkmal" reich turns" mit sehr vielen anderen Begriffen in Relation. Wollte man in einem universalen System alle diese Relationen explizit machen, so könnte das System zu einem solchen "Ungetüm" anwachsen, daß es nach systemtheoretischen Grundsätzen eingehen müßte, wie seinerzeit die zu großen Dinosaurier. Auch in dieser Hinsicht müßten also Grundsätze gefunden werden, die entweder bestimmte hierarchische Stufen nicht mehr zulassen oder aber die Relationsvielfalt der "schweren", bzw. merkmalsüberladenen Begriffe nicht darzustellen gestatten. Bei der Indexierung von Büchern für die British National Bibliography hat man in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, daß man mit einer Anzahl von ca. 17 000 Begriffen schon über eine relativ fixe Begriffssammlung verfugt, mit der Werke aller Wissensbereiche gekennzeichnet werden können. Es gibt zwar immer wieder Buchtitel, die einen (unter mehreren) Begriffen enthalten, der noch nicht erfaßt ist (nicht, weil er völlig neu wäre, sondern weil er bisher noch nicht "auftauchte"), aber in den meisten Fällen handelt es sich jedesmal wieder um neue Kombinationen von bereits erfaßten Einfachbegriffen8. Es läßt sich daraus schließen, daß für die Abstraktionsebene "Buchinhalt", d.h. also die Ebene der Begriffe, mit denen Aussagen über Buchinhalte gemacht werden, mit einer festen Anzahl benötigter Begriffe gerechnet werden kann, und diese Anzahl bedeutete bereits ein universales System im Hinblick auf Bücher. Der Schluß liegt nahe, daß auch für die Ebene der Zeitschriftenaufsätze, die ja wesentlich detailliertere Themen behandeln, eine fixe Zahl existieren müßte, die die "Universalität" dieser Dokumentenart bedeuten würde. Noch detaillierter müßten Patentschriften indexiert werden und einen entsprechend umfängreicheren Begriffsschatz benötigen. So könnte also die Universalität des postulierten Systems jeweils in Abhängigkeit von den Abstraktionsniveaus bestimmter Dokumentenarten gesehen werden — sofern es sich auf solche beziehen muß. Die Überlegungen sollten zeigen, daß der Begriff der Universalität relativiert werden kann und muß. Dies soll allerdings andererseits die mit dem Problem der Erstellung des Systems verbundene Mühe nicht als gering erscheinen lassen. Ungleich den Unternehmen ähnlicher Art in der Geschichte, wird dieses System nicht mehr nur von einem Wissenschaftler aufgebaut werden können. Auch kann es in der heutigen Zeit unterschiedlich intensiver nationaler Aktivitäten auf verschiedenen Wissensgebieten nicht von einem Team erarbeitet werden, das sich aus einem einzigen Land rekrutiert. Aber diese Probleme gehören schon in den Bereich der organisatorischen Fragen, die erst dann thematisiert werden können, wenn das Problem der Realisierungsmöglichkeit und das der hierzu erforderlichen Methodik erkannt und gelöst worden ist. Persönliche Kommunikation von D. Austin, Die zur Indexierung verwendeten Begriffe wurden in ihren Benennungen bisher lediglich erfaßt und thesaurusartig mit anderen Begriffen in Relation gebracht. Die Anzahl 17 000 bezieht sich auf eine Arbeitszeit von 18 Monaten.

l .4

Begriffserläuterungen

Im folgenden soll versucht werden, eine Explikation einiger weniger, für die unternommene Aufgabe als wesentlich erscheinender Begriffe vornehmen, wobei es jedoch zunächst hauptsächlich um diejenigen gehen wird, die bereits allgemein verwendet werden. Die im Laufe der Untersuchung neu eingeführten Begriffe werden dann an ihren jeweiligen Stellen erläutert werden. l.4.l

"Merkmale", "Begriffe", "Kategorien"

Will man in einer allgemeinen Wissensordnung alles das lokalisieren und miteinander in Beziehung setzen können, was es an Dingen, Erfahrungen und Formen in der Welt gibt, so benötigt man für diese eine Vielfalt von "geistigen Stellvertretern", von Einheiten also, die das Gesamt alles dessen, worüber Aussagen gemacht werden können, umfaßt. Das bedeutet, daß dazu nicht nur alle Aussagen über Materielles, Geistiges und das sogenannte "Ideale" gehören, sondern auch jeder nur mögliche "Gegenstand — worüber". Diesen Einheiten, die wir als Begriffe bezeichnen wollen, soll aber mit ihrer möglichen Fixierung selbst kein ontischer Wert im Sinne einer platonisch-husserlschen Ideenauffassung oder eines von K. Poppefi so bezeichneten "Essentialismus" zukommen. Wir betrachten Begriffe daher lediglich als Hilfsmittel der Kommunikation, als "Werkzeuge der Verständigung" über unser Wissen, wenn wir auch diesen Hilfsmitteln insofern eine zentrale Bedeutung zumessen, als wir sie zur Basis unserer Bemühungen und Vorstellungen um ein universales Ordnungssystem des Wissens machen; denn wir sehen in ihnen sowohl die Elemente eines solchen Systems als auch die Elemente, aus und mit denen Aussagen über zu Wissendes gemacht werden können. Nun spielt hier freilich auch das Benennungs- und Bezeichnungsproblem der begrifflichen Einheiten eine nicht zu unterschätzende Rolle\E. Wüster meinte sogar, daß es eine Forderung der Sprachgenauigkeit sei, daß jeder häufige Begriff seine Bezeichnung haben solle 10. Wir werden hier jedoch zunächst von der sprachlichen Ebene absehenl l und uns der Frage zuwenden, wie Begriffe als solche zu verstehen sind; was sind die notwendigen Voraussetzungen dafür, daß ein Begriff zustandekommt? Sofern irgendwelche Aussagegegenstände gegeben sind, über die Prädikationen, also Aussagen^ gemacht werden können, erhalten wir in diesen eine Vielfalt so9 Siehe K. Popper: Der Zauber Platons. Kap. 3: Platons Ideenlehre; auch: Falsche Propheten. Kap. l 10 Siehe E. Wüster: Internationale Sprachnormung in der Technik. 1966, S. 107 11 Diese wird in Abschn. 3.2 behandelt werden 12 In einem allgemeinen Sinne steht Aussage für den ganzen Satz; wir limitieren jedoch hier und im folgenden die Bedeutung von "Aussage" auf "Satzaussage" und verwenden das Wort synonym mit "Prädikation".

genannter Eigenschaften^ oder Prozesse und ihrer notwendigen Ergänzungen. Im Verlauf seiner Entwicklungsgeschichte hat der Mensch zahlreiche Eigenschaften durch Erfahrung und Beobachtung seiner Umwelt kennengelernt und sprachlich festgehalten. Indem er sich nun sprachlich ausdrückt, indem er z.B. Aussagen über ontisch Gegebenes macht, meint er zwar dieses als Subjekt seiner Aussage, doch konstituiert er gerade durch die Aussage über einen Aussagegegenstand einen Teil des Begriffs von diesem. Die Summe aller wahren Aussagen über einen Aussagegegenstand fixiert dann die Eigenschaften, die diesen bestimmen, sodaß man vielleicht sagen kann, die Summe der durch Aussagen gewonnenen Eigenschaften machen den Begriff eines Aussagegegenstandes aus. Oder anders ausgedrückt: Begriffe entstehen durch Synthese aller von Aussagegegenständen durch Aussage "abstrahierten" Eigenschaf ten 14. Nun kann die Anzahl der Eigenschaften, die von einem Gegenstand ausgesagt werden können, unterschiedlich groß sein. Entsprechend variiert dann auch die Anzahl der Merkmale eines Begriffs, wobei als "Merkmale" die "Vertreter von Eigenschaften im abstrakten Begriff bezeichnet werden. Je weniger Merkmale ein Begriffhat, umso geringer ist sein Inhalt, aber umso mehr Begriffe lassen sich auf ihn zurückführen, umso größer ist also sein Umfang. Wir wollen somit festhalten: Ein Begriff ist das Gesamt der möglichen Prädikationen, die über einen Aussagegegenstand gebildet werden können. Im Begriff wird eine mögliche Menge von Merkmalen zu einer Einheit synthetisiert. Kann nun über einen Gegenstand keine "inhaltliche" Aussage mehr gemacht werden, sondern lediglich vielleicht noch formale Aussagen, so heißt dies, daß in der Reihe der Aussagemöglichkeiten ein Endpunkt erreicht ist und daß mit dem Aussagegegenstand bereits sein inhaltliches Merkmal gegeben ist. Wir können dann vielleicht auch sagen, daß die notwendig werdende Aussage über eine "formale" Eigenschaft bedingt, daß Aussagegegenstand und inhaltliches Merkmal identisch sind, was auch bedeuten würde, daß Begriff und Merkmal in einer Einheit zusammentreffen. Damit aber entsteht die Frage, ob sich Merkmale vielleicht auf Begriffe reduzieren lassen, ob sie vielleicht eine Art Elementarbegriffe sein könnten? Diese Frage hätten wir uns vielleicht aber auch schon früher stellen können, denn sofern eine Aussage selbst wieder zum Aussagegegenstand einer weiteren Aussage werden kann, wird ja auch der Inhalt der Aussage einmal zu einem Begriff oder zum Teil eines Begriffs, sofern noch weitere Aussagen möglich sind. Das Problem sieht jedoch schwieriger aus, als es ist; denn wir sagten ja, "Merk13 Der Begriff "Eigenschaften" kann sehr weit gefaßt werden und alles umfassen, was mit "etwas sein" verbunden werden kann. Auch Prozesse lassen sich "in Eigenschaften verwandeln", wenn man beispielsweise die sprachliche Form: "ist ein. .. + Partizip" benutzt. Dies wäre jedoch ein Problem der Ontologie, wir können hier nicht näher darauf eingehen. 14 Es gibt eine deutsche Norm, DIN 2330, die den Begriff expliziert als "eine Denkeinheit, in der Eigenschaften und Zusammenhänge von Gegenständen erfaßt sind". Wir meinen, dieser inhaltlich nicht falschen aber formal doch etwas vagen Auffassung hiermit eine etwas präzisere gegenüberstellen zu können.

male sind die 'Vertreter von Eigenschaften' im Begriff. Eigenschaften 15 können aber ebenfalls Aussagegegenstände sein, von denen gegebenenfalls Aussagen gemacht werden können, aus welchen die Merkmale abgeleitet werden, die dann den entsprechenden Eigenschaftsbegriff konstituieren. Es wird daher ratsam sein, Begriffe auch danach zu unterscheiden, ob sie sich auf einen Aussagegegenstand beziehen, der ein Objekt, eine Eigenschaft, einen Prozeß oder eine Kombination aus diesen bilden 16. Wir wollen also festhalten, daß Merkmale und Begriffe immer dann identisch sein können, wenn ein Begriff nur noch ein inhaltliches Merkmal besitzt, daß aber im übrigen gilt: Merkmale sind Elemente von Begriffen; sie lassen sich von Prädikationen über Aussagegegenstände gewinnen. Mit Bezug auf die Art der Merkmale erscheint es nun jedoch zweckmäßig, zwischen invariablen und variablen Merkmalen von Begriffen zu unterscheiden. Die invariablen Merkmale konstituieren eine Art eines gemeinten Begriffs und sind identisch mit den Prädikationen der sogenannten analytischen Urteile (Kant), da hier Eigenschaften von Gegenständen ausgesagt werden, die im Gegenstand selbst enthalten sind. Die variablen Merkmale können einem Begriff zusätzlich zu den invariablen zukommen; sie sind identisch mit den Prädikationen der synthetischen Urteile (Kant)17, da hier Eigenschaften ausgesagt werden, die einem Gegenstand beliebig zukommen können. Beide Arten von Merkmalen haben klassifikatorischen Charakter, vermögen also Begriffe nach gemeinsamen Merkmalen zu ordnen; die invariablen, häufig morphologischen Merkmale können z.B. allen Begriffen eines Objektbereiches oder seiner Untergliederungen zukommen im Gegensatz zu den variablen. Diese können allgemeinen oder speziellen Charakter haben; sie können innere oder äußerliche, veränderliche Eigenschaften und sogar Herkunfts- oder Funktionscharakteristika von Objekten bezeichnen. Wegen ihres wechselnden Vorkommens müssen sie in einer gegebenen Systematik entsprechend "beweglich" gehandhabt werden können. Können wir nun, wie wir oben sagten — über einen Gegenstand keine inhaltlichen sondern nur mehr noch formale Aussagen machen (etwa von der Art "... ist ein Objekt", ". .. ist eine Eigenschaft", etc.) so bezeichnen wir solche Aussagen als Kategorien. Bei diesem Wort werden wir freilich sofort an die zehn Kategorien des AristoteIesl8 und die zwölf Kant'schen "reinen Verstandesbegriffe" erinnert, die dieser 15 Eigenschaften hier im engen Sinne verstanden 16 Wir werden auf diese Typisierungsmöglichkeit in den Abschn. 3.5.1 b) und 5.1.3 zurückkommen und entsprechende Beispiele bringen. 17 Man könnte zwischen unserer Differenzierung und den beiden Kant'schen Urteilsarten auch eine Parallele ziehen zu den "notwendigen und möglichen Wahrheiten", von denen Leibniz spricht und sogar seine Prinzipien ableitet. 18 In: Aristoteles - Kat. 4, Ib 26 ff; Top. A 9,103 b 22 f werden jeweüs 10 Kategorien als "Arten der Aussagen über das Seiende" genannt; an allen anderen Stellen, z.B. Anal.

in Parallele zu seiner Tafel von zwölf Urteilsformen l9 entwickelte. In beiden Fällen lassen sich die angegebenen Kategorien jedoch nochmals zusammenfassen, so daß entsprechend weitere Aussagen möglich sind und sie nicht als Endbegriffe oder "Stammbegriffe" (Kant) bezeichnet werden können. Dies aber sollte ein Kriterium sein; wir definieren daher: Kategorien sind die letzten Aussagen, die über Aussagegegenstände gebildet werden können und damit die "Oberbegriffe" aller Eigenschafts- und prozeßbezogenen Begriffe. Da Kategorien somit "inhaltlich leere" Begriffe sind, und nurmehr die Form der ausgesagten Sachverhalte bestimmen, können wir auch sagen, Kategorien sind allgemeinste Formbegriffe. Mit dieser Eigenschaft besitzen sie aber den strukturbildenden Charakter, der ein Ordnungsgefüge - wie wir oben sagten — entstehen lassen kann. Auf die Funktion von Kategorien werden wir im Abschn. 3.1 und auf ihre Darstellbarkeit in Abschn. 6.1.2 zurückkommen, wobei allerdings ihre Darstellung selbst noch völlig offen steht.

l .4.2

"Wissen", "Wissenselemente", "Wissensordnung", "Wissensgebiete"

In dem Wort "Wissen" liegt ein Verbalsubstantiv vor, das bereits in sich die Bedeutung eines Aktes, einer Tätigkeit einschließt (was sein französisches Äquivalent (le savoir, la science) und auch sein englisches (knowledge) nicht enthältst). Es bezeichnet darüber hinaus aber auch etwas, das man als eine Menge betrachten kann und schließlich können diese beiden Bedeutungen in eine dritte eingehen, indem Tätigkeit und Bezug der Tätigkeit auf eine bestimmte Menge in Interaktion stehen. Wir unterscheiden daher: 1. den Wissensakt, also den psychologischen Vorgang des Bewußtwerdens; das Erfassen, Erkennen, Begreifen; dies wird auch "noetischer Wissensbegriff' genannt, 2. das Gewußte als Ergebnis des Wissensaktes, also das Ge- und Bewußtgewordene, was man auch den "noematischen Wissensbegriff" nennt21 und 3. das Haben von Gewußtem als aktiver Habitus, als agierendes Bewußtsein durch ständiges Beziehen von neuem oder vorhandenem Gewußten auf gespeichertes Gewußtes. Forts. Fußnote 18 post. A 22, 83a 21ff, b 15 ff werden unter Fortfall von "Sich befinden" und "Haben" nur jeweils die restlichen acht genannt. Siehe auch Überweg, Bd. I, S. 376-377 und unseren Abschnitt 3.1.1 19 Siehe I. Kant: Kritik der reinen Vernunft (264, S. 110 - Tafel der Urteilsformen, S. 118 Tafel der Kategorien). 20 Daraufhatte A. Diemer in (130, S. 1) aufmerksam gemacht 21 Siehe hierzu A. Diemer (118, Bd. I, S. 474)

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Im letzteren Sinne wurde "Wissen" durch "Wissenschaft haben" seit dem Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein als Ausdruck persönlichen Wissensbesitzes benutzt22. Das Haben von Wissen und seine bewußte Aktivierung fuhrt auch zu den Wissensformen, wie z.B. Bildungswissen, Leistungswissen, Heilswissen23 oder zu solchen Differenzierungen von "faktischem", "deontischem", "instrumentellem" und "erklärendem Wissen", wie W. Kunz und//. Rittel sie vorgeschlagen haben24. In der Wirtschaft wird heute häufig mit dem Begriff "Entscheidungswissen" operiert. Es scheint jedoch, daß diese letztere Art von Wissen nur dann zu objektivieren ist, wenn sie auf einen darstellbaren Bereich von Gegebenheiten bezogen werden kann. Für unsere Betrachtung spielt sie in diesem Zusammenhang keine Rolle. Auch die unter 1. genannte Wissensbedeutung braucht uns im Zusammenhang mit einer Wissensordnung nicht zu interessieren, da wir nicht so sehr am Wissensprozeß in der Wissensperzeption interessiert sind — dieser hat eher Relevanz für den Informationsprozeß und wurde in diesem Zusammenhang auch von G. WerSig25 in Anlehnung an die Schaltstruktur "Kybiak"26 (Stachowiak) im einzelnen beschrieben — als am Ergebnis dieses Prozesses. Uns geht es hier um den sog. noematischen Wissensbegriff, um Wissen als Gewußtes, das wir in seiner Vereinzelung als Wissenselement bezeichnen wollen. Was aber ist unter einem Wissenselement zu verstehen? Ein Gewußtes setzt immer etwas voraus, worüber etwas gewußt werden kann und was darüber gewußt wird; es setzt also ein Urteil voraus, d.h. einen Satz von der Art: A ist B. Sofern dieser Satz wahr ist, sprechen wir von einem Wissenselement. Die Urteile oder Aussagen, die zur Bildung von Begriffen führen, sind also Wissenselemente, Noema. Folgende Urteile bilden beispielsweise Wissenselemente: a) Die Waage ist ein Meßinstrument b) Diese Waage ist eine Briefwaage c) Diese Briefwaage besitzt ein Metallgehäuse

(Wesen) (Funktion) (variables Merkmal)

22 Vergl. W. Bumann (63, S. 73) 23 So M. Scheler: Die Wissensformen und die Gesellschaft. Leipzig 1926. 24 Siehe W. Kunz, H. Rittel in (290, S. 37). Shera diskutierte in (466, S. 16-17) weitere Wissensformen. Wir unterscheiden in Abschn. 4.2.3 zwischen Objektwissen, Methoden und Verfahrenswissen, sowie Zielwissen. 25 Siehe G. Wersig: Information - Dokumentation - Kommunikation (560, S. 56-) 26 H. Stachowiak: Denken und Erkennen im kybernetischen Modell (480, S. 88) weist aufgrund der Möglichkeiten von "Lernenden" Automaten im Zusammenhang mit entsprechenden "Superprogrammen" auf Analogien zu menschlichen Denkoperationen hin. 11

Man kann diese Wissenselemente nun auch in folgender Weise als eine Stufenordnung oder Leiter darstellen, wobei die vorher nicht explizit gemachten bestimmenden Merkmale nun in Klammem hinzugefügt werden: 1 Meßinstrument (zum Wiegen) 2 Waage (Arten v. Waagen nach Funktion) 3 Briefwaage (Gestaltung) 4 Metallgehäuse

f -, J l r" J j > J

a) b) c)

Mit jeder der angegebenen 4 Stufen wird eine Reihe für weitere UnterteilungsMöglichkeiten (von Instrumenten, Meßinstrumenten, Arten von Waagen, Briefwaagen nach ihrer Gestaltung, etc.) eröffnet. Die genannten Wissenselemente a), b) und c) können demnach sowohl miteinander als auch in Bezug auf mögliche andere Wissenselemente in einen Zusammenhang gebracht werden. Eine allgemeine Begriffsordnung, deren Begriffe durch Wissenselemente auf diese oder ähnliche Art explizit gemacht werden, kann als eine Wissensordnung bezeichnet werden; denn sie vermittelt zumindest das Wissen über die Inhalte der Begriffe und bildet damit die Voraussetzung dafür, daß diese Begriffe in Urteilen und Sätzen "höherer Art" zu Aussageverknüpfungen herangezogen werden können. Allerdings können die sich daraus ergebenden wissenschaftlichen Sätze nicht mehr Elemente einer "Begriffs-Wissensordnung" sein, da ihre mögliche Vielfalt jeden Rahmen eines überschaubaren Ordnungssystems sprengen würde. Der Begriff "Wissensordnung" läßt sich aber auch funktionsorientiert bestimmen; danach kann Wissensordnung als ein Gesamt von Begriffen aufgefaßt werden, die zur Ordnung alles möglichen Wissens dienen können. Wir haben in unseren Beispielen bisher nur relativ einfache Urteile gezeigt, die Wissenselemente bilden und dabei mögliche Prädikatsergänzungen, wie z.B. Aussagen über Bedingungen, Ursachen, Mittel, etc., die ebenfalls zum Inhalt eines Begriffs gehören können, außer acht gelassen. Der Begriff der "Luftdichte" impliziert z.B. eine Abhängigkeit von Temperatur, Feuchtigkeit und Druck der atmosphärischen Luft. Sein Begriffsinhalt muß daher durch Urteile beschrieben werden, die diese Abhängigkeiten in Aussageergänzungen berücksichtigen. Wir werden jedoch in Kap. 5 auf diesen Problemkreis näher eingehen, da es dort im Zusammenhang mit der Darstellung von Aussagen über Dokumenteninhalte vor allem auch um die Probleme der syntagmatischen Organisation gehen wird, die hier ja "innerbegrifflich" in entsprechender Weise vorhanden wären. Zusammenfassend wollen wir nun festhalten: Wissenselemente sind Aussagen / Urteile, die in Begriffen enthalten sein können. Oder umgekehrt: jede wahre Aussage / Urteil über einen Gegenstand statuiert ein Wissenselement. 12

Sofern solche innerbegrifflichen Aussagen / Urteile explizit gemacht werden können, ist es möglich, Aussagegegenstände, Aussagen und Aussageergänzungen dieser Urteile miteinander in Beziehung zu bringen und aufgrund dieser Beziehungen ein Begriffssystem zu erstellen. Wie sind nun aber Wissensgebiete und Wissenschaften mit Bezug auf Wissenselemente, Begriffe und Begriffssysteme zu erklären? Wissensgebiete sind ja zweifellos ein Phänomen menschlicher Wissensaktivität. Ihren möglichen Entstehungsweisen werden wir in Abschn. 4.1 bis 4.3 nachgehen; hier soll nur auf zwei grundsätzliche Möglichkeiten hingewiesen werden: 1) Gebiete können entstehen, wenn durch Auseinandersetzung mit einem besonderen Gegenstand des Interesses (wie z.B. Festkörper, Atome) Wissenselemente gebildet werden, die zu Begriffen fuhren und diese zu Hilfsmitteln einer intensiven Befassung evtl. unter verschiedenen Gesichtspunkten mit einem gegebenen Gegenstandsbereich werden. Dies kann man als "natürlichen" Weg bezeichnen; ihm steht ein fast "artifizieller" gegenüber, nämlich 2) ein Entstehen von Wissensgebieten durch gesellschaftlich als notwendig erkannten Aufgabenstellungen, wie z.B. "Reinhaltung der Luft". Für diese Art Gebiete "wachsen" Wissenselemente und Begriffe nicht sozusagen "organisch" mit der Aufgabe, sondern man greift auf Begriffe und Begriffssysteme zurück, die in bestehenden Gebieten bereits erarbeitet wurden und übernimmt sie in den neuen Bereich. Aus diesem "Übergriff entstehen dann die bekannten Probleme der Überlappung von Mengen an Begriffen in verschiedenen Wissensgebieten. Dies ist jedoch nicht der einzige Grund für dieses Phänomen. Wissensgebiete umfassen also jeweils eine durch sprachliche Benennungen feststellbare Menge an Begriffen und können so als Subsysteme von allgemeinen Begriffssystemen aufgefaßt werden. Wissenschaften sind besonders intensiv entwickelte Wissensgebiete. Dire Begriffe sind Bestandteile wissenschaftlicher Aussagen, die in einem Begründungszusammenhang stehen und am Wahrheitspostulat orientiert sind27. Der Wissenschaftsbegriff selbst ist in jüngster Zeit häufig Gegenstand von Diskussionen und auch Tagungen gewesen28; Um die Wissenschaftlichkeit eines Gebiets zu begründen, wurden mit seiner definitorischen Abgrenzung hohe Anforderungen verbunden. Im Rahmen einer allgemeinen Begriffsordnung spielen jedoch die Wissenschaften im Sinne von Disziplinen heute nicht mehr die Rolle, die sie noch anfangs dieses Jahrhunderts innehatten. 27 Siehe hierzu auch Abschn. 4.1.2 mit der vollständigen Definition von Wissenschaft. 28 Siehe z.B. A. Diemer: Was heißt Wissenschaft? 1964; ders.: Die Begründung des Wissenschaftscharakters der Wissenschaft im 19. Jahrhundert. In: Beitr. zur Entw. d. Wiss. Theorie im 19. Jahrh. - Meisenheim/Glan 1968. Dort auch: G. Buhl: Der Wissenschaftsbepiff Bolzanos. N. Stuloff: Über den Wissenschaftsbegriff der Mathematik... G. König: Der Wissenschaftsbegriff bei Helmholtz und Mach. - A. Diemer (Hrsg.): Der Wissenschaftsbegriff. Historische und systematische Untersuchungen. Meisenheim/Glan 1970. Mit Beiträgen von Diemer, Schipperges, Henrichs, Nobis, Bumann, Geldsetzer, Risse, v.d.Stein, König, Meyer-Abich, Heinz, Herrmann u. R. Wohlgenannt. — A. Diemer: Zur Grundlegung eines allgemeinen Wissenschaftsbegriffes. In: Z.f.allg. Wiss. Theorie l (1970) Nr. 2, S. 209-227

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1.4.3

"Ordnung"

Wir hatten im vorangegangenen bereits von Wissensordnung gesprochen, auch von Ordnungsvorstellungen, Ordnungsansätzen, von sinnvoller Ordnung, Ordnungssystemen, aber auch von An-ordnung. Der sehr alte Begriff der Ordnung29 — lt. ordo, gr. taxis und kosmos (woher auch der metaphysische Begriff der Kosmologie im Sinne von Weltordnung - siehe das Eingangszitat von K. Popper) - bedeutet in allen Bereichen des menschlichen Lebens die deutliche, übersichtliche Darstellung oder Einrichtung irgendeines Wirklichen. Dieser Begriff kann daher auch in unserem Zusammenhang als der Oberbegriff für den Gesamtbereich dessen angesehen werden, was an Aussagen zur Klassifikation in dieser Untersuchung enthalten ist. Noch kürzlich stelltet. Diemer fest: "Die moderne Diskussion um die Klassifikation zeigt immer mehr, daß nur im Rahmen einer allgemeinen philosophischen Ordnungstheorie die anfallenden Fragen zu lösen sind" (130, S. 9) Er weist aber auch daraufhin, daß "eine explizite Bestimmung von Ordnung' nicht möglich ist; sie muß als transzendentale Bedingung der Möglichkeit allen Ordnens in allen seinen Formen immer schon vorausgesetzt werden. Ordnung' kann nur implizit expliziert werden". Wir finden in unserer Welt bereits Ordnung vor (Kristallstrukturen, Organismenaufbau, Gezeiten, etc.), wir selbst sind nach Ordnungsprinzipien aufgebaut (z.B. Lebensrhythmus) und jedermann ist die Einsicht in das gegeben, was Ordnung und was Unordnung heißt. Die Bedeutung dieser Ordnungsgegebenheiten hat W. Ostwald 1914 dazu geführt, den Bd. I seiner Naturphilosophie "Ordnungswissenschaften" zu nennen;//. Driesch fand entsprechend 1923 für seine Gegenstandslehre den Begriff der 'Ordnungslehre", den auch F. Schmidt (452) 1956 verwendet und zu dem auch E, Lutterbeck sich 1968 im Hinblick auf die Klassifikation für die Dokumentation bekennt (318, S. 4). Die Erkenntnis des Geordneten, des Organisierten, fuhrt zur Aufstellung von Prinzipien für das zu Ordnende; so sind die Arbeiten der Vertreter der "General System Theory" zu verstehen, allgemeine Systemgesetze zu erkennen (38, S. 37). L. v. Bertalanffy stellte fest: "The fundamental problem of today is that of organized complexity" (38, S. 34) A. Diemer wies auf folgende Prinzipien und Postulate hin: "Ordnung setzt voraus: 1. eine (endliche oder unendliche) Menge differenter Elemente, die geordnet werden können. Als Element kann jede bestimmte Gegebenheit angesetzt werden, 29 Zur Geschichte des Ordnungsbegriffs siehe F. Schmidt (452, S. 11-17) 14

2. ordinable Elemente müssen vom gleichen Typus sein, das gilt auch und gerade dort, wo nurmehr noch von 'Gegenständen' die Rede ist, 3. zwischen Elementen müssen Relationen möglich sein, 4. Ordnung als Resultat eines Ordnens steht unter einem Ordnungsprinzip" (130, S. 9) Als "klassische Form des Ordnens" bezeichnet A. Diemer die Einteilung. Folgende (ideale) Sonderbestimmungen sollen für sie gelten: "1. es muß ein einheitliches Ordnungsprinzip vorgegeben werden, 2. die Gesamtheit der gegebenen — bzw. möglichen — Elemente muß vollständig erfaßt werden können, 3. jedes Element muß eineindeutig einem Bereich zugeordnet werden können" (130, S. 10). Für unseren Zusammenhang stellt sich der Begriff "Ordnung" demnach in 3-faeher Bedeutung dar: - als technisch-praktischer Bezug: die Kenntnisse des Ordnens (Anordnen, Überund Unterordnen, Bei- und Nebenordnen, Einordnen, Einteilen, Gruppieren, etc.) - als wissenschaftlicher Bezug: Erkenntnis der Zusammenhänge geordneter/organisierter Gegebenheiten, Erkenntnis ihrer Ordnungsprinzipien, ihrer Relationen - als metaphysischer Bezug der Sinngebung: die (je schon "geglaubte") Ordnung der Welt zu erkennen und ihren Sinn zu verstehen. Der wesentlich neue Beitrag der Systemtheoretiker zum Ordnungsproblem muß in der Erkenntnis gesehen werden, daß Ordnung nicht Erstarrung bedeutet sondern dynamische Interaktion, da Ordnung auch dort gefunden wurde, wo "offene Systeme" existieren (38, S. 139—). Im letzten steht also auch hier die alte aristotelische Gegenüberstellung von Form und Materie einerseits und Dynamik und Energie andererseits wieder zur Diskussion; denn dynamische Interaktion setzt ja Materie voraus. Das von L. v. Bertalanffy genannte Problem der Erkenntnis organisierter Komplexität wird somit auch zu einem der Einsicht in die Ordnungsgesetze, die allem Seienden zugrunde liegen. 1.4.4

"Klasse", "Klassifikation"

Eine Konkretisierung von Ordnungsprinzipien finden wir in den Begriffen "Klasse" und "Klassifikation"30. Das Wort "Klasse" kann einmal von dem griechischen Wort "kaleo" — zusammenrufen, versammeln *(to kleos - der Ruf, ekklesia - die Volksversammlung) abgeleitet werden (lt. calare — rufen) und zum zweiten von dem griechischen Wort 30 Zum Klassifikationsbegriff siehe G. Engelien: Der Begriff der Klassifikation (151). 15

"kleio" — schließen, woraus (lateinisch) claudo wird, mit clavis, conclave und Klausur. Was auch immer sein Ursprung, es gibt jedenfalls im Lateinischen bereits das Wort "classis" mit der Bedeutung: Abteilung, Volksklasse, Heerschar, Flottenabteilung, Flotte (Stowasser). Quintilian teilte aber auch seine Schüler in Klassen ein — "secundum vires ingenii" — wie d'Alembert berichtet (Encyclopedic). Der Engländer Blount weist "class" bereits 1656 in seiner Glossographia für soziale Klassen nach; im Französischen ist das Wort "classe" 1751 in der 1. Ausg. der franz. Encyclopedic nachgewiesen als Bezeichnung für eine Unterscheidung von Personen oder Sachen, die man nach einer Ordnung anordnet, entweder entsprechend ihrer Natur (ihrem Wesen) oder nach dem Motiv der jeweils gegebenen Anordnung^l. Des weiteren wird "classe" zur Kennzeichnung der Abteilungen in den französischen Universitäten benutzt, wie d'Alembert ebenfalls berichtet. Von da her hat es vermutlich auch seinen Weg in die Akademien gefunden zur Bezeichnung der fachlichen Gliederungen ihrer Aufgabenstellungen. Auch im Deutschen ist "Classe" im Sinne von Ordnung, Fach, Abteilung, Teil eines Ganzen belegt. So heißt es im "Neuesten Konversationslexikon für alle Stände" (2. Aufl. 1833): "Die Gattungen und Arten der Dinge heißen Classen (als Abtheilungen einer gewissen Ordnung).. . und die Darstellung derselben heißt eine Classification, welche sich zu einem vollständigen Classensystem ausbildet, wenn sie regelmäßig eingerichtet wird. . .".32 Diese hier im Zusammenhang mit "Classe" erwähnte Bedeutung von "Classification" (aus classis facere) ist jedoch bereits Zeugnis einer neueren Entwicklung; denn vorher {Zedler) war das Wort "classificatio" wie sein Vorgänger "Division" als eine Handlung verstanden und im Sinne von "Einteilen" benutzt worden33} allerdings zunächst nur für juristische Zwecke: "Classificatio wird genennet, wen bey einem Concurs unter denen Creditoribus gewisse Classen gemachet werden, und sodann eine Sententz eröffnet wird, dabey die Generalia zu mercken, welche sind.. ." (es folgt eine lange Liste von juristischen Einteilungsgesichtspunkten). Lessing benutzte "Klassifizieren" 1767, Goethe 1772. Das englische "to classify" tritt dagegen offenbar erst 1799 mffTooke - "classify diseases"); "to class" ist schon für 1705 zu belegen, das französische "classer" für l771^4. Linne hatte 1735 seine Einteilung der Pflanzen und Tiere "Systema naturae . . . proposita per classes, ordines. .." betitelt. Im Zusammenhang mit einer Klassifikation der Wissenschaften spricht Du tens 1768 in "Idea Leibnitiana bibliothecae 31 "aussi on range les etres physiques en plusieurs classes, les metaux, les mineraux, les vegetaux, etc." (150) 32 Siehe (75, S. 148) 33 Siehe Zedler (77, Bd. 6, Sp. 237-238) 34 Die letzteren Angaben entnahmen wir G. Engelien "Der Begriff der Klassifikation", S. 10, wo auch die Quellen im einzelnen angegeben sind.

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publicae secundum classes scientiarum ordinandae fusior et contractio" erstmalig von Klassen von Wissenschaften.35 So scheinen sich also die Bezeichnungen Klasse und Klassifikation erst im 18. Jahrhundert in den europäischen Sprachgebrauch einzubürgern. In Buch- und Aufsatztiteln finden wir "Classification" und seine verwandten Bezeichnungen häufiger seit Ende des 18. Jahrhunderts und zwar sowohl für Systeme zur Ordnung von Büchern (so Camus, Daunou, Pipitone, Laubmanri)36 als auch für philosophische Wissensordnungen (so Torombert, Ferrarese, Lubbock, Ramsey, Spencer u.a.)37. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wird die Bedeutung des Wortes Klassifikation auch auf Übersichten und Systeme von sonstigen Objekten (z.B. Sprachen: Steinthal', Länder: Zverevfiü übertragen, ja auch zur Bezeichnung von Methoden oder für die Kunde der Klassifikation benutzt (Eyre, Brownbül)^. Heute wird "Klassifikation" umgangssprachlich und fachsprachlich für das Einteilen nach Merkmalen verwendet, auch zur Kennzeichnung von Güteklassen udgl. Darüber hinaus bezeichnet es - das Produkt dieser Einteilung — die Zuordnung von Gegenständen zu Klassen - das Produkt dieser Zuordnung - das Gebiet oder die Lehre von der Klassifikation. Um einmal eine Ordnung in diese etwas ungezügelte Entwicklung des Sprachgebrauchs zu bringen und die entstandenen Polysemien aufzulösen, haben Mitglieder des philosophischen Instituts der Universität Düsseldorf 1967 folgende Definitionsvorschläge für die einzelnen Terme des Begriffsfeldes ausgearbeitet (94, S. 150-6): "Klassifikation — nennt eine Ordnungsform, die ein Gesamt beliebiger Elemente (Dinge, Ideen, Mengen, auch Klassifikationen und Systeme) nach gemeinsamen Charakteren zusammenstellt. Klassifizieren — Klassen bilden, d.h. Charaktere (Eigenschaften oder dgl.) fixieren 35 Dutens 1768. Bd. V, S. 209-214 36 In den folgenden Titeln und Werken: A.-G. Camus: Observations sur la distribution des livres d'une grande bibliotheque... (1798); P.C.F. Daunou: Memoire sur la classification des livres d'une grande bibliotheque... (1840/41); G.V. Laubmann: Plan und classifications-normativ der K. Hof- und Staatsbibliothek zu München (1843); S. Pipitone: Discorso ossia progretto di un nuovo piano di classificazione (1826). 37 H. Torombert: Exposition des principes et classification des sciences dans l'ordre des etudes ou de la synthese (1821); L. Ferrarese: Saggio di una nuova classificazione della scienze (erwähnt 1886); J.W. Lubbock: Remarks on the classification of the different branches of knowledge (1838); Sir G. Ramsay: A classification of the sciences in six tables (1847); H. Spencer: A classification of the sciences (1864) 38 H. Steinthal: Die Classification der Sprachen dargestellt als die Entwicklung der Sprachidee (1850); N.A. Zverev: Osnovanija klassifikacii gosudarstv v svjazi s obSiim uäeniem o klassifikacii (1884) 39 S. Eyre: Book classing systematized (1843); J. Brownbill: Science and art: a theory of library classification (1883). 17

Klasse - uniformitätsbildender Charakter (Eigenschaft oder dgl.) Klassifikat — Gesamt von Klassen als Resultat des Klassifizierens ("formale Klassifikation", Klassifikation 1) Klassieren — Elemente nach gemeinsamen Charakteren zusammenstellen, d.h. Klassen zuordnen Klassat — Gesamt des Klassierten ("materiale Klassifikation", Klassifikation 2)" In diesen Definitionen wurde der Begriff "Klasse" auf die Bedeutung "uniformitätsbildender Charakter" fixiert, d.h., "Klasse" wird identisch gesetzt mit dem Merkmal, das klassenbildenden Charakter hat. Ein "Klassifikat" ist demnach nur das Gesamt an Merkmalen, die Klassen zu bilden vermögen. Mit dieser Auffassung weichen die Düsseldorfer Philosophen jedoch von der allgemeinen mengentheoretischen Auffassung einer Klasse ab, wonach zu einem gemeinsamen Merkmal eine Menge von Elementen gehört^O. Man müßte also zwischen diesem gemeinsamen Merkmal und den Elementen, die ein solches besitzen, nochmals unterscheiden. Wir wollen das gemeinsame Merkmal einer Menge von Elementen das "klassifikatorische Merkmal" oder auch "Klassem" nennen41. Die Elemente einer Klasse können dann als Klassenelemente bezeichnet werden und wir können definieren: Eine Klasse ist diejenige Menge von (Klassen-Elementen, die durch ein gemeinsames ("klassifikatorisches") Merkmal, auch "Klassem" genannt, zusammengefaßt wird. Was aber kann nun alles Klassenelement sein? Die Düsseldorfer Philosophen gaben als Beispiele: "Dinge, Ideen, Mengen, auch Klassifikationen und Systeme". Wir möchten Klassenelemente zunächst unterscheiden als 1) Dinge, also alle Arten von gegenständlichen Objekten oder Ideen, wie alle Arten von Abstrakta und 2) Begriffe, die für diese Objekte oder Abstrakta stehen können und durch ihre Benennungen diese identifizierbar machen. Wir haben also einerseits z.B. die Menge aller (greifbaren) Münzen mit dem Merkmal "Ein-Pfennig-Wert", also die "Klasse der Pfennige" und zum anderen den Begriff dieser Pfennige, den wir durch die Benennung "Pfennige" oder "Ein-PfennigStücke" odgl. bezeichnen.

40 So z.B. auch A.N. Whitehead und P. Russell in "Principia Mathematica" (566, S. 23): "A class (which is the same as a manifold or aggregate) is all the objects satisfying some prepositional function..." 41 Diesen Terminus benutzen Sprachwissenschaftler, wie A.J. Greimas (207) und H.-J. Heringer, letzterer (in 226, S. 93) zur Festlegung "des intensionalen Merkmals eines Bereichs", allerdings in seinem besonderen Fall zur Charakterisierung einer Position innerhalb der Pleremkette eines Satzes. 18

Diese Unterscheidung ist deshalb notwendig, da wir uns in sog. Klassifikationssystemen immer auf der Ebene der Begriffe befinden, die zur Darstellung der Benennungen bedürfen; denn wir können zwar unsere Geldbörse auf dem Tisch ausleeren und die Geldstücke nach Klassen ihrer Werte ordnen; das Klassifikationssystem, das wir dann aber daraus entwickeln, ist nicht eines der Objekte sondern der Begriffe der Objekte. Da nun Klassen immer Mengen von Klassenelementen voraussetzen, könnten eigentlich nur diejenigen Begriffe die Funktion von Klassen übernehmen, die sich nach ihrem Bedeutungsgehalt auf Mengen zu beziehen vermögen. Das heißt aber, daß l. nur die sogenannten Allgemeinbegriffe Klassencharakter annehmen können, da ein sogenannter Individualbegriff sich ja immer nur auf einen bestimmten Gegenstand in einem Raum-Zeit-Kontinuum bezieht42 und daß sich 2. nur Objektbegriffe auf Mengen beziehen können, nicht aber Eigenschafts- oder Prozeßbegriffe43. Wohl aber ist es möglich, daß die letzteren in Kombination mit Objektbegriffen Klassen bilden können. So kann beispielsweise die "Klasse der Schrauben" spezifiziert werden durch das Material, aus dem die Schrauben bestehen, wie z.B. "aus Holz", als, die "Klasse der hölzernen Schrauben" oder die Klasse aller Bücher kann spezifiziert werden durch Zeitabschnitte, so daß wir sagen können: "die Klasse der Bücher aus dem 16. Jahrhundert". Ein Metaklassencharakter ist bei Büchern oder Dokumenten aller Art dann gegeben, wenn wir uns auf das Thema beziehen, das in diesen behandelt wird, z.B. "die Klasse der Bücher über Physik" oder spezifischer: "die Klasse der Aufsätze über Temperaturmessungen an biologischem Material". Man unterläßt es dann gewöhnlich, über die "Klasse der Aufsätze" zu sprechen und bildet von diesen getrennte "Themenklassen"; auf diese Weise wird dann "Physik" zur Themenklasse oder auch spezieller "Temperaturmessungen an biologischem Material" zur Themenklasse. In Klassifikationen können Begriffe daher in zweierlei Weise als Klassen fungieren: 1) als Objektbegriffe, wenn sie sich auf Mengen von Gegenständen beziehen 2) als potentielle Themen, die in Dokumenten behandelt werden können. Begriffe, die für sich genommen "potentielle Themen" darstellen können, lassen sich aber auch kombinieren und können in der Kombination ebenfalls zu (potentielle) Themenklassen werden. Wir werden später sehen, daß sich derartige Themenklassen umso leichter bilden lassen, je besser in zugrundeliegenden Begriffssystemen die Elemente potentieller Themenklassen vereinzelt enthalten sind. Eigenschaftsbegriffe, wie z.B. "englisch" oder Prozeßbegriffe, wie "sortieren", könnte man sich zwar nur mit Mühe thematisiert vorstellen, wie in "alles Engli42 Eine Ausnahme liegt dann vor, wenn dieser Individualbegriff ein tatsächliches oder potentielles Thema, z.B. eines Dokumentes oder einer Dokumentensammlung wird, wie z.B. "Goethe" als Klasse einer Literatur über Goethe. Siehe hierzu auch das Folgende. 43 Ausgenommen ist ebenfalls die in Fußnote 42 angedeutete Möglichkeit

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sehe" oder in "Über das Sortieren", dennoch ist es zur Bildung von Themenklassen wie "englische Literatur", "englischer Hafenarbeiterstreik" oder "Sortiermaschinen", "Sortierprinzipien" rationeller, wenn gegebenenfalls kombiniert werden kann. Für die Begriffsbestimmungen des Wortfeldes "Klassifikation" sollen nun die folgenden neuen Formulierungen (gegenüber den oben angeführten) vorgeschlagen werden: Klassifikatorisches Merkmal (Klassem): Das gemeinsame Merkmal eines Gesamts beliebiger Elemente. Klassenelement: Jedes Element einer Menge, das mit anderen Elementen dieser Menge durch ein Klassem verbunden ist. Klasse: Diejenige Menge von Elementen, die durch ein Klassem zusammengefaßt wird. Anm.: Jeder Begriff kann Klassenfunktion annehmen, also durch seine Benennung eine Klasse bezeichnen, wenn seine Bedeutung impliziert, daß er sich auf eine Menge von Elementen bezieht. Themenklasse: Ein Begriff oder eine Begriffskombination, der/die sich auf ein Thema (z.B. eines Dokumentes) bezieht. Klassifikation: Ordnungsform, die ein Gesamt von Elementen nach Klassemen zusammenstellt. Klassifizieren: Das Relationieren von Klassemen zu Elementen (und umgekehrt). Klassifikat: Das Gesamt der Klassen als Resultat des Klassifizierens. Klassieren: Das Relationieren von Klassen zu Elementen (und umgekehrt). Klassat: Das Ergebnis des Klassierens; das Gesamt des Klassierten. Der Vorgang des "Klassifizierens" wird im allgemeinen Sprachgebrauch häufig mit dem des "Klassierens" gleichgesetzt, bzw. verwechselt. Vom Wort her ("classis facere") müßte es eigentlich ohne weiteres einleuchten, daß es bei diesem Vorgang um das Bilden von Klassen geht. Nun trifft es aber auch zu, daß man beim Ordnen von materiellen Gegenständen nach gemeinsamen Merkmalen "klassifiziert", da man sich dabei sozusagen auf der "untersten Ebene" einer potentiellen Klassifikation befindet. Wenn aber die Begriffe dieser materiellen Gegenstände "Oberbegriffen" zugeordnet werden, dann bilden diese die Klasse für die zugeordneten Begriffe und man muß dann von "Klassieren" sprechen. Ein "Klassat" kann nun einerseits eine durch Klassen ausgedrückte Aussage (z.B. über einen Dokumenteninhalt) sein, andererseits aber auch die gesamte Menge der zugeordneten Elemente zu ihren Klassen. Da letztere jedoch begrifflich weniger häufig zu bezeichnen ist, kann "Klassat" auf eine je gegebene Klassierungseinheit bezogen werden, also z.B. auf einen Dokumenteninhalt. "Klassat" muß damit aber nicht notwendigerweise gleichgestellt sein mit "Themenklasse", da die Themen eines Dokumentes durch entsprechend viele Themenklassen dargestellt werden können. Das Gesamt an Themenklassen eines Dokumentes wäre jedoch dann ein Klassat. 20

In diesem Zusammenhang müßte nun noch auf eine weitere Folgerung aus unserer Auffassung hingewiesen werden: Bevor man das Wort "Klassifikation" im 18. Jahrhundert zu benutzen begann, hatte man für den darunter zu verstehenden Begriff des Klassenbildens nur das Wort "Division", also Einteilung^. Eingeteilt wurde so ein Ganzes nach seinen untergeordneten Teilen, also ein Genus nach seinen Species (wobei immer an Mengen von Species und Individua gedacht wurde) und ein Ganzes nach seinen einzelnen Teilen, letzteres nannte A. Arnauld^ auch "partition" (z.B. Haus in Teile eines Hauses). Als man nun von Klassen zu sprechen begann, konnte man die Idee der Einteilung beibehalten und teilte demnach Klassen in Unterklassen ein, etc., selbst wenn es sich dabei nicht mehr um Begriffe handelte, die Mengen darstellen können. Diese Terminologie hat sich bis heute gehalten, man spricht ja sogar von Haupt- und Hilfsklassen und sagt, daß letztere zur "Unterteilung" herangezogen werden. Geht man nun aber von Begriffen aus, so wird deutlich, daß man einen Begriff nicht ein- oder unterteilen kann, es sei denn, man zerlegt ihn in seine Bestandteile, seine Merkmale. Bildete man nämlich Teilbegriffe, so entsteht der Eindruck, daß diese weniger sein müßten, als ihre entsprechenden Oberbegriffe. Sie besitzen jedoch im Gegenteil mehr Merkmale, als diese und sind daher spezifischer. Wir möchten deshalb vorschlagen, für den Vorgang des Einteilens von Mengen von Begriffen immer dann von "Klassifizieren" zu sprechen, wenn dies gleichzeitig mit einer Bestimmung der entsprechenden klassifikatorischen Merkmale einhergeht. Es müßte nun auch noch daran gedacht werden, einen Ausdruck für das Wissensgebiet zu finden, daß mit den Gegenständen und Methoden der Klassifikation befaßt ist. E. de Grolier45 hatte noch kürzlich hierfür "Taxilogie" vorgeschlagen, ein etwas weiterer Begriff als "Taxonomie", der derzeitig vielfach in den USA für Klassifikation steht. Mir erscheint "Klassifikationswissenschaft", "classification science" günstiger, z.B. auch als Ordnungslehre, da diese Bezeichnung international leichter zu übernehmen ist.

1.4.5

"Relation", "Struktur", "System"

a) Relation Von seiner ontologischen Bedeutung her hätte der Begriff "Relation" eigentlich vor dem Begriffsfeld "Klassifikation" rangieren müssen, da mit "Relation" eine der wichtigsten seinsbestimmenden Kategorien bezeichnet ist. Uns geht es hier 44 Siehe z.B. A. Arnauld: La logique de Port-Royal. (1662) ("La division est le partage d'un tout en ce qu'il contient." (17a, S. 161) - In der modernen englischen Übersetzung wird hier von "classification" gesprochen. (17, S. 161-)) 45 Siehe E. de Grolier: Le Systeme des sciences et revolution du savoir. 1971. (210) 21

jedoch nicht um die Kategorienproblematik, daher werden auch die entsprechenden Begriffe hier nicht behandelt46} sondern um das Verständnis des Begriffsfeldes "System", zu dem "Relation" und "Struktur" in enger Beziehung stehen. "Alle Struktur ist, von innen betrachtet, im wesentlichen Relation" sagt N. Hanmanrfil. Im Hinblick auf unser postuliertes System gewinnt die Identifizierung von Relationen zwischen Begriffen insofern eine besondere Bedeutung, als diese für die innere Struktur des Systems konstitutiv sind. Die Definition von FID/CR48 geht sogar so weit, Klassifikation als Methode zur Herstellung von Relationen zwischen "semantischen Einheiten" zu bezeichnen (wobei semantische Einheiten mit Begriffen gleichzusetzen sind). Je nachdem nun, mit welcher Art von Begriffen wir es jeweils zu tun haben, lassen sich auch die Relationen, die zwischen Begriffen existieren oder hergestellt werden können, unterscheiden. Hierarchische Relationen von der Art — Genus — Species — Individuum - Ganzes - Teil - Teil des Teils — Gegenstand — Eigenschaften können auch als sachliche oder Sach-Relationen bezeichnet werden, da ihre, den jeweiligen Zusammenhang herstellenden Merkmale, den Begriffen der Gegenstände, der Sachen selbst, entnommen werden können. Daneben kann man FormRelationen als diejenigen bezeichnen, die durch Aussagen über die Kategorienzugehörigkeit eines Begriffs Zustandekommen. Sagt man beispielsweise "Das Buch ist ein Objekt" "Elastizität ist eine Eigenschaft" so stehen Objekt zu Buch und Eigenschaft zu Elastizität in einem formalen Verhältnis zueinander, wir haben es daher jeweils mit einer Form-Relation zu tun. Seit/.-C Gardin49 unterscheidet man auch noch zwischen paradigmatischen und syntagmatischen Relationen, je nachdem, ob man es mit Relationen in Begriffssystemen oder in Aussagen zu tun hat. Nun können aber auch Aussagen (in Form von kombinierten Begriffen, wie wir später sehen werden) in Begriffssystemen enthalten sein und ebenso gut können in Aussagen die Relationen aus Begriffssystemen, also paradigmatische Relationen vorkommen — nämlich immer dann, wenn einem Element einer Aussage eine Attribution beigegeben wird — so daß diese Unterscheidung nicht jeweils absolut zu setzen ist.

46 Siehe oben und Abschn. 3.1.3 und 3.1.4 47 Siehe (217, S. 259) 48 Es handelt sich um das Committee on Classification Research der Federation Internationale de Documentation. Die 1964 verabschiedete Definition lautet wörtlich: "By 'classification' is meant any method creating relations, generic or other, between individual semantic units, regardless of the degree in hierarchy contained in the system and of whether those systems would be applied in connection with traditional or more or less mechanized methods of document searching" (20, S. 544) 49 J.-C, Gardin bezog diese Benennungen wohl aus der Linguistik, siehe auch (89). 22

Sofern sie in Begriffssystemen verwendet werden, sind die o.g. Sach- und Formrelationen paradigmatische Relationen. Zur Explizierung von syntagmatischen Relationen in Begriffssystemen bedarf es dagegen zusätzlicher Relationsangaben, die dann jeweils von der Art der Aussage abhängig sind. Logische Relationen, wie z.B. die der Symmetrie, der Äquivalenz der Transitivität udgl. bedingen Meta-Aussagen über Begriffe/Benennungen von der Art: "Benennung A ist bedeutungsäquivalent Benennung B". Auch diese Relationen müssen ggfs. einem Begriffssystem zusätzlich beigegeben werden.50 b) Struktur Das Wort "Struktur" (wie auch Relation), kommt aus dem Lateinischen: structura heißt Zusammenfügung, Ordnung, Bau, Bauart; struere - bauen, errichten, aber auch ordnen, anordnen. Gegenüber dieser damaligen Bedeutung versteht man heute unter Struktur mehr den inneren Aufbau, das Gefüge, die Gliederung oder das Gerüst einer Ordnung. Die Erkenntnis vom Vorhandensein und der Bedeutung von Strukturen ist wohl noch verhältnismäßig jung. Zwar hatte Kant schon von "Architektonik" als der "Kunst der Systeme" gesprochen^!, doch ist wohl erst mit W. Diltheys und E. Sprangers Strukturlehre (dort allerdings im Zusammenhang mit der Psychologie) allgemeineres Interesse an diesen Fragen wachgeworden. Heute finden wir allenthalben Strukturalismen, auch und hier besonders, in der modernen Linguistik. Eine Struktur setzt immer etwas voraus, was strukturiert werden kann. So stellt G. Kröber eine Wechselbeziehung her zwischen Struktur und System: "Wo von Struktur die Rede ist, handelt es sich stets um Struktur von Systemen. Und umgekehrt; wo von Systemen die Rede ist, geht es stets um strukturierte Ganzheiten (= Mengen) von Elementen".52

G. Klaus definierte daher auch Struktur als "die Menge der die Elemente eines Systems miteinander verbindenden Relationen und aller dazu isomorphen Relationsgefuge"53.

Nun haben wir im vorangegangenen Abschnitt gesehen, daß man zwischen Sachund Formrelationen unterscheiden kann. Wir möchten daher meinen, daß auch diese unterschiedlichen Relations arten beim Strukturbegriff eine Rolle spielen. Vielleicht kann man die Undefinierte, Klaus'sche "Menge (von)... verbindenden Relationen" dahingehend spezifizieren, daß man die sog. Sachrelationen für die interne Struktur eines Systems annimmt und die Formrelationen für seine externe Struktur, also für das die äußere Gestalt eines Systems formende Gerüst. Entsprechend kann man dann zwischen interner und externer Struktur eines Systems unterscheiden. 50 51 52 53

Siehe hierzu später auch die Abschn. 3.1.3, 5.2.1 und 5.3.3 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. III: Methodenlehre. (264, S. 748) Siehe (286, S. 1314) In "Wörterbuch der Kybernetik" (274) 23

Wenn nun Struktur "die Menge der ... Relationen" (s.o.) bedeutet, so kann man sagen, daß jede einzelne Relation ein Strukturelement ist. Nun bestehen Relationen zwischen Begriffen — wie wir später (Abschn. 3.1.3) sehen werden - durch den gemeinsamen Besitz gleicher Merkmale oder im gemeinsamen Besitz von Merkmalen, die in einer logischen Relation miteinander stehen. Das heißt aber, daß der Oberbegriff eines Merkmals, das in mehreren Begriffen vorkommt, ein Begriff ist, der strukturbildenden Charakter hat. Wir wollen solche Begriffe mit Bezug auf Strukturen als Formelemente bezeichnen. Es ist nun einsichtig, daß es solche Formelemente sowohl für die Sachrelationen zwischen Begriffen gibt als auch für die Formrelationen. Während aber die ersteren durch die Sachen selbst gegeben sind und daher die intepie Struktur eines Begriffssystems ausmachen, besitzen die letzteren die Möglichkeit, seine externe Struktur zu bestimmen. Dennoch vermögen diese nicht "aus sich selbst heraus" einen Beuplan zu entwickeln; dieser muß "von außen" vorgegeben werden, er verlangt einen Baumeister, der jeweils seine betreffenden Strukturprinzipien festlegt. Diese sind das Modell, die hier nicht näher zu beschreibende "Idee", die ein jeweiliger Schöpfer von der "Architektonik" seines Werkes gehabt haben mag. Zusammenfassend wollen wir nun festhalten: Struktur: das Gesamt an Formelementen eines Systems, die durch Strukturprinzipien bestimmt werden.

c) System^ Das Wort "System" ist auf gr. systema zurückzuführen und bedeutet fast das Gleiche, wie structura im Lateinischen, nämlich das Zusammengestellte, das Gebilde, der Aufbau, die Ordnung. Aber während die lateinische Auffassung mehr den analytischen Aspekt der Ordnung betont, sieht die griechische mehr den synthetisierenden. In Analogie zu den Differenzierungen des Wortfelds "Klassifikation" haben Mitglieder des philosophischen Instituts der Universität Düsseldorf auch Definitionen für das Wortfeld "System" erarbeitet (341, S. 150-6). Indem sie auf einen nicht weiter erläuterten Strukturbegriff zurückgriffen, definierten sie System als eine Ordnungsform, die ein Elementengesamt in einen Strukturzusammenhang bringt, der seinerseits, rein für sich genommen, häufig auch schon System genannt wird. In der Linguistik wird überlicherweise "System als eine Menge von Elementen und den Beziehungen zwischen ihnen" definiert^ was wesentlich zu vage er56 Zum Systembegriff siehe A. v.d.Stein: System als Wissenschaftskriterium, (487) und ders.: Der Systembegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, (486). 57 so in: Funkkolleg Sprache. Eine Einführung in die moderne Linguistik. Studienbegleitbrief 2. Weinheim 1971. S. 80. Diese Def. geht wohl im wesentlichen auf G. Klaus zurück, der System als "die Menge von Elementen und Menge von Relationen, die zwischen diesen Elementen bestehen" bestimmt.

24

scheint, da es imgrunde bedeutet, daß es lediglich einer Menge von Elementen und Beziehungen zwischen ihnen bedarf, um schon ein System vorzufinden. Auf diese Weise wird jeder Satz zu einem System, wobei jedoch noch verkannt wird, daß ein solches System wesentliche (grammatische) Strukturprinzipien enthält. Darauf aber haben die o.g. Düsseldorfer Autoren aufmerksam gemacht: zum Begriffsfeld gehört weiterhin das Systematifizieren, das bestimmt wird als — Systemprinzipien vorgeben - Systemstruktur entwickeln, d.h., Elementstellen bestimmen. Da dies aber hieße, daß die Bedeutung der Elementstellen entsprechend einem Elementstellenplan (Systematifikat) in einem System immer explizit gemacht werden müßte, was darauf hinausliefe, daß Systeme nicht ohne bewußte Vorgabe von Systemprinzipien entstehen oder existieren können, werden als Systemkriterien angesetzt: 1. Defmitheit, wonach die vollständige Bestimmtheit des Systematifikators (also des Gesamts an Systemprinzipien eines Systems) implizit vorausgesetzt, nicht aber notwendig explizit gegeben sein muß. ("Wenn der Systemcharakter garantiert bleiben soll, so darf die Feststellung von 'Lücken' im Systematifikator nicht mehr besagen, als Nichtexplizitheit einiger Systemprinzipien, nicht deren Fehlen") (341, S. 152). 2. (relative) Invarianz. Dieses Kriterium besagt, daß sich Veränderungen im Systematifikator sowohl auf den Elementstellenplan als auch auf das Gesamtsystem (materiale + formale Elemente) auswirken. Entsprechend müßte von veränderlichen oder verschiedenen Systemen gesprochen werden. Als weitere Kriterien werden genannt: 3. Isolierbarkeit der Elementstellen, was nicht ausschließt, daß Elemente, sofern sie an den betreffenden Elementstellen einen entsprechenden Stellenwert erfüllen, austauschbar sind. 4. Interdependenz von Elementstellen, "Jedes Element eines Systems muß mit jedem anderen - mittelbar oder unmittelbar — in Interrelation stehen" (341, S. 152) Wie aus der oben angeführten Definition von "System" hervorgeht, wird die Bezeichnung "System" sowohl für den Strukturzusammenhang (System 1) als auch für das Elementengesamt im Strukturzusammenhang (System 2) im Sprachgebrauch verwendet. Daher schlagen die o.g. Autoren vor, in Analogie zu "Klassifikat" bei System l von "Systematifikat" zu sprechen und in Analogie zu "Klassat" bei System 2 von "Systemat". Entsprechend unserer obigen Definition von Struktur wäre aber System l mit "Struktur" gleichzusetzen, wobei allerdings impliziert sein muß, daß es sich jeweils um die durch Systemprinzipien bestimmte Struktur eines Systems handelt. 25

Es muß eine Abhängigkeit der Strukturelemente eines Systems von seinen materialen Elementen angenommen werden; dies heißt aber, daß Systemprinzipien nicht gleich zu setzen sind mit Strukturprinzipien. Folgende, etwas gegenüber den bisher vorliegenden Formulierungen geänderte Definitionen werden daher vorgeschlagen: Systemprinzipien — Grundsätze fur die Aufstellung eines (mit Hilfe von Strukturprinzipien entwickelten) Elementstellenplans (zur systemspezifischen Verortung der materialen Elemente eines Systemats) Systematifizieren — Systemprinzipien festlegen Systematifikator — Gesamt der Systemprinzipien eines Systemats Systematifikat — Systemstruktur mit Elementstellenplan; Gesamt an formalen Elementen eines Systemats (System 1) Systemieren - materiale Elemente in ein Systematifikat (in eine Systemstruktur) einordnen Systemat — Gesamt des Systemierten (= Systematifikat mit zugeordneten materialen Elementen; System 2). Diese etwas ausführliche Explikation erschien im Hinblick auf eine eindeutige Definition des Terms "Klassifikationssystem" (siehe Absch. 1.4.6) erforderlich; es wird allerdings nicht angenommen, daß sich die so definierten Termini im Sprachgebrauch durchsetzen werden. Im Verlauf dieser Arbeit wird von Struktur gesprochen, wenn Systematifikat oder System l dieser Definitionen gemeint ist und von System, wenn Systemat oder System 2 bezeichnet werden soll. Bezüglich des Begriffs "Relation", der oben nur im Zusammenhang mit Klassifikation erläutert worden ist, sind nunmehr genauere Bestimmungen auch im Zusammenhang mit den Elementen von Strukturen und Begriffssystemen möglich. Ohne hier näher auf die Fragen der implizit gegebenen (aufgrund von Merkmalen) oder explizit hergestellten (zur Darstellung von funktionalen Zusammenhängen und Polyhierarchien) Relationen einzugehen, kann hier zunächst rein formal unterschieden werden zwischen: Strukturrelationen — welche nur zwischen den Formelementen eines Systems bestehen, Begriffsrelationen — welche zwischen den Begriffen eines Begriffssystems bestehen, Systemrelationen — welche zwischen den formalen und materialen Elementen eines Systems bestehen, also z.B. zwischen den strukturbildenden Formbegriffen und den inhaltsorientierten Begriffen eines Begriffssystems.

26

1.4.6

"Klassifikationssystem"

Ein Begriffssystem, das Begriffe enthält, die als Klassen fungieren können, sollte man wohl berechtigterweise als Klassensystem bezeichnen dürfen. Warum spricht man jedoch von Klassifikationssystem und weshalb erscheint diese Benennung dennoch adäquat, wenn auch ihre Entstehung vielleicht nicht so bewußt an der z.B. oben beschriebenen Bedeutung von System und Klassifikation orientiert war? Nach den obigen Ausführungen über System kann vorausgesetzt werden, daß es sich bei einem Begriffssystem nicht nur um eine Menge von Begriffen handelt, die in Relation miteinander stehen, sondern daß hier auch Formelemente vorhanden sein müssen und Systemprinzipien, die einen Elementstellenplan zur Folge haben. Wenn wir also von einem Begriffs- oder Klassengesamt als einem System sprechen, implizieren wir, daß die Begriffe nach einem Elementstellenplan angeordnet sind. Dies bedeutet aber andererseits auch, daß nur dann von einem Begriffssystem gesprochen werden könnte, wenn hierfür ein solcher Elementstellenplan explizit vorgegeben wäre. Wir haben jedoch oben eine Reihe von Systemkriterien kennengelernt, (Definitheit, relative Invarianz, Isolierbarkeit und Interdependenz der Elementstellen), die diese Forderung einzuschränken vermögen, so daß das Fehlen von Einsicht in das Gesamt an Merkmalen bzw. Wissenselementen eines Begriffes z.B. nicht dazu rühren muß, daß ein solcher Begriff nicht Bestandteil eines Begriffs- oder Klassen-Systems werden könnte. Weshalb aber nun Klassifikations- und nicht Klassensystem? Hier ist zunächst die historische Entwicklung zu berücksichtigen. Mail sprach ja zunächst von Klassifikation als Methode des Bestimmens von Klassen und meinte dann das Produkt dieser Methode, das Klassengesamt. Die Methode des Bestimmens der klassifikatorischen Merkmale, der Klasseme, "schwingt" aber nun andererseits bei unserem neuen Verständnis von Klassifikation als "Ordnungsform, die ein Gesamt von Elementen nach Klassemen zusammenstellt" mit. Die Benennung erscheint daher nicht nur nicht falsch sondern sogar wesentlich ausdrucksstärker als "Klassensystem". Wir wollen demnach definieren: Klassifikationssystem: Ein Gesamt von Begriffen, die nach Klassemen zusammengefaßt und aufgrund von Systemprinzipien Elementstellen zugeordnet sind. Auf den Zusammenhang mit der Konnotation des Wortes "System" kam es uns jedoch vor allem bei dieser Ableitung an. Wir werden im Verlauf dieser Untersu-

27

chung erkennen, daß dieser Zusammenhang zur Grundlage eines neuen Ansatzes bei der Erstellung von Begriffsordnungen gemacht werden kann.58

1.4.7

"Universalität"

Unabhängig von der in 1.3 beschriebenen Problematik des Universalitätsbegriffs und ohne einer späteren eingehenden Erörterung seiner Implikationen vorzugreifen (siehe Abschn.3.7.3), sollen abschließend hier noch einige Bemerkungen über Inhalt und Umfang dieses Begriffs gemacht werden und vor allem auf seine polysemische Natur, die in unserem Zusammenhang zum Ausdruck kommt, hingewiesen werden. A. Diemer unterscheidet in seinem Vortrag "Universale Ordnung (Klassifikation) als philosophisches und organisatorisches Problem" (130) zwischen intensionaler und extensionaler Universalität. Während die intensionale Universalität identisch ist mit dem Allgemeinen und sich in unserem Sinne auf die Tatsache bezieht, daß (mit einigen Ausnahmen^?) nicht von Individual- sondern nur von Allgemeinbegriffen ausgegangen wird, den sog. Universalien, bedarf die extensionale Universalität doch etwas eingehenderer Erläuterung. Sie bedeutet schließlich nichts weniger als den Bezug auf die Gesamtheit des Faktischen und des Möglichen und zwar sowohl hinsichtlich seiner synchronischen wie auch seiner genetisch-diachronischen Dimension. Diemer stellt dieser Art philosophischtheoretischer Problematisierung die der "organisatorischen Universalität" gegenüber, die sich im Gegensatz zu der ersteren nicht an Einheitlichkeit und Systematik sondern an Multität und Pluralität orientiere. Und doch handele es sich hierbei nur um eine Gegenüberstellung, nicht um einen echten Gegensatz, da beide Aspekte als notwendiges Verbundsystem gesehen werden müßten. Es kann nicht bezweifelt werden, daß diese Argumentation, die im positiven Sinne geführt wurde, vor dem Ausmaß des damit verbundenen Unterfangens erschrecken lassen müßte. Aber sofern sich eine praktische Aufgabe mit diesem Unterfangen verbinden sollte, wird man einerseits immer pragmatisch vorgehen (da man sonst niemals einen Anfang fände); in diesem Sinne sind die in 1.3 vorgelegten Überlegungen zur Relativierung des Universalitätsbegriffs anzusehen. Andererseite kann aber auch daraufhingewiesen werden, daß man mit einem solchen Unterfangen nicht "ab ovo" beginnen müßte, sondern auf eine Fülle von Wissen und Erfahrungen zurückgreifen kann. Gerade aufgrund dieser Erfahrungen sind sehr konkrete Postulate aufzustellen, die sich auf den Umfang des Begriffs "Universalität" beziehen. Es scheint uns daher, daß die folgenden fünf Bedeutungen dieses Begriffs "im Laufe der Zeit" zu realisieren sind:

58 Nur als Anmerkung sei hier schon darauf hingewiesen, daß ein alphabetischer Dokumentationsthesaurus (siehe Abschn. 2.6.3) ein Gesamt von Begriffen ist, welche nicht durch Klasseme zusammengefaßt wurden und deren Elementstellen durch das formale Prinzip des Alphabets bestimmt werden. 59 Ausnahmen sind z.B. die geographischen Benennungen, die Egennamen von Orten, etc. 28

Universalität — im Hinblick auf den "universalen Standpunkt", von dem aus das Wissen (im Sinne von l .4.2 als Summe aller Wissenselemente) betrachtet werden kann - mit Bezug auf den Gesamtbereich der "gewußten" Begriffe, also der Begriffe nach ihrem Inhalt und Umfang - gesehen als verwendbar durch alle Menschen, als international verbreitbar (sprachliche Universalität) — als mögliche Verwendbarkeit in allen Wissensbereichen und -gebieten, auch inter- und transdisziplinär — mit Bezug auf internationale Anerkennung und Annahme im Sinne einer allgemeinen Norm Die Inhalte dieser "Postulate" werden in Abschn. 3.7.3 im einzelnen behandelt werden.

29

2.

VERWENDUNGSGEBIETC VON KLASSIFIKATION SYSTEMEN

2.0

Vorbemerkung

Das folgende Kapitel enthält eine Zusammenfassung und Darstellung derjenigen Bereiche, in denen in Geschichte und Gegenwart bisher universale Klassifikationssysteme benötigt und verwendet worden sind. Es kann dabei allerdings eigentlich noch nicht von "Klassifikationssystemen" die Rede sein, da diese im strengen Sinne der oben entwickelten Definition bisher kaum existieren dürften. Durchweg wird daher zunächst von Klassifikation(en) gesprochen werden; dies vor allem auch, um die bisherigen historischen Ansätze von den neueren abzugrenzen, die — wenn auch in ihrer Definitheit noch sehr schwach differenziert — doch immerhin eher als Systeme zu bezeichnen sind. Folgende Verwendungsbereiche waren zu erkennen und lassen sich, vielleicht wie folgt, nach ihren besonderen Intentionen l in vier Abteilungen zusammenfassen: Klassifikationen zur Wissensdarstellung 1. Philosophische Klassifikationen 2. Pädagogisch-didaktische Klassifikationen Klassifikationen zur Wissensverwendung 3. Enzyklopädische Klassifikationen 4. Wörterklassifikationen und linguistische Thesauri Klassifikationen zur Wissensvermittlung 5. Bibliothekarisch-bibliographische Klassifikationen 6. Dokumentarisch-informemologische Klassifikationen Klassifikationen zur Wissensorganisation l, Wissenschafts·, wirtschafts- und verwaltungspolitischorientierte Klassifikationen 8. Informationssystemorientierte Klassifikationen In allen Fällen beziehen sich diese Klassifikationen auf alle Wissensbereiche, wenn auch bei den sprachlichen Klassifikationen (2.4) das fachsprachliche Element zu kurz kommt und die unter 2.6 genannten Systeme zum Teil bisher nur intentional Universalität anstreben. In jedem Fall wird jedoch das Gesamt des Wissens auf andere Weise dargestellt. Dies ist zum Teil auf die unterschiedlichen Verwendungszwecke zurückzuführen; denn die Klassifikationen zur Wissensdarstellung und Wissensorganisation (A und D) beziehen sich meist nur auf l

30

Es wird jeweils in den Vorbemerkungen zu den einzelnen Bereichen erläutert werden, wie diese Intentionen zu verstehen sind.

Wissensgebiete im Sinne von Wissenschaften, während die übrigen Klassifikationen Begriffe und Begriffskombinationen enthalten, ja bei den linguistischen Thesauri auch den Wortschatz der Umgangssprache einbeziehen. Die unterschiedlichen Inhalte der Klassifikationen sind aber auch durch die geschichtliche Entwicklung des Wissens zu erklären. Man kann wohl sagen, daß zwar nicht die Einteilungsgesichtspunkte, wohl aber doch die Inhalte der Klassifikationen jeweils den Wissensstand einer Zeit widerspiegeln. Die wenigen Oberbegriffe und die Aspektbegriffe der 4 genannten Bereiche sind in ihrem Bedeutungsgehalt und geschichtlichen Verlauf relativ konstant geblieben (schon bei Aristoteles gibt es Analytik, Logik, Rhetorik, Physik, Mathematik, Ökonomik, Musik etc.), während sich die Erkenntnisse über einzelne Objekte und Verfahren im Laufe der Zeit beständig vertieft und vermehrt haben; freilich auch die Aspekte, unter denen sie gesehen werden können. Das zunehmende Anwachsen der Aspekte, das besonders in den philosophischen Klassifikationen des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck kommt (weshalb E. Samurin^ diese als absolut unbrauchbar für eine mögliche bibliothekarische Klassifikation erklärt hat), haben schließlich zu dem heutigen Holismus geführt, der einen Gegenstand oder eine Aufgabe unter möglichst allen ihren Aspekten zu betrachten für nötig erachtet. Entsprechend den o.g. Unterschieden in der Zweckorientierung und dem Stand der historischen Entwicklung variiert auch der Umfang der vorliegenden Klassifikationen. Die folgende Darstellung kann nur einen kursorischen Überblick über die jeweiligen geschichtlichen Entwicklungen der Klassifikationen in den vier Bereichen vermitteln. Sie sollte als Versuch angesehen werden, die wesentlichen Charakteristika einer Auswahl von Klassifikationen in einer Reihe von Verwendungsbereichen festzustellen. Die Geschichte der Ansätze und Modelle zur Organisation menschlichen Wissens ist sehr umfangreich; das hat schon 1910 E. C. Richardson in seiner Bibliographie von 337 Klassifikationen aus den letzten 2000 Jahren gezeigt (415) und das ist auch aus dem Bestandsverzeichnis des Unesco Clearinghouse für Klassifikationssysteme in Cleveland, Ohio (107) erkennbar. Dort befanden sich bereits 1965 insgesamt 1500 zeitgenössische Klassifikationssysteme. Eine ausführliche Darstellung einzelner universaler Klassifikationen vermittelt das umfangreiche Werk des Russen E. /. Samurin (432), das nun auch in deutscher Sprache vorliegt. Es basiert auf einem 20-jährigen Literaturstudium und verzeichnet, bespricht und bewertet, zum Teil auch kritisch, bibliothekarisch-bibliographische und philosophische Klassifikationen vom Altertum bis zum Jahre 1959. Samurin hat versucht, die einzelnen Klassifikationen jeweils in ihren geschichtlichen Zusammenhang zu stellen; auch macht er auf die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Klassifikationen aufmerksam.

2

Siehe hierzu E Samurin, Bd. II, S. 19-23 31

Ein kürzliches, sehr umfangreiches Konferenzpapier von E. de Grolier (210) kann ebenfalls einen Überblick über die Geschichte der Klassifikationen vermitteln; auch er beschränkt sich auf philosophische und bibliothekarisch-dokumentarische Klassifikationen.

2.1

Philosophische Klassifikationen

2. l .0

Vorbemerkung

Das besondere Problem philosophischer Klassifikationen muß in der Geschichte und dem Selbstverständnis dessen, was man unter Philosophie verstand und versteht, gesehen werden. Unterscheidet man im Hinblick darauf etwa die drei folgenden Perioden I Altertum bis spätes Mittelalter 1500 bis 1750 III 1750 bis heute, so läßt sich feststellen, daß wir in der ersten eine Periode haben, in welcher Philosophie meist gleichbedeutend war mit dem Gesamt der Wissenschaft. Die uns aus dieser Zeit vorliegenden "Klassifikationen" sind keine im Sinne eines Klassifikationsschemas, sondern wir haben lediglich die Gliederungen der großen Gesamtdarstellungen des Wissens ihrer Zeit, die uns z.B. Aristoteles, Avicenna, Roger Bacon vermittelten und zwar als Text, man könnte sagen, als ein "System von Sätzen" (also nicht einzelner Begriffe sondern Begriffsverknüpfungen) nach dem heutigen Wissenschaftsverständnis. Die Gliederungen der Gesamtdarstellungen wurden später exzerpiert und als die Wissenseinteilungen dieser Philosophen bezeichnet. Hier haben wir es also noch mit enzyklopädischen Darstellungen des Wissens zu tun; bereits in der nächsten Periode differenziert sich das Gesamt in einzelne Wissenschaften, wobei die Philosophie eine große Anzahl von Einzelwissenschaften subsumiert. MitPolizianos "Panepistemon" (Taf. A 7) liegt dann 1491 auch das erste Klassifikationsschema, das nur schematisch (ohne Gliederung eines Textes zu sein) einzelne Wissenschaften in 3 und 4-stufiger Hierarchie darstellt, vor. Solcher Art Schemata beeinflußten später auch pädagogisch-didaktische und bibliothekarische Klassifikationen und führten zu dem sogenannten "Fakultätssystem" der französischen Systematiker des 17. und 18. Jahrhunderts. Die dritte Periode ist dadurch gekennzeichnet, daß die Philosophie ihre hierarchisierende Position vollständig aufgegeben hat und nunmehr als Wissenschaft unter anderen Wissenschaften geführt wird. Die Konstituierung der Philosophie als Wissenschaft kann wohl mit /. Kant angesetzt werden3 und in dem Klassifikationssiehe hierzu L. Geldsetzer in (196, S. 172), der in diesem Zusammenhang auf Kants Werk "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wkd auftreten können" (1786) hinweist. 32

schema seines Lehrstuhl-Nachfolgers W. T. Krug (Taf. A 16) (287) ist bereits eine entsprechende Gliederung dieser Wissenschaft zu finden, die allerdings, dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit folgend, noch im Plural bezeichnet wird. In dieser letzten Periode wird das Anfertigen von Wissenschaftsklassifikationen fast zu einem Spezialgebiet der Philosophie^, die beginnt, sich als Wissenschaftslehre, als Wissenschaft der Wissenschaften zu entwickeln. Daher sind uns gerade aus dem 19. Jahrhundert zahlreiche philosophische Wissenschaftseinteilungen bekannt, wobei aber auch hier eine Entwicklung insofern abzulesen ist, als der hinter diesen Bemühungen liegende erkenntnistheoretische Aspekt immer stärker bewußt erfahren wird. So ist entsprechend/*. Oppenheims "natürliche Ordnung der Wissenschaften" (366) zu verstehen und so ist schließlich für P. Tillich die Erstellung eines Systems der Wissenschaften "nicht nur Ziel sondern auch Ausgangspunkt des Erkennens". In der Einleitung zu seinem System stellte er fest: "Erkannt ist, was als notwendiges Glied einem Zusammenhang eingeordnet ist. Das Einzelne in seiner Vereinzelung ist kein Gegenstand der Erkenntnis. Wo ein übergreifender Zusammenhang fehlt, da wird wohl angeschaut, aber nicht erkannt." (502, S. 1)

Ihm geht es nicht mehr nur um Einteilungsgesichtspunkte, er sucht nach dem "schöpferischen Standpunkt, der Ur-Intuition" des Systems; denn "jedes System lebt von dem Prinzip, auf das es gegründet und mit dem es erbaut ist" (S. 4). Für ihn war letztlich "das Metaphysische die lebendige Kraft, der Sinn und das Blut des Systems" (S. 4), was dann auch durchaus in der Dreiteilung seiner Systematik: Denk- oder Idealwissenschaften Seins- oder Realwissenschaften Geistes- oder Normwissenschaften zum Ausdruck kommt. So überzeugend dies alles klingen mag, wundert es doch andererseits fast nicht, daß nach diesem System von Tillich kein weiteres philosophisches System der Wissenschaften dieser Art mehr vorgelegt worden ist. Mit ihm ist daher diese 3. Periode wohl abzuschließen. 2.1.1

Tomierungen philosophischer Klassifikationen

Es muß für philosophische Klassifikationen als besonders typisch angesehen werden, daß ihre Ersteinteilungen bereits nach bestimmten Prinzipien vorgenommen wurden. Aristoteles war dabei vielfach Vorbild: a) durch das bei ihm verwendete dichotomische Unterteilungsprinzip, durch das später auch der bekannte Baum des Porphyrius entstanden ist und b) durch die Trichotomie seiner PhilosophieEinteilung in Theoretische Praktische und Poetische Philosophie.

4

Eine Auswahl von Klassifikationsschemata befindet sich im Anhang

33

Diesen beiden Einteilungsmöglichkeiten soll im folgenden an einigen Beispielen nachgegangen werden.

a) Dichotomic Dichotomischen Einteilungen, die häufig nach dem Ja-Nein-Prinzip oder dem Entweder-Oder-Modalismus folgen, sind als Ersteinteilungen beiAvicenna, Th. Hobbes und A Comte zu finden, bei W. T. Krug undA.-M. Ampere ziehen sie sich darüber hinaus auch noch durch das gesamte System hindurch. Vielfach wird damit ein formales Einteilungsprinzip verbunden, wie z.B. beiAvicenna (Taf. A 2), der zwischen Praktischen Wissenschaften und Theoretischen Wissenschaften unterscheidet. Dagegen gngHobbes von materialen Gesichtspunkten aus, wenn er unterscheidet zwischen Wissenschaften, die die Kenntnis der Tatsachen voraussetzen und Wissenschaften, die die Kenntnis der Folgen, die aus den Eigenschaften der Naturkörper entstehen, einschließen Krug (Taf. A 16) ging aus von Philologischen Wissenschaften und Realwissenschaften während A. Comte zwischen Wissenschaften von den rohen Körpern und Wissenschaften von den geordneten Körpern differenzierte (Taf. A 18). Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch noch A-.M. Ampere zu nennen, der von Kosmologischen Wissenschaften und Noologischen Wissenschaften (Taf. A 19) ausging und das dichotomische Prinzip auch in der vierten Unterteilungsebene benutzt, während die beiden dazwischen liegenden Ebenen in je vier Klassen unterteilt werden, so daß die vier Ebenen jeweils nach der Form 2442 unterteilt werden. Aufgrund dieser starken Formbezogenheit, mit der Systemstellen verbunden sind, die sich auf bestimmte Inhalte beziehen, findet Ampere in seinem System zu Begriffen von Wissenschaftsgebieten, die es zu seiner Zeit noch gar nicht gab und die es zum Teil heute noch nicht gibt (siehe Taf. A 19). Leider hat er nicht nur diesen neuen, sondern auch den bereits zu seiner Zeit bekannten Wissenschaften vielfach neue und recht ungewöhnliche Benennungen 34

zugeteilt und scheint damit bei seinen Zeitgenossen auf wenig Verständnis gestoßen zu sein. Von vier Ausgangs- mit je zwei formalen Unterklassen war auch Ampere's Zeitgenosse LG. de Saint-Hiloire ausgegangen (Taf. A 20).

b) Trichotomie Wesentlich häufiger noch, als dichotomische, lassen sich trichotomische Ersteinteilungen in den philosophischen Klassifikationen feststellen, aber nur in einem Falle — nämlich bei G. W.F. Hegel — wird die Dreiteilung auch auf den nächsten Stufen der Hierarchie weiter beibehalten^. In den meisten Fällen werden mit der Dreiteilung Inhalte verbunden, bis zu einer bestimmten Zeit (etwa bis 1750) geht man dabei von den menschlichen "Vermögen" aus (Gedächtnis, Verstand, Einbildung), nur H. Spencer benutzt eine formale Trichotomie (Taf. A 21): Abstrakte Klasse Abstrakt-konkrete Klasse Konkrete Klasse Einige Beispiele für materiale Dreiteilungen: A.Poliziano(149l) (Taf. A 7)

M. Nizolio (1533) (Taf. A 8)

/. Huarte (1575) (Taf. A 9)

F. Bacon (1605) (Taf. A 10)

Theologie (Eingebung) Philosophie (Erfindungsgabe) Voraussehen und Prophezeien Physikalische oder Naturphilosophie Politische oder Bürgerliche Philosophie Beredsamkeit oder Logik Künste und Wissenschaften, die durch das Gedächtnis erlangt werden die vom Verstand abhängen die durch die Einbildungskraft entstehen Geschichte (Gedächtnis) Poesie (Einbildungskraft) Wissenschaft oder Philosophie (Verstand, Vernunft)

In diesem Zusammenhang kann hier auch auf eine jüngere universale Klassifikation von Relationen, bzw. Relatoren hingewiesen werden, die durchweg Triaden enthält, wie das Hegel'sche System. Während jedoch dort kein formallogisches Prinzip für die Einteilung verwendet wurde, enthält das Relatoren-Schema je nach Relationsart unterschiedliche formale Einteilungsprinzipien. Die meisten jedoch von der Art: Positiv - Indifferent Negativ, was offenbar für Relationen ein typisches Grundprinzip darstellt, (siehe J.-M. Perreault: Categories and relators. (379) und Taf. A 23)

35

G. W.F. Hegel (1817) (Taf. A 17) Logik Naturphilosophie Philosophie des Geistes

Solcherart Trichotomien wurden nicht nur in den philosophischen Klassifikationen verwendet, sondern auch zur Gliederung von Enzyklopädien, z.B. von B. Latini (Taf. A 6), der damit zum Teil auf Aristoteles zurückgeht oder von Z). Diderot und/. d'Alembert (Taf. A 15), die auf Francis Bacon zurückführen.

c) Polytomie Die übrigen philosophischen Klassifikationen gehen von einer unterschiedlich großen Anzahl von Ausgangsklassen aus, so beginnt Roger Bacon (1266) mit den folgenden fünf: Grammatik und Logik Mathematik Physik Metaphysik und Moralphilosophie Theologie R. Descartes (1644) mit folgenden sechs: Logik, Mathematik, Philosophie, Medizin, Mechanische Wissenschaften, Ethik und B.M. Kedrov (1955) mit ebenfalls sechs, wovon vier zugleich Zusammenfassungen von Wissenschaften enthalten: Philosophische Wissenschaften Mathematische Wissenschaften Naturwissenschaften und technische Wissenschaften Sozialwissenschaften Sprachwissenschaft Psychologie Bei Descartes war es im wesentlichen um die Reihenfolge gegangen, in der die verschiedenen Wissenschaften studiert werden müßten (432, Bd. I, S. 176) und bei Kedrov wird mit dem System gleichzeitig ein Vorschlag für eine Bibliotheksklassifikation verbunden. Es ist zu vermuten, daß solcherart Polytomien, die z.B. für Bibliotheksklassifikationen charakteristisch sind, von diesem Anwendungsbereich her auf philosophische Klassifikationen zurückwirken; zumindest ist dies bei Kedrov der Fall. 36

2.l .2

Gruppierungen von Disziplinen

Zusammenfassungen von Wissenschaften, wie sie im Kedrovschen System besonders deutlich werden, konnte man allerdings bereits bei Krug begegnen, auch schon bei Ampere und Saint-Hilaire. Die folgende Tabelle soll dies zeigen: Wissenschaften Philologische W. Historische W. Mathematische W. Philosophische W. Anthropologische W. Physikalische W. Medizinische W. Juristische W. Theologische W. Naturwissenschaften Nootechnische W. Ethnologische W. Politische W. Biologische W. Sozialwissenschaften

Krug

Ampere

St. Hilaire

Kedrov

X

X

X

X

X

X

X X

X

X X

X

X

X

X

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X

Diese Art disziplinbezogene Bündelungen von Wissenschaften können ebenfalls als eine Besonderheit philosophischer Klassifikationen aufgefaßt werden, da sie in anderen Klassifikationen, wie wir später sehen werden, zunächst noch nicht zu finden sind6, auf keinen Fall aber in diesem Umfang, wie bei Krug. Wie aus der Tabelle hervorgeht, ist die Übereinstimmung in den Benennungen der Zusammenfassungen allerdings bei den einzelnen Autoren nicht so groß. Es wäre allerdings im einzelnen zu überprüfen, was jeweils unter diesen Bezeichnungen verstanden wird; dies würde die Anzahl sicher reduzieren. Identisch sind jedenfalls die biologischen Wissenschaften von Saint-Hilaire mit den Naturwissenschaften von Ampere, jedoch nur zum Teil mit denen von Kedrov, während der andere Teil der Kedrov'sehen Naturwissenschaften bei den physikalischen Wissenschaften der übrigen unterzubringen wäre. Überlegungen von der Art, was jeweils überhaupt unter den einzelnen Wissenschaften der Autoren philosophischer Klassifikationen subsumiert wird und wie sich dies im Laufe der Zeit entwickelt, wären freilich wissenschaftshistorisch sehr aufschlußreich, könnten uns vermutlich bei unseren gegenwärtigen Problemen, bei denen es darauf ankommt, was unsere Zeit im einzelnen je einem Wissenschaftsbereich als zugehörig erklärt, aber kaum nützen. Trotzdem muß man es als einen Mangel bezeichnen, daß die meisten philosophischen Klassifikationen immer nur wenige Hierarchien enthalten und ihre Begriffe S.R. Ranganathan nennt diese Bildungen "partial comprehension", siehe Abschn. 4.3.2; sie sind auch erst in späteren Auflagen in seine Klassifikation aufgenommen worden.

37

häufig schon bei den Disziplinen aufhören, so daß deren tatsächlicher Begriffsumfang nicht ausgemacht werden kann. Umso wichtiger ist die innere Systematik anzusehen, die durch Systemprinzipien und Systemstellen gegeben wird. Daraufwar Ampere bereits gekommen; er forderte, daß man die Mittel der Definition mit der Klassifikation verbinden solle (8, S. VI), was ja über die formalen Unterteilungskriterien seines Systems dann auch gut möglich war.

2.1.3

Einteilungsgesichtspunkte

Es war bereits oben darauf hingewiesen worden, daß manche Philosophen ihre Klassifikationen nach den menschlichen Vermögen einteilen; dies kann geschichtlich bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts beobachtet werden. Bereits seit der Mitte des 17. Jahrhunderts jedoch, seit R. Descartes und später mit Th. Hobbes und/. Locke beginnt man, sich an den Objekten zu orientieren und die Wissenschaften nach den von ihnen behandelten Gegenständen einzuteilen. Nach Linne, aber immerhin noch weit vor Darwin, bezog man in diese neue Auffassung die Evolutionstheorie mit ein. Einen weiteren neuen Gesichtspunkt brachte Hegel, der Objekte nicht in ihrem statischen Verharren sondern in ihrem Entwickeln und Vergehen sehen wollte. Denn für Hegel ist die Natur ein "System von Stufen", "deren eine aus der anderen notwendig hervorgeht; aber nicht so, daß die eine durch die andere natürlicher Weise erzeugt wird, sondern in der inneren, der Natur zu Grunde liegenden Idee. Die Bewegung der Idee der Natur ist, aus ihrer Unmittelbarkeit in sich zu gehen, sich selbst aufzuheben und zum Geist zu werden." (219, S. 191). Mit seiner Stufentheorie hatffegel sichtbaren Einfluß auf die weitere Entwicklung ausgeübt: In der "Enzyklopädischen Stufenleiter" (1830) von Auguste Comte sind die Wissenschaften so zu ordnen, "daß die rationelle Untersuchung jeder Kategorie auf die Kenntnisse der hauptsächlichen Gesetze der vorhergehenden Kategorie gegründet ist und zugleich die Grundlage zur Untersuchung der nächstfolgenden wird. Dieses Verfahren ist durch den Grad der Allgemeinheit der Erscheinungen bestimmt, woraus deren successive Abhängigkeit und folglich die mehr oder weniger große Leichtigkeit ihrer Untersuchung hervorgeht" (83, S. 60)7. Auch in den Klassifikationen von Ampere, Saint-Hilaire, Spencer, Tillich, Kedrov ist die Verwendung der Evolutionstheorie in der Abfolge der Hauptklassen zu erkennen. Saint-Hilaire hat die innere Logik dieses Prinzips für eine anschauliche Ordnung unseres Wissens treffend beschrieben. So begründet er die Reihenfolge seiner Hauptklassen: ".. . die kartesianische Konzeption erweist sich ihres Urhebers als würdig: die Logik und die Geschichte verifizieren sich gegenseitig, oder vielmehr, das logisch Voraufgehende ist stets auch das historisch Vorausgehende ... In der Tat, die Mathematik, die Wissenschaft der ewigen Wahrheiten, ist allen anderen Wissenschaften historisch voraufgegangen. Jünger als die Mathematik sind die physikalischen Wissenschaften, aber vor den biologischen dagewesen, ebenso wie die Materie und die Anorganischen Körper vor den Lebewesen. 7 38

Wir übernahmen die Übersetzung aus Samurin, Bd. II, S. 59

Letztendlich sind die Sozialwissenschaften jene, deren Entwicklung die späteste ist, wie der Mensch das den Abschluß bildende Meisterwerk und die Krone der Schöpfung ist. Die Wissenschaften entwickeln sich also in derselben Ordnung, in der ihre Objekte entstanden sind." (429, Bd. l, S. 233, 246«)

Neben diesen Gesichtspunkten der Abfolge müssen des weiteren die der Unterteilungen bedacht werden. Bei der Betrachtung des Systems von /. Huarte (Taf. A 9) fällt auf, daß verschiedene Disziplinen mit verschiedenen Aspekten in allen drei Hauptabteilungen erscheinen, so "Positive Theologie" in der ersten und "Scholastische Theologie" in der zweiten; so "Theoretische Medizin I" in der ersten, " - - II" in der zweiten und "Praktische Medizin" in der dritten; so "Theoretische Rechtsgelehrsamkeit" in der ersten, "Praktische Rechtsgelehrsamkeit" in der zweiten und "Praktische Justiz" in der dritten. Über diese Möglichkeit, daß fast gleiche Gebiete in verschiedenen Abteilungen erscheinen können, hatte sich Nizolio so geärgert, daß er in seine Klassifikation Gebiete, die in mehreren Abteilungen vorkommen könnten, erst gar nicht mehr aufnahm. Die hiermit verbundene Problematik hat aber anscheinend erst Ampere 300 Jahre später erkannt. Im Vorwort zu seiner Klassifikation schreibt er: "Seit langem habe ich bemerkt, daß es notwendig ist, bei der Bestimmung der Unterscheidungsmerkmale, nach denen man die Wissenschaften definieren und klassifizieren muß, nicht allein die Natur der Objekte, auf die sie sich beziehen, zu berücksichtigen, sondern auch die verschiedenen Gesichtspunkte, unter denen man diese Objekte betrachtet..." (8, S. VII).

Allerdings sind die von ihm gewählten Gesichtspunkte so unklar (er spricht von autoptischen, kryptoristischen, troponomischen und kryptologischen Gesichtspunkten (432, Bd. II, S. 65)), daß er mit seinen Vorstellungen nicht ohne weiteres zu verstehen ist. Um dem Umstand der Aspektvielfalt des Gegebenen begegnen zu können, schlug Saint-Hilaire dagegen eine Parallelklassifikation vor - allerdings zunächst nur für die "theoretischen" und die "praktischen" Wissenschaften9 und gab seinem System die Form einer Tabelle. In ähnlicher Weise taten dies später auch Cournot, Mazaryk und &zov. Wir verwendeten hier die in der Übersetzung des Samurin-Werkes vorliegende Übersetzung (432, Bd. II, S. 63-64) Die Unterscheidung zwischen "abstrakten" und "konkreten", die wohl mit "theoretischen" und "praktischen" Wissenschaften gleichzusetzen sind, hatte Francis Bacon bereits gemacht. Comte hatte sie aufgegriffen und sogar gefolgert, daß jede "praktische" oder "angewandte" Wissenschaft gleichzeitig von mehreren "theoretischen" Wissenschaften abhänge. Diese haben "die Entdeckung der Gesetze zum Gegenstand, welche die verschiedenen Klassen der Erscheinungen regieren, indem sie alle Fälle betrachten, welche man mit einbegreifen kann", während die "konkreten" Wissenschaften "in der Verwertung dieser Gesetze für die wirkliche Geschichte der verschiedenen existierenden Wesen" bestehen (83, S. 49). Zu dieser Unterscheidung der Comteschen Klassifikation fügte Herbert Spencer in seiner "Classification of the Sciences" (1864) noch die Gruppe der "abstrakt-konkreten" Wissenschaften hinzu (auf die wir bereits hinwiesen, siehe 2.1.l.b)), die "die Erscheinungen selbst in ihren Elementen erforschen" (478, S. 6).

39

Zu der Einsicht von der Aspektvielfalt und der damit verbundenen Polyhierarchie alles Gegenständlichen war man also in der Philosophie bereits im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts gekommen; aber erst in unserer Zeit beginnt dieses Wissen Allgemeingut zu werden. Aber während man im bibliothekarisch-dokumentarischen Bereich versucht, diesem Phänomen durch Facettenklassifikationen zu begegnen (S. R. Ranganathan, B.C. Vickery, D.J. Foskett etc.), scheinen heutige Philosophen seine Darstellungsmöglichkeit für ausgeschlossen zuhalten. Oder wie anders ist Rochhausen's in 1.1 zitierter Satz zu verstehen ("... daß es eine solche Tabelle nicht geben kann" (421. S. 7)? 2. l .4

Schlußbemerkung

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die besonderen Charakteristika philosophischer Klassifikationen in ihrer Aspektbegründung und Aspektorientierung gesehen werden können, denn bereits die genannten dichotomischen oder trichotomischen Vorabdifferenzierungen sind ja auf materiale oder formale Aspekte zurückzuführen, wozu die oben beschriebenen für die Unterteilungen hinzukommen. Inhaltlich beziehen sich philosophische Klassifikationen meist nur auf Wissenschaften, wenn auch deren technische Anwendungen mitberücksichtigt werden, ohne dabei allerdings Einzelheiten zu nennen; keineswegs aber soll dabei nur auf tatsächlich vorhandene Wissenschaften hingewiesen werden. Die erkenntnistheoretische Absicht bestimmt bereits die Leerstellen, die im Schema von F. Bacon noch echte Leerstellen bleiben, bei Ampere jedoch jeweils schon mit Benennungen belegt werden. Ähnlichkeiten in den Systemen verschiener Philosophen sind sehr leicht festzustellen, wenn auch einer auf dem anderen aufbaute und weiterentwickelte; so scheint F. Bacon aufHuarte aufzubauen und Tillich ist ohne Hegel nicht denkbar, etc. Eine Beeinflussung anderer Bereiche, wie z.B. das Bibliothekswesen, die Enzyklopädie, hat freilich ebenfalls stattgefunden; auf sie wird jedoch später zurückzukommen sein.

2.2

Pädagogisch-didaktische Klassifikationen

2.2.0

Vorbemerkung

Im Gegensatz zu den philosophischen Systemen sind pädagogisch-didaktische Klassifikationen Gliederungen des Wissens um der Darstellung des Lehrstoffs willen. Da dieser immer thematisiert werden muß, ist hierzu eine Differenzierung nach mehr oder weniger gut abgrenzbaren, inhaltlich kompakten Wissensgebieten erforderlich. Die geschichtliche Entwicklung führt hier von den griechisch-römischen Bildungsvorstellungen mit den wohl fixierten Gebieten der Septem Artes über die Enzyklopädien, die diese als Gliederungsbestandteile aufnahmen (siehe z.B. in der En-

40

zyklopädie des Isidor von Seviüa (570—636)) zu den Lehrangeboten, die in den mittelalterlichen Universitäten gemacht werden bis zu den häufig noch nach Fakultäten eingeteilten Lehrstühlen und Vorlesungsverzeichnissen von heute. Im folgenden soll diesem Ablauf der Entwicklung etwas näher nachgegangen werden. 2.2. l

Platon 's Einfluß auf die "Septem Artes"

Eine der ersten Übersichten über Unterrichtsfächer für Jugendliche finden wir in Platons "Staat". Damit die Jugendlichen als "Wächter" seines Idealstaates dienen können, sollen sie in den folgenden Gebieten befähigt werden: Grammatik und Körperschulung Musik (im weiteren Sinne) Lesen, Schreiben Literatur (Poesie) Musik (im engeren Sinne) Mathematik Arithmetik Geometrie Astronomie Dialektik Diese Gliederung kann als eine Art Vorläufer der mittelalterlichen "Septem artes liberales" angesehen werden (Trivium und Quadrivium) mit den Fächern: Trivium: Grammatik, Dialektik, Rhetorik Quadrivium: Musik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, die auch seit Varro (l 16-27 v. Chr.) und/Mo (25 v.-39. n. Ch.) zur Gliederung zahlreicher Hand- und Lehrbücher des gesamten Wissens bis tief in das 16. Jahrhundert hinein dienten. Sie bilden auch die Inhalte der ersten Bücher der "Etymologiae..." des Erzbischofs Isidor von Sevitta. Demgegenüber wurden sogenannte exakte Wissenschaften nur in der arabischhellenistischen Hochkultur gepflegt, die im wesentlichen auf den Arbeiten des Aristoteles basieren. E, Orthband (367, S. 232) weist auf den "unermeßlichen Vorsprung jener Hochkultur in Experimentalphysik, Optik, Chemie, Anatomie, Chirurgie, Innere Medizin, Pharmakologie, Geographie, Zoologie, Botanik, Astronomie" hin (siehe hierzu auch die Gliederung tesAvicenna (Taf. A 2)), deren Wissen nur sehr langsam seit Beginn des 13. Jahrhunderts über die italienischen und spanischen Universitäten nach Frankreich, England und Deutschland vordrang. Noch in Studienplänen des 16. Jahrhunderts (s.u.) ist wenig von ihrem Einfluß zu spüren. Das folgende Beispiel 10 bringt eine Gegenüberstellung der Studienpläne der Universitäten Tübingen und Wien aus der Mitte des 16. Jahrhunderts: 10 Entnommen aus Samurin, Bd. l, S. 98-99 41

Tübingen (1543-1558) Zur Erwerbung des Bakkalaureus Griech. u. lat. Grammatik Dialektik Poetik Elemente der Physik Mathematik Zur Erwerbung des Magisters Griech. Philosophie (Arist.) Physik Mathematik Ethik

Wien (l554) Grammatik Dialektik Rhetorik Erste Physik ("Physik" und "Von der Seele" d. Aristoteles) Eiste Mathematik (Arithmetik, Geometrie, Astronomie) Logik ("Organon" d. Aristoteles) Zweite Physik Zweite Mathematik (+ Astronomie) Ethik ("Ethik" und "Politik" des Aristoteles) Literatur, Politik, Geschichte Hebräische Sprache Griechische Sprache

Sehr deutlich ist der Einfluß der Septem artes noch zu erkennen, alles übrige fußt offenbar im wesentlichen auf Aristoteles, aber von der auf ihm basierenden Weiterentwicklung der Wissenschaften im arabisch-hellenistischen Raum ist nichts zu erkennen. 2.2.2

Enzyklopädien als Lehrstoff-Sammlungen

In seiner umfassenden Geschichte des Lehrplans (139) weist/. Dolch auch auf die Relevanz der großen mittelalterlichen Enzyklopädien für die Lehrplangestaltung hin. Die Gliederung der Enzyklopädie des Hugo von St. Victor (Taf. A3) zeige deutlich, daß der Lehrplan der sieben freien Künste noch "im System stecke", wenn er auch nicht das Aufbauprinzip bilde (139, S. 137). Auch ist bekannt, daß die Enzyklopädie des Bartholomäus Anglicus (Taf. A 5) als offizielles Lehrbuch für die Studenten der Pariser Universität galt. Entsprechend der gläubigen Einstellung dieser Zeit liegt den meisten mittelalterlichen Enzyklopädien zunächst die Einteilung des Hexaemeron zugrunde 11. Sie begannen mit der Schöpfungsgeschichte (siehe hierzu besonders die Einteilung der Enzyklopädie des Vinzenz von Beauvais, Taf. A 4) und endeten mit der Technik. Diesen Einteilungsaspekt finden wir auch noch 1654 in J.H. Comenius' "Orbis sensualium pictus" (82). Im Gegensatz dazu ist in den Reformplänen eines Tommasso Campanella ("Sonnenstaat"), dem es darum geht, dem Einzelmenschen vor allem Selbstbewußtsein zu vermitteln, von Religion und Theologie keine Rede mehr. In seinem protestantischen Gegenstück, dem utopischen "Christianopolis" von/. V. Andreae (Taf. A 13), wird die Theologie an das Ende aller Unterrichtsfächer gesetzt. 11 Damit antizipieren sie aber in gewisser Weise bereits die Stufenordnung, nach der die in Abschn. 2.1.3 genannten Vertreter der idealistischen Philosophie den Aufbau der Wissenschaften geordnet sehen wollten.

42

Vom Lehrer des Comenius, von/.//. Alsted, ist aus dem Jahre 1630 eine 7-bändige Enzyklopädie mit Lehrstoff für alle Disziplinen erhalten (Gliederung Taf. A l l ) ; die am stärksten gegliederte Übersicht über Lehrgebiete der damaligen Zeit ist jedoch die Enzyklopädie des W. Ratke mit einer "Entwerfung der All-Unterweisung", 1619. Diese "Entwerfung" ist vor allem aus sprachlichen Gründen außerordentlich interessant, da hier offenbar erstmalig versucht wird, für die bisher lateinischen oder latinisierten Bezeichnungen von Wissensgebieten Äquivalente in Deutsch zu finden, siehe Taf. A 12). Es wird unterschieden zwischen "Gemütslehr" und "Handwerkslehr", etc. Manche der recht eigenwilligen Wortschöpfungen haben sich bis heute gehalten, wie Sprachlehre, Sittenlehre. Die meisten sind jedoch nicht in den Sprachgebrauch aufgenommen worden. Die Gliederung der All-Unterweisung verwendet dichotomische Unterteilungen, die bis auf acht Stufen in die Hierarchie "hinab" fuhren; die obersten Stufen haben die Wortendungen -lehr, die untersten die Endungen -kündigung, wie z.B. Naturkündigung (Physica) oder Zahlenkündigung (Arithmetica). Aus diesen pädagogischen Bemühungen und neuen Darstellungen des zu Wissenden ist zu erkennen, daß nicht nur die Lehrgebiete erheblich gegenüber dem Stoff der mittelalterlichen Schulen und Universitäten zugenommen haben, sondern daß auch der Stoff der Enzyklopädien zur Unterrichtung außerhalb der Universitäten verwendet wird und daß sich so das Bildungswesen mehr und mehr differenziert.

2.2.3

Akademische Lehrgebiete der Neuzeit

Es soll uns im folgenden nun nur noch um die Wissensgebiete gehen, deren Stoff in den Universitäten vermittelt wird. Über Descartes hörten wir bereits, daß es ihm bei seiner Aufzählung und Gliederung der Wissenschaften vor allem darauf ankam, eine Abfolge der Disziplinen aufzustellen, in der sie von den Studenten erlernt werden sollten. Auch G. W. Leibniz hat sich eine solche Reihenfolge ausgedacht und sie brieflich Peter dem Großen anläßlich der beabsichtigten Eröffnung der Akademie der Wissenschaften in Petersburg mitgeteilt (432, Bd. l, S. 348-349). So begründet er jeweils ausführlich die Inhalte der folgenden 14 Disziplinen und die notwendige Reihenfolge: 1. Theologie, 2. Logik, 3. Ethik, 4. Medizin und Chirurgie, 5. Geschichte, 6. Natur- und Staatsrecht, 7. Astronomie, 8. Geographie, 9. Architektur, 10. Geometrie und Arithmetik, 11. Mechanik, 12. Physik, 13. Chemie, 14. Musik, 15. Sprachen. Von Leibniz besitzen wir sonst keine Einteilung der Wissenschaften außer seiner Bibliotheksklassifikation, auf die wir später noch zu sprechen kommen werden^. 12 In gewissem Sinne könnten auch Leibniz' Vorstellungen zur Einrichtung von Akademien (z.B. für Berlin, Wien, Petersburg) mit entsprechenden Abteilungen als Wissenschaftsklassifikationen angesehen werden. (Siehe auch Abschn. 2.7.1) Auch äußerte er sich im letzten Abschnitt seiner "Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand H" (304) hierzu, folgt dabei aber der Einteilung Lockes mit Physik, Moral, Logik. 43

Übersichten über Lehrgebiete und Lehrpläne auf Universitäten finden sich für die Folgezeit nicht bei Dolch, auch nicht in anderen pädagogisch-historischen Werken.13 Nun muß man freilich bedenken, daß Lehrplan und Lehrangebot der Universitäten zweierlei sind. Uns geht es ja darum, die Wissensgebiete identifizieren zu können, die für den Hochschulunterricht als solche deklariert wurden und werden. Um sie in allen Benennungsvariationen erfassen zu können, müßten wohl die Vorlesungsverzeichnisse deutscher und ausländischer Universitäten der letzten 200 Jahre durchgesehen werden. Da es uns aber vor allem um die Kenntnis der heute üblichen Lehrgebiete geht, wurden alle Vorlesungsverzeichnisse deutscher Universitäten (BRD und DDR) l 4 des Jahres 1969 durchgesehen. Die Fülle der verschiedenartigen Benennungen für gleiche Wissensgebiete erwies sich als nicht unerheblich. Die Namen der Lehrstühle und Universitätsinstitute erschienen verhältnismäßig "stabil" und undifferenziert; häufig jedoch vermutlich gegenüber dem tatsächlich "darunter" gelehrten Wissensgebiet, hoffnungslos veraltet. Einzig aufgrund von Lehraufträgen scheinen neue Gebietsbezeichnungen aufzutreten; diese variieren dann jedoch sehr stark in ihren Benennungen.15 Einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Studiengebiete vermittelt auch das "Handbuch der akademischen Studiengebiete und Berufe" von//. Arimond (13)16. Es enthält und beschreibt die Ausbildung für insgesamt 132 akademische Berufe in 354 Lehrgebieten. Eine Kopie des Inhaltsverzeichnisses siehe Taf. A 22. Während nun der Autor dieses Handbuchs sich offensichtlich bemüht haben muß, die Benennungen der Studiengebiete einer Art "terminologischen Kontrolle" zu unterziehen, läßt sich dies bei einer Durchsicht des "Deutschen Hochschulführers" nicht feststellen; auch die darin ablesbaren Gruppierungen von Fakultäten und Fachbereichen sind recht unterschiedlich. Diese Fragen sind natürlich sehr eng mit den gegenwärtigen Bemühungen um Hochschulrahmengesetz und Bildungsreform verknüpft. Es könnte vielleicht auch argumentiert werden, daß eine Änderung dieser Sachlage, die ein eindeutiges Festlegen der Inhalte von Lehrgebieten bedeuten würde, der Forschung und Neuentwicklung abträglich sein könnte, da diese ja hier mit der Lehre (glücklicherweise) verknüpft ist. Besonders schwierig muß es in diesem Zusammenhang erscheinen, Inhalt und Umfang der Begriffe, die Wissensgebiete in Hochschulen bedeuten, eindeutig zu bestimmen und abzugrenzen. Möglicherweise könnte dies als unzumutbare Festlegung auf Programme 13 Konsultiert wurden außerdem: F. Paulsen: Geschichte des gelehrten Unterrichts. 3. Aufl. 1919 (Nachdr. 1960) und F. Blättner: Geschichte der Pädagogik. 11. überarb. u. erg. Aufl., Heidelberg 1965. - Daß Dolch's Kompendium eine erste umfassende und zusammenfassende Lehrplangeschichte darstellt, geht aus seinem Vorwort hervor, in dem er auf eine Feststellung Brubachers 1947 - "the history of the theory of curriculum construction has yet to be written" Bezug nimmt. 14 Sie sind im Deutschen Universitäts-Handbuch zusammengefaßt (117). 15 Die Benennungen wurden karteimäßig erfaßt, siehe auch Abschn. 4.3.8 16 Eine Neuauflage der ersten (von 1963) soll gegenwärtig vorbereitet werden.

44

empfunden werden. Es kann aber andererseits nicht übersehen werden, welcher Zuwachs an Klarheit und Orientierungsmöglichkeit, vor allem auch hinsichtlich besserer Organisation der Studien und Studiengänge durch ein allgemein akzeptables Ordnungssystem der Lehrgebiete erreicht werden könnte. Man hat es bisher hingenommen, daß die Auffassungen der Wissenschaftler über die Inhalte ihrer Fach- und Lehrgebiete divergierten. Solange diese noch in übersehbarer Zahl vorhanden waren, ließen sich solche Divergenzen auch vielleicht noch "verkraften". Wir stehen aber heute nicht nur vor dieser Problematik im nationalen Bereich; in unserer zusammenwachsenden Welt und besonders für die Dritte Welt sollten solcher Art notwendige Organisationsprobleme weder als "unnötig" noch als "unmöglich" erachtet werden. Es scheint mir, als ginge es bei der Realisierung eines solchen Ordnungssystems - das ein Subsystem des postulierten universalen Klassifikationssystems sein könnte — nicht so sehr um die Einsicht in seine möglichen Wissens- und wissenschaftsökonomischen Auswirkungen, dies mag man vielleicht noch gerne konzedieren, als um Einsicht in den soziologischen Wert und die Notwendigkeit der Grundlagenschaffung zur internationalen Verständigung. Solche Einsicht ist allerdings immer dort besonders gering, wo einerseits Trägheit und geistige Unbeweglichkeit und andererseits unkritische Gläubigkeit, Ideologie regieren. Der Gefahr, daß es bei der erforderlichen Diskussion um einen "Streit um Worte" gehen könnte, wird man sich jedoch hier nicht ausgesetzt sehen, da die Verbalisierungen von Begriffen keine oder nur eine unwesentliche Rolle spielen, wenn die Inhalte der Begriffe durch den Elementstellenplan festgelegt werden können. Nachtrag zu Abschn. 2.2.3 Noch während ich das obige Lamento schrieb, entstand bei der Geschäftsstelle des Hochschulverbandes in Bad Godesberg der "Fächerkatalog" (237), eine systematische Darstellung von 2268 Fachgebieten, die an deutschen Hochschulen gelehrt werden und zwar nach nur einjähriger Erarbeitungszeit und unter Mitarbeit von ca.1000 deutschen Professoren, die gutachtlich über Inhalte von "Fachrichtungen", "Fächern" und "Fachgebieten" zu vorgegebenen Benennungen von Gebieten Stellung nahmen. Bei der systematischen Anordnung ging man von 88 sogenannten Fachrichtungen aus, versuchte dabei noch keine strukturierende Vorordnung, behielt aber immerhin die sozialwissenschaftlichen, sprachwissenschaftlichen, physikalischen, biologischen, medizinischen und technischen Fachrichtungen beieinander und numerierte fortlaufend in folgender Art: 01 02 03 04 05 06 07 08

Katholische Theologie Evangelische Theologie Erziehungswissenschaft Heilpädagogik Psychologie Soziologie Politikwissenschaft Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft (Publizistik)

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09 Volkswirtschaftslehre 10 Betriebswirtschaftslehre 11 Wirtschafts- und Sozialpädagogik 12 Verwaltungswissenschaft 13 Rechtswissenschaft 14 Philosophie 15 Religionswissenschaft 16 Geschichte etc

Die nächste Ebene der "Fächer" enthält jeweils unterschiedliche Anzahlen von Zusammenfassungen von "Fachgebieten", so z.B. Mathematik Anzahl der Fachgebiete Mathematische Logik und Grundlagenforschung (10) Kombinatorik und Graphentheorie ( 0) Zahlentheorie ( 7) Algebra ( 8) Analysis (14) Geometrie ( 6) Topologie ( 3) Angewandte Mathematik (10) Didaktik und Methodik der Mathematik ( 0)

Die sog. "Fachgebiete", die in der Einleitung auch mit Disziplinen gleichgesetzt werden, sind auf der dritten Ebene zu finden, werden jedoch keineswegs immer durch Begriffe repräsentiert, deren Benennungen Gebiete bezeichnen. Es kommen häufig Benennungen von Objekten vor, z.B. von Maschinen und Geräten, wie "Digitalrechner", "Fernsprecher" oder auch Benennungen von Tätigkeiten, wie "Abstecken und Trassieren", oder von Phänomenen, wie "Aeroelastizität" und schließlich auch von Ländern und Sprachen. Diese Benennungen wurden aufgrund der Inhalte der in Vorlesungsverzeichnissen angekündigten Vorlesungen mit Bezug auf die Lehrstühle ermittelt und aufgrund der Themen von Lehraufträgen. Hauptintention bei der Aufstellung des Fächerkatalogs war die Schaffung eines Codierungshüfsmittels zur Ermittlung statistischer Größen für die Hochschulplanung, um z.B. über Fächerbesetzungen und Studienziele Zahlen von Studenten und Hochschullehrern zu errechnen und damit ein Hilfsmittel für die Entscheidungsfindung in der Hand zu haben. Es war also damit eigentlich eine Systematik intendiert, die für die in Abschn. 2.7.3 zu behandelnden Klassifikationen für die Verwaltung zutrifft. Gleichzeitig bietet sie jedoch eine Übersicht über das, - was an deutschen Hochschulen an Studienfächern existiert — was von Hochschullehrern als Ordnung der Wissensgebiete pro Fachrichtung angesehen wird und - welche Doppel- und Mehrfacheinordnungen für erforderlich gehalten werden denn über das Register ist auch zu erkennen, daß über 200 Gebiete in zwei Fachrichtungen und 17 in drei, 6 in vier Fachrichtungen gelehrt werden. Allerdings ist der in so sehr kurzer Erarbeitungszeit erstellte Fächerkatalog quasi eine Her46

ausforderung an alle Hochschullehrer — dis bisher befragten stellen ja nur einen Prozentsatz aus der Gesamtzahl dar. Die Auseinandersetzung über die dargestellte Ordnung wird vermutlich nun einsetzen und von der Praxis her — also der praktischen Ermittlung von Studentenzahlen pro Fachgebiet — wird man ihre Tauglichkeit erproben können. Immerhin liegt aber nun doch jetzt eine Übersicht vor, die — wenn auch einseitig nur auf die deutschen Verhältnisse im Hochschulbereich abgestimmt — erstmalig eine größere Anzahl von Wissensgebieten in einer Gesamtordnung zusammenfaßt.

2.3

Enzyklopädische Klassifikationen

2.3.0

Vorbemerkung

Die folgenden beiden Abschnitte wurden "Klassifikationen zur Wissensverwendung" genannt, da enzyklopädisch-lexikalische Werke, wie Enzyklopädien, Lexika, Wörterbücher, linguistische Thesauri dazu angelegt sind, Wissen zur direkten Verwendung zu vermitteln, also auf Fragen sofort informative Antworten zu liefern. Enzyklopädien gehören zu den ältesten Formen und Trägern des Wissens; sie waren jedoch bis zur Entwicklung der ersten Lexika und Großlexika (Ende des 17. Jahrhunderts) meist nicht alphabetisch, sondern sachlich geordnet. Heute kennen wir sie nur noch alphabetisch, wenn auch versucht wird, wie z.B. im "Kleinen Meyer" 17 oder in der "Berteismann Lexikothek" 18 jeweiliges Fachwissen wieder zusammenzubringen. Als eine der letzten sachlich-gruppierten Enzyklopädien aus der vor-lexikographischen Periode 19, die allerdings auch in alphabetischer Anordnung erschienen ist, muß die "Encyclopedic ou dictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers" von Diderot und d'Alembert, 1751—1772 angesehen werden. Mit ihr schließt die Epoche, in der Enzyklopädien als universale Lehrbücher angesehen und benutzt werden und beginnt die Zeit, in der sie als Nachschlagewerke gelten. Uns interessieren im folgenden die sachlichen Inhalte und die Form der Gliederungen für die Sachordnung der Enzyklopädien seit ihrem Bestehen in ihrer mehr als 3000-jährigen Geschichte.20

17 "1882/83 gab Hermann Meyer 24 taschenbuchähnliche Fach-Lexika heraus" (306, S. 95) 18 Ab 1972 erscheint bei Bertelsmann ein 25-bändiges Lexikon, das 10 Bände allgemeines Lexikon und 14 Themabände umfaßt, (+ l Bd. Atlas) 19 Nach W. Lenz (306, S. 124) beginnt die Lexikographie 1674 als L. Moreri "das erste große Lexikon Europas in einer lebenden Sprache (Französisch)" (306, S. 98) herausgab. 20 Zur Geschichte der Lexika und Enzyklopädien (ab Moreri) siehe W. Lenz: Kleine Geschichte Großer Lexika. Gütersloh 1972 (306). - Im übrigen sei auf R. Collison und G. A. Zischka verwiesen.

47

2.3.1

Fiiihe Sachgliederungen

Als älteste "Enzyklopädie"21 können wohl die altindischen Veden bezeichnet werden, die vermutlich in den Jahrhunderten zwischen 1600 und 1200 v. Chr. kompiliert wurden und das Wissen in den folgenden vier Gruppierungen zusammenfaßten (323): Dharma Artha Kama

— — -

Moksha



Jura, Theologie, Ethik Geschichte, Politik, Ökonomie Literatur, Schöne Künste, Reine Wissenschaften Philosophie, geistige Erfahrungen

Es erscheint demnach hier, als gäbe es bereits in den Veden "partial comprehension' (Ranganathan) von der Art, wie wir solchen Zusammenfassungen erst wieder im 19. Jahrhundert begegnen (nomothetische22 Wissenschaften - Dharma? ; Sozialwissenschaften — Artha? ). Dagegen finden wir in der ältesten ägyptischen Enzyklopädie, der aesAmenemope, 1250 v. Chr., in seinem "Lehrbuch, das klug macht und den Nichtwissenden belehrt, wie man alles, was existiert, erkennt" keinerlei Wissensbereiche in diesem Sinne, sondern 17 große Abteilungen, die Objekte, wie z.B. Bodenarten, Stände und Ämter, Fremde Völker, Altersstufen, Wohnorte, Nahrungsmittel, etc. beschreiben, die dann nach den einzelnen Objekten nochmals unterteilt werdend Diese Art des direkten Bezugs auf Objekte, die sich im Lauf der Geschichte nur nach Umfang und Art der Zusammenfassung nach Objekten ändert, ist für Enzyklopädien fortan charakteristisch. Auch der etwa 1200 Jahre spätere GaiusPlinius Secundus (23—79) beschreibt in seinen 37 Büchern die Erde und ihre Elemente, die Länder, Meere, Städte, den Menschen, die Tiere, Pflanzen, Arzneien, Metalle, etc., wie dies auch wiederum ein Jahrtausend später die mittelalterlichen Autoren von Enzyklopädien besorgen. Es bahnt sich zwar bereits in den 20 Büchern der Enzyklopädie aeshidor von Sevilla^ eine Gliederung nach Gebieten an, die zunächst von den Sieben Freien Künsten ausgeht und dann einige weitere Gebiete aufnimmt, wie Medizin (4. Buch), Recht (5. Buch) aber bereits die nächsten 3 Bücher nicht unter "Theologie" oder dergl. zusammenfaßt, sondern über "Altes und Neues Testament", über "Gott" und die "Kirche und Synagoge" berichtet und in allen weiteren Büchern nur noch über Objekte handelt, bis hin zu den "Fuhrwerken und Geräten"25.

21 Die Veden als "Enzyklopädie" zu bezeichnen, ist meine eigene Klassierung aufgrund der Tatsache, daß sie als (geoffenbarte) Lehrschriften aufgefaßt wurden. 22 Im Sinne von "Gesetzgebungswissenschaften" 23 Siehe (432, Bd. I, S. 11); s.a. Taf. A 1) 24 Wir erwähnten die "Etymologiae.. ." bereits in 2.2.0 und 2.2.1 25 Siehe gamurin, Bd. I, S. 45-47 48

2.3.2

Gliederungen in Mittelalter und Renaissance

Ein typisches Abbild ihrer Zeit sind die zum Teil monumentalen Enzyklopädien aus den Gelehrtenstuben mittelalterlicher Klöster, so die sehr umfangreiche (57 Bücher) des Dominikaners und Bibliothekars bei Ludwig IX., Vinzenz von Beauvais (1190-1264), mit seinem dreiteiligen "Speculum majus" (s. Taf. A 4) Speculum naturale - Naturbeschreibung nach dem Hexaemeion Speculum doctrinale Speculum historiale

- Grammatik, Logik, Ökonomie, Politik, Recht, mechanische Künste, Militörwesen, Medizin, Physik, Mathematik, Theologie - Schöpfungegeschichte, Geschichte Griechenlands und Roms und die anderer Länder26

oder die 19 Bücher des Bartholomäus Anglicus (um 1260), betitelt "De proprietatibus rerum", von der bereits gesagt wurde (s. Abschn. 2.2.1), daß sie als offizielles Lehrbuch für die Studenten der Pariser Universität galt und die im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts ins Englische, Französische, Italienische, Spanische und Dänische übersetzt worden ist2 / (s. Taf. A 5). Schließlich sollte auch noch die Enzyklopädie des Brünette Latini (1230-1294) genannt werden mit seinen erstmalig nicht mehr in lateinischer Sprache erschienenen "Livres dou tresor"28 (s. Taf. A 6). Den Gliederungen dieser Enzyklopädien liegt zumindest in Teilen das Hexaemeron zugrunde; sie sind damit nicht nur ein Abbild des Wissens sondern auch eines des starken Glaubens des mittelalterlichen Menschen. G.A.Zischka nannte sie treffend "Kathedralen des Wissens" (584, Ein!.). Gänzlich anders ordnen dagegen die Autoren des Humanismus und der Renaissance die Gegenstände ihres Wissens: bei Georg Valla (1447-1500) sind die ersten 45 seiner 48 Bücher umfassenden Enzyklopädie durchweg nach den Namen von Wissensgebieten geordnet, wobei hier auch die Namen der Septem Artes wieder auftauchen, die aber ergänzt werden durch "Physiologie einschließlich Metaphysik", Medizin, Moralphilosophie, Ökonomik, Politik. Die letzten Bücher handeln "von den geziemenden und nichtgeziemenden Stoffen, vom Schädlichen und Nützlichen für den Menschen" u.a. Von Theologie oder Gott ist hier keine Rede mehr, auch nicht z.B. bei RaphaelMafl"ei (1451-1522), der aber die "Achtunddreißig Bücher der städtischen Kommentare", wie er seine Enzyklopädie29 nannte, in die folgenden drei Teile untergliederte: Band I (l .-12. Buch) Band II (l3.-23. B.) Band III (24.-3S. B.)

Geographie Anthropologie Philologie (Grundlagen der verschiedenen Künste)

wobei erläutert werden muß, daß unter "Anthropologie" Kurzbiographien berühmter Menschen aller Zeiten verstanden wurde, die in alphabetischer Anordnung

26 27 28 29

Ibid., S. 72-74 Ibid., S. 78 Ibid. S. 80-81 Siehe hierzu (432, Bd. I, S. 109-111)

49

ihrer Namen aufgeführt wurden und mit einem chronologischen Verzeichnis versehen sind; unter "Philologie" finden wir: von den Tieren, vor allem vom Menschen von den sonstigen Tieren, Vierfüßler, Vögel, etc. vom Wesen und von der Entstehung der Pflanzen Metalle, Farben, Steine von der Ehrlichkeit, von der Vernunft Justiz, Verwaltung, Spiele von Xenophon übernommene Mitteilungen über... vom Lob der Arbeit von der Mäßigkeit vom Zyklus der Wissenschaften (!) von der Redekunst und vom Gedächtnis von den mathematischen Wissenschaften, etc.30 Diese Enzyklopädien enthalten demnach schon sehr viel mehr an Erfahrungs- und Beobachtungswissen als ihre Vorgänger, wenn auch dabei, wie ja auch in den mittelalterlichen Enzyklopädien, immer wieder auf das Wissen der Antike zurückgegriffen wird. Die Einteilung nach Büchern hat keinen Einfluß auf die Gliederungen dieser umfangreichen Werke. Oft erstreckt sich ein Thema über mehrere Bücher. Eine mehr als zweistufige Gliederung ist kaum zu erkennen. Bemerkenswert ist auch für diese Zeit noch die Schwierigkeit, das Beschriebene thematisch in einer Benennung zusammenzufassen, obwohl entsprechende Versuche durchaus unternommen wurden, aber dann, wie z.B. inMaffei's "Anthropologie" und "Philologie" doch zu Benennungen führten, die später nicht mehr in dieser Bedeutung verwendet wurden. 2.3.3

Gliederungen in Neuzeit und Gegenwart

Wir hatten im vorangegangenen Abschn. 2.2.2 auf die Enzyklopädien von Alsted undRatke hingewiesen (s.a. Taf. A 11 u. A 12). Bei Alsted tauchte in unserem Zusammenhang erstmalig das Wort "encyclopaedia"31 mf;Ratke benutzt hierfür 30 Veigl. (432, Bd. I, S. 111-112) 31 Das Wort "Enzyklopädie" wurde bis Mitte des 16. Jahrhunderts von keinem der genannten Autoren in den Titeln oder Untertiteln ihrer Werke genannt. Einzig Plinius hatte im Vorwort zu seinen "Naturalis historiae libri XXXVII" davon gesprochen, daß sein Werk behandle "Omnia attingenda, quae Graeci tes enkyklopaideias vocant". Noch kürzlich erläuterte G. Picht, daß darunter nicht der BUdungskreis sondern die Allgemeinbildung zu verstehen sei (392). Zischka wies darauf hin, daß dieses Wort in der griechischen Form erstmals 1541 in Basel von Joachim Fortius Ringelberg in einem Titel verwendet wird (584, S. XXXI), während die heute geläufige Form zum ersten Mal 1559 erscheint in "Encyclopaedia seu orbis disciplinarum epistemon" des Paul Skalich de Lika - "Eine recht dürftige Kompilation" noch dazu "eines Hochstaplers" (584, S. XXXII). 50

seine deutsche Prägung "All-Unterweisung", wobei aus dieser Bezeichnung nicht hervorgeht, ob er die Unterweisung aller oder die Unterweisung in allen Gebieten meinte. Die mit dem Humanismus beginnende bildungspositive Allgemeineinstellung könnte vermuten lassen, daß mehr eine Art volksbildendes Interesse mitspielte, wenn es auch vielleicht geschickt erschien, eine gewisse "Zweideutigkeit" gelten zu lassen. Jedenfalls bahnte sich damals schon an, was im nächsten Jahrhundert als "Die Aufklärung" bezeichnet wird und von den "Enzyklopädisten" d'Alembert und Diderot als die wesentliche Aufgabe ihres Werkes angesehen wird: die Bildungsmöglichkeit für alle. Damit nämlich möglichst jedermann Zugang zum aufgezeichneten Wissen habe, ohne der Vermittlung eines Gelehrten zu bedürfen, wurde ihre Enzyklopädie erstmalig auch alphabetisch abgefaßt. Zur Gliederung des systematischen Teils griffen die Herausgeber auf das F. Bacon'sche System^ zurück, wandelten es jedoch entsprechend ihren Bedürfnissen ab und änderten vor allem auch die Reihenfolge der Dreiteilung in: Geschichte — Philosophie — Poesie. Die in der Einleitung zur Enzyklopädie abgedruckte Klassifikation besitzt bis zu sechs hierarchische Stufen und besteht in allen Stufen (bis auf einige Ausnahmen) aus Benennungen von Wissenschaften oder Wissensgebieten. Ausnahmen sind vor allem die Objekte der naturgeschichtlichen Beschreibung und die Beschreibungen der Künste, Handwerke und Manufakturen (siehe auch Taf. A 15). Nach Diderot und d'Alembert's epochalem Werk (22 Bände) sind Enzyklopädien nur noch als alphabetische Nachschlagewerke gedruckt worden. Die Verleger dieser Nachschlagewerke benötigen jedoch durchaus noch Klassenschemata, um die Stichwörter ihrer Werke sozusagen "hinter den Kulissen" sachlich sammeln zu können und zwar wegen einer fachlich orientierten Erarbeitung ihrer Bedeutungen durch fachbezogen arbeitende Mitarbeiter. Diese Schemata sind meist sehr "pragmatisch" aufgebaut und werden von Lexikonverlegern nicht gerne gezeigt. Der einzige deutschsprachige Lexikon-Verlag, der einmal seine Systematik (allerdings auch nicht im Zusammenhang mit seinen Stichwörtern) veröffentlicht hat, ist Berteismann, der das Literaturverzeichnis im Anhang zu Bd. 7 des "Berteismann Lexikon" mit einem dreistelligen Code in ca 800 "Gebiete" unterteilt. Taf. A 14 zeigt nur die darin enthaltenen Hauptgruppen; um ihre Unterteilungen kennenzulernen, muß man die Bibliographie im einzelnen durchsehen. Häufig kann man dabei allerdings Klassen von Objekten begegnen, Pflanzen- und Tiergattungen, Ländernamen, Musikinstrumenten, etc. Bei einer Überprüfung der Inhalte der einzelnen Gruppen konnte festgestellt werden, daß nur wenige Gebiete überlappende Inhalte hatten. Da sämtliche Stichwörter des Berteismann Lexikon durch diesen dreistelligen Code klassiert wurden, wäre eine Darstellung des gesamten KJassats (Codes und Stichwörter) sicher außerordentlich aufschlußreiches. ES muß jedoch dabei auch bedacht werden, daß neben Allgemeinbegriffen vielfach auch Individualbegriffe (bezeichnet durch die entsprechenden Namen) in den 32 Siehe Taf. A 10 und vergl. mit Taf. A 15 33 Dies könnte vermutlich mit Computerhilfe unternommen werden, da - wie G. Wahrig berichtete (540) - offenbar das gesamte Material abgelocht vorliegt.

51

Stichwörtern enthalten sind; die zahlreichen Eigennamen von Personen, Gesellschaften, Systemen, etc. benötigen zwar "Anschlußstellen" in materialen Klassen eines universalen Klassifikationssystems, sie würden jedoch selbst darin nicht erscheinen. 2.3.4

Besonderheiten enzyklopädischer Klassifikationen

Zusammenfassend wollen wir festhalten: die großen "Bücher des Wissens" aus Altertum und Mittelalter sind seit Mitte des 16. Jahrhunderts als Enzyklopädien bezeichnet worden und liegen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in sachlich gegliederter Form vor. Die hierzu erforderlichen Gliederungen und Klassifikationen weisen vielfach Systemstellen für gegenständliche Objekte auf. Durch die beständige Zunahme solcher Objekte und ihre Aufnahme in den menschlichen Wissensschatz sind andere Zugriffsmethoden, als über den sachlichen Zugang, nämlich die alphabetische Anordnung üblich geworden. Auf eine weitere Besonderheit der heutigen Enzyklopädien könnte aber nun hingewiesen werden; denn über die vielfach längeren Artikel zu je einem Stichwort (in der Encyclopedia Britannica ziehen sich diese oft über Dutzende von Seiten hin) kommt es zu einer Art "invertiertem Klassifikationssystem", wenn nämlich die "Unterstichwörter", die in solchen Artikeln zu einem Stichwort als Registerwörter bezeichnet werden können, zu diesen in Relation gesetzt werden. Erfahrungen bei der Indexierung einer Enzyklopädie34 liegen inzwischen zwar vor und wurden an einem Register von 200 000 Eintragungen gesammelt, inwieweit jedoch dabei die oben angedeuteten Möglichkeiten der Relationierung verwendet wurden, ist nicht bekannt. Immerhin scheint dieses Verfahren auch einen Weg aufzuzeigen, zu einem umfassenden Vokabular wissenschaftlicher Wörter zu gelangen, die außerdem bereits Beziehungsangaben besäßen. Abschließend soll in diesem Zusammenhang auch auf den Vorschlag einer "automatisierten Enzyklopädie" hingewiesen werden, den£>. SoergeßS kürzlich explizierte. Eine solche sollte freilich nicht das Wissen vermitteln, das auch heute noch in großen Universal-Lexika gefunden werden kann, sondern einen leichten Zugriff zu den neuen Wissenseinheiten ermöglichen, die z.B. in den Aufsätzen von Fachzeitschriften zu finden sind. Als sachliche Ordnung wird hierzu eine "Dokumentationssprache"36 in codierter und natürlicher Sprachform vorgeschlagen. Ein Forschungsprojekt zur Realisierung eines solchen Vorhabens in einem abgeschlossenen Wissensbereich soll demnächst in den USA (Maryland)37 begonnen werden. Mit seiner intendierten sukzessiven Erstellung würde ein völlig neuer Weg zum all34 Siehe D. Law: Indexing Chambers' Encyclopedia (303). 35 Siehe D. Soergel: Dokumentation und Organisation des Wissens. Berlin 1971. Abschn. B 2.6 36 Siehe hierzu auch Abschn. 2.6.3 c) 37 Bei der University of Maryland, School of Library and Information Sciences, College Park, Md. 52

gemeinen Wissenszugang beschriften. Für die damit verbundenen Klassifikationsprobleme liegen jedoch noch keine konkreten Vorstellungen vor. Sie erscheinen hier besonders relevant, da dort der sachlich-begriffliche Zugang immer rascher zu einem Ergebnis führt, wo nicht bekannt sein kann, wonach direkt, also alphabetisch gefragt werden müßte. Mit dieser Problematik befinden wir uns aber auch wieder im Problembereich der Benutzung von Enzyklopädien "klassischer Art". Die Kunst, Enzyklopädien nutzbringend zu befragen, ergibt sich nur, so sagt G. Picht (392), "aus dem Verständnis der Parameterräume, in denen Informationen sich ordnen". Die bisherigen Enzyklopädien mit ihren ABC-mäßig aneinandergereihten "bits and pieces of information" seien Spiegelbild der Partikulierungsbestrebungen, Spezialwissenschaften in ihrer Tiefe zu durchdringen; dabei sei jedoch die Herrschaft über das Gesamtwissen verloren gegangen. Wissen solle sich selbst begreifen, es fände sich dann in einen vieldimensionalen Bereich versetzt. Die Kunst, ein Lexikon zu benutzen, bestehe in dem Vermögen der Transformation von wechselnden Koordinatensystemen. Picht berührt mit dieser Auffassung die gleichen Fragen, denen wir bereits in der Erörterung der Aspektvielfalt philosophischer Klassifikationen nachgegangen sind.38 Es sollte uns also offenbar in Zukunft darum gehen, diese Aspektvielfalt, Parameterräume, Koordinatensysteme udgl. "in den Griff zu bekommen".

2.4

Wörterklassifikationen und linguistische Thesauri

2.4.0

Vorbemerkung

Wörterklassifikationen bieten das Wortgut einer Sprache in systematischer Form an; wenn dabei zu jedem Wort der Allgemeinsprache der gesamte denkbare Bestand an Synonyma oder Qiasisynonyma angegeben wird, spricht man von einem linguistischen Thesaurus. Wörterklassifikationen — nicht zu verwechseln mit Sprachklassifikationen39 _ werden im allgemeinen durch solche Universalien kategorisiert, die wir später40 als Formbegriffe kennenlernen werden. Da sie sich aber auf das gesamte gemeinsprachliche Wortgut beziehen, werden gelegentlich auch Begriffsbenennungen mitaufgeführt, die üblicherweise fachsprachlich verwendet werden. Genaue Trennungslinien lassen sich hier vielleicht nicht so leicht ziehen. Charakteristisch ist jedoch für diese Art von Klassifikationen, daß sie nicht von wissenschaftlichen Disziplinen ausgehen. Die Intention, das Wortgut auf letzte Grundbegriffe zu reduzieren, von denen aus durch beliebige Kombination Aussagen über alles Existierende gemacht werden könnten, hat schon im Mittelalter (Raimundus Lullus) zu phantastischen Spekulationen geführt. Diese Idee der Kombinierbarkeit von Begriffen zu Aussagen wurde im 17. Jahrhundert wieder aufge38 Siehe Abschn. 2.1.3 39 Siehe hierzu auch W. Bumann: System und Klassifikation in der Sprachtheorie (63) 40 .Siehe Abschn. 3.1.2 bis 3.1.4 53

griffen; es entstanden Vokabularien mit kombinierbaren Elementen, wie das des Bischof Wilkins, das in der Tat alle Merkmale enthält, die sich heutige Informationswissenschaftler für eine "Dokumentationssprache"41 wünschen möchten. Mit der Entwicklung der Wissenschaften und der Technik sind dann aber seit dem 17. Jahrhundert die Fachsprachen entstanden, die schließlich dazu führten, daß sich eine Trennung nach umgangssprachlichen oder gemeinsprachlichen und fachsprachlichen Wörterklassifikationen einbürgerte.

2.4.1

Die "Ais Magna" des Raimundus Luttus

Der mallorkanische Theologe und Philosoph Raimundus Lullus^ (1232-1315) entwickelte in seiner "Ars Magna" 1272 eine allgemeine Ordnungslehre zur Ableitung allei möglichen natürlichen und übernatürlichen Wahrheiten aufgrund von apriori gegebenen Begriffen, die nach vorgegebenen Schemata wahlweise miteinander kombiniert werden sollten. Mit dieser ersten Kombinatorik, die uns weniger wegen ihres Inhalts interessiert als wegen ihrer "Technik" und um ihrer Intention willen, kann Luttus als einer der Vorväter der Computer-Programmierung angesehen werden, wie J.M. Perreault einmal meinte43. Vielleicht könnte seine "Technik" sogar auf Plattenspeicher übertragen werden, wenn die von ihm vorgeschlagenen Kombinationsmöglichkeiten in einer auf unsere Bedürfnisse ausgerichteten sinnvollen Weise angewendet werden könnten. Seine Methodik beschrieb L. Noack (360, S. 568) wie folgt (der Text ist von 1879): "Diese neue Erfindung besteht in Nichts weiter, als in einer logisch-mechanischen Methode, die Begriffe in gewisse Oerter zu vertheilen und in einer bestimmten Weise miteinander zu verknüpfen, um hiernach sogleich zu finden, was sich über einen Gegenstand sagen oder wie sich eine vorgelegte Aufgabe lösen läßt. Er befestigte nämlich sechs concentrische Kreise so übereinander, daß alle gedreht werden konnten, immer aber einer den anderen überragte. Auf diesen verschiedenen Kreisen waren nun Begriffe und Gedankenformen verzeichnet und sobald man einen dieser Kreise bewegte, kamen immer andere und wieder andere Begriffe unter einander zu stehen. Nach seiner Angabe sollte man nun irgendeinen Gegenstand nehmen und durch die verschiedenen Kreise herumfuhren, wo er unfehlbar auf mehrere Rubriken treffen mußte, die sich als Stoff zur nähern Bestimmung des Gegenstandes darboten, und dann sollte man zusehen, wie sich der Gegenstand oder das aufgegebene Wort zu diesen Bestimmungen und zu den verschiedenen Verknüpfungen verhalte, die durch das Drehen der Kreise erfolgen mußten."

41 Siehe hierzu Abschn. 2.6.3 c) 42 Es existiert eine umfangreiche Literatur über Lullus, siehe hierzu die Literaturangaben zu "Lull, Ramon" in: Encyclopedia of Philosophy, vol. 5, S. 107-8; zu "Llull o Lull (Ramon)" in: J.F. Mora: Diccionario de Filosofia, tomo 2, S. 104-6; zu "Lullo, Raimondo" in: Centro die Studi Filosofici di Gallarate (Hrsg.): Enciclopedia Filosofica, vol. 4, Sp. 140-146; siehe auch: E.W. Platzek: Raimund Lull. Sein Leben, seine Werke, die Grundlagen seines Denkens. 2 Bde., Düsseldorf 1962-4. - Lullus' Werke in Latein: Raymundi Lulli Opera Omnia. Hrsg. v. I. Salzinger, 8 Bde. Mainz 1721-1742. Nachdr. Frankfurt: Minerva 1965. 43 siehe J.M. Perreault: Ramon Lull and the secret history of the computer. (378) 54

Der äußerste, feststehende Kreis, denLullus "den Schlüssel der Erfindung" nannte, enthält die folgenden zehn Fragen: utrum quid de quo quare quantum quäle quando ubi quo modo cum quo

ob was aus was warum wie groß wie beschaffen wann wo auf welche Art mit welchen Mitteln

(Möglichkeit)44 (Wesen) (Material) (Grund, Kausalität) (Größe, Quantität) (Qualität) (Zeit) (Ort) (Modalität) (Instrumentalität)

Der zweite Kreis enthält die neun Klassen des "wesentlichen Seins": menschliches scheinbar eingebildetes sensibles vegetabiles Sein

elementares vermittelndes göttliches englisches himmlisches

Der dritte Kreis umfaßt zehn Bestimmungen oder Kategorien des "physischen Seins" (und hier scheint sich Lullus ausschließlich auf die Aristotelischen Kategorien zu beziehen): Substanz Qualität Quantität Relation Tätigkeit

Leiden Verhältnis, Sichverhalten Lage, Sichbefinden Zeit Ort

Der vierte Kreis enthält die Bestimmungen der "moralischen Verhältnisse" in neun Ordnungen, je eine Tugend und ein Laster. Der fünfte und sechste Kreis umfaßt die "physischen" und "metaphysischen Prädikate der Dinge" und zwar die "absoluten": Güte Größe Ewigkeit Macht Wissen Wüle Tugend Wahrheit Ehre

Bonitas Magnitudo Aeternitas Potestas Sapientia Voluntas Virtus Veritas Gloria

Wesenheit Einheit Vo llkommenheit

und die "relativen" Unterscheidung Einigkeit Gegensätzlichkeit

44

Differentia Concordantia Contraritas

Bestimmung

Die hier in Klammern von uns hinzugegebenen Begriffe sollen nur den Bezug zu den Kategorien herstellen, die in diesen Fragepronomina enthalten sind.

55

Anfang Mitte Ende Mehrzahl Gleichheit Minderheit

Principium Medium Finis Majoritas Aequalitas Minoritas

^ Einteilung \ Eil

? Zusammenfassung J

Nach J.N. Hillgarth (232, S. 107-108) muß die Ars Magna jedoch so verstanden werden, daß die o.g. "absoluten" Prädikationen als Attribute Gottes anzusehen sind, als Instrumente seiner Schöpferkraft und als Ursachen und Prinzipien aller geschaffenen Vollkommenheit. Das Wesen der Ars Magna bestehe nicht in der Darstellung sondern in der metaphysischen Reduktion aller geschaffenen Dinge auf diese göttlichen Attribute ("Dignities"), die sowohl die Prinzipien des Wissens als auch die des Seins seien und darüberhinaus bestehe sie auch im Vergleich bestimmter Gegenstände im Licht dieser göttlichen, absoluten Prädikate mit Hilfe der relativen Prädikate. Absolute und relative Prädikate bildeten die selbstverständlichen Prinzipien, die allen Wissenschaften gemeinsam sind. Lullus' Abhandlungen über verschiedene Wissenschaften, wie Kosmologie, Physik, Rechtswissenschaft, Medizin, Astronomie, Geometrie, Logik, Psychologie seien Anwendungen seiner Ars Magna.45 Daß Lullus sich daneben auch mit einer Systematisierung der Wissenschaften befaßt hat, sei hier nur am Rande vermerkt. Hillgarth bezeichnete diese, die als "Arbor Scientiae" 1296 veröffentlicht wurde, als "a vast encyclopedia which found favor in the Renaissance . . . an attempt to classify all knowledge under a unified plan" (232, S. 108). Es mag der Eindruck entstanden sein, als handele es sich bei der Ars Magna doch eher um eine Theorie zur Klassifikation des Wissens als um ein Hilfsmittel zur Wörterklassifikation. Dieser Abschnitt wurde jedoch deshalb mit Lullus begonnen, weil einerseits die Geschichte der linguistischen Thesauri von Roget auf Wilkins und von diesem zurück auf Lullus führen - wenn auch dabei die individuellen Intentionen der Autoren dieser Systeme jeweils verschiedene waren — und andererseits, weil damit gezeigt werden konnte, daß Lullus in zweifacher Hinsicht als der "Stammvater moderner Dokumentationsthesauri" gelten kann, da außer dem linguistisch-terminologischen Aspekt in diesen auch die Möglichkeiten der Begriffskombinatorik zur Anwendung kommen.46 45 Die erste Version der Ars Magna von 1272 wurde später überarbeitet und 1308 als Ars Generaiis Ultima mit einigen Veränderungen veröffentlicht, auf die jedoch hier nicht eingegangen werden konnte (232, S. 108). 46 In seiner Auseinandersetzung mit der Kombinatorik von Lullus weist N. Hartmann aber auch noch auf einen weiteren erkenntnistheoretischen Zusammenhang, der von Platon aus über Plotin, Lullus zu Descartes und Leibniz (Scientia generalis) fuhrt, hin (217, S. 419-421): "Über die Wertlosigkeit des Schematismus in der ars magna ist kein Wort zu verlieren. Offenkundig aber ist, daß sich ihr Kerngedanke von diesem Schematismus ablösen läßt. Und in der Tat vollzog sich die Ablösung ganz von selbst, sobald man die inhaltlichen Verhältnisse genauer herausanalysierte. Descartes, der keineswegs sichtbar an diese Dinge anknüpfte, ist bereits Erbe des vollzogenen Ablösungsprozesses, zugleich aber auch einer auf breite wissenschaftliche Basis gestellten inhaltlichen Besinnung. Freilich tritt das Problem hier in der Beschränkung auf seine erkenntnistheo-

56

2.4.2

John Milans' System für eine "philosophische Sprache"

Gegen Luttus' stark mechanistische Art der Begriffskombination wenden sich 400 Jahre später G. Dalgamo, G.W. Leibniz \indBischofWUkins. Während jedoch Leibniz in seiner Dissertation "De arte combinatoria" 1666 zwar die Prinzipien für eine Begriffskombinatorik diskutiert, zeit seines Lebens jedoch nur dem Wunsche nachhing, damit einmal eine "characteristica universalis"47 aufzubauen, entwickelt Bischof Wilkins 1668 in seinem "Essay towards the real character and a philosophical language"48 ein Ordnungssystem für alle Wörter des damaligen wissenschaftlichen Sprachgebrauchs. B.C. Vickery sagt von ihm "Together with the earlier but less comprehensive work of Dalgarno^ it is therefore a pioneer text in the field of artificial languages. .." (526, S. 328). Dalgarno hatte zwar 1661 in seiner "Ars signorum" bereits wesentliche Prinzipien entwickelt, die Wilkins später benutzt und nicht nur weiter ausgebaut sondern auch grundsätzlich neu überdacht hat^O; während Dalgarno seine "Ars" jedoch in Latein präsentierte, tat Wilkins dies für die englische Sprache. Sein System enthielt: 1. eine vielfach dichotomisch unterteilte Klassifikation der Benennungen von Gegenständen und Erscheinungen (siehe Taf. A 14), einschl. z.B. der Tiere und Pflanzen 2. eine Reihe von konjunktiven Elementen oder "Partikeln", durch welche die Elementarbegriffe miteinander kombiniert werden können, um zusammengesetzte Begriffe ausdrücken zu können, Forts. Fußnote 46 retisch-methodologische Seite auf. Aber eben dadurch gewann es zunächst an Bestimmtheit. Alles reine Erkennen vollzieht sich nach Cartesischer Auffassung auf Grund der simplices; diese können analytisch aufgefunden und dann intuitiv erfaßt werden. Sie bilden die Elemente, aus denen die kompositen Ideen sich "mischen". Sie sind also die Ausgangsebene eines absteigenden Prozesses, in welchem immer komplexere Gebilde entstehen. Diese Gebilde sind der Inhalt der "distinkten" Erkenntnis. Urteile und Schlußzusammenhänge sind die Bahnen dieses Prozesses, der somit deduktiv einen einzigen, kontinuierlichen Duktus des Motus intellectualis darstellt." (S. 420). 47 Siehe hierzu auch F. Exner: Über Leibnizens Universal-Wissenschaft. Prag 1843 (155). Des weiteren: H. Schnelle: Zeichensysteme zur wissenschaftlichen Darstellung. Ein Beitrag zur Entfaltung der Ars characteristica im Sinne von G.W. Leibniz. Stuttgart 1962 (456); F. Schmidt: Zeichen, Wort und Wahrheit bei Leibniz. In: Akt. d. Intern. Leibniz-Kongr. 1966. Wiesbaden 1969 (454); H. Schepers: Leibniz' Arbeiten zu einer Reformation der Kategorien (448); ders.: Begriffsanalyse und Kategorialsynthese. Zur Verflechtung von Logik und Metaphysik bei Leibniz (447); H. Scholz: Die Wissenschaftslehre Bolzanos (458), u.a. 48 Siehe hierzu B.C. Vickery:: The significance of John Wilkins in the history of bibliographical classification. (526) 49 George Dalgarno: Ars signorum. London 1661;repr. Edinburgh 1834 50 Siehe Fußnote (7) von Vickery (526, S. 343): "An examination of the Latin work makes it clear that Dalgarno was responsible for the main principles later developed by Wilkins. The latter is cited in the Ars signorum as commending the book to Charles II, and as one of those to whom Dalgarno was indebted. But the later Essay is by no means simply an expansion of the earlier work. Wilkins worked over the whole field anew, in much greater detail - and in English."

57

3. verschiedene Arten von Notationen, die nicht nur stellvertretend für die Begriffe verwendet werden konnten sondern auch die Beziehungen zwischen diesen darstellen 4. ein alphabetisches Register zum Gesamtschema, das alle gebräuchlichen Synonyma enthielt. Vickery hebt hervor, daß hier im Gegensatz zu den derzeitig bestehenden universalen Klassifikationssystemen zu Ausgangsklassen nicht Disziplinen gewählt wurden, wie das für die Ordnung von Büchern als sinnvoll erachtet wird, was jedoch für die "minutiae of knowledge", auf die es in der Dokumentation ankomme, nicht angebracht sei, da hier eine "assembly of elementary things and notions into concrete natural groups" benötigt werde. Aus Taf. A 14 ist ersichtlich, daß Wilkins auf 40 Hauptklassen aufbaute (römische Ziffern), die sich auf allgemeine Kategorien zurückführen lassen. Auf der vierten Stufe der Unterteilung begegnen wir wieder den Aristotelischen Kategorien: Substanz und Akzidenz mit Quantität, Qualität, Aktion und Relation. Die Art und Weise der Unterteilung führt dazu, daß die jeweils benutzten Merkmale auf jeder Stufe der Hierarchie explizit gemacht werden können. So kann aus Taf. 14 ersehen werden, daß ein Vogel (XVII) ein spezieller Gegenstand ist, der geschaffen ist, Substanz hat, belebt ist, eine Art ist, die mit Sinnen behaftet ist und die Blut besitzt. Für jede der mit römischen Ziffern bezeichneten Hauptklassen gibt es eine weitere Unterteilungstafel 5 l, die alle weiteren besonderen Merkmale dieser Klasse enthalten und natürlich die vorkommenden Arten, z.B. Vogelarten, Fischarten, etc. Insgesamt hat Wilkins von diesen sogenannten "radicals" zwischen 4—5000 mit ihren speziellen Benennungen erfaßt. In den 40 Tafeln werden zusätzlich jeweils die Arten nach ihren verschiedenen Ausprägungsformen beschrieben, wobei ihre besonderen Eigenschaften herausgestellt werden und ihre jeweilige Nützlichkeit für den Menschen nicht vergessen wird. Abgesehen von den synonymen Benennungen enthalten diese Tafeln auch alle zu einem Terminus gehörigen Adjektive, Verben und Adverben, sowie die Wortverbindungen, die mit den Stammwörtern eingegangen werden (526, S. 332). In einer Randspalte erscheint jeweüs auf derselben Zeilenhöhe wie die englische Benennung eines Stammworts seine äquivalente Benennung im Lateinischen. Diesen Teil seines Systems nannte Wilkins den "wissenschaftlichen"; auf ihn ließ er den "organischen" folgen, der die Wörter enthält die es ermöglichen, daß man mit den Begriffen des ersten zusammen "complex propositions" formulieren könnte^. Wilkins läßt für seine Begriffssprache keineswegs alle Arten von Wörtern zu, z.B. keine Verben, denn diese könnten durch ein Adjektiv + to be dargestellt werden, z.B. to be hot durch hot + copula to heat durch heating + copula to be heated durch heated + copula 51 In Vickery's Aufsatz gibt es eine Abbildung von Taf. 157, Chap. V "Of Beasts". (526, S. 331) 52 Siehe Vickery (526, S. 332). Das folgende ist eine Zusammenfassung der Darstellung von Vickery und betrifft seine Seiten 332-336. Die Zitate beziehen sich auf die Seitenzahlen in Wilkins' Essay. 58

Sodann seien Personalpronomina, Interjektionen, Konjunktionen (perhaps, until, indeed, whereas), sowie Artikel, Modus (Aussageform) und Zeitform für die Klassifikation irrelevant. Als "Partikel" gelten für ihn: a) Präpositionen "whose proper office it is to joyn integral with integral on the same side of the copula; signifying some respect of cause, place, time or other circumstance. . ." (Essay, S. 309) b) Transzendentale Partikel "it would much promote copiousness and elegancy, if there might be any way so to change and vary the sense of any word..." (Essay, S. 318). An Präpositionen verwendet Wilkins insgesamt 36, wie z.B. of, with, by, for, out of, concerning , etc. und an "Transzendentalen Partikeln" 48; hierbei handelt es sich um kategoriale Bestimmungen von der Art "Person", "Instrument", "Raum", "Stimme" und diese werden zusammen mit Stammwörtern benutzt um Begriffe, die das gleiche, wie ihre Komposition bedeuten, zu bezeichnen. So kann also sent (person) = messenger grinding (machine) = mill book (room) = library gleichgesetzt werden. Wilkins soll auf 30 Seiten ihre Anwendung erläutert haben, leider gibt Vickery hierzu kein Beispiel. Es liegt uns also hier ein "universales" Begriffssystem vor, dessen sachlicher Teil nicht auf Disziplin-Begriffen aufgebaut ist, sondern auf allgemeine Kategorien reduziert und das einen Teil von allgemeinen Wörtern besitzt, die zur Bildung von Aussagen herangezogen werden können. Darüberhinaus gibt es für dieses System - worauf nicht im einzelnen eingegangen werden konnte — ein sehr einfaches und doch höchst ausgeklügeltes, phonetisches Notationssystem, dessen Elemente so kombiniert werden können, daß wortähnliche Gebilde entstehen können. Auch das alphabetische Register enthält eine Reihe bemerkenswerter neuer Ideen. Dennoch scheint das System von seinen Zeitgenossen und Nachfahren als zu kompliziert empfunden worden zu sein; diesen Eindruck vermittelt jedenfalls Roget, der 200 Jahre später in der Einleitung zu seinem Thesaurus53 (423, S. XXXV) auf Wilkins' System Bezug nimmt: "nothwithstanding the immense labour and ingenuity expended in the construction of this system, it was soon found to be far too abstruse and recondite for practical application".

Dennoch ist festzuhalten, daß auch Roget, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, seinen Thesaurus auf den gleichen aristotelischen Kategorien aufbaut, die auch Wilkins zur Systematisierung seiner Stammbegriffe gedient haben. Wilkins muß es außerdem zugeschrieben werden, daß er ein erstes, umfassendes Begriffslexikon der englischen Sprache geschaffen hat, das sogar bereits Wortfelder 53 Dutch: "Roget's Thesaurus of English Words and Phrases" enthält einen Nachdruck der Original-Einleitung von Roget zu seiner Ausgabe von 1852

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und Synonyma enthielt. Für uns sind allerdings seine klassifikationstheoretischen Erkenntnisse von vorrangigem Interesse. Mit ihnen müßte man sich wohl noch systematisch befassen, um alle Anregungen ausschöpfen zu können, die sie zu versprechen scheinen. Diese kompilierende Darstellung konnte nur auf einige besondere Züge dieses außerordenüichen Systems hinweisen und möchte eher eine eingehende Befassung mit Wilkins' System anregen. 2.4.3

Roget's Thesaurus und die Fachsprachen

So, wie Wükins auf den 400 Jahre früheren Lullus zurückgriff, von seiner Idee der Formulierung von Aussagen mit Hilfe universaler Prädikationen jedoch im wesentlichen nur die Idee der Kombinierbarkeit der Begriffe übernahm und im übrigen etwas völlig Neues schuf, holte < Peter Mark Roget 1852 für seinen "Thesaurus of English Words and Phrases" bei Wükins vor allem die Idee der Synonymenzusammenfuhrung, der Einbeziehung der verschiedenen Wortarten und Anregungen hinsichtlich der Einteilung mit Hilfe von Kategorien und schuf damit wiederum etwas grundsätzlich anderes: eine Wörterklassifikation, die den gesamten allgemeinen englischen Wortschatz in geordneter Form darstellt, damit dieser von jedermann besser zu nutzen wäre. Die hierfür neue Bezeichnung "Thesaurus" übernahm er vermutlich von dem seit 1572 vorliegenden "Thesaurus Linguae Graecae", der allerdings ein alphabetisch geordnetes Wörterbuch ist54. Roget's Thesaurus erwies sich in der Folgezeit als ein so außerordentlich nützliches Hilfsmittel zum Auffinden des treffendsten Ausdrucks in einem Textzusammenhang, daß er weite Verbreitung in der ganzen Welt fand und auch heute noch, allerdings in etwas überarbeiteter Form, hohe Auflagen erzielt. Seither wird die Bezeichnung "Thesaurus" im Sinne von Wortschatz verstanden. Aber wenn nun auch Roget die Bezeichnung "Thesaurus" von einem Wörterbuch übernommen hat, so ist sein Thesaurus insofern keines, als es ihm nicht darum ging, ein Wort in seiner Bedeutung zu erklären sondern darum, ein Begriffswort mit allen seinen möglichen sonstigen ähnlichen und gleichen Ausdrücken darzustellen. Seine kategoriale Systematik ist relativ einfach und besteht lediglich aus drei hierarchischen Stufen: den sechs Ausgangsklassen Class I Abstract Relations II Space III Matter IV Intellect V Volition VI Affections 54 Den "Thesaurus Linguae Graecae" hatte Robert Estienne herausgegeben. Sein Vater, Henri Estienne hatte 1531 ein Lexikon, das "Dictionarium seu Linguae Latinae Thesaurus" herausgegeben, dessen Bezeichnung "Thesaurus" vielleicht bei Brunetto Latini ("Livres dou tre"sor") (s. Abschn. 2.3.2) entlehnt war. Letzterer bezeichnete damit jedoch eine Enzyklopädie. Siehe hierzu auch Model (342, S. 6), der auch auf den Bedeutungswandel der Benennungen hinweist.

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die jede zwischen zwei und acht Unterteilungen besitzen, so z.B. Abstract Relations Section I Existence II Relation III Quantity IV Order V Number VI Time VII Change VIII Causation

und diese stellen wiederum die Einteilungen für die durchgezählten einzelnen Begriffswörter dar. Einzig bei den Ausgangsklassen "Matter" und "Volition" gibt es noch einmal eine Zwischenstufe. Im folgenden werden die Unterbegriffe von "Change" genannt: Class I:

Abstract Relations Section VII: Change 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152.

Change Permanence Cessation Continuance Conversion Reversion Revolution Substitution Interchange Changeableness Stability Present events Future events

Insgesamt besitzt Roget's Thesaurus auf diese Weise 1000 Begriffswörter. Später eingeschobene Wörter erhielten einen zusätzlichen Kleinbuchstaben des Alphabets. Folgendes Beispiel zeigt, wie zu jeder Wortstelle, die immer, mit Ausnahme der Farbbezeichnungen, ein Substantiv ist, zugehörige Wörter der verschiedenen Wortarten beigegeben werden: 152. FUTURE EVENTS N. destiny, fatality, fate, lot, doom, fortune; future, future state; future existence, hereafter, next world, world to come; life to come; prospect. V. Impend, hang over, threaten, loom, await, approach; foreordain, preordain; destine, predestine, doom Adj. impending, destined; coming, in store, to come, instant, at hand, near, imminent; in the wind, in prospect. Adv. in time, in the long run; all in good time; eventually.

Wird innerhalb der Substantiva einer Wortstelle ein Wort angegeben, das selbst Wortstelle ist, so erscheint eine Verweisung durch Angabe von dessen laufender Nummer. 61

Wie aus den numerierten Wortstellen der Section "Change" hervorgeht, folgt einem Begriff, wann immer möglich, sein gegensätzlicher Begriff, also auf "change" folgt "permanence", auf "cessation" - "continuance", etc. Gelegentlich werden zwischen Wortstellennummer und Wortstellenwort Kurzangaben über die Merkmale mit Bezug auf den Oberbegriff gemacht, so bei: 144. 146. 147. 148.

(Gradual change to something different) CONVERSION. (Sudden or violent change) REVOLUTION (Change of one thing for another) SUBSTITUTION (Double or mutual change) INTERCHANGE

Das alphabetische Register verweist auf die Wortstellennummern und zeigt durch typographische Hilfsmittel (Kursivschrift) die Zusammenhänge an, in denen ein Wort vorkommen kann. Die Benutzung des Thesaurus erfolgt zunächst über das Register; wobei über irgendein Wort, das in einem bestimmten Zusammenhang in den Sinn kommen kann, jeweils der Zusammenhang zu seiner "Systemstelle" hergestellt wird. Aus den angeführten Beispielen mag ersichtlich geworden sein, daß es bei Roget's Thesaurus um eine Wörterklassifikation geht, die sich auf alle allgemeinen Wörter und Begriffe bezieht, die sowohl in der Gemeinsprache als auch in allen Fachsprachen vorkommen. Sein Beispiel hat Schule gemacht, nicht nur wurde sein Thesaurus in viele Sprachen übersetztes sondern es wurde auch versucht, seine Idee der Entwicklung anzupassen und Thesauri nach seinem Modell zu entwickeln, die auch fachsprachliche Terme einbeziehen. Als ein solcher Versuch muß F. Domseiffs "Deutscher Wortschatz nach Sachgruppen" angesehen werden (143), dem eine Einteilung nach 20 Gruppen zugrundeliegt, die sich "von der äußeren Natur und den allgemeinen Seinsbeziehungen zum Subjektiven, zum sozialen Bereich und der Kultur" erstrecken. In diesem Zusammenhang muß auf einen neueren aber etwas anderen Ansatz hingewiesen werden, gemeint ist Hallig/ v. Wartburgs "Begriffssystem als Grundlage für die Lexikographie" (214). Das System bezieht sich nur auf Begriffe des allgemeinen Sprachgebrauchs und ist in französisch gefaßt, um damit den Zeichencharakter des gemeinten Begriffs im genannten Wort auszudrücken. Die insgesamt 7000 Begriffe (in der 2. Aufl. v. 1963 sind es 8500) sind in die 3 Hauptgruppen: Universum, Mensch, Mensch und Universum gegliedert; es enthält keine Begriffsbeziehungen außer einer "groben" Hierarchisierung und ist als System für eine mögliche Wortschatzdarstellung gedacht. Hierzu äußert sich jedoch K. Baumgärtner (in 35, S. 193) wie folgt: "Die Komponentenmenge einer Grammatik darf somit nicht als geordneter Catalogue mundi mißverstanden werden. Sie läßt sich nicht apriorisch angeben, indem etwa das von Hallig und v. Wartburg geschaffene, mehr oder minder komponentielle und universell gemeinte Begriffssystem zum Ausgangspunkt gewählt wird. Gerade diese strenge Gliederung aller begrifflichen bis 'bedeutungsdurchtränkten' Aspekte in (A) 'Universum', (B) 'Mensch', (C) 'Mensch und Universum' und unter (B) etwa in die physische, seelisch-geistige und soziale Organisation oder Qualifikation des Menschen läßt sich angesichts der faktischen Ver55 In deutsch z.B. 1) durch D. Sanders: Deutscher Sprachschatz. Hamburg 1878 und 2) "Deutscher Wortschatz" oder "Der passende Ausdruck" von A. Schelling, Stuttgart 1892. Eine völlige Neubearbeitung (wohl der 12. Aufl. von (2)) ist (nach Eggers) Wehrle-Eggers: Deutscher Wortschatz. (545)

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schränktheit der syntaktisch-semantischen Kontextbedingungen - wie übrigens Hallig und v. Wartburg an Fällen multipler Relation selbst beobachten - nicht durchsetzen." Baum· gärtner mag recht haben, soweit die gemeinsprachliche Seite betroffen ist, denn deren Ausdrücke sind sehr stark kontextabhängig und befinden sich damit in unübersehbar vielen Bedeutungsfeldern zu gleicher Zeit. Die fachsprachliche Seite hat jedoch ihre eigenen Gesetze. Die Bedeutung ihrer Termini ist in der Kontextualität des jeweiligen Faches bestimmt. Hier muß daher unterschieden werden.

Die Entwicklung der Fachsprachen hat in den letzten Jahrzehnten einen so immensen Umfang angenommen und ihren Niederschlag in tausenden von ein- und mehrsprachigen Fachwörterbüchern gefunden, daß es schwer fallen dürfte, eine Übersicht über den Inhalt solcher Fachsprachen ohne Bezug auf den jeweiligen speziellen Fachbereich, also mit einer kategorischen Klassifikation als monohierarchisches System von der Art, wie sie von Wilkins oderRoget benutzt wurde, zu vermitteln. Andererseits wäre es jedoch verfehlt, auf die Wortbegriffe der Gemeinsprache in einem Vokabular eines Fachbereichs zu verzichten, wenn diese Begriffe zur Bildung von Aussagen auch im fachsprachlichen Bereich herangezogen werden müssen. Es geschieht dies meist umso mehr, je weniger "entwickelt" die Fachsprache eines jeweiligen Bereichs ist. Die von Roget gefundenen Einteilungen nach allgemeinen Kategorien scheinen allerdings für Wortbegriffe der Gemeinsprache, wenn auch vielleicht heute in etwas modifizierter Form, noch immer Gültigkeit zu besitzen; sie müssen daher auch in einem universalen Klassifikationssystem des Wissens berücksichtigt werden. Einen entsprechenden Vorschlag hat E. Wahlin dazu bereits vorgelegt (537, S. l :4). Seit Roget's Thesaurus ist die Idee der Synonymenlexika freilich ebenfalls weiterentwickelt worden; man hat jedoch um eines schnelleren Zugriffs zum Gesamt des Wortbegriffsfelds willen alphabetische Synonymlexika erstellt, wie z.B. Peltzer's "Das treffende Wort" (375), ja, selbst Roget's Thesaurus liegt seit 1958 alphabetisiert vor (422). In wiederum eine neue Richtung ist man beim Duden Stüwörterbuch gegangen (144). Es stellt die "inhaltlich sinnvollen und grammatisch richtigen Verknüpfungen (Syntagmen) der deutschen Sprache dar und gibt bei jeder Verbbedeutung die notwendigen Sinnergänzungen an" (144, S. V). Es enthält zwar keinerlei Kategorisierung, doch ist allen Wortstellen, die nicht gemeinsprachlich verwendet werden, eine verbale Zuordnung nach ca 45 Sachgebieten beigegeben worden. Darüberhinaus werden besondere Stilschichten und sonstige Nuancierungen vermerkt, wie z.B. "Gaunersprache" oder "abwertend", "historisch", etc. Solche formalen Klassierungen waren bei Roget nicht zu finden^. Ein wesentlicher Vorteil, auf den später noch zurückzukommen sein wird, stellen die Angaben über Valenzen und Distribution der Verben dar (Wertigkeit und Zahl ihrer Ergänzungen), die ja auch bei den meisten Deverbativa bestehen bleiben und uns insofern interessieren werden, als sie die begrifflichen Relationen enthalten, die prozeßbezogene Begriffe in einem universalen Klassifikationssystem eingehen können. 56 Sie sind allerdings teilweise auch schon bei Wehrle-Eggers anzutreffen. Auch G. Wahrig verwendet sie in seinem Deutschen Wörterbuch. Berteismann Lexikon-Verlag, 1968 (siehe dort S. 21). 63

Betrachtet man den historischen Ablauf, der schließlich zu Synonymen- und Stilwörterbuch führte, so erscheint es, als sei bei jeder "Entwicklungsstufe" etwas offen geblieben, etwas vergessen worden. Aber nicht um die vergessene Kombinatorik von Lullus oder die universale Begriffssprache von Wilkins nun wieder ins Gespräch zu bringen, sondern um die damals schon existierenden Ansätze unseren heutigen Einsichten dienstbar machen zu können, erschien es zweckmäßig, auf diese Entwicklung hinzuweisen. Unabhängig von der Weiterentwicklung der Lexikographie im Sinne des o.g. Stilwörterbuchs soll jedoch nochmals auf Wert und Möglichkeit einer Kategorisierung der gemeinsprachlichen Wörter durch allgemeine Kategorien betont werden. Wir werden in Abschn. 3.1 hierauf nochmals zurückkommen.

2.5

Bibliothekarisch-bibliographische Klassifikationen

2.5.0

Vorbemerkung

Bibliothekarisch-bibliographische und dokumentarische Klassifikationssysteme dienen insofern der Wissensvermittlung, als durch sie auf Informationen in Dokumenten hingewiesen wird. Je nachdem, wie unterschiedlich umfangreich jeweils eine Bezugseinheit (ein Dokument) vorliegt, variiert auch die Spezifität der klassifikatorischen Aussage über den Inhalt eines Dokuments. Der wissensvermittelnde Hinweis geschieht in diesem Bereich entweder indirekt, durch Anordnung der Objekte, oder direkt, durch Klassate, die den bibliothekarisch-dokumentarischen Objekten beigegeben werden, nämlich — aufgrund der Anordnung des Schrifttums in den Regalen der Bibliotheken oder sonstigen Magazinen — durch die Systematik in der Anordnung der Katalogkarten und der Einträge über Dokumente in Karteien, Katalogen, Bibliographien — durch die Inhalte der Sacheinträge auf Katalogkarten oder in Katalogen und Bibliographien, etc., die sich auf den Inhalt von Schrifttum beziehen — durch die den Dokumenten selbst beigegebenen Klassate. Bibliographische Klassifikationen sind darüberhinaus dadurch charakterisiert, daß ihr jeweiliger Bezug auf einen bestimmten Bestand von Dokumenten jeweils auf den Umfang und die Detailliertheit der Klassifikation zurückwirkt. Die Geschichte der Bibliotheksklassifikation ist so alt, wie die Bücher selbst. Prävalierte historisch gesehen zunächst das Lokalisierenkönnen von Dokumenten, so geht es gerade in den letzten hundert Jahren immer mehr darum, einzelne Informationen zugriffssicher speichern zu können. Solange jedoch die Bezugseinheit bibliothekarischer Klassate das MakrodokumentS?, das Buch, ist, wird die informatorische Aussagi über seinen Inhalt von der (allerdings fortschreitend spezifischer werdenden) The57 Diese Unterscheidung traf Ranganathan, der Bücher als Makrodokumente und Zeitschriftenaufsätze sowie einzelne Passagen, Texte, als Mikrodokumente bezeichnet. 64

matisierung, die Büchern zuteil werden kann, abhängig sein. Eine bestimmte Schwel le der Abstraktion wird dabei jedoch nicht unterschritten. Charakteristisch für Bibliotheksklassifikationen gegenüber allen anderen bisher behandelten Klassifikationsarten ist die Einbeziehung formaler Elemente, die Bezug nehmen auf die "morphologische Struktur" eines Dokuments (innerer Aufbau, äußere Gestalt) sowie auf Urheber und Intentionen der Urheber von Dokumenten (von Autoren und Herausgebern applizierte Funktionsbestimmungen und u.U. Wertbestimmungen von Dokumenten). Solche "formalen Elemente" haben wärend der Geschichte der Bibliotheksklassifikation eine unterschiedlich große Rolle gespielt. Ihre heute zunehmend erkennbare Berücksichtigung zusätzlich zu der sachlichen Klassierung von Dokumenten weist auf eine ähnliche Entwicklung hin, wie dies durch die Zugabe von formalen Spezifikatoren (z.B. "Gaunersprache", "historisch", etc.) bei den Wörterklassifikationen festzustellen war. Hier wie dort basiert dieser zusätzliche Formalaspekt der Klassifikation auf der Tatsache, daß die klassierten Objekte materielle Gegenstände sind, die außer ihrer Sachbestimmung auch raum-zeiüichen und zweck/sinnbestimmten Parametern unterworfen werden können. 2.5.1

Erste Einteilungen nach formalen Gesichtspunkten

Von der bisher als ältester Bibliothek zu bezeichnenden Schriftensammlung, die uns durch eine Inschrift eines ägyptischen Grabmals in der Nähe von Gizeh aus der 4. Dynastie (2900—2750 v.Chr.) bekannt wurde, besitzen wir lediglich den Hinweis auf den "Verwalter des Hauses der Schriften"58; ähnliche Hinweise sind auch aus dem 14. und 12. Jahrh. v. Chr. bekannt geworden. Als eine der ersten Katalogisierungen kann man wohl das in eine Wand der Bibliothek des HorusTempels in Apollinopolis Magna (jetzt Edfu) eingravierte "Verzeichnis der Kästen, die Bücher auf großen Pergamentrollen enthalten" bezeichnen. Samurin gibt eine Übersicht über die in zwei Abteilungen eingeteilten 37 Klassen595 von denen nur zwei bisher noch nicht entziffert werden konnte. Der Inhalt dieser Klassen ist allerdings sehr unterschiedlich; sechs Klassen beginnen mit "Das Buch von..." (wie z.B. "Das Buch von dem Inhalt des Tempels"), so daß man schließen könnte, diese Klasse werde nur durch ein Objekt gebildet; die Klasse 29 bezeichnet dagegen "Büchersammlung von der Jagd auf Löwen", was eindeutig eine Menge voraussetzt. Häufig findet man die Bibliothek des Assyrerkönigs^ssurtanipa/ erwähnt (668626 v.Chr.), die 1849 in der Nähe von Ninive entdeckt und ausgegraben wurde. Sie muß mehr als 20 000 Tontafeln besessen haben, auch einen Katalog auf Tontafeln./. MenanfiQ hat aufgrund ihrer Anordnung 10 Klassen rekonstruiert,61, 58 Siehe Samurin, Bd. l, S. 8 59 Nach Samurin, Bd. l, Fußnote 10, S. 312 benutzte er die Fassung von B.A. Turaev: Egipetskaja literatura. T. 1. Moskva 1920. S. 11; H. Brugsch: Die Ägyptologie. Leipzig 1891. S. 156-158 soll eine etwas andere Fassung vermittelt haben. 60 J. Menant: La bibliotheque du Palais de Ninive. Paris 1880 61 Siehe Samurin, Bd. l, S. 7

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die jedoch die Inhalte durch Benennungen seiner eigenen Zeit wiedergeben. Dagegen sind die "Pinakes" (Tafeln) des Kallimachos (310 bis etwa 240 v.Chr.), die wohl eine Art systematischen Katalog der Alexandrinischen Bibliothek der Ptolemäer darstellt, durch spätere Sekundärliteratur in ihren ursprünglichen Klassenbildungen bekannt geworden62. Bushnell rekonstruierte63 das folgende Schema, das nach Samurin jedoch "die Reichhaltigkeit der Bestände der Alexandrinischen Bibliothek bei weitem nicht widerspiegeln"64 könne: Dichter Epiker Komödiendichter Tragödiendichter Dithyrambiker Gesetzgeber Philosophen Geometer Mathematiker Historiker Redner Schriftsteller gemischter Themen Schriftsteller über die Vögel Schriftsteller über die Fische Schriftsteller über die Pasteten mit Käse

Wir finden hier also einerseits eine Klassenbildung nach Beruf und Genre der Autoren und andererseits bereits die bekannte Klasse "Sonstiges", die, wenn man sie nach ihren Einzelheiten aufgliedern würde, immer viel zu Spezielles zu Tage fördert, wie hier auch die "Pasteten mit Käse". Klassenbildungen nach "Beruf und Genre der Autoren" sind auch aus dem Mittelalter bekannt. Die Klassifikation der Klosterbibliothek von St. Ruquier von 831 ordnet drei von fünf Klassen nach Autoren: I. II. III. IV. V.

Bibeln und Biblische Kommentare Kirchenväter Grammatiker Historiker Bücher für den Gottesdienst65

Im späten und ausgehenden Mittelalter wird neben der aufkommenden Aufstellung nach Gebieten66 auch die nach Literaturgattungen oder Dokumentenarten 62 Nach A. Derevickij handelt es sich dabei um die Ordnung einer Auswahl von 90 000 aus 400 000 Titeln, siehe Samurin, Bd. l, S. 15 und S. 314, Fußnoten 63 In: Antiquity 2 (1928) S. 196-204 (Samurin, Bd. l, S. 314) 64 Siehe Samurin, Bd. l, S. 315 65 Siehe E. Edwards: Memoirs of libraries (149), gegenüber von S. 811. Er bezieht sich dabei auf D'Achery: Spicilegium IV, S. 115-188 66 So bezieht z.B. die Klassifikation der Klosterbibliothek von St. Emmeran bereits Geschichte, Jurisprudenz, Künste ein, unterteilt jedoch Theologie noch durch "Antike Theologen", "Moderne Theologen". (Edwards, wie Fußnote l; bezieht sich dabei auf Schmeller: Über Bücherkataloge des XV. und früherer Jahrhunderte (Serapeum, II, S. 262))

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üblich, wie z.B. nach enzyklopädischen Werken, Glossaren etc., Erzählungen, Romanen, Liedern, Chroniken, ohne dabei gleichzeitig den Inhalt zu berücksichtigen Wie die Ordnung des Augustinerklosters von Canterbury (um 1538) zeigt, wurde aber darüberhinaus auch nach Leserinteressen, nach Sprachen, Autoren und nach chronologischen Gesichtspunkten, durchweg also nach formalen Aspekten abgestellt67. Es wurde dabei jeweils ein Regal für die Unterteilung einer Klasse vorgesehen und die Bücher mit der Nummer des Regals markiert ("collegiate press marking system")68. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts begegnen wir einem formalistischen Vorschlag für eine Bibliotheksordnung, der angesichts der UDC69 fast wie ein Kuriosum wirken mag: Francois Grude de la Croix du Maine hatte 1583 in seinem Projekt für die Bibliothek Heinrichs III. ein Volumen von 10 000 Büchern vorgesehen, wobei je 100 Bücher in 100 Schränke von je 10 Regalen thematisch untergebracht werden sollten^O Als er jedoch mit diesem Vorhaben nicht zurecht kam, reduzierte er seine-Klassifikation auf sieben "Kategorien" mit insgesamt 107 Untergruppen. 2.5.2

Einteilungen nach Disziplinen

Mit dem Aufkommen der Universitäten im 13. und 14. Jahrhundert entstanden auch nach und nach Universitätsbibliotheken. Diese besaßen jedoch zunächst nur sehr wenige kostbare Handschriften. Erst nach Gutenberg's Erfindung, 1444/45, änderte sich diese Situation; die wenigen existierenden Bibliotheken füllten sich langsam aber stetig. 1545 versuchte der Schweizer Graezist und Philosophie-Professor, gleichzeitig auch Arzt, Zoologe, Jurist und Historiker, Konrad Gesner, in 21 Büchern eine Universalbibliographie zusammenzustellen, die alle Titel von Büchern nachwies, die bis dahin überhaupt bekannt geworden sind und zwar in den Sprachen: Griechisch, Lateinisch und Hebräisch. Seine "Bibliotheca universalis"' l gliederte er nach Büchern wie folgt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

67 68 69 70 71

Von der Grammatik Von der Dialektik Von der Rhetorik Von der Poetik Von der Arithmetik Von der Geometrie Von der Musik Von der Astronomie Von der Astrologie Von erlaubten und unerlaubten Prophezeiungen und von der Magie Von der Geographie Von der Geschichte Von den verschiedenen Künsten, mechanischen und anderen, die für das menschliche Leben von Nutzen sind

Siehe Samurin, Bd. I, S. 65-68 Siehe Berwick Sayers (39) Siehe Abschn. 2.6.2 und 3.4.2 Siehe Samurin, Bd. I, S. 106-109 Nachdruck bei Zeller, Osnabrück

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14. Von der Naturphilosophie 15. Von der ersten Philosophie (gewöhnlich Metaphysik genannt) und von den Arten der Theologie 16. Von der Moralphilosophie 17. Von der ökonomischen Philosophie 18. Von der Politik, d.h. vom zivilen Teil der Philosophie 19. Vom Zivil- und Kirchenrecht 20. Von der Medizin (dieses Buch ist nicht erschienen) 21. Von der christlichen Theologie72

Deutlich sind in dieser Gliederung noch die Artes Liberales enthalten, aber auch die sonstigen, auf den Universitäten gelehrten Disziplinen. Indem Gesner sich an diese Disziplinen hielt, schuf er nicht nur ein sehr nützliches Arbeitsmittel für Professoren und Studenten, sondern leitete damit auch eine neue Periode für die Einteilung von Büchern nach eben diesen in den Universitäten gelehrten Disziplinen ein. Nur etwa 70 Jahre später finden wir in Gabriel Naudes berühmter Schrift "Advis pour dresser une bibliotheque" (1623) eine Empfehlung für die Einteilung der Bücher nach den Disziplinen: Theologie Medizin Jurisprudenz Geschichte Philosophie Mathematik Schöne Literatur Diese Gliederung wurde später von verschiedenen französischen Professoren, wie Jean Garnier (1612-1681) und Buchhändlern, wie Gabriel Martin (1678-1761), die ihre Buchkataloge danach unterteilten, wesentlich ausgebaut und teilweise geändert; sie blieb jedoch bis ins 19. Jahrhundert hinein, wie aus der Klassifikation von Jacques-Charles Brunei noch erkennbar, als die "französische Systematik" die allenthalben anerkannte Klassifikation73; auch Leibniz hat sich mit seiner Bibliotheksordnung für die große Bibliothek des Mainzer Diplomaten Boineburg 1667 im wesentlichen nach ihr gerichtet. Der Bibliothekar an der kaiserlichen Bibliothek zu Wien, Johann Michael Denis (1729—1800) versuchte sogar, für die 7 Hauptgruppen dieser Klassifikation eine philosophische Begründung zu finden. In seinem 72 Bei Samurin findet sich die gesamte Klassifikation, die vielfach noch um 2 weitere Ebenen untergliedert ist, siehe Bd. I, S. 118-123 73 Über das Ausgangsschema des "französischen Systems" gibt es allerdings Meinungsverschiedenheiten. Brunet (Manuel du libraire et de l'amateur de livres. 5. Aufl. Bd. 6, Paris 1865, S. VI-) schreibt es Prosper Marchand in der "Bibliotheca bigotiana", 1706 zu. Edwards (149, S. 773) nimmt dagegen an, daß Bouilliau es verfaßte, als er den Katalog für die Bibliothek von Tou schuf. Siehe hierzu auch Samurin, Bd. I, S. 351, Fußnote 29 74 Er bezeichnete sie als "bürgerliche Einteilung der Wissenschaften aufgrund der Fakultäten und Berufe. Man bedient sich ihrer an den Universitäten und bei der Ordnung der Bibliotheken." (304, Bd. II, S. 675).

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"Grundriß der Bibliographie und Bücherkunde" (1774) vergleicht er die 7 Gruppen mit den "Sieben Säulen der Weisheit" (des Tempels von Salomon) und weist daraufhin, daß die Disziplinen jeweils durch ein Untergebiet miteinander verkettet seien, "so daß sie eine förmliche Encyclopedic ausmachen"; entsprechend ordnet er sie in seinem "logischen Kreis"75. Die bevorzugte Einteilung der Bibliotheksklassifikationen nach den HochschulLehrgebieten der damaligen Zeit kann wohl damit erklärt werden, daß auf diese Weise den Benutzerinteressen (Professoren und Studenten) am besten gedient war. Das mit der außeruniversitären Forschung seit dem 17. Jahrhundert entstehende neue Wissen auf naturwissenschaftlichem und technischem Gebiet hat sich nicht sofort und allgemein in Monographien niedergeschlagen; es fand vielmehr bald seine eigene Form in den Zeitschriftenaufsätzen. Diese aber konnten allein schon wegen ihrer Anzahl von den Bibliotheken nicht im einzelnen katalogisiert und klassiert werden. Mit ihrem ersten Aufkommen zeichnet sich daher bereits die spätere Notwendigkeit einer dokumentarischen Klassifikation (siehe nächster Abschnitt) ab. So ist es zu erklären, daß sich trotz der Entwicklung der naturwissenschaftlichen und technischen Gebiete diese ehemalige Einteilung nach Disziplinen so konstant gehalten hat, ja, daß diese Einteilungen auch heute noch an unseren Bibliotheken anzutreffen sind. Selbst das im März 1972 vorgelegte Gutachten einer Studiengruppe der Deutschen Bibliothekskonferenz "Zur Frage einer Einheitsklassifikation" (112) schlägt noch zur Aufstellung eines neuen Schemas vor: "Dem bibliothekarischen Klassifikationsschema soll eine Fachsystematik zugrunde liegen, die dem neuesten Stand der Wissenschaften entspricht, interdisziplinäre Zusammenhänge zur Geltung bringt und, trotz dauernder Veränderungen im "System der Wissenschaften", einem in seinen Grundzügen allgemein bekannten "Fächerkanon" folgt." (l 12, S. 19)

(Meine Hervorhebung). Es scheint fast, als sei der "Fächerkanon" zu einer Art Denkform geworden, ohne die in einer Bibliothek Information nicht mehr vermittelt werden kann.76 Leider haben die Autoren des Gutachtens sich nicht dazu geäußert, wie die Widersprüche in diesem Vorschlag aufgelöst werden könnten. 2.5.3

Präkombinationen und "Standard-Unterteilungen"

In den vorangegangenen beiden Abschnitten wurde die historische Entwicklung der Bibliotheksklassifikationen von formal-sachlichen Einteilungen bis zur disziplin-bezogenen Systematik beschrieben. In den folgenden drei Abschnitten soll lediglich auf einige Besonderheiten bibliothekarischer Klassifikationen hingewiesen werden. In Abschn. 3.4 wird dann am Beispiel von sechs derzeitig noch verwendeten universalen Bibliotheksklassifikationen auf Einzelheiten eingegangen werden können. 75 M. Denis: Einleitung in die Bücherkunde. 1. TeU, Bibliographie. Wien 1777. S. 262-263. (s.a. Samurin, Bd. I, S. 365-366) 76 Vgl. hierzu auch (101)

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Eine erste strukturelle Besonderheit bibliothekarischer Klassifikationen, die auch bereits bei Gesners Einteilung anzutreffen ist, muß in den Präkombinationen gesehen werden, die zum Teil durch die Thematik literarischer Werke vorgegeben wird, da man auf diese Weise Themenklassen bildete. So unterteilt bereits Gesner den Bereich der Geographie und der Geschichte nach einzelnen Erdteilen und Ländern, d.h., die Systemstellen für geographische Einteilungen befinden sich einmal im Bereich der Geographie und noch einmal im Bereich der Geschichte. In anderen Klassifikationen, wie z.B. der Library of Congress Classification, kommen sie auch noch in anderen Disziplinen vor, wie beispielsweise Wirtschaft und jedesmal ist die geographische Einheit fest verknüpft mit der Disziplin, der sie untergeordnet ist. Diese Verknüpfung innerhalb einer gegebenen Systematik wird Präkombination genannt. Will man nun etwas über eine bestimmte geographische Einheit wissen, so muß man in sämtlichen Systemstellen, mit denen sie durch Präkombination verbunden ist, nachforschen. Solche Präkombinationen sind auch heute noch in allen Bibliotheksklassifikationen in Fülle vorhanden; ihre einzige Rechtfertigung kann darin gesehen werden, daß zu der gebildeten Präkombination ausreichend Literatur besteht; sie ist "durch Literatur belegt" ("literary warrant"). Der große Nachteil besteht jedoch darin, daß die Bestandteile einer Präkombination nicht mehr mit anderen Begriffen Kombinationen eingehen können, da sie ja bereits festgelegt sind. So müssen weitere und immer weitere Präkombinationen gebildet werden, da die Möglichkeiten der Begriffsverknüpfung in der Literatur unendlich groß sind. Einen ersten Schritt zur Überwindung dieser Nachteile tat Johann Michael Francke (1717-1775), als er in der Bibliothek zu Dresden erstmals eine Methode der "Klassenbildung" anwandte, die später in vielen Bibliotheken Verbreitung finden sollte: um alle Literatur zu einem bestimmten Gegenstand an einem bestimmten Platz im Katalog zu finden, ganz gleich, von welchem Gesichtspunkt aus er betrachtet würde, baute er den wohl ersten alphabetischen Schlagwortkatalog auf. Bei der Literatur über verschiedene Länder bediente er sich dabei einer gleichbleibenden Unterteilung nach Geographie, Reisen, Naturgeschichte, Technologie, Statistik, Altertümer, Geschichte und Verfassung. So war damit plötzlich eine invertierte Klassifikation geschaffen oder aber der Anfang zu den später sogenannten Standard-Unterteilungen gemacht. Sein Verfahren war allerdings nicht an die alphabetische Schlagwortkatalogisierung gebunden; es fand daher schon bald Verwendung in neu aufgestellten Bibliotheksklassifikationen und wurde Ende des 19. Jahrhunderts zur allgemeinen Regel. Die in Taf. 16(Abschn. 3.5.2) gegebene Übersicht zeigt diese Standard-Unterteilungen in 5 von 6 universalen Klassifikationen von heute. Es handelt sich bei solchen Standard-Unterteilungen, die hierzulande im Bibliothekswesen seit//. W. Eppelsheimer (154) auch "Schlüssel" genannt werden, um Differenzierungen nach geographischen und Zeitangaben, nach Dokumentenarten, Sprachen, allgemeinen Aspekten udgl. und es ist festzustellen, daß sie entweder vollständig oder teilweise in die Systematik der "Hauptklassen" einer Bibliotheksklassifikation einbezogen werden oder zum analytischen Gebrauch gesondert an-

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geboten vorliegen, so daß nur bei Bedarf eine Kombination durchgeführt werden kann. Die Entwicklung verlief dabei von in der Systematik fest verzahnten Präkombinationen solcher Standardunterteilungen (Anfang 19. Jahrhundert) zu Übergangsformen (Dewey Decimal Classification) bis zum Angebot einer reinen Facettenklassifikation (Colon-Classification), die erst eine Post-Kombination von Begriffen ermöglicht. Dies ist aber gleichzeitig auch der Weg von der monohierarchisch aufgebauten Bibliotheksklassifikation mit analytischen Unterteilungen zu einer universalem polyhierarchischen Klassifikation. 2.5.4

Buchsignaturen und Notation

Der Notation eines Klassats kommt insofern Bedeutung zu, als diese den oder die Begriff(e) "vertritt", dessen oder deren Stelle im Klassifikationssystem sie einnimmt. Die Möglichkeit, diesen Zusammenhang für die Vermittlung von Wissen im Bibliotheksbereich zu nutzen, hatte wohl als einer der ersten Melvil Dewey erkannt77. Vorangegangen war die bereits im Mittelalter praktizierte Vergabe von Regalnummern und fortlaufenden Nummern für die Bücher auf einem Regal. Daneben gab es die Bibliotheksklassifikationen mit ihren umständlichen römischen Ziffern. Der amerikanische Bibliothekar Jakob Schwartz hat 1870 zum ersten Mal versucht, dieses Bezeichnungssystem zu durchbrechen und hat seinem dann allerdings erst 1879 erschienenen "Mnemonic system of classification" Alphabetzeichen als Notation für seine Gebietsbegriffe zugeteilt und zwar vergab er A für Arts, B für Bibliography, etc., so daß der Benutzer sehr einfachen Zugang zu den Notationen gewinnen konnte. Aber auch Zahlen können zu mnemotechnischen Hilfsmitteln werden, wenn man sie sinnvoll "aufbaut" und memorierbar immer auf den gleichen Gegenstand bezieht. M. Dewey hatte dies mit seiner Decimal Classification intendiert; darüber hinaus erhielt dadurch jedes Dokument mit einer Notation seines Systems eine "bewegliche Nummer", d.h., eine sachliche Identifikationszahl, die mit dem Dokument verbunden werden konnte und die dann entsprechend in allen Bibliotheken für ein bestimmtes Dokument die gleiche Zahl blieb. Dies bedeutete Unabhängigkeit von den ehemaligen variierenden Regalnummern, ermöglichte eine zentrale Katalogisierung und führte dazu, daß damit auch in jeder Bibliothek, die nach der Decimal Classification klassierte, thematisch zusammengehörige Dokumente "automatisch" auf den Regalen zusammengeführt wurden. Obwohl heute in den USA diese mit der Notation verbundene Möglichkeit der flexiblen Buchaufstellung zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, muß für die Praxis in Deutschland festgestellt werden, daß meist noch nach gesondert entwickelten Buchsignaturen aufgestellt wird, dies hauptsächlich aber auch, um jeweils ein bestimmtes Buch greifen zu können; denn eine Klassifikationsnotation können u.U. auch mehrere Werke gemeinsam haben. Dieser "Gefahr" begegnet man jedoch in den USA und England durch Anhängen der sog. Cutter-Numbers an die Klassennotationen. Diese sind kurze, alphanumerische Codes, die nach 77 Siehe auch Abschn. 3.4.1 a) 71

einem einfachen Codesystem von jedermann gebildet oder entschlüsselt werden können und jeweils für den Autorennamen des betreffenden Dokuments stehen^S. Eine weitere Verwendung der Notation zur Aussagenbildung und Begriffsverknüpfung wird in Abschn. 3.3 und 6.6 beschrieben. 2.5.5

Zum Umfang von bibliothekarischen Klassifikationen

Man sollte fast meinen, es wäre nur zu folgerichtig, wenn mit zunehmender Anzahl von Publikationen und zunehmendem Wissen über diese auch Bibliotheksklassifikationen laufend umfangreicher und differenzierter werden müßten. Überlegungen dieser Art haben wohl das Anwachsen der bekannten Bibliotheksklassifikationen als eine natürliche Folge dieser Entwicklung angesehen. Hinzu kam noch ein zweites Moment: benutzt man eine Bibliotheksklassifikation im wesentlichen nur zur Aufstellung der Bücher — und dies war und ist heute noch in den USA z.B. ihr ausschließlicher Zweck - dann ist man natürlich bestrebt, für jedes einzelne Buch nur eine einzige Stelle angeben zu müssen, an die es gehört. Auch dies ist ein Grund, weshalb Begriffspräkombinationen in Bibliotheksklassifikationen als unumgänglich erachtet werden; denn bei einem postkombinierenden System könnten sich u.U. mehrere Hierarchien anbieten, in die ein Werk einzureihen wäre. So entstanden im vergangenen Jahrhundert immer umfangreichere Bibliotheksklassifikationen, als bekannteste die von/. Ch. Brunet79. Von A.A.E. Schleiermacher's Klassifikation ist bekannt, daß sie 12 500 "Rubriken" umfaßte, wie Samurin berichtetSO. Dieser Umfang ist umso bemerkenswerter, als Schleiermacher bereits analytische Unterteilungen verwendete, allerdings nur für geographische und sprachliche Gesichtspunkte. Gegen die Entwicklung zu immer umfangreicheren Systemen haben sich um die Jahrhundertwende/./). Brown%l,H.E. Bliss^ und später H.W. Eppelsheimer&Z, H. Trebsfi^ undS.R. Ranganathan^^ gewendet. Sie zeigten, daß es aufgrund standardisierter analytischer Unterteilungen und der freien Kombiniert»arkeit einzelner Begriffe sehr wohl möglich ist, mit weniger umfangreichen Klassifikationen zu arbeiten und dabei noch dazu mehr zu erreichen. So enthält schließlich Ranganathan 's Colon Classification nurmehr ca. 6800 Einträge im Sachregister und sein System besteht aus nur einem schmalen Band, während die Library of Congress Classification deren 30 besitzt, ebenso die 1968 erst fertiggestellte russische Bibliothekarisch-bibliographische Klassifikation. Das involvierte Problem ist heute noch nicht allenthalben verstanden und die es erkannten, sehen aus 78 79 80 81 82 83 84 85

72

Siehe hierzu auch Abschn. 3.4.3 c) Siehe Samurin, Bd. I, S. 242-248 Siehe Samurin, Bd. II, S. 120-131 James Duff Brown: "Subject Classification", 1906 (58) Henry Evelyn Bliss: "Bibliographie Classification" 1910/1935 (49) Hanns W. Eppelsheimer: Das "System des Mainzer Sachkatalogs" 1929 (154) Hans Trebst: Der "analytische Katalog", 1931 (508) S.R. Ranganathan: "Colon Gasification", 1933 (407) Es handelt sich bei diesen Angaben nicht immer um Buchtitel, siehe diese Bibliographie.

mehr oder weniger politischen Gründen keinen Ausweg. Die Autoren des o.g. Gutachtens zur Einheitsklassifikation haben zwar vorgeschlagen, Klassifikation iür die Buchaufstellung und Klassifikation für Kataloge und Information Retrieval getrennt zu behandeln und konkordanzartig aufeinander zu beziehen, doch leider keine Vorstellungen vermittelt, aus welchen Bestandteilen der Code für die Buchaufstellung bestehen müßte. Angesichts der schlechten Erfahrungen, die man mit den komplizierten und zeichenüberladenen Buchsignaturen der Colon-Classification gemacht hat, erscheint dieser Vorschlag der getrennten Klassifikationssysteme für die beiden wesentlichen Anwendungsbereiche der Bibliotheken durchaus diskutabel. In Kap. 6 werden wir auf dieses Problem zurückkommen.

2.6

Dokumentarisch-informemologische Klassifikationen

2.6.0

Terminologische Vorbemerkung

Wir sprachen in diesem Kapitel bisher von philosophischen und pädagogisch-didaktischen Klassifikationen und bezogen uns damit auf Fachgebiete, aus denen oder für die Klassifikationssysteme benötigt werden; wir behandelten des weiteren enzyklopädische und Wörterklassifikationen und bezogen uns damit auf Dokumentenarten bzw. ihre Inhalte, die klassifikatorisch zu ordnen sind. Unter 2.5 und 2.6 haben wir Klassifikationen zur Wissensvermittlung zusammengefaßt, da hier Hinweiselemente klassiert werden, einerseits (2.5) im bibliothekarischen Raum und in Bibliographien, andererseits für das dokumentarische Geschehen, dessen Zweck die Information ist. Die Bezeichnung "Dokumentation" wird dabei als das Gesamt der Vorgänge begriffen (Sammlung, inhaltliche Bearbeitung, geordnete Speicherung, zugriffssicheres Retrieval), die die Voraussetzungen zur Information über Inhalte von Dokumenten ausmachen86. Für den Gesamtkomplex dieser Tätigkeiten ist das Vorliegen eines Klassifikationssystems wünschenswert87. Dem Informationsziel der Dokumentation muß jedoch bereits beim Vorgang der inhaltlichen Bearbeitung Rechnung getragen werden, d.h., die Verwendung von Elementen eines Klassifikationssystems zur Klassierung von Dokumenteninhalten genügt nicht, wenn nicht gleichzeitig dabei InformemeSS gebildet werden, die den Informationsgehalt von Sachverhalten darstellen, informatorische Aussagen bedeuten. Im fol86 In diesen Tätigkeiten sind auch bibliothekarische eingeschlossen; die Gebiete Bibliothekswesen und Dokumentation überlappen sich zu großen Teilen, weshalb vorgeschlagen wurde, sie mit anderen unter dem Sammelbegriff "Informationswissenschaften" zusammenzufassen. Siehe hierzu Kunz/Rittel (290), Diemer (129), Dahlberg (100, S. XI) 87 Man kann zwar auch ohne Vorgabe eines Klassifikationssystems Dokumentation betreiben, doch sind im Nachhinein Begriffsbenennungen nur dann z.B. maschinell wiederzufinden, wenn diese inhalts"trächtigen" Wörter, die ein Dokument speziell charakterisieren können, vorher bezeichnet werden konnten (siehe Henrichs (224), oder wenn durch geeignete Maschinenprogramme, wie sie z.B. das aufwendige SMART-System besitzt, inhaltlich gewichtige Wörter aus ejnem Dokument "herausgeholt" werden können (siehe hierzu Salton (430)). 88 Die Bezeichnung wurde von A. Diemer gebildet (129); näheres hierüber siehe Kap. 5 73

genden Abschnitt kann nur auf die bisher hierzu vorliegenden Ansätze hingewiesen werden. 2.6.1

Aufgaben dokumentarisch-informemölogischer Klassifikationssysteme

Im Gegensatz zu den bibliothekarischen Klassifikationssystemen, die zur Klassierung von Makrodokumenten dienen, müssen dokumentarisch-informemologische einerseits genügend spezifische Elemente besitzen, um Mikrodokumente insgesamt thematisch erfassen zu können und andererseits darüberhinaus auch Beschreibelemente für spezielle Themen liefern können, die sich in Teilen von Mikrodokumenten befinden. Es geht hierbei sowohl um den Gesichtspunkt der Einordnung oder Verortung von Informemen in einem Speicher im Hinblich auf das spätere Wiederfinden ihrer Sachverhalte und entsprechendes Lokalisieren in Dokumenten als auch um die Möglichkeit, Begriffe beliebig miteinander verknüpfen zu können. Der Unterschied gegenüber bibliothekarischen Systemen besteht also im wesentlichen in der Abstraktionsebene der Begriffe oder der Spezifität der informatorischen Aussage, die sich zudem noch auf verschiedenen Stufen der Konkretisierung (Verweisung auf, bis Nachweis von Informemen) befinden kann. Die hierzu erforderlichen Begriffe oder Begriffskombinationen müssen geeignet sein, Bestandteile verschieden spezifischer Aussagen über Texte zu bilden, d.h., es müssen Textsurrogate89 vorliegen, die sowohl Gegenstände auf verschiedenen Abstraktionsebenen als auch deren Prädikationen sowie die besonderen Umstände, die ihnen zugrundeliegen oder sie begleiten, ausdrücken können. Da aufgrund dieser Forderung informatorische Aussagen in einer Art Begriffssprache entstehen, spricht man heute in diesem Zusammenhang anstelle von Klassifikationssystem auch gern von "Dokumentationssprache", wenn damit auch zur Zeit noch bei den verschiedenen Autoren unterschiedliche Vorstellungen verbunden sind. Wir werden jedoch in Absch. 2.6.3 c) darlegen, weshalb uns diese Bezeichnung unangemessen erscheint. 2.6.2

Die "Dokumentationsklassifikation"

Die Dokumentation (als Bereich wissenschaftlicher Tätigkeit) kann man geschichtlich im Grunde bis auf die ersten Katalogisierungsbemühungen Altägyptens zurückführen oder kann sie beginnen lassen mit dem Erscheinen der ersten Fachzeitschrift ("Philosophical Transactions") 1665, oder der ersten fachliterarischeri Informationszeitschrift90 ("Journal des Scavans") 1665, oder dem ersten datenkompilierenden Handbuch (Gmeliri) 1817, oder der ersten fachorientierten Referatezeitschrift ("Pharmazeutisches Centralblatt") 1830; ihren eigentlichen Anfang 89 Die Bezeichnung "Textsurrogate" geht auf J.M. Perreault (381) zurück, der im Zusammenhang mit dem Problem der syntagmatischen Relationen (siehe hierzu auch 5.3.3) die Wendung "articulation of surrogates" benutzte. 90 Ivan Polzovics hat 1964 in einer kleinen (ungar.) Schrift (399) darauf hingewiesen, daß das Journal des Scavans bereits von seinem Beginn (1665) an mit der Referierung von Fachliteratur (zunächst jedoch nur Büchern) befaßt war.

74

nahm sie erst 1895, als die beiden Belgier P. Otlet und H. Lafontaine mit der von M. Dewey zur Erweiterung überlassenen Decimal Classification die Universal Decimal Classification (UDC) begründeten, um sie für die Aufgaben des Institut International de Bibliographie (später: . . . de Documentation) zur Klassierung internationaler wissenschaftlicher Zeitschriften- und Patentliteratur benutzen zu können. Man kann daher wohl sagen, daß UDC und wissenschaftliche Literaturdokumentation sich - zumindest in den ersten 60 Jahren - gegenseitig "stützten", so daß die Bezeichnung "Dokumentationsklassifikation" aus dieser Sicht zu verstehen ist. Von der UDC (in Deutschland durch "DK" abgekürzt) wird in Abschn. 3-A2 ausführlich die Rede sein, so daß wir uns hier nur auf die Nennung ihrer wesentlichen Kennzeichen beschränken können. a) Die UDC besitzt eine Dezimalnotation, d.h., alle Wissensgebiete werden aus 10 Hauptklassen, die Disziplinen und Zusammenfassungen von Disziplinen darstellen, so abgeleitet, daß sie sich bei jeder dezimalen Unterteilungsstufe um den Faktor 10 vermehren können. Wäre jede Stelle auf diese Weise immer belegt, könnte man bereits mit nur 6 Zahlen l Million Begriffe bezeichnen. b) Die UDC ist eingeteilt in sogenannte Haupttafeln, in denen die Wissensgebiete mit ihren Objekten und Methoden systematisch dargestellt werden und mit Hilfe der Notation strukturiert sind und zusätzliche Hilfstafeln für die sogenannten analytischen Unterteilungen (für geogr. Angaben, Zeitangaben, Dokumentenformen, Personen, Materialien, Sprachen, etc.). Dazu verfügt sie über ein kleines Zeicheninventar zur Herstellung von Zusammenhängen, und eine Reihe von Regeln für die Formulierung von Klassaten, wobei es allerdings mehr um eine standardisierte Reihenfolge der Elemente geht als um Herstellung klassifikatorischer Aussagen. c) Alle in der UDC enthaltenen Begriffe sind potentiell - sofern sie nicht durch Präkombinationen bereits festgelegt sind - unbeschränkt mit allen anderen Begriffen kombinierbar. Eine Relationierung von Aussageelementen geschieht in der UDC auf formale Weise: durch das Doppelpunktzeichen zwischen zwei Zahlennotationen. Eine Möglichkeit, semantische Relationsangaben mit zwei oder mehreren UDC-Begriffen zu verbinden, besteht zur Zeit erst im Versuchsstadium; seit 1969 ist es möglich91? die sogenannten Relatoren vonPerreauIt (379) als Verknüpfungselemente zwischen zwei UDC-Notationen zu verwenden. Von dieser Möglichkeit kann jedoch kaum Gebrauch gemacht werden, da die Voraussetzung hierzu, nämlich das Vorhandensein von Einfachbegriffen, in den UDC-Tafeln häufig nicht gegeben ist. Die UDC verfügt also über die für ein tiefergehendes Beschreiben (Indexieren)92 von Sachverhalten in Dokumenten notwendigen Elemente und Möglichkeiten; vom Standpunkt einer sachgerechten Klassierung oder Indexierung muß sie jedoch als 91 Über neue Regelungen für die UDC entscheidet das Central Classification Committee der Federation Internationale de Documentation, Den Haag, die auch das Copyright dieser Klassifikation besitzt. 75

unzureichend und häufig inadäquat bezeichnet werden. Im einzelnen wird dies später (Abschn. 3.4.2) begründet werden. 2.6.3

Dokumentationsthesauri93

a) Geschichte Vielfach aus Unzufriedenheit mit dem veralteten Inhalt bestehender Universalklassifikationen begann man seit Ende der fünfziger Jahre in den USA, den Schlagwortkatalogen der Bibliothekare folgend, für die Dokumentationsarbeit entsprechende Schlagwörterverzeichnisse, "Subject Heading Lists", "Descriptor Lists" zu erstellen. Diese alphabetischen (Schlag)-Wörterverzeichnisse. die sich immer nur auf das Gebiet bezogen, das eine spezielle Dokumentationsstelle zu bearbeiten hatte, enthielten die im Bibliothekswesen üblichen Verweisungen in solchen Listen von der Art "siehe", "siehe auch", wenn jeweils zu einem Begriff Relationen zu anderen Begriffen aus dem gleichen Spezialgebiet festgestellt werden konnten. Bald aber wurden in solche Listen auch bewußt Synonyma und Quasi-Synonyma aufgenommen und Relationen zwischen Ober- und Unterbegriffen, jeweils nur bezogen auf den für eine Dokumentationsaufgabe benötigten Wortschatz, durch entsprechende Relationsangaben festgehalten. Wegen der Einbeziehung von Synonyma mit ihren Verweisungen auf zu benutzende Begriffswörter nannte man diese Wörterverzeichnisse seit dem Erscheinen des ersten sogenannten ASTIA-Thesaurus94 bald allenthalben nur noch "Thesauri" und definierte sie als "Hilfsmittel der Dokumentation", "eine Sammlung von Wörtern der natürlichen Sprache (Gemein- und Fachsprache) mit Darstellung ihrer Begriffsbeziehungen"95. Nach anfänglich sehr schlechten Erfahrungen mit dem viel zu umfangreichen ersten ASTIA-Thesaurus hat man 1962 mit der zweiten Auflage dieses Thesaurus erstmalig versucht, die invertierte "klassifikatorische Struktur" seiner alphabeti-sch 92 "Indexieren " wurde in Deutschland in Analogie zu dem englischen "Indexing" entwikkelt und steht ebenso zweideutig, wie die englische Benennung a) für das Angeben von Wörtern zur Aufnahme in ein Sachregister (Index), b) für das Zuteilen von Schlagwörtern zu" Texten zum Zwecke einer durch ebendiese Wörter isolierten Angabe der Themen, über die ein Text handelt. 93 Literatur über Thesaurusfragen und Thesauri siehe: E Pietsch, E. Lutterbeck: Zur Thesaurus-Frage (394); D. Soergel: Klassifikationssysteme und Thesauri (471); I. Dahlberg in: Literatur zu den Informationswissenschaften (100) Abschn. 2.2.7 sowie Bibliographien über Thesauri in Abschn. 4.2.3 94 Thesaurus of ASTIA Descriptors, l ed. 1960 (521) enthielt ca 70 000 Subject Headings und zwar vielfach noch als Präkombinationen. Zwei Jahre später wurde daher bereits eine Neuauflage herausgegeben, die nur noch 7000 Begriffe enthielt. 95 Dies ist die Definition des Komitees Thesaurusforschung der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation. Sie wurde 1966 erstellt und sowohl von Soergel (471) als auch von Wersig (558) 1968/69 wesentlich ergänzt und genauer gefaßt. 76

aufgelisteten Deskriptoren erkennbar zu machen. So finden wir z.B. unter dem Deskriptor "Themoelemente" folgende Angaben: THERMOCOUPLES (Instrumentation) Includes: Thermopiles Specific to: TEMPERATURE SENSITIVE ELEMENTS Also see: PYROMETERS THERMOELECTRICITY THERMOMETERS

Als weitere Angaben könnten hier noch "Generic to" erscheinen, wenn noch ein Unterbegriff von Thermocouples in diesem Thesaurus vorkäme, der als Deskriptor benutzt wird. Der Unterbegriff "Thermopiles" soll nicht verwendet werden96; er wird an der Stelle, an der er im Alphabet des Thesaurus erscheint, mit einer Verweisung versehen werden, aus der hervorgeht, daß an seiner Stelle "Thermocouples" zu benutzen ist. Ein um zwei Jahre später erschienener Thesaurus, der vor allem auch mit seinen Verweisungsabkürzungen "Schule" gemacht hat, ist der des Engineers Joint Council von 1964. In ihm enthält jeder Begriffssatz (wo immer angebracht) die folgenden Verweisungen gegenüber den ASTIA-Verweisungen97: ASTIA Use Includes Specific to Generic to Also see

EJC USE UF Used For BT Broader Term NT Narrower Term RT Related Term

Außer seinen alphabetisch verzeichneten Deskriptoren besitzt dieser erste EJCThesaurus auch noch ein "System von Rollenindikatoren", die als syntagmatische Hilfsmittel mit den Deskriptoren verwendet werden können. Hierzu siehe jedoch Abschn. 5.3.3. Dem Beispiel des "EJC Thesaurus of Engineering Terms" folgten bald weitere in anderen Wissensbereichen nach, vornehmlich in solchen mit interdisziplinären Aufgabengebieten und für die auf keine vorhandenen Klassifikationssysteme (außer den mit Präkombinationen überladenen universalen Systemen) zurückgegriffen werden konnte. Die Möglichkeit der Indexierung mit Hilfe von Wörtern der natürlichen Sprache, deren Bedeutung den Benutzern zumindest mehr vermitteln konnte, als Buchstaben- und Zahlennotationen, die erst einer Übersetzung oder Decodierung bedurften, hat diesem neuen Hilfsmittel der Klassierung sehr schnell viele Anhänger gebracht; hinzu kam die relativ leichte Manipulierbarkeit der Deskriptoren im Computer, ihre Kombinierbarkeit in der Abfrage, sowohl mit Hilfe des 96 Die nicht zu verwendenden Deskriptoren nennt man daher "Nicht-Deskriptoren". 97 Siehe: Thesaurus of Engineering Terms. 1st ed. (152) 77

Sichtlochkartenverfahrens als auch im Computer und das sehr leichte Ergänzen ihrer Thesauri durch neu hinzukommende oder neu aufzunehmende Begriffe. So ist in den Jahren 1960—1970 eine wahre Thesaurusbewegung entstanden, die zu vielen Sitzungen und Konferenzen und zu sehr viel Literatur über den Problembereich geführt hat. In den letzten Jahren hat sich die Internationale Standardisierungs-Organisation (ISO) in ihrem Komitee TC/46 um die Abfassung einer internationalen Norm über die Herstellung von Thesauri und einer weiteren Norm zur Gestaltung mehrsprachiger Thesauri bemühtes. So scheint es demnach, als wären die zahlreichen inzwischen entstandenen Fachthesauri die natürlichen Nachfolger der früheren Klassifikationen. Nun muß aber doch daraufhingewiesen werden, daß der wesentliche Nachteil solcher Thesauri darin besteht, daß sie meist nur auf ein bestimmtes Dokumentationssystem hin speicherbezogen aufgebaut werden, d.h., nur mit einem bestimmten Dokumentenbestand, mit dem zusammen sie entstanden sind, sinnvoll verwendet werden können. Für jede nicht an einem bestimmten Dokumentationssystem partizipierende Dokumentationsstelle ist dann aber ein solcher Thesaurus entweder unerreichbar, oder voller unbrauchbarer Relationsangaben; denn die speziellen Aspekte einer Dokumentationsaufgabe, die eine Stelle von der anderen unterscheidet, können ja nur in einem eigenen speziellen System oder aber einem generellen System erfaßt werden. Auch die Relationsangaben in den Randgebieten einer Dokumentationsaufgabe werden häufig sehr "pragmatisch" gekennzeichnet, schon allein deshalb, weil die Autoren von Thesauri nicht immer auch in allen Randgebieten fachlich versiert sind. Eine solche Entwicklung führt jedoch dazu, daß jeder seinen eigenen Thesaurus für sein eigenes Dokumentationssystem erstellen muß. Das aber bedeutet nicht nur völlig unsinnige Mehrfacharbeit, sondern verhindert auch eine mögliche Zusammenarbeit auf gemeinsamen Gebieten, da die zeitaufwendige Inhaltserschließung von Dokumenten dann in jedem System von neuem beginnen muß. Einen Ausweg aus dieser Situation beschreibt Z). Soergel in "A universal source thesaurus as a classification generator" (475). Siehe hierzu auch unsere "Zwei-Systeme-Theorie der Klassifikation" in Abschn. 7.1.3. b) Zwei neuere Modelle: TEST und Thesaurofacet Nun sind jedoch in den letzten Jahren zwei neue umfangreiche Thesauri erstellt worden, die wiederum, wie der EJC-Thesaurus, Modellcharakter besitzen und den Weg weisen könnten, der einmal zu einem universalen Thesaurus (oder universalen Klassifikationssystem) führt. Es sind dies der "Thesaurus of Engineering and Scientific Terms" (TEST)99 (153) und "Thesaurofacet", der eigentlich eine halbe Facettenklassifikation ist mit einem thesaurusartigen Register (3). 98 Diese Normungsarbeit korrespondiert mit entsprechenden Normentwürfen im nationalen Bereich; so gibt es in der BRD derzeitig die DIN Vornorm 1463: Thesaurusrichtlinien. Eine Richtlinie zur Übersetzung von Thesauri siehe (37). 99 Siehe hierzu auch J, Schön: Der Thesaurus of Engineering and Scientific Terms (TEST). Entstehungsgeschichte und Aufbau (457). Er kann als erweiterte Neuauflage des EJCThesaurus von 1964 angesehen werden.

78

Der TEST entstand 1967 als Gemeinschaftsarbeit der Mitarbeiter des U.S. Department of Defense und des Engineers Joint Council, die anhand von 350 Begriffslisten, Glossaren und Thesauri mit einem Gesamtausgangsbestand von 150 000 Termini schließlich 17 810 als Deskriptoren und 5554 als notwendige Nicht-Deskriptoren auswählten und zu einem Großthesaurus für den Gesamtbereich der naturwissenschaftlichen und technischen Gebiete strukturierten. TEST besteht aus den folgenden vier Teilen: Teil l, Teil 2,

Teil 3, Teil 4,

"Thesaurus of Terms", enthält alle Deskriptoren mit ihren Begriffssätzen in alphabetischer Reihenfolge, "Permuted Index", weist alle signifikanten Einzelwörter aller zusammengesetzten Benennungen in alphabetischer Reihenfolge nach, d.h., zu jedem Wort werden sämtliche mit diesem Wort auftretenden Zusammensetzungen, die im Thesaurus vorkommen, angegeben; auf diese Weise wird eine Art Wortfeldverfahren in den Thesaurus eingeführt, "Subject Category Index", stellt alle verwendeten Deskriptoren nach 22 Hauptgruppen und 178 Untergruppen in ihren sachlichen Zusammenhängen dar, "Hierarchical Index", nennt die "obersten" Deskriptoren mit allen vorkommenden Unterbegriffen.

In einem Thesaurus gibt es nicht sehr viele hierarchische Ebenen, da nicht auf letzte oder oberste Grundbegriffe reduziert wird. Entsprechend zahlreiche Einzelhierarchien lassen sich daher feststellen. Der 1969 erschiene Thesaurofacet" (3) weicht insofern von allen bisherigen Thesauri ab, als er aus einem systematischen Ausgangsteil und einem thesaurusartigen Register besteht, wobei die Systematik auf einer Reihe von naturwissenschaftlichen und technischen Wissensgebieten aufbaut, ihre Unterbegriffe jedoch facettenförmig anordnet und diese von den Gebietsbegriffen notationsmäßig trennt, so daß eine wahlweise Kombination jederzeit möglich ist. Das Zwischenglied zwischen den beiden Teilen (Systematik und Register) bildet die alphanumerische Notation. Bei "Thesaurofacet" handelt es sich um die vierte Auflage einer bis dahin immer nur als Facettenklassifikation herausgegebenen Systems der English Electric Company. In den ersten drei Auflagen konnten daher offenbar ausreichende Erfahrungen hinsichtlich der Organisation der Facetten gesammelt werden. Die Abkehr von Fundamentalkategorien und jetzige Rückkehr zu Wissensgebieten als Ausgangsklassen sollte zu denken geben. /. Aitchison hatte dazu allerdings bereits vor Jahren (1965) geäußert: "it was a mistake entirely to disregard the traditional academic subject divisions in favor of the 'fundamental' categories" (in 531). Es scheint allerdings doch, daß die Methode der Trennung von Gebietsbegriffen und Facettenbegriffen der Gebiete, den Fehler bisheriger, von Disziplinen ausgehender Klassifikationssysteme ausgleicht. Jedes Gebiet ist in unterschiedlicher Weise jeweils nach den ihm eigenen Facetten unterteilt, bei Atomphysik z.B. nach Typen Theorie Eigenschaften Struktur 79

Interaktionen analoge Systeme. Bei der Erstellung des Registers unter Einbeziehung der üblichen Thesaurusverweisungen ist man bei Thesaurofacet auch weitere eigene Wege gegangen, die allerdings zum Teil auch mit der Facettenklassifikation zusammenhängen, da bei ihr von einer Vorzugshierarchie ausgegangen werden muß und zusätzliche Hierarchien eben als solche gekennzeichnet werden müssen. So gibt es folgende weitere Angaben: NT (A) — additional narrower term BT (A) - additional broader term Synth - synthesized 'S - constituent term in synthesized term letztere stehen für zusammengesetzte Begriffe aus Einzelbegriffen der Klassifikation. Das System besitzt insgesamt 16 000 Deskriptoren und 7000 Nicht-Deskriptoren aus allerdings unterschiedlich stark berücksichtigten naturwissenschaftlichen und technischen Gebieten. Die Anzahlen korrespondieren in etwa mit denen des TEST. Der Versuch einer Konkordanz wurde jedoch m.W. noch nicht unternommen. Sowohl TEST als auch Thesaurofacet werden derzeitig zum Indexieren benutzt; der TEST wird zudem in mehrere Sprachen übersetzt, darunter auch ins Deutsche. Es muß nunmehr beobachtet werden, wie sich die Systeme im Laufe der Jahre durch Benutzerwünsche und Anpassen an neues Wissen verändern werden. Da ihre Begriffe jedoch kaum präkoordiniert vorliegen, kann vermutet werden, daß sie keineswegs so rasch veralten werden, wie dies bei bisherigen Bibliotheksklassifikationen beobachtet werden konnte.

c) Entwicklung zur Dokumentationssprache? Aufgrund der in Thesauri verwendeten natürlichen Sprache entstanden in den letzten Jahren vor allem in der englischsprachigen Literatur als Ersatz für die Bezeichnungen "Klassifikation" oder "Klassifikationssystem" bald solche, wie "indexing language", "retrieval language", "information language", "documentary language", etc. Diesem Trend folgte man schließlich auch in der deutschen Literatur und spricht seit einigen Jahren im Zusammenhang mit Klassifikationssystemen und Thesauri von "Dokumentationssprachen". Aber während z.B. D. Soergel (1969 und 1971) diese noch folgendermaßen definiert: "Unter Dokumentationssprache (documentary language, langage documentaire) wird im folgenden verstanden jede Sprache (im allgemeineren Sinn), für die (mehr oder weniger detaillierte) Kennzeichnung (Beschreibung) und/oder für die Anordnung von Dokumentationseinheiten oder ihrer Substitute mit dem Ziel der späteren Wiederauffindbarkeit"(473,S. 134)

und damit Dokumentationssprachen eher mit Klassifikationssystemen identisch sieht, also auch die Funktion der Anordnung berücksichtigt, setzt er sie in Gegensatz zu Thesauri (da er die Nicht-Deskriptoren ausklammert), wenn er zwei Seiten später sagt: 80

"Für den Aufschließer und für automatische Aufschließung ist zusätzlich ein umfangreicher Thesaurus erforderlich, der die Verbindung zwischen der natürlichen Sprache und der Dokumentationssprache herstellt, indem er (1) synonyme und quasi-synonyme Benennungen für die in der Dokumentationssprache enthaltenen Begriffe und (2) in der Dokumentationssprache nicht enthaltene Begriffe, jeweils mit Verweis auf die zu benutzenden Deskriptoren (Begriffe) der Dokumentationssprache, enthält." (473, S. 137)

G. Wersig faßt dagegen Dokumentationssprache als Oberbegriff von Thesaurus und Klassifikation auf, wenn er z.B. von den "beiden Typen von Dokumentationssprachen, Klassifikation und Thesauri" (561, S. 81) spricht. Eine solche Hierarchisierung erscheint jedoch insofern unzulässig, als damit nicht nur der sprachliche sondern auch der Dokumentationsaspekt zum Oberbegriff für Begriffe von Methoden und Produkten gemacht werden, die sich auf die allgemein begriffliche Ordnung alles Gegebenen beziehen, wie z.B. "Klassifikation". An anderer Stelle (560, S. 250) definiert Wersig Dokumentationssprache als "Sprache, die innerhalb eines Dokumentationssystems zur Beherrschung der sprachlichen Transformationsprozesse (insbesondere bei Indexierung und Suche) benutzt wird"

und bezieht sie damit ausschließlich auf Dokumentationssysteme. So müßte eine Kritik einerseits daran anknüpfen, daß "Sprache" oder "Sprachen" nicht zum Oberbegriff von allgemeinen und speziellen Begriffsordnungen erhoben werden können und zum anderen daran, daß "Dokumentation" schließlich nicht mit Denklehre gleichgesetzt werden kann. In der Aufzählung der Funktionen von Dokumentationssprachen bezieht sich Wersig zum Teil auf Soergel: "Beschreibung von Dokumentationseinheiten" "Informationsverarbeitung im engeren Sinne" "Speicherung" "Wiederauffindung" "Kommunikation" (560, S. 251; Soergel, 473, S. 135). Er ergänzt und verdeutlicht diese Funktionen in seiner eigenen Darstellung von 22 verschiedenen Ebenen sprachlicher Transformationsprozesse, wie Origination Kommunikationsmittlung Analyse Selektion, etc. 100 Als die drei Hauptproblemkreise, die eine Sprache, welche "als Referenzrahmen für sehr unterschiedliche Sprachen und Begriffssysteme gelten soll" meistern müßte, nennt Wersig das Problem der Verhältnisse a) von Begriffen zueinander b) zwischen Begriffen und Bezeichnungen c) der sprachlichen Zeichen untereinander 100 Siehe (560, S. 231-250) 101 Siehe (560, S. 251-255) 81

Hier wird jedoch offenbar der "Sprache", wie sie als allgemeines Phänomen im Bereich der menschlichen Vermögen angesehen werden kann, etwas zuviel zugemutet. Oder ist diese hier gar nicht mehr gemeint? Geht es ihm vielleicht doch um einen Begriffscode? Dies läßt Wersig's These 41102 deutlich annehmen: "Es ist daher zu fordern, daß eine Dokumentationssprache den Zugriff zu einem Begriff oder einer Begriffskombination ohne Rücksicht darauf erlaubt, in welcher Weise der Be* griff sprachlich ausgedrückt werden kann oder wird."

Jedenfalls verläßt Wersig hier eindeutig die sprachliche Ebene und befindet sich im rein begrifflichen Bereich. Folgender Schluß ist daher wohl begründet: So relativ günstig der Terminus "Dokumentationssprache" im Hinblick auf seine Parallelen zur Allgemeinsprache (Formulierung von Aussagen; Bestandteile: Vokabular, Grammatik, Syntax) angesehen werden kann, so absolut unzutreffend muß er für eine Verwendbarkeit zur Identifizierung und Ordnung von Begriffen betrachtet werden. Es ist daher zu überlegen, ob nicht eine andere Bezeichnung, die auf das begrifflich-noematische Element und seine Zusammenhänge hinweist, für das Gemeinte eher zutrifft; wenn man nicht überhaupt die Suche nach einem neuen Terminus aufgibt und zum "Begriffssystem" oder "Klassifikationssystem" rekurriert, da ja immerhin auch ein Klassifikationssystem, wie die UDC (allerdings mehr von ihrer konzeptionellen Seite als in deren Realisierung) als ein Hilfsmittel für sprachliche Transformationsprozesse angesehen werden kann und — wie gezeigt wurde — über Bestandteile einer "Sprache" verfügt, um Aussagen über Dokumenteninhalte machen zu können. Es kann ja auch wohl nicht die Absicht der Autoren gewesen sein, den Begriff "Klassifikationssy stem", der ja, wie wir zeigten, in vielen Bereichen Anwendung findet, ganz allgemein durch "Dokumentationssprache" zu ersetzen. Andererseits sollte auch allein schon deshalb im Dokumentationsbereich die Bezeichnung "Klassifikationssystem" bevorzugt werden, weil die Möglichkeit der Einbeziehung von Wörtern (also z.B. synonymen Benennungen von Begriffen) in die Dokumentationssprachen 103s also die Aufnahme der Stichwörter aus Texten ohne ihre jeweilige Spezifizierung, Merkmalsbestimmung und Relationierung zu Begriffen, sehr rasch zu einer Abkehr von begrifflichen Ordnungen fuhren und schließlich damit enden würde, daß alle signifikanten Wörter einer Sprache zur Dokumentationssprache gehörten. Wir werden im nächsten Abschnitt sehen, daß natürlich auch Textwörter aus Dokumenten zu Aussagen über Inhalte dieser Dokumente herangezogen werden können. Damit sind jedoch 1. nicht alle signifikanten Textwörter eines Dokuments betroffen und 2. muß diese Methode auf weitere Hilfsmittel zurückgreifen, um den Bedeutungsbereich eines solchen Wortes, bzw. seine möglichen Begriffsassoziationen, die sich in Wortverbindungen zeigen, darstellen 102 Siehe (560, S. 255) 103 Hiervon hatte sich Soergel distanziert, wie wir zeigten; Wersig (560, S. 313, Fußnote 450), Lutterbeck (298, S. 340), Lang (301, Abschn. 2.1) u.a. beziehen sie dagegen expressis verbis ein

82

zu können. Die metasprachliche Ebene der Begriffe, die Aussagen über Aussagen ermöglichen, ist mit dieser Methode dann insofern verlassen, als die Inhalte von Dokumenten kontextuell, also mit Hilfe ihres eigenen Wortschatzes, beschrieben werden. 2.6.4

Stichwörter- / Wortfeld-Methoden

Mit einer Indexierung auf der Basis der in Dokumenten verwendeten und diese kennzeichnenden Wörter (Dokumentensprache) können Begriffssammlungen erstellt werden, die man zwar weder Klassifikationen noch Thesauri nennen darf, da sie nicht wie diese natürlich oder artifiziell strukturiert werden, die aber doch "semantische Ordnungen" darstellen, insofern durch Wortassoziationen, die jeweils auf ein Dokument bezogen werden, gewisse implizite Zuordnungen gegeben sind. Diese Methode wird derzeitig experimentell in vielen Untersuchungen zur maschinellen Indexierungl04 aufgrund von Wortfrequenzen, Wortrangverfahren, Wortgewichtungen erprobt und in zwei nach Methodik und Umfang unterschiedlichen Systemen operational verwendet, einmal auf der Basis der Wörter aus Titeln von Zeitschriftenaufsätzen 105 und zum anderen auf der Basis von intellektuell/ manuell bezeichneten Textstichwörtern, deren kontextueller Zusammenhang durch Indikatoren festgehalten wird.

a) Der "Permuterm Subject Index " von ISI Das Institute for Scientific Information (ISI), Philadelphia, gibt zu seinen wöchentlich erscheinenden Magnetbändern mit den alphabetisch verzeichneten Autoren aller Aufsätze aus ca. 2200 naturwissenschaftlich-technischen Zeitschriften sowie aller Autoren, die von den ersten Autoren zitiert wurden (Source Index und Citation Index) vierteljährlich auch Magnetbänder heraus, die alphabetisch alle Titel dieser Register nachweisen und zwar nicht im gesamten Kontext sondern jeweils in den Assoziationen, die ein Titelwort mit jedem anderen signifikanten Wort des gleichen Titels eingehen kann. Da Wörter aus Titeln in Bezug auf die sie anzeigenden Dokumenteninhalte als metasprachliche Ausdrücke aufgefaßt werden können, die Begriffe beinhalten, sind diese alphabetischen Auflistungen der TitelStichwörter mit ihren Assoziationstermini als Konstitutionen von Wortfeldern anzusehen, die sich jeweils auf den tatsächlichen Wortgebrauch der erfaßten Zeitschriftenliteratur in einem gegebenen Zeitabschnitt bezieht. Jahres- oder Mehrjahreskumulierungen würden hier vermutlich noch besseres "Material" zutage fördern. 104 Die hierüber vorliegende Literatur hat bereits einen beträchtlichen Umfang erreicht. So verzeichnet die Bibliographie im Fortschrittsbericht von M.E.Stevens (489) 1965 bereits 662 Titel; siehe auch (100, Abschn. 1.3.4 f)) sowie (490). 105 Hierzu könnten im Grunde auch alle Anwendungen von KWIC (Keyword-in-context) oder KWOC (Keyword-out-of-context)-Registern gezählt werden; hierbei geht es aber weniger um Begriffskontextualität als um eine alphabetische Zugriffsmöglichkeit zu Wörtern, die in Titeln vorkommen. 83

b) Das Wortfeldverfahren der Düsseldorfer Philosophischen Dokumentation Die mit einem modifizierten GOLEM-Programml06 unternommene Dokumentation philosophischer Literatur beim Philosophischen Institut der Universität Düsseldorf verwendet zur Inhaltskennzeichnung von Zeitschriftenaufsätzen grundsätzlich nur Textstichwörter, die jeweils zu ihrem historischen Autor und/oder untereinander durch Indikatoren ("links") in Beziehung gesetzt werden. Es bleibt dabei der "Kunst" des Indexierenden überlassen, welche Textwörter als inhaltskennzeichnend bezeichnet und miteinander in Linkung gebracht werden. Die angegebenen Textstichwörter werden mit ihren Quellen alphabetisch und entsprechend den in ihnen enthaltenen Wortstämmen in Relation zu einem vorherbestimmten "Wortfeldleitwort" maschinell zu Wortfeldern zusammengestellt. Diese Wortfelder dienen vor allem der Übersicht über indexiertes Wortmaterial, was dann als ein ausgezeichnetes Hilfsmittel zur Vermittlung von Einsichten in die vielfältigen Zusammenhänge und Abfragemöglichkeiten des Speichers dienen kann. Zur Indexierung werden sie allerdings nicht herangezogen, da es ja prinzipiell auf die Sprache des Autors ankommen soll und stets mit Bezug auf ihn und/ oder einen interpretierten (historischen) Autor indexiert wird. Hierfür liegt ein Regelwerk vor. Die Wortfelder bestehen aus folgenden, jeweils nach verschiedenen Sprachen nochmals unterteilten "Kategorien" l07: 1. Wortfeldleitwort 2. Synonyme, Qiasisynonyme und fremdsprachliche Äquivalente 3. Hinweise auf homonymen Gebrauch der Wörter unter 2 4. Stammverwandte Wörter zu 2 5. Überblick über thematische Bezüge des Leitwortes, bzw. der unter 2 und 4 aufgeführten Terme (aufgeführte Wörter sind Leitwörter eigener Wortfelder und sollen zu deren "Aufruf anregen) 6. Systematischer Bezug des Leitworts (Disziplin-Namen) 7. Historischer Bezug (Bezugsautoren, Schulen, Epochen) In das gesamte Wortfeld werden nur diejenigen Wörter aufgenommen, die tatsächlich im Dokumentationsspeicher aufgrund bisheriger Dokumentations-, bzw. Indexierungsarbeiten vorgekommen sind. Außer den Kategorien l, 2 und 6 werden alle Kategorien maschinell erstellt und auf dem Laufenden gehalten. Gegenüber der Thesaurusmethode erbringt dieses manuell/maschinelle Wortfeldverfahren vor allem quantitativ bessere Recherchebedingungen. Abgesehen vom Inhalt der Kategorie 6 bleibt die Relationierung im hierarchischen oder assoziativen Sinne dem Benutzer des Systems überlassen, d.h., möchte er spezifischer oder genereller abfragen, so muß er die geeigneten Wörter aus der Kategorie 5 auswählen. 106 Siehe hierzu K. Hülck et al (243), N. Henrichs (223) und (224), Siemens AG (468), A. Diemer (l22). 107 Hier wird das V/ort "Kategorie" in einem anderen Sinne benutzt als es in Abschn.1.4.1 definiert wurde. Es hat sich in Deutschland eingebürgert, bei Schematisierungen dieser Art, wie auch z.B. bei den einzelnen Bestandteilen einer Titelaufnahme, von Kategorien zu sprechen. 84

Der Vorteil der Methode muß 1. darin gesehen werden, daß die Wortfelder im wesentlichen maschinell erstellt werden können und darin, daß 2. nur auf der Basis der von Autoren verwendeten Wörter geordnet wird und daher keine Fehlinterpretationen über die Intention des Autors bei der möglichen Zuordnung von Begriffsinhalten vorkommen sollten. Die hinter dieser Maßnahme stehende Auffassung verwirft den "Platonismus", der davon ausgeht, daß sowohl bei der Origination als auch bei der Indexierung, Suche und Kommunikation jeweils das gleiche Vorverständnis über den Inhalt eines Begriffs vorhanden seilOo. Es orientiert sich daher nur am gegebenen Wort des Autors und den Assoziationen, die ein Wort eingehen kann. Der Nachteil der Methode muß in der relativen Aufwendigkeit gesehen werden und darin, daß hier nur ein Verfahren für die Inhaltsbeschreibung von Dokumenten vorliegt, das klassifikatorische Element der inhaltlichen Zusammenfassung jedoch nicht berücksichtigt werden kann. Der Wert der Methode steht und fällt mit der Qualität der Indexierung, dem Fachwissen der Indexierer und vielleicht auch mit der Qualität der eingespeicherten Dokumente. Keinesfalls aber kann man davon ausgehen, daß die begriffliche Seite zugunsten einer reinen Wortmarkierung vernachlässigt würde, denn die Wortfeldleitwörter stellen Begriffe dar, dies geht zumindest aus Kategorie 2 hervor. Inwiefern sich das Verfahren auch auf andere Gebiete übertragen läßt oder inwiefern es besonders spezifisch für geisteswissenschaftliche Bereiche mit mehr oder weniger schwer zu identifizierenden ideellen Objekten angesehen werden muß, bedarf noch der eingehenden Untersuchung. Von den bisher in der philosophischen Dokumentation erstellten Wortfeldern kann noch nicht gesagt werden, ob sie sich über eine Systematisierung nach Kategorie 6 hinaus relationieren lassen; zumindest einer alphabetischen lexikographischen Auflistung aller Wortfelder, auch derjenigen anderer Bereiche, dürfte jedoch nichts im Wege stehen. Je größer der Speicher sein wird, auf den sich ein derartig eingerichtetes Wortfeldverfahren bezieht, umso universaler (wenn dieser Komparativ möglich ist) könnte dann auch das Lexikon der Wortfelder werden. Immer aber wird es speicherabhängig sein und kann daher zur Erstellung eines universalen Begriffssystems zwar herangezogen werden, aber nur in Abhängigkeit von den eingespeicherten Dokumenteninhalten jeweils zur Erstellung eines allgemeinen Begriffssystems verwendet werden. 2.6.5

Datenklassifikation

Bis auf das letztgenannte Verfahren beziehen sich die bisher genannten Klassifikationen auf Begriffe oder Beschreibelemente, mit denen Inhalte von Dokumenten gekennzeichnet werden können. Die gleichen Klassifikationen können jedoch auch dazu verwendet werden, Daten oder Fakten in Dokumenten direkt zu lokalisieren — wie dies ja auch schon die direkte Indexierungsmethode der philosophischen Dokumentation intendierte — wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 108 Siehe hierzu auch A. Diemer in (130) und (133). 85

a) zusammen mit der Indexierung bzw. Klassierung wird angegeben, daß der spezifizierende Begriffsich auf im Dokument enthaltene Daten bezieht und b) die Indexierung erfolgt aufgrund von zusätzlichen Angaben, die im Klassifikationssystem als zu eruierende Werte und Größen an den betreffenden Begriffsstellen genannt worden sind. Als Beispiel für diese letztere Methode seien die "Data-Terms" des Groth-Institut genannt!09. Ähnlich verfährt D. Soergel (378, S. 95) im Hinblick auf die sozialwissenschaftliche Datendokumentation: "Das für Dokumentationszwecke benutzte Klassifikationssystem der Begriffe wird so gestaltet, daß aus den einem Dokumentations- bzw. Untersuchungsobjekt zugeteilten speziellen Begriffen auf die in der Datenverarbeitung zu berücksichtigenden, meist allgemeinen Ausprägungen der zu untersuchenden Variablen geschlossen werden kann. Mit anderen Worten, die Beobachtung oder Vercodung wird nicht auf der allgemeinen Ebene der für die Untersuchung festgelegten Werte bzw. Ausprägungen der zu untersuchenden Variablen, sondern so speziell wie möglich durchgeführt."

Da die Datendokumentation als speziellste Form einer Dokumentation angesehen werden muß, wird man wohl immer mit sehr speziellen Klassifikationssystemen versuchen, sie inhaltlich zu bewältigen. Das bedeutet aber nicht, daß "Anschlußstellen" für solche Klassifikationssysteme nicht in universalen Systemen vorhanden sein können. Bisher liegen jedoch hierzu noch kaum Erfahrungen vor, das Gesamtgebiet der Datendokumentation muß auch heute noch als im "Vorfeld der Forschung" befindlich angesehen werdenllO. Als einer der ersten, der eine Methodik der klassierenden Erfassung von biologischen Daten vorgeschlagen hat, muß M. Scheele genannt werden! H. n/ Feitscher (166) schlug für eine tabellarische oder diagrammatische Darstellung zur Systematisierung von Aussagen und Aussageelementen die "Wissensspeichermethode" vor; Z). Soergel und K. Furmaniak (472) zeigten, wie die Daten aus Tabellen klassifikatorisch ausgewertet werden können. Als Datendokumentationsaufgabe in der Chemie müßte auf das System GREMAS (190) hingewiesen werden, in dem Strukturformeln nach ihren Bestandteilen klassiert werden; für den Bereich der Werkstoffdaten auf die Studie von W. Oberender (363). In allen diesen Anwendungsfällen geht es um die Erfassung der Kenngrößen (Eigenschaften, Meßwerte, udgl.) von Objekten (Stoffen, Produkten etc.); dabei handelt es sich jedoch vielfach um die gleichen Objekte, die auch Gegenstände aspektorientierter wissenschaftlicher Forschung sein können. Wenn auch ihre Aufnahme im einzelnen vielleicht ein universales Klassifika109 Siehe hierzu I. Dahlberg: Ergebnisdokumentation in der Kristallographie (93) sowie R. Pepinsky: Groth Institute Extractor's Manual (376) und ders.: Examples of Groth Institute Data Extracting Forms... (377). 110 So der Geschäftsführer der Commission on Data Documentation (CODATA) des International Council of Scientific Unions (ICSU), C. Schäfer in (437). 111 Siehe M. Scheele: Die Anwendung moderner Lochkartenverfahren für den Aufbau von Pflanzenbestimmungsschlüsseln (441). In seinem Werk "Wissenschaftliche Dokumentation" (443) beschreibt Scheele auch Definition, Aufgaben und Gliederung der Datendokumentation und schlägt Grundlagenstudien, sowohl in Daten- als auch Auswerteund Ergebnisdokumentation vor.

86

tionssystem "sprengen" würde (z.B. bei Auflistung aller ca. 2 Millionen chemischen Verbindungen), so sind zumindest noch ihre feststellbaren Eigenschaften übersehbar und könnten daher in einem universalen System erfaßt werden. Man könnte also wie folgt zusammenfassen: Mit einem universalen Klassifikationssystem kann den Bedürfnissen der Datendokumentation hinsichtlich der Objektklassen nur auf höherer Abstraktionsebene, hinsichtlich der Eigenschaftsbegriffe jedoch umfassend Rechnung getragen werden; es sollte möglich sein, für jede spezielle Anwendung einer Datendokumentation unter Bezugnahme auf alle zu verwendenden Begriffe eines universalen Systems ein entsprechendes spezielles System aufzubauen, wobei die jeweils spezifischen Kenngrößen für die Erfassung der Daten mitberücksichtigt werden! 12

2.7

Wissenschafts-, Wirtschafts- und verwaltungspolitischorientierte Klassifikationen

2.7.0

Vorbemeikung

Wir haben in Abschn. 2.0 den nun folgenden Bereich mit "Klassifikationen zur Wissensorganisation" betitelt, eher um uns so mit einem einzigen Wort an die anderen drei Bereiche (der W.-Darstellung, W.-Verwendung und W.-Vermittlung) anzuschließen, als damit mehr auszusagen, als daß es sich hierbei um Klassifikationen handelt, die als Hilfsmittel in organisationsbedingten Entscheidungsprozessen benutzt werden. Es handelt sich dabei also um Klassifikationen, die a) Übersichten über vorhandene Einrichtungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung gestatten und b) Bezugssysteme sind für bestehende oder zu bildende Informationssysteme in allen Bereichen von Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung. Von ihrer Typologie her haben wir es bei diesen Klassifikationen eher mit Ordnungssystemen zu tun, die einen systematischen Zusammenhang mit den in Abschnitt 2. l und 2.2 behandelten philosophischen und pädagogisch-didaktischen Klassifikationen gerechtfertigt hätten, da sie, wie diese, sich nur auf die obersten semantischen Ebenen beziehen. Da aber in gewisser Weise in der Abfolge der genannten Verwendungsbereiche auch eine historische Entwicklung zum Ausdruck kommt und derartige organisationsbezogene Klassifikationen derzeitig die letzte Verwendungsart anzuzeigen scheinen, haben wir sie ans Ende dieser Reihe gesetzt.

112 Es sei hier noch auf die Literatur zur Datendokumentation in (100, Abschn. 1.3.2 a) hingewiesen, wo diese auch noch nach einigen Anwendungsbereichen differenziert wird.

87

2.7. l

Zur Entwicklung wissenschaftsorganisatorisch-orientierter Klassifikationen Mit dem Heraustreten des Forschungsbetriebes in den außeruniversitären Bereich - eine Entwicklung, die mit dem 16. und 17. Jahrhundert begann - sind auch die ersten Gelehrtengesellschaften entstanden, wie z.B. 1662 die Royal Society inLon don und die 1666 durch Colbert gegründete Academic des Sciences in Pans mit ihren ursprünglich 6 Sektionen: GeOmetrie, Astronomie, M£canique, Anatomie, Chimie, Botaniquell3. Der über seine Rechenmaschine mit diesen wissenschaftlichen Gesellschaften bekannt gewordene Leibniz erfaßte sehr bald ihren entsprechenden Wert auch für den deutschen Bereich und verfaßte daher bereits 1671 seinen "Grundriß eines Bedenckens von aufrichtung einer Societät in Teutschland zu au ff nehmen der Künste und Wissenschaften" 114, wobei ihm ein Netz von wissenschaftlichen "Societäten" in verschiedenen deutschen Ländern vorschwebtel 15. Aber nur durch sein unermüdliches Betreiben gelang ihm 1700 die Gründung einer "Societät der Wissenschaften in Berlin" mit den "Hauptobjekten": Mathematik, Physik mit Astronomie, Mechanik, Chemie Deutsche Sprache Literatur 116 Für die "kaiserliche Societät" in Wien schlug er bereits ein wesentlich differenzierteres Programm vor: 1. Klasse: für Literatur mit Geschichte, Geographie, Wappenkunde, öffentliches und Völkerrecht, Sprachwissenschaften, Münz- und Inschriftenkunde, Handschriften- und Urkundenlehre 2. Klasse: für Mathematik mit Landbeschreibung, Geometrie, Astronomie, Zivil- und Militärbauwesen, Maschinen- und Mühlenbau 3. Klasse: für Physik mit Mineral-, Tier- und Pflanzenreich, Medizin, Chirurgiell? Zu dieser Übersicht würde man heute vielleicht sagen, daß Leibniz dabei wohl eine Einteilung nach Geisteswissenschaften, Technik und Naturwissenschaften vorgeschwebt haben muß. Aus der Akademie des Sciences in Paris wurde 1795 das "Institut National des Sciences et Arts" mit der Dreigliederung: 1. Physikalische und mathematische Wissenschaften (Mathematik, Mechanische Künste, Astronomie, Experimentalphysik, Chemie, Naturgeschichte und Mineralogie, Botanik und Pflanzenphysiologie, Anatomie und Zoologie, Medizin und Chirurgie, Landwirtschaft und Veterinärwesen) 113 114 115 116 117

Siehe hierzu auch L. Geldsetzer (195, S. 82) Siehe W. Totok: Leibniz als Wissenschaftsorganisator (S. 295) Ebenda, S. 301 Ebenda, S. 312-13 In Brief an Prinz Eugen, Foucher, Bd. 7, S. 218-

2. Ethische und politische Wissenschaften (Analyse der Empfindungen und Vorstellungen, Moral, Gesellschaftswissenschaften und Gesetzgebung, Nationalökonomie, Geschichte, Geographie) 3. Literatur und Schöne Künste (Grammatik, Alte Sprachen, Poesie, Altertümer, Malerei, Bildhauerkunst, Architektur, Musik und Rezitation)! 18 Samurin^ 19 nimmt an, daß diese Einteilung, die an die "Klassifikation von Descartes undffobbes erinnert" und auch Gemeinsamkeiten mitLockes Einteilung zeige, von Condorcet (1743-1794) beeinflußt worden sei!20) der in dieser Reihenfolge einen Aufstieg "von geringerer Gemeinsamkeit zu zunehmender Kompliziertheit der von den Wissenschaften zu erforschenden Erscheinungen" enthält. Wir würden wohl heute aus dieser Gruppierung die Dreiteilung: Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften ablesen. Auch heutige wissenschaftliche Gesellschaften benutzen noch ähnliche Einteilungen; so teilt z.B. die Max-Planck-Gesellschaft ihre Institute in die drei Sektionen: Geisteswissenschaftliche, Biologisch-Medizinische und Chemisch-Physikalische Sektion ein. Von besonderem Interesse dürfte jedoch in diesem Zusammenhang die Einteilung sein, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Systematisierung ihrer Forschungsvorhaben verwendet. In ihren Jahrbüchern findet sich mit jeweils einer oder zwei weiteren Stufen die folgende Einteilung: 1. Theologie 2. Rechtswissenschaft 3. Wiitschafts- und Sozialwissenschaften 4. Medizin 5. Philosophie, Psychologie, Pädagogik 6. Alte und Orientalische Kultur 7. Neuere Philologie, Literaturwiss. und Volkskunde 8. Geschichte 9. Kunstwissenschaften 10. Völkerkunde 11. Geschichte der Naturwissenschaften, Medizin, Technik 12. Biologie 13. Geologie und Mineralogie 14. Geographie 15. Chemie 16. Physik 17. Mathematik 18. Allgemeine Ingenieurwissenschaften 19. Architektur 20. Bauingenieurwesen 21. Bergbau und Hüttenwesen 22. Maschinenwesen 118 Siehe Samurin, Bd. L, S. 212-213 119 Ebenda, S. 214 120 Siehe hierzu auch Fußnote 4 in Samurin, Bd. I, S. 371 89

23. 24. 25. 26.

Elektrotechnik Landwirtschaft und Gartenbau Veterinärmedizin Forst- und Holzwissenschaft

Diese Einteilung liegt auch dem "Vademecum Deutscher Lehr- und Forschungsstätten" (491) für die systematische Gruppierung von wissenschaftlichen Einrichtungen der BRD zugrunde, auch ist das im Auftrag der DFG herausgegebene "Verzeichnis deutscher wissenschaftlicher Zeitschriften" (l 1 1) nach ihr gegliedert (mit einigen Änderungen). Es muß jedoch erwähnt werden, daß die DFG zwischen "Normalprogramm", "Schwerpunktprogramm" und "Sonderforschungsbereiche" unterscheidet. Nur für ihr "Normalprogramm" benutzt sie die o.g. Einteilung, für das Schwerpunktprogramm wird die folgende benutzt, während die Sonderforschungsbereiche ohne gesonderte Einteilung aufgeführt werden^ l : 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Geisteswissenschaften Medizin und Veterinärmedizin Ernährungsforschung Naturwissenschaften (Biologie, Physik, Chemie) Geowissenschaften Ingenieurwissenschaften Landwirtschaft und Forstwissenschaften Wasserforschung Sonstiges

Hierbei wird also die Gesamtskala stärker zusammengefaßt, sozialwissenschaftliche Gebiete werden unter Geisteswissenschaften subsumiert und eine Gruppe "Sonstiges" wird für nicht Einteilbares benötigt. Schließlich soll auch noch das "Deutsche Universitäts-Handbuch" (117) erwähnt werden, das alle Lehrstühle und Universitätsinstitute von BRD und DDR in folgende neun Bereiche l . Landwirtschaft 2. Medizin 3. Naturwissenschaften 4. Philologie, Philosophie 5. Rechtswissenschaften 6. Technik 7. Theologie 8. Tiermedizin 9. Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Diese Einteilung reflektiert wohl am stärksten Fakultäten und fachorientierte Hochschulen, merkwürdigerweise wurden sie nach dem deutschen Alphabet ihrer Benennungen aufgeführt. Aus den Einteilungen wird erkennbar, daß eine einheitliche Auffassung hinsichtlich einer Reihenfolge der Wissenschaftsbereiche wohl

121 Es wurde die Einteilung des Berichtsjahres 1969 (113) verwendet 122 Diese Gliederung bezieht sich nicht auf den Haupt teil des Handbuchs sondern lediglich auf das Sachregister

90

nicht existiertl235 auch variieren zum Teil die ihnen zugeteilten Inhalte an Wissenschaftsgebieten. Eine eindeutige Gegenstandsbestimmung der einzelnen Bereiche könnte vielleicht dazu beitragen, Inhalte und Abfolge neu und allgemein akzeptabel festzulegen 123a. Dies scheint auch für die folgenden beiden Anwendungen von Klassifikationen zuzutreffen. 2.7.2

Wirtschaftsorganisatorisch-orientierte Klassifikationen

Gegenüber dem allgemeinen Wissenschaftsbereich erscheinen die Bereiche Wirtschaft und Verwaltung eher als Teilbereiche; dennoch erstrecken diese sich keineswegs nur auf einzelne Sektoren im Gesamtbereich des Wissens sondern stellen eher Aspekte oder Anwendungsfälle dar, die in allen Wissensbereichen, auch den geisteswissenschaftlichen, zum Ausdruck kommen; denn Wirtschaftsgesichtspunkte entstehen in allen Gebieten, die zum Nutzen des Menschen Leistungen erbringen, ebenso befaßt sich die Verwaltung, was z.B. aus den Aufgaben der Ministerien ersichtlich wird, mit fast allen Bereichen menschlicher Aktivitäten. Als Beispiel einer Einteilung, die sich vornehmlich an wirtschaftlichen Zusammenschlüssen orientiert, sei die Gliederung von Teil 2 des Handbuchs "Verbände, Behörden, Organisationen der Wirtschaft" (373) gegeben: Kommunale Verbände, Industrie- und Handelskammer, Industrieverbände, Handwerksverbände Handel (Groß-, Fach-, Einzelhandel auch Import- und Außenhandel) Banken und Börsen Versicherungswesen Energiewirtschaft Verkehrsgewerbe Gaststätten, Bäder, Fremdenverkehr Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen Theater, Film, Rundfunk, Fernsehen Verlagswesen Werbewirtschaft Ausstellungen, Messen Genossenschaften Land-, Jagd-, Forstwirtschaft und Fischerei Sozialpolitische Organisationen Freie Berufe und andere Berufsverbände Technische und wissenschaftliche Vereinigungen und Institute Interessengemeinschaften und sonstige Zentralstellen

123 De Grolier (210, S. 30) machte darauf aufmerksam, daß dies auch nicht für den internationalen Bereich zutrifft. Umso wichtiger wären entsprechende Untersuchungen: "Par exemple, il est interessant de preciser comment les associations professionelles et scientifiques se sont f6der6es pour constituer des conseils ou instituts interdisciplinaires 11

123a Siehe hierzu aber auch Nachtrag zu Abschnitt 2.2.3 (Fächerkatalog des Hochschulverbandes)

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(Teil l enthält die wirtschaftswichtigen Behörden in Bund, Ländern und im Ausland, Teil 3 die internationalen Zusammenschlüsse, die im übrigen nicht immer nach den gleichen Konstellationen erfolgen, wie die nationalen.) Für die Industrieverbände gibt es eine eigene Einteilung mit Unterteilungen 124; diese entspricht jedoch keineswegs immer der des Handels. Beim Handel konnte festgestellt werden, daß Zusammenschlüsse des Großhandels auch nicht jeweils den gleichen produktionsorientierten Zusammenschlüssen des Einzelhandels entsprechen. Außer solcherart Einteilungen nach Organisationen und Zusammenschlüssen finden wir auch in der Wirtschaft Einteilungen nach Sachgebieten, wie die "Systematik der Wirtschaftszweige" des Statistischen Bundesamtes (483). Hier prävaliert jedoch die Notwendigkeit, Kriterien für die statistische Erfassung von Einrichtungen der Wirtschaft nach eben diesen Wirtschaftszweigen zu finden. Diemer (131, S. 219) machte auf die Angabe der Bereichsphänomene aufmerksam, die sich aus den Erläuterungen zu den einzelnen Abteilungen ablesen lassen 125. Die Statistik muß selbst als ein methodischer Bereich angesehen werden, der zwischen Wirtschaft und Verwaltung steht und sich, wie H. Bartels schrieb (31, S. 77) "auf nahezu alle Gebiete des menschlichen Wirkens" bezieht. "Die Statistik gibt Auskunft über Struktur und Entwicklung der Bevölkerung, über Erwerbstätigkeit, über die gesamte Wirtschaft, über Preisentwicklung und Außenhandel, über den Geld- und Kapitalmarkt, über Einkommen und Vermögen, über Struktur, Einnahmen und Ausgaben der privaten Haushalte, über die öffentlichen Haushalte und die Betätigung der öffentlichen Hand, über den Bildungssektor, das Gesundheits- und Rechtswesen, über Wahlen, usw. Die Statistik kann natürlich nur erfassen, was quantitativ meßbar und addierbar ist." Für die Erfassung ihrer Daten wurden daher eine Reihe von Klassifikationen ausgearbeitet, wie z.B. die o.g. Systematik der Wirtschaftszweige oder eine "Klassifizierung der Berufe" (482). Des weiteren werden in der Wirtschaft Produkten- und Warenklassifikationen benötigt, einerseits um Wissen über Waren vermitteln zu können (Warenkatalogisierung), zum anderen, um sie direkt zur Kommunikation bezeichnen zu können. 124 Gemeint ist die des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) 125 So heißt es z.B. "Zur Abteilung 'Verarbeitendes Gewerbe (ohne Baugewerbe)' gehören alle Institutionen, deren wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend darin besteht, Erzeugnisse gleich welcher Art zu be- oder verarbeiten, und zwar in der Regel mit dem Ziel, dabei andere Produkte herzustellen. Die Tätigkeit kann jedoch auch darin bestehen, bestimmte Erzeugnisse lediglich zu veredeln, zu montieren oder zu reparieren. Das verarbeitende Gewerbe umfaßt daneben auch Institutionen, deren überwiegende Tätigkeit nicht zu den oben aufgezählten gehört, sondern zur Gewinnung (z.B. von Steinen und Erden oder chemischer Produkte); diese Zweige wurden einbezogen, weil vielfach Gewinnung und Verarbeitung nicht zu trennen sind und weil dann der Schwerpunkt meist bei der Verarbeitung liegt." "Zur Abteilung 'Handel' gehören alle Institutionen, deren wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend darin besteht, Waren zu beziehen und unverändert weiterzuveräußern und/oder zwischen Verkäufern und Käufern von Waren zu vermitteln. . ." (483) 92

Hier ist der NATO Code 126 zu nennen sowie die Bemühungen des Materialamts der Bundeswehr, eine entsprechende Materialklassifikation 127 (vielfach als Übersetzung) aufzubauen. Die ebenfalls die Wirtschaft tangierenden Patentschriften sind zumeist technischen Inhalts, für ihre Klassierung wird derzeitig in internationaler Zusammenarbeit ein System von "Begriffslisten" erstellt. Daneben gibt es die internationale Patentklassifikation und viele nationale. Diese Klassifikationen enthalten insbesondere die Gebiete der Technik, für die Patente erstellt werden. Daneben existiert das Gebiet der "trade marks", wofür es eine "Internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für Fabrik- oder Handelsmarken" (524) gibt. In allen genannten Fällen handelt es sich um spezielle Organisationsbereiche der Wirtschaft, die jedoch immer eine Vielzahl der in einer Universalklassifikation enthaltenen Gebiete betreffen. Wie bei den Enzyklopädien, deren Elemente meist ebenfalls Objekte sind, lassen sich auch hier, sei es zur statistischen Erfassung oder zur Kommunikation über Einrichtungen, Personen, Waren, meist Objekte als Gegenstände der Klassifikation feststellen. In den bisherigen universalen Klassifikationssystemen wurden sie so gut wie überhaupt nicht berücksichtigt, ja, es wurde sogar angenommen 12 8} daß prinzipiell jeweils unterschiedliche Klassifikationssysteme aufgebaut werden müßten. Es gilt aber doch hier das Gleiche, was bereits zum Problem der Datenklassifikation (siehe 2.6.5) gesagt wurde: "Anschlußstellen" an Klassen höherer semantischer Ebenen müßte ein universales Klassifikationssystem für Objektklassen allemal bieten können; ihre jeweiligen Merkmale und sonstigen Attributionen müssen jedoch in einem universalen Klassifikationssystem enthalten sein, da sie zur Aussagenbildung auch in anderen Anwendungsbereichen benötigt werden. 2.7.3

Klassifikationen für die Verwaltung

Verwaltungen jeglicher Kompetenz, insbesondere aber Länder- und Bundesverwaltung benötigen universale Klassifikationssysteme, z.B. a) zur Übersicht über die Kompetenzen der verschiedenen Verwaltungssektoren, b) zur Entscheidungsbildung bei Förderungen von Projekten; Feststellung der sachlichen Zusammenhänge von Projekten, c) zur Ordnung der eigenen Archivalien, Parlamentsmaterialien udgl. Aus mancherlei Gründen wäre es zweckmäßig, wenn für alle diese Zwecke ein einheitliches System verwendet werden könnte, da auch der Zusammenhang z.B. dieser angegebenen Zwecke als Entscheidungshilfsmittel einsichtig gemacht werden müßte. Bisher liegt jedoch m.W. weder ein solches System vor noch bestehen 126 Siehe hierzu: H. Marloth: Symposium über das Material-Klassifizierungssystem der NATO (322) 127 Siehe "Besondere Anweisungen für die einheitliche Materialkatalogisierung" der Material-Katalogisierungszentrale des Materialamts der Bundeswehr (323) 128 So z.B. von E Wählin: Classification systems and their subjects (536)

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Vorstellungen darüber, wie es gestaltet werden sollte. Von ganz besonderer Bedeutung erscheint es aber gerade im Hinblick auf die an allen möglichen Stellen nunmehr im Aufbau begriffenen Datenbanken der Verwaltung. Teilbereiche der Verwaltung begnügen sich zum Teil mit Klassifikationen ihrer Spezialbe reiche, wie z.B. das Gesundheitswesen (Klassifikation aller Krankheiten) das Bildungswesen (Klassifikation der Lehrgebiete). Für letzteres Hegt uns eine von US- und Kanadischen Behörden gemeinschaftlich erarbeitete Klassifikation mit den zwei Abteilungen: "Conventional Academic Subdivisions of Knowlege and Training" und "Technological and occupational curriculums leading to associate degrees and other awards below the Baccalaureate" 29^ die wegen ihrer Relevanz auch für den Abschnitt 2.2 hier mit ihren Einteilungen aufgeführt sei; die Zusammenhänge zwischen den beiden Abteilungen werden jedoch nicht explizit gemacht. Section I: 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15

Agriculture and natural resources Architecture and environmental design Area studies Biological sciences Business and management Communications Computer and information sciences Education Engineering Fine and applied arts Foreign languages Health professions Home economics Law Letters

16 Library science

17 Mathematics 18 Military sciences 19 Physical sciences 20 Psychology 21 Public affairs and services 22 Social sciences 23 Theology 49 Interdisciplinary studies Section II: 50 Business and commerce technologies 51 Data processing technologies 52 Health Service and paramedical technologies 53 Mechanical and Engineering technologies 54 Natural science technologies 55 Public service related technologies 129 "A taxonomy of instructional programs in higher education" (244)

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Wie zu ersehen ist, wurde die Reihenfolge der "Disziplinen" nach dem englischen Alphabet ihrer Benennungen gewählt, die Unterteilungen besitzen dagegen "ein wenig" Systematik. "Philosophie" ist unter die Gruppe der "Letters" geraten ("English language and literature and value systems related to ancient and modern cultures"). Als spezielle Zwecke dieser Klassifikation wird einleitend betont: "To produce a list of instructional programs that would be equally applicable to HEGIS (Higher Education General Information Survey) data on students, faculty assignments, finance and space.. . To construct a list which is acceptable and practical for general institutional recordkeeping, for management information systems, and for program budget structure employed by higher education institutions..."

Man fragt sich natürlich, ob mit einer solchen, mehr oder weniger willkürlichen Anordnung ein brauchbares Hilfsmittel zur Übersicht über alle Lehrgebiete vorliegt. Das beigegebene alphabetische Register zu den ca 620 Gebieten ist jedenfalls eine notwendige Hilfe, wenn nach einem Gebietsnamen direkt gefragt werden kann. Das Beispiel kann nur als Beweis für das durchaus als schwierig empfundene Unterfangen angesehen werden, eine universale Ordnung von Disziplinen bzw. Lehrgebieten einzurichten. Es kam den Autoren allerdings vor allem darauf an "that data can be reported in the appropriate, specific category" (244, S. 2). "This system (sic!) purposely avoids arbitrary organizations of fields into questionable and potentially controversial hierarchies of subfields and sub-subfields within a discipline division" (S.3). Warum nennt man diese "Klassifikation" aber dann eine "Taxonomy"?

2.7.4

Schlußbemeikung

Klassifikationssysteme für wissenschaftsorganisatorische, wirtschafts- und verwaltungspolitische Gesichtspunkte beziehen sich also auf das gleiche Volumen an Wissenselementen und ihren Zusammenfassungen, wie alle anderen vorgenannten Anwendungsfälle. Für ihre Strukturierung werden Objektklassen wie auch aspektorientierte Klassen von Wissensgebieten benötigt. Es ist daher nicht einzusehen, warum nicht eine allgemeine Wissensordnung auch als Hilfsmittel zur Wissensorganisation in diesen Bereichen verwendet werden könnte. Die evtl. zusätzlichen Gesichtspunkte, die aufgrund der politischen Aspekte dieser Bereiche in die allgemeine Ordnung aufgenommen werden müßten, könnten diese nur bereichern. Ihre Explizierung müßte vermutlich von den entsprechenden Stellen geleistet werden können.

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2.8

Informationssystemorientierte Klassifikationen

2.8.0

Vorbemerkung

Im Zuge des Aufbaus von nationalen und internationalen Informationssystemen zu Netzwerken (UNISIST130, IBS131) werden heute mehr denn je Ordnungssysteme benötigt, die auf mögliche Informationen in den verschiedensten Datenbanken und Dokumentationsstellen verweisen können. Systeme dieser Art liegen bisher nicht vor; Untersuchungen, wie z.B. die "Aslib Studie" (533) haben darüber hinaus gezeigt, daß vorhandene Universalklassifikationen hierzu nicht herangezogen werden können. Entsprechende Nachschlagewerke wurden bislang entweder nach formalen Gesichtspunkten unterteilt (alphabetisch nach den Namen der die Informationssysteme verwaltenden Institutionen oder nach geographischen und alphabetischen Ordnungen) oder nach eigenen sachlichen Ordnungen. Die beiden deutschen Verzeichnisse (von Dokumentationsstellen (30) und von Spezialbibliotheken (332)) benutzen die entsprechenden Klassen der UDC. So können in diesem Abschnitt lediglich einige Vorschläge beschrieben werden, die sich als formale, sachliche und organisatorisch-thematische Klassifikationen differenzieren lassen. 2.8.1

Formale Einteilungen von Informationssystemen

Einen Typologisierungsversuch verschiedener Arten von Informationssystemen legten zuerst W. Kunz und//. Rittelvoi (290, S. 52). Sie unterscheiden dabei: Forschungs-informationssysteme Technologische Informationssysteme Management-Informationssysteme Planungs-informationssysteme Administrative Informationssysteme Politische Informationssysteme Deontische Informationssysteme Informations-Service-Systeme

(FORIS) (TIS) (MIS) (PLIS) (ADIS) (POLIS) (DIS) ISS)

G. Wersig (560, S. 210—211) weist dagegen daraufhin, daß es Informationssysteme gibt, die ein Dokumentationssystem enthalten, diese nennt er "dokumentarische Informationssysteme" und darüber hinaus Organisations-informationssysteme, die "innerhalb einer oder mehrerer Organisationen zur optimalen Zielrealisierung der Organisation" dienen, wie z.B. ein MIS, ein HIS (Hochschul-Informationssystem) oder ein K1S (Krankenhaus-Informationssystem). Diese enthalten in der Regel ebenfalls eigene Dokumentationssysteme. Es ist zu vermuten, daß die Zugänglichkeit zu Informationen der verschiedenen Arten von Informationssyste130 Siehe hierzu das Unesco Programm in (519) 131 Planung eines allgemeinen, arbeitsteiligen Informationsbankensystems (IBS) für die Bundesrepublik Deutschland (251) 96

men davon abhängig ist, ob es sich um allgemein fachliche oder an Organisationen gebundene Systeme handelt. Weitere formale Einteilungen können sich auf geographische Bereiche beziehen: man kann regionale, nationale, internationale Informationssysteme unterscheiden, jeweils fachlich oder formal z.B. nach Dokumentenarten, wie beispielsweise Patentschriften, oder dergl. differenzieren. Die formale Differenzierung schließt natürlich keinesfalls die sachliche aus; sie stellt lediglich eine zusätzliche Klassierung dar. 2.8.2

Sachliche Verweisungs-Systeme

Die im Zusammenhang mit den Arbeiten an der "Feasibility-Study" fur UNISIST bereits im Frühjahr 1970 (413) bekannt gewordene Forderung nach einer "universally accepted list of broad subject categories" hat die Federation Internationale de la Documentation (FID) dazu bewogen, Vorarbeiten zur Erstellung eines sog. Standard Reference Code (SRC) zu unternehmen 132 Bisher liegt jedoch noch kein brauchbares Ergebnis vor. SRC war als eine "Dachklassifikation" gedacht, die einerseits bestehende Klassifikationssysteme in toto und andererseits die diese benutzenden Informations- oder Dokumentationssysteme miteinander verbinden sollte. Die Diskussion über die Realisierungsmethodik ist noch in vollem Gange. Inzwischen ist man bereits von dem im Okt. 1971 gefaßten Entschluß abgekommen, den SRC als "Dachklassifikation" für die UDC aufbauen zu wollen. Das UNISIST-Sekretariat bei den Unesco hat andererseits Vorstellungen über ein "Broad System of Ordering" (BSO) niedergelegt (520), die ganz danach aussehen, als handele es sich dabei um mehr als nur eine "List of broad subject categories". Zweifellos kann man nicht verweisen, wenn nicht bekannt ist, in welchen Gebieten, bzw. von welchen Stellen Details dieser "subject categories" behandelt werden 132a Schwierigkeiten werden vor allem dort auftauchen, wo durch Aufgabenorientierung eines Informationssystems der Bezug nicht nur zu einer Klasse eines SRC oder BSO hergestellt werden muß sondern gleichzeitig zu mehreren, u.U. zu solchen, die als "zu speziell" nicht aufgenommen wurden oder einen Gesichtspunkt bedeuten, der nicht beachtet werden konnte. Zum Aufbau eines brauchbaren BSO wird man sich daher an den fachlichen Aufgaben von Dokumentationsstellen orientieren müssen; dies aber wird erfahrungsgemäß schließlich nicht mehr zu "Broad subject categories" sondern zu einem universalen Klassifikationssystem fuhren. Ein etwas anderer Vorschlag liegt von E. Wählin (539) vor, der u.a. sein "Universal-System" auch als Bezugssystem für Materialklassifikationen udgl. realisiert sehen möchte. 132 Siehe hierzu auch die Berichte in (513) 132a Über die jüngste Entwicklung (1973) berichtet der UNISIST Newsletter, Nr. 2/1973, S. 3-4 97

2.8.3

Organisatorisch-thematische Einteilungen

Nach A. Diemer's Auffassung müsse als zusätzliche Dimension in der thematischen Ordnung von Informationssystemen der Organisationsaspekt einbezogen werden, der den Bearbeitungszustand der Daten berücksichtige. In seinem "Raster zur sachlogischen Klassifizierung des gesamten Wissens" (131) unterscheidet er Daten unter fachlichen und unter funktionalen Gesichtspunkten; die fachlichen entstehen disziplingebunden, die funktionalen werden in den jeweiligen Aufgabengebieten benötigt und sind Bearbeitungen aus Datenbeständen von u.U. mehreren Disziplinbereichen. Es müsse daher "Primärsysteme" und "Sekundärsysteme" geben, wobei die ersteren Sachbereichsdaten vermitteln und dies in den vier Pooltypen vermögen: — dem Normalbereichspool (Gesamtbestand an Daten über einen spezifischen Sachbereich) — dem Allgemeinbereichspool (der einer Reihe von anderen Pools vorgeschaltet ist, z.B. Industrie, Wirtschaft) — einem Unterbereichspool (der eine aus quantitativen Gründen vorgenommene Aussonderung von Daten aus einem Normalbereichspool darstellt) - einem Sonderbereichspool (der geschlossene Einheiten von besonderen Phänomengegebenheiten enthalten mag, wie z.B. Philatelistik) "Sekundärsysteme" bauten sich dagegen aus den Daten der Primärpools auf. Hier werden unterschieden: — funktionale Systeme (die Informationen werden aus verschiedenen primären Systemen übernommen und unter einem einheitlichen funktionellen Aspekt zusammengetragen) - Individualsysteme (z.B. biographische, historiographische und topographische Pools) — Statistische Pools Für die Organisation dieser verschiedenen Typen von Informationssystemen werden Clearingstellen benötigt. Für die sachliche Organisation legt A. Diemer einen Systemraster mit 21 Obergruppen und ihren entsprechenden Untergruppen vor, siehe Taf. A 25. Das Organisationsschema für die verschiedenen Informationssysteme und ihre Koordinierung ist aus Taf. A 26 ersichtlich.

2.8.4

Zusammenfassung

Mit den letztgenannten Systemen zur Korrelation von Klassifikationssystemen bzw. der Inhalte der durch sie gekennzeichneten Informationssysteme schließt die Übersicht der acht Verwendungsbereiche von universalen Klassifikationssystemen. Es sollte dabei einerseits gezeigt werden, daß nicht nur je schon universale Systeme intendiert und verwendet wurden, sondern daß diese in ihren jeweiligen Anwendungsbereichen auch Geltung besaßen und akzeptiert wurden. Bei der Dar98

Stellung wurde gelegentlich auf die Schwächen der Systeme hingewiesen, eine kritische Analyse der verwendeten klassifikationstheoretischen Methoden sollte in dieser Übersicht noch nicht vorgenommen werden!33 Es ging vor allem darum, zu zeigen, daß der Aufbau universaler Klassifikationssysteme (oder vielleicht besser: universaler Ordnungen der Zusammenhänge begrifflichen Wissens) in mehreren Anwendungsbereichen immer schon als Menschheits-Aufgabe angesehen wurde und darum auch heute noch gelten sollte, wenn wir auch aufgrund dieser Erfahrungen die Komplexität dieser Aufgabe immer mehr erkennen.

133 Dies wird ausführlich in Abschn. 3.4 für bibliothekarische und dokumentarische Klassifikationssysteme geschehen.

99

3.

ONTOLOGISCHE UND KLASSIFIKATIONSTHEORETISCHE GRUNDLAGEN EINES UNIVERSALEN KLASSIFIKATIONSSYSTEMS

3.0

Vorbemerkungen zum Kapitelinhalt

Alles Wißbare, das der Mensch in seiner Umwelt vorfindet, ist einerseits gegeben durch das Gesamt an Objekten, Phänomenen und Beziehungen, denen der Mensch zwar gegenübersteht, an denen er aber als ontisches Objekt selbst teilhat und durch seine eigenen Aktivitäten um ein Vielfaches vermehrt; zum anderen ist es aber auch in allen bestehenden wahren Sätzen über Seiendes als begrifflich Erfaßbares gegeben. Als solches, insofern sich das zu Wissende auf alle Wirklichkeitsbereiche erstreckt und auch alles verifizierbare und justifizierbare Theoretisierte umfaßt, kann es Mittel und Mittler zum Seinsverständnis sein. Es geht uns hier jedoch nicht um den erkenntnistheoretischen Aspekt ontologischer Fragen; was hier als ontologische Grundlagen primär bestimmt werden soll, betrifft die Fragen nach der Basis und dem Inhalt einer Wissensordnung: was wird als Wirklichkeitsbereich aufgefaßt, was soll entsprechend in einem universalen Klassifikationssystem an Wirklichkeitsrepräsentanz aufgenommen werden. Zugleich mit der Frage nach dem Was erhebt sich aber auch die nach dem Wie. Aus diesem Grunde wird in diesem Kapitel zugleich auch die klassifikationstheoretische Basis von universalen Klassifikationssystemen untersucht und zwar anhand einiger analytischer Untersuchungen an den 6 gegenwärtig am meisten benutzten Universalklassifikationen. Es soll dabei vor allem um die Festlegung ihrer einzelnen Unzulänglichkeiten gehen, die heute im allgemeinen noch nicht bekannt sind, wenn sie auch von vielen unbewußt als solche empfunden werden. Schlußfolgernd werden Aufbaupostulate formuliert, nach denen ein adäquates universales Klassifikationssystem erstellt werden könnte. Die Einteilung der ersten drei Abschnitte beruht auf der Unterscheidung, die Ranganathan zur theoretischen Grundlage aller seiner Erwägungen beim Aufbau der Colon-Classification gemacht hat l: die Elemente einer Klassifikation sollten jeweils auf den Ebenen des Begrifflichen (idea plane), des Sprachlichen (verbal plane) und des Notationellen (notational plane), also der für die begriffliche Ebene stehenden Zeichensystems betrachtet werden.

l 100

Siehe S.R. Ranganathan: Prolegomena to library classification (409)

3.1

Die begriffliche Ebene

3.1.1

Ontische Gegebenheiten als materiale Bezugselemente von Klassifikationssystemen

Wenn man davon ausgeht, daß sich ein universales Klassifikationssystem auf alles Wißbare beziehen soll, so muß als dessen Voraussetzung das Wirkliche, das Ontische also, als materiale Gegebenheit in seinen formalen Bestimmungen angesehen werden. V on Aristoteles haben wir für die materialen Elemente des Seins das Schichtenmodell2 der Seinsbereiche * Totes Lebendiges Pflanzenhaftes Tierisches Geistiges Göttliches von Aristoteles kennen wir aber auch schon (die) Kategorien als formale Bestimmungen des Seins: Substanz Akzidenz Quantität Qualität Relation Raum Zeit Tun und Leiden Sichbefinden Haben die als Prinzipien für die begrifflichen Assoziierungen von Seinsgegebenheiten in ihren vielfältigen Erscheinungsformen, Zuständen und Beziehungen zueinander gelten können. Von diesen materialen Elementen und formalen Bestimmungen des Seins lassen sich die Merkmale herleiten, die Begriffe konstituieren. Als Seinsmomente gelten Dasein und Sosein. Während mit 'Dasein' im allgemeinen bisher lediglich die materielle Realität gemeint war, rechnet man seit W. Hartmann auch die geistige Realität dazu, deren Existenz nicht durch "WiderstandserN. Hartmann unterscheidet die vier Hauptschichten: "Anorganisches, Organisches, Psychisches, Geistiges". Wir kommen in Abschn. 4.4.3 nochmals auf diese Fragen zurück und bauen - auch in Bezug auf die im folgenden genannten Kategorien - hier lediglich auf Aristoteles auf. Es kann hier ohnehin nur exemplarisch über diese Zusammenhänge gehandelt werden; denn es soll lediglich gezeigt werden, daß hier zwei grundverschiedene Seinsmomente vorliegen - das materiale und formale Moment - es kann aber damit keine erschöpfende Darstellung aller denkbaren materialen Differenzierungen oder formalen Bestimmungen verbunden werden. Auf diese, für den Aufbau eines Klassifikationssystems sehr notwendigen Voraussetzungen werden wir in Kap. 6 zurückkommen.

101

fahrung" sondern durch Zeitlichkeit bzw. Geschichtlichkeit und Widerspruchsfreiheit bestimmt ist^. Das Sosein eines Seins läßt sich mit Hilfe von Attributionen der o.g. und anderer Kategorien feststellen, wobei diese sowohl allem Gegenständlichen wie auch allen Prozessen, die von Gegenständen ausgesagt werden können und in die diese eingehen können und auch allen Eigenschaften selbst zukommen können, bzw. ihre Ergänzungen oder näheren Bestimmungen darstellen. Durch die begriffliche Fixierung eines materiellen oder ideellen Gegenstandes der Wirklichkeit und der ihm zukommenden Prädikationen durch Merkmale aus Daseins- und Soseinskategorien entstehen die Einheiten und Einheitenkomplexe, die als Begriffe erfaßt werden und so Elemente eines Klassifikationssystems bilden können. Es kann aber nur dann etwas zum Begriff eines Gegenstandes werden, wenn mindestens ein Element der o.g. Seinsbereiche und ein Element der genannten Seinsbestimmungen zusammentreffen. Wir haben in Abschn. 1.4.1 diese Elemente "Merkmale" genannt. Solchen Gegenstandsbegriffen4 stehen alle Akzidenz-Begriffe gegenüber, die nur aus Elementen/Merkmalen der formalen Bestimmungen des Seins bestehen. Aber auch die letzteren können Elemente/Merkmale der Seinsschichten in ihre Begriffe aufnehmen. 3.1.2

Merkmale von Begriffen

Identifizierung und Analyse der Merkmale und Merkmalskomplexe von Begriffen muß als wichtigster Teil der Klassifikationstheorie angesehen werden; denn einerseits wird ein Begriff durch seine Merkmale nicht nur konstituiert sondern auch definiert und andererseits können diese zur Grundlage für die Herstellung von Beziehungen zwischen Begriffen dienen, da ja der teilweise gemeinsame Besitz identischer Merkmale sowie der gemeinsame Besitz von in Relation befindlichen Merkmalen zwischen Begriffen Beziehungen herstellen. Befassen wir uns zunächst mit den Merkmalen der formalen Bestimmungen des Seins, so lassen sich aufgrund der aristotelischen Kategorienordnung und in Anlehnung an einen Vorschlag von A. Diemer^ folgende Typen von Merkmalen unterscheiden, wobei hier nur eine Auswahl als Beispiel gegeben werden kann: Gegenstand sein Typus sein, Teil sein, System sein Siehe N. Hartmann: Zur Grundlegung der Ontologie (171, S. 171): "Es ist der Grundin· turn materialistischer Denkweise, das Ausgedehnte allein für real zu halten. Die Materie ist eben ausgedehnt. Real aber ist nicht die Materie allein. Nicht die Räumlichkeit ist das unterscheidende (spezifische) Merkmal des Realen, sondern die Zeit. Nicht Größe, Meßbarkeit, Sichtbarkeit zeichnen das Reale aus, sondern Werden, Prozeß, Einmaligkeit, Dauer, Nacheinander, Zugleichsein." Man könnte hier auch von Substanz- oder nach N. Hartmann - von Substratbegriffen sprechen Siehe A. Diemer: Versuch einer Systematik der "allgemeinen Wörter" 1969 (125) 102

Träger sein Eigenschaften haben; Disposition, Modus, Aspekte, Wertigkeit haben; Ausgestattet sein; Bedürfnisse haben Prozeß sein Bearbeitet werden, Prozeßmomente haben, Anfang-Ende haben, Verlauf, Dauer haben, Änderung sein Relation haben (neutrale, positive, negative) Ordnung haben, Orientierung haben (örtlich, zeitlich), Bestimmung haben (aktiv, passiv, abhängig, final, interaktiv)usw. Merkmale dieser Art sollen aufgrund ihres Zusammenhangs mit den formalen Seinsbestimmungen 'Formmerkmale' genannt werden. Je ein Formmerkmal kann einen Formbegriff konstituieren. Auch die Inhalte der Seinsbereiche lassen sich durch Merkmale ausdrücken; charakteristisch ist für sie jedoch ihre Stufenordnung. Während Formmerkmale in einem Begriff gehäuft auftreten können — denn etwas kann Gegenstand sein, Eigenschaften haben, Wertigkeit haben, Relation haben, etc. - bauen die Merkmale der Seinsbereiche aufeinander auf oder schließen einander aus; etwas Totes kann nicht gleichzeitig etwas Lebendiges sein, wohl aber kann etwas Lebendiges etwas Totes enthalten, wie auch etwas Geistiges Lebendiges enthalten kann, etc. Immer aber ist in der Stufenordnung der Seinsschichten entsprechend der gegebenen Reihenfolge mit jeder Schicht eine gänzlich andere Seinsrealisierung gegeben. Inklusionen der oben angedeuteten Art können jedoch keineswegs den Schluß zulassen, daß schließlich eine Schicht auf ihre vorhergehende(n) zu reduzieren wäre. Die Merkmale der Seinsbereiche sollen 'Seinsmerkmale' genannt werden; ihre Begriffe 'Seinsbegriffe'. Wir hatten in Abschn. 3.1.1 gesagt, daß Gegenstandsbegriffe immer aus Seinsmerkmaien und Formmerkmalen bestehen müssen und daß Akzidenzbegriffe auch Merkmale der Seinsschichten aufnehmen können. Im folgenden wollen wir alle Gegenstandsbegriffe und alle Akzidenzbegriffe, der letzteren Art als "Sachbegriffe" bezeichnen. Als Formbegriffe sollen nur noch diejenigen bezeichnet werden, die keine Merkmale der Seinsschichten besitzen. 3.l .3

Beziehungen zwischen Sachbegriffen und Formbegriffen

Wir sagten schon: der Besitz gemeinsamer Merkmale läßt Beziehungen zwischen den verschiedenen Sachbegriffen untereinander und zwischen Formbegriffen untereinander sowie zwischen Sachbegriffen und Formbegriffen entstehen. Aufgrund der verschiedenen Merkmalstypen kann man entsprechend verschiedene Arten von Beziehungen zusammenfassen. So sind z.B. folgende Beziehungen zwischen Sachbegriffen denkbar: I (Formmerkmal: Gegenstand sein) Gattung — Art Ganzes Teil Gegenstand Ausstattung 103

und folgende Beziehungen zwischen Formbegriffen: II (Formmerkmal: Prozeß sein) Aktion Ergebnis Verursachung — Wirkung Prozeß Eigenschaften von Prozessen, Prozeßmomente Des weiteren gibt es Beziehungen zwischen Formbegriffen und Sachbegriffen: III Bearbeitet werden — Bearbeiter Aktion Mittel der Aktion Aktion — Verwendung der Aktion und Beziehungen zwischen Sachbegriffen und Formbegriffen: IV Träger — Eigenschaft Gegenstand Funktion Gegenstand Lage usw. Weitere Beziehungen ergeben sich durch den gemeinsamen Besitz von in Relation befindlichen Merkmalen, wie z.B. Identität identische Merkmale Äquivalenz — äquivalente Merkmale Analogie ähnliche Merkmale Negation — gegensätzliche, konträre, kontradiktorische Merkmale usw. Beziehungsarten, die auf diese Weise zwischen zwei oder mehreren Sachbegriffen existieren, können als Realisationen der Verbindungen von Formmerkmalen verschiedener Distribution angesehen werden. Ihre Kategorisierung unter dem Formmerkmal "Relation haben"6 führt neben den Ordnungen von Sachbegriffen und denen von sonstigen Formbegriffen zu Hierarchien von Relationsbegriffen. Folgende Darstellung soll noch einmal verdeutlichen, wie die verschiedenen Begriffe aus den Zusammensetzungen von Merkmalen entstehen können: Relation Seinsmerkmal Formmerkmal Formmerkmal N" Formmerkmal Seinsbegriff /\ Formbegriff /\ Formbegriff /N. Formbegriff Sachbegriff

Formbegriff

Relationsbegriff

Wir hatten eingangs (Abschn. 1.4.5 b) bereits daraufhingewiesen, daß Relationen als interne Strukturen von Systemen angesehen werden können. Sie müssen daher bei der Systematisierung eines Klassengesamts mitberücksichtigt werden; dies setzt aber ihre genaue Kenntnis voraus. Eine vollständige Übersicht über alle Arten von Formmerkmalen und Formbegriffen sowie alle Arten von Relationsbegriffen steht 6 104

Hier in weiterem Sinne verstanden als bei Aristoteles

noch aus. Bisher sind lediglich zwei Kompilierungsversuche? und ein Klassifizierungsversuch unternommen worden; letzterer ist das bereits erwähnte, triadisch aufgebaute Relatorschema von J.M. Perreau.lt (379), das an sich in der Absicht erstellt worden war, als Hilfsmittel zur Formulierung von syntaktischen Relationen, die in Aussagen verwendet werden könnten, zu dienen. Wegen der Bedeutung dieser Arbeit ist in Tab. A 23 das gesamte Schema in deutscher Übersetzung wiedergegeben; es umfaßt insgesamt 118 Notationen zur Darstellung von Relationsbegriffen und besitzt fünf hierarchische Ebenen. Die ersten drei Ebenen stellen sich, wie folgt dar:

Relation in general

Reciprocal < Converse I Negative Subsumptive

Logical relation Determinative

Ordinal

Type/Kind Whole/part Subject/property \ctive interactive 3 assive [Conditional s Comparative [Positional

Als weitere Differenzierung ist bei jeder Unterteilung angegeben, nach welchen Gesichtspunkten unterteilt wurde; entweder nach der Art"PIN"-Positive, Indeterminate, Negative, wie z.B. bei "Active, Interactive, Passive" oder nach der Art'TE' Totality, Totality/Elements, Elements, wie z.B. bei "Subsumptive, Determinative, Ordinal" oder schließlich nach der Art "C" - Canonical, wasals eigene Setzung aufzufassen ist, wie bei "Reciprocal, Converse, Negative". 3.1.4

Strukturelemente von Klassifikationssystemen

Gegenüber den in Abschn. 3.3.1 genannten materialen Bezugselementen müssen nun noch diejenigen genannt werden, die strukturbildende Funktion haben; wir nannten sie in Abschn. 1.5.4 b) 'Strukturelemente' oder 'Formelemente' und unterschieden sie von den Relationen zwischen Begriffen, die für die 'innere Struktur' eines Systems Bedeutung haben als Elemente, die für seine 'äußere Struktur' bestimmend sind. Sie werden durch den Systematifikator (siehe Abschnitt 1.5.4 c) jeweils systembezogen festgelegt. Hier ist zunächst das Werk von de Grolier zu nennen: A study of general categories . . . (208), das einige Zusammenstellungen von Relationsbegriffen bis 1961 enthält; als zweite Arbeit die tabellarische Gegenüberstellung von Relationen und Kategorien, soweit sie in der Literatur ausgemacht werden konnten im Anhang zu Soergel's Beitrag "Some remarks on information languages, their analysis and comparison" (470) 1966.

105

Nun ist erwiesen, daß offenbar auch ohne Vorgabe von strukturbüdenden Elementstellen Klassifikationssysteme aufgebaut werden können, wie z.B. das periodische System der Chemie, die Pflanzen- und die Tiersystematiken. Dies ist aber nur scheinbar der Fall; denn als Struktur- und/oder Systemprinzip muß hier jeweils eine Entscheidung darüber vorgelegen haben, daß nach morphologischen Merkmalen zu ordnen ist, wie z.B. der Anzahl der Aussenelektronen bei den chemischen Elementen, der Anzahl der Staubgefäße der Pflanzen, der Herzkammern der Tiere, etc. Das jeweilige Klassem, das die Prävalenz morphologischer Merkmale für eine gewünschte Unterteilung nach Arten festlegt, muß entweder implizit aus der Anordnung der Objekte bzw. ihrer Begriffe hervorgehen oder explizit angegeben werden. Es ist immer abhängig vom Stand der wissenschaftlichen Einsicht und Übereinkunft^. Mit wachsender Einsicht in die inneren Strukturen der Objekte eines Bereichs läßt sich schließlich das für die Gesamtstruktur dieses Bereichs wesentliche morphologische Unterscheidungsmerkmal so perfekt eruieren, daß mit seiner Anwendung eine Systematik entstehen kann, die auch auf die Leerstellen hinzuweisen vermag, wie dies z.B. beim periodischen System der chemischen Elemente geschah. Morphologische Merkmale sind nicht nur bei materiellen Objekten gegeben; man kann ja z.B. auch von der Morphologie eines Begriffs sprechen und dabei die Anzahl seiner Merkmale meinen, etc. Sie sind jedoch spezifisch für alle Arten von Objekten und bilden die Basis für Begriffssysteme nach den Gattung-Art-IndividuenRelationen. Nach diesen z.B. durch morphologische Merkmale herstellbaren inneren Strukturen eines Begriffssystems sollen nun die Formelemente betrachtet werden, die die sog. äußeren Strukturen bilden. Wir sahen schon in Abschn. 1.4.1, daß man als Kategorien die "letzten" Aussagen bezeichnen kann, die über Aussagegegenstände gebildet werden können, die also die Oberbegriffe aller eigenschafts- und prozeßbezogenen Begriffe darstellen. Diese Kategorien sind nun als die Strukturelemente anzusehen, die in einem Begriffssystem formgebenden Charakter besitzen, die also seine "äußere Struktur", seine Gestalt bestimmen. Man kann nun zunächst unterscheiden zwischen - Sachkategorien, die Sachbegriffe enthalten — Formkategorien, die Sachbegriffe enthalten und — Formkategorien, die Formbegriffe enthalten Es war bisher üblich, Klassifikationssysteme, die ihre Sachbegriffe vornehmlich nach den Formbegriffen aus Formkategorien ordneten, als Facettenklassifikationen zu bezeichnen. Solche Formbegriffe waren beispielsweise "Produkte" mit dem Merkmal "Gegenstand sein" oder "Verfahren" mit dem Merkmal "Prozeß sein". Als "Facetten" werden dabei diejenigen Merkmalsausprägungen aufgefaßt, die in einem bestimmten Wissensbereich für die begriffliche Ordnung als spezifisch angesehen werden können. 8

106

Die Problematik dieser Fragen diskutiert ausfuhrlich F. Suppe: Some philosophical problems in biological taxonomy and speciation (496)

Alle anderen Klassifikationssysteme gehen von Sachkategorien aus, also von Begriffen, die Wissensgebiete benennen. Sie entwickeln ihre meist monohierarchischen Begriffsordnungen so, daß in die Unterordnungen Begriffe aus Formkategorien eingehen, sind jedoch aus Gründen, die wir später an Beispielen demonstrieren wollen, für Begriffskombinationen weniger flexibel angelegt. Zunehmend wurde in den letzten Jahren erkannt, daß mit der Facettenmethodik Begriffsmengen eindeutiger strukturiert werden können, als auf jede andere Weise. Bereits 1957 wurde in den Empfehlungen der Dorking Conference (142) festgestellt: "The most helpful form of classification scheme for information retrieval is one which groups terms into welldefined categories, which can be used independently to form compounds, and within which the terms can be arranged in hierarchies where this conforms to the recognized structure of relations between them".

Auch wendet man sich seit einiger Zeit im Zusammenhang mit dem Aufbau von Thesauri ebenfalls der Facettenmethode zu9. Die oben genannte Unterscheidung läßt sich nun formal folgendermaßen gegenüberstellen: Sachkategorien Formkategorien (F) Formkategorien (Seinsmerkmale + (Formmerkmale + (Formmerkmale) Formmerkmale) Seinsmerkmale) Sachbegriff Sachbegriff Formbegriff Sachbegriff Sachbegriff Formbegriff Sachbegriff Sachbegriff Formbegriff oder material: Sachkategorien Formkategorien (F) Formkategorien Landwirtschaft Landw. Verfahren Objekte (Biologisches sein + (Prozesse sein + (Objekt sein) Bearbeitung sein) im biol. Bereich sein) Ackerbau pflanzen Element Pflanzenbau gießen Aggregat Düngung ernten Konglomerat Viehzucht dreschen System Pferdezucht etc etc etc Bei den Sachkategorien gehen in die Unterteilungen Formmerkmale ein und zwar aus verschiedenen Formkategorien; das Formmerkmal spezifiziert als klassifikatorisches Merkmal den subordinierten Sachbegriff. Dabei entstehen Monohierarchien: Monohierarchie Sachgebietsbegrif^________ (+Formmerkmal) Sachbegriff _____ (+Formmerkmal) Sachbegriff ^^_________ (+Formmerkmai) Sachbegriff 9

Siehe z.B. "Thesaurofacet" (3). Auch Mulvihül (350), Bauer (34), Moureau (348) und Mandersloot (321) verwenden Facetten in Thesauri 107

Bei den Formkategorien (F), die wir oben als Facetten bezeichneten, sind ebenfalls Untergliederungen möglich; hier wechseln jedoch nicht die Formmerkmale sondern es handelt sich dabei um Beziehungen, wie wir sie in Abschn. 3.1.3 nannten, also von der Art: Gattung - Art, Ganzes — Teil, etc. Differenziert man Begriffsmengen nach Facetten so entstehen polyhierarchische Systeme; denn es handelt sich in jedem Fall (also bei jeder Facette) um mindestens zwei 'Oberbegriffe" - dem des Formmerkmals und dem des Seinsmerkmals: Polyhierarchie Facette l (Formmerkmal l Seinsmerkmal 4) Sachbegriff Sachbegriff

Facette 2 (Formmerkmal 2 Seinsmerkmal 4) Sachbegriff Sachbegriff

Facette 3 (Formmerkmal 3 Seinsmerkmal 4) Sachbegriff Sachbegriff

Bei den reinen Formkategorien, die also ihre Begriffe nur durch Formmerkmale bestimmen, sind diejenigen Formbegriffe zu finden, die facettenbildenden Charakter haben und in die Formkategorien (F) der oben genannten Art eingehen. Man könnte aber auch hier nochmals differenzieren, nach Formkategorien, die ausschließlich Formmerkmale besitzen, wie aus dem o.g. Beispiel "Objekte" ersichtlich und Formkategorien, die in der Mehrzahl Formmerkmale besitzen aber auch mindestens ein Seinsmerkmal, z.B.: Objekte (+ Seinsmerkmal "Materie sein") materielle Objekte (+ Seinsmerkmal "lebendig sein") lebende Objekte etc. Wir können nun zusammenfassend feststellen, daß als die strukturbildenden Elemente eines Begriffssystems Sach- und Formkategorien anzusehen sind und daß eine "intensivere" Strukturierung eines Begriffssystems von der Anzahl der eingesetzten Formkategorien (F) abhängig ist. Letztere sind in einem universalen System allerdings auch abhängig von einer Strukturierung der reinen Formkategorien nach existierenden Formmerkmalen. Das Begriffssystem der Formbegriffe vermag damit eine Art "SuperStruktur" über die Begriffssysteme der Sachbegriffe zu bilden. Solange man Formkategorien (F), also Facetten nur auf ein einziges Wissensgebiet bezieht — und hierfür liegen sehr viele Beispiele vorlO — bestehen keine sonderlichen Schwierigkeiten in ihrer Bestimmung, besonders dann nicht, wenn das Gebiet verhältnismäßig eindeutig von anderen Gebieten abzugrenzen ist. Bei der Anlage 108

eines universalen Begriffssystems steht man dagegen vor dem Problem, neben den Facetten allgemeiner Sachbegriffe eines Bereichs auch diejenigen übersichtlich darzustellen, die sehr speziellen Charakter haben und nur von geringer Anzahl sind. Daneben besteht das weitere Problem, daß viele Begriffe in mehreren Bereichen vorkommen können und schließlich, daß es zwar eine Vielzahl von einfachen Begriffen gibt, die sich formal kategorisieren lassen, daß daneben aber auch eine große Anzahl von zusammengesetzten Begriffen existiert, z.B. von der Art der oben unter "Sachkategorien" genannten, die in einem Begriffssystem ebenfalls "lokalisiert" werden müssen. Die Strukturelemente eines universalen Begriffssystems müssen daher so ausgewählt werden, daß sie sowohl das gesamte System als auch seine Subsysteme formen.

3.1.5

Zusammenfassung der Aussagen zur Begriffsfundierung

Wir haben in den obigen Abschnitten also gesehen, daß Seins- und Formmerkmale Konstituenten von Begriffen sind und daß deren jeweilige Prävalenz in einem Begriff die Arten möglicher Begriffe bestimmen. Relationen zwischen Begriffen sind stets auf den Besitz gemeinsamer Merkmale oder auf die Tatsache von Relationen zwischen Merkmalen (der Äquivalenz, Analogie, Negation, etc.) zurückzuführen. Aufgrund einer unterschiedlichen Betonung von Seins- und Formmerkmalen lassen sich Sachkategorien und Formkategorien (F) (= Facetten) unterscheiden. Daneben gibt es reine Formkategorien, deren Begriffe sich nur aus Formmerkmalen zusammensetzen; diese Formbegriffe haben facettenbildenden Charakter.

3.2

Die Ebene der Sprache

3.2.0

Vorbemerkung

Die begriffliche Repräsentanz sogenannter außersprachlicher Wirklichkeit wie auch ihrer Prädikationen ist nur mit Hilfe der Sprache zu leisten. Die Problematik der "sprachlichen Ebene" liegt daher einerseits a) in der Tatsache, daß wir nur über die Sprache, also über die gelernten Ausdrucksmittel, mit Hilfe von Wörtern in der Lage sind, ausdrücken zu können, was den Inhalt eines Begriffs ausmachen soll b) in der Aufgabe, begriffliche Inhalte in Wörter umzusetzen, die "verständlich" sind, also ihre Bedeutungsinhalte wiedergeben. 10 Siehe hierzu besonders: B.C. Vickery: Facettenklassifikation (532); deis.: Faceted classification schemes (531); ders.: Classification and indexing in science (528); ders.: On retrieval system theory (530); D.J. Foskett: Classification and indexing in the social sciences (178); ders.: The construction of a faceted classification for a special subject (176). Facettenklassifikationen liegen in reichlicher Anzahl vor, z.B. (4), (7), (87), (96), (98), (140), (200), (443), auch wenn sie häufig nicht als solche benannt werden.

109

Andererseits, geht man also nicht vom begrifflichen sondern vom sprachlichen Gegebenen aus, so steht man vor dem Problem, die semantischen Inhalte aus Wörtern oder Benennungen analysieren und bestimmen zu müssen. Es kann im folgenden nicht auf die mit diesen letzteren Problemen zusammenhängenden bedeutungstheoretischen Fragen eingegangen werden, obwohl gerade von linguistischer Seite hierzu im wesentlichen mit ähnlichen Theorien argumentiert wird; es sei hier hingewiesen auf die "semantischen Merkmale" von Wörtern (Bierwisch (41),Katz (265), Baumgärtner (35)), die "Noeme" von G.F. Meier (327)11, die "Inhaltsfiguren" vonHjelmslev (144)12, die "Seme" von Pottier (404)13 oder die "semischen Kerne" und Seme von Greimas (207)14. Es wird uns vielmehr darum gehen, die Problematik der Übersetzbarkeit von begrifflichen Inhalten in Sprache und zwar im Hinblick auf Sachbegriffe, Formbegriffe und ihre Übersetzbarkeit in andere Sprachen kurz zu umreißen, um die mit der sprachlichen Ebene verbundenen Implikationen, die in der Darstellung eines universalen Klassifikationssystems berücksichtigt werden müssen, wenigstens angedeutet zu haben. Die Diskussion des hiermit verbundenen sprachphilosophischen Komplexes wird heute meist nur von der linguistischen Seite her geführt. Eine effektive Durchdringung der Problematik erfordert m.E. jedoch auch ein Ausgehen von ontologischen und erkenntnistheoretischen Ansätzen. Die Aufgabe beschreibt treffend S. Schmidt (454, S. 108): "Es ist anzunehmen, daß das Grundinventar an Inhaltsfiguren relativ begrenzt ist und ein 'universal' aller menschlichen Sprachen darstellt; das ist schon aus dem Grunde anzunehmen, weil alle bisher beobachteten (systematisch-) strukturellen Inventars und Paradigmata von Sprachen begrenzt sind, und das Verfahren der Sprachbildung darin besteht, mit begrenzten Inventaren kombinativ unbegrenzten Gebrauch zu machen. Sowohl Umfang und Gliederung, als auch die Typen und Regeln möglicher Kombinationen von semantischen Merkmalen sind bisher noch unerforscht."

Nun sind jedoch die Begriffe eines Klassifikationssystems im wesentlichen fachsprachlich determiniert, d.h. ihre Benennungen sind Bestandteile von Fachsprachen, die zum Teil beständig "gepflegt" auf jeden Fall aber zu sehr großen Teilen 11 Heibig (220, S. 192-194) zeigte, daß G.F. Meier damit zum Teil auf E Koschmieder zurückgeht, der auch das interlingual Konstante als den Bereich der "konstanten Noetik" bezeichnet. 12 S. Schmidt (454, S. 107) folgerte aus Bierwisch (42, S. 98): "Semantische Merkmale sind nach dieser Interpretation als kategoriewertige oder transzendentale Elemente oder Strukturen aufzufassen, bzw. als Kategorien oder als Koordinatenpunkte in Begriffssystemen (cf. Wittenberg), die als lautlich nicht manifestierte Strukturelemente sprachlicher Gliederung und Charakterisierung der nichtsprachlichen Umwelt des Menschen in der Analyse des Observers angesetzt werden können." 13 Siehe hierzu auch Stötzel (492, S. 42-43), der Pottiers Beispiel einer Analyse der "Begriffspyramide" von "Sitzgelegenheit" darstellt. 14 Greimas (207, S. 28 ff) unterscheidet zwischen "Semen" und "semischen Kernen", welch letztere er als "permanentes, semisches Minimum, eine Invariante" je eines Lexems betrachtet. Der Kontext liefere dann die semischen Variablen und damit die Sinnverschiebungen des Lexems. Semische Variable seien daher die "kontextuellen Seme". (Siehe hierzu auch Heibig (220, S. 116-117)). 110

in Fachwörterbüchern^ erfaßt und definiert sind. Auf diese Definitionen kann zur Merkmalseruierung zurückgegriffen werden. Das angedeutete philosophische Problem besteht daher nicht so sehr für den Bereich der Sachbegriffe als für den der Formbegriffe. 3.2.l

Zur Problematik der Benennungen von Sachbegriffen

In der zur Zeit in Neufassung befindlichen Norm "Begriffe und Benennungen" (134) (DIN 2330 rev.) wird eine Benennung als "die mindestens ein Wort umfassende Bezeichnung eines Begriffs" erklärt. Sie kann aus einem Wort (Ausdruck) oder mehreren Wörtern gebildet werden und aus einem sog. Stammwort, einem zusammengesetzten Wort, einer Wortableitung oder einer Wortgruppe bestehen. Neben den Benennungen von Sachbegriffen gibt es im Bereich der Chemie und der Biologie Namen für Objektklassen auf mehreren hierarchischen Ebenen, so daß dabei "Namensysteme" Nomenklaturen entstehen, wie z.B. die der chemischen Elemente, der Mineralien, der Pflanzen und Tiere. Man unterscheidet polyseme Benennungen von monosemen, je nachdem, ob einem Ausdruck mehrere Bedeutungen oder nur je eine Bedeutung zugeschrieben wird. Übergeordnete Benennungen werden, als Supernyme, untergeordnete als Hyponyme bezeichnet. Mehrere Hyponyme können in der Relation der Kohyponomie zu Supernymen stehen, wenn sie diesen gegenüber im gleichen Verhältnis (Gattung—Art) gleichgeordnet sind oder in der Relation der Inkonymie, wenn sie diesen gegenüber in impliziter oder expliziter Kontradiktion stehen, also nur unter bestimmten Gesichtspunkten gleichgeordnet werden 17. Synonymie tritt bei Vorliegen mehrerer Benennungen für einen Begriff auf, Homonymie bezeichnet den Fall der Polysemie. Die Anerkennung eines Namens oder einer Benennung für einen Begriffsinhalt ist zunächst meist mit dem Anerkennungsprozeß einer gegebenen Sprachkonvention verbunden. In Fällen neuer Begriffsdeterminierung ist sie an die Einsicht in die Treffsicherheit (mit Bezug auf die Merkmale eines Begriffs) des gewählten Ausdrucks geknüpft; häufig ist die Annahme einer Benennung eine Frage der Vereinbarung oder auch eine Folge aus der Empfehlung einer Autorität. Entsprechend den Empfehlungen der DIN Norm 2332 "Internationale Angleichung von Fachbegriffen und ihren Benennungen", die zur Zeit noch im Entwurfsstadium vorliegt, sollte neue Fachterminologie sich möglichst nach den Benennungen ausrichten, die bereits in anderen Ländern üblich istlS. 15 F. Lang nennt in (301) eine Zahl von ca. 6000 existierenden Fachwörterbüchern in 75 Sprachen 16 Manche sprechen hier auch von "Eigennamen" (z.B. Frege); wir halten uns hier jedoch an die Terminologie des DNA - Ausschuß Terminologie 17 Siehe hierzu "Lexikalische Hierarchien". In: Funkkolleg Sprache. Eine Einfuhrung in die moderne Linguistik. Studienbegleitbriefe, Kap. 36, S. 51-59. Weinheim u. Basel: BeltzVerl. 1971. 18 DIN 2330 und 2332 haben ihre Entsprechungen für den internationalen Bereich in ISO R 704 "Naming principles" und ISO R 860, 1968. "International unification of concepts and terms"

111

Vereinbarungen über Benennungen werden in Definitionen festgelegt, wobei die aussagekräftigste Definition diejenige wäre, die einen Begriff in allen seinen Merkmalen beschreibt. Häufig geht jedoch die Entwicklung von einem einmal akzeptierten Ausdruck in einem Sprachgebrauch aus; der Ausdruck liegt vor, ohne daß der darin gemeinte Begriff in allen seinen Merkmalen bestimmt wäre. Für den gleichen oder einen ähnlichen Inhalt entstehen anderswo andere Ausdrücke; diese werden dann als Synonyma aufgefaßt, beziehen sich jedoch nicht auf den gleichen Merkmalsinhalt; man nennt sie daher Quasi-Synonyme. Es ergibt sich nun die Notwendigkeit, den Ausdruck "abgrenzend" zu definieren; d.h., in der Definition werden seiner Benennung bestimmte Inhalte zugeschrieben..Diese Art von festlegenden Definitionen bedürfen jedoch der intersubjektiven Überprüfung und Anerkennung. Werden auf diese Art Begriffe mit ihren Benennungen und deren Definitionen sozusagen fixiert, entsteht immer dann" eine Problemsituation, wenn eine Benennung nicht mehr im einmal definierten Sinne verwendet wird, sondern vielleicht in einem engeren oder weiteren Sinn. Hier spricht man fälschlicherweise von einer Begriffsverengung oder -erweiterung; denn das Hinzufügen von Merkmalen oder ihre Wegnahme fuhrt zu völlig neuen Begriffen, die Benennung ist dagegen nicht mehr eindeutig oder zutreffend. Es ist natürlich für eine eindeutige Kommunikation vorteilhaft, wenn Benennungen immer im definierten Sinne verwendet werden; dies aber kann im sprachlichen Bereich weder gefordert noch erwartet werden. Einerseits deshalb nicht, weil häufig die Definitionen nicht allen bekannt sind, andererseits, weil sie vielleicht, obwohl bekannt, nicht akzeptiert werden. Umso größere Bedeutung erhält die Zuordnung von Begriffen zu Systemstellen eines Klassifikationssystems. Ihre Begriffsbenennungen spielen nach dieser Fixierung nur noch eine sekundäre Rolle; sie können jederzeit verändert, durch Attribute ergänzt oder in ihrer Bedeutung eingeschränkt werden. Ein weiteres Moment auf der Ebene der Sprache im Verhältnis zu der der Begriffe ist die Steuerung der Redundanz der Sprache, die durch die Relationierung von sinnverwandten Ausdrücken zu einem Begriff, also den Bezug der Synonyma und Quasisynonyma auf die Begriffsbenennung bzw. die Systemstelle eines Klassifikationssystems besorgt wird. Alle Wörter der natürlichen Sprache, die auf einen Begriffsinhalt verweisen, können somit als "Einstiegshilfen" eines Klassifikationssystems angesehen werden. Insofern sie selbst einen etwas anders kombinierten Merkmalsinhalt oder -umfang besitzen als der Begriff, auf den sie verweisen können, sind diese als "nichtdefinierte Unterbegriffe" aufzufassen. 3.2.2

Benennungen von Formbegriffen

Solange Objekte der materiellen Welt, also Konkreta, begrifflich erfaßt werden sollen, steht der Möglichkeit, daß recht viele ihrer invariablen Merkmale berücksichtigt werden, unserem gegenwärtigen Kenntnisstana vielleicht nicht zu viel entgegen. Wo es aber um Abstrakta geht, und dies ist bei allen Formbegriffen der Fall, gibt es für ihre definitorische Festlegung nur den Weg der fortwährenden Überprüfung auf Widerspruchsfreiheit oder den Ausweg der Konventionalisierung, also der 112

Einigung darüber, daß ein bestimmter Begriffsinhalt unter einer bestimmten Benennung verstanden werden soll. Dies betrifft weniger die prozeßbezogenen und die Eigenschaften ausdrückenden Formbegriffe, da diese meist nur ein Merkmal besitzen, das in ihrer Benennung zum Ausdruck kommt. Es betrifft vielmehr diejenigen Benennungen, die zur Kategorisierung von Sachbegriffen heranzuziehen sind, die also facettenbildenden Charakter besitzen. Sie stellen auch die Allgemeinbegriffe dar, die als oberste Begriffe der Merkmale angesehen werden können, die einen Sachbegriff definieren, d.h., wenn man die Bestandteile einer Definition formalisiert, also auf die Grundbegriffe der Merkmale zurückfuhrt, erhält man diese Formbegriffe. Welche "Sprachverwirrung" hier derzeitig noch herrscht, zeigte A. Kutzelnigg vor einiger Zeit (1966) am Beispiel der Warenkategorien recht anschaulich (293). Dieses Problem müßte daher von koordiniert arbeitenden terminologischen Gremien bevorzugt angegangen werden^. Hier geht es vor allem um Konventionalisierung von Wortbedeutungen, um bald zu einem akzeptablen Ergebnis zu kommen, das nicht nur im jeweils nationalen Rahmen benötigt wird, sondern auch für die Verständigung über Begriffsinhalte auf der internationalen Ebene. 3.2.3

Übersetzbarkeit von Benennungen

Während die Übersetzung von Namen aus Nomenklaturen keine Schwierigkeiten bereiten dürfte, besonders dann nicht, wenn ein lateinischer Terminus zugrunde gelegt worden ist, sind Übersetzungen von Benennungen eines Klassifikationssystems in andere Sprachen aus mancherlei Gründen außerordentlich problematisch. Übersetzungsfragen müssen aber für ein universales Klassifikationssystem schon deshalb eine Rolle spielen, weil es ja international verwenbar sein soll. Freilich gibt es bereits Übersetzungen von universalen Klassifikationssystemen; immer ist man aber dabei von einer Basisausgabe in einer Landessprache ausgegangen, die dann maßgeblich für alle anderen Sprachen wurde. Dies bedeutete jedoch, daß nur die Benennungen übersetzt werden konnten, deren Begriffe in dieser Landessprache existierten. Ging man von einem Begriffscode aus - wie dies bei der UDC geschah — dann entsprachen u.U. die Übersetzungen nicht mehr den Benennungen in der ersten Sprache. Erfahrungen bei der Übersetzung des Thesaurus of Engineering and Scientific Terms (TEST)20 haben gezeigt, daß für viele Benennungen der englischen Sprache keine Äquivalente in der deutschen Fachsprache vorlagen. Der umgekehrte Fall konnte bei terminologischen Arbeiten im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften beobachtet werdet l. 19 In diese Aufgaben müßten Linguisten und Wissenschaftstheoretiker einbezogen werden; siehe auch die Aufgabenstellung von S. Schmidt in Abschn. 3.2.0 oben. 20 Siehe auch Abschn. 2.6.3 b). Die ersten Erfahrungen bei der Übersetzung des TEST haben dazu gefuhrt, daß eine "Richtlinie zur Übersetzung von Thesauri" benötigt wurde, um den Übersetzern ein methodisches Hilfsmittel für ihr Vorgehen auch im Hinblick auf die weitere Computerbearbeitung an die Hand geben zu können. 21 Siehe hierzu Rolling in (l 14, S. 27) 113

Man wird sich in diesem Zusammenhang vielleicht fragen, ob es überhaupt möglich und sinnvoll sei, ein Begriffssystem aufstellen zu wollen, das internationale Geltung besitzen kann, wo doch aus vielen Untersuchungen hervorgeht, daß sich die Mensch heit in vielen abgeschlossenen Kulturen entwickelt hat und jede ihre spezifische Begriffswelt zu besitzen scheint. Es sei nur erinnert an die Theorien und Untersuchungen der Indianersprachen durch E. Sapir (433) und B.L. Mior/(567) und an die sprachphilosophischen Erkenntnisse J.G. Herders und W. von Humboldts (245). G. Wersig meint, annehmen zu müssen, daß "eine Universalität der Begriffe" nicht vorausgesetzt werden könne22. Nun muß aber doch festgestellt werden, daß es neben allen ethnologisch bestimmten Begriffswelten auch eine allgemeine, wissenschaftliche gibt, die sich mit dem Zusammenwachsen der Menschheit immer stärker manifestiert. Allein schon die Tatsache, daß wissenschaftliche Werke in andere Sprachen übersetzt werden können, beweist diese gemeinsame Ebene. Folglich müssen auch wissenschaftliche Begriffe transponierbar sein und im wesentlichen um diese wird es in einem universalen Klassifikationssystem gehen. Aus den Erfahrungen ist aber auch zu folgern, daß man bei der Erarbeitung eines universalen Klassifikationssystems nicht nur vom Begriffsschatz einer einzigen Sprache ausgehen darf. Je besser die Elementstellen des Systems "definiert" sein werden, umso leichter wird es sein, sie verbal in den Ausdrücken einer gegebenen Sprache "auszufüllen". Kann jedoch weder eine direkte Benennung noch eine verbale Umschreibung des Begriffsinhalts gegeben werden, so muß die Stelle so lange "leer" bleiben, bis ein geeigneter Ausdruck gefunden worden ist. Aus dieser Sicht ist auch die Bedeutung der Notation zu verstehen, die als Begriffscode für u.U. nicht zu verbalisierende Begriffsinhalte verwendet werden kann (siehe hierzu Abschn. 3.3.1). Die Schwierigkeiten bei der Übersetzung von Thesauri sind gerade auf das Fehlen eines solchen Begriffscodes zurückzuführen. Aufgrund der häufig nicht genauen Korrespondenz zwischen zu übersetzenden Benennungen verschiedener Sprachen entstehen hier Fehlübertragungen, die u.U. schwerwiegende Folgen haben können. Aber auch hier greift natürlich eins ins andere. Auch die Merkmale, die Begriffe konstituieren und somit auch das Begriffssystem kategorisieren, müssen in alle Sprachen übersetzbar sein. Hier handelt es sich aber um diejenigen Formbegriffe, von denen S. Schmidt?·? meinte, daß sie "ein 'universal' aller menschlichen Sprachen" darstellen. Auch A Schaff, der die Zusammenhänge von Sprache und Erkennen, insbesondere auch den "sprachlichen Relativismus" eingehend diskutiert (438), postuliert schließlich: "Irgendwelche universals müssen 22 So Wersig wörtlich: "Eine Universalklassifikation setzt eine Universalität der Begriffe voraus, d.h. sie basiert auf der These, daß - unabhängig von Sprache und kulturellem Erlebnisraum - in der individuellen Begriffswelt der Benutzer ein Referenzkriterium gefunden werden kann, das unabhängig von diesen beiden Einflußbereichen ist, konkret gesagt heißt das: Eine Verbindung zwischen zwei Begriffen, die in der Klassifikation realisiert ist, muß prinzipiell für alle Völker einsichtig sein. Die entsprechenden sprachphilosophischen, ethnologischen und anthropologischen Untersuchungen weisen allerdings daraufhin, daß damit nicht zu fest gerechnet werden kann". Siehe G. Wersig in (559, S. 65) 23 S. Schmidt (454, S. 108); Zitat siehe Abschn. 3.2.0 114

doch — ganz unabhängig von den Unterschieden — in allen Sprachen vorhanden sein; denn darauf weist die Möglichkeit der Verständigung zwischen den einzelnen Kulturen hin" (S. 177). Und er kommt zu dem Schluß: "Der Fortschritt der Zivilisation, der auch einen Fortschritt der Fühlungnahme zwischen den einzelnen Kulturen bedeutet, bringt es allmählich mit sich, daß sich die Unterschiede zwischen den Begriffsapparaten der verschiedenen Sprachen verwischen . . . Da solche Veränderungen auch aus Kontakten zwischen sehr verschiedenen Kulturen resultieren, wird die extreme Version des sprachlichen Relativismus mitsamt der mit ihm verknüpften These von der Unübersetzbarkeit der ausgesprochen verschiedenen Sprachsysteme hinfällig... Der Fortschritt der Zivilisation verwischt immer mehr die Unterschiede des eigentlichen Sprachinhalts." (S. 178)

Vielleicht wäre es bereits als ein wesentlicher Schritt hin auf eine allgemeine Verständigung anzusehen, wenn eine möglichst eindeutige Darstellung der begrifflichen Zusammenhänge in einem universalen Klassifikationssystem unternommen werden könnte. Dies wäre zumindest eine Wissensbasis, die einem "begrifflichen Zusammenwachsen" der einzelnen Kulturen förderlich sein könnte. Angesichts der mit dem technischen Fortschritt der Industrieländer wachsenden Kommunikationsschwierigkeiten der Entwicklungsländer erscheint dies jedoch geradezu als drängende Aufgabe unserer Zeit24.

3.3

Die Ebene der Notation

3.3.0

Vorbemerkung

Die 3. Ebene, von der aus das zu Klassifizierende betrachtet werden kann, ist die der Notation, der Zeichen also, mit denen die Inhalte der Klassen eines Systems an ihre Systemstellen fixiert werden. Diese Fixierung bewirkt, daß die Klassen unabhängig von den sie beschreibenden verbalen Ausdrücken, zur Kommunikation verwendet werden können. Man fixiert üblicherweise mit Hilfe von alphaund/oder numerischen Zeichen; dies kann semantisch erfolgen und formale, mnemotechnische Assoziationen bewirken oder "verstehbar" aufgrund der erkennbaren begrifflichen Systemstellen inhaltliche Hilfen bieten oder aber unsemantisch geschehen, indem willkürliche Zeichenfolgen verwendet werden; wesentlich ist lediglich, daß die Notationen^S anstelle der durch sie repräsentierten Begriffe benutzt werden können. 24 Darauf hatte kürzlich noch M. J. Menou hingewiesen in seinem Papier (329), das zum Thema: "Participation of small and less industrialized countries in international information exchange" vorgetragen wurde. 25 Es hat sich eingebürgert, im Zusammenhang mit Klassifikationssystemen von "Notationen" zu sprechen; fast synonym wird von manchen jedoch auch die Bezeichnung "Codes" benutzt. Andere bevorzugen diese jedoch für alle Arten von Abkürzungen, besonders im Computerbereich. Häufig wird auch zwischen semantischen Notationen und unsemantischen Codes im Sinne von Nummern differenziert.

115

3.3.1

Bedeutung der Notation

Wir hatten bereits auf die Bedeutung einer Begriffsnotation bei der Frage der Übersetzung von Klassifikationssystemen^ö in verschiedene Sprachen aufmerksam gemacht; hierbei können Notationen als "Umschaltstellen" oder "Koordinatoren" für Begriffsbenennungen dienen. Auch war bei der Darstellung von Besonderheiten der Bibliotheksklassifikationen27 auf den seitDewey erkannten Wert einer Notation zur geordneten und in allen Bibliotheken in gleicher Weise vornehmbaren Buchaufstellung hingewiesen worden. Eine neue, sehr viel weiter gehende Bedeutung erhält eine Begriffsnotation aber darüber hinaus durch die Möglichkeiten der notationeilen Begriffsverknüpfung. Es lassen sich Begriffskombinationen verbal u.U. nur sehr umständlich ausdrücken; mit Hilfe von Notationen kann dies dagegen nicht nur eleganter sondern auch übersichtlicher geschehen. Auch dies hatte M Dewey mit seinen Dezimalnotationen bereits antizipiert; P. Otlet und H. LaFontaine haben diesen ersten Anfang in den "Common Auxiliaries" der UDC später weitergeführt. Den bisher weitestgehenden Gebrauch aber hat von der Möglichkeit der Begriffsverknüpfung mit Notationen S.R. Ranganathan mit seiner Colon Classification (CC) gemachtes; denn er überträgt nicht nur den Inhalt von Kombinationsbegriffen (wie z.B. Begriffe von Objekten, Prozessen, Eigenschaften jeweils in Kombination mit ihren Eigenschaften) in Notationen sondern stellt diese auch notationell zu Aussagen über die Inhalte von Dokumenten zusammen. Er nennt diese Aussagen "subjects". Für jeden Fachbereich gibt er hierzu eine Facettenformel, die die strukturelle Grundlage für die Aussagekomponenten bildet. Diese richtet sich wiederum nach den von Ranganathan postulierten fünf Fundamentalkategorien: Personality, Matter, Energy, Space and Time (PMEST). Damit die einzelnen Notationsglieder in der Facettenformel voneinander zu unterscheiden sind, werden sie durch Satzzeichen (Doppelpunkt, Semikolon, Komma und Punkt) voneinander getrennt. Hier gewinnen Notationen also fast die Bedeutung, die ihnen Wilkins und Leibniz gerne zugemessen hätten: Zeichen für eine universelle Begriffssprache zu sein. 3.3.2

Arten von Notationen

Bisher wurden im allgemeinen Notationen nach ihren Zeichenarten unterschieden, also danach, ob sie sich aus großen und/oder kleinen Buchstaben oder aus Zahlen oder aus beiden Zeichenarten gemischt zusammensetzten29. Man kann Notaionen jedoch auch danach unterscheiden, ob sie stets für Einzelbegriffe stehen oder für Präkombinationen von Begriffen, die entweder hierarchischer Art sind, oder koordinierende Funktion haben; ob sie diese Präkombinationen deutlich machen oder verhüllen, ob sie die Stufen einer Begriffshierarchie 26 27 28 29 116

Siehe Abschn. 3.2.3 Siehe Abschn. 2.5.4 Siehe hierzu Abschn. 3.4.5 Bliss widmete diesen Fragen ein umfangreiches Kapitel in (48, S. 47-71)

(etwa durch dezimale Zahlen) darstellen oder nicht, vor allem aber auch, ob sie semantisch oder unsemantisch sind. Eine systematische Gegenüberstellung typischer Notationsarten und ihre kritische Bewertung ist bisher noch nicht unternommen worden; bei einer solchen Untersuchung wäre es wohl nicht möglich, ohne Bezug auf ein Begriffssystem eine denkbar beste Notation zu eruieren. Die Aufgabe müßte hieiiijjuten, für das denkbar beste Begriffssystem (das es jedoch nicht gibt) die denkbar beste Notation zu finden. Ein weiteres Problem wäre die Notation eines Universalklassifikationssystems gegenüber den Notationen, die in SpezialSystemen verwendet werden sollen, die an den Begriffen des universalen Systems partizipieren. 3.3.3

Aufgaben der Notation

Folgende Aufgaben müßte also eine brauchbare Notation leisten: a) sie sollte semantisch sein und die Begriffsstruktur ihres Begriffssystems widerspiegeln b) sie sollte so mnemotechnisch angelegt sein, daß ihre Benutzer sie wie einen Ersatz für die Verbalformen einer Sprache verwenden können, ohne daß damit impliziert wäre, daß sie "aussprechbar" abgefaßt werden müßte, wie Wilkins dies versucht hatte c) sie sollte die Verknüpfung zu Kombinations- und komplexen Kombinationsbegriffen gestatten wie auch zu Aussage-Konjunkten herangezogen werden können, wobei die Verknüpfung in der Notation erkennbar bleiben muß. Für die Belange der Bibliotheken werden sehr kurze Notationen für die Signaturen benötigt (Memorierbarkeit!). Die Gleichsetzung von Buchsignatur mit der Notation, die den Inhalt eines Werkes informativ, also durch mehrere Begriffe wiedergeben soll, wie dies z.B. noch durch die UDC oder die CC geschieht, wird jedoch heute nicht mehr als ratsam angesehen. Für die maschinelle Behandlung spielt die Länge der Notation dagegen keine maßgebliche Rolle, wenn damit nur ihre begriffliche Angemessenheit gewahrt bleibt. Andererseits sind Notationen als Kürzel für die u.U. langen Benennungen der Begriffe aufzufassen und gerade deshalb in der Computerbearbeitung besonders erwünscht. 3.3.4

Zusammenfassung

Wir haben es bei der Notation also mit einem Hilfsmittel der Klassifikation zu tun, das nicht nur die einmal erkannten Merkmalszusammenfassungen in Begriffen und deren Positionierung in einem Klassen- (oder Relationen-)gefüge zu fixieren vermag, sondern das auch Begriffsverknüpfungen, ja selbst Aussagenkonjunkte festhalten kann. Diese, über die Notation gewonnenen zusätzlichen Möglichkeiten der Klassifikation sind zwar erst in den letzten 100 Jahren erkannt und verwendet worden, haben aber seither die Klassifikationsmethodik so stark geprägt, daß man heute vielfach 117

Klassifikation nur noch von der Seite des Notationellen her sieht, das Erstellen von Klassifikationssystemen primär als das Finden eines geeigneten Notationssystems betrachtetet) und das Klassieren mit "Vergabe von Notationen" identifiziert. Als "Gegenbewegung" kann die Bevorzugung des Arbeitens mit Wörtern "im Klartext" angesehen werden, das von allen denen propagiert wurde, die mit Thesaurusverfahren klassieren. Heute sieht man gerade von dieser Seite her wieder den Wert einer Begriffsnotation ein, die Hierarchien abzubilden vermag und die maschinelle Suche erleichtert^ l. Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, wie man sich in derzeitig noch verwendeten universalen Klassifikationssystemen mit dem zu Wissenden von gestern und heute begrifflich auseinandergesetzt hat; wie man das zu Wissende zusammenfaßte, um der Aufgabe der Wissensvermittlung nachzukommen und schließlich, wie man es darstellte, um jedem Benutzer damit ein Hilfsmittel zur Klassierung alten und neuen Wissens an die Hand zu geben. Es sei hier schon daraufhingewiesen, daß die wesentliche Problematik der sechs darzustellenden Systeme in der Tatsache begründet liegt, daß sie alle von starken Interessenträgern gestützt und propagiert werden, um nicht nur jeweils die bestehende Ordnung von Büchersammlungen weiterhin zu perpetuieren sondern auch in der Absicht, mit einem jeweiligen System zu dominieren.

3.4

Inhalte und Strukturformen existierender Universalklassifikationen

3.4.0

Vorbemerkung

Anhand der Analysen folgender sechs Universalklassifikationen: Dewey Decimal Classification (DDC) 1876Universal Decimal Classification (UDC) 1897Library of Congress Classification (LCC) 1904Bibliographie Classification (Bliss) (BC) 1910-1935Colon Classification (CC) 1933Bibliothekarisch-bibliographische Klassifikation (BBK) 1960wird es möglich sein, Einsicht darüber zu gewinnen, wie jeweils das Gesamt des Wissens in Ausgangsklassen zusammengefaßt und wie es dann unterteilt wird, ob und wie Sach- und Formkategorien verwendet werden und wie jeweils gegebene Sachverhalte mittels dieser Systeme klassiert werden können. Die Darstellung berücksichtigt die chronologische Abfolge des Erscheinens der Klassifikationssysteme; 30 Ein Beispiel hierfür findet man bei A. Schmidt: Gedanken zur Reform der Dezimalklaisifikation (451) 31 So Ernst Meyer in (114, S. 22) 118

ein steigender Qualitäts- oder Komplexitätsgrad soll darin nicht zum Ausdruck gebracht werden. Zusätzlich zur kurzgefaßten Darstellung von Inhalt und Struktur der Klassifikationssysteme wird auch auf ihre Geschichte, Verbreitung und Weiterentwicklung^ eingegangen, da diese Zusammenhänge auch für ihre Beurteilung notwendig erscheinen. 3.4. l Dewey Decimal Classification (DDC) a) Geschichte und Verbreitung Das 1873 von dem damals 22-jährigen Melvil Dewey (1851—1931) konzipierte und nach dreijähriger Erprobung in der Bibliothek des Amherst College 1876 veröffentlichte Klassifikationssystem33 mit dezimaler Notation und einem Register hatte anfänglich nur einen Umfang von 42 Seiten; heute besteht es in der 18. Aufl., die 17. besaß bereits einen Umfang von 2480 Seiten. Die außerordentlichen Vorteile dieser Klassifikation gegenüber allen anderen zeitgenössischen führten schon bald nach den ersten Auflagen zu einer weiten Verbreitung des Systems; bereits in den 20iger Jahren benutzte man es in ca. 90% aller US-Bibliotheken und vielen weiteren Bibliotheken der englisch-sprachigen Welt; man schätzt heute seine Verbreitung auf etwa 25 000 Bibliotheken in ca. 100 Ländern der Erde34. Die Vorteile von Dewey's System35 müssen in folgenden "revolutionären" Aspekten gesehen werden: l. die einfache, leichtverständliche, übersichtliche und beliebig erweiterungsfähige Dezimalnotation kann zur Klassierung von Dokumenten aller Art benutzt werden, 32 Darstellungen der genannten Systeme finden sich in Lehrbüchern der Klassifikation und Dokumentation, so in Richardson (DDC) (415), Bliss (DC, LCC, CC) (48), Berwick Sayers (DC, LCC, UDC, BC, CC) (39), Michajlov (DC, LCC, BC, UDC, CC, BC, BBK) (335) sodann in dem kürzlich erschienenen Sammelband von Maltby (BC, CC, DDC, LCC, UDC) (302) sowie in dem bereits genannten Gutachten (DDC, UDC, LCC, BBK) (112). Auch bringt die Encyclopedia of Library and Information Science (18 Bde.) jeweils an den fälligen Stellen des Alphabets Beschreibungen dieser Klassifikationssysteme. Ausführliche deutschsprachige Darstellungen mit kritischen Bewertungen der jeweiligen klassifikationstheoretischen Grundlagen dieser Systeme gibt es, außer bei Samurin, bisher noch nicht. Auf zwei jüngere Untersuchungen könnte darüber hinaus hingewiesen werden: 1. die bereits erwähnte "Aslib Studie" (533), die UDC, DDC, BC und CC analysierte und miteinander verglich und 2. ein Aufsatz von de Grolier (209) über einige neuere Universalsysteme, von denen allerdings bisher lediglich die BBK angewendet wird. Eine umfassende ältere Untersuchung de Groliers (208) enthält vor allem kritische Darstellungen der in universalen und speziellen Klassifikationssystemen benutzten Kategorien und Relationen. Auf Einzeldarstellungen der Systeme wird erst bei deren Behandlung in den einzelnen nächsten Abschnitten hingewiesen werden. 33 "A classification and subject index for cataloguing and arranging the books and pamphlets in a library" (108) 34 Mündliche Mitteilung von S.K. Vann 1968 119

2. mit der jeweiligen Notationszahl wurde jedem Dokument eine sachliche Ordnungsnummer zugeteilt, welche es "auf Lebenszeit" behielt — vorher war die Regalnummer fur das Wiederfinden eines Dokuments maßgeblich gewesen, 3. mit Hilfe der begriffsorientierten Notationszahlen war eine Begriffskombination möglich, 4. das System besaß von seiner ersten Auflage an ein Register, in dem auf die Notationszahlen der Klassen, nicht auf die Seitenzahlen ihres Abdrucks verwiesen wurde. Auf diese Weise konnten auch unter mehreren Aspekten klassifizierte Begriffe "lokalisiert" werden. Seit 1927 gibt es in der Library of Congress ein Redaktionsbüro dieser Klassifikation, das ihre Interessen wahrnimmt, ca. alle 8 Jahre eine Neuauflage vorbereitet, Ergänzungen herausgibt und dafür sorgt, daß möglichst jede von der Library of Congress gedruckte Katalogkarte über einen Neuzugang auch die betreffende Notationszahl der DDC erhält^ö. Diese letztere Aufgabe wird jedoch wegen des großen eigenen Interesses der Library of Congress an ihrer Verbreitung inzwischen von Mitarbeitern der LC betrieben. b) Struktur, "Hauptklassen"^ Für die Ausgangseinteilung benutzte M. Dewey die folgenden 10 Sachgruppen zu je 100 Unterteilungen, die wie Dezimalzahlen behandelt werden (d.h., als ständen sie hinter einem Komma); Taf. l 000 100 200 300 400 500 600 700 800 900

5. Aufl. (1894) General works Philosophy Religion Sociology Philology Natural Sciences Useful Arts Fine Arts Literature History

17. Aufl. (1965) Generalities Philosophy and related disc. Religion Social Sciences Language Pure Sciences Technology (Applied Sciences) Arts Literature and Rhetoric General Geography, History, etc.

35 An Literatur zur DDC seien als wichtigste Quellen genannt: a) die jeweiligen Einfuhrungen in die verschiedenen Neuauflagen der DDG, b) die Übersicht von S.K. Vann in (416, S. 87-122) mit zahlreichen (74) Literaturstellen, c) der Berichtsband über eine DDC-Tagung in New York, 1966 (401), der auch eine Bibliographie von 41 Qiellen und 8 Filmen enthält, d) eine programmierte Einführung in die DDC, 17. Aufl. von Batty (23) und die Vorankündigung der Neuerungen für die 18. Aufl. von Matthews (252). 36 Obwohl man sich seit 1927 bemüht, möglichst allen LC-Karten DDC-Notationen zu geben, ist dies besonders in den letzten Jahren aus Personalgründen nur noch zu einem Prozentteil, der zwischen 25-75% schwankt, möglich. (Siehe hierzu (416)). 37 In einigen der im folgenden beschriebenen Systeme wird zwischen Haupt- und Hilfsklassen unterschieden (DDC, UDC, BC und BBK). Wir folgen dieser Einteilung.

120

Mit dieser Einteilung hat M. Dewey sich einerseits anJ.-Ch. Brunei (60) angelehnt und andererseits von W.-T. Harris beeinflussen lassen, der ja von einem "umgedrehten" Bacon-Schema ausgegangen war. In Taf. 2 soll dies zum Ausdruck gebracht werden; um die Umkehrung des Bacon'schen Schemas zu verdeutlichen, wurde hier eine Dreiteilung herausgestellt, die im Schema von Harris selbst nicht mehr explizit zum Ausdruck kommt, da er alle seine Einteilungen hintereinandergereiht fortlaufend von 1 — 101 numerierte. Harris selbst betont jedoch^S seine Abhängigkeit von Bacon, den er sehr verehrte, in Bezug auf die seinem System zugrundegelegte Dreiteilung. Taf. 2 F. Bacon (1605) GESCHICHTE Naturgesch. Polit. Gesch. POESIE Epische Dramatische Parabolische WISSENSCHAFT oder PHILOSOPHIE A Philosophie göttl. natürl. (Physik, Mathematik, Mechanik, Magie) Phil. v. Mensch.

W.T. Harris (l870)

M. Dewey (1876/94)

WISSENSCHAFT Philosophie Theologie Sozial- u. Pol.Wiss. (Jura, Politik Wirtsch., Erzieh., Philologie) Naturwissenschaft u. Technik KUNST Schöne Künste Dichtkunst GESCHICHTE Geographie Politisch. Gesch. Biographie

0 1 2 3 4 5 6 7

Allgemeines Philosophie Religion, Theol. Soziologie Jura, Politik Wirtsch. Erzieh. Philologie Naturwissenschaften Technik Kunst

8 Literatur 9 Geschichte Geographie Biographie Polit. Gesch.

B Theologie

Tafeln 3 und 4 zeigen die Unterteilungen der nächsten beiden dezimalen Stufen, wobei Taf. 3 sich auf das Gesamtschema bezieht, während Taf. 4 daraus "Philosophy and related disciplines" darstellt. Beide Tafeln sind der 17. Auflage (1965) entnommen39. Aus Taf. 3 wird erkennbar, daß die Ausgangsklassen, soweit sie Disziplinen bedeuten - wie z.B. Philosophy - nach Untergebieten, Phänomenen und Aspekten unterteilt sind; soweit sie Zusammenfassungen von Disziplinen darstellen - wie z.B. "The social sciences" oder "Pure sciences" - werden sie nach Disziplinen unterteilt und soweit sie Phänomene darstellen, wie "Language" oder "Literature", werden sie nach Objekten unterteilt. Daneben finden wir unter 900 Allgemeine Geographie und Geschichte mit den jeweils nach Kontinenten verbundenen Präkombinationsunterteilungen. Die Ausgangsklasse 000 — "Generalities" wurde durchweg nach Objekten unterteilt, eine Ausnahme bilden nur 020 "Library science" und der zusätzliche Teil zu 070 — "Journalism". 38 In "Essay on the system of classification" (216) 39 Taf. 3 aus 17. Aufl., S. 110; Taf. 4 aus 17. Aufl., S. 112 (109)

121

Taf. 3 Dewey Decimal Classification, 17. Aufl. Übersicht über die Einteilungen der 1. und 2. Dezimalen

000 010 020 030 040 050 060 070 080 090

100 110 120 130 140 150 160 170 180 190

200 210 220 230 240 250 260 270 280 290

300 310 320 330 340 350 360 370 380 390

400 410 420 430 440 450 460 470 480 490

122

Generalities Bibliographies & catalogs Library science General encyclopedic works General periodicals General organizations Newspapers & journalism General collections Manuscripts & book rarities

Philosophy & related Ontology & methodology Knowledge, cause, purpose, man Pseudo- & parapsychology Specific philosophic viewpoints Psychology Logic Ethics (Moralphilosophy) Ancient, med., Oriental philos. Modern Western philosophy

Religion Nurural religion Bible Christian doctrinal theology Christ, moral & devotional theol. Christ, pastoral, parochial, etc. Christ, social & eccles. theol. Hist. & geog. of Chr. church Christ, denominations & sects Other religions & compar. rel.

The social sciences Statistical method & statistics Political science Economics Law Public administration Welfare & association Education Commerce Customs & folklore

Language Linguistics & nonverbal lang. English & Anglo-Saxon Germanic languages French, Provencal, Catalan Italian, Romanian, etc. Spanish & Portuguese Italic languages Classical & Greek Other languages

500 510 520 530 540 550 560 570 580 590

600 610 620 630 640 650 660 670 680 690

700 710 720 730 740 750 760 770 780 790

800 810 820 830 840 850 860 870 880 890

Pure sciences Mathematics Astronomy & allied sciences Physics Chemistry & allied sciences Earth sciences Paleontology Anthropolog. & biol. sciences Botanical sciences Zoological sciences

Technology (Applied sei.) Medical sciences Engineering & allied operations Agriculture & agric. industries Domestic arts & sciences Business & related enterprises Chemical technology etc. Manufactures processible Assembled & final products Buildings

The arts Civic & landscape art. Architecture Sculpture & the plastic arts Drawing & decorative arts Painting & paintings Graphic arts Photography & photographs Music Recreation (Recreational arts)

Literature & rhetoric

American literature in English Engl. & Anglo-Saxon literature Germanic languages literature French, Provencal, Catalan lit. Italian, Romanian etc. literature Spanish fit Portuguese literature Italic languages literature Classical & Greek literature Lits. of other languages 900 General geog. & history etc. 910 General geography 920 General biog., geneal., etc. 930 Gen. hist, of ancient world 940 Gen. hist, of modern Europe 950 Gen. hist, of modern Asia 960 Gen. hist, of modern Africa 970 Gen. hist, of North America 980 Gen. hist, of South America 990 Gen. hist, of rest of world

Taf.4 Dewey Decimal Classification, 17. Aufl. Übersicht über die Unterteilungen der Hauptklasse 100

Philosophy and related disciplines 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109

Philosophy & related Theory Miscellany Dictionaries, encyclopedias, etc. Serial publications Organizations Study & teaching Collections & anthologies I listorical treatment

150 151 152 153 154 155 156 157 158 159

110

Ontology & methodology

160

111 112 113 114 115 116 117 118 119

Ontology Classification of knowledge Origin of universe Space Time, duration, eternity Motion & change Matter & form Force & energy Number & quantity

161 162 163 164 165 166 167 168 169

120

Other metaphysical topics

121 122 123 124 125 126 127 128 129

Epistemology Cause & effect Freedom & necessity Teleology Finite & infinite Consciousness & personality Unconscious & subconscious Man Origin & destiny of soul

171 172 173 174 175 176 177 178 179

130

Pseudo-& parapsychology

180

131 132 133 134 135 136 137 138 139

140 141 142 143 144 145 146 147 148 149

Pseudopsychology Parapsychology & occultism Dreams & the mystic traditions Personality anal. & improvement Physiognomy Phrenology

Specific viewpoints Idealism & related systems Critical philosophy Intuitionism & Bergsonism Humanism & related systems Sensationalism & ideology Naturalism & related systems Pantheism & related systems Liberalism & other systems Other systems & doctrines

Psychology Physiological & experimental Intelligence & intellect Subconscious states & processes Differential & genetic psychology Comparative psychology Abnormal & clinical psychologies Applied psychology Other aspects

Logic Induction Deduction Symbolic & mathematical logic Fallacies & sources of error Syllogism Hypothesis Argument & persuasion Analogy

i 70 Ethics (Moral philosophy)

181 182 183 184 185 186 187 188 189

190 191 192 193 194 195 196 197 198 199

Systems & doctrines Ethics of political relationships Ethics of family relationships Prof es. & occupational ethics Ethics of recreation Sexual ethics Ethics of social relations Ethics of temperance etc. Other applications of ethics

Anc., med., Oriental Oriental Pre-Socratic Sophistic, Socratic & related Platonic Aristotelian Skeptic & Neoplatonic Epicurean Stoic Medieval Western

Modern Western philosophy United States & Canada British Isles Germany & Austria France Italy Spain & Portugal Russia & Finland Scandinavia Other

In den Unterteilungen von 400 und 800 sind Sprachen und Literaturen jeweils mit einer gleichen Reihe von bestimmten Sprachen unterteilt und präkombiniert; weitere derartige Präkombinationen mit Sprachen sind in den Tafeln unter 030, 050, 080 und mit Ländern bei 060, 070, 270, 310, 550, 10 zu finden, was allerdings aus Taf. 3 nicht mehr hervorgeht. Zusätzlich aber gibt es seit der 17. Aufl. der DDC Standardunterteilungen (also "Hilfsklassen", s.u.) für geographische Bestimmungen und ab der 18. Aufl. auch solche für Sprachen. Das bedeutet jedoch, daß die Facette "Sprachen" und die Facette "Länder" so über das ganze System verteilt sind, daß die Recherche nach den Phänomenen einer bestimmten Sprache oder eines bestimmten Landes nicht an einer Stelle sondern an zahlreichen und sehr verstreut angesetzten Stellen geschehen muß. cj Unterteilungen der Hauptklassen Bis zur 3. Dezimale besteht die gegenwärtige DDC aus insgesamt 923 Klassen. Da diese jedoch keineswegs, wie wir sahen, lediglich Benennungen für Disziplinen sind, sondern Begriffe von Objekten Phänomenen Aspekten und Präkombinationen zwischen Begriffen, die Disziplinen bezeichnen und Objekte (Länder, Sprachen, Dokumentarten) bedeuten, können auch deren Unterteilungen keiner einheitlichen Ordnung folgen, weder im formalen noch im formal-inhaltlichen Sinne (Facettierung). Dies sei an den folgenden, willkürlich herausgegriffenen Beispielen demonstriert. Es wurde versucht, jede Unterteilung nach ihren formalen Zugehörigkeiten zu klassieren. Beispiel l: Unterteilung eines Wissensgebietes, hier Allgemeine Botanik^O 581 Botany 581.1 Physiology4! .2 Pathology .3 Maturation .4 Morphology and descriptive anatomy .5 Ecology .6 Economic botany .7 frei .8 Histology and cytology _ .9 Regional and geographical treatment

Untergebiet Untergebiet Phänomen Untergebiet Untergebiet Interdisz. Gebiet Untergebiete von 581.4 Aspektgebiet

40 In der DDC heißt die Stelle 581 allerdings nur "Botany", die Unterteilung ist auch heute noch fast identisch mit der UDC; Spezielle Botanik, ausschließlich eine Taxonomie der Pflanzen enthaltend, findet sich bei 582 41 Dewey gestattete beim späteren Ausbau seiner Tafeln, nach den ersten drei Stellen einen Punkt zu setzen. Vorher hatte der Punkt nach den ersten drei Stellen die Bedeutung, diese von dem folgenden Kombinationsbegriff zu trennen, nun wird er jedoch "unsemantisch". Weitere Zeichen gibt es nicht.

124

Beispiel 2: Unterteilung einer Systemstelle, die von einem Objektbegriff ausgeht, hier Lederwaren 6585 Leather goods and their substitutes .1 Saddlery and harness making .2 Leather and fur clothing .3 Footwear .4 Gloves and mittens .5 Travel and camping equipment

Prozeß Unterobjekt, Verwendungszweck Unterobjekt von 685.2 Unterobjekt von 685.2 Unterobjekt, sonst. Bezug

Beispiel 3: Unterteilung einer Systemstelle, die von einem Prozeßbegriff ausgeht, hier Installieren 6*96 Plumbing, pipe fitting, heating, ventilating .1 Sanitary plumbing .2 Gas pipes (gas fitting) .3 Steam pipes (steam fitting) .4 und .5 frei .6 Hot-water pipes (including installation) .7 frei .8 Other plumbing operations

Prozeß, Anwendungsbezug Objekt + Prozeß Objekt + Prozeß Objekt + Prozeß Prozesse

Beispiel 4: Unterteilung einer Systemstelle, die von einem Phänomenbegriff ausgeht, hier Magnetismus 538 Magnetism .2 Magnets and magnetic induction .3 Magnetic phenomena .4 Magnetic materials and permeability .5 frei .6 Magnetohydrodynamics .7 Geomagnetism and allied phenom. .8 Special developments .9 Tables, reviews, exercises

Objekte und Unterphänomene Phänomengegebenheiten Objekte und Phänomen Interdisz. Gebiet Unterphänomene Allgemeines Dokumentarten

Die Beispiele zeigen, daß zwar die Mehrzahl der Klassifizierungen je Kategorialbezug (Gebiet, Objekt, Prozeß, Phänomen) nach der Genus-Species-Relation vorgenommen wurde, daß aber jedesmal auch noch "fremde" Kategorialklassen in die Unterteilungen einbezogen werden, wie Prozesse als Teil eines Objekts in 685.1 oder Objekte als Teil eines Prozesses in 696.2 oder Gebiet als Teil einer Erscheinung in 538.6. Es ist aus den angeführten Beispielen auch erkennbar, daß für die Untergliederung keinerlei Prinzipien verwendet wurden und daß Präkombinationen in Fülle vorgenommen wurden, so daß die Verwendung des Bestandteils eines präkombinierten Begriffs in einem anderen Zusammenhang nicht mehr möglich ist oder eine falsche Konnotation in diesen Zusammenhang bringt.

d) Die "Hilfskiassen" Anfänglich hatte Dewey nur eine relativ kleine Gruppe von sogenannten Formzahlen benutzt, die in Kombination mit Notationen der Hauptklassen, wie z.B. mit 100 Philosophie, zu den in Taf. 4 erkennbaren Unterteilungen 101 Theory 102 Miscellany 125

103 104 105 106 107 108 109

Dictionaries, encyclopedias, etc. Serial publications Organizations Study and teaching Collections & anthologies Historical treatment

führen. Heute gibt es darüber hinaus die folgenden Formzahlen auch als Hilfsklassen, damit sie mit allen anderen Notationen verknüpft werden können, die Gebiete bezeichnen: 01 02 03 04 05 06 07 08 09

Philosophie, Theorie Handbücher, Grundrisse Wörterbücher, Enzyklopädien Essays, Vorlesungen, Briefe Periodika, Magazine, etc. Gesellschaften, Vereinigungen, Verhandlungsberichte Bildung, Studium, Lehre, etc. Vermischte Sammlungen Geschichte

Die Ableitung von den Unterteilungen der Ausgangsklassen ist offenbar, dennoch wurden die ersteren beibehalten. Auch handelt es sich dabei keineswegs um alle Dokumentarten; denn - wie aus Beispiel 4 ersichtlich - kann man auch z.B. unter Magnetismus 538.9 Dokumentarten finden. Weitere wiederkehrende Unterteilungsbegriffe Deweys waren die bereits erwähnten Unterteilungen nach sprachlichen und geographischen Gesichtspunkten. Eine analytisch-synthetische Begriffskombination ermöglichte Dewey durch seine sogenannte "Divide-like"-Regel. Sie wird jeweils an den betreffenden Systemstellen mit ihrem Bezug genannt, so z.B. setzt sich 580.40 Flora Europas aus 580 Flora und 40 Europa zusammen; so darf auch die jeweils betreffende Unterteilung aus 001/999 an allen "sinnvollen" Systemstellen verwendet werden, wie z.B. 920 Biographien 920.1 Biographien von Philosophen (da 100 Philosophie) Wenn man daher eine Zahl findet, die z.B. so lang ist, wie 331.281 647 dann bedeutet dies keineswegs, daß hier Unterteilungen bis in die 9. Dezimale vorgenommen worden sind, sondern es handelt sich um eine DDC-Notation, die aus 331.281 Löhne und 647 Hauswirtschaft hervorgegangen ist und als 331.281 647 Löhne von Hausangestellten bedeuten soll. Hier liegt also eine weitere Präkombination in der Notation vor, die nicht ohne weiteres "ausgemacht" werden kann. Die hier zufällig auftretende Leerstelle zwi126

sehen 331.281 und 647 beruht auf der erst seit der 17. Aufl. der DDC gültigen Regel, daß um der besseren Lesbarkeit willen jeweils nach drei Ziffern eine Leerstelle gesetzt werden soll. Hinweise darüber, daß an bestimmten Systemstellen Begriffskombinationen der gezeigten Art möglich sind, wurden in die Tafeln aufgenommen, in der 17. Aufl. z.B. findet man sie an ca. 2600 Stellen42. Mit der 17. Aufl. wurden die Hilfsklassen für geographische und Form-Begriffe gesondert gedruckt, für die 18. Aufl. sind weitere Hüfsklassen vorgesehen4^, nämlich für — — — -

subdivisions of individual literatures subdivisions of individual languages racial, ethnic, national groups persons languages44

Es scheint also, als entwickle die DDC nach nunmehr über 70 Jahren die gleichen Hilfsklassen, die für die UDC bereits 1897 erstellt wurden45. e) Klassierung von Sachverhalten mit der DDC Ein Titel von der Art "Statistik der Todesfälle durch Lungentuberkulose" ist so zu klassieren, daß man über das Register (s.u.) die Systemstelle für "Statistik der Todesfälle" eruiert und an dieser die Notation für Todesfälle durch Krankheiten: 312.26. An dieser entsprechenden Stelle aber findet sich der Hinweis: "unterteile wie 616.1-616.9". Man schlägt darauf diese Stelle nach und findet unter 616.248 Lungentuberkulose. Die "248" als Kennzeichnung für Lungentuberkulose muß nunmehr an die Notation für Statistik der Todesfälle durch Krankheiten angehängt werden und man erhält die gewünschte Notation: 312.262 48 Statistik der Todesfälle durch Lungentuberkulose. Ein weiteres Beispiel: es handele sich um ein Buch, das eine "Etymologie der russischen Sprache" darstellt. Es gibt den Begriff "Etymologie" in der Linguistik unter 412; es gibt ihn auch an der 2. Stelle der 3. Dezimale in allen anderen Sprachen, die z.B. aus Taf. 3 unter 400 zu erkennen sind. Russisch war 1876 noch 42 Eine Liste der Notationen, bzw. Systemstellen, die eine solche "unterteile wie"-Kombinationsmöglichkeit gestattet, ist in der 17. Aufl., Bd. 2, hinter den Ortstafeln gegeben 43 Siehe hierzu W.E. Matthews: Dewey 18: a preview and a report. (324) 44 Im ersten Fall handelt es sich wohl um Sprachen als solche und im zweiten Fall um Dokumente in bestimmten Sprachen 45 Siehe hierzu 3.4.2 b) 127

nicht so bekannt, man findet Russische Philologie daher unter 491.78. Hier aber kann nicht einfach eine 2 angehängt werden, eine entsprechende "divide-like"Regel fehlt. Man muß auf den Begriff "Etymologien" zurückgreifen, der in den Hilfsklassen der Form auch noch einmal auftaucht, nämlich unter -0142. Diese Notation wird ohne das Zeichen "-" an die Notation für Russische Philologie angehängt und man erhält: 491.780 142 Etymologie der russischen Sprache, eine um 6 Ziffern längere Notation als z.B. die Etymologie der deutschen, französischen oder englischen Sprache. An diesem Beispiel zeigt sich nicht nur die westliche Orientierung der DDC, sondern auch die konservierte historische Situation; das russische Schrifttum war keineswegs gering zu nennen, aber es zählte 1876 noch nicht! f) Das Register, "The Relative Index" Nicht alle Universalklassifikationen besitzen ein Gesamtregister und kaum eines ist so umfangreich wie das der DDC, das - wie Berwick Sayers angab^6 _ 80 000 Einträge enthält. Der Name "Relative Index" soll besagen, daß in diesem Register jede Begriffsbenennung in ihrem Kontext auf alle entsprechenden Systemstellen in den Tafeln verwiesen wird, aber nicht nur auf alle, in denen sie tatsächlich vorkommt, sondern auch auf diejenigen, in denen sie vorkommen könnte, weil durch die "divide-like"-Regel eine weitere Unterteilung einer bestimmten Systemstelle nicht vorgenommen worden ist. Woher aber das Wissen, daß eine bestimmte Kombination vorkommen könnte? Vermutlich hat einmal Literatur vorgelegen, in der diese Kombination realisiert wurde; da die Klassierungsarbeiten für die DDC zentral vorgenommen werden, gibt es natürlich die Möglichkeit, alle bereits vorgekommenen Kombinationen in gleicher Weise wieder verwenden zu können. Folgendes Beispiel kann dies illustrieren. Man findet im Register Benediktinerklöster, Architektur 726.771 in den Tafeln gibt es aber nur Monastic buildings 726.7 — of specific Christian orders 726.77 mit dem Hinweis: unterteile wie 271.1—271.9 und bei 271.1 sind die Benediktiner genannt. Unter Architektur, Benediktinerklöster ist jedoch im Register kein Eintrag zu finden, da man nach Benediktinerklöstern wohl nicht fragen wird, wenn man nach der Architektur-Notation sucht. Wurde ein Begriff in den Haupttafeln noch stärker differenziert und unterteilt, so sind die entsprechenden Einträge im Register in Fettdruck gesetzt, was bedeutet, daß das Register trotz seines Umfangs noch nicht alle Möglichkeiten der Tafeln ausgeschöpft hat. Entsprechend den drei ersten Abstraktionsebenen sind auch die Registereinträge eingerückt gedruckt, so daß sich der systematische Zusammenhang leicht ausmachen läßt. 46 W.C. Berwick Sayers in (39, S. 160) 128

Aus dem Register geht freilich auch hervor, an wie vielen Stellen eine .gleiche oder ähnliche Benennung in den Tafeln vorkommt und entsprechend - wenn es sich nicht um Homonyme handelt - ein Begriff an mehreren Stellen klassifiziert wurde. So konnten für "Kind" und "Kinder" insgesamt 89 Einträge im Register gefunden werden, die hintereinander jeweils andere Systemstellen bedeuteten. Für Schwefel kann man 26 Stellen finden, für Schwefelverbindungen 61, etc. Das Register ist somit eine wahre Fundgrube zur Eruierung begrifflicher Zusammenhänge. Es reflektiert immerhin die Klassifikationsarbeit von mehr als 90 Jahren sowie die Buchthemen aus dieser Zeit. g) Zusammenfassung Sieht man einmal davon ab, daß die Notation der DDC nur bedingt eine Begriffsklassifikation widerspiegeln kann und eher als Code aufzufassen ist, so stellt sie jedoch immerhin ein Instrument dar, mit dem bisher in relativ sinnvoller Weise Bibliotheken und Kataloge geordnet werden konnten. Mit ihrer Anwendung liegt jedenfalls auch ein großer "klassifikationstechnischer" Erfahrungsschatz vor, der für die zukünftige Arbeit genutzt werden sollte. 3.4.2

Universal Decimal Classification (UDC)

a) Geschichte und Verbreitung Aus der ersten'Internationalen Bibliographischen Konferenz (2.—4.9.1895) in Brüssel ging das Institut International de Bibliographie hervor, aus dem 1931 das Institut International de Documentation und 1937 die Federation Internationale de Documentation wurden. Gleichzeitig mit dem ersten Institut wurde 1895 auch ein Office International de Bibliographie gegründet und ihm die Ausarbeitung eines 'Manuel du Repertoire bibliographique universel' übertragen^?. Für die hierzu erforderliche Klassifikation griff man zu Deweys Decimal Classification wegen ihrer großen Vorteile, besonders auch der möglichen "vollkommenen Übereinstimmung zwischen der Klassifikation der Bibliotheken und derjenigen des bibliographischen Repertoriums"48..De>vey gestattete nicht nur die Übernahme seiner Klassifikation sondern auch den notwendigen weiteren Ausbau, den sich die beiden Belgier Paul Offer (1868-1944) und Henri LaFontaine (1854-1943) zum Ziel gesetzt hatten. Er bestand lediglich darauf, daß am Inhalt der ersten drei Dezimalstellen nichts geändert werden sollte49; im übrigen war er von dem Enthusiasmus der beiden Belgier so beeindruckt, daß er dem IIB sogar das Copyright für diesen neuen Zweig seiner Klassifikation schenkte. Schon 1897 erschien eine erste, 30 Seiten umfassende Kurzausgabe (510) mit den ersten Änderungen, ein Jahr später das 'Manuel de la Classification Bibliographique 47 Später wurden das Office International und das Institut International de Bibliographie (IIB) miteinander vereinigt 48 Siehe hierzu Samurin (432, Bd. II, S. 267); das Zitat ist aus dem "Rapport general" der Konferenz entnommen und hier übersetzt abgedruckt 49 Siehe G. Lorphevre: Die Entwicklung der Dezimalklassifikation in Europa (314).

129

Decimale" (409) und in den Jahren 1899-1905 sukzessive die vollständigen Klassifikationstabellen (512) und damit die erste internationale Ausgabe in Französisch. Eine zweite französische Gesamtausgabe mit dann bereits 60 000 Klassen erschien 1927-1933, die erste deutsche Gesamtausgabe 1934-1953 mit 120 000 Klassen und einem vollständigen Register. Seit 1958 wird an der zweiten deutschen Gesamtausgabe gearbeitet. Träger dieser Arbeiten wie auch der deutschen UDC-Revisionskomitees ist der Ausschuß für Klassifikation im Deutschen Normenausschuß^. Gesamtausgaben anderer Länder, wie auch Kurz-, Mittlere und Spezial-Ausgaben der UDC liegen entweder bereits vor oder sind in Bearbeitung und zwar in 22 Sprachen der Welt. Die zweite deutsche Gesamtausgabe ist daher gleichzeitig die achte internationale Ausgabe. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen lagen die Revisionsarbeiten in den Händen nur sehr weniger Mitarbeiter, seil 1945 hat sich dies jedoch geändert; derzeitig gibt es 26 Revisionskomitees für die vordringlich zu ändernden Gebiete. Seit 1931 werden in sog. P-Noten die neuen Vorschläge veröffentlicht und seit 1952 in den "Extensions and Corrections to the UDC" die neu aufgenommenen UDC Notationen bekannt gemacht. Die UDC ist mit ihren schätzungsweise 100 000 Benutzern^! die am weitesten verbreitete Universalklassifikation; in der UdSSR wurde sie 1921 für alle Bibliotheken verbindlich erklärt, 1963 auch für alle naturwissenschaftlich-technischen Zeitschriften und Referateorgane. Entsprechend wird sie auch in den anderen Ostblockländern seither stark genutzt, auch in den sonstigen europäischen Ländern ist sie vor allem in den Dokumentationsstellen die bei weitem häufigste Klassifikation. In den USA und England ist sie dagegen weniger gut bekannt, vor allem, da es bis jetzt noch keine Gesamtausgabe in Englisch gibt52, 53. b) Zur Struktur der UDC, der Ausbau der Hilfsklassen Da Otlet und LaFontaine gehalten waren, am Inhalt der ersten drei Dezimalstellen der UDC nichts zu verändern, versuchten sie vor allem durch weiteren Ausbau der Anhängezahlen das System flexibler zu machen. So führten sie die sogenannten speziellen und die allgemeinen Anhängezahlen ein. Die speziellen Anhängezahlen können dabei immer nur in dem Gebiet wahlweise als "analytische" Begriffe ver50 Der Ausschuß für Klassifikation im DNA hat 174 Mitarbeiter; 12 der insgesamt 26 Revisionskomitees der FID werden von Deutschen geleitet. Publikationsorgan sind die DKMitteilungen (137) 51 Siehe hierzu G.A. Lloyd: Universal Decimal Classification in (310, S. 151) 52 Die Kurzausgabe und Teile der Gesamtausgabe liegen bereits seit ca. 30 Jahren vor; gegen Ende 1972 sollte die Übersetzung der Gesamtausgabe in Englisch abgeschlossen sein. 53 An Literatur zur UDC wären zu nennen: a) die Bibliographie von D. Weeks et al (544) mit 384 Titeln bis 1971, b) die Einfuhrungen von K. Fill (172) und Th. Herrmann (229) in Deutsch, von R. Dubuc (145), (146) in Französisch, von J. Mills (336), H. Wellisch (552) und J. Perreault (385) in Englisch, dazu die kurze Einführung der FID (256) und die Übersicht über die neueren Entwicklungen von G. Lloyd (310). Eine recht gute Übersicht vermittelt auch K. Laisiepen in (298, S. 225-255). c) Literatur zur Reform der UDC siehe 3.4.2 c)

130

wendet werden, für das sie entwickelt wurden, die allgemeinen Anhängezahlen stellen dagegen Notationen der Begriffe dar, die in allen Gebieten Verwendung finden können, wie geographische Namen und Benennungen, die Völker, Sprachen, Dokumentarten, Zeitangaben und Gesichtspunkte bezeichnen. Des weiteren gestatteten sie die Aufnahme von Namen oder Namenabkürzungen, wo dies zweckdienlich schien, wie z.B. bei der Systemstelle 14 Philosophische Systeme. Um die Philosophie Kants bezeichnen zu können, wird lediglich sein Name nachgestellt, also: 14 Kant (Kants Philosophie) oder 92 Biographien 92 Nietzsche (die Biographie Nietzsches) Auch führten sie eine Reihe von Zeichen ein, die die freie Kombiniert»arkeit der Notationen ermöglichen und verdeutlichen sollte, wie — den Doppelpunkt : , durch den jede Notation mit jeder ändern in eine wie auch immer geartete Beziehung gebracht werden kann — den Schrägstrich / , auch das Erstreckungszeichen genannt, der das gesonderte Aufzählen mehrerer hintereinanderliegender Notationen ersparen soll — das Additionszeichen zur Bildung von logischen Summen. Damit die Dezimalzahlen, besonders dann, wenn sie sehr lang werden, leichter gelesen werden können, wird jeweils nach drei Ziffern ein Punkt gesetzt. Die o.g. allgemeinen Anhängezahlen werden durch besondere Zeichen eingeleitet, um sie von den übrigen Notationen unterscheiden zu können; ihre Reihenfolge in der Klassierung eines Sachverhalts wurde formal festgelegt. Dies ermöglicht dann auch eine gleichbleibende Ordnung in den Katalogen. c) Klassieren und Recherchieren mit der UDC Wesentlich einfacher noch als mittels der Notationen der DDC kann man einen Sachverhalt durch eine UDC-Notation darstellen — wenn die entsprechenden Begriffe in möglichst nicht präkombinierter Form im System enthalten sind. Auch hier fungiert das Register wieder als "Einstiegshilfe" in die Tafeln des Systems. Der Benutzer ist jedoch dann frei, die Komponenten des zu kombinierenden Sachverhalts selbst zusammenzuführen, wobei der Genauigkeitsgrad der Angaben durch Angabe des Gesichtspunkts, der Sprache, der Dokumentenform, des Orts und der Zeit nach Belieben erhöht werden kann. Er kann auch so viele Hauptzahlen, wie er sie zur Inhaltsbeschreibung seines Dokuments für erforderlich hält, hintereinander nennen, also UDC-Notationen wie Deskriptoren in natürlicher Sprache zur Indexierung eines Dokuments verwenden. Entsprechend kann später nach diesen recherchiert werden. Der Aufwand ist freilich bei manueller Dokumentation möglichst gering zu halten, anders bei Verwendung von Computer. Seit einigen Jahren werden zunehmend UDC-Notationen in maschinellen Dokumentationssystemen 131

verwendet und zwar zum Registerausdruck, für das maschinelle gezielte Informationsverfahren (SDI) und zum Retrieval, ja auch zum On-Line Retrieval^. d) Neuere Reformbestrebungen Betrachten wir die heutige UDC, so sind folgende Veränderungen gegenüber 1897 festzustellen: — allgemein eine Modernisierung der Terminologie — Ergänzung und Ausarbeitung zahlreicher Hauptklassen und Hilfsklassen, besonders auf dem Sektor der Ortsanhängezahlen; aber Zusammenlegen der Hauptklassen 4 und 8 in 8 — Aufnahme von zwei weiteren Gruppen von allgemeinen Anhängezahlen: Personen -05 und Stoffe -03, dazu probeweise Verwendung von Relatoren - Aufnahme weiterer Zeichen, wie das Apostroph als Zusammenfassungszeichen und den doppelten Doppelpunkt als Zeichen der untrennbaren Verbindung von zwei UDC-Notationen, deren Begriffe zusammengehalten werden sollen. Für die Revisions- und Erweiterungsarbeiten an der UDC wurde zudem ein Regelwerk ausgearbeitetes. Die Regeln, die den Gebrauch der Notationen zur Indexierung von Sachverhalten festlegen, werden im Vorspann zu jeder UDC-Ausgabe mitgegeben. Eine Reihe von Arbeitsgruppen des Central Classification Committee (CCC) bearbeitet Probleme der Mechanisierung, der Weiterentwicklung udgl. Das Sekretariat des CCC bei der Geschäftsstelle der Federation Internationale de Documentation (FID) in Den Haag bearbeitet ein umfangreiches Revisionsprogramm und entfaltet dazu eine starke Werbetätigkeit für die UDC. Das Haus scheint also in Ordnung? Die gleichen Mängel, die im vorigen Kapitel an der DDC festgestellt worden waren - daß nämlich die Unterteilungsrelationen nicht immer stimmen - haften natürlich auch an der UDC. Dies hatte schon in den frühen 30iger Jahren F. Donker Duyvis zu dem Vorschlag bewegen, man solle eine gänzlich neue UDC erstellen. Aus dem gleichen Grunde aber, weshalb M. Dewey 40 Jahre lang sein System unrevidiert ließ, um nämlich die Benutzer nicht zu verlieren, hat man diesen Vorschlag verworfen und sich zu maßvollen Revisionen entschlossen. 30 Jahre später - 1960 - meldeten sich in einer F. Donker Duyvis gewidmeten Festausgabe der Zeitschrift "Revue de la Documentation" (1960 Nr. 4) mahnende und kritische Stimmen besorgter UDC-Freunde zu Wort. So wiesen O. Frank (184), H. Wellisch (551) und G.A. Lloyd (309) auf eine Reihe von Mängeln der UDC hin und boten Verbesserungsvorschläge an. Ein halbes Jahr später veröffentlichten B. Kyle (296) und B.C. Vickery (529) ihre Vorschläge, bei der Revision der UDC die Erkenntnisse der Facettenanalyse zu berücksichtigen. In einem umfangreichen Aufsatz hat K. Fill (171) jedoch alle Vorschläge abgewiesen; trotzdem legt auch 54 Hierzu liegt bereits eine umfangreiche Literatur vor; es sei zusammenfassend verwiesen auf die beiden UDC-Seminare in Kopenhagen und Frankfurt (1970) mit ihren Vorträgen zu "UDC and Mechanized Information Systems" (344) und (345) 55 Siehe "UDC Revision and Publication Procedure" (254) 132

er - der, um die Kontinuität der UDC zu retten, immer wieder dafür eintrat, an der bestehenden Struktur und den bestehenden Notationen möglichst nichts zu ändern — am Schluß seines Aufsatzes für die Hauptklassen 2,4 + 8, 546/547, 62, 73/76 und 93/99 grundsätzliche Änderungsvorschläge vor. Ein Markstein in der Entwicklung der UDC war schließlich der Entschluß des FID/CCC vom 23.9.1962, den UDC-Abschnitt 4 "Sprachwissenschaft. Philologie" mit dem Abschnitt 8 "Literaturwissenschaft" zusammenzulegen. Seither ist "die 4" frei und ihre Neubesetzung scheint zu einer neuen Krise in der UDC zu führen. Das Problem sind wiederum die Benutzer; denn besetzt man die freie Hauptklasse 4 mit den Klassen der Gebiete aus Naturwissenschaften und Technik (5 und 6), da diese erwiesenermaßen56 unverhältnismäßig (gegenüber den anderen Hauptklassen) viele Klassen aufweisen, dann verändert man das System so stark, daß man auch gleich daran denken kann, das Ganze zu ändern, der Benutzer muß so und so seine Kataloge oder Regale anders einrichten. Die vor etwa zwei Jahren vorgelegten Vorschläge zu einer totalen Reform der UDC57 haben im Oktober 1971 zum Beschluß des CCC geführt, einen Standard Reference Code (SRC) als "Dachcode" über die bestehenden UDC-Notationen zu entwickeln, um damit eine "Switching language" für die Klassen der UDC und alle anderen bestehenden Klassifikationssysteme zu besitzen. Dies war zwar nicht im Sinne der vorgelegten Vorschläge und muß insgesamt als ein wenig durchdachtes Unternehmen bewertet werden, es zeigt aber doch, daß das bis dahin so wenig reformgeneigte CCC begonnen hat, sich umzustellen. Eine öffentliche Diskussion bei der FID-Konferenz in Budapest, Sept. 1972, über gerade diese Pläne hat gezeigt, daß die Benutzer wiederum von einer Veränderung der UDC abraten, daß aber andererseits sehr viele Stimmen dafür sprechen, ein neues System, und sei es vorerst nur ein "Broad System of Ordering" neben der UDC zu entwickeln, um nach Fertigstellung dieses evtl. mit der UDC korrelieren zu können. e) Die grundsätzlichen Mängel der UDC Den vielen Vorteilen der UDC, die ihr gegenüber den anderen Universalklassifikationen so unverhältnismäßig viele Benutzer gebracht hat, stehen so viele Nachteile des Systems gegenüber, daß man nun offenbar auch bei der FID erkannt hat, daß hier keine Revision die grundsätzlichen Mängel mehr beheben kann, sondern daß hier ein völlig neues System an ihre Stelle gesetzt werden muß. Diese Mängel^S müssen in folgenden Fakten gesehen werden: 1) Veraltete und uneinheitliche Strukturierung 2) Unbrauchbare Präkombinationen in der Hierarchie 3) Facetteninhalte in den Hauptklassen und in den speziellen und allgemeinen "Anhängezahlen" 56 Siehe hierzu die Arbeiten von L. Kofnovec (281) und L. Kofnovec und D. Simandl (282). 57 I. Dahlberg: Möglichkeiten einer Neugestaltung der DK (95). Weitere Vorschläge von H. Arntz (18), H. Wellisch (553), A. Schmidt (451), C.W. Petersen (389), E. Scibor (462). 5? Eine ausführliche Darstellung hierzu siehe: I. Dahlberg: The UDC and an ideal indexing language (97).

133

4) Inadäquates Revisionsregelwerk Es ließen sich freilich noch eine weitere Reihe von Mängeln nennen, auch solchen, die mit der Verwaltung des Systems zusammenhängen. Es soll uns aber hier nur um einige wesentliche Punkte gehen, von denen allerdings viele weitere Klassifizierungsfehler abhängen. ad 1) Veraltete und uneinheitliche Strukturierung Wir haben in der Darstellung der DDC gesehen, wie sich die Ausgangsklassen von Bacon's System ableiten lassen und wie über Brunets und Harris' Einfluß die Verteilung der Disziplinen sich nach den Vorstellungen einer Zeit richteten, in der die Naturwissenschaften und die Technik noch nicht die Rolle im menschlichen Leben spielten, wie heute. Daraus folgt, daß heute die Abteilungen 5 und 6 mit Begriffen überbelegt sind und unendlich lange Notationen besitzen, während demgegenüber die Abschnitte l, 2, 7, 8, 9 fast nicht zählen. Einzig die Ausgangsklasse 3 Sozialwissenschaften, die ja ebenfalls wie 5 und 6 eine Zusammenfassung von Disziplinen darstellt, beginnt nunmehr ebenfalls an Begriffen zu wachsen. Die Zahlen von L. Kofnovec und/). Simandl(282), die sowohl für die Anzahl der Begriffe als auch für die mit ihnen in einem Jahr zu klassierenden Inhalte ermittelt wurden, zeigen, daß allein in der Ausgangsklasse 6 noch um fast 10% mehr Begriffe zu finden sind als in allen übrigen zusammen. Dire Tabelle, die die Anzahlen der UDC-Notationen der Gesamtausgabe einschließlich der neuen Notationen der "Extensions and Corrections to the UDC", Ser. 7, No. 2, enthalten, sei im folgenden wiedergegeben: Tab. l: UDC class

C.Aux. 0 1 2 3 5 6 7 8 9

Anzahl der Begriffe pro UDC-Abschnitt Common auxiliaries

UDC numbers Special numbers auxiliar. Main

8083

8083

% Relation59 colon-c.

Total

971 1361 1982 10543 20775 41833 2961 699 602

132 520 348 282 2429 2786 24142 1433 223 627

5 58 23 25 425 288 1299 88 1 1

8220 1549 1732 2289 13397 23849 67274 4482 923 1230

6,6 1,2 1,4 1,8 10,7 19,1 53,9 3,6 0,7 1,0

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100,0

Diese Tabelle zeigt also sehr deutlich, daß in den Klassen 3, 5 und 6 die Schwerpunkte zu finden sind; auch jede weitere Entwicklung würde im wesentlichen in diesen Klassen stattfinden, so daß mit jedem Jahr das Ungleichgewicht größer wird. ad 2) Unbrauchbare Präkombinationen in der Hierarchie In diesem Zusammenhang kann ebenfalls auf die Beispiele verwiesen werden, die bei der Analyse der 3-Ziffern Klassen der DDC gegeben wurden. Bei einem hierar-

134

chischen System kann ja doch ein Unterbegriff immer nur von der gleichen Art oder ein Teil sein von einem Oberbegriff, d.h., Objekte bilden Hierarchien von Objekten, Prozesse solche von Prozessen. Ist der Oberbegriff eine Gebietsbezeichnung, so kann der Unterbegriff nur ein Untergebiet sein, nicht aber ein Objekt oder ein Verfahren. Folgendes Beispiel: 3 Sozialwissenschaften 34 Recht. Rechtswissenschaft 343 Strafrecht 343.1 Strafverfahren 343.16 Beamte der Strafgerichtsbarkeit 343.19 Strafgerichtshöfe

Bereich Gebiet Untergebiet Prozeß Personen Institutionen

Gegen die ersten drei hierarchischen Stufen ist nichts einzuwenden, wie aber ist es möglich, Personen oder Institutionen begrifflich Prozessen zu subsumieren? Dieser Art beständige Wechsel zwischen den hierarchischen Stufen und formkategorialen Bestimmungen sind in der UDC in Fülle vorhanden. Sie verursachen die unzulässigen Präkombinationen in der Notation und verhindern eine sinnvolle Benutzung der Notation zur Recherche; denn man wird nicht unter Verfahren suchen, wenn man Personen finden will udgl. Es sei hier von den zeit- und entwicklungsbedingten Präkombinationen, die in den Notationen erkennbar werden, einmal abgesehen; denn wenn die Psychologie nur innerhalb der Philosophie zu finden ist, das Informationswesen nur bei der Werbung, die Metrologie und Normung nur unter Handel und Verkehr, die Atomtechnik unter Elektrotechnik, das Bibliothekswesen unter Allgemeines etc., dann müssen diese als historische Subsumtionen angesehen werden, die eben das Wissen einer bestimmten Zeit offenbaren. Aus ebendiesen Gründen hatte F. DonkerDuyvis einmal vorgeschlagen, alle 30 Jahre eine neue Klassifikation zu schaffen. ad 3) Facetteninhalte in den Hauptklassen und in den speziellen und allgemeinen "Anhängezahlen" Dieser Mangel ist vor allem durch die Revisionsarbeiten an der UDC entstanden, bzw. dadurch, daß von Anfang an eine Theorie gefehlt hat, die zwischen sachkategorialen und formkategorialen Begriffen unterschieden hätte. Es finden sich daher die Begriffe aus Kategorien wie Raum, Zeit, Form, Gestalt udgl. sowohl in den sog. Hauptklassen als auch in den allgemeinen "Anhängezahlen". E. de Grolier fand, daß Fragen des Meßwesens an 78 Stellen der Tafeln verstreut aufgenommen wurden, die Vielzahl dieser Begriffe hätte eine eigene Kategorie erfordert (208, S. 37—39). Viele Begriffe der speziellen "Anhängezahlen" kommen in den verschiedensten Gebieten in gleicher Weise vor, dennoch wurden sie in allen Gebieten ungleichmäßig entwickelt, wie dies folgende Tabelle^O zeigt, die allerdings nur 6 Sachgebiete miteinander vergleicht: 59 Es sei hier angemerkt, daß in der UDC Doppelpunktverbindungen (colon-combinations) praktisch unbegrenzt möglich sind; hier wurden lediglich die in den Tafeln explizit genannten gezählt. (Diesen Hinweis verdanke ich Herrn A.F. Schmidt, DNA.) 60 Entnommen aus I. Dahlberg (95, S. 147) 135

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185

Mit allen Systemen wird also heftig klassiert, gespeichert, geordnet und recherchiert. Nur wenige Klassifikationsnotationen werden jedoch auf Magnetband mitgeführt, nämlich nur die der LCC und der DDC (soweit Buchtitel nach ihr klassiert werden können — eine Frage der Kapazität der zuständigen Stelle) auf den MARC Bändern der Library of Congress. Gerade über diese Datenträger ist die allgemeine Verbreitung der Klassifikationen noch um weitere Faktoren gesteigert und gesichert; Gesichtspunkte der Verwendbarkeit im Retrieval (siehe unten) scheinen keine Rolle zu spielen. Lakonisch stellte/. Mills^^ kürzlich fest: "the forces of inertia, the cost-benefits of centralized indexing and the difficulties of reclassification tend strongly to perpetuate the system in occupation, even it a better one comes along". Aber - was immer einmal auf Magnetband gebracht worden ist, kann später mit Leichtigkeit ausgetauscht und geändert werden. Das Umsortieren von Beständen oder das Ändern der Einträge auf Katalogkarten ist ein unvergleichlich viel zeitraubenderes und kostspieligeres Geschäft. 3.5.8

Konkordanzen oder Korrelation?

Abschließend soll noch einer Überlegung nachgegangen werden, die zwar nichts mehr mit einem Vergleich der Systeme zu tun hat, aber doch vielleicht eine Fülle von Vergleichsdaten als "Nebeneffekt" erbringen würde, wenn man sie realisieren könnte. Es müßte ja doch bedacht werden, daß auf eine noch zu eruierende Weise einmal maschinell ein gemeinsames Register zu allen bestehenden universalen Klassifikationen erstellt werden könnte. Das setzt natürlich voraus, daß diese Klassifikationen selbst bereits über ein Gesamtregister auf Magnetband verfügen. Leider gibt es für die neueren Auflagen der Klassifikationen nur eine einzige, die ein Gesamtregister besitzt — die DDC — und dieses ist bisher noch nicht auf Magnetband gebracht. Das wäre aber noch das geringste Übel. Aber nehmen wir an, auf der Basis der englischen Sprache könnte ein Gesamtregister zu allen 6 Systemen erstellt werden, wobei jeweils zu jedem Eintrag auch das zugehörige Wissensgebiet und die Notation angegeben werden müßte. Es ließen sich dann zunächst einmal alle Einfachbegriffe herausgreifen und in ihren verschiedenartigen Zuordnungen vergleichen. Sodann könnte man sich alle verbalen Präkombinationen vornehmen, auch diese vergleichen und in ihre Bestandteile zerlegen. Alle Bestandteile, die auch als Einfachbegriffe vorliegen, könnten als solche identifiziert werden. Auf eine Zerlegung der notationellen Präkombinationen könnte vermutlich verzichtet werden, da dies höchstens von historischem Interesse wäre. Eine Korrelation der so zerlegten Präkombinationen der sechs Universalklassifikationen sowie ihrer Einfachbegriffe zu Begriffen eines neuen Systems X wäre dann möglich, wenn dieses mindestens alle Einzelbegriffe enthält, die in den Präkombinationen der anderen Systeme stecken. In einem letzten Schritt müßten mit 139 186

Siehe J. Mills (339, S. 27)

Hilfe der Einzelbegriffe des Systems X alle (verbalen) Präkombinationen der übrigen Systeme analytisch dargestellt werden können. Auf diese Weise scheint es möglich zu sein, eine Konkordanz 140 zwischen den Klassen des Systems X und denen der übrigen Systeme herzustellen. Im Hinblick auf die recht umfangreichen vorliegenden Klassifikationen wäre dies zwar ein gewaltiges Unterfangen, es scheint mir jedoch, als müßte es nicht nur deshalb geleistet werden, um die Systeme einmal "auf einen Nenner" zu bringen, sondern auch, um zu den bisherigen Beständen auch über ein neues System Zugriff haben zu können. Vermutlich würde auch kaum eine Bibliothek ihre bisherige Klassifikationspraxis aufgeben, wenn mit einem neuen System nicht auch eine Korrelation zu dem bisherigen verbunden wäre.

3.6

Unzulänglichkeiten bestehender Universalklassifikationen

3.6.0

Vorbemerkung

Bereits bei der Darstellung der sechs Universalklassifikationen war hin und wieder auf spezielle Unzulänglichkeiten hingewiesen worden, so besonders auch bei der UDC (siehe Abschn. 3.4.2 e)), die in den vier Punkten gesehen wurden: — — —

veraltete und uneinheitliche Struktur ungebräuchliche Präkombinationen in der Hierarchie Facetteninhalte in Haupt- und Hilfsklassen Inadäquates Regelwerk

Diese Punkte lassen sich bis auf den letzten im Grunde auf alle sechs Klassifikationen mit Ausnahme der CC übertragen. Ein Regelwerk für die Revisionstätigkeit, etc. besitzt lediglich die UDC; es führt allerdings, wie wir sahen, nicht zu einer Verbesserung des Systems. Im folgenden wollen wir uns lediglich mit der Frage der fehlenden oder mangelnden theoretischen Fundierung der Klassifikationen und nochmals global mit den Unzulänglichkeiten in Inhalt und Form der Klassen sowie den daraus entstandenen Folgen befassen. Ihre formalen Unzulänglichkeiten, wie z.B. mangelnde oder schlechte Verwaltung oder Organisation der sie fördernden Institutionen 141 oder die fehlenden Register und Übersetzungen, etc. sollen nicht nochmals berührt werden!42. Mit dem Inhalt dieses Abschnitts soll nicht impliziert werden, daß es je möglich sein wird, in der Gegenwart etwas zu schaffen, was nicht in der Zukunft unzulänglich wäre. Wir haben diese Problematik bereits berührt. Es gibt jedoch nur Fortschreiten, wenn wir verstehen, in welchen Fakten bisherige Fehler liegen. 140 141 142

Zum Problem der Konkordanz zwischen Klassifikationen siehe auch M. Perreault: On concordance between classifications. 1968 (384) und R.S. Angell: Compatibility in subject access. 1968 (12). Siehe hierzu besonders Wellisch's Kritik an der Verwaltung der UDC in (553) Diese Fakten sind aus der Übersicht in Taf. 17 ablesbar.

187

3.6.1

Mangelnde theoretische Fundierung

Beginnen wir wieder mit Dewey. Man kann ihm eigentlich nicht vorwerfen, daß er seine Decimal Classification "ohne Theorie" aufgebaut habe; denn es ging ihm gar nicht darum, ein logisch einwandfreies System vorzulegen. Er schreibt selbst dazu: "The impossibility of making a satisfactory classification of all knowledge as preserved in books, has been appreciated from the first, and theoretic harmony and exactness have been repeatedly sacrificed to practical requirements" (109, S. 71) Die "Unsauberkeiten" in den begrifflichen Beziehungen waren ihm daher wohi bewußt; es ging ihm jedoch ausschließlich darum, ein einfaches, verständliches, leicht handhabbares System anzubieten. Er war ein geradezu fanatischer Pragmatiker, dem es nichts ausmachte, das Odium, ein Sonderling zu sein, zu ertragen, wenn er nur das in seinem Bereich Mögliche zur allgemeinen Rationalisierung beitragen konnte. Diese Einstellung wird auch in seiner selbst reformierten Orthographie erkennbar, die wir in den folgenden Zitaten um ihrer Kuriosität willen beibehalten. Gegenüber der häufig geäußerten Kritik am Dezimalismus der DDC ("Prokrustesbett der Dezimale") verteidigt er sich wie folgt: "Decimalism. Utility has not been sacrificed in order to force subjects on the "decimal procrustean bed". Decimals hav been uzed as servants, not as masters. When subjects ar combined or separated into just 10 heds, it has been from no necesity of the skeme, but becauz it seemd most useful, all things considered. . The skeme gjvs us for each topic, as it wer, a case of 9 pijeonholes, with a larj space at the top; and we uze them as every practical business man uzes such pijeonholes about his desk. . . If he insisted on having a different case made to order for each use, it wud cost over twice as much; he cud not group them together or interchanje them and they wud not fit offis shelvs. .." (109, S. 76-77) Als Vereinfachungseffekt seiner Klassifikation preist er auch die Möglichkeit der Verwendung von Standard-Unterteilungen und die mnemotechnischen Hilfen im System, deren Zweck er folgendermaßen erläutert: "Heds hav sumtimes been arranjed to secure nemonic aid in numbering and finding books without the Index; thus China has always number 1. In ancient history it has the 1st section, 931, in modern history, under Asia, it has 951.. . This feature is an aid, not regular method and in all doutful cases one refers at once to Index or Tables. Sugjested difficulties ar uzualy creations of injenius theorists and not outgrowth of practical experience. . ." (109, S. 74) Dewey s Theorie war eben sein Pragmatismus: Klassifikation um der Verfügbarkeit in Sortierfächern willen. Eine durchaus akzeptable Ordnungsvorstellung für Postämter und Büroregister, aber für die Wissenschaft brauchbar? Für seine Zeit mag Dewey recht behalten, der geradezu beispiellose Erfolg seiner Klassifikation, die 188

in wenigen Jahrzehnten von 95% aller amerikanischen Bibliotheken und sehr vieler des englisch-sprachigen Auslands übernommen wurde, beweist dies nur zu deutlich. Aber ähnlich pragmatisch war auch die Einstellung der Autoren der LCC, BC und CC, wenn sich dies auch jeweils in anderer Form realisierte. Selbst Ranganathan stellt die Arbeit der "classificationists" in einen Gegensatz zur Arbeit der "Philosophen", bei ihm zählt nur, was in Dokumenten bereits thematisiert vorliegt, nicht die tatsächliche Existenz von Objekten oder Fakten, obwohl man dies vielleicht entgegen seiner Aussage bei seiner Systematik der Pflanzen und Tiere bezweifeln möchte. Trotzdem läßt sich feststellen, daß seit der Jahrhundertwende sich langsam das entwickelt, was man heute unter "Klassifikationstheorie" versteht: Theorie und Darstellung der Relationen zwischen Begriffen, wobei allerdings auch erst heute damit begonnen wird, dies in Abhängigkeit von Begriffsarten zu sehen. Zunächst richtete sich die Kritik jedoch nicht gegen die mangelnde Eindeutigkeit der begrifflichen Beziehungen, sondern entzündete sich an der Abfolge und am Inhalt der Begriffe. So findet man z.B. bei Bliss (48, S. 205-220) unter den Kapiteln "Important sciences mangled. Disproportion and resulting deficiencies. Notation exceeding economic limit. Minor sins of omission and commission. Confusion confounded" eine große Anzahl von Beispielen für Fehldarstellungen der Einordnung und Hierarchie, falsche Proportionen, Auslassungen etc. Seine Kritik hat in manchen Fällen zu Revisionen geführt, so daß eine detaillierte Zitierung hier nicht mehr zutreffen würde. Ähnliche, aber zeitlich viel spätere Kritik äußerte auch Berwick Sayers (39, S. 155) an - "faulty sequence of classes, z.B. 650 - separation of subject fields (language and literature, sociology and history) — failure to bring geography and history together - scattering of parts of subjects (geography) — general bias toward need of Western civilization" aber auch er sieht noch nicht, daß man in einem System, das den Anspruch erhebt, ein hierarchisches zu sein, darauf achten muß, daß die hierarchischen Relationen "stimmen". Mit Ranganathan's Prolegomena ist dann der erste Schritt in Richtung auf eine strukturalistische Klassifikationstheorie und/oder -Wissenschaft begangen worden. Mit seiner Facettenanalyse hat er vor allem den Blick geöffnet für die Möglichkeit a) der analytischen Behandlung der sachlichen und formalen Inhalte eines Themas (subject) b) der unendlich mannigfaltigen Synthetisierbarkeit der klassifizierten Einzelbegriffe zu Themen, entsprechend den inhaltlichen Aussagen eines Dokumentes. Aus einer Fülle von Beobachtungen am konkreten Titelmaterial und den Inhalten der zu ihnen gehörigen Dokumente hat er darüber hinaus Gesetzlichkeiten im Aufbau von Aussagen bezogen auf die jeweils in Sachgebieten charakteristischen Sät189

ze erfaßt und diese in seinen Facettenformeln formalisiert, eine im allgemeinen auch heute noch relativ unbekannte Maßnahme. Seine Canons und Postulates verdienten darum nicht nur größere Beachtung sondern auch eingehende Überprüfung. Sein System ist bereits polyhierarchisch aufgebaut, da er nicht nur "Common Isolates" sondern auch "Special Isolates" verwendet, die nicht durch direkte hierarchische Anknüpfung an die Begriffe eines Sachgebietes systematisiert sind. Dennoch ist auch er noch nicht genügend konsequent in der Ausgliederung von Common Isolates und der "kategoriereinen" Darstellung seiner Facetten. Die größten Schwierigkeiten bereiten daneben die Facettenformeln, die nicht bewußt aufsprachwissenschaftlichen Grundlagen aufbauen, also die durch das jeweilige Verb bedingten Aussageergänzungen berücksichtigen, sondern mehr oder weniger aus der Beobachtung am klassierten Material und intuitiv gewonnen wurden. Die mangelnde theoretische Fundierung der vorliegenden Universalklassifikationen muß zwar als eine Ursache für ihre vielen Unzulänglichkeiten angesehen werden, es kann aber damit keine Kritik an den Verfassern der Systeme zum Ausdruck kommen, da eine entsprechende Theorie ja erst heute mit und an den Systemen gewonnen werden konnte und noch nicht einmal vollständig abgeschlossen ist. Man könnte allenfalls kritisieren, daß an relativ "theorielosen Systemen", wie DDC, UDC und LCC weiter "herumrevidiert" wird, ohne sie grundsätzlich zu verändern. 3.6.2

Unzulänglichkeiten in Inhalt und Form bestehender Universalklassifikationen

Die Überschrift dieses Abschnitts bedarf insofern einer Ergänzung, als deutlich werden muß, in welcher Beziehung Unzulänglichkeiten festgestellt werden können. Hierzu können allgemein folgende Zwecke genannt werden: a) zur Darstellung des Wissens in seinen Zusammenhängen b) zur allgemeinen Ordnung von Begriffen in Einrichtungen, Katalogen und Dokumenten c) zur Relationierung von neuem Wissen mit bereits vorhandenem, Ausdrücken neuer Wissenselemente mit Hilfe von bereits bestimmten Begriffen Es würde allerdings zu weit führen, wenn wir nun versuchen wollten, jedes der sechs Klassifikationssysteme unter diesen Aspekten zu analysieren. Aus den Darstellungen und Diskussionen dürfte auch bereits zu Genüge ersichtlich geworden sein, worin Unzulänglichkeiten, Mängel und Fehler gesehen werden können. Wir wollen daher hier lediglich listenmäßig zusammenfassen: (1) Inhaltliche Mängel — Veraltete Hierarchien; im wesentlichen Disziplinen als Bereichsklassen — Prioritäten hinsichtlich Kulturkreis, nationale Interessen, bibliothekseigene Interessen, Ideologie - Präkombinationen in Hierarchie und Unterklassen mit Elementen aus allgemeinen Kategorien 190

— Verwendung ungenauer oder falscher Hierarchierelationen - Kategorien unklar definiert, z.B. Personality-Facette in CC — ungenügendes Vorhandensein von Relationsbegriffen zur syntagmatischen Fixierung von Aussagen — Vorhandensein zahlreicher Doppelstellen - häufiges Vorhandensein von allgemeinen Begriffskonjunkten (2) Mängel in der Form - Stmkturierung meist nicht einsichtig oder nicht vorhanden (LCC); keine "predictability" durch Systematifikator — unausgeglichene Verteilung der Bereichsklassen (führt in den "überlasteten" Bereichsklassen zu ungewöhnlich langen Klassen-Notationen) — Schematismus von Haupt- und Hilfsklassen - Verwendung des englischen Alphabets in mnemotechnischen Notationen - Verwendung kyrillischer Buchstaben in der Notation führt zu "unrichtigen" alphabetischen Ordnungen - inadäquates Regelwerk (UDC); zuviel an eigenwilligen Regeln und Postulaten (CC) Diese Auflistungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Summarisch soll aber nochmals gesagt sein, daß der größte inhaltlich-formale Mangel der bestehenden Klassifikationen darin gesehen werden muß, daß sie nicht die Klassen (Einfachbegriffe) in einsichtig kategorisierter Weise enthalten, die benötigt werden, um jedwede Aussagen mit ihrer Hilfe formulieren zu können. Dies ist natürlich daraus zu erklären, daß bei Bibliotheksklassifikationen im allgemeinen Themenklassen benötigt werden, um Bücher gleichen thematischen Inhalts zusammenzuhalten. Aber den heutigen Bedürfnissen genügen diese Zusammenfassungen nicht mehr. E. Wüster hat daher diese Art Klassifikationen als "Thema-Klassifikationen" bezeichnet!^ unc j \^ & Umwandlung in "Begriffsklassifikationen" gefordert. 3.6.3

Folgen aus den Unzulänglichkeiten bestehender Universalklassifikationen

Aus den o.g. Nachteilen hat sich allgemein ein starkes Mißtrauen gegenüber Universalklassifikationen und der Klassifikationsmethodik überhaupt geltend gemacht. Aufgrund des Mißbrauchs der dezimalen Notationen zur Darstellung von Hierarchiebeziehungen, ohne daß diese realiter gegeben waren, sowie der Einsicht in die prinzipielle Unmöglichkeit, durch monohierarchische Leitern Begriffsmerkmale so auf die Klassen zu verteilen, daß sich brauchbare Merkmalskombinationen auf den verschiedenen Stufen der Leitern ergeben l44} jst5 besonders in den USA, eine regelrechte Abneigung gegen alles, was mit Klassifikation auch verhallter verbun143 144

Siehe E. Wüster: Begriffs- und Themaklassifikationen. Unterschiede in ihrem Wesen und in ihrer Anwendung (576) Wir verwiesen bereits auf die Berechnungen von A.I. Michajlov et al in (335, Bd. II, S. 299). Diese gehen zurück auf Perry/Kent (386, S. 4-13) und J.R. Sharp in (464, S. 70-72) 191

den war, entstanden. Hinzu kam, daß aufgrund der zentralen Katalogisierung und Klassierung sowohl nach LCC als auch DDC und ihre Publikation auf den LC Catalog Cards, die in vielen US-Bibliotheken übernommen werden, Bibliothekare selbst kaum noch zum Klassieren kamen und diese "Kunst" nicht mehr beherrschten. Klassieren wurde daher abgewertet und bald nur noch angesehen als eine Technik, eine gute Klassifikationsnotation (class number) zu finden, um sie auf den Rücken eines Buches aufbringen zu können. Wäre nicht die UDC und die durch Ranganathan's CC in England propagierte und weiterentwickelte Facettenklassifikation, so wäre vielleicht auch das Wort Klassifikation bereits aus dem westeuropäischen informationswissenschaftlichen Sprachschatz verschwunden. Außerdem begegnet man hin und wieder der Auffassung, Klassifikation sei identisch mit Hierarchisierung von Begriffen 145; die Möglichkeit der Facettierung, also der Klassenbildung durch Formmerkmale wird demnach nicht als Klassifikation aufgefaßt. Für Ranganathan gibt es nur "Main Classes" und wenn er auch von "class-term" und "class-number" spricht, so sind doch die Elemente seiner "subjects" keine Begriffe, die Klassen bilden können, sondern lediglich "Isolate". Seitdem man mit Deskriptorenverzeichnissen und Thesauri arbeitet, die im allgemeinen die benötigten kombinierbaren Einzelbegriffe enthalten, die jedoch nicht als Klassen angesehen werden, hat sich mehr und mehr ein Trend entwickelt, von Informations- und Dokumentationssprachen zu sprechen, wenn man damit auch die gleichen Inhalte meint, die in einem Klassifikationssystem anzutreffen wären!46. Eine Reihe weiterer Faktoren spielt jedoch bei der Ablehnung des Klassifikationsbegriffs und seiner Bezeichnung ebenfalls eine Rolle. Man weiß allgemein um die polyhierarchische Struktur der begrifflichen Wirklichkeit und kann sich nicht vorstellen, wie diese in einem Klassifikationssystem dargestellt werden kann. Hinzu kommt eine allgemeine Furcht vor dogmatischer Errichtung von Strukturen, die zu semantischen Erstarrungen fuhren könnten. Man weiß aus der Erfahrung beim Aufbau von Thesauri, wie rasch Oberbegriffe neu entstehen können und wie schnell sich zwischen existierende Begriffszusammenhänge weitere dazwischen drängen können. Man vergißt aber dabei, daß dies eine Folge der Tatsache ist, daß die Systeme (Thesauri) nicht deduktiv sondern induktiv aufgebaut wurden. Auch besteht allgemein noch eine verbreitete Unsicherheit über die in Klassifikationssystemen möglichen Begriffsbeziehungen; die Facettenanalyse ist außerhalb Indiens und Englands fast so gut wie unbekannt und mit expliziten Relationsangaben beginnt man sich gerade erst zu befassen. Es muß aus alledem gefolgert werden, daß man derzeit aufgrund der Unzulänglichkeiten bestehender Klassifikationen und der daraus resultierenden Abneigung 145 146

192

So Kutzelniggin(293) Wir wiesen bereits darauf hin, daß in einer kürzlichen Arbeit (561) Klassifikationssysteme begrifflich sogar den Dokumentationssprachen subsumiert werden.

gegen alles, was 'Klassifikation' heißt, für die Bibliotheken zu immer inadäquateren und kostspieligeren Klassifikationen gelangt, da dauernde Verbesserung der alten Systeme in den Magazinen und Katalogen mitvollzogen werden müssen, will man ein System überhaupt weiterhin benutzen; ganz abgesehen von der unsagbaren Schwierigkeit, solche Systeme zu revidieren. Auf der Seite der Dokumentation wird dagegen eine Fülle von Ersatzklassifikationen geschaffen, wie die Thesauril47} deren "Inhalte" sich gegenseitig überlappen, aber doch nicht mit den gleichen Begriffsbeziehungen und Deskriptoren "arbeiten" und so keinesfalls als Hilfsmittel angesehen werden können, mit denen ein kooperatives Literaturaufschließen und Informieren möglich ist. Diese Entwicklung muß jedoch in höchstem Maße als ungesund bezeichnet werden. Es scheint daher an der Zeit, daß man sich darüber klar werden sollte, wie ein Klassifikationssystem aussehen muß, das den in Kap. 2 aufgezeigten Verwendungsgebieten gerecht werden kann und das die in Kap. 3 erkennbaren Anforderungen an Inhalt und Struktur erfüllt.

3.7

Aufbaupostulate für ein universales Klassifikationssystem

3.7.0

Vorbemerkung

In diesem Abschnitt wird es zunächst nur darum gehen, einige Eigenschaften aufzuzeigen, die ein universales Klassifikationssystem haben müßte. Im einzelnen wird über Inhalt und Struktur dieses möglichen Systems in Kap. 6 gehandelt werden. Folgende Eigenschaften erschienen uns dabei wesentlich: Sachadäquatheit, Formadäquatheit, Universalität in verschiedenen Bezügen, Flexibilität, Kompatibilität und schließlich Computerisierbarkeit.

3.7.1

Sachadäquatheit

Als wesentlichste Forderung an ein universales Klassifikationssystem muß die nach sachadäquater Darstellung der Wissenselemente und Begriffe gelten. Es ist damit gemeint, daß die begriffliche Fixierung aller Gegenstände, über die Aussagen gemacht werden können, durch Sach- und Formbegriffe so objektiv erfolgen muß (d.h. aber auch so umfassend), daß für alle Anwendungsbereiche ihre Ver147

Die hierin involvierten Kosten nehmen ebenfalls beachtliche Ausmaße an, wenn man bedenkt, daß die Erarbeitung eines Thesaurus mehrere Jahre in Anspruch nimmt, Wissenschaftler benötigt, Informationswissenschaftler, Übersetzer, etc. und daß dies für viele Fach- und Funktionsgebiete unternommen wird. In der DDR werden gegenwärtig weit über 100 Thesauri erstellt. Siehe hierzu auch Bericht von H.-D. Rosenbaum (426).

193

wendbarkeit in Aussagenformulierungen möglich und gesichert ist. Es ergibt sich somit folgender Ablauf: Gegenstand l Eigenschaft i.w.S. j

> | Sachverhalt;

begrifflich gefaßte Sachaussage

Das Postulat bedingt somit die getrennte Darstellung von Sachbegriffen, die sich auf Satzgegenstände beziehen können und Sachbegriffen, die Satzaussagen und ihre Ergänzungen ausmachen werden. Es bedingt vor allem aber auch die Trennung von Aspektbezügen von allen den Begriffen, die aus der Sicht mehrerer Aspekte betrachtet werden können. Aspekte sind als Prädikationen aufzufassen, die sich auf alle nicht-ontologischen Aussagen über einen Gegenstand beziehen, (z.B. können Tiere an sich betrachtet werden (Zoologie) oder unter dem Aspekt des Nutzertrages für den Menschen (Landwirtschaft)). Aspektgebundene Sachbegriffe sollten dagegen in den jeweiligen Aspektgebieten nach ihren Formkategorien zusammengefaßt werden. 3.7.2

Formadäquatheit

Die Forderung der Formadäquatheit impliziert die Verwendung des sog. Systematifikators, also eines explizit gemachten Prinzipiengesamts zur Bestimmung der Systemstellen der Elemente eines Klassifikationssystems. Nur unter Verwendung von Systemprinzipien, die zu einem Elementstellenplan führen, kann die gewünschte und benötigte "predictability" von Sach- und Formbegriffen (Prädikationsbegriffen) erreicht werden; d.h., durch die explizit gemachte Struktur eines Systems ist vorauszusehen, an welchen Stellen welche Kategorien von Begriffen "angetroffen" werden können; Je umfangreicher ein System ist, umso komplexer kann der Systematifikator werden. Diese Komplexität könnte einem weiteren Postulat für ein universales Klassifikationssystem, der adäquaten Verwendbarkeit in möglichst vielen Bereichen u.U. widersprechen, wenn nicht dafür gesorgt wird, daß der Elementstellenplan selbst auf einheitlichen Strukturprinzipien beruht. Man wird daher zunächst die auf die Menge der Systemelemente bezogenen Strukturprinzipien entwickeln müssen, bevor im einzelnen das Begriffssystem entwickelt werden kann. Eine solche "Vorstrukturierung" der auf das ganze System bezogenen Strukturelemente kann jedoch letztlich nur die Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit des Gesamtsystems fördern, sie verhilft dann auch zu einer adäquaten Darstellung der Systemstellen in Form einer formadäquaten Begriffsnotation. 3.7.3

Universalität

In Abschn. 1.3.6 war bereits auf die 5 Implikationen dieses Postulats hingewiesen worden. Hier soll nun im einzelnen auf sie eingegangen werden. 194

a) Betrachtung von universalem Standpunkt Wenn ein Klassifikationssystem postuliert wird, das das Wissen von einem universalen Standpunkt aus betrachtet, so wird damit das Wissensgesamt nicht als eine Addition von einzelnen Subsystemen gesehen, die in sich autonom wären, sondern als ein Ganzes, das die Belange aller Spezialsysteme und derer eines Universalsystems in sich vereinigt. Im einzelnen heißt dies, daß z.B. alle in mehreren Gebieten verwendbaren Sachbegriffe nur jeweils an einer Stelle des Systems und damit universal "zugänglich" in eigenen Hierarchien angeordnet werden sollten, um sie nicht durch die "Aspektbindungen" spezieller Sachgebiete im voraus begrifflich festzulegen (ähnlich dem Postulat der Sachadäquatheit). Auch alle sonstigen, universal anwendbaren Begriffe, wie die von allgemeinen Vorgängen und Verfahren, theoretische Betrachtungen, quantitative oder qualitative Beurteilungen, allgemeinen Eigenschaften, etc. dürfen nicht an Spezialgebiete gebunden werden. Spezialgebiete sollten lediglich solche Begriffe enthalten, die nur in ihren speziellen Bereichen relevant sind. b) Bezug auf alle Wissensgebiete Dies Postulat impliziert, daß alle Wissensgebiete in einem universalen System erfaßt werden können. Es ist dies aber nicht nur theoretisch sondern auch dann insofern praktisch möglich, als die Begriffe, durch die ein Gebiet bezeichnet werden kann, meist schon im System enthalten sind, selbst wenn das Gebiet noch nicht existiert; denn wir haben ja in 3.5. l a) gesehen, wie sich Gebietsbegriffe aus einem Sachbegriff und einem Oberbegriff für eine Anzahl von Tätigkeitsbegriffen zusammensetzen lassen. So, wie also bei Entstehen und Konsolidieren eines Wissensgebietes (siehe hierzu auch Kap. 4) aufgrund vorhandener Elemente im System ein Gebietsbegriff gebildet werden kann, dessen Elementstelle der Systematifikator bestimmt, muß jedoch auch beim Verschwinden eines Gebiets seine Streichung im System vorgenommen werden. Ein Problem bilden jedoch noch die Gebiete, die nur dem Namen nach bestehen, da sie einmal als solche bezeichnet wurden und die begrifflich durchaus fixiert werden könnten, jedoch insofern keine Wirklichkeit repräsentieren, als ihnen keine Tätigkeiten zugeordnet werden können. Sie müssen als "Scheingebiete" aufgefaßt werden. Es sollte für sie, wie auch für alle übrigen Gebiete, die keinen "eigenen" Begriffsschatz besitzen, eine Kennzeichnung geben, die ihren "unlebendigen" Charakter offenkundig macht. c) Verwendung durch alle Menschen Es wird häufig argumentiert und aufgrund der Arbeiten von Humboldt, Sapir und K#zor/148 belegt, daß Menschen verschiedener Länder ihren Anschauungen entsprechend differierende Begriffssysteme haben müßten; das oft zitierte Beispiel ist die vielfache Bezeichnung von Schnee bei den Eskimos und der fehlende Oberbegriff "Schnee", Aus diesen Gründen halten es viele für ausgeschlossen, daß für 148

Dieses Problem wurde unter anderem Aspekt auch schon in Absch. 3.2.3 diskutiert

195

alle Wissenselemente ein universales Begriffssystem aufgebaut werden könnte, das gleichermaßen allen Menschen genügen und allen gleich einsichtig wäre. Hier soll nun nicht mehr argumentiert werden!49; in der Formulierung unseres Postulates glauben wir jedoch davon ausgehen zu können, daß - das begriffliche Denken seit frühesten Zeiten dem Menschen eigen war und daß es, wie vieles andere, eine geschichtliche Weiterentwicklung erfahren hat, — die Menschen verschiedener Länder, besonders in Entwicklungsländern sich auf unterschiedlichen Ebenen der diachronischen Entwicklung begrifflichen Denkens befinden, — Begriffsbildungen, die in einem Kulturbereich entstehen, in anderen verstanden und akzeptiert werden können. Die Zusammenfassung des Begriffsschatzes der Kulturvölker ist daher nicht nur ein Hilfsmittel zu ihrer eigenen gegenseitigen Verständigung, sondern könnte auch das unterschiedliche Wissensniveau bei den Völkern aller Länder auf eine Ebene heben helfen. Es muß allerdings versucht werden, das benötigte Begriffssystem nicht von der Sprache her, sondern von den Begriffen der sachlichen Gegebenheiten her aufzubauen. Nur dann kann erwartet werden, daß aufgrund der jedem menschlichen Denken möglichen Einsicht in die logischen Strukturen eines solchen Systems die begrifflichen Inhalte zugänglich werden. d) Verwendbar in allen Anwendungsgebieten Es sollte aufgrund der Darstellungen in Kap. 2 erkennbar geworden sein, daß in vielen Anwendungsbereichen die gleichen Inhalte an Wissenselementen benötigt werden, die gleichen Gebietsbegriffe vorkommen, wenn auch manchmal in unterschiedlichem Umfang. Es kann daher postuliert werden, daß ein universales Klassifikationssystem in allen Anwendungsgebieten nützlich und verwendbar sein kann, selbst wenn nur Teilbereiche daraus benötigt werden. e) Universale Anerkennung Schließlich ist auch noch der Gesichtspunkt der Normklassifikation, der allgemeinen Anerkennung eines universalem Klassifikationssystems als Möglichkeit im Postulat der Universalität enthalten. Diese, seit Ende des letzten Jahrhunderts durch die Entwicklung der UDC immer wieder diskutierte Möglichkeit, ein Klassifikationssystem für die Darstellung des gesamten Wissens zu haben, wird gerade aufgrund der negativen Erfahrung mit der UDC und freilich auch anderer Klassifikationen heute im allgemeinen von den meisten für unmöglich gehalten. Andererseits wird jedoch auf allen Gebieten "genormt", um zu vereinfachen, zu rationalisieren. Es ist allgemein bekannt, daß eine bestehende Norm von Zeit zu Zeit dem neueren Wissensstand angeglichen werden muß. Wäre sie aber zwischenzeitlich völlig wertlos, würde wohl keiner der zahlreichen Mitarbeiter nationaler und internationaler Normenorganisationen auch nur den geringsten Beitrag leisten. 149 196

Siehe hierzu Absch. 3.2.3

Es muß daher postuliert werden, daß ein universales Klassifikationssystem als Normklassifikation intendiert und entwickelt werden sollte, um durch seine Klassen und Strukturen eben die Wirkungen auf die Organisation der geistigen Arbeit und ihrer Produkte ausüben zu können, die z.B. jede normierte Abmessung einer technischen Größe auf die Produktion entsprechender materieller Güter hat. 3.7.4

Flexibilität

Im Hinblick auf die ständige Weiterentwicklung menschlicher Erkenntnisse, die sich in Neubildungen und neuen Assoziationen von Begriffen täglich manifestiert, sollen unter dem Postulat der Flexibilität folgende Charakteristika verstanden werden: a) das System sollte möglichst nur Einzelbegriffe enthalten, damit diese nach allen nur vorkommenden Aspekten und Kombinationsmöglichkeiten verbunden werden und zu variierenden Aussagen kombiniert werden können, b) das System sollte ein offenes System sein, d.h., aufnahmefähig für neue Gesichtspunkte und ausdehnungsfähig im Aufbau neuer Gebiete, c) das System sollte die einfache Umstrukturierung von Teilen seiner Untergliederungen für spezielle Anwendungsfälle ermöglichen. Es steht der Flexibilität eines Systems nicht entgegen, wenn aufgrund von häufig vorkommenden zusammengesetzten Begriffen präkombinierte Benennungen fixiert und zur Verwendung mit dem System angeboten werden. Es muß natürlich auf diese Präkombination an allen Stellen, zumindest an 2 Stellen (der Komponenten der Benennung) hingewiesen werden, damit sie im Bedarfsfalle berücksichtigt werden kann. Die einzelnen Komponenten sollten dann nur noch in anderen Zusammenhängen verwendet werden. Es ist häufig günstiger, Begriffspräkombinationen notationell ein für allemal festzulegen als ihre evt. Neufixierung jedermann zu überlassen und damit nicht nur unrationell sondern auch fehleranfällig zu verfahren. 3.7.5

Kompatibilität

Zwei Systeme heißen kompatibel, wenn eine eineindeutige Korrespondenz zwischen den Elementen des einen Systems zu Elementen des anderen Systems besteht oder wenn eine wechselseitige Zuordnung der Inhalte zwischen den Elementen des einen Systems und denen des anderen vorgenommen werden kannlSO. Als potentiell korrespondierend zu einem neuen universalen Klassifikationssystem können alle existierenden Universalklassifikationen und Spezialsysteme, auch die Thesauri angesehen werden; Kompatibilität liegt jedoch nur dann im Einzelfall vor, wenn die Inhalte ihrer Begriffe (die durch Ober- und Unterbegriffe nach In150

Man spricht hier auch von "Korrelation" oder "Konvertibilität" (siehe die entsprechende Arbeit von W. Hammond (214a)) und/oder "Konkordanzen" (siehe Abschn. 3.5.8) 197

tension und Extension festgelegt sind) miteinander eineindeutig korrespondieren können. Nach den bisherigen Erfahrungen dürfte eine solche Erwartung jedoch nur in sehr seltenen Fällen zutreffen, da die Aspektbindungen oder die sonstigen begrifflichen Präkombinationen derartige direkte Korrespondenzen unmöglich machen. Es muß deshalb darum gehen, die Begriffe eines neuen universalen Klassifikationssystems so aspektfrei und "kategorienrein" wie möglich zu erfassen und dennoch die Verwendung von Aspekten oder impliziten Kontexten, die durch ein Sachgebiet gegeben sind, nicht zu vernachlässigen, sondern sie explizit nennen zu können, so daß gegebenenfalls eine Konkordanz zu den Begriffen anderer Systeme "zusammengebaut" werden kann.

3.7.6

Computerisierbaikeit

Als letztes Aufbaupostulat sei die notwendige Computerisierbarkeit genannt, worunter die Möglichkeit verstanden wird, die Notationen der Sachbegriffe sowie die die Notationen verknüpfenden Zeichen in einer für den Computer günstig zu manipulierenden Weise zu fixieren. Können diese Voraussetzungen erfüllt werden, dann ist sowohl eine maschinelle Notationsvergabe ("maschinelle Klassifikation" — oder eigentlich maschinelle Klassierung) durch Einlesen der entsprechenden verbalen Formen, z.B. nach der Methode der biologischen Dokumentation^ l möglich, als auch eine entsprechende maschinelle Speicherung und maschinelle Recherche nach den verschiedensten Zusammenhängen. Es war bereits in Abschn. 3.3.1 auf die Bedeutung der ein Begriffssystem darstellenden Notation hingewiesen worden. Sie ist in der Tat so wesentlich, daß ihr im Rahmen der Aufbaupostulate eigentlich eine besondere Thematisierung hätte zukommen sollen. Im Zusammenhang mit der Computerisierbarkeit kann aber auch noch daraufhingewiesen werden, daß eine Verwendung von Zahlennotationen — und hier wäre vermutlich die Anwendung von dezimalen Zahlen wegen der Darstellbarkeit der Hierarchien noch von augenfälligerem Wert - die maschinelle Bearbeitung erheblich erleichtert. Die weite und schnelle Verbreitung der DDC und UDC wird von vielen im wesentlichen auch auf die Zahlennotation zurückgeführt. Dies sollte daher in diesem Zusammenhang ebenfalls bedacht werden.

151

198

In der Dokumentationsstelle für Biologie werden z.B. die Titel von Zeitschriftenaufsätzen auf Lochstreifen erfaßt und diese weiden dann nach Überspielung auf Magnetband im Computer gegen den gespeicherten Thesaurus verglichen. Für jedes bereits im System vorhandene Wort kann die entsprechende Klassierung über den Computer erfolgen. Siehe hierzu auch M. Scheele in (443) und G. Natalis (351).

4.

WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE GRUNDLAGEN EINES UNIVERSALEN KLASSIFIKATIONSSYSTEMS

4.0

Vorbemerkungen zum Kapitelinhalt

Während es bei den in Kap. 3 behandelten ontologischen Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems um das "was" des zu Ordnenden in seinen vielfältigen Zusammenhängen ging, wobei die Begriffsrepräsentanz des Realen und seiner Prädikationen den Schwerpunkt des Interesses bildete, wollen wir nun mit Hilfe des wissenschaftstheoretischen Aspekts uns dem Problem der Konstituierung und Konstituierbarkeit dessen zuwenden, was als "Wißbares" — nachylrzstoteles 'Intelligibles' - anzusehen ist und sich in entsprechenden Kontexten ordnet. Es erhebt sich dabei die Frage, ob für die Existenz eines Wißbaren immer schon das Vorhandensein von Wissenschaften vorausgesetzt werden muß, oder ob auch dann ein wissenschaftstheoretischerl Bezug erkannt werden kann, wenn ein Objekt Gegenstand eines Wissensgebietes ist, dessen Wissenschaftlichkeit vielleicht noch nicht durch Kriterien, wie "wissenschaftliche Lehre (doctrina) und Lerne (disciplina)" "System allgemeiner Erkenntnisse" "System von Sätzen" "anthropologische Aufgabe der Umweltbewältigung" "Produktions- und Betriebssystem von Sciento-Informemen"2 begründet worden ist. Da man davon ausgehen kann, daß das zu Wissende dem geschichtlichen Prozeß der Fortentwicklung unterworfen ist und darum aus wenigen wißbaren Elementen3 im Laufe dieser Entwicklung Lehrgebäude und übergreifende Wissenssysteme entstehen konnten — ohne daß damit impliziert wird, daß der letzte Stand immer auch die vollständige, letzte Entwicklung darstellt — erscheint eine Festlegung des postulierten universalen Klassifikationssystems auf bereits etablierte und den Kriterien genügenden Wissenschaften4 keine ausrei1 'Wissenschaftstheorie' wird hier "im weitesten Sinne" verstanden "zur Bezeichnung von Untersuchungen, die sich unter systematischem Aspekt mit den Wissenschaften befassen" (siehe F. v. Kutschera (292), Bd. I, S. 11) 2 Nach A. Diemer: Wissenschaft als aktuelles Problem (132) 3 Aristoteles fand schon (Organon I, 7 b): "der Gegenstand der Wissenschaft, das Wißbare oder Intelligible, dürfte früher sein, als die Wissenschaft. Denn gewöhnlich sind die Dinge schon da, bevor man die Wissenschaften von ihnen gewinnt". In Rolf es (15, S. 60) 4 Siehe hierzu auch Diemers Zusammenfassung über den Übergang von der klassischen zur modernen Wissenschaftskonzeption: "Die klassische Konzeption versteht Wissenschaft als ein kategorisch-deduktives System absoluter Wahrheiten bzw. Erkenntnisse, die moderne als hypothetisch-deduktives System konditioneller Sätze, die ein bestimmtes, als Wissenschaftskriterium fungierendes "Sinnkriterium" erfüllen müssen, um als wissenschaftlich sinnvolle Sätze anerkannt zu werden." (127, S. 5)

199

chende Basis fur ein dynamisches, auch die Weiterentwicklung der Bereiche und Gebiete berücksichtigendes System zu sein^. In die wissenschaftstheoretische Betrachtung sollten daher nicht nur Wissenschaften und in Ansätzen bestehende Wissensgebiete einbezogen werden sondern auch alle potentiellen Wissensgebiete, die heute vielleicht nurmehr als "Kerne" von zukünftigen Wissensgebieten bestehen; also evtl. Objekte, wie sie in eigenen Objektordnungen enthalten sind. Es müssen aber auch Tätigkeitsbereiche, wie z.B. Versorgung, Verwaltung, Organisation udgl., die noch keine theoretische Durchdringung erfahren haben, mit einbeschlossen werden. Sie können als stärker praxisorientierte Gebiete erachtet werden^. Schließlich sollten aber auch alle wissenschaftskonstituierenden Faktoren berücksichtigt werden, da ihre Kenntnis und Formalisierbarkeit für die Weiterentwicklung des benötigten Systems wesentlich sind. Dies ist auch insofern von Belang, als Wissensgebiete auf das Gesamtsystem bezogen auch als Organisationselemente angesehen werden können. Das Kapitel befaßt sich daher zunächst mit der Entwicklung einer Theorie der Wissensgebiete (4.1), stellt die Kriterien für die Ermittlung von Gebieten dar (4.2). zeigt aufgrund von Beobachtungen, welche Erfahrungstatsachen hinsichtlich der Bildung von Wissensgebieten vorliegen (4.3) und versucht abschließend, Ordnungskriterien a) für die Gesamtordnung aller Wissensgebiete, b) für besondere Arten von Wissensgebieten (formal und material) und c) für die Gesamtordnung der Objekte allgemeiner Art zu finden (4.4).

4.1 4.1.1

Entwicklung einer Theorie der Wissensgebiete Ausgangsüberiegungen

In der Beschreibung der verschiedenen Verwendungsbereiche von Klassifikationssystemen (Kap. 2) haben wir gesehen, wie sich im Verlauf der historischen Entwicklung aus den verschiedensten Ansätzen Wissensgebiete und Wissenschaften Auch Scheele (443, S. 17) hält es für notwendig, zwischen primären Gegebenheiten und "den als sekundär anzusehenden Disziplinen" zu unterscheiden. Unter den ersteren versteht er z.B. alle natürlichen Objekte, wie Mineralien, Gewässer, etc. und fordert, daß man sie terminologisch und klassifikatorisch von den Benennungen von Disziplinen trennt. Zum Anteil des Praxisbezugs siehe H. Schipperges: Zum Wissenschaftsbegriff im arabischen Mittelalter (450, S. 27): "Die arabischen Scholastiker waren nämlich offensichtlich der Meinung, daß es sich beim Wissenschaftsbegriff nicht um ein abstraktes Phänomen handeln könne sondern nur um die Polarität und Interdependenz ihrer praktischen und theoretischen Bezüge zu einem bewußt gewordenen und damit immer weiter sich bewußtwerdenden Lebens. Theorica wie Practica stehen daher in einem äußerst verwickelten Bezug zu jedem nur möglichen Geflecht von geselligem Leben, (der "asabiya", dem Solidaritätsgefühl bei Ibn Haldun etwa) wobei das Tun des Arztes - das geradezu definiert werden muß als der Eingriff, das wissende Wenden von Not - in exemplarischer Weise jede andere Existenzweise vertritt, die aus Wissen wenden, etwas machen, handeln, tätig sein, leben will."

200

entwickelt haben. Seitdem im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert eine Reflexion über dieses Phänomen einsetzte, kann man wohl vom Beginn einer neuen Wissenschaft sprechen, der von B. Bolzano erstmalig so benannten "Wissenschaftslehre " (1837)7. Ein Kapitel seines vierbändigen Werkes befaßt sich sogar mit der "Bestimmung der Gebiete der Wissenschaften"**. Eine wissenschaftstheoretische Begründung der Wissenschaftslehre hat schließlich Kurt Lewin (1927) versucht^. Inzwischen ist aus diesen und weiteren Ansätzen - erinnert sei nur an die Bemühungen der Wiener Schule und ihre Weiterentwicklung in England und den USA — ein etablierter Wissenschaftsbereich geworden, dem Diemer (in 132) die folgenden Disziplinen zuweist: Wissenschaftslehre i.e.S. Wissenschaftsphilosophie Wissenschaftstheorie Wissenschaftswissenschaft Wissenschaftspolitik

In unserem Zusammenhang spielen aus diesem Bereich jedoch nur die Teile der Wissenschaftstheorie eine Rolle, die auch schon mLewin's Wissenschaftslehre behandelt wurden, die sich also mit den Grundlagen und Voraussetzungen von Wissenschaften befassen. Darüber hinaus wird auch der bei Diemer angezeigte Aufbau von Einzelwissenschaften sowie eine Systematisierung dieser Einzelwissenschaften zu einem Gesamtsystem thematisiert. Lewin hatte festgestellt: "Grundlegend für die Wissenschaftslehre ist nun die Überzeugung, daß diese Wissenschaftsindividuen (als in dauernder Wandlung begriffene Lehrgebäude) nicht etwas chaotisch Unfaßbares sind, sondern Gegenstände, die, wenn nicht eine konstante, so doch irgendwie gesetzliche Eigennatur besitzen, welche ihre begriffliche Bestimmung ermöglicht." (S. 66) Die Erkenntnis von dem o.g. unterschiedlichen Entwicklungsstand von Wissenschaften finden wir bei ihm folgendermaßen beschrieben: "Innerhalb ein und derselben Kultursphäre pflegt es Wissenschaften von sehr verschiedenen Entwicklungsstadien zu geben. Andererseits können verschiedene Kultursphären Wissenschaften gleichen Entwicklungsstadiums enthalten ..." (S. 70) "Jede Feststellung der Eigenart einer Wissenschaft hat zu berücksichtigen, daß eine Vielfalt von Entwicklungsstadien zu umspannen ist." (S. 72) Fichte hatte zwar vor ihm bereits eine Wissenschaftslehre begründet, doch war dies seine Erkenntnistheorie, sein philosophisches System und hat mit der Wissenschaftslehre von Bolzano nur den Namen gemeinsam. B. Bolzano: Wissenschaftslehre. 4 Bd. (52), hier Bd. 4, 5. Teil, 2. Hauptstück. Er bestimmt hier (S. 6) Wissenschaftslehre als "Inbegriff aller derjenigen Regeln, nach denen wir bei einem Geschäfte der Abteilung des gesamten Gebietes der Wahrheit in einzelnen Wissenschaften und bei der Darstellung derselben in eigenen Lehrbüchern vorgehen müssen, wenn wir zweckmäßig vorgehen wollen." Siehe K. Lewin: Über Idee und Aufgabe der vergleichenden Wissenschaftslehre. - In: Symposium l (1927) S. 61-93 (238)

201

Bei einem universalen Klassifikationssystem, das das Gesamt alles zu Wissenden umfassen soll, darf man daher nicht von wissenschaftlichen Disziplinen ausgehen (wie dies bisher geschah), sondern man müßte 1. bedenken, daß neben den etablierten Wissenschaften Wissenselemente existieren, die keiner oder aber noch keiner speziellen wissenschaftlichen Betrachtung und Untersuchung ausgesetzt waren (dabei kann es sich nicht nur um Objekte sondern auch um neu erkannte Aufgaben handeln) und 2. die verschiedenen Entwicklungsstadien berücksichtigen, in denen sich ein Wissensgebiet befinden kann. Man könnte hier ein Bild sehen, das einer Landkarte 10 gleicht: die Städte sind die etablierten Wissenschaften, die Dörfer die zu Wissensgebieten heranwachsenden Einheiten und die einzelnen Weiler oder Gehöfte die Kerne zukünftiger Dörfer und Städte. Die alle Einheiten verbindenden Straßen könnten als die Beziehungen angesehen werden, die zwischen den einzelnen "Anhäufungen" von Wissenselementen bestehen. Ohne das Bild jedoch strapazieren zu wollen, wäre natürlich auch eine Parallelisierung zu den "Eingemeindungsprozessen" vorstellbar. Es kann allerdings noch keineswegs als gelöst betrachtet werden, wie Bezüge zwischen kleineren Sachgebieten und "alten und wohl etablierten" Wissenschaften herzustellen sind, welche Art Zusammenschlüsse vielleicht bei den aufgabenorientierten Gebieten bestehen, etc. Hier liegt noch ein reiches Arbeitsfeld für die Wissenschaftstheorie '^beackert"! l. 4.1.2

Wissenschaft als Gesamt von Aussagen

Definiert man Wissenschaft als "ein Gesamt von Aussagen, die in einem Begründungszusammenhang stehen und am Wahrheitspostulat orientiert sind, und die durch die Begründung zu 'wissenschaftlich sinnvollen' Aussagen werden"12 so können die Elemente, die zur Bildung von Sätzen herangezogen werden, als spezifische Elemente je einer Wissenschaft angesehen werden, sofern sie aus deren fachsprachlichen Bezeichnungen bestehen. Aber auch Wissensgebiete besitzen bereits solche Elemente, Begriffe; man kann daher sagen: Wissenschaften und Wissensgebiete sind durch den Besitz an spezifischen Begriffen charakterisiert. 10 , Das Bild von der Landkarte (oder bei ihm vielmehr Weltkarte) benutzte auch schon d'Alembert in der Einfuhrung zur "Encyclopedic. ..". Bei ihm kam es jedoch mehr auf den Standpunkt an, der den Ausschnitt dessen bestimmt, was man an Wissensgebieten überblicken kann. "Es ist dies eine Art Weltkarte, welche die wichtigsten Länder, ihre Lage und ihre wechselseitige Abhängigkeit sowie den direkten Weg zwischen ihnen aufweisen soll. Ein solcher Weg wird oft durch tausend Hindernisse unterbrochen, die in jedem Land nur den Bewohnern oder den Reisenden bekannt sein und nur auf sehr detaillierten Sonderkarten verzeichnet sein können. .." (Wir benutzten für dieses Zitat die Übersetzung in Samurin (432, Bd. I, S. 189). 11 Siehe hierzu auch Abschn. 4.1.5 12 Siehe A. Diemer in (132, S. 14)

202

Die Anzahl dieser Elemente, seien sie Einzelbegriffe, Kombinationsbegriffe oder Begriffskonjunkte und ihr variierender Beziehungszusammenhang sind Kriterien für die jeweilige Entwicklungsstufe eines Gebiets. Das Gesamt der Aussagen, das nun eine Wissenschaft ausmacht, muß keinesfalls Bestandteil des postulierten universalen Systems werden, auch nicht ihr größerer Teil in Form von sog. "Mikrosätzen"13, da diese ja - worauf wir im vorigen Kapitel häufig hinwiesen — die Begriffspräkombinationen, bzw. Begriffskonjunkte darstellen, die die universale Verfügbarkeit und Kombinierbarkeit der in ihnen enthaltenen Begriffe verhindern. Begriffskonjunkte, die nicht selbst bereits Wissensgebiete anzeigen, können allerdings zusätzlich zu ihren semantischen Bestandteilen aufgenommen werden, wenn sie direkt auf den das Wissensgebiet bezeichnenden "Mikrosatz" zurückgeführt werden können. Wir werden im nächsten Kapitel sehen, wie gerade aufgrund der Separierung von Wissenselementen Aussagen gebildet werden können, die sich auf ein oder mehrere Wissensgebiet(e) beziehen lassen 14. Andererseits sind freilich eine Fülle von wissenschaftlichen Aussagen implizit in einem Klassifikationssystem dort gegeben, wo beispielsweise Objekte aufgrund ihrer morphologischen Strukturen zu Hierarchien von Klassen fuhren und Unterordnungen entsprechende Sätze, z.B. von der Art: "der Wal gehört zur Klasse der Säugetiere" - oder als Urteil: "der Wal ist ein Säugetier" zur Folge haben. Es handelt sich hierbei um den Bestandteil eines Systems von impliziten Urteilssätzen, deren Subjekte jeweils die Unterbegriffe zu den in den Prädikaten zum Ausdruck kommenden Oberbegriffen darstellen. Wir bezeichneten solche Sätze (mit Bezug auf den Begriff des Satzgegenstandes) als "Wissenselemente"15. Weitere implizite Aussagen können bei allen Prozeßbegriffen bzw. Begriffskonjunkten vorkommen, die bestimmte Prädikatsergänzungen implizieren. Diese Aussagen bleiben jedoch solange im formalen Bereich als eine Prädikatsergänzung nicht explizit durch ein materiales Wissenselement eingesetzt wurde. Es impliziert z.B. das Begriffskonjunkt "Registerherstellung" die Verwendung eines Hilfsmittels. Wenn das Hilfsmittel explizit genannt wird, z.B. "Computer" kann eine Aussage Zustandekommen von der Art "Registerherstellung mittels Computer". Die Einsetzung der Aussage-Ergänzung kann aber auch als Möglichkeit im System angegeben sein, um gegebenenfalls realisiert werden zu können. Dies setzt natürlich voraus, daß die Verwendung dieses Hilfsmittels tatsächlich in der Wirklichkeit vorkommen kann. Es bedingt jedoch keinesfalls, daß das darin zum Ausdruck kommende Wissen bereits einmal in einem Dokument thematisiert worden wäre. Das System soll es ja gerade ermöglichen, mit seinen Wissenselementen Aussagen machen zu können, die "der Fall sein könnten" - um einmal Z,. Wittgensteins 13 Es wurde in Abschn. 3.5.1 a) gezeigt, daß die Begriffe von Wissensgebieten sich auf Passivkonstruktionen von Sätzen zurückführen lassen und im Grunde substantivierte Formen von Sätzen darstellen; diese wurden als Mikrosätze bezeichnet. 14 Siehe Abschn, 5.4.2 15 Siehe Abschn. 1.4.2

203

Terminologie zu benutzen. Haben wir z.B. einen Objektbereich, die "Dokumentenarten", so können zu diesem alle Eigenschaften begrifflich (separiert) fixiert werden, die Dokumenten zukommen können. Diese Eigenschaftsbegriffe werden aus der Erfahrung an einzelnen Dokumenten gewonnen, aber die Möglichkeit, daß sie auf viele oder alle Dokumente zutreffen können, muß nicht bedingen, daß sie nur auf die einzelnen bezogen werden, bei denen sie bereits festzustellen waren. Nur wenn wir klassifikatorisch einerseits alle Objekte eines Bereichs ordnen und andererseits alle Eigenschaften in ihren Klassen bestimmen, die Objekten variierend zukommen können, ist es möglich, in jedem gegebenen Fall entsprechende Kombinationen zwischen beiden durchzuführen und dabei Aussagen und Urteile zu bilden, die allerdings nur dann sinnvoll sind, wenn etwas "der Fall ist". Wir sehen also, daß Begriffswissen keinesfalls je schon thematisiert sein muß, sondern auch als potentielles Wissen in potentiell kombinierbaren Begriffen darzustellen ist. Der jeweilige Korrektheitsgrad oder Wahrheitsbezug ist freilich einerseits davon abhängig, wie "korrekt" die zu kombinierenden Elemente mit ihren Prädikationen tatsächlich der möglichen Wirklichkeit entsprechen und andererseits davon, wie "richtig" die so zustandegekommene Aussage auf einen gegebenen Fall angewendet werden kann. Da es als eine Aufgabe der Wissenschaftstheorie angesehen wird, eine "Klärung des Aufbaues und der Struktur des wissenschaftlichen Begriffs- und Gesetzesapparates" 16 herbeizuführen, muß auch hier ein geradezu unermeßliches Arbeitsgebiet festgestellt werden. 4.1.3

Die Gleichgewichtstheorie von Storer/Parsons

Wenn sich, wie wir oben sahen, Wissensgebiete auf verschiedenen Entwicklungsstufen befinden, dann kann als ein Kennzeichen hierfür die Ordnung angesehen werden, in denen sich die Wissenselemente eines Wissensgebiets befinden, sei es aufgrund ihrer Verwandtschaftsbeziehungen, z.B. Herstellung von Hierarchien aufgrund morphologischer Charakteristika oder aufgrund explizit hergestellter Zusammenhänge in wissenschaftlichen Aussagen. Je mehr der Begriffsschatz eines Wissensgebietes durch intensivierte Forschung und Entwicklung oder auch durch seine Anwendung anwächst, umso größer wird die Bedeutung, die seiner inneren Ordnung zukommt. ./V. W. Storer und Talcott Parsons (493) haben dies einmal sehr deutlich mit Bezug auf die gegenwärtige "Informationskrise" wie folgt formuliert: "Es fragt sich, ob die gegenwärtigen Schwierigkeiten, den Zugang zum Wissen zu erleichtern, nur auf die Publikationsexplosion zurückzuführen ist.. . oder auf die mehr grundsätzliche Tatsache, daß die Gebiete, in denen dieses ganze Wissen produziert wird, sich 16 Zitat aus G. König: Was heißt Wissenschaftstheorie (277)), S. 48. König bezieht sich hier auf W. Stegmüllers Aufsatz "Wissenschaft und Erklärung", der als erste der drei Aufgaben szientistischer Analyse "Aufbau und Struktur wissenschaftlicher Begriffe und Aussagensysteme sowie die Frage der Deutung begrifflicher Elemente und der Sätze eines solchen Systems" nennt. (484)

204

selbst im Zustand der relativen "Disorganisation" befinden. Im Grunde sind jedoch beide Faktoren in starkem Maße voneinander abhängig. Eine Zunahme der Informationsmenge in einer Disziplin erfordert größere Anstrengungen auf der Seite der integrativen Kapazitäten der Theorie dieser Disziplin, so daß sich schließlich eine Art Malthusisches oder mindestens Parkinson'sches Gleichgewicht in jeder Disziplin einstellt, wobei die Menge des zu der Literatur hinzugefügten Materials durch das Vermögen einer Disziplin, diese Information zu organisieren, begrenzt wird. In dem Maße, wie das organisatorische oder integrative Vermögen anwächst, vermehrt sich auch der hierdurch erleichterte Ausstoß der Information, so daß das Ausmaß der Bemühung relativ konstant bleiben kann." (S. 119)

Zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn auch nicht auf den begrifflichen Inhalt eines Wissensgebietes sondern auf die Menge der Ordnungselemente in einem Dokumentationssystem bezogen, kommt R. Fugmann^. Er fordert einen, der Größe einer Sammlung entsprechenden hohen Ordnungsgrad, wenn das System im intendierten Sinne funktionieren soll. In den beiden Beispielen kommen zwei Aspekte von Ordnung zum Ausdruck, ein materialer und ein formaler. Bei Fugmann geht es eher um formale Ordnungselemente, also Strukturelemente eines Klassifikationssystems, die in umso größerer Zahl eingesetzt werden müssen, je umfangreicher ein Gesamt von Informationseinheiten ist; bei Storer/Parsons ist das materiale Ordnungsprinzip gemeint, das als "allgemeine Theorie" eines Gebietes die "Paradigmen" (nach Th. S. Kühn: heranzieht, die den jeweiligen Erkenntnisstand in einem Wissensgebiet auf eine bestimmte, dominierende und allgemein akzeptierte Theorie hin fixieren. Nun ist es offensichtlich, daß Gebiete, die sich noch im Formierungsprozeß befinden, oder gerade beginnen, eine eigene Terminologie zu entwickeln — oft greifen ja auch Gebietsneubildungen auf die Terminologien anderer Gebiete zurück — meist noch keine entsprechende eigene Theorie besitzen, weder eine, die ihre Wissenselemente formal ordnet, noch eine, die sie material relationiert. Diese letztere kann nun allerdings nicht von außen an ein Wissensgebiet herangetragen werden sondern muß durch die Wissenschaftler eines Gebietes in induktiver und deduktiver Weise durch intensive Befassung mit den Gegenständen eines Gebietes gefunden werden. Für die mehr formale Ordnung liegen jedoch Vorstellungen vor; ihnen soll im nächsten Abschnitt nachgegangen werden^. 4.1.4

Eine allgemeine Theorie für einzelne Wissensgebiete^

Es sei nochmals vorausgeschickt, daß es sich hier nicht um Theorien zur konstitutiven Grundlegung von Gebieten handeln kann, noch um das Begründungsproblem von wissenschaftlichen Aussagesystemen sondern darum, allgemein verwendbare 17 R. Fugmann: The theoretical foundations of the IDC-system: six postulates for information retrieval (192) 18 T.S. Kühn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (289) 19 Siehe hierzu auch Abschn. 4.3.4: Zur theoretischen Fundierung. .. 20 Hier ist auch relevant, was Soergel unter "Funktionen einer Metatheorie bei der Konstruktion einer Dokumentationssprache" zusammengefaßt hat. Vgl. (473, S. 270-272) 2Q5

Regeln für die Strukturierung und Verortung von Begriffen in Wissensgebieten zu finden. Es geht also um einen auf möglichst alle Wissensgebiete anwendbaren allgemeinen Systematifikator. Dieser kann nun einerseits als Gliederung verstanden werden für das System von Sätzen einer Wissenschaft, so bei Diemer in (132), der für jede Wissenschaft eine Objektwissenschaft und eine Subjektwissenschaft fordert, wobei letztere unterteilt werden kann in l. Bereichsanthropologie (-psychologie) und 2. Bereichssoziologie. Für alle drei gelten die Unterteilungen nach den "Aspektdisziplinen": — allgemeine - vergleichende - historisch-genetische (Objekt- oder Subjektwissenschaft)21 Ein rein formaler Ansatz zur Ordnung der Einzelbegriffe in einem gegebenen Wissensgebiet nach Facetten ist dagegen der folgende Vorschlag von /. Dahlberg^, der von der Annahme ausgeht, daß es in jedem Gebiet Termini gibt, die folgende Fakten oder Aspekte behandeln oder sich auf sie beziehen: — -

Theorie und allgemeine Fragen Gegenstände (Elemente, Teile, Systeme) Prozesse (Methoden, Verfahren, etc.) Besondere Charakteristika Aspekte der Verwaltung von Gebieten in einzelnen Institutionen Aspekte der Organisation von Gebieten in größeren Bereichen (national, international) — Aspekte der Relation von Gebieten zu anderen Gebieten - Benutzung, Verwendung, Anwendung von Inhalten eines Gebiets — Bewertung von Inhalten eines Gebiets

Es wurde bereits versucht, nach diesem Schema von Formkategorien die Deskriptoren eines Dokumentationssystems zu ordnen23 und es hat sich erwiesen, daß sich nach dieser Facettenklassifikation auch ein Katalog für das Schrifttum der Informationswissenschaften einrichten ließ. Die Anwendbarkeit dieses Systematifikators kann daher zumindest für diesen Bereich als demonstriert gelten. Es wäre aber nunmehr zu untersuchen, ob dieses Schema auch für naturwissenschaftliche, technische und geisteswissenschaftliche Gebiete "gilt" oder ob sich andere Schwerpunkte zeigen. Es muß allerdings hinzugefügt werden, daß die zugehörige Objektwissenschaft "Dokumentenkunde" durch eine eigene Klassifikation erfaßt wurde.

21 Diemer geht dabei zurück auf ein allgemeines Schema von Wissenschaft "im noematischen Sinne des Begriffs", das er schon in seinem Grundriß, (118, Bd. l, S. 498) darstellte und in dem er im einzelnen die drei genannten Aspekte erläutert. 22 Siehe I. Dahlberg: Möglichkeiten einer Neugestaltung der DK (95) und Principles for the construction of a universal classification System (99). 23 I. Dahlberg: Entwurf für ein Deskriptorsystem der Informationswissenschaften (98). Nach diesem System wird seit drei Jahren beim Dokumentationszentrum für Informationswissenschaften, Frankfurt, klassiert. 206

Es ist jedoch nicht notwendig, derartige Vergleiche nur mit Hilfe eines solchen Schemas durchzufuhren. Man könnte daneben vergleichende analytische Untersuchungen der Kategorien von bestehenden Facettenklassifikationen, wie z.B. der für Physik des American Institute of Physics, der für Chemie im Thesaurus Chemie der DDR, der in vielen Fachgebieten existierenden Facettenklassifikationen englischer Dokumentationsstellen, aber auch des Thesaurofacet und der einzelnen Main Classes der Colon Classification unternehmen. Eine solche Analyse der verwendeten Formkategorien erbrächte vermutlich auch Unterteilungskategorien für Objekte. 4.1.5

Eine allgemeine Theorie für das Gesamt der Wissensgebiete

Wir hatten in Kap. 2, besonders bei den philosophischen Klassifikationen viele Einteilungsgesichtspunkte für die Darstellung des Gesamts der Wissenschaften kennengelernt. Sie waren zumeist material orientiert, lediglich Avicenna hatte nach praktischen und theoretischen und//. Spencer nach abstrakten, abstraktkonkreten und konkreten "Klassen", also formalen Tomierungen geordnet. In diese Einteilungen waren zweifellos auch Weltmodelle eingegangen, wie wir dies ja auch schon eingangs diskutierten. Handelte es sich dabei um Paradigmen nach der Auffassung 77z. S. Kuhn's, philosophische Theoreme also, die den "Zeitgeist" bestimmten? Wir wollen dieser Frage jetzt nicht nachgehen, uns interessiert vor allem, brauchen wir eine Theorie oder kann man auch ohne Theorie eine sinnvolle Wissensordnung aufbauen? Es ist anzunehmen, daß, was für einzelne Wissensgebiete gilt, auch auf das Gesamt aller Wissensgebiete bezogen werden kann, d.h., nur dann können z.B. neue Wissensgebiete in ein System von existierenden aufgenommen werden, wenn es Systemprinzipien gibt, die dem neuen "seinen Platz anweisen". Wenn wir für diese Prinzipien aber eine Theorie benötigen, wo finden wir sie? Gehen wir nach Diemer davon aus, daß Wissenschaft (insgesamt) "als hypothetisch-deduktives System konditioneller Sätze..." verstanden werden kann, so wäre für die Einteilung der Wissensgebiete nach materialen Gesichtspunkten eigentlich jedeTheorie akzeptabel, sofern sie eine schlüssige Axiomatik besitzt. Ist aber nicht gerade wieder die Einsicht in diese Schlüssigkeit von den Paradigmen bestimmt, welche eine Zeitperiode charakterisieren? Auch dies wollen wir dahingestellt sein lassen. Es muß allerdings einleuchten, daß die Universalität des postulierten Systems die Bevorzugung irgendeines philosophischen Systems, irgendeiner Ideologie oder materiale Prioritäten sonstiger Art als theoretische Basis nicht gestatten kann. Da nun, wie wir dies bei der Betrachtung der Theorie einzelner Wissensgebiete sahen, neben dem materialen Aspekt auch der formale Wert besitzt, um Einteilungskriterien zu liefern, ist zu vermuten, daß man für das Gesamt der Wissensgebiete ebenfalls von formalen Kategorien ausgehen könnte. Es wird dann zwar auf der nächsten Stufe das materiale Moment in Form von Sachbegriffen wieder auftauchen, diese sind jedoch dann bereits formal "vorgeordnet". Mit einem zweiten 207

allgemeinen "formalen Ansatz" könnte dann vielleicht eine Basis für alle Sachbegriffe gefunden werden und so zusammen mit dem ersten eine allgemeine Theorie für Systemstellen entwickelt werden, die in einem größeren Bereich von Wissensgebieten Gültigkeit besitzt. Der formale Ansatz könnte als "durchgängiges Prinzip", als Bestandteil des Systematifikators eines universalen Begriffssystems angesehen und eingesetzt werden, jedenfalls solange, als die sinnvollerweise bei den vorhandenen Sachbegriffen möglich ist. In Abschn. 4.4 wird diskutiert werden, welche konkreten Vorstellungen hierzu bereits von anderer Seite vorliegen und in Kap. 6 wird ein auf dieser "Theorie" basierender, eigener Vorschlag für eine allgemeine Wissensordnung vorgelegt werden.

4.2

Kriterien für die Ermittlung von Wissensgebieten

4.2.0

Vorbemerkung

Wir gehen davon aus, daß Wissensgebiete, wie einzelne Sachgebiete, Tätigkeitsgebiete, Wissenschaften Teilbereiche einer allgemeinen Wissensordnung darstellen und fragen uns, nach welchen Kriterien Wissensgebiete als solche formal und formal-inhaltlich erkannt werden können und welche soziologischen Charakteristika z.B. ihre Abgrenzung voneinander bestimmen können.

4.2.1

Kriterien sprachlicher Art

In Abschn. 3.5.1 a) zeigten wir anhand einiger Beispiele, daß Wissensgebietsbenennungen Begriffskonjunkte bezeichnen, die immer aus den notwendigen Bestandteilen eines Satzes, aus einem Subjektteil und einem Prädikatsteil bestehen müssen, wobei dies allerdings aus der Wortform nicht immer erkennbar wird und deshalb ggfs. auf die Definition einer Gebietsbenennung zurückgegriffen werden muß. Es ist aber durchaus auch möglich, allein von der Wortform her ein Wissensgebiet als solches auszumachen. Wir haben im Deutschen die Suffixmorpheme -künde, -lehre, -wesen und -Wissenschaft, die alle eine Aktivität ausdrücken, wie etwa -künde -lehre -wesen -Wissenschaft

Kenntnis haben von Lehrsätze beinhalten das Sein von etwas das Wissen haben über etwas

Ähnlich verhält es sich aber auch mit den entsprechenden Endungen lateinischer oder griechischer Provenienz, wie z.B. -gonie -graphic -nomie -metrie -gnosie -logie

208

Entstehen von etwas Beschreibung von etwas Kenntnis der Gesetze von etwas Messung von etwas Kenntnis von Wissen(schaft) von etwas

Weniger aufschlußreich sind dagegen Endungen auf -ik und -istik, die im allgemeinen jedoch eher den technischen Aspekt, der in einer Begriffsbenennung enthalten sein mag, offenbaren; dies z.B. in Mechanik, Technik, Astronautik; wie aber steht es mit Logik, Physik, Botanik, Politik? Ampere hatte in seinem System24 von den Möglichkeiten dieser Endungsbedeutungen reichlich Gebrauch gemacht. Für ihn waren sie Hilfsmittel zur Verbesserung der wissenschaftlichen Nomenklatur; leider hat er sich aber dabei nicht auf den existierenden Sprachgebrauch verlassen, seine eigenen Sprachschöpfungen wurden daher von seinen Zeitgenossen nicht akzeptiert. Dieser sehr formale Ansatz, von der Benennung allein auszugehen, ist natürlich in allen den Fällen zweifelhaft, in denen Wörter einen Bedeutungswandel erfahren haben oder erst garnicht als Gebietsbenennung intendiert waren, wie z.B. Photographic, Chromatographie, Biographie, etc. Anders steht es allerdings bei Wortkombinationen, die bereits wohletablierte Gebiete bezeichnen, wie z.B. I

-geschichte -technik -politik -Psychologie -Soziologie -recht -Wirtschaft -Statistik etc.

in Medizingeschichte in Elektrotechnik in Wirtschaftspolitik in Arbeitspsychologie in Betriebssoziologie in Staatsrecht in Volkswirtschaft in Industriestatistik

Hier handelt es sich um sehr häufig verwendete Kombinationen, die in fast allen Bereichen vorkommen können. Ähnlich, aber nicht so häufig sind Kombinationen mit Disziplinen wie in II

Radar-Meteorologie Radio-Astronomie Radio-Chemie Rau mfahrt-Medizin Rechts-Philosophie Religions-Geographic etc.

Wir können wohl hier schon feststellen, daß die Kombinationen der Gruppe I aspektgebundene Wissensgebiete sind, die wegen dieser Aspektbindung keinesfalls Bereichsklassen werden können, während die der Gruppe II eher als Untergebiete zu den durch sie spezifizierten Disziplinen anzusehen sind. Dagegen müssen Worükombinationen mit III

-forschung -planung -herstellung -vergleichung -schütz

24 Sieht auch Abschn. 2.1.1 a) und Taf. 19

209

im einzelnen daraufhin untersucht werden, ob der das Prädikat vertretende Bestandteil der Kombination tatsächlich Oberbegriff für eine Reihe spezifischer Tätigkeiten dieses Begriffskonjunktes ist, wie wir dies in Abschn. 3.5.1 a) als Kriterium forderten. 4.2.2

Kriterien formal-inhaltlicher Art

Neben diesen rein formalen Kennzeichen von Wissensgebieten aufgrund von Wortbildungsanalysen gibt es andere Kriterien, die aus ihren Realisierungen zu entnehmen sind, wie z.B. aus der Tatsache, daß einem bestimmten Gebiet eine Fachzeitschrift gewidmet ist, ein Referateorgan, ein oder mehrere Aufgabengebiete einer Dokumentationsstelle, einer Spezialbibliothek. Meistens wird die Fachterminologie eines Gebietes in ein- oder mehrsprachigen Wörterbüchern zusammengefaßt und ihre Begriffe in Thesauri oder speziellen Klassifikationssystemen dargestellt. Auch in den Namen von Forschungsinstituten und ihren Aufgabengebieten zeigen sich Wissensgebiete an. Schließlich sind noch die Lehrgebiete zu nennen; wir hatten bereits auf die Vielfalt ihrer Gebietsbenennungen in Abschn. 2.2.3 hingewiesen. In allen diesen Fällen kann vorausgesetzt werden, daß es sich um beachtliche Aktivitäten handeln muß, die in den so gefundenen Gebieten existieren. Die in Abschn. 4.3.8 erwähnte Sammlung der Benennungen von Wissensgebieten greift daher auch diese Kriterien auf und verbindet sie mit denen in Abschn. 4.2.1 genannten. 4.2.3

Wissensgebiete und Wissensvermittlung

Wenn die Benennungen von Wissensgebieten für Aggregationen von Wissenselementen stehen, so muß unter dieser bewußt oder unbewußt hergestellten Zusammenfassung die Vorstellung vermutet werden können, daß durch eine solche "Bündelung" jeweils ein bestimmter Wissenskomplex bezeichnet werden soll. Es lassen sich tatsächlich Wissensarten unterscheiden, wie Objektwissen Methoden- und Verfahrenswissen Zielwissen25 und ihre Bezüge zu entsprechenden Begriffskonjunkten sind herzustellen. Es gibt Gebiete, die nur je eine dieser "Wissensarten" vermitteln, andere, die zwei oder 25 Man kann auch häufig die Triade: Faktenwissen, Verfahrenswissen, Zielwissen finden. Da aber "Faktenwissen" oder "faktisches Wissen", besonders auch bei Kunz/Rittel (290, S. 37) eher verstanden werden muß als "Wissen von dem, was der Fall ist" und dieses sich auch auf Verfahrens- und Zielwissen richten kann (wie auch das von den Autoren in diesem Zusammenhang gleicherweise angeführte deontische und instrumentelle Wissen), wurde diese Benennung hier nicht übernommen. Siehe hierzu auch "Wissensformen" in Abschn. 1.4.1

210

mehr vermitteln können. Objektwissen übermitteln alle rein auf Objekte, deren Arten, Teile und Eigenschaften gerichtete Wissensgebiete, wie z.B. die sogenannte systematische Botanik oder die Dokumentologie (auch Dokumentenkunde), die sich eben nur auf Dokumente und deren Eigenschaften bezieht. Schon die Kenntnis der verschiedenen Methoden der Herstellung von Dokumenten (drucktechnische oder intellektuelle) verlangt Methoden- oder Verfahrenswissen und gehört anderen Wissensgebieten an (der Druckereitechnik bzw. der Dokumentation). Die Auswertung der Dokumente zum Zwecke der informativen Verwendung verlangt dagegen Zielwissen und ist somit Inhalt des Wissensgebietes, das als Informationswissenschaft bezeichnet wird. Im letzteren Falle handelt es sich jedoch um ein Gebiet, das alle drei Wissensformen26 umfaßt, dessen Begriffsbereich sich daher auf den der Dokumentologie, Dokumentation und Information bezieht^?. Es kann aber auch hier ein Gebiet genannt werden, das ausschließlich auf Zielwissen eingestellt ist; in diesem Falle die Informationspolitik. Ihr geht es um die richtige Verwendung von Information, sie ist ausschließlich anwendungsbezogen zu verstehen. Zusammenfassend können wir daher definieren: Ein Wissensgebiet wird durch Art und Umfang der unter seiner Benennung zusammengefaßten Begriffe bestimmt; entsprechend kann es Objekt- und/oder Methoden- und Verfahrens- und/oder Zielwissen vermittelte.

4.2.4

Soziologische Abgrenzungen von Wissensgebieten

Als letzte Kriterien zur Erkennung von Wissensgebieten wollen wir einige der Charakteristika betrachten, die TV. W. Storerund Takott Parsons in ihrem Beitrag "The disciplines as a differentiating force" (493) zusammenstellten. Als Kennzeichen für den soziologischen Bezug der Angehörigen eines Wissensgebietes zu ihrer Umwelt erachteten sie 1) die Verantwortung einer Berufsgruppe für die Unterhaltung, Weiterleitung und Befassung mit einem speziellen Wissensvolumen. Der Besitz dieses Wissens unterscheidet die Mitglieder einer solchen Berufsgruppe von den sog. "Laien"; 2) die Tatsache, daß die Berufsgruppe maßgebliche Autonomie für die Heranziehung, Ausbildung und Überprüfung von Mitgliedern besitzt. Diese werden häufig nach dem Grad des beherrschten Wissens und der Menge ihrer Beiträge für das entsprechende Gebiet beurteilt, 26 Kelle und Kovalsen (269) definierten die Vereinigung dieses Tripels als Merkmale einer Wissenschaft ("the sciences are classified by (1) the subject of cognition, (2) the method of cognition, and (3) the purpose of cognition", worauf Soergel in (470, S. 26) hinwies. 27 Dies würde in etwa auch eine Zusammenfassung der Facettenaspekte bedeuten, die in einer allgemeinen Theorie für einzelne Wissensgebiete (siehe Abschn. 4.1.4) vorgeschlagen wurden. 28 Mit dieser Definition unterscheiden wir "Wissensgebiet" von "Wissenschaft" insofern, als hier nicht "ein Gesamt von. .. wissenschaftlich sinnvollen Aussagen" (siehe Abschn. 4.1.2) gefordert wird sondern nur Mengen von Elementen von wissenschaftlich sinnvollen Aussagen. 211

3) daß bei der Herstellung von Beziehungen zur Umwelt den Mitgliedern sowohl Unterstützung durch die Gruppe als auch Schutz vor der Außenwelt gewährt wird, 4) daß eine Kenntnis über das Entgelt für die Tätigkeiten einer Berufsgruppe eher bei diesen als bei Laien zu suchen ist. Offensichtlich hatten Storer und Parsons bei diesem Beitrag (wie es ja auch schon der Titel ausdrückt) nur wissenschaftliche Disziplinen im Sinne. Das Gesagte läßt sich aber ebenso auch auf alle Berufsgruppen übertragen, die meist mit ihren Wissensgebieten "unterschlagen" werden, wie die Bäcker und Metzger, die Winzer und Kellerer, die Schornsteinfeger und Fachhändler und wie sie alle heißen. Sie alle sind Träger von Fachwissen. Ihre Wissensgebiete dürfen daher in einem universalen Klassifikationssystem des Wissens nicht fehlen. Es müßte allerdings andererseits auch untersucht werden, ob für alle Wissensgebiete, die heute genannt und in der Literatur belegt gefunden werden können, auch gesellschaftliche Gruppen und Institutionen existieren. Wo diese nicht vorhanden sind, kann angenommen werden, daß diese Wissensgebiete nicht oder noch nicht "lebendig" geworden sind, stagnieren oder verfallen. Je nachdem, ob solchen Gebieten außer von ihren Trägern als Einzelpersonen ein Wert für die Gesellschaft zugemessen werden kann, müßte dieser Zustand verändert werden. So kommt es vor, daß z.B. neben der Aufnahme neuer Berufsgruppen, z.B. für statistische Erhebungen gelegentlich auch aussterbende Berufe gestrichen werden. Einer wissenschaftstheoretisch-wissenschaftssoziologischen Untersuchung wert wäre darüber hinaus auch die Eruierung von Beziehungen zwischen existierenden Wissensgebieten und der Art und Anzahl von Berufsgruppierungen in einem gegebenen regionalen, nationalen und internationalen Bereich; denn merkwürdigerweise liegen hier Zusammenschlüsse auf verschiedenen Ebenen in verschiedener Konstellation vor, d.h., national gibt es z. Teil andere fachliche Zusammensetzungen als international, auf der Ebene des Handels andere als auf der Ebene der Produktion, etc. Es muß dabei bedacht werden, daß manche, vermutlich aus personellen oder wirtschaftlichen Gründen vorgenommenen, unterschiedlichen Gruppierungen keine entsprechenden Gebietsklassen in einem Klassifikationssystem haben können.

4.3

Zur Bildung von Wissensgebieten

4.3.0

Vorbemerkung

Dieser Abschnitt behandelt das mögliche und tatsächliche Entstehen von Wissensgebieten und ihre Typisierung aufgrund ihrer Orientierung und ihres unterschiedlichen Begriffsinhalts. Die Klärung dieser Fragen ist für den Aufbau eines universalen Klassifikationssystems insofern von Belang, als hierdurch nicht nur die Übersicht über Art und Form existierender Wissensgebiete ermöglicht wird sondern 212

auch die über die Verteilung der Wissenselemente in den einzelnen Gebieten. Letzteres bedarf allerdings dann auch noch weitergehender Untersuchungen, damit der jeweilige Bestand an gebietsspezifischen wie gebietsunspezifischen Klassen einer Gebietsklasse und auf das Gesamtsystem bezogen festgestellt werden kann.

4.3. l

Geschichtliches Entstehen von Wissensgebieten

M. Scheele schilderte einmal folgenden glaubwürdig klingenden Fall des "Entstehens einer Disziplin" aufgrund des Interesses eines einzelnen Wissenschaftlers: "Ein Wissenschaftler beschäftigt sich mit Gallensteinen und Nierensteinen. Dabei handelt es sich um mineralische Bildungen in einem lebenden Organismus. Der Forscher stiebt ein eigenes Institut an, für dessen Notwendigkeit er entsprechende Argumente braucht. Ein besonders zugkräftiges Argument ist die Entwicklung einer neuen Wissenschaft, für die man einen geeigneten Namen benötigt. Folglich wird die Gründung eines Instituts für "Biomineralogie" vorgeschlagen. Aus der Beschäftigung mit den Gallen- und Nierensteinen ist eine neue Disziplin und ein neues Wort entstanden!" (443, S. 17)

So banal nun ein solches Verfahren auch erscheinen mag, muß es doch wegen der nur auf diese Weise möglichen finanziellen Unterstützung einer als notwendig erkannten Forschungsaufgabe fast als eine legitime Methode erachtet werden, wenn man einmal außer acht läßt, daß es einem Forscher ja vor allem um Erkenntnisgewinnung geht. Die Zukunft einer auf dieser Basis gegründeten Institution würde es wahrscheinlich erweisen, ob der Name zu Recht gewählt war, ob das Forschungsgebiet von gesellschaftlichem Interesse ist und weitere Unterstützung rechtfertigt, ob die veröffentlichten Arbeiten der darin beschäftigten Wissenschaftler im In- und Ausland Resonanz finden, etc. Es wäre vielleicht auch einmal zu untersuchen, wie häufig aufgrund der Initiativen einzelner Wissenschaftler neue Wissensgebiete entstanden sind und ob und wie sich diese durchzusetzen vermochten. Generell kann man wohl sagen, neue Wissensgebiete entstehen auf folgende Weise a) durch Ideen und Forschungsvorschläge Einzelner b) durch Aufsplitterung der Tätigkeitsbereiche umfassenderer Gebiete c) durch Aufgabenstellungen der Gesellschaft. ad a) Der übliche Weg von der Idee eines Einzelnen bis zur Realisierung verläuft im allgemeinen nicht so spontan, wie in dem o.g. Beispiel beschrieben. Man bedenke nur einmal, wieviele Jahrhunderte es dauerte, bis aus den Vorschlägen von G. W. Leibniz zur Publizierung eines Referatedienstes über neuerschienene Bücher schließlich im 19. Jahrhundert die ersten Referateorgane entstanden und erst Ende des 19. Jahrhunderts "Bibliographie" zum Vorläufergebiet dessen wurde, was man heute noch als "Dokumentation" kennt, was von vielen aber schon als Informationswissenschaft bezeichnet wird. Wie verhältnismäßig viel rascher aber hat sich dagegen das Gebiet ihrer "technischen Schwester", die Informatik entwickelt. Obwohl sie eigentlich bereits mit dem Bau des ersten Computers begann, blieb sie trotz Informationstheorie für 25 Jahre nur eine "Technik", bis plötzlich 213

auf Regierungsebene ein Datenverarbeitungsprogramm verabschiedet wurde und etliche Milliarden zur Hochschulausbildung auf diesem Gebiet zur Verfügung standen. Binnen 3 1/2 Jahren (seit 1969/70) sind ca. 30 Lehrstühle für Informatik allein in der BRD geschaffen worden und man grübelt nun darüber nach, was eigentlich alles in dieses neue Gebiet an Substanz gehört29. ad b) Hier handelt es sich nicht allein um Aufsplitterung der Tätigkeitsbereiche sondern auch um Absplitterung einzelner Gebiete aus einem vormals als zusammengehörig aufgefaßten Gebietskomplex. Die Entwicklung der Philosophie enthält hier vor allem eine Menge von Beispielen, die zum Teil sehr deutlich aus den in Kap. 2 behandelten geschichtlichen Klassifikationssystemen hervorgehen. ad c) Schließlich können Gebiete auch aus neuen Aufgaben entstehen, die sich die Gesellschaft stellt. Diese mögen in Teilbereichen bereits bearbeitet worden sein. Wenn dann plötzlich eine Benennung geprägt wird, die diese neue Aufgabe bezeichnet - wie wir dies z.B. jüngst noch mit dem Wort "Umweltschutz" erlebten — werden plötzlich alle, die bisher in den verschiedensten Ländern an den damit betroffenen Problemen gearbeitet haben, mit diesem neuen Namen wie mit einem Kristallisationskern verbunden. Was unstrukturiert und unkoordiniert hier und da an Aktivitäten dieses Problembereiches existierte, wird so mit einem Male mit einer eigenen Aufgabenstellung zusammengefaßt. Ein solches Geschehen könnte mit einem überdimensionalen Bewußtwerdungsvorgang verglichen werden. Mit dem Namen des Gebietes verbindet sich bald ein Begriff und in einigen Jahren werden wir es erleben, daß sich zu dem Gebiet nicht nur eine begriffliche sondern auch eine soziologische Struktur herausbildet. Es wäre vielleicht auch einmal ein lohnendes Ziel, ein Lexikon aller Wissensgebiete mit ihren Gründungs- und sonstigen historischen Daten, aber auch ihren gegenseitigen Beziehungen zu erarbeiten. Es wäre eine Basis für eine spätere Zusammenführung aller aktuellen Informationen zu einem Wissensgebiet, wie z.B. den bestehenden internationalen und nationalen Institutionen, den Zeitschriften und Referateorganen, den Dokumentationsstellen und Spezialbibliotheken, etc. Wesentlich käme es aber dabei auch auf eine definitorische Abgrenzung des Wissensgebietes an. Im Hinblick auf die in Tageszeitungen und Stellenangeboten beständig unübersichtlicher werdende Zahl von neuen Gebietsbenennungen hätte ein solches Lexikon vielleicht einen normierenden Effekt.

4.3.2

Gebietsbildungen nach Ranganathan / Neelameghan

In der Schule Ranganathan 's befaßt man sich besonders im Hinblick auf die Neuauflage der Colon Classification seit einiger Zeit auch sehr intensiv mit dem Phänomen der Herausbildung und des Zusammenschlusses von Wissensgebieten. Da 29 Siehe hierzu z.B. H. Blohm: Ist die "Informatik" am praktischen Bedarf vorbeikonzipiert? In: Nachr. Dok. 23 (1972) S. 30-31) 214

hiermit auch ein Typisierungsvorschlag für Gebietsbildungen30 verbunden ist, der auf Phänomene hinweist, die noch nicht in dieser Weise gesehen worden sind, soll im folgenden versucht werden, die 10 darin unterschiedenen Arten darzustellen. Bemerkenswert ist hier wiederum die eigenwillige Terminologie, der eine Übersetzung nicht gerecht werden würde. Typologie von Gebietsbildungen nach Ranganathan / Neelameghan Lamination l

Zwei oder mehrere Isolate werden in einem "Basic Subject" "zusammengefaltet", z.B. Licht und Spektrum in der Physik zu "Radiation Physics"

Lamination 2

Zwei oder mehrere "Non-Main Basic Subjects" werden zu einem "Compound Basic Subject" zusammengefaltet, z.B. "Quantum Theory in Physics" ergibt, zusammen mit Radiation Physics das Gebiet "Quantum Theory of Radiation"

Unter den nun folgenden Begriffen "Loose assemblage" (1,2 und 3) werden Gebietsverknüpfungen verstanden, wie wir sie in 4.2.1 unter II vorstellten, z.B. wird die Beziehung zwischen Astronomie und Mathematik ein "Complex Subject" genannt; etwas anderes ist dagegen eine Gebietsbezeichnung, wie Geopolitik, die als Einfluß der Geographie auf politische Bildungen definiert wird31. Fission

— Spaltung — verstanden als Unterteilungen von Gebieten in Untergebiete, wie z.B. Philosophie in Logik, Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ethik, Aesthetik

Fusion

— Verschmelzung; Zusammenschluß von zwei oder mehr "Main Subjects" auf solche Weise, daß jedes seine besonderen Isolate verliert, z.B. wird aus Biologie und Chemie die Biochemie und aus Statistik und Wirtschaft die Ökonometrie — eine neue Disziplin entsteht aus einem "Main Subject" aufgrund des Vorkommens in verschiedenen "Compound Subjects", wie z.B. Management Science aus Evaluation technique, Experiment Technique aus Archäologie (? )

Distillation

Partial comprehension — das zusammenfassende Behandeln von mehreren "Main Subjects" in ein und demselben Buch, wie z.B. Naturwissenschaften, Physikalische Wissenschaften, Geisteswissenschaften, Geschichte und Politische Wissenschaft, Geschichte und Recht, etc.

30 Die Darstellung ist teilweise bereits in Prolegomena (409) enthalten; die hier gegebene basiert jedoch auf der Zusammenstellung in A. Neelameghan: A theoretical foundation for UDC: its need and formulation. (356) 31 Siehe Prolegomena (409, S. 85) 215

Subject Bundle

- eine Art "Partial comprehension", bezieht sich jedoch auf Buchinhalte, die einen zusammenfassenden Inhalt von Gebieten in einzelnen Beiträgen behandeln, wie z.B. Ocean sciences, Space sciences, Surface sciences, Defense sciences.

Es wird im Zusammenhang ihrer Darstellung von den Autoren darauf hingewiesen, daß die Erforschung dieser Phänomene noch nicht abgeschlossen sei; "Fusion", "Distillation" und "Subject Bundle" habe man erst in den letzten fünf Jahren erkann t32.

4.3.3

Die Ergebnisse des Heller-Reports

Im Jahre 1963 wurde in den USA im Auftrag der National Federation of Science Abstracting and Indexing Services (NFSAIS)33 durch die Fa. Heller Assoc. eine Untersuchung der ca. 300 Referatedienste in den USA durchgeführt, um neue Vorstellungen hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit, Organisation, Rationalisierung, etc. zu entwickeln. Im Ergebnisbericht, dem sog. "Heller-Report" wurde u.a. hervorgehoben, daß jeder Wissenschaftler oder Ingenieur offenbar zweierlei Referatedienste benötigt - einen aus seiner wissenschaftlichen Disziplin und einen für den Bereich, in dem er aufgabenorientiert arbeitet, im allgemeinen gekennzeichnet durch die Ziele einer bestimmten Institution. Entsprechend fand man, daß insgesamt 18 disziplin-orientierte Referate dien ste existierten (wie z.B. Biological Abstracts, Chemical Abstracts), diesen aber auf der anderen Seite ca 270 "aufgabenorientierte" Referatedienste gegenüberstanden für Gebiete wie beispielsweise "Radiation", "Prevention of Deterioration", "Instrumentation" aber auch für Weltraumfahrt, Wehrwesen, etc. Diese bezogen zu einem großen Teil ihre Informationen aus verschiedenen der 18 disziplin-orientierten Dienste34. Uns erscheint es bemerkenswert, daß man a) zwischen diesen beiden Arten von Orientierungen unterscheiden konnte und b) daß ein solches zahlenmäßiges Mißverhältnis in ihren Referatediensten besteht. Seither sind etwa 10 Jahre vergangen und viele der disziplinorientierten Referatedienste sind auf Magnetband erhältlich. Dies erleichtert die Kompilierung von aufgabenorientierten Informationsdiensten aufgrund der Zusammenführung von Titeln aus den disziplinorientierten Referateorganen beträchtlich. Die hierzu vom 32 Siehe A. Neelameghan in (356, S. 8) 33 Inzwischen hat eine kleine Namenskorrektur stattgefunden: "science" wurde eliminiert und damit auch nicht-naturwissenschaftliche Disziplinen berücksichtigt; die Abkürzung lautet nun NF AIS. 34 Die 18 Referateorgane basierten auf der Auswertung von 17 000 Zeitschriften und hatten selbst schon eine Überlappung von 50% aufzuweisen. Die 270 anderen Referateorgane besierten auf einer Auswertung von 135 000 Zeitschriften. Da aufgrund von statistischen Ermittlungen bekannt ist, daß nicht mehr als 25—35 000 wissenschaftlich-technische Zeitschriften existieren, ist anzunehmen, daß von diesen Diensten jede Zeitschrift mindestens vier Mal ausgewertet wird, und eine zwischen 87-90% Überlappung besteht. 216

Heller-Report vorgesehene Institution X wurde jedoch nicht eingesetzt, vielmehr besorgen diese Kompilierungen nunmehr die Informationsstellen in Firmen, Instituten, Forschungszentren, etc. selbst. Für unser Problem der Untersuchung und Bestimmung von Gebietsbildungen sind hieraus folgende Schlüsse zu ziehen: 1. Der Gegensatz zwischen Gebieten, die Objekt- und Methodenwissen gegenüber denen, die Zielwissen vermitteln, besteht reell und manifestiert sich in disziplinorientierten und aufgabenorientierten Referatediensten (der Heller-Report spricht von "profession-oriented versus projectoriented services"), man könnte auch von sach- und funktionsorientierten Diensten sprechen. 2. Es ist festzustellen, daß einer geringen Anzahl von großen sachorientierten Referatediensten eine große Anzahl von kleineren funktionsorientierten gegenüberstehen. Dies entspricht einer kleinen Anzahl von großen Sachgebieten und einer großen Anzahl von weniger umfangreichen Funktionsgebieten. 3. Es besteht ein Trend zur Aufsplitterung in Richtung auf die Funktionsgebiete, aber andererseits auch einer in Richtung auf Anerkennung der Notwendigkeit des Bestehens von Sachgebieten. 4. Funktionsgebiete können ihre Informationen durch Zusammenführen der Ergebnisse aus verschiedenen sachorientierten Diensten gewinnen. Sie benötigen daher keine oder nur noch den Anwendungsbezug herstellende Informationsdienste. Eine weitere Beobachtung verdient außerdem Beachtung: da den sachorientierten Diensten Disziplinen entsprechen, handelt es sich bei ihren Referatediensten um Daueraufgaben; die funktionsorientierten währen dagegen häufig nur so lange, wie ihre Aufgabe anhält oder bis ihr Problem gelöst werden konnte. Dies bedeutet, daß die Feststellung eines Funktionsgebietes gleichzeitig eine Aussage über seine vermutliche temporäre Begrenzung impliziert. Je kürzer die "Lebenserwartung" seiner Aufgabe angesetzt werden kann, umso geringer wird auch der vermutlich von diesem Gebiet generierte spezifische Begriffsschatz werden, u.U. ist dieser vermutlich vollständig bereits in sachorientierten Wissensgebieten enthalten. Je länger die für eine Aufgabe anzusetzende Zeit eingeschätzt wird, umso größer ist die Chance, daß auch auf diesem Gebiet einmal Forschung betrieben werden wird und entsprechend im Laufe der Zeit ein Sachgebiet daraus entsteht. 4.3.4

Zur theoretischen Fundierung von Wissensgebieten

Hier soll nochmals kurz auf den Zusammenhang zwischen Theorie eines Gebiets und Gebietsbildung eingegangen werden; in Abschn. 4.1.3 und 4.1.4 wurde bereits über die materiale und formale Seite der Theorie eines Gebietes gesprochen. G. Pfluges hat kürzlich einmal auf die Tatsache hingewiesen, daß aufgabenbezo35 Siehe G. Pflug: Die Bibliothek der Zukunft als Ausbildungsaufgabe der Gegenwart (391).

217

gene Wissensgebiete im Gegensatz zu den disziplinorientierten im allgemeinen keine theoretische Fundierung besitzen. Das Aufgabengebiet "Umweltschutz" ist hierfür wieder ein gutes Beispiel, da es sich zunächst als ein Konglomerat der Gebiete Wasserwirtschaft, Ökologie, Reinhaltung der Luft, Hygiene, etc. darstellt. Aber wie meist die Theorie erst dann entwickelt wird, wenn die empirische Erfahrung vorliegt — und dies kann häufig erst zu einem sehr späten Zeitpunkt stattfinden, man denke nur daran, zu welchem Zeitpunkt man erst Sprachtheorien entwickelte, biologische Theorien (Abstammungslehre), Wirtschaftstheorien - ist es auch nicht erforderlich, daß die Bildung von Wissensgebieten mit der Festlegung einer Theorie verbunden ist. Es kann fast angenommen werden, daß die "Theorielosigkeit" eines Wissensgebietes ein Merkmal für seine relativ niedrige Entwicklungsstufe ist — wenn wir einmal die Terminologie K. Lewins benutzen wollen, oder durch den starken Anwendungsbezug des Gebietes erklärt werden kann. Durch diese Tatsachen kommen dann auch die Schwierigkeiten der Ordnungsbegründung von Gebieten zustande, die N. W. Storer und T. Parsons feststellten. Je mehr die Entwicklung auf solche aufgabenorientierten Gebiete hinsteuert, die sich aus Bestandteilen der verschiedensten Disziplinen plus neueren Gebieten, wie Computerwissenschaft, Systemtheorie und technischen Gebieten zusammensetzen, umso schwieriger wird es, die in diesen Gebieten gewonnenen neuen Informationen zu "absorbieren". Es ist auch ein Problem der Informationsdarstellung in geeigneten Informationsdiensten. Dies sah z.B. J.H. Kelley für das Gebiet "urban technology": "The problem, then, is, how do we resolve the information resources problem, providing an inter-disciplinary tool that integrates these environmental areas with ecological sciences, systems sciences, computer technology, transportation, electronics, process machine technology, chemistry, architecture, educational technology, medical technology and criminalistics? " (270, S. 120) Hier gibt es in der Tat außerordentliche Probleme. Wie könnte für alle diese Gebiete ein gemeinsamer Gegenstand und gemeinsame Methoden bestimmt werden, die doch den Inhalt eines Gebietes ausmachen? Sie müßten vom Ziel her gewonnen werden, von der Aufgabe, die in diesem Falle (urban technology) wohl formuliert werden könnte als "Feststellung der technischen, wirtschaftlichen und soziologischen Bedürfnisse einer Stadt zum Nutzen ihrer Bewohner". Wenn dann Vergleiche über Gemeinsamkeiten bei verschiedenen Städten zu Erkenntnissen über Gesetzmäßigkeiten führen und vorkommende Größen und Werte formalisiert werden können, wäre wohl die Geburtsstunde für eine theoretische Durchdringung des neuen Gebiets gekommen. 4.3.5

Zur Bildung von objektbezogenen Wissensgebieten

So, wie sich in der Geschichte Disziplinen um Objektbereiche entwickelten, die also eine Vielzahl von Objekten, wie z.B. alle Pflanzen, alle Tiere, alle Mineralien, etc. betrafen, so kann man heute beobachten, daß Gebiete entstehen, die sich nur mit einem einzigen Objekt befassen, sei es ein chemisches Element, wie z.B. Titan 218

oder ein geologisches Phänomen, wie das Wasser oder sei es ein Teilbereich aus dem menschlichen Körperbau, wie z.B. das Herz. Es kann angenommen werden, daß praktisch ein jedes allgemeine Objekt, das also in mehr als einem Disziplinzusammenhang Bedeutung hat, selbst zum "Grundphänomen" — wie A. Diemer es nennt36 _ für ein eigenes Sachgebiet werden kann; meist wird es dazu in der Aspektbindung mehrerer Disziplinen untersucht. So gibt es z.B. für Strahlen, dessen Objektgebietsbezeichnung "Strahlenkunde"37 hieße, die folgenden Zusammenhänge : Strahlenbiologie Strahlenbiophysik Strahlenchemie Strahlengenetik Strahlenmedizin Strahlenphysik Strahlentechnik

Man kann hier fast von einem Aspektenbündel sprechen; auffällig ist dabei, daß "Strahlen" als Objekt aus einem naturwissenschaftlichen Objektbereich auch nur unter naturwissenschaftlichen Aspektdisziplinen betrachtet wird. 4.3.6

Zur Bildung von prozeßderivierten Wissensgebieten

Weniger häufig als bei Objekten kann man beobachten, daß Methoden und Verfahren Ausgangsbegriffe für Wissensgebiete liefern. Sie unterscheiden sich auch insofern von diesen, als gewöhnlich ein Prozeß nicht zum Gegenstand der Untersuchung von verschiedenen Wissensgebieten wird. Man kann hier daher eher als von Prozessen abgeleiteten Gebieten sprechen. Wenn eine solche Ableitung vorgenommen wird, dann meist durch Bildung von Nomendeverbativa mit der Endung -ung, wie z.B. in Datenverarbeitung oder in Verbindungen mit -technik, wie in Fördertechnik -kunst, wie in Silberschmiedekunst Ganz wenige Zusammensetzungen kann man auch mit -künde finden, wie z.B. in Sprechkunde; die ebenfalls existierende Benennung Sprechtechnik wäre hier wohl nicht "gebietsbildend", da zu wenig umfangreich und zu sehr auf die Lautbüdung bezogen. Dagegen wird Sprechkunst benutzt als werkgerechte Wiedergabe von Dichtung. Am häufigsten werden Bildungen mit -technik bevorzugt und es ist sprachlich interessant, daß damit nicht nur prozeßderivierte, sondern auch objektbezogene Wissensgebiete bezeichnet werden können; eine Unzahl von Beispielen liegen hierfür vor, wie Raketentechnik, Reaktortechnik, Elektrotechnik, etc. Die Kombination mit -technik wird aber auch bei diesen nicht im Sinne eines Aspektgebietes verwendet, wie wir das bei den Kombinationen mit Strahlen sehen konnten; es 36 A. Diemer: Raster zur sachlogischen Klassifizierung... (131) 37 Allerdings heißt es nicht Strahlenkunde sondern Strahlenforschung

219

geht hierbei vielmehr auch wiederum um Verfahren, etwa in dem Sinne wie "Verfahren, die notwendig sind, um . . . (z.B. Raketen bauen) zu können". Gewöhnlich sind aber in dieser Kombination mit -technik noch weitere Bezüge impliziert, die sich auf den eigentlichen Oberbegriff von Technik, nämlich Technologie beziehen. Hierauf wird später noch einzugehen sein. 4.3.7

Zur Bildung von phänomenbezogenen Wissensgebieten

Ähnlich, wie Objekte, können auch Phänomene Ausgangsgegebenheiten für viele Kombinationen mit Aspektgebieten sein. Als Beispiel wollen wir das Phänomen "Verkehr" nennen, von dem aufzufinden war: Verkehrswesen Verkehrsw issenschaft Verkehrsbau Verkehrsbetriebslehre Verkehrsgeographie Verkehrsrecht Verkehrsstatistik Verkehrsstrafrecht Verkehrsströmungslehre

Verkehrsgeschichte Verkehrsgewerbe Verkehrsmedizin Verkehrspolitik Verkehrspsychologie Verkehrstechnik Verkehrsversicherung Verkehrswasserbau Verkehrswirtschaft

oder ein naturwissenschaftliches Beispiel: Strömungslehre Strömungsmechanik

Strömungsphysik Strömungstechnik

Es kann in diesem Zusammenhang daraufhingewiesen werden, daß "Strahlung", als von Strahlen ausgehendes Phänomen hier zu einer parallelen Reihe mit Kombinationsgebieten hätte führen können, wie wir sie bei "Strahlen" gesehen haben. Das Wort "Strahlungschemie" war auch bereits geprägt worden. Wegen der großen Ähnlichkeit der Untersuchungsobjekte hat man sich dann wohl auf die sprachliche günstigere Kombination mit "Strahlen" geeinigt. Bei den Zusammensetzungen mit "Verkehr" fällt auch wiederum auf, daß hier eher Assoziationen mit anthropologisch-sozialwissenschaftlichen Gebieten vorzufinden sind, als mit naturwissenschaftlichen. Es können nun aus diesen wenigen Beobachtungen natürlich noch keine endgültigen Schlüsse gezogen werden, doch liegt es nahe, spätere größere Untersuchungen vielleicht unter der Hypothese vorzunehmen, daß Objekte und Phänomene jeweils eher unter den Aspekten ihrer eigenen Bereiche untersucht werden, als unter denen der anderen Bereiche. Vielleicht kann man sogar die These bestätigt finden, daß Objekt- und Phänomengebiete bestimmter Bereiche stets mit einer bestimmten Reihe von Aspektgebieten assoziiert werden können. 4.3.8

Eine Sammlung der Benennungen von Wissensgebieten

Überlegungen obiger Art über wahrscheinliche Regelmäßigkeiten bei der Entwicklung und Darstellung von Wissensgebieten sind für den Aufbau eines universalen 220

Klassifikationssystems verständlicherweise von grundsätzlicher Bedeutung. Es ist allerdings nicht daran zu denken, die Klassen eines solchen Systems bestimmen zu können, bevor nicht eine relativ vollständige Übersicht über alle bekanntgewordenen Benennungen von Wissensgebieten vorliegt. Vorarbeiten sind hierzu bereits in Angriff genommen worden; eine Kartei mit fast 6000 Benennungen (einschließlich der Synonyma) wurde erstellt und auf maschinenlesbare Datenträger übertragen37a. Die Benennungen wurden aus den Registern von 12 Nachschlagewerken entnommen, es handelte sich dabei um Quellen von der in Abschn. 4.2.2 angegebenen Art. Die Benennungen wurden in Gruppen "grobsystematisiert". Die weiteren Schritte zu einer sachgerechten Ordnung dieser Gebietsbegriffe werden sein: 1 Sammlung der Definitionen der Benennungen 2 Überprüfung der Definitionen und der Benennungen durch Fachleute der entsprechenden Wissensgebiete 3 Formalisierung der Definitionen 4 Sammlung der zu den Gebieten "gehörigen" Begriffen und ihren Benennungen (aufgrund von Thesauri, Klassifikationssystemen, Vokabularien, etc.) 5 Überprüfen dieser Begriffslisten durch Fachleute der betreffenden Gebiete 6 Versuch einer Strukturierung der gebietsspezifischen Begriffe, Herausarbeiten der gebietsunspezifischen Begriffe 7 Strukturierung der gebietsunspezifischen Begriffe Die daraus gewonnene Übersicht wird erkennen lassen, wo sich Gebiete mit weitgehend gebietsspezifischen Begriffsbenennungen ansammeln und wo die Zwischenformen und die sozusagen "leeren" Gebiete, deren Begriffe sich also in anderen Gebieten "befinden", anzusiedeln sind. Wenn es möglich wäre, die Ergebnisse dieser Untersuchungen auf existierende Universalklassifikationen zu projezieren, ließen sich wahrscheinlich Entwicklungsstufen ablesen, die für die evtl. Weiterentwicklung des hier intendierten Systems aufschlußreich wären. Schon ein Vergleich der Beispiele unter Abschn. 4.3.5 und 4.3.7 mit der UDC von 195838 zeigt, daß von den 7 Kombinationen mit "Strahlen" keine, außer der ungebräuchlichen Form "Strahlungsphysik" vorkommt — UDC 550.35 und von allen Kombinationen mit Verkehr enthält diese UDC-Ausgabe nur "Verkehrspolitik" — UDC 382.15 unter Außenhandel - UDC 382. Besteht demnach eine zunehmende Tendenz zur Bildung solcher Gebiete, bzw. ihrer Gebietsbegriffe? Besteht eine tatsächliche Tendenz zur Herausbildung neuer Wissensgebiete mit eigenen Wissenselementen oder sind z.B. unter den aus Kombinationen entstandenen Gebietsbenennungen lediglich Aspekte angezeigt, die für die Wissensordnung als solche von sekundärer Bedeutung sind, wie M. Scheele meinte, weil die Wissenselemente sich bei den Objektordnungen befinden? 37a Inzwischen liegt der entsprechende Abschlußbericht der Phase I: Materialsammlung, vor, siehe (l01 a). 38 Gemeint ist die Dreisprachige Kurzausgabe. Berlin: Beuth-Vertr. 1958 (116)

221

Eine gründliche Untersuchung dieser Fragen, vielleicht anhand der genannten Sammlung der Benennungen, erscheint uns unerläßlich, will man sich einen Überblick darüber verschaffen, wie sich derzeitig Wissen in Wissensgebieten organisiert.

4.4

Zur Ordnung von Wissensgebieten

4.4.0

Vorbemerkung

In Abschn. 4.1.5 hatten wir auf die Möglichkeit hingewiesen, aufgrund formaler Aspekte eher zu einer allgemein akzeptablen Wissensordnung zu finden, als auf der Basis materialorientierter Theorien. An drei philosophischen Abhandlungen der letzten Zeit möchten wir aufzeigen, daß auch dort bereits formale Gesichtspunkte für die Einteilung bevorzugt wurden, allerdings für jeweils unterschiedliche Bezugselemente. So basiert P. Weingartner^ seine formalen Kriterien auf dem jeweils unterschiedenen formalen Charakter der Sätze von Wissenschaften, R. RochhauserflQ auf dem Tripel von Gegenstand, Methoden und Erkenntnisziel von Wissenschaften undJ.K. Feibleman^ auf den Gesetzen, die den einzelnen Seinsstufen, in denen Objekte und Wissenschaften sich ordnen können, zukommen. 4.4.1

Die "Einteilung der Wissenschaften" nach Weingartner

P. Weingartner unterscheidet in seiner Wissenschaftstheorie I, in der ein propositionaler Wissenschaftsbegriff verwendet wird, zwischen deskriptiven normativen deskriptiv-normativen Wissenschaften,

wobei das Einteilungsprinzip die Form jener Klasse von Sätzen ist, die in der betreffenden Wissenschaft entweder "erklärt" oder "begründet" werden42. £r erläutert hierzu: "Es ist zu beachten, daß demnach für das Einteilungskriterium nicht maßgebend ist, aus welchen Arten von Sätzen (deskriptiv oder normativ) die Axiome, Theoreme, Gesetze (auch die aus anderen Wissenschaften übernommenen Voraussetzungen) einer Wissenschaft bestehen; das Einteilungskriterium bilden vielmehr die Sätze, die begründet, erklärt werden, nicht diejenigen, die begründen, erklären." 39 P. Weingartner: Wissenschaftstheorie I. Stuttgart 1971 (547) 40 R. Rochhausen (Hrsg.): Die Klassifikation der Wissenschaften als philosophisches Problem. Berlin 196 8 (421) 41 J.K. Feibleman: The integrative levels in nature. In: British J. for the Philosophy of Science, May 1954 (164) 42 Siehe P. Weingartner (547, S. 124)

222

Als weitere Aspekte benutzt Weingartner die Kriterien von Wertfreiheit und Wertbesitz sowie Verwendung oder Nichtverwendung von teleologjschen Erklärungsschemata. Zu letzteren gibt er folgende Erläuterung: "Der Ausdruck 'erklären' wird hier in zwei Bedeutungen verstanden. Demnach sagt man erstens, daß in den Wissenschaften Ereignisse, Tatsachen, Strukturen, Gegebenheiten und Sachverhalte erklärt werden, daß in ihnen jene Sätze, die die betreffenden Ereignisse, Tatsachen, Strukturen, Gegebenheiten und Sachverhalte wiedergeben, erklärt werden. Wenn von Erklärungsschemata gesprochen wird, meint man nicht die erste, sondern die zweite Bedeutung. Und zwar versteht man unter einem Erklärungsschema die Form eines logischen Schlusses, in dem die Prämissen die erklärenden Sätze und die Konklusionen die erklärten Sätze sind." (S.92) Zu "teleologisch": "Wenn die erklärenden Aussagen Wertprädikate enthalten, die erklärten Aussagen aber keine Wertprädikate enthalten, soll von einer teleologischen Erklärung gesprochen werden." (S. 102) Auf dieser Basis kommt Weingartner zu folgender Einteilung^; 1. Deskriptive Wissenschaften 1. l Deskriptiv-wertfrei a) Mathematische Wissenschaften b) Nichtmathematische Wissenschäften, deskriptive, wertfreie Wissenschaften .1 ohne ideologische Erklärungsschemata (Physik, Chemie, Geologie, Mineralogie, Petrographie) .2 mit teleologischen Erklärungsschemata a) nicht-human teleologisch (Biochemie, Biologie, Gen-Wissenschaften) b) human-teleologisch (+humanrelevante Wertprädikate) (Anthropologie, Psychologie, Soziologie, Sprachwissenschaften, Geographie, Geschichtswissenschaften) 1.2 Deskriptive Wertwissenschaften (Aesthetik, Wertlehre, Werttheorie)

2. Normative Wissenschaften Rechtswissenschaft 3. Deskriptiv-normative Wissenschaften

Philosophie (Metaphysik, Logik, Erkenntnislehre, Ethik) Literatur und Kunstwissenschaften Rechtswissenschaften Volkswirtschaftslehre

Pädagogik Politische Wissenschaften Theologie Aus dieser Aufstellung ist zu entnehmen, daß Weingartner wohl nur "etablierte" Wissenschaften in seine Betrachtung einbeziehen wollte, wenn er auch mit den Untergliederungen der Philosophie, insbesondere Wertlehre und Werttheorie, 43 Eigene Aufstellung; Auszug aus den S. 124-148 von (547). 223

vielleicht etwas zu großzügig verfährt. Andererseits "unterschlägt" er durchaus als Wissenschaften zu bezeichnende Gebiete, wie Medizin, Agrarwissenschaften, Technologie. Das Verhältnis der Untergliederungseinheiten ist aufgrund der von Weingartner gewählten Einteilungsgesichtspunkte sehr ungleich: einer einzigen normativen Wissenschaft stehen 15 deskriptive und 7 deskriptiv-normative gegenüber, es taucht aber die einzige normative Wissenschaft, die Rechtswissenschaft, auch noch einmal unter den deskriptiv-normativen Rechtswissenschaften auf. Man möchte sich daher fragen, ob diese Einteilung der Wirklichkeit gerecht wird44 Verzichtet man auf die Annahme einer reinen normativen Wissenschaft, dann erhält man eine Zweiteilung, die einer anderen, ebenfalls nach formalen Kriterien vorgenommenen sehr ähnelt, gemeint ist die seinerzeit von H. Ricken vorgelegte. Für ihn waren allerdings nicht die Inhalte der Sätze einer Wissenschaft maßgebliche Faktoren, sondern der teleologische Aspekt, der in einer "Kulturwissenschaft" gegenüber der "Naturwissenschaft" zum Ausdruck kommt.45. Auch er unterscheidet, nach Werten, aber nicht in gleichzeitiger Bindung an "deskriptive" Wissenschaften46; "An Kulturobjekten haften Werte und wir wollen sie deshalb Güter nennen, um sie so zugleich als wertvolle Wirklichkeiten von den Werten selbst, die keine Wirklichkeiten sind und von denen man auch absehen kann, zu unterscheiden. Naturvorgänge werden nicht als Güter gedacht sondern frei von der Verknüpfung mit Werten, und löst man daher von einem Kulturobjekt jeden Wert ab, so wird es dadurch ebenfalls zur bloßen Natur. Durch diese Beziehung auf Werte, die entweder da ist oder nicht, können wir mit Sicherheit zwei Arten von Objekten unterscheiden und wir dürfen es dadurch allein, weil, abgesehen von dem an ihm haftenden Wert, ein jeder Kulturvorgang sich auch im Zusammenhange mit der Natur stehend und dann selbst als Natur muß ansehen lassen."

Sieht man einmal von den Einteilungen ab, die Weingartner auf der Basis der Satzinhalte glaubte unternehmen zu müssen und behält nur die Aufeinanderfolge seiner Disziplinen im Auge, so wird deutlich, daß uns hier mit kleinen Abweichungen wieder die schichten the ore tische Abfolge der Wissenschaften begegnet, wie wir sie schon in verschiedenen Schemata kennengelernt haben. 44 Weingartner neigt selbst zu der Auffassung, wie aus der Fußnote 5, S. 155 seines Buches hervorgeht, daß die Rechtswissenschaft nicht total als normative Wissenschaft anzusehen ist. 45 Die Gegenüberstellung hat bei Rickert aber vor allem auch noch den folgenden anderen Grund. In Fortführung von W. Windelbands Einteilung in "nomothetische" und "idiographische" — also Gesetzes- (Natur-) und Ereigniswissenschaften (Geschichte) unterscheidet Rickert auch nach Methoden: "Die Wirklichkeit wird Natur, wenn wir sie betrachten mit Rücksicht auf das Allgemeine, sie wird Geschichte, wenn wir sie betrachten mit Rücksicht auf das Besondere und Individuelle, und ich will dementsprechend dem generalisierenden Verfahren der Naturwissenschaften das individuelle Verfahren der Geschichte gegenüberstellen" (328, S. 55) 46 Siehe H. Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft 6./7. Aufl. Tübingen 1926. (Hier S. 19-20) 224

Die Zweiteilung des ganzen erfolgt dann an der Stelle, an der der Mensch gestaltend in den Naturablauf eintritt, in der er also nicht mehr selbst Objekt der Betrachtung ist, wie noch in Anthropologie, Medizin und Psychologie, sondern wo er Werte schafft und Normen setzt. Diese Zweiteilung erscheint also als ein Aspekt, den wir uns als ein akzeptables theoretisches Argument für später merken wollen. Es wird vermutlich auch dann noch Geltung haben, wenn wir in die Betrachtung auch Gebiete einbeziehen, die noch nicht den Entwicklungsstand der Wissenschaften erreicht haben, wie z.B. Verkehrswesen, Transport, Versorgung, Verwaltung, Dienstleistung, Freizeit, Sport, etc. 4.4.2

Beiträge Rochhausens zur Ordnungsproblematik

Nicht von den Satzgegebenheiten einer Wissenschaft ausgehend sondern nach den von uns so bezeichneten Wissensarten (siehe Abschn. 4.2.4) unterscheidet R. Rochhausen (421, S. 63-104) drei Ansätze, die für alle Wissenschaften gelten können - ohne daß er damit auch die einzelnen Wissenschaften nach diesem Einteilungsgesichtspunkt angeordnet hätte: a) nach dem Gegenstandsbereich Philosophie Strukturwissenschaften (Logik, Mathematik) Querschnitts- und Integrationswissenschaften Kybernetik, Spieltheorie, allg. Systemtheorie) Obj ekt wissenschaften b) Nach der den Gegenstand charakterisierenden Qualität der Bewegungsform Naturwissenschaften Gesellschaftswissenschaften Wissenschaften vom Denken c) nach dem Erkenntnisziel theoretische Wissenschaften angewandte Wissenschaften

Mit der Explikation dieser Einteilungen wird leider fortwährend die marxistische Weltanschauung seiner Autoren propagiert; wenn von Philosophie gesprochen wird, ist immer nur die marxistische Philosophie gemeint^?. Der dialektischen Methode bedienten sich aber doch schon Sokrates, Platon und die Sophisten, und vor Hegel hatte sich Kant mit ihr auseinandergesetzt. Indem Rochhausen sie verwendet, um auf bestehende Wechselwirkungen zwischen den Wissensgebieten hinzuweisen, vermittelt er jedoch eine Reihe nützlicher Gedankengänge zu unsrer Problematik. So wird zum Beispiel auf die Wechselwirkung, die zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften besteht, aufmerksam gemacht; einerseits wertet die Philosophie die Ergebnisse der Einzelwissenschaften aus, 47 Hier nur ein Beispiel: "Als Einheit von weltanschaulich-ideologischem, ethischem, erkenntnistheoretischem und methodologischem Aspekt umfaßt die marxistische Philosophie die Totalität der allgemeinsten Normen, Ideen, leitenden Prinzipien und methodischen Regeln, die für die Weiterentwicklung der Wissenschaft als Ganzes von Bedeutung sind. .."(421,8.66-67) 225

andererseits wirkt sie durch ihre Methodenlehre auf die SpezialWissenschaften zurück. Diese Wechselwirkung wird verglichen mit der zwischen theoretischen und angewandten Wissenschaften. In ähnliche Wechselwirkungen treten auch die Gebiete der Struktur- und Querschnittswissenschaften mit den Spezialgebieten. Jedoch, "Strukturwissenschaftliche Probleme stehen in Objektwissenschaften nicht am Anfang, sondern erst auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung" (S. 82). In den Überlegungen hinsichtlich einer Klassifikation der Wissenschaften nach dem Erkenntnisziel wird festgestellt, daß an gleichen oder auch verschiedenen Gegenständen durch bestimmte Wissenschaften unterschiedliche Erkenntnisziele verfolgt werden; am Beispiel der Naturwissenschaften und technischen Wissenschaften, also z.B. an Physik Biologie Biologie Mathematik Militärwissenschaft

-

Technologie Agrotechnik Medizin Rechentechnik Militärtechnik

wird gezeigt, daß in den Naturwissenschaften nach Ursache—Wirkung—Zusammenhängen gefragt wird und versucht wird, Objektbereiche darzustellen und Gesetzmäßigkeiten aufzufinden, daß hingegen die Technik die zu bildenden Verfahren zunächst gedanklich vorwegnehmen muß. Sie muß die Mittel und Methoden sowie die notwendigen menschlichen Tätigkeiten planen, in die Konstruktion einbeziehen und — meist dann im Produktionsprozeß — realisieren. Dabei wird Technik immer begrenzt durch das objektiv Mögliche und "technisch Sinnvolle", Funktionsgerechte. Bestandteil der technischen Wissenschaften sind die systematisierten Ergebnisse von Experimenten und Messungen an technischen Gebilden und Prozessen sowie ihre Verallgemeinerungen (Kenngrößen, Kennziffern, Verhalten und Wirkungen von Werkstoffen, etc.). Es wäre jedoch verfehlt, wolle man die Unterschiede zwischen Technik und Naturwissenschaften absolut sehen; die Übergänge seien vielmehr oftmals fließend; auch die naturwissenschaftliche Forschung zielt auf Veränderung und auch in den technischen Wissenschaften muß theoretisch gearbeitet werden. "Der Naturwissenschaftler kann nicht erkennen, ohne zu konstruieren, und der Ingenieur seinerseits kann die Wirklichkeit nicht verändern, ohne zu erkennen, ohne Zusammenhänge zu erforschen und ohne ständig neue Objekte wissenschaftlicher Forschung zu schaffen" (S. 93). Die besonderen Aufgaben der Technik sind auch dadurch gekennzeichnet, daß vielfach einem Komplex von gesellschaftlichen Forderungen und Wünschen (ökonomischer, aesthetischer, psychologischer, physiologischer, etc. Art) gerecht konstruiert werden muß; dies in einem Kontext von Gebrauchsbedingungen zu geschehen hat (Arbeitskräfte, Klima, Energieversorgung, etc.), welche jeweils noch abhängig sind von bestimmten zeitlichen Grenzen und 226

schließlich, daß auch noch preisgünstig dabei erzeugt werden soll. Insgesamt kann man daher von einer "integrierenden Tendenz" in den technischen Wissenschaften sprechen. Diese Überlegungen erscheinen uns von großer Bedeutung für die Ordnung der Wissensgebiete; gerade die Fragen der Einordnung der technischen Gebiete im Zusammenhang oder unabhängig von ihren "theoretischen Wissenschaften" führten bisher immer wieder zu Kontroversen. Ihre Absonderung als "angewandte Wissenschaften" gegenüber den "reinen Wissenschaften" findet allerdings auch heute vielfach Ablehnung; dies zeigt sich auch schon in der Tatsache, daß man inzwischen Technische Hochschulen vielfach in Universitäten umgewandelt hat. Als einer der heftigsten Streiter gegen den "unsinnigen" Ausdruck "applied science" muß M. Korach.4% angesehen werden. Auch er befaßt sich — ähnlich R. Rochhausen — mit einer Reihe von Kriterien für die technischen Wissenschaften, wie z.B. "model testing", "step-wise modelling", Beachtung der "cost-variable" und der "variable of wastage" bei der Bewertung der Verfahren. In diesem Zusammenhang kann erwähnt werden, daß ein ähnlicher Gesichtspunkt der Verwendung von Wissen für spezielle Anwendungen, wie er zwischen Wissenschaft und Technik besteht, von A, Diemer für die sozialwissenschaftlichen Bereiche in den Verbindungen mit "Politik" gesehen wird. (132, S. 8—11). Hierbei wird in einem engeren Sinne meist nur die Vorgabe von Zielen verstanden, in einem weiteren auch die Feststellung der Realitäten, d.h., der Vorgegebenheiten, der Realisierungsmöglichkeiten, der Entwicklung von Strategien mit der Folge: Management und Kontrollen. "Wie bei den einzelnen Bereichswissenschaften daraus sich Produkte, Verfahren, kurzum die technischen Gegebenheiten 'entwickeln', so könnte die Wissenschaftspolitik genau als eine wissenschaftswissenschaftliche Technik'entwicklung' ('Entwicklung IP) verstanden werden." (132, S. 11). Diese Sicht vermittelt eine akzeptable Deutung für die vielen, gerade in letzter Zeit auftauchenden Zusammensetzungen der Namen von Wissensgebieten mit -politik, wie in Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik, Informationspolitik, etc. Dies bedeutet allerdings keinesfalls, daß "Politik" in diesen Zusammenhängen die Stelle von "-technik" einnimmt; hier wurde lediglich eine Parallele zur Gewinnung technischer Produkte gezogen: die Bemühung um die Gewinnung geistiger Produkte. Es heißt aber auch nicht, daß Zusammensetzungen mit "-politik" hier, wie mit "-technik" dort als selbständige Wissensgebiete verstanden werden müßten. Kehren wir aber zu Rochhausen zurück. Wir haben auch hier nicht im einzelnen analysieren können, ob die Begründung zu seiner Theorie zu Recht besteht; vom Ansatz her war uns sein Modell ja bereits bekannt^Sa. \Vir finden bei ihm jedoch 48 Siehe M. Korach: The science of industry. In: The Science of Science. London 1964. S. 179-193 48a Siehe die Parallele in Abschn. 4.2.3

227

nun die Bestätigung, daß sich diese Dreiteilung auch auf das Gesamt der Wissensgebiete übertragen läßt. Auch dies wollen wir im Auge behalten. Vielleicht läßt sich das Tripel von "Gegenstandsbereich", "Bewegungsform", "Erkenntnisziel" folgendermaßen darstellen:

4.4.3

Die Integrationsstufen von Feibleman und die Arbeiten von D. Austin

Als die Mitglieder der englischen Classification Research Group (CRC) 1963 in einer Konferenz49 die Voraussetzungen für eine neue Universalklassifikation diskutierten, bestand Einigkeit darüber, daß für ein solches Unternehmen die Praktiken der Facettenklassifikation herangezogen werden müßten^O und daß man 49 Der Bericht über diese Konferenz wurde 1969 in einem Sammelband veröffentlicht (78) 50 Wir hatten bereits in Abschn. 3.1.4 die Empfehlung der CRC zitiert, die im Anschluß an die Beiträge der Dorking Konferenz von 1957 veröffentlicht wurden und in der die Facettenklassifikation als "the most helpful form of classification scheme" charakterisiert wurde. 51 Diese 1963 geplante Universalklassifikation ist bis heute noch nicht erstellt worden, es liegen allerdings in einer Reihe von Forschungsberichten durch H. Tomlinson und D. Austin Vorschläge vor, wie im einzelnen bei der Kategorisierung der Gebiete Geologie, Bergbau, Physik, Skulptur u.a. verfahren werden könnte (78). Ein vorläufiger Abschlußbericht durch D. Foskett erschien 1970 (180). Im folgenden sollen wegen ihrer Bedeutung im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung dieser Arbeit die Ausgangsüberlegungen für die Erarbeitung der CRG Universalklassifikation im Wortlaut wiedergegeben werden (Übersetzung des Final Statement, (78, S. 22-23)): "Die folgende Feststellung wurde als Ergebnis der abschließenden Diskussionen der Konferenz getroffen. 1. Ziele dci Klassifikation (a) Die Konferenz stimmte darin überein, daß der hauptsächliche Zweck der neuen Klassifikation darin gesehen werden muß, daß sie ein Hilfsmittel für das manuelle Wiederfinden von Büchern auf Regalen und von Einträgen in Registern sein solle (meine Hervorhebung, ID); gleichzeitig solle sie ein Maximum an Kompatibilität mit maschinellen Retrieval Systemen gestatten. Es sollten nicht nur Systeme in die Untersuchung einbezogen werden, die Wörter anordnen, sondern es sollten auch Diskussionen mit denjenigen geführt werden, die "Systeme von Relationen" untersucht haben. (b) Sachgebiete: als erste Aufgabe sollte eine systematische Anordnung dessen unternommen werden, was vereinbarungsgemäß "organisierte Tätigkeitsgebiete" (organized fields of activities) genannt wird. Sie werden als diejenigen Gebiete beschrieben, denen sich wissenschaftliche Gesellschaften widmen, Schulen, Zeitschriften, etc. (c) Als zweite Aufgabe wird eine Anordnung von Wissenselementen ('Dingen', 'Gegebenheiten') angesehen, ohne daß für jedes einzelne notwendigerweise ein ganzes System vollständig erarbeitet werden sollte. Die Klassifikation sollte einen hauptsächlichen Kern und zumindest dessen wesentliche Facetten in einigen Beispielen in etwas detaillierterer Weise ausgearbeitet enthalten. Man sollte jedoch nicht versuchen, bereits auf dieser Stufe eine Sammlung aller Einzelheiten für alle Themen vorzunehmen.

228

von einer Einteilung nach "traditionellen Disziplinen" absehen wolle, hingegen die Inhalte der Disziplinen in der Reihenfolge der "Integrative Levels" ordnen sollteSl. In seinem Beitrag "The Theory of Integrative Levels reconsidered as the basis of a general classification" erläutert/). Austin52,worum es bei den IntegrationsForts. Fußnote 51 (d) Die Beziehung zwischen diesem Plan und einem vollständigen System von Spezialklassifikationen ist noch nicht vollständig untersucht und geklärt worden. Nichtsdestotrotz hat die Konferenz darin übereingestimmt, daß es möglich und nützlich sei, Regeln für die Transformation eines Systems in ein anderes System aufzustellen. Jedoch wird hierzu noch sehr viel Arbeit erforderlich werden. Allgemein war man sich darüber einig, daß eine Transformation nicht durch mechanische Code-Transformation oder Konversion stabeilen oder durch einfache Konkordanzen zu erreichen sein würde. 2. Grundordnung (Basic order) Wir stimmten darin überein, daß die Theorie der Integrationsstufen zumindest einen Ausgangspunkt für die Hauptordnung liefern könnte. Diese wird in der Folge von anderen Prinzipien ergänzt werden, wie z.B. dem der Zweckorientierung (z.B. in der Technik). Die vordringlichste Aufgabe wird hier darin gesehen, den Inhalt der verschiedenen Stufen, wie er von der CRC in einigen Klassifikationen dargestellt worden ist, zu bestimmen und wie er auch von anderen Gruppen, die das gleiche oder ein ähnliches Prinzip benutzen, dargestellt wurde. 3. Wortkategorien und Relationen Wir stimmten darin überein, daß es notwendig sein wird, ein Kategoriensystem von Wörtern auszuarbeiten mit einem zusätzlichen Minimalbestand an Relationen. Verschiedene Vorschläge wurden überprüft und mit Befriedigung wurde festgestellt, daß hierüber bereits zu einem großen Teil Übereinstimmung bestand; es wird jedoch eine systematische, vergleichende Studie der bereits benutzten und der noch im Experimentierstadium befindlichen Relationen erforderlich werden, um den praktischen Wert von Relationssystemen festzustellen. 4. Begriffszerlegung von Komposita Wir erkannten, daß Komposita eine Analyse oder Zerlegung bis zu einem-bestimmten Punkt erfordern; dieser muß jedoch festgelegt werden. Auch hier ist eine vergleichende Studie der vorhandenen Methoden nötig, einschließlich der Arbeiten von Forschungsgruppen in speziellen Gebieten (wie z.B. der strukturalistischen Semantik). 5. Notation Wir stimmten mit den von Miss Kyle dargestellten, hauptsächlichen Prinzipien überein. Bisher sind noch nicht genügend vergleichende Untersuchungen und Tests mit den verschiedenen Notationssystemen gemacht worden. Das endgültig zu wählende System sollte international akzeptierbar sein. 6. Organisation des Projekts Es wird gewünscht, daß Fortschrittsberichte über den Abschluß jeder oben beschriebenen Aufgabe angefertigt werden. Diese Arbeit kann nicht von einem Komitee übernommen werden, doch wird man evtl. ein internationales Beratungsgremium benötigen, das wissenschaftliche Schulen und verschiedene Disziplinen vertritt. Die Arbeit sollte, wenn möglich, an eine bestehende Organisation (wie die British National Bibliography) angeschlossen werden. Wir erwarten, daß das Püot Scale Project, das nach den Bedingungen einer NATO-Bewilligung vorgesehen ist, die Ausmaße zukünftiger Arbeit bei der Erstellung eines umfangreicheren Systems anzeigen wird." 52 Siehe D. Austin in (78, S. 81-95) Austin hat sich in seiner Darstellung der "levels" nicht genau an das Original gehalten, er wählte 12 aus den 18 Levels aus, erläuterte und kommentierte sie kritisch.

229

stufen geht. Historisch lassen sie sich wohl auf das Schema von A Cbmfe53 zurückfuhren, eine erste Darstellung sei in den "First Principles" von H. Spencer zu finden. Der Biochemiker/. Needham verwies auf sie in einer Reihe von Vorträgen in den dreißiger Jahren54. 1945 hat sich AÄ NovikoffiS in einem Artikel in "Science" dazu wie folgt geäußert: "The concept of integrative levels of organization is a general description of the evolution of matter through successive and higher orders of complexity and integration. It views the development of matter, from the cosmological changes resulting in the formation of the earth to the social changes in society, as continuous because it is never ending, and as discontinuous because it passes through a series of different levels of organisation physical, chemical, biological, sociological" "What were wholes on one level become parts on a higher one. Each level of organisation possesses unique properties of structure and behaviour which, though dependent on the constituent elements, appear only when these elements are combined in the new system. Knowledge of the laws of the lower level is necessary for a full understanding of the higher level; yet the unique properties of phenomena at the higher level cannot be predicted, a priori, from the laws of the lower level. The laws describing the unique properties of each level are qualitatively distinct, and their discovery requires methods of research and analysis appropriate to the particular level. These laws express the new organising relationships, i.e. the reciprocal relationships of elementary units to each other and to the unit system as a whole." Die von A.B. Novikoff angedeuteten Gesetze für die einzelnen Stufen versuchte J.K. FeiblemanSo 1954 in 18 "Laws of the levels", 6 "Rules of explanation" und 5 "Rules of procedure" zu formulieren. Er zeigte auch, daß auf jeder Stufe 1) charakteristische Gegebenheiten 2) Prozesse

53 Eine gewisse Ähnlichkeit ist freilich auch mit den Seinsschichten von Aristoteles festzustellen (siehe Abschn. 3.1.1) Aristoteles Seinsschichten

Integrationsstufen (umgekehrte Reihenfolge)

Totes

[physikalisch [chemisch

Lebendiges l Pflanzliches^ Tierisches l Geistiges

biologisch [psychologisch l anthropologisch

Göttliches 54 Siehe hierzu auch J. Needham: A biologist's view of Whitehead's philosophy. In (353, S. 249-250) 55 A.B. Novikoff: The concept of integrative levels and biology. In: Science 101 (1945) S. 209-15 56 J.K. Feibleman in (164, S. 27-41)

230

3) daraus hervorgehende Eigenschaften vorkommen. Folgende Darstellung zeigt dies auf den fünf Hauptstufen: Stufe anthropol. psychol. biologisch chemisch physikalisch

Gegebenheit Gesellschaft Person Organismus Molekül Atom

Prozeß Kontakt und Anpassung Stimulus/ Antwort Empfindung/Reaktion Kombination/ Anordnung Ursache/Wirkung

Eigenschaft Ethos Selbstbewußtsein Leben Valenz Energie

Jeder Stufe entspreche eine Wissenschaft, doch könnten auch noch weitere Wissenschaften mit einer Stufe korrespondieren, diese entsprechen dann weiteren Aspekten, die in den Stufen vorkommen können. Im folgenden sollen die 18 "Laws of the Levels" mit wenigen Erläuterungen wiedergegeben werden. Auf Z). Austin's Beobachtungen kann nicht eingegangen werden, es soll jedoch auf sie hingewiesen werden; seine kritischen Analysen haben dazu beigetragen, die wesentlich komplexere Natur der "Levels", die nicht nur integrativen sondern auch aggregierenden Charakter haben und Disintegrations- und Disaggregrationsmomente besitzen, etwas einsichtiger zu machen. (Die folgende Übersetzung kürzt den Originaltext) "a) Jede Stufe organisiert den Inhalt der Stufe(n) unter ihr und besitzt ein weiteres Qualitätsmerkmal. Alles empirisch Gegebene hat daher mindestens physikalische Eigenschaften. b) Je höher eine Stufe, umso größer die Komplexität der Gegebenheiten. c) Je höher die Stufe, umso größer die Mannigfaltigkeit der Gegebenheiten. In höheren Stufen sind sich die Gegebenheiten weniger ähnlich als in niederen. Entsprechend verhalten sich auch Kinder ähnlicher, da ihr Gehirn gegenüber dem komplexen Zentralnervensystem vom Erwachsenen relativ unentwickelt ist. d) In jeder Gegebenheit ist die höhere Stufe von der niederen abhängig. Je höher eine Stufe ist, umso weniger autark ist sie. Um fortbestehen zu können, bedarf die höhere Stufe der niedrigeren. Eine Kultur kann beispielsweise nicht andauern, wenn die Städte zerstört sind. e) In jeder Gegebenheit wird die niedrigere Stufe durch die höhere geleitet. Die höhere Stufe verleiht der niedrigeren Sinn und Zweck. Die einzelnen Teile eines Autos z.B. sind nur dann zusammenzufügen, \venn man weiß, daß daraus ein Auto werden soll. f) Für jede Gegebenheit gilt auf jeder Stufe, daß ihr Mechanismus auf der niedrigeren Stufe und ihre Ziele und Zwecke auf der höheren liegen. g) Wenn auf irgendeiner Stufe eine Störung auftritt, wirkt sich dies auf allen von ihr abhängigen Stufen aus. Dies gilt hauptsächlich für die höheren Stufen, in den weniger integrierten wäre eine Störung weder so umfassend noch so sehr ernst zu nehmen. h) Je höher die Stufe umso kürzer die Zeit, die zu einer Veränderung der Gegebenheiten benötigt wird. Die Entwicklung der Sterne hat längere Zeit gedauert als die der biologischen Arten. Je komplexer eine Organisation ist, desto instabiler ist sie auch. Daher ist Zeitdauer eine Funktion der Integrationsstufen. i) Je (zeitlich) später sich etwas entwickelt, umso höher ist die Organisationsstufe.

231

j) Je höher die Stufe, umso kleiner ist die Anzahl der Fälle. Es gibt weniger Moleküle, als Atome, weniger Zellen als Moleküle, weniger Organismen als Zellen und weniger Kulturen als Organismen. Unter diesem Aspekt formen sich die Integrationsstufen zu einer Pyramide. k) Auf jeder Stufe ist das Vorhandensein einer Gegebenheit höherer Stufe eine Störung. 1) Je höher die Stufe, umso größer ist die Mannigfaltigkeit der Fälle. Es gibt mehr chemische Verbindungen als Atome, mehr unterschiedliche Menschen als chemische Verbindungen, etc. m) Je höher die Stufe, umso größer ist die Anzahl der Freiheitsgrade. n) Je höher die Stufe, umso größer die Anzahl der Ursachen, die eine Wirkung haben. Es gibt nur eine Art, Kochsalz herzustellen, indem man Natrium und Chlor zusammenbringt, doch viele, um eine biologische Mutation, eine verärgerte Person oder eine soziale Revolution zu erzeugen. o) Ursachen liegen auf einer tieferen Integrationsstufe als Wirkungen. Wärme im makrokosmischen Bereich ist Wirkung der Bewegung mikrokosmischer Partikel. p) Je niedriger eine Gegebenheit in den Integrationsstufen ist, umso mehr beherrschen die Teile das Ganze, je höher, umso mehr das Ganze die Teile, q) Ereignisse einer Integrationsstufe beeinträchtigen Gegebenheiten anderer Stufen, z.B. beeinträchtigen Kriege auch das Leben der Organismen, r) Was als Gegebenheit beeinträchtigt wird, hat auch als Gegebenheit eine Wirkung. Was immer auf der chemischen Stufe geschieht, ist ein chemisches Ereignis, unabhängig davon, was das Ereignis auf anderen Stufen bewirken kann." Auch einige "Rules of explanation" verdienen Erwähnung, z.B. "c) Jede Gegebenheit gehört zu ihrer höchsten Stufe (in der sie vorkommen kann). Stühle sind nicht nur physische Objekte sondern auch Kulturobjekte. d) Es ist unmöglich, eine Gegebenheit einer höheren Stufe auf eine niedere zu reduzieren. Damit würde die jeder Stufe eigene charakteristische Struktur und Qualität verloren gehen."57 Wir haben diese "Gesetze der Stufen" im einzelnen hier deshalb aufgeführt, weil diese Stufen einerseits von der englischen CRC-Gruppe seinerzeit als für den Aufbau einer neuen Universalklassifikation als "Ausgangspunkte für die Hauptordnung" erachtet wurden, andererseits aber vor allem auch, weil sich in diesen Stufen tatsächlich ein Phänomen "konkretisiert", das sich als Ordnungsmittel für ein universales Klassifikationssystem des Wissens geradezu anbietet: die Schichtung des Wirklichen, von der wir ja auch bei der ontologjschen Betrachtung in Kap. 3 ausgegangen waren. Nun ist dieser Schichtungsgedanke keinesfalls eine Erfindung der Positivisten des 19. Jahrhunderts. M Hartmann^, denJ.K. Feibleman offenbar nicht zu kennen schien, denn er zitierte ihn nicht, sagt von ihm, daß seine wirklichen Ursprünge bereits auf der Höhe der antiken Philosophie zu finden sind. Der Schichtungsgedanke habe sich nur deshalb im Verlaufe der Geschichte "nicht unbehelligt durchsetzen können, weil ihm von jeher das Einheitspostulat des spekulativen Denkens entgegenstand." (S. 175) Dagegen lasse sich aber doch feststellen, daß sich "die 57 J.K. Feibleman in (164, S. 30-36) 58 N. Hartmann: Der Aufbau der realen Welt. Berlin 1939. 3. Aufl. 1964 (217)

232

Wissenschaften auf ihrem Werdegang im Laufe der Jahrhunderts mit einer gewissen Zwangsläufigkeit nach eben diesen vier Hauptschichten59 des Realen in Gruppen innerer Zusammengehörigkeit gegliedert" haben (S. 181 -182). Hartmann sieht aber doch von der Ontologie her den Zusammenhalt des Ganzen: "Denn eben die Einheit der realen Welt erfassen, kann nur heißen, diese Welt in ihrem Aufbau und ihrer Gliederung erfassen. Die Einheit, welche sie hat, ist nicht Einheit der Gleichförmigkeit, sondern Einheit der Überlagerung und Überhöhung von sehr verschieden geformten Mannigfaltigkeiten... Die Welt entbehrt bei aller Mannigfaltigkeit und Heterogeneität keineswegs der Einheitlichkeit. Sie hat die Einheit eines Systems, aber das System ist ein Schichtensystem. Der Aufbau der realen Welt ist ein Schichtenbau." (S. 182). Hartmanns Anliegen besteht vor allem in der Identifizierung dessen, was als Kategorien des Wirklichen die formbildende Kraft dieses Wirklichen ausmacht. Er ist auch der Gesetzlichkeit dieser Kategorien in Bezug auf die Seinsschichten nachgegangen: "Die Kategorien einer Seinsschicht beherrschen alles Seiende, das ihr angehört. Darin besteht ihre Schichtengeltung" (S. 389). Wir können Hartmanns Gedanken hier nicht weiter nachgehen^, wollen zusammenfassend jedoch festhalten, daß uns die gezeigte Stufenordnung der realen Welt in ihrer Eigengesetzlichkeit als ein formales Kriterium zur Ordnung ihrer jeweiligen Objekte, Phänomene, Prozesse und Eigenschaften über ihre begrifflichen Fixierungen erscheint. Die Schichten (und ihre Subschichten) bilden sozusagen das Modell für einen allgemein zu verwendenden Systematifikator in diesen Bereichen. Dire Verallgemeinerungen können aber auch für die jeweils komplexer werdenden Integrations- und Aggregationsstufen in der Ordnung der speziellen Objekte einzelner Wissensgebiete zutreffen. Hiermit, wie auch mit den Fragen zur Voraussetzung der Seinsschichten (den "Schichten von Prinzipien. .. welche vollgültig die Schichtenfolge der Realkategorien nach unten zu fortsetzen", Hartmann, S. 186) und den Bereichen, die durch die sog. "Artefakte" und "Mentefakte"61 gekennzeichnet sind, wollen wir uns in Kap. 6 befassen. Zunächst müssen wir jedoch die informationswissenschaftlichen Grundlagen eines universalen Klassifikationssystems kennenlernen.

59 Hartmann unterscheidet nur vier Schichten: Anorganisches, Organisches, Psychisches, Geistiges 60 Dies wird etwas ausführlicher in Abschn. 6.1.1 geschehen. Lediglich als Anmerkung sei hier auf die Zusammenfassung verwiesen, die Diemer (in 118, Bd. l, S. 138) von Hartmanns "Gesetzen der kategorialen Schichtung" vorlegte. Hartmann unterschied demnach neun Gesetze, nämlich 1) Gesetz der Schichtendistanz, 2) - der Wiederkehr, 3) - der Abwandlung, 4) - des Novums, 5) - der kategorialen Dependenz, 6) - der Stärke, 7) - der Indifferenz, 8) - der Materie, 9) - der Freiheit. 61 Wortprägungen von B. Kyle in ihrem Beitrag in (297). 233

5.

INFORMATIONSWISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN EINES UNIVERSALEN KLASSIFIKATIONSSYSTEMS

5.0

Vorbemerkungen

Die Funktion eines Klassifikationssystems muß in der Lieferung von Elementen (Begriffen) für die Formulierung von informatorischen Aussagen in effizienter semantischer Verdichtung gesehen werden. Als Voraussetzung hierfür soll die adäquate begriffliche Repräsentanz des Wirklichen und seiner Attributionen so organisiert geschehen sein, daß ein jeder Benutzer des Systems alls denkbaren und wahren Aussagen über einen Sachbereich mit Hilfe der Begriffe dieses Systems formulieren kann. Das Kapitel diskutiert daher zunächst die theoretischen Grundlagen informatorischer Aussagen; befaßt sich sodann mit den Fragen der "paradigmatischen Organisation" von Begriffen, also den formalen und materialen Elementen in ihrer allgemeinen und speziellen Strukturierung; erörtert die Probleme der "syntagmatischen Organisation", also der Artikulierung von Begriffen in Aussagen; weist anschließend auf Lösungswege zu einer Formalisierung im metaklassifikatorischen und prädikatenlogischen Sinne hin und behandelt abschließend die funktionalen Aspekte eines Klassifikationssystems zur Vermittlung von Informationen für spezielle Anwendungsbereiche.

5.1

Theoretische Grundlagen informatorischer Aussagen

5.1.1

Zur Theorie des Informems

Der von A. Diemer^ eingeführte Begriff und seine Benennung "Informem" ist gleichzusetzen mit dem Informationsgehalt einer Aussage, die über einen Sachverhalt gemacht werden kann. Ein Sachverhalt, so definiert Diemer, "besteht grundsätzlich aus drei möglichen Typen von Momenten: aus den Sachverhaltselementen (-gegenständen), den Sachverhaltsbestimmungen (Merkmale, Tätigkeiten) und zugehörigen Sachverhaltsfunktoren, wozu dann auch die 'logischen Funktoren (Partikel)' rechnen" (S. 107). So, wie nun der Wissensgehalt (Noem) einer Aussage (Proposition) als Proposem bezeichnet werden kann, ist der Informationsgehalt als Informem zu bezeichnen. "Das Informem - die 'Information' — wird damit bestimmt als der in einer eigenständigen Weise dargestellte Sachverhalt, bzw. das verselbständigte Sachverhaltsproposem, das nun idealiter — 'allen', 'überall' und 'allezeit' gleicherweise zur Verfügung steht bzw. zugänglich ist." (S. 108). Die Ableitung vom Sachverhalt und seinen drei Momenten (Gegenstände, Bestimmung und Funktoren) sind für das Informem wesentlich; es bedeutet, l

Siehe A. Diemer: Informationswissenschaft. Zur Begründung einer eigenständigen Wissenschaft und zur Grundlegung eines autonomen Bereiches "Informationswissenschaften" (129)

234

daß nur dann von 'Information' gesprochen werden kann, wenn eine Aussage im Sinne eines Subjekt-Prädikat-Konjunktes vorliegt. Wir werden hier an Aristoteles erinnert^, der in seiner "Lehre vom Satz" sagte: "Jede aussagende Rede muß ein Verbum oder die Beugung eines Verbums enthalten. Denn auch der Begriff 'Mensch', wenn man nicht hinzusetzt: ist oder war oder wird sein u. dergl., ist noch keine aussagende Rede." 5. l .2

Die Besonderheit klassifikatorischer Aussagen

Liegt die Bildung einer Aussage vor, deren Elemente die Begriffe eines Klassifikationssystems sind, so sprechen wir von einer klassifikatorischen Aussage; ihr Informationsgehalt ist entsprechend das klassifikatorische Informem. Die Besonderheit dieser Aussagen gegenüber denen in natürlichen Sprachen besteht darin, daß ihre Bestandteile verbalisiert zumeist in substantivierter Form ausgedrückt werden, wobei das Prädikat häufig an den Anfang rückt und dabei das Subjekt des "Satzes" zum Objekt wird, wie in den dependenz-grammatischen Satzstrukturen^, da die Prädikatsposition am Anfang die Inversion des passivischen Subjekts zum Objekt bedingt. Es heißt z.B. in natürlicher Sprache: "Komplexe Sachverhalte werden beschrieben" In der klassifikatorischen Ausdrucksweise jedoch: "Beschreibung komplexer Sachverhalte" Mit dieser Prädikatsposition ist jedoch auch die Möglichkeit einer prädikatenlogischen Formalisierung solcher Aussagen und ihrer Ergänzungen verknüpft und mit der Transponierung des Prädikats in eine substantivische Form ist zugleich auch seine begriffliche Fixierung erleichtert. Im einzelnen hierzu siehe Abschn. 5.3.3. 5.l .3

Zur begrifflichen Grundlage klassifikatorischer Aussagen

Wir wollen in diesem Abschnitt nochmals auf unsere Differenzierung von Begriffsarten in Abschn. 3.5.1 a) und b) zurückkommen. Dort unterschieden wir zwischen A B C D

ObjektPhänomenProzeß- und Eigenschaftsbegriffen

Daneben fanden wir Kombinationsbegriffe der verschiedensten Form, z.B. für Kombinationen aus A+D, B+D, C+D — wir nannten sie attribuierte Objekt-, Phänomen- oder Prozeßbegriffe. Kombinationen aus A+C und B+C bezeichneten wir 2 Aristoteles, Organen II, 17a; Übersetzung von Rolfes (15). Vor ihm aber auch schon Platon im Sophistes, 262a-b 3 Siehe hierzu L. Tesniere (501) und die Arbeiten der Dependenzgrammatischen Schule in der Linguistik.

235

dagegen als Konjunktbegriffe, da in ihnen eine versteckte Aussage in substantivischer Form enthalten ist, die ein unlösbares Begriffskonjunkt eingegangen ist, wie wir an dem Beispiel "Lärmbekämpfung" sahen (Bekämpfung des Lärms, Lärm wird bekämpft). Entsprechend den Begriffsbezeichnungen - so sagten wir auch bereits können wir von Objekt-, Phänomen-, Prozeß- und Eigenschaftsklassen sprechen und wir können ergänzen: auch von Kombinations- und Konjunktklassen; denn je nachdem, worauf sich diese Begriffe beziehen, können sie Klassen von Gegenständen oder Themen bilden. Auch vollständige Aussagen mit mehreren Begriffskombinationen können auf diese Weise zu Themenklassen werden. Außer den Eigenschaftsbegriffen erscheinen alle Wortrepräsentationen von Begriffen als Substantiva in einer klassifikatorischen Aussage; aber Eigenschaftsbegriffe können häufig auch substantivisch ausgedrückt werden. Es ist beispielsweise das Gleiche, ob man sagt Chinesische Philosophie oder Philosophie Chinas dagegen müssen Eigenschaftsbezeichnungen, wie z.B. maschinelle (Dokumentation) auf ihre Funktion im Rahmen einer Aussage analysiert werden. In diesem Falle handelt es sich um eine implizite Aussageergänzung im Sinne von (Dokumentation) mit Hilfe von Maschinen (bzw. Computer)4. Wir sind bisher noch nicht auf die von A. Diemer für eine Sachverhaltsaussage ebenfalls als notwendig genannten Funktoren eingegangen. Diese sind entweder die logischen Funktoren (Partikel), wie 'und', Oder', 'wenn-dann' etc. oder aber Relatoren, die als Relationsbegriffe immer dann nicht in die Kategorie der Eigenschaftsbegriffe fallen, wenn sie tatsächliche Relationen, z.B. des Raumes, der Zeit, des Mittels, der Ursache sind. Derartige Relatoren^ können zur eindeutigen Darstellung der prädikatenlogischen Aussage vor Aussageergänzungen eingesetzt werden^. Bei der Formulierung von Aussagen werden die Begriffe entsprechend ihren Determinanten eingesetzt, wobei die besonderen Charakteristika klassifikatorischer Aussagen berücksichtigt werden müssen (siehe oben). Daß auf diese Weise Objektbegriffe zum "Objekt" einer Aussage werden, ist ein "verbaler Zufall". Objekte, bzw. Objektbegriffe können jedoch auch in Aussageergänzungen vorkommen.

4 Siehe hierzu auch die Arbeiten der Forschungsgruppe LIMAS insbes. R. Glas: Inhaltsanalyse des Genitivattributs, in (241) 5 Es soll hierzu nochmals auf die Relatoren von Perreault (379) verwiesen werden. 6 Siehe hierzu auch Abschn. 5.3.4

236

5.2

Paradigmatische Organisation von Begriffen

5.2.1

Die Bedeutung eines eindeutigen Begriffs-Paradigmas

Unter "Paradigma"? wird das Gesamt der Begriffe eines Klassifikationssystems verstanden, einschließlich der das System strukturierenden Formbegriffe und einschließlich der Relationen, die durch die strukturierenden Begriffe und durch die Klasseme der Begriffe existieren. Diese nennt man daher die paradigmatischen Relationen im Gegensatz zu den syntagmatischen, die erst bei der Fixierung von Aussageergänzungen Zustandekommen. Zur wahlweisen Verwendung von Begriffen des Paradigmas zur Formung von Aussagen ist ihre übersichtliche Einordnung in Fundamentalkategorien^ und Facetten Voraussetzung. Deren Anordnung bedingt die Verwendung eines Systematifikators, der die Verteilung der Sach- und Formkategorien und die Abfolge der durch Formbegriffe bestimmten Facetten regelt. Je weniger komplexe Systemprinzipien angenommen werden können, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß das System verhältnismäßig stabil bleibt. Der Ermittlung "vernünftiger", d.h., der Wirklichkeit angepaßter, lebensfähiger Systemprinzipien kommt daher die größte Bedeutung zu. Das einst von M. Scheele^ und später von D. Austin^® propagierte Prinzip, für jeden Begriff im System nur eine Stelle zu haben, von der aus er mit allen anderen Begriffen des Systems zu speziellen Zwecken kombinierbar verwendet werden kann, sollte auch hier gelten. 5.2.2

Die allgemeine Strukturierung des Systems, seine 'SuperStruktur'

In Abschn. 4.1.5 hatten wir begründet, warum uns ein formaler Ansatz zur Darstellung des Begriffsgesamts objektiver und universal akzeptabler erschien als jeder materiale. Es soll daher nun überlegt werden — ohne den konkreten Vorschlag in Kap. 6 vorwegzunehmen —, mit welchen Formkategorien diese "SuperStruktur" für das System geleistet werden kann. Mehrmals hatten wir darauf hingewiesen, daß allgemeine Objekte (also alle Objekte, die in mehreren Aspektgebieten Gegenstand der Untersuchung sein können) in eigenen Hierarchien von Sachbegriffen zusammengefaßt werden sollten. Sie müßten daher unter der Formkategorie "Allgemeine Objekte" systematifiziert und klassifiziert werden.

7 Dies ist eine andere Bedeutung von Paradigma, als die von Kühn (siehe Abschn. 4.1.3) Siehe auch Abschn. 1.4.5 a) 8 S. Abschn. 5.2.3, wir benutzen etwas andere F. als Ranganathan 9 Siehe M. Scheele: Thesaurus - Baustein jeder Fachdokumentation (431) 10 Siehe D. Austin: The new general faceted classification. (22): "The approach of the new classification is from an organised 'universe of concepts', every concept being set down only once in an appropriate vocabulary where it acquires the notation which identifies it wherever it is used".

237

Daneben haben wir zunächst die Formbegriffe kennengelernt!!, die sich von allgemeinen Formkategorien ableiten lassen. Für alle Hierarchien von Formbegriffen sollte es ebenfalls ein eigenes Subsystem geben, das nach den verschiedenen Arten von Formbegriffen unterscheidet (Objekt-, Phänomen-, Eigenschafts-, Prozeß- und Relationsbegriffen). In diesem Bereich sollen sich nur reine Formbegriffe befinden, die also z.B. Oberbegriffe für Facetten von Sachbegriffen zu liefern vermögen. Daneben werden hier auch alle allgemeinen Prozeßbegriffe und allgemeine Eigenschaftsbegriffe und Relationsbegriffe geordnet. In zwei weiteren Kategorien können alle Klassen und Individualbegriffe zusammengefaßt werden, die sich auf Raum- und Zeitangaben beziehen; also alle geographischen Begriffe und Namen, alle Zeitperiodenbegriffe und einsetzbaren Zeitpunkte, die eine gegebene Aussage erfordern kann!2. Schließlich würde vor allem aber auch noch die Kategorie benötigt, die die Benennungen der Wissensgebiete enthält und die Aspektbegriffe liefert, um Aussagen über bestimmte Objekte machen zu können. Diese Kategorie enthält aber auch alle Prozeßbegriffe, die für spezielle Tätigkeiten in besonderen Wissensbereichen und Gebieten vorkommen können. Daneben wird sie jedoch auch alle übrigen, für bestimmte Gebiete charakteristischen Begriffe enthalten. Diese fünf Kategorien, die die "SuperStruktur" eines universalen Klassifikationssystems ausmachen können, sollen als die Fundamentalkategorien 13 bezeichnet werden, da sie die formale Basis für ein Gesamtsystem bilden können. 5.2.3

Spezielle Strukturierung: Facettierung

Da innerhalb der fünf Fundamentalkategorien jeweils andere Arten von Begriffen bzw. Begriffsgruppen vorkommen, unterscheiden sich auch die Relationen zwischen den Merkmalen dieser Begriffe. In der Kategorie der allgemeinen Objektbegriffe können als Relationen für eine Hierarchierung nur solche nach dem Prinzip der Unterteilung nach Genus — Species — Individua vorgenommen werden; diese bilden dann den "konstanten" Teil in diesem Bereich, während Teile oder Eigenschaften von Objekten, systematifizierbar in 11 Siehe Abschn. 3.1.2 12 Man wird allerdings für Datumsangaben eine "Leerformel" erstellen und Ortsangaben auf einem angemessenen hierarchischen Niveau belassen oder durch Raumkoordinaten näher bezeichnen. 13 Diese Fundamentalkategorien sind nicht identisch mit denen Ranganathan's (siehe Abschn. 3.4.5), wenn auch vielleicht "Matter" unseren Objektbegriffen und "Space" und "Time" unseren Kategorien für Raum- und Zeitangaben entsprechen könnten. Aber Ranganathan's Fundamentalkategorien (PMEST) bilden nur die Leerformel für die Reihenfolge der Angaben in den variierenden Facettenformeln; sie stellt daher die Grundlage fur die syntagmatische Organisation von Aussagen dar, während unsere Fundamentalkategorien die "Ordnungspfeiler" für die gesamte paradigmatische Organisation des Systems liefern. 238

eigenen Hierarchien nach den (partitiven oder Bestands-) Relationen "GanzesTeil" und den attributiven "Objekt-Eigenschaft" als variabel zu handhabende Begriffe in Form von "beweglichen Facetten"14 eingerichtet werden müßten. Ähnliches gilt für die Facettierung der Begriffe aus den Kategorien der Aspektgebiete, wobei hier jedoch, da der Oberbegriff nicht ein singulärer Formbegriff ist sondern ein Konjunktbegriff, alle Begriffsarten der Bestandteile des Konjunkts, zumindest aber Objekt- und Prozeßbegriffe als "bewegliche Facetten" angegeben werden müssen. Auch hier kann es wiederum einen konstanten Hierarchieteil geben, dies wären die direkten Unterteilungen der ein Wissensgebiet bezeichnenden Konjunktbegriffe und zwar 1) nach der Genus-SpeziesRelation, wenn ein Gebiet nach mehreren Arten (dieses Gebiets) untergliedert werden kann oder 2) nach der partitiven Relation (sofern mehrere "Untergebiete" zu einem Wissensgebiet festgestellt werden können, die die gleichen Facettenbegriffe, wie das "Obergebiet" besitzen können) und daneben den variablen "Hierarchieteil", der durch die speziellen Facetten dieses Gebiets gekennzeichnet ist. Wir hatten in Abschn. 4.1.4 "Eine allgemeine Theorie für einzelne Wissensgebiete" eine Facettierung gezeigt, wie sie in den Informationswissenschaften verwendet werden kann und sagten bereits, daß die Anwendbarkeit dieses Schemas auf andere Gebiete noch überprüft werden müsse. Es werden vermutlich auch Wissensgebiete existieren, deren Objektfacette dieselben Begriffe enthält, wie die der allgemeinen Objekthierarchien, vielleicht auch nur eine bestimmte Auswahl aus diesen 15. Für alle vorkommenden unterschiedlichen Fälle in der speziellen Strukturierung von Gebieten muß daher nicht nur eine Facettenreihenfolge sondern auch ein entsprechendes Regelrepertoire aufgestellt werden, das auch einen Systematifikator für die Untergliederung der nach Begriffsarten unterscheidbaren Facettenbegriffe enthält.

5.2.4

Thesaurusmethode in der paradigmatischen Organisation

Die Thesaurusmethode besteht in der expliziten Angabe aller begrifflichen Relationen zu einem Deskriptor (Begriff eines Thesaurus). Nun werden in einem Klassifikationssystem in oben beschriebener Strukturierung die meisten Relationen der Sachbegriffe bereits implizit durch das System vorgegeben und sind explizit durch die Systemstellen der materialen Elemente, der Klassen also, erkennbar. So kann es sich bei der Anwendung der Thesaurusmethode in einem solchen System nur noch um diejenigen Relationsangaben handeln, die zusätzlich zur Relationierung von Begriffen benötigt werden. Dabei spielt weniger die Polydimensionalität der Begriffe eine Rolle, daja die verschiedenen Merkmalskombinationen, z.B. der 14 Den Begriff der "beweglichen Facetten" prägte H. Arntz in (18). 15 Beispielsweise würde das Gebiet "Gartenbau" aus dem Begriffssystem "Pflanzen" eben nur diejenigen "übernehmen", die im Garten gepflanzt werden können und das Gebiet "Landwirtschaft" nur die Pflanzen und Tiere, die in der Landwirtschaft "vorkommen".

239

Objekte in den variablen Facetten enthalten sind und additiv angegeben werden können; es haben jedoch polyhierarchische Beziehungen eine Bedeutung und es müßte immer dann zu einem Begriff durch eine Zusatzangabe herausgestellt werden, daß weitere Ober- oder Unterbegriffe zu beachten sind, wenn die "Vorzugshierarchie" des gegebenen Systems nicht ausreicht. Weitere zusätzliche Angaben, die allerdings auch in den Thesaurusrichtlinien 16 noch nicht enthalten sind, betreffen semantische Relationen bei Prozeßbegriffen und ihren Kombinationsbegriffen. Sie ergeben sich aus der jeweiligen semantischen Valenz (bei zwei- und mehrstelligen Prädikaten) der zugrundeliegenden Verbbedeutungen 17. Bei dem Verbum "messen" 18 sind z.B. die folgenden vier syntaktisch-semantischen Valenzstellen frei: Messen: 1) Was wird gemessen (Größe, Gewicht, Temperatur)? 2) Welches Objekt wird gemessen? 3) Mit welchem Instrument wird gemessen? 4) Nach welchen Einheiten wird gemessen? Es wäre zweifellos für eine spätere Aussageformalisierung sehr günstig, wenn diese Angabenl9 bei allen Prozeßbegriffen eines Klassifikationssystems gemacht werden könnten; dies dürfte auch eine Algorithmisierung und maschinelle Bearbeitung von Texten später sehr erleichtern. . Die in einem Thesaurus vor allem zu realisierende "Synonymisierung" von Benennungen20} die deshalb zu leisten ist, weil die Thesaurusmethode auf der Gleichsetzung von sprachlichen und begrifflichen Elementen basiert, spielt in einem Klassifikationssystem mit einer Begriffsnotation keine Rolle. Denn nur die Notation repräsentiert den Begriff; alle sprachlichen Formen, seien sie in einer einzigen Sprache oder in mehreren vorhanden, seien sie aus einem Wort oder aus mehreren Wörtern bestehend, sind nur Verbalisierungen dieses in der Notation gefaßten Begriffs. 16 Siehe (l 15) 17 Wir fuhren hier den Begriff der "semantischen Valenzen" ein, der in der Linguistik im allgemeinen nicht verwendet wird, da man Verbvalenzen bisher hauptsächlich von ihrer grammatisch-formalen Seite her betrachtete. L. Tesniere (501), auf den der Begriff der Verbvalenzen zurückzuführen ist, hat ihn seinerzeit nur auf die Leerstellen bezogen, die ein Verb an Objekten verlangt und die adverbialen Ergänzungen nicht berücksichtigt. Natürlich kann man sowohl bei den formalen, grammatischen Verbvalenzen, wie auch bei den semantisch-inhaltlichen nach notwendigen und fakultativen Valenzen unterscheiden. (Siehe hierzu auch G. Heibig in (220) und (220a) sowie G. Stötzel in (492) ). 18 Hier werden nur die Distributionen angegeben, die für die Wissenschaftssprache infrage kommen; das Wort "messen" wird darüber hinaus auch noch umgangssprachlich benutzt (z.B. "sich mit jemandem messen", "etwas an jemandem messen" - ohne dabei eine Größe zu meinen). 19 In codierter Form natürlich 20 D.h. also, die Verweisung von Benennungen, die als Nicht-Deskriptoren bezeichnet werden auf Benennungen, die als Deskriptoren zum Indexieren verwendet werden können.

240

5.3

Syntagmatische Organisation von Begriffen zu Aussagen

5.3.1

Bisherige Methoden des KJassierens

Die Darstellung der Klassierungsmethoden bisheriger Universalklassifikationen21 zeigte, daß man für eine Klassierung zunächst die Disziplin bestimmen mußte, in der ein gegebenes Thema vorkommen konnte. Über ein gesuchtes Wort ließ man sich sodann durch ein allgemeines oder spezielles Register an die Systemstelle dieses Wortes fuhren und fand dort (wenn man Glück hatte) eine Notation für die Klasse des gesuchten Themas. Diese ergänzte man u.U. noch durch einige Hilfsklassen und bezeichnete dieses Ergebnis als "Klassifikation" eines betreffenden Dokumentes. Sofern der behandelte Gegenstand eines Dokuments aus einem bestimmten Objekt bestand, das eindeutig angegeben werden konnte, war dieses Verfahren der Klassierung besonders einfach22. Es versagte nur dann, wenn zu einem Gegenstand auch noch die verwendete Methode, das hierzu benötigte Hilfsmittel, die evtl. besonderen Bedingungen und Umstände, etc., u.U. alle auch noch mit entsprechenden Attributionen versehen angegeben werden sollten, wie das zur Spezifizierung der Aussagen über den Gegenstand erforderlich wäre. Diese Kalamität hatte Ranganathan erkannt und daher die Energiefacette, die jeweils Begriffe für Methoden, Verfahren, Tätigkeiten oder ihre Ergebnisse enthält, in die Unterteilungen seiner Sachgebiete (Main Classes) aufgenommen. Sie hat auch jeweils ihre wohlbezeichnete Stelle in den Facettenformeln dieser Gebiete. Die Facettenformeln stellen insofern praktische Hilfen für die Formulierung von Aussagen über in Dokumenten gefundene Sachverhalte dar, als sie die möglichen Ergänzungen, die allgemein in einem Sachgebiet vorkommen können, fixieren; allerdings dies nicht je einzelne Verbform, wie wir das bei "messen" sahen, sondern pro Gesamt aller Verben eines Gebiets. Daß dies die Aussagemöglichkeit stark einschränkt, ist einzusehen. 5.3.2

'Links and roles". Operatoren und Relatoren

Bisherige Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Dokumenteninhalten durch Verwendung der Deskriptoren aus Thesauri oder durch Exzerpieren von Stichwörtern aus dem Dokumententext selbst, beruhten vor allem darauf, daß man nicht darauf eingestellt war, Aussagen über Dokumenteninhalte zu machen, son21 Siehe Abschn. 3.4. l bis 3.4.6 22 Bei dieser Darstellung wurde allerdings bewußt stark vereinfacht, um hier nicht zu sehr ins Detail gehen zu müssen. Es kann natürlich auch vorkommen, daß bereits bei einer Systemstelle eines gesuchten Worts ein fertiges Begriffskonjunkt als Themenklasse vorliegt, wie wir das in Abschn. 3.5.1 b) bei "Reinigung von Verpackungsmitteln" gesehen haben. Will man dann etwa "Lagerung", "Weiterverwendung" oder "Zerstörung von Verpackungsmitteln" odgl. klassieren, so findet man keine entsprechende Klasse sondern muß den Oberbegriff wählen. Die UDC besitzt in der "Hilfsklasse Allgemeine Gesichtspunkte" eine Reihe von Gesichtspunkten, die zur näheren Spezifizierung angegeben werden können.

241

dem daß man Deskriptoren auflistet, die den Inhalt oder teilweisen Inhalt thematisch "treffen". Aber es geschieht dann, daß man ohne ersichtlichen Sinnzusammenhang eine Reihe von Deskriptoren hintereinander aufführt und es bleibt dem Benutzer überlassen, sich den entsprechenden Sinn selbst zusammenzusuchen. Als Beispiel diene folgende Indexierung zum Titel: "Zur künftigen Entwicklung der Informationsaufbereitung und der Recherchesprachen für Textinformationen". Deskriptoren: Dokumente, Aufbereitungsprozeß, Indexieren, Referieren, Rationalisierung, Notwendigkeit. Dokumente, Erschließen, inhaltliches, Effektivität, Voraussetzung, Thesauren, Kompatibilität, Zusammenarbeit, internationale, RGW. Textverarbeitung, automatische, Indexieren, automatisches, Thesauren, mehrsprachige, Erarbeitung, Entwicklungstendenz. Veranstaltung, IWT, Prognose, Moskau, 1972, Vortrag. Das dazugehörige Referat sei zum Verständnis auch zitiert: "Die Effektivität der Aufbereitungsprozesse sowie der Ausarbeitung und Anwendung der Recherchesprachen ist ständig weiter zu erhöhen. Gestützt auf die Ergebnisse einer Delphi-Befragung führender Wissenschaftler der DDR erfolgt eine analytisch-prognostische Einschätzung dieser Prozesse. Der Schwerpunkt der Entwicklung wird auf der Rationalisierung des Indexierens sowie der Ausarbeitung und Weiterentwicklung paßfähiger Thesauren liegen. Mehrsprachige Thesauren werden im Vergleich zur DK Bedeutung erlangen."

Obwohl hier versucht wurde, jeweils einen "string" von Wörtern in einen Satzzusammenhang durch Punktsetzungen zu bringen, wird ihr Zusammenhang nicht eindeutig. Das Beispiel ist auch hinsichtlich seines Indexierungsinhaltes aufschlußreich und lehrreich. Der Aufsatz erwähnt23 nämlich lediglich die "Themen", die in den Deskriptoren "angeschnitten" werden, sie werden jedoch keineswegs im Aufsatz selbst behandelt, so daß der interessierte Leser z.B. keine Information finden würde über Dokumente, ihre Aufbereitung, oder über Indexieren und Referieren. Die "Rationalisierung des Indexierens" wird hier jedenfalls nicht betrieben; daß über sie nur geredet wird, erfährt man allerdings erst, wenn man das Referat einsieht. Die Schwierigkeiten mit dieser Art zusammenhanglosen Deskriptoren wurden schon sehr lange gesehen. Von W. Goffman, J. Verhoeff und/. Beizer^ wurden daher 1963 "metasprachliche" Hilfsmittel für das Vokabular des Dokumentationssystems bei der Western Reserve University, Cleveland, Ohio, vorgeschlagen. Dort war allerdings bereits im Zusammenhang mit dem "Semantic Code Dictionary" (328) zur Klassierung der Literatur über Metallurgie (für die American Society of Metals) ein System von "Role Indicators" zur Angabe der "synthetischen Beziehungen" in einer Aussage verwendet worden, das die folgenden fünf Gruppen von Beziehungen unterschied: 1. 2. 3. 4. 5.

für Materialien für Eigenschaften für Vorgänge für Bedingungen für allgemeine Verwendungen

23 Fairthorne unterscheidet hier zwischen "mention" and "use", siehe (157) 24 Siehe hierzu ihren Beitrag "Use of metalanguage in information retrieval" (202) 242

Durch spezielle Codes sollte der Indexierer jeweils angeben, in welchem Sinne eine Verbindung von mehreren "Semantic Codes" (Klassen) verwendet wurde, z.B. bedeutete KEJ KUJ KOV KAM KQJ

bearbeitetes Material hauptsächliche! Bestandteil Eigenschaft gegeben für Prozeß; jegliche verrichtete Arbeit Mittel in einem Prozeß

Insgesamt handelte es sich dabei um 26 dieser Rollenindikatoren25. Ein Teil dieser Role Indicators ist später in das System der "Links and Roles" für die 1. Aufl. des EJC Thesaurus26 aufgenommen worden. Es sind im Anhang zu diesem Thesaurus zehn "roles" mit ihren Bedeutungen beschrieben worden. In seinem Artikel "A basic theory of roles as syntactic control devices in coordinate indexes" (85) leitet/.C. Costello, Jr. die Idee der Verwendung von Roles aus den verschiedenen Bedeutungen der Casus aus flektierenden Sprachen (Latein und Finnisch) ab, und meint, daß durch Anwendung dieser Roles der Mangel an syntaktischer Struktur im Coordinate Indexing aufgehoben und damit der Gefahr eines Retrieval mit falschen Ergebnissen ausgewichen werden kann. Er betont, daß die Roles aus der Erfahrung folgender Institutionen entwickelt wurden: U.S. Patent Office (10), WRU-ASM (387), (248), Linde (562), DuPont (86) und dem American Institute of Chemical Engineers (AIChE). Durch Anhängen folgender Zahlen an die Deskriptoren des EJC-Thesaurus sollen ihre kategorialen Bestimmungen oder ihre Beziehung zu anderen Deskriptoren hergestellt werden; wie man erkennen wird, entstehen dabei sowohl einstellige als auch mehrstellige Relationen: 8 1 2 3 4 5 6

"ist Thema" "ist Rohmaterial", "ist Ausgangsstoff", etc. "ist Produkt", "ist Ergebnis", "ist Fabrikat", etc. "ist unerwünschter Bestandteil", "ist Ausschuß", etc. "wird verwendet als, in, auf, für, mit", etc. "ist Umgebung", "ist Hilfsmittel", "ist Träger", etc. "ist Grund", "ist beeinflussender Faktor", etc.

7

"ist Wirkung", "ist beeinflußter Faktor", etc.

9 "ist befindlich als Besitz von, an Ort, in Zeit", etc. 10 "ist Mittel für" 0 "gehört zu den bibliographischen Angaben"27

Bei der Anwendung dieser "Aussagehilfen" hat man vielfach schlechte Erfahrungen gemacht, da Indexer und Rechercheur häufig in ihren Auffassungen über die 25 Ihre Anwendung wird ausführlich beschrieben in C.A. Shepherd: Design and implementation of the ASM Mark II Documentation System (465) und in M. Hyslop: Role indicators and their use in information searching-relationship of ASM and EJC Systems (247). Eine ausführliche Darstellung mit Übersetzung befindet sich in I. Dahlberg: Relation und Klassifikation (92, S. 6-10) 26 Die 2. Aufl. ist der bereits erwähnte und beschriebene TEST (Abschn. 2.6.3 b); darin werden jedoch keine "roles and links" zur Verwendung empfohlen. 27 Die Übersetzung der ausführlichen Darstellung der Inhalte von Roles findet sich ebenfalls in der o.g. Quelle (92, S. 13-14); dort wird auch auf die Ergebnisse von Bewertungsstudien dieser Indexierungshilfsmittel eingegangen.

243

Zuteilungen dieser Roles verschiedener Meinung waren^S. Man hat sie daher in der Folgezeit immer seltener verwendet.

'

Dagegen empfiehlt man die Verwendung von "Links" zur u n se man tische n Verknüpfung von Deskriptoren. Auch sie ist bereits im Dokumentationssystem der WRLJ29 zu finden, während hier jedoch ein System von Satzzeichen - ein "linking" auf mehreren Ebenen - benutzt wird, schlägt S.M. Newman (10) für das seinerzeit geplante Dokumentationssystem des U.S. Patent-Office die Anhängung von Zahlen, auch "interfix numbers" an "modulants" vor^O. Das Prinzip nannte Newman "interfixing". Seine Vorschläge sind nie realisiert worden, haben jedoch viele andere Bemühungen beeinflußt, z.B. auch die des Netherlands Patent Office (104).5.C. Vickery beschrieb sie31, wie auch die "Interlocking relations", die er auf CW Mooers' "Interlocking set of descriptors" zurückführt (530). Das Prinzip ist auch bei F.R. Whaley zu finden, der in diesem Zusammenhang erstmalig von "linking" spricht (562)32. Auf Whaley's Ideen geht auch das "sub-linking" zurück, das J.F. Walker als "The Singularity Sub-Link — a new tool for use in the storage and retrieval of information" (541) beschreibt. Es zeigt an, "that an indexing term or keyword is a member of a series of alternates that habe been studied separately for comparison in a given context". Durch Anwendung dieser Methode kann eine sonst ungeheuer große Anzahl von notwendigen Links eingespart werden, außerdem vermeidet man mit ihr Retrieval-Fehler durch falsche Kombinationen zwischen einzelnen Deskriptoren oder Stichwörtern; "every reference marked by the sub-link indicates a document reporting the vomparative evaluation or study of a term with other terms employed in the same context". Wegen ihrer Zweckmäßigkeit wird diese letztgenannte Methode auch in der Philosophischen Dokumentation, Düsseldorf, verwendet (224). 28 Es gibt hierzu eine Reihe von Bewertungsstudien, wie z.B. von J.D. Sinnett (469), F. W. Lancaster (300), S. Herner et al (228), J.G. VanOot (523), die allgemein recht kritisch urteilen, B.A. Montague (346) ist dagegen eher indifferent, was die Sache betrifft und negativ hinsichtlich der Kosten, F.R. Whaley (563) hat jedoch positive Ergebnisse in Verbindung mit einem Sichtlochkartenverfahren erzielt. In der deutschen Literatur siehe darüber vor allem D. Soergel (473, S. 291-315) und K.A. Czemper (91, S. 78-89). Als Übersetzung ins Deutsche auch B.C. Vickery (530, S. 69-71) 29 Genauer gesagt in dem von J.W. Perry und A. Kent entwickelten Dokumentationssystem des Center for Documentation and Communication Research an der Western Reserve University (heute Case Western Reserve Univ.) (387); die Erklärung der Zeichen siehe ebenfalls (92, S. 9-10), sie werden "punctuation levels" genannt. 30 Als "modulants" werden Suffixe bezeichnet, die die verschiedenen Aspekte eines Begriffs darstellen sollen; sie haben Ähnlichkeit mit den Rollenindikatoren. 31 In (530a, S. 45-48); in der dt. Übersetzung (530b, S. 65-69) werden für Interlockage - Koppelung und fur Interfixing - Verkettung verwendet. Es sei in diesem Zusammenhang auch auf die Arbeit von C.W. Petersen verwiesen: Entwurf einer polyhierarchischen Sichtlochkartei mit ungerichteten und gerichteten Koppeln (388). 32 Whaley selbst schreibt dazu: "The concept now known as "links" was described in my 1957 paper ..." (Pers. Sehr. v. 15.6.65)

244

Je nachdem, welche Art von Wörtern (und die sie vertretenden Begriffsarten) durch Links miteinander verknüpft werden, können auch mit dieser Methode Aussagen über Dokumenteninhalte fixiert werden — die verknüpften Begriffe müssen dabei die Bestandteile von Aussagen bilden. Sofern jedoch die durch Links verbundenen Begriffe von gleicher Begriffsart sind, ist der Bezug zwischen ihnen und der Bezug zum Dokumenteninhalt nicht als semantischer Bezug erkennbar. Ein Link hat dabei die gleiche Funktion wie auch der Doppelpunkt in der UDC. Gegen diese unsemantische Form der Verknüpfung von zwei Begriffen wenden sich daher die Vorschläge/. Farradane's und/. . Perreault's. Farradane hatte bereits 1955 das Schema seiner neun "Operators" veröffentlicht und seither immer einmal wieder in die Diskussion gebrachtes. Wir zeigen im folgenden seine "categories of relation" mit ihren Zeichen, die für diese Begriffe stehen und gleichzeitig als "Links" zwischen zwei Begriffen diese miteinander zu einem sog. "Analet" verbinden: Increasing Association

Recognition Not-distinct Distinct

Awareness

Temporary Memory

Concurrence

Self-activity /* Dimensional /+ Reaction /_

/o

Equivalence /= Distinctness /)

Fixed Memory Association

/; Appurtenance /( Functional dependence /:

Hier finden wir also bereits Triaden, die jedoch ohne erkennbares Prinzip aufgebaut sind; lediglich soll die horizontale Richtung eine zunehmende Assoziativität und die vertikale (von oben nach unten, was hier nicht mehr gezeigt werden konnte) eine zunehmende "Klarheit der Wahrnehmung" darstellen. Perreault's Vorschlag, anstelle der Doppelpunktverbindung zwischen zwei UDCNotationen eine Notation für einen Relator34 zu setzen, der den semantischen Bezug zwischen zwei durch UDC-Notationen ausgedrückten Begriffen herstellen kann, ist — wie wir bereits sagten - derzeitig als "Experiment" offiziell von der

33 J. Farradane in J. Doc. 11 (1955) S. 187-201; ders.: Relational indexing and classification in the light of recent experimental work in psychology. In: Inform. Storage and Retrieval 1 (1963) S. 3-11 und in 3 (1967) S. 297-314. Schließlich 1971 in einem Beitrag zusammen mit S. Datta: A psychological basis for general classification. - Paper 1st Ottawa Conf. Oct. 1971 (102) 34 Siehe hierzu J.M. Perreault: Categories and relators: a new schema. - In: Rev. Intern. Doc. 32 (1965) S. 136-144 (379); wir zeigten die ersten drei Ebenen seiner triadischen Klassifikation von Relationsbegriffen bereits in Abschn. 3.1.3, Tab. A23 bringt das gesamte Schema in deutscher Sprache.

245

FID gestattet worden. Seine Relatoren können freilich mit allen sog. Deskriptorsprachen, auch mit Begriffen von Facettenklassifikationen verwendet werden, jedoch ist stets auch eine Linkung - möglichst durch Klammern - der durch einen Relator verbundenen Begriffe erforderlich, um diese Verbindung von allen anderen, die das Gesamt der Verbindung wiederum eingehen kann, abzugrenzen. Es wird somit deutlich, daß die Problematik der Indexierung oder Klassierung von Dokumenten ohne gleichzeitige Herstellung von semantischen Bezügen zwischen den indexierten Begriffen erkannt wurde. Eine Änderung der gegenwärtigen Situation wird jedoch solange nicht denkbar sein, als man sich nicht der Mühe unterziehen will, die möglichen Aussagen über ein Dokument in syntaktisch verständliche Form zu bringen.35 5.3.3

Linguistische Ansätze bei der Aussagenbildung durch Begriffe

Wir haben in Abschn. 5.1.1 gesehen, daß Aussagen, die Informeme vermitteln können, die Komponenten von Sätzen besitzen. Wir wollen nunmehr versuchen, mit Hilfe von Grammatiktheorien Regeln für die Bildung solcher Aussagen zu finden, die nicht mit dem Wortschatz der natürlichen Sprache formuliert werden, sondern durch die Begriffe eines Klassifikationssystems. Betrachten wir z.B. den folgenden Titel, der den Sachverhalt einer Dissertation wiedergibt: (0) Eine Thermonadel für Temperaturmessungen innerhalb der lebenden Zelle. Das Informem dieser Aussage kann in verschiedenen Sätzen der deutschen Sprache enthalten sein, z.B. in (1) (2) (3) (4)

Messungen von Temperatur innerhalb der lebenden Zelle mit Hilfe einer Thermonadel. Mit Hilfe einer Thermonadel werden Temperaturen innerhalb einer lebenden Zelle gemessen. Innerhalb einer lebenden Zelle werden mit Hilfe einer Thermonadel Temperaturen gemessen. Es werden Temperaturen innerhalb einer lebenden Zelle mit Hilfe einer Thermonadel gemessen.

35 Hier müssen allerdings zwei Barrieren überwunden werden. Die erste streitet dem Indexierer das Recht und die Fähigkeit ab, eine Aussage über ein Dokument machen zu können. Außerdem wird das Argument gebracht, der Indexierer könne allein aus zeitlichen Gründen ein Dokument nicht in seinem vollen Umfang lesen und verstehen. Dem muß entgegengehalten werden, daß er sich dann an die Aussage des Autors in Titel, Untertitel, Referat oder Textvorspann und Zusammenfassung halten kann. Die zweite Barriere liegt in der oft wenig guten Zusammenarbeit zwischen Autor, Verleger, Redakteur und Indexierer; es müßte zur Selbstverständlichkeit werden, daß die Autoren die erforderlichen Aussagen liefern, so daß sie nur noch codiert zu werden brauchen.

246

Nach den Regeln der generativen Grammatik (N. Chomsky) müßte die Tiefenstruktur dieser Sätze (2-4) bedeutungsäquivalent sein mit den Oberflächensätzen und auch, trotz der substantivierten Form des Verbs, mit Satz (0) und dem Kurzsatz36(i). Wir wollen nun die Bestandteile der Aussage identifizieren, um sie in ein Satzschema von der Form: Subjekt Prädikat Prädikatsergänzung einbringen zu können. Wir erhalten dabei: Subjekt Temperatur

Prädikat wird gemessen

Präd. Erg. I mit Hilfe einer Thermonadel

Präd. Erg. II innerhalb einer lebenden Zelle

In einem nächsten Schritt bringen wir diese Satzbestandteile in die Form einer klassifikatorischen Aussage (entsprechend unserem Hinweis in Abschn. 5.1.2, daß der Prozeßbegriff an den Anfang der Aussage tritt und das passivische Subjekt damit zum Objekt wird); gleichzeitig versuchen wir, die Prädikatsergänzungen zu kategorisieren: Prozeß Messung

Objekt von Temperatur

Hilfsmittel Thermonadel

Meßkörper lebende Zelle

Aus dem Beispiel in Abschn. 5.2.4 über die semantischen Valenzen des Verbs "messen" wissen wir nun, daß folgende Leerstellen zu besetzen sind: 1. das zu Messende 2. ein zu messendes Objekt 3. das Meßinstrument 4. die verwendete Meßgröße Wir sehen nun, daß von den vier Leerstellen drei besetzt sind, (Leerstelle 1. bis 3.), wobei die Leerstelle 1., "das zu Messende", in diesem Falle Temperatur, ein syntaktisches Objekt ist, das im Passivsatz zum Subjekt wird und daher nicht mehr als Aussageergänzung zählt. Die verwendete Meßgröße (Leerstelle 4.) wurde nicht eigens erwähnt, da hierzulande allgemein in Celsius gemessen wird, wenn es sich um Temperaturen handelt. Bei einer Formalisierung dieser Aussage durch Algorithmisierung werden die einzelnen Positionen der Aussageergänzungen durch die sie vertretenden Kategorien festgelegt. In der Formulierung für die klassifikatorische Aussage muß daher die kategorisierte Stelle durch einen Relationsbegriff eingeleitet werden (wie beispielsweise: "mit Hilfe von", "verursacht durch", "befindlich in"), der die jeweilige Aussageergänzung charakterisiert. 36 H.-J. Heringer bezeichnete "Sätze" vom Typ (1) als Kurzsätze, vgl. (227, S. 41); man könnte sie auch "Nominalsentenzen" nennen.

247

Wir transponieren nunmehr unser Analyseergebnis in die Verbalform, die der Codierung in eine Begriffsnotation vorausgeht^?. Dabei holen wir die "Sache des Prozesses" an den Anfang, da bei Recherchen immer zuerst nach dem Sachbegriff und erst in zweiter Linie nach dem Formbegriff gefragt werden wird und setzen die Kategorienbegriffe für die Aussagenergänzungen in Form von Relatoren (h und m) vor ihre Sachbegriffe. So erhalten wir: Temperatur-Messung: h Thermonadel: m lebende Zelle An diesem Beispiel des Sachverhalts, der sich aus dem Thema einer Dissertation ergab, sollte vor allem das analytisch-synthetische Verfahren für die Informemgewinnungund -darstellung aufgrund sprachlicher Aussagen demonstriert werden. Es muß dies jedoch nicht der einzige Weg sein, durch den Aussagen und ihre Bestandteile identifiziert und analytisch dargestellt werden können. Bei der Erstellung einer Aussagentypologie wird man sich nicht nur an den syntaktischen und semantischen Valenzen der involvierten Prozeßbegriffe orientieren sondern auch Aussagestrukturen berücksichtigen müssen. 5.3.4 "Syntagmatische Relationen" Lediglich als Ergänzung und zur Verdeutlichung des im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Vorgehens sei hier der darin enthaltene neue Ansatz nochmals auf die in der Literatur seit "SYNTOL"38 im Bereich der Klassifikation bekannt gewordenen sog. "Syntagmatischen Relationen" übertragen. Sie waren bisher Gegenstand der Bemühungen um die "Links and Roles", um Operatoren und Relatoren39 un d konnten doch nicht algorithmisiert werden, da sie nicht jeweils auf einen Satz bzw. eine bestimmte Aussage bezogen wurden sondern nur als deskriptorenverbindende Elemente galten, die mehr oder weniger "frei im Räume schwebten". Bei den syntagmatischen Relationen handelt es sich um alle Relationen, die zwischen substituierbaren Elementen einer Aussage bestehen. Auf unser obiges Beispiel bezogen wären dies also "Thermonadel" und "Zelle, lebend"; denn an die Stelle von Thermonadel könnte ihr Oberbegriff z.B. Thermoelement' treten und an die Stelle von 'lebende Zelle' könnte 'Gewebe' gesetzt werden. Anstelle der Oberbegriffe könnten jedoch auch Unterbegriffe oder Reihenbegriffe (falls es sie gibt) ihre Stelle einnehmen. Die Relationen der Aussageergänzungen bleiben in allen Substitutionsfällen dieselben. Spricht man dagegen von Temperaturmessung in den Schächten von Bergwerken, so liegt hier nur noch eine "syntagmatische Relation" vor, nämlich die Ortsrelation; denn die Attribution "von Bergwerken" ist eine paradigmatische Ganzes37 Diese Verbalform ist auch diejenige, aus der später - z.B. zur Erstellung eines Registers der Zugriff zu den einzelnen Bestandteilen einer Aussage hergestellt werden kann. 38 J.C. Cardin: SYNTOL (Syntagmatic Organization Language) (194); siehe auch Cros/ Gardin/Levy in (89) 39 Siehe Abschn. 5.3.2

248

Teil-Beziehung aus Bergwerke/Schächte. Paradigmatische Beziehungen sind auch in den Eigenschaftsattribuierungen "lebend" (Zelle) oder etwa in einer Spezifizierung "tiefste Temperaturen" enthalten. Die Relation zwischen Subjekt und Prädikat ist in der Aussage jeweils eine Art unlösbare Verbindung; denn das Ausgesagte setzt etwas voraus, worüber eine Aussage gemacht werden kann und das wiederum verlangt die Bestimmung durch Aussagendes. Wir haben daher auf der begrifflichen Ebene bei der Kombination der entsprechenden Begriffe hier von einem Begriffskonjunkt gesprochen. Diese unlösbare Verbindung bedarf daher keiner Spezifizierung durch Relationsarten. Dagegen bestehen jedoch aufgrund der verschiedenen Kategorien von Prädikatsergänzungen Relationen zwischen diesen und dem Prädikat. Innerhalb einer Prädikatsergänzung kann es im allgemeinen jeweils nur paradigmatische Relationen geben - wie auch beim Subjekt einer Aussage. Syntagmatische Relationen beziehen sich also meist nur auf ein Prädikat; sie bestehen nicht zwischen den einzelnen Elementen einer Prädikatsergänzung. Graphisch dargestellt sieht dies mit Bezug auf unser obiges Beispiel so aus: Aussage

Hier ist die Relation R l des Prädikats P und der Prädikatsergänzung El eine Relation "des Mittels" (in unserem Fall des Hilfsmittels Thermonadel) und die Relation R2 des Prädikats P und der Prädikatsergänzung E2e2 ist die Raumrelation des Meßkörpers, wobei hier die paradigmatische "Unterrelation" für "lebend" durch e2 dargestellt werden sollte. Wären alle Leerstellen des Verbs"messen" besetzt gewesen und wären in der Aussage auch noch Orts- (geogr. Ort) und Zeitangaben berücksichtigt worden, so wäre eine Aussage mit 6 Ergänzungen und ihren entsprechenden Relationen zustandegekommen von der Art:

Die einzelnen Bestandteile stehen dabei für S + P El E2 E3e3 E4 E5

Temperatur-Messung mit Hilfe von Thermonadeln nach Celsiusgraden in lebenden Zellen in Frankfurt 1952

249

mit den Relationen Rl R2 R3 R4 R5

instrumentelles Hilfsmittel verwendete Meßgröße Räume. Meßkörper Ort Zeit

Weitere Ergänzungen sind denkbar, auch Attribuierungen der einzelnen Ergänzungen. Ergänzungen sind demnach mit Bezug auf das Prädikat rekursiv und stehen untereinander grammatisch-syntaktisch nur in additiver Verbindung. In diesem Zusammenhang kann nun auf mehrere russische Arbeiten hingewiesen werden^ besonders aber Vleduts/Stokolova: "Standard Phrases" method in constructing information languages with "Grammar"41, in der ebenfalls gezeigt wird, wie Aussagen in "Standard phrases" formalisiert werden können, allerdings — ebenso wie Ranganathan's Facettenformeln — immer nur mit Bezug auf ein Spezialgebiet. Eine besondere Erweiterung stellt diese Methode aber insofern dar, als die Aussagen bestimmter Arten von "Standard Phrases" weiterverwendet werden als "composite terms" in anderen "Standard phrases", so daß sich eine mehrstufige Hierarchie von solchen Standardsätzen ergibt. Die Methode wurde bereits erfolgreich in den Gebieten Biologie, Chemie und Geologie angewendet. Beispiele für die verschiedenen Stufen von Standardsätzen in diesen Gebieten werden gegeben; in Biologie z.B. "The biological species x is in the phase of development y, has sex z, age k, ecological form m" (535, S. 18) Hierzu wäre ein Beispiel für die zweite Stufe: "In organism , part y has property z, in process k, under condition n" (S. 18) Ergänzend wird hierzu erläutert: "the range of meaning of y is the set of terms, designating an organ or system of organs, part of the body, part of an organ, cell or part of a cell; the range of z is the set of terms signifying size, shape, structure, color, state or function of that part of the organism; the range of k is the set of terms signifying physiological or biochemical processes, the range of n is the set of terms signifying conditions of the external medium" (S. 18) Ein Beispiel für die dritte Stufe wäre: " in its properties undergoes a change z, in the process k, unter condition n" (S. 20) wozu erläutert wird: "the range of is the set of expressions obtained from the standard phrase of second level phrase 6, the range of z is the set of terms, 40 Siehe z.B.: Kuznetsov/Paducheva/Yermolayeva: On information language for geometry and algorithm of translation from Russian to an information language, 1961 (295); Vleduts/Finn: Problematics of creating a machine language for organic chemistry, 1960(534); 41 Beitrag in den Proceedings der FID-Konferenz 1968, Moskau (535) 250

signifying the type of change, k is the physiological and biochemical process, n is external influences" (S. 20). Mit diesem Verfahren werden demnach Aussagen über Sachverhalte fixiert, die sich im Sinne einer Datendokumentation auf Beobachtungsergebnisse an naturwissenschaftlichen Objekten jeweils unter bestimmten Bedingungen gesehen, beziehen. Hier werden also Elemente, die sich aus Begriffssystemen rekrutieren können, in der Aussage miteinander verknüpft, so daß Informeme entstehen. Das Besondere gegenüber dem vorher genannten Beispiel (des Dissertationsthemas) muß hier darin gesehen werden, daß Teilaussagen wie Variable behandelt werden und zu Elementen komplexerer Aussagen werden können. Auf diese Weise entstehen die "in eigenständiger Weise dargestellten Sachverhalte, die idealiter 'allen', 'überall' und 'allezeit' gleicherweise zur Verfügung" stehen können42. Abschließend sei noch auf eine weitere Methode hingewiesen, mit der Sachverhalte aus der Chemie, also Aussagen über chemische Prozesse und ihre Resultate strukturiert dargestellt werden, allerdings nicht mit Hilfe von Satzstrukturen sondern auf topologische Weise und durch Verwendung von Graphen. Es handelt sich um das Verfahren TOSAR43 von R. Fugmann et al und es werden dabei jeweils Eingangsvariable mit einer Vorgangsvariablen zusammengeführt und daraus eine Position für eine Resultatsgröße gewonnen, die maschinell ebenso gezielt wie alle vorherigen Variablen "angesprochen" werden kann. Hier basiert man — ähnlich der AuffassungRanganathans — nicht auf syntaktischen Gegebenheiten, man kommt aber dennoch zu brauchbaren Ergebnissen, weil Prozessbegriffe involviert sind, die Objektbegriffe prädizieren können. Ähnliche Ergebnisse vermögen alle Facettenklassifikationen zu erzielen (s.a. Fußnote 10, Kap. 3), wenn sie mit einem Regelwerk verbunden sind, das Prozeßbegriffe immer auf die Gegenstandsbegriffe folgen läßt, die den Gegenstand einer Aussage ausmachen. (Vgl. hierzu z.B. (140) und (141)). 5.4

Die Darstellung klassifikatorischer Informeme

5.4.0

Vorbemeikung

Vielleicht konnte bereits durch die o.g. Beispiele deutlich werden, wie spezifiziert durch Klassen Aussagen gemacht werden können; wir haben aber auch gezeigt, daß bereits in den Begriffen für Wissensgebiete Aussagen enthalten sind (z.B. "Lehre von, . ."). Wir unterscheiden daher die verschiedenen Ebenen der Spezifizierung einerseits als Meta-Ebenen insofern durch sie Aussagen materialer oder formaler Art über die Informeme einer Ebene gemacht werden und andererseits als Ausdruck verschiedener Konkretisierungsgrade und Geltungdmodi von Informemen. 42 Siehe das Zitat von Diemer in Abschn. 5.1.1 43 "TOSAR - ein topologisches Verfahren zur Wiedergabe von synthetischen und analytischen Relationen von Begriffen." (191)

251

5.4.1

Materiale Metainformeme

Als Metainformem soll ein Aussageinhalt gelten, der über ein bestehendes Informem "gesetzt" werden kann; handelt es sich dabei um eine Sachaussage, so können wir von "materialen Metainformemen" sprechen. Dies wäre z.B. der Fall, wenn ausgesagt wird, daß ein bestimmter Sachverhalt sich auf ein bestimmtes Gebiet bezieht, d.h., es wird damit ein Bezug hergestellt zwischen dem Begriff, der ein Wissensgebiet beinhaltet, und den Sätzen, die in diesem Gebiet Gültigkeit haben können. Wenn also einem "Sachverhaltsinformem" ein "Gebietsinformem" als materiales Metainformem zugeordnet wird, bedeutet dies: "Aussage ist eine wahre Aussage im Gebiet y" oder umgekehrt: "Im Gebiet y ist die Aussage eine gültige Aussage". Aufgrund der Polyhierarchie der Begriffe ist es aber auch denkbar, daß ein Sachverhaltsinformem mehreren Gebieten zugehören kann. Die Bestimmung der relevanten Gebietsinformeme kann aus der Analyse der Begriffe eines Sachverhaltsinformems erfolgen; sie könnte auch durch eine Angabe von Seiten des Autors eines Dokumentes ermittelt werden. Mit der Angabe des Gebietsinformems ist auch die Kontextualität eines Sachverhaltsinformems hergestellt; dennoch können beide Angaben mit Bezug auf ein Dokument unabhängig voneinander Gültigkeit besitzen. Das Gebietsinformem kann als eine Art "Vor-Information" über die Gebietsrelevanz einer Sache oder eines Dokumenteninhalts angesehen werden, das Sachverhaltsinformem als ausführlichere Aussage. 5.4.2

Formale Metainformeme

Von unserem obigen Beispiel war gesagt worden, daß es sich um eine Dissertation handelte. Diese Information läßt z.B. darauf schließen, daß es sich hier um eine fundierte Behandlung des Stoffes handelt, im Gegensatz zu einer ähnlichen Kennzeichnung nach Dokumentenarten, wie z.B. "Nachricht" oder "Zeitungsartikel". Das Metainformem "Dokumentenart", das also eine Aussage über die formale Darstellung eines Sachverhalts macht, kann daher als formales Metainformem bezeichnet werden. Das formale Metainformem "Dokumentenart" kann aber auch noch insofern präzisiert werden, als zu der Angabe des Dokuments auch noch z.B. der Ort der Dissertation, also die Hochschule, der Zeitpunkt der Prüfung udgl. ergänzt werden können, denn dies mag auch für das Sachverhaltsinformem Aussagen über die Qualität und Zugänglichkeit des Dokuments enthalten. Auch Angaben über die Sprache eines Dokuments könnten in diese formale Aussage eingehen; denn sofern diese dem Informationssuchenden nicht bekannt ist, nützt ihm auch zunächst das Dokument nichts. Diese formalen Metainformeme sind natürlich leicht durch ein großes Bündel von Aussagen, wie sie in den bibliographischen Angaben eines Dokuments enthalten sind, zu erweitern^. Es ist zwar jedem selbst überlassen, zu 44 Eine sehr umfassende Sammlung der hierzu erforderlichen Angaben siehe in ADEK (65). 252

bestimmen, was in diesem Zusammenhang als wesentliche Aussage anzusehen ist; in einem allgemeinen Informationssystem müßten diese Angaben jedoch wegen ihrer möglichen Formalisierbarkeit zur Recherche ebenfalls positioniert werden. Schematisiert wären diese drei Informemarten mit Bezug auf unser obiges Beispiel wie folgt darzustellen, wobei allerdings zu beachten wäre, daß das jeweilige (materiale oder formale) Metainformem in der Aussage zwischen diesen und dem Sachverhaltsinformem besteht: fGebietsthemenklasse: 1 (Gebietsinformem fiir:) ^Themenklasse : (Sachverhaltsinformem) (Dokumenteninformem für) (Dokumentenklasse:

Biophysik Temperaturmessung h Thermonadel m Zelle, lebend

Dissertation, dt: Frankfurt: 1952

In Abschn. 6.3.2 werden die Notationszeichen, auch die Abgrenzungszeichen bei linearer Darstellung hierfür vorgeschlagen. 5.4.3

Konkretisierungsgrade von Informemen

Eine unterschiedliche Konkretheit von Informemen ist zunächst durch das unterschiedliche "semantische Niveau" der Bezugsobjekte von klassifikatorischen Aussagen gegeben, d.h., zur Klassierung eines Lexikons der Philosophie würde z.B. lediglich die Gebietsthemenklasse "Philosophie" und die Dokumentenklasse "Lexikon" benötigt, während ein Forschungsbericht u.U. durch eine Anzahl von Sachverhaltsaussagen erschlossen werden muß. Des weiteren variiert jedoch auch die Konkretheit eines Informems durch die Genauigkeit der Einzelaussagen über einen Dokumenteninhalt; diese aber ist abhängig von der Art der für die Aussage verwendeten Prädikate. Je allgemeiner das Verb umso weniger konkret ist auch der Inhalt der Aussage. Mit Verben, wie z.B. "Beschreibung", "Behandlung", "Bearbeitung" etc. lassen sich Sachverhalte nur indikativ darstellen. Dies ist freilich auch eine Frage der in den verschiedenen Wissensbereichen unterschiedlich entwickelten fachsprachlichen Wendungen. A. Wamer^S hat in diesem Zusammenhang die Feststellung gemacht, daß die meisten dieser Wendungen aus fachsprachlichem Substantiv und gemeinsprachlichem Verb bestehen. Sodann ist die Konkretheit einer Aussage auch von der "Besetzung" aller Leerstellen, die sich aus der Valenz eines Verbs ergeben, abhängig, wie wir das im vorangegangenen Abschnitt sahen. Dennoch spielen aber auch hier noch weitere Faktoren eine Rolle, es müssen nicht immer alle Stellen besetzt sein, wenn in der Aussage sachliche oder umweltbedingte Implikationen enthalten sind, wie wir am Fehlen der Angabe über das Meßobjekt und über die Meßgröße (Celsius) sahen. 45 Siehe A. Warner: Internationale Angleichung fachsprachlicher Wendungen. Versuch einer Aufstellung phraseologischer Grundsätze fiir die Technik. 1966 (542)

253

Schließlich könnte auch der "Neuheitswert" einer Aussage als Ausdruck einer Konkretisierung verstanden werden. Dieser liegt jedoch allein im Bedeutungsgehalt des Informems begründet; seine Erkenntnis ist aber allein abhängig vom Wissensstand und -umfang der Rezipienten von Informemen. Die Aussage "Temperaturen werden gemessen" ist inzwischen allgemeines Wissen, muß aber zu dem Zeitpunkt, als das erste Thermometer als Bezugsbasis fur Wärmegrade entwickelt worden war, den Wert eines Informems mit Konkretheitsgrad besessen haben. Inzwischen ist nicht nur die Technik der Wärmemessung mit verfeinerten Instrumenten sondern auch die Manipuliertechnik im Mikrobereich verbessert worden. Wenn das Informem "Temperaturmessungen mit Thermonadeln" zunächst wohl nur die Vorstellung eines neuen Wärmemeßgerätes impliziert, so sagt die Ergänzung "innerhalb der lebenden Zelle" demjenigen, der weiß, wie groß eine Zelle ist, soviel mehr aus, daß damit auf einen verhältnismäßig großen Konkretisierungsgrad des Aussageinhalts geschlossen werden kann; denn daraus geht hervor, daß das Wärmemeßgerät empfindlich genug sein muß, um in den Größenbereich von wenigen zu reagieren und daß beim Vorgang des Eingriffs ("lebende Zelle"!) keine Zerstörung der Zelle erfolgt, andernfalls könnte keine Temperatur gemessen werden. 5.4.4

Geltungsmodus von Informemen

In seinem Kapitel "Der Modus von Ausdrücken der Dokumentationssprache"46 diskutiert D. Soergel die Anwendung von Operatoren, die sich auf die Funktion eines Ausdrucks der Dokumentationssprache beziehen. Als Beispiele führt er an: "feststellend, definierend, fragend, präskriptiv, optativ, valuativ, performativ". Die Bezeichnung "Geltungsmodus" für diese Art von Indikatoren geht auf//. Albert^ zurück, den Soergel auch mit folgender Stelle zitiert: "Als semantischer Kern jeder Aussage (der deskriptiven wie der präskriptiven Sprache) läßt sich die Charakterisierung einer bestimmten Sachlage (Zustand, Situation, Ereignis, Verhalten usw.) ansehen, auf die in irgendeiner Weise Bezug genommen wird. Dieser Sachgehalt der Aussage ist von der Weise zu unterscheiden, in der sie sich auf die betreffende Sachlage bezieht: Beschreibend, behauptend vorschreibend, wertend usw., die ich hier einmal ihren Geltungsmodus nennen will. Mit diesem Geltungsmodus hängt die Funktion einer Aussage eng zusammen."

Wir möchten den Begriff "Geltungsmodus" nicht auf Ausdrücke - wie D. Soergel sondern auch, wie H. Albert, auf Aussagen beziehen. Seine Bedeutung hängt zwar in mancherlei Hinsicht mit dem im vorigen Abschnitt behandelten Konkretisierungsgrad von Aussagen zusammen, ist aber doch insofern von ihm zu unterscheiden, als erst durch besondere Angaben, zusätzlich zu den sachlichen Bestandteilen einer Aussage, die Geltung oder der Wert dieser Aussage für ihre Funktion, also ihr Informem, begründet wird. 46 Siehe D. Soergel in (473, S. 325-338) 47 In H. Albert: Wertfreiheit als methodisches Prinzip: Zur Frage der Notwendigkeit einer normativen Sozialwissenschaft (5, S. 32-63) 254

Geltungsmodi stellen ebenso wie das Metainformem "Dokumentenart" eine formale Meta-Aussage über die Art der Geltung einer Aussage dar. Nun haben wir es bei der klassifikatorischen Aussage nur mit der "aussagenden Rede" (Aristoteles^^) zu tun, also mit Feststellungen. Geltungsmodi von der Art "fragend", Präskriptiv", "optativ", "valuativ" etc. können hier also entfallen, wenn man nicht vielleicht die Tatsache, daß z.B. ein Dokument einen Vorschlag enthält, als "optativ" bezeichnen möchte. Es ist aber in der Tat wesentlich zu wissen, ob mit der Aussage über den Inhalt eines Dokuments eine Planung gemeint war, ein Experiment oder ein laufendes und wohlorganisiertes Geschehen udgl. D. Soergel zeigte an den Geltungsmodi "indikativer oder informativer" Modus an zwei Beispielen den jeweiligen Unterschied^ daß nämlich bei den Aussageformen 1 Verhandlungen zwischen der BRD und der UdSSR 2 Zwischen der BRD und der UdSSR fanden Verhandlungen statt in Aussageform 2 ein informativer Modus vorliege, während Aussageform l einen indikativen Modus habe. Es scheint uns jedoch hier insofern kein Geltungsmodus vorzuliegen, als die Aussageform l allein schon durch Hinzufugung einer Zeit- oder Ortsangabe zu konkretisieren gewesen wäre, da sie ja bereits eine — in unserem Sinne - klassifikatorische Aussageform besitzt. In anderen Fällen könnte jedoch durch ein explizites formales Metainformem, das der Aussage direkt folgt, aber von ihr getrennt erscheint, der Geltungsmodus bezeichnet werden. Man könnte dieses formale Metainformem das Zustandsinformem nennen, denn es soll ja aussagen, in welchem Zustand sich der Inhaltsbezug eines gegebenen Sachverhalts zu dem in seinem Bezugsobjekt (dem Inhalt des Dokuments z.B.) befindet - ob im Zustand des Vorschlags, der Planung, des Experiments, der Realisierung, des Vollzugs, etc. Dieses Zustandsinformem kann durch ein einziges Wort bzw. der Notation seines Begriffs dargestellt werden. Es vermittelt insofern ein Informem, als die Aussage des Bezugsinformems sich als Subjekt zum Metaprädikat des Zustandsinformems verhält. Als eine solche Prädikation konnte ja auch das Dokumentinformem angesehen werden.

5.5

Das Klassifikationssystem in der Informem-Vermittlung

Wir wollen Kap. 5 mit einer Betrachtung darüber abschließen, welche Art Informeme, die das postulierte Klassifikationssystem liefern könnte, für die z.B. in Kap. 2 beschriebenen Verwendungsbereiche infrage kämen. 48 Ammonius Hermias kommentierte "Peri hermenias": "Aristoteles verfolgt die Aufgabe, die Lehre von der aussagenden Rede vorzutragen". Siehe E. Rolfes (15, S. 91) 49 D. Soergel (473, S. 327) 255

Wir haben bei der Entwicklung der Struktur des Systems gesehen (Abschn. 5.2), daß eine Fundamentalkategorie die Begriffskonjunkte aller Wissensgebiete enthalten könnte. Diese stellen jeweils die Bündelungen von Begriffsmengen und der mit ihnen zu formenden Sätze dar (die sich damit jeweils auf die im Begriffskonjunkt der Gebietsbenennung enthaltene Aussage beziehen), die als Einheiten in allen den Bereichen Anwendung finden können, in denen es vor allem um Wissenszusammenfassungen geht, wie z.B. bei den philosophischen Klassifikationen, den pädagogisch-didaktischen Klassifikationen und den Klassifikationen zur Wissensorganisation (wissenschafts-, Wirtschaft?- und verwaltungspolitischorientierte wie auch informationssystemorientierte Klassifikationen). Daneben wird es bei allen anderen Anwendungsbereichen neben einem Bedarf an zusammenfassenden Klassen (z.B. evtl. für die Buchaufstellung in Bibliotheken) vor allem aber um Einzelbegriffe gehen, die dann entweder in ihrer Vereinzelung (enzyklopädische oder Wörterklassifikationen) oder in ihrer Kombinierfähigkeit zu Aussagen verwendet werden können und zwar sowohl zu materialen wie auch formalen Informemen. Hier kann nun auch noch auf die in Abschn. 5.3.3 (Fußnote S. 248) erwähnte Möglichkeit des gezielten Zugriffs auf einzelne Bestandteile einer Aussage über ein Register hingewiesen werden. Eine der wenigen Institutionen, die m.W. bisher von dieser Möglichkeit Gebrauch macht (ohne daß allerdings hierzu bereits ein Klassifikationssystem bestände, obwohl jedoch gegenwärtig an einem Thesaurus hierzu gearbeitet wird), ist die englische Nationalbibliographie (BNB) mit dem von D. Austin entwickelten System PRECIS (Preserved Context Index System)50. Hier wird über jedes bei der BNB angezeigte Schriftstück eine Aussage in Form einer Kette von Unteraussagen oder Bestandteilen von Aussagen gemacht und diese dann mit Computerhilfe so im Register permutierend angezeigt, daß jedes Element des Sachverhaltsinformems seinen alphabetisch zugriffssicheren Platz erhält. Dabei sind die einzelnen Bestandteile der Aussage durch "role operators" eingeleitet und definiert; diese erscheinen allerdings im Ausdruck des Registers nicht mehr51. Aufgrund dieser Segmentierung ist eine Übertragung der verschiedenen Bestandteile in andere Sprachen sehr leicht möglich. Dies wurde auch an verschiedenen Schriftbildern demonstriert (arabisch und chinesisch). Auch hier wird deutlich, daß dieses Verfahren noch sehr viel einfacher zu handhaben wäre, wenn anstatt der frei gewählten Wörter die Begriffsnotationen eines 50 Siehe D. Austin: An information retrieval language for MARC. 1970 (24); ders.: A conceptual approach to the organisation of machine-held files for subject retrieval. 1971 (25) sowie (26). 51 Der jeweilige "string" eines Registereintrags ist aber doch durch diese "operators" in seinem Ausdruck bestimmt und zwar einmal mit Bezug auf die jeweils zusammenzufassenden Elemente in einer Zeile und zum anderen hinsichtlich der verwendeten Typographie, die z.B. bei den Dokumentenarten stets eine kursive Schrift benutzt. Diese "operators" spielen dann aber auch beim späteren Retrieval nach den Elementen eines "strings" eine Rolle.

256

Klassifikationssystems benutzt werden könnten. Sofern ein Klassifikationssystem insgesamt in eine andere Sprache übersetzt ist, können dann automatisch diese einzelnen Elemente einer Aussage in dieser anderen Sprache eingesetzt werden. Dies gilt auch für ein weiteres Verfahren, nämlich das System IFIS (International Food Information Service)^ das sowohl "phrases" benutzt als auch einen Thesaurus. Im Register von FSTA (Food Science and Technology Abstracts) werden entsprechend jeweils eine Gruppe von "phrases", die zu jedem Titel zusätzliche Aussagen über Dokumenteninhalte enthalten, unter ein eigens durch Steuerzeichen gekennzeichnetes "keyword", das aus den "phrases" stammt, gesammelt angezeigt. Mit Hilfe des Thesaurus kann eine terminologische Kontrolle durchgeführt werden (Zusammenfuhren /on synonymen Benennungen) und allzu spezielle Begriffe können beim entsprechenden Oberbegriff erscheinen. Hier wird also mit "klassifikatorischen Aussagen" gearbeitet, doch gibt es derzeitig offenbar noch Schwierigkeiten bei Recherchen im Computer, da die Positionen für die Komponenten einer "phrase", bzw. einer Aussage bisher noch nicht indiziert wurden, wie das bei PRECIS der Fall ist.

52 Siehe U. Schützsack: International Food Information Service. 1969 (459) 257

6.

VORSCHLÄGE ZUM AUFBAU EINES UNIVERSALEN KLASSIFIKATIONSSYSTEMS

6.0

Vorbemerkungen

Die folgenden Vorschläge betreffen vor allem die Strukturierung durch Formkategorien (Formelemente), die Besetzung der Systemstellen durch materiale Elemente und ihre zeichenmäßige Repräsentanz durch Begriffsnotationen. Es werden jedoch keine Vorschläge für das organisatorische Vorgehen beim Aufbau eines universalen Klassifikationssystems vorgelegt. In Abschn. 4.3.8 (Eine Sammlung der Benennungen von Wissensgebieten) haben wir bereits die Schritte erwähnt, die uns erforderlich schienen, um zu einer Erfassung aller existierenden Wissensgebiete zu gelangen. Daneben werden ähnliche Anstrengungen benötigt werden, um alle Begriffe der anderen Kategorien erfassen zu können, die beispielsweise in Abschn. 5.2.2 "Die allgemeine Strukturierung des Systems, seine Superstruktur" genannt wurden.

6. l

Die SuperStruktur der fünf Fundamentalkategorien

6.1.0

Ausgangsüberlegungen

Wir sahen in den Kap. 2 und 3 an vielen Beispielen, daß bisherige Universalklassifikationen entweder von einer Reihe von Disziplinen und Sachkonglomeraten ausgingen oder von allgemeinen Formkategorien (Wörterklassifikationen). Lediglich die Vorschläge für eine neue Universalklassifikation der CRC tendierten dahin, die Integrationsstufen, die den Seinsschichten entsprechen, zur Basis der Wissensordnung zu machen. Dagegen erschien es uns richtiger, von einer einzigen Vorzugshierarchie abzugehen und das formale Prinzip vor das materiale zu stellen l und zunächst von den folgenden fünf Fundamentalkategorien auszugehen: 1. 2. 3. 4. 5. l 258

Kategorie der allgemeinen Objektbegriffe Kategorie der allgemeinen Formbegriffe Kategorie der Raum- und Ortsbegriffe Kategorie der zeitbezogenen Begriffe Kategorie der Gebietsbegriffe und ihrer speziellen Facettenbegriffe

Dies haben wir in Abschn. 4.1.5 begründet

Jede dieser Kategorien bildet ein eigenes Relationensystem. Jede kann fur eine Aussage Begriffe liefern, die das Subjekt einer Aussage konstituieren, aber nur die 2. und 5. Kategorie enthält Prozeßbegriffe fur eine Prädikation der Aussagensubjekte. Die Reihenfolge dieser 5 Fundamentalkategorien stellt allerdings keine Wertung dar. Um ihren Zusammenhang sichtbar zu machen, könnte man sie auch in Kreisform anordnen und erhielte dann etwa ein Pentagramm mit folgenden Ecken: Gebietsbegriffe allg. Objektbegriffe

Zeitbezogene Begriffe

X^ / \ \^

\Ls

\ /

all g. Formbegriffe

Raumbezogene Begriffe

Die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Punkten sollen andeuten, daß Begriffe jedes Kategoriensystems miteinander in Aussagen verknüpft werden können. In den folgenden Abschnitten werden wir uns mit den Inhalten und möglichen Strukturierungsprinzipien dieser fünf Fundamentalkategorien befassen. Auch hier werden wir immer zuerst nach formalen Aspekten Ausschau halten, um universal vertretbare und akzeptable Gliederungsprinzipien gewinnen zu können. 6.1.1

Die Kategorie der allgemeinen Objektbegriffe

In der Frage der Strukturierung allgemeiner Objektbegriffe können wir zurückgreifen auf die Theorien, die wir in Abschn. 4.4.3 im Hinblick auf die sog. Integrationsstufen J.K. Feifetewfl«'s kennenlernten. Wir wissen aber, daß sich diese Stufentheorie schon in den bereits gezeigten Seinsschichten^ von/lrärote/es finden läßt und daß vor allem von N. Hartmann in seiner allgemeinen Kategorienlehre auf diese Seinsschichten zurückgegriffen wird. Die ontologischen Fundamente unseres Systems können daher nur die gleichen sein, die den "Aufbau der realen Welt" selbst ausmachen, dieser aber "ist ein Schichtenbau"3. 2 3

Siehe Abschn. 3.1.1 N. Hartmann: Aufbau der realen Welt, S. 182

259

Wir gehen also zunächst von den vier Schichten Materielles Organisches Seelisches Geistiges aus und fragen uns, ob diese für eine Ordnung aller allgemeinen Objektbegriffe genügen und wie sie selbst wiederum zu stufen wären. N. Hartmann gibt uns auch hier wieder eine Hilfe: "Jede der vier Hauptschichten ist in sich weiter abgestuft; aber diese Stufung ist gespalten in parallele Stufenfolgen, ist also keine eindeutige Überhöhung; sie zeigt auch keine kategorial scharfen Grenzstriche, sondern meist gleitende Übergänge. Am bekanntesten ist diese Sachlage im Reiche des Organischen, wo das Verhältnis der Arten, Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen eine ganz andere Mannigfaltigkeit als die von Schichten zeigt. Und ähnlich ist es in den arideren Seinsschichten." (S. 183)

Wir entnehmen daraus, daß wohl eine "perfekte natürliche Ordnung" für alle Objekte und entsprechend ihre Begriffe nicht erkennbar ist (zumindest nicht gegenwärtig) und versuchen daher, die Erscheinungen in einer solchen Stufung zu sehen, wie sie aus dem Schichtengedanken hervorgehen könnten. Dabei ist zunächst festzustellen, daß eine Stufe, die die Prinzipien und Gesetzlichkeiten für alle folgenden Stufen enthalten müßte, noch fehlt. Von TV. Hartmann war darauf auch bereits hingewiesen worden. Er sah in den Fundamentalkategorien4 "echte, selbständige Schichten von Prinzipien" . . . "Das Schichtungsverhältnis selbst nämlich, sowie die zugehörige Schichtungsgesetzlichkeit, setzt sich in ihnen fort. Sie zeigen zu den Kategorien der anorganischen Welt dasselbe Verhältnis, wie diese zu denen des Lebendigen und wie die letzteren zu denen des Seelischen usw." (S. 186). Wir wissen von der Materie selbst, daß sie "planvoll" aufgebaut ist, daß es Prinzipien gibt und geben muß, die die Gesetze liefern, nach denen sich Mikro- und Makrostrukturen der Materie richten. Wir nehmen daher an, daß die Stufe "Prinzipien und Gesetze" an den Anfang unserer Stufenfolge allgemeiner Objekte gesetzt werden kann, da zweifellos ohne diese keine "reale Welt" sein könnte. Hier könnte freilich eingewendet werden, daß wir den "Formen", wie z.B. Zahlen, Größen, Gesetzesinhalten, etc. damit einen ontischen Wert beimessen, wie z.B. den Atomen und Molekülen und den "Objekten" der weiteren Seinsschichten und sie daher "essentialistisch" sehen (K. Popper). Wir können uns hier auf dieses Problem nicht weiter einlassen, möchten jedoch daraufhinweisen, daß diese voranzustellende Seinsschicht diejenigen Elemente enthalten sollte, die in der Natur

N. Hartmann teilte "seine" Fundamentalkategorien ein in die Gruppe der Modalkategorien (Modi), die der Elementarkategorien (Gegensätze) und die der "kategorialen Gesetze" (217, S. 186-189)

260

bereits vorliegen, und zwar nicht materialiter sondern formaliter. Aus ihren Zahlenverhältnissen können wir Zahlen gewinnen, aus ihren Größenverhältnissen Größen, etc. Wir können Strukturen feststellen und Proportionen und können daher wohl mit Recht annehmen, daß diese "immateriellen Objekte" nach ihrer Bedeutung festgehalten und mitteilbar gemacht werden können. Man könnte also vielleicht davon ausgehen, daß diese Größen, Strukturen, etc. insofern "existieren", als sie, wie alle anderen natürlichen Dinge "erfahrbar" sind (daß wir fünf Finger an jeder Hand besitzen, wissen wir z.B. immer) und daher festgestellt, auf ihren Richtigkeitsgehalt überprüft und intersubjektiv anerkannt werden können. Materie kann nun wiederum unterschieden werden nach ihren untersten Stufen - Atome, Moleküle, Kristalle - und ihren Agglomeraten im makroskopischen Bereich, insbesondere in Bezug auf die Erde als einem ganzen, sowie allen sonstigen Einheiten im kosmischen Bereich. Nach der Theorie J.K. Feiblemans^ handelt es sich bei der Entwicklung der Materie ins Kosmische hinein um eine "Seitenlinie", da die weitere Entwicklung von den Makromolekülen zu den Viren geht, die das Zwischenglied darstellen, zwischen der Materie und der organischen Stufe. Wir möchten dies dahingestellt .sein lassen, da wir ohnehin nicht von einer absolut wirklichkeitsgetreuen Darstellung der Objekte unseres Wissens ausgehen können. Die nächste Stufe enthält die Objekte des biologischen Seins, der Pflanzen und der Tiere, die folgende die der Menschen als biologischen, seelischen und zugleich geistbegabten Wesen. Der Stufe des Menschen als solchem, der nach Geschlecht, Alter und Rasse unterschieden werden kann, folgt die Stufe der menschlichen Gesellschaften, der kleinsten menschlichen Assoziation (Familien, Großfamilien) bis hin zu städtischen, staatlichen oder auch fachlichen Gemeinschaften. Mit dieser Stufe haben wir nun die Grenze dessen erreicht, was durch die bisherigen Seinsschichten erklärbar war. Nun tauchte aber auch schon bei den Überlegungen der englischen CRC (Abschn. 4.4.3) das Problem der dort sog. "artefacts" und "mentefacts" auf, also der materiellen und geistigen Produkte; ihre Einordnung schien an keiner Stelle der Stufenfolge sinnvoll vorgenommen werden zu können. Dennoch handelt es sich hier um Objektbereiche der Wirklichkeit von sehr großem Ausmaß. Diese Objektbereiche sind durch den Menschen und seine gesellschaftliche Situation bedingt, sie sind die Emanationen seiner Tätigkeiten als materielles, denkendes und wollendes seelisch-geistiges Wesen. Diese Objektbereiche stellen daher den Überbau^ zu dem dar, was durch die Seinsschichten natürlicherweise gegeben ist. Wir wollen daher für sie drei weitere Stufen von Objektbereichen postulieren, nämlich die der materiellen, intellektuellen und geistig-seelischen Produkte. Indem wir diese drei Objektbereiche an die vorhergehenden "ontischen Bereiche" anschließen, haben wir ihnen nicht nur ihren 5 6

J.K. Feibleman, The integrative levels in nature (164). Das Wort "Überbau" wird hier in einem anderen Sinne verstanden als dem der marxistischen Philosophie 261

ontologischen Ort zugewiesen, sondern sie auch noch mit der parallelen Entwicklung nach materiellen intellektuellen und geistig-seelischen Produkten zu den vorangegangenen sechs Stufen in Relation gesetzt. Bisher wurde nur immer das als ontologisches Objekt angesehen, was der Mensch in der Natur vorfand, einschließlich ihn selbst. Aber auch alles das, was der Mensch als "ens creativum" an neuen Wirklichkeiten schafft, die Produkte seiner Kraft, seines Geistes und seines Willens, die ohne ihn niemals existieren könnten, haben Wirklichkeitswert und daher ontischen Charakter und gehören somit "natürlicherweise" in die Reihe der Seinsschichten. Für sie gelten auch deren Gesetze (siehe Abschn. 4.4.3). Mit dieser Stufenfolge erhalten wir die folgenden neun Objektbereiche zur Ordnung allgemeiner Objektbegriffe: 1 2 3 4 5 6 7 8 9

6.1.2

Prinzipien, Gesetze Atome, Moleküle Erde, Sterne Pflanzen, Tiere Menschen Gesellschaften Artefakte Informeme/Dokumente Kunstwerke, "metaphysische Werke"

— — — -

formale Einheiten materiale Einheiten kosmische Einheiten biologische Wesen geistig-seelische Wesen soziologische "Wesen" materielle Produkte intellektuelle Produkte geistig-seelische Produkte

Die Kategorie der allgemeinen Formbegriffe

Bei dieser von uns so bezeichneten Fundamentalkategorie befinden wir uns zunächst in einer gewissen "sprachlichen Klemme"; denn im Falle der allgemeinen Objektbegriffe, wie auch bei den räum- und zeitbezogenen Begriffen kann der Oberbegriff tatsächlich als Kategorie bezeichnet werden, während Formbegriffe selbst zum Teil Kategorien sind. Wir haben es also genau gesprochen hier mit einer Kategorie der Kategorienbegriffe und Formbegriffe zu tun. Worum handelt es sich nun im einzelnen bei diesen allgemeinen Formbegriffen? Es sind einmal alle Wörter, die im Zusammenhang mit Aussagen verwendet werden und keine fachspezifische Relevanz besitzen, ohne damit jedoch alle Wörter zu umfassen, die sich z.B.in einem umgangssprachlichen Vokabular befinden, wie beispielsweise bei Wehrle/Eggers oder in Roget's Thesaurus. Es handelt sich also um alle die Ausdrücke für Prozesse und Eigenschaften, die im Zusammenhang mit Aussagen über zu Wissendes, also in Informemen vorkommen können. 262

Formbegriffe sind auch die Relationsbegriffe;hierzu gehören die determinativen und ordinalen RelatoienPerreault's, sie stehen z.B. auch hinter den Präpositionen der deutschen Sprache?. Die Notwendigkeit der Verwendung solcher Wörter im Zusammenhang mit Deskriptoren ist auch von den Autoren mancher Thesauri erkannt worden; gesonderte Listen von "allgemeinen Wörtern" oder "Modifiers" werden daher von ihnen angeboten**. im Rahmen der Arbeiten zur Thesaurusforschung wurden von Mitgliedern des DGD-Komitees Thesaurusforschung einmal sämtliche, in Thesauri und Klassifikationssystemen auffindbaren "allgemeinen Wörter", allgemeine Kategoriebegriffe, Relatoren etc. gesammelt, um zu einer späteren Zeit in einem gesonderten "Hilfsthesaurus" strukturiert und systematisiert werden zu können. Auf der Basis von ca. 2000 Wörtern dieser Sammlung hat A Diemer 1969 einen Gliederungsentwurf ausgearbeitet, der die folgenden 7 Kategorien unterscheidet: 1. Gegenstand 2. Attribute 3. Relationen 4. Ordnung 5. Determination 6. Prozesse 7. Bearbeitung Bis zu vier Untergliederungsebenen sind in diesem Schema enthalten. Eine Systematisierung der Wörter wurde bisher jedoch noch nicht durchgeführt; die Sammlung ist 1970 noch um weitere 2000 Wörter vergrößert worden. Aber auch deren Strukturierung und Systematisierung steht noch aus^. Es ist also auch hier schon eine Basis vorhanden, von der aus weitergearbeitet werden könnte. Die Schwierigkeit gerade dieses Teils im Gesamtsystem, die darin liegt, daß wir es hier mit besonders merkmalsarmen Begriffen zu tun haben, darf jedoch nicht unterschätzt werden. Andererseits ist aber auch gerade die Bedeutung dieses Subsystems nicht hoch genug anzusetzen. G.A. Borden und W.F. Nelson^ haben in einem etwas pragmatischen Ansatz 1969 versucht, den Wert gerade dieser Kategorienbegriffe für den Aufbau eines Klassifikationssystems herauszuarbeiten. Sie stellten dabei die relative Konstanz der Bedeutungen dieser Begriffe fest: "It follows that variance in superordinate terms is minimal and relatively unaffected by time, space and cultural influence" und "Although subordinate categories evolve and change, the superordinate categories remain relatively constant" (S. 300). 7 Siehe hierzu auch K.G. Schweisthal: Präpositionen in der maschinellen Sprachbearbeitung. 1971. (461) 8 Eine sehr große Liste besitzt davon z.B. auch der Thesaurofacet (3) 9 D. Soergel hatte in (473, S. 337) bereits einen Plan für entsprechende konkrete Arbeiten an einem "universellen Schema von role indicators" angekündigt. 10 Siehe G.A. Borden, W.F. Nelson: Toward a viable classification scheme: some theoretical considerations. (53) 263

Es kann angenommen werden, daß diese Kategorie, bei adäquater Strukturierung als eine Art formbildendes Schema allen Facetten der Wissensgebiete "unterlegt" werden könnte, wenn es nämlich gelingt, die allgemeinen Formbegriffe, die ja auch in den Facetten der Wissensgebiete enthalten sind, so mit ihren Unterteilungen zu kategorisieren, daß sie als Systematifikator fungieren und Begriffsfixierung und Begriffsbildung in diesen Gebieten erleichtern können.

6. l .3

Die Kategorien der räum- und zeitbezogenen Begriffe

Bei der Kategorie der räum- und ortsbezogenen Begriffe muß es darum gehen, Einteilungskriterien zu finden, die alle geographischen und kosmographischen Einheiten berücksichtigen können, seien sie natürlicher, geodätisch zu lokalisierender oder durch Nationalitäten fixierter Art. Die Begriffe der Ortsrelationen sollten jedoch im System der Relationsbegriffe innerhalb der Kategorie der allgemeinen Formbegriffe enthalten sein, gleiches gilt dann auch für die zeitbezogenen Relationsbegriffe. Alle sonstigen eigenständigen Begriffe der Kategorie der zeitbezogenen Begriffe stellen entweder Zeitperioden dar oder Daten und könnten uncodiert verwendet werden, evtl. entsprechend der neuen Norm DIN 1355. Für beide Kategorien besitzt die UDC sorgfältig ausgearbeitete Tabellen, die berücksichtigt werden könnten, zumindest, was ihren Inhalt, nicht unbedingt aber, was ihr Systematisierung betrifft.

6.1.4

Die Kategorie der Gebietsbegriffe

J.K. Feibleman l1 hatte bereits darauf hingewiesen, daß zu jeder Integrationsstufe eine Reihe von Disziplinen gehören; aber während er noch davon ausging, daß der Anzahl und Struktur dieser Disziplinen eine gewisse Gesetzlichkeit anhaftet — er nahm für jede Stufe eine Hauptwissenschaft und drei Hilfswissenschaften an, nämlich eine Entwicklungs-, eine Abweich- und eine Anwendungswissenschaft 12 — sind wir heute noch sehr weit davon entfernt, in dem Maßstab, in dem wir zu jedem Objektbereich korrespondierende Wissensgebiete gefunden haben, auch Gesetzlichkeiten hinsichtlich ihrer Systematisierung anzugeben. Den in Abschn. 6.1.1 gezeigten Stufen von Objektbereichen entsprechen jeweils Bereiche spezieller Wissensgebiete, ja, man kann vielleicht sagen, daß die Objektbereiche jeweils die bestimmten, eine Gruppe von Aspektdisziplinen und -gebieten charakterisierenden Gegenstände bedeuten, so, wie eine Einzeldisziplin schon durch ihren jeweils spezifischen Gegenstand charakterisiert ist.

11 In (164, S. 29) 12 Für Biologie z.B. Embryologie, Pathologie und Medizin 264

Folgende "Aspekt"-Bereiche ergaben sich daher (zur Charakterisierung nennen wir jeweils einige ihrer Wissensgebiete): 1 FORM- und STRUKTURBEREICH Logik, Mathematik, Statistik, Systemforschung, Kybernetik, Organisation, Rationalisierung, Normung 2 MATERIEBEREICH Physik, Chemie, Physikal. Chemie, Chemische Technologie, Elektrotechnik, Steuer-, Meß-und Regeltechnik, Werkstoffkunde, Materialprüfung 3 GEO-und KOSMOBEREICH Astronomie, Astrophysik, Astronautik, Geologie, Mineralogie, Petrographie, Geophysik, Geochemie, Meteorologie, Hydrologie, Bergbau und Hüttenwesen, Geodäsie/Kartographie, Geographie 4 BIOBEREICH Biologie, Paläontologie, Botanik, Zoologie, Veterinärmedizin, Biophysik, Biochemie, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Ernährungswissenschaften, Umweltschutz 5 HUMANBEREICH Anthropologie, Humanbiologie, Medizin, Pharmakologie, Gesundheitswesen, Psychologie, Erziehung und Bildung, Sport und Freizeit 6 SOZIALBEREICH Soziologie, Politik, Verwaltung, Recht, Arbeits- und Sozialwesen, Wehrwesen, Raum- und Städteplanung, Geschichte, Archäologie, Zukunftsforschung 7 PRODUKTIONS- und VERSORGUNGSBEREICH Wirtschaft, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Handwerk, Industrie, Handel, Allgemeine Technologie, Fertigungstechnik, Bauwesen, Maschinenund Anlagenbau, Verkehr, Transport, Materialfluß, Versorgung (Gas-, Wasser, Energie), Dienstleistung 8 WISSENSCHAFTS- und INFORMATIONSBEREICH Wissenschaftslehre i.w.S., Archiv- und Bibliothekswesen, Dokumentationsund Informationswesen, Kommunikation, Publizistik, Museums-, Ausstellungs- und Messewesen, Reprographie, Drucktechnik, Informatik, Post- und Fernmeldewesen, Nachrichtenwesen 9 "GEISTESWISSENSCHAFTLICHER" BEREICH Linguistik, Philologie, Literaturwissenschaft, Musik, Bildende Kunst, Theater/Tanz, Kultur/Ethnologie, Philosophie, Religion Es wurde versucht, die Charakterisierung nach Möglichkeit auf die mit den Gebieten jeweils verbundenen Tätigkeitsaspekte zu reduzieren. Dies konnte jedoch nur in wenigen Fällen verhältnismäßig "rein" zum Ausdruck kommen, wie z.B. in "Organisation", "Versorgung", etc. Da wir sprachlich nur mit den Benennungen 265

hantieren können, die nun einmal vorhanden sind, entsteht hier ein etwas heterogenes Bild. Abgesehen davon, daß nunmehr aufgrund der Definitionen einzelner Wissenschaften und Wissensgebieten untersucht werden müßte, welche Sub-Bereiche sich innerhalb dieser neun "Aspekt-Bereiche" abzeichnen, sollte man auch darauf achten, ob sich generell oder bereichsspezifisch Tendenzen abzeichnen, die einen Systematifikator für die Ordnung von Sub-Bereichen oder Gebieten innerhalb der Aspekt-Bereiche entstehen lassen. Vielleicht ist es möglich, einen Verlauf von theoriebezogenen über gegenstands- und phänomenbezogenen Gebieten hin zu anwendungsbezogenen und schließlich normativen Gebieten festzustellen. Andererseits muß berücksichtigt werden, daß fast jedes Gebiet auch noch einmal gesondert aus folgenden Aspekten betrachtet werden kann: -theorie, -philosophic -Statistik -technik -recht

-psychologje -Soziologie -Wirtschaft -politik -geschichte wobei wir hier in der Form des Bindestrichanschlusses schon anzeigen wollten, daß Benennungen von Gebieten existieren, die eben hierdurch gekennzeichnet sind!3. Wie wird man aber nun Kombinationsgebiete behandeln, wo wird man sie sinnvollerweise einordnen, z.B. "Religionspsychologie"? Gehört dieses Gebiet zur Religion oder zur Psychologie? Da die Mehrzahl der heute existierenden Gebietsbenennungen aus solchen Kombinationen bestehen, kann man nicht einfach entscheiden, im Zweifelsfalle eine Doppel- oder Dreifachzuordnung vorzunehmen; dies würde zudem das Problem nicht regeln. Hier müßte daher in jedem einzelnen Falle semantisch-syntaktisch daraufhin analysiert werden, was Gegenstand und was Prädikat der implizierten Aussage ist. Im Falle "Religionspsychologie" handelt es sich (laut Definition im "Neuen Herder") um "Die Methodik der Psychologie angewandt auf die Struktur des religiösen Erlebens", d.h., Religion bildet das Subjekt und Psychologie den Inhalt des Prädikates dieses Begriffskonjunktes. Man kann nun die Regel aufstellen, daß "Gebiete" immer dort zu "lokalisieren" sind, wo sich das Subjekt ihres Begriffskonjunkts "befindet". Was geschieht dann aber mit komplexen Gebietsbenennungen von der Art: "chemische Pflanzenphysiologie"? (Es soll hier einmal davon abgesehen werden, daß dieses Gebiet auch anders benannt werden könnte, etwa "Biochemie der Pflanzen"). Auch hier würde die semantisch-sy n taktische Begriffsanalyse ergeben, daß 13 Siehe auch Abschn. 4.3.5 bis 4.3.7 266

es sich um die Lehre vom Stoffwechsel der Pflanzen mit Bezug auf/mit Hilfe der (Methoden der) Chemie handelt, daß also das Subjekt der enthaltenen Aussage die Pflanzen sind, das Prädikat die Physiologie (welche selbst Begriffskonjunkt ist aus "Lehre vom Stoffwechsel") und daß hier noch eine Aussageergänzung auftritt, die in der Benennung adjektivisch als "chemisch" vorliegt, die aber als Hinweis aufzufassen ist, daß der Stoffwechsel unter dem Gesichtspunkt des chemischen Prozesses betrachtet wird bzw. unter Zuhilfenahme der Chemie untersucht wird. Wenn aber nun, wie bei diesem letzten Beispiel das Subjekt der Aussage nicht auf ein Gebiet, sondern auf ein Objekt bzw. einen Objektbereich zurückführt, wie hier z.B. "Pflanzen", dann wird man fragen, wohin mit diesen Gebietsbenennungen in einem universalen Begriffssystem? Wir haben ja in Abschn. 6.1.1 die allgemeinen Objekte sozusagen ausgeklammert, sie sollten im Begriffssystem der Aspektbereiche gar nicht mehr vorkommen. Hier müßte man vielleicht eine Lösung anstreben, die zwischen den beiden Bereichen liegt, wobei es aber dennoch eindeutig bleiben muß, daß alle Pflanzenarten, die eben den Pflanzen generell subsumiert werden können, durch den Begriff der Pflanzenphysiologie "betroffen" sind, d.h., daß auch hier, ähnlich wie schon beim ersten Beispiel, eine Regel aufgestellt werden könnte, die besagt, daß ein solches Kombinationsgebiet immer beim Objektbegriff "angesiedelt" werden sollte.

6.2

Die Klassifizierung der Begriffe der Fundamentalkategorien

6.2.0

Vorbemerkung

Wir haben uns bisher nur mit der möglichen Hauptstrukturierung der fünf Fundamentalkategorien befaßt, wobei wir allerdings die Kategorien der Orts- und zeitbezogenen Begriffe benachteiligt behandelten. Auch bei den nun aufzustellenden Prinzipien für die Klassifizierung der Begriffe der Fundamentalkategorien wollen wir uns zunächst nur um die Kategorien der allgemeinen Objektbegriffe und der korrespondierenden Aspektbereiche bemühen; denn die Klassifizierung der Formbegriffe stellen Probleme eigener Art, die hier zu diskutieren zu weit führen würde, die der räum- und zeitbezogenen Begriffe erscheinen in diesem Zusammenhang dagegen eher trivial. 6.2.1

Die Klassifizierung der Gebietsbegriffe

Wir wollen zunächst an die soeben (in Abschn. 6.1.4) behandelten Gebietsbegriffe anknüpfen, da wir dort schon andeuteten, wie diese mit einzelnen Objektbereichen korreliert werden könnten. Hier geht es nun um ein Systematifizieren dieser Gebietsbegriffe nach einer Facettenordnung, welche die speziellen Objektbegriffe, Prozeßbegriffe, etc., die in einem Aspektgebiet vorkommen können und die durch einen Systematifikator fixiert 267

werden, in ihren Elementstellen bestimmt. Wir hatten bereits in Abschn. 4.1.4, in dem wir einen rein formalen Ansatz zur Ordnung der Einzelbegriffe in einem gegebenen Wissensgebiet vorschlugen, eine Abfolge von neun Facetten angegeben, nach denen bereits in einem Bereich (Informationswissenschaften) eine entsprechende Begriffsmenge geordnet worden war. Es handelte sich dabei um die folgenden Facetten, deren Reihenfolge sich teilweise aus den Elementen selbst ergibt (Begriffe entsprechend ihrer Typologie nach Objekt-/Phänomen-Begriffen, Prozeß- und Eigenschaftsbegriffen) sodann Facetten, die Verwaltung und Organisation betreffen und schließlich solche, die Relation, Determination/Funktion und Evaluation des Wissensgebietes und seiner Inhalte benennen. Wenn diese neun Facetten durch eine stets gleichbleibende Notation (.1 bis .9) fixiert werden können, ist nicht nur die Übersicht und Benutzbarkeit des Systems erleichtert, sondern auch seine maschinelle Handhabbarkeit in der Computerbearbeitung. Folgende neun Facetten wurden genannt: .1 Theorie und allgemeine Probleme eines Gebiets .2 Spezifische Objekte eines Gebiets (Elemente, Teile, Aggregate, Organe, Systeme) .3 Spezifische Methoden und Verfahren eines Gebiets .4 Spezifische Eigenschaften und Aspekte eines Gebiets .5 Verwaltung der Einrichtungen eines Gebiets .6 Organisation der Einrichtungen (auf geogr. oder fachl. Ebene) .7 Beziehungen des Gebiets zu anderen Gebieten .8 Funktion, Bestimmung, Anwendung der Inhalte eines Gebiets .9 Kontrollen, Überprüfungen, Bewertungen in einem Gebiet In einer früheren Arbeit 14 wurde im Hinblick auf die verwendete Notation von "unterbrochener Unterteilung" gesprochen. Dies trifft dann zu, wenn das Notationssystem hierarchisch dem Begriffssystem entspricht und die Facetten eines Gebietes auch in der Notation durch eine Unterbrechung - hier durch den Punkt erkennbar gemacht werden sollen. Es mag nun sein, daß nicht alle Facetten in jedem Wissensgebiet mit spezifischen Begriffen vertreten sind; es könnte sich vielleicht auch herausstellen, daß viele Gebiete gleichbleibende Begriffe in den Facetten .1 und .5—.9 besitzen, die dann "Bestandteile" der entsprechenden Facetten der allgemeinen Formbegriffe in ihrem "eigenen" Begriffssystem wären. Es scheint aber doch vielleicht ein gewisses Kriterium für die Entwicklungsstufe eines Gebietes darin zu liegen, ob und wie alle diese Facetten durch gebietseigene Begriffe ausgefüllt werden können. Für die Unterteilungen der einzelnen Facetten, die ebenfalls zunächst formal geschehen könnten (was also auch einen Systematifikator impliziert, der sich aber nicht in der Notation, wohl aber im Stellenwert ausdrücken könnte), liegen Vorstellungen vor. Für die Facette .2 könnten hierzu evtl. Entwicklungsstufen von Objekten aus Elementen, Elementverbänden, Bestandteilen, Einheiten, Einheitensammlungen, Geräte/Instrumente, Maschinen, Systeme oder dergl. bestimmt 14 Siehe I. Dahlberg: Möglichkeiten einer Neugestaltung der DK. 1970. (95) 268

werden, wobei Hinweise aus den Integrations- und Aggregationsstufen der in Abschn. 4.4.3 beschriebenen Theorien gewonnen werden könnten. Für die Facette 3 könnten Prinzipien gelten wie: Beginn einer Bearbeitung, Stufen der Bearbeitung, Ende einer Bearbeitung, Rückkopplung und Veränderung der Bearbeitung, etc. Es wird nunmehr vielleicht auch deutlich, inwiefern eine entsprechende Ordnung der Formbegriffe die Gesamtstrukturierung des Systems unterstützen könnte; denn die Formbegriffe sind es ja, die die Facetten bilden, d.h., ihre Sachbegriffe ordnen. Wenn für die Formbegriffe daher eine Strukturierung und Systematifizierung begründet werden kann, die als "Grundgerüst" dann auf alle Wissensgebiete übertragen werden könnte, wäre sicherlich der Aufbau dieses Subsystems leichter zu leisten und fortzuentwickeln. 6.2.2

Die Klassifizierung der Begriffe der Objektbereiche

Die Systematifizierung der Begriffe der Objektbereiche geschieht aufgrund der hierarchischen Relationen, die Objektbegriffe eingehen können, da sie keine Begriffskonjunkte (wie die Gebietsbegriffe) sind sondern Einfachbegriffe. So kann also zunächst jeder der genannten Objektbereiche in die jeweiligen Objektarten nach der Genus-Species-Relation unterteilt werden. Nun hatten wir bereits in Abschn. 5.2.3 im Zusammenhang mit der Verschiedenheit der Strukturierung in den einzelnen Fundamentalkategorien daraufhingewiesen, daß bei der Kategorie der allgemeinen Objektbegriffe als Relationen für einen "konstant" zu haltenden Teil der Hierarchien nur die des Typus GenusSpecies-Individua verwendet werden können, während Teile oder Eigenschafte n von Objekten, da sie häufig Merkmale der Begriffe vieler Objekte eines Bereiches sein können, als variabel zu handhabende Begriffe in Form von sog. "beweglichen Facetten" eingerichtet werden sollten. Auch hier kann entsprechend wieder das Prinzip der "unterbrochenen Unterteilung" in der Notation angewendet werden. Bei der Facettierung wird man sich natürlich nach den Objekten selbst richten müssen, vielleicht gäbe es aber doch auch hier Gesetzmäßigkeiten, die zu einem Regelwerk für die Facettierung der Begriffe aller Objektbereiche führen könnten. Für den Objektbereich der Begriffe von Dokumentarten wurde bereits einmal eine Facettierung versucht, aus der jedoch nicht ohne weiteres zu erkennen ist, daß die einzelnen Begriffe dieser Facetten (außer denen in Facette .1 und .2) jeweils nur Eigenschaften von Dokumentarten bezeichnen. Folgende Systematisierung wurde vorgenommen: .l .2 .3 .4 .5 .6 .8 .9

Theorie und allgemeine Aspekte Teile von Dokumenten und Dokumentarten Form und Gestalt von Dokumenten Äußere und innere Charakteristika von Dokumenten Zustandsformen von Dokumenten Herkunft und Rechtslage von Dokumenten Bestimmung, Funktion von Dokumenten Bewertung von Dokumenten 269

Die Klassifizierung der Begriffe dieser Facetten auf der nächsten hierarchischen Stufe ist aus Taf. A 27 erkennbar; im einzelnen wurden die klassifikatorischen Merkmale jedoch nicht angegeben. Die gesamte Facettenordnung, einschließlich der Objektklassen liegt als fertiges Klassifikationssystem Aus dem Inhalt der Facetten kann man allerdings auch ersehen, daß etwas von dem Systematifikator, der die Facettenordnung der Gebietsbegriffe (siehe vorigen Abschn.) "steuerte", auch hier enthalten ist!6. Auch dies deutet also daraufhin, daß in der Ordnung der Formbegriffe die in diesen Einteilungen benutzten Kategorien erscheinen werden. Auf der anderen Seite müßte darauf geachtet werden, bei der Sammlung und Strukturierung der Formbegriffe (also beim Aufbau des Begriffssystems der Formbegriffe - Abschn. 6.1.2 -) die aus solchen "Anwendungssystemen" zu gewinnenden klassifikatorischen Merkmale mit zu berücksichtigen sind.

6.3

Zur Frage der Begriffsnotation

6.3.0

Vorbemerkung

Da die Struktur eines Begriffssystems mit Hilfe eines Systematifikators festgelegt werden kann, ist unabhängig davon, ob für die Systemstellen bereits Verbalformen von Begriffen existieren, der begriffliche Inhalt dieser Stelle sozusagen fixiert. Die Notation vermag dieses Fixierte festzuhalten, weshalb ihr für das Gesamtsystem eine besondere Bedeutung zukommt. Daraufhatten wir ja auch schon in Abschn. 3.3 hingewiesen. Es läßt sich daher mit Hilfe der Notation auch über begriffliche Inhalte kommunizieren. Eine ebensolche Bedeutung kommt aber auch der richtigen Auswahl der Zeichen für eine Begriffsnotation zu sowie einem Regelwerk, das ihre Verwendung besonders auch zu Begriffskombinationen und zur Bildung von Aussagen festlegt. 6.3. l

Eine mögliche Notation für die vorgeschlagene Struktur

Es wird vorgeschlagen, soweit dies eben möglich ist, das Dezimalprinzip in der Begriffsnotation zu verwenden, da mit Zahlen nicht nur international einfache Verständigung möglich ist und diese im Computer leichter manipulierbar wären, sondern auch, weil damit Hierarchien einfach dargestellt werden können. Die Festlegung der Elementstellen auf bestimmte Facetten kann dabei verhindern, 15 Siehe I. Dahlberg: Vorschlag für eine Klassifikation der Dokumentenarten und Dokumentenkunde. 1970. (96) 16 Die Analogie z.B. mit der Facettenreihe der sog. Gebietsbegriffe ist dann erkennbar, wenn man weiß, daß .3 "Erscheinungsformen, -weisen" als Ergebnis von Prozessen angesehen werden kann.

270

daß die Anzahl der Untergliederungsstellen nicht ausreicht. Innerhalb der Facettenstruktur in den Objektbereichen oder bei den Wissensgebieten würde die Dezimalnotation daher kaum zu Problemen führen. Lediglich die Systematiflzierung der Objektbegriffe nach dem Genus-Species-Individua Prinzip könnte dann zu Schwierigkeiten führen, wenn es eben mehr als 9 Species auf jeder Ebene der Spezifizierung eines Genus gibt. In diesen Fällen müßten vermutlich geeignete "Zwischenstufen"17 in die 'Objektreihen" eingebaut werden, was entweder sachbedingt oder konventionalisiert vollziehbar ist. Für vier Kategorien der SuperStruktur werden zur Einleitung in ihre Subsysteme die folgenden Buchstaben vorgeschlagen: G O S T —

für alle generellen Wörter (Formbegriffe) für alle Objektbegriffe (dies kann auch Null heißen) für alle raumbezogenen Begriffe (spatium) für alle zeitbezogenen Begriffe (tempus) keinen Einleitungsbuchstaben für alle Gebietsbegriffe und ihre Facettenbegriffe Auf diese Art und Weise wird es möglich sein, mit fünf "dezimalen Hierarchien" zu operieren, die dennoch auch durch die jeweils eigenen Hierarchien von Facettenbegriffen um ein Vielfaches an begrifflicher Darstellbarkeit zunehmen können. Solange Begriffe nach der Genus-Species-Relation oder der Ganzes-Teil-Relation klassifiziert werden, können bei den entsprechenden Stufen dezimale Zahlen für die Notation verwendet werden. Sobald jedoch eine Unterbrechung dieser Klassi-· fizierungsweise nach Inhaltsmerkmalen oder Objekt-Teilbegriffen durch Einführung von Facetten stattfindet, sollte durch einen Punkt diese "Unterbrechung" gekennzeichnet werden. Wir haben aus diesem Grunde auch in den Darstellungen unter 6.2.1 und 6.2.2 stets einen Punkt vor die genannten Notationen der Facetten gesetzt.

6.3.2 Kombination von Notationszeichen Entsprechend den verschiedenen Arten von Kombinationen, die Begriffe eingehen können, müssen auch verschiedene Arten von Zeichen festgelegt werden. Vorläufig kann dabei unterschieden werden zwischen folgenden Zeichen: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Unterteilung nach Facetten Aufzählung von Begriffen Existenz einer Beziehung (ohne inhaltliche Kennzeichnung) Vereinigung zwischen zwei Begriffen Abgrenzung zwischen Gebietsklasse und Sachverhaltsaussage(n) Abgrenzung zwischen Sachverhaltsaussage und Geltungsmodus Abgrenzung von Dokumentenklasse Ende von Dokumentenklasse

; : / // ( )

17 Dies wäre z.B. durch Merkmalsvereinigungen bei der Bestimmung der klassifikatorischen Merkmale möglich. 271

Das Zeichen für eine Aufzählung kann immer dann verwendet werden, wenn eine Reihe von Begriffen hintereinander genannt wird, ohne daß damit eine wie auch immer geartete Beziehung gekennzeichnet werden soll. Das Semikolon stellt also nur ein Trennzeichen dar. Der Doppelpunkt sagt hingegen, daß zwischen den so gekennzeichneten Begriffen eine wie auch immer geartete Beziehung besteht, deren Spezifizierung nicht erforderlich erscheint. Der Doppelpunkt verbindet auf jeden Fall alle Bestandteile einer Aussage außer der Subjekt-Prädikatverbindung, die durch das Vereinigungszeichen dargestellt werden könnte. Mit diesem Zeichen könnten auch die Begriffskonjunkte von komplexen Gebietsbegriffen dargestellt werden, also z.B. Wirtschaftsgeschichte durch 7x69. Im folgenden soll an einem Beispiel, dessen Notationen fingiert sind, gezeigt werden, wie man evtl. diese vorgeschlagenen Notationen, Zeichen und Aussagebestandteile verwenden könnte, ohne daß damit jedoch in irgendeiner Weise eine Festlegung verbunden wäre. Der Titel lautet: Zeichensysteme zur wissenschaftlichen Darstellung. Es handelt sich dabei um eine Dissertation. Wir analysieren den Buchinhalt und stellen fest, daß er relevant ist für die Wissensgebiete: Semiotik und Informationswissenschaft. Wir benutzen zur Darstellung folgende angenommene Notationen: 91 Semiotik 83 Informationswissenschaft Sodann transformieren wir die Aussage des Titels in eine klassifikatorische Aussage. Da es nicht ganz sicher ist, ob es sich um wissenschaftliche Darstellung von Sachverhalten oder um Darstellung wissenschaftlicher Sachverhalte handelt, muß die Themenstellung mit dem Buchinhalt verglichen werden. Die letztere Formulierung ist zutreffend: Darstellung wissenschaftlicher Sachverhalte mit Hilfe von Zeichensystemen Wir suchen die entsprechenden Begriffe in unserem System und notieren sie mit ihren Notationen: 83.21 G32 91.26

Informeme .41 wissenschaftliche Darstellung Zeichensysteme

Wir wollen nun einmal davon absehen, daß die Ergänzung "mit Hilfe von Zeichensystemen" als instrumentale Aussageergänzung durch einen Relationsbegriff (der Instrumentalität) eingeleitet werden müßte. Für die Dokumentenklasse "Dissertation" soll die Notation 0855 dienen. Setzen wir nunmehr die Zeichen ein, so erhalten wir folgende Notationskette für das Klassat: Es gibt eine Dissertation, die die Darstellung wissenschaftlicher Infor272

meme (Beziehung — mit Hilfe von) Zeichensystemen behandelt. Sie ist relevant für die Gebiete: Semiotik und Informationswissenschaft. 83;91/83.21.41xG32:91.26(0855) Bedenkt man nun, daß diese Notation für die inhaltlich gleiche Aussage in allen Sprachen der Welt stehen könnte, dann wird der Wert einer solchen Begriffsschrift ersichtlich. Es sei noch darauf hingewiesen, daß die explizite Nennung der relevanten Wissensgebiete 83;91 nicht unbedingt erforderlich wäre in einem geschlossenen Dokumentationssystem, das vielleicht ausschließlich Aussagen in diesen Gebieten dokumentiert. Sie erscheinen ohnehin nochmals in den Notationen der Begriffe der Sachverhaltsaussage. Sie besitzen jedoch ihren Wert vor allem in Universalbibliographien oder Informationssystemen, die über größere Sachbereiche "streuen" und könnten z.B. auch in Bibliotheken zur Buchaufstellung herangezogen werden. Es läßt sich sogar denken, daß nach Erarbeitung eines allgemeinen Codes für alle Wissensgebiete die Notationen dieser Gebiete, die sich vermutlich nicht über 3—4 Stellen erstrekken werden, schon beim Druck eines Buches (nach Rücksprache mit dem Autor) in die Buchrücken eingebracht werden könnten.

6.4

Zusammenfassung

Wir haben auf die für ein universales Klassifikationssystem des Wissens benötigten Strukturierungen und möglichen Inhalte nicht in allen Einzelheiten eingehen wollen; denn Zweck dieser Arbeit sollte es vor allem gewesen sein, zu untersuchen, ob ausreichende theoretische Voraussetzungen bestehen, die eine Realisierung des Vorhabens "Universales Klassifikationssystem des Wissens" nicht mehr als Illusion erscheinen lassen. Es wird allerdings nicht daran gezweifelt, daß mit dieser Aufgabe auch noch sehr erhebliche Vorarbeiten im sprachanalytischen Bereich erforderlich werden. Im folgenden abschließenden Kapitel wollen wir auf einige Auffassungen bezüglich der Notwendigkeit und Brauchbarkeit des postulierten Systems zurückkommen und danach zeigen, wie es praktische Verwendung, vor allem auch im Systemverbund der Informationsbanken finden könnte, und welche allgemeine Bedeutung es für die begriffliche Verständigung in allen Kulturbereichen national, wie auch vor allem international gesehen, haben kann.

273

7.

AUSARBEITUNGS- UND VERWENDUNGSMÖGLICHKEITEN DES VORGESCHLAGENEN UNIVERSALEN KLASSIFIKATIONSSYSTEMS

7.1

Universalität versus anwendungsbezogene Brauchbarkeit

7.1.1

Keine "universalen Benutzer"?

Sheral hatte einmal gesagt, man brauche das universale Klassifikationssystem nicht, weil es den universalen Benutzer nicht gäbe. Diese, vor etwa 20 Jahren ausgesprochene Bemerkung eines maßgeblichen amerikanischen Bibliothekars mag wohl auch ein Grund dafür gewesen sein, daß hinsichtlich der Entwicklung eines neuen universalen Klassifikationssystems oder hinsichtlich der Erarbeitung einer Theorie für ein solches System, zumindest in den USA, so gut wie nichts mehr in den letzten Jahren geschah. Für die allerdings durchaus existierenden "universalen Benutzer", nämlich die Bibliothekare der Universalbibliotheken, die Herausgeber von Universalbibliographien aller Dokumentarten udgl. blieb daher keine andere Wahl, als an den bestehenden Systemen festzuhalten und sie, wo es möglich war, flickwerkartig zu verbessern, um so wenigstens für ihre Aufgabe, die Literatur aller Wissensgebiete ordnen und wiederfinden zu können, ein wenn auch noch so ineffektives, aber dennoch "lebendiges" System zu besitzen. So ist es zu verstehen, daß die in Abschn. 3.4 erläuterten Universalklassifikationen trotz ihrer Unzulänglichkeiten nicht nur heute noch bestehen, benutzt werden und Neuauflagen erleben, sondern auch noch propagiert und gefördert werden. Als Argument wird dabei immer wieder angebracht, daß ein neues System in wenigen Jahren ebenfalls veraltet wäre; beließe man es daher gleich beim alten System, so wäre wenigstens die Kontinuität mit den bestehenden Regalordnungen etc. gewahrt. Nun gibt es aber außer den vielleicht nicht so sehr zahlreichen "universalen Benutzern" durchaus Legionen von "speziellen Benutzern" eines universalen Systems, was z.B. auch die Benutzung der UDC und dies nicht nur aufgrund ihrer zahlreichen Spezialausgaben beweist. Vor allem aber gibt es heute schon und in Zukunft in noch viel größerem Maße Benutzer, die ihre Informationen international, also räumlich universal, miteinander austauschen wollen. Es könnte hier auch auf die Argumente zum Verständnis des Universalitätspostulats hingewiesen werden (siehe Abschn. 3.7.3); sie zeigen deutlich, welchem Bedarf ein universales System begegnen könnte. 7.1.2

Temporal-begrenzte Wirklichkeitsrepräsentanz?

Ein häufig benutzes Argument gegen die Ausarbeitung eines universalen Klassifikationssystems ist die in jeder Ordnung, wie in jeder menschlichen Handlung, l 274

J. Shera: Introduction. In: S.C. Bradford: Documentation. 1953. (55)

immer schon involvierte Zeitlichkeit^, weshalb man das Verb im Deutschen ja auch als Zeitwort bezeichnet. In Wissenschaftssystemen kommt hierzu auch noch das Phänomen der Paradigmen (Th.S. Kühn). Da sich das menschliche Wissen fortwährend weiterentwickelt, muß zwangsläufig jede Bemühung, dieses strukturell festzulegen, immer schon mit dem Eingeständnis der Zeitgebundenheit belastet sein. Noch kürzlich hat/?. Fairthorne^ auf einige weitere, in diesem Zusammenhang relevante Aspekte aufmerksam gemacht; er stellte fest: "The wider the scope of classification, the earlier must be the observations (of reading histories of readers and authors) and the more out of date the topics classified" . . . "Even for an observer with infinite memory, a 'general' classification must be indefinitely out of date. Otherwise it must be incomplete. We can of course have a general classification of a universe of discourse that is dead". Nun muß man allerdings wissen, was im Sinne Fairthorne's als Element einer Klassifikation angesehen wird. An anderer Stelle deutet er es an; "Classification, which of necessity can deal only with knowledge that is already known and about which there is some public agreement as to topics and as to how they are talked about" . .. "the function of the classifier is to detect and identify topics of discourse, not to practice them." (S. 16)4. Versteht man also ein Klassifikationssystem als System von "topics", also Sätzen, d.h. in unserem Sinne von Themenklassen, die Begriffskonjunkte sind, dann muß die Argumentation Fairthorne's anerkannt werden; denn solcher Art Themenklassen stellen dann jeweils den Wissensstand derer dar, die diese Aussagen machen können. In herkömmlichen Systemen fanden wir häufig Präkombinationen von Begriffen aufgrund existierender Buchthemen. Dies aber haben wir gerade als ihren wesentlichen Fehler bezeichnet. Solange aber ein Klassifikationssystem auf Einfachbegriffen aufgebaut werden kann - das ist jedenfalls unsere Hypothese ist die Abhängigkeit vom jeweiligen Wissensstand einer Zeit auf ein Minimum herabgesetzt. Das Problem der Gültigkeit von Aussagen, die aufgrund dieser Einfachbegriffe hergestellt worden sind, ist dann nicht mehr Gegenstand derer, die Klassifikationssysteme entwickeln, sondern muß den Instanzen überlassen bleiben, die sich für das "Gesamt an Sätzen eines Wissensgebietes" verantwortlich fühlen. 7.1.3

Die "Zwei-Systeme-Theorie der Klassifikation"

Den beiden zuvor behandelten Argumenten gegen eine universale Klassifikation steht jedoch ein Argument für ein solches entgegen, das gerade in der Gegensätzlichkeit von "universal" und "spezial" sein besonderes Gewicht erhält. An anderer Stelle^ war bereits über die Beobachtung gesprochen worden, daß es für ein speicherbezogenes Dokumentationssystem sehr günstig ist, wenn man. sich 2 3 4 5

Wir hatten in Abschn. l. l auch schon einmal darauf hingewiesen. R. Fairthorne: Temporal structure in bibliographical classification, 1971. (159) Ähnlich R. Fairthorne auch bereits 1963 in (158) Siehe D. Soergel in (475) und I. Dahlberg in (99, S. 15) 275

bei Klassierung oder Indexierung auf ein "im Hintergrund befindliches Universalsystem" stützen kann und daraus sozusagen nur diejenigen Klassen aktiviert, die tatsächlich in einer Anwendungssituation benötigt werden. Bisher war es ja so, daß Thesauri und Spezialklassifikationen auf einen Anwendungsbereich hin entwickelt wurden und mit diesem langsam wuchsen, wobei von Zeit zu Zeit, bedingt durch wachsende Einsicht in die begrifflichen Zusammenhänge eines zunächst vielleicht nicht so vollständig überblickten Sachbereichs, drastische Umstrukturierungen nötig wurden. Solange ein Speicher noch nicht sehr umfangreich ist, wird zudem gern mit "weiten" Begriffen indexiert, um überhaupt Dokumentationsinhalte Klassen zuordnen zu können. Nach einigen Jahren ist jedoch der Stand erreicht, den man eingenommen hätte, wenn man von Anfang an von einem detaillierten System ausgegangen wäre; denn die Fülle des Vorliegenden zu einem "weiten" Begriff erfordert nunmehr genaueres Indexieren und "enge" Begriffe. Das inzwischen indexierte Material muß nach diesen sodann neu klassiert werden. Es ist daher für alle Benutzer, die nur einen Teilbereich eines universalen Klassifikationssystems für ihre speziellen Interessen benötigen, nicht nur nützlich, sondern auch sehr angebracht, alle für sie relevanten Begriffe aus diesem System mit ihren dort fixierten Begriffszusammenhängen zu übernehmen. Der Benutzer kann sich aus den "abgerufenen" Begriffen ein eigenes System für seine speziellen Bedürfnisse entwickeln und seinen Begriffen sogar eigene, vielleicht kürzere Notationen geben. Er muß dann lediglich beim Austausch mit anderen oder in Publikationen die "Universalnotationen" verwenden. Der weitere Vorteil dieser Methode liegt darin, daß bei einer Weiterentwicklung (Vergrößerung, Intensivierung, etc.) des Benutzersystems mit entsprechender Erweiterung seines Klassifikationssystems immer auf das "Hintergrundsystem" zurückgegriffen werden kann, auf das auch alle anderen Spezialsysteme zurückgreifen, so daß mit fortschreitender Vergrößerung der benutzerbezogenen Speicher eine immer enger werdende begriffliche Vernetzung der Dokumentations- und Informationssysteme stattfindet. Auf diese Weise können die Systeme, wie z.B. gegenwärtig noch, nicht divergieren sondern konvergieren. Das gemeinsam von ihnen benutzte Universalsystem garantiert sozusagen ihre Kompatibilität im begrifflichen Bereich. Die Möglichkeit der Existenz eines universalen Klassifikationssystems und die Möglichkeit, daß seine Begriffe in anwendungsorientierten speziellen Klassifikationssystemen oder Thesauri benutzt werden können, soll die "Zwei-SystemeTheorie der Klassifikation" genannt werden. Sie muß nun nicht nur im Hinblick auf ihren Nutzen für die Spezialsysteme bewertet werden sondern kann auch, wie wir später sehen werden, der fortschreitenden Verbesserung des Universalsystems dienen. Die bisherige Kalamität - auch der Universalklassifikationen lag ja darin begründet, daß alle Systeme aus pragmatischen Gesichtspunkten nur solche Begriffe oder Themenklassen aufgenommen haben, für die es Dokumente als Belege gab ("literary warrant"); kein System wurde ohne Beachtung dieses Prinzips für sinnvoll gehalten. Aus der unterschiedlichen Auffassung jedoch, was als wirklich "belegt" gelten kann oder was überhaupt zweckmäßigerweise an Be276

griffen aufzunehmen und zu präkombinieren sei, sind die starken Divergenzen in Inhalt, Struktur und Umfang der Klassifikationen zu erklären. Wenn dagegen ohne Bezug auf einen Dokumentenspeicher oder einen Benutzerkreis Begriffe bestimmt und facettiert werden, wie sie sich nach ihrer inneren Gesetzlichkeit ordnen und dabei auf eine Struktur zurückgegriffen wird, die das Gesamt der vorhandenen Begriffe kategorisiert, kann man erwarten, daß ein höchstmöglicher Grad an Objektivität in der Darstellung erreicht wird; dieses ist für ein universales System unerläßlich. Nur dann können Gesichtspunkte spezieller, benutzerbezogener Informationssysteme mit den Begriffen eines universalen Klassifikationssystems sinnvoll zu Aussagen kombiniert werden, wenn diese in möglichst "kategoriereiner" Form vorliegen. Aus diesen Gründen halten wir dafür, daß ein universales Klassifikationssystem als "Hintergrundsystem" die heutige Situation der speziellen Klassifikationssysteme und besonders die der begrifflich so schlecht definierten und völlig sprachabhängig aufgebauten Thesauri maßgeblich verbessern könnte. Wir werden im nächsten Abschnitt sehen, wie das universale System von den speziellen Nutzen ziehen kann, ja, daß hier eine Wechselwirkung zum "Lebensprinzip" gehört.

7.2

Darstellungsweise eines universalen Klassifikationssystems

7.2.1

Was geschieht mit den Kombinationsbegriffen?

Bevor über die Teile und Ausgaben eines universalen Klassifikationssystems gesprochen werden kann, muß zunächst auf eine weitere Beobachtung eingegangen werden, die die zunehmende Bildung von Kombinationsbegriffen betrifft. Diese Erfahrung machen wir einerseits in der natürlichen Sprache, die mehr und mehr Komposita aufnimmt, da man sich präziser und weniger umständlich als in Nebensatzform ausdrücken möchte. Aber ebenso kann man diese Erfahrung auch in jeder Dokumentationsstelle machen, die einmal damit begonnen hat, ihr System auf kombinierbaren Einfachbegriffen aufzubauen und es sich dann nach und nach feststellen läßt, daß eine Vielzahl daraus nicht mehr selektiv verwendet werden kann, wenn sie nicht mit anderen Begriffen präkombiniert vorliegen. So ist die Begriffskombination "maschinelle Dokumentationsverfahren" z.B. eine notwendige Präkombination in einem Dokumentationssystem, das die Literatur der Informationswissenschaften erfaßt. Ebenso ist dies aber auch die syntagmatische Bildung "maschinelle Herstellung von Bibliographien". Die Aufnahme solcher Kombinations- und Verknüpfungsbegriffe bzw. Konjunktbegriffe in das spezielle Klassifikationssystem erleichtert begreiflicherweise die Klassierungsarbeit erheblich, da für alle diese Fälle kein neuer Kombinationsvor-

277

gang benötigt wird und die Notation zur weiteren Verwendung feststeht. Diese Fixierungen können dann wiederum zu Ausgangselementen für weiterspezifizierte klassifikatorische Aussagen werden. Diese Methode wurde auch — in formatierter Weise - von G.E. Vleduts et al6 in der chemischen, geologischen und biologischen Datendokumentation benutzt. Und sie wird natürlich immer dann auch mit den Klassen von Universalklassifikationen verwendet, wenn diese die gerade eben passenden Präkombinationen für eine Aussage liefern können. Wenn nun derartige notwendige Begriffspräkombinationen durch eine Anzahl von Dokumenten belegt erscheinen oder sich zu selbständigen Ausdrücken entwickelt haben (allgemeiner Sprachgebrauch) und so in Aussagen weiterverwendet werden, sollten sie im Sinne der "Zwei-Systeme-Theorie" von der ein Spezialsystem benutzenden Stelle der Zentrale übermittelt werden, die das Universalsystem auf dem laufenden Stand hält, so daß sie in dessen Register und evtl. sogar in seine Tafeln, jedoch in eigenen Rubriken, aufgenommen werden können. Die Bestandteile solcher Präkombinationen müssen freilich an ihren Systemstellen erhalten bleiben, jedoch könnte an diesen ein Hinweis auf eine bereits erfolgte Präkombination aufgenommen werden, sofern dies sinnvoll erscheint. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn erhebliche Begriffsanalysen für die Kombination erforderlich wurden und wenn Benennungen für den Inhalt einer solchen Präkombination gefunden wurden, aus denen die enthaltenen Begriffe nicht mehr erkennbar sind. Die Kenntnis über erfolgte Präkombinationen kann als der Vorteil, den das Universalsystem vor den übrigen speziellen Systemen haben kann, angesehen werden. 7.2.2

Die Teile eines universalen Klassifikationssystems

Soll ein Universalsystem möglichst vielen Zwecken dienen, so muß dies in seiner Darstellung zum Ausdruck kommen. Wie immer diese aber auch erfolgen mag, drei Teile müßten auf jeden Fall darin berücksichtigt werden: 1. eine Einführung in Struktur und Inhalt des Systems mit Anwendungsregeln, Erklärung der Zeichen, Klassierungsbeispiele, 2. eine gestufte Darstellung des Begriffssystems entsprechend den Vorschlägen in Kap. 6 3. ein alphabetisches Register aller Einträge von 2 und möglichst aller für nötig erachteten Präkombinationen Unter "gestufter" Darstellung wird verstanden, daß die jeweils erforderlichen Überblicke über einen Bereich zur Erleichterung des Zugangs zu seinem Gesamtinhalt vor diesem vorgenommen werden sollten. Mögliche Variationen in Umfang und Art der Darstellung dieser Teile werden sich im wesentlichen auf die Erwartungen der Interessentengruppe beziehen, für die eine Darstellungsweise ausgewählt wird. Soll nämlich das System lediglich einen Überblick über die existierenden Wissensgebiete vermitteln — und das mag für die beiden ersten und letzten Verwendungsbereiche gelten, die in Kap. 2 beschrieben wurden - dann kann auf 6 278

Siehe die Beispiele in Abschn. 5.3.4

die Angaben der Facettenbegriffe in den Wissensgebieten sowie auf die Inhalte der sonstigen Fundamentalkategorien vermutlich verziechtet werden. Bis zu einer gewissen Stufung müßten jedoch die Klassen der Objektbereiche ebenfalls in einer solchen Ubersichtsdarstellung enthalten sein. 7.2.3

Die Ausgaben eines universalen Klassifikationssystems

Zweckmäßigerweise sollte das Gesamtsystem nach Erstellung und Erprobung auf Magnetband oder auf sonstige maschinenlesbare Datenträger aufgenommen werden, damit die Register und die verschiedenen Ausgaben für verschiedene Interessengruppen maschinell erstellt und in periodischen Abständen maschinell auf den neuesten Stand gebracht werden können. Das Gesamtsystem sollte auch auf Magnetband erhältlich sein. Im übrigen wird man zwischen Minimalausgaben, die nur die in Abschn. 7.2.2 genannte Übersicht gewährt, unterscheiden, zwischen einsprachigen Kurzausgaben, die das Gesamtsystem aber gekürzt und einsprachigen Gesamtausgaben, die es in vollständiger Form enthalten. Daneben sind einsprachige Spezialausgaben möglich, die auch die in Spezialgebieten erforderlichen Präkombinationen führen; außerdem können solcherart Spezialausgaben auch thesaurusartige Ergänzungen der Klassen erhalten?. Alle diese genannten Ausgaben könnten natürlich auch in zwei- oder mehrsprachiger Form erstellt werden. Voraussetzung für die Herausgabe und Unterhaltung des vorgeschlagenen Klassifikationssystems ist die Einrichtung einer internationalen Institution, bzw. die Übernahme dieser Aufgabe durch eine existierende internationale Organisation.

7.3

Das universale Klassifikationssystem im Systemverbund der Informationsbanken

7.3.0

Vorbemerkungen

Die gerade in den letzten Jahren sich abzeichnenden Ergebnisse intensiver Bemühungen um eine stärkere Koordinierung der Informationsbanken und -Systeme, um einen verbesserten Überblick über ihre Tätigkeiten und eine rationale Bearbeitung von Informationsgegebenheiten, haben zu konkreten Vorschlägen für die Planung sowohl im internationalen Bereich (UNISIST)S als auch in vielen nationalen Bereichen, in der BRD z.B. durch die "Vorschläge für die Planung und den Ausbau eines allgemeinen arbeitsteiligen Informationsbankensystems'^ geführt. 7 8

9

Dies wurde in Abschn. 5.2.4 beschrieben Siehe hierzu: UNISIST-Study Report on the feasibility of a World Science Information System. Paris: Unesco 1971. (519). Von den zahlreichen Veröffentlichungen über dieses Programm soll hier nur auf die letzte mit den Entschließungen der vorjährigen UNISIST· Konferenz hingewiesen werden, siehe dazu H. Arntz in (19) 1971. Siehe den Berichts- und Materialband (251) und (252). 1971. 279

Als nicht unerheblicher Bestandteil eines nationalen Systems (freilich auch eines internationalen, aber dieser Aspekt soll hier nicht auch noch behandelt werden) könnte das postulierte Klassifikationssystem einige Funktionen übernehmen, die den Informationsfluß zwischen den Elementen des Systems steuern, vereinfachen und beschleunigen würden. Dies kann geschehen, a) indem es als Referenzsystem eingesetzt wird, b) der maschinellen Informationsvermittlung zwischen zentralen Stellen und Bearbeitungsstellen und c) der umgekehrten Informationsvermittlung zwischen Bearbeitungsstellen an zentrale Stellen als Basis dient. Die hiermit verbundenen Aspekte gehören zwar nicht mehr in den thematisierten Problemkreis dieser Untersuchung , sollen aber dennoch wegen ihrer Implikationen für die allgemeine Bedeutung eines universalen Klassifikationssystems erwähnt werden. Ein ausführlicher Organisationsvorschlag könnte auf dieser Basis ausgearbeitet werden. 7.3. l

Das universale Klassifikationssystem als Referenzsystem

Da eine der Kategorien des möglichen universalen Klassifikationssystems alle Benennungen enthalten wird, die Wissensgebiete bezeichnen, kann mit diesem Teil der sog. Gebietsklassen ein Bezugssystem zu den in einem nationalen Bereich befindlichen Dokumentationsstellen, Spezialbibliotheken, Bibliotheken mit Sonder Sammlungen, Datenbanken, etc. hergestellt werden. Es muß hierzu für jede dieser Stellen ermittelt werden, welche Gebiete sie bearbeitet; ihre Gebietsbenennungen müssen sodann einer zentralen Stelle mitgeteilt werden und von dieser den Gebietsklassen des Klassifikationssystems zugeordnet werden. Auf der Basis dieser Klassierung kann dann jeder Anfragende von einer zentralen Vermittlungsstelle 11 an die entsprechenden Bearbeitungsstellen verwiesen werden. Das ganze klingt relativ einfach, impliziert jedoch mehr als nur den materialen oder inhaltlichen Verweisungsprozeß. Es müssen gleichzeitig auch "formale" Informationen bekannt werden, wie z.B. Alter und Umfang der Speicher, Dokumentarten, sofern spezifiziert, die besonderen Umstände, unter denen mögliche Information von einer Stelle erteilt werden kann; auch muß stets der besondere Aspekt, unter dem eine bestimmte Stelle ein Gebiet bearbeitet, erfaßt worden sein. 7.3.2

Das universale Klassifikationssystem in der maschinellen Informationsvermittlung zwischen zentralen Stellen und Bearbeitungsstellen

Eine maschinelle Informationsvermittlung, die nicht voraussetzt, daß neben dem Sender auch noch der Empfänger über einen Computer verfugt, könnte folgendermaßen durch das Klassifikationssystem organisiert werden: 10 Wir haben den mehr "technischen" Aspekt dieser Fragen in Abschn. 5.5 behandelt: "Das Klassifikationssystem in der Informemvermittlung" 11 Im Englischen spricht man von "Referral Center", daher unser "Referenzsystem"; "reference" wird aber im Englischen auch im Sinne von "Bezug" verwendet, weshalb die Übertragung in Referenz- nicht so sehr günstig ist.

280

Die bei einer Zentrale (z.B. der Deutschen Bibliothek in Frankfurt) gesammelten Buchtitel könnten mit Hilfe der Gebietsklassen klassiert sein (die entsprechende Einordnung könnte bereits durch Autor oder Verlag geschehen sein); es bedarf dann nur noch organisatorischer Maßnahmen und eines entsprechenden Programms, um den interessierten Stellen (das wären z.B. alle o.g., wie Dokumentationsstellen, Spezialbibliotheken, Fachbuchhandlungen, etc.) Listen der Neuerscheinungen ihres jeweiligen speziellen Fachgebiets zuzusenden. Eine solche zentrale Verteilung von Hinweisen über neue Literatur könnte freilich ebenso gut auch auf der Basis der Zeitschriftenaufsätze stattfinden, wenn man sich einmal zu einer zentralen Katalogisierung dieses Schrifttums entschließen könnte. Bisher sind wir lediglich von den Gebietsklassen.ausgegangen; eine etwas günstigere Besetzung an zentraler Stelle könnte jedoch auch eine vollständige Klassierung jeden Titels durchführen und ihre maschinelle Informationsvermittlung auch auf der Basis der Sachverhaltsinformeme anbieten. Auch das Dokumentinfo rmem - allein oder im Verbund mit Gebiets- und Sachverhaltsinformem - könnte in dieser Art Informationsvermittlung zweckmäßig verwendet werden, wenn z.B. eine Bearbeitungsstelle lediglich bestimmte Dokumentarten bevorzugt, wie z.B. Dissertationen oder Festschriften oder Plakate etc. Eine weitere Spezifizierung, die wir noch nicht erwähnt hatten, auf deren Basis aber ebenfalls durch Computerhilfe Information leicht an die richtige Stelle zu steuern wäre, könnte aufgrund einiger weiterer Angaben zum Dokumenteninformem geschehen. Besitzt nämlich eine Veröffentlichung Statistiken, Tabellen, bestimmte "harte Daten", so könnte dies in der Klassierung erwähnt werden und der Hinweis würde automatisch an die betreffenden statistischen Ämter oder Datendokumentationsstellen geschickt werden können. Auf diese Weise könnte von einer einzigen Stelle unendlich viele mühevolle Sucharbeit bei allen Bearbeitungsstellen erspart werden; diese gewännen dafür jedoch Zeit, ihrer Informationsvermittlungsaufgabe ihres jeweiligen Empfängerkreises besser gerecht zu werden.

7.3.3

Das universale Klassifikationssystem in der Informationsvermittlung zwischen Bearbeitungs- und zentralen Stellen

Man könnte sich vorstellen, daß jeder Verleger, jede Institution mit einem eigenen Publikationsprogramm, jeder selbständige Autor die entsprechenden Notationen für die ihren Publikationen jeweils zukommenden Gebietsklassen zuteilen könnten, bevor diese publiziert werden. Diese "Klassierung im voraus" würde den gesamten weiteren Prozeß des inhaltlichen Aufschlusses und der Informationsvermittlung maßgeblich erleichtern. Ebenso ließe sich auch denken, daß arbeitsteilig — also jeweils auf bestimmte Dokumentarten bezogen - von einzelnen Dokumentationsstellen Klassierungen nach diesem Klassifikationssystem vorgenommen werden können, die dann an andere Bearbeitungsstellen oder zentrale Stellen weitergegeben werden. Es sei 281

hier nur an die z.B. in der Industrie bekannt gewordenen Überlappungen in den Auswertungen der Zeitschriftenliteratur erinnert. Eine weitere Zusammenarbeit auf dieser Basis beträfe die zwischen Autoren und Dokumentationsstellen im Hinblick auf eine sach- und formgerechte "Vorausklassierung" ihrer zu publizierenden Arbeiten 12? wobei es hier um die Darstellung des oder der Sachverhaltsinformem(e) gehen soll, nicht nur des Gebietsinformems (wie oben). Die Feststellung der relevanten Begriffe eines Dokuments und deren Zusammenstellung in den verschiedenen Informem-Arten sollte einmal genau so zur Herstellung einer Publikation gehören, wie die Formulierung des richtigen Titels und eines Kurzreferates. Autoren wie Verleger müssen sich darüber im Klaren sein, daß in Zukunft in noch größerem Ausmaß als heute internationale Informationssysteme von eben diesen "Begleitmaßnahmen" abhängig sind; Sinn und Zweck ihres Tuns werden wesentlich davon bestimmt werden, ob die Voraussetzungen erfüllt wurden, daß eine Publikation auch in der Welt ankommt, für die sie bestimmt ist.

7.4

Mögliche allgemeine Bedeutung eines universalen Klassifikationssystems

7.4.0

Vorbemeikungen

Nach einer Diskussion der Bedeutung, die das mögliche Klassifikationssystem innerhalb eines nationalen Informationssystems hätte, könnte nunmehr auf alle weiteren Anwendungsfälle, die z.B. in Abschn. 1.2 und Kap. 2 genannt wurden, Bezug genommen werden; wir meinen jedoch, daß sich dies erübrigt. Wir möchten den Kreis dieser Betrachtungen jedoch nicht schließen, ohne nochmals auf die allgemeine Bedeutung, die einem solchen System evtl. einmal zukommen könnte, nämlich als allgemeines Orientierungs- und Kommunikationsmittel sowie als internationale Norm, hingewiesen zu haben. 7.4.1

Allgemeines Orientierungsmittel

Wir möchten hier auf zwei Aussagen hinweisen, die uns treffend die gegenwärtige Situation zu charakterisieren scheinen, nämlich der einen von Paul Oppenheim, die er 1926 angesichts der Wissensdarbietung auf den Universitäten äußerte, und einer anderen von Georg Picht, die aus dem letzten Jahr stammt. So schrieb P. Oppenheim über das "Chaos, welches der Student an den Universitäten antrifft": "Der Erkenntnis von der Ordnung der Wissenschaften soll ein Bekenntnis vorausgehen: Die Wissenschaft ist ein lebendiges Ganzes. Das Bewußtsein von ihrer Ganzheit und Lebendigkeit ist unserer Zeit nur zu sehr verloren gegangen; unter der Herrschaft des Spezialistentums hat man den Überblick über das Wissensganze verloren; es wurde dem 12 Hier kann auf eine frühere Arbeit mit gleichem Anliegen verwiesen werden, siehe I. Dahiberg, C.W. Petersen: Predocumentation - easier information. 1968 (94).

282

Leben entfremdet und durch die tote Summe nebeneinander stehender Disziplinen ersetzt . . . Diesem Zustand entspricht das Chaos, welches der Student an den Universitäten antrifft, wenn er versucht, sich darüber zu orientieren, wie das Feld beschaffen ist, auf dem er sich betätigen soll. Aus all dem wird die tiefe Sehnsucht nach einer Ordnung der Wissenschaften erklärlich, welche diesen Übelstand beseitigt"^.

Und so stellte G. Picht^ in einem Vortrag anläßlich des Erscheinens von Bd. l von Meyers Enzyklopädischem Lexikon, März 1971, fest: "Wir sahen schon, daß eine Information nur dem etwas sagt, der den Zusammenhang kennt, in den sie gehört. Es hilft nichts, die Summe aller verfügbaren Informationen in Folianten oder in Datenbanken zu speichern, man muß auch die Kunst vermitteln, sie zu benutzen; und diese Kunst ergibt sich nur aus dem Verständnis der Parameterräume, in denen die Informationen sich ordnen. Die partikularisierte Rationalität der wie ein Krebsgeschwür wuchernden SpezialWissenschaften hat die Natur der Ausbeutung des Menschen unterworfen. Wir sind im Begriff, sie zu destruieren, weil wir das Wissen nicht zu organisieren vermögen."

Als typisches Merkmal der Kapitulation vor der Fülle der Informationen und Aspekte, unter denen sie betrachtet werden können, verweist er auf die Anordnung von Wissenselementen in Enzyklopädien "durch das primitivste aller Ordnungsmittel, das ABC". Betrachten wir uns auf diese beiden "Klagen" hin nochmals das vorgeschlagene System mit seinen kategorialen Strukturen, so sehen wir die von Picht geforderten Parameterräume in den vielfältigen Bezugsrahmen, die durch sach- und formbezogene Kategoriserungen gegeben wurden und die durch die "Brille der Aspektgebiete" jeweils in anderen Zusammenhängen gesehen werden können. Wir meinen auch, mit der Anlage nach den neun Objektbereichen und ihren neun korrespondierenden Bereichen von Aspektgebieten ein Übersichtshilfsmittel vorgeschlagen zu haben, das sich jedem einprägen könnte, weil es von verschiedenen Sichten her verstanden werden könnte, d.h., durch verschiedene "Theorien" (theorein heißt schauen) erklärt werden könnte. Vergegenwärtigen wir uns nochmals den vorgeschlagenen Inhalt dieser jeweils neun Bereiche:

I Form und Strukturbereich Materiebereich Geo- und Kosmobereich Biobereich Humanbereich Sozialbereich Pro duktionsb e reich Informationsbereich Geisteswiss. Bereich

1 2 3 4 5 6 7 8 9

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13 Siehe P. Oppenheim: Die natürliche Ordnung der Wissenschaften (366, S. 1) 14 Siehe G. Picht: Enzyklopädie und Bildung. Vortrag Mannheim, 18.3.1971 (392) 283

so können wir vier "Begründungen" für ihre Zusammenfassungen in einem bestimmten Ablauf angeben: In der Sicht I sind die Bereiche 1—5 und 5—9 zusammengefaßt und wir unterscheiden nach dem, was der Mensch vorfand und was der Mensch schuf, er steht in der Mitte und ist selbst noch teil dessen, was er vorfand. In der Sicht II sind jeweils die Bereiche 1—3,4—6 und 7—9 zusammengefaßt und wir unterscheiden nach dem Unlebendigen, dem Lebendigen und dem menschlichschöpferisch Produzierten. In der Sicht III werden die Bereiche 2 und 3 als solche des Anorganischen, die Bereiche 4-6 als solche des Organischen, die Bereiche 7 und 8 als solche der materiellen und intellektuellen Güter der sichtbaren Welt und die Bereiche 9 und l als solche der unsichtbaren Welt zusammengefaßt. In der Sicht IV wollten wir Hegel interpretieren mit der "Idee in ihrem An-sichsein" — Bereich l, dem "Aus-sich-Heraustreten der Idee' — Bereiche 2—8 und dem "Bei-sich-selbst-sein der Idee" — Bereich 9. Die Abfolge könnte aber auch als Kreis zusammengeschlossen werden, wobei dann die beiden, die mehr oder weniger "unsichtbare Welt" darstellenden Bereiche aneinandergrenzen und der Bereich des Menschen diesen beiden als Zenith gegenüberstände. Diese "Theorien" sind natürlich alle falsifizierbar; denn sie können nicht absolut gelten. Für jede These lassen sich Gegenbeispiele finden. Aber wir stehen deshalb trotzdem nicht an, sie verteidigen zu wollen; denn es kam uns nicht darauf an, für eine mögliche Wissensordnung einen unumstößlichen Vorschlag zu machen, sondern einen plausiblen, der ganz primitiv gesagt, vielleicht nur "etwas für sich hat". Was nun das obige Zitat von P. Oppenheim betrifft, so finden wir bei ihm auch, was N, Hartmann einmal das "Einheitspostulat des spekulativen Denkens" nannte 1 5 und was dann typisch wurde für die Mitglieder des Wiener Kreises. Bis in die jüngste Zeit hinein wurde noch heftig um die Beweisbarkeit der Einheit der Wissenschaft(en) gerungen 16. Wir sehen jedoch hierin kein Problem, da es uns scheint, daß eine Gesamtstruktur der existierenden und möglichen Wissenselemente und Begriffe das Ganze des möglichen Wißbaren zusammenfaßt und auf diese Weise seine Einheit "beweist". Es mag nun freilich sein, daß sich die verschiedensten Strukturen von Begriffskomplexen herausbilden, ähnlich einem Kristallisationsvorgang bei der Kernbildung und sich nebeneinander und übereinander anordnen; auch wird das Begriffsvolumen laufend wachsen. Es kann aber nur dann geistig damit hantiert werden, wenn den Einzelbegriffen einmal der ihnen eigene Platz zugewiesen wor15 Wir zitierten diese Stelle bereits früher in anderem Zusammenhang (Abschn. 4.4.3); die Quelle siehe (217, S. 175) 16 Zwar klagte schon E. Fink 1956: "Das Problem 'Einheit der Wissenschaften' i s t . . . bis zum Überdruß und zur Langeweile bekannt. Es ist längst Teil feuilletonistischer Betrachtung geworden . .." (173), doch zeigen die Arbeiten von J. Meurers (331), A. Dempf (105), M. Scheele (440), V. Kraft (284) und E. Lutterbeck (317) u.a., daß hier einmal ein "echtes Anliegen" existiert haben muß. 284

den ist. Von diesem können sie für alle nur denkbaren Kombinationen "abberufen" werden, sie behalten aber deshalb doch ihre "angestammte" Systemstelle, die nur ihnen zukommt. Ohne eine solche einmal herzustellende Begriffsordnung ist keine Übersicht über das Vorhandene, keine Orientierung über unser Begriffswissen' möglich. 7.4.2

Allgemeines Kommunikationsmittel

Wir hatten uns in Abschn. 2.6.3c) gegen die Verwendung eines Terminus "Dokumentationssprache" ausgesprochen, indem wir das mögliche universale Klassifikationssystem aber als Kommunikationsmittel betrachten wollen, fuhren wir da nicht selbst es als "Sprache" ein? Wir wollen dies dahin gestellt sein lassen; denn es geht uns jetzt nicht darum, wie mit dem System kommuniziert werden könnte, sondern inwiefern es selbst der internationalen Kommunikation dient - allein durch seine mögliche Existenz. Ein mögliches universales Klassifikationssystem kann daher 1. der internationalen Wissensangleichung dienen und zwar a) mit Bezug auf die Gesamtmenge und Art der festzustellenden und zu systematifizierenden Begriffe und b) mit Bezug auf die zu eruierenden hierarchischen Beziehungen; 2. der internationalen Verständigung über existierende Wissensgebiete dienen; denn keinesfalls sind in jedem Land gleiche Probleme als Aufgaben erkannt worden und haben so zu eigenen Funktions- oder Sachgebieten geführt. Bereits dies einmal zu wissen mit allen Implikationen, erbrächte schon einen beachtlichen Gewinn. Die Unterschiede im allgemeinen Wissensniveau sind — besonders im Hinblick auf die Situation in den Entwicklungsländern — derzeitig noch als beträchtlich zu bezeichnen. Das Wissen der Industrienationen, das in seine Erarbeitung eingehen kann, würde den Entwicklungsländern nicht nur zur Vermittlung bestehenden Wissens dienen, wie wir das oben andeuteten, sondern damit auch gleichzeitig die Möglichkeit bieten, sie auf die gleichen Wissensentwicklungsstufen heben zu können, auf denen die "entwickelten" Länder stehen. Dies wäre also die Funktion, die ein universales Klassifikationssystem zur Vermittlung von Sachinformation eo ipso beitragen könnte. Darüber hinaus ist es schon durch seine Begriffsnotation ein Kommunikationsmittel: es läßt sich von ihr ablesen, in welchen Sprachen für einen gegebenen Begriff Verbalformen existieren und in welchen dies nicht der Fall ist. Des weiteren ist natürlich eine direkte internationale Kommunikation über die . Begriffsnotation möglich — und hier kommt nun das sprachliche Moment ins Spiel - bzw. die Möglichkeit, die "Begriffssprache" der Notation als "Universalsprache" zu benutzen. Wie wesentlich dies z.B. auch für die Kommunikation in Ländern, die selbst mehrsprachig sind, wie beispielsweise Jugoslavien oder die Schweiz, sein kann, hat kürzlich noch Z,. Dulovii^ dargestellt. 17 L. Dulovic, M. Gavrilov: Problems of indexing and classification in small, developing and multilingual countries (147).

285

7.4.3

Das universale Kiassifikationssystem als internationale Norm

Als letztes Charakteristikum eines universalen Klassifikationssystems 18 möchten wir seine mögliche normative Bedeutung nennen, die natürlich von zwei Seiten gesehen werden kann. Die "Kehrseite" wäre die Eingleisigkeit; aber Normen müssen diese nicht implizieren, wenn sie auch Gleise sind, auf denen sich rascher und leichter fahren läßt, als auf den holprigen und verschlungenen Pfaden eines unwirtschaftlichen Individualismus. Seit den Bemühungen des Institut International de Bibliographie, 1895, die UDC als "universale Klassifikation"^ zu propagieren, begann man sich allgemein über den Wert einer Normklassifikation bewußt zu werden. In einer Reihe von Ländern, wie z.B. Polen und England wurde die UDC auch zur Normklassifikation erklärt, was allerdings in England keineswegs zu ihrer Verbreitung beigetragen hat^O. Die Geschichte des Normklassifikationsgedankens ist jedoch älter. Schon 1826 hatte der russische Chemieprofessor F.R. Reußl l vorgeschlagen, seine Klassifikation in allen russischen Bibliotheken einzuführen; er wurde jedoch von den Behörden abgewiesen. Hundert Jahre später hat man jedoch die UDC zur verbindlichen Klassifikation für alle Bibliotheken der UdSSR erklärt und 1963 diese auch für alle naturwissenschaftlich-technischen Zeitschriften und Referateorgane gesetzlich vorgeschrieben. Eine ähnlich normative Funktion aber hat die Dewey Decimal Classification in den USA gewonnen, ohne daß irgendwelche staatlichen Reglementierungen damit verbunden waren. Nur das, was überzeugt, kann vielleicht für eine Zeit lang einmal zur Norm werden.

7.5

Ergebnisse der Untersuchung

7.5.0

Vorbemerkung

Im folgenden sollen thesenartig diejenigen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zusammengefaßt werden, die einen neuen Ansatz für den Aufbau von Klassifikationssystemen kennzeichnen und das Fundament möglicher weiterer Untersuchungen bilden können. Mit diesen Thesen wollen wir uns gegen den bisherigen "Stand der Technik" abgrenzen und gleichzeitig eine Ausgangsbasis für eine Aus-

18 Dies hatten wir in Abschn. 3.7.3 e) als Postulat formuliert 19 Die UDC ist die einzige Klassifikation, die das Attribut "universal" in ihrem Namen trägt 20 Im Gegenteil, es gibt bis heute noch keine Gesamtausgabe in Englisch, da das British Standards Institute jahrzehntelang keine Mittel für ihre Übersetzung aus dem Französischen oder Deutschen aufbringen konnte. 21 Darüber berichtet Samurin in Bd. 2, S. 175 286

einandersetzung über ihren Inhalt anbieten. Wir gliedern sie wie folgt: Thesen Thesen Thesen Thesen Thesen Thesen

zur Ausgangspositionierung zur begrifflichen Fundierung zur Wissensordnung zur klassifikatorischen Wissensordnung zur klassifikatorischen Aussage zur Funktion eines universalen Klassifikationssystems.

Soweit wie möglich wird jeweils der besondere Abschnitt angegeben, in dem ein Theseninhalt in der vorliegenden Arbeit behandelt wurde.

7.5.1

Ausgangsthesen

1.

Die Bedingung der Möglichkeit der Erarbeitung eines universalen Klassifikationssystems liegt in der Tatsache, daß alle existierenden Begriffe erfaßt werden können, aufgrund ihrer Merkmale zu klassifizieren und aufgrund der Kategorien dieser Merkmale zu systemieren sind. (Abschn. 1.4.1 und 1.4.2)

2.

Universalität ist ein relativer Begriff und ist mit Bezug auf semantische Einheiten (Begriffe) auf verschiedenen semantischen Ebenen zu realisieren. (Abschn. 1.3)

3.

Der gravierendste Fehler bisheriger Universalklassifikationen muß in der Tatsache gesehen werden, daß die begrifflichen Relationen zwischen hierarchisierten Klassen nicht mit Art und Inhalt der Begriffe (dieser Klassen) übereinstimmten. (z.B. Abschn. 3.4.lc))

4.

Da die Begriffe bestehender Universalklassifikationen weitgehend präkombiniert sind, ist eine Anpassung an die Weiterentwicklung des Wissens durch Verwendung von Bestandteilen aus diesen Präkombinationen zur Aussagenbildung nicht mehr möglich. Einmal zugelassene Begriffspräkombinationen führen daher ständig zu neuen Präkombinationen und machen die Systeme unnötig redundant. (Abschn. 2.5.3 und 3.6.2)

5.

Bisherige Universalklassifikationen sind zumeist monohierarchisch angelegt und berücksichtigen nicht die polyhierarchische Struktur von Begriffen. (Kap. 2 und Abschn. 3.4)

6.

Bisher sah man die Funktion eines Klassifikationssystems darin, Themenklassen zur Ordnung ganzer Dokumentkomplexe anzubieten. Wir gehen jedoch davon aus, daß mit Hilfe der Begriffe eines universalen Klassifikationssystems Aussagen über verschiedene semantische Ebenen der Dokumenteninhalte gemacht werden können (Wissensgebiete, Sachverhalte, Daten), so daß Speicher ggfs. gestuft abgefragt werden können. 287

7.5.2

Thesen zur begrifflichen Fundierung

7.

Begriffe entstehen durch Zusammenfassung von Prädikationen über einen Aussagegegenstand. Sie werden inhaltlich bestimmt durch Identifizierung und Synthese ihrer Merkmale zu einer Einheit. (Abschn. 1.4.1)

8.

Seinsbegriffe sind von den Gegebenheiten der Seinsschichten abzuleiten, Formbegriffe von den Kategorien der Seinsbestimmungen. Die Synthese von Seinsbegriffen und Formbegriffen führt zu Sachbegriffen. (Abschn. 3.1)

9.

Begriffe lassen sich typisieren nach Formkategorien. Man kann daher unterscheiden zwischen Objekt-, Phänomen-, Prozeß- und Eigenschaftsbegriffen. Kombinationen zwischen diesen sind ebenfalls möglich. (Abschn. 3.5.1 b))

10:

Bei Kombinationen von Objekt- und Phänomenbegriffen mit Prozeßbegriffen entstehen Begriffskonjunkte, die immer dann Aussagen enthalten, wenn der Prozeßbegriff eine Prädikation mit Bezug auf den Objekt- oder Phänomenbegriff enthält. Alle Bezeichnungen von Wissensgebieten sind Begriffskonjunkte. (Abschn. 3.5.1 a))

7.5.3

Thesen zur Wissensordnung

11.

Die Inhalte von Begriffen lassen sich in sog. Wissenselementen darstellen. Jede Aussage zum Gegenstand eines Begriffs bildet dabei ein Wissenselement. Die Summe der Aussagen über den Begriffsgegenstand machen den Begriff aus. Sie sind identisch mit den in These 7 genannten Merkmalen eines Begriffs. (Abschn. 1.4.2)

12.

Wissensgebiete entstehen durch Kumulierungen von Wissenselementen und Begriffen um einen Gegenstandsbereich. Wissensgebiete können sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden. (Abschn. 1.4.2 und Kap. 4)

13.

Wissenschaften sind Wissensgebiete, deren Begriffe Bestandteile von Aussagen sind, die in einem Begründungszusammenhang miteinander stehen. Wissenschaftliche Sätze sind am Wahrheitspostulat orientiert (Diemer). (Abschn. 4.1)

7.5.4

Thesen zur klassifikatorischen Wissensordnung

14.

Begriffe können die Funktion von Klassen übernehmen. Sie werden in Klassifikationssystemen durch klassifikatorische Merkmale, Klasseme, geordnet, klassifiziert. Aufgrund dieser Merkmale stehen sie miteinander in Beziehung, (Abschn. 1.4.4)

15.

Die Strukturierung eines Klassifikationssystems basiert nicht nur auf den Sach-Relationen zwischen den Begriffen (interne Struktur) sondern auch auf der Vorgabe von Strukturprinzipien, die zu Formrelationen führen und Formelemente (äußere Struktur) bilden. (Abschn. 1.4.5)

288

16.

7.5.5

Nur eine formale "Vororganisation" von Sachbegriffen kann zu einer allgemein akzeptierbaren materialen Organisation von Wissenselementen und Begriffen in einem universalen Klassifikationssystem führen; eine objektive Darstellung muß auf jede Art von sachlichen Prävalenzen verzichten können. (Abschn. 4.1.5 und 5.2)

Thesen zur klassifikatorischen Aussage

17.

Aussagen, die mit Hilfe von Begriffen aus Klassifikationssystemen gemacht werden, heißen klassifikatorische Aussagen; sie müssen, wie alle anderen Aussagen - Subjekt und Prädikat besitzen. Im Gegensatz zu Aussagen mit flektiertem Verb wird in klassifikatorischen Aussagen der Prädikatsbegriff in substantivierter Form an den Anfang gesetzt, wodurch auch eine dependenz-grammatische Aussagestruktur erreicht wird, die eine prädikatenlogische Darstellung ermöglicht. (Abschn. 5.1.2)

18.

Syntagmatische Relationen zwischen den Bestandteilen einer Aussage sind von den semantischen Valenzen des als Prädikat verwendeten Verbs (in welcher Form es auch immer erscheinen mag) abhängig. Syntagmatische Relationen bestehen immer nur zwischen Prädikat und Aussageergänzung. (Abschn. 5.3.4)

19.

Neben den syntagmatischen können paradigmatische Relationen in Aussagen vorkommen, z.B. als Attributionen der Elemente von Aussagen. (Abschn. 5.3.4)

20.

Formalisierte klassifikatorische Aussagen können Bestandteile komplexer klassifikatorischer Aussagen werden. (Abschn. 5.3.4)

7.5.6

Thesen zur Funktion eines universalen Klassifikationssystems

21.

Die Funktion eines universalen Klassifikationssystems muß darin gesehen werden, für unterschiedliche semantische Ebenen und für die unterschiedlichsten Anwendungsfälle Beschreibelemente für Aussagen über Sachverhalte und Dokumenteninhalte liefern zu können. Das System muß z.B. alle existierenden Gebietsklassen enthalten oder generieren können; in gleicher Weise muß es jedoch auch Begriffe für alle Arten von Objekten und Prozessen, wie auch Eigenschaften besitzen.

22.

Der Informationsgehalt einer Aussage über einen Sachverhalt wird Informem genannt (Diemer). Klassifikatorische Aussagen vermitteln klassifikatorische Informeme. Liegen Aussagen über Aussagen vor, kann man von Metainformemen sprechen. Materiale Metainformeme beziehen sich auf den Inhalt von Aussagen, formale Metainformeme auf ihre Darstellungsweise. (Abschn. 5.4.1 und 5.4.2) 289

23.

Formale Metainformeme können den Geltungsmodus einer Aussage charakterisieren wie auch (zusätzlich) die Dokumentenart und deren besondere Charakteristika, die sich auf eine gegebene Aussage beziehen. (Abschn. 5.4.2 und 5.4.4)

24.

Aussagen können in unterschiedlichen Konkretisierungsgraden vorliegen. Der Allgemeinheitsgrad oder die Spezifizierung einer Aussage ist durch unterschiedlich zu wählende semantische Ebenen der Begriffe und/oder einen unterschiedlichen Genauigkeitsgrad in der Besetzung der Prädikatsergänzungen (aufgrund der semantischen Valenzen des verwendeten Verbs) möglich. (Abschn. 5.4.3)

25.

Ein universales Klassifikationssystem kann im Sinne der "Zwei-SystemeTheorie der Klassifikation" als "gemeinsames Hintergrundsystem" für alle Arten von anwendungsorientierten Klassifikationssystemen und Thesauri dienen. (Abschn. 7.1.3)

26.

Durch eine mögliche Wechselwirkung zwischen anwendungsorientierten, speziellen Klassifikationssystemen und dem universalen Klassifikationssystem ist ein Austausch über vorkommende, notwendige und sinnvolle Präkombinationen (von seiten der speziellen Systeme) und der korrekten begrifflichen Relationen (von seiten des universalen Systems) möglich. (Abschn. 7.2.1)

27.

Das universale Klassifikationssystem kann in allen Anwendungsbereichen verwendet werden, besonders auch zur Organisation nationaler und internationaler Informationssysteme. (Abschn. 7.3)

28.

Ein universales Klassifikationssystem der vorgeschlagenen Form kann als allgemeine intellektuelle Orientierungsbasis in zahlreichen Verwendungsbereichen dienlich sein. (Abschn. 7.4.1)

29.

Ein universales Klassifikationssystem kann als allgemeines Kommunikationsmittel über existierende Begriffe und ihre Inhalte, besonders auch in Entwicklungsländern, von großem Nutzen sein. (Abschn. 7.4.2)

30.

Wenn ein universales Klassifikationssystem als internationale Norm akzeptiert und eingeführt werden kann, so wären damit auf die Dauer nicht nur hohe finanzielle Einsparungen gewonnen, sondern auch auf nationaler und internationaler Ebene wesentliche Verständigungserleichterungen möglich. (Abschn. 7.4.3)

Mit den letzten Thesen haben wir uns nochmals auf die Anliegen der unmittelbar voraufgegangenen Abschnitte bezogen, obwohl damit eher Postulate als Thesen zum Ausdruck kommen. Sie erscheinen uns jedoch wichtig genug, um auch in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden. Andererseits haben wir die eigenen Vorschläge, die eine mögliche Strukturierung und inhaltliche Organisation eines neuen universalen Klassifikationssystems zum Inhalt haben, nicht noch einmal herausgestellt. 290

Mit der vorliegenden Arbeit sollte zunächst der gesamte Problembereich abgesteckt werden, in dem sich das postulierte System und alle entsprechenden Bemühungen bewegen werden. Wenn es sich dabei herausgestellt hat, daß in diesem Problemkreis Fragen der Wissenschaftsgeschichte, der Wissenschaftsorganisation und der Wissenschaftstheorie, der Ontologie und Erkenntnistheorie, der Linguistik, der Systemtheorie und nicht zuletzt der Informationswissenschaften involviert sind, dann kann man auch die Tragweite erkennen, die eine Realisierung des möglichen allgemeinen Begriffssystems fur viele hätte. Angesichts der heute bestehenden und nicht zu unterschätzenden Konfusion über die Methoden der Informationserschließung durch begriffsorientierte Dokumentenanalyse und angesichts des Fehlens einer allgemeinen Übersicht über die bestehenden Wissensgebiete erscheint die baldige Realisierung einer solchen universalen Begriffsordnung als eine geradezu drängende Aufgabe unserer Zeit. Wir haben in dieser Arbeit nicht nur nach den notwendigen Grundlagen für eine universale Wissensordnung gesucht, wir wollten auch zeigen, daß sie realisierbar wäre. Die vielfach noch agnostische Haltung gegenüber den Möglichkeiten der Klassifikation erscheint eigentlich unverständlich angesichts des Auftrags an Wissenschaft und Dokumentation, mit Hilfe ihrer Begriffe (der Begriffe aus möglichen Begriffssystemen) klare und eindeutige Aussagen formulieren zu können, welche die Informationen, also das neue Wissen, aus den Pyramiden publizierter Literatur herauszukristallisieren vermögen. Der allgemeine Fortschritt, bedingt durch die intensivierte Forschung von heute in allen Bereichen — nicht nur den naturwissenschaftlichen -, erfordert auch eine intensivere Befassung mit den "begrifflichen Werkzeugen", die ihn kommunizierbar machen sollen. Je besser wir diese jedoch kennen und erkennen, umso besser verstehen wir auch unsere Welt und unser Wissen.

291

ANHANG

Taf. AI:

"Enzyklopädie" des Amenemope (1250 v. Chr.), Ägypten Quelle: Samurin, Bd. I, S. 11 Himmel, Sonne, Mond, Gestirne Wolke, Gewitter, Morgendämmerung, Finsternis, Licht, Schatten, Sonnenstrahl, Tau Wasser und Wasserreservoire Ufer, Insel Bodenarten: Saat, Hain, Sand, usw. Gott und Göttin, der Tote und die Tote König und Königin Stände und Ämter Handwerker und kleine Beamte Volk und Heer Fremde Völker; Städte, Staaten Lybien, Kleinasien, Syrien, Palästina, Babylonien Altersstufen Mann junger Mann, Greis, Mädchen, Junge, Knabe, Jüngling, kleines Mädchen Handwerker der Werft Sklaven und Sklavinnen Wohnorte Stadt, verschiedene Städte (von Süden nach Norden), Seen Nilüberschwemmungen Schloß, Vorstadt Bauten und ihre Teile Arten des Ackerlandes Nahrungsmittel Korn, Mehl, Brotsorten und andere Backwaren, Süßigkeiten, Getränke, Fleischsorten Vieh, Vögel, Insekten Samurin bemerkt hierzu: "Diese großen Abteilungen sind in Untergruppen und diese noch weiter unterteilt." (S. 12)

294

Taf. A2: Gliederung aus "Das Buch des Wissens" von Avicenna (Abu Ali Ihn Sina) (980-1037) Persien Quelle: Samurin (Bd. I, S. 55—56) nennt: Bogoutdinov, A.M.: VydajuScisja pamjatnik filosofskoj mysli tadzikskogo naroda. In: Voprosy filosofii 3 (1948) S. 358-66 Praktische Wissenschaften Wissenschaft von der Verwaltung der Städte Wissenschaft von der Führung der Hauswirtschaft Wissenschaft vom Menschen Theoretische Wissenschaften Höchste Wissenschaft (Theologie) Mittlere Wissenschaft Mathematik Primäre (,,reine") Mathematik Arithmetik Geometrie Sekundäre („angewandte") Mathematik Rechnen; Algebra Flächenmessung Mechanik Zugkraft Waagen und Gewichte Graduierte Meßappaiate Optische Apparate und Spiegel Astronomie Primäre („reine") Astronomie Astronomie (theoretische) Sekundäre („angewandte") Astronomie Kunst der Aufstellung von astronomischen und geographischen Tabellen Musik Primäre („reine") Musik Musik (Theorie) Sekundäre („angewandte") Musik Musikinstrumente Physik Primäre („reine") Physik Wissenschaft von der Materie, Form und Bewegung Wissenschaft von den primären Körpern, aus denen die Welt besteht Wissenschaft von den Elementen Wissenschaft vom Entstehen und Vergehen Wissenschaft von den Himmelskörpern und Meterologie Wissenschaft von den Mineralien Wissenschaft von den Geschöpfen Wissenschaft von den Pflanzen Wissenschaft von den Tieren Wissenschaft von der Seele und ihren Fähigkeiten der menschlichen Seele der tierischen Seele Sekundäre („angewandte") Physik Medizin Astrologie Physiognomik Traumdeutung Alchimie Magie

Taf. A3: Gliederung der Enzyklopädie "Eruditio didascalorum" des Hugo von St. Victor (1094-1141) (um 1120) Quelle: Dolch, U.: Lehrplan des Abendlandes, S. 137 Philosophia A. Theoretica I. Theologie II. Mathesis = Quadrivium 1. Arithmetik 2. Musik: a) sphärische, b) menschliche, c) instrumentale 3. Geometrie: a) Planimetrie, b) Stereometrie, c) Kosmometrie 4. Astronomie: a) Astronomie, b) Astrologie III. Physik = Naturlehre B. Praktica I. Ethik II. Ökonomik III. Politik C. Mechanica 1. Weberei, 2. Kriegskunst, und Waffenschmiedung, 3. Schiffahrt und Handel, 4. Landbau, 5. Jagd, 6. Medizin, 7. Schauspielkunst D. Logica I. Grammatik II. Redekunst (Darlegung) 1. Überzeugung: a) Dialektik, b) Rhetorik 2. Überredung: Sophistik Anhang: appendentia artium Poesie, Geschichte, "neumodische" Philosophie

296

Taf. A4: Gliederung der Enzyklopädie des Vincent von Beauvais (1190—1264), dem "Speculum majus", mit den drei Teilen: "Speculum naturalis" (32 Bücher), "Speculum doctrinale" (17 Bücher) und "Speculum historiale" (8 B.) Quelle: Speculi maioris Vincentii Burgundi praesulis Belvacensis... Tomi Quatuor .. . Venetiis, Dominicus Nicolini MDXCI. (wurde benutzt von Samurin, Bd. I, S. 72-4 und S. 329) I. Speculum naturale 1. Buch: Erschaffung der Welt, vom Schöpfer, von der ersten Materie, von der Erschaffung der Engel 2. Buch: Vom Werk des ersten Tages; Scheidung von Licht und Finsternis. 3.-4. Buch: Vom Werk des zweiten Tages; festes Land, Himmel, Zeit und Ewigkeit, andere Teile des Universums, Reich des Feuers, des Äthers, der Luft 5.-8. Buch: Vom Werk des dritten Tages; Wasser und seine Elemente, Entblößung der Erde, Eigenschaften der Erdkörper, etc. von den Mineralien, Metallen, ihren Eigenschaften, Steinen. . 9.-14. Buch: Von den Werken des dritten Tages; Pflanzen und Gewächse, Pflanzensamen, Bäume, Früchte, Feldfrüchte.. . 15. Buch: Von den Werken des vierten Tages; Erschaffung der Himmelskörper, Sonne, Mond, Sterne, Tag und Nacht, etc. 16.-17. Buch: Von den Werken des fünften Tages; Vögel und Fische, auch Seeungeheuer 18.-22. Buch: Von den Werken des sechsten Tages; Landtiere, Lasttiere, wilde Tiere, sonstige Tiere (Schlangen, Reptilien), von ihrem Futter, ihrer Bewegung und Fortpflanzung 23. Buch: Von der Erschaffung des Menschen, seiner Seele 24.—27. Buch: Von den Eigenschaften und Fähigkeiten der Seele 28. Buch: vom Bau des menschlichen Körpers, seiner Natur 29. Buch: Vom Weltall, von der Universalität der Dinge 30. Buch: Von der Struktur der Natur, der Mensch vor dem "Sündenfall", Mikrokosmos 31. Buch: Vom Geboren werden der Menschen, Physiologie, Geburtshilfe, Mißgeburten, etc. 32. Buch: Von den Wohnorten der Menschen, von Europa, Asien und Afrika, Weltgeschichte bis zum Jahre 1244. Jüngstes Gericht II. Speculum doctrinale 1. Buch: Besserung des Menschen durch Bildung und Philosophie 2. Buch: Grammatik und ihre Einordnung in die philolog. Wiss. 3. Buch: Logik, Rhetorik und Poetik 4. Buch: Moral, Ökonomik, Politik 5. Buch: Von der Wissenschaft der Monastik 6. Buch: von der ökonomischen Wissenschaft 7.-10. Buch: Von der Politik, Gerichtsverfahren, Verbrechen II. Buch: Von den mechanischen Künsten; Architektur, Waffen, Militärwesen, Theater und Gymnastik, Handel, Jagd, Ackerbau. .. 12.-14. Buch: Von der Praxis und der Theorie der Medizin 15. Buch: Von der Physik und der Naturphilosophie 16. Buch: Von der Mathematik, Metaphysik, Musik, Astronomie, etc. 17. Buch: Von der Theologie III. Speculum historiale 1. Buch: Wiederholung der Schöpfungsgeschichte 2.-8. Buch: Judäa vor der babylonischen Gefangenschaft bis Geschichte Griechenlands und Roms, Philosophen und Autoren

297

Taf.AS: Enzyklopädie "De pioprietatibus reium" des Barthotomäus Anglicus (um 1260), Paris Quelle: Bartolomei anglici de proprietatibus rerum. Nuremberge 1483. Samurin, Bd. I, S. 76-77 u. 78 Die Enzyklopädie besteht aus folgenden 19 Büchern: 1. Buch: 2. Buch: 3. Buch: 4. Buch: 5. Buch: 6. Buch: 7. Buch: 8. Buch: 9. Buch: 10. Buch: 11. Buch: 12. Buch: 13. Buch: 14. Buch: 15. Buch: 16. 17. 18. 19.

Buch: Buch: Buch: Buch:

Gott Von den Eigenschaften der Engel Von den Eigenschaften der intellektuellen Seele Von den Eigenschaften der körperlichen Substanz Von der Anordnung der Glieder (Eigenschaften des Kopfes, Wimpern, Brauen, Stirn, Nase, Mund, etc.) Von den Zuständen (Tod und Alter, Kinder, Mann, Essen etc.) Traktat über die Krankheiten Von der Welt und den Himmelskörpern Von der Zeit und den Zeitabschnitten Von der Materie und der Form Von der Luft und ihren Eigenschaften (Wind, Wolken, Tau, etc.) Von den Vögeln im allgemeinen und besonderen Vom Wasser und seinen Eigenschaften (Brunnen, Flüsse, Teiche, Flut und Ebbe, Überschwemmungen, Meere, etc.) Vom festen Land und seinen Teilen (Land, Gebirge, Hügel, Felder, Äcker, Steppen, Wüsten, Gruben, Höhlen) Von den Ländern (von der Erdkugel; Asien, Assyrien, Mongolei, Armenien, Akkad, Albanien, England, etc. Von den Edelsteinen (Sand, Lehm, Alabaster, Gold, Silber, Diamant, etc.) Von den Bäumen, Pflanzen und ihren Eigenschaften Von den Tieren, allgemeines und einzelne Tiere Von den Blumen, Düften, Wohlgerüchen und Flüssigkeiten; von den Farbstoffen; von der Kälte- und Wärmewirkung; Düfte, Flüssigkeiten, Honig, Milch, Wachs, Butter, Käse, Eier. Maße und Gewichte, das Wiegen, Musikinstrumente.

Samurin berichtet, daß in vielen Fällen im einzelnen alphabetisch aufgezählt wurde.

298

Taf.A6: Enzyklopädie "Li livres dou tresor" von Brunette Latini (1230-1294), Italien und Frankreich Quelle: Li livres dou Tresor par Brunette Latini, Paris 1863. Samurin, Bd. l, S. 80-83 PHILOSOPHIE I. Theoretische Philosophie 1. Theologie Gott, Engel, Seele, Das göttliche Gesetz, das maschliche Gesetz, Königreiche (Geschichte der alten Welt) Das neue Gesetz (= Geschichte seiner Zeit) 2. Physik Die Natur der Dinge der Welt im allgemeinen, Elemente und Eigenschaften, Himmel (Luft und Regen, die zwölf Tierkreiszeichen, Planeten, Mond, Sonne - Tag und Nacht, Hitze und Kälte, Süden und Norden - Tätigkeit der Natur) Erde (Karten Orientalische Länder - Asien - Europa, Ozeane, Afrika, das Auffinden fruchtbarer Böden, die Führung des Haushaltes, der Bau von Brunnen, Springbrunnen und Zisternen, die Einrichtung des Hauses und die dazugehörigen Gegenstände) Die Natur der Tiere, vor allem der Fische (Fische, Mollusken, Vierfüßler, Kriechtiere, Vögel - Insekten - Natur der Pflanzen, Natur der Steine, etc.) 3. Mathematik Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie (Sterne, die Bewegung der Planeten innerhalb der zwölf Tierkreiszeichen und welchen Einfluß sie auf Wärme und Kälte oder Regen, Trockenheit, Wind, etc. hat) II. Praktische Philosophie 1. (Persönliche) Ethik 2. Ökonomik 3. Politik Die Verwaltung von Städten, eines Reiches oder eines Volkes... Künste und Handwerke. In der Arbeit - Goldschmied, Säger, Bäcker, Schuhmacher .. . Polsterer-, Seilerhandwerk . . . In Worten - Grammatik, Dialektik, Rhetorik III. Logik I.Dialektik 2. Ephidik 3. Sophistik

299

Taf. A7: Erste rein theoretische Gliederung des Wissens und der Wissenschaften im "Panepistemon* des Angelo Poliziano (1454-1494), Italien Quelle: Angeli Politiani prelectio: Cui titulus Panepistemon. Florentiae, Antonius Miscominus 1491. Samurin, Bd. I, S. 128-129 I

Theologie (Eingebung) Dogmatische, historische, moralische und prophetische Theologie

II Philosophie (Erfindungsgabe) Theoretische "spekulative" Philosophie Naturphilosophie Grundlagen und Prinzipien (Bewegung, Ort, Zeit, Dauer) Einfache Körper (Himmel) Zusammengesetzte Körper (unvollkommene Körper - Metalle, Steine, Pflanzen) Zoophyten Empfindende Wesen (Tiere - Mensch) Medizin (Theoretische, praktische) Erste Philosophie Gott und geistige Wesen Seele (vegetative, empfindende, intellektuelle Seele) Mathematik Arithmetik; Musik; Harmonie; Metrik; Rhythmik; Geometrie Astronomie (Sphärische, mathematische Astronomie, Klimatologie, Geodäsie, Astrologie, Gnomonik) Optik Mechanik (Theoretische, chirurgische Mechanik, Baumechanik, zeichnerische Mechanik, Uhrmacherhandwerk, Maschinen, etc.) Praktische (wirkliche) Philosophie Moralphilosophie (Persönliche Moral, Familienmoral) Staatliche Moral (Kirchen- und ZivUrecht - Militärwesen) Künste (Agrikultur, Jagd, Architektur, Grafik, Kochkunst, Theaterkunst, Gladiatoren, Gymnastiker) Rationale Philosophie Grammatik; Geschichte; Dialektik; Rhetorik; Poetik III. Voraussehen und Prophezeiungen Traumgesicht; Phantasie; Chiromantik; Nekromantik etc.

300

Taf. A8: Scheinazur Unterteilung der Philosophie von Mario Nizolio (1498-1556) in seinem "Antibarbarus philosophicus" (1533), Italien Quelle: Marii Nizolii Brixellensis. De veris principiis et vera ratione phüosophandi contra pseudophilosophos libri IV. Parmae, Septimus Viottus. 1533. S. 204-292; Samurin, Bd. I, S. 131-132 Physikalische oder Naturphilosophie Theologie Meteorologie Geographie (und Lehre von den physikalischen Erscheinungen) Politische oder Bürgerliche Philosophie Ethik Spezielle Politik Ökonomik Ziviles Recht (und sonstige sich auf den Staat beziehende Wissenschaften) Beredsamkeit oder Logik Grammatik Rhetorik Poetik Geschichte (und sonstige Wissenschaften dieser Art)

301

Taf. A9: Schema des Juan Huarte (1535-1592) aus dem 1575 erschienenen Werk: "Examen de ingeniös para las sciencias" (1785 von Lessing ins Deutsche übersetzt) Quelle: Essamina de gl'ingegni de gli huomini acconci. . . Venetia: Matheo Valentin! 1603. Samurin, Bd. I, S. 129-130 Künste und Wissenschaften, die durch das Gedächtnis erlangt werden Grammatik der lateinischen oder jeder anderen Sprache Theoretische Rechtsgelehrsamkeit Positive Theologie Arithmetik Theoretische Medizin (erster Teil) Künste und Wissenschaften, die vom Verstand abhängen Scholastische Theologie, ihre Theorie Theoretische Medizin (zweiter Teil) Dialektik Naturphilosophie Praktische Rechtsgelehrsamkeit Künste und Wissenschaften, die durch die Einbildungskraft entstehen Alle Künste und Wissenschaften, die Bilder, Gleichheiten, Harmonie und Verhältnis zu Gegenständen haben, nämlich: Dichtkunst Beredsamkeit Gesang Homiletik Praktische Musik Praktische Mathematik Praktische Astrologie Praktische Justiz Regieru ngsku nst Kriegswissenschaft Malen und Zeichnen Schreiben und Lesen Höflichkeit des Menschen, Liebenswürdigkeit und Scharfsinn Alle Mechanismen und künstlich hergestellten Maschinen; beliebige Wunder (Die Übersetzer des Samurin-Werkes schreiben hierzu: "In der vorliegenden deutschen Ausgabe ist das Schema Huartes der sprachlichen Fassung in der Lessingschen Übertragung seines Werkes angepaßt worden (Vgl. Juan Huarte, Prüfung der Köpfe der Wissenschaften. Wittenberg-Zerbst 1785)"

302

Taf. A10: Einteilung der Wissenschaften von Francis Bacon (1561-1626), England, in "De dignitate et augmentis seien darum" 1605. Quelle: The two bookes on the Proficience and Advancement of learning divine and humane. London 1605. aamurin, Bd. I, S. 160-165 Geschichte (Gedächtnis) Naturgeschichte Geschichte der Naturbildungen (Normale Bildungen) Geschichte der Abweichungen (Mißbildungen, Naturfehler) Geschichte der Erfindungen (Geschichte der Mechanik oder experimentelle Geschichte) Politische Geschichte Kirchengeschichte Eigentliche politische Geschichte Wissenschaften und Künste (Literaturgeschichte) Poesie (Einbildungskraft (Phantasie)) Epische Poesie Dramatische Poesie Parabolische (allegorisch-didaktische) Poesie Wissenschaft oder Philosophie (Verstand (Vernunft)) Philosophie Göttliche Philosophie Naturphilosophie Theoretische Philosophie Physik Mathematik Praktische Philosophie Mechanik Magie Mathematik (Großer Anhang zur Naturphilosophie) Philosophie vom Menschen Das Individuum Der Mensch in der Gesellschaft Theologie der Offenbarung oder der Inspiration Das Schema ist weit ausführlicher, wir benutzten hier eine gekürzte Fassung

303

Taf.All: Gliederung der Enzyklopädie des Johann Heinrich Alsted, Herborn (Lehrer des Comenius), 1630 Quelle: Encyclopaedia septem tomisdistincta .. .Herbornae Nassoviorum 1630. Cursus philosophic! Encyclopaedia 1.XXVII1, Herborn 1620. - Dolch, J.: Lehrplan des Abendlandes. Ratingen 1959. S. 271 Drei Bücher philosophischer Vorbegriffe (Praecognita philosophica): Archelogia (Prinzipien der Philosophie) Hexilogia (Geistige Verhaltensweisen) Technologia (Unterscheidung der Disziplinen) Didaktika (Lehre vom Studium) Elf Bücher theoretische Philosophie (Scientia): Metaphysik, Pneumatik, Physik, Arithmetik, Geometrie, Kosmographie, Uranoskopie, Geographie, Optik, Musik, Architektonik Fünf Bücher praktische Philosophie (Prudentia) Ethik, Ökonomik, Politik, Scholastik, Historik (In dieser Zusammenstellung von Dolch kommen die "septem tomis distincta" nicht klar zum Ausdruck. Samurin gibt eine bessere Übersicht (Bd. I, S. 345-346) wie folgt:) Bd. l Bd. 2 Bd. 3 Bd. 4 Bd. 5 Bd. 6

Vorbereitende Disziplinen (Hexiologie, Technologie...) Philologie (Lexikologie, Grammatik, Rhetorik. . .) Theoretische Philosophie (Metaphysik, Pneumatik...) Praktische Philosophie (Ethik, Ökonomie, Politik.. .) Die drei Hauptfakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin) Mechanologie 1. allgemeine und spezielle 2. physikalische Mechanologie - Georgik (Bodenbearbeitung), Fiturgie (Garten- und Weinbau), Bukolik (Viehzucht), Artopoetik (Brotbacken), Weinbereitung, Pharmazie, Chirurgie, Metallurgie, 3. Mathematische Mechanologie - Druckereiwesen, Gnomonik, Maße und Gewichte, Instrumente, Maschinen, Navigation, Militärwescn, Jagd, Fischfang, Geflügelzucht, etc.) Bd. 7 Vorwiegend gemischte Disziplinen Mnemonik, Geschichte, Chronologie, Architektonik, etc.

304

Taf. A12: Einteilung der "Encyclopaedia pro Didactica Ratichü" (1619) des Wolfgang Ratke (1571-1635) "Entwerfung der All-Unterweisung" Quelle: Dolch, J.: Lehrplan des Abendlandes. Ratingen 1959, S. 271-272 I. Lehr (Dogmaticam, quae vel) A. Gemütslehr (Liberalis, quae vel) l. Hauptlehr (Realis, quae vel) a. Göttliche Lehr als Gotteslehr (Divina, Theologica) b. Menschliche Lehr (Humana) Rechtslehr (Jurisprudentia) Arzneilehr (Medicina) Vernunftlehr (Philosophia, quae vel) Erkündigungslehre (Contemplativa, utpote) Wesenskündigung (Metaphysica) Naturkündigung (Physica) Meßkündigung (Mathematica, quae vel) Geschiedene (Simplex) Tonkündigung (Musica) Großkündigung (Geometrica) Ungeschiedene (Mista) Zahlenkündigung (Arithmetica) Gestirnkündigung (Astronomia) Weltkündigung (Cosmographia) Gesichtskündigung (Optica) Übungslehr (Activa, quae vel) Sittenlehr (Ethica) Regimentslehr (Politica) Hauslehr (Oeconomica) Dienstlehr des (Instrumentalis, quae vel) a. Verstands, Verstandslehr (Rationis, Logica) b. der Rede (Orationis) Rednerlehr (Rhetorica) Gediehtslehr (Poetica) Sprachlehr (Grammatica) B. Handwerkslehr (Illiberalis, ubi Technologia) II. Lehrart (Didactica)

305

Taf. AI 3: Einteilung der Lehrgebiete des Johann Valentin Andreae (1586-1654), Stuttgart, für seine "Rei pubücae Christianopotitanae descriptio" (1610) Quelle: Dolch, J.: Lehrplan des Abendlandes. Ratingen 1959. S. 271 I.

Grammatik] Rhetorik [> muttersprachlich Sprachen J II. Dialektik, Metaphysik, Theosophie III. Arithmetik, Geometrie, geheime Zahlenkunde IV. Harmonielehre, Instrumental- und Vokalmusik V. Astronomie, Astrologie, christliche Himmelskunde VI. Naturwissenschaft, Weltgeschichte, Kirchengeschichte VII. Ethik, Politik, Aszetik VIII. Scholastische, praktische und prophetische Theologie

306

Taf. A14: Einteilung des Wissens im "General Scheme" des Bishop John Wflkins (1614-1672), England Quelle: An essay toward a real character and a philosophical language. - London: Royal Society 1668. Vickery, B.C.: The significance of John Wilkins in the history of bibliographical classification. - In: Libri 2 (1953) S. 326-343, hier S. 329: Abdr. v. S. 23, Chap. I. (Übersetzung und Notation: I.D.) \ . Allgemeines .1 Transzendental .1 Allgemein I .2 Gemischte Relation II .3 Relation der Aktion III .2 Discourse" IV 2. Spezielles .1 Schöpfer V .2 Schöpfung .1 in ihrer Ganzheit: die Welt VI .2 in ihrer Verteilung: verschiedene Arten des Seins . l Substanzen .1 unbelebt: Elemente VII .2 belebt; nach verschiedenen Arten .1 Arten -1 vesetative /Steine VIII .unvollkommene; Mineralien s[Metalle xi .. „ IV IX k

r- . l Blatt X fkräuter -< Blüte XI .vollkommene; Pflanzen